Otfrids 'Evangelienbuch' in der Frühen Neuzeit: Studien zu den Anfängen der deutschen Philologie 9783484970915, 9783484366350

Otfried of Weissenburg’s Evangelienbuch [Book of the Gospels] written in Old High German and completed between 863 and 8

224 114 2MB

German Pages 351 Year 2009

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Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung und Ansatz
2. Spurensuche und Spurensicherung: Die Wiederentdeckung der Handschriften von Otfrids Evangelienbuch
3. Arbeiten mit den Handschriften: Kodexgebundene Otfridrezeption
4. Edieren und Interpretieren: Matthias Flacius und das Evangelienbuch
5. Kommentieren und Thesaurieren
6. An den Rändern der Wissenschaft
7. Zur frühen Wissenschaftsgeschichte der Germanistik
8. Editorischer Anhang
Backmatter
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Otfrids 'Evangelienbuch' in der Frühen Neuzeit: Studien zu den Anfängen der deutschen Philologie
 9783484970915, 9783484366350

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Frhe Neuzeit Band 135 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Khlmann, Jan-Dirk Mller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Norbert Kçssinger

Otfrids ›Evangelienbuch‹ in der frhen Neuzeit Studien zu den Anfngen der deutschen Philologie

Max Niemeyer Verlag Tbingen 2009

n

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-36635-0

ISSN 0934-5531

> Max Niemeyer Verlag, Tbingen 2009 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, Ebersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier. Druck und Einband: Hubert & Co., Gçttingen

Vorwort Dieses Buch beschäftigt sich mit der Wiederentdeckung und Erforschung des Evangelienbuchs Otfrids von Weißenburg vom Ende des 15. bis zum ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Es möchte damit an einem konkreten Fallbeispiel einen Beitrag leisten zur Geschichte der deutschen Philologie in der frühen Neuzeit, also in der Zeit vor der Institutionalisierung und Etablierung der Germanistik als universitäre Disziplin. Die Studie lag im Wintersemester 2005/2006 der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der LudwigMaximilians-Universität München als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie vor. Für den Druck wurde sie überarbeitet. Die Anregung zu diesem Thema gab Prof. Dr. Ernst Hellgardt. Er war während der Entstehungszeit der Arbeit für mich ein Betreuer mit allem, was man sich als Doktorand wünschen kann: profunder Kenntnis des Gegenstandes, vor allem aber sachlicher Kritik, sowie Strenge und Nachsicht im rechten Moment. Meine von Herzen kommende Dankbarkeit für alles, was ich von ihm gelernt habe, sei ihm immer gewiß. Für die Mühe des Zweitgutachtens danke ich herzlich Prof. Dr. Stephan Müller. Ich wünsche mir noch viele Jahre der Zusammenarbeit mit ihm. Prof. Dr. Peter Strohschneider bin ich über seine anregenden Oberseminare hinaus besonders dafür dankbar, daß ich in der Endphase der Arbeit ein Semester an seinem Lehrstuhl mitarbeiten konnte. Prof. Dr. Wilhelm Heizmann schließlich danke ich für seine aktive Beteiligung im Rahmen des Promotionsverfahrens. Das Förderungswerk der Hanns-Seidel Stiftung e.V. gewährte mir ein mehrjähriges Graduiertenstipendium, für das ich an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank aussprechen möchte. Für die Anfertigung von Mikrofilmen, die Einsichtnahme in zahlreiche Handschriften und Drucke sowie sachkundige Auskünfte vor Ort schulde ich einer ganzen Reihe von Personen und Institutionen Dank: Dr. Bernd Bader (UB Gießen), Dr. Martin Czernin (Schottenstift Wien), Dr. Hauke Fill (Stiftsbibliothek Kremsmünster), Dr. Renate Giermann und Christian Hofgrefe (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel), Mag. Michael Grünwald, Prof. Dr. Gregor M. Lechner (Stiftsbibliothek Göttweig) und P. Anton Schuster (Graphisches Kabinett Göttweig), Dr. Anke Hölzer (Niedersächsische Landesbibliothek Hannover), Clemens Moser (Kantonsbibliothek Aarau), Dr. Armin Schlechter (UB Heidelberg), Dr. Martin Steinmann (UB Basel), Dr. Elisabeth Wunderle (Bayerische Staatsbibliothek München), den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Handschriftenabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, der Bodleian Library (Oxford) und dem Konvent Schlierbach in Oberösterreich.

VI Diese Arbeit wäre ohne die gelehrten Hinweise vieler um einige Fußnoten ärmer. Namentlich seien genannt: Prof. Dr. Klaus Arnold (Hamburg), Dr. Ullrich Bruchhold (Berlin), PD Dr. Martina Hartmann (Heidelberg), Juniorprof. Dr. Felix Mundt (Berlin), PD Dr. Ulrich Seelbach (Münster), Dr. Andreas Waschbüsch (München). Dr. Bernhard Metz (Berlin) danke ich für die Lektüre der Abgabefassung, Dr. Stefan Elit (Paderborn) für die kritische Durchsicht meiner Übersetzung der lateinischen Vorrede zur Otfridausgabe von Matthias Flacius, Dr. Elke Krotz (Paderborn) für das Korrekturlesen der Fahnen. Dem Niemeyer Verlag, namentlich Daniela Zeiler und Birgitta Zeller-Ebert, danke ich für die kompetente Betreuung bei der Drucklegung. Den Herausgebern der »Frühen Neuzeit«, insbesondere Prof. Dr. Jan-Dirk Müller und Prof. Dr. Friedrich Vollhardt, sei für die Aufnahme der Studie in die Reihe sowie für ihre Hinweise und Anregungen gedankt. Widmen möchte ich dieses Buch der Person, mit der ich nun fast dreizehn Jahre gemeinsam durchs Leben gehe, und die es von den ersten Ideen bis zum Abschluß begleitet hat. Das vorliegende Buch soll in tiefer Verbundenheit und Liebe meiner Frau Roberta gehören. Paderborn, im November 2008

Inhaltsverzeichnis 1 Einführung und Ansatz ................................................................................ 1 1.1 Zwei Anfänge? Der Untersuchungszeitraum (1494–1833/1836) ......... 1 1.1.1 Karl Lachmanns Otfridartikel (1833/36) ................................. .. 1 1.1.2 »non facile legere vel intelligere«: Die Wiedereinführung Otfrids in die Literaturgeschichte durch Johannes Trithemius (1494) ........................................... 3 1.2 Ansatz und Konzeption ........................................................................ 12

2 Spurensuche und Spurensicherung: Die Wiederentdeckung der Handschriften von Otfrids Evangelienbuch ....................................................................... 21 2.1 Der Codex Vindobonensis 2687 ........................................................... 21 2.1.1 Weißenburg – Sponheim – Wien ............................................... 21 2.1.2 Das Evangelienbuch bei Maximilian I.? ...................................... 26 2.1.3 »Hunc ante omnia cupio.« Zur späteren Otfridrezeption bei Trithemius ............................................................................. 30 2.2 Der Codex germanicus monacensis 14 ................................................. 2.2.1 Beatus Rhenanus und die Wiederentdeckung eines »Thesaurus egregius antiquitatis« ............................................... 2.2.2 Die Otfridkenntnis des Beatus Rhenanus vor 1530 ..................... 2.2.3 Von Freising nach München ......................................................

33 33 40 44

2.3 Der Codex Palatinus latinus 52 ............................................................. 47 2.3.1 Matthias Flacius Illyricus, Achill Pirmin Gasser und Ulrich Fugger ....................................................................... 47 2.3.2 Heidelberg – Rom – Heidelberg ................................................. 53 2.4 Die Fragmente des Codex Discissus .................................................... 56 2.4.1 Die Wolfenbütteler Fragmente .................................................... 56 2.4.2 Die übrigen Fragmente (Bonn, Krakau / Berlin) ....................... 61

VIII

2.5 Verlorene Handschriften und Fehlzuschreibungen .............................. 63 2.5.1 Spuren verlorener Otfridhandschriften ........................................ 64 2.5.2 Fehlzuschreibungen: Die Otfridhandschrift der Bodleian Library und der Frankfurter Otfrid ........................................................... 69 3 Arbeiten mit den Handschriften: Kodexgebundene Otfridrezeption ............................................................................................ 77 3.1 Abschreiben .......................................................................................... 77 3.1.1 Die Abschrift Achill Pirmin Gassers (1560) .............................. 77 Entstehung, Beschreibung und Verhältnis zur Vorlage (77) – Gassers und Gesners Projekt einer Otfridausgabe (79) – Vergleich mit der Ausgabe der Euporista (82) – Zur Geschichte der Abschrift bis ins Wiener Schottenkloster (85)

3.1.2 Die Teilabschrift von Johann Philipp Schmid (um 1700) ........... 87 3.1.3 Das Evangelienbuch in Göttweig (1724/25) .............................. 92 3.1.4 Weitere Abschriften .................................................................. 100 3.2 Frühe textkritische Arbeiten ................................................................ 101 3.2.1 Marquard Frehers Emendationes et castigationes (1631) ......... 101 3.2.2 Frederik Rostgaards Emendationes (1720) .............................. 105 3.3 Beschreiben und Katalogisieren: Die Wiener Handschrift von Peter Lambeck bis Heinrich Hoffmann von Fallersleben ................... 110

4 Edieren und Interpretieren: Matthias Flacius und das Evangelienbuch ................................................................................... 118 4.1 Otfrid und die protestantische Kirchengeschichtsschreibung ........... 119 4.1.1 Zum Catalogus testium veritatis (1556 / 1562) ....................... 119 4.1.2 Der Text von Ad Liutbertum im Catalogus testium veritatis (Straßburg 1562) und die Frage nach seiner Vorlage .............. 121 Der Text von Ad Liutbertum (125) – Zur Beurteilung der Lesarten (129)

4.1.3 Otfrid als »testis veritatis« ......................................................... 132 4.2 Die Ausgabe des Evangelienbuchs (Basel 1571) .............................. 132 4.2.1 Zur Entstehungsgeschichte und zum Drucker/Verleger ........... 132 4.2.2 Zu Inhalt und Einrichtung ......................................................... 136 4.2.3 Zum Verhältnis des Drucks zu seinen Vorlagen ....................... 138 Verhältnis der Abschrift zum Druck (138) – Weitere Vorlagen (139)

4.2.4 Zur Textgestaltung .................................................................... 141

IX

4.2.5 Zu den Paratexten .................................................................... 142 Hermeneutischer Zugang und Interpretationskonzept (142) – Die Auszüge aus Beatus Rhenanus und Johannes Trithemius (149) – Das Glossar (151) – Teiledition des Glossars (154) – Die Übersetzungen der Widmungsschreiben (156)

4.2.6 Zur Rezeption der Ausgabe ...................................................... 158 Kritik an der Edition (158) – Erhaltene Exemplare (159)

5 Kommentieren und Thesaurieren ............................................................. 162 5.1 Das Vorspiel zum Thesaurus: Johann Schilters »Specimen« (1698) ................................................. 164 5.2 Die Otfridarbeiten Dietrich von Stades ............................................. 168 5.2.1 Zu den Handschriften Hannover, LB, MS IV 458–464 ........... 170 5.2.2 Die Otfridarbeiten bis 1708 ...................................................... 171 5.2.3 Das Specimen (1708) ................................................................ 175 5.2.4 Zu den späteren Otfridarbeiten ................................................. 179 Entwürfe zu einem Otfridglossar (179) – Entwürfe zu einer Otfridgrammatik (180) – Weitere Entwürfe und Vorreden zur Otfridausgabe und Otfridgrammatik (182)

5.3 Zwischen Dietrich von Stade und Schilters Thesaurus ..................... 184 5.4 Die Thesaurierung des Evangelienbuchs: Die Otfridausgabe im Thesaurus antiquitatum Teutonicarum (1726) ................................... 186 5.4.1 Voraussetzungen, Inhalt und Entstehungsgeschichte .............. 186 5.4.2 Zur Anlage von Textedition und Kommentar .......................... 188 5.4.3 Zu den Paratexten .................................................................... 191

6 An den Rändern der Wissenschaft ........................................................... 193 6.1 Rückkehr ins Kloster: Die Otfridarbeiten von P. Leopold Koplhuber (Kremsmünster) ............................................. 193 6.1.1 Otfridus und Leopoldus ........................................................... 193 6.1.2 Kritik an den Vorgängern ......................................................... 196 6.1.3 Der Context bannt den Sinn: Vorarbeiten und Quellen ........... 197 6.1.4 Die Textgestaltung und der Kommentar ................................... 199 6.1.5 Die Übersetzung ....................................................................... 204 6.1.6 Koplhuber und Jacob Grimm .................................................... 205 6.2 Eberhard Gottlieb Graffs Krist ........................................................... 207

X

7 Zur frühen Wissenschaftsgeschichte der Germanistik .............................. 211

8 Editorischer Anhang ................................................................................ 217 8.1 Die Vorreden zur Otfridausgabe von Matthias Flacius ..................... 217 8.2 Die Übersetzung von Ad Liutbertum in der deutschen Ausgabe des Catalogus testium veritatis (Frankfurt a. M. 1573) ..................... 245 8.3 Die Vorreden Dietrich von Stades ...................................................... 249 8.3.1 Die Vorrede zu einer Otfridausgabe ........................................ 249 8.3.2 Die Vorrede zu einer Otfridgrammatik ...................................... 273 8.4 P. Leopold Koplhuber: Vorrede des Übersetzers .............................. 277

9 Literaturverzeichnis .................................................................................. 304 9.1 Abkürzungsverzeichnis und abgekürzt zitierte Literatur ................... 304 9.2 Quellenverzeichnis zu Otfrids Evangelienbuch von 1494–1836 ....... 305 9.3 Weitere gedruckte Quellen und Hilfsmittel ........................................ 315 9.4 Forschungsliteratur ............................................................................ 318

10 Register ................................................................................................... 335 10.1 Handschriften und Drucke ................................................................ 335 10.2 Personen und Werke ....................................................................... 336

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Einführung und Ansatz

1.1 Zwei Anfänge? Der Untersuchungszeitraum (1494–1833/1836)

1.1.1 Karl Lachmanns Otfridartikel (1833/36) Am 1. November 1833 schloß Karl Lachmann (1793–1851) die Arbeit an einem Lexikonartikel ab, der drei Jahre später in Erschs und Grubers Allgemeiner Encyclopädie der Wissenschaften und Künste erschien. Gegenstand dieses Artikels ist, wie es im Titelkopf heißt, »Otfried, Mönch zu Weißenburg, der deutsche Dichter im IX. Jahrhundert« und sein althochdeutsches, zwischen 863 und 871 fertiggestelltes Evangelienbuch.1 Aus heutiger Perspektive war dieser Artikel in mehrfacher Hinsicht wegweisend für die Erforschung Otfrids und seines Werkes im 19. und 20. Jahrhundert. Lachmann stellt in seinem Artikel zum ersten Mal überhaupt bestimmte Sachverhalte zur Diskussion oder er spricht sie zumindest so pointiert, teilweise auch vereinseitigend an, daß den Otfridforschern der kommenden Generationen eine Reihe von Problemen zur Lösung aufgegeben war: die Frage nach den exegetischen Vorlagen des Evangelienbuchs, sein literarisches Verhältnis zum altsächsischen Heliand, seine literarhistorische Verortung im Kontext der volkssprachigen Bibeldichtung des 9. Jahrhunderts, die Bereiche des Versbaus und der Prosodie sowie die Frage nach dem Korrektor in der Wiener Handschrift des Evangelienbuchs. Die angeführten Problemfelder haben die Forschung zu Otfrid von Weißenburg bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt.2 Anhand dieses

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Karl Lachmann: Otfried (Otfrid). In: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern. Bearbeitet und hg. von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber. 3. Abt. O–Z (Bd. 7). Leipzig 1836, S. 278–282. Wieder abgedruckt in Karl Lachmann: Kleinere Schriften zur deutschen Philologie. Hg. von Karl Müllenhoff. Berlin 1876 (Kleinere Schriften von Karl Lachmann 1), S. 449–460. Hier zitiert nach dem Abdruck in: Otfrid von Weißenburg. Hg. von Wolfgang Kleiber. Darmstadt 1978 (WdF 419), S. 18–30. Dies belegen exemplarisch die folgenden Studien: Wolfgang Kleiber: Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung und Studien zum Aufbau des Evangelienbuches. München 1971 (Bibliotheca Germanica 14). Rainer Patzlaff: Otfrid von Weißenburg und die mittelalterliche versus-Tradition. Untersuchungen zur formgeschichtlichen Stellung der Otfridstrophe. Tübingen 1975 (Hermaea N.F. 35). Ernst Hellgardt: Die exegetischen Quellen von Otfrids Evangelienbuch. Beiträge zu ihrer Ermittlung. Mit einem

2 Artikels läßt sich musterhaft der Nachweis erbringen, welche Autorität und Tragweite Lachmanns Ansichten im Umfeld einer sich etablierenden und professionalisierenden Disziplin »Deutsche Philologie« als universitäre Disziplin und noch weit über die Konsolidierungsphase hinaus besaßen.3 Ich möchte dies an zwei Beispielen veranschaulichen: Zu den denkbaren exegetischen Vorlagen, die Otfrid in seinen Auslegungskapiteln als Quellen heranzieht, trifft Lachmann folgende Aussage: mir scheint ein umfassenderes und kürzeres Werk [sc. als Alcuins Kommentar zum Johannesevangelium] zum Grunde zu liegen, welches mancher andere leichter als ich auffinden wird, wenn es auf die Erörterung der gewöhnlichen theologischen Bildung jener Zeit ankommt. (Lachmann [Anm. 1], S. 20.)

Die Aufforderung zur Suche nach diesem einen, einheitlichen, kurzen und kompendienhaften Quellenwerk, das Otfrid ausschließlich benutzt haben soll, trieb die Otfridforschung »trotz allen entgegengesetzten Indizien«4 fast 150 Jahre um, und es läßt sich eine ganze Reihe von Quellenuntersuchungen aufzählen, in denen man auf der Grundlage dieser schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zur stehenden Wendung gewordenen »Lachmannschen bemerkung«5 beharrlich an der Hoffnung festhielt, dieses bis heute nicht aufgetauchte Kompendium ausfindig zu machen.6 Ähnliches gilt für die Frage nach dem literarischen Verhältnis des Evangelienbuchs zum Heliand. Dazu meint Lachmann: Die Annahme, daß etwa Otfried das sächsische Werk benutzt habe, weise ich nur darum als ungereimt ausdrücklich ab, weil es mir oft begegnet, dass man mir den ersten besten Einfall, den ich selbst nothwendig auch muß gehabt, aber verworfen haben [!], als etwas Neues und höchst Wichtiges vorhält. (Lachmann [Anm. 1], S. 20.)

Es mag nun fast redundant erscheinen festzuhalten, daß sich die Forschung prompt in einer ganzen Reihe von Aufsätzen und Monographien um den Nachweis bemühte, Otfrid habe den Heliand in extenso benutzt.7 Dies gerade wegen

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7

Kapitel über die Weißenburger Bibliothek des Mittelalters und der Otfridzeit. Tübingen 1981 (Hermaea N.F. 41). Zur neueren Forschungsgeschichte vgl. Werner Schröder: Otfrid von Weißenburg. In: 2VL 7 (1989), Sp. 172–193. Vgl. zu dieser Frage in einem größeren Rahmen Rainer Kolk: Berlin oder Leipzig? Eine Studie zur sozialen Organisation der Germanistik im »Nibelungenstreit«. Tübingen 1990 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 30). Ders.: Wahrheit – Methode – Charakter. Zur wissenschaftlichen Ethik im 19. Jahrhundert. In: IASL 14 (1989), S. 50–73. Hellgardt (Anm. 2), S. VII. Zuerst bei Anton E. Schönbach: Otfridstudien IV. In: ZfdA 40 (1896), S. 103–123, hier S. 115. Verwiesen sei hier, ohne die Forschungsbeiträge im einzelnen anzuführen, auf die einschlägigen Nummern (mit Erscheinungsjahr) von: Johanna Belkin / Jürgen Meier: Bibliographie zu Otfrid von Weißenburg und zur altsächsischen Bibeldichtung (Heliand und Genesis). Berlin 1975 (Bibliographien zur deutschen Literatur des Mittelalters 7): Nr. 59 (1856), 60 (1878), 61 (1882), 96 (1890), 97 (1894/95), 99 (1898–1900), 100 (1912), 103 (1967). Vgl. Belkin / Meier (Anm. 6): Nr. 313 (1855), 78 (1862), 314, (1869/70), 322 (1931), 325 (1948), 326 (1948-50), 327 (1954/55), 328 (1959).

3 Lachmanns prononciert ausgesprochener Aussage, er müsse geradezu das Gegenteil vertreten, um für glaubwürdig gehalten zu werden und seine ersten Ideen nicht als Innovation und letztverbindliches Forschungsresultat vorgehalten zu bekommen. Die von Lachmann in dem Artikel herangezogene Sekundärliteratur und seine Hilfsmittel sind ein geeigneter Gradmesser dafür, daß er auf den von ihm behandelten Bereichen auf dem neuesten Wissensstand zu Otfrid war. Er beruft sich neben wenigem anderem auf die Grammatik Jacob Grimms (1819), Heinrich Hoffmann von Fallerslebens Ausgabe der Bonner Bruchstücke (1821) und Friedrich Heinrich von der Hagens Ausgabe der Berliner Bruchstücke des Codex Discissus von Otfrids Evangelienbuch (1824), Karl Rosenkranz’ Geschichte der deutschen Poesie im Mittelalter (1830) und Eberhard Gottlieb Graffs Otfridedition (1831). Auch die älteren Otfridausgaben, die in Johann Schilters Thesaurus (1726) und den Erstdruck von Matthias Flacius Illyricus (1571), erwähnt er. Darüber hinaus zieht Lachmann eine von Hoffmann von Fallersleben zur Verfügung gestellte Abschrift der Heidelberger Otfridhandschrift mit Lesarten aus der Wiener Handschrift zu Rate sowie ein von ihm selbst angefertigtes Verzeichnis mit Lesarten aus der Freisinger Otfridhandschrift.8 Alle genannten Titel zitiert er üblicherweise unter Angabe von Autor, Titel, Erscheinungsjahr und Seitenangabe, abgesehen von Graff und Rosenkranz, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Artikels erst jüngst publiziert waren. Außer Graff und Rosenkranz gibt es noch eine dritte bibliographische Referenz, auf die Lachmann noch knapper, nämlich lediglich unter Angabe des Verfassernamens, verweist: den 1494 in Basel bei Johann Amerbach erstmals gedruckten Liber de scriptoribus ecclesiasticis, ein Schriftstellerverzeichnis, in dem an die 1000 kirchliche Autoren biobibliographisch vorgestellt werden. Es stammt aus der Feder von Johannes Trithemius (1462–1516).

1.1.2 »non facile legere vel intelligere«: Die Wiedereinführung Otfrids in die Literaturgeschichte durch Johannes Trithemius (1494) Der Sponheimer, später Würzburger Benediktinerabt, brachte als erster den Namen Otfrids von Weißenburg wieder zur Kenntnis und führte ihn in die gelehrte Diskussion seiner Zeit ein.9 In seinen beiden Schriftstellerverzeichnissen,

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Die Abschriften und Kollationen des Evangelienbuchs Hoffmann von Fallerslebens werden aufbewahrt in der Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Berlin: MS. germ. fol. 633 (Abweichungen des Cod. Vind. 2687 eingetragen in ein Exemplar der Edition von Schilter, Datierung: 25. Juli 1827), MS. germ. fol. 634 (Abschrift des Cod. pal. lat. 52, Datierung: 1824), MS. germ. fol. 638 (Niederschrift für eine Ausgabe nach Cod. Vind. 2687, undatiert). Vgl. zu Trithemius Klaus Arnold: Johannes Trithemius (1462–1516). Zweite, bibliographisch und überlieferungsgeschichtlich neu bearbeitete Auflage. Würzburg 1991 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 23). Ders.: Trithemius, Johannes. In: 2VL 11 (2004), Sp. 1560–1565.

4 dem Liber de scriptoribus ecclesiasticis (1494) und der etwas späteren Separatausgabe, dem Cathalogus illustrium virorum germaniam suis ingeniis et lucubrationibus omnifariam exornantium (1495) widmet er Otfrid jeweils einen eigenen Artikel.10 Trithemius präsentiert Otfrid in stereotypen Wendungen zunächst nach seinem Namen, Rang und Konvent, seiner monastischen und gentilen Zugehörigkeit und seinem Bildungsweg; er charakterisiert kurz seine literarische und wissenschaftliche Bedeutung mit einer Reihe von epitheta ornantia: Otfridus, monachus Wissenburgensis coenobii, ordinis divi patris Benedicti, natione teutonicus, Rabani Mauri abbatis Fuldensis quondam auditor atque discipulus, vir in divinis scripturis eruditissimus et in saecularibus litteris egregie doctus, philosophus, rhetor et poeta insignis, ingenio excellens et disertus eloquio.

Es folgen eine Würdigung Otfrids und ein Titelkatalog mit Werken, die er verfaßt haben soll, sowie ein Hinweis auf weitere, verlorene Werke: De cuius opusculis exstant subiecta: 1. Ad Luitbertum [!] Moguntinensis ecclesiae archiepiscopum octavum in evangelium opus grande et insigne, quod praenotavit Gratiam Theotistae; libri v. Dignitatis culmine gratia 2. Ad Ludovicum regem: liber i. Ludovico orientalium regnorum 3. Ad Salomonem episcopum: liber i. Salomoni episcopo Otfridus 4. Ad monachos sancti Galli liber i. Otfridus Wissenburgensis monachus 5. In psalterium volumina iii: libri iii. 6. De iudicio extremo: liber i. 7. De gaudiis regni caelestis: liber i. 11 8. Carmina diversi generis: liber i. 9. Epistolarum ad diversos: liber i. Alia insuper multa composuit, quae priorum neglegentia perdita et ignorantia monachorum rasa et lacerata ad me non venerunt.

Die umfangreiche Titelliste, in der Trithemius insgesamt neun Werke Otfrids teilweise unter Angabe von Incipits anführt, erweckt das Mißtrauen eines jeden, der mit Otfrids Evangelienbuch in Gestalt der Wiener oder Heidelberger Über-

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Ich beziehe mich im folgenden auf die ältere Fassung des Liber de scriptoribus ecclesiasticis. Alle Zitate daraus nach: Ernst Hellgardt: ...nulli suo tempore secundus. Zur Otfridrezeption bei Johannes Trithemius und im 16. Jahrhundert. In: Sprache, Literatur, Kultur. Studien zu ihrer Geschichte im deutschen Süden und Westen (FS Wolfgang Kleiber). Hg. von Albrecht Greule und Uwe Ruberg. Stuttgart 1989, S. 355–375, hier S. 357f. [mit synoptischem Abdruck beider Fassungen]. Mit Übersetzung und Stellenkommentar abgedruckt in: Kleiber (Anm. 1), S. 10–17. In De viris illustribus ordinis sancti Benedicti (um 1492, Erstdruck Köln 1575) ist kein Artikel zu Otfrid aufgenommen. In der Separatausgabe von 1495 stehen an dieser Stelle zusätzlich noch »Sermones et omelias tam de tempore quam de sanctis [...], libri ii.« Am Ende der Titelliste sind dort außerdem »Epigrammata multa in utraque lingua vario genere metri, libri ii.« hinzugefügt. Vgl. Hellgardt (Anm. 10), S. 357f.

5 lieferung auch nur oberflächlich vertraut ist. An oberster Stelle steht unter dem verschriebenen und zudem falschen Titel Gratiam Theotistae das Evangelienbuch, genannt in Verbindung mit der Zuschrift an Liutbert von Mainz und dazugehörigem Incipit (Nr. 1).12 Die weiteren von Trithemius hier als einzelne Werke verbuchten Texte Otfrids sind zum einen identisch mit den althochdeutschen Widmungsgedichten an Ludwig den Deutschen, Salomo von Konstanz und seine St. Galler Studienfreunde, Hartmut und Werinbert (Nr. 2–4). Zum anderen sind zwei Incipits in enger Anlehnung an die lateinischen Überschriften von Einzelkapiteln aus dem fünften Buch des Evangelienbuchs (Nr. 6: V, 18; Nr. 7: V, 23) formuliert. Die detaillierten Angaben des Trithemius sind zuverlässiger Beleg dafür, daß sich sein Wissen auf eine Handschrift des Evangelienbuchs stützt. Auch der unter Nr. 5 geführte Psalmenkommentar könnte sich auf eine Handschrift beziehen, die Trithemius aus der Bibliothek des Klosters Weißenburg kannte und die er möglicherweise für ein Werk Otfrids hielt.13 Aus der Reihe fallen lediglich die für Otfrid nicht nachweisbaren Angaben zu Briefen und vermischten Gedichten (Nr. 8, Nr. 9), die konstitutiv für die Typik der Artikel sind und ein opulentes Werkverzeichnis suggerieren wollen.14 Die im Anschluß an die Titelliste erwähnten unwissenden Mönche trügen die Schuld an der als nicht unbedeutend veranschlagten Überlieferungslücke im Œuvre Otfrids. Sie entstammen einer nicht näher gekennzeichneten früheren Zeit (»priorum neglegentia«).15 Den Artikel beschließt eine knappe Verortung von Otfrids Wirken in seinem historischen Kontext: Claruit sub Ludovico, Lothario et Carolo imperatoribus sibi invicem succedentibus, anno domini D CCC LXX.

Entscheidend ist die zentrale Würdigung von Otfrid und seinem Werk, die das Besondere vor Augen führt. Sie fügt sich nicht so glatt wie der Rest in den von Topik und Schematik geprägten Artikel:

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Vgl. Hellgardt (Anm. 10), S. 367f. Zu diesen beiden Fragen s. S. 23 und S. 28 mit Anm. 33. Vgl. zur Analyse der Incipits im einzelnen Hellgardt (Anm. 10), S. 368–371. Zum schematischen Aufbau der Artikel vgl. Arnold (Anm. 9), S. 125. Vgl. auch Christel Steffen: Untersuchungen zum »Liber de scriptoribus ecclesiasticis« des Johannes Trithemius. Ein Beitrag zu den Anfängen der theologischen Bibliographie. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 10 (1970), Sp. 1274–1354. Klaus Arnold: De viris illustribus. Aus den Anfängen der humanistischen Literaturgeschichtsschreibung: Johannes Trithemius und andere Schriftstellerkataloge des 15. Jahrhunderts. In: Humanistica Lovaniensia. Journal of Neo-latin Studies XLII (1993), S. 52–70. Zum Motiv des sorgfältigen bzw. sorglosen Umgangs mönchischer Schreiber mit Büchern bei Trithemius vgl. auch Johannes Trithemius: De laude scriptorum. Zum Lobe der Schreiber. Eingeleitet, hg. und übersetzt von Klaus Arnold. Würzburg 1973, insbes. Kap. III, Kap. IV und Kap. VIII.

6 Scripsit tam metro quam prosa multa praeclara opuscula, quibus nomen suum ad posteros transmisit. Exemplo etiam Caroli imperatoris Magni conatus est barbariem linguae teutonicae ad regulas grammaticales reducere, quod et ex parte perfecit. Unde ea, quae patrio sermone conscripsit, non facile nostra aetate legi et intelligi possunt etiam ab homine quantumcumque teutonicae linguae perito.

Die zweifache Erwähnung der Volkssprache sticht heraus, zuerst in der Verbindung Otfrids mit dem Projekt Karls des Großen zu ihrer grammatischen Regulierung.16 Zum anderen spielt Volkssprachigkeit eine Rolle in der sprachlichen Herausforderung, welche die Lektüre und Aussprechbarkeit (»legi«), nicht die Leserlichkeit der karolingischen Minuskel, und das Verstehen (»intelligi«) Otfrids in den Augen von Trithemius darstellen, selbst für einen »homo peritus« in der deutschen Sprache »nostra aetate«.17 Otfrid gehört im Bewußtsein des Trithemius einer anderen, als distant vorgestellten Zeit an, die von der Gegenwart klar abgehoben wird, ohne daß es freilich bei ihm und in seinem Umfeld einen klar konturierten Begriff von dem gäbe, was später »Mittelalter« heißen wird.18 In der prägnanten, betont positiven Bewertung der literarischen Leistung Otfrids in der Volkssprache besteht demnach das Spezifische des Artikels im Vergleich zu allen anderen im Verzeichnis aufgezählten »scriptores«. Trithemius führt als einzigen weiteren volkssprachigen Autor noch Williram von Ebersberg auf, wobei der Gebrauch der Volkssprache bei ihm allerdings keine Erwähnung

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Die Aussage von Trithemius geht zurück auf die Bemerkung Einharts in der Vita Caroli Magni, Cap. 29: »Inchoavit [sc. Carolus] et grammaticam patrii sermonis.« Im Cathalogus (1495) wird aus den bloßen Plänen eine in Handschrift vorliegende Grammatik, die Trithemius selbst gesehen haben will. Vgl. Hellgardt (Anm. 10), S. 359f. Eine ähnliche Formulierung findet sich in Notkers Brief an Hugo von Sitten: »ad legendum et ad dinoscendum.« Lesen ist an dieser Stelle wie wohl auch bei Trithemius im Sinn von pronunciatio aufzufassen. Vgl. Ernst Hellgardt: Notkers des Deutschen Brief an Bischof Hugo von Sitten. In: Befund und Deutung. Zum Verhältnis von Empirie und Interpretation in Sprach- und Literaturwissenschaft. Hg. von Klaus Grubmüller, Ernst Hellgardt, Heinrich Jellisen und Marga Reis. Tübingen 1979, S. 169–192, hier S. 173, Z. 34–39. Vgl. zu dieser Frage auch Ernst Hellgardt / Harald Saller: Notker digitalis. Kommentierung eines Kommentars im Medium Hypertext. In: Schrift – Text – Edition. Hans Walter Gabler zum 65. Geburtstag. Hg. von Christiane Henkes, Walter Hettche, Gabriele Radecke und Elke Senne. Tübingen 2003 (Beihefte zu editio 19), S. 313–329, hier S. 313f. Grundlegend zum Thema Paul Henry Saenger: Space between words. The origins of silent reading. Stanford Calif. 1997 (Figurae). Vgl. dazu Uwe Neddermeyer: Das Mittelalter in der deutschen Historiographie vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Geschichtsgliederung und Epochenverständnis in der frühen Neuzeit, Köln u.a. 1988 (Kölner historische Abhandlungen 34). Dieter Mertens: Mittelalterbilder in der Frühen Neuzeit. In: Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter. Hg. von Gerd Althoff. Darmstadt 1992 (Ausblicke. Essays und Analysen zu Geschichte und Politik), S. 29–54, S. 177–186. Jürgen Voss: Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs. Untersuchungen zur Geschichte des Mittelalterbegriffes und der Mittelalterbewegung von der zweiten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. München 1972 (Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim 3).

7 findet.19 In beiden Verzeichnissen werden mehrere Vertreter der Karolingerzeit erstmals wieder in die Literaturgeschichte eingeführt und durch die trithemischen Würdigungen konsequent aufgewertet, darunter Einhard (Liber de scriptoribus ecclesiasticis, Bl. 42v), Hrabanus Maurus (Bl. 42v–43r), Walahfrid Strabo (Bl. 40v) und Notker I. (Bl. 45r).20 Otfrid ist in diesem Zusammenhang für Trithemius der herausragende Repräsentant benediktinischer Gelehrsamkeit einer besseren, für die eigene Gegenwart vorbildhaften Vergangenheit. Er ist das Paradebeispiel für die wissenschaftlichen Ziele der Hirsauer Reform und die Restitution und Aktualisierung benediktinischer Kontinuität am Ende des 15. Jahrhunderts.21 Aspekte der Verständniserschließung des althochdeutschen Textes mit den Mitteln der Philologie und der Hermeneutik spielen bei Trithemius keine Rolle. Er gibt auch keine Textprobe aus dem Evangelienbuch. Dennoch wird die besondere Schwierigkeit des Textverständnisses als Problem thematisiert und mit den Stichworten »legere« und »intelligere« benannt. Mit dieser formelhaften Wendung steht Trithemius noch ganz in den Bahnen mittelalterlicher Textbeschreibung und -deutung.22 Bereits im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts gibt es im Unterschied dazu Auffassungen, die das Evangelienbuch als durchaus leicht verständlichen Text charakterisieren oder zeigen, daß er mit den Hilfsmitteln der Philologie sprachlich erschlossen werden kann. Man kann in Anlehnung an Hans Ulrich Gumbrecht davon sprechen, daß sich auf der Grundlage der Wiederentdeckungen der Handschriften des Evangelienbuchs im 16. Jahrhundert ein »hermeneutische[s] Feld und ein Habitus der Interpretation«23 eröffnen, die sich kategorial von mittelalterlichen Konventionen der Textinterpretation abheben.

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Vgl. Hellgardt (Anm. 10), S. 358f. Vgl. Arnold (2004, Anm. 9), Sp. 1561. Ein Artikel zu Karl dem Großen (Bl. Vr) ist erst in den Cathalogus (1495) aufgenommen. Vgl. zum Thema: Brigitta Schreyer-Mühlpfordt: Die Karolingerzeit im Blickfeld deutscher Humanisten. Unter Berücksichtigung der Chronica Carionis des Philipp Melanchthon. In: Philipp Melanchthon. 1497–1560. Bd. I: Philipp Melanchthon. Humanist, Reformator, Praeceptor Germaniae. Hg. vom MelanchthonKomitee der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1963, S. 73–82. Rosamond McKitterick: The study of frankish history in France and Germany in the sixteenth and seventeenth Centuries. In: Francia 8 (1980), S. 556–572. Klaus Schreiner: Geschichtsschreibung im Interesse der Reform. Die Hirsauer Jahrbücher des Johannes Trithemius (1462–1516). In: Hirsau, St. Peter und Paul 1091 – 1991. Teil II: Geschichte, Lebens- und Verfassungsformen eines Reformklosters. Bearbeitet von Klaus Schreiner. Stuttgart 1991 (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10/2), S. 297–324, bes. S. 309 und S. 315. Die Formel stammt wohl aus schulischem Kontext und kommt so und ähnlich häufig vor. Vgl. die Belege zu den Stichworten »leg*« und »intell*« in: Patrologia Latina Database, die z. B. zur Verfügung steht in den elektronischen Datenbanken der Bayerischen Staatsbibliothek München: URL: http://emedia1.bsb-muenchen.de/ ... (10. März 2008). Eine Auswertung der einzelnen Belege kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Hans Ulrich Gumbrecht: Das Nicht-Hermeneutische. Skizze einer Genealogie. In: Die Wiederkehr des Anderen. Hg. von Jörg Huber und Alois Martin Müller. Basel – Frankfurt a. M. 1996 (Interventionen 5), S. 17–35, hier S. 21. Vgl. in anderem Zusammenhang: Ders.: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Frankfurt a. M. 2004.

8 Der Otfridartikel des Johannes Trithemius wurde in seinen beiden Fassungen intensiv rezipiert. Abgesehen von den Wiederauflagen der Schriftstellerverzeichnisse wurde er in anderen, biobibliographischen, editorischen und kommentatorischen Zusammenhängen vielfach ab- und ausgeschrieben. Sie markieren für die weitere Auseinandersetzung mit dem Evangelienbuch auf textueller Ebene im 16. Jahrhundert und darüber hinaus einen wichtigen Ausgangspunkt.24 Ich kehre noch einmal an den Anfang zurück und stelle die Frage, wie Lachmann in seinem Otfridartikel argumentativ mit den Aussagen des Trithemius umgeht. Er übernimmt das von Trithemius Dargestellte nicht immer fraglos, aber zumindest ist er mit Zweifeln an dessen Äußerungen auffällig zurückhaltend. Die erste Bezugnahme fällt im Rahmen seiner Kurzbiographie Otfrids: Von hier [Fulda] ging Otfried vermuthlich mit zweien seiner Mitschüler, Hartmuat und Werinbraht, nach St. Gallen; wenigstens nennt Tritheim beide Schüler des Hrabanus. (Lachmann [Anm. 1], S. 18.)

Der logische und argumentative Konnex zwischen dem eigenständigen Artikel zu Hartmut und Werinbert, die nicht namentlich im Otfridartikel geführt sind und dem als Hypothese geäußerten biographischen Fakt, Otfrid sei mit ihnen nach St. Gallen gegangen, bleibt völlig offen und letztlich unklar.25 Die zweite Bezugnahme betrifft die Entstehungsfolge der einzelnen Bücher des Evangelienbuchs: Darauf schrieb er [Otfrid] das fünfte Buch, ich glaube Cap. 16-25, welche Joh. Tritheim, wie es scheint, unter den Titeln »de iudicio extremo, lib. I.« und »de gaudiis regni caelestis, lib. I,« abgesondert vorfand, […]. (Lachmann [Anm. 1], S. 19.)

Lachmann nimmt die zitierte Titelliste des Trithemius ernst und geht unter nur leiser Skepsis von der (durchaus bezweifelbaren) Möglichkeit aus, daß die genannten Einzelkapitel aus dem fünften Buch bei Otfrid einmal kodikale Realität als Einzelstücke besessen haben könnten. Die dritte und letzte Berufung auf Trithemius fällt im Zusammenhang möglicher weiterer Werke Otfrids: Woher und mit welchem Rechte Tritheim dem Dichter noch ein »psalterium volumina tria lib. III, carmina diversi generis lib. I« und »epistolarum ad diversos lib. I« zuschreibt, ist bis jetzt nicht ermittelt worden. Graffs Vermuthung (S. vi), das Lied auf Petrus in Docens Miscellaneen (I, 4) sei von Otfried, ist sicher unrichtig. (Lachmann [Anm. 1], S. 19.)

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Zu den Auflagen der Verzeichnisse vgl. Arnold (Anm. 9), S. 244 und 250. Vgl. zur späteren Verarbeitung der Artikel das Quellenverzeichnis meiner Arbeit (Kap. 9.2) zu den Jahren 1545, 1555, 1565 (beide Titel), 1571, 1583, 1604 (Serarius), 1606, 1613, 1666, 1696 (Du Pin), 1713, 1726, 1729 (beide Titel), 1740 (beide Titel), 1747 (beide Titel), 1748, 1753 (Chauffepié), 1754 (Ceillier, Fabricius). Die Artikel zu Werinbert und Hartmut (Bl. 8rv) nahm Trithemius erst in den Cathalogus (1495) auf. Aus heutiger Sicht dazu Wolfgang Haubrichs: Otfrids St. Galler ›Studienfreunde‹. In: ABäG 4 (1973), S. 49–112.

9 Die unterschiedliche Art des kritischen Umgangs mit Eberhard Gottlieb Graff, dem rezenten Otfridherausgeber zu Lachmanns Zeit, unmittelbar neben Trithemius, ist an dieser Stelle besonders augenfällig. »Graffs Vermuthung« bezüglich einer vergleichsweise schwerer nachweisbaren These der Verfasserschaft des Petrusliedes durch Otfrid wird von Lachmann ohne nähere Begründung und weiteren Kommentar strikt abgelehnt. Daneben stehen die von Trithemius aufgelisteten »Opera« Otfrids, Psalter, Gedichte und Briefe, als diskutable und offene Fragen der Forschung. Die aus heutiger Sicht relativ unkritische Haltung Lachmanns gegenüber den Aussagen des Trithemius insgesamt ist evident. Dies hängt mithin damit zusammen, daß die scharfe Kritik an Trithemius, im Zusammenhang seiner historiographischen Fiktionen, erst einige Jahrzehnte später einsetzen wird.26 Man könnte die Bezugnahmen Lachmanns auf Trithemius verstehen im Sinne einer Berufung auf den allerersten (neuzeitlichen) Gewährsmann, der je über Otfrid berichtete und ihm zeitlich um so viel näher stand als Lachmann, daß seine gut 350 Jahre zurückliegenden Aussagen eine Überprüfung verdienen. Dennoch erscheint es mir problematisch, auf Grundlage der publikatorischen und diskursiv-argumentativen Bezüge Lachmanns zu Trithemius die in der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung vertretene These einer »kontinuierlichen Entwicklung in der wissenschaftlichen Kommunikation über altdeutsche Texte«27 uneingeschränkt zu stützen und einen ungebrochen fortlaufenden, vom Ende des 15. Jahrhunderts bis heute andauernden Diskussionszusammenhang über jene Gegenstände anzunehmen. Dafür sind der Einschnitt und der qualitative Sprung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, den der Lachmannsche Artikel für die Otfridforschung markiert, zu deutlich.28 Die Kontinuität, in der Lachmann hier steht bzw. auf die er sich mehrfach beruft, betrifft ganz bestimmte, eingeschränkte Bereiche der Beschäftigung mit Otfrid und seinem Werk, nämlich zwangsweise unbeantwortet gebliebene, hier autorbiographische, werkgenetische oder auf die Textüberlieferung bezogene Fragen. Von ihnen dachte Lachmann möglicherweise, Trithemius könnte noch ein historisches Wissen besessen haben, das in den dazwischenliegenden Jahrhunderten verloren gegangen war. Wissenschaftliche Fakten und die Bildung objektivierbaren Wissens in den

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Vgl. Arnold (Anm. 9), S. 2f. Ulrich Hunger: Altdeutsche Studien als Sammeltätigkeit. In: Wissenschaft und Nation. Studien zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. Hg. von Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp, München 1991, S. 89–98, hier S. 98. Vgl. auch Ulrich Hunger: Die altdeutsche Literatur und das Verlangen nach Wissenschaft. Schöpfungsakt und Fortschrittsglaube in der Frühgermanistik. In: Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert. Hg. von Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp. Stuttgart – Weimar 1994, S. 236–263. Daß die Deutsche Philologie in dieser Zeit einen Professionalisierungsschub erfährt, ist bekannt. Ob man für die hier dargestellten Zusammenhänge den inflationär gewordenen Begriff des »Paradigmenwechsels« (Thomas S. Kuhn) verwenden sollte, sei dahingestellt. Vgl. dazu die Einleitung in: Eine Wissenschaft etabliert sich 1810–1870, Mit einer Einführung hg. von Johannes Janota. Tübingen 1980 (Texte zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik III), S. 1–60.

10 genannten Bereichen hängen nicht in erster Linie von einer raffiniert kombinierenden Hermeneutik oder Interpretationsmethodik ab, sondern von einer mehr oder weniger breiten Basis an sekundären Materialien und Zeugnissen, über die wir bei Otfrid durch die Selbstaussagen der Widmungsgedichte und Kapitel I, 1 (Cur scriptor hunc librum theotisce dictaverit) vergleichsweise gut informiert sind.29 Daß Lachmann im übrigen auch als Editor ein genuines Interesse an Otfrid, vor allem in Gestalt der (vom Autor selbst korrigierten) Wiener Überlieferung des Evangelienbuchs haben mußte, bestätigt die wenig bekannte Tatsache, daß er zusammen mit Moriz Haupt eine Neuedition plante, die allerdings in den Vorarbeiten stecken blieb.30 Nur am Rande sei hier vermerkt, daß auch Lachmanns Arbeiten auf dem Gebiet der Metrik bahnbrechende Wirkung für die Otfridforschung zeitigten, obgleich dies in dem Artikel für Erschs und Grubers Encyclopädie nicht voll zum Tragen kommt.31 Die Faszination, die ein wissenschaftlicher Gegenstandsbereich ausübt, schließt im übrigen eine deutlich negativ akzentuierte literarästhetische Wertung der poetischen Leistung Otfrids und seiner »bei aller Beschränktheit gewiss achtenswerthe[n] Absicht«32 nicht aus. Sie steht in deutlichem Gegensatz nicht nur zum überschwenglichen Lob Otfrids durch Johannes Trithemius, sondern ist

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Vgl. aus heutiger Sicht dazu Wolfgang Haubrichs: Otfrid von Weißenburg. Umrisse eines Lebens, in: Kleiber/Heuser I, 2 (2004), S. 3–11. Vgl. Jacob Grimm: Rede auf Lachmann. Gehalten in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 3. Juli 1851. In: Jacob Grimm, Selbstbiographie. Ausgewählte Schriften, Reden und Abhandlungen. Hg. und eingeleitet von Ulrich Wyss. München 1984, S. 78–92, hier S. 92. Vgl. dazu Heinz Rölleke: Jacob Grimm’s handschriftliche Nachträge zu seiner Gedenkrede auf Karl Lachmann. In: Brüder-Grimm-Gedenken 5 (1985), S. 1–20. Zu Lachmann als Editor vgl. Peter F. Ganz: Lachmann as an Editor of Middle High German Texts. In: Probleme mittelalterlicher Überlieferung und Textkritik. Oxforder Colloquium 1966. Hg. von P. F. Ganz und Werner Schröder. Berlin 1968 (Publications of the Institute of Germanic Studies, University of London 11), S. 12–30. Magdalene LutzHensel: Lachmanns textkritische Wahrscheinlichkeitsregeln. In: ZfdPh 90 (1971), S. 394– 408. Dies.: Prinzipien der ersten textkritischen Editionen mittelhochdeutscher Dichtung. Brüder Grimm – Benecke – Lachmann. Eine methodenkritische Analyse. Berlin 1975 (Philologische Studien und Quellen 77). Sebastiano Timpanaro: La genesi del metodo Lachmann. Firenze 1963 (Padova 31985). Harald Weigel: »Nur was du nie gesehn wird ewig dauern«. Carl Lachmann und die Entstehung der wissenschaftlichen Edition. Freiburg i. Br. 1989. Hans-Gert Roloff: Karl Lachmann, seine Methode und die Folgen. In: Geschichte der Editionsverfahren vom Altertum bis zur Gegenwart im Überblick. Hg. von Hans-Gert Roloff. Berlin 2003 (Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft 5), S. 63–81. Vgl. Karl Lachmann: Über althochdeutsche Prosodie und Verskunst (1823/24). Mit Beiträgen von Jacob Grimm und einer Einleitung hg. von Ursula Hennig. Tübingen 1990 (Hermaea N.F. 59). Vgl. auch die Akademieabhandlungen Lachmanns Über althochdeutsche Betonung und Verskunst (1834), Über Singen und Sagen (1835), Über das Hildebrandslied (1835). Die drei Abhandlungen sind wiederabgedruckt in: Lachmann: Kleinere Schriften (Anm. 1), S. 358–406, S. 461–479, S. 407–448. Lachmann (Anm. 1), S. 25.

11 auch gegenläufig zur heutigen literarhistorischen Einschätzung Otfrids.33 Noch einmal Lachmann: So, glaube ich, müssen wir Otfrieds Werk in seiner Redseligkeit und dürren Kälte, als einen schwachen Versuch, als eine Nachahmung der fränkischen Erzählungsweise und wir dürfen nur, was ihm gelungen ist, als Beispiel, nach dem wir sie beurtheilen können, ansehen. (Lachmann [Anm. 1], S. 25.)

Ich resümiere: Es ist – wie gezeigt – ein weiter Weg von Trithemius zu Lachmann, und es erscheint eindeutig, daß in der Zeit vor bzw. nach 1833/1836 signifikante Differenzen in der Art und Weise bestehen, sich mit Otfrids Liber Evangeliorum zu beschäftigen und über ihn zu sprechen. Lachmann steht einerseits in der Kontinuität der Geschichte der Erforschung von Otfrids Evangelienbuch, die allererst mit den Erwähnungen in den Schriftstellerverzeichnissen des Trithemius beginnt. Auf der anderen Seite bricht Lachmann aber mehrfach mit diesen Forschungstraditionen. Er schafft durch seine thesenhaften Äußerungen eine ganze Reihe von Problemen, die sich in dieser Form oder auch grundsätzlich bis dato nicht gestellt hatten. Der Anspruch wissenschaftlichen Arbeitens ist bei ihm mithin so hoch, daß die Otfridforschung die Fragen im einzelnen bis heute nicht vollständig abgearbeitet oder hinter sich gelassen hat. Insofern markiert der Artikel von 1833/1836 einen maßgeblichen Einschnitt und einen Neuanfang der Beschäftigung mit dem Evangelienbuch. Die Verlaufslinien seiner Arbeiten führen bis in die Gegenwart. Die Jahre 1494/95 und 1833/36 bilden den zeitlichen Rahmen der folgenden Untersuchung. Sie unternimmt den Versuch, die Geschichte der Erforschung von Otfrids Evangelienbuch in dieser Zeit, zwischen Trithemius und Lachmann, als ein eigenständiges Segment der Geschichte der deutschen Philologie darzustellen, das traditionell nicht im Blickpunkt des Interesses der germanistischen Fachgeschichtsschreibung steht. Die Begründung für die zeitlichen Grenzmarken ist, wie deutlich werden sollte, keine, die sich ausschließlich auf das Faktum der Institutionalisierung der Germanistik als universitäre Disziplin beruft oder die rein äußerlich arbeitspragmatisch motiviert ist, sondern für die sich triftige, auf die Modi des Umgangs mit dem Gegenstand selbst bezogene Gründe anführen lassen.

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Vgl. etwa Wolfgang Haubrichs: Die Anfänge: Versuche volkssprachlicher Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ca. 700–1050/60) (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Bd. I / Teil 1. Hg. von Joachim Heinzle). Tübingen 2 1995, S. 308: Das Evangelienbuch wird dort eingeschätzt als »ein Spitzenerzeugnis karolingischer Theologie, das über die Kommentare der Hrabanschule und über den größten Teil der karolingischen geistlichen Dichtung in lateinischer Sprache hinausreicht.«

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1.2 Ansatz und Konzeption Mit den Erwähnungen Otfrids von Weißenburg und seines althochdeutschen Evangelienbuchs in den Schriftstellerverzeichnissen des Sponheimer Benediktinerabtes Johannes Trithemius (1462–1516) setzt in der frühen Neuzeit die gelehrte Beschäftigung mit mittelalterlich-volkssprachigen Texten überhaupt ein.34 Charakteristisch für diese Beschäftigung ist, daß sie keinen Rezeptionsvorgang darstellt, der sich in mehr oder minder origineller Weise auf die mittelalterliche Textüberlieferung bezieht und sie – direkt text- bzw. handschriftennah oder indirekt stofflich/motivisch – wiederverwendet, poetisch umbildet oder in veränderter Gestalt wiederhervorbringt. Der Umgang mit alten Texten, wie er bei Trithemius grundgelegt ist, ist vielmehr anzusehen als ein nicht traditionsgebundener Vorgang, der Sprache und Literatur in völlig innovativer Form reflektiert.35 In Abgrenzung dazu gibt es bekanntlich frühneuzeitliche Rezeptionsformen, die ganz in der Kontinuität schriftlicher und mündlicher Überlieferung stehen, insbesondere in den Bereichen der Heldenepik oder Ritterepik des Hochmittelalters. Dort werden bekannte und weitverbreitete Erzählstoffe in anderen funktionalen und/oder medialen Kontexten weiterverwendet, die sich unter dem Stichwort »Fortleben« subsumieren lassen.36 Besonders instruktive Beispiele hierfür sind das Heldenbuch im Druck, das Ambraser Heldenbuch, oder als Extremfall der ausschließlich im Druck überlieferte Engelhard Konrads von Würzburg (1573).37

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Vgl. so bereits Gustav Ehrismann: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. Erster Teil: Die althochdeutsche Literatur. München 21932 (Handbuch des deutschen Unterrichts an höheren Schulen 6,1), S. 181f. Eine Übersicht im 16. Jahrhundert zum Druck gebrachter deutschsprachiger Texte des Mittelalters in: Ernst Hellgardt: Originalität und Innovation. Konzepte der Reflexion auf Sprache und Literatur der deutschen Vorzeit im 16. Jahrhundert. In: Innovation und Originalität. Hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger. Tübingen 1993 (Fortuna vitrea 9), S. 162–174, hier S. 163–167. Die Terminologie der Begriffe »Originalität« und »Innovation« hier im Sinne von Hellgardt (Anm. 34). Vgl. auch Walter Haug: Innovation und Originalität. Kategoriale und literarhistorische Vorüberlegungen. In: Haug/Wachinger (Anm. 34), S. 1–13. Der Begriff »Nachleben« ist demgegenüber terminologisch unglücklich. Vgl. etwa Ulrich Müller: Das Nachleben der mittelalterlichen Stoffe. In: Epische Stoffe des Mittelalters. Hg. von Volker Mertens. Stuttgart 1984, S. 424–448. Vgl. auch Alois Brandstetter: Prosaauflösung. Studien zur Rezeption der höfischen Epik im frühneuhochdeutschen Prosaroman. Frankfurt a. M. 1971. Peter Jörg Becker: Handschriften und Frühdrucke mittelhochdeutscher Epen. Eneide, Tristrant, Tristan, Erec, Iwein, Parzival, Willehalm, Jüngerer Titurel, Nibelungenlied und ihre Reproduktion und Rezeption im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Wiesbaden 1977. Hans-Joachim Koppitz: Studien zur Tradierung der weltlichen mittelhochdeutschen Epik im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert. München 1980. Vgl. Jens Haustein: Der Helden Buch. Zur Erforschung deutscher Dietrichepik im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Tübingen 1989 (Hermaea N.F. 58). Johannes Janota: Ambraser Heldenbuch. In: 2VL 1 (1978), Sp. 323–327. Eine schöne Historia von Engelhart auß Burgunt. Der »Engelhard« Konrads von Würzburg in Abbildungen des Frankfurter Drucks von

13 Das signifikant Neue an der frühneuzeitlichen Rezeption von Otfrids Evangelienbuch und anderen Texten, die im 16. Jahrhundert zunächst vor allem, aber nicht ausschließlich dem Faszinationsbereich »geistliche Literatur« angehören, besteht darin, daß es sich um »gelehrte, aus bewußter historischer Distanz erkennende, rekonstruierende, ästhetisch urteilende und zugleich mit alledem in die zeitgenössische Situation hinein argumentierende Rezeption«38 handelt. Die Voraussetzung dafür ist die Wahrnehmung von Distanz und Diskontinuität. Erst sie macht die Gegenstände beobachtbar. Das Einsetzen dieser Reflexionsformen am Ende des 15. Jahrhunderts markiert den Beginn der Geschichte der Deutschen Philologie und den »Anfang deutscher Mittelalter-Wissenschaft«39, auch für Texte in der ›lingua vernacula‹. Die Auseinandersetzung mit Otfrids Evangelienbuch ist – in diese Zusammenhänge eingeordnet – einerseits Teil einer spezifischen Form von Mittelalterrezeption, die mit dem Fragen deutscher Humanisten nach der eigenen Vergangenheit und ihrem geschichtlichen Selbstverständnis virulent wird.40 Zum anderen ist sie Konstituens einer Geschichte der Philologie(n), die sich erstmals nicht auf Texte der klassischen Antike, sondern auf Texte des volkssprachigen Mittelalters bezieht. Insofern ist sie konstitutiver Bestandteil einer Geschichte der Deutschen Philologie. Philologie verstehe ich dabei mit Karl Stackmann in einem weit gefaßten Sinn als »Wissenschaft, die Texte der Vergangenheit verfügbar macht und ihr Verständnis erschließt«41. Die ältere Wissenschaftsgeschichtsschreibung der Germanistik nahm die Erforschung mittelalterlich-volkssprachiger Literatur in der Zeit vor der universitären Begründung des Faches ausschließlich wahr als marginale Zeugnisse einer »vorwissenschaftlichen Phase« und verurteilte sie als »Ahnungen« ohne die Basis einer »sicheren Grundlage« oder ordnete sie bestenfalls ein als »Vorberei-

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1573. Mit einer bibliographischen Notiz zu Kilian Han. Hg. von Hans-Hugo Steinhoff. Göppingen 1987 (Litterae 107). Hellgardt (Anm. 10), S. 355. Franz Joseph Worstbrock: Humanismus. B. Deutsches Reich. In: Lexikon des Mittelalters Bd. V (1991), Sp. 193–197, hier Sp. 195. Vgl. Franz Josef Worstbrock: Über das geschichtliche Selbstverständnis des deutschen Humanismus. In: Historizität in Sprach- und Literaturwissenschaft. Vorträge und Berichte der Stuttgarter Germanistentagung 1972. Hg. von Walter Müller-Seidel in Verbindung mit Hans Fromm und Karl Richter. München 1974, S. 499–519, hier S. 518. Zur wichtigen Rolle der Wiederentdeckung der taciteischen Germania in diesem Kontext Paul Joachimsen: Tacitus im deutschen Humanismus. In: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum 14 (1911), S. 695–717. Ludwig Krapf: Germanenmythus und Reichsideologie. Frühhumanistische Rezeptionsweisen der taciteischen ›Germania‹. Tübingen 1979 (Studien zur deutschen Literatur 59). Karl Stackmann: Philologie: In: 3RL III (2003), S. 74–79, hier S. 74. Zum Wissenschaftsbegriff vgl. Klaus Weimar: Literaturwissenschaft. In: 3RL II (2000), S. 485–489. Zur Geschichte der Philologie seit der Antike vgl. Axel Horstmann: Philologie. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie 7 (1989), Sp. 552–572. Raphael Sobotta / Nigel Wilson / Andrew Dyck: Philologie. In: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike 9 (2000), Sp. 836–844.

14 tungen für die künftige Wissenschaft«.42 Diese Zitate aus Rudolf von Raumers Geschichte der Germanischen Philologie machen das ihr zugrundeliegende teleologische Konzept deutlich. Es besteht maßgeblich darin, die eigene Gegenwart zum herausragenden Referenzpunkt der Wissenschaft und zum Geburtsort disziplinärer Wissenschaftlichkeit zu erklären sowie ihre Gründungsväter, zu deren Schülergeneration von Raumer zählte, zu verklären.43 Einen autonomen Wert gestanden die ersten »Germanisten« den Arbeiten ihrer Vorgänger nicht zu. Bernd Neumann vertritt zu Recht die Auffassung, daß diese durchweg negative Einschätzung beim heutigen Leser den Eindruck hervorruft, daß vor dem Ausgang des 18. Jahrhunderts weder brauchbare Editionen noch überhaupt irgendwelche Leistungen auf dem Gebiete der Alten Germanistik zu verzeichnen sind, diese Zeit mithin ohne Interesse für die Wissen44 schaftsgeschichte sei.

Zu der Frage nach den Rezeptionsformen kommt als besonderes Problemfeld, daß die frühneuzeitlichen Gelehrten die mittelalterlichen Texte argumentativ in ihre jeweiligen zeitlichen und diskursiven Kontexte stellen. Diesen Aspekt griff vor allem die Mittelalterrezeptionsforschung der 1970er und 1980er Jahre auf und führte eine ausführliche Diskussion darüber, aus welchen Gründen heraus man in der frühen Neuzeit anfing, sich für volkssprachige Texte des Mittelalters zu interessieren.45 Ulrich Seelbach hat zu Recht darauf hingewiesen, daß man

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Alle Zitate nach Rudolf von Raumer: Geschichte der Germanischen Philologie vorzugsweise in Deutschland. München 1870 (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 9), S. 8. Vgl. in diesem Sinne auch Hermann Paul: Geschichte der germanischen Philologie. In: Grundriß der germanischen Philologie. Bd. I. Straßburg 21901, S. 9– 158. Sigmund von Lempicki: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1920/21968. Josef Dünninger: Geschichte der deutschen Philologie. In: Deutsche Philologie im Aufriß. Bd. I. Hg. von Wolfgang Stammler, Berlin 2 1966, Sp. 83–222. Johannes Janota: Zur Rezeption mittelalterlicher Literatur zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. In: Das Weiterleben des Mittelalters in der deutschen Literatur. Hg. von James F. Poag und Gerhild Scholz-Williams. Königstein/Ts. 1983, S. 37–46. Diese Tendenz kommt etwa auch darin zum Ausdruck, daß Karl Lachmann seine eigenen Publikationen als Geburten feierte. Vgl. Ulrich Wyss: Der doppelte Ursprung der Literaturwissenschaft nach 1800. In: Wissenschaft und Nation. Studien zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. Hg. von Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp. München 1991, S. 73–88, hier S. 79f. Bernd Neumann: Die verhinderte Wissenschaft. Zur Erforschung altdeutscher Sprache und Literatur in der »vorwissenschaftlichen« Phase. In: Mittelalter-Rezeption. Ein Symposion. Hg. von Peter Wapnewski. Stuttgart 1986 (Germanistische Symposien. Berichtsbände VI), S. 105–118, hier S. 106. Vgl. dazu v. a. die Arbeiten von Wolfgang Harms: Rezeption des Mittelalters im Barock. In: Deutsche Barockliteratur und europäische Kultur. Zweites Jahrestreffen des Internationalen Arbeitskreises für deutsche Barockliteratur in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 28.–31. August 1976. Vorträge und Kurzreferate. Hg. von Martin Bircher und Eberhard Mannack. Hamburg 1977 (Dokumente des Internationalen Arbeitskreises für deutsche Barockliteratur 3), S. 23–52. Das Interesse an mittelalterlicher deutscher Literatur zwischen der Reformationszeit und der Frühromantik. In: Akten des VI. Internationalen Germanisten-Kongresses Basel 1980. Teil 1. Hg. von Heinz Rupp und Hans-Gert Roloff.

15 für eine möglichst präzise Antwort auf diese Frage vom jeweiligen Einzelfall ausgehen muß und mit einem Bündel disparat-partialisierter Interessenbereiche und oft schwer bestimmbarer Motivationen zu rechnen hat.46 Auch die neuere Fachgeschichtsschreibung tut sich schwer mit der Beschreibung und systematischen Einordnung frühneuzeitlicher Beschäftigung mit volkssprachiger Literatur des Mittelalters und klammert sie als in soziologischer Hinsicht nicht zur Geschichte des institutionalisierten Faches gehörig aus.47 Ich verweise als Beispiel hierfür lediglich auf die normative Begründung für den zeitlichen Rahmen – 1800 bis 1950 – des Internationalen Germanistenlexikons der Marbacher Arbeitsstelle zur Erforschung der Geschichte der Germanistik, die abhebt auf neue epistemologische, methodische und institutionelle Ordnungen im metaliterarischen Diskurs um 1800.48 Für das, was vor dieser Zeit liegt, scheint es kein adäquates Begriffs- und Beschreibungsinstrumentarium zu geben. Wie läßt sich die frühneuzeitliche Geschichte der Wiederentdeckung und Erforschung von Otfrids Evangelienbuch dennoch methodisch fundiert darstellen? Die vorliegende Arbeit versucht die Wiederentdeckung und Geschichte der Erforschung des Evangelienbuchs Otfrids von Weißenburg vom Ende des 15. bis zum ersten Drittel des 19. Jahrhunderts49 nicht nur generell als Teil des weiten Feldes der Mittelalterrezeption oder als Teil der vielfältigen medievalisms zu begreifen,50 sondern zielt vielmehr darauf ab, sie als eigenständigen und eigenwertigen Gegenstandsbereich einer Geschichte der deutschen Philologie auszuweisen. Zum ersten Mal werden im 16. Jahrhundert in bezug auf einen volkssprachigen Text des Mittelalters in aller Deutlichkeit diejenigen methodischen Verfahrensweisen sichtbar, die Hans Ulrich Gumbrecht theoretisch als

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Bern – Frankfurt a. M. – Las Vegas 1981 (Jahrbuch für Internationale Germanistik A 8), S. 60–84. Des Winsbeckes Genius. Zur Einschätzung didaktischer Poesie des deutschen Mittelalters im 17. und 18. Jahrhundert. In: Mittelalter-Rezeption. Ein Symposion. Hg. von Peter Wapnewski. Stuttgart 1986, S. 46–59. Vgl. auch Max Wehrli: Der Nationalgedanke im deutschen und schweizerischen Humanismus. In: Nationalismus in Germanistik und Dichtung. Dokumentation des Germanistentages in München vom 17.–22. Oktober 1966. Hg. von Benno von Wiese und Rudolf Henß. Berlin 1967, S. 126–144. Ulrich Seelbach: Mittelalterliche Literatur in der frühen Neuzeit. in: Das Berliner Modell der mittleren deutschen Literatur. Beiträge zur Tagung Kloster Zinna 29.09.–01.10.1997. Hg. von Christiane Caemmerer, Walter Delabar, Jörg Jungmayr, Knut Kiesant. Amsterdam / Atlanta, GA 2000 (Chloe – Beihefte zum Daphnis 33), S. 89–115, hier S. 90. Vgl. Bärbel Rompeltien: Germanistik als Wissenschaft. Zur Ausdifferenzierung und Integration einer Fachdisziplin. Opladen 1994. Jost Hermand: Geschichte der Germanistik. Reinbek b. Hbg. 1994, S. 17. Vgl. Internationales Germanistenlexikon 1800–1950. Hg. und eingeleitet von Christoph König. Bd. 1: A – G. Berlin – New York 2003, S. XIf. Mit diesem Endpunkt fasse ich die Epochenbezeichnung »frühe Neuzeit« im Titel meiner Arbeit etwas weiter als gemeinhin üblich. Vgl. beispielsweise Herbert Jaumann: Frühe Neuzeit. In: 3RL I (1997), S. 632–636. Vgl. dazu Valentin Groebner: Das Mittelalter hört nicht auf. Über historisches Erzählen. München 2008.

16 »philologische Kerntätigkeiten«51 oder philologische Grundkompetenzen beschrieben hat. Insbesondere die problemlos historisierbaren Kategorien philologischen Arbeitens, Sammeln, Edieren, Kommentieren und Historisieren sind für die (Be-)Schreibung ihrer Geschichte grundlegende Operationen, ohne die es keine Literaturwissenschaft geben kann. Zudem greife ich einen diskursgeschichtlichen Ansatz auf, den zuletzt die historische Frühneuzeitforschung thematisiert hat.52 Sie stellt nicht die Rekonstruktion »eine[r] Genealogie von Ideen und Einsichten«53 ins Zentrum der Erforschung frühneuzeitlicher Wissenskultur, sondern versucht eine neue Sicht der Dinge durch die Perspektivierung »auf Bedingungen, Regeln und Grenzen der Gelehrsamkeit als einer kulturellen Praxis«54 zu gewinnen. Die zentrale Fragestellung richtet sich somit also nicht auf die Motive, sondern auf die Modi philologischen Arbeitens. Das bedeutet aber nicht, daß neben dem hier angestrebten ›Blick durch die philologische Brille‹ andere Problembereiche, wie sie von der älteren Forschung thematisiert wurden, völlig ausgeblendet blieben. Sie treten gegenüber der erkenntnisleitenden Fragestellung zurück, werden aber – wenn auch sicher nicht erschöpfend – mitberücksichtigt. Ausgangspunkt und Grundlage für eine Darstellung der Geschichte von Otfrids Evangelienbuch sind vor diesem Horizont die Gegenstände seiner Erforschung selbst. Ihre Beschreibung ist nicht übergeordnet angelegt als Bibliotheksgeschichte oder als Sammlung von Forscherbiographien, obgleich natürlich Bibliotheken und prominente Otfridforscher eine entscheidende Rolle für den Verlauf der Forschung spielen.55 Für die frühneuzeitliche gelehrte Beschäftigung mit Otfrid und seinem Werk lassen sich grob drei Hauptphasen unterscheiden:

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Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Die Macht der Philologie. Über einen verborgenen Impuls im wissenschaftlichen Umgang mit Texten. Frankfurt a. M. 2003, hier S. 15. Vgl. Philologie und Erkenntnis. Beiträge zu Begriff und Problem frühneuzeitlicher ›Philologie‹. Hg. von Ralph Häfner. Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 61). Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. Hg. von Helmut Zedelmaier und Martin Mulsow. Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 64). Zu einem kulturwissenschaftlich orientierten Zugriff auf die Wissenschaftsgeschichte der Naturwissenschaften vgl. den Band Ansichten der Wissenschaftsgeschichte. Hg. von Michael Hagner. Frankfurt a. M. 2001 (insbesondere die Einleitung des Hg., S. 7–39). Helmut Zedelmaier / Martin Mulsow, Einführung. In: Dies. (Anm. 52), S. 1. Zedelmaier / Mulsow (Anm. 53), S. 2. Vgl. als gelungene Beispiele für eine so ausgerichtete Vorgehensweise Stefan Sonderegger: Schatzkammer deutscher Sprachdenkmäler. Die Stiftsbibliothek Sankt Gallen als Quelle germanistischer Handschriftenerschließung vom Humanismus bis zur Gegenwart. St. Gallen – Sigmaringen 1982 (Bibliotheca Sangallensis 7). Bernhard Hertenstein: Joachim von Watt (Vadianus), Bartholomäus Schobinger, Melchior Goldast. Die Beschäftigung mit dem Althochdeutschen von St. Gallen in Humanismus und Frühbarock. Berlin – New York 1975 (Das Althochdeutsche von St. Gallen 3). Michael Henri Kowalewicz: Lessing et la culture du Moyen Age. Hildesheim 2003 (Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit 23).

17 (1) Von der Wiedereinführung Otfrids in die Literaturgeschichte durch Johannes Trithemius (1494) bis zur ersten Edition durch Matthias Flacius Illyricus (1571) (2) Bis zur Neuedition in Johann Schilters Thesaurus antiquitatum teutonicarum (1726) (3) Bis zum ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Diese Phase endet in institutioneller Hinsicht mit der Etablierung der Germanistik als universitäre Disziplin, ihren Neueinsatz bildet auf das Evangelienbuch bezogen der bahnbrechende Otfridartikel (1833/36) von Karl Lachmann. Diesem chronologischen Aufriß folge ich in der übergeordneten Gliederung der Arbeit nicht. Die Voraussetzung für eine Rede über Otfrids Evangelienbuch ist zunächst die Wiederentdeckung seiner Überlieferungsträger.56 Die Suche, Wiederauffindung und Eingliederung der Handschriften in Bibliotheken, bis zu dem Zeitpunkt, an denen sie an ihre gegenwärtigen Aufbewahrungsorte gelangen, müssen folglich den Ausgangspunkt einer Geschichte der Erforschung des Evangelienbuchs in der frühen Neuzeit bilden.57 Dazu gehören auch Spuren heute verlorener Handschriften sowie Otfridhandschriften, die von Gelehrten für solche gehalten wurden, sich aber als Fehlzuschreibungen erweisen. Die Termini ›Spurensuche‹ und ›Spurensicherung‹ verstehe ich dabei in einem doppelten Sinne als Beschreibungsbegriffe, sowohl für die vier Wiederentdeckungen als

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Zur Überlieferung des Evangelienbuchs im Überblick vgl. Bernhard Bischoff: Paläographische Fragen deutscher Denkmäler der Karolingerzeit. In: Frühmittelalterliche Studien 5 (1971), S. 101–134, hier S. 104f. Rüdiger Krohn bezeichnet den Rückgriff auf die Überlieferung mißverständlich als »primäre Rezeption« (»unmittelbar auf die Quellen bezogene«) und unterscheidet davon eine »sekundäre« (»durch spätere Rezeptionszeugnisse vermittelte«). Vgl. Rüdiger Krohn: Mittelalterrezeption. In: Literatur Lexikon. Hg. von Walther Killy, Bd. 14: Begriffe, Realien, Methoden. Hg. von Volker Meid. München – Gütersloh 1993, S. 117–120, hier S. 117. Der Begriff ist nicht zuletzt durch die Arbeiten von D. H. Green terminologisch anders besetzt. Dennis Howard Green: Medieval Listening and Reading. The primary Reception of German Literature 800 – 1300. Cambridge 1994. Ders.: Zur primären Rezeption von Otfrids Evangelienbuch. In: Althochdeutsch. Bd. 1: Grammatik. Glossen und Texte. Hg. von Rolf Bergmann u.a. Heidelberg 1987 (Germanische Bibliothek, Reihe 3, Untersuchungen), S. 737–771. »Zahlen, Daten, Kurven, Bilder oder Objekte bilden eine Grundlage der Wissenschaft, und erst aufgrund solcher Ansammlungen lassen sich Regelmäßigkeiten erkennen und Schlußfolgerungen ziehen.« Die Ebene, auf der man je einzeln Spuren sichert, liegt noch unter der Ebene des Sammelns. Wann man beginnt, nach wie auch immer gearteten Regelmäßigkeiten in bezug auf Otfrids Evangelienbuch zu fragen, wird zu thematisieren sein. Das Zitat nach Anke te Heesen / Emma C. Spary: Sammeln als Wissen. In: Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung. Hg. von Anke te Heesen und Emma C. Spary. Göttingen 2001 (Wissenschaftsgeschichte), S. 7–21, hier S. 7. Vgl. auch Nicholas Jardine: Sammlung, Wissenschaft, Kulturgeschichte. In: Ebd., S. 199– 220.

18 auch für meine eigene Rekonstruktion dieser Sachverhalte.58 Die Reihenfolge der Darstellung hält sich dabei an die Chronologie der Wiederentdeckungen (Kapitel 2). Systematisch kann daran die Frage anschließen, in welcher Form die Kodices eine Rolle spielen für die Beschäftigung mit dem Evangelienbuch. Dies stelle ich im Blick auf drei Aspekte kodexgebundener Otfridrezeption dar: Abschriften, textkritische Arbeiten und Handschriftenbeschreibungen. Über die Funktionalität frühneuzeitlicher Abschriften aus mittelalterlichen Handschriften ist wenig bekannt. Es ist jedoch mit einem breiten Spektrum an Funktionszuschreibungen zu rechnen, das von der privaten Lektüre bis zur Edition auf Grundlage einer Abschrift reicht.59 Diese Frage wird für das Evangelienbuch zu prüfen sein. Den Terminus »Textkritik« verbindet die germanistische Forschung gewöhnlich mit dem Namen Karl Lachmann.60 An zwei Beispielen aus dem 16. und dem 18. Jahrhundert läßt sich zeigen, wie (weit vor Lachmann) in textkritischer Hinsicht mit dem Evangelienbuch verfahren wurde. Gedruckte Beschreibungen mittelalterlich-volkssprachiger Handschriften liegen bis zum 19. Jahrhundert nur in vereinzelten Ausnahmefällen vor. Petrus Lambecius (1628–1680) veröffentlichte 1669 einen Kommentarband zu den Handschriften der Wiener Hofbibliothek, in dem er das Evangelienbuch ausführlich beschreibt. Die konzeptionelle Anlage dieser deskriptiven Zugangsweise zu Otfrid ist Gegenstand eines Abschnittes (Kapitel 3). Innerhalb der einzelnen Teilkapitel folge ich auch hier der Chronologie. Kapitel 4 thematisiert die editorischen und interpretatorischen Bemühungen um das Evangelienbuch von Matthias Flacius Illyricus (1520–1575). In seinem Catalogus testium veritatis (Straßburg 21562) druckt er erstmals das lateinische Widmungsschreiben Otfrids an Liutbert von Mainz. 1571 erscheint in Basel, von Flacius herausgegeben, die erste Ausgabe des Evangelienbuchs. Die (obsolete) Frage nach dem protestantischen Hintergrund als Motivation für die Veröffentlichung stelle ich dabei weitgehend zurück und konzentriere mich auf den spezifischen hermeneutischen Ansatz bei Flacius und die von ihm erarbeiteten philologischen Hilfsmittel zum Verstehen und Deuten des althochdeutschen Textes.

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Vgl. zu diesem Problemkomplex Carlo Ginzburg: Spurensicherung. Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli – Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. In: Carlo Ginzburg: Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. Aus dem Italienischen von Gisela Bonz und Karl F. Hauber, Berlin 1995 (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 50), S. 7–44. Ich erinnere hier lediglich an die in monastischem Kontext stehenden Abschriften des St. Trudperter Hohen Liedes und Willirams von Ebersberg Hoheliedparaphrase aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Vgl. Niels Bohnert: Zur Textkritik von Willirams Kommentar des Hohen Liedes. Mit besonderer Berücksichtigung der Autorvarianten. Tübingen 2006 (Texte und Textgeschichte 56), S. 14–16. Vgl. dazu zuletzt Martin Baisch: Textkritik als Problem der Kulturwissenschaft. TristanLektüren. Berlin – New York 2006 (Trends in Medieval Philology 9), S. 4–9.

19 Ab dem Ende des 17. Jahrhunderts nehmen die Rezeptionszeugnisse zu Otfrid und seinem Werk stark zu. Ich setze in Kapitel 5 einen Schwerpunkt auf den ersten drei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und konzentriere mich hier auf die Bereiche der Kommentierung und thesaurierenden Editorik des Evangelienbuchs durch Johann Schilter (1632–1705) und seine Schüler sowie auf die sprachvergleichend ausgerichteten Arbeiten Dietrich von Stades (1637–1718). An zwei Beispielen greife ich abschließend in Kapitel 6 verschiedene Umgangsweisen mit dem Evangelienbuch auf, die bereits im zeitlichen Umfeld der institutionell sich etablierenden Germanistik auftreten, sich aber aus heutiger Perspektive an ihren Rändern verorten lassen. Anhand der Otfridarbeiten P. Leopold Koplhubers (1763–1826) läßt sich exemplarisch eine gelehrte Beschäftigung mit Otfrid beobachten, die innerhalb der ›Klostermauern‹ bleibt, dann aber für einen Moment aus ihnen herauszutreten versucht und Kontakt zur ›neuen Wissenschaft‹ sucht. Auch die erste, nach modernem Verständnis kritische Ausgabe des Evangelienbuchs durch Eberhard Gottlieb Graff (1780–1841) nimmt in methodischer Hinsicht und hinsichtlich des patriotischen Diskurses, in den Graff die Edition in seiner Vorrede stellt, einen Status ein, der sie als Schlußpunkt der Darstellung sinnvoll erscheinen läßt. In einem Ausblick versuche ich – auch im Blick auf mögliche alternative Wege – die gewonnenen Erkenntnisse zu einem Konzept für die Beschreibung der frühen Wissenschaftsgeschichte der Germanistik zu bündeln (Kapitel 7). Der editorische Anhang (Kapitel 8) macht in allen vier Fällen Materialien verfügbar, die bislang nur schwer oder überhaupt nicht zugänglich waren: die gedruckten Vorreden zur Otfridausgabe von Matthias Flacius Illyricus (Kapitel 8.1), die erste Übersetzung des lateinischen Schreibens von Otfrid an Liutbert in der deutschen Ausgabe des Catalogus testium veritatis (1573) durch Konrad Lautenbach (Kapitel 8.2), zwei handschriftlich überlieferte Vorreden zu einer geplanten Otfridausgabe und einer gleichfalls nie zustande gekommenen Otfridgrammatik Dietrich von Stades (Kapitel 8.3) und die nur im Manuskript überlieferte Vorrede P. Leopold Koplhubers zu seiner Otfridübersetzung (Kapitel 8.4). Meine Arbeit erhebt im Sinne des skizzierten Konzepts keinen Anspruch auf Vollständigkeit bezüglich aller von 1494–1836 vorliegenden Quellen zu Otfrids Evangelienbuch. Sie wählt vielmehr bewußt aus und setzt Schwerpunkte. Eine chronologisch angeordnete Quellensammlung am Ende der Arbeit versucht (möglichst vollständig), die heuristisch-bibliographische Lücke für den Untersuchungszeitraum zu schließen (Kapitel 9.2.).61

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Die Bibliographie von Belkin / Meier (Anm. 6) berücksichtigt diesen Zeitraum nur in einigen wenigen Ausnahmefällen. Vgl. dazu Ulrich Ernst: Rez. Belkin / Meier. In: Annali dell'Istituto Universitario Orientale di Napoli, Sezione Germanica 20 (1977), S. 317–331, hier S. 324: »denn derjenige, der eine Forschungschronik schreiben will, wird weiterhin zu den älteren Bibliographien greifen müssen; derjenige, der Rezeptionsgeschichte treiben will, muß das weite Umfeld literarischer Äußerungen über Otfrid auf eigene Faust erkunden.«

20 Der obligatorische Forschungsbericht zum Thema der Arbeit im engeren Sinn kann kurz ausfallen: Grundlegende Vorarbeiten und Materialsammlungen sind enthalten in den Otfridausgaben von Johann Kelle und Paul Piper.62 Einzelne Aspekte der Erforschung von Otfrids Evangelienbuch, in erster Linie handschriften- bzw. editionsgeschichtliche des 16. und 17. Jahrhunderts, haben Hans Butzmann und Ernst Hellgardt in den Blick genommen.63 Einschlägig ist darüber hinaus der Aufsatz Ulrich Seelbachs zu mittelalterlicher Literatur in der frühen Neuzeit.64 Die Otfridrezeption vom frühen 18. Jahrhundert bis zum ersten Drittel des 19. Jahrhunderts ist dagegen noch weitestgehend unbearbeitet.

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Vgl. Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch. Hg. von Johann Kelle. Bd. 1: Text und Einleitung. Regensburg 1856 (ND Aalen 1963). Bd. 2: Die Formen- und Lautlehre der Sprache Otfrids. Mit sechs Tafeln Schriftproben. Regensburg 1869 (ND Aalen 1963). Otfrids Evangelienbuch. Mit Einleitung, erklärenden Anmerkungen und ausführlichem Glossar und einem Abriß der Grammatik. Hg. v. Paul Piper. Erster Theil: Einleitung und Text, Paderborn 1878 (Bibliothek der ältesten deutschen Literatur-Denkmäler IX), zweite, durch Nachträge erweiterte Ausgabe Freiburg – Tübingen 1882. Vgl. zu diesen und den weiteren von mir herangezogenen modernen Otfrideditionen das Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur (Kap. 9.1). Vgl. Hans Butzmann: Otfrid von Weißenburg im 16. und 17. Jahrhundert. In: FS Hermann Heimpel. Bd. I. Göttingen 1971 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 36/I), S. 607–617. Hellgardt (Anm. 10) und ders.: ... der alten Teutschen spraach und gottesforcht zuerlernen. Über Voraussetzungen und Ziele der Otfridausgabe des Matthias Flacius Illyricus (Basel 1571). In: FS Walter Haug und Burghart Wachinger. Bd. 1. Hg. von Johannes Janota, Paul Sappler, Frieder Schanze, Konrad Vollmann, Gisela Vollmann-Profe, Hans-Joachim Ziegeler. Tübingen 1992, S. 267–286. Vgl. Seelbach (Anm. 46).

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Spurensuche und Spurensicherung: Die Wiederentdeckung der Handschriften von Otfrids Evangelienbuch

2.1 Der Codex Vindobonensis 2687

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2.1.1 Weißenburg – Sponheim – Wien Der Präfekt der Wiener Hofbibliothek, Peter Lambeck (1628–1680), bemerkt im 1669 erschienenen zweiten Band seiner Commentarii de Augustissima Bibliotheca Cæsarea Vindobonensi zur Herkunft der dortigen Handschrift von Otfrids Evangelienbuch (Wien, ÖNB, Cod. 2687, im folgenden = V): [...] quo tempore, aut unde, aut quonam modo præstantissimus ille Codex in Augustissimam Bibliothecam Cæsaream pervenit, id mihi licet studiosè inquisiverim, prorsus est incognitum.2

Präzises Wissen, wann, woher und auf welche Weise V nach Wien gelangte, war demzufolge bereits knapp ein Jahrhundert nach ihrer ersten Katalogisierung im Jahr 1576 nicht mehr präsent, und definitive Antworten auf diese Fragen sind auch gegenwärtig nur bedingt möglich. Neuere kodikologische und bibliotheksgeschichtliche Untersuchungen konnten immerhin ein Zeitgerüst erstellen, auf dessen Grundlage für die vorwienerische Geschichte der Handschrift relativ gesicherte Angaben gemacht werden können.3

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Eine Kurzfassung der folgenden Darstellung ist erschienen in Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 13–17. Petrus Lambecius: Commentarii de Augustissima Bibliotheca Cæsarea Vindobonensi. Bd. II. Wien 1669, S. 453. Vgl. Hermann Menhardt: Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek. Bd. 1. Berlin 1960 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 13), bes. S. 3–24, S. 113–115. Hans Butzmann: Die Weißenburger Handschriften. Frankfurt a. M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel Neue Reihe 10), bes. S. 67–73. Hans Butzmann: Otfrid von Weißenburg im 16. und 17. Jahrhundert. In: FS Hermann Heimpel. Bd. I. Göttingen 1971 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 36/I), S. 607–617. Otfrid von Weißenburg: Evangelienharmonie. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex Vindobonensis 2687 der Österreichischen Nationalbibliothek. Eingeleitet von Hans Butzmann. Graz 1972 (Codices Selecti 30), S. 31–44.

22 V muß spätestens 1576 Teil der Wiener Hofbibliothek im damaligen Minoritenkloster gewesen sein. Der Codex wird von Hugo Blotius (1533–1608) unter der Signatur T 5074 geführt im ältesten Handschriftenverzeichnis der Bibliothek unter dem Titel »Evangelia et alia quædam sacra, Saxonica antiqua lingua expressa, in folio manuscripta in membrana«.4 Der durch die sprachliche Bestimmung Saxonica antiqua lingua und die Angabe alia quædam sacra auf den ersten Blick vage Bezug auf V ist gesichert durch den Eintrag der Signatur auf das Spiegelblatt im Rückdeckel der Handschrift.5 Daß sich die Handschrift bis um 1480 noch an ihrem Entstehungsort in Weißenburg befunden haben muß, ist ebenfalls gesichert. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden die Weißenburger Codices – auch V – vor Ort neu signiert und Ende des 15. Jahrhunderts neu eingebunden.6 Genau in jene Zeit fallen die Wiederentdeckung und erste Ansätze zur Wiedererschließung des Evangelienbuchs durch Johannes Trithemius. Trithemius wurde in den Jahren 1488 bis 1502/03 vom Generalkapitel der Bursfelder Kongregation mehrfach mit Visitationen linksrheinischer Klöster und der Diözese Speyer beauftragt. In dieser Funktion war er auch für das Kloster Weißenburg zuständig.7 Ein Trostbrief vom 26. April 1491, von dem aller-

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Wien, ÖNB, cod. ser. nov. 4451, Bl. 26r. Zitiert nach Hermann Menhardt: Das älteste Handschriftenverzeichnis der Wiener Hofbibliothek von Hugo Blotius 1576. Kritische Ausgabe der Handschrift Series nova 4451 vom Jahre 1597 mit vier Anhängen. Wien 1957 (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Denkschriften 76), S. 51. Vgl. zuletzt die kodikologische Beschreibung von Otto Mazal in: Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 33. Wie vage und diffus die Sprachterminologie bis zum 19. Jahrhundert ist, zeigt sich beispielsweise in der Bezeichnung des altsächsischen Heliand als fränkisch. Vgl. die Nachweise bei Adolf Hedler: Geschichte der Heliandforschung von den Anfängen bis zu Schmeller’s Ausgabe. Ein Beitrag zur Geschichte der germanischen Philologie. Rostock 1890, S. 14–19. Man denke auch an die fast zeitgleichen dialektalen Zuschreibungen des Psalm 138 und des Althochdeutschen Physiologus von Wolfgang Lazius zum Fränkischen. Vgl. Jaspers (Anm. 37), S. 64. V trägt am oberen Rand von Bl. 1r den Weißenburger Signaturbuchstaben E. Das Evangelienbuch wird somit systematisch den Kommentaren zum Neuen Testament zugeordnet. Vgl. Butzmann (1964, Anm. 3), S. 28–34. Die Angaben Butzmanns zur Datierung der von Bernhard Bischoff entdeckten Signaturbuchstaben sind nicht einheitlich. Butzmann (1964, Anm. 3), S. 28 und Butzmann (1972, Anm. 3), S. 37: »2. H. 14. Jh.«. Butzmann (1971, Anm. 3), S. 613f.: »2. H. 15. Jh.«. Von diesen spätgotischen Weißenburger Einbänden haben sich, abgesehen von V, noch zwei weitere erhalten: Wolfenbüttel, HAB, cod. Gud. 148 und Speyer, Staatsarchiv, Cod. Traditionum Wissenburgensium. Dazu: Butzmann (1964, Anm. 3), S. 19–21 und Butzmann (1972, Anm. 3), S. 38f. Vgl. vereindeutigend Otto Mazal in: Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 33 und 38: Signaturbuchstaben (»2. H. 14. Jh.«), Einband (»um 1480«). Belegt ist seine Visitationstätigkeit in circaria Renesium, cis Renum und in diocesi Spirensi in den Rezessen des Generalkapitels der Bursfelder Kongregation für die Jahre 1488, 1490, 1492, 1493, 1500/01 und 1502/03. Vgl. Klaus Arnold: Johannes Trithemius (1462–1516). Zweite, bibliographisch und überlieferungsgeschichtlich neu bearbeitete Auflage. Würzburg 1991 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 23), S. 27f.

23 dings nicht sicher ist, ob er an die Weißenburger Mönche gerichtet ist, könnte ein Beleg dafür sein, daß er dem Kloster in seelsorgerlicher Hinsicht Beistand leistete.8 Der Bibliophile Trithemius zeigte auch Interesse an den Beständen der Klosterbibliothek. Zwei Weißenburger Handschriften (Cod. Weiss. 57 und 87) tragen Sponheimer Besitzvermerke aus der Zeit des Trithemius, und es liegt nahe, daran zu denken, daß er über die Weißenburger Bibliothek zur Kenntnis einer Otfridhandschrift gelangte und eine solche für seine unter Humanisten berühmte Bibliothek erwerben wollte.9 Aus seiner detaillierten Kenntnis des Evangelienbuchs muß man schließen, daß Trithemius vor 1494 eine Otfridhandschrift aus eigener Anschauung kannte. Denn er führt in seinen Schriftstellerverzeichnissen nicht nur die Widmungszuschriften und einzelne Stücke aus dem Evangelienbuch als eigenständige Schriften Otfrids auf, sondern er beschreibt an anderer Stelle außerdem den Einband eines Otfridcodex.10 Bezieht man die ältesten erhaltenen handschriftlichen Vorlagen des Liber de scriptoribus ecclesiasticis mit ein, läßt sich seine Otfridkenntnis zeitlich noch etwas genauer eingrenzen: In der Berliner Fassung fehlt ein Lemma zu Otfrid noch, so daß man zu einem terminus post quem »nach August 1492« kommt.11 Von Trithemius sind aus seiner Zeit als Abt des Würzburger Jakobsklosters drei Briefe an Kaiser Maximilian I. (1459–1519) überliefert, die im Zusammenhang mit der von Trithemius erfundenen Frankenchronik des Hunibald und der Suche nach diesem fingierten Text stehen. Beigebunden ist den Briefen eine sceda mit zwei 1513 entstandenen Suchlisten von Sponheimer Büchern.12 Die

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So jedenfalls Arnold (Anm. 7), S. 35 mit Anm. 80, S. 264. Vgl. Butzmann (1964, Anm. 3), S. 26f.- Zu Weißenburger Handschriften in Sponheim vgl. Butzmann (1964, Anm. 3), S. 67–73 und Butzmann (1972, Anm. 3), S. 37. Zu Trithemius als Büchersammler und zur Sponheimer Bibliothek vgl. E. G. Vogel: Die Bibliothek der Benediktinerabtei Sponheim. In: Serapeum 3 (1842), S. 312–328. Lehmann (1910, Anm. 19). Lehmann (1961, Anm. 19). Arnold (Anm. 7), S. 56–73. Der Aufsatz von Roland Behrendt: The library of abbot Trithemius. In: American Benedictine Review 10 (1959), S. 67–85 trägt diesen Titel nur versehentlich und ist nicht einschlägig. Der irreführende Titel ist im Neudruck in der American Benedictine Review 51 (2000), S. 3–23 beibehalten worden. Nicht benutzen konnte ich Behrendts Arbeit: The Library of Sponheim Abbey under Abbot Trithemius (1483–1506). American Benedictine Academy. St. Vincent’s Archabbey. Latrobe/Pa. 1958 (Masch.). Zu ersterem s. S. 4f. Zur Beschreibung des Einbands s. S. 24. Vgl. Berlin, SB, cod. lat. fol. 410, Bl. 2v–157r. Die Datierungen richten sich nach Arnold (Anm. 7), S. 119 und S. 250. Die älteste Fassung (New York, H.P. Kraus, cod. 143 [»Ende April 1492«]) ist nach freundlicher Auskunft von Klaus Arnold seit den späten 1960er Jahren verschollen. Sie wurde von Kraus wahrscheinlich an einen Privatsammler verkauft. Die Druckfassung von 1494 ist gegenüber den handschriftlichen Fassungen um fast 200 Namen erweitert. Vgl. Arnold (Anm. 7), S. 121. Wien, ÖNB, cod. 9045, Bl. 27 (30). Die Briefe (vom 21. April 1513, 26. April 1513, 22. November 1515) und Suchlisten sind ediert in: Joseph Chmel: Die Handschriften der k. k. Hofbibliothek in Wien, im Interesse der Geschichte, besonders der österreichischen, verzeichnet und excerpiert von J. Ch., Bd. I. Wien 1840, S. 312–320. Aus der Literatur zu den historiographischen Fiktionen von Trithemius seien – ohne Anspruch auf Vollständig-

24 eine erfaßt Bücher, die Trithemius für Maximilian suchen ließ, die andere enthält solche, die er für seinen Privatbesitz »vel mutuo vel commutatione«13 erwerben wollte. Am Ende dieser zweiten Liste äußert er die dringende Bitte um eine in Sponheim befindliche Otfridhandschrift: Item Otfridus monachus ad archiepiscopum moguntinum nigro corio [c]opertum sunt versus antique lingue theutonice Incipit Dignitatis culmine sed a principio sic incipit Ludovico orientalium etc. Hunc ante omnia cupio.14

Hans Butzmann identifizierte diese Handschrift aufgrund der genauen Erinnerung des Trithemius an Farbe und Material des Einbandes sowie die beiden Incipits mit V. Die Übereinstimmung des Merkmals nigrum corium, das der Wiener Otfrid im übrigen noch heute trägt, ist dafür ein stichhaltiges Argument, will man nicht von einer heute verlorenen Handschrift ausgehen.15 Problematisch an der Butzmannschen Argumentation ist im Hinblick auf die Titel der ersten Suchliste allenfalls die Tendenz des Trithemius zur Standardisierung seiner Einbandbeschreibungen. Drei, unter anderem der Hunibald, werden dort beschrieben als »albo corio coopertum«. Von den zwei weiteren dort genannten Handschriften ist die eine heute nurmehr in Abschrift nachweisbar,16 die andere trägt einen modernen Einband.17 Die übrige heute bekannte Otfridüberlieferung läßt sich jedenfalls – abgesehen von der Heidelberger Handschrift (Codex Pal. lat. 52) – ausschließen: Der

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keit – genannt: Nikolaus Staubach: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die historiographischen Fiktionen des Johannes Trithemius im Lichte seines wissenschaftlichen Selbstverständnisses. In: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica München, 16.–19. September 1986. Teil I: Kongreßdaten und Festvorträge. Literatur und Fälschung. Hannover 1988 (MGH Schriften 33,1), S. 263–316. Klaus Schreiner: Abt Johannes Trithemius (1461–1516) als Geschichtsschreiber des Klosters Hirsau. Überlieferungsgeschichtliche und quellenkritische Bemerkungen zu den Annales Hirsaugienses. In: Rheinische Vierteljahresblätter 31 (1966/67), S. 72–138. Ders.: Geschichtsschreibung im Interesse der Reform. Die Hirsauer Jahrbücher des Johannes Trithemius (1462–1516). In: Hirsau, St. Peter und Paul 1091–1991, Teil II: Geschichte, Lebens- und Verfassungsformen eines Reformklosters: Bearbeitet von Klaus Schreiner. Stuttgart 1991 (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in BadenWürttemberg 10/2), S. 297–324. Uta Goerlitz: Wissen und Repräsentation. Zur Auseinandersetzung des Hermannus Piscator mit Johannes Trithemius um die Rekonstruktion der Vergangenheit. In: Artes im Mittelalter. Hg. von Ursula Schaefer. Berlin 1999, S. 198–212. Chmel (Anm. 12), S. 317. Chmel (Anm. 12), S. 317. Die Textbesserung nach Butzmann (1972, Anm. 3), S. 38. Vgl. Butzmann (1971, Anm. 3), S. 615 und Butzmann (1972, Anm. 3), S. 38f. Otto Mazal. In: Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 33. Hinweise darauf, daß Trithemius eine Handschrift des Evangelienbuchs in einer anderen Bibliothek gefunden haben könnte, fehlen. London, BL, cod. Add. 15 102 (Hildegard von Bingen, Liber epistolarum et orationum, 15. Jh.). Vgl. Lehmann (1961, Anm. 19), S. 31f. Brüssel, Bibl. Royale, Ms. 9904 (Liutprand von Cremona, Historia Ottonis et Antapodosis, 11. Jh.). Vgl. Lehmann (1961, Anm. 19), S. 29. Joseph van den Gheyn: Catalogue des Manuscrits de la Bibliothèque Royale de Belgique. Bd. V (Histoire–Hagiographie). Bruxelles 1905, S. 27.

25 Codex Discissus wurde um 1470 im Hildesheimer Sültekloster zerschnitten und erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt.18 Die erhaltenen Fragmente aus dem Discissus kommen somit für die Entdeckungs- und Editionsgeschichte des Evangelienbuchs im 16. und 17. Jahrhundert, wenn überhaupt, nur in sehr eingeschränktem Maße in Betracht. Die ursprünglich Freisinger Otfridhandschrift (heute München, BSB, cgm 14) enthält weder die von Trithemius genannten Widmungszuschriften noch den Namen Otfrids. Die Heidelberger Otfridhandschrift, für die Paul Lehmann ohne nähere Begründung plädierte, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit ausschließen.19 Über ihren Verbleib und ihre Geschichte bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts ist jedoch nichts Sicheres bekannt. Aller Wahrscheinlichkeit nach befand sie sich Ende des 15. Jahrhunderts nicht in Weißenburg. 1560 ist sie in Augsburg nachweisbar, am Anfang und am Ende verstümmelt – der Beginn der Widmungen an Ludwig den Deutschen und an Hartmut und Werinbert fehlt jeweils – und ohne Einband.20 Die durch Trithemius’ Eigenaussage gestützte Annahme Hans Butzmanns ist plausibel, wonach der spätere Vindobonensis von Trithemius aus Weißenburg nach Sponheim gebracht wurde und um 1490 bis 1515 Teil der Sponheimer Klosterbibliothek war. Unerklärt bleibt dabei, daß V keinen Sponheimer Besitzvermerk trägt wie die beiden Weißenburger Handschriften Cod. Weiss. 57 und 87 (s. S. 23). Deswegen muß man aber nicht grundsätzlich am Vorhandensein der Otfridhandschrift in Sponheim zweifeln. Den fehlenden Vermerk könnte man so erklären, daß Trithemius V nicht erworben hat, sondern daß die Handschrift eine ›Dauerleihgabe‹ aus Weißenburg war, die über seine Resignation auf Sponheim (1506) hinaus Bestandteil der Bibliothek blieb. Die Weißenburger Codices mit den Besitzvermerken wurden zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt wieder in die Bestände der Weißenburger Bibliothek eingegliedert und kamen mit den anderen Weissenburgenses nach Wolfenbüttel.21

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Heute Bonn, UB, Cod. S 499. Krakau, Bibl. Jagiellońska, Berol. mgq 504. Wolfenbüttel, HAB, Cod. 131.1 Extravagantes. Vgl. Paul Lehmann: Nachrichten von der Sponheimer Bibliothek des Abtes Johannes Trithemius. In: Hermann Grauert zur Vollendung des 60. Lebensjahres gewidmet von seinen Schülern. Festgabe zum 7. September 1910. Freiburg 1910, S. 205–220, hier S. 218. Ders.: Merkwürdigkeiten des Abtes Johannes Trithemius (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl., Jg. 1961, H. 2). München 1961, S. 18. Unentschieden läßt die Frage Joseph Wilhelm Schulte: Zu Otfrid. In: ZfdA 22 (1878), S. 406–409. S. dazu im einzelnen die folgenden Kapitel 2.2., 2.3 und 2.4. Vgl. Butzmann (1972, Anm. 3), S. 41. Ein denkbarer Zusammenhang des Johanneskommentars im Cod. Weiss. 87 mit dem exegetischen Traktat von Trithemius Questiones in euangelium Ioannis ist nicht nachweisbar. Vgl. Axel Nelson: Johannes Trithemius’ skrift ›Questiones in euangelium Ioannis‹. In: Kyrkohistorisk Årsskrift 32 (1932), S. 297–333.

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2.1.2 Das Evangelienbuch bei Maximilian I.? Im Frühjahr des Jahres 1515 schickte Trithemius auf Drängen Maximilians I. einen seiner Würzburger Mönche und den Herold Johann von Geldern mit der erwähnten sceda nach Sponheim, um dort nach der an oberster Stelle aufgelisteten vermeintlichen Hunibaldhandschrift und weiteren Chronikalia suchen zu lassen.22 Nachdem die Nachforschungen der beiden erfolglos geblieben waren,23 machte Trithemius im Jahresverlauf selbst in Sachen Hunibald einen Abstecher nach Sponheim und in ein weiteres Kloster, dem der Hunibaldcodex verkauft worden sein könnte. So schreibt er jedenfalls an Maximilian. Seine Suchaktion blieb jedoch gezwungenermaßen ergebnislos: Spanhem personaliter accessi. Hunibaldum inquisivi, sed non inveni. Suspicio mihi est, quod cum aliis plerisque pecunia sit distractus. Monasterium quod propterea venit adeundum adii. Inquisitionem subtiliter temptavi, sed bibliothecam videre non potui, quam corruisse dicebant.24

Butzmann wollte die Sponheimer Otfridhandschrift in den Zusammenhang der Suche nach dem Hunibald eingeordnet sehen und vermutete, Trithemius »hätte sehr wohl auf den Gedanken kommen können, das Buch dem Kaiser anzubieten, um dessen Enttäuschung über den verlorenen Hunibald zu beschwichtigen.«25 Beatus Rhenanus verwies 1531 bezüglich der Wiederentdeckung des Freisinger Otfrid auf das Interesse Maximilians an alten Codices aus der Zeit vor 1000: »Itaque si quis monstrasset [Cæsari] duntaxat talem codicem, non indonatus abisset. nam princeps fuit liberalissimus.«26 Es ist natürlich ein reizvoller Gedanke, sich V im Besitz von Maximilian vorzustellen, aber verschiedene Gründe sprechen gegen dieses »Spiel mit einer Möglichkeit«27. Aus bibliotheksgeschichtlicher Sicht kann ausgeschlossen werden, daß V erst im 17. Jahrhundert mit den Ambraser Handschriften in die Wiener Hofbibliothek kam. Anderweitige Belege für die Handschrift bei Maximilian gibt es nicht.28 Außerdem verdient die in der sceda angelegte Zweiteilung der Liste Berücksichtigung. Der erste Teil enthält ausschließlich chronikalische Werke, die in einem Begründungszusammenhang mit den genealogischen Nachforschungen für Maximilian stehen.29 Vor den zweiten Teil setzt Trithemius die Bemerkung:

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Vgl. Arnold (Anm. 7), S. 71f. Beleg dafür ist folgender Vermerk auf der sceda: »Istam scedam dedit Abbas monacho suo quem misit cum Heraldo Moguntiam deinde Spanheim Hunibaldum inquirendum.« Nach Chmel (Anm. 12), S. 316. Vgl. Chmel (Anm. 12), S. 319. Chmel (Anm. 12), S. 320. Vgl. Arnold (Anm. 6), S. 71f. Butzmann (1972, Anm. 3), S. 43f. Vgl. Hellgardt (1989, Anm. 41), S. 275. Beatus Rhenanus: Rerum Germanicarum libri tres. Basel 1531, S. 108. Vgl. nun auch Beatus Rhenanus: Rerum Germanicarum libri tres. Ausgabe, Übersetzung, Studien. Hg. von Felix Mundt. Tübingen 2008 (Frühe Neuzeit 127), hier S. 258. Butzmann (1964, Anm. 3), S. 70. Man könnte höchstens darüber spekulieren, ob Maximilian den Otfrid erhalten und ihn wiederum an einen unbekannten Dritten weitergegeben hat. Vgl. dazu die Literaturangaben bei Goerlitz (Anm. 12), S. 204f., Anm. 24.

27 »Hec ego vel mutuo vel commutatione habere optarem si fieri potest.«30 Die dort genannten, thematisch heterogenen Handschriften und Drucke wünscht er demnach, leihweise oder durch Kauf, nach St. Jakob für seinen eigenen Gebrauch zu erhalten. Auch wenn die vorgeblichen Bemühungen des Trithemius um den Codex Hunibaldi vergeblich bleiben mußten, kann für alle weiteren Handschriften und Drucke der zweiten Suchliste durch sein Würzburger Nachlaßinventar belegt werden, daß sie im Original oder als Abschrift tatsächlich in das Schottenkloster St. Jakob gelangten. Ein Abgleich der in der zweiten Suchliste genannten acht Titel (Chmel [Anm. 12], S. 317) mit dem Inventar ergibt im einzelnen folgende Übereinstimmungen:31 1. Drucke: a) »Homerum grecum impressum in duobus voluminibus ligatum« / »Omerus grece« (Fischer [Anm. 31], S. 76) b) »Julium Firmicum latinum astronomum quem illigatum dimisi« / »Julii firmici cum aliis« (Fischer [Anm. 31], S. 74) c) »Lærtium de vita philosophorum impressum et ligatum« / »Lærcius, In vita philosophorum« (Fischer [Anm. 31], S. 56) d) »Organum aristotelis grecum cum porphirio impressum et ligatum« / »porphirius« (Fischer [Anm. 31], S. 61) e) »Berosum impressum de antiquitatibus latinum et ligatum« / »Berosus« (Fischer [Anm. 31], S. 53) 2. Handschriften: a) »Epistolare S. bonifacii moguntini quod Franciscus nouicius scripsit in papyro« / »Epistolare Sancti Bonifacii martyris« (Fischer [Anm. 31], S. 60; Lehmann [1961, Anm. 19], S. 34) b) »Libellus est antiquissimus in pergameno scriptus sine asseribus notas continens ciceronis ut sic. est quasi vocabularius et note vel characteres verba precedunt. Es ist ein alt verrunzelt buchlin. Eis non deservit« / »Notæ Ciceronis« (Fischer [Anm. 31], S. 72)32

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Chmel (Anm. 12), S. 317. Ich nenne zuerst den Titel nach der Suchliste. Nach » / « steht die Angabe des Inventars. Das heute verlorene Verzeichnis ist ediert von Ivo Fischer: Der Nachlaß des Abtes Johannes Trithemius von St. Jakob in Würzburg. In: Archiv des Historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg 67 (1928), S. 41–82. Zu den chronikalischen Werken vgl. die Hinweise bei Lehmann (1961, Anm. 19). Diesen Befund übersah Lehmann (1961, Anm. 19), S. 17. Auch Broszinski und Wiedemann gehen davon aus, daß Trithemius die Handschrift in Würzburg nicht mehr zur Verfügung stand und sich ihre Spur mit der Erwähnung in der Suchliste verliert. Bis 1514 ist sie noch in Sponheim nachweisbar. Vgl. Hartmut Broszinski / Konrad Wiedemann: Ein alt verrunzelt buchlin ... . Johannes Trithemius – Vorbesitzer der Kasseler Tironischen Noten. In: de captu lectoris. Wirkungen des Buches im 15. und 16. Jahrhundert dargestellt an ausgewählten Handschriften und Drucken. Hg. von Wolfgang Milde und Werner Schuder. Berlin – New York 1988, S. 39–50, hier S. 45f.

28 Daß der Otfrid 1515 von Sponheim nach Würzburg kam, läßt sich also auf Grundlage des Würzburger Nachlaßinventars des Trithemius ausschließen. Er ist der einzige Titel der Suchliste, der dort nicht geführt ist.33 Zum weiteren Verbleib der Handschrift um und nach 1515 kann man nur Fragen formulieren: War sie überhaupt noch in Sponheim, als Trithemius die Suche initiierte, oder wurde sie seinen Helfern bzw. ihm selbst bewußt nicht ausgehändigt?34 Läßt sich das dringende Bitten von Trithemius in dem Sinn erklären, daß er sie schließlich doch erhalten und unmittelbar darauf an eine andere Person weitergegeben hat? Zur Frage, wer V nach Wien gebracht haben könnte und woher, hat Hermann Menhardt verschiedene denkbare Spuren verfolgt: Er schlägt V der Sammeltätigkeit Caspar von Nidbrucks (1525–1557) zu, der die Handschrift auf einer Gesandtschaftsreise in Speyer habe finden können, sie nach Wien gebracht und zusammen mit anderen Codices im Herbst 1554 den Bearbeitern der Magdeburger Centurien in Regensburg für einige Monate zur Verfügung gestellt habe.35 Menhardt nennt allerdings selbst die wichtigsten Argumente gegen seine Vermutung: V trägt erstens keines der Transportzeichen, mit denen die nach Regensburg geschifften Handschriften versehen wurden. Zweitens hätte der erste Otfridherausgeber, Matthias Flacius Illyricus (1520–1575), bei dieser angenommenen frühen Kenntnis der Handschrift das lateinische Approbationsschreiben Otfrids Ad Liutbertum bereits in die erste Auflage seines Catalogus testium veritatis von 1556 aufnehmen können.36

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Arnold (Anm. 7), S. 60 sieht dies dennoch anders. Unbemerkt blieb bisher, daß in dem Inventar (Fischer [Anm. 31], S. 70) ein »psalterium latine et teutonice« geführt ist, das mit den im Liber de scriptoribus ecclesiasticis als Werk Otfrids veranschlagten »In psalterium volumina III.« deckungsgleich sein könnte. Diese Angabe von Trithemius ist jedenfalls nicht aus der Luft gegriffen. Im Verzeichnis der Weißenburger Buchbestände, das unter Abt Folmar (1032–1043) angelegt wurde, findet sich ein fast identischer Vermerk (»Psalterium theutonice in III voluminibus«, vgl. Butzmann [1964, Anm. 3], S. 36). Hinter der Zuschreibung an Otfrid könnte sich aufgrund der engen Verbindungen zwischen Weißenburg und St. Gallen der Notkersche Psalter verbergen. Auf der Grundlage der Angabe im Nachlaßinventar besäße man damit ein sicheres Indiz dafür, daß Trithemius noch in Würzburg im Besitz einer solchen Psalterhandschrift war. In den Beständen der UB Würzburg gibt es dafür keine Anhaltspunkte. Vgl. Hans Thurn: Die Handschriften der Universitätsbibliothek Würzburg. Bd. 2, 1: Die Handschriften aus benediktinischen Provenienzen. Wiesbaden 1973. Vgl. auch Hellgardt (Anm. 41), S. 370f. Die Sponheimer Bibliothek zerstreut sich in Teilen bereits unmittelbar nach dem Weggang von Trithemius. Vgl. Arnold (Anm. 7), S. 70–73. Menhardt (Anm. 3), S. 11. In einer 1556/57 für die Magdeburger Centuriatoren angelegten Handschriftenbestandsliste des Flacius-Mitarbeiters, Marcus Wagner (1528–1597), werden Bl. 32v »Godfridi quatuor Euangelia in unum sermone Germanico ueteri rithmisque redacta« erwähnt. Der Bezug auf Otfrid ist trotz der Verschreibung eindeutig. Dieser Eintrag bezieht sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Heidelberger Otfridhandschrift. S. dazu S. 50. Menhardt meint auch, daß in der Otfridedition von Flacius (Basel 1571) V die Vorlage für die in P verlorenen V. 1–75 des Widmungsgedichtes an Ludwig den Deutschen war. Zur Tragfähigkeit dieser These s. S. 139f. Piper (I [21882], S. 44]) sprach die Vermutung aus, man könnte die frühneuzeitliche Eintragung »16 – : I M F :– 15« in der Darstellung vom

29 Daß der Wiener Hofhistoriograph Wolfgang Lazius (1514–1565) die Handschrift von einer seiner Bibliotheksreisen nach Wien gebracht haben könnte, schließt Menhardt dagegen aus. Dieser hätte die Handschrift seiner Ansicht nach bekannt gemacht. Das Otfridwissen in seinen gedruckten Werken basiert jedenfalls ausschließlich auf Beatus Rhenanus (Kap. 2.2.1).37 Über Vermutungen kommt man auch auf diesen Wegen nicht hinaus.38 Eine letzte, ebenso nur auf Spekulation beruhende Möglichkeit ist in Erwägung zu ziehen, für die man immerhin einen vergleichbaren Fall anführen kann. Die »älteste und palaeographisch wertvollste Handschrift«39, die unter Trithemius Teil der Sponheimer Bibliothek war, ist ein Augustinus-Codex aus dem 6. Jahrhundert, der erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Sponheim in die Niederlande, von dort nach Spanien in die Bibliothek Philipps II. und schließlich zwischen 1566 und 1575 in die Biblioteca del Monasterio de San Lorenzo el Real (Escorial) gewandert ist.40 Nimmt man für V ein ähnliches Schicksal an, würde das bedeuten, daß Trithemius die Otfridhandschrift – aus welchen Gründen auch immer – nicht aus Sponheim erhalten hatte und sie erst kurz vor oder unmittelbar nach der Säkularisation Sponheims, zwischen 1564 und 1576, als vereinzeltes Stück in die Wiener Hofbibliothek gelangte. Auf welchen Wegen muß offenbleiben.

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Einzug nach Jerusalem (Bl. 112r) als Illyricus Matthias Flacius deuten, »wenn die Jahreszahl nicht widerspräche.« Es handelt sich indes, wie bereits Erdmann (1882, S. XXVIII) klarstellte, um die Abkürzung IME für IEROSOLYME. Deutet man die Zahlen als Jahresangabe, könnte man das Inserat dennoch als frühneuzeitliches Leserzeugnis interpretieren. Vgl. zum Bilderzyklus in V grundsätzlich Norbert H. Ott in: Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 40–49, hier S. 42f. Vgl. Menhardt (Anm. 3), S. 4 und S. 11. Vgl. auch Hermann Menhardt: Die Kärntner Bibliotheksreise des Wolfgang Lazius 1549. In: Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 24/25 (1936). Beiträge zur Geschichte und Kulturgeschichte Kärntens. Festgabe für Dr. Martin Wutte zum 60. Geburtstag. Klagenfurt 1936, S. 100–112. Zur Otfridkenntnis von Lazius vgl. Gerard Jaspers: Die deutschen Textfragmente in den lateinischen Werken des Wolfgang Lazius. In: ABäG 20 (1983), S. 56–73, hier S. 64f. Zu Lazius wäre eine neue biographisch und buchgeschichtlich angelegte Untersuchung wünschenswert. Vgl. Ernst Trenkler: Wolfgang Lazius, Humanist und Büchersammler. In: Biblos 27 (1978), S. 186–203. Max Kratochwill: Wolfgang Lazius. In: NDB 14 (1985), S. 14f. Ein Hinweis von Hans Butzmann, der weiterführen könnte, betrifft den Einband von V und des Cod. Vind. 1239 (glossierte Bibelhandschrift, 10. Jh.). Diese Handschrift ist auch bereits im Katalog von Blotius erfaßt (vgl. Anm. 4, S. 80). Ihr Rücken ist wie der von V – so Butzmann (Anm. 3 [1964], S. 71) – »mit kirschrotem Papier überzogen. Das beweist, daß beide einmal einem Sammler zu eigen waren, der seine Bücher uniformierte. Es wird sich lohnen, in Wien nach weiteren so ausgestatteten Büchern Umschau zu halten. Wo lebte dieser Sammler?« In der neuesten kodikologischen Beschreibung von V (Mazal, Anm. 6) ist von einem kirschroten Rücken allerdings keine Rede mehr. Trithemius scheidet nach den Angaben Arnolds zu dessen Buchbindern jedenfalls aus. Vgl. Arnold (Anm. 7), S. 65 und S. 215. Lehmann (1961, Anm. 19), S. 30. Vgl. Lehmann (1961, Anm. 19), S. 29f.

30 Ich fasse kurz zusammen: Aufgrund der Angaben des Trithemius, v. a. seiner genauen Erinnerung an den Einband, ist mit Hans Butzmann anzunehmen, daß V von ca. 1490 bis 1515 Teil der Sponheimer Bibliothek war. Im Würzburger Nachlaßinventar ist sie nicht belegbar, sodaß sich ab diesem Zeitpunkt sichere Hinweise auf ihren Verbleib verlieren. Über ihren Weg nach Wien lassen sich nur Vermutungen anstellen. Daß sie in die Hände Maximilians I. gelangte, ist nicht nachweisbar. Ein Zusammenhang mit den Magdeburger Centuriatoren und Matthias Flacius Illyricus ist auf kodikologischer Ebene genausowenig plausibel zu machen wie durch andere externe Zeugnisse. Ob die Handschrift zu einem früheren (um 1515) oder späteren Zeitpunkt (nach 1564) als Einzelstück nach Wien gelangte, läßt sich nicht mehr sagen. Erst mit ihrer Katalogisierung im Handschriftenverzeichnis des Hugo Blotius aus dem Jahr 1576 wird sie wieder faßbar. Bleibt die Frage nach den Gründen für das dringende Interesse des Trithemius an der Handschrift in den Jahren um 1513.

2.1.3 »Hunc ante omnia cupio«. Zur späteren Otfridrezeption bei Trithemius41 Die Arbeiten an den biobibliographischen Werken waren für Johannes Trithemius bereits mit dem Druck von De scriptoribus ecclesiasticis 1494 im wesentlichen abgeschlossen.42 Otfrid von Weißenburg wird in ihnen zu einem idealen Repräsentanten volkssprachiger Literatur der Karolingerzeit stilisiert. In der Rehabilitierung der Karolingerzeit insgesamt und der Restituierung benediktinischer Kontinuität für die eigene Gegenwart liegt das intentionale Spezifikum der trithemischen Otfridartikel (s. S. 6f.). In seinen späteren Schriften geht Trithemius noch mehrfach auf Otfrid in historiographischen und geheimschriftlichen Kontexten ein: Im Chronicon Hirsaugiense (entstanden 1495–1503, Erstdruck 1559)43 stellt er ihn kurz vor und betont die schwere Verständlichkeit des Evangelienbuchs.44 Ausführlicher kommt Trithemius auf Otfrid zu sprechen im Rahmen der Annales Hirsaugienses (entstanden 1509–1514, vollständiger Erstdruck 1690).45 In

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Vgl. zum Folgenden auch Ernst Hellgardt: ...nulli suo tempore secundus. Zur Otfridrezeption bei Johannes Trithemius und im 16. Jahrhundert. In: Sprache, Literatur, Kultur. Studien zu ihrer Geschichte im deutschen Süden und Westen (FS Wolfgang Kleiber). Hg. von Albrecht Greule und Uwe Ruberg. Stuttgart 1989, S. 355–375. Die zu Lebzeiten von Trithemius erschienenen, teilweise erweiterten Separata und Neudrucke sind verzeichnet bei Arnold (Anm. 7), S. 244 und S. 250. Vgl. zu Entstehungsgeschichte und Überlieferung Arnold (Anm. 7), S. 149–157, 243f. Vgl. auch die in Anm. 12 genannten Arbeiten von Schreiner. Die Stelle lautet: »scripsit Otfridus monachus Wissenburgensis, quondam Rabani auditor quatuor libros Evangeliorum metrice in lingua nostra Theutonica quibusdam regulis formata: ut paucissimi hodie reperiantur, qui eius scripta intelligant.« Nach Hellgardt (Anm. 41), S. 363, Anm. 15. S. Anm. 43. Alle Zitate nach dem Erstdruck: Annales Hirsaugienses. Bd. I. St. Gallen 1690, S. 18f. bzw. S. 29.

31 der ersten Erwähnung bringt er unter der Jahreszahl DCCCLXIII (zu Abt Lutbert [!]) eine Kurzbiographie im Stil des Artikels in De scriptoribus ecclesiasticis, auf den er auch explizit verweist.46 Otfrid wird hier erstmals als Monasticæ scholæ Magister bezeichnet. Die zweite Bezugnahme bringt Otfrid zunächst in Verbindung mit dem Mainzer Erzbischof ›Lutbert‹, dem das Evangelienbuch gewidmet sei. Trithemius ordnet es der Gattung des carmen elegiacum zu und bezeichnet es als dialektal dem Alemannischen zugehörig.47 Daß er von vier (statt fünf) Büchern ausgeht, könnte dafür sprechen, daß ihm zum Zeitpunkt der Abfassung die Otfridhandschrift nicht mehr vorlag: DCCCLXIII Anno Gerungi Abbatis XI. obijt Carolus Archiepiscopus Moguntinensis, cui Lutbertus in Archiepiscopatu succedens præfuit annis XVIII. ad quem Otfridus Monachus Wissenburgensis Rhabani quondam Auditor, & monasticæ scholæ Magister, de quo jam antea fecimus mentionem, de sanctissimo Christi Evangelio elegiaco carmine in lingua nostra Alemannica libros edidit quatuor, opus certè mirandum, quod gratiam Theotiscæ prænotavit. (Annales Hirsaugienses, [Anm. 45], S. 18f.)

Es folgt eine Titelliste, die das gesamte Repertoire der früheren Otfridartikel verwendet, abgesehen von den dort als Einzelwerken verbuchten Kapiteln aus dem Evangelienbuch. Vergleichbar gestaltet Trithemius auch den Zusammenhang Otfrids mit der Grammatik Karls des Großen. Der Ausgangspunkt ist inhaltlich derselbe: Der studiosissimus Carolus habe aus Unmut über das barbarische Deutsch beschlossen, es in ein System grammatikalischer Regeln zu bringen und dazu seine nicht namentlich genannten Gelehrten versammelt. Wegen vielfältiger anderer Verpflichtungen sei er aber darin über erfolgversprechende Anfänge nicht hinausgekommen, die dann in die Hände Otfrids gelangten.48 Jener habe dann in der Nachfolge Karls den Versuch unternommen, die Grammatik in Versen und Liedern poetisch umzusetzen: Hujus novæ tunc Grammatices inventio postea in manus Otfridi Monachi sæpe dicti pervenit: cujus traditionem secutus in lingua Teutonica Versus, & Carmina scribere tentavit regulata.

Im Unterschied zum Artikel im Cathalogus illustrium virorum äußert Trithemius sich hier nicht über die konkrete Gestalt der Grammatik Karls (s. S. 6). Er

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»[...] quorum [sc. opuscula Otfridi] jam dudum in libro de Ecclesiasticis scriptoribus ad Joannem Dalburgium Wormatiensem Pontificem fecimus mentionem.« In den Schriftstellerverzeichnissen und im Chronicon Hirsaugiense bleibt er bei der allgemeineren Formulierung lingua teutonica. Zur Relativität von Dialektzuschreibungen s. bereits Anm. 5. »Carolus Imperator quondam Magnus, in omni littera studiosissimus, dolens linguam nostram Teutonicam, in qua natus erat, Barbaram, & sine decore contemni ab Italis, & Græcis, sibi persuasit ad regulas eam posse reduci Grammaticales. Convocatis igitur magistris suis, atque doctoribus, quos & plures habuit, & omnifariam eruditissimos, consilium mentis suæ coram eis exposuit; & eorum auxilio fretus, rem nimis arduam fortiter aggressus fuit. Verùm postquam rei stupendæ contulisset exordium, & jam regulas invenisset complures, alijs occupationibus, & arduis, & multis à proposito revocatus est: & negotium omnino dimisit imperfectum.«

32 bleibt an dieser Stelle bei der Charakterisierung ihrer Verwendung für die dichterische Produktion Otfrids im Sinne von Versuchen. Am weitesten gestaltet Trithemius den Zusammenhang Otfrids mit der Grammatik Karls des Großen in seinem geheimschriftlichen Werk Polygraphia (entstanden 1508, Erstdruck 1518) aus.49 In ihrem sechsten Buch erhalten die Berater Karls Namen, und Trithemius zitiert unter der Überschrift Ex grammaticis Otfridi monachi wissenburgensis eine Alphabetreihe aus der realiter vorliegend imaginierten Grammatik Otfrids, dem unmittelbaren Fortsetzer des unvollendet gebliebenen Werkes.50 Otfridus autem [...] sub Ludouico Pio ipsius Caroli filio grammatica illa quamvis imperfecte consecutus multa scripsit in lingua nostra germanica, quæ regularis institutionis mirandam sonare uidentur grauitatem. [...] Huius fragmenta grammatices assecutus et ego præsentes alphabeti characteres de multis extraxi, ne penitus perirent.51

Aus all dem wird jedenfalls klar, daß die Aussagen des Trithemius keine neuerliche Autopsie einer Otfridhandschrift oder ihr Vorhandensein in Würzburg voraussetzen, sondern ausschließlich auf dem gedruckten Wissen der Schriftstellerkataloge basieren. Die Zusammenhänge, für die Otfrid interessant war, konnte Trithemius auch ohne Handschrift ausgestalten. Für eine Antwort nach den Gründen, die hinter dem dringenden Begehren stehen, den Sponheimer Otfrid nach Würzburg zu erhalten, führen sie nicht weiter. Denkbar wäre unter dem Aspekt der bibliophilen Leidenschaft des Trithemius, daß er die Titel der zweiten Suchliste im Zuge des Neuaufbaus der Bibliothek von St. Jakob und für deren Aufwertung erwerben wollte.52 Dies erklärt aber nicht das spezielle Interesse an der Otfridhandschrift. Denkbar wäre desweiteren, daß Trithemius den Otfrid für seine 1515 abgeschlossene Vita beati Rabani Mauri einsehen wollte. Auch dies scheint aber nicht sehr wahrscheinlich, da der Codex keine weitergehenden Informationen enthält, die Trithemius nicht bereits bekannt gewesen wären.53 Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich aus der späteren Beschäftigung des Trithemius mit Otfrid kein plausibles Erklärungsmodell für die Frage nach dem »Hunc ante omnia cupio«.

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Vgl. dazu Arnold (Anm. 7), S. 190–195, 252f. Vgl. zu den weiteren Otfriderwähnungen und ihrem Zusammenhang zu den sprachphilosophischen und sprachhistorischen Erwägungen in der Polygraphia Hellgardt (Anm. 41), S. 360–366. Johannes Trithemius: Polygraphiæ libri sex Ioannis Trithemii ad Maximilianum Cæsarem. Basel 1518, Bl. B VI 8. Vgl. dazu Arnold (Anm. 7), S. 212–216. In der Vita beati Rabani Mauri bleiben unter dem Abschnitt B. Rabani sacerdotium: præfectura scholæ Fuldensis: discipuli die nicht aus Fulda stammenden Schüler des Hrabanus unerwähnt: »Ex aliis quoque cœnobiis ad se missos insignes habuit auditores multos, doctrina, & vitæ sanctimonia celeberrimos: quorum nomina per memoratum scriptorem [gemeint ist Meginfried, der im 14. Buch von De temporibus gratiæ deren Namen aufgeführt haben soll] expressa, nos isthic amore breuitatis obmisimus, ne tædium induceremus.« Zitiert nach: Acta sanctorum. Februar I. Antwerpen 1658, S. 522–539, hier S. 527.

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2.2 Der Codex germanicus monacensis 1454

2.2.1 Beatus Rhenanus und die Wiederentdeckung eines »Thesaurus egregius antiquitatis«55 Das Werk des römischen Geschichtsschreibers Titus Livius bildete, angestoßen durch Francesco Petrarca, einen der zentralen Beschäftigungsgegenstände des europäischen Humanismus vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Die verlorenen Dekaden aus Ab urbe condita waren ein dementsprechend begehrtes Objekt der humanistischen Handschriftensammler, die ihre Suche danach bis Skandinavien ausdehnten. 1515 wurden Fragmente in Mainz, 1531 in Basel aufgefunden.56 Der elsässische Humanist Beatus Rhenanus (1485–1547) publizierte 1535 gemeinsam mit Sigismund Gelenius eine annotierte Ausgabe der ersten drei Dekaden.57 Auch Beatus stellte im Zusammenhang dieses Editionsvorhabens Nachforschungen zu möglicherweise erhalten gebliebenen handschriftlichen Textteilen aus dem Werk des Livius an. 1530 stattete er während des Augsburger Reichstages Konrad Peutinger einen Besuch ab und tauschte sich mit ihm bei dieser Gelegenheit vor allem über die germanisch-deutsche Frühgeschichte aus. Er sah bei ihm unter anderem die berühmte, von Konrad Celtis entdeckte Tabula.58 Von Augsburg machte er, unter Umständen nach Hinweisen Peutin-

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Zuletzt zusammenfassend zur Wiederentdeckung und Forschungsgeschichte Karin Pivernetz: Otfrid von Weißenburg. Das Evangelienbuch in der Überlieferung der Freisinger Handschrift (Bayerische Staatsbibliothek München, cgm 14). 2 Bde. Göppingen 2000 (GAG 671), hier Bd. II, S. 38–46. Zu Leben und Werk im Überblick Ulrich Muhlack: Beatus Rhenanus (1485–1547). Vom Humanismus zur Philologie. In: Humanismus im deutschen Südwesten. Biographische Profile. Hg. von Paul Gerhard Schmidt im Auftrag der Stiftung »Humanismus heute« des Landes Baden-Württemberg. Stuttgart 2000, S. 195–220. Vgl. zur humanistischen Wiederentdeckung und Geschichte der Liviusüberlieferung: Giuseppe Billanovich: La tradizione del testo di Livio e le origini dell’umanesimo. Parte 1: Tradizione e fortuna di Livio tra medioevo e umanesimo. Padova 1981 (Studi sul Petrarcha 9). Ders.: Itinera. Vicende di libri e di testi I. Hg. von Mariarosa Cortesi. Roma 2004 (Studi e testi del rinascimento europeo 21), s. das Register s.v. Livio Tito. Michael D. Reeve: Beatus Rhenanus and the lost Vormaciensis of Livy. In: Revue d’Histoire des Textes 25 (1995), S. 217–254. Reinhard Düchting: Livius, Titus. In: Lexikon des Mittelalters V (1991), Sp. 2044f. Vgl. dazu Martine Chassignet: Beatus Rhenanus, éditeur de la première décade de TiteLive. In: Beatus Rhenanus (1485–1547). Lecteur et éditeur des textes anciens. Actes du Colloque International tenu à Strasbourg et à Sélestat du 13 au 15 novembre 1998. Hg. von James Hirstein. Turnhout 2000 (Studia humanitatis rhenana), S. 397–409. Virginie Pfeiffer: Beatus Rhenanus, éditeur de la troisième décade de Tite-Live. In: Ebd., S. 411–455. Zur Tabula Peutingeriana vgl. D’Amico (Anm. 69), S. 190f. Daß Beatus am Augsburger Reichstag (Juni 1530) teilnahm, ist nicht belegt (So etwa Pivernetz [Anm. 54], S. 38). In den Res Germanicae steht jedenfalls nur, daß er sich in Augsburg während des Reichstages aufhielt. Vgl. Res Germanicae (Anm. 59), S. 106. Zu seinem Besuch bei Peutinger in Augsburg Paul Joachimsen: Geschichtsauffassung und Geschichtschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus. Erster (einziger) Teil. Leipzig 1910 (ND Aalen

34 gers, einen Abstecher nach Freising, in die »bibliotheca diui Corbiniani«59, um dort nach den livischen Dekaden zu suchen: »nam Livianarum decadum gratia fueramus illuc profecti.«60 Seine diesbezüglichen Hoffnungen blieben indes unerfüllt. Er machte dort aber zufällig die Entdeckung einer anderen Handschrift, die er im zweiten Buch seiner im Folgejahr erschienenen Res Germanicae nach einer kurzen Schilderung ihrer Auffindung folgendermaßen einführt: Eius codicis hic est titulus, Liber Euangeliorum in Teodiscam linguam uersus. Constat autem ex rithmis totus. Atque ut antiquitatem eius tralationis non ignores, deprehendi librum excriptum abhinc annos fermè sexcentos, ut tum compositum credam quum Christo primum Franci nomen dedere. In fine enim ascriptum erat, Vualdo me fieri iussit. Sigefridus presbyter scripsi. Numeratur autem inter Frisingenseis episcopos Vualdo, ni fallor, decimus.61

Die Identität des beschriebenen Codex mit der Freisinger Otfridhandschrift (heute München, Bayerische Staatsbibliothek, cgm 14, im folgenden = F) ist gesichert durch die Nennung von Auftraggeber und Schreiber, die sich übereinstimmend mit Beatus’ Angaben im Subskript der Handschrift auf Bl. 125r findet.62 Den Namen des Schreibers Sigihardus verschrieb Beatus zu Sigefridus, woraus in der Folgezeit mehrfach Mißverständnisse resultierten.63 F wurde unter Bischof Waldo von Freising aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen 902 und 906 auf der Grundlage von V angefertigt.64 Beatus fand den

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1968) (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 6), S. 131. Vgl. auch: Briefwechsel des Beatus Rhenanus. Gesammelt und hg. von Adalbert Horawitz / Karl Hartfelder. Leipzig 1886 (ND Niewkoop 1966), S. 385, S. 387, S. 393, S. 395. Beatus Rhenanus, Rerum Germanicarum libri tres, Basel 1531, S. 107 (S. 256f.). Ich zitiere im folgenden nach dem Text der Erstausgabe und verweise zusätzlich auf die entsprechenden Seitenangaben der Edition und Übersetzung von Felix Mundt (Anm. 26). Res Germanicae (Anm. 59), S. 107 (S. 256f.). Seine Verbindungen zu Freising belegen zwei Briefe an Beatus, der eine vom Freisinger Domherrn Vitus Chrumerus (vom 18. April 1531), der andere von Johannes Aventinus (1531), die keine weiteren Informationen zum Evangelienbuch enthalten. Vgl. Horawitz / Hartfelder (Anm. 58), S. 395f. und S. 410. Res Germanicae (Anm. 59), S. 107 (Mundt [Anm. 26], S. 256f.). Vgl. Karin Schneider: Die datierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Teil 1: Die deutschen Handschriften bis 1450. Stuttgart 1994 (Datierte Handschriften in Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland IV, 1), S. 3f, mit Abb. 1. Vgl. auch Bernhard Bischoff: Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit. Teil I: Die bayrischen Diözesen. Wiesbaden 21960, S. 129f. Zuletzt zu Bl. 125r: Wolfgang Milde: Das ahd. »Gebet des Sigihard« und sein Schreiber. Eine paläographische Studie. In: Septuaginta quinque. FS für Heinz Mettke. Hg. von Jens Haustein, Eckhard Meinecke und Norbert Richard Wolf. Heidelberg 2000 (Jenaer germanistische Forschungen N.F. 5), S. 285–293. Die Benutzung Weißenburger Handschriften durch Beatus ist auch belegbar. Nach den obigen Ausführungen zu V (s. Kap. 2.1) muß man jedoch eine über Weißenburg vermittelte Kenntnis des Evangelienbuchs für ihn ausschließen. Vgl. von der Gönna (Anm. 92), S. 253. Vgl. die Angaben bei Kelle I (1856), S. 148. Vgl. dazu zuletzt Pivernetz (Anm. 54), Bd. II, S. 66–80. Aus historischer Sicht vgl. Josef Maß: Das Bistum Freising in der späten Karolingerzeit. Die Bischöfe Anno (854–875), Ar-

35 Codex also an seinem ursprünglichen Entstehungsort vor. Die wichtigste Besonderheit dieser frühmittelalterlichen Abschrift besteht auf der Ebene ihres Textbestandes darin, daß sie die Widmungsschreiben Otfrids an Ludwig den Deutschen, Liutbert von Mainz, Salomo von Konstanz und die St. Galler Mönche Hartmut und Werinbert nicht mitüberliefert. Das Kapitel I, 1 (Cur scriptor hunc librum theotisce dictaverit) bildet in F den Werkanfang. Der nur in den Zuschriften genannte Name des Autors kommt somit an keiner Stelle der Handschrift vor. D. h., Beatus Rhenanus konnte zwar die formale Gestalt und einen Titel des Ganzen angeben, der bei ihm nur geringfügig von dem auf Bl. 1r der Handschrift genannten abweicht.65 Einen Zusammenhang mit Otfrid von Weißenburg, dessen Namen ihm aus den Schriftstellerkatalogen des Trithemius geläufig gewesen sein kann, stellte er aber nicht her.66 Das wäre auch selbst dann nicht ohne weiteres möglich gewesen, wenn er F den Namen des Autors hätte entnehmen können. Einzig das F und Trithemius gemeinsame – in der Titelliste des Liber de scriptoribus ecclesiasticis freilich verschriebene – Stichwort Gratia Theotisce aus dem Incipit (Bl. 1r) hätte die Verbindung stiften können (s. S. 4).67 Beatus Rhenanus entdeckte in der unvollständigen Gestalt von F die Handschrift eines für ihn anonymen »Liber Euangeliorum in Teodiscam linguam uersus«. Er datiert ihn unter Bezug auf Waldo als Abschrift paläographisch korrekt ins frühe 10. Jahrhundert. Seine eigentliche Entstehung setzt er aber bedeutend früher an, indem er sie chronologisch in den Zusammenhang der Christianisierung der Franken am Ende des 5. Jahrhunderts einordnet: »[...] ut tum compositum credam quum Christo primum Franci nomen dedere.«68 Beatus beschreibt in den Res Germanicae die Geschichte der germanischen Stämme, schwerpunktmäßig der Franken und Alemannen, von ihren Anfängen bis ins 11. Jahrhundert.69 Für die Darstellung sind im zweiten Buch der Res vorwiegend ethnographische Aspekte leitend: »Hijs (sc. emigrationibus Francorum et Alemannorum) adiecturi nonnulla ad illustrandam antiquitatem

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nold (875–883) und Waldo (884–906). München 1969 (Studien zur altbayerischen Kirchengeschichte 2), S. 203–212. Vgl. Pivernetz (Anm. 54), Bd. I, Bl. 1r. In seiner fast vollständig erhaltenen Bibliothek sind die Verzeichnisse von Trithemius nicht nachweisbar. Daß er sie dennoch kannte, geht aus seinem Briefwechsel hervor. Vgl. Horawitz / Hartfelder (Anm. 58), S. 24 und S. 460. Den Konnex zwischen F und Otfrid sieht als erster Matthias Flacius Illyricus in seiner Otfridausgabe von 1571. In den Res Germanicae ist der Bezug erst in der dritten Ausgabe (Straßburg 1610, S. 201) durch die Randnotiz »Otfridi Monachi editus Basilea 1571« hergestellt. Res Germanicae (Anm. 59), S. 107 (Mundt [Anm. 26], S. 256f.). Vgl. ausführlich zu Inhalt, Gliederung und Quellenverarbeitung die Studien von Mundt (Anm. 26), S. 572–585. Vgl. auch John F. D’Amico: Theory and Practice in Renaissance Textual Criticism. Beatus Rhenanus between Conjecture and History. Berkeley – Los Angeles – London 1988, S. 185–205. Joachimsen (Anm. 58), S. 131–146. Brigitte RistowStieghahn: Zur Geschichtsschreibung des Beatus Rhenanus. In: PBB 25 (1973) [FS für Ingeborg Schröbler], S. 362–380.

36 pertinentia de moribus, lingua, cultùque quorundam populorum.«70 Seinen chronographischen Ausgangspunkt bildet die Schlacht von Zülpich mit dem Sieg der Franken über die Alemannen und der Taufe Chlodwigs (im Jahr 499/500):71 Porrò tanti fuit Luduicho [= Chlodwig] uicisse bellicosissimam gentem, ut non detrectaret doctrina Christianæ pietatis imbutus, baptismo tingi, Remigio sacrorum antistite. [...] Exemplum regis, proceres æmulati sunt, & cœpit Francia paulatim tota Christiana fieri. Nam plurimis Gallorum Christus ignotus non erat, quippe Prouincialibus.72

Genau zur Zeit dieses historischen Schlüsselereignisses, »quum Christo primum Franci nomen dedere« (S. 108), das Beatus gleichsam zu einem »Wendepunkt der deutschen Geschichte«73 stilisiert, setzt er die Entstehung des Evangelienbuchs an. Er führt es unter der Überschrift »Franci germanica sunt usi lingua« ein. Es kommt ihm entschieden auf das hohe Alter des Textes an, den er als »egregius thesaurus antiquitatis« bezeichnet. Mit ihm führt er den Nachweis, daß sich die Franken schon in frühester Zeit der deutschen Sprache, nicht der romanischen (französischen) bedienten. Beatus beläßt es aber nicht bei diesen kursorischen Verweisen, die sich schon früher bei ihm finden, sondern bietet zum ersten Mal überhaupt mehrere kurze Auszüge aus dem Evangelienbuch, die als schriftsprachige Belege für seine These fungieren. Dies erhöht ihre argumentative Qualität eminent.74 Sprache ist seiner Auffassung nach generell ein konstantes und stabiles, nur unter extremen Bedingungen mutierendes Phänomen.75 Es geht Beatus insbe-

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Res Germanicae (Anm. 59), S. 82 (Mundt [Anm. 26], S. 202f.). Vgl. Res Germanicae (Anm. 59), S. 82f. (»Francorum adversum Alemannos uictoria. Apud Tolbiacum«) (Mundt [Anm. 26], S. 202f.). Ebd., S. 83f. Vgl. auch S. 82 und zur weiteren Geschichte der äußeren und inneren Christianisierung, S. 84–87 (»Status Alemanniæ post eam victoriam«), S. 91–94 (»Pietas Francorum et de templis ac hospitalibus Scotorum«) (Mundt [Anm. 26], S. 206–213, S. 222–223). Joachimsen (Anm. 58), S. 135. Vgl. dazu auch Mundt (Anm. 26), S. 572. Die These, daß die Germanen eine von den Galliern verschiedene Sprache gesprochen haben, findet sich erstmals bereits in Beatus’ Commentariolus zur Germania des Tacitus von 1519. Vgl. Joachimsen (Anm. 58), S. 128 mit Anm. 105 und James S. Hirstein: Tacitus’ Germania and Beatus Rhenanus (1485–1547). A Study of the Editorial and Exegetical Contribution of a Sixteenth Century Scholar. Frankfurt a. M. u.a. 1995 (Studien zur klassischen Philologie 91), S. 101–117. Zu dem damit in enger Verbindung stehenden Nationalgedanken aus biographischer Sicht vgl. Muhlack (Anm. 55), S. 199–202. Vgl. Res Germanicae (Anm. 59), S. 80. Es heißt an dieser Stelle mit Verweis auf die Annalen des Tacitus (Lib. XXX), daß die Tenkterer den Ubiern bei ihrer Wiedereingliederung in den germanischen Stammesverband den Rat gegeben hätten, »instituta cultumque patrium« wiederanzunehmen. In bezug auf die Sprache sei ein solcher Rat aber überflüssig: »Nihil addunt de lingua. Nam hæc difficulter & sero dediscitur, non mutanda nisi populum ipsum excindi contingat, quod Langobardis accidit in Italia, aut temporum prolixitate paulatim absorberi. quod Burgundionibus & alijs gentib. euenisse satis manifestum est.« Auf synchroner Ebene sieht er Sprache dennoch als vermischt und unrein an: »Nam puto hodie linguas omneis nonnihil esses mixtas, et puram nullam.« (Ebd., S. 110). (Mundt [Anm. 26], S. 196, S. 264f.)

37 sondere darum, eine autonome, über einen möglichst langen Zeitraum ausgedehnte, kontinuierliche Sprachentwicklung der germanischen Sprache aufzuzeigen, die er von der Christianisierung bis zu seiner Gegenwart gehen läßt.76 In diesem diskursiven Kontext innerhalb der Res Germanicae sind die Zitate aus dem Evangelienbuch zu verstehen. Die insgesamt vier Auszüge stammen alle aus dem Kapitel I, 1, dem Anfang des Werkes in F. Beatus setzt die Halbverse im Druck untereinander und läßt alle Akzente seiner Vorlage fort:77 1. I, 1,113f.: Bl. 3r Nu uuil ich scriban unser heil Euangeliono deil, So uuir nu hiar bigunnon In Frenkisga zungun.

[F: uuilih, vnser]

2. I, 1,121-124: Bl. 3r Hiar hores io zi guate Vuaz got imo gebiete Thaz uuir imo hiar sungun In frenkisga zungun.78 Nu freuues sihes alle So uuerso uuola uuolle, Ioh uuer si hold in muate Francono thute.

[F: Uuaz, gibiete]

[F: freuuen, sih es] [F: Ioh so vuersi] [F: thiete]

Die beiden ersten Zitate erhärten durch einfache Wortbelege die These, daß die Franken eine lingua germanica (frenkisga zungun) gesprochen haben. Fränkisch bezeichnet nach dem Ausweis der Stellen aus dem Evangelienbuch eben gerade nicht die romanische Sprache. Im Anschluß an das von Beatus als initium der Vorrede bezeichnete, erste Zitat betont er die gute Verständlichkeit des Textes: Qui Germanicè callet, satis intelligit ista uerba, nisi quod hodie paulo aliter scribimus & proferimus, non addentes alicubi tot uocales, alicubi plureis adijcientes. (Res Germanicae [Anm. 59], S. 107)

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Vgl. Res Germanicae (Anm. 59), S. 80 (Mundt [Anm. 26], S. 196), wo er gegenüber denjenigen, die meinen, daß Germanen und Gallier einst dieselbe Sprache gesprochen hätten, die Auffassung ihrer sprachlich eigenständigen Entwicklung vertritt: »Vel hic locus [sc. Tacitus, Germania] satis reprehendat errorem eorum, qui putant Germanorum & Gallorum olim eandem fuisse linguam.« Um den Nachweis der Zugehörigkeit der Burgunder und Langobarden zur germanischen Sprachgemeinschaft bemüht er sich in den Abschnitten »Burgundiorum popularis sermo fuit Germanicus« (S. 108) und »Langobardi Germanica lingua usi« (S. 109). (Mundt [Anm. 26], S. 260f., S. 262f.) Alle Zitate nach: Res Germanicae (Anm. 59), S. 107 (Mundt [Anm. 26], S. 256–259). Apparat in [ ] nach der Textwiedergabe von Pivernetz (Anm. 65), Bd. I. Dieser Halbvers ist in F mit heller, frühneuzeitlicher Tinte unterstrichen (Befund nach Mikrofilm der BSB München). Vgl. Pivernetz (Anm. 65), Bd. I, Bl. 3r.

38 Er stellt im Vergleich zum Deutschen seiner Gegenwart eher die Gemeinsamkeiten in mündlicher und schriftlicher Form als ihre Unterschiede heraus. Bereits das Weglassen bzw. Hinzufügen einiger Vokale ermögliche einen Zugang zum Verständnis. Nur das Verb bigunnen sei nicht allen Germanen als Entsprechung zu lateinisch incipere vertraut. Die Auszüge Nr. 3 und Nr. 4 fügen den bisher genannten Argumenten volkssprachige Belege für die Tapferkeit der Franken hinzu. Diese stelle sie zum einen im Völkervergleich auf eine Ebene mit den Römern, was selbst die Griechen nicht hätten bestreiten können.79 Zum anderen bezeuge die Semantik des Wortes thegan, das bei den Franken »ad arma prompti, & uiri fortes« bezeichnet habe, die fränkische animositas. Aus thegan leiteten sich etymologisch die Namensbildungen Deganbert, Dagobert und Degenhard her.80 3. I, 1,59f.: Bl. 2r: Sie sint so sama kuani Selpso thio Romani. Nu darf man thaz ouch redino, Thaz kriachi nith es uuidaron.

[F: Selp so, romani] [F: Ni, VP: redinon] [F: inthes]

4. I,1,64: Bl. 2r: Zi uuafane snelle So sint thie thegan alle.

Beatus ordnet die nicht in der ursprünglichen Abfolge von I, 1 stehenden Zitate geschickt an und suggeriert durch den Hinweis, es handle sich um das initium einer præfatio elegantissima sowie die eingefügten Verweise Item paulo post Textkohärenz. Ausschließlich das letzte Zitat ist gekennzeichnet als aus einer anderen Stelle (alio loco) entnommen. Er bringt unmittelbar nach den Otfridzitaten noch einige weitere Belege zur Untermauerung seiner These, die seine Argumentation inhaltlich ergänzen: Beatus verweist auf die hohe Bedeutung der frühen Verschriftlichung des Deutschen im Vergleich zum Gebrauch des Lateinischen mit Verweis auf die besonderen Verdienste Maximilians in diesem Zusammenhang.81 Er führt ein zweites handschriftliches Zeugnis an, einen deutschen Psalter in der Art des Evangelienbuchs, den er bei Johannes Huttich in Straßburg gesehen hat. Zitate daraus führt er nicht an: »Huius generis Psalterium uidimus apud Ioannem Huttichium nostrum Argentorati.«82 Als Beleg der Sprachverwandtschaft des

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Die Verschreibung von Ni zu Nu verkehrt den ursprünglichen Sinn ins Gegenteil. Es fehlt außerdem das n im Auslaut von redinon. Beatus versteht den Text trotzdem offenbar sinngemäß richtig. Vgl. Res Germanicae (Anm. 59), S. 108 (Mundt [Anm. 26], S. 258f.). Zur Bildung von Etymologien bei Rhenanus vgl. Joachimsen (Anm. 58), S. 128. Zum Lob Maximilians I. bei Rhenanus vgl. Muhlack (Anm. 55), S. 202 und S. 204f. Vgl. Res Germanicae (Anm. 59), S. 108 (Mundt [Anm. 26], S. 258f.). Johannes Huttich (1490–1544) gehörte zum Freundeskreis des Beatus Rhenanus und des Erasmus. Vgl. Heinrich Grimm: Huttichius. In: NDB 10 (1974), S. 105f. Ilse Guenther: Johann Hut-

39 Fränkischen mit dem Sächsischen verweist er auf eine Anekdote aus den Annales Francorum, nach welcher der Sachsenfürst Berchtold den Frankenkönig Lothar mit Worten in der Barbara uoce provoziert habe. Daraus müsse man schließen, daß er ihn auch verstehen konnte: »Igitur Saxonum sermo linguæ Francorum affinis debuit, alioqui qui potuisset commoueri Luitharius, si conuicium non intellexisset?«83 Am Ende des Abschnitts stehen der Hinweis auf die volkssprachige Benennung der Monatsnamen durch Karl den Großen84 und die Vielzahl der Entlehnungen des Romanischen und Provenzalischen aus dem Germanischen, die Beatus bis in die Gegenwart belegen könne. Beispiele dafür nennt er allerdings keine.85 Der Abdruck der althochdeutschen Zitate, von dem Beatus Rhenanus selbst sagt, sie seien »nulla litera mutata« (S. 107), ist in der Tat qualitativ gut.86 Der an allen Stellen vorzüglich lesbare Text von F stellte einen geübten Handschriftenleser wie Beatus kaum vor größere Schwierigkeiten. Abgesehen davon hatte er nach der Einsicht in die Handschrift und der Entnahme der zitierten Stellen sowie den Informationen aus dem Subskript keine weiteren Pläne zu ihrer Ausleihe oder zu ihrem Erwerb, etwa für eine spätere Edition des ganzen Textes.87 Ich resümiere: Der Liber Evangeliorum ist für Beatus Rhenanus ein herausragendes Zeugnis, das es ihm ermöglicht, die These vom hohen Alter und der autonomen Entwicklung des Deutschen anhand einer volkssprachigen, realiter

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tich. In: Contemporaries of Erasmus. A biographical register of the renaissance and reformation. Vol. 2 (F–M). Hg. von Peter G. Bietenholz. Toronto 1986, S. 220f. Bei dem volkssprachigen Psalter könnte es sich – wie bei dem von Trithemius als Werk Otfrids veranschlagten – wieder um eine Handschrift des Notkerschen Psalters handeln (s. S. 28). Ob und wo der Nachlaß von Huttich erhalten ist, geht aus der Literatur nicht hervor. In der Bibliothèque nationale et universitaire Strasbourg ist keine dafür in Frage kommende Handschrift erhalten. Vgl. Adolf Becker: Die deutschen Handschriften der kaiserlichen Universitäts- und Landesbibliothek zu Straßburg. Straßburg 1916 (Katalog der kaiserlichen Universitäts- und Landesbibliothek in Strassburg). Vgl. Res Germanicae (Anm. 59), S. 108 (Mundt [Anm. 26], S. 258f.). Von dieser Anekdote gibt es verschiedene Fassungen, bei Aimoin von Fleury, in den Gesta Dagoberti und im Liber historiæ Francorum. Vgl. Deutsche Sagen. Hg. von Jacob und Wilhelm Grimm. Vollständige Ausgabe nach dem Text der 3. Auflage 1891. München 1956, Nr. 435. Quellen zur Geschichte des 7. und 8. Jahrhunderts. Unter der Leitung von Herwig Wolfram neu übertragen von Andreas Kusternig. Darmstadt 1982 (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 4a), S. 362f. (Fassung der Historia Francorum). Nach Einhards Vita Karoli Magni, Cap. 29 (Erstdruck 1521). Interessant ist, daß Beatus in diesem Kontext nicht auf die Grammatik Karls und die »carmina barbara et antiquissima« hinweist. Vgl. Res Germanicae (Anm. 59), S. 108 (Mundt [Anm. 26], S. 260f.). Abgesehen von vier Verschreibungen betreffen alle anderen Unterschiede gegenüber dem Manuskript, die Differenzierung zwischen u / v, die scriptio continua und die Groß- / Kleinschreibung. Diese Vorgehensweise ist für mehrere andere Quellen der Res belegt. Vgl. Muhlack (Anm. 55), S. 209.

40 als Codex vorliegenden Quelle evident zu machen.88 Der ›humanistische‹ Aspekt der Zitate besteht im Zusammenhang säkularer Historiographie darin, mit einem egregium thesaurus antiquitatis auf die Anfänge der germanischen Stämme und ihre bis in die Gegenwart ungebrochene Kontinuität hinzuweisen, und auf diese Weise einen Teilbereich der eigenen Vergangenheit zu erforschen. Denn: Seit der durch das Barbarenverdikt veranlaßten Suche der deutschen Humanisten nach einem eigenen deutschen Vergangenheitsbild ist die Erforschung des deutschen Altertums ein wissenschaftlicher Gegenstand.89

Der spezifisch ›philologische‹ Aspekt seiner Darstellung besteht in der Tatsache, daß er überhaupt zwischen Entstehungszeit des Textes und der Zeit seiner Abschrift differenziert, seine These am Text absichert und um ein adäquates Textverständnis bemüht ist. Wie bedeutend das ist, belegen im Vergleich dazu seine Quellen für die Abschnitte zur Sprache der Burgunder (Sidonius Appolinaris) und der Langobarden (Leges Langobardorum, in die immerhin einige »uocabula nostræ linguæ sunt passim inserta«).90 Seine Textzitate markieren den Beginn der Auseinandersetzung mit Otfrids Evangelienbuch auf textueller Ebene. Die Exzeptionalität, die muttersprachigen Aussagen vorlegen zu können, betont er nochmals am Ende des zweiten Buches: Olim non scribebat, ut diximus, perinde nihil nostratrium dictionum temere reperias in uetustis spectationibus aut libris, exceptis codicibus illis Francicè uersis quorum ante memini.91

2.2.2 Die Otfridkenntnis des Beatus Rhenanus vor 1530 Sigrid von der Gönna entdeckte im hinteren Einband eines Sammelbandes aus der Bibliothek des Beatus Rhenanus (Sélestat, Bibliothèque Humaniste, Cod. 857) mit Drucken vorwiegend historischen Inhalts einen Eintrag von der Hand des Beatus, der die Verse 7–10 aus Buch II, 23 des Evangelienbuchs

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90 91

Zur Rolle des Evangelienbuchs im gesamten Quellenspektrum der Res Germanicae vgl. D’Amico (Anm. 69), S. 198f. Franz Josef Worstbrock: Über das geschichtliche Selbstverständnis des deutschen Humanismus. In: Historizität in Sprach- und Literaturwissenschaft. Vorträge und Berichte der Stuttgarter Germanistentagung 1972. In Verbindung mit Hans Fromm und Karl Richter hg. von Walter Müller-Seidel. München 1974, S. 499–519, hier S. 518. Vgl. speziell zu Beatus: Muhlack (Anm. 55), S. 202. Res Germanicae (Anm. 59), S. 109 (Mundt [Anm. 26], S. 262f.). Vgl. ähnlich D’Amico (Anm. 69), S. 199 und Muhlack (Anm. 55), S. 213. Res Germanicae (Anm. 59), S. 112 (Mundt [Anm. 26], S. 268f.). Vgl. im Unterschied dazu die Bemerkung, die Verschriftlichung des ungaricus sermo habe erst zu seiner Gegenwart eingesetzt. Vor diesem Hintergrund ist auch sein Verweis auf das Einsetzen volkssprachlicher Schriftlichkeit in bezug auf das Verfassen von Urkunden (diplomata), zu verstehen. Sie waren vorher ausschließlich im sermo latinus gehalten, und nach ihnen ließ Maximilian suchen. Ebd., S. 108 (Mundt [Anm. 26], S. 258f.).

41 enthält.92 Auf der Grundlage des Besitzvermerkes und des Bindedatums des Bandes datiert sie dieses Notat in die Zeit »zwischen 1525 und 1529, am wahrscheinlichsten [...] 1529.«93 Das bedeutet zunächst nicht mehr, als daß Beatus Rhenanus bereits vor seinem Freisinger Fund 1530 zur Kenntnis eines Teils des Evangelienbuchs und seines Autors gelangt sein muß. Von der Gönna geht aber noch weiter: In den Otfridversen warnt Jesus vor den falschen Propheten, die als Wölfe in Schafspelzen auftreten (Mt 7,15). Dies interpretiert sie biographisch und stellt die Verse näherhin in den Zusammenhang »der antireformatorischen Wende des Beatus um 1525/26«94. Die falschen Propheten als Wölfe in Schafspelzen seien mit jenen Reformatoren identisch, von denen Beatus sich in eben diesen Jahren abgewandt habe. Als Problem kommt hinzu – was von der Gönna nicht bemerkt hatte –, daß Konrad Gesner (1515–1565) genau dasselbe Textstück aus dem Evangelienbuch in seiner Vorrede zu Josua Maalers Dictionarium Germanicolatinum novum von 1561 zitiert.95 Ich stelle beiden den ›originalen‹ Text Otfrids (II, 23, 7–10) voran:96 Wártet iu io hárto fon fórasagon lúggen; Sie sínt iu in ánaratin thar buent ínne in wáre Beatus Rhenanus: Vuártet úí íó hárto Fon fóra sagen lúggen Sie sínt íú mónarahe Thar bnent ínne munare Hæc Otfridus Theotiscus monachus Anno DCCCXX

fon dríagero wórto, thes scúlut ir io gihúggen. in scáfinen giwátin, wólva filu suáre.

dríager mórto thes scúlut ir íó ihúggen in scáfinen gumátin uúolua filu suáre

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96

Vgl. Sigrid von der Gönna: Beatus Rhenanus und Otfrid von Weissenburg. Zur OtfridÜberlieferung im 16. Jahrhundert. In: ZfdA 107 (1978), S. 248–257, hier S. 248–250. Von der Gönna (Anm. 92), S. 250. Von der Gönna (Anm. 92), S. 250f. Vgl. Ernst Hellgardt: ... der alten Teutschen spraach und gottesforcht zuerlernen. Über Voraussetzungen und Ziele der Otfridausgabe des Matthias Flacius Illyricus (Basel 1571). In: FS Walter Haug und Burghart Wachinger. Bd. 1. Hg. von Johannes Janota, Paul Sappler, Frieder Schanze, Konrad Vollmann, Gisela Vollmann-Profe, Hans-Joachim Ziegeler. Tübingen 1992, S. 267–286, hier S. 273f. Nach Otfrids Evangelienbuch. Hg. von Oskar Erdmann. Sechste Auflage besorgt von Ludwig Wolff. Tübingen 1973 (ATB 49). Das Notat von Beatus nach von der Gönna (Anm. 92), S. 249. Das Zitat Gesners nach Conradi Gesneri ad lectorem præfatio. In: Josua Maaler: Die Teütsch spraach. Dictionarium Germanicolatinum [Zürich 1561]. Mit einer Einführung von Gilbert de Smet. Hildesheim – New York 1971 (Documenta Linguistica. Quellen zur Geschichte der deutschen Sprache des 15. bis 20. Jahrhunderts. Reihe I: Wörterbücher des 15. und 16. Jahrhunderts), Bl. 6v.

42 Konrad Gesner: Vüartet iü io harto driagero morto. Fonfora sagen luggen thei sculut ir iog. Hügisichin iu manaratin inscimen gumatin. Tharbuent inne muuare miblua filu suare.

Die im Vergleich zu den Zitaten von 1531 zahlreichen und untypischen Fehler von Beatus’ Eintrag gegenüber dem nahezu buchstabengetreuen Editionstext sind markant (Wortauslassung fon, Buchstabenverwechslungen und -vertauschungen) und brauchen nicht en detail analysiert zu werden.97 Es scheint mir jedenfalls problematisch, den Inhalt der Otfridverse als stichhaltiges Argument für die von von der Gönna vorgeschlagene Datierung zu verwenden, da Beatus den Sinn der extrem entstellt wiedergegebenen Verse wohl kaum verstehen konnte. Die lateinische Marginalie in den Otfridhandschriften (»Attendite a falsis prophetis«) scheidet an dieser Stelle als Argument für genaueres Textverständnis aus, da sie in dem Eintrag fehlt und wir nicht mehr sagen können, ob sie in der Vorlage von Beatus enthalten war.98 Das Zitat Gesners zeigt gegenüber dem Eintrag des Beatus teilweise identische bzw. ähnliche Fehler (Wortauslassung fon, Verschreibungen morto, gumatin, munare / muuare), so daß man am ehesten eine gemeinsame handschriftliche Vorlage annimmt, die heute verschollen ist. Die bei Beatus noch mit größerem Spatium abgesetzt geschriebenen Langverse sind bei Gesner zusammengerückt. Verschiedene Trennfehler könnten allerdings auch an zwei voneinander unabhängige Quellen denken lassen: driager / driagero; thes / thei; íó ihúggen / iog; Sie sínt / Hügisichin; scáfinen / inscimen; uúolua / miblua. Einen (heute nicht identifizierbaren) Druck als unmittelbare Vorlage anzunehmen, erscheint deshalb nahezu ausgeschlossen. Für eine Quelle spricht vor allem die beiden gemeinsame (falsche) Datierung des Textes auf das Jahr 820 (DCCCXX), bei Gesner trotz Bezugnahme auf Trithemius, der auf 870 (DCCCLXX) datiert (s. S. 5).99 Auch wenn Gesner das Zitat explizit als specimen bezeichnet, ist es unwahrscheinlich anzunehmen, daß er zufälligerweise eben die gleichen Verse wie Beatus aus einem größeren Stück des Evangelienbuchs auswählte. Es ist plausibler davon auszugehen, daß es sich auch bei der gemeinsamen Quelle nicht um eine mehr oder weniger vollständige Otfridhandschrift, sondern selbst bereits um ein frühneuzeitliches Exzerpt handelt, das genausoviel oder nicht viel mehr als die zitierte Passage umfaßte.100 Der Eintrag des Beatus wäre somit als

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Zu handschriftennahen Abgleichen mit der heute bekannten Otfridüberlieferung vgl. Kleiber / Heuser I, 1 (2004), Bl. 70v; Kleiber / Heuser II, 1 (2006), Bl. 72vf.; Pivernetz (Anm. 65), Bl. 42rv. Digitalisat von P: URL: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/cpl52 (4.8.2005). Die erhaltenen Wolfenbütteler Fragmente aus D von II, 23 (Kleiber / Heuser II, 1 [2006], Bl. 4r) brauchen hier nicht in Erwägung gezogen zu werden. Vgl. von der Gönna (Anm. 92), S. 250, Anm. 8. Vgl. Conradi Gesneri ad lectorem præfatio (Anm. 96), Bl. 6v: »circa annum Domini DCCCXX«. Vgl. anders von der Gönna (Anm. 92), S. 255.

43 sekundäres Zeugnis, als Kopie eines Exzerptes einzustufen. Auf diese Weise lassen sich Textidentität und Bindefehler plausibel erklären. Ob dieses Exzerpt wiederum auf eine der zum heutigen Bestand der Otfridüberlieferung gehörenden Handschriften oder eine (integre oder fragmentarische) verlorene zurückgeht, läßt sich nicht mehr sagen.101 Für die beiden Testimonien des Beatus Rhenanus bedeutet dies in der Konsequenz, daß zu trennen ist zwischen seiner Otfridkenntnis und seiner Kenntnis des Evangelienbuchs. Im ersten, früheren Fall rezipiert er offenbar ein Textstück eines »Otfridus Theotiscus Monachus«, ohne in diesem Zusammenhang etwas vom Evangelienbuch zu wissen. Im zweiten, späteren, rezipiert er einen deutschen Liber Evangeliorum, ohne ihn mit seinem Autor in Verbindung zu bringen. Durch die Auszüge des Beatus aus dem Evangelienbuch und vor allem durch die genaue Benennung des Aufbewahrungsortes der Handschrift war ihre Verfügbarkeit und Benutzbarkeit für andere Rezipienten in der Folgezeit gesichert. Dies belegen jedenfalls teils mittelbar, teils unmittelbar durch ihn angestoßene Bezugnahmen auf den Freisinger Otfrid bereits kurze Zeit nach dem Erscheinen der Res Germanicae. Johann Eck beruft sich 1537 auf den Freisinger Otfrid im Rahmen seiner als Gegenstück zur Lutherbibel konzipierten Bibelübersetzung. Der Bezug auf die Res ist zunächst nur mittelbar, da er die Handschrift selbst eingesehen hat, wie die korrekte Wiedergabe des Schreibernamens zeigt: Wie dan in teütschen landen auch die selbigen seind in teutscher zungen vor vil hundert iaren vertolmetscht worden: wie anzaigt das alt Euangeli bGch in Frenckischer zungen geschriben das / mir der (...) Herr Philipp Bischoue zG Freisingen (...) auch der selben exemplar ains gelihen / das Bischoue Vualdo sein vorfaren hat schreiben lassen / wie der schreiber priester Sighard bezeügt: Hat aber Vualdo regiert / wie brieue vnd annales vrkund geben / als man zelt achthundert vn neüntzug jar:

Dann greift auch er in Anlehnung an Beatus Rhenanus und am Beispiel von F das Argument von der frühen Verschriftlichung des Deutschen gegenüber anderen Sprachen auf, auch wenn er keine vollständige Bibelbearbeitung gesehen habe:102 Sehend nun die zG: die mainend vor fünfhundert jaren hab man nit teütsch künden schreiben / wie dan Behemisch / Hungarisch / vn Polnisch newlicher jar seind in die gschrift bracht worden.103

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Aus dem Bestand der heutigen Otfridüberlieferung käme am ehesten die Wiener Handschrift in Betracht, weil die Initiale V dort und bei Beatus in Capitalis quadrata geschrieben ist. Außerdem steht das Exzerpt in V ganz oben auf der Seite (Bl. 70v, Z. 2). Vgl. von der Gönna (Anm. 92), S. 254. Zu den anderen Otfridhandschriften s. Anm. 97. S. Anm. 91. Beide Zitate nach Johann Eck: Bibel. Alt vnd new Testament nach dem Text in der hailigen kirchen gebraucht durch doctor Johann Ecken mit fleiß auf hohteutsch verdolmetscht. Ingolstadt 1537, Bl. ijrv.

44 Bei Sebastian Francks Otfriderwähnungen im Germaniæ Chronicon (1538) ist der Bezug auf die Res Germanicae dagegen von vorneherein offengelegt und steht im weiteren Zusammenhang der Frage nach der Herkunft Karls des Großen und seiner Kinder.104

2.2.3 Von Freising nach München Die Abschrift des Sigihardus ist da liegen geblieben, wo sie entstanden war, in Freising. [...] Im Jahre 1565 fand sie der Freisinger Bischof Herzog Ernst von Baiern in einer alten Kiste. Zur Zeit [des Historiographen Freisings] Meichelbecks (gest. 1734) war sie wieder in der Dombibliothek, mit der sie am Anfange unseres Jahrhunderts nach München gekommen ist.105

Mit diesen Worten faßt Johann Kelle treffend die weiteren Schicksale der Handschrift zusammen. Seine Darstellung ist nur in einigen Details zu modifizieren: Die Handschrift blieb bis zur Säkularisation (1803) Bestand der Freisinger Dombibliothek bzw. des Domarchivs und war offenbar in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tatsächlich über einen kürzeren Zeitraum verschollen. 1582 vermeldet Wiguleus Hund ihre Wiederauffindung durch Bischof Ernst (1554–1612): Extat liber aliquandiu desideratus, sed per Reuerendissimum ac Illustrissimum Principem, D. Ernestum, &c. fortè fortuna in quadam cista iterum reppertus; antiquitatis ergò venerandus ac videndus.106

Da Ernst erst 1566 (im Alter von zwölf Jahren) zum Bischof von Freising ernannt wurde, ist das von Kelle angegebene Jahr 1565 als Zeitpunkt ihrer Wiederauffindung auszuschließen.107 Johann Christian von Aretin (1773–1824) erwähnt im 18. Brief (13. Juni 1803) seiner »Geschäftsreise in den bayerischen Abteyen« ein der Handschrift F beiliegendes Schreiben von Herzog Wilhelm (1548–1626) an dessen Bruder Ernst, in dem er die Übersendung der Handschrift wünscht.108 In diesem auf den 16. Oktober 1580 datierten »Akten-

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Sebastian Franck: Germaniæ Chronicon: von des gantze Teutschlands aller Teutschen voelcker herkommen […]. Augsburg 1538, Bl. LXXV. Johann Kelle: Geschichte der Deutschen Litteratur von der ältesten Zeit bis zur Mitte des elften Jahrhunderts [Erster Band]. Berlin 1892, S. 180f. Wiguleus Hund, Metropolis Salisburgensis, Ingolstadt 1582, S. 40. Vgl. zu Ernst: Manfred Weitlauff: Die Reichskirchenpolitik des Hauses Bayern im Zeichen gegenreformatorischen Engagements und österreichisch-bayerischen Gegensatzes. In: Wittelsbach und Bayern. Bd. II, 1: Um Glauben und Reich. Kurfürst Maximilian I. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1573–1657. Hg. von Hubert Glaser. München – Zürich 1980, S. 48–76, hier S. 53. Vgl. Johann Christian von Aretin: Fortsetzung der Briefe über meine literarische Geschäftsreise in die baierischen Abteyen. Achtzehnter Brief [13. Juni 1803]. In: Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek. Hg.von Johann Christian von Aretin, Bd. 4, 2. Stück. München 1805, S. 179–192,

45 stück«109 ist zwar die gewünschte Handschrift nicht genannt, der Bezug auf F aber eindeutig.110 Immerhin bietet es einen konkreten Anhaltspunkt für den Zeitpunkt der Wiederauffindung von F am Anfang der 80er Jahre des 16. Jahrhunderts.111 Auf den Wunsch Wilhelms hin initiierte Ernst damals die Suche nach der unbeachtet in einer Kiste aufbewahrten Handschrift und konnte sie wieder finden.112 Der Handschrift lag laut Aretin noch ein zweites (undatiertes?) Schreiben bei, in dem Bischof Ernst seinen Freisinger Statthalter Ludwig Römer auffordert, den Codex nach München zu schicken. Die Handschrift wurde daraufhin an den Münchener Hof gesandt und, wie man aus der Erwähnung Hunds ableiten mag, bald wieder nach Freising zurückgestellt.113 1724 gibt Karl Meichelbeck (1669–1734) im ersten Band seiner Historia Frisingensis eine knappe Beschreibung des Handschrifteninhaltes mit genauem Incipit und Explicit und unterscheidet richtig zwischen Autor, Auftraggeber und Schreiber.114 Er kündigt ebenda auch die kurz bevorstehende Edition des Evangelienbuchs durch einen »vir eruditissimu[s]« auf der Grundlage einer anderen, aber F sehr ähnlichen Handschrift an. Gemeint ist die Ausgabe in Johann Schilters Thesaurus (s. dazu Kap. 5.4). Unter der Mithilfe Meichelbecks wurde F für ca. sechs bis zehn Monate (ca. Mai 1724 bis Januar 1725) an die Benediktinerabtei Göttweig ausgeliehen, wo Abt Gottfried Bessel (1672–1749) eine Abschrift von ihr nehmen ließ. Auch dieser trug sich mit Editionsplänen des Evangelienbuchs, die wohl durch die Schiltersche Ausgabe hinfällig wurden (s. dazu Kap. 3.1.3).115 In den großen Bücherbewegungen der Säkularisation scheint die Handschrift zunächst verloren.116 Der für die Aufhebung der Klosterbibliotheken zuständige

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hier S. 182. Neuausgabe in: Johann Christoph von Aretin. Briefe über meine literarische Geschäftsreise in die baierischen Abteyen. Mit einer Einführung hg. von Wolf Bachmann. München 1971, S. 104–107, hier S. 107. Aretin (Anm. 108), ebd. Dieses Aktenstück ist heute verschollen. Dies scheint auch vom Alter des Bischofs her wahrscheinlicher zu sein. Darauf bezieht sich folglich das »aliquandiu desideratus« bei Hund (Anm. 106). Inhalt und Sprache der Handschrift werden mit »das alte Testament, so in der gar alten Fränkischen Sprache geschrieben war« umschrieben. Aretin (Anm. 108), S. 182f. Karl Meichelbeck: Historia Frisingensis. Bd. I, 1. Augsburg – Graz 1724, S. 155. 1723 wird der Freisinger Otfrid im Parnassus Boicus im 47. Bericht der siebten Unterredung unter § 3, S. 23 fälschlicherweise zu den Handschriften der kurfürstlichen Bibliothek in München gezählt. Hier auch der erste Textabdruck mit frühneuhochdeutscher Übersetzung von Sigiharts Gebeten. Wiederabgedruckt in Johann Christoph Gottsched: Beyträge zur critischen Historie 4 (1736), S. 269f. Die Handschrift soll vorher bereits nach Eichstätt ausgeliehen gewesen und direkt von dort nach Göttweig gelangt sein. Dies ist aber nicht mehr belegbar. Vgl. Johann David Köhler: Anweisung zur Reiseklugheit für junge Gelehrte. Neu bearbeitet von Friedrich August Kinderling. Magdeburg 1788, Bd. I, S. 123. Die Erwähnung bei Köhler (Anm. 115) und in einem Brief von Christian Friedrich Pfeffel vom 20. November 1798 belegen das Vorhandensein von F in Freising Ende des 18. Jahrhunderts. Vgl. den Brief von Pfeffel an Friedrich D. Gräter (20. November 1798).

46 Vorsitzende der Bibliothekskommission, Johann Christian von Aretin (1773– 1824),117 meldet 1803 mit Bezug auf die Erwähnung zweier Freisinger Handschriften in Gräters Bragur118, die »sehr alte poetische Paraphrasen der Psalmen und der Evangelien«119 enthielten: Da ich im November vorigen Iahrs [1802] den Auftrag erhalten hatte, die vorzüglichsten Schätze der Freisinger Dombibliothek mit der hiesigen National- und Hofbibliothek zu vereinigen, war meine Aufmerksamkeit besonders auf jene Codices [sc. F und eine Psalmenparaphrase] gerichtet. Allein obwohl ich die kostbarsten Denkmähler des Alterthums daselbst antraf, konnte ich doch zu meinem großen Verdruss keine einzige altteutsche Handschrift auffinden.120

Als allzu groß schätzte Aretin den dadurch eingetretenen Verlust aber trotz »Verdruss« dennoch offenbar nicht ein. In einer kurzen Forschungsrevue, in der er sich auf Sebastian Franck, Beatus Rhenanus u. a. beruft, kommt er zu dem Schluß, daß »[...] diese Evangelien-Uebersetzung oder Paraphrase keine andere, als die bekannte O t f ri e d i s c h e ist [...].«121 Mit Peter Lambeck, der bereits die »Mangelhaftigkeit der Freisinger Handschrift«122 zu Genüge gezeigt habe, schließt er: Nun hätten wir also Nachrichten genug über diese Freisingische Handschrift und zugleich den Trost, dass durch ihren Untergang die gelehrte Welt keinen allzu empfindlichen Verlust gelitten hat.123

Einige Monate später, im Juni 1803, kann Aretin aber »mit der freudigen Nachricht« aufwarten, »daß die verloren geglaubte Otfriedische Evangelienübersetzung aus dem 9. Jahrhundert sich noch glücklicherweise im Freisinger Domarchive vorgefunden hat.«124 1804 wurde sie mit einem Jahr Verzögerung in die Bestände der Münchner Kurfürstlichen Hofbibliothek eingegliedert.125

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In: Bragur. Literarisches Magazin für deutsche und nordische Vorzeit. Hg. von Friedrich D. Gräter VII. 2. Abt. (1802), hier S. 254f. Zur Aufarbeitung der Säkularisation aus bibliotheksgeschichtlicher Sicht vgl.: Lebendiges Büchererbe. Säkularisation, Mediatisierung und die Bayerische Staatsbibliothek (Bayerische Staatsbibliothek Ausstellungskataloge 74). München o. J. [2003]. Zu Aretin, ebd., S. 31–33. Paul Ruf: Die Bayerische Staatsbibliothek und die Säkularisation. In: Beiträge zur Geschichte der Bayerischen Staatsbibliothek. Hg. von Rupert Hacker. München 2000 (Bayerische Staatsbibliothek. Schriftenreihe 1), S. 119–125 [zuerst 1964]. Vgl. Pfeffel (Anm. 116). Pfeffel (Anm. 116), S. 255. In Freising befand sich keine Psalmenparaphrase. Welche Handschrift Pfeffel, der sich auf einen Schüler Meichelbecks bezieht, meint, ist unklar. Johann Christian von Aretin: Aufschluss über eine in der Freysinger Dombibliothek ehemals befindlich gewesene altteutsche Handschrift. In: Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek. Hg. von Johann Christian von Aretin. Bd. 1, 1. Stück. München 1803, S. 51–58, hier S. 51f. Aretin (Anm. 120), S. 56. Aretin (Anm. 120), S. 57. Aretin (Anm. 120), S. 58. Aretin (Anm. 108), S. 182. Vgl. auch: Johann Christian von Aretin: Chronologisches Verzeichniss der in die pfalzbaierische Centralbibiliothek aus den Bibliotheken aufgehobener Stifter und Klöster übergewanderten altteutschen Handschriften vom VIII–XIV. Jahr-

47

2.3

Der Codex Palatinus latinus 52126

2.3.1 Matthias Flacius Illyricus, Achill Pirmin Gasser und Ulrich Fugger Im Codex Palatinus latinus 52 (Heidelberg, UB, im folgenden = P) finden sich nach der Abschrift von Otfrids Evangelienbuch und nach dem althochdeutschen Georgslied auf Bl. 202v unterhalb eines Spendenverzeichnisses127 folgende Eintragungen: »Sunt omnia folia / numero centum / nonaginta quatuor.« Direkt unter dieser Folienzählung steht der ausgekratzte, nurmehr schwer entzifferbare Vermerk: »M. Matthias Illyricus / S. M... ... Madeb... 1555«.128 Damit sind Hinweise auf Besitzer, Provenienz und Erwerbsjahr der Handschrift im 16. Jahrhundert gegeben. Die herausragende Bedeutung des orthodoxen Lutheraners Matthias Flacius Illyricus (1525–1575) für die frühneuzeitliche Kenntnis mittelalterlicher Texte, ihre kritische Bearbeitung und Edition ist zuletzt von historischer Seite eindrücklich und detailreich herausgearbeitet worden. Martina Hartmann bietet in ihrer Habilitationsschrift nicht nur einen Überblick über die enorme Quellenkenntnis und die Ausgaben mittelalterlicher Texte von Flacius, sondern stellt darüber hinaus die Handschriften und Drucke der ehemals flacianischen Bibliothek, die sich heute zum großen Teil in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel befinden, en detail zusammen.129 Flacius steht »am Anfang einer wissen-

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hundert. In: Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek. Hg. von Johann Christian von Aretin. Bd. 2, 5. Stück. München 1804, S. 91. Der dort angekündigte Aufsatz Aretins zum Evangelienbuch ist nicht erschienen. Warum die Handschrift sich im Archiv und nicht in der Bibliothek befand, ist unklar. Vgl. Deutsche Literatur des Mittelalters. Handschriften aus dem Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek München mit Heinrich Wittenwilers ›Ring‹ als kostbarer Neuerwerbung. München 2003 (Bayerische Staatsbibliothek München – Schatzkammer 2003 / Kulturstiftung der Länder – Patrimonia 249), S. 24. Zu weiteren Erwähnungen des cgm 14 vgl. Die Bayerische Staatsbibliothek in historischen Beschreibungen. Auswahl und Kommentierung der Texte: Klaus Haller, Auswahl der Abb. und Liste der Zimelien: Karl Dachs. Übersetzung und Register: Claudia Fabian. München 21998, S. 104f, S. 120, S. 124, S 134f, S. 142, S 148, S. 164, S. 171, S. 187, S. 196. Die genaueste Beschreibung der Handschrift in: Piper I (21882), S. [44–[175. Dazu Wolfgang Haubrichs: Die alemannische Herzogsfamilie des 10. Jahrhunderts als Rezipient von Otfrids Evangelienbuch? Das Spendenverzeichnis im Codex Heidelberg Palatinus lat. 52. In: FS für Eduard Hlawitschka zum 65. Geburtstag. Hg. von Karl Rudolf Schnith und Roland Pauler. Kallmünz 1993 (Münchener Historische Studien. Abt. Mittelalterliche Geschichte 5), S. 165–211. Vgl. die kodikologische Beschreibung von Armin Schlechter, die in der Neuausgabe von Otfrids Evangelienbuch (Kleiber / Hellgardt Bd. II, 2) erscheinen wird. Für die Überlassung des Typoskripts seiner Beschreibung sei Herrn Schlechter herzlich gedankt. Vgl. Martina Hartmann: Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters. Stuttgart 2001 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 19). Vgl. jetzt auch den Sammelband Catalogus und Centurien. Interdisziplinäre Studien zu Matthias Flacius und den Magdeburger Centurien. Hg. von Arno MentzelReuters und Martina Hartmann. Tübingen 2008 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformati-

48 schaftlichen Auseinandersetzung mit der lateinischen Literatur«130 des Mittelalters. Daß er für die Geschichte von P und mithin für die Erforschung des Otfridschen Evangelienbuchs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle spielte, wird im folgenden zu zeigen sein. Flacius publizierte 1571 in Basel die erste Ausgabe des Evangelienbuchs (s. Kap. 4.2). In der lateinischen Vorrede zu dieser Edition bemerkt Flacius eingangs, er habe diesen »Thesaurus egregius antiquitatis« nur unter großer Mühe aufgefunden, und ein anderer überaus gelehrter und frommer Mann habe ihn abgeschrieben: »[...] magno labore tum repertum, tum etiam à quodam doctissimo & pientissimo uiro descriptum [...]«131. Daraus geht zum einen hervor, daß es offenbar nicht leicht war, an eine Handschrift des Evangelienbuchs zu kommen. Man sollte diese Aussage aber nicht überbewerten. An Handschriften aus der Zeit vor 1000 zu gelangen, war sicher schwierig, erst recht für einen Lutheraner mit der Fama von Flacius. Er betont auch anderer Stelle die Knappheit frühmittelalterlicher Quellen für die Magdeburger Centurien und die Schwierigkeit, an sie zu kommen.132 Der Gegenpol zu der Äußerung vom »magnus labor« ist die in deutlich apologetischem Kontext stehende, ebenfalls nicht wörtlich zu nehmende Bemerkung von Flacius im Otfridabschnitt der 1562 in Straßburg erschienenen zweiten Auflage seines Catalogus testium veritatis, in fast allen Bibliotheken fänden sich Fragmente des Evangelienbuchs: »Nam paene in omnibus bibliothecis eius fragmenta reperiuntur.«133 Zum anderen erwähnt Flacius an dieser Stelle der Vorrede einen Abschreiber der Handschrift, der später auch namentlich genannt wird, Achill Pirmin Gasser. Die Aussage in bezug auf die Auffindung einer Otfridhandschrift ist jedenfalls eindeutig: Flacius führt sie auf sich selbst und keinen anderen zurück. Bei den beiden Einträgen in P, von denen ihr erster Entdecker, Rudolf Schützeichel, noch unsicher war, ob es sich um »eine absolut zeitgenössische oder um eine nachträgliche Eintragung handelt«134, ist auf der Grundlage von

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on. Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation 45). Ausführlichere bibliographische Angaben zu Flacius in Kap. 4. Thomas Haye: Der Catalogus testium veritatis des Matthias Flacius Illyricus – eine Einführung in die Literatur des Mittelalters?. In: Archiv für Reformationsgeschichte 83 (1992), S. 31–47, hier S. 47. Im Anhang (Kap. 8.1) gebe ich eine Edition der lateinischen und deutschen Vorrede. Vgl. Hartmann (Anm. 129), S. 201, Anm. 18. Vgl. auch Martina Hartmann: »Mit ungeheurer Mühe habe ich den Mönchen in Fulda einige Codices abgerungen«. Matthias Flacius Illyricus sucht Quellen für die erste protestantische Kirchengeschichte. In: Fuldaer Geschichtsblätter. Zeitschrift des Fuldaer Geschichtsvereins 79 (2003), S. 5–45. Zur Legende vom »culter flacianus« vgl. Oliver K. Olson: »Der Bücherdieb Flacius«. Geschichte eines Rufmordes. In: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 4 (1981), S. 111–145. Zu dem Widmungsschreiben Otfrids an Liutbert im Catalogus vgl. Kap. 4.1. Schützeichel las den Namen »Illyricus« und die »mit Hilfe der Quarzlampe gut sichtbar[e]« Jahreszahl »1555«. Rudolf Schützeichel: Codex Pal. lat. 52. Studien zur Heidelberger Otfridhandschrift, zum Kicila-Vers und zum Georgslied. Göttingen 1982 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil.-hist. Klasse.

49 Vergleichen mit Autographen davon auszugehen, daß sie nicht nur »zeitgenössisch« sind, sondern sicher von der Hand des Matthias Flacius Illyricus stammen.135 Wo Flacius den Codex aufgefunden und vermutlich erworben hat, läßt sich aufgrund der Fragmentarizität des Eintrages nicht mit letzter Sicherheit sagen. Bei aller gebotenen Vorsicht würde er auf das Kollegiatsstift St. Marien in Magdeburg passen, wo sich Flacius in der Tat Anfang Juli 1555 aufhielt.136 Die Jahreszahl, die der Eintrag nennt (1555) könnte das Erwerbsjahr der Handschrift indizieren.137 Diesem Zeitpunkt entspricht, daß Otfrids Evangelienbuch in dem 1552 als Vorbereitung für seine kirchengeschichtlichen Arbeiten angelegten Catalogus librorum ad scriptionem historiæ necessariorum138 noch genauso fehlt wie in der handschriftlichen Fassung des Catalogus testium veritatis von 1553.139 Ohne Erklärung bliebe im Falle der Richtigkeit der Annahme, daß Flacius die Handschrift im Sommer 1555 in Magdeburg fand und erwarb, dennoch die Frage, warum er das Widmungsschreiben an Liutbert nicht schon in die erste Auflage seines Catalogus testium veritatis (Basel 1556) aufnahm, sondern erst in die zweite Auflage (Straßburg 1562).140 Daß er die Otfridvorrede in die spätere Auflage integrierte, könnte damit zusammenhängen, daß er ihre argumentative Qualität im Rahmen des Catalogus erst im Verbund mit der sogenannten

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3. Folge, Nr. 130), hier S. 31. Ähnlich wieder in Rudolf Schützeichel: Begegnungen. Matthias Flacius Illyricus und alte Handschriften. In: Philologische Forschungen. FS für Phillippe Marcq. Hg. von Yvon Desportes. Heidelberg 1994 (Germanische Bibliothek, 3. Reihe: Untersuchungen), S. 263–282, hier S. 267. Das ergibt ein Vergleich des Eintrages auf Bl. 202v (URL: http://digi.ub.uniheidelberg.de/cpl52 [4.8.2005]) mit den Tafeln I, II, V, VI und VIII aus verschiedenen Flacius-Handschriften in: Hartmann (Anm. 129), zwischen S. 220 und 221. Als weiteres Indiz seien die Unterstreichungen in P (Liutbertwidmung, Bl. 2r, 3v, 5v) mit der für Flacius typischen blaßroten Tinte angeführt. Vgl. zur Tinte: Hartmann (Anm. 129), S. 224, S. 226 u.ö. Flacius war darüber hinaus noch zweimal in Magdeburg, im November 1552 und Februar / März 1557. Aus dem Kollegiatstift St. Marien erwarb Flacius die Handschriften Wolfenbüttel, HAB, Helmst. 494 und Helmst. 1043. Nach Hartmann (Anm. 129), S. 106. Vgl. auch Sigrid Krämer: Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters. Teil 2. München 1989 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsbd. 1), S. 523. Man könnte den fragmentarischen Eintrag dann so ergänzen: »M. Matthias Illyricus / S[anctae]. M[ariae] [...] Ma[g]deb[urgensis] 1555«. Die Notierung des Erwerbsdatums ist in anderen Handschriften aus dem Besitz von Flacius nicht belegbar. Vgl. aber Hartmann (Anm. 129), S. 246 zu Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 1334 Helmst., die den Vermerk »Marcus Wagner 1555« enthält. Vgl. die Edition von Karl Schottenloher: Pfalzgraf Ottheinrich und das Buch. Ein Beitrag zur Geschichte der evangelischen Publizistik. Mit Anhang: Das Reformationsschrifttum in der Palatina. Münster 1927 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte. Heft 50/51), S. 157–166. Vgl. Wien, ÖNB, Cod. 11591, Bl. 1r–103v. Dazu Hartmann (Anm. 129), S. 58f. Die handschriftliche Vorlage des Opusculum LV capitulorum Hinkmars von Reims beispielsweise fand Flacius noch etwas später als P, im August / September 1555, und nahm Zitate daraus als Appendix noch in die erste Auflage des Catalogus auf. Vgl. Hartmann (Anm. 129), S. 141, Anm. 4.

50 Heliandpräfatio ausschöpfte. Von dieser erhielt er erst nach der Erstauflage des Catalogus Kenntnis.141 Ein Zusammenhang zwischen beiden wird allerdings an keiner Stelle thematisiert. Was er mit der Handschrift nach ihrem Erwerb machte, läßt sich nur auf der Basis teilweise ungesicherter Vermutungen rekonstruieren: Die Datierung des Besitzvermerkes auf Bl. 202v der Handschrift macht es wahrscheinlich, daß er sie zunächst seinem Helfer bei der Materialbeschaffung für die Magdeburger Centurien, Marcus Wagner (1528–1597) in Regensburg zur Verfügung stellte. Otfrids Evangelienbuch ist in dem von Wagner 1556/57 angefertigten »Verzeichnis der dort für die Kirchengeschichte zusammengebrachten Handschriften«142 als Bestand geführt.143 Denkbar ist, daß Flacius vor der Absendung der Handschrift an die damals in Regensburg ansässigen Centuriatoren oder nach ihrem Rückerhalt eine Abschrift des für den Catalogus testium veritatis besonders interessanten Widmungsschreibens an Liutbert nahm bzw. von einem Mitarbeiter nehmen ließ.144 In den Jahren zwischen 1557 und 1560 verkaufte er die Handschrift dann, wie er es vielfach praktizierte, weiter.145 Mit Plänen zur Edition des Evangelienbuchs im Ganzen scheint er sich zunächst nicht befaßt zu haben. In der lateinischen Vorrede zu seiner Ausgabe von 1571 spricht Flacius dann allerdings zweimal davon, daß er schon lange Zeit versucht habe, das Werk zum Druck zu befördern (»[...] iam diu in publicum evulgare [...] sedulo conatus sum [...]«). Ob sich das »iam diu« auf einen Zeitpunkt unmittelbar nach dem Erwerb der Handschrift bereits um 1555 oder erst auf einen Zeitpunkt um das Jahr 1570 bezieht, als Flacius sich nachweislich selbst um die Herausgabe des Textes bemühte,146 läßt sich nicht mehr entscheiden. Möglicherweise fungierte Flacius zunächst in der Rolle eines Vermittlers und überließ die Herausgabe des Textes Gasser. Dafür könnte sprechen, daß Gasser, abgesehen von der Abschrift des Textes, auch ein Wörterbuch zur Ausgabe verfertigte. Der Däne Frederik Rostgaard (1671–1745) berichtet darüber hinaus noch von einer umfassenden (heute verschollenen), an Konrad Gesner

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Vgl. dazu Ernst Hellgardt: Die Praefatio in librum Antiquum lingua Saxonica conscriptum, die Versus de poeta & interprete huius codicis und die altsächsische Bibelepik. In: Entstehung des Deutschen. FS für Heinrich Tiefenbach. Hg. von Albrecht Greule, Eckhard Meineke und Christiane Thim-Mabrey. Heidelberg 2004, S. 173–230, hier S. 207. Hartmann (Anm. 129), S. 64. Ebd. auch zu Marcus Wagner. Vgl. darüber hinaus S. 202f. Das Verzeichnis, bei dem es sich nicht um eine Such-, sondern um eine Bestandsliste der von Nidbruck und von Flacius nach Regensburg entliehenen Handschriften handelt, ist überliefert in: ÖNB, Wien, Cod. 5580. Auf Bl. 32v: »Godfridi quatuor Euangelia in unum sermone Germanico ueteri rithmisque redacta«. Menhardt plädierte dagegen für eine Vermittlung von V nach Regensburg durch Caspar von Nidbruck. S. Anm. 35. Daß er die zu den Centuriatoren nach Regensburg gesandten Handschriften zurückerstattet bekam, ist belegt. Vgl. Hartmann (Anm. 129), S. 202. Zur Frage nach der Druckvorlage für das Widmungsschreiben an Liutbert s. Kap. 4.1.2. Vgl. Hartmann (Anm. 129), S. 251f. Beleg dafür ist ein bisher unbekannt gebliebener Brief von Flacius an Basilius Amerbach vom 20. April 1571. S. den Textabdruck S. 134.

51 gerichteten Vorrede Gassers, von der sich noch mehr Spuren erhalten haben (s. S. 81).147 Greifbar wird P wieder im Winter 1560 in Augsburg, wo der Arzt und Gelehrte Achill Pirmin Gasser (1505–1577) den in P überlieferten Otfridtext vollständig abschrieb.148 Die Frage ist jedoch, wie P nach Augsburg gelangte und in welcher Bibliothek P aufbewahrt wurde. Daß die Handschrift schon längere Zeit Bestandteil einer Augsburger Bibliothek war, ist nach dem bereits Gesagten auszuschließen, ihr Verkauf nach Augsburg durch Flacius vor oder im Jahr 1560 gewiß.149 Für eine Antwort auf die Frage, in welche Augsburger Bibliothek sie gelangte, gibt es nur zwei diskutable Optionen, die Bibliothek Gassers oder die des Gasser- und Flacius-Freundes und Mäzens, Ulrich Fuggers (1526–1584). Gasser und Flacius standen aufgrund ihrer lutherischen Glaubensgemeinschaft bereits seit den 1550er Jahren in Beziehung zueinander. Ein Briefwechsel ist nicht erhalten. Ernst Hellgardt verweist auf die achte der Magdeburger Centurien (1564), die u. a. Gasser gewidmet ist und ein Buchgeschenk von 1562.150 Dem ist ergänzend hinzuzufügen, erstens, daß Gasser 1559 eine deutsche Übersetzung der Historia gestorum Christi, ex quatuor Evangelistis in unum collecta von Jan Hus publizierte, die ein Jahr zuvor in der von Flacius anonym herausgegebenen Husedition erschienen war.151 Zweitens: 1559 erhielt Gasser die ersten Bände der Magdeburger Centurien mit handschriftlicher Widmung (von Flacius?) zum Geschenk.152 Beides dokumentiert ihre Verbindung ab ca. 1558. Deshalb könnte man zunächst in Erwägung ziehen, daß Flacius P direkt an Gasser vermittelte, und die Handschrift in der Folge Teil der Bibliotheca Gassariana war.153 Nach dem Tod Gassers 1577 wurden seine Bibliotheksbestände von Ulrich Fugger aufgekauft und 1583 notariell katalogisiert. In diesem Katalog findet sich auf Bl. 164r der Eintrag: »Gottfridi [zweites »t« gestrichen] veterum Germanorum Grammaticae poeseos / theologiae praec-

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Vgl. auch Preger Bd. II (Anm. 129), S. 474. Daß es sich bei seiner Vorlage nur um P gehandelt haben kann, setze ich an dieser Stelle voraus. S. zur Argumentation S. 77–79.. Anders Paul Lehmann: Eine Geschichte der alten Fuggerbibliotheken. I. Teil. Tübingen 1956 (Schwäbische Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte. Reihe 4 Bd. 3. Studien zur Fuggergeschichte 12), S. 148f. Er hält Flacius nicht für den Vermittler, weil Ulrich Fugger in der Ausgabe von 1571 nicht genannt wird. Vgl. Hellgardt (1992, Anm. 95), S. 269f. Vgl. auch Gerhard Kattermann: Ein Buchgeschenk des Flacius Illyricus aus dem Kreis der Otfrid-Textüberlieferung und andere Überreste der Bücherei A. P. Gassers in der Bad. Landesbibliothek. In: Neue Heidelberger Jahrbücher N.F. 1939, S. 84–89. Ioannis Hus et Hieronymi Pragensis confessorum Christi et Monumenta, Bd. II, Bl. I–VIv. Vgl. Historia des gantzen Lebens / vnsers lieben Herren Jhesu Christi / auß den vier Euangelisten in ein ordnung / Durch M. Johann von Hussinetz / im Latein zusamen gebracht / vnd jetzt newlich durch Achillem P. Gasser vonn Lindaw / verdeutscht. Nürnberg 1559 (VD16 4662). Vgl. Lehmann (Anm. 149), S. 188. Vgl. Schützeichel (Anm. 134), S. 30. Zu Gassers Bibliothek Karl Heinz Burmeister: Die Bibliothek des Arztes und Humanisten Achilles Pirmin Gasser (1505–1577) mit besonderer Berücksichtigung der Libri Poetici. In: Bibliothek und Wissenschaft 20 (1986), S. 49–66.

52 larum monimentum«154. Paul Lehmann identifizierte diesen Otfrid mit der Handschrift P.155 Es handelt sich aber aufgrund der Parallelen im Titel sicher um Gassers Exemplar der Otfridausgabe von 1571.156 Es erscheint mir dagegen wahrscheinlicher, daß Flacius die Handschrift direkt an Ulrich Fugger veräußerte. Der Verkauf von Handschriften aus dem Besitz des Flacius an Fugger ist immerhin für mindestens sieben weitere Fälle belegbar.157 Gasser könnte bei diesem Büchergeschäft – wie bei anderen auch – die Rolle eines Vermittlers gespielt haben.158 Im Inventar der Bibliothek Ulrich Fuggers von 1571, das nach seinem Umzug nach Heidelberg (1567) angefertigt wurde, findet sich auf Bl. 120v der Eintrag: »In eim Päcklin Quatuor Evangelia theodisce / Versa, uff Perment geschrieben In quarto.«159 Er steht unter dem Abschnitt »In einer beschlossenen Reyß Truhen mit weiß / leinem Tuch uberzogen daruff P. / wapen, Literae F.P.C. et Numerus / 80. Ist gefunden worden als volgt.« unter der Rubrik »OnIngebundene Bücher in Päcklin / unnd sonsten«. Die Belege, daß es sich dabei nur um P handeln kann, sind schlagend: Der Bezug zur Truhe mit der Nummer 80 findet sich auf dem damaligen Vorderblatt von P wieder: »Capsaê 80«, ebenso auf der gleichen Seite der Titel »Qvatvor Evangelia theotiscè versa«.160 Die Handschrift war damals uneingebunden und wurde, wie man aus den Hinweisen des späteren Buchbinders weiß, Ende des 16. Jahrhunderts mit einem neuen Einband versehen.161 Beschreibstoff und Format sind gleichfalls übereinstimmende Merkmale. In dem »Päcklin« befand sich also sicher nichts anderes als P.162 Die Handschrift war demnach

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Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 1923. Ediert von Paul Lehmann: Eine Geschichte der alten Fuggerbibliotheken. II. Teil: Quellen und Rekonstruktionen. Tübingen 1960 (Schwäbische Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte. Reihe 4 Bd. 5. Studien zur Fuggergeschichte 15), S. 546–548, hier S. 548. Lehmann liest »monumentum« statt richtig nach dem Pal. lat. 1923, Bl. 164r: »monimentum«. Vgl. Lehmann (Anm. 154), S. 548. Vgl. den Titelanfang der Otfridausgabe von 1571: Otfridi Evangeliorum Liber: ueterum Germanorum grammaticæ, poeseos, theologiæ, præclarum monimentum [...]. So auch Schützeichel (Anm. 134), S. 28. Das Exemplar mit handschriftlichem Besitzvermerk Gassers liegt in der Bibliotheca Apostolica Vaticana, Rom unter der Signatur Tedeschi 3220. Vgl. Schützeichel (Anm. 134), S. 29, Anm. 14. Vgl. Hartmann (Anm. 129), S. 63 und S. 251. Vgl. Karl Heinz Burmeister: Achilles Pirmin Gasser 1505–1577. Arzt und Naturforscher, Historiker und Humanist. Bd. I: Biographie. Wiesbaden 1970, S. 124. Anders Schützeichel (Anm. 134), S. 29f. Er tendiert eher dazu, P der Bibliotheca Gassariana zuzurechnen. Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 1921. Die beiden folgenden Zitate auf Bl. 117v und Bl. 119v. Nach Lehmann (Anm. 154), S. 149–453, hier S. 299, S. 302, S. 304. In P heute das fünfte Blatt (Bl. A). Vgl. P, Bl. 199a. Bestätigt wird dies noch durch ein weiteres, nach 1571 angefertigtes Verzeichnis der Fuggerschen Bibliothek (Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 1915), in dem unter »Ongebunde bücher, in Packlin und sonsten« (S. 356) auf S. 360 geführt ist: »Ain Päcklain, quatuor evangelia Ottofredi theodiscè versa. Auf Pergament geschriben in Quarto« Ediert in Schlechter (Anm. 128).

53 bereits 1571 nachweislich Teil der Bibliothek Fuggers, und es fehlen eindeutige Hinweise darauf, daß sie vorher Eigentum Gassers war. Allein die Tatsache, daß er eine Abschrift von P nahm, reicht für eine dahingehende Argumentation nicht aus. Ein weiteres Faktum, das die hier vorgeschlagene Antwort auf die Frage nach der Bibliothekszugehörigkeit von P bestätigt, kommt hinzu: Der Memminger Theologe Johann Georg Schellhorn (1694–1773) gab 1725 eine ausführliche Beschreibung der Bibliothek des Raymund Krafft von Delmensingen, in welche die Abschrift Gassers im 18. Jahrhundert gelangte. Damals war mit der Abschrift noch die von Gasser verfaßte Vorrede an Gesner verbunden (s. S. 50f.). Schellhorn schreibt über sie: In præfatione ad Conrad. Gesnerum, quam Flaciania editio non exhibet, Gassarus se hanc expositionem ex Codice Bibliothecæ Ulrici Fuggeri (e qua deinde in Heidelbergensem translatus, tandem cum illa in Vaticanam migravit) descripsisse [...] ait [...].163

Ulrich Fugger spielte im Fall von P die Rolle eines finanzkräftigen Mäzens.164 Er konnte Flacius, dessen Talent zur »Sponsorengewinnung«165 bekannt ist, sicher einen höheren Preis für den Codex bezahlen als Gasser, dem er die Handschrift in der Folge zur Verfügung stellte. In den Jahren zwischen 1560 und 1563 bemühte Gasser sich mit der Unterstützung Konrad Gesners um die Edition des Otfrid. Gasser wandte sich angesichts der Aussichtslosigkeit seines Vorhabens um 1565 wiederum an Flacius zurück, dem schließlich 1571 erst nach jahrelangen Bemühungen die Herausgabe des Textes gelang. P spielte für die Herausgabe des Textes aber keine weitere Rolle mehr. Die primäre Grundlage der Edition war die erwähnte Abschrift Gassers aus dem Jahr 1560 (s. S. 138f.).

2.3.2 Heidelberg – Rom – Heidelberg P verblieb auch beim Umzug Ulrich Fuggers nach Heidelberg 1567 in dessen Bibliothek. Die Handschrift wurde mit Fuggers anderen Beständen auf den Emporen des Heidelberger Heiliggeistspitals aufgestellt und dort – wie S. 52 mit Anm. 162 erwähnt – zweimal inventarisiert. P muß nach dem Inventar von 1571 spätestens zu diesem Zeitpunkt in Heidelberg gewesen sein, und es spricht nichts dagegen, daß sie bereits 1567 mit dem Gros der Bibliothek dorthin ge-

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Johann Georg Schellhorn: Amœnitates literariæ, quibus variæ observationes, scripta item quædam anecdota & rariora opuscula exhibentur. Tomus III. Frankfurt – Leipzig 1725, S. 22. Zu Schellhorn s. auch S. 84f. Im Briefwechsel von Gasser und Konrad Gesner wird er häufig als »mæcenatus noster« tituliert. Vgl. Karl Heinz Burmeister: Achilles Pirmin Gasser 1505–1577. Arzt und Naturforscher, Historiker und Humanist. Bd. III: Briefwechsel. Wiesbaden 1975, beispielsweise S. 129. Hellgardt (Anm. 95), S. 280.

54 langte.166 Fugger vermachte seine »unermeßlich wertvolle Büchersammlung«167 der Palatina, d. h. der gesamte Bestand, mitsamt der 1583 oder etwas später eingegliederten Bibliothek Gassers, verblieb geschlossen dort.168 Den materiellen und kulturhistorisch-literarischen Wert einer volkssprachigen Handschrift aus dem 9. Jahrhundert wußte man in Heidelberg am Ende des 16. Jahrhunderts zu schätzen.169 Der am Anfang und Ende versehrte Codex wurde restauriert, das »OnIngebundene«, in Makulatur eingepackte Konvolut wahrscheinlich mit einem einfachen Holzdeckeleinband versehen.170 Über diese Arbeiten haben sich in der Handschrift die ausführlichen Anweisungen für den Buchbinder erhalten. Es dürfte sich dabei um den frühesten Bericht über die Restaurierungsarbeiten an einem Codex volkssprachigen Inhalts handeln. Folgende Arbeiten sollten laut Anweisung durchgeführt werden: Restituierung der richtigen Blattreihenfolge, Einfügung von Papierblättern vorne und hinten als Ersatz für die fehlenden Pergamentblätter, Ausbesserung von Löchern und Fehlstellen im Pergament da, wo es möglich war. Ich zitiere die vollständige Anweisung:171 Erstlich kommen 4 bletter papyr. / Darauf das Permentin blat, darauf stet QVATVOR EVANGELIA etc. / uf dis folgen 3 bögen Papyr (seint 12 bletter.) / Nach disem get das Parmentin buch nach seinen Zalen oder Zifren so unterwerts verzaichnet. / NB. Wenn ihr findet etwan ainzelne bletter, di werdet ihr wissen an zu leimen: als [am linken Rand:] se-

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Vgl. Lehmann (Anm. 154), S. 149. Vgl. auch Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 1–181). Bearbeitet von Karin Zimmermann unter Mitwirkung von Sonja Glauch, Matthias Miller und Armin Schlechter. Wiesbaden 2003 (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg VI), S. XIII. Walter Berschin: Die Palatina in der Vaticana. Eine deutsche Bibliothek in Rom. Darmstadt 1992, S. 11. Vgl. zu den Fugger- und Gasserinventaren Lehmann (Anm. 154), S. 149f. und S. 544–548. Das ist keine Selbstverständlichkeit in einer Zeit, in der der materielle Wert von Handschriften gegenüber Drucken noch nicht genau definiert ist. Als Beispiel verweise ich hier auf den Verkauf der Bibliothek von Matthias Flacius Illyricus 1597. Aus der Verkaufsrechnung geht hervor, daß Handschriften teilweise nur ein Prozent vom Preis eines Druckes erzielten. Vgl. Hartmann (Anm. 129), S. 40 und S. 82f. Man denke auch an die Handschriftenmakulierungen im Zeitalter des Buchdrucks. Dieses Problemfeld ist noch nicht ansatzweise systematisch aufgearbeitet. Vgl. Karl Schottenloher: Handschriftenforschung und Buchdruck im XV. und XVI. Jahrhundert. In: Gutenberg-Jahrbuch 6 (1931), S. 73–106. Bernhard Bischoff: Zur Kritik der Heerwagenschen Ausgabe von Bedas Werken (Basel 1563). In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 51 (1933), S. 171–176. Wieder in Ders.: Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte. Bd. I. Stuttgart 1966, S. 112–117. Ingeborg Glier: Schatzkammer, Steinbruch, historisches Objekt. Aspekte der handschriftlichen Überlieferung als Zugang zum Textverständnis. In: Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert. Hg. von Gerhard Hahn und Hedda Ragotzky. Stuttgart 1992 (Kröners Studienbibliothek 663), S. 1–16 und den Sammelband: Die Gleichzeitigkeit von Handschrift und Buchdruck. Hg. von Gerd Dicke und Klaus Grubmüller. Wiesbaden 2003 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 16). Vgl. Schlechter (Anm. 128). Die Anweisungen beziehen sich auf eine Foliierung der Handschrift, die von Gasser stammt, wie ein Schriftvergleich mit seiner Abschrift ergibt. S. dazu S. 77–79.

55 het allenthalben sonst auch darnach, wo ainzelne bletter. // pagina 143, bis uf pag. 150 habt ihr etliche. In zuvor falsch gebunden gewesen: hab es recht geordnet etc. / Pag. 116 ist vom Perment unten beschnitten: besseres auf der hinder seitten mit Papyr aus; dan diese seite ist nit beschriben. / Nach der Pagina 191. do ist ain mangel an zwaien Capitulen: derselben so setze zwen bögen Papyrs [das seint 8 bleter] darzwischen. / Nach der pag. 193. setze zwai bletter papyr. ist ain halber bogen. / Di zwai löcher an der pagina 192. und 193. lasse also blos: gleichwol di pagina 193. / Künnet ihr hinden, do nichts geschriben, mit papyr ausfüllen, / Nach der Pagina 194, söllen zwen bögen kommen. (seint 8 bletter) zu ende.172

Der neue Einband blieb nicht lange Zeit um die Handschrift gebunden, denn kurze Zeit nach den Restaurierungsarbeiten war P nicht mehr in Heidelberg verfügbar.173 Nach der Eroberung Heidelbergs im Dreißigjährigen Krieg 1622/23 schenkte Maximilian I. von Bayern die Bibliothek Papst Gregor XV. Die Bibliotheca Palatina wurde 1623 mit den Fuggerschen und Gasserschen Beständen nach Rom in die Bibliotheca Apostolica Vaticana abtransportiert.174 Zuvor entfernte man die Einbände der Handschriften. In Rom stellte man die Palatina gesondert auf und versah sie mit neuen Einbänden.175 Johann Kelle beklagte die dadurch eingetretene Unzugänglichkeit der Handschrift; immerhin fallen in die Zeit der Handschrift in Rom aber eine erste Abschrift des Georgsliedes durch Frederik Rostgaard aus dem Jahr 1699, die vermittelst zweier Abschriften die Grundlage für die Erstedition des Textes (1783) bildete.176 Aus dem Jahr 1699 stammen auch Rostgaards Emendationes zum Evangelienbuch (s. dazu Kap. 3.2.2). Auf Bl. 14r unten verewigte sich in Rom Ferdinand Glöckle (gestorben 1819). Die Handschrift erhielt in Rom die Nummer 52, wurde aber irrtümlich unter die Palatini latini eingereiht.177 1816 bekam die Universität Heidelberg alle in Rom befindlichen Palatini germanici zurückerstattet.178 Auf das Bitten Friedrich Wilkens erhielt sie überdies noch fünf Handschriften aus dem Fonds der Palatini latini, darunter den Cod. Pal. lat. 52.179 Auf der Grundlage einer Abschrift seines Schülers Franz

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Bl. 199a. Der Text ist ediert nach Schlechter (Anm. 128). Vgl. auch Piper I (21882), S. 44]– 48]. In den Zeitraum Ende des 16. Jahrhunderts / Anfang des 17. Jahrhunderts fällt auch die Auseinandersetzung Marquard Frehers mit dem Text der Ausgabe von 1571 gegenüber dem handschriftlichen Text in P. S. dazu Kap. 3.2.1. Vgl. Berschin (Anm. 167), S. 11–14. Karl Schottenloher: Bücher bewegten die Welt. Eine Kulturgeschichte des Buches. Bd. II: Vom Barock bis zur Gegenwart. Stuttgart 1968, S. 296–304. Vgl. auch Codices Palatini germanici (Anm. 166), S. XIII–XVIII. Den römischen Einband von P, der heute in der UB Heidelberg aufbewahrt wird, ersetzte man 1972 durch einen modernen Kalbledereinband. Vgl. Schlechter (Anm. 128). Vgl. Kelle I (1856), S. 104. Zum Georgslied und Frederik Rostgaard vgl. Hartmut Röhn: Zur Überlieferung des althochdeutschen Georgsliedes. In: Studien zum Altgermanischen. FS für Heinrich Beck. Hg. von Heiko Uecker. Berlin – New York 1994 (Ergänzungen zum RGA 11), S. 513–526. Vgl. Codices Palatini germanici (Anm. 166), S. XVII. Vgl. Codices Palatini germanici (Anm. 166), S. XVIII–XX. Christine Maria Grafinger: Die Rückgabe der deutschen Handschriften der Bibliotheca Palatina an die Heidelberger Universität. In: Bibliothek und Wissenschaft 33 (2000), S. 33–49. Vgl. Berschin (Anm. 167), S. 145. Seine Signaturangabe zu P ist verschrieben.

56 Joseph Mone (1796–1871) publizierte Friedrich Wilken im Jahr nach ihrer Rückgabe eine erste »Heidelberger« Beschreibung der Handschrift.180 Einige Textstellen daraus gingen in die noch 1816 veröffentlichte Dissertation Mones ein.181

2.4

Die Fragmente des Codex Discissus182

2.4.1 Die Wolfenbütteler Fragmente183 Im Winter 1935/36 entdeckte Hermann Herbst eine Reihe neuer Fragmente des seit Kelle so genannten Codex Discissus von Otfrids Evangelienbuch (im folgenden = D).184 Die Bedeutung dieses Fundes besteht aus textkritischer Sicht nicht so sehr in der Tatsache, neue Textteile aus dieser Handschrift des Evangelienbuchs zu besitzen, da man seit den paläographischen Untersuchungen Bernhard Bischoffs weiß, daß D in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts in Fulda entstand und in engem Zusammenhang mit der Schreibschule steht, aus der auch das Fuldaer Sakramentar stammt.185 Das Spannende dieses Fundes sind in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht die Fakten, die Herbst für die Vorgeschichte der Handschrift eruieren konnte. Diese führten ihn letztlich erst auf die Spur der verlorenen Fragmente der Hand-

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Vgl. Friedrich Wilken: Geschichte der Bildung, Beraubung und Vernichtung der alten Heidelbergischen Büchersammlungen. Ein Beytrag zur Literärgeschichte vornehmlich des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts. Heidelberg 1817, S. 303. Vgl. Franz Joseph Mone: De emendanda ratione grammaticae Germaniae libellus. Heidelberg 1816, S. 36–38. Vgl. die Neuedition von D in Kleiber / Heuser II, 1 (2006). Vgl. auch die paläographische und kodikologische Beschreibung von Wolfgang Milde, die in Kleiber / Hellgardt II, 2 erscheinen wird. Bis dahin vgl. Wolfgang Milde: Faksimileausgabe und Edition des Codex Discissus (D) von Otfrids Evangelienbuch. In: Probleme der Edition althochdeutscher Texte. Hg. von Rolf Bergmann. Göttingen 1993 (Studien zum Althochdeutschen 19), S. 103– 109. Ders.: Vorbereitet, verfaßt und abgeschrieben. Otfrids althochdeutsches Evangelienbuch. In: Alles was Recht war. Rechtsliteratur und literarisches Recht. FS für Ruth Schmidt-Wiegand zum 70. Geburtstag. Hg. von Hans Höfinghoff, Werner Peters, Wolfgang Schild, Timothy Sodmann. Essen 1996, S. 37–46. Vgl. die Beschreibung von Hans Butzmann: Die mittelalterlichen Handschriften der Gruppen Extravagantes, Novi und Novissimi. Frankfurt a. M. 1972 (Kataloge der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Neue Reihe 15), S. 79f. Vgl. Hermann Herbst: Neue Wolfenbüttler Fragmente aus dem Codex Discissus von Otfrids Buch der Evangelien. In: Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte 2 (1936), S. 131–152. Wieder in: Otfrid von Weißenburg. Hg. von Wolfgang Kleiber, Darmstadt 1978 (WdF 419), S. 52–73. Der Abdruck des Textes ist ohne die Einleitung wiederholt in Hermann Herbst: Die neuen Wolfenbüttler Otfrid-Fragmente. In: ZfdA 74 (1937), S. 117– 125. Die Otfrideditoren des 19. Jahrhunderts und Hermann Herbst datierten die Fragmente aus D noch ins 9. Jahrhundert und sahen darin eines der Dedikationsexemplare. Vgl. aber Bernhard Bischoff: Paläographische Fragen deutscher Denkmäler der Karolingerzeit. In: Frühmittelalterliche Studien 5 (1971), S. 101–134, hier S. 104f.

57 schrift und ermöglichten ihm die systematische Suche nach ihnen. Seit Hoffmann von Fallerslebens Ausgabe der Bonner Bruchstücke aus D (1821) war bekannt, daß Teile der bis dato bekannt gewordenen Bruchstücke aus den inneren Einbanddeckeln von vier Handschriften mit Werken des Thomas von Aquin stammten. Man wußte auch, daß ihr Vorbesitzer, Johann Clauberg (1622–1665), Ältester der Kirche zu Solingen, die Werke des Thomas im Jahre 1657 der hohen Schule zu Duisburg zum Geschenk gemacht hatte.186 Falsch war lediglich der Schluß, den man daraus zog: Hoffmann und Kelle vermuteten, daß die Otfridhandschrift in Solingen von einem Buchbinder makuliert und zu Einbandmaterial verarbeitet wurde.187 Herbst gelang aber anhand der in das Leder der Einbanddeckel eingedruckten Stempel der Nachweis, daß die Einbände aus der Bibliothek des Augustiner-Chorherrenstiftes auf der Sülte bei Hildesheim kamen. Ebenfalls dort also wurde D um das Jahr 1470 zerschnitten, wie die Datierung der Handschrift (1467) belegt, in der Herbst die neuen Fragmente fand.188 Dieser Befund ist für die Frage nach dem Bestand der Otfridhandschriften in der frühen Neuzeit von Bedeutung. Er sichert, daß D als Ganzes für die Geschichte der Wiederentdeckung und Erforschung des Evangelienbuchs in dieser Zeit nicht in Betracht kommt. Er schließt aber nicht von vorneherein kategorisch aus, daß einzelne Blätter der Handschrift bereits im 16. Jahrhundert wiederaufgefunden worden sein könnten und kursierten. Ich denke näherhin an einen Zusammenhang der Fragmente aus D mit Matthias Flacius, der sich auf dem Weg der Fakten bis zu einem gewissen Punkt plausibel machen läßt. Es bleibt aber, um es gleich vorwegzunehmen, ein spekulativer Rest. Wie bereits S. 48 erwähnt, macht Flacius im Catalogus testium veritatis (1562) die Bemerkung, daß sich in fast allen Bibliotheken Bruchstücke (fragmenta) des Evangelienbuchs fänden. Das kann man zunächst als verzeihliche, weil in dezidiert apologetischem Kontext stehende Übertreibung lesen.189 Flacius macht allerdings ansonsten gewöhnlich keine derartig vagen Bemerkungen, sondern ist vielmehr für seine (verhältnismäßig) präzisen Angaben zu seinen handschriftlichen Quellen bekannt.190 Nimmt man seine Bemerkung ernst und unterstellt, daß er tatsächlich mehrere Handschriften des Evangelienbuchs kannte, stellt sich die Frage, welche Fla-

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Vgl. Bonner Bruchstücke vom Otfried. Nebst anderen deutschen Sprachdenkmaelern. Hg. von Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Bonn 1821. Hoffmann (Anm. 186), S. IV. Kelle I (1856), S. 145. Vgl. Herbst (Anm. 184), S. 135. Sie stammen aus einer Handschrift, die den Vocabularius des Uguccio enthält (Wolfenbüttel, HAB, cod. 1.6. Aug. 2o). Zu den Stempeln vgl. die Online–Einbanddatenbank: http://www.hist-einband.de/ (25.8.2005). S. auch die Datierung der Inkunabel (1470), in der Knittel im 18. Jahrhundert Fragmente aus D fand. S. dazu S. 60f.. Vgl. Hellgardt (1992, Anm. 95), S. 278. Vgl. die Studie von Hartmann (Anm. 129).

58 cius als fragmenta wahrnehmen konnte?191 V scheidet als einzig vollständiger Überlieferungsträger aus. Diese Handschrift kannte Flacius zudem aller Wahrscheinlichkeit nach nicht (s. S. 140f.). P war zu dem Zeitpunkt, als Flacius die Handschrift erwarb, so meine These, zumindest an ihrem Anfang noch unversehrt, also kein Fragment im hier angenommenen Sinne (s. S. 140f.). Von F wußte Flacius aus den Res Germanicae, daß sie ein anderes initium hatte als P. Dies und die Reihenfolge der Otfridzitate in den Res Germanciae des Beatus Rhenanus könnten in Flacius’ Augen Indizien für ihre Unvollständigkeit gewesen sein. Aus eigener Anschauung kannte er die Handschrift aber nicht.192 Möglicherweise hatte Flacius über Gasser zudem von den Blättern einer Otfridhandschrift im Besitz Konrad Gesners erfahren (s. S. 66f.). Denkbar ist darüber hinaus, daß er aus der Vorrede Gesners zu Maalers Wörterbuch von einem »specimen« aus dem Evangelienbuch erfahren hatte (s. S. 41f.) und daraus auf ein Bruchstück einer Otfridhandschrift geschlossen hat. Belegen lassen sich diese mehr oder weniger losen Vermutungen aber allesamt nicht. Unbeachtet blieb bisher die Vorgeschichte erhaltener und verlorener Fragmente aus D für eine denkbare Otfridkenntnis von Flacius und für das 16. bis 18. Jahrhundert insgesamt. Ihre Relevanz wurde erst für die zweite Hälfte des 18. Jahrhundert erwogen. Nach einer Rekonstruktion Paul Pipers umfaßte D im Ganzen 188 Blätter.193 Durch die erhaltenen Bruchstücke ist bekannt, daß man für die Neubindung der gedruckten Bände jeweils bis zu drei Doppelblätter verwendete. Diese wurden teilweise in die inneren Seiten der hinteren und vorderen Einbandseiten geklebt, teilweise auch – wie im Falle der von Herbst zuletzt gefundenen – in Streifen zerschnitten jeweils um die einzelnen Lagen der Handschriften herum zur Verstärkung angebracht, was ihre spätere Auffindbarkeit schwierig machte.194 Bei drei Doppelblättern pro Band kann man vorsichtig hochrechnen, daß die gesamte Handschrift für etwa 60 Bücher Einbandmaterial geliefert hat. Dabei ist vorausgesetzt, daß sie zum Zeitpunkt der Makulierung in unversehrtem Zustand war und zur Gänze in Einbänden verarbeitet wurde. Heute weiß man von nur noch sieben Büchern, die Fragmente aus D enthielten.195 Die Zahl von Einbänden mit D-Fragmenten wird sicher um ein Vielfaches höher gewesen sein als

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Ich definiere den Fragmentbegriff hier aus pragmatischen Gründen über das Kriterium »Unvollständigkeit«. Im Sinne von Flacius kommen an dieser Stelle nur vom Umfang her eher kleinere Bruchstücke, also wohl Einzel- oder Doppelblätter in Frage. Vgl. zur Terminologie Peter Strohschneider: Fragment2. In: 3RL I (1997), S. 624f. Eberhard Ostermann: Fragment. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding, Bd. 3, Sp. 454– 465. In seiner Bibliothek ist ein Codex Freisinger Provenienz nachgewiesen (heute Wolfenbüttel, HAB, Helmst. 205 [Otto v. Freising / Burchard von Ursberg]). Flacius selbst war aber nie dort. Vgl. Hartmann (Anm. 190), S. 101. Vgl. Piper I (21882), S. [179. Vgl. Herbst (Anm. 184), S. 138. Die Thomasausgabe bestand ursprünglich aus fünf Bänden, von denen vier erhalten sind. Dazu kommen die Ugucciohandschrift (Anm. 188) und eine Inkunabel (Anm. 201).

59 die heute davon noch bekannten, auch wenn man dafür nur eine approximative Hochrechung erstellen kann. Matthias Flacius hielt sich nachweislich im Juli / August 1555 in verschiedenen Hildesheimer Bibliotheken auf und erwarb aus ihren Beständen mehrere Handschriften. Sicher nachgewiesen ist dies für St. Michael und die Dombibliothek. Für das Sültekloster ließ sich das bislang nicht nachweisen. Hartmann bezeichnet in ihrer Zusammenstellung der flacianischen Bibliothek die Provenienz der Handschrift Wolfenbüttel, HAB, Helmst. 1102 »aus einem nicht bestimmbaren Hildesheimer Kloster«196. Daß diese Handschrift aus dem Sültekloster stammt, ergibt sich auf dem gleichen argumentativen Weg, den Herbst eingeschlagen hatte: Auf dem Einband der Handschrift finden sich mehrere Stempel eines »Sülte-Schülers«.197 Dies legt den Erwerb einer Handschrift aus diesem Hildesheimer Kloster sehr nahe, sagt aber wenig darüber aus, ob Flacius dort fragmenta auch aus dem Evangelienbuch gesehen haben könnte. Die Bände aus dem Sültekloster, in denen Knittel und Herbst ihre Fragmente auffanden, gelangten nachweislich nicht über die Bibliotheca flaciana nach Wolfenbüttel.198 Einen positiven Befund für die Kenntnis des Matthias Flacius von Bruchstücken des Evangelienbuchs aus dem Hildesheimer Sültekloster kann man also wohl nicht mehr liefern. Er könnte sich allenfalls ergeben aus einer systematischen Rekonstruktion der gedruckten Bücher der Bibliothek von Flacius aus den Wolfenbütteler, Helmstedter und andernorts verstreuten Beständen.199 Als Möglichkeit ist dies aber dennoch nicht von vornherein auszuschließen, und die Indizien dafür scheinen mir näherzuliegen, als von verlorenen Bruchstücken einer nicht erhaltenen Handschrift des Evangelienbuchs auszugehen. Ein weiteres Argument dafür könnte sein, daß Flacius davon spricht, das Evangelienbuch sei durch die Veränderungen der deutschen Sprache zu einem opus inutilis geworden.200 Auch die genannten Hinweise auf die bei Gesner im Maalerschen Wörterbuch und im Brief an Gasser erwähnten Bruchstücke könnten sich auf D beziehen (s. S. 66–68).

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Hartmann (Anm. 129), S. 103f., hier S. 104. Zu dieser Handschrift Sigrid Krämer: Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters. Teil 1. München 1989 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz Ergänzungsbd. 1), S. 358. Vgl. die Einbanddatenbank http://www.hist-einband.de/ (25.8.2005). Über die Bibliothek des Klosters und ihre Geschichte ist wenig bekannt. Eine umfassende Studie zu den Hildesheimer Skriptorien fehlt. Vgl. Hartmann (Anm. 129), S. 103. Die Anm. 201 genannte Inkunabel, in der Knittel D-Fragmente fand, erwarb Herzog August laut Eintrag im (ungedruckten) Zettelkatalog der HAB Wolfenbüttel erst 1636. Der Uguccio (Anm. 188) gehört nicht zum Bestand der von Hartmann (Anm. 129) aufgelisteten Handschriften aus dem Besitz von Flacius. Ansätze zu diesem diffizilen Unternehmen bei Hartmann (Anm. 129), S. 114f, S. 254–258. Er verwendet damit einen gängigen terminus technicus für zur Makulierung bestimmte Bücher. Vgl. dazu Gerhardt Powitz: Libri inutiles in mittelalterlichen Bibliotheken. Bemerkungen über Alienatio, Palimpsestierung und Makulierung. In: Scriptorium 50 (1996), S. 288–304, bes. S. 298–303.

60 Hermann Herbst konnte über die Einbandstempel auch nachweisen, daß der erste sicher greifbare Wolfenbütteler Entdecker von Fragmenten des Discissus im 18. Jahrhundert, Franz Anton Knittel (1721–1792), jene aus den inneren Einbanddeckeln einer Inkunabel aus dem Jahr 1470 entnommen hatte oder von einem Bibliothekar hatte entnehmen lassen. Sie beinhaltet den Codex Comestorii vitiorum des Franziskus de Retza.201 Knittel war seit Mitte der 1750er Jahre an der Kirche Beatæ Mariæ Virginis zu Wolfenbüttel, ab 1766 als ihr Pastor primarius und »ein häufig gesehener Leser in der Bibliotheca Augusta«.202 Knittel ist vor allem bekannt geworden und in die Geschichte der germanischen Philologie eingegangen als Entdecker des sogenannten Codex rescriptus mit gotisch-lateinischen Stücken aus dem Neuen Testament.203 Über den Fundort der Otfridfragmente macht Knittel selbst keine Aussage. Man kann lediglich die Vermutung äußern, daß ihn seine theologischen Interessen um das Jahr 1762 durch Zufall und nicht durch systematische Suche zu den Blättern führten. In demselben Jahr leitet er in seiner Ausgabe der Wulfila-Bruchstücke die Edition des codex quartus von Otfrids Evangelienbuch wie folgt ein: Continet, quod eruditorum nunc annuntiamus reipublicæ, manuscriptum FRAGMENTA EVANGELIORUM OTFRIDI. TRES tantum codices Otfridianos manuscriptos in manibus hodie eruditorum esse, nimirum Vindobonensem, Vaticanum et Freisingensem [!], constat inter omnes. En nunc quartum Guelpherbytanum nostrum, at libellum exiguæ proh dolor molis paucarumque paginarum swzomenon!204

Seine Edition umfaßt zwei weitestgehend vollständig erhaltene Doppelblätter aus D, die er seitenidentisch, in Langzeilen, die Kapitelüberschriften, Marginalien und Initialen rubriziert, sowie unter Berücksichtigung aller Akzente abdruckt.205 Lectiones variantes aus V, P und F faßt er in einem kurzen Kom-

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Wolfenbüttel, HAB, 16.1. Theol. 2o (Hain 13884). Helmar Härtel: Die Weißenburger Handschriften. Bemerkungen zu ihrer Erschließung in den letzten drei Jahrzehnten anläßlich einer Ausstellung von Handschriften vom 12. Juli 2003 bis zum 23. März 2003 (recte 2004), S. 13. (Zitiert nach: http://www.hab.de/bibliothek/wdb/publikationen/edok/wbi/2003-28/s1217.pdf [25.8.2005]). Vgl. auch Paul Zimmermann: Knittel, Franz Anton. In: ADB 16 (1882), S. 299f. Vgl. dazu Carla Falluomini: Der sogenannte Codex Carolinus von Wolfenbüttel (Codex Guelferbytanus 64 Weissenburgensis). Mit besonderer Berücksichtigung der gotischlateinischen Blätter (255, 256, 277, 280). Wiesbaden 1999 (Wolfenbütteler MittelalterStudien 13). Rudolf von Raumer: Geschichte der Germanischen Philologie vorzugsweise in Deutschland. München 1870 (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 9), S. 252. Franz Anton Knittel: Ulphilæ versionem gothicam nonnullorum capitum epistolæ Pauli ad Romanos [...] cum variis variæ litteraturæ monimentis huc usque ineditis. Braunschweig 1762, S. 484. Die Wolfenbütteler Fragmente werden heute unter der Signatur Cod. 131.1 Extravagantes aufbewahrt. Knittels Fund umfasst nach heutiger Zählung Bl. 7–10. Zum Inhalt vgl. Kleiber / Heuser II, 1 (2006). Digitales Faksimile des Cod. 131.1 im Internet: http://diglib.hab.de/wdb.php?dir=mss/131-1-extrav (8.9.2008).

61 mentar zusammen.206 Er datierte die Blätter auf der Grundlage eines Vergleiches mit der Datierung und einer Abbildung von F aus Jean Mabillons Res diplomatica, »docet similitudo«207, ins 11. Jahrhundert. Außerdem gab Knittel seiner Ausgabe einen Stich mit einem Teilstück als Abbildung bei.208 Hermann Herbst gelang es, den Fund Knittels um weitere sechs Blätter zu ergänzen, die aus der erwähnten Handschrift mit dem Vocabularius des Uguccio stammen (s. S. 57 mit Anm. 188). Heute werden die von Knittel gefundenen und edierten Blätter zusammen mit denen von Herbst in einem Band aufbewahrt.209

2.4.2 Die übrigen Fragmente (Bonn, Krakau / Berlin)210 Nach Knittel entdeckte man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitere Blätter aus D, die sich heute in Bonn und in Krakau (vormals Berlin) befinden. Ich behandle sie hier nur summarisch. Über ihre Auffindung kann man im einzelnen, wie bei denen von Knittel auch, nur wenig sagen. Sie wurden unmittelbar nach ihrem Bekanntwerden ediert und gingen bereits in die Ausgabe Graffs und (die von Herbst gefundenen Bruchstücke ausgenommen) in die großen Otfridausgaben Kelles, Pipers und Erdmanns ein.211 Zunächst zu den heutigen Krakauer Bruchstücken: Friedrich Heinrich von der Hagen erhielt aus dem Nachlaß Johann Friedrich August Kinderlings (1743–1807) in Templin zwei Doppelblätter, die er 1811 herausgab.212 Es erscheint mir signifikant für die Frühgeschichte der Germanistik und die Bewußtseinsbildung über die neue Fachdisziplin, daß die Fragmente in diesem Fall nicht von ihrem ersten Entdecker bzw. Besitzer selbst ediert wurden, sondern an einen ›fachkundigen Spezialisten‹, einen an der Universität

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Besondere Aufmerksamkeit schenkte Knittel im übrigen auch den Punkten und Akzenten. Vgl. Knittel (Anm. 204), S. 495. Knittel (Anm. 204), S. 494. Vgl. Knittel (Anm. 204), Tabula VIII, Specimen IIII. ad § 287. Sie bilden im Cod. 131.1 Extravagantes die Bl. 1–6. Zu einem Hinweis auf einen möglichen Neufund aus D s. S. 68. Dort präzise Angaben zum jeweiligen Inhalt aller Fragmente. Vgl. Piper I (21882), S. [175– [203. Erdmann (1882), S. XXX–XXXIX. Vgl. auch Kleiber / Heuser II, 1 (2006) sowie die Neubeschreibung Mildes (Anm. 182). Graff berücksichtigt in seiner Ausgabe von 1831 alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Bruchstücke, d. h. alle außer denen Herbsts und Böckings (s. Anm. 215). Vgl. Graff 1831, S. XVII. Friedrich Heinrich von der Hagen: Bruchstücke einer Handschrift von Otfrieds Evangelium. In: Museum für Altdeutsche Literatur und Kunst. Hg. von F. H. von der Hagen, Bernhard Joseph Docen, Johann Gustav Büsching und Bernhard Hundeshagen, Bd. 2. Berlin 1811, S. 1–16. Vgl. zu von der Hagen Eckhard Grunewald: Friedrich Heinrich von der Hagen. 1780–1856. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Germanistik. Berlin – New York 1988 (Studia linguistica Germanica 23). Die Stücke gab der Sohn Kinderlings an von der Hagen weiter. Zu beiden vgl. Carl Bertheau: Kinderling, Johann Friedrich August. In: ADB 15 (1882), S. 754.

62 ansässigen Wissenschaftler weitergereicht wurden.213 Ihre Zugehörigkeit zu D und einen Zusammenhang mit den Wolfenbütteler Blättern vermutete bereits der Vorbesitzer, der sich selbst, vor allem im Abgleich mit den Editionen von Flacius und Schilter, um den Text bemühte. Von der Hagen gelangte zu einem späteren Zeitpunkt in den Besitz eines weiteren Doppelblattes aus D, das aus dem Nachlaß Friedrich von Diez’ (1751–1817) stammt. 1812, wiederholt 1824, legte er seine Edition der »vom verstorbenen Legazionsrathe von Diez mir freundlich überlassene[n]«214 Stücke vor. Ursprünglich in den Kontext der Bonner Fragmente gehören die beiden Doppelblätter, die Moriz Haupt 1845 publizierte. Er erhielt sie durch den Bonner Historiker und Juraprofessor Eduard Böcking (1802–1870). Sein kurzer Fundbericht lautet:215 Vor Kurzem hat Herr Professor Böcking in Bonn zwei Blätter, mit deren jedem ein Streifen, ungefähr das Drittel eines Blattes, zusammenhängt, und die Stücke des otfridischen Werkes enthalten, von Buchdeckeln abgelöst und mir freundlich mitgetheilt.

Zu den Bonner Fragmenten: Hoffmann von Fallersleben fand Anfang 1821 in Bonn Fragmente aus D in den erwähnten Einbanddeckeln der Werke Thomas’ (s. S. 57). Er publizierte den Fund noch im selben Jahr.216 In seiner Autobiographie gibt er folgenden Bericht über seinen Fund: Am 8. Januar entdeckte ich in der Bonner Universitäts=Bibliothek auf dem Innern der Holzdecken, welche den schlechten Papierhandschriften der Summa Theologiæ des Thomas de Aquino als Einband dienten, schön geschriebene Pergamentblätter aus Otfrid’s Evangelienbuche. Meine Freude war gränzenlos: ich lief sofort mit einem Bande zu Welcker, zeigte ihm meinen Fund und bat um Erlaubnis die Blätter abzulösen. Er meinte, Herr Prof. Kastner der Chemiker müsse das am besten verstehen und der war denn auch dazu bereit. Die Ablösung wurde leider nicht so ausgeführt wie sie mir ohne alle chemische Kenntnisse gelungen wäre. Die Folge davon war, daß manche Buchstaben auf dem Deckel zurückgeblieben waren.217

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Von der Hagen war seit 1810 Extraordinarius in Berlin auf der ersten Professur für deutsche Sprache und Literatur. Vgl. Grunewald (Anm. 212), S. 16–19. Friedrich Heinrich von der Hagen: Noch ein Bruchstück aus Otfrieds Evangelium. In: Sammlung für Altdeutsche Literatur und Kunst. Hg. von F. H. von der Hagen, Bernhard Joseph. Docen, Johann Gustav Büsching und Bernhard Hundeshagen, Bd. 1, 1. Stück. Breslau 1812, S. 225–227. Wieder in Friedrich Heinrich von der Hagen: Otfried. In: Denkmale des Mittelalters. Hg. von dems., 1. Heft. Berlin 1824, S. 1–5, hier S. 1. Moriz Haupt: Blätter einer Handschrift von Otfrids Evangelienbuche. In: Berichte über die Verhandlungen der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Bd. 1 aus den Jahren 1846 und 1847. Leipzig 1848, S. 54–60, hier S. 55. Wieder in Moriz Haupt: Bruchstücke von Otfrids Evangelien. In: ZfdA 7 (1849), S. 563–568. Die Fragmente Böckings, Diez’ und Kinderlings werden heute in der Biblioteka Jagiellońska unter der Signatur Berol. mgq 504 (früher Berlin, SB, mgq 504) aufbewahrt. Vollständige Farbabbildungen: http://cgi-host.uni-marburg.de/~mrep/beschreibung.php?id=4334 (8.9.2008). Die Bonner Fragmente werden heute in der Universitätsbibliothek unter der Signatur Cod. S 499 aufbewahrt. Vollständige Farbabbildungen s. Anm. 215. Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen von dems. 6 Bde. Hannover 1868, hier Bd. 5, S. 247f. Vgl. auch Hoffmann (Anm. 186), S. IIIf.

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2.5 Verlorene Handschriften und Fehlzuschreibungen Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen zu verlorenen Otfridhandschriften im 16. Jahrhundert und darüber hinaus bildet der mutmaßliche Bestand an frühmittelalterlichen Handschriften des Evangelienbuchs. Nach allem, was wir aus den Dedikationen Otfrids schließen können, steht fest, daß es ursprünglich fünf Handschriften gegeben haben muß. V, das ›Autor-‹ und ›Weißenburger Hausexemplar‹, sowie vier Codices mit Widmungen, an Ludwig den Deutschen, an Liutbert von Mainz, an Salomo von Konstanz und an die St. Galler ›Studienfreunde‹ Otfrids, Hartmut und Werinbert.218 Von diesen Dedikationsexemplaren hat sich, so der letzte Stand der Forschung, keines erhalten.219 Dazu kommen demnach also P, vielleicht noch in unmittelbarem Zusammenhang mit Otfrid selbst entstanden, und die späteren Abschriften F und D. Daß es darüber hinaus weitere frühmittelalterliche Handschriften des Evangelienbuchs gab, gilt als unwahrscheinlich.220 Bei frühneuzeitlichen Hinweisen auf heute verlorene Otfridhandschriften könnte man zuerst also an die vier Widmungsexemplare denken. Die Indizienlage stellt sich aber so dar, daß eine Identifikation mit einem von ihnen in keinem Fall sicher möglich ist. Dies gilt im übrigen schon für mittelalterliche

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Vgl. dazu Hans-Joachim Behr: Eilige Philologie. Hoffmann von Fallersleben als Editor mittelalterlicher Texte. In: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1798–1998. FS zum 200. Geburtstag. Hg. von Hans-Joachim Behr, Herbert Blume und Eberhard Rohse. Bielefeld 1999 (Braunschweiger Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur 1), S. 169– 181, hier S. 171f. Vgl. dort auch über die Entdeckungen des Merigarto (1834) und des Ludwigsliedes (1839). Zu Hoffmanns Wiederentdeckung des Ludwigsliedes vgl. auch Mathias Herweg: Ludwigslied, De Heinrico, Annolied. Die deutschen Zeitdichtungen des frühen Mittelalters im Spiegel ihrer wissenschaftlichen Rezeption und Erforschung. Wiesbaden 2002 (IMAGINES MEDII AEVI. Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung 13), S. 31–35. Daß die genannten jeweils ein (vollständiges?) Exemplar des Evangelienbuchs erhielten, ist vorausgesetzt. Die Forschung kann sich dafür auf folgende Stellen der Widmungszuschriften Otfrids berufen: 1. Ad Ludovicum, V. 87–90: »Themo (sc. Ludwig) dihton ih thiz buah; oba er habet iro ruah, / odo er thaz giweizit, thaz er sa lesan heizit: / Er hiar in thesen redinon mag horen evangelion, / waz Krist in then gibiete Frankono thiete.« 2. Ad Liutbertum, Z. 1f: »Vestrae excellentissimae prudentiae praesentis libri stilum comprobare transmittens [...].« 3. Ad Salomonem, V. 5: »Lekza ih therera buachi iu sentu in Suabo richi, [...].« 4. In Ad Hartmuatem et Werinbertum fehlt ein eindeutiger Hinweis darauf, daß Otfrid ihnen ein Exemplar seines Buches geschickt hat. Bezweifelbar ist es wohl dennoch kaum aufgrund der biographischen Zusammenhänge Otfrids mit Hartmut und Werinbert sowie der Gebetsverbrüderung zwischen St. Gallen und Weißenburg. Zur Frage nach dem Textbestand der Widmungsexemplare vgl. Piper I (21882), S. 240]. Viel diskutiert ist die Frage, ob P das St. Galler Exemplar war. Vgl. Schützeichel, (Anm. 134), S. 55f. Bereits Piper I (21882), S. [249 sprach diese Vermutung aus: »Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass noch andere Otfridhandschriften sich finden, es müssten denn das Sankt Galler oder Constanzer Dedikationsexemplar [...] oder die übrigen Blätter der Hds. D. sein.«

64 Hinweise auf den Liber Evangeliorum.221 Im folgenden geht es um Spuren und Indizien des 16. bis 18. Jahrhunderts zu Handschriften des Evangelienbuchs. Dabei zeigt sich, daß man deutlich trennen kann zwischen ›echten‹ Spuren auf Verlorenes bzw. auf die heute bekannte Überlieferung auf der einen Seite und Fehlzuschreibungen auf der anderen Seite, die auf das Konto frühneuzeitlicher Gelehrter gehen und ihren Niederschlag vor allem in zeitgenössischen biobibliographischen Handbüchern finden.

2.5.1 Spuren verlorener Otfridhandschriften Ernst Hellgardt hat auf Grundlage von Spuren und Berichten des 16. Jahrhunderts eine Übersicht zu nicht mehr identifizierbaren Otfridhandschriften zusammengestellt.222 Ich gebe zunächst diese Bestandsübersicht wieder und arbeite sie anschließend ab: a) Flacius: Handschrift des Verzeichnisses von 1554 (Wagner / Nidbruck) b) Flacius: Vorlage für den Liutbert-Brief im Catalogus testium veritatis (Straßburg 1562) c) Flacius: Vorlage für die Zuschrift an Ludwig den Deutschen in der Otfridedition von 1571 d) Beatus Rhenanus / Konrad Gesner: Vorlage des Otfridexzerpts II, 23–10 e) Johann Wilhelm von Reiffenstein: Vorlage des an Gesner gesandten Otfridexzerptes (Evangelienbuch I, 4) ad a) Das Verzeichnis von Marcus Wagner führt – wie bereits in der Geschichte der Heidelberger Handschrift ausgeführt (s. S. 49) – Codices, die Matthias Flacius Illyricus und Caspar von Nidbruck für die Arbeit an den Magdeburger Centurien zur Verfügung stellten. Martina Hartmann datiert es auf die Jahre 1556/57. Da es sich bei diesem Verzeichnis um eine Liste bereits zusammengeführter Bestände handelt, muß sich die auf Bl. 32v erwähnte Otfridhandschrift zu diesem Zeitpunkt bereits in Regensburg befunden haben. Hermann Menhardt dachte an eine Vermittlung von V durch Nidbruck. Da Flacius wohl ab dem Sommer 1555 im Besitz von P war, liegt es näher anzunehmen, daß er diesen Codex den Centuriatoren übermittelte.223

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Karl Müllenhoff erwähnt in seinen Zeugnissen und Excursen zur deutschen Heldensage einen »comes Eccardus«, der an die Äbtissin von Afra »ein ›evangelio Theudisco‹, wahrscheinlich einen Otfried« verschenkt haben soll. Gemeint sind Graf Ekkehard von AutunPerrecy und Bertrada von Faremoutiers bei Meaux. Vgl. Karl Müllenhoff: Zeugnisse und Excurse zur deutschen Heldensage. In: ZfdA 12 (1865), S. 253–386, hier S. 290 und S. 292. Vgl. dazu Ernst Hellgardt: Zur Mehrsprachigkeit im Karolingerreich. Bemerkungen aus Anlaß von Rosamond McKittericks Buch »The Carolingians and the written word«. In: PBB 118 (1996), S. 1–48. Wolfgang Haubrichs: Otfrid von Weißenburg. Umrisse eines Lebens. In: Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 3–11, hier S. 11. Hellgardt (1992, Anm. 95), S. 277. Zur Argumentation s. bereits S. 49f.

65 ad b) Das erste geschlossene Textstück, das überhaupt aus dem Evangelienbuch zum Druck befördert wurde, war das lateinische Widmungsschreiben Otfrids an Liutbert in der zweiten Auflage von Flacius’ Catalogus testium veritatis (1562). Ernst Dümmler führte einen detaillierten Lesartenvergleich mit P durch und kam zu dem Schluß, daß man die Varianten »keinesfalls alle dem herausgeber, sondern zum allergrösten teile sicherlich seiner vorlage wird zuschreiben dürfen.« Das heißt für ihn in der Konsequenz: »der gedanke, dass eine der uns bekannten hss. hier zu grunde liege, ist damit ausgeschlossen.«224 Sein gut abgesicherter Befund ist insofern sicher zutreffend, als weder P noch V die unmittelbaren Vorlagen für den Abdruck der Approbationsepistel lieferten. Muß man aber deshalb zwingend auf eine verlorene mittelalterliche Otfridhandschrift schließen? Als weiterer vor 1562 liegender Textzeuge für Ad Liutbertum, den Dümmler nicht in seine Überlegungen miteinbezog, käme noch die 1560 angefertigte Abschrift Gassers in Betracht.225 Daß sie Druckvorlage für den Catalogus bildete, ist zwar auszuschließen, der Druck des Widmungsschreibens wird aber, wie bei der späteren Otfridedition, auch im Fall des Catalogus testium veritatis vermittelt durch eine Abschrift erfolgt sein. Bekanntlich legten die Magdeburger Centuriatoren, insbesondere Marcus Wagner, umfangreiche Quellenexzerpte für ihr kirchenhistorisches Großunternehmen an.226 Meine These für die Vorlagenfrage des Widmungsschreibens lautet, daß alle drei Widmungsschreiben, die P eröffnen, kopiert wurden und Flacius nach dem Verkauf der Handschrift an Ulrich Fugger abschriftlich zur Verfügung standen. Daß sich auf dem zweifach vermittelten Weg zum Druck über Abschrift und Setzer leicht signifikante Veränderungen gegenüber der ›originalen‹ Vorlage ergeben konnten, ist durch die Otfridausgabe gut belegbar.227 Der Schluß auf eine verlorene frühmittelalterliche Handschrift des Evangelienbuchs ist auf dieser Basis jedenfalls nicht zwingend nötig. ad c) Dasselbe gilt prinzipiell für die Frage nach der Vorlage für Ad Ludovicum in der Ausgabe von 1571. Aus den Seitenzahlen und Lagenbezeichnungen, die der Setzer in seine unmittelbare Vorlage, die Abschrift Gassers, eintrug, geht eindeutig hervor, daß die Widmungsschreiben an Ludwig und Salomo nicht nach Gasser, sondern nach einer anderen Vorlage gedruckt wurden. In der Gasserschen Abschrift fehlt – wie in P heute – der Anfang der Widmung an Ludwig den Deutschen. Nimmt man an, daß Flacius auch hierfür eine Abschrift vorlag und er sich allein auf diese stützte, muß man voraussetzen, daß P zu dem Zeitpunkt, als diese (nicht erhaltene) Teilabschrift genommen wurde, in dem betreffenden Teil der Handschrift noch unversehrt gewesen sein muß. Die letzten Blätter mit Teilen des fünften Buches und dem Anfang der Widmung an

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Ernst Dümmler: Zum ersten Bekanntwerden Otfrids. In: ZfdA 44 (1900), S. 316–318, hier S. 317. Einen Lesartenvergleich von Ad Liutbertum im Catalogus mit V, P, der Gasserschen Abschrift und dem Druck von 1571 führe ich S. 129f. durch. Vgl. Hartmann (Anm. 129), S. 259–266. Vgl. Hellgardt (1992, Anm. 95), S. 272.

66 Hartmut und Werinbert könnten bereits gefehlt haben. Zumindest lagen sie nicht abschriftlich vor, sonst wären sie sicher auch in der Edition ergänzt worden, wo sie aber fehlen (s. S. 139–141). Diese Hypothek scheint mir leichter tragbar zu sein, als in V, dem einzigen erhaltenen mittelalterlichen Textzeugen, die Quelle für den Anfang der Ludwigwidmung im Druck von 1571 zu vermuten.228 Aus V hätte Flacius für den Druck natürlich ebenso die in P am Ende fehlenden Textpartien ergänzen können. Auch für diesen Fall ist die Annahme einer verlorenen, mittelalterlichen Otfridhandschrift also nicht von vorneherein gerechtfertigt. Für den Erklärungsversuch, den ich damit biete, kann ich zwar keine kohärentere Argumentation vorlegen als für eine Beweisführung auf der Basis (einer oder mehrerer) im 16. Jahrhundert verlorengegangener mittelalterlicher Otfridhandschriften. Die spezifischen frühneuzeitlich-philologischen Arbeitstechniken, hier die für die Magdeburger Centurien gedachten Abschriften oder genauer, solche von Marcus Wagner für Flacius, könnten dennoch für eine Vorgehensweise im vorgeschlagenen Sinne sprechen. ad d) Zu den textidentischen Exzerpten des Beatus Rhenanus (handschriftlich) und Konrad Gesners (Druck) wurde bereits das Wesentliche gesagt (s. S. 41f.). Beide gehen auf dieselbe handschriftliche Vorlage zurück, die sicher nicht mehr umfaßte als das zitierte Stück II, 23, 7–10. Von dieser Vorlage ist freilich wiederum zurückzuschließen auf eine beiden gemeinsame Vorlage. Ob es sich dabei um eine frühneuzeitliche Abschrift oder eine verlorene bzw. zum Bestand der heute bekannten Otfridüberlieferung gehörige mittelalterliche Handschrift handelte, läßt sich nicht mehr entscheiden. ad e) In einem Brief vom 22. April 1563 schreibt Konrad Gesner an Achill Pirmin Gasser, er habe von Johann Wilhelm von Reiffenstein aus Stolberg (um 1520–1575) zwei Blätter aus dem Evangelienbuch erhalten, die dieser ihm aus einem Codex abgeschrieben habe, der sich in einem Kloster der näheren geographischen Umgebung von Reiffensteins befinde. Die Blätter hätten, so Gesner, den Anfang des ersten Kapitels aus dem Lukasevangelium, d. h. Kapitel I, 4 des Evangelienbuchs, enthalten. Ein Vergleich mit der Abschrift Gassers ergebe, daß diese einen etwas besseren Text biete: Nudius tertius a Ioanne Vuilhelmo Reyffensteinio, qui habitat prope Stollbergam, accepi duo folia specimen Ottfridi, quæ mihi transcripsit ex codice, qui illic in monasterio quodam puto habetur. Est autem principium primi capitis Lucæ, idem plane cum tuo, sed tu nonnihil emendatius descripsisse videris. Idem Alphabetum Gothicum misit et quædam eius linguæ (quæ et ipsa Germanica est) specimina, sicut et Georgius Cassander, vir doctissimus, e Colonia.229

Gesner trennt deutlich zwischen dem an zweiter Stelle erwähnten Alphabetum und den specimina in gotischer Sprache, wie er sie auch von Georg Cassander (1512–1566) aus Köln erhalten habe, auf der einen Seite und dem specimen

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Davon gehen Piper I (21882), S. 44] und Menhardt (Anm. 3), S. 11. aus. Zu den Gegenargumenten s. S. 139–141. Burmeister (Anm. 164), S. 231, S. 233 (deutsche Übersetzung).

67 Ottfridi auf der anderen. Von einem Zusammenhang in der Vermittlung beider an Reiffenstein durch Cassander, den Entdecker des Codex argenteus, ist nicht die Rede.230 Woher die Vorlage Reiffensteins gestammt haben könnte, läßt sich nicht mehr sagen. Gesner spricht von einem Kloster in der näheren Umgebung Stolbergs, schränkt den Verläßlichkeitsgrad seiner Aussage aber deutlich durch das puto ein. Die Prämonstratenserabtei Illfeld im Harz, die 1546 in ein protestantisches Pädagogicum umgewandelt worden war, wurde als mögliche Bezugsquelle Reiffensteins ins Feld geführt, darüber hinaus Wernigerode, Stolberg und andere.231 Alle diese Hinweise führen ins Leere. Sicher ist nur, daß die Quelle eine andere ist als die für das Zitat von 1561 im Maalerschen Wörterbuch. Nimmt man die Bemerkung Gesners ernst, die Abschrift sei »ex codice«, also einer (mehr oder weniger) vollständigen Handschrift erfolgt, scheiden aus dem Bestand der heute bekannten Überlieferung F und P aus. F ist geographisch zu weit entfernt, P bereits seit 1560 in der Bibliothek Ulrich Fuggers. Infrage käme also ausschließlich V.232 Eine Identifikation mit V ist aber auf Grundlage der Angaben von Gesner nicht möglich, auch wenn an dieser Stelle ein wichtiger Hinweis auf ihren ungewissen Verbleib bis zu ihrer ersten Katalogisierung 1576 in Wien vorliegen könnte (s. S. 22). Dagegen spräche die Einschätzung bezüglich des im Vergleich zur Gasserschen Abschrift ›schlechteren‹ Textes (»tu nonnihil emendatius descripsisse videris«), den Reiffenstein übersandt habe. Diese Aussage ist freilich mit Vorsicht zu genießen, da es sich in beiden Fällen um Vermittlungsprodukte handelt und wir nur über den Grad der Genauigkeit der erhaltenen Gasserschen Abschrift im Vergleich zu ihrer Vorlage urteilen können. Eine letzte Möglichkeit, die einer Prüfung unterzogen werden kann, sind Fragmente aus der zu diesem Zeitpunkt bereits makulierten Handschrift D als denkbare Vorlage Reiffensteins. Die geographische Nähe Stolbergs zu Hildesheim könnte ein Argument dafür sein, konkrete Indizien für Beziehungen Reiffensteins zum Sültekloster fehlen jedoch. Die Tatsache, daß der erwähnte Abschnitt aus dem Evangelienbuch (I, 4) gerade nicht zu den heute bekannten Bruchstücken gehört, spricht eher für als gegen eine dahingehende Argumentation.233 Gesner spricht aber eindeutig von einem Codex, nicht von Fragmenten

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In diesem Sinne Josef Wilhelm Schulte: Zu Otfrid. In: ZfdA 22 (1878), S. 406–409, hier S. 408. Burmeister (Anm. 229), S. 235 (Illfeld). Schulte (Anm. 230), S. 408f. (Wernigerode, Stolberg). Vgl. auch Manfred Peters: Der Linguist Conrad Gessner und seine Bemühungen um die althochdeutschen Sprachdenkmäler. In: Sprachwissenschaft 2 (1977), S. 470–485, hier S. 481f. Den Zusammenhang mit dem »Spanheimische[n] codex« stellte bereits Schulte her, ohne zu wissen, daß es sich dabei um V handelte. Vgl. Schulte (Anm. 230), S. 409. Alle Fragmente, die aus D bekannt geworden sind, wurden als Einbandmaterial aufgefunden. Da es sich bei dem specimen Reiffensteins offenbar um ein längeres in sich geschlossenes Stück (zwei Blätter, recto- und verso-Seite) handelte, müßte man die Ablösung der Blätter aus dem Einband oder die Auffindung noch unverwendeter Blätter voraussetzen, sodaß auch jeweils die recto-Seite lesbar war. In V etwa umfaßt I, 4 die Bl. 15v–17v.

68 einer Handschrift.234 Unverwendete oder aus D abgelöste Blätter könnte man nur unter der Bedingung als Vorlage Reiffensteins plausibel machen, daß Gesner entgegen seiner brieflichen Aussage doch nicht präzise über ihre Gestalt informiert war oder den Fund Gasser gegenüber bedeutender darstellen wollte als er tatsächlich war. Für D könnte auch der Hinweis Karl Weigands sprechen, »ein vor Jahren verstorbener geistlicher zu Friedberg wollte daselbst [d. h. in Friedberg (Wetterau)] blätter einer pergamenths. von Otfrids evangelienharmonie gefunden und verschenkt haben.«235 Die Frage muß letzlich offenbleiben. Zwei weitere Hinweise auf verlorene Otfridhandschriften sind an dieser Stelle abschließend zu behandeln: Johann Kelle druckt in der Einleitung zu seiner Otfridausgabe Bruchstücke eines Blattes aus dem Evangelienbuch, die ihm Jacob Grimm vermittelt habe.236 Das Blatt beinhaltet auf der recto-Seite in den größten Teilen nicht mehr lesbare Verse aus IV, 11, auf der verso-Seite aus IV, 27f. Grimm selbst wiederum erhielt dieses Blatt in Abschrift von Ludwig Konrad Bethmann (1812–1867), der sich aber nur noch dunkel daran erinnern will, »als sei das Blatt aus der Bibl. Christina im Vatican«237. Bethmann durchforstete für die Monumenta Germaniae Historica von 1850 bis 1853 nicht nur die Bibliotheca Vaticana, sondern leistete darüber hinaus eine Sichtung eines »großen Theils auch der übrigen Archive und Bibliotheken der Halbinsel«238. Seine vage Erinnerung könnte ihn angesichts der Vielzahl von ihm bereister Bibliotheken auch getäuscht haben. Eine Durchsicht der Kataloge der Handschriften der ehemaligen Bibliothek der Christina von Schweden (die heutigen Codices Reginenses) blieb jedenfalls ergebnislos.239 Das Blatt muß als verschollen gelten. Der Textbefund suggeriert aber, daß die Textstücke Bethmanns nicht die recto- und verso-Seite eines Blattes bildeten, wie Kelle es auf der Grundlage der Abschrift Bethmanns oder Grimms darstellte, sondern von zwei separaten Blättern stammen. Sie umfassen 14 bzw. 15 Zeilen und waren offenbar am oberen und unteren Seitenrand beschnitten. Dies legt die Vermutung nahe, daß es sich dabei um weitere, bisher unidentifiziert gebliebene Fragmente aus D handelt, die Bethmann im vorderen und / oder hinteren Einband eines alten Druckes oder einer Handschrift fand, sie aber nicht herauslöste bzw. herauslösen durfte und nur den jeweils in situ sichtbaren Text notierte. Die (Wieder-) Auffindung dieser Bruchstücke dürfte, wenn auch mit erheblichem Aufwand verbunden, nicht unmöglich sein.240

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Das »puto« im Text des Briefes bezieht sich nur auf den Nebensatz. Karl Weigand: Zur altmitteldeutschen Evangelienharmonie. In: ZfdA 8 (1851), S. 258– 274, hier S. 261, Anm. 1. Vgl. Kelle I (1856), S. 144. Kelle II (1869), S. XXX. Vgl. auch Piper I (21882), S. 240]f. Otto von Heinemann: Bethmann, Ludwig Konrad. In: ADB 2 (1875), S. 573f. Vgl. Andreas Wilmart: Bibliothecæ Apostolicæ Vaticanæ Codices manu scripti recensiti iussu Pii XI Pontificis Maximi præside Iohanne mercati. Codices Reginenses latini Tom. I et II. E Civitate Vaticana 1937/1945. Im Grimm-Nachlaß finden sich offenbar keine weiterführenden Hinweise dazu. Dort werden lediglich Briefe und Exzerpte Bethmanns an Wilhelm Grimm aufbewahrt, die zu-

69 Schließlich gab Oskar Erdmann in seiner großen Otfridausgabe den Hinweis auf die Spur einer Handschrift, die Kelle bis 1784 verfolgen konnte, aber ohne weiteren Erfolg.241 Eine Prüfung dieses Hinweises »nach freundlicher mündlicher Mitteilung« setzt eine umfassende Sichtung des Kelleschen Nachlasses voraus. Dabei ist ungewiß, ob sich in seinem Briefwechsel oder anderswo Spuren finden lassen, die seine Suche dokumentieren und weiterführende Erkenntnisse möglich machen könnten.242 Überblickt man zusammenfassend alle angeführten Spuren auf Verlorenes, bleibt nur der Hinweis darauf, daß keine neuen (Groß-)Funde an Handschriften oder Bruchstücken des Evangelienbuchs erwartbar sind. Indizien auf eines der vier Widmungsexemplare konnten auf der Grundlage frühneuzeitlicher Hinweise nicht geltend gemacht werden. Immerhin konnte gezeigt werden, daß ein grundsätzlicher Fehler der Forschung in bezug auf die handschriftlichen Vorlagen von Matthias Flacius darin bestand, vorschnell Rückschlüsse vom Druck auf verlorene mittelalterliche Handschriften zu schließen. Der Weg von der Handschrift zum Druck geschieht in diesen Fällen vermittelt über frühneuzeitliche Abschriften. Das hängt mitunter damit zusammen, daß Flacius Handschriften des öfteren – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen – relativ kurze Zeit, nachdem er sie in seinen Besitz gebracht hatte, weiterverkaufte. Damit ließen sich die Abschnitte a), b) und c) erklären. Für d), e) und die zwei abschließend behandelten Hinweise läßt sich die Vorlagenfrage nicht in derselben Weise lösen. Die Frage, um welche Otfridhandschriften es sich in diesen Fällen gehandelt haben mag, muß ungeklärt bleiben.

2.5.2 Fehlzuschreibungen: Die Otfridhandschrift der Bodleian Library und der Frankfurter Otfrid In gelehrten Publikationen des 17. bis 19. Jahrhunderts finden sich mehrfach Hinweise auf Otfridhandschriften, die sich eindeutig als Fehlzuschreibungen entlarven lassen. Einen gewissen End- und Höhepunkt in der Geschichte dieser Fehlzuschreibungen bildet der Otfridartikel in Heinrich Wilhelm Rotermunds Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Jöchers allgemeinem Gelehrten=Lexikon von 1816. Zu den Handschriften des Evangelienbuchs steht dort:

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dem wesentlich früher als die Italienreise Behtmanns datiert sind. Vgl. Ralf Breslau: Der Nachlass der Brüder Grimm. Teil 1: Katalog. Wiesbaden 1997 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung. Hg. von Tilo Brandis, 2. Reihe: Nachlässe 3), Nr. NG 100; NG 316, 312–316; NG 800. Vgl. Erdmann (1882), S. LIII: »Kelle hat (nach freundlicher mündlicher Mitteilung) die Spur einer Otfridhandschrift in der vormals Lobkowitzschen Bibliothek in Prag bis 1784 verfolgt; dieselbe ist weiter aber nicht mehr nachzuweisen.« Vgl. zu Johann Kelle und seinem Nachlaß Peter Wengel: Kelle, Johann Nepomuk von. In: Internationales Germanistenlexikon. Hg. und eingeleitet von Christoph König, Bd. II: H– Q. Berlin – New York 2003, S. 910f.

70 Handschriften von Otfrieds Evangelienbuch befinden sich auf der Kaiserl. Bibliothek zu Wien, die Ambrsische [!] genannt – Eine spätere, aber am Anfange mangelhafte, zu Freysingen – Eine pfälzisch=vaticanische, die aber, ehe sie von Heidelberg nach Rom kam, 1650 zu Augsburg von dem Stadtarzte Achilles Pirminius Gassar abgeschrieben worden ist. [...] Im Jahre 1816 ist der berühmte Codex Palatinus von Otfrieds poet. Umscheib. (!) der vier Evangel. der Universität vom Pabste Pius VII. mit vielen andern altteutschen Handschriften zurückgegeben worden. – Eine zu Frankfurt am Mayn – Eine zu London in der Bodlejanischen Bibliothek, und eine in der Königl. Bibl. zu München. – Eine neue Ausgabe wurde zu Rostock 1732 veranstaltet.243

Einige weniger gravierende Versehen klären sich von selbst: V stammte nicht aus der Ambraser Sammlung Maximilians I. und wurde auch nie als Teil derselben bezeichnet. Der Fehler geht hier wohl zurück auf eine Verwechslung mit den Beschreibungen Ambrasischer Handschriften in den Commentarii Peter Lambecks. Auf die Handschriftenbeschreibungen, die Lambeck in einen weiten Zusammenhang mit Karl dem Großen stellt und zu denen er auch die Wiener Handschrift des Evangelienbuchs zählt, folgen Beschreibungen von 500 Handschriften aus Ambras.244 Auch der Zahlendreher bei der Datierung der Gasserschen Abschrift (1650 | 1560) ist als kleinerer Lapsus zu werten. Auf dem neuesten Stand ist Rotermund bezüglich der Rückgabe von P an die Universität Heidelberg. Der Hinweis auf Otfridhandschriften in Freising und in München klärt sich dahingehend auf, daß sich F seit 1804 in München, vorher in Freising befand. Rätselhafter sind die Angaben zu einem Frankfurter Otfridcodex und zu einem weiteren Otfridcodex in der Bodleian Library.245 Ihnen gehe ich im folgenden nach, wobei es mir darauf ankommt, zu beobachten, worauf diese Fehlzuschreibungen beruhen und wo sie unhinterfragt übernommen werden. Zunächst zum Otfrid der Bodleian Library: Welcher Codex ist mit dem Hinweis in der Jöcher-Fortsetzung angesprochen? In den Beständen der Bodleian Library gab und gibt es nachweislich keine mittelalterliche Handschrift des Evangelienbuchs. Die verschiedenen Bezugnahmen darauf deuten auf einen Zusammenhang einer Otfridhandschrift mit dem Gelehrten Franciscus Junius (1591–1677) hin.246 In den Monathlichen Unterredungen von 1691 verweist der Herausgeber Wilhelm Ernst Tentzel auf eine Frankfurter und die Wiener Handschrift, die

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Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Jöchers allgemeinem Gelehrten=Lexikon worin die Schriftsteller aller Stände nach ihren vornehmsten Lebensumständen und Schriften beschrieben werden. Angefangen von Johann Christoph Adelung und vom Buchstaben K fortgesetzt von Heinrich Wilhelm Rotermund. Bd. 9 (Ergänzungsbd. 5). Leipzig 1816 (ND Hildesheim 1961), Sp. 1269. Zu Lambecks Beschreibung von V s. Kap. 3.3. Die Angabe zu einer Rostocker Otfridausgabe von 1732 ist falsch. Worauf dieser Fehler beruht, konnte ich nicht ermitteln. Vgl. auch die Angaben in Edward Bernard: Catalogus Librorum MS. Angliæ et Hiberniæ. Tom. I. Pars 1. Oxoniæ 1697, S. 250. Joannes G. Graevius: Vita Francisci Junii. In: Franciscus Junius: De Pictura Veterum Libri Tres [...]. Rotterdam 1694, S. 32.

71 einer Neuausgabe zugrundegelegt werden müßten.247 Aus ihnen könne man den Text des Evangelienbuchs wiederherstellen und »in einem neuen Kleide vor die gelehrte Welt«248 treten lassen. Dazu komme als weitere Quelle, die man konsultativ heranziehen müsse, eine »Abschrift«249 aus der Feder von Franciscus Junius, die Tentzel unter dem Titel führt: »Libri Francici MSS Otfridi Weissenburgensis Evangeliorum Liber, nitidissime scriptus, cum Indice Capitulorum. a Dn. Junio, parante novam editionem«.250 Wo sich diese Abschrift befinde, gibt Tentzel nicht an. Es dürfte aber zum Repertoire gelehrten Wissens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gehört haben, daß der handschriftliche Nachlaß von Junius in die Bodleian Library in Oxford gelangte.251 Darunter findet sich tatsächlich ein Juniusautograph, das eine vollständige Abschrift des Evangelienbuchs enthält (MS. Junius 17).252 Auf Bl. 1r dieser Abschrift steht in Anlehnung an die Ausgabe (1571) von Matthias Flacius der Titel: »OTFRIDI WEISSENBURGENSIS EVANGELIORVM LIBER; veterum Germanorum grammaticae, poeseos, theologiae, praeclarum monumentum«. Es folgen auf Bl. 3r–4r die Widmungen an Salomo, Bl. 4r–6v an Ludwig den Deutschen, Bl. 6v–8r die lateinische Widmungsepistel an Liutbert und von Bl. 8r–128v die fünf Bücher des Evangelienbuchs. Auf Bl. 129rv steht der Modus confitendi nach dem Fuldaer Sakramentar, den auch Flacius seiner Otfridausgabe beigab. Allein aus der Titelgebung und Textanordnung sowie der Aufnahme einer Abschrift der Fuldaer Beichte kann man also auf die unmittelbare Vorlage von Junius rückschließen. Es handelt sich dabei,

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Zu Tentzel und den Monathlichen Unterredungen vgl. Eugene Egert: Wilhelm Ernst Tentzel. In: ABäG 26 (1987), S. 153–170. Monathliche Unterredungen 1691, S. 721. Monathliche Unterredungen 1691, S. 721. Monathliche Unterredungen 1691, S. 721. Dort sind auch die Tatian- und Annoliedabschriften von Junius genannt. Vgl. zur Tatianabschrift Peter F. Ganz: MS Junius 13 und die althochdeutsche Tatianübersetzung. In: PBB 91 (1969), S. 28–76. Zu Leben und Werk vgl. die Einleitungen der Herausgeber in: Franciscus Junius: Cædmonis Monachi Paraphrasis Pœtica Genesios ac præcipuarum Sacræ paginæ Historiarum, abhinc annos M.LXX. Anglo-Saxonicè conscripta, & nunc primum edita. Hg. von Peter J. Lucas. Amsterdam – Atlanta 2000 (Early Studies in Germanic Philology 3), S. ix–xxxv. Franciscus Junius: Observationes in Willerami Abbatis Francicam Paraphrasin Cantici Canticorum. Hg. von Norbert Voorwinden. Amsterdam – Atlanta 1992 (Early Studies in Germanic Philology 1), S. v–xxxiii. Vgl. desweiteren Franciscus Junius F. F. and his circle. Hg. von Rolf H. Bremmer Jr. Amsterdam – Atlanta 1988 (Dutch quarterly review of Anglo-American letters, Studies in literature 21). Der erhaltene Briefwechsel von Junius ist ediert in »For my worthy freind Mr. Franciscus Junius«. An edition of the complete correspondence of Francis Junius F. F. (1591–1677). Bd. 1: Introduction, text and commentary. Bd. 2: Translation, critical apparatus and index. Hg. von Sophia Georgina van Romburgh. Leiden (Univ. Diss.) 2002 (Brill’s Studies in Intellectual History). Vgl. das Katalogisat in Falconer Madan / H. H. E. Craster / N. Denholm-Young: A summary Catalogue of Western Manuscripts in the Bodleian Library at Oxford which have not hitherto been catalogued in the Quarto Series. With References to the Oriental and other Manuscripts. Vol. II. Part. II: Collections and miscellaneous MSS. acquired during the second half of the 17th century, Oxford (Clarendon Press) 1937, S. 966.

72 wie bereits Paul Piper in einem ausführlichen Lesartenvergleich nachwies, um den Druck von Flacius.253 Erkennbar ist dies im übrigen auch an der identischen Texteinrichtung und den übereinstimmenden Textlücken. Junius ergänzt den Text lediglich um eine Verszählung.254 Darüber hinaus enthält die sauber geschriebene Kopie keine Änderungen gegenüber Flacius, die über die Wortebene hinausgingen. Es finden sich auch keine Anmerkungen zum Text.255 Damit stellt sich die Frage nach der Funktion dieser Abschrift. Bereits im 17. Jahrhundert wird immer wieder auf die Seltenheit des Otfriddrucks von 1571 hingewiesen.256 Dies könnte die mehrfach vorliegenden Abschriften der Flaciusausgabe grundsätzlich erklären. Für Franciscus Junius greift dieses Argument aber nicht, da er auch im Besitz des Drucks war (heute MS. Junius 80).257 Die von Piper beobachteten Vereinheitlichungen und Korrekturen der Abschrift gegenüber Flacius könnten, wie dies auch Tentzels Angabe (»parante novam editionem«) suggeriert, daran denken lassen, daß Junius an einer Neuausgabe des Evangelienbuchs arbeitete. In MS. Junius 17 könnte somit die Vorstufe zu einer Edition vorliegen. Gegen diese Annahme sprechen aber zum einen die Aussagen von Junius in seinen Briefen. In zwei Schreiben spricht er davon, mit der Kommentierung des Evangelienbuchs beschäftigt zu sein.258 Von Plänen zu einer Neuausgabe ist an keiner Stelle die Rede. Zum anderen ist es nur schwer vorstellbar, daß Junius, der im Bereich der Editorik altenglischer und gotischer Texte vorbildliche Pionierarbeit leistete, ohne den Blick in eine Otfridhandschrift an eine Edition dachte.259 Über den Bestand und die Aufbewahrungsorte der erhaltenen Otfridhandschriften konnte Junius bis zum Erscheinen von Lambecks Commentarii 1669 nur teilweise informiert sein durch die Angaben von Flacius (Zitat aus Beatus Rhenanus zu F) und die Emendationes Marquard Frehers (zu P, s. dazu Kap. 3.2.1).

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Piper I (21882), S. 242]–[249. Irritieren kann auf den ersten Blick, daß die synoptischen Übersetzungen zu den deutschen Widmungsschreiben weggelassen sind. Der von Tentzel erwähnte Index Capitulorum fehlt in MS. Junius 17. Junius ließ überhaupt alle Kapitelverzeichnisse zu den einzelnen Büchern des Evangelienbuchs weg. Vgl. dazu Piper I (21882), S. [243–[249. Der Druck erschien wahrscheinlich in einer Auflage von 200 Exemplaren. S. S. 133f.. Eine Auflistung der noch erhaltenen Exemplare der Otfridausgabe von Matthias Flacius Illyricus auf S. 159–161. Vgl. Madan (Anm. 252), S. 981. Daß er den Druck erst zu einem späteren Zeitpunkt erwarb, scheint mir unwahrscheinlich. S. dazu S. 73. Vgl. die Dedikationsepistel zur Ausgabe des Codex argenteus (1664) an Magnus Gabriel de la Gardie: Junius habe in Frankfurt Kenntnis von einem Wörterbuch erhalten, das ihm nützlich sein könne »in ’t illustreren van Otfridus« (Nach van Romburgh [Anm. 251], Bd. I, S. 446). Am 11. Februar 1670 schreibt er an Thomas Marshall über seine Studien, »which are now bent upon Otfridus, whom I hope toillustrate [!] in places innumerable« (Nach van Romburgh [Anm. 251], Bd. I, S. 469). Vgl. zu Otfrid auch die Stellen aus fünf weiteren Briefen nach van Romburgh (Anm. 251), Bd. I, S. 344, 409, 414, 417, 419, 424, 431, 445. Vgl. die Ausgaben des Cædmon (1655, Nachdruck s. Lucas [Anm. 251]) und des Codex argenteus (1664).

73 Demgegenüber sprechen mehrere Argumente dafür, daß Junius an den Vorbereitungen für einen Kommentar des Evangelienbuchs in der Art seiner Observationes zu Willirams Hoheliedparaphrase arbeitete, die offenbar allerdings nicht besonders weit gediehen.260 Dafür hätte er sich ausschließlich auf den Text nach Flacius stützen können.261 Für die Frage nach der Funktion der Abschrift hilft dies nicht weiter. Eine präzise Datierung wurde bis jetzt nicht unternommen. Sie ist weder aus textexternen noch -internen Merkmalen zu gewinnen. Aus diesem Grund wäre etwa die Hypothese, daß Junius die Abschrift als Arbeitsgrundlage verwendete, bevor er eines der seltenen gedruckten Exemplare erwerben konnte, nur bedingt tragfähig. Im Unterschied dazu sprechen einige Argumente dafür, daß Junius den Druck und seine Abschrift parallel benutzte.262 Junius diente der Flaciusdruck nachweislich als Arbeitsexemplar. Die zahlreichen Unterstreichungen, Querverweise innerhalb des Evangelienbuchs und auf seine eigenen handschriftlichen Glossare belegen dies hinreichend. Otfrid war für Junius vor allem für seine lexikographischen Zwecke als erste umfassende Quelle in theotisker Sprache interessant.263 Daß er Abschriften von Drucken nahm, ist auch für andere Fälle belegt und scheint ein konstitutives Element seiner Arbeitsweise und geradezu Teil seiner sprachhistorischen Verständnisbildung zu sein.264 Die Abschrift in MS. Junius 17 blieb dagegen ohne jede Unterstreichung, Verweisung oder Anmerkung. Die Vereinheitlichungen und Korrekturen gegenüber dem Druck sowie die Hinzufügung einer Verszählung könnten dafür sprechen, daß Junius die Abschrift ausschließlich als Zitierexemplar verwendete.265 Auch das kleine Format des Drucks läßt dahingehende Erwägungen nicht ganz abwegig erscheinen.266 In Rotermunds Jöcher-Fortsetzung wurde jedenfalls aus der Abschrift von Franciscus Junius, der die gedruckte Ausgabe von 1571 zugrunde liegt, eine (mittelalterliche) Handschrift. Nur um sie kann es sich dabei handeln. Bis zu

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Vgl. van Romburgh (Anm. 251), Bd. I, S. 469, Anm. 4. In MS. Junius 115a, Bl. 42–146 unternahm Junius eine erste Lemmatisierung des Otfridwortschatzes. Auch den Observationes legte Junius keine Handschrift, sondern die 1598 erschienene Ausgabe der Williramschen Hoheliedbearbeitung von Paulus Merula zugrunde. Vgl. Voorwinden (Anm. 251), S. xiv. Zu relativieren ist die Angabe von Rademaker, Junius habe den Flaciusdruck bereits früh besessen und ihn an einen Freund seines Brudes Johan Casimir verschenkt. Gemeint ist in der betreffenden Briefstelle eine Auflage des Catalogus testium veritatis von Matthias Flacius. Vgl. Cornelis S. M. Rademaker: Young Franciscus Junius. 1591–1621. In: Bremmer (Anm. 251), S. 1–17, hier S. 9f mit Anm. 40f. Wann und wo Junius den Druck von 1571 erwerben konnte, muß folglich offenbleiben. Vgl. van Romburgh (Anm. 251), Bd. I, S. 409, Anm. 11. Dazu Eric G. Stanley: The sources of Junius’s learning as revealed in the Junius manuscripts in the Bodleian Library. In: Bremmer (Anm. 251), S. 159–176, bes. S. 160f. und 168. MS. Junius 17 hat einige Lesarten mit Otfridzitaten in den Observationes gemeinsam, die vom Flaciusdruck abweichen. Für andere Fälle kann man bei Junius genau die gegenteilige Vorgehensweise beobachten. In diesen nutzte er Drucke als Zitierexemplare und fertigte sich Abschriften (mit freigelassenen Seiten, Querverweisen u. a. ) als Arbeitsexemplare an.

74 Pipers Autopsie und Kollation war die Vorlage der Juniusschen Abschrift nicht mit Sicherheit identifizierbar. Die Angaben bei Tentzel, Bernard und Graevius waren diesbezüglich nicht eindeutig, da sie die Quelle von Junius nicht benennen und lediglich von einem Transkript sprechen.267 Vor Piper konnte man also auch ohne weiteres an einen unbekannt gebliebenen mittelalterlichen Textzeugen denken.268 Der Fehler scheint in diesem Fall singulär und direkt auf Rotermund zurückzuführen zu sein. Weitere Quellen lassen sich dafür nicht benennen. Zur Frankfurter Otfridhandschrift: Erwähnungen einer vorgeblichen Frankfurter Otfridhandschrift finden sich im 17. bis 19. Jahrhundert dagegen mehrfach. Abgesehen von Rotermund verweisen von der Hagen und Büsching in ihrem Grundriß von 1812 (mit Fragezeichen) und Koch in seinem Compendium (1790) auf sie.269 Woher beziehen diese Handbücher ihre Informationen und wo haben die Hinweise ihre erste Quelle? Alle drei machen keinerlei Angaben zu ihren Informationsquellen.270 Hoffmann von Fallersleben klärt in seinen Fundgruben (1830) über die Sachlage zum Frankfurter Otfrid auf: Um diese Zeit 1673 berichtet Joh. Gottfr. Olearius aus seiner Erinnerung, dass ihm im J. 1658, als er während der Kaiserkrönung zu Frankfurt gewesen, eine HS. des Otfrid in der öffentlichen Bibl. daselbst gezeigt [worden] sei. Auf diese Erinnerung hat niemand geachtet als der fleissige J. A. Fabricius und noch jemand in den Monathl. Unterredungen, und es fragt sich überhaupt, ob man auf dergleichen Erinnerungen auch noch jetzt etwas geben kann.271

Hoffmann bezieht sich hier auf den Abacus Patrologicus des Arnstädter Pastors und Gelehrten Johann Gottfried Olearius (1635–1711), in dem der Verfasser mit einer ähnlichen Formulierung auf eine Handschrift des Evangelienbuchs hinweist, die ihm 1658 gezeigt worden sei. Er hebt sie dabei deutlich von der Otfridausgabe des Flacius ab, die er zum Zeitpunkt der Abfassung des Abacus (1673) in Händen halte: Eundem, & quidem MStum [sc. Otfridi], Mœno-Francofurti anno. 1658 (cum ibi circa Augustiss. Imp. Leopoldi Electionis tempus degerem,) in Bibliotheca publica mihi ostensum, recordor. Nunc vero typis impressum exemplar teneo, evulgatum Basileae 1571.272

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Vgl. die Angaben Anm. 246. Vgl. dazu diejenigen Abschriften von Junius, denen eine Handschrift als Quelle zugrunde lag, in Stanley (Anm. 264), S. 162–176. Friedrich Heinrich von der Hagen und Johann Gustav Büsching: Literarischer Grundriß zur Geschichte der Deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis in das sechzehnte Jahrhundert. Berlin 1812, S. XXVIII: »Noch soll sich eine Hds. zu Frankfurt a. M. befinden (?)«. Erduin J. Koch: Compendium der deutschen Literatur-Geschichte. Bd. II. Berlin 1790, S. 306. Am Ende des Otfridartikels im Jöcher von 1751, Sp. 1135 stehen als Literaturhinweise Lambecius’ Commentarii (Wien 1669), Oudins Commentarius (Leipzig 1722) und Trithemius’ Liber de scriptoribus ecclesiasticis (Basel 1494). Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Ueber Otfrid. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Sprachforschung. In: Fundgruben I (1830), S. 43. Johann Albert Fabricius: Bibliotheca Latina Mediæ Et Infimæ Ætatis. Bd. V. Hamburg 1754, S. 181. Johann Gottfried Olearius: Abacus patrologicus. Jena 1673, S. 350f.

75 Diese aus der 15 Jahre zurückliegenden Erinnerung aufgezeichnete Notiz von Olearius bildet den ersten Beleg für den Frankfurter Otfrid. Sie wurde – worauf auch Hoffmann von Fallersleben aufmerksam macht – in den von Ernst Wilhelm Tentzel herausgegebenen Monathlichen Unterredungen von 1691 in einem Abschnitt über die Otfridabschrift von Franciscus Junius und die Pläne zu einer neuen Ausgabe des Evangelienbuchs wiederaufgegriffen. Hier wird von insgesamt nur zwei Otfridhandschriften berichtet: Die Wiener, welche Flacius für seine Edition benutzt haben soll, und eben jene Frankfurter, die Olearius gesehen haben will.273 De facto ist natürlich in keiner Frankfurter Bibliothek eine Handschrift des Evangelienbuchs nachweisbar. Auch befand sich keine frühneuzeitliche Abschrift, mit der eine Verwechslung möglich gewesen wäre, jemals dort. Johann Kelle meinte, daß Olearius den vermeintlichen Otfrid aufgrund der Ähnlichkeit des Namens mit einer tatsächlich in Frankfurt aufbewahrten Handschrift des Ortnit verwechselt haben könnte.274 Weder Kelle noch Piper kannte aber offensichtlich den romanhaften Bericht über die Reise eines Arminius durch das gelehrte Deutschland, den Tentzel in den Monathlichen Unterredungen von 1698 publizieren ließ.275 Ob Olearius ihn selbst verfaßte, läßt sich nicht sagen.276 Jedenfalls wird auf seinen Abacus patrologicus (= de scriptoribus ecclesiasticis) und sein ungedrucktes ReiseDiario nicht mit dem Namen des Verfassers, sondern mit den Umschreibungen »vornehmer Skribent«, »Herr Auctor« bzw. »Herr Referent« verwiesen. Ausführlich und umständlich legt der Verfasser dar, daß sich der Anonymus sowohl bei der Nennung der Bibliothek als auch mit dem fraglichen Otfrid getäuscht haben müsse. Es könne sich indes, so schließt er, nur um eine Verwechslung mit der Otfridausgabe von 1571 handeln, die wiederum in der ›richtigen‹ Bibliothek nach Ausweis des alten Katalogs vorhanden gewesen sei: Unter den Manuscriptis dieser Bibliothec will ein vornehmer Scribent, der de Scriptoribus ecclesiasticis geschrieben des Otfridi Euangelia Francica rhythmica anno 1658 gesehen haben. Weil nun Hr. Schilter zu Straßburg (von dessen Unternehmen ein mehres, wenn ich werde auff die von Straßburg erlangten Bücher kommen) den Otfridum von neuen ediren will, so haben er und andere sich sehr nach diesem MSto Francofurtensis zufraget. Nach-

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Vgl. Monathliche Unterredungen 1691, S. 721f. Vgl. auch Monathliche Unterredungen 1695, S. 860. Miscellanea Lipsiensia, ad incrementum rei litterariæ. Bd. V. Leipzig 1717, S. 56–66. Kelle I (1856), S. 154, Anm. 3. Die Handschrift b des Ortnit wird heute unter der Signatur Ms. Carm. 2, Bl. 1r-40r in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. aufbewahrt. Vgl. Gerhardt Powitz / Herbert Buck: Die Handschriften des Bartholomaeusstifts und des Karmeliterklosters in Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 1974 (Kataloge der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. 3: Die Handschriften der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. 2), S. 408f. Vgl. auch Piper I (21882), S. [241. Kelle und Piper verweisen in ihren Anmerkungen auf die im folgenden zitierte Stelle, verwerten sie aber nicht. Vgl. Kelle I (1856), S. 109. Piper I (21882), S. [275. So sieht es jedenfalls Piper. Vgl. Piper I (21882), S. [275. Zu Olearius vgl. Walter Troxler: Olearius, Johann Gottfried. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon VI (1993), Sp. 1189f.

76 dem man aber von dem Herrn Auctore aus seinem Reise=Diario Bericht erlanget, daß er das Manuscript in der Bibliothec bey der S. Bartholomaei-Kirchen gesehen haben wolle und gleichwohl setzet, es habe ihm und seinen Gelehrten der Lutherische Senior, Hr. Christian Gerlach, dazu verholffen, so siehet man leicht, daß seine Feder sich verschrieben, und die Baarfüsser-Kirche, bey welcher die gedachte Bibliothec noch anzutreffen an statt des Stifts S. Bartholomaeo, welches Catholisch ist, nennen sollen. Ob nun gleich bey diesem Stifft auch eine Bibliothec ist, die ich selbst zu sehen Gelegenheit gehabt, so ist doch weder Otfridus drinnen noch die Croatischen Bücher viel weniger sind die Bücher an Ketten geleget, sondern sie sind schon von AN. 1657 nach der ietzigen Mode auff Repositoria aneinander hingesetzt, wie der Catalogus ausweiset. Hingegen sind die Croatischen Bücher sammt denen Zeichen der an die andern weiland gelegten Ketten in der Bibliotheca publica zun Barfüssern noch vorhanden, und muß demnach der Otfridus Manuscriptus entweder von einer untreuen Hand seiner Ketten befreyet und promoviret worden seyn oder die Feder des Hrn. Referenten sich wie im Rahmen der Kirche als auch beym Otfrido verschrieben und nicht den geschriebenen sondern den gedruckten verstanden haben, als welcher aus Flacii edition noch vorhanden und nicht nur das Zeichen seiner Kette vorweiset sondern auch die Zahl damit er nach Ausweisung des alten An. 1641 geschriebenen Catalogi gezeichnet worden behält: Und dieses letztere glaube ich um so viel desto mehr weil in ietzgedachtem Catalogo von einem Otfrido MSto kein Wort gemeldt wird. Dem sey aber endlich wie ihm wolle [...].277

Gelöst war der Fall um den Frankfurter Otfrid damit genaugenommen schon Ende des 17. Jahrhunderts. Wenn die zitierte Richtigstellung nicht sogar auf Olearius selbst zurückzuführen sein sollte, dann ist doch anzunehmen, daß sie aus seinem unmittelbaren Umfeld stammt. Den konkreten Anlaß für die Korrektur der Angaben aus dem Abacus könnte eine briefliche Anfrage des in der Richtigstellung erwähnten Johann Schilter gewesen sein, mit der Bitte um nähere Informationen zum Bestand der Otfridüberlieferung. Erhalten ist lediglich ein Brief von Olearius an Schilter vom 8. November 1700.278 Dieser setzt bereits eine (ausgedehntere) Korrespondenz der beiden voraus, in der die Frage nach dem Frankfurter Otfrid möglicherweise bereits geklärt wurde.279 Die fehlerhafte Information aus dem Abacus wurde in gelehrten Kreisen häufiger rezipiert als ihre Richtigstellung in den Monathlichen Unterredungen. Erstere wurde weitergereicht, mehrfach reproduziert und hielt sich bis zu den Ausgaben Kelles und Pipers, die sie zuerst einer kritischen Prüfung unterzogen.

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Monathliche Unterredungen 1698, S. 491–493. Gießen, UB, Cod. Giess. 140, Bl. 190r–191r. Vgl. Verzeichnis der Briefe an Joh. Schilter (1632–1705) in der Universitätsbibliothek Gießen (Cod. Giess. 140, 141 und 142). Nach Vorarbeiten von Ortwin Zillgen, bearbeitet und zusammengestellt von Hermann Schüling. Gießen 1979 (Handschriftenkataloge der Universitätsbibliothek Gießen 2), S. 20f. Denkbar ist auch, daß Schilter erst durch Johann Philipp Schmid von der Frankfurter Handschrift erfuhr. Schmid erwähnt sie in einem Brief an Schilter vom 14. September 1701: »quartus (codex est) Francofortanus, cujus Olearius in Abaco Patrologico mentionem injecit, qui simul meminit, Freherum notas quoque in illum edidisse. Hunc quartum Codicem Lambecius ignoram visus est.« Nach Gießen, UB, Cod. Giess. 142, Bl. 264r. Vgl. Schüling (Anm. 278), S. 19.

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Arbeiten mit den Handschriften: Kodexgebundene Otfridrezeption

3.1

Abschreiben

3.1.1 Die Abschrift Achill Pirmin Gassers (1560) Entstehung, Beschreibung und Verhältnis zur Vorlage Durch die Nachforschungen Johann Kelles tauchte im Wiener Schottenstift Mitte des 19. Jahrhunderts die längst verloren geglaubte Abschrift (im folgenden = g) wieder auf, die Achill Pirmin Gasser (1505–1577) vom Evangelienbuch genommen hatte. Von ihr war bereits im Zusammenhang mit der Geschichte der Heidelberger Otfridhandschrift kurz die Rede (s. S. 51).1 Ihr vollständiger, auf Bl. 1r eingetragener Titel lautet: LIBER EUANGELIORUM CHRISTI RITHMIS IN THEODISCAM LINGUAM UERSUS. Finff buecher des heiligen Euangelij / von unserm herren und heilandt Christo / uß den fier Euangelisten / mit altfrenkischen T:tschen rimen / vor siben hundert iaren / durch minch Ottfriden von Wyssenburch zG Sant Gallen beschriben. Transsumptus a me A. P. G. L. hieme anni salutis 1560 Augsburgi, in summa Asmodei vexatione.2

Die Abschrift des Evangelienbuchs beginnt auf Bl. 2r und endet auf Bl. 172v. Daran schließen auf den restlichen, heute lose in der Handschrift liegenden Blättern an: die Entwurfsfassung eines althochdeutsch-frühneuhochdeutschen Wörterbuches (Bl. 173r–176r), drei Titelentwürfe (Bl. 176v), eine zweite Ab-

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Vgl. zu ihrer Wiederauffindung Kelle I (1856), S. 124–127. Heute Wien, Schottenstift, Cod. 733 (Hübl 605). Vgl. Albertus Hübl: Catalogus codicum manu scriptorum qui in bibliotheca Monasterii B. M. V. ad scotos vindobonæ servantur. Wien – Leipzig 1899, S. 487. Franz Unterkircher: Die datierten Handschriften in Wien ausserhalb der Österreichischen Nationalbibliothek bis zum Jahre 1600. Katalogbeschreibungen von Heidelinde Horniger und Franz Lackner. 1. Teil: Text. 2. Teil: Tafeln. Wien 1981 (Katalog der datierten Handschriften in lateinischer Schrift in Österreich V), S. 165 (1. Teil), S. 252 (2. Teil, dort eine Abbildung des Titelblattes). Zur Bibliotheksgeschichte vgl. Cölestin Rapf: Die Bibliothek der Benediktinerabtei Unserer Lieben Frau zu den Schotten in Wien. In: Translatio Studii. Manuscript and Library Studies, honoring Oliver L. Kapsner. Hg. von Julian G. Plante. St. John’s University Press Collegeville. Minnesota 1973, S. 4–35. Gerhard Schlass: Bibliothek des Schottenstifts. In: Handbuch der historischen Buchbestände in Österreich. Bd. 2. Hg. von der Österreichischen Nationalbibliothek. Bearbeitet von Wilma Buchinger und K. Mittendorfer. Hildesheim 1995, S. 218– 224.

78 schrift des Widmungsschreibens an Salomo (Bl. 177r–178v) und drei Abschriften eines Beichtformulars (Bl. 179rv, Bl. 180rv, Bl. 181r), von denen nur die dritte von der Hand Gassers stammt, wie im übrigen auch der Rest der gesamten Handschrift.3 Es handelt sich bei dieser Handschrift zweifellos um eben jene Abschrift, von der Flacius in seiner Vorrede zur Ausgabe von 1571 sagt, Gasser habe eine solche angefertigt.4 Der Kopist nennt sich mit dem für ihn typischen Anagramm »A[chille] P[irminiano] G[assaro] L[indaviensi]«5 und gibt den Winter 1560 als Zeitpunkt der Entstehung an. Die Bemerkung »in summa Asmodei vexatione« am Ende des Titels bezieht sich auf die Lebensumstände, unter denen die Abschrift entstanden ist, und bestätigt ihre Datierung.6 Daß sich diese frühneuzeitliche Abschrift erhalten hat, ist insofern ein seltener Glücksfall, als durch sie der Weg von der mittelalterlichen Handschrift über eine Abschrift bis zur gedruckten Ausgabe nachvollziehbar wird. Hier interessiert zunächst ausschließlich das Verhältnis zu ihrer Vorlage P.7 Auf der Ebene des Textbestandes ist die Abhängigkeit von g zu P gesichert. Beiden fehlen: die Verse 1–75 der Widmung an Ludwig (P: Bl. 1r; g: Bl. 2r), Buch V, 23, 265–298 (P: Bl. 191v, g: Bl. 169r), V, 24; V, 25 und die Verse 1–141 der Widmung an Hartmut und Werinbert (Texteinsatz wieder ab Vers 142: P: Bl. 200r, g: Bl. 172r). Dazu kommt in g die Auslassung von zwei in P nurmehr schwer lesbaren bzw. fehlenden Stellen: III, 14, 1b (P: Bl. 91v; g: Bl. 79r) und IV, 1,1 (P: Bl. 118r; g: Bl. 103v).8 Außerdem findet sich auf Bl. 176v folgendes Bruchstück eines Titelentwurfes: »Codicis eius titulus B: Rhen: Liber Evangeliorum in teodiscam lingvam versvs constat autem ex rithmis totus folia 192«. Diese Folienzählung stimmt mit dem Ende des Otfridtextes in P auf Bl. 192v überein

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Zu den Stücken von Bl. 173r–176v s. S. 79, 86 und 151–156. Vergleiche mit anderen Gasserautographen in Karl Heinz Burmeister: Achilles Pirmin Gasser 1505–1577. Arzt und Naturforscher, Historiker und Humanist. Bd. I: Biographie. Wiesbaden 1970, S. 77 und Burmeister (Anm. 15), S. 100, S. 380–382. Vgl. auch Karl Heinz Burmeister: Die Bibliothek des Arztes und Humanisten Achilles Pirmin Gasser (1505–1577) mit besonderer Berücksichtigung der Libri Poetici. In: Bibliothek und Wissenschaft 20 (1986), Abb. 6. Vgl. die lateinische Vorrede, Bl. β 1r (S. *17): »Plurimum sanè hanc editionem adiuuit eruditione & pietate clarissimus uir Dominus Achilles Gassarus, tum describendo, tum & Lexicon ueterum huius sermonis uocum conficiendo, [...].« Vgl. Burmeister (Anm. 3), S. 56. Karl Heinz Burmeister: Achilles Pirmin Gasser 1505– 1577. Arzt und Naturforscher, Historiker und Humanist. Bd. II: Bibliographie. Wiesbaden 1970, S. 37 u.ö. Gasser wurde im Sommer 1560 von seiner Frau verlassen, die Ehe 1561 geschieden. Vgl. Burmeister (Anm. 3), S. 117. Vgl. Ernst Hellgardt: ... der alten Teutschen spraach und gottesforcht zuerlernen. Über Voraussetzungen und Ziele der Otfridausgabe des Matthias Flacius Illyricus (Basel 1571). In: FS Walter Haug und Burghart Wachinger. Bd. 1. Hg. von Johannes Janota Paul, Sappler, Frieder Schanze, Konrad Vollmann, Gisela Vollmann-Profe, Hans-Joachim Ziegeler. Tübingen 1992, S. 267–286, hier S. 270, Anm. 14. Vgl. dazu bereits Hellgardt (Anm. 6), S. 271. Zum Verhältnis von Abschrift und Druck s. S. 138f.

79 und kann als weiterer Beleg für die Abhängigkeit der Abschrift von P fungieren.9 Das Layout des Textes in g weist gegenüber P Veränderungen auf allen Ebenen auf: Gasser vereinheitlicht das Schriftbild durch die Anpassung der Auszeichnungsschriften der Kapitelüberschriften, Initialen und Kapitelanfänge in P. Mit roter Tinte schreibt er die Kapitelüberschriften und Marginalien, die er durchwegs am rechten Seitenrand positioniert.10 Er fügt rote Kopftitelzeilen ein, die auf die Gliederung in Bücher bei Otfrid verweisen. Am Ende der Überschriften zu den erzählenden Kapiteln Otfrids fügt Gasser Verweise auf die entsprechenden Textstellen im Neuen Testament ein. Die Gliederung in Langzeilen bleibt in g bestehen. Gasser reguliert darüber hinaus die Interpunktion des Textes und tendiert zur orthographischen Normierung. Die rhythmischen bzw. phonetischen Akzente der Vorlage fehlen meist, Korrekturen in P arbeitet er stillschweigend ein. Die Qualität seiner Abschrift ist im ganzen als hoch einzuschätzen, es finden sich nur selten Verlesungen oder Auslassungen einzelner Wörter.11 Gassers und Gesners Projekt einer Otfridausgabe Nach den Ausführungen in Kap. 2.3.1 ist davon auszugehen, daß Achill Pirmin Gasser P in der Bibliothek Ulrich Fuggers einsah, den Codex möglicherweise entlieh und eine Abschrift des Evangelienbuchs daraus nahm. Es stellt sich die Frage nach der Funktion dieser Abschrift. Ich habe bereits auf das Otfridexzerpt Konrad Gesners in der Vorrede zu Josua Maalers Wörterbuch (September 1561) hingewiesen (s. S. 41f.). In unmittelbarem Anschluß daran bemerkt Gesner:

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Dies steht nicht im Widerspruch zu der bereits angeführten summarischen Folienzählung von Flacius in P (194 Blätter, s. S. 47). Er zählt »omnia folia« (Bl. 202v) der Handschrift, nicht nur die des Evangelienbuchs. In P finden sich zwei fortlaufende Folienzählungen, am oberen und am unteren Rand der recto-Seiten. Die am oberen Rand stehende könnte von der Hand Gassers stammen. Das legt zumindest ein Schriftvergleich mit der Folienzählung in g nahe. Die weiteren, teils fragmentarischen Titelentwürfe lauten: 1. »Quinque libri Euangeliorum Christi ex quatuor Euangelistæ theotisce conscripti. Finff buecher der hailigen Euangelij von Christo unserm hailand auß den fier Euangelisten mit altfrenkischem Teutsch in reimen vor sibenthalb hundert iaren beschriben durch Ottfridum von Weissenburg ainem mynich zuo S: Gallen.« 2. »Strabo et Rabanus episcopus Moguntinus Tota biblia pulcherrime in Germanicam linguam transtulerunt. excogitata aliquot sillabis et dyphthongis nationi illi antea inusitatæ Auctus: Codicis eius titulus B: Rhen: Liber Evangeliorum in teodiscam lingvam versvs constat autem ex rithmis totus folia 192.« 3. »Liber Euangeliorum Christi rithmis in Theodiscam linguam versus. Finf Buecher der h: Euangelij von vnserm herren und heiland Christo auß den 4 Euangelisten mit altfrenkischen rheimen vor 6/2 iarh durch münch Ottfrid von Vueissenburg beschriben.« Also nicht wie in P am äußeren Seitenrand. Vgl. auch die Gegenüberstellung von g und P an einem Teilstück bei Ullrich Bruchhold und Norbert Kössinger: Fremde Traditionen. Althochdeutsche Literatur in der frühen Neuzeit. In: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 9 (2004), S. 87–102, hier S. 90f.

80 Huius Odofridi Euangelia, ita ab eo translata sunt, clarissimus Augustæ medicus Achilles P. Gasserus sua manu diligentissimè descripta, ad nos se missurum excudenda nuper promisit.12

Demnach plante Gasser mit der Unterstützung Gesners einen Druck des Evangelienbuchs auf der Grundlage von g, deren Übersendung Gasser ihm versprochen hatte. Die Pläne zu dieser Edition scheinen nicht in Verbindung mit dem Vermittler der Handschrift, Matthias Flacius Illyricus, zu stehen und bereits in unmittelbarem Zusammenhang mit der Abschrift im Winter 1560 bestanden zu haben.13 Näheren Aufschluß über diese Fragen erhalten wir durch den Briefwechsel zwischen Gasser und Konrad Gesner.14 Aus den Jahren 1562 bis 1565 sind insgesamt 38 Briefe aus ihrer Korrespondenz überliefert, von denen allerdings lediglich zwei von Gasser an Gesner gerichtet sind.15 Die inhaltlichen Gegenstände dieses Briefwechsels sind äußerst heterogen: Austausch in medizinischen Fragen, insbesondere die medikamentöse Behandlung verschiedener Pesten, die Entwicklung des Protestantismus in Frankreich, Informationsaustausch über Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt und anderes mehr. Um die Herausgabe des Evangelienbuchs geht es in vier Briefen, allesamt von Gesner an Gasser. Parallel dazu diskutieren beide die Herausgabe eines zweiten Textes, der Euporista des antiken griechischen Arztes Dioskorides. Ein Vergleich damit bietet sich in bezug auf den Umgang mit den Texten und ihren Wegen zum Druck an. Zunächst zum Otfridprojekt: Am 27. Feburar 1563 bestätigt Gesner den Erhalt der Abschrift und konstatiert zu allererst die mit der Herausgabe des Textes verbundenen Schwierigkeiten. Das Buch könnte aufgrund der schweren Verständlichkeit der Sprache ein ›Ladenhüter‹ bleiben und einem Drucker als unverkäuflich erscheinen:

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Conradi Gesneri ad lectorem præfatio. In: Josua Maaler: Die Teütsch spraach. Dictionarium Germanicolatinum [Zürich 1561]. Mit einer Einführung von Gilbert de Smet. Hildesheim – New York 1971 (Documenta Linguistica. Quellen zur Geschichte der deutschen Sprache des 15. bis 20. Jahrhunderts. Reihe I: Wörterbücher des 15. und 16. Jahrhunderts), Bl. 6v. Flacius wird im Briefwechsel zwischen Gasser und Gesner nicht erwähnt. Daraus könnte man trotz der gut belegbaren Kontakte Gassers zu Flacius auf die Eigeninitiative Gassers schließen. S. dazu S. 51f. Zum persönlichen Verhältnis beider vgl. Burmeister (Anm. 3), S. 146–152. Ich zitiere im folgenden nach dem lateinischen Text der mit einer deutschen Übersetzung versehenen Ausgabe von Karl Heinz Burmeister: Achilles Pirmin Gasser 1505–1577. Arzt und Naturforscher, Historiker und Humanist. Bd. III: Briefwechsel. Wiesbaden 1975. Vgl. auch Hans Peine: Die Briefe Konrad Gesners an seine Freunde Gasser und Culmann. Düsseldorf 1939. Die handschriftlichen Originale der Briefe sind verloren. Sie sind zuerst ediert im Epistolarum Medicinalium Conradi Gesneri, Philosophi et Medici Tigurini. Libri III. Zürich 1577. Gasser selbst unterstützte diese Edition, wie aus einem Brief vom 4. Juli 1575 an den Herausgeber Josias Simler hervorgeht. Vgl. Burmeister: Ebd., S. 492–494. Vgl. auch Manfred Peters: Der Linguist Conrad Gessner und seine Bemühungen um die althochdeutschen Sprachdenkmäler. In: Sprachwissenschaft 2 (1977), S. 470–485.

81 Ottfridum tuum accepi, mirabilem sane scriptorem, sed quoniam meum de anima librum ad prelum scribo idque vix consequi possum, nondum in illo, ut cupiebam, versari potui. Valde quidem timeo, ne parum vendibilis futurus typographis videatur liber, quod talis sit lingua, quam nemo fere sit intellecturus. (Burmeister [Anm. 15], S. 214)

Knapp einen Monat später, am 17. März 1563 schreibt Gesner wiederum, daß er noch nicht dazu gekommen sei, sich den Otfrid genauer anzusehen. Er fordert Gasser aber für den Fall, daß er einen Drucker finde, dazu auf, Vorrede, Widmung und alia vorzubereiten. Damit könnte das von Gasser konzipierte und erarbeitete Wörterbuch gemeint sein.16 Daß Gasser tatsächlich eine Vorrede abgefaßt hat, ist durch ein späteres Zeugnis belegt: Frederik Rostgaard berichtet in seinen Emendationes zum Evangelienbuch (1700, gedruckt 1720) davon, in der Bibliothek des Orientalisten Matthias Friedrich Beck (1649–1701) zu Augsburg eine »præfatio satis ampla« gesehen zu haben, die Gasser seiner Abschrift vorangestellt hatte.17 Gasser wollte die Otfridausgabe seinem Freund Gesner widmen. Dieser schlägt ihm aber im Gegenzug vor, das Buch seiner patria zu dedizieren:18 Otfridum tuum propter occupationes hucusque distuli. Typographi his diebus Francofordiam descendent et aliquid otii mihi relinquent, cuius aliquot horas illi dabo. Si typographum et invenero, admonebo te mature, cum alias, tum ut præfationem ac dedicationem pares patriæ tuæ inscribendam, quod mihi satius et te dignius videtur. Meo enim in te amori, qui iam dudum summus est, accedere nihil potest. (Burmeister [Anm. 15], S. 223)

Gasser scheint seine Abschrift dann wieder zurückgefordert zu haben. Am 22. April 1563 schreibt Gesner, er wolle sie noch für kurze Zeit bei sich behalten, um sie gegebenenfalls einem interessierten Drucker zeigen zu können. Aber er macht sich und Gasser wenig Hoffnung: Ottfridum tuum cupio adhuc ad breve tempus retinere, ut de typographo commodius inquiram. Nunc primum noster e nundinis rediit, ut fatear tamen ingenue, nulla mihi spes inveniendi ullius typographi. (Burmeister [Anm. 15], S. 231)

Gesner schätzt die Wahrscheinlichkeit höher ein, bei den Niederländern, Niederdeutschen oder Sachsen einen verlegerischen Erfolg mit dem Otfrid erzielen zu können, da deren Sprache näher mit der Sprachstufe, die das Evangelienbuch repräsentiert, verwandt sei. Mithin scheinen alle alten deutschen Texte, sagt Gesner mit Verweis auf seinen Mithridates (1555),19 in niederländischer Sprache abgefaßt zu sein:

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Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Titelentwürfe in Anm. 9. Vgl. Rostgaards Widmungsbrief. In: Johann Georg Eccart: Leges Francorum Salicæ et Ripuariorum. Frankfurt – Leipzig 1720, S. 286. Burmeister (Anm. 15). S. 225 übersetzt »Deiner Stadt Augsburg«. Gasser stammte ursprünglich aber aus Lindau und bezeichnet Otfrid als Mönch aus St. Gallen. Auch diese wohl lokalpatriotisch inspirierte Zuschreibung macht es wahrscheinlicher, an Lindau als Ort der Widmung zu denken. Vgl. Hellgardt (Anm. 6), S. 267, Anm. 1. Vgl. Konrad Gessner: Mithridates. De differentiis linguarum tum veterum tum quæ hodie apud diversas nationes in toto urbe terrarum in usu sunt. Zürich 1555 (ND. Hg. und eingeleitet von Manfred Peters. Aalen 1974), Bl. 41v–42v.

82 Magis forte locum haberet apud Belgas sive inferiores Germanis, ad quorum linguam propius videtur accedere, aut Saxones. Sed hoc tu melius iudicas et vidisti forte, quæ in Mithridate nostro scripsi, nempe omnes fere veteres libros, qui Germanice scripti inveniuntur, Belgice scriptos videri. (Burmeister [Anm. 15], S. 231)

Gesner berichtet in demselben Brief auch über ein Specimen, das er von Johann Wilhelm von Reiffenstein aus dem Evangelienbuch erhalten habe, und gotische Sprachproben von Cassander aus Köln (s. S. 66f.). Er lobt die Verdienste, die Gasser sich allein durch die Abschrift des Textes um die Muttersprache erworben habe. Ihre Erforschung sei höher einzuschätzen als diejenige von Fremdsprachen. In der Beschäftigung mit der eigenen Muttersprache sei die Verbindung von Geschichte und Vaterlandsliebe in höherem Grade möglich: Interim laudo tuam industriam et virtutem, quod tantum laboris in describendo hoc codice posueris, qui quanto minus plausibilis forte est in vulgus, tanto plus admirationis et laudis apud homines antiquitatis simul et pietatis studiosos meretur. Nam si externas linguas et quæ in eis antiquissima sunt in primis, magno studio plerique promovent et id sibi laudi ducunt, quanto magis laudandi sunt illi, qui ut patriam linguam illustret, laboris et sumptus nihil subterfugiunt? (Burmeister [Anm. 15], S. 231)

Bei einer Neuauflage des Mithridates wolle er eine Seite aus dem Evangelienbuch anfügen. Dies ist indes schon als Rückzug Gesners von dem Editionsprojekt zu verstehen, das er mit dem Schreiben vom 11. August 1563 ganz aufgibt, da sich kein Drucker dafür finden lasse. Er schickt die Abschrift an Gasser zurück mit dem Hinweis, bei einer sich zukünftig bietenden Gelegenheit die aus g verbesserte Probe Reiffensteins vorzeigen zu können und diese einer Neuauflage des Mithridates beizugeben: Remitto ad te Ottfridum tuum, quoniam typographum ei nullum hic reperio, alibi etiam a nemine susciperetur, nisi inspectus. Si quæ occasio dabitur alias, memor ero, possum enim eius ostendere specimen, partim e tuo exscriptum, partim aliunde missum ad me, sed tui codicis emendatum. (Burmeister [Anm. 15], S. 240)

Vergleich mit der Ausgabe der Euporista 1562 starb in Augsburg der gemeinsame Freund Gassers und Gesners, der Arzt Johannes Moibanus (geb. 1527). Auf dem Totenbett versprach Gasser ihm, seine begonnene Edition und Übersetzung einer Handschrift der Euporista des griechischen Arztes Dioskorides (1. Jh. n. Chr.) an Gesner zur Vollendung und Herausgabe weiterzuleiten.20 Gesner erklärte sich dazu bereit und berichtet Anfang Januar 1563 vom Abschluß der Übersetzung. Darüber hinaus habe er bereits einen Drucker gefunden, der das Werk zweisprachig herausgeben wolle

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Vgl. Burmeister (Anm. 15), S. 203–206 (Brief Gassers vom Juli 1562). Die Übersetzung dieses Briefes und desjenigen vom 2. Januar 1563 (s. Anm. 21) ist auch abgedruckt in: Die Kultur des Humanismus. Reden, Briefe, Traktate, Gespräche von Petrarca bis Kepler. Hg. von Nicolette Mout. München 1988, S.154–158.

83 und damit einverstanden sei, ein Honorar für den Autor und die hinterbliebenen Kinder des Moibanus zu bezahlen.21 Am 17. März berichtet Gesner, daß er die ersten Blätter für einen Probedruck an den Straßburger Drucker Josis Rihel geschickt habe. Diese Probe und die von Gesner verfaßte Vorrede gingen dann Gasser zur Prüfung zu. In der Jahresfolge treten einige durch äußere Umstände bedingte Verzögerungen ein, die die Drucklegung hinausschieben.22 Gesner arbeitete bis Januar 1564 weiter am Text, den Rihel danach vollständig erhalten habe. Die endgültige Drucklegung und Auslieferung verzögerte sich noch bis zum Erscheinen des Werkes Mitte 1565.23 Ein Vergleich mit der Herausgabe des Otfrid trägt zwar sicher, allein aufgrund der unterschiedlichen Überlieferungsdichte der Briefe, nur bedingt.24 Einige Auffälligkeiten verdienen dennoch kurz hervorgehoben zu werden, weil sie für den divergierenden editorischen Umgang mit dem Evangelienbuch aussagekräftig sind: Der Selbstverständlichkeit, innerhalb weniger Monate einen Drucker für einen antiken, griechischen Text mit lateinischer Übersetzung zu finden, steht beim Otfrid das Problem der Fremdheit und Unvertrautheit des vorauszusetzenden gelehrten Lesepublikums mit dem althochdeutschen Text gegenüber. Das steht der Suche nach einem Drucker von Anfang an im Wege. Gesner betont zwar in seinem Brief vom 22. April 1563 den hohen Wert der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit auf sprachlicher Ebene. Wirksam ist es aber als stichhaltiges Argument ökonomisch denkenden, humanistischen Verlegern und Buchdruckern gegenüber nicht. Die Auseinandersetzung mit dem griechischen Text und der von Moibanus entworfenen Übersetzung läßt auch einen weitaus kritischeren und penibleren Umgang mit dem Gegenstand auf textueller Ebene zu, die zwar viel Arbeit mache, aber nach Gesners Bericht vom 31. März 1565 einfach sei: Lavoravi certe multum in hoc opere, facile est libros non corruptos et quorum singulæ sententiæ et pæne verba apud alios auctores inquirenda, conferenda et emendanda aut eorum testimoniis confirmanda sint, transferre, quod mihi non in illis modo quæ ego transtuli faciendum fuit, sed in plurimis etiam a Moibano translatis, quæ magna ex parte recognoscere volui, sicut et ipse fecisset, procul dubio, si vixisset. (Burmeister [Anm. 15], S. 348)

Die Unvollständigkeit der Gasserschen Abschrift des Evangelienbuchs an ihrem Anfang und Ende spielen dagegen, so scheint es, in den Überlegungen zur Her-

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Vgl. Burmeister (Anm. 15), S. 200 (Brief Gesners vom 28. Juni 1562) und S. 212 (Brief Gesners vom 2. Januar 1563). Vgl. Burmeister (Anm. 15), S. 245 (Brief Gesners vom 26. September 1563), S. 300 (Brief Gesners vom 19. März 1563), S. 335f. (Brief Gesners vom 17. Dezember 1564), S. 339 (Brief Gesners vom 15. Januar 1565), S. 345f. (Brief Gesners vom 4. März 1565). Vgl. den vollständigen Titel in Burmeister (Anm. 5), S. 47f. Der Ausgabe ist ein Widmungsbrief Gesners an den Bürgermeister und Rat von Augsburg, sowie der in Anm. 20 zitierte Brief Gassers beigegeben. Den vier Briefen zu Otfrid stehen insgesamt 23 gegenüber, in denen – neben anderem – über die Ausgabe der Euporista gehandelt wird.

84 ausgabe des Evangelienbuchs keine Rolle. Gasser wollte den Text offenbar in seinem defizienten Status drucken lassen. Textkritische Fragen werden nicht berührt. Gesner nutzt aber immerhin die einzige Vergleichsmöglichkeit mit einem anderen Textzeugen des Evangelienbuchs, die sich ihm bot. Im Vergleich zu den beiden Blättern, die er von Johann Wilhelm von Reiffenstein erhielt, sagt er, die Gassersche Abschrift sei »nonnihil emendatius«25. Er habe das ihm vorliegende Textstück auf Grundlage der Abschrift »collatione emendatum«26. Auf die Frage nach Motiven für die Herausgabe beider Texte erfahren wir aus der Korrespondenz kaum etwas. Eine inhaltliche Rechtfertigung ist für den antiken medizinischen Text nicht nötig. Die Herausgabe ist eine Verneigung vor dem Vermächtnis des verstorbenen Kollegen Moibanus, wäre aber sicher auch ohne sie problemlos möglich gewesen. Konkrete Motive für die Edition des Otfrid von Gasser und Gesner bleiben dagegen weitgehend im Dunkeln. Ulrich Seelbach wies darauf hin, daß in der Korrespondenz »weder eine religiöse Begründung noch eine spezifisch protestantische Haltung«27 erwähnt werden. Das ist sicher richtig, doch wird der religiöse Hintergrund bei einer Übersetzung oder Bearbeitung der »scriptura sacra« als Folie immer mitzudenken sein, wie Gasser ihn etwa auch in nachdrücklicher Form in seiner Vorrede zur Übersetzung der Historia Christi des Johann Hus thematisiert.28 Dazu kommt ein weiteres. Wie bereits erwähnt (s. S. 53), belegt Johann Georg Schellhorn in den Amœnitates literariæ aus der verschollenen Vorrede Gassers, daß dieser seine Vorlage aus der Bibliothek Ulrich Fuggers bezogen habe. An der gleichen Stelle macht er auch eine Bemerkung zu Gründen, die Gasser dort für die Herausgabe des Textes anführt: In præfatione ad Conrad. Gesnerum, [...] Gasserus [...] ob hanc causam luci publicæ exponere constituisse ait, ut hinc, satis jam antiquam consuetudinem esse Biblia in vernaculum transferendi sermonem, pateat.29

Diese Aussage rückt die geplante Edition sehr nah an den Diskurs der lutherischen Bibelübersetzung und stellt sie damit explizit in reformatorische

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Burmeister (Anm. 15), S. 231. Burmeister (Anm. 15), S. 240. Ulrich Seelbach: Mittelalterliche Literatur in der frühen Neuzeit. In: Das Berliner Modell der mittleren deutschen Literatur. Beiträge zur Tagung Kloster Zinna 29.09.–01.10.1997. Hg. von Christiane Caemmerer, Walter Delabar, Jörg Jungmayr, Knut Kiesant. Amsterdam / Atlanta, GA 2000 (Chloe – Beihefte zum Daphnis 33), S. 89–115, hier S. 100. Vgl. die Vorrede der Historia des gantzen Lebens / vnsers lieben Herren Jhesu Christi / auß den vier Euangelisten in ein ordnung / Durch M. Johann von Hussinetz / im Latein zusamen gebracht / vnd jetzt newlich durch Achillem P. Gasser vonn Lindaw / verdeutscht. Nürnberg 1559, Bl. A ijr–A vijr. Johann Georg Schellhorn: Amœnitates literariæ, quibus variæ observationes, scripta item quædam anecdota & rariora opuscula exhibentur. Tomus III. Frankfurt – Leipzig 1725, S. 22.

85 Zusammenhänge.30 Der Bericht Schellhorns ist aber sicher zu kurz, um daraus Schlüsse auf Gassers Motive im Ganzen zu ziehen. Gesner führt in einem Brief (s. S. 82) explizit patriotische Gründe für die Ausgabe an. Die Erforschung der Geschichte der Muttersprache, die Gesner besonders hervorhebt, und welche höher einzuschätzen sei, als diejenige der Fremdsprachen, ist genau das Motiv, an dem die Herausgabe des Textes letztendlich scheitert. Die Sprachstufe des Textes ist selbst für ein gelehrtes Lesepublikum allzu fremd. Die Selbstverständlichkeit, mit der Gesner eine medizinische Schrift in lateinischer Übersetzung herausgeben kann, dafür einen Drucker findet und Honorar bezieht, steht den Bemühungen um die Herausgabe des Otfrid diametral entgegen. Die humanistischen Grundlagen für eine gelehrte Auseinandersetzung mit der Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Literatur mögen zwar in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gegeben sein.31 Gasser versucht auch, dem Problem der Fremdheit philologisch nicht zuletzt durch sein Wörterbuch wenigstens ansatzweise entgegenzusteuern. Das grundlegende Problem scheint aber hier ein ökonomisches zu sein: Es gibt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einfach keinen Markt für eine solche Textausgabe.32 Das Projekt gab Gasser jedoch nicht endgültig auf. Er wandte sich zurück an Matthias Flacius, der sich in den folgenden Jahren um den Druck des Otfrid bemühte, was ihm schließlich acht Jahre später, 1571, mit der Unterstützung eines finanzkräftigen Gönners gelang. Zur Geschichte der Abschrift bis ins Wiener Schottenkloster Die Geschichte der Gasserschen Abschrift bis zu ihrem heutigen Aufbewahrungsort, der Bibliothek des Wiener Schottenklosters, ist an dieser Stelle deshalb mitzubehandeln, weil sie in die Hände der Herausgeber der Otfridedition in Schilters Thesaurus gelangte. Für deren Auseinandersetzung mit dem

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Schellhorn berichtet außerdem von einer der Vorrede beigelegten schedula von der Hand Gassers. Bei dieser handle es sich um ein Exzerpt aus einer jesuitischen propositio, worin die Gefahr von Bibelübersetzungen betont wird: »translatam etiam & redditam eandem (sc. scripturam) tam intellectu difficilem, pleamque reconditissimis mysteriis, quovis idiomate efferre vulgo indocto, perniciosissimum est.« Schellhorn (Anm. 29), S. 23. Vgl. Franz Josef Worstbrock: Über das geschichtliche Selbstverständnis des deutschen Humanismus. In: Historizität in Sprach- und Literaturwissenschaft. Vorträge und Berichte der Stuttgarter Germanistentagung 1972. Hg. von Walter Müller-Seidel in Verbindung mit Hans Fromm und Karl Richter. München 1974, S. 499–519, hier S. 518. Vgl. vor diesem Hintergrund Wolfgang Neuber: Ökonomie des Verstehens. Markt, Buch und Erkenntnis im technischen Medienwandel der Frühen Neuzeit. In: Die Verschriftlichung der Welt. Bild, Text und Zahl in der Kultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hg. von Horst Wenzel, Wilfried Seipel und Gotthard Wunberg. Wien 2000 (Schriften des Kulturhistorischen Museums 5), S. 181–211. Georg Jäger: Keine Kulturtheorie ohne Geldtheorie. Grundlegung einer Theorie des Buchverlags. In: Empirische Literatur- und Medienforschung. Beobachtet aus Anlaß des 10jährigen Bestehens des LUMIS-Instituts 1994. Hg. von Siegfried J. Schmidt. Siegen 1995 (LUMIS Schriften Sonderreihe VII), S. 24–40.

86 Evangelienbuch im 18. Jahrhundert spielte g eine Rolle (s. S. 187f.). g befand sich, ich fasse kurz zusammen, in den Jahren 1561–1563 bei Konrad Gesner in Zürich und wurde Gasser mit dem Schreiben vom 11. August 1563 zurückgesandt.33 Zwischen 1565 und 1571 muß die Abschrift über einen längeren Zeitraum bei Matthias Flacius Illyricus gewesen sein. Ihm und seinem Drucker diente sie als primäre Grundlage für die Ausgabe des Evangelienbuchs. Danach ging g wiederum an ihren Eigentümer Gasser zurück. Nach dem Tod Gassers 1577 gingen die gedruckten Bücher aus seiner Bibliothek in den Beständen Ulrich Fuggers auf. Seine autographen Handschriften vermachte Gasser seinem Schwiegersohn Johann Ulrich Rumler (1565–1626).34 Die Handschrift Gassers ging dann über in den Besitz des Augsburger Theologen Theophil Spizel (1639–1691).35 Von Spizel gelangte die Abschrift an den ebenfalls in Augsburg ansässigen Matthias Friedrich Beck (1649–1701). Dort konnte Frederik Rostgaard sie 1699 noch mit der Vorrede an Konrad Gesner einsehen (s. S. 106f.). Beck selbst verfaßte eine ungedruckt gebliebene Abhandlung unter dem Titel Observationes in libros Evangeliorum Otfridi Monachi, die ebenso wie die Vorrede Gassers aus der Abschrift verlorengegangen ist.36 Ein Mitarbeiter an Johann Schilters Thesaurus, Christoph Lauber, fand die Handschrift 1697 bei Matthias Beck vor und erwähnte sie in Briefen an Schilter.37 Die späteren Herausgeber der Otfridausgabe im Thesaurus (1726) erhielten von der Abschrift Kenntnis durch Raimund Krafft von Delmensingen in Ulm, in dessen Besitz sie nach dem Tode Becks gelangte.38 Sie ist in seinem Bibliothekskatalog erwähnt und kurz beschrieben.39 Aus dieser Beschreibung geht hervor, daß der Textabschrift im Jahr 1739 noch die Vorrede Gassers an Gesner, sowie notamina von Gasser und Beck vorangestellt waren. Die Abschrift der Fuldaer Beichte von der Hand Gassers, die noch erwähnt wird, hat sich in g erhalten (Bl. 181r). Außerdem ist von zwei Glossaren die Rede, einem von Beck und einem von Gasser. Nur letzteres hat sich in der Handschrift erhalten.40 Da-

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Burmeister (Anm. 15), S. 240: »Remitto ad te Ottfridum tuum, [...]«. S. 241: »Ottfridum petes a bibliopola vestro, ad quem Froschouerus libros mittere solet.« Vgl. Burmeister (Anm. 3), S. 128f. Zu Spizel vgl. Paul Tschackert: Spizel, Theophil Gottlieb. In: ADB 35 (1893), S. 221f. Die Abschrift Gassers ist im Anhang des Versteigerungskataloges der Bücher Spizels geführt. Vgl. Johann Friedrich Merzdorf: Beck, Matthias Friedrich. In: ADB 2 (1875), S. 218. Vgl. dazu Seelbach (Anm. 27), S. 109–111. Schilter ließ aber nicht sie abschreiben, wie Seelbach versehentlich meinte. Bei der Hs. 96 der UB Gießen handelt sich um eine Teilabschrift der Wiener Otfridhandschrift durch Johann Philipp Schmid. Vgl. Seelbach (Anm. 27), S. 110, Anm. 71. S. dazu Kap. 3.2.1. Vgl. Notitia codicum manuscriptorum splendiss. Bibliothecæ Raymondo-Krafftianæ luci publicæ exposita a Francisco Dominico Haeberlin. Ulm 1739, S. 34, Nr. 5. Vgl. auch Schellhorn (Anm. 29), S. 19–23. Haeberlin (Anm. 39): »Hæc ipsa ut & integrum Codicem ipsius Gassari manu ex Codice Bibliothec. Vlrici Fuggeri descripta esse, testis est ipse Gassarus in præmissa præfatione ad Conr. Gesnerum, quæ mox citandæ Editioni Flaccianæ deest. Accedunt quædam Gassari ut & Matth. Frid. Beckii notamina. Adjecta porro est manu Gassari generalis Confessio ve-

87 mit ist gesichert, daß zum (losen) Bestand der Handschrift bis 1739 sowohl die »Præfatio ad Conradum Gesnerum« als auch Teile der Otfridarbeiten von Matthias Beck gehörten. Diese Stücke, über deren Verbleib nichts mehr bekannt ist, müssen also nach 1739 aus der Handschrift entfernt worden sein. Kelle wurde 1856 der Inhalt der Handschrift bereits in ihrem jetzigen Zustand bekannt. D.h., die Blätter fehlten bereits bei ihrer letzten bekannten Erwerbung im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts durch den Wiener Schottenpater Berthold Sengschmitt (1801–1852).41 Er gliederte die Abschrift in die Bestände der Bibliothek des Wiener Schottenstiftes ein, in der sie bis heute aufbewahrt wird.42 Die anschließenden Teilkapitel behandeln zwei jüngere Abschriften aus den Handschriften des Evangelienbuchs, zwei frühe textkritische Versuche zu Otfrid und frühneuzeitliche Beschreibungen der Wiener Handschrift. An einigen Stellen ist die Kenntnis des Drucks des Liber Evangeliorum (Basel 1571) durch Flacius und die Beschreibung der Wiener Otfridhandschrift durch Peter Lambeck (Wien 1669) vorausgesetzt. Ich weise überall, wo dies der Fall ist, ausdrücklich darauf hin und erläutere gegebenenfalls den näheren Zusammenhang.

3.1.2 Die Teilabschrift von Johann Philipp Schmid (um 1700) Über Johann Philipp Schmid (um 1640– nach 1714) ist so gut wie nichts bekannt. Er stammte wohl aus Straßburg und war dort ein Schüler des Rechtsgelehrten Johann Schilter. Aus der erhaltenen Korrespondenz an seinen Lehrer können wir lediglich rekonstruieren, daß er mehr als ein Jahrzehnt im diplomatischen Dienst in Paris weilte und Ende 1700 als Sekretär des Grafen von Leiningen-Westerburg nach Wien ging.43 Seine diplomatischen Verbindun-

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tusta Germanorum Lingua ex veteri Gregoriano Missali in Bojoaria descripta, nec non duo Glossaria Theotisca unum a Gassario, alterum vero a Beckio exaratum.« Genauere Informationen zum Zeitpunkt und Ort des Kaufes, die eventuell Rückschlüsse zuließen auf einen Vorbesitzer, sind nicht mehr bekannt. Vgl. zu Sengschmitt Gregor Gatscher-Riedl: Sengschmitt P. Berthold. In: Österreichisches Biographisches Lexikon. 1815– 1950. Hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Lf. 56 (2002), S. 175. P. Hermann Geist: Berthold Sengschmitt, ein unbekannter Dialektdichter aus dem Schottenstift. In: Jahresbericht des Schottengymnasiums in Wien 132 (1953), S. 5–15. Vgl. den Stempel »P. Bertholdus comparauit« auf dem vorgesetzten, nicht foliierten Blatt in g. Zum Leben von Schmid vgl. knapp Christian Gottlieb Jöcher: Allgemeines GelehrtenLexicon. Bd. IV. Leipzig 1751, S. 298. Édouard Sitzmann: Dictionnaire de Biographie des hommes célèbres de l’Alsace depuis les temps les plus reculés jusqu’à nos jours. Bd. II. Paris 1973, S. 694. Dazu kommen als grundlegende biographische Quelle die 42 erhaltenen Briefe an Johann Schilter. Vgl. Verzeichnis der Briefe an Joh. Schilter (1632–1705) in der Universitätsbibliothek Gießen (Cod. Giess. 140, 141 und 142). Nach Vorarbeiten von Ortwin Zillgen, bearbeitet und zusammengestellt von Hermann Schüling. Gießen 1979 (Handschriftenkataloge der Universitätsbibliothek Gießen 2), S. 26f. Zur Geschichte der Grafen von Leiningen vgl. Hans Heiberger: Die Grafen zu Leiningen-Westerburg. Ur-

88 gen öffneten ihm auch die Tore zur Wiener Hofbibliothek und ihren Handschriften. Den unmittelbaren Anstoß zur Auseinandersetzung insbesondere mit der Wiener Handschrift des Evangelienbuchs bot ein Auftrag Schilters. Dieser arbeitete seit den 1690er Jahren an den Vorbereitungen zu einer Neuausgabe des Textes und hatte bereits 1698 einen Teildruck aus dem Evangelienbuch publiziert (s. Kap. 5.1). Dazu kam eine Anfrage Dietrich von Stades (1648– 1718), vermittelt durch dessen in Wien lebenden Sohn Johann Friedrich (s. S. 173). Schmid fertigte zunächst in der Bibliothek ein Lesartenverzeichnis aus V für von Stade an (s. S. 173f.), das er abschriftlich auch an Johann Schilter sandte.44 Etwas später erhielt er eine spezielle und von ihm selbst als äußerst ungewöhnlich bezeichnete Genehmigung, den Codex als Leihgabe mitnehmen und außerhalb der Bibliothek benutzen zu können. Er transkribierte für Schilter mehr als die Hälfte des Wiener Otfrid. Einschlägig für Schmids Beschäftigung mit V sind zwei Briefe an Schilter vom 18. Januar und vom 14. September 1701. Mit ersterem kündigt er Schilter das erwähnte (nicht mehr erhaltene) Lesartenverzeichnis in Abschrift an und informiert ihn über die Pläne zweier Wiener Gelehrter (eines offenbar nicht weiter bekannten Dietsicker und eines »alius librarius«) zu einer Otfridedition.45 Aus dem zweiten Schreiben geht hervor, daß er außerhalb der Bibliothek mit der Handschrift arbeiten kann. Ferner weist er auf bei Lambeck nicht erwähnte Illuminationen in V hin und gibt eine Übersicht der ihm bekannt gewordenen Überlieferung des Evangelienbuchs.46 Die Teilabschrift aus V, um die es hier geht, wird heute als Handschrift 96 der Universitätsbibliothek Gießen aufbewahrt.47 Die Bl. 1r–23r sind unbeschrieben. Die Abschrift beginnt auf Bl. 23v und bricht auf Bl. 149v mit Otfrid III, 20, 88 ab. Die restlichen Blätter der Handschrift (Bl. 150–251) sind leer. Daraus ergibt sich, daß ursprünglich eine vollständige Abschrift des Evangelienbuchs geplant war. Unbeschrieben sind im übrigen auch alle recto-Seiten, was ein Hinweis auf die mögliche Funktion dieser Abschrift sein könnte (s. S. 91f.). Die Abschrift ist nicht seitenidentisch mit V. Davon abgesehen hielt sich Schmid genau an seine Vorlage. Bei den Kapitelüberschriften und Initialen ahmt er die Capitalis quadrata bzw. Uncialis nach und übernimmt außerdem alle

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sprung, Glanz, Niedergang. Grünstadt 1983. Heinrich Conrad: Leiningen. Geschichte eines Grafenhauses. Grünstadt 2000. Für von Stade schrieb Schmid auch den sogenannten Wiener Notker (Wien, ÖNB, Cod. 2681) ab. Diese Abschrift findet sich heute in Hannover, LB, MS IV 457. Vgl. Die Handschriften der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Hannover. Beschrieben und hg. von Eduard Bodemann. Hannover 1867, S. 79. Von diesen Plänen ist mir nichts Weiteres bekannt geworden. Vgl. Gießen, UB, Hs. 142, Bl. 257r–258v (18. Januar 1701), Bl. 263r–264v (14. September 1701). Vgl. Schüling (Anm. 43), S. 27. Er nennt V, F, den vorgeblichen Frankfurter Otfrid und den Codex Flacianus, welchen er mit der Gasserschen Abschrift gleichsetzt. Vgl. auch das Zitat in Anm. 155. Vgl. Seelbach (Anm. 27), S. 89–115, hier S. 110, Anm. 71. In seinem Katalogisat zu Hs. 96, das im Rahmen des Katalogs der mittelalterlichen Handschriften der UB Gießen erscheinen wird, ist das in Anm. 38 genannte Versehen richtiggestellt.

89 Rubrizierungen. Er hält sich an die Langzeilenform, trennt die Halbverse konsequent durch Reimpunkte ab und rückt jeden zweiten Vers ein. Er fügt am linken Seitenrand eine Zählung der Langverse bei. Alle Marginalien sind übernommen. Lose beigelegt ist der Abschrift eine (durchgepauste?) faksimileartige Federnachzeichnung von Bl. 1r aus V, die von Schmid stammen muß. Schmid überarbeitete die Abschrift mindestens zweimal. Der Text ist nochmals von ihm durchgesehen und an einigen Stellen korrigiert worden. Problematische Stellen hinsichtlich der scriptio continua seiner Vorlage kennzeichnet er durch Rubrizierung der Wortanfänge. Er ergänzt die Abschrift ferner um philologische Randbemerkungen, in denen er paläographische Besonderheiten vermerkt und Vergleiche mit der Ausgabe von Flacius und den Commentarii Lambecks anstellt.48 Als Probe ediere ich seine Randbemerkungen zu den drei Otfridschen Widmungsschreiben (Bl. 25v–31v). Schmid operiert meistens mit den Verweiszeichen † oder #. Ich nenne jeweils zuerst das Lemma, auf das er sich bezieht, nach seiner eigenen Lesung. Die Abkürzungen innerhalb seiner Bemerkungen löse ich konsequent auf und numeriere die Randbemerkungen.49 Bl. 25v 1. Ad Ludov., V. 96 (íó)] vocula íó inserta, sed tamen coævæ est scripturæ in Cod. MS.to Caesareo 2. Ad Liut., Z. 1 Luitberto] Flacius legit Liutberto Bl. 26v 3. Ad Liut. Z. 26 Dĩq] Lambecius legit Deique, in notam ad hoc locum Flacius autem Dominique mavult legi, cujus etiam sententiae magis congruit haec abbreviatio. 4. Ad Liut., Z. 34 fessus] Sequuntur apud Flacium verba haec in parenthesi posita: (hoc enim novissimè edidi). quae etiam in Cod. MS. Caesareo extiterunt, verum à nescio quo erasa, quod praeter spacium, literarum quoque vestigia adhuc occurentia evincunt.

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Man könnte auch denken, daß die Randnotizen von Johann Schilter stammen. Der Schriftbefund spricht aber gegen eine dahingehende Annahme. Vgl. die Abschrift mit den autographen Briefen Schmids in Gießen, UB, Hs. 142 (Anm. 43). Vgl. als Beispiel für eine mittelalterliche Handschrift mit (graphisch und typologisch deutlich von Hs. 96 abweichenden) Randnotizen Schilters in Gießen, UB, Hs. 996 (Schwabenspiegel). Die Stellenangaben aus dem Evangelienbuch richten sich nach Erdmann (1882). Als handschriftennahe Vergleichspunkte bieten sich an: Otfrid von Weißenburg, Evangelienharmonie. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex Vindobonensis 2687 der Österreichischen Nationalbibliothek. Eingeleitet von Hans Butzmann. Graz 1972 (Codices Selecti 30). Kleiber/Heuser (2004) I, 1, Bl. 1r–9r.

90 Bl. 27v 5. Ad Liut., Z. 58 scripto] Injuria hîc notatus Flacius à Lambecio, non enim scriptu sed scripto manifestissimè legitur in Cod. MS. Caesar. Bl. 28v 6. Ad Liut., Z. 83 lenam] ita in MS. legitur retinuitque lectionem hanc Flacius, est Lambecius in lenem mutavit. 7. Ad Liut., Z. 84 omoeoteleuton] Flacius hoc loco inseruit ex Codice suo MS. duo verba: id est, qui et a Lambecio interjecta, in MSto enim Caesar. vetustis literis superscripta erant, sed jam deleta sunt ut alia, imperitè ut videtur. 8. Ad Liut., Z. 87 apertior] Lambecius legit apertius, praeter fidem Codicis MS. Caesar. 9. Ad Liut., Z. 108 lingua] in Cod. Caesar. sequuntur literae i. e. pro id est, in ipso textu exstantes, qui rasuram similiter sed non plenè sustinuerunt. 10. Ad Liut., Z. 117 omnium laudent] laudis sonare; quae non verborum adulationem politorum, sed [?] Bl. 29v 11. Ad Liut., Z. 128f. meae] neglegentiae paret, eadem ueneranda sanctaque contempnet 12. Ad Liut., Z. 134 AMEN] verba fin [?]: Explicit Prologus in Flaciana editione occurentia in MS. Caesar. non habentur. 13. Ad Salom., V. 7 uuirdig ist] deficit hîc rythmus, et ex sequenti versu supplendus addenda fuit: verba thez lésannes. prout benè advertit Flacius. Ita occurrit in MS. Caes. ex praecipitantia fortè scribae. Bl. 30v 14. Ad Salom., V. 43 iz] vocula Zi textui superscripta. quemadmodum etiam in subsequente versu íó et thar similiter quae corrigenda textuque inserenda.

91 Bl. 31v 15. Expliciunt capitula Libri primi] Desunt in Edit. Flaciana Die überaus detailgenauen Anmerkungen Schmids stützen sich im ganzen auf den paläographischen Befund in V, den man systematisch so beschreiben könnte: Entweder läßt er den Befund mit Anmerkung für sich stehen (Nrn. 1, 9, 14) oder er setzt ihn in Bezug zu den bereits gedruckt vorliegenden Textabdrucken aus dem Evangelienbuch von Flacius (1571) bzw. Lambecius (1669). Die Nrn. 2, 4, 12, 15 bieten abweichende bzw. übereinstimmend-bestätigende Lesarten nach Flacius. Nr. 8 korrigiert eine Falschlesung Lambecks. In den Nr. 3, 5, 6 klärt Schmid Lesarten, in denen Flacius und Lambecius divergieren, wobei sich Flacius in den angeführten Beispielen nach Schmid als der genauere Textherausgeber erweist.50 In Nr. 7 bestätigen Flacius und Lambeck die Lesung einer für Schmid nicht von vornherein klaren Textstelle. Nr. 11 ist der Nachtrag eines von Schmid zunächst übersehenen Textstückes.51 Nr. 13 stellt unter Verweis auf Flacius einen Langvers wieder her, der in V aus Platzgründen umgebrochen worden war. Die Genauigkeit der Abschrift, die Einarbeitung von Korrekturen sowie die Dichte der Anmerkungen nehmen im weiteren Verlauf stark ab. In dem hier ausgewählten Stück ist die Dichte der Anmerkungen verhältnismäßig hoch. In der Folge gibt es im Schnitt ca. eine, nie mehr als vier Anmerkungen pro Seite. Ab Bl. 139v wechselt seine Schrift in eine schnell geschriebene Kursive, ab Bl. 138v finden sich keine Randanmerkungen und Rubrizierungen mehr. Dennoch: Schmid kopiert und bearbeitet den Otfridschen Text mit einem erstaunlich hohen Grad an Präzision und Problembewußtsein für paläographische Fragen. Die Schmidsche Abschrift war eine bezahlte Auftragsarbeit für Johann Schilter.52 Aus der Tatsache, daß in der Abschrift am Anfang Platz freigelassen wurde und alle recto-Seiten unbeschrieben sind, könnte man die Folgerung ziehen, daß Schmid an einem umfangreicheren Kommentar zu V arbeitete. Die leeren Seiten könnten ebensogut für eine zukünftige Textkommentierung Schilters freigelassen worden sein. Über ihre Funktion erfahren wir aus der Korrespondenz mit Schilter nichts weiter, aber sie ergibt sich möglicherweise aus ihrer Anlage selbst. Schilter arbeitete an einer Neuausgabe des Evangelienbuchs, für deren Herstellung er auf die gesamte damals bekannte Überlieferung zurückgreifen wollte (s. Kap. 5.4). P war Anfang des 18. Jahrhunderts nicht unmittelbar greifbar. F schien den Zitaten von Beatus Rhenanus zufolge unvollständig und unzuverlässig. Im Falle von P hätte Schilter sich mit der Gasserschen Abschrift behelfen können, die einen genaueren Text bot als der

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Dies spricht für die Sachlichkeit seines Vorgehens. Zur scharfen Polemik gegen die Ausgabe von Flacius s. S. 158f. Die Bedeutung von Nr. 10 ist unklar. Handelt es sich um eine sprachliche Erläuterung zum lateinischen Text des Liutbert-Schreibens? Vgl. den in Anm. 46 angegebenen Briefwechsel.

92 flacianische Druck.53 Aus V waren in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nur die Auszüge, die Peter Lambeck in seinen Commentarii gedruckt hatte, bekannt geworden. Dort sind die Lücken des Druckes von 1571 von Lambeck ergänzt worden (s. Kap. 3.3). Eine vergleichende Gegenüberstellung der beiden bedeutendsten Überlieferungsträger des Evangelienbuchs auf textueller Basis war noch nicht einmal im Ansatz unternommen worden.54 Daß Schilter eine synoptische Gegenüberstellung von V und P geplant haben könnte – als eine Grundlage für die (durch ihn selbst nicht mehr zur Ausführung gebrachte) Neuausgabe –, wäre eine plausible Erklärung für die Anlage der Schmidschen Abschrift. Auf den leer gebliebenen recto-Seiten hätte dann P nach der Abschrift Gassers stehen können, ergänzt um das Lesartenverzeichnis, das Frederik Rostgaard 1699 aus P angefertigt und an Schilter übersandt hatte. Somit hätte sich für die beiden wichtigsten Überlieferungsträger des Evangelienbuchs eine Gegenüberstellung auf einer nahezu einheitlichen Basis realisieren lassen.55 Verlaufen ist die weitere Geschichte der Otfridausgabe im Schilterschen Thesaurus freilich anders.56 Schmid sandte seine Abschrift – aus welchen Gründen auch immer – in unfertigem Zustand an Schilter. Ob dieser sie selbst noch nutzte, läßt sich nicht mehr sagen.57

3.1.3 Das Evangelienbuch in Göttweig (1724/25) 1830 wies Heinrich Hoffmann von Fallersleben in seinen Fundgruben auf eine »gutgeschriebene Abschrift der freisinger HS., gez. G. 29« hin, »welche aus der Mitte des vorigen Jahrh. stammt und wahrscheinlich auf Bessel’s Veranlassung oder durch ihn selbst gefertigt wurde«58 Er habe diese im Herbst 1827 in der niederösterreichischen Benediktinerabtei Göttweig gesehen. Als Johann Kelle knapp 30 Jahre später für die Einleitung seiner Otfridausgabe in Göttweig nach dieser Abschrift fragen ließ, schien sie in der Zwischenzeit verlorengegangen zu sein:

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Von der Existenz der Gasserschen Abschrift wußte er spätestens durch den Brief Christoph Jacob Laubers vom 13. Januar 1697 (s. S. 187f.). Daß V und die P die wichtigsten Grundlagen für eine Neuedition bilden mußten, war seit Lambeck bekannt. Möglich geworden ist eine handschriftennahe Gegenüberstellung in diesem Sinne erst durch die Neuausgabe Kleiber/Heuser I, 1 (2004) und Kleiber/Heuser II, 1 (2006). Schilter selbst konnte die Gassersche Abschrift nicht mehr nutzen genausowenig wie das Lesartenverzeichnis Frederik Rostgaards. S. S. 188. In der Schmidschen Abschrift finden sich keine Hinweise auf eine Benutzung durch Schilter. Es liegt nahe, an den Tod Schilters (1623–1705) als Grund für den Abbruch der Arbeit zu denken. Ob ein Zusammenhang der Schmidschen Abschrift mit einer durch Raymund Krafft von Delmensingen in Auftrag gegebenen Abschrift aus V besteht, die vom Textbestand her ihre Fortsetzung sein könnte, muß offen bleiben. Über ihren Verbleib ist nichts mehr bekannt. S. S. 100. Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Ueber Otfrid. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Sprachforschung. In: Fundgruben I (1830), S. 42, Anm.*.

93 Auf eine Anfrage nämlich theilte mir [sc. der damalige Bibliothekar P. Gottfried] Reichhardt mit, dass sich dermalen eine Abschrift von Otfrid’s Evangelienbuch in Göttweig nicht befinde, und dass alle Nachforschungen über das ehemalige Vorhandensein derselben fruchtlos geblieben seien.59

Kelle zog aus diesen scheinbar definitiven und glaubwürdigen Informationen über das offenkundige Fehlen der Abschrift den Schluß: Was es demnach mit der von Hoffmann angeführten Abschrift für eine Bewandtnis habe, ob sie wirklich 1827 in Göttweig gewesen, und in der Folge etwa in eine andere Bibliothek gekommen ist, kann ich ebenso wenig, ohne Beweise hiefür zu haben, annehmen, als ich geradezu glauben will, Hoffmann habe sich bei seiner Angabe wohl nicht in der Sache, aber etwa in dem Orte, wo er die Abschrift sah, geirrt.60

Kelle täuschte sich in diesem Fall und kam wohl nicht zuletzt durch die nur sehr oberflächlichen »Nachforschungen« Reichhardts in der Frage nach dem Verbleib der Abschrift nicht weiter.61 Der nur handschriftlich in Göttweig vorhandene Manuscripten-Catalog von Vinzenz Werl war bereits 1844 fertiggestellt und ein Blick in den zweiten Band hätte genügt, um die Abschrift, die Hoffmann präzise mit der alten Signatur G. 29 angezeigt hatte, und die Werl mit der neuen Signatur 913 (vorher G. 29, dann zwischenzeitlich 813) versehen hatte, finden zu können.62 Joseph Diemer wies bereits zwei Jahre nach dem Erscheinen von Kelles Ausgabe auf die Richtigkeit der Angabe Hoffmanns und das Vorhandensein der Abschrift in Göttweig hin.63 Dort befindet sie sich bis heute. Hoffmann lag auch mit seiner Vermutung richtig, daß die Abschrift auf die Initiative des berühmtesten der Göttweiger Äbte im 18. Jahrhundert, Gottfried Bessel (1672–1749), zurückzuführen sei.64 Bessel, der seinen Zeitgenossen als »der deutsche Mabillon«65 galt, startete in den 1720er Jahren eine umfangreiche Briefaktion für sein in der Planung mo-

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Kelle I (1856), S. 150. Kelle I (1856), S. 150. Vgl. auch Josef Purkart: Abbot Gottfried Bessel of Göttweig, Otfrid of Weißenburg, and Codex G. 29. In: Dialectology, Linguistics, Literature. FS Carroll E. Reed. Hg. von Wolfgang W. Moelleken. Göppingen 1984 (GAG 367), S. 222–231, hier S. 225. Vinzenz Werl: Manuscripten-Catalog der Stifts-Bibliothek zu Göttweig. Bd. II. Göttweig 1843/44 (ungedruckt), S. 464f. Joseph Diemer: Die Göttweiger Abschrift des Otfried. In: Germania 3 (1858), S. 359f. Diemer gibt an dieser Stelle eine kurze Beschreibung des Inhaltes der Handschrift und weist darauf hin, daß Reichhardt sie wegen der Neusignierung nicht habe finden können. In der Handschrift befindet sich eine von Diemer firmierte Notiz mit einer Beschreibung, datiert auf den 16. Mai 1858. Vgl. den Abdruck bei Purkart (Anm. 61), S. 224. Vgl. zu Vita und Werken: Gottfried Bessel (1672–1749). Diplomat in Kurmainz – Abt von Göttweig – Wissenschaftler und Kunstmäzen. Hg. von Franz Rudolf Reichert. Mainz 1972 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 16). Gregor M. Lechner: Bessel, Gottfried. In: 3LThK 2 (1994), Sp. 320f. Gregor M. Lechner und Michael Grünwald: Stift Göttweig. Gottfried Bessel (1672–1749) und das barocke Göttweig. Zum 250. Todesjahr des Abtes. Ausstellung des Archivs und der Sammlungen des Stiftes Göttweig / Niederösterreich, 24. April bis 15. November 1999. Bad Vöslau 1999. Vgl. den Erstbeleg von 1754 nach Lechner / Grünwald (Anm. 64), S. 83. Emmeram Ritter: Gottfried Bessel – der »deutsche Mabillon«. In: Reichert (Anm. 64), S. 203–215.

94 numental angelegtes, in der Durchführung Torso gebliebenes Chronicon Gotwicense (1732). In diesen Briefen wandte er sich an Historiker und an andere Wissenschaftler unterschiedlichster Couleur sowie zahlreiche Stifte und Klöster in Österreich und Deutschland, die er um Suche und Sammlung archivalischer Quellenmaterialien, Handschriften, Traditionscodices, Stiftungs- und Schenkungsnachweise, Verträge und Numismatika bat.66 Der Benediktbeurer, in den Diensten des Freisinger Bischofs stehende P. Karl Meichelbeck (1669–1734) antwortete Bessel am 27. März 1724 und stellte ihm in Aussicht, mit dem Erscheinen des ersten Teils seiner Historia Frisingensis noch im selben Jahr umfangreiche Materialien aus der ältesten Freisinger Überlieferung kennenlernen zu können.67 Insbesondere wies er ihn auch auf die dortige Handschrift von Otfrids Evangelienbuch hin: Sonsten ist zwar hier in meinem Musæo ein sehr schöner Codex Evangeliorum circa finem Sæculi IX rhytmice Theotisce geschrieben, welchen der gelehrte Ekkardus Hannoveranus von meinem g[nä]d[ig]sten Herrn hat wollen ausbitten. allein hat höchst gedachter Fürst bedenkhen gehabt solchen Codicem in so entferntes land zuschikhen. und wais ich nit, ob mich understehen darffte wegen Übersendung dises Codicis nacher Wien anmeldung zuthun.68

Die Skepsis, mit der man eine Ausleihe der Handschrift an Johann Georg von Eccart (1664–1730) nach Hannover betrachtete, war Bessel gegenüber unangebracht. Über Wien als diplomatische Vermittlungsstelle zwischen Bayern und Österreich kam eine Ausleihe der für die paläographischen Studien Bessels interessanten Handschrift schnell zustande. Am 7. Mai 1724 meldet Meichelbeck das Einverständnis seines Bischofs und die Absendung des Codex: Entzwischen wird der Hochfürstl. Freysing. Wienerische Beambte den Codicem Theotiscum überraichen, wie er von seiner Hochfürstl. Gnaden die commission hat. es winschet höchst gedacht mein g[nä]d[ig]ster Fürst, daß diser Codex möge dienlich erscheinen, und hernach bald remittieret werden.69

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Vgl. Lechner / Grünwald (Anm. 64), S. 84. Im Cod. 691, Bl. 366rv findet sich eine Liste zu alten deutschen Texten, »cum in antiquorum Germaniae monasteriorum bibliothecis asserventur«, auf Bl. 520rv derselben Handschrift eine Liste mit Materialien, die Bessel zusammentragen ließ. Sie trägt die Überschrift »Scriptores ad linguam theotiscam Antiquam pertinentes«. Zu Meichelbeck vgl. Dieter Albrecht: Meichelbeck, Carl. In: 3LThK 7 (1998), Sp. 67. Karl Meichelbeck, dem Mönch von Benediktbeuern, Zierde unseres Ordens, Leuchte der Wissenschaft. Hg. von der Bayerischen Benediktiner-Akademie. München 1969 (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 80, 1/2). Meichelbecks Briefe werden hier und im folgenden zitiert nach Albert Siegmund: P. Karl Meichelbecks Briefe 2. Teil. In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 81 (1970), S. 261–314, hier Nr. 62, S. 299. Die Originale seiner Briefe an Bessel sind momentan im Göttweiger Archiv nicht auffindbar. Siegmund (Anm. 68), Nr. 63, S. 301.

95 Am 26. Januar 1725 bittet Meichelbeck dringend um die Rücksendung der Handschrift, die sich nach einem Briefentwurf Bessels vom 27. Januar 1725 zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Rückweg nach Freising befand.70 Entzwischen ist Celsissimus [sc. Fürstbischof Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck] ungemein sorgfältig umb den übersandten alt-teutschen Codicem und wurde mir ein besonders hohe gnad seyn, da auf gdgen Befelch, Ihro Hochw. und Gnaden mir durch iemandt geschriben wurde, daß derselbe dem Freysingischen Beamten in Wien entschweder (!) schon zurückhgestellet worden oder demnechsten solle zugestellet werden.71

D. h., F war gut neun Monate, von Mai 1724 bis Januar 1725, in Göttweig.72 Das Resultat dieser Ausleihe und der Arbeit mit F liegt im Cod. 913 der Stiftsbibliothek Göttweig vor. Er enthält laut dem nicht foliierten Titelblatt »Otfridi Evangelia cum nonnullis aliis Theotiscis«. Die Abschrift des Freisinger Otfrid beginnt auf dem ersten Blatt der ersten Lage (L. I, Bl. 1r) mit Kapitel I, 1 des Evangelienbuchs. Zuvor steht der Titel nach F (Bl. 1r) »Incipit Liber / Evangeliorum Domini gratia Theotisce / Conscriptus«.73 Sie endet in L. IL, Bl. 6r mit Sigihards Gebeten und dem Subskript Sigihards. Darauf folgen Abschriften der in F fehlenden Widmungen an Salomo und Ludwig nach der Edition von Matthias Flacius, wobei zuerst der althochdeutsche Text der beiden und im Anschluß daran die bei Flacius synoptisch angeordneten Übersetzungen stehen.74 Die nicht von Bessel selbst angefertigte Abschrift von F ist, sowohl was ihre Nähe zur Vorlage vom Schriftbild her betrifft als auch in der Genauigkeit der Textwiedergabe, relativ anspruchslos und in kurzer Zeit angefertigt worden.75 Nach dem Vorbild der Edition von 1571 ist sie in Halbversen angelegt. Durch einen Punkt jeweils vor dem Zeilenumbruch sind diese zusätzlich voneinander abgehoben. Die Kapitelüberschriften sind durch einen etwas größeren Schriftgrad hervorgehoben wie auch die Initialen jeweils an den Kapitelanfängen. Die Marginalien stehen wie in F am rechten bzw. linken Seitenrand. Auch Akzente

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Vgl. Siegmund (Anm. 68), S. 300, Anm. 8. Siegmund (Anm. 68), Nr. 65, S. 304. Auf die Ausleihe von F nach Göttweig wies bereits 1788 Johann David Köhler hin: Anweisung zur Reiseklugheit für junge Gelehrte. Neu bearbeitet von Friedrich August Kinderling. Bd. I. Magdeburg 1788, S. 123. Dort ist außerdem die Rede davon, daß F vorher nach Eichstätt ausgeliehen gewesen sei. Dies ließ sich allerdings nicht mehr verifizieren. Die Handschrift ist im Abstand von 20 Blättern foliiert (mit Bleistift am rechten oberen Seitenrand eingetragen). Daneben ist mit Tinte am unteren rechten Seitenrand jeweils der Beginn einer neuen Lage (Sexternionen) vermerkt. Ich zitiere im folgenden nach der Lagenbezeichnung (römische Nummer) und dem Blatt innerhalb der jeweiligen Lage (arabische Ziffer). L. L, Bl. 1r: Salomo-Widmung; L. L, Bl. 2v: Ludwig-Widmung; L. LI, Bl. 1r: Übersetzung der Salomo-Widmung; L. LI, Bl. 2v: Übersetzung der Ludwig-Widmung. Purkart hielt die Übersetzungen für Versuche Bessels. Vgl. Purkart (Anm. 61), S. 229. Sie wird wohl von einem seiner Mitarbeiter an den Vorarbeiten zum Chronicon Gotwicense stammen.

96 und Zeichensetzung entsprechen im großen und ganzen der Vorlage. Die Kapitelzählung fehlt nur am Anfang des ersten Buches. Die Intention einer Neuausgabe des Evangelienbuchs auf Grundlage der Abschrift verfolgte Bessel zunächst nicht. Am Ende des Cod. 913 finden sich einige weitere Abschriften volkssprachiger Texte, an die er durch seine Briefaktion gelangt war.76 Außer diesen und dem Otfrid ließ er noch die Kaiserchronik nach dem heutigen cgm 37 (vormals Passau, St. Nicolai) kopieren.77 Man darf Bessel aufgrund seiner umfassenden Sammeltätigkeit wohl kein allzu spezielles Interesse am Evangelienbuch unterstellen.78 Es war primär sicher auf den Aspekt der Paläographie gerichtet, die er zunächst eventuell in die Konzeption zum ersten Teil des Chronicon Gotwicense (»De codicibus antiquis Manuscriptis«) miteinbezog, auch wenn er sie dort letztlich nicht verwendete. In der Abschrift findet sich in L. LVII, Bl. 5rv eine kurze paläographische und kodikologische Beschreibung von F, die auf ein Diktat Bessels zurückgehen könnte. Zustand, Umfang und Größe der Handschrift werden angegeben: »Codex in totum membranaceus est et membrana quidem subtilium in quibusdam locis constat foliis 194 est in folio et in altitudine continet pedes austriae in latitudine 8 1/2 pollices [...].« Und die Beschaffenheit des Einbandes wird kurz charakterisiert: »[...] codex corio quodam albo cooperitur [...].« Die Anlage des Textes, der auf der ersten und zweiten Seite »contextu uno«, der Rest »columnatim binis nimirum columnis« eingerichtet sei, und der Marginalien ist beschrieben. Im übrigen sei die Handschrift in einem vorzüglichem Zustand: »Codex de caetero optime conservatus est.« Das Fehlen der Widmungsschreiben an Ludwig, Liutbert und Salomo wird notiert. Die weiteren Beobachtungen beziehen sich auf sprachliche, metrische und ästhetische Charakteristika des Textes selbst. Dies zusammengenommen hätte Bessel für die paläographische Behandlung von F im Rahmen des Chronicon Gotwicense sicher ausgereicht. Aber die Geschichte ist noch nicht ganz zu Ende: Von der Göttweiger Abschrift hatten die Herausgeber von Schilters Thesaurus Kenntnis erhalten. Der erste Band des

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L. LVIII, Bl. 3r: Theotiscae Glossae canonum Synodorum et decretorum ex codice MSto Tegernseensi in VIIIvo sub numero 1015, in quo acta concilii Niceni cum aliis continentur. Codex est seculi IX; L. LIX, Bl. 3r: Cod. Philol. n. 244 ol. 99 (Physiologus-Exzerpt); L. LIX, Bl. 5r: Theotisca (Exzerpte aus Meister Eckhart?); L. LX, Bl. 1r: »In principio. Do hier is wollide allis das bilihe« (Abschrift einer Minnerede). Darüber hinaus besaß Bessel Kenntnis von der Annoliedausgabe (1639) von Martin Opitz und von einer Handschrift des Jüngeren Titurel. Vgl. Purkart (Anm. 61), S. 227–229. Göttweig, Stiftsbibliothek Cod. 919. Auch dieser Abschrift liegt eine Notiz Joseph Diemers bei, datiert auf den 28. Januar 1858. In zwei Briefentwürfen (vom 24. November 1724, übergeben am 15. September [?] 1726) an Karl VI. bittet Bessel um verschiedene mittelalterliche Handschriften aus der Wiener Hofbibliothek. Unter anderem werden Otfrid und weitere althochdeutsche Denkmäler erwähnt. Vgl. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 691, Bl. 377r–379r (Vgl. auch Edmund Vašiček: Abt Gottfried Bessel von Göttweig. Ein Lebensbild. Wien 1912 (Studien und Mitteilungen aus dem kirchengeschichtlichen Seminar der theologischen Fakultät der k. k. Universität in Wien Heft 10), S. 204, Nr. 247.

97 Thesaurus erschien noch im selben Jahr, aber man wollte diese Abschrift für den darin edierten Otfridtext offenbar unbedingt noch einsehen und gegebenenfalls verwenden. Am 23. März 1726 schreibt der Hauptherausgeber Johannes Frick an Bessel über die Pläne dazu, schickt ihm einen »conspectus Schilteriani thesauro antiquitatum Teutonicarum« sowie ein »specimen evangeliorum Otfridi Wizanburgensis«79: Es ward nehmlich vor kurzer Zeit dem Verleger jetzbenannten Schilterische Thesauri, H. Daniel Bartholomaei, von einer benachbarten Universitaet glaubwürdig geschrieben; was maßen in die herrliche Bibliothec deß Hochwürdigen Gottshauses Gottwich unter vielen anderen raren Codicibus auch ein ungemein pretioses MSS von deß in Unserem seculo hochberühmten Ottfridi Weissenburgensis, der allen Teutschen billich venerable bleibt, Opere rhythmico Quatuor Evangeliorum sich befinde.80

Frick legt dar, daß dem Bearbeiter des Evangelienbuchs für den Thesaurus, Johann Georg Scherz, alle nach Lambeck bekannten Handschriften in Form von Abschriften oder Emendationes vorlägen und der Ulmer Verleger, Bartholomaei, höchste Sorgfalt auf die Drucklegung des Werkes verwenden würde. Dann kommt er zum Punkt: Ich will sagen, (mit gnädigster Erlaubnis von Ew. Hochwürden) wenn nun also für Otfridi opus Evangeliorum [...] in Gnade geruhen wollten, auß obbelobtem ven[er]abili Codice MSt. Gottwicensi die Varias Lectiones aut Emendationes durch eine Gelehrte Feder, woran niemahls kein Mangel in dem vortrefflichen Gotteshause seyn wird, excerpieren zu lassen, und unß hierher [...] zu übersenden.81

Hätte Bessel die Bitte Fricks erfüllt, wären damit die handschriftlichen Grundlagen für die Neuedition des Evangelienbuchs im Thesaurus vollständig in den Händen der Herausgeber gewesen.82 Aber der Abt wies den Ulmer Bibliothekar auf elegante Weise ab. In seinem Antwortschreiben vom 10. April 1726, das nur in einem Entwurf erhalten ist, bedankt er sich zunächst für die Geschenke, das Vertrauen »in re litteraria« und lobt das Vorhaben, »das unßer weißenburgischer Otfridus als eines von deren schönsten und ältesten monumentis Teutonicis«83 mit den von Frick genannten Handschriften und Hilfsmitteln neu herausgegeben werden soll. Aber was die Lesarten aus F angeht, könne er leider nicht weiterhelfen: Allermassen nun aber ich schon vor geraumer Zeit die intention geführt, nicht allein berühmten Otfridum, sondern auch noch viele inedita monumenta Teutonica antiqua der gelehrten welt vorzulegen auch in diesem werck allschon würcklichen also begriffen bin, das diese paraphrasis Theotisca Ottfridi einen sonderbaren undt nunmehr nicht mehr veränderlichen Theil meiner schon verfaßten disposition ausmachet, [...]. Es werde mein

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Dies geht aus dem Antwortbrief Bessels hervor. S. S. 97f. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 689, Bl. 119r–120v, hier Bl. 119v. Vgl. Vašiček (Anm. 78), S. 206, Nr. 266. Cod. 689, Bl. 120r. Zu den generell damit verbundenen Problemen s. S. 187f. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 689, Bl. 117r–118r, hier Bl. 117r. Vgl. Vašiček, (Anm. 78), S. 204, Nr. 267.

98 hochgeehrter Herr meinen pro Republica litteraria diesfals hegenden plan [?] undt aufrichtige gute meinung nicht mißbilligen, mitthin mir nicht in üblem vermercken, daß ich auf dessen ehe mich gethanes so billiges ansuchen, aus vorsagenden ursachen mich entschuldigen müssen. Da sonsten im gegentheil ich gar kein bedenken tragen thäte, vielbelobtes schöne institutum mit diesem alten codice denen namlich daraus gezogenen lectionibus variantibus auf alle weis zu secundiren.

Mit der angesprochenen »disposition« kann nur das Chronicon Gotwicense gemeint sein. Dort findet sich aber nur ein kurzes Zitat aus dem Evangelienbuch, ohne jede weitere Ausführung dazu. Man kann nur vermuten, daß Bessel dies in einem der nicht mehr zustande gekommenen, späteren Bände nachholen wollte und dafür bereits schriftliche Aufzeichnungen vorliegen hatte, die mehr umfaßten als die Beschreibung im Cod. 913. Dort stehen auch in L. LI, Bl. 1r bis L. LVII, Bl. 4v die von Frick gewünschten »Varias Lectiones aut Emendationes«, unter der Überschrift »Emendationes in Otfridi Theotiscam et / metricam Evangeliorum Paraphrasin / ex antiquissimo et coaevo fere Codice Frisingensi / collectae et cum editione Flaccii Illyrici collatae.« In diesem umfangreichen Verzeichnis sind Lesarten und Auslassungen der Flaciusausgabe gegenüber F und umgekehrt notiert.84 Ob Bessel es unmittelbar mit der Abschrift von F oder sozusagen erst auf das freilich nicht erfüllte Ansuchen Fricks hin anfertigen ließ, kann man nicht mehr sagen. Die Pläne Bessels für eine intensivere Beschäftigung mit Otfrid scheinen sich jedenfalls herumgesprochen zu haben. Am 12. Juli 1726 stellt ihm der Altdorfer Professor Johann David Köhler neben einigen nützlichen Buchgeschenken (u. a. die Annoliededition von Martin Opitz) gleichsam einen Forschungsbericht aus verschiedenen Werken mit einer Reihe von Erklärungen zu Textstellen aus dem Evangelienbuch zusammen, die ihm bei seiner Arbeit, den Otfrid wiederherzustellen, weiterhelfen mögen: REVEREDISSIME AC PERILLUSTRIS ABBAS / Domine perquam gratiose,/ Nuper quidem REVERENDISSIMAE DIGNITATI TUAE declaravi, quam exigua et tenuia sint mea studia in iuvandis Tuis egregiis conatibus, qui se erudita pietate et pia eruditione exserunt in restaurando Ottfrido. Quoniam tamen interea, quaedam obvenerunt Tuae cognitioni forte non ingrata atque indigna, volui ea pro mea in TE demisissima observantia, TEcum studiosissime communicare, ne plane fallam Tuam spem atque expectationem de (Bl. 372v) meis officiis tam benevole conceptam.85

Und am Ende des Briefes: Haec itaque sunt, REVERENDISSIME ABBAS, quae hac vire TIBI in egregio Tuo studio subministrare potui. Imposterum quoque ego omnia sedulo (Bl. 375r) faciam, quae interesse Tua, aut etiam velle Te exissimem in tam praeclaro labore si ullo modo facere possim.86

Mit der Abschrift, der Handschriftenbeschreibung und dem Vergleich mit der Edition von Flacius im Cod. 913 stand Bessel eine erste Grundlage zur Verfü-

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In Göttweig war ein Exemplar der Ausgabe von Flacius nachweislich vorhanden. Es wurde nach Auskunft von Mag. Michael Grünwald höchstwahrscheinlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verkauft. Cod. 691, Bl. 372r–376v, hier Bl. 372rv. Vgl. Vašiček (Anm. 78), S. 205, Nr. 272. Cod. 691, Bl. 374v–375r.

99 gung, die allein für eine Neuausgabe des Evangelienbuchs nicht genügt hätte. Daß F gegenüber der Wiener und Heidelberger Handschrift unvollständig war, wußte er aus den Commentarii Lambecks und es muß ihm spätestens bei der Anlage des Lesartenverzeichnisses am Text selbst bewußt geworden sein. Bessel bat Karl VI. in einem Brief, der am 15. September [?] 1726 übergeben wurde, um die Ausleihe einer Reihe deutscher mittelalterlicher Handschriften aus der Wiener Hofbibliothek, darunter auch des Wiener Otfrids. Als Begründung für die Ausleihe ist aber von konkreten Editionsplänen hier keine Rede. Bessel gibt vielmehr an, seine Klosterbibliothek nach einem verheerenden Großbrand von 1718 wiederaufbauen zu wollen. Dafür seien die Wiener Codices, die man als Abschriften in die Bibliothek integrieren wolle, dienlich.87 Erhalten hat er V aber nicht. Auch aus den Briefen Meichelbecks läßt nichts auf eine geplante Ausgabe des Evangelienbuchs schließen. Die Abschrift von F ist ihrer ursprünglichen Funktion nach Teil der umfassenden Sammeltätigkeit des Abtes für sein Großunternehmen des Chronicon Gotwicense. Darin waren keine umfassenden Texteditionen vorgesehen, sondern paläographisch-kodikologische Beschreibungen einer Vielzahl von Handschriften und Urkunden, von Münzen und anderem. Ob Bessel tatsächlich eine Neuausgabe des Evangelienbuchs vorlegen wollte, bleibt also eine offene Frage. Die in der Stiftsbibliothek Göttweig vorliegenden Materialien sprechen dafür, daß sich die Planungsarbeiten Bessels dafür noch in einem relativ frühen Stadium befanden. Was von der Auseinandersetzung Bessels mit dem Evangelienbuch am Ende gedruckt übrig bleibt, ist ein marginales Zitat in Buch III des Chronicon (1732). In einem Abschnitt über die Königspfalzen wird als Wortbeleg eine Stelle aus Buch IV, 20 angeführt, die bereits Marquard Freher in seinen Origines Palatinæ herangezogen hatte.88 Zitiert wird bezeichnenderweise nach dem althochdeutschen Text und der lateinischen Übersetzung der Edition in Johann Schilters Thesaurus.89 Was bei Bessels Äußerungen über Otfrid in Ansätzen durchscheint, ist ein Jahrhundert später für P. Leopold Koplhuber in Kremsmünster ein wichtiger Grund für eine generelle Abrechnung mit der Otfridausgabe im Thesaurus (s. Kap. 6.1). Der Otfrid ist bereits für Bessel einer der »unsrigen«, »Otfridus noster Wizanburgensis«, so sagt er im Chronicon, ein Benediktiner. Für eine angemessene Würdigung seiner Leistung, seine adäquate Erforschung und Pflege hält er offenbar am ehesten die benediktinischen Nachfahren Otfrids geeignet. Ob eine solche selbstbewußte Auffassung vom Umgang mit dem benediktinischen Erbe einer der Gründe für die Ablehnung der Bitte Fricks war, mit dem Bessel sich ja generell »in re litteraria« verbunden fühlen konnte, kann dahingestellt bleiben.

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Vgl. Anm. 78, hier Bl. 378v. Vgl. Marquard Freher: Origines Palatinæ. Heidelberg 1586, Tom. I, S. 28. Zu Freher s. Kap. 3.2.1. Chronicon Gotwicense. Tom. I. Tegernsee 1732, Lib. III, S. 443f.

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3.1.4 Weitere Abschriften An dieser Stelle sei wenigstens kursorisch auf einige weitere Abschriften des Evangelienbuchs aufmerksam gemacht, die ich nicht einläßlicher behandeln kann. Im Verzeichnis der Bibliothek Raymund Kraffts von Delmensingen ist unter Nr. 6 eine weitere Teilabschrift des Evangelienbuchs von 1718 auf Grundlage der Wiener Handschrift geführt, die ungefähr dort beginnt (III, 17), wo die Abschrift Johann Philipp Schmids abbricht (III, 20, 88).90 Es könnte sich daher um eine spätere Fortsetzung von ihr handeln. Nach Haeberlin geht sie auf einen Auftrag Kraffts von Delmensingen zurück, der zu diesem Zeitpunkt auch in Besitz der Gasserschen Abschrift war (s. S. 86f.). Wer sie anfertigte und wo sie erhalten ist, konnte ich nicht ermitteln. Haeberlin beschreibt sie wie folgt: IDEM LIBER EVANGELIORUM OTTFRIDI. Hoc exemplum ex Codice Manuscripto perantiquo Augustiss. Biblioth. Cæsareæ Vindobon. describendum curavit, Perill. Dn. de KRAFFT, cum Anno hujus Sec. XVIII & sqq Viennæ degeret. Deest quidem in hoc exemplari Caput ultimum Libri primi, porro integer Liber secundus ut & initium L. III. usque ad Cap. XVI.; in compensationem tamen apparent in hoc volumine Lineolæ textus verbis vel Literis subjectæ, quæ differentem Lectionem indicant ab impresso Flaciano, cernuntur etiam hinc inde voces vel literæ margini appositæ, quæ in Cod. Cæsareo vel a Coævo vel certe subantiqua manu textui superscriptæ sunt, adeoque pro correctione textus, ubi forte Scriptor lapsus erat vel aliquid omiserat, haberi possunt. Adest insuper in hoc Codice Supplementum cel. Lambecii, quo is defectum, qui in Flacianæ edit. L. V. extabat, supplevit.91

Eine weitere, bislang unbekannt gebliebene Abschrift wird heute in Wien (ÖNB) unter der Signatur Cod. 10214a aufbewahrt. Dabei handelt sich um eine Teilabschrift der Edition Johann Schilters mit der dortigen lateinischen Übersetzung (1726).92 Sie umfaßt auf insgesamt fünf Blättern den Anfang der Zuschrift an Ludwig den Deutschen (V. 1–7), vollständig die Invocatio scriptoris (I,2) und I,3. Gelegentlich sind kommentierende Bemerkungen zum althochdeutschen Text hinzugesetzt. Desweiteren findet sich im Nachlaß Grimm eine neun Blätter umfassende, von einem Anonymus stammende Teilabschrift nach dem Wiener Otfrid, datiert auf den 1. November 1817.93 Bereits hingewiesen habe ich auf die von Karl Lachmann für seinen Otfridartikel verwendeten Abschriften und Lesartenverzeichnisse Heinrich Hoffmanns von Fallersleben aus den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts (s. S. 3 mit Anm. 8).

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Vgl. Haeberlin (Anm. 39). Haeberlin (Anm. 39), S. 34, Nr. 6. Vgl. zu dieser Abschrift Tabulæ codicum manu scriptorum præter Græcos et Orientales in Bibliotheca palatina Vindobonensi asservatorum. Ed. Academia Cæsarea Vindobonensis. Bd. VI. Wien 1873 (ND Graz 1965), S. 155. Vgl. Ralf Breslau: Der Nachlass der Brüder Grimm. Teil 1: Katalog. Wiesbaden 1997 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung. Hg. von Tilo Brandis, 2. Reihe: Nachlässe 3), Nr. [1884] NG N 82.

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3.2

Frühe textkritische Arbeiten

3.2.1 Marquard Frehers Emendationes et castigationes (1631) 1877 machte Josef Seemüller auf die Existenz eines, wie er sagt, »lange gesuchten werkchen[s] Marquard Frehers« aufmerksam, das seit seinem Erscheinen 1631 vielgesucht und nur in die Hände weniger gelangt war.94 Seemüller fand es in »einem sammelbande (G. VIII. 180) der Zürcher stadtbibliothek«95. Der von Seemüller wiederentdeckte Oktavband ist nach meiner Kenntnis das einzig erhaltene Exemplar einer Arbeit Marquard Frehers zu Otfrids Evangelienbuch.96 Ihr vollständiger Titel lautet: In Otfridi Monachi Evangeliorum Librum Octingentos abhinc annos Theotisco rythmo conscriptum et A. 1571 Basileæ impressum, Emendationum Marq. Freheri. Editio posthuma, ex Autographo prolata à Gotthardo Voegelino, Wormatiæ impressit Iohannes Mayerhofferus, Anno MDCXXXI.97

Der Herausgeber Gotthard Vögelin (1597–1631) schickt den Freherschen Emendationes zwei Testimonien des Johannes Trithemius zu Otfrid und eine zwölfseitige Dedikationsepistel an den »Commissarius et consiliarius« des Landgrafen Georg II. von Hessen-Darmstadt (1605–1661), Matthias Bolsinger, voraus.98 Darin gibt er denjenigen, die nach dem Nutzen solcher »obscuri labores« (Bl. 4r) fragen, eine Antwort, für die er sich auf drei Argumente beruft: sein konservatorisches Argument besteht darin, insbesondere in Zeiten geiziger Drucker (»auaritia typographiis«, Bl. 4r), alte Dokumente für die »posteritas« aufzubewahren. Das zweite Argument ruft den Aspekt der »memoria« (Bl. 4v) auf, für den die Gegenwart verantwortlich sei, mit dem auf die Zukunft gerichteten Ziel, Bewunderung (»admiratio«, Bl. 5r) bei nachfolgenden Generationen hervorzurufen.99 Das dritte Argument bezieht sich auf die Verantwortung der

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An dieser Stelle nur einige Beispiele: Lambecius erwähnt es in seinen Commentarii (Wien 1669) nicht. Frederik Rostgaard konnte es auf seiner zehnjährigen Bibliotheksreise nirgends ausfindig machen. Auch Kelle gelang es nicht, das fragliche Buch ausfindig zu machen. Johann Schilter dagegen war es bekannt. Vgl. Kelle I (1856), S. 104, Anm. 3. Josef Seemüller: Zu Otfrid. In: ZfdA 21 (1877), S. 190–192, beide Zitate S. 190. Heute Zürich, Zentralbibliothek, Sammelbd. VIII. 180(4). Die Vorrede dieses Druckes ist foliiert (Bl. 1r–6v), die Emendationes sind paginiert (S. 1–27). Ein geringfügig abweichender Titel ist angegeben auf S. 1: »In Otfridi Evangeliorum Librum Editionis Basileensis Anni MDLXXI Emendationes et Castigationes: Auctore Marquardo Frehero«. Vgl. Hans-Dieter Dryoff: Gotthard Vögelin. Verleger, Drucker, Buchhändler. 1597–1631. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 4 (1963), Sp. 1129–1423. In diesem Zusammenhang beruft Vögelin sich auf die Williramsche Hoheliedparaphrase und zitiert daraus den Vers Cant. 7,13: »Allerslahta obaz, niuvvaz vnte altaz, habon ih dir gehalton, vvine min.« (Bl. 5r). Freher verfaßte auch eine annotierte Edition der frühmittelhochdeutschen Übersetzung Willirams und einen separaten Kommentar zu Willirams Werk, die Vögelin im selben Jahr bei Mayerhoffer aus dem Nachlaß herausgab. Ihre Titel lauten: Uhralte verdolmetschung deß Hohen lieds Salomonis: Auß Abt Walrams zu Ebersperg berühmbter Teutschen Auslegung / die Er vor 550. jahr darüber gestellt

102 Herrscher in diesem Zusammenhang. Von ihnen komme die »origo summa omnis nobilitatis« (Bl. 5r) und von ihnen hänge das gegenwärtige Schicksal gelehrter Beschäftigung mit alten Gegenständen ab. Als vorbildliches Beispiel nennt Vögelin Maximilian I. und zitiert aus den Res Germanicae die bereits behandelten, einschlägigen Stellen zur Freisinger Otfridhandschrift und die von Beatus Rhenanus supponierte Reaktion Maximilians auf einen solchen Fund: »Itaque si quis monstrasset duntaxat talem Codicem, non indonatus abisset. Nam Princeps fuit liberalissimus.«100 Vögelin gab die Emendationes aus dem von ihm erworbenen handschriftlichen Nachlaß des Heidelberger Juristen, Historikers und Staatsmannes Marquard Freher (1565–1614) heraus.101 Seine Edition beruhe auf einer von ihm angefertigten Abschrift des autographen Textes, welchen Freher hinterlassen habe (»manu propria ille consignauerat«, Bl. 3r). Den Inhalt der Arbeit charakterisiert er insofern, als Freher Anmerkungen und Verbesserungen zum Text des Evangelienbuchs an den Stellen vorschlage, »quà vitiosa esset Basiliensis editio« (Bl. 3r). Dafür habe Freher sich auf zweierlei stützen können: eine Handschrift und sein eigenes Urteilsvermögen in bezug auf die deutsche Sprache: FREHERUS noster, [...] singulares à se notas & emendationes, [...] partim è Codice manuscripto, partim è Germanica crisi sua (in quo eruditionis genere prae omnibus ante se mortalibus excelluit;) nobis relinqui [...]. (Bl. 3rv)

Auf welchen Codex des Evangelienbuchs Freher sich für seinen Anmerkungen und Verbesserungen stützt, wird an keiner Stelle gesagt. Es kann dennoch keinem Zweifel unterliegen, daß der einzige für ihn unmittelbar erreichbare

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hatt / abgedruckt, [...]. Worms 1631. In Willerami Abbatis Eberspergensis Expositionem super Canticum Canticorum. A. 1598 Lugduni Bat. editam Notæ, variæ Lectiones, supplementa, Marquardi Freheri. [...]. Worms 1631. Die von Vögelin herangezogene Stelle findet sich auf S. 43 der Freherschen Edition. Vgl. Williram von Ebersberg: Expositio in Cantica Canticorum und das ›Commentarium in Cantica Canticorum‹ Haimos von Auxerre. Hg. und übersetzt von Henrike Lähnemann und Michael Rupp. Berlin – New York 2004, S. 246f. Beide Werke Frehers bilden die Nr. 1 und Nr. 2 des Sammelbandes der Zentralbibliothek Zürich (s. Anm. 96). Freher nimmt in diesen Arbeiten häufig auf Otfrid Bezug. Nr. 3 ist eine Edition der Auslegung des Hohenliedes durch Heimo von Halberstadt (= von Auxerre). Höchstwahrscheinlich stammt auch diese von Vögelin herausgegebene Arbeit von Freher. Dieser Sammelband wäre eine gesonderte Untersuchung wert. Hier nach Vögelin, Bl. 5v. Vgl. zu Freher Dietrich Kornexl: Studien zu Marquard Freher (1565–1614). Leben, Werke und gelehrtengeschichtliche Bedeutung. (Diss.) Freiburg i. Br. 1966. Peter Fuchs: Freher, Marquard. In: NDB 5 (1961), S. 392f. Franz Xaver von Wegele: Freher, Marquard. In: ADB 7 (1877), S. 334f. Rudolf von Raumer: Geschichte der Germanischen Philologie vorzugsweise in Deutschland. München 1870 (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 9), S. 50–52. Vgl. auch die vielen Verweise auf Freher, insbesondere auf seine Zusammenarbeit mit Melchior Goldast bei Bernhard Hertenstein: Joachim von Watt (Vadianus), Bartholomäus Schobinger, Melchior Goldast. Die Beschäftigung mit dem Althochdeutschen von St. Gallen in Humanismus und Frühbarock. Berlin – New York 1975 (Das Althochdeutsche von St. Gallen 3), Register s.v. Freher.

103 Otfridcodex der Heidelberger gewesen ist und nur dieser mit dem Verweis auf eine Handschrift gemeint war. Seemüller führt als Beleg dafür alle Lesarten Frehers an, die sich nur aus P erklären lassen.102 Ein aussagekräftiges Argument scheint mir darüber hinaus zu sein, daß Freher keine der in P vorhandenen Lücken ergänzt und nirgendwo den Textüberschuß der Edition gegenüber P (V. 1– 76 der Ludwig-Widmung) vermerkt. Zu welchem Zeitpunkt Freher sich näher mit Otfrid beschäftigte, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit eruieren. Am ehesten käme wohl das letzte Jahrfünft des 16. Jahrhunderts infrage.103 Aus dem ungleichmäßig verteilten Umfang der von Freher notierten Lesarten kann man den Schluß ziehen, daß seine Arbeit nicht abgeschlossen war, sondern sich in einem relativ frühen Entwurfsstadium befand.104 Sein Vergleichspunkt ist die Edition von Flacius. Er verbessert nicht nur dessen Text, sondern korrigiert auch die Übersetzungen, die Flacius in seiner Ausgabe der Fuldaer Beichte und den Widmungsschreiben an Salomo und Ludwig beigab. Ein Beispiel dafür: Lekza in therera buachi Iu sentu in Suaborichi, Lectionum horum librorum tibi mitto in Sueuiam, malè Flacius ver[tit]. Liß ich dem buche die da sind im Schwabenreiche. (S. 3)

Freher zitiert zunächst den althochdeutschen Text nach der Edition (hier: Ad Salomonem V. 5), wobei er den Beginn des zweiten Halbverses durch Kursivierung des Wortanfangs indiziert. Darauf folgt sein Übersetzungsvorschlag der Stelle in lateinischer Sprache und die verbesserungswürdige Übersetzung nach Flacius. Seine textuellen Eingriffe möchte in an einem kleinen Ausschnitt illustrieren. Seine Vorschläge zu I, 16 lauten:105 CAP. XVI. P. 71.23 pro Dilicho lege Gilicho. [10] – P. 72, 16 pro Gommant joh vvibe legendum Gommant int vvibe. [18] – V. 19 Niotot, Geniesse/ non Nio tot. [20] – P. 73, 3 vvizzi theh emo ana sar. [25]

Auf die Kapitelangabe bei Otfrid folgt die Seiten- und Zeilenzahl der Flaciusausgabe. Drei der insgesamt vier »Emendationen« korrigieren Fehler des Druckes gegenüber der Handschrift. Freher gibt die richtige Lesung der Majuskel G anstelle der falschen Lesung D. Er berichtigt einen auf der inkonsequenten Getrennt- bzw. Zusammenschreibung der mittelalterlichen Vorlage beruhenden

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Vgl. Seemüller (Anm. 95), S. 191. Zu den biographischen Zusammenhängen vgl. die in Anm. 101 angegebene Literatur. Dies deckte sich in etwa mit dem Termin der Einbindung und Restaurierung der Handschrift in Heidelberg (s. S. 54f.). Ob die Notizen und Exzerpte aus der Otfridedition von Flacius, die in P als Bl. 1r und Bl. 2r aufbewahrt werden, möglicherweise von Freher stammen, wäre an einem Freher-Autograph zu überprüfen. Vgl. dazu vorläufig die kodikologische Beschreibung von Armin Schlechter. In: Kleiber/Hellgardt II,2. Die Ausführungen zu den Büchern I–III des Evangelienbuchs umfassen S. 1–22, die zu den Büchern IV und V S. 22–27. Ich setze die einzelnen Lesarten zusätzlich durch – voneinander ab und gebe in [ ] die Versangabe aus I, 16 bei Otfrid nach Erdmann (1882).

104 Fehler, wobei er die Bedeutung des Lemmas Niotot anfügt, und er gibt eine alternative Lesung eines Halbverses.106 Aus der an zweiter Stelle stehenden ›Lesart‹ int für joh schloß Seemüller, es sei »höchst wahrscheinlich«, daß Freher »uns unbekannte hss. vorlagen«107, denn P und alle anderen Handschriften (VFD) lesen an dieser Stelle mit Flacius joh. Diesen Schluß kann man nur ziehen, wenn man das legendum im Lachmannschen Sinne als modernen textkritischen Terminus auffaßt, der eine variante Lesung aus einer anderen Handschrift des Evangelienbuchs meint.108 Das trifft aber an dieser Stelle nicht zu. legendum bezeichnet bei Freher nicht mehr als steht für..., ist zu lesen als... . In diesem Fall: das nicht mehr ohne weiteres bekannte althochdeutsche joh ist zum besseren Verständnis des Textes durch int zu ersetzen.109 Seemüller führte noch wenige weitere Fälle an, in denen Freher in den Text des Evangelienbuchs eingriff. Sie lassen sich alle in dem Sinne erklären, daß Freher dem ›alten‹ Text eine ›modernere‹ Wendung einverleibte.110 Dies könnte auch eine Erklärung sein für die Formulierung Vögelins, Freher habe Otfrid »è Germanica crisi sua« behandelt.111 Ebenso hat die Wendung »ex manuscripto lege« bei Freher keine terminologisch genau festgelegte Bedeutung. Verwiesen wird damit nicht in allen Fällen auf einen anderen Überlieferungszeugen des Evangelienbuchs. Zu Otfrid II, 22, 3 beispielsweise hat Freher die Anmerkung: »ex manuscripto lege, Thaz ir ou megit by bringan.« (S. 17). In der Flaciusausgabe (S. 203) steht wie in P (Bl. 71v): »Thaz ir ouh megit bringan.« ouh zu ou bei Freher läßt sich als versehentliche Verschreibung erklären. Aber warum steht by bringan anstelle von bringan? Eine Lösung ergibt sich hier möglicherweise aus dem Kontext der Stelle bei Otfrid. Es ist an dieser Stelle die Rede von der Unmöglichkeit, zwei Herren gleichzeitig zu dienen. Niemals könne man es vollbringen (ahd. bringan), Gott und der Welt zu gefallen. Freher stellt dem Verb bringan das Präfix by voran, um das Textverständnis zu erleichtern, da ahd. bringan an

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Der Druck liest hier: Vuizzi thehemo ana sar. Seemüller (Anm. 95), S. 191. Seemüller geht sogar von »mehrere[n] verlorene[n] manuscripte[n]« aus. Anm. 95, S. 191. Frühneuhochdeutsch int für und ist allerdings nicht belegbar. Denkbar ist in diesem Fall, daß Freher sich nicht an der Sprache seiner Gegenwart orientierte, sondern auch seine Kenntnis des zeitlich späteren althochdeutschen bzw. frühmittelhochdeutschen Williram miteinfließen ließ, die der Sprache seiner Gegenwart näher stand als Otfrid. int steht bei Williram neben unt(e), un(de). Vgl. Die älteste Überlieferung von Willirams Kommentar des Hohen Liedes. Edition, Übersetzung, Glossar. Hg. von Rudolf Schützeichel und Birgit Meineke. Göttingen 2001 (Studien zum Althochdeutschen 39), S. 320. Vgl. Seemüller (Anm. 95), S. 191. Lateinisch crisis meint nach Georges »Entscheidung, entscheidende Wendung«. Das griechische Substantiv kann auch »Urteil« oder »ästhetische Kritik« bedeuten. Vgl. Karl Ernst Georges: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Unveränderter Nachdruck der achten verbesserten und vermehrten Auflage von Heinrich Georges. Bd. I. Hannover 1913 (ND Darmstadt 1998), Sp. 1764. Wilhelm Gemoll: Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch. Durchgesehen und erweitert von Karl Vretska. Mit einer Einführung in die Sprachgeschichte von Heinz Kronasser. München 91965 (ND München 1991), S. 453.

105 dieser Stelle nicht einfach durch lautliche Angleichung mit frnhd. bringen zu übersetzen ist.112 Mit diesen Beispielen ist das Spektrum der Emendationes et Castigationes im wesentlichen abgeschritten.113 Überblickt man sie im ganzen, kann man festhalten, daß Freher eine Reihe von Fehllesungen des Druckes von 1571 auf der Grundlage des Heidelberger Otfrid korrigierte. Beurteilt man sie nach den Maßstäben moderner Textkritik, kann nur zu einem negativen Urteil kommen. Freher benennt nicht einmal seinen mittelalterlichen Vergleichspunkt. Aber gerade darin könnte der Erkenntnisgewinn für eine (noch zu schreibende) Geschichte der (alt-)germanistischen Textkritik liegen. Seine Terminologie ähnelt der seit Lachmann gebräuchlichen.114 Verwendet sind beispielsweise die Begriffe emendatio oder legere, aber in einem allgemeinsprachlichen Sinne. Seinem Büchlein war – wie bereits angedeutet – keine größere Wirkung beschieden. Dies mag mit der sicher geringen Druckauflage zusammenhängen.115

3.2.2 Frederik Rostgaards Emendationes (1720) Es bietet sich an, dem Freherschen »werkchen« die etwa ein Jahrhundert später publizierten Emendationes von Frederik Rostgaard gegenüberzustellen. Rostgaard (1671–1745) wußte von den Freherschen Emendationes, konnte aber nirgendwo ein Exemplar auffinden und benutzen. In der Dedikationsepistel seiner Emendationes an Johann Schilter vom 25. September 1699 schreibt er: De aliis quidem Marquardi Freheri Viri Celeberrimi in hunc auctorem (sc. Otfridum) emendationibus pridem Wormatiæ in lucem editis Tu (sc. Iohannis Schilterus) per epistolam me edocuisti, quas tamen, per integrum biennium in variis Europæ partibus summo cum studio quæsitas, nusquam reperire potui.116

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Williram kommt an dieser Stelle nicht als Bezugspunkt in Frage, da by bringan bei ihm nicht belegt ist. Vgl. frnhd. beibringen im Sinne von »etwas als wahr erweisen, etwas beweisen«: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, Bd. 3. Bearbeitet von Oskar Reichmann. Hg. von Ulrich Goebel und Oskar Reichmann. Berlin – New York 2002, Sp. 862–864, hier Sp. 863. Man kann über das Gesagte hinaus noch darauf hinweisen, daß Unterschiede in der Worttrennung und Interpunktion und Auslassungen gegenüber P von Freher gelegentlich berücksichtigt werden. Vgl. dazu Thomas Bein: Introduzione alla critica dei testi tedeschi medievali, a cura di Simona Leonardi e con una Premessa di Piergiuseppe Scardigli. Pisa 1999 (Medioevo Tedesco 8), S. 29–36. (deutsche Erstausgabe: Göppingen 1990). Häufiger rezipiert wurden dagegen seine Otfridzitate in den Origines Palatinæ (1586). Ich stütze mich für das folgende ausschließlich auf die Emendationes in der Form, wie sie von Johann Georg von Eccart herausgegeben wurden. Frederik Rostgaard: Emendationes in Otfridi theotiscam et metricam paraphrasin Evangeliorum. Basileæ Anno 1571 typis descriptam, ex antiquissimo Codice Manuscripto palatino-vaticano, ad quem Basileensis editio exacta fuit [...]. In: Johann Georg von Eccart: Leges francorum salicæ et ripuariorum. Frankfurt – Leipzig 1720, S. 283–309, hier S. 285. Es bliebe zu prüfen, ob sich eine handschriftliche Fassung im Nachlaß Rostgaards erhalten hat und ob sie wesentlich vom

106 Ob seine Emendationes etwas gemeinsam hätten mit denen Frehers, könne er aus diesem Grund nicht angeben. Der dänische Gelehrte brach nach einem Studium der Philosophie, Sprachen, Naturwissenschaften und Geschichte in Kopenhagen 1690 zu einer insgesamt zehn Jahre dauernden Studienreise in die bedeutendsten Zentren Europas auf, die ihn im Herbst 1698 nach Rom führte.117 Während dieses siebenmonatigen Aufenthaltes arbeitete er unter anderem mit dem Heidelberger Otfridcodex (P) und fertigte daraus eine Abschrift des althochdeutschen Georgsliedes an, die – wiederum mehrfach abschriftlich vermittelt – zur Grundlage der editio princeps (1783) durch Christian Sandvig (1752–1786) wurde.118 Die Arbeit an den Emendationes schloß er laut Subskript am 7. April 1699 ab (S. 309). Der Ausgabe der Emendationes zum Evangelienbuch ist eine zweite, an den Leser gerichtete Vorrede (datiert auf den 25. September 1699) vorausgeschickt, in der er – nach einem Dankesgruß an den zuständigen Bibliothekar der Bibliotheca Vaticana – zunächst die Handschrift ihrer Größe, ihrem Alter und ihrer Herkunft nach kurz vorstellt: Est hic codex in membrana in forma quarta largiori, pulcherrimo exaratus charactere annorum certe Septingentorum. Locum habet inter Palatina Manuscripta, quæ Heidelbergæ olim asservabantur. Antequam vero Palatinæ Bibliothecæ insereretur, inter keim»lia Illustris Viri Huldrici Fuggeri numerabatur. (S. 286)

Auf der Rückreise nach Dänemark Anfang September 1699 hatte Rostgaard in Augsburg Station gemacht und dort bei Matthias Beck Einsicht in die Gassersche Abschrift (g) nehmen können (s. S. 51).119 Deshalb könne er nun einen kurzen Vergleich damit anstellen. Die gleichen Lücken und Eintragungen des

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Druck abweicht. Sein Nachlaß wird heute aufbewahrt in der Kongelige Bibliothek Kopenhagen. Zum Nachlaß Rostgaard existiert ein eigenes handschriftliches Verzeichnis: Rostgaardske Haandskrifter. Nummerfortegnelse, 59 S. fol. Zur Biographie vgl. Christian Bruun: Frederik Rostgaard og hans Samtid. Bd. I: Frederik Rostgaards Liv og Levnet. Bd. II: Aktstykker og Breve. København 1870/71. Vgl. auch Knud Larsen: Frederik Rostgaard og bøgerne. København 1970 (Danmarks Bibliotheksskoles skrifter 3). Bertel Christian Sandvig: Lectionem theotiscarum specimen. Carminis antiqui de S Georgio fragmentum. Hafniæ 1783. Diese Abschrift Rostgaards ist heute deshalb von besonderer textkritischer Bedeutung, weil die Seiten, auf denen das Georgslied eingetragen ist, zu einem späteren Zeitpunkt durch Reagenzien in starke Mitleidenschaft gezogen wurden. Vgl. dazu Hartmut Röhn: Zur Überlieferung des althochdeutschen Georgsliedes. In: Studien zum Altgermanischen. FS Heinrich Beck. Hg. von Heiko Uecker. Berlin – New York 1994 (Ergänzungsbände zum RGA 11), S. 513–526. Rostgaard publizierte 1738 eine Ausgabe des Althochdeutschen Isidor. Dazu Hartmut Röhn: Zu Frederik Rostgaards Ausgabe des althochdeutschen Isidor (1738). In: PBB 98 (1976), S. 180–202. Die meisten Arbeiten Rostgaards blieben unpubliziert. Besonders hervorgehoben sei noch seine Abschrift der Großen Heidelberger Liederhandschrift lange vor Bodmer und Breitinger. Heute Kopenhagen, Kongelige Bibliothek, Gl. kgl. Saml. 439 2o. Diese wäre eine eigene Untersuchung wert. Vgl. Bruun (Anm. 117) Bd. I, S. 76f.

107 Setzers ließen darauf schließen, daß g die Vorlage für den Druck von 1571 gewesen sein muß: Istud vero apographum easdem omnino lacunas habet, quas in Codice Palatino-Vaticano reperimus; et in singulis paginis operarum notæ apparent, ex quibus certissime colligitur hoc exemplar typographis Basileensibus [!] inservisse. (S. 286)

Daraus folge, daß g eine Abschrift aus P sei. Er konstatiert und erklärt aber auch die auffälligen Differenzen zwischen Druck und P. Der Druck habe gegenüber P und g einen Textüberschuß (Ad Ludw. V. 1–76). D.h. für Rostgaard, die Lücke muß aus einer anderen Handschrift geheilt worden sein: »[...] alterius, ut opinor, exemplaris ope sanatam.« (S. 286). Die Abweichungen in der Reihenfolge der Eingangsstücke (P: Lud. – Liutb. – Sal.; Druck: Sal. – Ludw. – Liut.) erklärt er hingegen damit, daß die Blattreihenfolge in g durcheinander geraten sei: Istud autem ordinis inversionem a male digestis foliis singularibus & extra ordinem fasciculorum accedentibus in apographo Gassari processisse autÒpthj possum testari. (S. 286)120

Er schließt die Vorrede mit einer Charakteristik des eigenen Vorhabens und betont, daß er die Handschrift in Händen gehalten habe und alles mit eigenen Augen (»propriis oculis«) überprüft habe. Sein Ziel ist die Erfassung aller Stellen, in quibus ab editione princeps (sc. Druck von 1571) exemplar (sc. P) differat, veraque adeo lectione ubique restituta, alii novam editionem concinnare, alii vero, ut ex Gothica & Anglo Saxonica, ita ex hac quoque nobilissima dialecto certas artis regulas colligere [...] possint. (S. 286)

Damit ist auch bereits ausgesagt, daß seine Emendationes nicht gelehrter Selbstzweck sein wollen, sondern in eine zweifache Richtung zielen, als Hilfe für diejenigen, die eine neue Edition vorbereiten, und für diejenigen, denen die Lesarten zur grammatischen Beschreibung der germanischen Sprachen nützlich sein könnten.121 Zur Dokumentation seines Vorgehens im einzelnen ediere ich wie bereits zu Freher Otfrid I, 16 als Beispiel. Links verweise ich mit Rostgaard auf die entsprechende Stelle des Druckes (Seiten-, Zeilenzahl) und in »( )« auf die Verszahl in I, 16 nach Erdmann (1882). Darauf folgt die emendatio Rostgaards. Nach ] steht zur Überprüfung die Lesung von Flacius. 71, 7 71, 13 71, 19 71, 21 71, 23 71, 24

(1) (4) (7) (8) (9a) (9b)

Et erat Anna Prophetissa] fehlende Marginalie bei Flacius uuitua gimyati] Vuitna gimuati Non discedebat de templo] fehlende Marginalie bei Flacius Kúmta thar thaz ira ser] Kuinta thar thaz ira ser githane] githane ana uuane] ana uuane.

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Rostgaard erwähnt außerdem noch die Gliederung in Halbverse, die von der Langzeile in P abweicht. Zur Verbindung der Emendationes mit Johann Schilter s. S. 188.

108 72, 2 72, 4 72, 8 72, 11 72, 15

(11) (12) (14) (16) (17b)

72, 16

(18)

72, 19

(20)

72, 25 73, 3

(23) (25a)

73, 4

(25b)

ouh fastela] oh fasteta thionost fi naz úabta] dionost sinaz uabta. mit thisu iralteta] Mit thisu ir altera. Kindilin] kindlin uuas. Haec vox etiam in MSS. novum versum incipit. Quonìam vero punctum immediate sequitur, eo ipso indicatur ad priorem versum illam pertinere, sed spatium scribenti defuisse. Et hoc saepe accidit.] Vuas: gommanne. Nimirum in MSS. illud e non multum differt a litera t.] Gómmant Niototir. Ita in MSS. est a prima manus emendatione, cum scripserat per errorem Nioteter. Danis est, nyder, fruitur.] Nio tot er Thaz kind uuahs] Thaz kinda uuahs Uuizzi theh imo. Sic scripsit prima manus, sed emendatum fuit charactere, paullo [!] recentiori, emo.] Vuizzi thehemo in uuár] iu uuar.

Legt man diese Emendationes neben die von Freher zur gleichen Stelle (s. Kap. 3.2.1), fallen mehrere Dinge auf. Zunächst: Frehers vier Emendationen zu I, 16 stehen hier 16 Lesungen gegenüber, wobei Rostgaard nicht in allen Fällen die Beobachtungen Frehers teilt. Freher korrigiert die Lesung dilicho des Drucks (S. 71, 23; I, 16, 10) zu gilicho. Dies ist bei Rostgaard übersehen. Zu 72, 16 konstatiert Rostgaard die öfter schwierige Unterscheidung von e und t in der karolingischen Minuskel und liest gommanne. Freher übernimmt die falsche Lesung von Flacius Gommant und ersetzt zu leichterem Textverständnis joh durch int. 72, 19 zieht Freher Nio tot zum flektierten Verb Niotot zusammen, Rostgaard liest enklitisch Niototir. Beide kommen aber zur gleichen Semantik des Wortes. Freher übersetzt direkt ins Deutsche Geniesse, Rostgaard geht den Weg über dänisch nyder zu lateinisch fruitur. In 73, 3 lesen beide von der Worttrennung her besser als Flacius. Rostgaard liest imo gegenüber Freher emo. Darüber hinaus hat Rostgaard in dem gewählten Ausschnitt noch weitere Verbesserungen gegenüber dem Druck erfaßt: in zwei Fällen ergänzt er dort fehlende Marginalien (71, 7; 71, 19), bietet andere Lesarten an als der Druck (71, 13.21.23.24; 72, 2.4.8.11.25; 73, 4) und begründet sie in einigen Fällen (72, 15.16.19; 73, 3). Die unkommentierten Emendationes betreffen Neulesungen einzelner Buchstaben und sinnvollere Worttrennung. Rostgaard liest aber nicht immer korrekter als der Druck (vgl. 72, 2.4). Zweimal scheint er richtig gelesene Buchstaben im Druck nicht erkannt oder mit anderen verwechselt zu haben (vgl. 71, 23: r/t; 71, 24: u/n), so daß sich identische Lesungen ergeben. In den erläuterten Stellen verweist er genauer auf seine Vorlage und erklärt spezifische Charakteristika, z. B. die Inkongruenz von Vers und Zeile an einigen Stellen (vgl. 72, 15) oder Korrekturen, die auf eine spätere Hand zurückgehen sollen (vgl. 73, 4).

109 Der Blick auf die Emendationes im ganzen zeigt, daß Rostgaard gegenüber Freher einen entscheidenden Wissensvorsprung besaß. Er benennt nicht nur seine Vorlage (P), sondern kann differenzieren zwischen dem Druck und seiner direkten Vorlage (g). Abgesehen davon ist im Unterschied zu Freher an allen Stellen klar, auf welche Quelle er sich jeweils bezieht. Der genannten zweifachen Zielsetzung – Hilfestellung für Editoren und vergleichende Sprachforscher – wird er durch eine entsprechende Schwerpunktbildung innerhalb der mehr als 2000 Emendationen gerecht, die vor allem in der stellenweisen Beschreibung editorisch und sprachgeschichtlich relevanter Phänomene besteht. Sein Inventar umfaßt für den paläographischen Bereich nicht nur eine präzise Beschreibung und Vergleichung der Handschrift von Anfang bis Ende im Vergleich zum Druck, sondern auch Korrekturen, die seiner Ansicht nach auf einen späteren Schreiber zurückgehen sollen und den er als »primus librarius«122 bezeichnet. Er unterscheidet auch zwei sich abwechselnde Schreiberhände, die an der Handschrift gearbeitet hätten123 und verzeichnet ferner Elisionen, Probleme der Worttrennung u. a. m. Was seine Arbeitsweise betrifft, fällt im übrigen auf, daß er für ihn unsichere Stellen sachlich auch als solche kennzeichnet.124 Für den sprachgeschichtlichen Bereich stützt er sich zum einen auf den Vergleich mit ihm vertrauten Sprachen seiner Gegenwart, Dänisch, Belgisch (= Flämisch), Norwegisch, Deutsch, und kommt dabei in den meisten Fällen zu Lösungen, die auch aus heutiger Sicht akzeptiert werden könnten.125 Dazu kommen Quellen, die ihm im Verlauf seiner Bibliotheksreise bereits bekannt geworden waren, Notker, Isidor, Tatian.126 Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß Rostgaard den Emendationes eine Dedikation an Johann Schilter vorausschickte, in der er die Funktion seiner Lesartensammlung nochmals spezifiziert (s. S. 107). Rostgaard dachte nicht an ›irgendwelche‹ zukünftige Otfrideditoren, sondern explizit an die des Thesaurus, den Schilter der Öffentlichkeit versprochen habe:127 Neque enim alio fine pauca hæc folia typis exscribi curavi, quam ut possent Tibi quidem præcipue inservire ad emendandam splendidam illam quam moliris editionem, tum & aliis, qui editum Illyrici exemplar ad hanc incudem revocare voluerint. (S. 285)128

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Emendationes (Anm. 116), S. 306, zu 479, 15. Vgl. Emendationes (Anm. 116), S. 308, zu 561, 20.22. Das ist paläographisch aus heutiger Sicht korrekt. Vgl. Erdmann (1882), S. XL f. Wolfgang Kleiber: Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung und Studien zum Aufbau des Evangelienbuches. München 1971 (Bibliotheca Germanica 14), S. 40–84. Vgl. Emendationes (Anm. 116), S. 306, zu 486, 6: »Sar soz ála noto. quid si hoc modo distinguatur?« Vgl. als Beispiele Emendationes (Anm. 116), S. 289, zu 39, 19 (Dänisch), S. 289, zu 44, 4 (Norwegisch), S. 293, zu 111, 22 (Belgisch), S. 295, zu 162, 11 (Deutsch). Vgl. Emendationes (Anm. 116), S. 287f., zu e3v 1 (Notker), S. 290 zu 51, 25 (Isidor), S. 305, zu 449, 4 (Tatian). Vgl. Emendationes (Anm. 116), S. 285. Ein Briefwechsel zwischen beiden hat sich nicht erhalten. Rostgaard besorgte Schilter im übrigen auch mehrere Abschriften von Franciscus Junius aus der Bodleian Library, die sich heute im Nachlaß Rostgaards befinden. Vgl. Röhn (1976 Anm. 118), S. 187.

110

3.3 Beschreiben und Katalogisieren: Die Wiener Handschrift von Peter Lambeck bis Heinrich Hoffmann von Fallersleben Kodikologische und paläographische Beschreibungen zu den Textzeugen des Evangelienbuchs bleiben bis zu den großen Otfridausgaben des 19. Jahrhunderts die absolute Ausnahme. Dies gilt bekanntlich nicht nur für Otfrid, sondern für die gesamte lateinische und volkssprachige Literatur des Mittelalters, die größtenteils bis dato noch nicht in Editionen vorlag.129 Die Freisinger Handschrift wurde, einmal abgesehen von der Beschäftigung mit dem Codex in Göttweig und weiteren vereinzelten Erwähnungen (s. Kap. 3.1.3), erstmals durch Johann Andreas Schmeller verzeichnet und etwas später durch Karl Halm katalogisiert und in Kurzform beschrieben.130 Matthias Flacius macht in seiner Ausgabe von 1571 keinerlei Angaben zu seiner – wenn auch mittelbar benutzten – mittelalterlichen Textvorlage, dem heutigen Heidelberger Otfrid. Die Handschrift wurde sowohl in Heidelberg als auch in Rom Gegenstand textkritischer Arbeiten (s. Kap. 3.2). Ausführlicher beschrieben im Rahmen eines gedruckten Kataloges wurde sie erst lange nach ihrer Wiedereingliederung in die Heidelberger Bestände Ende des 19. Jahrhunderts.131 Vor diesem Hintergrund kann man sagen, daß die Wiener Handschrift des Evangelienbuchs die »philologische Bühne«132 nicht als letzte, sondern durch die fünfzigseitige Beschreibung von Peter Lambeck (1628–1680) im zweiten

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Vgl. Karin Schneider: Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten. Eine Einführung. Tübingen 1999 (Sammlungen kurzer Grammatiken germanischer Dialekte, B. Ergänzungsreihe Nr. 8), S. 3. Vgl. auch: Bettina Wagner: secunda inter pares. Die Bayerische Staatsbibliothek im historischen Rückblick. (Rezension über: Rupert Hacker (Hg.): Beiträge zur Geschichte der Bayerischen Staatsbibliothek. München: K. G. Saur 2000). In: IASLonline [14.06.2005]. URL: Datum des Zugriffs: 10.11.2005), hier Anm. 4. Vgl. Karl Halm: Die deutschen Handschriften der K. Hof- und Staatsbibliothek zu Muenchen. Nach J. A. Schmellers kürzerem Verzeichnis. Erster Theil. München 1866 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecæ Regiæ monacensis Tom. V: Codicum germanicarum partem priorem complectens), S. 2. Daraus ergibt sich die Beschränkung des folgenden auf die Wiener Otfridhandschrift. Eine Beschreibung von P in Rom wurde publiziert von Joseph Blanchini: Evangeliarum quadruplex latinæ versionis antiquæ [...]. Rom 1748. Bd. II, Bl. 600v. P in Heidelberg: Die altdeutschen Handschriften der Universitäts-Bibliothek in Heidelberg verzeichnet und beschrieben von Karl Bartsch. Heidelberg 1887, S. 1f. Vgl. auch die neue Beschreibung von Armin Schlechter. In: Kleiber/Hellgardt II, 2. Die Wolfenbütteler Fragmente des Codex Discissus wurden erst in einem rezenten Katalog beschrieben: Hans Butzmann: Die mittelalterlichen Handschriften der Gruppen Extravagantes, Novi und Novissimi. Frankfurt a. M. 1972 (Kataloge der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Neue Reihe 15), S. 79f. Vgl. zu den anderen Fragmenten aus D die Beschreibung von Wolfgang Milde. In: Kleiber/Hellgardt II, 2. Hans Butzmann: Die Weißenburger Handschriften. Frankfurt a. M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel Neue Reihe 10), S. 13.

111 Band seiner Commentarii (1669)133 als erste betrat, wobei man gleich ergänzend hinzufügen sollte, daß bei Lambeck alle drei damals bekannten Handschriften eine Rolle spielen. Doch dazu später. Lambeck war der »erste Gelehrte, der deutsche Handschriften in einem großen gedruckten Katalogwerke beschrieb.«134 Zum äußeren Organisationsprinzip der Beschreibungen und zur Gesamtanlage des zweiten Bandes beobachtet Hans Butzmann: Immer sind verschiedene Handschriftengruppen unter einem mehr oder weniger umrissenen Sachbegriff zusammengestellt, indem jede Handschrift zu anderen Handschriften in irgendeine, oft ganz vage Beziehung gebracht wird.135

Die Beschreibung des heutigen Cod. Vind. 2687 steht am Ende des fünften Kapitels, in dem Lambeck insgesamt 23 Handschriften unter dem »Sachbegriff« ›Karl der Große‹ systematisch zusammenstellt.136 Der Zusammenhang Otfrids mit Karl dem Großen wird von Lambeck in der Sache von zwei Seiten her begründet. Sein sprachliches Argument ist, daß Karl ein herausragender Förderer der Volkssprache gewesen sei: [...] hunc Codicem ad vitam & res gestas Imp. Caroli Magni pertinere, quia obsoleta illa lingua Theotisca, qua Volumen hoc ab Otfrido compositum est, patrius Ipsius fuit sermo, adeoque ab Ipso (sc. Carolo) adamatus [...].137

›Genealogisch‹ wird Otfrid als Schüler des Hrabanus Maurus mit Karl dem Großen verschaltet. Hraban stehe mit seinen Glossen repräsentativ für andere,

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Petrus Lambecius: Commentarii de Augustissima Bibliotheca Cæsarea Vindobonensi. Bd. II. Wien 1669, S. 415–465. Zu Peter Lambeck und seinem Kommentarwerk vgl. Kelle I (1856), S. 105–109. Karl Halm: Lambeck, Peter. In: ADB 17 (1883), S. 533–536. Gebhard König: Lambeck, Peter. In: NDB 13 (1982), S. 426f. Joachim Kirchner: Sammlung, Bekanntmachung und Katalogisierung altdeutscher Handschriften im 17. und 18. Jahrhundert. In: FS Georg Leidinger zum 60. Geburtstag am 30. Dezember 1930, München 1930, S. 127–134, hier S. 127f. Hans Butzmann: Über einige ältere große Bibliothekskataloge. In: Zur Katalogisierung mittelalterlicher und neuerer Handschriften. Frankfurt a. M. 1963 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderheft 1), S. 17–31, wieder in und zitiert nach H.B.: Kleine Schriften. Festgabe zum 70. Geburtstag. Graz 1973 (Studien zur Bibliotheksgeschichte 1), S. 151–161. Kirchner (Anm. 133), S. 127. Butzmann (Anm. 133), S. 153. Butzmann (Anm. 133), S. 153 bezeichnet das Kapitel als »Notizen- und ExzerptenSammlung [...] zu einem Werk über Karl den Großen.« Zur Organisation der Kapitel I–IV vgl. knapp Butzmann (Anm. 133), S. 152f. Als weitere Handschriften, die mit Karl in Verbindung gebracht werden, seien genannt: Cod. Vind. 1861 (Dagulf-Psalter), Cod. Vind. 1815 (Sammelhandschrift mit Texten Gregors des Großen, Reichenauer Beichte), Cod. Vind. 2711 und Cod. Vind. 2715 (beide Strickers Karl) und mehrere Handschriften von Einharts Vita Caroli. Lambecius II (Anm. 133), S. 415. Er belegt dies durch Einharts Notiz von den Monats- und Windnamen sowie den Anfängen zu einer Grammatik der Volkssprache. Nach der Beschreibung des Wiener Otfrid als letzte der Handschriften, die mit Karl dem Großen in Verbindung gebracht werden, bricht Lambeck das fünfte Buch ab, »ut Caput hoc quintum in nimis enormem & prorsus absurdam excrecent magnitudinem. Abrumpo itaque illud [...].« (S. 465).

112 die zur Zeit Karls mit der Beförderung der Vokssprache begonnen hätten: »[...] cœperunt eodem ævo etiam alij eandem linguam excolere [...].«138 Otfrid komme als späterem Fortführer des Sprachprojektes Karls in seinem Evangelienbuch eine exponierte Stellung zu: Is (sc. Otfridus) nempe inter discipulos Rabani Mauri, qui patriæ linguæ excolendæ post ipsum egregiam navarunt operam, sine controversia fuit præcipuus, uti vel ex unico isto suprà memorato Volumine Evangeliorum videre est.139

Die Erwartungen eines modernen Lesers an eine Handschriftenbeschreibung werden nur beiläufig und in minimalistischer Form erfüllt: Lambeck nennt die aktuelle Signatur, Form, Größe und eine Datierung der Handschrift.140 Nach der Bestimmung des systematischen Ortes liest sich die Beschreibung des Konvertiten Lambeck streckenweise wie eine vernichtende Rezension zur Edition von Flacius.141 Dieser habe Otfrid lediglich mißbraucht »ad stabilienda perversa sua dogmata«142. Die mangelnde Qualität der Ausgabe sei nicht ausschließlich auf seine Vorlage zurückzuführen. Vor allem die »malitia« (S. 417) des unfrommen Protestanten selbst sei verantwortlich für eine Vielzahl an Mißverständnissen. Deshalb sei es nötig, auf der Grundlage der Wiener Handschrift richtigzustellen, zu korrigieren und zu ergänzen: Summè igitur necessarium est, ut Illyricana isthæc corrupta editio cum vetustissimo hoc Codice MSto Augustissimæ Bibliothecæ Cæsareæ à capite ad calcem exquisita conferatur diligentia, ejusque auxilio reformetur & suppleatur.143

Lambecks Kritik richtet sich zunächst auf allgemeine und konfessionspolemisch bedingte Fehlinterpretationen von Flacius. Er führt aus, daß Flacius allgemein den »titulus generalis« des gesamten Evangelienbuchs (»volumen«, S. 417) mit dem für einzelne Bücher (»liber«, S. 417) daraus verwechselt habe. Speziell habe der letztlich auf Trithemius zurückzuführende und von vielen Gelehrten nachgeschriebene Fehler, das Evangelienbuch mit dem Titel »Gratia Theotisce« zu versehen, vor allem bei Flacius zu Verirrungen »hæretico sensu« (S. 419) geführt. Lambeck zitiert das vollständige Incipit des ersten Buches nach V und zeigt, daß »Domini gratia, theotisce conscriptus« nichts anderes bedeute als »Divina benignitas & permissio vel Divinum auxilium«144. Er korrigiert außer-

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Lambecius II (Anm. 133), S. 415. Lambecius II (Anm. 133), S. 416. Lambecius II (Anm. 133): »inter MStos Codices Theologicos Litinos (!) quingentesimus vigesimus quartus« (S. 415); »est membranaceus in quarto« (S. 415) »ex scriptura, [...] ex alijs indicijs, exaratum eum esse ipso Otfridi ævo, hoc est ante annos septingentos septuaginta octo.« (S. 416). Aus den drei Widmungsschreiben kommt Lambeck später zu der Datierung »ante annum Christi 873« (S. 421). Der paläographische Aspekt fehlt gänzlich. Die Auseinandersetzung mit Flacius bildet den Grundton seiner Beschreibung bis S. 453. Er habe dies alles dargelegt, um zu zeigen, »quomodo is (sc. Cod. Vind.) differat ab altero illo Codice MSto, ex quo Matthiæ Flacij Illyrici prodijt editio.« (S. 453). Lambecius II (Anm. 133), S. 417. Lambecius II (Anm. 133), S. 417. Lambecius II (Anm. 133), S. 419.

113 dem die Zugehörigkeit Otfrids zum elsässischen Kloster Weißenburg, der im Titel der Ausgabe von Flacius als St. Galler Mönch bezeichnet wurde. Ein Argument für Flacius, Otfrid in seinen Catalogus testium veritatis (1562) aufzunehmen, das er im Druck von 1571 wiederaufgreift, bildet die Tatsache, daß Otfrid sein Werk nicht dem Papst, sondern allein dem zuständigen Bischof zur Approbation vorgelegt habe. Dies dokumentiert für Flacius die »libertas Ecclesiæ« im 9. Jahrhundert. Lambeck widerlegt das flacianische Argument und meint, eine Dedikation an den Papst wäre allein aus Gründen der Unerfahrenheit der damals ausschließlich italienischen Päpste im Umgang mit der deutschen Sprache völlig absurd gewesen: Quin etiam nisi is præ insano erga Ecclesiam Catholicam odio fuisset omninò cœcus, animadvertisset profecto, absurdum fuisse futurum, si Otfridus Evangeliorum hoc Volumen Summo Pontifici dedicasset, eique recensendum obtulisset; quoniam videlicet nullus eorum, qui tempore Liutberti Archiepiscopi Moguntini S. Sedi Apostolicæ præfuerunt, natione fuit Germanicus, sed omnes fuere Itali, ideòque, licet argumentum istius Operis esset sacrum, propter imperitiam tamen linguæ Theotiscæ sive Germanicæ de eo non potuerunt judicare. Rectè ergò Poema illud Germanicum Otfridus ijs dedicavit, & legendum obtulit, qui linguam Germanicam probè callerent.145

Der zweite große Kritikpunkt Lambecks betrifft die textuelle Ebene der Flaciusausgabe im Vergleich mit der Wiener Handschrift. Er druckt zunächst die V. 1– 20 der Widmung an Ludwig nach V mit einem Kommentar, der vor allem um die Richtigstellung von Fehlern in der von Flacius beigegebenen Übersetzung ins Frühneuhochdeutsche bemüht ist. Bei seiner Textgestaltung berücksichtigt er die Akzente, die »more Græcorum« (S. 420) seien, und arbeitet die artifizielle Struktur (Tetrasticha) heraus.146 Darauf folgt eine kommentierte Fassung des vollständigen Approbationsschreibens an Liutbert nach V, die Lambeck zu einer Diskussion des Unterschieds von »theotiscus« und »francicus« veranlaßt.147 Er schließt den Anfang der Salomo-Widmung an und liefert mit Ausschnitten aus II, 21 (Vater unser) und IV,10 (Einsetzungsworte) Otfrids Versionen christlicher Grundtexte.148 Die weiteren Textzitate ergänzen wiederum die Ausgabe von Flacius, vor allem ihre »lacuna« am Ende des fünften Buches. Zu beachten ist die Begründung für den Abdruck der umfangreichen Passagen, für die Lambeck nicht etwa textkritische oder generell philologische Gründe, sondern vielmehr konservatorische Unwägbarkeiten namhaft macht:

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Lambecius II (Anm. 133), S. 420f. Damit schätzt der Konvertit Lambeck nicht nur die nationalen Verhältnisse am apostolischen Stuhl im 9. Jahrhundert unrichtig ein, sondern auch und vor allem das päpstliche Amtsverständnis. Er druckt im übrigen alle Textstücke wie Flacius in Halbversen. Vgl. Lambecius II (Anm. 133), S. 427–429. Die Diskussion läuft unter Berufung auf weitere, lateinische Quellen darauf zu, daß theotiscus eine lingua, franciscus aber einen dialectus bezeichne: »nempe Theotiscam quidem respectu universæ Germaniæ, Franciscam autem respectu istius partis Germaniæ, quam veteres illi Franci sive Francones possederunt.« (S. 427). Lambeck schwankt in der Verwendung der Termini zwischen Gentil- und Sprachbezeichnung. Vgl. Lambecius II (Anm. 133), S. 430f.

114 Quoniam igitur publicæ utilitatis interest, ne tàm eximium Antiquitatis Germanicæ monumentum, si fortè, quod DEVS avertat, suprà memoratus Codex Cæsareus aliquo infelici casu periret, perpetuò maneat adeo magna sui parte mutilum, eam ob rem totum illud notabile fragmentum, quod hactenùs tanquam perditum delituit, in lucem & conspectum hic profero.149

Lambeck macht in demselben argumentativen Zusammenhang erstmals die Kreuzigungsdarstellung aus dem Wiener Codex als Kupferstich im Druck verfügbar.150 Erst am Ende seiner Ausführungen zu Flacius kommt, wenn auch nur am Rande, ein philologischer Aspekt ins Spiel, der für Lambecks weitere Beschreibung eine tragende Rolle einnimmt.151 Auf die Frage nach der Herkunft von V und dem Zeitpunkt der Eingliederung in die Bestände der Wiener Hofbibliothek kann er keine Antwort geben (s. S. 21), stellt aber im Vergleich mit der weiteren ihm bekannt gewordenen Überlieferung fest: Certò quippe constat, eum non tantùm diversum esse à suprà memorato Codice Flacij Jlyrici, verùm etiam à tertio ejusdem Operis manuscripto exemplari, quod Beatus Rhenanus [...] se vidisse testatur [...].152

Lambeck war die mittelbare Textgrundlage der Flaciusausgabe nicht bekannt. Sie bleibt für unbestimmt ein »Codex Flacii Illyrici«. Für seine Beschreibung der Unterschiede von V gegenüber der Freisinger Handschrift stützt er sich in erster Linie auf Beatus Rhenanus. Dabei spricht er sich gegen die auf Beatus gestützte Vermutung aus, V sei durch Maximilian I. vermittelt nach Wien gelangt (s. S. 26).153 Er betont mithin, daß man unterscheiden müsse zwischen der richtigen Datierung von F als Abschrift ins 10. Jahrhundert und der falschen Datierung des Textes ans Ende des 5. Jahrhunderts. Er nimmt aber auch am Text selbst Anstoß: Die Handschrift müsse wegen ihres abweichenden Titels, Anfangs und der Reihenfolge der Zitate, wie Beatus sie druckt, verstümmelt sein. Er faßt erstmals die Überlieferung des Evangelienbuchs zusammen: »tribus ejus [...] diversis Codicibus MStis, nempe Cæsareo, Illyriciano & Frisingensi. «154 In seinen abschließenden Bemerkungen zeigt Lambeck zunächst, daß die Liste der Werke, wie sie Trithemius liefert, durchaus nicht wörtlich zu nehmen sei, und benennt sogar im einzelnen die Kapitel des Evangelienbuchs, aus denen Trithemius sein umfangreiches Werkverzeichnis zu Otfrid konstruierte (s. S. 4f.). Der Hinweis auf eine Psalterversion und Predigten Otfrids führt dazu,

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Lambecius II (Anm. 133), S. 432f. Er denkt insbesondere an die Gefahr von Bränden, welche die Wiener Hofbibliothek schon öfters heimgesucht hätten: »Est enim Augustiss. Bibliotheca Cæsarea Vindobeonensis [...] varijs incendijs periculis maxime obnoxia.« Ebd., Anm. 3. Vgl. Lambecius II (Anm. 133), zwischen S. 432 und 433. Die anderen beiden Darstellungen in V (Palmarum, Bl. 112r und Abendmahl, Bl. 112v) bleiben unerwähnt. Vgl. Lambecius II (Anm. 133), S. 453. Vgl. Lambecius II (Anm. 133), S. 453. Vgl. Lambecius II (Anm. 133), S. 457. Vgl. Lambecius II (Anm. 133), S. 457.

115 ihn schließlich als Autor aller Werke einer Handschrift zu postulieren, die Lambeck in Ambras aufgefunden habe, darunter eben Homilien, Teile eines deutschlateinischen Psalters, Cantica, Oratio Dominica.155 Jenseits konfessionspolemischer Seitenhiebe besteht die philologische Leistung Lambecks darin, in seiner Beschreibung erstmals die gesamte damals bekannte handschriftliche Überlieferung des Evangelienbuchs nebeneinandergestellt, die Lücken der Ausgabe von Flacius nach V ergänzt und die Bedeutung von V im Vergleich mit P auf der Grundlage von Flacius herausgearbeitet zu haben. Sicher: Seine Beschreibung ist aus heutiger Sicht mehr »commentarius« als »catalogus«. Hans Butzmann ist gewiß recht zu geben, wenn er »Alexandrinertum und Notizenseligkeit«156 der Commentarii hervorhebt. Dennoch: Lambeck führt den einzigen vollständigen Überlieferungsträger des Evangelienbuchs mit dem deutlich sichtbaren strukturellen Dreischritt (Zusammenhang mit Karl dem Großen – Kritik an Flacius – Kritik an weiterer ›Sekundärliteratur‹), der die Exuberanz an anderen Stellen bei weitem überwiegt, in die gelehrte Welt ein und bildet – dies gilt sicher nicht nur in bezug auf Otfrid – einen Meilenstein in der Geschichte der Handschriftenbeschreibungen. Lambeck hinterließ im übrigen – abgesehen von einer Neusignierung – keine Spuren in V. Der Großteil der handschriftlichen Eintragungen stammt von seinem Vorgänger als Hofbibliothekar, Sebastian Tengnagel.157 Der zweite Band der Commentarii wurde 1761 durch den Ungarn Adam Franz Kollar (1723– 1783) ohne Eingriffe in den Text neu aufgelegt.158 Lambeck stand in Korrespondenz mit Johann Schilter, dem er mehrere nicht mehr in allen Fällen ein-

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Lambecius II (Anm. 133), S. 459 druckt Psalm 1 und die Oratio dominica nach dieser Handschrift, die von der heutigen Forschung als Wiener Notker (Wien, ÖNB, Cod. Vind. 2681) bezeichnet wird. Vgl. Hermann Menhardt: Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek, Bd. 1. Berlin 1960 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 13).S. 104–107. Ernst Hellgardt: Die ›Wiener Notker‹-Handschrift. Überlegungen zum ursprünglichen Bestand und Gebrauch. In: Aspekte der Germanistik. FS HansFriedrich Rosenfeld. Hg. von Walter Tauber. Göppingen 1989 (GAG 521), S. 47–67. Der Ansicht Lambecks bezüglich der Verfasserschaft der Stücke im Wiener Notker schloss sich unter Berufung auf beiden Codices gemeinsame paläographische Charakteristika wenig später Johann Philipp Schmid in einem Brief an Schilter an: »Caeterùm excerpta quaedam specimina alia ex Germanicae vetustatis Codd. MSS. adhuc adjungere hîc placuit, quorum primum ex Psalterio qui Otfrido similiter à Lambecio tribuitus, certè ejusdem caracteris est cum Euangeliorum libris, ex hac ratione apposui, ut perspici possit, in quibus conueniat cum Notkeri Psalterio, et non differat.« Nach Gießen, UB, Cod. 142, Bl. 264r. Butzmann (Anm. 133), S. 153. Dies ergibt sich aus einem Vergleich der handschriftlichen Eintragungen in V mit autographen Vermerken Tengnagels in seinem Exemplar der Otfridausgabe von Flacius (heute Wien, ÖNB 2.W.40.). Vgl. auch Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 167. Vgl. Adam Franz Kollar: Analecta monvmentorum omnis ævi Vindobonensia. Opera et stvdio Adami Francisci Kollarii, Pannonii neosoliensis, Mariæ Theresiæ Avg. a consiliis, et Avg. Bibliothecæ Vindobensis Primi Cvstodis. Tom. I. Vindobonæ. Typis et svmptibus Ioannis Thomæ Trattner, Aulæ et Inclvtorum inferioris avstriæ ordinum typogr. Wien 1761, Sp. 643–728.

116 deutig identifizierbare Handschriften der Hofbibliothek nach Straßburg sandte.159 Von V ist in den erhaltenen Briefen nicht die Rede. Schilters Beschäftigung damit – das legen wenigstens die (spärlichen) Quellen nahe – scheint erst in den Jahren nach Lambecks Tod 1680 einzusetzen.160 Die übrigen gedruckten Beschreibungen der Wiener Handschrift vor und nach Lambeck lassen sich kurz zusammenfassen: Sie beginnen mit der Katalogisierung im Verzeichnis von Hugo Blotius (1576, s. S. 22) und enden 1841 mit einer Kurzbeschreibung Hoffmanns von Fallersleben.161 Im 18. Jahrhundert erschien noch die Beschreibung von Michael Denis (1729–1800) im Rahmen seines Kataloges der theologischen Manuskripte der Wiener Hofbibliothek, die im wesentlichen ein Konzentrat dessen bietet, was bereits Lameck dargestellt hatte.162 Ihnen kommt es aber weniger auf eine umfassendere Darstellung des Inhalts der Handschrift und Kritik an vor ihnen erschienener Literatur an, als vielmehr auf ein nach bestimmten systematischen und schematischen Kriterien erstelltes, präzises Katalogisat, nach dem alle oder zumindest eine umfangreiche Auswahl aus dem Gesamtbestand der Handschriften der Wiener Hofbibliothek beschrieben und geordnet werden konnten.163 Abschließend sei auf eine umfangreiche, ungedruckt gebliebene Beschreibung hingewiesen, die Johann Philipp Schmid (s. Kap. 3.1.2 und 5.2.2), sicher der beste Kenner von V zu seiner Zeit, Anfang des 18. Jahrhunderts für Dietrich von Stade anfertigte. Dieser nahm viele Auszüge daraus in die Vorrede zu seiner projektierten Otfridausgabe auf.164 Erwähnenswert ist sie deswegen, weil sie sich auf – modern gesprochen – kodikologische Aspekte beschränkt. Schmid setzt mit seinen Animadversiones an beim Allgemeinzustand (Bl. 137v: »horrida namque illius est facies & ligatura«, Bl. 138r: »a vermibus pene adhuc libero«), geht über Einband, Schließen und Rücken nach innen zu Bindungszustand, vorderen und hinteren Spiegelblättern und Foliierung. Am Ende steht die

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In zwei Briefen (20. Februar und 13. September 1676) ist von der Versendung und Rückerstattung zweier Codices Vindobonenses die Rede. In einem dritten Brief (20. November 1677) spricht Lambeck von der Absendung einer Handschrift des Sachsenspiegel. Vgl. die Briefe an Schilter vom 20. Februar und 13. September 1676, 20. November 1677 und 16. Juni 1678. Dazu kommt ein undatiertes Antwortschreiben im Konzept von Schilter. Alle Briefe sind überliefert in Gießen, UB, Cod. 140, Bl. 146–150. Vgl. Schüling (Anm. 43), S. 19. Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Verzeichniss der Altdeutschen Handschriften der k. k. Hofbibliothek zu Wien. Leipzig 1841, S. 1. Michael Denis: Codices manuscripti theologici Bibliothecæ Palatinæ Vindobonensis. Bd. I. Wien 1793, Sp. 427–429. Ich mache an dieser Stelle nur auf die verschiedenen Signaturen aufmerksam, mit denen V vom 16. bis zum 19. Jahrhundert versehen wurde. Sie lauten in chronologischer Reihenfolge: T 5074 (Blotius), N 524 (Lambeck), VII E 27 (Standortsignatur im Prunksaal), Theol. lat. 345 (Gentilotti), 2687 (ÖNB). Heute in Hannover, LB, MS IV 459. S. S. 174, 182–184 sowie den Abdruck im editorischen Anhang Kap. 8.3.1).

117 Vermutung, daß die Buchstabenfolge PAS in der Mitte der Labyrinthabbildung auf einen Vorbesitzer hindeuten könnte:165 CL. Figura haec coæva ipsi quoque est textui, at in ejus centro inscriptæ sunt literæ PAS. a recenti manu, forte Possessoris codicis, antequam is, ut verisimilius est, in augustas Imperatoris Maximiliani, gloriosissimæ memoriæ, devenisset. Cl. Lambecius equidem sentit, codicem hunc nonnisi post Imperatoris Maximiliani I. obitum ad Bibliothecam Cæsaream pervenisse; sed cum hæc res facti sit, ut Icti loqui amant, et praesumptiones ab utraque parte militent, mittimus hanc litem.166

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Dazu vgl. Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 167. Hannover, LB, MS IV 459, Bl. 138v (s. Kap. 8.3.1).

4 Edieren und Interpretieren: Matthias Flacius und das Evangelienbuch Der aus dem istrischen Albona (heute die kroatische Stadt Labin) stammende Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) ist der protestantischen Theologie und den Geschichtswissenschaften bekannt als »Vater« der Kirchengeschichte.1 Dies gründet sich vor allem auf seine Tätigkeit als »spiritus rector« und Herausgeber des kirchenhistorischen »Großunternehmen[s] der frühen Neuzeit«2, der Magdeburger Centurien (Basel 1559–1574). In Philosophie und Wissenschaftstheorie hat Flacius seit Wilhelm Dilthey einen Platz als »Begründer der modernen theologischen und philosophischen Hermeneutik«.3 Diese Aussage kann sich vor allem berufen auf sein für die Bibelhermeneutik grundlegendes Werk, die Clavis scripturae sacrae (Basel 1567). Weniger bekannt ist dagegen, daß Flacius auch ein bedeutender Büchersammler war. Er gilt, so Ronald Ernest Diener, als »one of the brightest and strongest bibliophiles of all time«.4 Diese drei für sein Leben und Werk charakteristischen Aspekte werden gemeinsam sichtbar im Kontext seiner Rezeption des Otfridschen Evangelienbuchs, denn Flacius ist für dessen Erforschung auf handschriftengeschichtlicher, textueller

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Vgl. z. B. Adolf von Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Bd. I: Die Entstehung des kirchlichen Dogmas. Freiburg – Leipzig 41894 (ND Darmstadt 1964), S. 28, Anm. 2. Martina Hartmann: Matthias Flacius Illyricus, die Magdeburger Centuriatoren und die Anfänge der quellenbezogenen Geschichtsforschung. In: Catalogus und Centurien. Interdisziplinäre Studien zu Matthias Flacius und den Magdeburger Centurien. Hg. von Arno Mentzel-Reuters und Martina Hartmann. Tübingen 2008 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation 45), S. 1–17, hier S. 5. Vgl. die Nachweise in Oliver K. Olson: Matthias Flacius and the Survival of Luther’s Reform. Wiesbaden 2002 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 20), S. 15. Vgl. auch Denis Thouard: Wie Flacius zum ersten Hermeneutiker wurde. Dilthey, Twesten, Schleiermacher und die Historiographie der Hermeneutik. In: Geschichte der Hermeneutik und die Methodik der textinterpretierenden Disziplinen. Hg. von Jörg Schönert und Friedrich Vollhardt. Berlin – New York 2005 (Historia hermeneutica. Series Studia 1), S. 265–279. Ronald Ernest Diener: The Magdeburg Centuries. A Bibliothecal and Historiographical Analysis (Diss. Harvard 1979), hier S. 378. Vgl. dazu auch Martina Hartmann: Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters. Stuttgart 2001 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 19). Vgl. dazu die Rezension von Matthias Pohlig. In: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/REZENSIO /buecher/2002/PoMa0102.htm (28.2.03). Vgl. auch meine Rezension: Matthias Flacius, die Bücher und das Mittelalter. In: IASLonline [12.02.2007] http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=1108 (12.9.2008).

119 und interpretatorischer Ebene im 16. Jahrhundert die prägende Figur.5 Um seine spezifische Zugangsweise und Leistung in diesem Kontext wird es im folgenden gehen. Zu unterscheiden sind dabei in chronologischer und systematischer Hinsicht zwei Stationen, die zugleich die gedruckt vorliegenden Resultate der Beschäftigung von Flacius mit Otfrid repräsentieren: die Widmungsepistel an Liutbert von Mainz in der zweiten Auflage des Catalogus testium veritatis (Straßburg 1562) und die Ausgabe des Evangelienbuchs (Basel 1571).6

4.1

Otfrid und die protestantische Kirchengeschichtsschreibung

4.1.1 Zum Catalogus testium veritatis (1556/1562) 1556 erschien in Basel bei Johannes Oporinus (1507–1568) ein umfangreicher Oktavband unter dem Titel Catalogus testium veritatis qui ante nostram aetatem reclamarunt papae. In diesem »Katalog« versammelt Flacius ungefähr 400 Zeugen, die für die Wahrheit stehen, »daß es bereits vor Luther eine von der Urkirche bis zur Reformation reichende Kontinuität protestantischen Gedankengutes gegeben habe [...]«.7 Das Werk muß vom Lesepublikum gut aufgenommen worden sein. Bereits sechs Jahre nach der Erstausgabe erschien in Straßburg bei Paul Messerschmidt »sumptibus Ioannis Oporini« eine erweiterte, zweite Auflage, jetzt großzügig in Quart. Sie trägt den etwas abgewandelten Titel Catalogus testium veritatis qui ante nostram aetatem Romanae pontifici eiusque erroribus reclamarunt.8 Hier sind nun insgesamt 430 testes veritatis in chronologischer Anordnung von Petrus bis zu Martin Luther versam-

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Zu Leben und Werk vgl. die nach wie vor unersetzte Biographie von Wilhelm Preger: Matthias Flacius Illyricus und seine Zeit. Zwei Hälften. Erlangen 1859/1861. Oliver K. Olson: Matthias Flacius Illyricus. In: TRE 11 (1983), S. 206–214. Olson behandelt in seiner neuen, umfassenden Monographie (Anm. 3) Flacius’ Wirken bis 1557. Ein zweiter Band ist angekündigt unter dem Titel »Matthias Flacius and the Struggle for the Freedom of the Church«. Erwähnt ist Otfrid darüber hinaus in der neunten der Magdeburger Centurien (Basel 1565). Dieser Abschnitt stammt aber nicht von Flacius und ist auch nicht in Zusammenarbeit mit ihm entstanden. Er repräsentiert den Wissensstand der Schriftstellerkataloge und des Chronicon Hirsaugiense von Trithemius. Vgl. dazu Ernst Hellgardt: Die Rezeption Otfrids von Weißenburg von Johannes Trithemius bis zur neunten Centurie (1494–1565). In: Catalogus und Centurien (Anm. 2), S. 65–75, hier S. 74f. Thomas Haye: Der Catalogus testium veritatis des Matthias Flacius Illyricus – eine Einführung in die Literatur des Mittelalters? In: Archiv für Reformationsgeschichte 83 (1992), S. 31–47, hier S. 32. Vgl. zu einer Gesamtwürdigung des Catalogus auch Olson (2002, Anm. 3), S. 233–255. Hartmann (Anm. 4), S. 141–197. Christina Beatrice Melanie Frank: Untersuchungen zum Catalogus testium veritatis des Matthias Flacius Illyricus. Diss. Tübingen 1990. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 142–144. Hier finden sich Angaben zur mutmaßlichen Auflagenhöhe und zur Entstehungsgeschichte beider Auflagen, über die in der Forschung zum Teil widersprüchliche Aussagen kursieren.

120 melt. Der Ansatz zum Catalogus, wie Flacius ihn in der Vorrede zur zweiten Auflage expliziert, ist ein genuin humanistischer:9 Illud igitur solum dico multas gravissimas et utilissimas historias et etiam integra scripta hic inserta esse, qui nusquam alioqui in impressis libris reperiantur nec facile aliunde quam ex hoc ipso scripto reperiri queant.10

Der Topos von der Wiederentdeckung und Edition untergegangener Texte wird bei Flacius nun aber gerade nicht im Sinne des frühen Humanismus auf die klassische Antike appliziert, sondern auf Texte des christlichen Mittelalters. Was die Auswahl der testes angeht, kann man sagen, daß Flacius »in einem bunten Kaleidoskop das gesamte Spektrum schriftlicher Überlieferung des Mittelalters«11 vorstellt. Die Quellen zum Catalogus beruhen zu einem nicht unerheblichen Teil auf seiner umfassenden Sammeltätigkeit von Handschriften und Drucken.12 Flacius beschränkt sich aber in den meisten Fällen nicht auf einen Abdruck der Texte mit ihrer Situierung im reformatorischen Kontext, sondern greift umfassender, nämlich unter Verwendung philologischer Mittel, auf sie zu. Er entlarvt Fälschungen, diskutiert Zuweisungen an bestimmte Verfasser und unternimmt eigenständig Datierungsversuche. Der Catalogus ist vor diesem Hintergrund zu sehen als ein »Amalgam aus Anthologie, Quellenkunde, Bibliographie und Literaturkritik«. Mit ihm stehen wir »am Anfang einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der lateinischen Literatur des Mittelalters.«13 Diese treffende Charakterisierung des Catalogus von Thomas Haye läßt sich ohne weiteres auch auf den Umgang von Flacius mit volkssprachiger Literatur ausweiten. Er würdigt Otfrid im Catalogus dezidiert als volkssprachigen Autor, auch wenn er dort gerade den einzigen lateinischen Text aus dem Evangelienbuch abdruckt, das Widmungsschreiben an Liutbert. 1573 erschien zu Frankfurt sogar eine noch von Flacius autorisierte Übersetzung des Catalogus ins Deutsche von Konrad Lautenbach (1534–1595). Sie enthält auch die erste deutsche Übersetzung von Ad Liutbertum.14

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Zur Frage der Adäquatheit des Begriffs ›Humanismus‹ für Flacius vgl. Matthias Pohlig: War Flacius Humanist? In: Catalogus und Centurien (Anm. 2), S. 19–52. Catalogus testium veritatis. Straßburg 21562, Bl. 2v. Haye (Anm. 7), S. 38. Dort auch eine Übersicht zum Spektrum des Catalogus in inhaltlicher und überlieferungstypologischer Hinsicht. Zur Verarbeitung bereits gedruckter bzw. noch ungedruckter Quellen im Catalogus vgl. Haye (Anm. 7), S. 33f. Zur flacianischen Bibliothek Hartmann (Anm. 4), S. 80–115. Beide Zitate bei Haye (Anm. 7), S. 47. Vgl. zu diesem Thema nun grundsätzlich Hartmann (Anm. 2). Conrad Lautenbach: Catalogus testium veritatis. Historia der zeugen / Bekenner und Märterer / so Christum und die Euangelische warheit biß hieher / auch etwa mitten im Reich der finsternus / warhafftig erkennet [...] auß dem Latein in unsere gemeine Teutsche sprach gebracht und verfertiget / Durch Conradum Lautenbach von Mutißlar / Pfarherrn zu Hunaweiler [...]. Franckfurt am Mayn 1573, Bl. 98r–99v. Ein Abdruck des Vorspanns und des Briefes dieser Übersetzung findet sich in Kap. 8.2. Vgl. dazu auch Marcella Roddewig: Flacius, Vergerius, Foxe, Wolfius, Mornay und der erste deutsche Übersetzungsversuch aus dem Paradiso vom Jahr 1573. In: Deutsches Dante-Jahrbuch 44/45 (1967), S. 100–146.

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4.1.2 Der Text von Ad Liutbertum im Catalogus testium veritatis (Straßburg 1562) und die Frage nach seiner Vorlage Das Widmungsschreiben Otfrids an Liutbert von Mainz ist, sieht man von den wenigen Zitaten des Beatus Rhenanus aus der Freisinger Handschrift des Evangelienbuchs in den Res Germanicae ab (s. Kap. 2.2.1), das erste in sich geschlossene, längere Textstück aus dem Evangelienbuch überhaupt, das im Druck bekannt gemacht wird. Die Besprechung der denkbaren inhaltlichen Zusammenhänge und der Motive für den Abdruck der Epistel stelle ich zunächst zurück (s. Kap. 4.1.3). Hier interessieren zunächst der Text, wie ihn Flacius 1562 edierte, und die Frage nach seiner Vorlage.15 Flacius macht über seine Quelle für Ad Liutbertum im Catalogus selbst keine näheren Angaben. Nach den bereits dargestellten Fakten zur Geschichte der Heidelberger Otfridhandschrift (s. Kap. 2.3.1) ergibt sich folgende Problemkonstellation: Spätestens 1560 ist P Teil der Bibliothek Ulrich Fuggers, d. h. Flacius konnte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr selbstverständlich auf diese Handschrift zurückgreifen. Was ist daraus für den Druck des Liutbertschreibens von 1562 zu schließen? Ernst Dümmler führte einen Lesartenvergleich mit P nach Paul Pipers Edition durch und kommt zu dem Resultat, daß P und V als Vorlagen für den Druck des Schreibens im Catalogus auszuschließen seien.16 Er vermutete deshalb eine heute verschollene Handschrift des Evangelienbuchs als Vorlage.17 Dies ist der letzte Stand der Dinge.18 Eine Verifizierung mit V oder P scheint demnach nicht möglich. Dieser Befund müßte in der letzten Konsequenz bedeuten, daß ein bislang nicht beachteter mittelalterlicher Textzeuge für Ad Liutbertum als Vorlage angenommen werden müßte, der – ähnlich wie im Fall der sogenannten Heliandpräfatio und Versus – allein durch Matthias Flacius Illyricus vermittelt worden wäre.19

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Ernst Dümmler meinte in seiner Edition irrtümlicherweise, daß die Widmungsepistel bereits Teil der ersten Auflage des Catalogus (Basel 1556) gewesen sei. MGH, Epistolae Karolini Aevi. Tom. IV. Berlin 1925, S. 166. Ernst Dümmler: Zum ersten Bekanntwerden Otfrids. In: ZfdA 44 (1900), S. 316–318. Kelle dachte ohne nähere Begründung an V. Vgl. Kelle II (1869), S. XX–XXII. Vgl. in diesem Sinne auch: Piper I (21882), S. 44] und Elias von Steinmeyer: [zu Dümmler ZfdA 44.] In: Jahresbericht über die Erscheinungen auf dem Gebiete der Germanischen Philologie 22 (1900), S. 78. Dümmler (Anm. 16), S. 318. Vgl. ebenso MGH, Epistolae Karolini Aevi. Tom. IV. Berlin 1925, S. 166. So auch Ernst Hellgardt: ... der alten Teutschen spraach und gottesforcht zuerlernen. Über Voraussetzungen und Ziele der Otfridausgabe des Matthias Flacius Illyricus (Basel 1571). In: FS Walter Haug und Burghart Wachinger, Bd. 1. Hg. von Johannes Janota, Paul Sappler, Frieder Schanze, Konrad Vollmann, Gisela Vollmann-Profe, Hans-Joachim Ziegeler. Tübingen 1992, S. 267–286, hier S. 277. Vgl. dazu Kurt Hannemann: Die Lösung des Rätsels der Heliandpraefation. In: Forschungen und Fortschritte 15 (1939), S. 327–329. Mit Nachtrag wieder in: Der Heliand. Hg. von Jürgen Eichhoff und Irmengard Rauch. Darmstadt 1973 (WdF 321), S. 1–13. Ders.: Der Humanist Georg Fabricius in Meissen, das Luthermonotessaron in Wittenberg und Leipzig und der Heliandpräfationskodex aus Naumburg a. d. Saale. In: Istituto Universitario Orien-

122 Die gut begründete Annahme Dümmlers ist auf den ersten Blick durchaus überzeugend. Eine erneute Prüfung der Frage könnte dennoch vor allem deswegen lohnend sein, weil Dümmler einen (textkritisch sekundären) Überlieferungsträger von Ad Liutbertum nicht in seine Überlegungen miteinbezog, nämlich den Text in der Abschrift Gassers von 1560. Aus rein chronologischer Sicht kommen mit ihr drei heute bekannte Textzeugen des Schreibens vor 1562 für einen Textvergleich mit dem Druck des Catalogus in Betracht: V, P und die Gassersche Abschrift aus P (= g). g kommt als unmittelbare Vorlage für Flacius aber kaum infrage, da Gasser selbst zusammen mit Konrad Gesner in den Jahren um 1562 ihren Druck betrieb (s. Kap. 3.1.1). Die Abschrift bietet aber insofern einen wichtigen Vergleichspunkt, als sie selbst bereits ein frühneuzeitliches Vermittlungsprodukt aus einer mittelalterlichen Handschrift darstellt. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil man aus Gründen, die auf die Satztechnik frühneuzeitlicher Drucker zurückgehen, davon ausgehen muß, »daß in der Regel von der handschriftlichen Druckvorlage eine Zwischenabschrift zum Zwecke der Drucklegung angefertigt wurde.«20 Nur in vereinzelten Fällen lassen sich noch mittelalterliche Handschriften als unmittelbare Druckvorlagen nachweisen.21 Diese im Regelfall anzusetzenden Zwischenabschriften haben sich deswegen nicht erhalten, weil sie nach der Drucklegung normalerweise makuliert wurden. Eine seltene Ausnahme bildet hier die Abschrift Gassers, von der man mit Sicherheit sagen kann, daß sie die unmittelbare Vorlage für den Druck der Ausgabe von 1571 bildete (s. Kap. 4.2.3). Wir wissen darüber hinaus, daß für die Planung der Magdeburger Centurien und des Catalogus testium veritatis umfangreiche handschriftliche Quellenauszüge angefertigt wurden und handschriftliche Frühfassungen existierten. Angelegt wurden diese zum Großteil von den Mitarbeitern der Centurien, vor allem von dem engen Flacius-Mitarbeiter Marcus Wagner.22 Auch Flacius selbst kopierte für seine Editionen aus ihm greifbaren mittelalterlichen Vorlagen.

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tale. Annali. Sezione Germanica 17 (1974), S. 7–109, S. 256–260. Vgl. auch Ernst Hellgardt: Die Praefatio in librum Antiquum lingua Saxonica conscriptum, die Versus de poeta & interprete huius codicis und die altsächsische Bibelepik. In: Entstehung des Deutschen. FS für Heinrich Tiefenbach. Hg. von Albrecht Greule, Eckhard Meineke und Christiane Thim-Mabrey. Heidelberg 2004, S. 173–230. Johannes Janota: Von der Handschrift zum Druck. In: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hg. von Helmut Gier und Johannes Janota im Auftrag der Stadt Augsburg. Wiesbaden 1997, S. 125–139, hier S. 130. Vgl. insbesondere Janotas Ausführungen zur Technik des Casting off, d. h. der Vorausberechnung der Lagen im Druck, die eine Zerlegung der Druckvorlage in ihre einzelnen Lagen voraussetzt. Ebd. S. 128f. Vgl. dazu Lotte Hellinga: Manuscripts in the hands of printers. In: Manuscripts in the fifty years after the invention of printing. Some papers read at a colloquium at the Warburg Institute on 12–13 March 1982. Hg. von J. B. Trapp. London 1983, S. 3–11. Vgl. zu Wagner Hartmann (Anm. 4), S. 64f. Eine handschriftliche Fassung des Catalogus, die Flacius an Caspar von Nidbruck sandte, hat sich erhalten (Wien, ÖNB, Cod. 11591), Sie wurde von Wagner angefertigt und repräsentiert den Arbeitsstand von 1553. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 59 mit Anm. 35.

123 Meine Überlegung ist es nun, für den Druck des Liutbertbriefes eine abschriftliche Fassung als Vorstufe anzunehmen. Wer diese »Zwischenabschrift« anlegte, wo sie zeitlich und lokal zu situieren ist, läßt sich nicht mehr genau sagen. Mindestens zwei Möglichkeiten kämen prinzipiell in Betracht: Flacius könnte vor dem Verkauf der Heidelberger Handschrift, d. h. in der Zeit zwischen 1557 und 1560, selbst daraus exzerpiert haben. Geht man davon aus, daß P Teil der von Flacius nach Regensburg gesandten Handschriften war, wäre auch daran zu denken, daß einer der Mitarbeiter der Magdeburger Centurien eine Teilabschrift aus P für Flacius nahm, die möglicherweise mehr als den Liutbertbrief umfaßte. Der Vorteil, den nun eine vergleichende Gegenüberstellung auch mit g bietet, könnte vor diesem Hintergrund darin bestehen, daß g und der Druck von 1562 typische Parallelen aufweisen, die Rückschlüsse auf die unmittelbare Druckvorlage zuließen. Dem ist aber sogleich einschränkend hinzuzufügen, daß auch ein Druck gegenüber seiner unmittelbaren Vorlage natürlich noch erhebliche Veränderungen auf textueller und setzerischer Ebene aufweisen kann. Der gedruckte Text müßte aber zumindest im Regelfall einer »Zwischenabschrift« näherstehen als wiederum deren (mittelalterlicher) Vorlage.23 Das Resultat des Lesartenvergleichs kann dann freilich allenfalls darin bestehen, die These der älteren Forschung zu relativieren, dem Druck liege eine nicht mit P oder V identische mittelalterliche Otfridhandschrift zugrunde. P als mittelbare Vorlage für den Druck im Catalogus positiv nachweisen zu können, erscheint mir nach dem eben Dargestellten bereits von vornherein als unrealistisch. Zur Texteinrichtung: Ich gebe im folgenden den Text von Ad Liutbertum nach seinem Erstdruck im Catalogus testium veritatis von 1562 mit allen Abkürzungen, abgesehen von dem Kürzel für lateinisch »que«. Darüber hinaus verzichte ich auf die Unterscheidung zwischen langem »s« und rundem »s«. Ich versehe den Text außerdem mit einer fortlaufenden Zeilenzählung. Seitenwechsel des Drucks sind im Text in eckigen Klammern hinzugefügt. In den Apparat sind vollständig die Varianten und Auslassungen gegenüber V, P, g aufgenommen. Textgrundlage für V ist das Faksimile von Hans Butzmann, für P das Digitalisat der Universitätsbibliothek Heidelberg.24 Für g stütze ich mich auf einen Mikrofilm der Handschrift (Wien, Schottenkloster, Cod. 733 [Hübl 605]), die ich zusätzlich autopsiert habe. Zusätzlich berücksichtige ich als vierten Textzeugen den Druck von Ad Liutbertum in der Otfridausgabe von 1571 (Sigle: fl). Gearbeitet habe ich mit dem Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München (Signatur: P.o.germ.1038o). Es könnte sich auf diesem Weg verifizie-

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Das Problem wird im übrigen noch komplexer, wenn man annimmt, daß die »Zwischenabschrift« nicht identisch ist mit der ›ursprünglichen‹ Abschrift aus einer Handschrift. Dies vernachlässige ich hier aber. Otfrid von Weißenburg: Evangelienharmonie. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex Vindobonensis 2687 der Österreichischen Nationalbibliothek, eingeleitet von Hans Butzmann, Graz 1972 (Codices Selecti 30). Digitalisat von P: URL: http://digi.ub.uniheidelberg.de/cpl52 (4.8.2005). Beide Handschriften habe ich auch im Original eingesehen.

124 ren bzw. falsifizieren lassen, daß der Abdruck des Briefes im Catalogus die unmittelbare Vorlage für die Edition von 1571 gebildet haben könnte. Die zahlreichen späteren Nachdrucke des Schreibens, die allesamt auf den Erstdruck von 1562 zurückgehen, können hier außer acht bleiben.25

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Vgl. das Quellenverzeichnis (Kap. 9.2) zu den Jahren 1562, 1581, 1615, 1677.

125 Der Text von Ad Liutbertum

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[S. 158] Dignitatis culmine gratia diuina præcelso Luitbergo Mogunciacensis urbis Archiepiscopo, Otfridus quamuis indignus, tam) deuotione monachus presbyterque exiguus, eternę uitæ gaudiH optat semper in Christo. Vestrę excell)tissimę prud)tię præsentis libri stylum c@probare transmittens, in capite causam, qua illum dictare præsumpsi, primitus uobis enarrare curaui, ne ullorum fidelium mentes, si uilescet, uilitatis meæ præsumptioni deputare procurent. Dum rerum quondam sonus inutilium pulsaret aures quorundam probatissimorum uirorum, eorumque sanctitatem Laicorum cantus [S. 159] inquietaret obscœnus, a quibusd$ memoria dignis fratribus rogatus, maximeque cuiusdam uenerandæ matronæ, uerbis nimirum flagitantis nomine Iudith, ut partem Euangeliorum eis theotisce conscriberem, ut aliquantulum huius cantus lectionis ludum secularium uocum delerem, & in Eu$geliorum propria lingua occupati dulcedine, sonum inutilium rerum nouerint declinare, petitioni quoque iungebant querimoniam, quod Gentilium uates, ut Vergilius, Lucanus, Ouidius, cæterique quam plurimi suorum facta decorarent lingua natiua, quorum iam uoluminum dictis fluctuare cognoscimus mundum. Nostræ iam sectæ probatissimorum uirorum facta laudabant Iuuenci Aratoris prudentij cæterorumque multorum, qui sua lingua dicta & miracula CHRISTI decenter ornabant. Nos uero quamuis eadem fide, eademque gratia instructi diuinorum uerborum splendorem clarissimum proferre propria lingua dicebant pigere. Hoc dum eorum charitati importune mihi instanti negare nequiui, feci non quasi peritus, sed fraterna petitione coactus. Scripsi namque eorum precum suffultus iuuamine Euangeliorum partem Francisce c@positam, interdum spiritualia moraliaque uerba permiscens, ut qui in illis alienæ linguæ difficultatem horrescit, hic propria lingua cognoscat sanctissima uerba. Denique legem sua lingua intelligens inde se uel parum quid deuiare, mente propria pertimescat. Scripsi itaque in primis & in ultimis huius libri patribus inter quatuor Euangelistas incedens medius, ut modo quid iste, quidue alius cæterique scriberent, inter illos ordina-

_________ 1 VPg: liutberto fl: Luitberto VPg: mogontiacensis fl: Mogontiacensis 2 VPg: archiepiscopo 3 VPgfl: aeternae VPg: Abk. für Christo 4 V: presentis VPgfl: stilum Pg: . In 5 g: Primitus g: Ne 6 VPg: ohne Interpungierung nach mentes 8 VPgfl: laicorum 9 VPgfl: obscenus 10 VPgfl: memoriae g: venerande VPgfl: nimium VPg: iudith 11 VPgfl: fehlt ut fl: Theotisce 12 VP: saecularium VPgfl: deleret VPgfl: euangeliorum P: Abk. für propria 13 VPg: . Petitioni 14 VPgfl: iungentes VP: quaeremoniam VPgfl: gentilium VP: uirgilius gfl: Uirgilius VP: lucanus gfl: Lucanus VP: ouidius gfl: Ouidius 16 VPgfl: etiam 17 VP: iuuenci fl: Iuuenci, VP: aratoris fl: Aratoris, Prudentij 18 VPg: Abk. für Christi fl: Christi 19 gfl: instructa 20 VPgfl: pigrescere 21 VPgfl: caritati 23 VPg: euangeliorum VPgfl: franzisce VPgfl: Interdum fl: interdum VPg: Abk. für spiritalia fl:spiritalia 25 VPg: Abk. für Deique fl: , Dominique 26 VPgfl: intellegens 27 VPgfl: partibus VPg: euangelistas

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tim, pro ut potui penitus item dictaui. In medio uero ne grauiter forte pro superfluitate uerborum ferrent legentes, multa & parabolarum CHRISTI & miraculorum, eiusque doctrinæ, Et quamuis iam fessus (hoc enim nouissime edidi ob necessitatem, tamen prædictam pretermisi inuitus, & non iam ordinatim ut cœperam procuraui dictare, sed qualiter meæ paruæ occurrerunt memoriæ. Volumen namque istud in quinque libros distinxi, quorum primus natiuitatem Christi memorat, finem facit baptismo doctrinaque Ioannis. Secundus iam accersitis eius discipulis refert, quomodo se & quibusnam signis & suam doctrinam præclaram mundo notam fecit. Tertius signorum claritudinem & doctrinam ad Iudæos aliquantulum narrat. Quartus iam qualiter suæ passioni proginquans, pro nobis mortem sponte pertulerit, dicit. Quintus eius resurrectionem cum discipulis, suam postea collocutionem, ascensionem, & diem iudicij memorat. Hos (ut dixi) in quinque (quamuis Euangeliorum libri quatuor sint) ideo distinxi, quia eorum, quadrata æqualitas sancta, nostrorum quinque sensuum inæqualitatem ornat, & superflua in nobis, quæque non solum actuum, uerH etiam cogitationum uertunt in eleuationem cœlestium. Quicquid uisu, olfactu, tactu, gustu, audituque delinquimus, in eorum lectionis memoria, prauitatem ipsam purgamus. Visus obscuretur inutilis, illuminatus Euangelicis uerbis. Auditus prauus n@ sit cordi nostro obnoxius. Olfactus & gustus se a prauitate c@stringant, Christique dulcedine iungant cordisque præcordia lectiones has theotisce conscriptas, semper memoria tangent. Huius enim linguę barbaries, ut est inculta & indisciplinabilis atque insueta capi regulari freno grammaticæ artis, sic etiam in multis dictis scriptH est, propter literarum aut congeriem, aut incognitam sonoritatem, difficilis. Nam interdum tria uuu, ut puto quærit sono. Priores duo c@sonantes, ut mihi uidetur tertium uocali sono manente. Interdum uero nec a, nec e, nec i, nec u, uocalium sonos præcauere potui, ibi ρ græcum mihi uidetur adscribi. Græciæ, hoc elementH lingua hæc horrescit interdum: nulli sese characteri aliquotiens in quodam sono nisi difficile iungens k & Z sæpius hæc lingua extra usum Latinitatis utitur, qui grammatici inter literas dicunt esse superfluas. Ob stridorem autem interdum

_________ 29 VP: prout VPgfl: pene fl: , in 30 gfl: ferre VP: parabularum VPg: Abk. für Christi VPgfl: fehlt Et 32 V: hoc – edidi am Rand; Pgfl: Hoc – edidi im Text 33 gfl: lesen munus statt inuitus gfl: ceperam 35 VPg: Abk. für Christi 36 VP: iohannis g: Johannis 37 VPgfl: quibusdam VPgfl: & doctrina sua praeclara mundo innotuit. 38 VPg: iudeos fl: Iudęos 39 VPgfl: propinquans 40 VPgfl: conlocutionem 41 VPgfl: ut dixi nicht in Klammern, in VPgfl: quamuis ... sint ohne runde Klammer 42 V: quamuis euang korr. VPgfl: euangeliorum 43 Nostrorum 45 VP: caelestium gfl: cœlestium: 47 gfl: inluminatis VPgfl: euangelicis 48 VPgfl: sese VPg: Abk. für Christi 49 fl: Theotisce 51 VPgfl: scripto 52 Pg: litterarum gfl: incongruam statt incognitam 53 VPgfl: in sono fl: : priores 54 V: precauere 55 VPgfl: y VPgfl: grecum VPgfl: uidebatur VPgfl: ascribi VPgfl: Et etiam fehlt Graeciae 56 g: . Nulli VPgfl: se VPgfl: caracteri 57 Pg: sepius 58 VPgfl: quae P: gramatici VPg: litteras

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dentium, ut puto, in hac lingua Z utuntur. k autem ob faucium sonoritatem. Patitur quoque metaplasmi figuram nimium, non tamen assidue quam doctores grammaticæ artis uocant Synalœpham, et hoc nisi legentes præuidiant rationes dicta deformius sonant, literas interdum scriptione seruantes: interdum uero Hebraicæ linguæ more uitantes, quibus ipsas literas ratione Synalœphæ in literis, ut quidam dicunt, penitus amittere, & transilire moris [S. 160] habetur. Non quod series scriptionis huius metrica sit subtilitate constricta, sed schema homœoteleuton assidue quærit. Aptum enim in hac lectione & priori decent) & consimilem quærunt uerba in fine sonoritatem: & non tantum per hanc inter duas uocales, sed &iam inter alias literas sæpissime patitur collisionem Synalœphæ. Quærit enim linguæ huius ornatus, & a legentib. Synalœphę lenem & collisionem lubricam præcauere, & a dictantib. homœoteleuton, id est consimilem uerborum terminationem obseruare. Sensus enim hic interdum ultra duos uel tres uersus uel etiam quatuor, in lectione debet esse susp)sus, ut legentib. quod lectio signat, apertius fiat. Hic sæpius i & o, cæteręque similiter in illis uocales simul inueniuntur inscriptæ: interdum in sono diuisæ uocales manentes: interdum coniunctæ priore transeunte in consonantium potestatem. Duæ etiam negatiuæ, quæ in latinitate rationis dicta confirmant, in huius linguæ usu pene assidue negant. Huius enim linguę proprietas nec numerum, nec genera me conseruare sinebat. Interdum enim masculinH Latinæ linguę in hac fœminino protuli, & cætera genera necessaria, & simili modo permiscui numerum plural) singulari, singularem plurali uariaui, & tali modo in barbarismum & solœcismum sæpius coactus incidi. Horum supra scriptorum omnium uitiorum exempla, de hoc libro theotisce ponerem, nisi irrisionem legentiH deuitarem. Nam dum agrestis linguę inculta

_________ 59 gfl: utimur 60 VPgfl: fautium fl: tam statt tamen 61 V: sinalipham, Pgfl: synalipham 62 VPgfl: praeuideant rationis V: . Literas, Pg: . Litteras 63 Pg: Interdum VPg: ebraicae fl: Ebraicae VPg: litteras 64 V: sinaliphae, Pgfl: synaliphae VPgfl: lineis statt literis 65 fl: , non quo VPg: quo 66 Pgfl: scema VPg: omoeoteleuton fl: omœoteleuton VPgfl: Aptam 68 Pg: litteras VPgfl: conlisionem V: sinaliphae, Pgfl: synaliphae; An dieser Stelle fehlt gegenüber VPgfl: et hoc nisi fiat extensio sepius literarum inepte sonat dicta uerborum. Quod in communi quoque nostra locutione si sollerter intendimus nos agere nimium inuenimus. 70 VPgfl: si[y]naliphae lenam VPgfl: conlisionem 71 VPg: omeoteleuton fl: omœoteleuton V: Abk. für id est 72 VP: duo V: quattuor 73 VPgfl: apertior VP: sepius g: sępius 74 VPgfl: cum illo 75 Pg: Interdum 76 VPgfl: Duo &iam negatiui, dum g: . In 77 Nach negant fehlt hier gegenüber VPg: et quamuis hos (V: hoc) interdum praecauere ualerem, ob usum tamen cotidianum ut morum se locutio praebuit dictare curaui. 78 V: , interdum 79 VPgfl: latinae VPgfl: feminino V: cetera V: necessarie, P: necessariae& fehlt in Vgfl 80 VPgfl: . Numerum 81 VPg: kein Absatz am Ende der Zeile 82 VPg: keine Interpungierung nach exempla 83 Vg: keine Interpungierung nach ponerem VPgfl: inrisionem

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uerba inseruntur Latinitatis planiciæ, cachinnum legentib. præbent. Lingua enim hæc uelut agrestis habetur, dH a proprijs nec scriptura, nec arte aliqua ullis est t)porib. expolita. Quippe qui nec historias suorum antecessorum, ut multæ gentes cæterę c@endant memoriæ, nec eorum gesta uel uitam ornant dignitatis amore, Quod si raro contigit aliarum gentium lingua, id est, Latinorum uel Græcorum potius explanant. Cauent etiam aliarH deformitat), non uerecundant suam. Stupent in alijs uel literula parua artem transgredi, & pene in propria lingua uitium gener$t per singula uerba. Est tamen c@ueniens ut qualicunque modo, siue corruptæ lingua, siue integræ artis humanum genus autorem omnium laudet, qui plectrum ei dederat linguæ, uerbum in eis suæ laudis sonare: qui non uerborum adulationem politorum, sed in nobis pium cogitationis affectum, operumque pio labore congeriem, non labiorum inanem seruitutem. Hunc igitur librum uestræ sagaci prudentiæ probandum curaui transmittere, & quia a Rabano uenerandæ memoriæ digno uestræ sedis, quondam Præsule, educata mea paruitas est, præsulatus uestri dignitati sapientiæque in uobis commendare curaui: qui si sanctitatis uestræ placet obtutibus, & n@ deijciendum iudicauerit, uti licenter fidelibus uestra autoritas concedat. Sin uero minus aptus parque meæ negligentiæ paret, eundem ueneranda sanctaque condemnet autoritas. Vtriusque enim facti causam arbitrio uestro decernendam, mea parua commendat humilitas. Trinitas summa unitasque perfecta, cunctorum nos utilitati multa tempora incolumem ac in recta uita manentem conseruare dignetur, Amen.

_________ 84 VPgfl: latinitatis VPgfl: planitiae V: chachinnum gfl: cachinum VPgfl: prebent 87 VPgfl: commendant 81 VPgfl: . nach amore 88 V: Abk. für id est VPg: latinorum V: graecorum, Pg: grecorum 89 V: cauent aliarum, &;Pgfl: Cauent aliarum & VPgfl: suarum 90 VPg: litterula 90 fehlt in VP: generat 91 Nach uerba fehlt hier gegenüber VPgfl: Res miratam (fl: mira, tam) magnos uiros, prudentia deditos, cautela praecipuos, agilitate suffultos, sapientia latos, sanctitate praeclaros, cuncta haec in alienae linguae gloriam transferre, & usum scripturae in propria lingua non habere. VPgfl: qualicumque VPgfl: corrupta seu 92 Pgfl: linguae VPgfl: fehlt siue VPgfl: auctorem VPgfl: laudent VPgfl: eis 94 Nach sed fehlt hier gegenüber VPgfl: quaerit 95 g: . Non VPgfl: labrorum VPgfl: seruitiem 96 gfl: . Et 97 VP: rhabano gfl: Rhabano VPgfl: praesule 98 Nach educata fehlt hier gegenüber VPgfl: parum fl: dignitati Nach uobis fehlt hier gegenüber VPgfl: pari 99 VPgfl: . Qui P: sanctitati gfl: sanctitatis 100 VPgfl: auctoritas 101 VPgfl: eadem VPgfl: contempnet VPfl: auctoritas g: aucthoritas 102 VPgfl: decernendum 103 V: Absatz nach humilitas VPgfl: uos 104 VP: incolomem VPgfl: rectaque

129 Zur Beurteilung der Lesarten Eine Auswertung der Lesarten ergibt unter Beschränkungen auf die auffälligsten Phänomene und auf die oben explizierte Fragestellung folgendes Ergebnis: Der Text des Catalogus (= Cat.) zeigt gegenüber seinen handschriftlichen Vorlagen (VPg) Veränderungen auf allen Ebenen: Die meisten Lesarten unterscheidet Cat. von allen vier herangezogenen Textzeugen zusammen; keiner kristallisiert sich als besonders nahestend heraus. Auffällig ist natürlich die Textnähe von g zu seiner Vorlage P, deren Abhängigkeitsverhältnis bereits dargestellt wurde (s. Kap. 3.1.1). Eine grundsätzliche Tendenz zur Standardisierung der Vorlage läßt sich in g aus den Lesarten nicht – wie zuvor als Erwartung geäußert – erkennen, eher ihre hohe philologische Genauigkeit. Besonders deutlich sind die Abweichungen von Cat. gegenüber den anderen Textzeugen auf der Ebene der Orthographie. Cat. bemüht sich um eine geregelte Großschreibung von Eigenamen (z. B. Z. 1, 14, 17, 36), Toponymen (z. B. Z. 1) sowie Sprach- und Gentilbezeichnungen (z. B. Z. 23, 38, 49 55, 63). Man vergleiche auch die häufig vereinheitlichte Schreibung von »ę«, »ae«, »oe«. Gelegentlich wird im Cat. auch die Interpunktion verändert (Z. 5, 82f.). Darüber hinaus fallen Unterschiede zu VPg auf, die man als stilistische Glättungen des Textes bezeichnen könnte. Sie beziehen sich auf die Wortwahl (Z. 20), Wortstellung (Z. 37) sowie grammatikalische Angleichung von Numerus (Z. 74) und Genus (Z. 51). Besonders auffällig sind drei größere Auslassungen im Text von Cat. gegenüber VPg (Z. 69, 77 und 91). Man muß sie aber nicht zwingend auf eine lückenhafte Vorlage zurückführen, sondern könnte sie im Sinne einer inhaltlichen, kürzenden Bearbeitung des Textes durch Flacius auffassen. Denn alle drei Lücken betreffen Aspekte, die Otfrid in seinem Approbationsbrief bereits zuvor mehrfach angesprochen hatte und die von Flacius als Redundanzen beurteilt worden sein könnten. Ein schlagendes Indiz für eine Verwandtschaft von Cat. mit V könnte die eingefügte Klammer in Z. 31 sein, an einer Stelle, wo in V die folgenden Worte »hoc enim nouissime edidi« am Rand nachgetragen sind.26 Man könnte sie als stehengebliebenes Verweisungszeichen auffassen. Dies relativiert sich allerdings auf das Ganze gesehen durch die weitere, zweifache Einfügung von Klammern in Cat. mit ebenfalls parenthetischer Funktion in Z. 41 ohne Parallelen in VPg. Sie lassen sich als Überarbeitungen des Textes erklären, deren Funktion darin besteht, die syntaktische Struktur deutlicher hervortreten zu lassen. In der angenommenen Vorlage müssen sie nicht zwingend gestanden haben. Auch wenn sich somit aus g nicht die gewünschten aussagekräftigen Parallelen ablesen ließen, kann man als Ergebnis dieses Lesartenvergleichs festhalten: Die frühneuzeitliche Abschrift g ist als unmittelbare Vorlage für den Druck genauso auszuschließen wie die frühmittelalterlichen Handschriften V und P. Der

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Vgl. Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 269 (textkritischer Apparat zu Bl. 5r).

130 Text im Cat. zeigt gegenüber den handschriftlichen Fassungen deutliche Eingriffe, die auf eine formale und inhaltliche Überarbeitung des Textes wohl durch Flacius selbst hindeuten dürften, die nur auf der Basis einer oder eventuell sogar mehrerer Zwischenabschriften erklärt werden können. Der zwingende Schluß auf eine verlorene mittelalterliche Handschrift erscheint mithin auf dieser Grundlage nicht haltbar. Auf der Grundlage der vielen gemeinsamen Lesarten von VPg mit fl kann man bereits an dieser Stelle sicher sagen, daß der Druck von 1562 nicht als Vorlage für die Edition diente. Die Vorlage muß vielmehr g gewesen sein. Das belegen bereits die Lesarten, die ausschließlich g und fl gemeinsam haben (z. B. Z. 19, 30, 33, 47, 59).27

4.1.3 Otfrid als »testis veritatis« Flacius stellt dem Druck des Liutbertbriefes einen kurzen einführenden Abschnitt voran, in dem er den »testis« »Otfridus Vvissenburgensis« und sein Werk kurz charakterisiert sowie dessen Bedeutung für den Gesamtkontext des Catalogus näher erläutert. Otfrid ist in der aus heutiger Sicht nicht immer konsistenten Chronologie des Catalogus eingeordnet zwischen Herzog Salomo von der Bretagne (857–874) und Otto I. (936–973).28 Die grundlegenden Informationen, zeitliche Einordnung (»circa annum Do. 860«29) und Werktitel (»V. libros titulo Gratia«), referiert er nach den Otfridartikeln von Trithemius. Den von Trithemius herrührenden Titel des Evangelienbuchs »Gratia« macht er hier noch nicht fruchtbar im Sinne der lutherischen Gnadentheologie, wie dann in den beiden Vorreden zu seiner Ausgabe von 1571 (s. S. 147–149).30 Flacius betont wie Trithemius die schwere Verständlichkeit des althochdeutschen Textes mit dem Unterschied, daß er angibt, diese »libros«, d. h. eine (weitestgehend) vollständige Handschrift des Evangelienbuchs, immerhin aus eigener Anschauung zu kennen: »Vidi autem eos libros, et lingua adeo a præsenti uariat, ut a nemine Germano nunc quidem intelligi queat, imo uix pauca uerba possunt percipi [...].«

Die Hinweise darauf, daß Otfrid ein Schüler des Hrabanus Maurus gewesen sei und er sein Werk dem Mainzer Erzbischof Liutbert zur Approbation vorgelegt habe, entnahm er dagegen dem Text der Widmung selbst. Die Verbindung zu

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Zu weiteren Argumenten s. Kap. 4.2.3. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 145f. Dieses Zitat und alle folgenden aus der zweiten Auflage des Catalogus, S. 158. Gearbeitet habe ich vor allem mit dem Exemplar der UB München (2o H. eccl. 104). Vgl. zur Bedeutung der Kataloge von Trithemius für Flacius grundsätzlich Dieter Mertens: Früher Buchdruck und Historiographie. Zur Rezeption historiographischer Literatur im Bürgertum des deutschen Spätmittelalters beim Übergang vom Schreiben zum Drucken. In: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hg. von Bernd Moeller, Hans Patze und Karl Stackmann. Göttingen 1983 (Abh. d. Akad. d. Wiss. Göttingen, Phil.-hist. Kl. 3. Folge 137), S. 83–111, hier S. 110.

131 Liutbert ist für Flacius offenbar ein Indiz für die weite Verbreitung des Evangelienbuchs. Denn er schließt daran in enger kausaler Verknüpfung die Aussage an, daß man in beinahe allen Bibliotheken Fragmente seines Werkes finden könne: Fuit uero discipulus magni illius Rabani, et uersio eius etiam Luitberto [!] Episcopo Moguntino comprobata est. Nam pene in omnib[us] bibliothecis eius fragmenta reperiuntur.

Daß diese Bemerkung nicht nur aus dem apologetischen Kontext des Catalogus heraus zu interpretieren ist, sondern höchstwahrscheinlich als Beleg zu lesen ist für die tatsächliche, vermittelte und/oder direkte Kenntnis von Fragmenten des Evangelienbuchs, habe ich bereits versucht zu zeigen (s. Kap. 2.4.1). Entscheidend für den Zusammenhang des Catalogus scheint mir jedoch viel mehr zu sein, daß Flacius die Textüberlieferung auf der Grundlage von Autopsie überhaupt argumentativ in seine Darstellung einbindet. Dies unterscheidet ihn grundsätzlich von der Präsentation der Fakten in den Katalogen von Trithemius und nähert ihn der Zugangsweise von Beatus Rhenanus in den Res Germanicae an (s. S. 149f.). Im Zentrum seines Vorspanns steht der Verweis auf die exzeptionelle Leistung Otfrids, den Bibeltext in die Volkssprache übertragen zu haben, obwohl die deutsche Sprache des 9. Jahrhunderts noch nicht in der Weise kultiviert gewesen sei, daß man sie ohne weiteres zur Verschriftlichung, insbesondere gelehrter Sachverhalte, hätte verwenden können wie das Lateinische: Illud autem ibi obseruandum est ante annos 700 (tot enim sunt a scripto eo libro) non esse habitum nefas, sed potius summam pietatem uulgari lingua, idque rhythmis sacras literas uertere. Cum quidem Germanica lingua tunc multo minus apta esset ad scriptionem, aut aliquam omnino eruditionem & acutiorem rerum tractationem, quam nunc Dei beneficio sit, cum est excultissima & non adeo multo minus tractabilis, & ad omnia exprimenda idonea, quam Latina.

Flacius’ wichtigstes Argument für die Aufnahme Otfrids in den Catalogus besteht darin, daß er die Legitimität volkssprachiger Bibelübersetzungen aus ihrer jahrhundertealten Tradition heraus erweist. Die Aktualisierung und der Transfer dieses Sachverhaltes auf die reformatorischen und gegenreformatorischen Bibelübersetzungen liegen so nahe, daß sie nicht einmal der Erwähnung bedürfen.31 Das Interesse an Otfrids Evangelienbuch sei erst in dem Moment abgerissen, als sich die deutsche Sprache so veränderte, daß man es nicht mehr verstehen konnte und für wertlos hielt: »Verum cum postea paulatim lingua Germanica mutata est, cœpit negligi, tanque non intellectum & ideo inutile opus.«32

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Vgl. zu diesem Hintergrund im Überblick Waldtraut Ingeborg Sauer-Gepper: Bibelübersetzungen III/1. In: TRE 6 (1980), S. 228–246, hier S. 239–244. Daß er hier einen Terminus für solche Bücher verwendet, die zur Makulierung bestimmt waren, habe ich bereits ausgeführt (s. S. 59).

132 Worin Flacius darüber hinaus das spezifisch protestantische Potential in Otfrids Schreiben sieht, führt er nicht näher aus.33 Er beläßt es an dieser Stelle bei dem allgemein gehaltenen Verweis darauf, daß der Text vieles enthalte, was den Fehlern und Mißbräuchen der gegenwärtigen Päpste fernstehe: »Haud dubiè autem in ipso textu multa dicit, alienissima à præsentib. Paparum errorib. & abusibus.« Die Tatsache, daß Flacius Otfrid entschieden als einen Autor würdigt, der sich der Volkssprache bedient, aber gerade das einzige lateinische Textstück aus dem Evangelienbuch als Beispiel anführt, verwundert nicht. Die Gründe hierfür liegen zum einen darin, daß Otfrid sich fast ausschließlich in dem Schreiben an Liutbert und – unter Verwendung der Volkssprache – in Kapitel I, 1 (Cur scriptor hunc librum theotisce dictaverit) zum Inhalt seines Werkes sowie den sprachlichen und poetologischen Bedingungen seiner Vorgehensweise äußert. Von größerer Bedeutung wird aber sein, daß Flacius die intendierten Rezipienten des Catalogus mit einem lateinischen Text adäquater und direkter ansprechen konnte als in der »lingua uernacula« des 9. Jahrhunderts.34 Erst Flacius macht mit diesem Schritt das »opus inutile« wieder zu einem Text, mit dem eine Auseinandersetzung lohnend sein könnte. In dieser ersten Etappe seiner Beschäftigung mit dem Evangelienbuch setzt Flacius ausschließlich auf das Argument der Legitimität volkssprachiger Bibelübersetzungen. Das Spektrum der Argumente und die Zugangsweise zum Evangelienbuch überhaupt verschieben und erweitern sich erheblich im Zusammenhang der Edition des Textes in der Ausgabe von 1571.

4.2. Die Ausgabe des Evangelienbuchs (Basel 1571) 4.2.1 Zur Entstehungsgeschichte und zum Drucker/Verleger Ein typisches Element der editorischen Tätigkeit von Flacius besteht darin, daß er Autoren, die er bereits im Rahmen des Catalogus behandelte, zu einem späteren Zeitpunkt für umfangreichere Editionen wiederaufgriff.35 Daß eine solche Vorgehensweise auch für Otfrids Evangelienbuch bereits von vornherein intendiert war, ist allerdings unwahrscheinlich. Flacius meint zwar in der lateinischen Vorrede, er habe seit langer Zeit versucht, das Evangelienbuch zum Druck zu bringen. Die Voraussetzung dafür, daß Flacius in diesem Zusammenhang selbst

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Auch die Marginalien, die der deutschen Übersetzung des Catalogus (s. Anm. 14) beigegeben sind, helfen hier nicht weiter, da sie ausschließlich den Inhalt von Ad Liutbertum stichwortartig benennen. Das gleiche gilt grundsätzlich für die Heliandpräfation mit Versus (im Catalogus auf S. 93f.), wobei Flacius sich hier auf den Abdruck der Texte ohne erläuternden Vorspann beschränkt. Belegt ist auch der umgekehrte Weg, von einer selbständigen Edition in den Catalogus. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 116f.

133 aktiv wurde, bilden aber die gescheiterten Bemühungen von Achill Pirmin Gasser zusammen mit Konrad Gesner (s. Kap. 3.1.1). Die Vorgeschichte der Edition des Evangelienbuchs durch Flacius selbst ist nur noch auf der Basis von Hypothesen rekonstruierbar. Im August 1563 sandte Gesner die Abschrift an Gasser zurück, auf deren Grundlage sie ihr Projekt verwirklichen wollten. Es ist möglich, daß Gasser sich zunächst alleine weiter um die Drucklegung bemühte. Jedenfalls muß er sich in den Jahren zwischen 1563 und 1571 mit der Bitte um Hilfe an Flacius gewandt haben. Ob Flacius, dem man zu Recht ein »bewundernswertes Talent zur Sponsorengewinnung«36 zuschreibt, die Veröffentlichung unmittelbar oder erst nach längeren Bemühungen gelang, hängt davon ab, ob er die Initiative eher früher, also direkt nach dem Scheitern von Gassers und Gesners Bemühungen, ergriff oder eher später, in der Zeit kurz vor oder erst im Jahr 1571. Die Entscheidung dieser Frage muß freilich offenbleiben (s. S. 50). Auch über biographische Zusammenhänge kommt man hier zu keinen weiterführenden Erkenntnissen, nicht zuletzt deshalb, weil die letzten Lebensjahre von Flacius noch weitestgehend unerforscht sind.37 Flacius lebte von 1567–1573 in Straßburg. Dort schloß er im Sommer 1571 die Vorreden zur Otfridausgabe ab (»Argentinæ [...] 1571 Calendis Septembribus«38). Durch einen bislang unbekannt gebliebenen Brief von Flacius an den Basler Juristen Basilius Amerbach (1535–1591), auf den bereits Mirković aufmerksam machte, erhält man nun immerhin einen begrenzten Einblick.39 Er dokumentiert die Bemühungen von Flacius um die Edition unmittelbar vor ihrem Erscheinen im Herbst / Winter 1571. Der Brief ist datiert auf den 20. April [1571].40 Flacius bittet Amerbach darin offenbar zum wiederholten Male (»oraui sępius«) um Mithilfe bei der Drucklegung eines nicht genauer bezeichneten deutschsprachi-

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Hellgardt (Anm. 18), S. 280. Vgl. F. Wilhelm Emil Roth: Des M. Flacius Illyricus Beziehungen zu den Städten Straßburg und Lindau. 1570–1572. In: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 54 (1912), S. 244–255. Preger II (Anm. 5), S. 296–309. Der angekündigte zweite Band der FlaciusMonographie von Oliver Olson könnte eventuell den Blick auf weitere Zusammenhänge ermöglichen. S. Anm. 3. Lateinische Vorrede, Bl. β3r (S. *21). Vgl. auch das Erscheinungsjahr auf dem Titel Bl. α1r (S. *1). Vgl. zu Amerbach Rochus von Liliencron: Amerbach, Basilius. In: ADB 1 (1875), S. 397 und Alfred Hartmann: Amerbach. In: NDB 1 (1953), S. 246–248. Eine Edition der gesamten Korrespondenz von Flacius ist ein dringendes Desiderat der Forschung. Sie könnte im besten Fall von einer interdisziplinär ausgerichteten Forschergruppe projektiert und durchgeführt werden. Martina Hartmann hat in ihrer Arbeit die grundlegenden Voraussetzungen dafür geschaffen. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 53–79. Die Datierung auf das Jahr 1571 ergibt sich aus der Notierung des Empfangsdatums, wohl durch Amerbach selbst. Bl. 114v: »Clariss. Uiro D. D. Basilio Ammerbachio suo Domino & amico colendo. Basileæ.« Darunter nicht von der Hand des Flacius: »31. April. 1571.« Hartmann meint irrtümlicherweise, daß er »wohl an den Kirchenvorsteher Simon Sulzer in Basel« gerichtet sei. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 77 mit Anm. 166.

134 gen Buches: »ueteris illius germanici libri«.41 Amerbach möge bei einem gewissen Grynäus, dem Flacius die Abnahme von 200 Exemplaren versprochen habe, seine »authoritas et solicitatio« spielen lassen und sich auf diese Weise für den Druck einsetzen. Die Veröffentlichung des Evangelienbuchs komme ebenso seinen gelehrten Interessen entgegen: »pro tuo maiorumque tuorum studio & amore tum patrię tum & rei literarię omnisque uirtutis«. Flacius legt Amerbach gegenüber auch seine eigenen Motive dar.42 Er wolle nicht seinen eigenen Ruhm damit befördern, sondern Zeugnis ablegen vom hohen Alter und Ruhm der Deutschen. Vor allem stelle das Evangelienbuch einen Beleg für laikale Kenntnis und Auseinandersetzung mit den heiligen Schriften dar: »omnis lingua laudare debeat Deum«. Flacius greift damit ein Argument auf, das bereits in seinem einleitenden Abschnitt zu Ad Liutbertum im Catalogus eine zentrale Rolle eingenommen hatte. Ich biete im folgenden eine vollständige Transkription dieses Briefes, der das einzige, bislang nicht zugängliche Dokument mit Informationen zur Entstehungsgeschichte der Otfridedition durch Flacius darstellt.43 Salus Clarissime & amicissime uir, oraui sępius, uti pro tuo maiorumque tuorum studio & amore tum patrię tum & rei literarię omnisque uirtutis sedulo promoueres ueteris illius germanici libri impressionem. Nunc etiam tanto magis idem obsecro, quo maior spes potiundi optato euentu affulget. Locutus enim sum coram cum domino Gryneo, qui mihi bonam spem fecit, cui etiam promisi me ducenta exemplaria empturum: ut plane non dubitem, quod, si accesserit tua quoque authoritas et solicitatio, facile sim obtenturus quod tantopere cupio, non certe mei alicuius commodi aut gloriolę, sed uetustatis & glorię Germanorum causa, imprimis uero, ut testatum contra Antichristum fiat semper existimatum creditumque esse in Ecclesia ante hasce pharaonicas Antichristi minas & tenebras, pietissimum utilissimumque esse, omnes etiam idiotas in sacrarum literarum sedulo cognitione ac meditatione uersari, nec esse nefas omni lingua mysteria Dei cognosci, cum, teste psalmo, omnis lingua laudare debeat Deum, omnium gentium & linguarum conditorem. Quare amabo praesto id officij patrię & pietati Christoque ipsi nunc instar egeni mendicique oberantis & quasi opem stipemque ab hominibus postulantis, ut ille uicissim in extrema die sese tibi gratum esse profiteatur praestetque iuxta suam promissionem. Vale, 20. April. cura ut quamprimum scio quod sperandum sit. Tuus Illyr[icus].

Eine Frage bedarf noch der Klärung. Wer ist der im Brief angesprochene Grynäus, mit dem Flacius persönlich gesprochen haben will und der ihm Hoffnungen auf die Veröffentlichung macht?44 Der Inhalt des Briefes setzt an dieser Stelle die Verbindung einer Person dieses Namens mit einer Basler Druckerei in dem fraglichen Zeitraum voraus. Der biographische Konnex läßt sich für keine der beiden prominenten Basler Personen mit Namen Grynäus unmittelbar herstellen: Infrage kommen zunächst Johann Jakob (1540–1617) Grynäus, der 1575 als Professor nach Basel kommt, und Simon Grynäus, der

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Daß es sich dabei um etwas anderes als das Evangelienbuch handelt, ist äußerst unwahrscheinlich. Den Zusammenhang damit stellte zuerst Hartmann (Anm. 4), S. 77 her. Die Formulierungen des Briefes ähneln teilweise denen der Vorrede zur Ausgabe. Basel, UB, Fr. Gr. 9, Bl. 144rv. Alle Abkürzungen – außer & – sind aufgelöst. Die Ankündigung der Abnahme von 200 Exemplaren setzt voraus, daß Flacius zu diesem Zeitpunkt bereits Adolph Hermann Riedesel als Gönner gewinnen konnte. S. S. 136f.

135 1539–1542 in Basel Flacius’ Griechischlehrer war. Er stirbt allerdings bereits 1541 an der Pest.45 Eine Klärung der Frage könnte sich zunächst dennoch über ihn und seine Verbindung zu dem bedeutendsten Verleger der Werke von Flacius, Johannes Oporinus (1507–1568) ergeben.46 Oporinus verkaufte 1567 nicht zuletzt unter dem Druck seines Schwagers, Basilius Amerbach, seine Druckerei an ein Konsortium, das aus Balthasar Hahn und den Brüdern Polykarp und Hieronymus Gemusaeus bestand.47 Flacius ließ auch dem Tod Oporins bis zu seinem Lebensende bei ihnen drucken.48 Bei dem im Brief angesprochenen Grynäus kann es sich also um den Sohn des genannten Simon handeln, Samuel Grynäus (1539–1599).49 Samuel stand in enger Verbindung zu Basilius Amerbach, dem Adressaten des Schreibens, und folgte ihm als Stadtkonsulent und Syndikus in Basel nach.50 Dazu kommt, daß Samuel von einem Geschäftskollegen Oporins, Thomas Platter, mehrere Jahre lang unterrichtet wurde.51 Die Verbindung Samuels zu Amerbach sowie zu Oporinus und seinen Erben ist damit gegeben. Auf der Grundlage des Briefes und der rekonstruierbaren biographischen Zusammenhänge würde somit alles darauf hindeuten, daß der Druck des Evangelienbuches in Basel durch die Nachfolger von Johannes Oporinus erfolgte. Frank Hieronymus ist es nun aber gelungen, den Drucker/Verleger anhand typographischer Merkmale des Drucks selbst, nämlich der Initialen, zweifelsfrei

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Vgl. Kurt Guggisberg: Grynäus. In: NDB 7 (1966), S. 241f. Vgl. Preger I (Anm. 5), S. 16, S. 19 und Olson (Anm. 3), S. 36. Vgl. Martin Steinmann: Johannes Oporinus. Ein Basler Buchdrucker um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Basel – Stuttgart 1967 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 105). Ders.: Aus dem Briefwechsel des Basler Druckers Johannes Oporinus. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 69 (1969), S. 103–203, zu seiner Verbindung mit Amerbach S. 186–192. Vgl. Steinmann (1967, Anm. 46), S. 112–114. Vgl. auch Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden 2007 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 51), S. 78–80. Beleg dafür ist u. a. die über den Tod von Oporin hinaus weitergeführte Drucklegung der Magdeburger Centurien. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 78. Vgl. Guggisberg (Anm.45), S. 242. Den Hinweis verdanke ich Andreas Waschbüsch. Vgl. zur belegbaren Korrespondenz Frank Hieronymus: Briefe der UB als Quellen der Buchdruck- und Wissenschaftsgeschichte. Ein Auswahlverzeichnis als Folge von 25 Jahren Ausstellungen in der UB. Beiheft zu: Für alle(s) offen. Bibliotheken auf neuen Wegen. FS Dr. F. Gröbli. Basel o. J. [ca. 1995], S. 10 und 42. Vgl. auch Die Amerbachkorrespondenz. Im Auftrag der Kommission für die öffentliche Bibliothek der Universität Basel bearbeitet und hg. von Alfred Hartmann. Bd. 10: Die Briefe aus den Jahren 1556–1558. Auf Grund des von Alfred Hartmann gesammelten Materials bearbeitet und hg. von Beat Rudolf Jenny. Basel 1991 / 1995, Register s. v. Grynäus, Samuel. Vgl. dazu die Vita Samuelis Grynaei. In: Melchior Adam: Vitæ Germanorum iureconsultorum et politicorum, qui superiori seculo et quod excurrit floruerunt. Heidelberg 1620, S. 337f. Vgl. auch den Artikel zu Samuel Grynäus. In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste Bd. 11 (1735), Sp. 1157f.

136 zu identifizieren.52 Es handelt sich um den Basler Heinrich Petri (1508–1579).53 Auch Petri stand in den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts in Verbindung zu Oporinus und vor allem zu einem weiteren Verleger der Werke von Flacius, Petrus Perna (1520–1582).54 Der Kontakt von Flacius zu Petri scheint erst wenige Jahre vor der Otfridausgabe zustande gekommen zu sein. Für 1569 ist eine Zusammenarbeit im Kontext der Herausgabe der Monumenta sanctorum patrum orthodoxographa (Basel 1569) belegt, eine monumentale Sammlung von Texten frühchristlicher und mittelalterlicher Autoren, an der Flacius mitarbeitete.55 Flacius steuerte zu den Monumenta eine Sammlung der Briefe, Gedichte und Heiligenviten des Ennodius bei. Der Herausgeber der Sammlung war der schon genannte Johann Jakob Grynäus, der in dieser Zeit als Superintendent in Rötteln ebenfalls in geographischer Nähe zu Flacius (damals in Straßburg) lebte. Daraus ergibt sich, daß Flacius sich in seinem Schreiben an Amerbach auf ein Gespräch mit diesem Grynäus bezieht. Die Rolle Amerbachs läßt sich für diese Konstellation nicht weiter präzisieren.

4.2.2 Zu Inhalt und Einrichtung Der oktavformatige Druck von 1571 zerfällt formal-drucktechnisch und inhaltlich in zwei zu unterscheidende Teile. Der erste umfaßt zunächst auf Bl. α1r (S. *1) den folgenden Titel:56 OTFRIDI / EVANGELIORUM / LIBER: / ueterum Germanorum grammaticæ, poeseos, theologiæ, præclarum monimentum. / Euangelien Buch / in altfrenkischen reimen / durch Otfriden von Weissenburg / Münch zu S. Gallen / vor sibenhundert jaren beschriben: / Jetzt aber mit gunst deß gestrengen ehrenuesten heren Adolphen Herman Riedesel / Erbmarschalck zu Hessen / der alten Teutschen spraach und gottsforcht zuerlernen / in truck verfertiget. BASILEÆ. M. D. LXXI.

Auf Bl. α1v (S. *2) folgt das Wappen des Geldgebers der Ausgabe, des bereits im Titel erwähnten Adolph Hermann Riedesel (1528–1582), an den Flacius auch die beiden Widmungsvorreden richtet. Riedesel war ein entschiedener Par-

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Frank Hieronymus: 1488 Petri – Schwabe 1988. Eine traditionsreiche Basler Offizin im Spiegel ihrer frühen Drucke. Zweiter Halbband. Basel 1997, S. 1433–1438 (Nr. 520), hier S. 1433 mit Anm. 1. Vgl. Reske (Anm. 47), S. 70f. Vgl. Reske (Anm. 47), S. 82f und Hartmann (Anm. 4), S. 75–79. Bei Perna und Theobald Dietrich gab Flacius seine Glossa compendiaria in novum testamentum (1570) heraus. Vgl. Hieronymus (Anm. 52), S. 1438 und S. 962–965 (Nr. 330). Eigenständige Werke von Flacius scheint er nicht herausgegeben zu haben. Ich beziehe mich hier und im folgenden immer auf die Foliierung nach dem Druck und die von Ernst Hellgardt (Anm. 18), S. 267 eingeführte, mit Asterisk versehene Seitenzählung. Qualitätvolle Abbildungen des Titelblattes, des Wappens, des Anfangs der lateinischen Vorrede, des Beginns von I,1 sowie der Fuldaer Beichte finden sich in Hieronymus (Anm. 52), S. 1433–1437, Abb. 520-1–520-4.

137 teigänger von Flacius, der ihn dauerhaft materiell und persönlich unterstützte.57 Erst durch ihn wurden Flacius die Handschriften der Bibliothek des Klosters Fulda zugänglich.58 Flacius widmete ihm außer dem Otfrid noch die zehnte der Magdeburger Centurien (1567) und die Schrift Gnîqi seauton (1568). In der lateinischen Vorrede spricht Flacius davon, daß Riedesel ihm eine jüngere und umfangreichere Handschrift als den Otfrid mit »ueteris Testamenti Historiæ« (Bl. β 1v, S. *18) vermittelt habe, die er zu einem späteren Zeitpunkt herausgeben wolle. Bei dieser bislang nicht identifizierten Handschrift handelt es sich um die thüringische Fortsetzung der Sächsischen Weltchronik.59 Am Anfang und am Ende der Vorreden wendet er sich jeweils direkt an Riedesel, der für Flacius den idealen, d. h. adeligen Rezipienten des Evangelienbuchs repräsentiert. Unter das Wappen stellt Flacius ein lateinisches Zitat mit den Versen 9,23f. aus Jeremias, durch das die Verdienste Riedesels ihre theologische Rückbindung erhalten.60 Wiederholt wird das Wappen auf der letzten (nicht paginierten) Seite der Ausgabe, hier ohne das alttestamentarische Prophetenwort. Es folgen auf den Titel und das Riedesel-Wappen als Eingangsstücke in der Ausgabe die folgenden Teile: a) eine lateinische, an Riedesel gerichtete Vorrede von Flacius (Bl. α2r – β3r [S. *3–*21]), b) eine deutsche, an Riedesel gerichtete Vorrede von Flacius (Bl. β3v – γ2v [S. *22–*36]), c) das anonyme »Urtheil eines hochgelehrten manns von dieser spraach« (Bl. γ3r – γ5r [S. *37–*41]), d) ein Exzerpt aus den Res Germanicae (Bl. γ5v – γ6v [S. *42–*46]), e) der Otfridartikel aus De scriptoribus ecclesiasticis (Bl. γ7rv [S. *47f.]), f) ein Glossar unter der Überschrift »Erklerung der alten Teutschen worten« (Bl. δ1r– δ7r [S. *49–*61]), g) eine Ankündigung der folgenden drei Stücke (Bl. d7r [S. *61]):

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Zu Riedesel vgl. Eduard Edwin Becker: Die Riedesel zu Eisenbach. Geschichte des Geschlechts der Freiherrn zu Eisenbach, Erbmarschälle zu Hessen. 3 Bde. Offenbach 1923, 1924 / 1927. Vgl. Martina Hartmann: »Mit ungeheurer Mühe habe ich den Mönchen in Fulda einige Codices abgerungen«. Matthias Flacius Illyricus sucht Quellen für die erste protestantische Kirchengeschichte. In: Fuldaer Geschichtsblätter. Zeitschrift des Fuldaer Geschichtsvereins 79 (2003), S. 5–45, hier S. 31–33. Der Codex Bremen, SUB, msb 0044-03 (alte Signatur: lat. b 44 c) war Teil der flacianischen Bibliothek.Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 221f. Vgl. zur Handschrift Irene Stahl: Katalog der mittelalterlichen Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. Wiesbaden 2004 (Die Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen 1), S. 142f. Ier. 9,23f.: »Hæc dicit Dominus: Non glorietur sapiens in sapientia sua, & non glorietur fortis in fortitudine sua, & no[n] glorietur diues in diuitiis suis: sed in hoc glorietur qui gloriatur scire & nosse me quia ego sum Dominus qui facio misericordiam & iudicium & iustitiam in terra. Hæc enim placent mihi ait Dominus.«

138 h) der Text der Fuldaer Beichte mit interlinearer Übersetzung (Bl. δ7v – ε1r [S. *62–*65]), i) Otfrids Widmung an Salomo mit synoptischer Übersetzung (Bl. ε1v – ε5r[S. * 66–*73]), j) Otfrids Widmung an Ludwig mit synoptischer Übersetzung (Bl. ε5v – ζ4r[S. *74–*87]) und k) eine leere Seite (Bl. ζ4v [S. *88]). Der gesamte, auf die Edition hinführende Teil besteht formal aus fünf achtblättrigen Lagen, die von α–ε durchgezählt sind. Die Lagenbezeichnung ist nur jeweils auf den Bl. 1 bis 5 verzeichnet. Innerhalb der Lagenbezeichnung sind die Bl. 2 bis 5 zusätzlich mit einer Foliierung versehen. Daran schließt eine sechste, vierblättrige Lage an (ζ). Der zweite Teil, der das lateinische Widmungsschreiben an Liutbert und den althochdeutschen Text des Evangelienbuchs enthält, ist im Unterschied zu diesem ersten Teil des Drucks mit einer Paginierung am oberen Seitenrand versehen (1–574). Sie wird zusätzlich ergänzt durch eine Zählung der achtblättrigen Lagen, die mit den Buchstaben a–z und A–N durchgezählt sind.

4.2.3 Zum Verhältnis des Drucks zu seinen Vorlagen Die unmittelbare Vorlage für den Druck (= im folgenden fl) war – wie bereits mehrfach erwähnt und vorausgesetzt – die Abschrift, die Achill Pirmin Gasser 1560 nach der Heidelberger Handschrift vom Text des Evangelienbuchs anfertigte.61 Die Begründung dafür liefere ich an dieser Stelle nach und diskutiere das Verhältnis von fl zu seinen Vorlagen.62 Verhältnis der Abschrift (1560) zum Druck (1571) Nach IV, 23, 264 (S. 572) steht in fl die Bemerkung: »Desunt uersus aliquot istius Capitis, simul ac duo integra capitula, uidelicet XXIIII & XXV quæ sunt conclusio totius Voluminis.« Dieser Hinweis findet sich in identischem Wortlaut auch in g auf Bl. 169r in roter Tinte von der Hand Gassers. Dazu kommen drei weitere textuelle Merkmale, in denen fl und g übereinstimmen, und die sich nicht aus einer mittelalterlichen Handschrift herleiten lassen. Auf Bl. 10v steht zu I, 2, 5–10 in g die vertikal eingetragene Randbemerkung »propositio operis«, die in der gleichen Form auch in fl übernommen wurde (S. 23). Diese Marginalie ist eine von zwei kurzen Kommentierungen Gassers zum Text des Evangelienbuchs.63 Die zweite ist eine erläuternde Bemerkung zu dem graphisch ungewöhnlichen althochdeutschen Wort »unuunna«. Gasser vermerkt am

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Zur Abhängigkeit g – P s. S. 77–79. Vgl. zur Abhängigkeit von g – fl bereits ausführlich Hellgardt (Anm. 18), S. 271–273. Diese erste findet sich aber nicht – wie Hellgardt (Anm. 18), S. 271, Anm. 21 angibt – auch in V.

139 unteren Seitenrand: »sic hodie scribitur unwunna« (IV, 7, 35, g: Bl. 111r, fl: S. 368). Außerdem hat der Druck auf S. 495 am Rand ein Paragraphenzeichen, das sich auch in g (Bl. 147r) findet. Frederik Rostgaard machte als erster auf ein weiteres Merkmal in g aufmerksam, das die Rolle der Abschrift als Druckvorlage bestätigt: »in singulis paginis operarum notæ apparent, ex quibus certissime colligitur hoc exemplar typographis Basileensibus inservisse.«64 Damit meint er die zu Ad Liutbertum (Bl. 3r–5v) und wieder ab dem Kapitelverzeichnis zu Buch I (Bl. 7r) bis zum Ende der Abschrift (Bl. 169r) auf jeder Seite mit Rötel eingetragenen, auf fl verweisenden Seitenzahlen, Lagenbezeichnungen und Seitenzahlen innerhalb der Lage. Zusätzlich ist durch Unterstreichung des jeweils ersten Wortes des Anverses in der Abschrift der Seitenumbruch gekennzeichnet. Bis Bl. 9v stimmen die Eintragungen genau mit dem Umbruch des Druckes überein. Danach weichen sie immer wieder geringfügig vom Druck ab. Die Anweisungen in g und fl zählen am Ende übereinstimmend 574 Seiten. Die Funktion dieser Eintragungen besteht aus Sicht des Setzers darin, mit ihrer Hilfe den Umfang des Druckes vorausberechnen zu können. Zusätzlich boten sie eine Orientierungshilfe bei der Korrektur.65 Die genannten Elemente sichern jedes für sich und zusammengenommen die direkte Abhängigkeit des Druckes zur Abschrift Gassers. Weitere Vorlagen Aus den mit Rötel inserierten Seitenzahlen und Umbrüchen ergibt sich, daß Ad Liutbertum nach g gedruckt wurde.66 Darauf lassen auch die gemeinsamen Lesarten von g mit fl im Druck des Catalogus schließen (s. S. 129f.). Wie verhält sich dies mit den anderen beiden Widmungszuschriften? g und fl differieren im Textbestand an einer Stelle: Die in g fehlenden V. 1– 75 von Ad Ludovicum sind in fl vorhanden. Sie müssen von Flacius aus einer anderen Vorlage ergänzt worden sein. Dazu ist zunächst folgendes zu sagen: Zu den in der Abschrift Gassers vorhandenen V. 76–96 aus Ad Ludovicum und zur gesamten Zuschrift an Salomo fehlen die Hinweise auf die Seitenzahlen, Lagen und Umbrüche des Drucks. Diese beiden Zuschriften finden sich darüber hinaus nicht im paginierten Teil des Drucks, sondern in dem mit einer separaten Lagenzählung versehenen, wohl nachträglich vorgesetzten, einführenden Teil (s. S. 137f.). Ich schließe daraus, daß beide vollständig aus einer anderen, abschriftlich vorliegenden Vorlage gedruckt wurden. Als Argument dafür läßt sich anführen, daß dieser einführende Teil mit 88 Seiten ziemlich umfangreich ist und vom Setzer für den Druck eingerichtet werden mußte. Dazu kommt speziell, daß Flacius nicht nur den althochdeutschen Text der beiden Widmungen druckt, sondern ihnen synoptisch angelegte Übersetzungen zur Seite stellt. Daß

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Frederik Rostgaard: Emendationes Otfridianæ. In: Johann Georg Eccart: Leges Francorum Salicæ et Ripuariorum. Frankfurt – Leipzig 1720, S. 286. Vgl. Janota (Anm. 20), S. 128f. und Hellgardt (Anm. 18), S. 273. Die Rötelinserate stimmen in diesem Abschnitt (Bl. 3r–5v, S. 1–10) genau mit fl überein.

140 sich der Druck für den althochdeutschen Text auf g stützt, für die Übersetzungen dagegen auf eine andere Vorlage, erscheint mir deshalb unwahrscheinlich, weil es relativ komplexe Operationen des Setzers voraussetzen würde. In g finden sich davon aber keinerlei Spuren.67 Ein weiteres Argument dafür bilden die Texte der Widmungen selbst. Sie unterscheiden sich von der Typologie ihrer Lesarten her so stark von g und P, daß ihre Verschreibungen nur durch die Zwischenstufe einer oder mehrerer Abschriften erklärbar sind.68 Es scheint mir plausibler, von einer gesonderten, heute verlorenen Vorlage für den Druck des Vorspanns auszugehen, die diesen in seiner Gesamtheit umfaßte. Die vollständige Salomowidmung und die V. 76–96 aus Ad Ludowicum könnten dabei ein abschriftliches Vermittlungsprodukt unmittelbar aus g darstellen. Für V. 1–75 der Ludwigwidmung kann man dies freilich nicht annehmen. Sie fehlen in P und g, müssen daher aus einer anderen Quelle stammen. Aber aus welcher? Hermann Menhardt ging davon aus, daß V als einziger heute vorliegender mittelalterlicher Überlieferungsträger der betreffenden Verse die Vorlage dafür gebildet haben müsse. Dies ist schon deswegen unwahrscheinlich, weil Menhardt die nicht belegbare Kenntnis von V durch Flacius zur Voraussetzung für seine Argumentation macht.69 Aus V hätte Flacius außerdem auch die am Ende von P und g fehlenden Textteile ergänzen können. Nach allem, was wir sagen können, besaß Flacius Kenntnis von P und möglicherweise auch von Fragmenten aus dem Codex Discissus (s. S. 49f. und S. 59). Daß ihm zufälligerweise der Anfang der Ludwigwidmung aus D in die Hände fiel, scheint mir unwahrscheinlich zu sein und von zu vielen, nicht belegbaren Voraussetzungen, die man dafür anstellen müßte, abhängig. Eine mögliche, aber ebenso nur durch Hypothesen vermittelbare Lösung für dieses Problem bietet meiner Meinung nach nur P. P war zum Zeitpunkt der Erwerbung durch Flacius uneingebunden. Die Blätter am Anfang und am Ende der Handschrift waren ungeschützt und daher besonders anfällig für Beschädigungen und Blattverlust. P könnte mithin zu dem Zeitpunkt der Erwerbung durch Flacius an ihrem Anfang noch unversehrt gewesen sein. Flacius selbst oder einer seiner Mitarbeiter könnte eine Abschrift

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Zu dem autographen Eintrag von Flacius auf Bl. 2r s. S. 141. Zu diesem Ergebnis komme ich nach einem Lesartenvergleich von g mit fl für Ad Ludovicum, V. 76–96 und Ad Salomonem, den ich hier nicht am Text selbst dokumentiere. Vgl. zur Typologie der abweichenden Lesungen die Ausführungen zu Ad Liutbertum (s. S. 129f.). Auch bereits Johann Kelle schloß nach einem Lesartenvergleich darauf, daß die Ludwigwidmung aus einer anderen Vorlage als g stammen müsse. Vgl. Kelle II (1869), S. XXI. Vgl. Hermann Menhardt: Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek. Bd. 1. Berlin 1960 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 13), S. 11. Vgl. in diesem Sinne auch Piper I (21882), S. 44]. Vgl. gegen diese Auffassung Otfrid von Weißenburg, Evangelienharmonie. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex Vindobonensis 2687 der Österreichischen Nationalbibliothek, eingeleitet von Hans Butzmann, Graz 1972 (Codices Selecti 30), S. 42f.

141 für den Catalogus testium veritatis und die Magedeburger Centurien von den drei eröffnenden Widmungsschreiben genommen haben, die Flacius in der Folge zur Verfügung standen.70 Das hieße in der Konsequenz: Der Verlust der ursprünglich ersten beiden Blätter aus P müßte auf dem Weg der Handschrift von Flacius zu Ulrich Fugger zwischen 1557 und 1560 eingetreten sein. Der Druck von 1571 wäre somit der einzige erhaltene Überlieferungsträger der V. 1–75 aus Ad Ludowicum nach den heute verlorenen Blättern der Heidelberger Handschrift, vermittelt durch eine oder mehrere Zwischenabschriften.71 Den Weg des Anfangs der Ludwigwidmung zum Druck stelle ich mir in stichwortartiger Benennung der Vermittlungsinstanzen also wie folgt vor: P – Abschrift – Zwischenabschrift für den Druck – fl. Mit diesem Erklärungsmodell kann die Ergänzung in fl am Anfang erklärt werden, unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Lücke am Ende in g und fl nicht ergänzt wurde. Es beschränkt sich außerdem auf die belegbare Kenntnis von Otfridhandschriften durch Flacius und kommt in diesem Bereich ohne weitere Hypothesen aus. Auch die Frage, wie Flacius mit der anzunehmenden Abschrift verfahren ist, kann nur auf Grundlage von Spekulationen beantwortet werden. Auf Bl. 2r in g (zu Ad Ludov. V. 76–96) steht am rechten oberen Seitenrand der autographe Vermerk von Flacius: »hoc fragmentum est in sequente carta integre«. Ich nehme an, daß dieser heute nur noch schwer lesbare Hinweis nicht für den Setzer gedacht war, sondern zunächst Flacius selbst als Hinweis auf die Vervollständigung von g aus einer anderen Quelle diente. Der Setzer erhielt wohl eine separate Vorlage, die den gesamten Vorspann zur Ausgabe mit den beiden althochdeutschen Widmungsvorreden beinhaltete, denen die frühneuhochdeutschen Übersetzungen bereits beigeordnet waren. Sie wird unmittelbar nach dem Druck makuliert worden sein. Die Abschrift Gassers dagegen ging nach der Drucklegung wieder an ihren Eigentümer zurück (s. S. 86).

4.2.4 Zur Textgestaltung72 Das gegenüber P und g kleinere Oktavformat des Druckes macht eine Gliederung der Otfridschen Langzeile in Halbverse mit Schrägstrich am Ende der ersten und Punkt am Ende jedes zweiten Halbverses notwendig. Die lateinische Kapitelüberschriften Otfrids sind in fl in ihrer ersten Zeile jeweils in vom althochdeutschen Text abgehobener Schrifttype und Schriftgrad gesetzt. Die Kapitelzählung steht neben den häufig eingefügten Stellenverweisen auf das

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Vgl. die Argumentation zu Ad Liutbertum. Einen eigenen textkritischen Wert können die Verse aufgrund ihrer Qualität aber nur sehr eingeschränkt beanspruchen. Vgl. Ullrich Bruchhold und Norbert Kössinger: Fremde Traditionen. Althochdeutsche Literatur in der frühen Neuzeit. In: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 9 (2004), S. 87–102, hier S. 90f.

142 Neue Testament. Signalfunktion haben die dreizeiligen Initialen an den Kapitelanfängen. Die Kopftitelzeilen sind wie die Stellenverweise und auch die Marginalien aus g übernommen. Nach dem Muster von g sind auch im Druck an allen Seitenumbrüchen Wortreklamanten inseriert. Der Druck zeichnet sich durch eine Tendenz zu Standardisierungen und Normierungen aus, die über diejenigen von g hinausgehen. Das gilt für die Groß- und Kleinschreibungen – jeder Halbvers beginnt mit Majuskel, Nomina sacra sind immer groß geschrieben – , die Interpunktion und die Auflösung oder Wiedereinführung von Abkürzungen. Es findet sich jedoch eine ganze Reihe von Versehen und Verlesungen, die auf den Setzer / Drucker zurückzuführen sind. Sie können legitimerweise nicht Flacius angelastet werden, wie das vor allem in Johann Kelles Otfridausgabe geschah. Er zweifelte grundsätzlich an den Deutschkenntnissen des »Ausländers« Flacius, obwohl er wußte, daß sich die Ausgabe in ihrem Textteil in erster Linie auf g stützt.73 Die Fehler zeigen allenfalls, wie schwer es für einen Drucker in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gewesen sein muß, einen althochdeutschen Text selbst aus einer sauberen und qualitativ ansprechenden Abschrift zu lesen und zu setzen.74

4.2.5 Zu den Paratexten75 Hermeneutischer Zugang und Interpretationskonzept Flacius beschränkte sich nicht darauf, die Ausgabe in der Form, wie er sie von Gasser übernommen hatte, abzudrucken, sondern machte ein »Werk« eigenen Charakters daraus. Dies erklärt die Tatsache, daß Gasser in den Vorreden nur am Rande erwähnt wird als Abschreiber und Verfasser des Wörterbuchs.76 In den Paratexten des ersten Teiles und den ihnen inhärenten philologischen, hermeneutischen und theologischen Aspekten kommt dies voll zum Tragen.

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Kelle I (1856), S. 107 und Kelle II (1869), S. XXI. Hinter seiner totalen Abneigung gegenüber Flacius stehen wohl latent konfessionelle Motive. Vgl. Hellgardt (Anm. 18), S. 272 mit Anm. 26. Zu den glänzenden Sprachkenntnissen von Flacius vgl. Olson (2002, Anm. 3), S. 18 und S. 42. Vgl. nun die differenzierenden Hinweise zu Flacius’ Kompetenzen in geschriebenem und gesprochenem Deutsch bei Andreas Waschbüsch: Alter Melanchthon. Muster theologischer Autoritätsstiftung bei Matthias Flacius Illyricus. Göttingen 2008 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 96), S. 50, Anm. 7 und S. 54, Anm. 30. Vgl. in diesem Sinn auch Hieronymus (Anm. 52), S. 1433. Terminologisch im Sinne von Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Mit einem Vorwort von Harald Weinrich. Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Frankfurt a. M. 2001 (stw 1510). (frz. OA 1987), hier S. 12f. Ich beziehe den Begriff auf alle Stücke von a) – k), inklusive Titel und Wappen, beschränke mich im folgenden aber auf Aspekte, die für meine Fragestellung besonders einschlägig sind. Die Annahme, daß sich hinter dem Verweis auf die große Mühe bei der Herausgabe eine Rechtfertigung eines »Prioritätsanspruchs« von Flacius gegenüber Gasser verbirgt, halte ich nach dem zur Handschriftenkenntnis Gesagten nicht mehr für unbedingt nötig. Vgl. Hellgardt (Anm. 18), S. 279.

143 Flacius entwirft in den beiden Vorreden ein »umfassendes kultur-, kirchenund sprachpolitisches Programm«77. In der lateinischen Vorrede zählt er insgesamt elf »causæ« auf, warum er das Evangelienbuch veröffentlichen wollte.78 Ich benenne sie verdeutscht in schlagwortartiger Form: 1. Nutzen vor Gott, 2. Altertumswert, 3. Tradition der Bibel in der Volkssprache, 4. Achtung vor der Sprache der Ahnen, 5. Edle Art der Deutschen, 6. Sprachverständnis aus Etymologien und Sprachgeschichte, 7. Heiliger Ursprung des Deutschen, 8. Beleg für einen reineren Zustand der Religion zu Otfrids Zeiten, 9. Christus triumphiert immer, 10. Nachahmung der Vorfahren in guten Dingen, 11. Tradition volkssprachiger Bibelbearbeitungen.79

Ulrich Seelbach vertritt mit Recht die Ansicht, daß diese Gründe »ein bemerkenswert ausgewogenes Bündel« für die Herausgabe des Evangelienbuchs darstellen, das sich nicht auf die »Doppelformel von Protestantismus und Patriotismus« reduzieren lasse. Seelbach konstatiert auch für die Bemühungen von Gasser und Gesner sowie die Kontakte zur anderen Konfession (z. B. Cassander) eine Unabhängigkeit ihres Interesses für die alten volkssprachigen Schriftzeugnisse von der konfessionellen Zugehörigkeit. Sicher sollte man die elf Gründe von Flacius nicht reduktionistisch auf seine »protestantische Grundhaltung«80 hin interpretieren, sondern jeden als einzelnen ernstnehmen und interpretieren.81 Dennoch bildet der protestantische Hintergrund als Matrix den großen Rahmen, innerhalb dessen Flacius freilich ein ausgefeiltes methodisches Instrumentarium bedient, das den Text historisch, philologisch und interpretatorisch erschließt. Bewußt zu halten ist dennoch, daß dieser Hintergrund, wie ich meine, an keiner Stelle völlig ausgeblendet bleibt. Die Frage jedoch, die hier im Vordergrund stehen soll, ist nicht die nach Argumenten für die Beschäftigung mit dem Evangelienbuch, sondern nach Aspekten philologischer Zugriffsweisen. Welche Antworten stellen die Vorreden diesbezüglich bereit? Ein geeigneter Ausgangspunkt für eine Antwort sind zuerst die verschiedenen Medien, die Flacius in Bezug setzt zum Evangelienbuch. In der zweiten »causa« hebt er ab auf die Bewunderung aller alten Dinge. Er nennt »lapides

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Hieronymus (Anm. 52), S. 1433. Die Verwendung des Begriffs »causa« bezieht ihre Bedeutung hier aus dem Kontext des römischen Rechts. Sie bezeichnet dort ein Motiv, um rechtliche Mittel geltend zu machen. Vgl. Wolfgang Gast: Causa. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik 2 (1994), Sp. 140– 148, hier Sp. 141. Im Anhang (Kap. 8.1) biete ich einen Abdruck der beiden Vorreden, mit einer Übersetzung der lateinischen Vorrede ins Deutsche. Vgl. Ulrich Seelbach: Mittelalterliche Literatur in der frühen Neuzeit. In: Das Berliner Modell der mittleren deutschen Literatur. Beiträge zur Tagung Kloster Zinna 29.09.– 01.10.1997. Hg. von Christiane Caemmerer, Walter Delabar, Jörg Jungmayr, Knut Kiesant. Amsterdam / Atlanta, GA 2000 (Chloe – Beihefte zum Daphnis 33), S. 89–115, die Zitate S. 99, S. 95. Seelbach schwächt sein eigenes Konzept allerdings dadurch etwas ab, daß auch er die »causæ« nicht einzeln bespricht, sondern nach thematischen Gesichtspunkten sortiert, zusammenzieht oder einzelne auch ganz wegläßt.

144 sculpti, uetera ædificia, arma, picturæ, numismata, alięue res« (Bl. α 2v, S. *4). Sein Vergleichspunkt sind also archäologische Quellen, die als »uetustissima monumenta« auf einer Ebene mit einem Codex, der Schrift beinhalte, zu sehen seien. Aber der Text, den Flacius aus einer schriftlichen Quelle bekannt macht, unterscheidet sich eben insofern kategorial von Inschriften, alten Gebäuden, Waffen, Bildern, Münzen u. a. als er die »sacra doctrina« beinhalte.82 Schriftliche Überlieferung wird von ihm in Konkurrenz gesetzt zu den im 16. Jahrhundert entstehenden archäologischen Studien der Humanisten, wobei textuelle Überlieferung in Buchform diesen aus seiner Sicht selbstverständlich überlegen ist.83 Er ist sich dabei der Tatsache bewußt, nicht der erste zu sein, der den Blick auf die volkssprachige Textüberlieferung lenkt. Dies kommt nicht zuletzt in seinen Referenzen auf Johannes Trithemius und Beatus Rhenanus zum Ausdruck (s. S. 149f.). Aber sein methodischer Zugriff ist weitaus elaborierter als der seiner Vorgänger. Er bleibt nicht wie Trithemius bei der Feststellung stehen, daß die Auseinandersetzung mit dem Evangelienbuch auf textueller Ebene schwer sei (s. S. 6), sondern begegnet den Schwierigkeiten auf einer grundsätzlichen Ebene mit hermeneutischen Mitteln: Vetustus sermo recentioribus obscurus est. Romani linteos libros, & annales Pontificum, vix intelligebant, teste Horatio; cum adhuc eadem lingua esset. Sic Germani nunc non intelligunt ea, quæ tempore Caroli Magni scripta sunt: cum quidem eadem sint vocabula. ut videre est in Otfridi Evangeliorum versione. Tota omnino illa vetustissima ratio dicendi; adeo etiam vivendi, est recentioribus & obscura, & difficilis.84

Dieses Zitat aus dem ersten Traktat des bibelhermeneutischen Hauptwerkes von Flacius, der Clavis scripturæ sacræ (Basel 1567), belegt nicht nur seine Beschäftigung mit Otfrid um das Jahr 1567. Flacius zählt hier über fünfzig »Causæ difficultatis« auf, die einer Beschäftigung mit der Heiligen Schrift im Wege stünden. Das hier genannte, an den römischen »libri lintei«, den »Annales pontificum« und Otfrids Evangelienbuch exemplifizierte hermeneutische Wissendefizit (»Vetustus sermo recentioribus obscurus est.«) besteht in der Wahrnehmung einer kulturellen und sprachgeschichtlichen Distanz zu den Quellen (»vetustissima ratio dicendi« vs. »recentiores«), im Fall des Evangelienbuchs zu den Zeiten Karls des Großen. Um diese Dunkelheit und Rätselhaftigkeit zu überbrücken, gibt es aber nach der flacianischen Clavis eine Reihe von »remedia«, »regulæ« und »præcepta«.

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Der Bezug auf humanistische Inschriftensammler u. a. ist evident. Vgl. dazu genauer Seelbach (Anm. 80), S. 97. Die Rückbindung von Flacius an seine protestantischen Interessen ist auch hier deutlich gegeben. Ähnlich führt er dies in der vierten »causa« aus, wo er auf Sprache, Denkmäler und Bücher, speziell deutsche, verweist. Vgl. Bl. a 3r, S. *5. Verwiesen sei hier nochmals auf die Leidenschaft von Flacius, Handschriften und Bücher zu sammeln. Der Aspekt der Bibliophilie ist in Verbindung zu sehen mit dem Prinzip des »sola scriptura«. Nach Matthias Flacius Illyricus: De ratione cognoscendi sacras litteras. Über den Erkenntnisgrund der Heiligen Schrift. Lateinisch-deutsche Parallelausgabe übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Lutz Geldsetzer. Düsseldorf 1968 (Instrumenta philosophica. Series hermeneutica III), S. 6–9.

145 Mit dem Wissen um diese grundlegende methodische Voraussetzung kann ich zur lateinischen Vorrede der Otfridausgabe zurückkehren, ein »remedium« aus der Clavis herausgreifen und seine Anwendung auf das Evangelienbuch prüfen: die »solida cognitio sermonis«.85 In der sechsten »causa« führt Flacius aus, daß niemand die deutsche Sprache ohne Kenntnis ihrer etymologischen Seite zur Gänze verstehen könne. Otfrid bietet ihm Anschauungsmaterial dafür. Als Beispiel dient ihm zunächst althochdeutsch »druhtin«. Nach Caesar seien die »sacerdotes Gallorum« Druiden genannt worden.86 Diese Etymologie belege auch das Evangelienbuch: [...] cum toties Trutin uocat Deum: ut Druidæ idem sint, quod diuini uiri, aut Dei ministri. Trutin autem ideo putant aliqui Deum dici, quod sit fidelis, uerax ac constans, sicut etiamnum ista locutio celebratur, Der trewe Gott /& Paulus inquit, Fidelis Deus. (Bl. α 5r, S. *9.)

Im Wörterbuch zur Ausgabe steht dazu der Eintrag: »Druhtin / Gott / der draut herr / der trew Gott« (Bl. β1r, S. *50). Die letzte Bedeutung fehlt in der Gasserschen Entwurfsfassung dazu (g: Bl. 173r). Flacius scheint sich also für die zweite von ihm angeführte, durch Paulus gestützte Etymologie entschieden zu haben.87 Ein zweites Beispiel aus dem Evangelienbuch, das als besondere Reverenz vor Riedesel, dem hessischen Erbmarschall, gelten kann, ist althochdeutsch »scalc«: Nomen Marsalck facile ex hoc libro intelliges significare ministrum equorum aut rei equestris, cum hinc animaduertes, Salch significare ministrum aut famulum, nempe ministrum Principis, qui rem equestrem, equitesque & aulam curet aut regat. (Bl. α 5r, S. *9.)

Das Kompositum »Marsalck« zeige die Ableitung aus der ursprünglichen Wurzel (bei Flacius entweder »thema« oder »radix«) »Salch«, seine frühere Bedeutung und seine semantische Verschiebung bis zur Gegenwart: »[...] & ex illo ueteri uocum usu præsens istarum uocum significatio ususque & abusus plenius cognosci potest.« (Bl. α 5r, S. *9.)88 Zu seinem Horizont gehört auch die Frage nach den ursprünglichen Sprachen.89 Die drei ersten, heiligen Sprachen, Griechisch, Lateinisch und Deutsch, bezögen ihre ursprünglichen Worte aus der adamitischen Sprache, dem Hebräi-

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Clavis (Anm. 84) S. 24f. Flacius beruft sich dafür auf Aventinus. Vgl. Johannes Turmair’s genannt Aventinus Annales Ducum Boiariæ. Hg. von Sigmund Rietzel. Bd. I (Buch I–IV). München 1882 (Sämtliche Werke. Hg. von d. Akad. d. Wiss. München I), S. 16. Vgl. 1 Kor 1,9. Im Wörterbuch steht wie in der Entwurfsfassung (g, Bl. 175v): Scalc / diener (Bl. b5r, S. *57). Zu Flacius als Hebräist vgl. Olson (2002, Anm. 3), S. 52–55. Er galt als »the best Hebraist of the second third of the sixteenth century«. Ebd. S. 54. Vgl. dazu zuletzt Tobias Bulang: Ursprachen und Sprachverwandtschaft in Johann Fischarts Geschichtklitterung. In: GRM N. F. 56 (2006), S. 127–148, hier S. 127–136. Grundlegend zum Thema ist Arno Borst: Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker. 4 Bde. München 1995 [zuerst 1957–1963], hier Bd. III/1.

146 schen. Als Beleg dafür führt er das Wort »Kerle« an.90 Zu früheren Zeiten und heute im Schwedischen und Sächsischen bezeichne es lediglich lateinisch »homo«. Erst im Blick auf das Hebräische erhält es eine »præclarissima Etymologia«: notat enim inuocatorem & cultorem Dei, quod idem est ac si dicas, hominem esse filium & imaginem Dei, quæ uera primariaque hominis ratio, natura ac forma est. (Bl. α 5v, S. *10.)

In den Zusammenhang von Sprachkenntnis und Sprachbeschreibung ist auch das anonyme Sprachgutachten zum Evangelienbuch einzuordnen (Bl. γ3r–γ5r, S. *37–*41). Es wird seit Rostgaard Gasser zugeschrieben. Es gibt aber, wie Ernst Hellgardt darlegt, auffällige inhaltliche Parallelen, freilich auch einen Widerspruch zu Gesners Mithridates.91 Die Frage, ob das Gutachten nicht den Beitrag Gesners selbst zur geplanten Ausgabe durch Gasser darstellt, ist noch nie näher geprüft worden. Das Verhältnis wäre dann im Vergleich zur Ausgabe der Euporista umgekehrt. Dort übernahm Gesner die Hauptverantwortung, und Gasser lieferte einen ›Gastbeitrag‹ dazu (s. S. 83). Inhaltlich geht das »Urtheil eines hochgelehrten manns von dieser spraach« von einer möglichst präzisen Einordnung der Sprache des Evangelienbuchs auf der Grundlage der Gegenwartssprache aus: Die Spraach diß Buchs ist weder Visentinisch / Westfalisch / noch Brabandisch / wie etlich achtent / sondern gwiß vnser hoch Teutsch / wie man damalen vom Bodensee an / zu beiden seiten deß Rheins / biß durch den Schwartzwald vnd Ellsaß hinab inn das Rhingew durch Alemannien geredt hat / vnd noch heutigs tags / doch vnderscheidenlich / von wegen vilerlei herrschafften vnnd frembder einwoner / pflegt zu reden / dann viel idiotismi vnd besondere nachklenck solcher landes spraach vnd w=rter / so andren Teutschen vngewon / ja vnuerstentlich / stets darinn gefunden / vnd bei vns vnder den vngewanderten leuten im außsprechen leicht abgemerckt m=gen werden [...]. (Bl. γ 3r, S. *37.)

Daß sich das Deutsch Otfrids stark vom Deutsch der Gegenwart unterscheidet, wird zum einen diachron mit der großen historischen Distanz, zum anderen damit begründet, daß »die Teutsch spraach nicht rein vnd eigentlich geschrieben hat m=gen werden.« (Bl. γ 3vf., S. 38f.). Das Problem der Verschriftlichung des Deutschen liege darin, daß der Unterschied zwischen Aussprache und Schrift von Otfrids »Frenckisch« besonders groß sei und sich zudem erst nach und nach Regeln für die Verschriftlichung etabliert hätten, wie Otfrid in seinem Schreiben an Liutbert ausführe. Dazu komme die Dominanz des Lateinischen in früheren Zeiten, was sich erst langsam seit dem 14. Jahrhundert und dann entscheidend mit Martin Luther geändert habe, dessen Beitrag zur Normierung einer neuhochdeutschen Einheitssprache besonders hervorgehoben wird:

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Im Evangelienbuch ist das Wort nicht belegt. Sein unmittelbarer Bezugspunkt ist hier: Johannes Avenarius: Liber Radicum seu Lexicon Ebraicum. Wittenberg 1568, S. 687. Vgl. Hellgardt (Anm. 18), S. 268 mit Anm. 6.

147 Dann vor jaren nichts rechts oder ansehenliches Teutsches in der gemein / sondern alle acta / brieflich vrkund / vrbar vnd dergleichen mehr / Latinisch aufzeichnet vnd beschriben sind worden. Vnd da man schon sich solches hernach (daz ist vnder Keiser Ludwigen dem IIII. ohngefahr vmm das jar Christi 1330 vnderstanden / vnd in den brauch / beuor in die Cantzleyen / zu bringen angefangen hat / sicht man doch vnderschidlich je von 50 jaren biß in ander 50 jar / treffenlich vngleich reden / phrasa vnd stilos vberal / durch welche vnser spraach nach vnd nach gebessert vnd zu recht gebracht ist worden: biß zuletzt der man Gottes D. M. L. der Teutschen zungen erst recht geluppet / die Rhetoricam vnd alle zierligkeit darein gepflantzet / vnd der massen außgebutztet vnnd paliert hat / daß sie zu vnseren zeiten jetzunder mit eloquentz / wolreden vnd sch=nheit der wort / sententzen vnd clausulen / anderen spraachen nicht viel mehr beuor gibt / etc. (Bl. γ 4vf., S. *40f.)

Pointiert könnte man sagen, daß dieses Bündel an philologischen Zugangsweisen die »Geburtstunde« der Hermeneutik in der Beschäftigung mit volkssprachigen Texten des Mittelalters markiert.92 Dieses Konzept ist nun bei Flacius aber nicht nur auf die Frage nach der Sprache, ihrer Geschichte und ihrer konkreten Ausprägung im Evangelienbuch bezogen, sondern auch auf das Werkganze. In der deutschen Vorrede benennt Flacius die »waare endtliche meinung oder hauptsumma« (Bl. β 7r, S. *29f.) des Evangelienbuchs, wie Otfrid es verstanden habe.93 Dazu zitiert er folgende Stelle und übersetzt: Thaz ich in himilriche / Thir Druthin jamerliche / Joh iamer freuue in rihti / Jn dineru gesichti / Mit Engilen dinen / Thaz n’ist bi uuercken minen / Suntar rehto in uuaru / Bi thineru ginadu. Das ist auff gut Teutsch: Das ich im himelreiche / Dir Gott immerliche / Ja jmmer frewe in grichte / In deinem angesichte / Mit den Engeln dein / Das nicht ist bei den wercken mein. Sonder recht fürware / Bei deiner gnade / etc. (Bl. β 7rv, S. *29f.)

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Vgl. dazu Klaus Weimar: Historische Einleitung zur literaturwissenschaftlichen Hermeneutik. Tübingen 1975. Reimund Sdzuj: Historische Studien zur Interpretationsmethodologie der frühen Neuzeit. Würzburg 1997, S. 29–38. Andreas Gardt: Geschichte der Sprachwissenschaft. Berlin – New York 1999, S. 88–93 und den Sammelband Geschichte der Hermeneutik und die Methodik der textinterpretierenden Disziplinen. Hg. von Jörg Schönert und Friedrich Vollhardt. Berlin – New York 2005 (Historia hermeneutica. Series Studia 1). Der entsprechende Terminus der lateinischen Vorrede für »hauptsumma« ist »scopus«: »Quin etiam ipse Author scopum hunc omnium Euangelistarum titulumque & fidem suam pientissimis uersibus, asserentibus gratuitam iustificationem contingentem sine nostris meritis, exposuit.« (Bl. α 6v, S. *12).

148 Diese Stelle stammt aus der Invocatio scriptoris (I, 2, 43–46). Sie ist nicht nur ein Beleg dafür, daß Flacius den althochdeutschen Text des Evangelienbuchs lesen, verstehen und übersetzen konnte, sondern auch einen umfassenden, textgestützten Interpretationsansatz daraus entwickeln konnte. Dafür beruft er sich nicht allgemein auf ein theologisches Konzept, sondern stellt Otfrid dezidiert in Zusammenhang mit der lutherischen Theologie von der »sola gratia«.94 Bereits Otfrid stehe mithin dafür, »daz wir one vnser wercke / lauter vmb sonst / durch Christum selig werden / [...]« (Bl. β 7r, S. *29). Diese Interpretation leitet Flacius aus dem angeblichen Titel des Evangelienbuchs ab. Es sei Gratia Dei, die gnad Gottes genant worden: darmit der Scribent anzeigen w=llen / Christus sei nicht ein gesetzgeber / auch sein Euangelion nicht ein gesetz / wie die verfFrer hernach fFrgeben / sonder ein erwerber vnd verkündiger der heilsamen genaden Gottes. [Bl. β 6v, S. *28]

Die entsprechende Parallele dazu in der lateinischen Vorrede lautet: Ipsum profecto solum nomen gratiæ, hisce libris pro titulo impositum, satis liquido testatur, Christicolas adhuc tum temporis sacrosancta Euangelia, quæ in hoc Opere uersu conuertuntur, pro lætis quibusdam nuncijs gratiæ ac fauoris Dei per Christum parti habuisse, non pro seuera legum ac mandatorum exactione, minarumque, irę ac pœnarum Dei denunciatione: ut postea plerique perperam de Euangelio, tanquam noua exactioreque quadam lege senserunt & disseruerunt, Christumque pro mero legislatore, & austeriore Moyse, quam ille prior fuerit, habuerunt. (Bl. α 6v, S. *12.)

Daß diese Titelgebung letzten Endes auf ein Mißverständnis in den Incipits des Otfridartikels von Johannes Trithemius zurückgeht und damit der Gratia-Skopus nicht in der Weise auf das Evangelienbuch anwendbar ist, wie Flacius sich das vorstellte, soll hier nicht weiter interessieren.95 Insbesondere Kelle unterstellte Flacius, daß er dies nicht aus Unachtsamkeit, sondern vorsätzlich, aus religiöspropagandistischer Intention geleitet, getan habe: Und eben dieser seiner religiösen Ueberzeugung glaube ich es zuschreiben zu müssen, dass er sich so viele Mühe gab, dem Werke einen Verleger zu finden, da ich kaum annehmen kann, den Ausländer habe das altdeutsche Werk, das er noch dazu kaum theilweise verstand, der Sprache willen so sehr interessiert.96

Keine dieser Aussagen ist in der Form, wie Kelle sie hier äußert, heute noch haltbar. Das Stichwort »Gratia« bei Otfrid war sicher Wasser auf die Mühlen der flacianischen, orthodox lutherischen Auffassung von Theologie und ihre Bestätigung aus einer jahrhundertealten Tradition. Aber auch wenn dieses Konzept nicht mehr vertretbar ist, muß man konzedieren, daß Flacius der erste

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Vgl. dazu bei Flacius Olson (2002, Anm. 3), S. 45–49. Vgl. dazu Hellgardt (Anm. 18), S. 286 und Ernst Hellgardt: ...nulli suo tempore secundus. Zur Otfridrezeption bei Johannes Trithemius und im 16. Jahrhundert. In: Sprache, Literatur, Kultur. Studien zu ihrer Geschichte im deutschen Süden und Westen (FS Wolfgang Kleiber). Hg. von Albrecht Greule und Uwe Ruberg. Stuttgart 1989, S. 355–375, hier S. 367f. Kelle I (1856), S. 107.

149 überhaupt ist, der einen textgestützten, hermeneutischen Ansatz zur Gesamtinterpretation des Evangelienbuchs vorlegte und damit für den Liber Evangeliorum einen Prozess historischen Verstehens in Bewegung brachte, der nun »eine unabschließbare Aufgabe für die Zukunft« darstellt.97 Denn die Frage, ob dieser Ansatz falsch oder richtig ist, hat für die hier dargestellten Zusammenhänge keinerlei Bedeutung. Man kann nur darauf verweisen, daß geisteswissenschaftliches Arbeiten sich zu jeder Zeit in einem hermeneutischen Zirkel bewegt und natürlich auch immer Fehlschlüssen unterliegen kann. Mit seiner Herangehensweise unterscheidet Flacius sich nicht nur von allen Otfridrezipienten vor ihm. Er bleibt damit bis ins 19. Jahrhundert ohne Nachfolger. Daß er ein Verständnis für den althochdeutschen Text besaß oder wenigstens stark daran interessiert war, ein solches zu entwickeln, belegen die philologischen Mittel, die er in den weiteren paratextuellen Elementen auf das Evangelienbuch anwendet. Seine Verfahrensweise im einzelnen stelle ich an der Konzeption des »Dictionarius«, den Übersetzungen ins Deutsch seiner Gegenwart und zunächst an seinen Bezugnahmen auf die Werke von Johannes Trithemius und Beatus Rhenanus dar. Die Auszüge aus Beatus Rhenanus und Johannes Trithemius Den Namen Otfrids lernte Flacius vermutlich zuerst in den Schriftstellerkatalogen des Trithemius kennen, als er sie für seine kirchengeschichtlichen Arbeiten auswertete.98 Abgesehen von dem Exzerpt des Otfridartikels erwähnt Flacius Trithemius in der Otfridausgabe nur ein weiteres Mal, in der deutschen Vorrede: [...] vnnd hatt dieser Ottfridus auch andere mehr BFcher zu gemeinem nutz geschrieben / wie auß seinem leben kurtzlich von Trithemio angezeiget / zu sehen ist. (Bl. β 4v, S. *24.)

Die Erwähnung von Trithemius an dieser Stelle und der abgedruckte Artikel haben rein dokumentarischen Charakter. Für den (mißverstandenen) Titel des Evangelienbuchs bezieht er sich nicht auf ihn, obwohl er ihn nur dort gefunden haben kann und obwohl diese Titelgebung von besonderem Interesse für ihn gewesen sein muß. Ausführlicher ist demgegenüber seine Bezugnahme auf Beatus Rhenanus: Ferner so hat der hochgelehrte mann Beatus Rhenanus von Schletstat diß Buch / da ers zu Freising in Baiern gesehen hat / hochgerFmbt / wie sein zeugnuß hernach geschrieben bezeüget: da er auch saget / es sein ein trefflicher schatz der vralten Teutschen kleinoten. (Bl. β 4v, S. *24.)

Die Auseinandersetzung von Beatus Rhenanus mit dem Evangelienbuch in den Res Germanicæ spielte für Flacius offenbar eine herausragende Rolle. Wann

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Vgl. Jan-Dirk Müller: Der Körper des Buchs. Zum Medienwechsel zwischen Handschrift und Druck. In: Materialität der Kommunikation. Hg. von Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer. Frankfurt a. M. 1988, S. 203–217, hier S. 206. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 47 mit Anm. 5 und Mertens (Anm. 30).

150 Flacius die Res Germanicæ kennenlernte, läßt sich nicht mehr genau sagen.99 Sicher ist aber, daß er gezielt nach ihnen suchen ließ.100 Das Stichwort vom »thesaurus egregius antiquitatis«, das in dem obigen Zitat verdeutscht ist als »trefflicher schatz der vralten Teutschen kleinoten«, bildet den Anfang seiner lateinischen Vorrede: NOBILISSIME & clarissime uir, ac Patrone plurimum obseruande, Thesaurum hunc egregium antiquitatis (ut hoc præclarissimum monumentum beatus Rhenanus uocat) Theutonum [...] iam diu in publicum euulgare, multos sollicitando & orando, sedulò conatus sum [...]. (Bl. α 2r, S. *3.)

Auf Beatus bezieht Flacius sich dann nochmals am Ende der lateinischen Vorrede und betont dessen besondere Bedeutung für seinen Zugang zum Evangelienbuch: Quo quidem me etiam non parum impulit doctissimi uiri, beati Rhenani Selestadiensis grauissimum testimonium & præconium huius ipsius Operis, cuius uerba paulo post adscribemus. [Bl. β 1r, S. *17]

Flacius stellt in der zitierten Stelle erstmals den Zusammenhang her zwischen der ohne Autornamen überlieferten Freisinger Handschrift des Evangelienbuchs und Otfrid von Weißenburg. Was Flacius aber an dem »testimonium« des Beatus Rhenanus speziell interessiert und überzeugt haben dürfte, war dessen realistische Einschätzung, was die Verständlichkeit des althochdeutschen Textes angeht. Dies entspricht dem dargestellten allgemeinen Ansatz von Flacius insofern, als auch Beatus direkt auf den Text des Evangelienbuchs zurückgreift. Flacius steht aus dieser Perspektive in der direkten Nachfolge von Beatus Rhenanus, weitet seinen Ansatz aber theologisch aus.101 Beatus zeigte bereits vierzig Jahre vor Flacius, daß eine Auseinandersetzung mit dem althochdeutschen Text des Evangelienbuchs möglich ist. Flacius beschränkt sich aber – wie gezeigt – nicht auf dessen sprachvergleichenden Ansatz, sondern er adaptiert sein bibelhermeneutisches Konzept, wie er es in der Clavis expliziert, auf den althochdeutschen Text.102 Der Auszug, den Flacius seiner Ausgabe des Evangelienbuchs aus den Res Germanicæ beigibt, doku-

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102

Zur Kenntnis der Res Germanicae vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 48. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 48. Bei Beatus ist der aktuelle theologische Diskurs nur angedeutet: »Perpetua uero laus Francorum ueterum qui sacros libros in suam, hoc est germanicam linguam uertendos curarint, quod nuper à Theologis quibusdam improbatum scimus.« Beatus Rhenanus: Rerum Germanicarum libri tres. Basel 1531, S. 108. Vgl. auch Beatus Rhenanus: Rerum Germanicarum libri tres. Ausgabe, Übersetzung, Studien. Hg. von Felix Mundt. Tübingen 2008 (Frühe Neuzeit 127), hier S. 258. Auf Beatus bezieht Flacius sich desweiteren noch in der deutschen Vorrede zur Etymologie und Geschichte des Wortes »Messe«. Vgl. Bl. β 7vf., S. *30f. Der Bezugspunkt sind hier aber nicht die Res Germanicæ, sondern die Dedikationsepistel De missarum varietate des Beatus Rhenanus an Johannes Hofmeister (Kolmar 1540), die Flacius in seiner Refutatio invectivæ Bruni contra centurias Historiæ Ecclesiasticæ (Basel 1566, S. 155–166) wiederabdruckte.

151 mentiert vor diesem Hintergrund nicht nur die Kenntnis der Auseinandersetzung seiner Vorgänger mit Otfrid, sondern auch die Vorbildhaftigkeit von Beatus Zugangsweise für Flacius selbst.103 Das Glossar Den sechsten Teil der Beigaben bildet ein althochdeutsch–frühneuhochdeutsches Glossar, von dem Flacius in der lateinischen Präfatio sagt, es gehe wie die Textabschrift auf Achill Pirmin Gasser zurück: Plurimum sane hanc editionem adiuuit eruditione & pietate clarissimus uir Dominus Achilles Gassarus, tum describendo, tum & Lexicon ueterum huius sermonis uocum conficiendo, quo publicæ utilitati & suo ardenti erga patriam & ueram Ecclesiam studio satisfaceret. (Bl. β 1r, S. *17)

Mit der Zielsprache Deutsch ist dieses Glossar das erste dieser Art überhaupt.104 In der Gasserschen Abschrift findet sich eine Fassung davon (Bl. 173r–176r). Die Blätter, auf denen Gasser das Glossar konzipierte, sind im Unterschied zu denen der Textabschrift des Evangelienbuchs etwa in der Mitte ihrer Breitseite durchgeschnitten und liegen heute lose in der Handschrift. Im Vergleich von Entwurf und Druck fallen mehrere Dinge auf: die zahlreichen Nachträge Gassers an den oberen und unteren Seitenrändern des Wörterbuchentwurfs sind teilweise im Druck in die alphabetische Ordnung eingegliedert, teilweise aber auch weggelassen. Ebenso sind wenige Lemmata Gassers, für die er keine deutsche Entsprechung angeben kann, nicht in den Druck aufgenommen. Darüber hinaus weist die gedruckte Fassung mit insgesamt 329 Einträgen 39 mehr Lemmata als der Entwurf auf. Sie dürften auf Flacius und / oder eine jüngere Entwurfsfassung zurückgehen, die die Grundlage für den Druck bildete. Mehrfach sind im Druck frühneuhochdeutsche Interpretamente zu bereits in der erhaltenen Entwurfsfassung vorhandenen Lemmata hinzugefügt. Es finden sich auch keine Röteleintragungen auf den Blättern. Auch dies spricht dafür, daß der gesamte Vorspann aus einer eigens angefertigten Vorlage gedruckt wurde (s. S. 139f.). Die Fassung der Abschrift bildete also nicht die (alleinige) Vorlage für den Druck, sondern eine etwas frühere Entwurfsfassung. Das Glossar ist im Druck in der Reihenfolge des Alphabets angeordnet, strukturiert durch den jeweils mittig gesetzten Buchstaben des Alphabets, wobei die Ordnung auf der Ebene der Mikrostruktur nicht durchweg konsequent ist. Auf das in Majuskel gesetzte althochdeutsche Lemma folgt nach schrägem Trennstrich (in der Abschrift nach »÷«) das frühneuhochdeutsche Interpretament. Gegebenenfalls sind weitere Interpretamente – bis zu maximal vier –

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104

Eine Rolle dürfte zudem spielen, daß Johannes Oporinus, der wie auch Simon Grynäus Flacius in Basel im Griechischen unterrichtete, ein Schüler von Beatus Rhenanus war. Vgl. Steinmann (Anm. 46), S. 2. Vgl. Hellgardt (Anm. 18), S. 268. Gassers erster Nachfolger für ein Otfridwörterbuch mit der Zielsprache Deutsch ist erst Johann Kelle. Vgl. Kelle III (1881).

152 wiederum durch Schrägstriche, und in Einzelfällen zusätzlich durch »vnd« bzw. »oder« abgesetzt. Vor dem ersten Interpretament jedes neuen Buchstabens steht zusätzlich meist die Gleichung »id est«.105 Der Lemmabestand ist hinsichtlich der Verteilung der Wortarten relativ ungleichmäßig. Substantive und Verben machen mehr als zwei Drittel des gesamten Wortbestandes aus und sind damit bei weitem häufiger vertreten als Adjektive, Adverben, Personalpronomina, Konjunktionen. Demonstrativpronomina (inklusive Artikel) sind in verschiedenen Kasus zu kleinen Gruppen zusammengestellt aufgenommen, genauso wie auch Personalpronomina. Gelegentlich sind auch kleine, bei Otfrid häufig vorkommende Syntagmen aufgenommen wie »Bi noti«, »Bi thiu« oder »In noti«. Züge einer althochdeutschen »Formenlehre«106 erkennt man an der Tatsache, daß zu einer ganzen Reihe von Wörtern mehrere flektierte Formen aufgenommen sind, z. B. der Infinitiv »Queman / kommen«, die als singularisch bzw. pluralisch erkannten Präteritalformen »Quam / kam« und »Quamun/kament« oder etwa zu dem nicht geführten Infinitiv »quedan« die grammatisch richtig bestimmten Formen »quad / quattet /sagt / sprach«, »Quid / sprich / sag«, und »Quit / spricht«. Gasser setzt nur in wenigen Fällen eine Grundform (Infinitiv, Nominativ Singular) an, die sich bei Otfrid nicht nachweisen läßt, wie beispielsweise »Arabeiton«, »Chuanheit«, »Dagamüß« oder »Lihen«. Aufgrund dieses Befundes kann man ex negativo davon ausgehen, daß er den größten Teil der Lemmata in der entsprechenden flektierten oder unflektierten Form, wie sie im Text vorkommen, aus dem Text gehoben hat. Mehrfach vereinheitlicht Gasser Formen, indem er selbständig die althochdeutschen Vokale der Nebensilben zum Reduktionsvokal »e« abschwächt. Beispiele dafür sind »Bidolben« statt »bidolban« (einziger Beleg: III, 24,64), »Bilidet«, an Stelle von »bilidot« (einziger Beleg: II, 19,18). Singulär ist das Lemma »Missi«, für das als Interpretamente »fel / jr[r]e / miß / vbel« angegeben werden. Es ist bei Otfrid als Präfix hochfrequent, als eigenständiges Lexem kommt es aber nicht vor. An einigen Stellen sind spezifizierende Angaben zur genaueren Bestimmung der Lemmata gemacht. Sie beschränken sich auf die beiden Angaben »in compositione« (= flektierte Form) und »per syncopen« (= Kontraktion nach Enklise oder Proklise). An einer Stelle ist ein lateinisches Interpretament mitaufgenommen, »Gomeheit / menschheit / gnad / id est, humanitas«. Ein Einzelfall ist auch das kommentierte Lemma »Saban / fürtuch / schurtz.« Hinzugefügt ist hier die Bemerkung »Vtitur Sabani uocabulo Marcellus medicus Gallicus empyricus.« Althochdeutsch »saban« bezeichnet im heutigen Neuhochdeutsch ein Tuch oder Gewand aus Leinen. Es handelt es sich um einen aus dem Griechischen kommenden, sowohl im Lateinischen (»sabanum / »savanum«) als auch im

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Nicht der Fall ist das für die Buchstaben G, P–S. Hellgardt (Anm. 18) S. 269.

153 Deutschen (»saban« / »sabo« swm.)107 belegten medizinischen terminus technicus für ein Trockentuch oder Badetuch, der bei Marcellus, dem bekannten spätantiken Verfasser eines Rezeptbuches, vorkommt.108 Dieser Kommentar fehlt allerdings in Gassers Abschrift, dem man als Arzt diese Bemerkung vielleicht eher zuschreiben würde als Flacius. Bestimmte systematische Kategorien der Lemmatisierung lassen sich also demnach nicht feststellen, die Wortaufnahme scheint auf intensiver Textlektüre zu beruhen. Eine gewisse Ordnung entsteht im Ansatz durch die Nach- und Nebeneinanderstellung etymologisch oder phänomenologisch zuammengehörender Begriffe. Was den Wortbestand aus semantischer Perspektive betrifft, ist anzumerken, daß die Auswahl nicht nur schwer verständliche Wörter umfaßt, sondern auch viele, die sicher ohne weiteres im 16. Jahrhundert wie auch heute noch verstanden wurden, wie etwa die Einträge »arabeiton«, »inti« oder »daga« belegen können. Somit stellt sich die Frage nach dem Zustandekommen dieser auf den ersten Blick willkürlich erscheinenden Auswahl. Lateinkundigen Otfridlesern des 16. Jahrhunderts stand als erster und allgemeinster Zugang zum Althochdeutschen die Vulgata oder andere lateinische Bibelübersetzungen zur Verfügung, die man neben das Evangelienbuch hätte legen können. Eine oberflächliche Orientierung boten zudem die lateinischen Kapitelverzeichnisse und Kapitelüberschriften im Text des Drucks. In den Vorreden nennt Flacius über das Wörterbuch, die Übersetzungen und die Gegenwartssprache hinaus aber noch ein spezifischeres Hilfsmittel, das angesichts der bisherigen Editionssituation des Evangelienbuchs leicht übersehen werden konnte, aber eine Erklärung für die Wortauswahl des Dictionarius bietet, nämlich: »Latinum Euangeliorum textum ad singula loca annotatum« (Bl. β 1v, S. *18).109 Damit meint Flacius die lateinischen Marginalien, die dem althochdeutschen Text der Otfridhandschriften beigegeben sind und die in der Gasserschen Abschrift wie der flacianischen Edition am Rand stehen, jedoch nicht in den meisten Editionen des Evangelienbuchs.110 Ich greife einige Beispiele heraus: Der erste Wörterbucheintrag, »Akus / id est, axt / agst« ist bei der ersten Erwähnung im Otfridtext mit »securis« (I, 23,51; Lc. 3,9) glossiert. Das Substantiv »Annuzzi«, nhd. Antlitz, mit »faciem« (IV,19,72, Mt. 26,67), »Dagamüß«, nhd. Mahlzeit, ist mit »cibum« und spezifizierend mit »panem et pisces« zweimal belegbar (II, 14, 96; Ioh. 4,32 und V,13,33; Ioh. 21,9). »Horngibruader«, nhd. Aussätziger, mit »leprosos«

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109 110

Vgl. Elmar Seebold: Chronologisches Wörterbuch des deutschen Wortschatzes. Der Wortschatz des 8. Jahrhunderts (und früherer Quellen). Berlin – New York 2001, S. 245. Vgl. Marcellus Burdigalensis: De medicamentis liber. Hg. von Max Niedermann. Übersetzt von Jutta Kollesch und Diethard Nickel. Berlin 1968 (Corpus medicorum latinorum 5,1.2), passim. Der erste Druck dieses Textes wurde 1536 in Basel bei Hieronymus Froben d. Ä. von Janus Cornarius herausgegeben. Die Parallele in der deutschen Vorrede: »den lateinischen Text der Evangelisten, der hin vnd wieder in disem Buch vertolmetscht worden ist. « [Bl. β 4r, S. *23] Vgl. nun die Neuedition Kleiber / Heuser I,1 (2004)und Kleiber / Heuser II,1 (2006).

154 (V,16,37; Mt. 10,8), »quena« mit uxor« (I,4,50; Lc. 1,18), »zuhti«, nhd. Nahrung, mit »pane und panem« (II,21,33; Mt. 6,11), »Ruagstab«, nhd. Anklage, mit »accusationem« (IV,20,10; Ioh. 18,29). Auch Belege für unterschiedliche Tempusformen konnte Gasser bzw. Flacius den lateinischen Bibelzitaten am Rand entnehmen, sie dementsprechend korrekt verdeutschen und aus ihnen Althochdeutsch lernen: das Präteritum »Rafsta / straffet / schalt / zeuchet« ist glossiert mit »increpabat« (III,13,11; vgl. Mt. 16,22), das Präsens »Rafst / strafft / für jn an / schnellet gegen jm« hingegen mit dem Perfekt »increpauit« (IV,31,6; vgl. Lc. 23,40), das Gasser bzw. Flacius übersetzt in der Präsensform wiedergeben. Die Marginalien boten somit die wichtigste Quellenbasis für schwerverständliche Wörter des Dictionarius. Sie sind die einzige konkrete Hilfestellung am Rand des Textes, die unmittelbar zur Verfügung stand. Mit ihnen läßt sich die Lemmaauswahl zu einem guten Teil begründen und darüber hinaus die Tatsache erklären, daß Gasser / Flacius in ihren frühneuhochdeutschen Interpretamenten in diesen Fällen immer richtig lagen. Es verdient übrigens als keineswegs selbstverständliche Leistung noch einmal hervorgehoben zu werden, daß die Zielsprache des Glossars ausschließlich Deutsch ist und nicht wie etwa in Schilters Thesaurus Lateinisch (s. Kap. 5.4.2). Teiledition des Glossars Im folgenden biete ich eine Teiledition des Wörterbuchs. Ich wähle dafür die Lemmata zu den Buchstaben A, E und R aus.111 Die wesentlichen Merkmale der Einrichtung des Drucks sind beibehalten, ich hebe aber die althochdeutschen Lemmata durch Fettdruck von ihren frühneuhochdeutschen Interpretamenten ab. Außerdem sind alle Abkürzungen (außer »&«) aufgelöst. In der zweiten Spalte steht eine grobe Bestimmung der Wortart.112 Weicht das Interpretament in dieser Hinsicht vom Lemma ab, ist nach Schrägstrich die Wortart, für die Gasser / Flacius es offensichtlich hielten, vermerkt. In der dritten Spalte ist die jeweils erste Belegstelle und – falls vorhanden – die Belegstelle und das lateinische Bezugswort des Lemmas aus den Marginalien zum Evangelienbuch nachgewiesen.113 Auf diesem Weg läßt sich nachvollziehbar machen, wie intensiv Gassers und Flacius’ Auseinandersetzung mit dem Evangelienbuch auf textueller Ebene gewesen sein muß. Denn die Erarbeitung des Glossars setzt sicher mehrere Durchgänge durch den gesamten althochdeutschen Text voraus.

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Ein Abdruck der Buchstaben A–E findet sich auch in Frühneuhochdeutsches Lesebuch. Hg. von Oskar Reichmann und Klaus-Peter Wegera. Tübingen 1988, S. 70f. Ich verwende folgende Abkürzungen: Subst. (= Substantiv), Adj. (= Adjektiv), Pron. (= Pronomen), Konj. (= Konjunktion), Adv. (= Adverb). Die Nachweise folgen Masahiro Shimbo: Wortindex zu Otfrids Evangelienbuch. Mit alphabetischem und rückläufigem Wortregister. Tübingen 1990 (Indices zur deutschen Literatur 23).

155 Lemma, Interpretament(e)

Wortart

Belegstelle (Marginalie)

Subst. Subst. Subst. Subst. Verb Subst./Adj. Subst. Subst. Subst. Konj. Adj. Subst. Subst.

I,23,51; I,23,63 (»securis«) I,4,37 I,4,48 (s. u. zu »Arunti«) I,25,8 ohne Beleg I,1,1; III,11,29 I,22,24 IV,12,11 I,4,48114 Ad Ludov. 18 IV,33,3 IV,19,71;IV,33,5 (»faciem«) V,20,27

[Bl. δ 1r, S. *49] A Akus / id est, axt / agst Abuh / vnrecht / abfal / verachtung A’runti / bottschafft / beuelh Ambaht / ampt Arabeiton / arbeiten Agaleize / unablessig / fleissig / stets Angusti / angst Anarati / unradt / verretherey Arunti / erndt Auur&afur / aber Armalichun / ermlichen Annuzzi / angesicht / antlitz Asgu / eschen [Bl. δ 2r, S. *51] E Einoti / id est, einöde Eigun / heyend / habend Eigut / habet / hatt / heye Emmizigen / empsigklich Endidage / Jüngstage Ebonon / ebnen / vergleichen

Subst. Verb Verb Adv. Subst. Verb

I,3,59 Ad Ludov. 45 II,18,6 I,11,40115 IV,7,27 (»consumatio mundi«) III,18,35 (»quem te ipsum facis«) Euuon / ewigkeit Subst. Ad Ludov. 82 Euuarto / priester / ecwart Subst. I,4,2 Eiscon&Eiskon / heischen / begeren Verb III,12,6 Ekord / erkoren Adv./Verb II,3,8 Ensti / gunst / gnad Subst. I,5,18 (»gratia plena«)116 Enti / ende Subst. I,4,56 Egislichun / heßlichen / leidigen Adj. I,23,42 Eteslicha / etliche Pron. V,23,18

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116

An allen Belegstellen im Evangelienbuch mit der Bedeutung »Botschaft, Nachricht«. Vgl. Kelle III (1881), S. 22. Das frühneuhochdeutsche Interpretament bezeichnet »Beständigkeit«. Vgl. Christa Baufeld: Kleines frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Lexik aus Dichtung und Fachliteratur des Frühneuhochdeutschen. Tübingen 1996, S. 67. Vgl. auch II,2,37 (»plenum gratia«).

156 [Bl. δ 5r, S. *57] R Rafsta / straffet / schalt / zeuchet Rafst / strafft / für jn an / schnellet gegen jm Redie / redlich Rinit / reiniget / oder fleüßt Rinan / leiden / tragen Riazen / büssen / reüwen Ruagstab / anklag zum tod Ruzi / rausse / heule / traure

Verb

III,13,11 (»increpabat«)

Verb Adj./Adv. Verb Verb Verb Subst. Verb

Restit / rastet / ruwet Riu / reuw

Verb Subst.

IV,31,6 (»increpauit«) I,1,75 I,11,49 I,23,23 I,18,16 IV,20,10 (»accusationem«) IV,26,6 (»ruzin«: »plangentes«) ohne Beleg ohne Beleg

Die Übersetzungen der Widmungsschreiben Ob die Übersetzungen der althochdeutschen Widmungen an Salomo von Konstanz und Ludwig den Deutschen sowie diejenige der Fuldaer Beichte von Flacius selbst stammen, ob sie Teil der Vorarbeiten Gassers waren oder ob sie ein anderer Mitarbeiter aus dem Flacius-Umkreis angefertigt hat, läßt sich nicht mehr sagen.117 Da das Wörterbuch in der lateinischen Vorrede explizit auf Gasser zurückgeführt wird, könnte man annehmen, daß Flacius dies auch für den Fall getan hätte, daß die frühneuhochdeutschen Übersetzungen Gasser zuzuschreiben wären. Davon ist in den Vorreden aber nicht die Rede. Sieht man von dieser Frage ab, sind vor allem die Übersetzungen der beiden Otfridvorreden eher als erste, tastende Versuche denn als fertige Übersetzungen einzuschätzen. Auch hier ist darauf hinzuweisen, daß die Zielsprache das Deutsch der Gegenwart ist und nicht das Lateinische, wie bei den meisten Übersetzungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Akzent soll hier nicht darauf liegen, moderne übersetzungstheoretische und -praktische Maßstäbe daran anzulegen und sie auf dieser Grundlage zu kritisieren. Sie sind die ersten Übersetzungen eines althochdeutschen Textes überhaupt. Interessant ist vielmehr, daß die Übersetzungen dokumentieren, welchen Verständnisschwierigkeiten ein gebildeter und sprachlich versierter Leser / Übersetzer des Althochdeutschen sich im 16. Jahrhundert gegenüber sah. Als erstes Beispiel sei der Anfang der Widmung an Salomo von Konstanz wiedergegeben (Bl. ε 1v–2r, S. 66f.)118:

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118

Zur Fuldaer Beichte vgl. Bruchhold / Kössinger (Anm. 72), S. 93–95. Der Druck stützt sich abschriftlich auf den Codex Göttingen, SUB, Ms. theol. 231, der Teil seiner Bibliothek war. Vgl. Hartmann (Anm. 4), S. 222. Die Akro- und Telesticha, die im althochdeutschen Text wie auch in der Übersetzung des Drucks jeweils am inneren bzw. äußeren Seitenrand stehen, vernachlässige ich hier in meinen Textwiedergaben.

157 SJ salida gimuati Sei heil gemGte / id est, mit freuden. Solomonis guati. Salomons gFte / hodie dicerent, gnade Ther biscof ist nu ediles / Der bischof ist jetzt deß edlens Kostenzero sedales. Constantzer sidlens / id est, sedis, stGles. Allo guati gidue thio sin 5 Alle gGte gedeyen die do sind / Thio biscof er habet in. Hat dieser inn. Ther’nan zi thiu giladota Der jn zG diesem ladette / id est, uocauit Jn houbit sinaz zuuiualta. Jn seines haupts zwifalte. Die Übersetzung folgt an dieser Stelle wortgetreu dem Text des Evangelienbuchs. Sie besteht vor allem in der lautlichen Angleichung des Althochdeutschen an das Frühneuhochdeutsche (z. B. V. 1: »gimuati«: »gemGte«), ohne in Wortstellung und Wortwahl erheblich von Otfrid abzuweichen. Eine Ausnahme bilden hier vier lateinische Bemerkungen, die das Textverständnis erleichtern sollen. Solche Bemerkungen kommen nur an einigen wenigen Stellen der Widmung an Ludwig nochmals vor, wo sie ebenfalls die Funktion haben, schwer verständliche Vokabeln zu erschließen. Aufschlußreich sind solche Stellen, an denen der Übersetzer mit seinem Althochdeutsch ganz offenbar nicht weiterwußte. Er setzt an solche Stellen in der Übersetzung Platzhalter. In dem folgenden Beispiel sind – abgesehen von weiteren Mißverständnissen, die auf die Vorlage zurückzuführen sind, und ›echten‹ Übersetzungsfehlern – die Vokabeln »gaman« (V. 2) und »irbaldon« (V. 5) in der Übersetzung ausgespart. Die dritte Lücke kommt durch eine nicht erkannte Worttrennung, und damit eine falsche Lesung des Textes (»biuih«: »bi iuih«, V. 7) zu Stande (Bl. ε 3v–4r, S. *70f.): Obana fon himile Oben her von himmel Sent iu io zi gamane Sind euch ia zG ― ― Salida gimuato Heil gemFte Selb Krist ther guato. Christus selb der gèthe. Oba ih irbalden es gidar 5 Ob ich ― ― ― gethar Ju scal iz firlazan ouh al Euch soll es verlassen auch gar. Ni biuih io gerno Nit ich ― ― ia gerno Ginada sina fergo. Seine gnade ferggo. Als drittes Beispiel sei abschließend der Anfang der Widmung an Ludwig (Bl. ε 5v–6r, S. *74f.) wiedergegeben: Lvdouuic ther snello Thes uuisduames follo. Er Ostarrichi rihtit all So Frankono kuning scal. Vbar Frankono lant 5 So gengit ellu sin geuualt. Thaz rihtit so ih thir zellu Thiu sin giuualt ellu. Themo si jamer heili

Ludwig der schnell Der weißheit voll. Regiert Osterreich vberal Wie ein frenckischer K=nig sol. Vber Franckenlandt gezalt Da gadt all sein gewalt. Das regieren so ich dir erzelle Das sind sein gwalt alle. Dem selben sey immer heile

158 Joh salida gimeini. 10 Ja glück gemeine. Druthin hohe’mo thaz guat Gott erh=he jm das gGt Joh freuemo emmizen thur muat. Ja erfreuwe in emmsigklichen mit mGt. Hohemo gimuato Hohem gemFthe Jo allo rihi guato, Ja alle reiche gFte. Er allo stunta freuue sih 15 All stunden er freuwe sich Thes thingge io man nogilih. Das bedingen ich ja menigklich. Die Übersetzung zeichnet sich auch hier durch große Nähe in der Wortstellung zum althochdeutschen Text aus. Sie ist im vorliegenden Abschnitt zeilengetreu und behält die Reimwörter in frühneuhochdeutscher Lautung bei. Große Nähe zum althochdeutschen Text gilt auch auf der Ebene der Wortwahl, was im Einzelfall der Semantik des althochdeutschen Textes nicht entspricht (z. B. in V. 1: »snello«: »schnell«). In V. 5 steht in der Übersetzung im Reim »gezalt«. Das könnte dafür sprechen, daß der vorliegende Text von Ad Ludovicum nicht nach einer Abschrift von V angefertigt wurde, wo dieses Wort fehlt (s. S. 140). Darüber hinaus scheint die Übersetzung nicht auf der Grundlage des hier abgedruckten althochdeutschen Textes angefertigt worden zu sein, da wohl kaum anzunehmen ist, daß der Übersetzer das Wort ohne Anhaltspunkt im Text von sich aus als Reimwort ergänzt hat.

4.2.6 Zur Rezeption der Ausgabe Kritik an der Edition Die Otfridausgabe von Flacius war die einzige gedruckt vorliegende Textgrundlage für die Auseinandersetzung mit dem Evangelienbuch bis zur Neuausgabe in Schilters Thesaurus. Positiv beurteilt wurde sie vom 16. bis zum 19. Jahrhundert kaum. Die einzigen Ausnahmen bilden in dieser Hinsicht die textkritischen Arbeiten von Freher und Rostgaard, die den flacianischen Lesarten öfter und teilweise mit Recht den Vorzug geben vor den Lesungen von Lambeck (s. Kap. 3.2). Auf die vernichtenden Urteile Lambecks und Kelles wurde bereits verwiesen (s. S. 112f. und S. 142). Die Gründe dafür dürften in erster Linie konfessioneller Natur sein.119 Das Gesamtwerk von Flacius wurde noch im 16. Jahrhundert indiziert.120 Dies könnte ein möglicher Grund dafür sein, daß sich verhältnismäßig wenige Exemplare des Drucks erhalten haben und die

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120

Dies scheint auch allgemein ein Grund dafür zu sein, daß eine umfassendere wissenschaftliche Beschäftigung mit Leben und Werk von Flacius erst in den letzten Jahrzehnten eingesetzt hat und viele Bereiche seines Wirkens noch der Aufarbeitung harren. Vgl. Franz Heinrich Reusch: Die Indices librorum prohibitorum des sechzehnten Jahrhunderts. München 21961, Reg. s. v. Flacius.

159 Ausgabe schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als »rarum rarissimum«121 gilt. Eine spezifische Form der Rezeption erfuhr das Glossar der Ausgabe noch im 16. Jahrhundert. Es wurde für einen anderen Text nutzbar gemacht: In der Ausgabe des Leidener Williram von 1598 druckt es der Herausgeber, Paulus Merula, mit Erweiterungen zum Wortschatz des Williram ab, ohne auf den Druck von 1571 zu verweisen mit der lapidaren Bemerkung: Veterum Francicorum Vocabulorum in libro Evangeliorum Otfridi, in lib. Euangeliorum Otfridi vsitatorvm, quæ multa in hoc scripto occurrunt, etiam huic operi accommodantur122

Er übernimmt dabei die hochdeutschen Lautungen wortwörtlich und gibt hinter den gegenwartssprachlichen Angaben mit der Bemerkung »nobis oder ut noster Willeramus scribit« die niederfränkischen Lautungen der Wörter aus Willirams Text und oft auch die lateinische Entsprechung an. Als Kuriosum der Rezeptionsgeschichte sei abschließend erwähnt, daß ein Wort aus der deutschen Vorrede der Ausgabe (»gehauffet«, Bl. β 8r, S. *31]) als Beleg in das Grimmsche Wörterbuch eingegangen ist.123 Immerhin, die Bearbeiter des bedeutendsten deutschen Wörterbuches verbeugten sich auf diese Weise vor den vorher als so schlecht eingeschätzten Deutschkenntnissen des Flacius. Erhaltene Exemplare Die nachstehende Liste enthält alle Exemplare der Otfridausgabe von Flacius, die mir bekannt geworden sind. Mit Asterisk sind diejenigen gekennzeichnet, die ich einsehen konnte. Von zwei Exemplaren konnte ich in Erfahrung bringen, daß sie verlorengegangen sind bzw. verkauft wurden: Wien, Schottenstift, 31.h.26 (wahrscheinlich verkauft); Göttweig, Signatur und Verbleib unbekannt. Laut den Angaben eines rezenten Antiquariatskataloges sind zwischen 1954 und 2004 lediglich drei (heute nicht mehr identifizierbare) Exemplare in den Verkauf gelangt. D. h., man kann bei einer ursprünglichen Auflage von 200 Exemplaren damit rechnen, daß 150 Exemplare verschollen sind oder sich – vermutlich zu einem geringen Prozentsatz – heute in Privatbesitz befinden.124 1. 2. 3. 4. 5.

Augsburg, SStB, LD 5197 Augsburg, SStB, LD 5197a Basel, UB, Ai VI 37.125 Basel, UB, Deutsches Seminar, Rara. Sign.: DS Ag OTF-70/2/1.1 126 Berlin, SB PK, Libri impr. cum notis mss. oct. 20

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122 123 124 125

So etwa bei Johann Heinrich von Seelen: Memoria Stadeniana, sive de vita, scriptis ac meritis Diederici a Stade commentarivs, varia simvl historica, philologica, et inprimis tevtonica, complectens. Hambvrgi svmtv Theod. Christoph. Felginer 1725, S. 129. Paulus Merula: Willerami Abbatis in Canticum Caticorum paraphrasis. Leiden 1598, S. 169. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch Bd. 10 (1877), S. 591. Vgl. zu den folgenden Angaben auch das VD16, B 4664. Vorbesitzer: Matthias Jacob Adam Steiner (mit Wappenexlibris). Vgl. Hieronymus (Anm. 52), S. 1438.

160 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.

127

Berlin, SB PK, Yg 251 Cambridge, UL, BSS.226.B71 Chicago, Newberry Library, Bonaparte 9477 Göttingen, SUB, 8 Poet. Germ. I 7207 Gotha, FB, Theol.37/5 Halle, Franckesche Stiftungen, Bibliothek, 156 H 18128 *Hannover, NLB, Lh 4448129 *Heidelberg, UB Cod. Heid. 370,341130 Ithaca, Cornell University PF 3989 A1131 Jena, UB, 8 Bud.Jus germ. 14 Jena, UB, 8 Bud.Theol. 3132 Jena, UB, 8 Theol. XIII, 4 Karlsruhe, Bad. LB, 95A 75187 Köln, UStB, WA VI 895 Kopenhagen, Königliche Bibliothek, 175:2. S-1977 Kopenhagen, Königliche Bibliothek, Germ. bis 34850 8°133 Leiden, UB, 1498 E 15134 Leipzig, UB 65-8-1659 Linköping, Stiftsbibl. Rara Ex.: R316 London BL, 11517.c.7. Mainz, UB, 32 OT - 7.5 Moskau, Russische SB, 002780828 Moskau, Russische SB, 002780829 *München BSB: 8 P.o.germ.1038o135 Nürnberg StB: Solg. 92.8136 Oxford, Bodleian Library, MS Junius 80137 Paris, BN, A-6482 Rom Bibl. Apost. Vaticana, Tedeschi 3220138 St. Gallen, Kantonsbibl. Vadiana, VEB 6225

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In dieses Exemplar sind die Lesarten aus Rostgaards Emendationes am Rand eingetragen. Kriegsverlust. Teilweise beschädigt mit Textverlust und handschriftlichen Ergänzungen. Besitzvermerk: Martini Fogeli Hamburg, Valentinij Boltz. Zahlreiche handschriftliche Anstreichungen in roter und schwarzer Tinte in den vorgesetzten Teilen und in Ad Liutbertum. Besitzvermerk: Donstetten (?). Mit zahlreichen Unterstreichungen und Ergänzungen versehenes Exemplar. Mit Exlibris von Friedrich Zarncke. Unvollständig: Letztes Blatt fehlt. Bei einem der beiden Kopenhagener Exemplare wird es sich um das Handexemplar von Frederik Rostgaard handeln (?). Besitzvermerke: Cornelis van Alkemade, Pieter van der Schelling und Constantijn Huyghens. Vgl. zu diesem Exemplar Rolf H. Bremmer Jr.: Constantijn Huyghens’ interest in old germanic. A lost book from his library retrieved. In: Living in Posterity. Essays in Honour of Bart Westerweel. Hg. von Jan Frans van Dijkhuizen, Paul Hoftijzer, Juliette Roding, Paul Smith. Hilversum 2004, S. 39–45. Vorbesitzer: Johann Georg von Werdenstein. Defektes Exemplar, handschriftlich ergänzt ab S. 550. Mit Anmerkungen versehenes Handexemplar von Franciscus Junius (s. S. 72) Widmungsexemplar für Achill Pirmin Gasser. Vgl. Enrico Stevenson Giuniore: Inventario dei libri stampati Palatino-Vaticani. Editio per ordine di S. S. Leone XIII. Vol. II. Parte II. Romæ 1891, S. 342f.

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Stockholm, Königliche Bibliothek, 9550473139 Stuttgart, Württemberg. LB, D.D.oct.9051 Stuttgart, Antiquariat J. Voerster, Best.Nr. 27933.140 Tübingen, UB, Dk XI 596 Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, DL I: 33 *Wien ÖNB: 2.W.40.141 *Wolfenbüttel, HAB, Lo 5859142 *Wolfenbüttel, HAB, 697.38 Theol. (1)143

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Besitzvermerk: Johan Gabriel Sparwenfeld. Das Exemplar enthält zahlreiche handschriftliche Randbemerkungen. Auf dem Vorderdeckel die Initialen MS und die Jahreszahl 1595. Dieses Exemplar wurde inzwischen offenbar in Privatbesitz verkauft. Handexemplar von Sebastian Tengnagel. Besitzvermerke: Ex Biblioth. Franc. Ott. Leukheri 1645. Hanschriftliches Exzerpt (des Herzogs Ludwig Rudolf?) zum Werk. Exlibris: Ex Bibliotheca L R Ducis Brunsvicensis Et Luneburgensis. u. Nummer: XXXV. 28. Exlibris: C C Biblioth. Collegii Carol. Besitzvermerk: Frantz von Domstorff.

5 Kommentieren und Thesaurieren Die Otfridausgabe durch Matthias Flacius markiert einen Meilenstein für die Geschichte der Erforschung des Evangelienbuchs, insbesondere für die nachfolgenden Editionen des Textes, ebenso aber für andere Ausgaben alt- und mittelhochdeutscher Texte im 17. und 18. Jahrhundert. Einige Beispiele mögen das veranschaulichen: Paulus Merula verwendet das Glossar in seiner Ausgabe des Leidener Williram (s. S. 159), Melchior Goldast zieht die Ausgabe von Flacius in seinen Parænetica veteres (Insula 1604) heran, Martin Opitz benutzt sie ausgiebig in seiner Ausgabe des Annolieds (Danzig 1639).1 Für die textkritischen Arbeiten zum Evangelienbuch, für Marquard Freher, Frederik Rostgaard und Franciscus Junius bildet der Druck von 1571 die wichtigste Grundlage (s. Kap. 3.2). Das Feld philologischen Arbeitens mit deutschsprachigen Texten des Mittelalters insgesamt differenziert sich in der Zeit nach Flacius erheblich aus. Stehen im 16. und 17. Jahrhundert prominente Leistungen einzelner, so verdichten sich die Bemühungen in der Zeit danach enger zu einem (partiell Europa umspannenden) gelehrten Netzwerk, dem man verstärkt wissenschaftliche Züge zuschreiben kann.2 Zu beobachten ist dabei an der Erforschung des Evangelien-

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Vgl. Melchior Goldast von Haiminsfeld: Paræneticorum veterum pars I (1604). Im Nachdruck herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Manfred Zimmermann. Göppingen 1980 (Litterae 64). Zu Goldast und seinen Arbeiten vgl. Bernhard Hertenstein: Joachim von Watt (Vadianus), Bartholomäus Schobinger, Melchior Goldast. Die Beschäftigung mit dem Althochdeutschen von St. Gallen in Humanismus und Frühbarock. Berlin – New York 1975 (Das Althochdeutsche von St. Gallen 3), S. 115–199. Anne A. Baade: Melchior Goldast von Haiminsfeld. Commentator, collector and editor. New York u.a. 1992 (Studies in Old Germanic languages and literature 2). Ulf Wessing: Interpretatio Keronis in regulam Sancti Benedicti. Überlieferungsgeschichtliche Untersuchungen zu Melchior Goldasts editio princeps der lateinisch-althochdeutschen Benediktinerregel. Göttingen 1992 (Studien zum Althochdeutschen 18). Zum Annolied vgl. Raymond Graeme Dunphy: Opitz’s Anno. The middle high german »Annolied« in the 1639 edition of Martin Opitz. Glasgow 2003 (Scottish papers in Germanic studies 11). Ernst Hellgardt: Die Rezeption des Annoliedes bei Martin Opitz. In: Mittelalter-Rezeption. Ein Symposion. Hg. von Peter Wapnewski. Stuttgart 1986 (Germanistische Symposien. Berichtsbände VI), S. 60–79. Mathias Herweg: Ludwigslied, De Heinrico, Annolied. Die deutschen Zeitdichtungen des frühen Mittelalters im Spiegel ihrer wissenschaftlichen Rezeption und Erforschung. Wiesbaden 2002 (IMAGINES MEDII AEVI. Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung 13), S. 297–305. Vgl. zum 17. und 18. Jahrhundert Rudolf von Raumer: Geschichte der Germanischen Philologie vorzugsweise in Deutschland. München 1870 (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 9), S. 48–291. Johannes Janota: Zur Rezeption mittelalterlicher Literatur zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. In: Das Weiterleben des Mittelalters in

163 buchs zum einen, daß sich die Ebene der Auseinandersetzung nun auf Detailfragen und die Diskussion einzelner Textstellen konzentriert. Monographische Arbeiten zu Otfrids Werk bleiben bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts der Ausnahmefall.3 Rezipiert wird das Evangelienbuch häufig im Kontext historiographischer, oft spezifisch ordensgeschichtlicher Werke4, und im Kontext dessen, was man unter den Stichwörtern »Litterärhistorie« oder »Polymathie« beschrieben hat.5 Zum anderen ist festzuhalten, daß der Umgang mit dem Evangelienbuch nun in weiten Teilen nicht mehr die Kenntnis der Handschriften selbst zur Voraussetzung hat (s. dazu Kap. 3). Das im Medium des Drucks verfügbare Wissen wird als »Sekundärliteratur« herangezogen und mehrfach in kleineren Beiträgen in der Art von »Forschungsberichten« dargestellt und diskutiert. Hinzu kommt als dritter Faktor, daß sich das Interessenspektrum für die Beschäftigung mit volkssprachiger Literatur verschiebt: zu den patriotischen, konfessionellen und historisch-genealogischen Motiven treten jetzt Ansätze zu umfassenderer historischer und vergleichender Sprachwissenschaft hinzu.6 Zwei Otfridforscher sind für das ausgehende 17. Jahrhundert und das erste Drittel des 18. Jahrhunderts die prägenden Figuren, deren Arbeiten zum Evangelienbuch den Gegenstand des folgenden Kapitels bilden: Dietrich von Stade (1637–1718), der 1708 eine kommentierte Teiledition mit Übersetzung ins Lateinische publizierte, ohne jemals eine Handschrift des Evangelienbuchs gesehen zu haben. Er beschäftigt sich mit Otfrid vor allem aus sprachvergleichender Perspektive (s. Kap. 5.2). Der zweite ist der Straßburger Rechtshistoriker Johann Schilter (1632–1705). Er plante eine große Neuausgabe des Evangelienbuchs, von der aus seiner Feder allerdings nur ein »Specimen« den Weg zum Druck fand (Straßburg 1698). Diese mit hohem Aufwand geplante Edition wird erst 1726 aus seinem Nachlaß von seinen Schülern in den ersten Band des von Schilter geplanten Thesaurus antiquitatum teutonicarum eingehen, der bedeutendsten Sammeledition alt- und mittelhochdeutscher Texte des 18. Jahrhunderts. Auch hier ist dem althochdeutschen Text eine lateinische Übersetzung beigegeben sowie ein umfangreicher kommentierender Apparat (s. Kap. 5.1 und

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der deutschen Literatur. Hg. von James F. Poag und Gerhild Scholz-Williams. Königstein/Ts. 1983, S. 37–46. Christoph Schmid: Die Mittelalterrezeption des 18. Jahrhunderts zwischen Aufklärung und Romantik. Frankfurt a. M. u.a. 1979 (Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft 19). Vgl. das Quellenverzeichnis (Kap. 9.2) zu den Jahren 1717 (Daetrius) und 1833 (Hornig). Vgl. das Quellenverzeichnis (Kap. 9.2) zu den Jahren 1673, 1677, 1690 (Usher), 1696 (Du Pin), 1711 (von Stade), 1722, 1729 (Schannat), 1739 (Mabillon), 1740, 1741, 1754 (beide Titel), 1757, 1778, 1782. Klaus Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Paderborn 2003, S. 107–122. Vgl. dazu Stefan Sonderegger: Ansätze zu einer deutschen Sprachgeschichtsschreibung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache. 1. Teilbd. Hg. von Werner Besch, Anne Betten, Oskar Reichmann, Stefan Sonderegger. Berlin – New York 21998 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.1), S. 419–442.

164 5.3). In beiden Fällen, bei Dietrich von Stade und bei Johann Schilter, nehmen also je ganz unterschiedliche Modi der Textkommentierung und Textedition eine zentrale Rolle ein.7

5.1 Das Vorspiel zum Thesaurus: Johann Schilters »Specimen« (1698)8 1698 erschien in Straßburg bei Reinhold Dulssecker ein Specimen aus Otfrids Evangelienbuch. Es trägt den Titel: VOLUMEN EVANGELIORVM OTFRIDI MONACHI WEISSENBVRGENSIS IN QVINQVE LIBROS DISTINCTUM Ante annum Christi DCCC LXXVI conscriptum. Nunc infinitis locis emendatius editum, interpretatione Latinâ, variis lectionibus notisque illustratum a JO. SCHILTERO. ARGENTORATI, Sumptibus JOHANNIS REINHOLDI DVLSSECKERI, ANNO M DC XCVIII.9

Sein Herausgeber war der Straßburger Rechtsgelehrte Johann Schilter (1632– 1705), der in der heutigen rechtshistorischen Forschung bekannt ist als »einer der vielseitigsten und angesehensten deutschen Juristen des Usus modernus.«10 Schilters innovativer Umgang mit dem römischen Recht und seiner Anwendung besteht darin, daß er erstmals in umfassender Weise deutschsprachige Rechtsquellen miteinbezog. Damit hat er für die Erforschung der Quellen zum Privatrecht und zum Landrecht entscheidende Beiträge geleistet, was ihm bei Kollegen den Ruf einbrachte, er sei der »deutsche Papinian«11. Schilter war Magister der Philosophie (Leipzig 1655) und in beiden Rechten promovierter Jurist (Jena 1671). Er wirkte als solcher von 1671–1678 als Hofund Konsistorialrat in den Diensten des Herzogs Bernhard von SachsenWeimar. Nach dessen Tod lebte er acht Jahre als Privatgelehrter in Frankfurt am

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Zum Begriff vgl. Ralph Häfner: Kommentar1 und Norbert Oellers: Kommentar2. In: 3RL II (2000), S. 298–303. Hans Ulrich Gumbrecht: Die Macht der Philologie. Über einen verborgenen Impuls im wissenschaftlichen Umgang mit Texten. Frankfurt a. M. 2003, S. 69– 87. Vgl. den Sammelband Der Kommentar in der Frühen Neuzeit. Hg. von Ralph Häfner und Markus Völkel. Tübingen 2006 (Frühe Neuzeit 115). Die nachstehenden beiden Kapitel können eine – bislang nicht ansatzweise geleistete – von Grund auf aus den Quellen erarbeitete Auseinandersetzung mit Johann Schilter aus germanistischer Sicht nicht ersetzen. Sie versuchen dies lediglich für Otfrids Evangelienbuch. Auch aus rechtshistorischer Sicht gibt es keine umfassende Würdigung zu Schilter. Vgl. Reiner Schulze: Schilter, Johann. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 4 (1990), Sp. 1405–1409, hier Sp. 1406. Vgl. auch die Biogramme in August Ritter von Eisenhart: Schilter, Johann. In: ADB 31 (1890), S. 266–268. Klaus Luig: Schilter, Johann. In: NDB 22 (2005), S. 774f. Das einzige, mir bekannt gewordene Exemplar davon befindet sich in der Bibliothèque Nationale, Paris (Signatur: A- 1977). Es wurde 1705 nachgedruckt in Georges Hickes: Linguarum Vett. Septentrionalium Thesaurus Grammatico-Criticus et Archaeologicus (Oxford 1703–1705) (ND Hildesheim – New York 1970 [Anglistica & Americanistica Bd. 64]), S. 105–108. Schulze (Anm. 8), Sp. 1405. Eisenhart (Anm. 8), S. 267.

165 Main, bis er 1686 die Stelle eines städtischen Rechtsrates in Straßburg angeboten bekam. Mit dieser Anstellung war zugleich eine Honorarprofessur an der juristischen Fakultät der Universität Straßburg verbunden. Ob Schilter 1699 dort auch ein juristisches Ordinariat erhielt, geht aus den biographischen Darstellungen nicht eindeutig hervor.12 Schilter ist, das bleibt mit Klaus Weimar festzuhalten, einer der wenigen in dieser Zeit, die sich aus einem universitären Kontext heraus mit deutscher Sprache und Literatur des Mittelalters befassen.13 Schilter hatte bereits 1696 eine Ausgabe des althochdeutschen Ludwigsliedes und gleichzeitig mit dem »Specimen« aus dem Evangelienbuch einen Teildruck aus Notkers des Deutschen Psalterbearbeitung vorgelegt.14 Dazu kommen die bei weitem umfangreicheren Editionen des Schwabenspiegels sowie der Chronik Jacob Twingers von Königshofen (beide 1698). Bekannt ist, daß Schilter »viele Jahre mit rastlosem Fleiß«15, sicher schon seit den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts, an der Herausgabe eines monumentalen Werkes arbeitete, das die bedeutendsten Denkmäler der mittelalterlichen deutschen Literatur enthalten sollte (s. Kap. 5.4).16 Die drei erwähnten Drucke

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Vgl. Luig (Anm. 8), S. 774, der nur die Ehrenprofessur anführt, gegenüber Schulze (Anm. 8), Sp. 1406. Vgl. Weimar (Anm 5), S. 215. Zur besonderen Rolle des Elsaß in diesem Zusammenhang vgl. Jürgen Voss: Das Elsaß als Mittler zwischen deutscher und französischer Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert. In: Historische Forschung im 18. Jahrhundert. Hg. von Karl Hammer und Jürgen Voss. Bonn 1976 (Pariser Historische Studien 13), S. 334–363. Zu Schilter und seinen germanistischen Arbeiten vgl. den Überblick bei von Raumer (Anm. 2), S. 176–181. Der Titel des Teildruckes aus Notkers Psalter lautet: Psalmi Dauidis a NOTKERO Labeone, Abbate S. Galli ante septingentos annos Translatione et Paraphrasi Teutonica expositi, nunc primum ex Museo generosi Dom. de la Loubere in publicum editi. Latina Interpretatione, Notisque illustrauit Io. Schilteri. Straßburg 1698. Wenn ich recht sehe, hat die Notkerforschung diesen Druck bislang nicht zur Kenntnis genommen. Das einzige, mir bekannt gewordene Exemplar wird in der Bibliothèque Nationale, Paris, A1976, aufbewahrt. Zur Geschichte der Erforschung des Ludwigsliedes vgl. Paul Lefrancq: ›Rhythmus Teutonicus‹ ou ›Ludwigslied‹?. De la découverte de Mabillon (Saint-Amand 1672) à celle d’Hoffmann von Fallersleben (Valenciennes, 1837). Paris 1945. Vgl. auch Herweg (Anm. 1), S. 19–180, hier S. 58–61. Von Raumer (Anm. 8), S. 177. Eine Aufarbeitung der Entstehungszusammenhänge steht noch aus. Dokumentiert werden sie durch drei Bände mit nicht edierten Briefen an Schilter, die heute in der UB Gießen aufbewahrt werden. Sie belegen die europaweite Korrespondenz Schilters mit über 100 Gelehrten. Vgl. Verzeichnis der Briefe an Joh. Schilter (1632–1705) in der Universitätsbibliothek Gießen (Cod. Giess. 140, 141 und 142). Nach Vorarbeiten von Ortwin Zillgen, bearbeitet und zusammengestellt von Hermann Schüling. Gießen 1979 (Handschriftenkataloge der Universitätsbibliothek Gießen 2). Vgl. auch Ulrich Seelbach: Mittelalterliche Literatur in der frühen Neuzeit. In: Das Berliner Modell der mittleren deutschen Literatur. Beiträge zur Tagung Kloster Zinna 29.09.–01.10.1997. Hg. von Christiane Caemmerer, Walter Delabar, Jörg Jungmayr, Knut Kiesant. Amsterdam / Atlanta, GA 2000 (Chloe – Beihefte zum Daphnis 33), S. 89–115, hier S. 109 mit Anm. 68. Seelbach führt hier neun deutschsprachige Handschriften der UB Gießen aus dem Vorbesitz Schilters an. Ein Teil seiner Privatbibliothek befindet sich heute in den Beständen der Kantonsbibliothek Graubünden. Er kam über einen Bündener Schüler Schilters, Johann Christian Simmen, dorthin. Vgl. http://www.kantonsbibliothek.gr.ch/pdf/Jahresbericht_2001.pdf, S. 13 (15. Juni 2008).

166 althochdeutscher Texte aus den Jahren 1696 und 1698 sowie die Ausgabe des Schwabenspiegels sind Vorläufer zu diesem Projekt, dessen Vollendung und Drucklegung Schilter selbst nicht mehr erlebte. Der Thesaurus antiquitatum Teutonicarum begann erst zwanzig Jahre nach Schilters Tod unter der Ägide seiner Schüler zu erscheinen (Ulm 1726–28). Die dafür von Schilter angefertigte Otfridausgabe lag nach seiner eigenen Aussage bereits 1692 vollständig abgeschlossen vor: Mihi quidem incredibilis quidam Amor erga hunc librum sese insinuavit, ut non cessarim per horas succisivas atque sacras, conari & emendationem & interpretationem superare, quod ipsum tandem per divinam Gratiam ipso die S. Joanni Baptistæ sacra anno MDCXCII. contigit.17

Der Teildruck aus dem Evangelienbuch besteht aus zwei Blättern und einem vorgesetzten Titelblatt. Er umfaßt die ersten 64 Verse des Widmungsschreibens Otfrids an Ludwig den Deutschen, ohne ein Vorwort oder eine erläuternde Einführung. Wie gestaltet Schilter sein »Specimen« gegenüber der Ausgabe von Matthias Flacius? Wenn man die von ihm herangezogenen handschriftlichen Quellen zum Maßstab macht, muß man konstatieren, daß sein »Prodromus« ein Rückschritt im Vergleich zur Edition des Flacius ist. Denn Schilter kannte keine Handschrift des Evangelienbuchs aus eigener Anschauung und sein Druck stützt sich ebenfalls nicht, wie im Fall von Flacius, auf eine Abschrift eines der spätestens seit Lambeck bekannten Codices. Er basiert ausschließlich auf bereits gedruckt vorliegende Quellen, d. h. dem Druck von Flacius (1571), den Emendationes von Marquard Freher (1631, s. Kap. 3.2.1) und den nur einmal beiläufig erwähnten Commentarii von Peter Lambeck (1669, s. Kap. 3.3).18 Allein aus diesen Quellen gestaltet er einen neuen Text und stellt ihm eine Übersetzung ins Lateinische zur Seite. Aus der mehrfach verwendeten Sigle »MS. Cæs.« könnte man zunächst den Schluß ziehen, Schilter bezöge sich tatsächlich auf die Wiener Handschrift des Evangelienbuchs. Zu V. 52 (bei Schilter bildet ein Halbvers Otfrids eine Zähleinheit) vermerkt er aber zu einer Stelle, an der der Text bei Flacius nicht mit dem lateinischen Telestichon korrespondiert: »Sed quæ ista, & an genuina, haud dixerim sine ope MSti Vindobonensi« (S. 3). Er übernimmt den Text der Ludwigszuschrift, wie ihn bereits Lambeck 1669 geboten hatte, fügt ihm aber zwei Apparate bei: einen textkritischen, in dem er Lesarten nach Flacius und bei Lambeck unklare Stellen diskutiert, sowie Erläuterungen zum Verständnis des Althochdeutschen wie die lateinische Übersetzung im Vergleich zur frühneuhochdeutschen Übersetzung bei Flacius. Der zweite Apparat ist ein Kommentar, der in dem abgedruckten Abschnitt insgesamt fünf Einzelstellen unter Heranziehung historisch-gelehrter Literatur erläu-

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Johann Schilter: Præfatio ad Otfridi libros Evangeliorum. In: Thesaurus antiquitatum teutonicarum. Ulm 1726, § 3. Abgesehen von dieser Eigenaussage sind die einzigen Belege dafür, daß die Ausgabe spätestens 1698 vollständig vorlag, die Verweise im Specimen auf textinterne Parallelen und auf ein Glossar. Zu den Briefen Lambecks an Schilter s. S. 115f.

167 tert, wobei zwei offenbar textkritische Nachträge zum ersten Apparat darstellen. Um seine Textgestaltung exemplarisch zu veranschaulichen, gebe ich hier (nach heutiger Zählung) die ersten sechs Verse wieder: LUdouuig ther snéllo thes uuísduames follo. Er Ostarrichi † ríhtit ál so Frankóno Kuning scaL 5 Vbar fránkono Lant (1) gizalt so gengit éllu sin giuualt thaz rîhtit (2) so ih thir zéllu, thiu sin giuuált ellV.

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LUdovicus alacer, Sapientia plenus. Is Orientale regnum (Franci) regit omne Ut Francorum Regi decet. Super Francorum regionem inclutam Progreditur omnis ejus potestas. Hoc regit, quod ego tibi recenseo, Omnis sua potestas.

Thémo si Jámer héili Huic sit semper salus joh Salida giméini Atque Felicitas publica. druhtin hóhemo thaz gúat Dominus accumulet ipsi Bonum Joh freuuémo é^izen thaz (3) muaT. Atque exhilaret ipse jugiter animum.

Das nach »Ostarrichi« (V. 3) eingefügte Zeichen verweist auf eine historische Erläuterung, die am Seitenende eingefügt ist. Sie präzisiert in Auseinandersetzung mit zeitgenössischer historischer Literatur zum Frankenreich (Lloyd, Valesius, Blondell, Obrecht) und der Chronik Alberichs von Trois Fontaines (gest. nach 1252) den Begriff des fränkischen Ostreiches: Austrasia, Francia, Teutonica, H. Jun. Batav., c. 9. p. 133. Non satis accurate. Austrasiæ regnum cœpit sub Chlodovici R. liberis continens Franciam veterem trans Rhenum & novam inter Mosam & Rhenum &c. defecerat tempore Caroli M. Nepotum, condito regno Lotharingico, intermedio inter Franciam Occidentalem & Orientalem, cujus terminos sub Carolingis nostris Albericus ad AC. 893 ponit Boiariam, Sueviam, Saxoniam, Thuringiam, Frisiam, Lotharingiam. Nefandus error in Dictionario Histor. Nicol. LLoydii, Austrasiam cum Westrich & Lotharingia confundentis. Vid. H. Valesii Præf. T. 1, Rerum Francic., Blondell, contra Jac. Cassanum, Dn. Obrecht, Prodr. Rer. Alsat. c.V. (S. 1)

Die drei Erläuterungen zu Text und Übersetzung (V. 5, 7, 12) beziehen sich auf die Ausgabe von Flacius und den Abdruck der Widmung an Ludwig den Deutschen bei Lambeck. (1) diskutiert eine Lücke im althochdeutschen Text, die Schilter aus der Übersetzung von Flacius erschließt, für deren Ergänzung er auf eine Parallelstelle aus I,1 verweist. (2) bietet eine Korrektur der Übersetzung von Flacius. (3) ist eine »emendatio« des althochdeutschen Textes auf der Grundlage von Lambeck: (1) Flac. reddit: über Franckenlant gezalt. unde patet lacunam esse in textu & excidisse verbum gizalt, vel gizal, ut infr. I:1,197 quod claritudinem, celebritatem & deprædicationem significat, a Zelén prædicare, dicere. (2) Flac. das regieren so ich dir erzelle / das sint sein gevvalt alle. rectius: Das regiert, vvas ich dir sage, / diese seine gevvalt alles. (3) Flac. leg. thur muat. & reddit mit mut. Sed MS. Cæs. thuz muat. emendandum ergo thaz m.

168 Schilter bündelt, so läßt sich seine Vorgehensweise zusammenfassen, das gelehrte Wissen, das am Ende des 17. Jahrhunderts zum althochdeutschen Text und zur Erklärung des Evangelienbuchs in gedruckter Form zur Verfügung stand. Er präsentiert es auf insgesamt vier Ebenen, dem althochdeutschen Text, der lateinischen Übersetzung, einem Apparat, der auf Text und Übersetzung bezogen ist, sowie einem historisch-erläuternden Apparat. Erschienen ist die vollständige Ausgabe in der Form, wie Schilter sie in seinem Teildruck vorlegte, nicht. Sie verblieb in seinem Nachlaß und wurde erst nach seinem Tod wieder daraus hervorgeholt und von einem seiner Schüler, Johann Georg Scherz (1678–1754), für den Druck einer Bearbeitung unterzogen. Diese schloß dann auch diejenigen Hilfsmittel mit ein, die Schilter in seinen letzten Lebensjahren für den Druck des Evangelienbuchs zusammentragen konnte wie auch diejenigen, an die die Herausgeber des Thesaurus gelangten (s. Kap. 5.3). In der Zwischenzeit nahm ein anderer Gelehrter in Norddeutschland die Beschäftigung mit Otfrids Evangelienbuch auf: Dietrich von Stade.

5.2 Die Otfridarbeiten Dietrich von Stades Nachmittags waren wir bey dem alten Herrn Dietrich von Stade, so ein Mann von drey und siebenzig Jahren, wie er uns selbst sagte, aber vor sein hohes Alter noch wohl aussiehet, und rFstig ist. Sein Sohn ist Regierungs=Secretarius, er aber Consistorial=Secretarius. Er zeigte uns erstlich ein Manuscript in Quart, kleinen Fingers dick, darinnen die verschiedenen Lesarten aus dem Codice Biblioth. Vindobonensis von den Evangeliis Otfridi war, welche ihm ein Strasburger, Johann Philipp Schmidt, der Secretarius von dem Herrn Grafen von Leiningen gewesen, und sich lang in Wien aufgehalten hat, sehr sorgf(ltig aufgezeichnet. Nach dem wiese er uns auch die Evangelia selbst, so er in einem Folianten Hand=dick gar accurat selbst geschrieben, mit vielen Anmerkungen, wo Flacius, Lambecius und Schilterus geirret, auch hie und da ganz neue Versiones dazu gesetzet von einigen Oertern und Stellen, so nicht wohl Fbersetzt worden. Es hat dieser Mann, der wegen seiner K(nntnis in den Schwedisch= Gothisch= und dergleichen Sprachen hier angekommen, sehr grossen Fleiß an dieses Werk angewendet. Es ist das (lteste und vollkommenste, so wir in der alten Fr(nkischen Sprache haben, und w(re zu wFnschen, daß er noch bey seinem Leben einen Verleger zu diesem Werke finden m=chte. Das Specimen, so er vor einiger Zeit in Quart sehr ansehnlich edirt, zeigt genugsam, daß Herr von Stade hierinnen es allen vorgethan, und diese Sprache nicht bloß conjectando, sondern recht nach den fundamentis grammaticis verstehe.19

Dieser Bericht aus den Reisen des Zacharias Conrad von Uffenbach von einem Besuch am 14. März 1710 bei einem Mann fortgeschrittenen Alters namens Dietrich von Stade (1637–1718) ist nicht nur deswegen so interessant, weil der Gastgeber den Besuchern eine offenbar faszinierende Lehrstunde in Sachen Ot-

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Zacharias Conrad von Uffenbach: Merkwürdige Reise durch Niedersachsen Holland und Engelland. Zweyter Theil. Mit Kupfern. Frankfurt – Leipzig 1753, S. 150f. (Hervorhebungen im Original).

169 frid erteilt, sondern weil von Stade bei dieser Gelegenheit zwei Handschriften vorzeigt, die im folgenden eine wichtige Rolle spielen werden: eine kleinere Handschrift mit Lesarten nach der Wiener Handschrift des Evangelienbuchs sowie eine mit Anmerkungen versehene Handschrift in Folioformat mit dem althochdeutschen Text Otfrids und Übersetzungen dazu. Dietrich von Stade kannte, das geht auch aus dem Bericht von Uffenbachs hervor, das »Specimen«, welches Schilter 1698 vorgelegt hatte.20 Von Stade stand aber zu keinem Zeitpunkt in Verbindung mit Johann Schilter, worauf er explizit hinweist.21 Die entscheidenden Anregungen zu einer Beschäftigung mit der deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters erhielt er sicher während seines langjährigen Aufenthaltes und Studiums in Schweden (1661–1668). Dort lernte er die großen skandinavischen Altertumsforscher seiner Zeit kennen, Johannes Loccenius, Olof Rudbeck, Johannes Scheffer, Olof Verelius, Georg Sternhjelm und andere.22 Die Kenntnisse des Schwedischen, Altnordischen, Englischen, Niederländischen und Friesischen eignete er sich in dieser Zeit an. Nach seiner Rückkehr nach Stade war er bis 1711 schwedischer Konsistoraldirektor, danach für kurze Zeit Archivar der Herzogtümer Bremen und Verden. Von 1712 bis zu seinem Tod 1718 lebte er in Hamburg und in Bremen. Die Gegenstände seiner Studien, die er im Norden Europas kennengelernt hatte, griff er in fortgeschrittenerem Alter wieder auf. Schwerpunkte seines Interesses waren – das legen schon allein seine vielfältigen Sprachkenntnisse nahe – sprachvergleichende, sprachgeschichtliche und grammatikalische Fragen. Die wenigsten Resultate seiner umfassenden sprach- und literaturgeschichtlichen Beschäftigung liegen allerdings in gedruckter Form vor. Einen gewissen Grad an Popularität erreichte ein 1711 von ihm veröffentlichtes Bibelwörterbuch, in dem er die wichtigsten, in der Sprache seiner Gegenwart unverständlich gewordenen Wörter der Lutherbibel sammelte und erläuterte. Otfrid ist dort nicht als eigen-

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Er rezipierte es höchstwahrscheinlich in dem Wiederabdruck bei Hickes (Anm. 9). Vgl. das Nachwort von Stades zu seinem Specimen (Anm. 43), S. 37. Vgl. die handschriftliche Vorrede zu von Stades Otfridgrammatik, die im Anhang vollständig abgedruckt ist (Kap. 8.3.2): »Quod reliquum est, recordor equidem me etiam D. Schilterum, cum mihi nullum commercium literarum cum illo esset.« (Bl. 156v). Er stand in Verbindung mit Johann Georg von Eccart. Vgl. zu ihm Hermann Leskien: Johann Georg von Eckhart (1674–1730). Das Werk eines Vorläufers der Germanistik. Diss. masch. Würzburg 1967. Die älteste, noch zu Lebzeiten erschienene Kurzbiographie zu von Stade stammt von Johann Heinrich von Seelen: Stada literata. Doctorum virorvm Stadæ Anno MDCCXI viventium. Vitas Honores atque Opera edita et inedita exhibens scriptore Io. Henrico von Seelen Kedingensi Gymnasii Stadensis cive. Stadæ svmptibus Henrici Brvmmeri typis Casparis Holweinii, S. 101–105. Von Seelen stellte auch eine umfangreiche Sammlung mit einer weiteren Lebensbeschreibung, Zeugnissen zu von Stades Beschäftigung mit mittelalterlicher Literatur, seinen edierten und unedierten Schriften und Briefen zusammen. Vgl. Johann Heinrich von Seelen: Memoria Stadeniana, sive de vita, scriptis ac meritis Diederici a Stade commentarivs, varia simvl historica, philologica, et inprimis tevtonica, complectens. Hambvrgi svmtv Theod. Christoph. Felginer 1725. Vgl. auch Edward Schröder: Stade, Diederich von. In: ADB 35 (1893), S. 353–355. Jürgen Brohmbach: Dietrich von Stade, Vater und Sohn. In: Stader Jahrbuch. Stader Archiv N.F. 78 (1988), S. 32–38.

170 ständiger Autor geführt (wie z. B. Williram von Ebersberg oder Wulfila), er wird aber schon in den ersten Artikeln genannt.23

5.2.1 Zu den Handschriften Hannover, LB, MS IV 458 – 464 Der handschriftliche Nachlaß Dietrich von Stades wird heute in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover aufbewahrt.24 Ich gebe zunächst zur besseren Orientierung eine chronologisch angeordnete Übersicht der Handschriften, die für Dietrich von Stades Arbeit mit dem Evangelienbuch einschlägig sind. Es handelt sich bei allen sieben aufgeführten Handschriften, abgesehen von MS IV 461, um Autographe.25 1. MS IV 458, Abschrift der Otfridausgabe von Matthias Flacius (Januar / Februar 1700) 2. MS IV 461, Kollation der Wiener Handschrift mit der Ausgabe von Flacius von der Hand Johann Philipp Schmids (1704 und 1705) sowie Verzeichnis

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Auch auf seinen Teildruck aus dem Evangelienbuch von 1708 weist er dort nicht hin. Im Nachwort kommt von Stade jedoch auf seine Pläne bezüglich Otfrid zu sprechen. Vgl. Im Nahmen JESU! Kurtze / richtige Erl(uter= und Erkl(rung Etlicher Deutschen Wörter / Deren sich der theure Mann GOttes / Doct. MArtin. Luther, sel. Ged(chtniß / In Ubersetzung Der Bibel in die Deutsche Sprache / gebrauchet / von welchen einige allen und jeden entweder an sich selbst / oder dem Bebrauche / wie auch dem Ursprunge nach / nicht gnug bekannt seyn m=gen / Den Deutschen zu Liebe / deutsch geschrieben Von Diedrich von Stade / K=nigl. Schwed. in den HertzogthFmern Bremen und Verden bestalten Archiuario. STADE / Gedruckt und verlegt durch Caspar Holwein / Im Jahr Christi 1711. Das Wörterbuch wurde von seinem Sohn unter Beigabe der Erweiterungen seines Vaters 1724 wiederaufgelegt. Diese zweite Auflage erschien unter dem Titel: Erl(uter= und Erkl(rung / der vornehmsten / Deutschen W=rter / Deren sich / Doct. Martin. Luther, / In Übersetzung / Der Bibel / in die Deutsche Sprache / gebrauchet / Den Deutschen zu Liebe / deutsch geschrieben und in diesem zweyten Druck vielf(ltig vermehret / Von Diederich von Stade / Weiland K=nigl. Schwed. in den HertzogthFmern Bremen und Verden bestalten Archivario. / Nebst einem dreyfachen Anhang desselben Autoris. BREMEN / Bey Johann Andreas Grimm, 1724. Der Anhang umfaßt: I. Erkl(rung einiger in den Evangelischen Kirchen=Ges(ngen vorkommender W=rter. II. GrFndliche Untersuch= und Erforschung des W=rtleins UR. III. Historische Erzehlung von den S=hnen des K(ysers Ludovici Pii, und der beyden BrFder, Ludovici Germanici und Caroli Calvi, eidlichen VerbFndniß wider K(yser Lotharium. Aus von Stades Nachlaß gelangten die Handschriften zu dem Bremer Theodor Hase (1682–1731). Nach Hannover kamen sie im Januar 1723 vermittelt über Johann Georg von Eccart. Vgl. Memoria Stadeniana (Anm. 22), S. 146. Die Handschriften der LB Hannover wurden im übrigen kurze Zeit, nachdem sie den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hatten, durch einen schweren Wasserschaden in Mitleidenschaft gezogen. Davon sind alle im folgenden angesprochenen Handschriften (mehr oder minder stark) betroffen. Die Datierungen stützten sich für die Handschriften zum Evangelienbuch auf Autopsie. Die letzte Beschreibung in: Die Handschriften der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Hannover. Beschrieben und hg. von Eduard Bodemann. Hannover 1867. Zu von Stades Otfridarbeiten vgl. im Überblick Kelle I (1856), S. 110–117. Von Raumer (Anm. 2), S. 173–176.

171 der Fehler in Lambecks Beschreibung gegenüber V mit Exzerpten aus nicht erhaltenen »Animadversiones« zum Evangelienbuch von Schmid. Diese Auszüge stammen von der Hand Dietrich von Stades (August 1707). 3. MS IV 463, Entwürfe und Exzerpte zu Otfrid unterschiedlicher Art (April 1708) 4. MS IV 462, Entwürfe zu einem Otfridwörterbuch (November 1708)26 5. MS IV 464, Entwürfe zu einer Otfridgrammatik (Juni / Juli 1709) 6. MS IV 460, Entwürfe zu einer Otfridgrammatik (April 1710) 7. MS IV 459, eine Übersetzung des Evangelienbuchs ins Lateinische, die Vorrede zu einer Otfridgrammatik (Oktober 1711) und zu einer Otfridausgabe (Februar 1716), eine Einführung in die Grammatik am Beispiel von Ad Liutbertum, eine Darstellung der Grammatik sowie ein Wortindex zum Evangelienbuch. Otfrid von Weißenburg war nicht das einzige literatur- und sprachgeschichtliche Betätigungsfeld Dietrich von Stades, wie sein übriger Nachlaß belegt. Es findet sich dort – neben anderem – eine Abschrift der Annoliedausgabe von Martin Opitz mit einer Übersetzung des Textes wie auch der Vorreden Opitz’ aus dem Jahr 1693 (MS IV 482 und MS IV 487)27, eine 1694 angefertigte Abschrift der Williramausgabe von Merula (MS I 5) und ein Index dazu (1697, MS I 6). Darüber hinaus sind mehrere Glossare von seiner Hand zu nennen, u. a. zum Ludwigslied, zum Annolied, zur althochdeutschen Benediktsregel, zum Hildebrandslied, zum Heldenbuch (MS IV 447: 1695/1698; MS IV 453: 1706/1708 und MS I 8: 1713) und drei erhaltene Handschriften, in denen von Stade Etymologien deutscher Wörter sammelte (MS IV 478: vor 1705/1706; MS IV 477: 1705; MS IV 476: vor 1707).28 Aus den Datierungen der Handschriften (Nr. 1–7) kristallisieren sich drei zeitliche Schwerpunkte der Auseinandersetzung mit dem Evangelienbuch heraus, ca. 1700–1705, 1708–1711 und 1716. Zunächst zur ersten Phase, die bis zum Erscheinen des Specimen im Jahr 1708 anzusetzen ist.

5.2.2 Die Otfridarbeiten bis 1708 Von Stade begann die Arbeit am Evangelienbuch mit einer vollständigen Abschrift der Edition von Flacius, die er sich von seinem Freund, Johann Hinrich Eggeling (1639–1713) auslieh. Die Kopie liegt in der Handschrift MS

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Diese Handschrift hatte wegen des Wasserschadens einen Pilzbefall und wurde 1997 mit Chemikalien behandelt, was zur Folge hat, daß mit dieser Handschrift nur sehr eingeschränkt zu arbeiten war. 27 Diese Arbeiten sind kurz erwähnt bei Herweg (Anm. 14), S. 306. 28 Kurzbeschreibungen aller hier genannten Handschriften in Eduard Bodemanns Verzeichnis (Anm. 25), vgl. das dortige Register, S. 653f.

172 IV 458 vor.29 Die Kopierarbeit schloß er in einem Zeitraum von zwei Monaten, im Januar und Februar 1700 (Bl. 9r), ab.30 Das Manuskript in Folioformat enthält alle Beigaben sowie den althochdeutschen Text nach der Ausgabe von 1571. Diese Abschrift ist vor allem deshalb wichtig zum Verständnis der Otfridarbeiten von Stades, weil sie über einen längeren Zeitraum dokumentiert, wo Stade angesetzt hat, wie er gearbeitet hat und was ihn interessiert hat.31 Sie enthält neben einer Überschrift »Otfridi Volumen Evangeliorum in quinque Libros distinctum« (Bl. 5r) eine Vielzahl von verstreuten Anmerkungen, z. B. eine Berechnung der Anzahl der Kapitel des Evangelienbuchs (Bl. 5v), Exzerpte aus historiographischen Werken zu Ludwig dem Deutschen (Bl. 5v, 345v), die Erwähnungen Otfrids bei Johannes Trithemius (Bl. 5v, 26v), Anmerkungen zu Schilters »Specimen« (Bl. 53r) und anderes mehr. Auf Bl. 55r beginnt die seiten- und zeilengetreue Abschrift von Buch I. Von Stade fügt eine Verszählung ein, bei der – wie in den heutigen Editionen – jeweils ein Langvers eine Zähleinheit bildet. Zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt er mit Rotstift eine weitere Zählung, bei der zwei Langverse eine Zähleinheit bilden.32 Im September 1701 hatte von Stade offenbar die Möglichkeit, die Lücken der Ausgabe von Flacius aus der Beschreibung der Wiener Handschrift in den Commentarii des Lambecius zu ergänzen: Defectus et lacunæ, quæ in hac editione occurrunt, quomodo supplendæ ex Lambecii Commentar. d Bibliotheca Vindobonensi Lib. II cap. V in fine annotatum, et ex dictis commentariis excerptum, legi potuerit ao 1701 d. 5. Sept (Bl. 9r)33

Den bei Flacius fehlenden Schluß hat er in dieser Kopie aber nur teilweise nachgetragen und auch den Schluß der Widmung an Hartmut und Werinbert, wie er bei Flacius steht, hat er nicht mehr in diese Handschrift eingetragen, obwohl ihm Eggeling den Druck im November 1707 nochmals übermittelt hat.34 Die Textabschrift ergänzte er in Teilen um eine Übersetzung ins Lateinische, die er neben den althochdeutschen Text am Seitenrand eintrug.

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Vgl. Kelle I (1856), S. 110. Zu Eggeling vgl. Conrad Bursian: Eggeling, Johann Hinrich. In: ADB 5 (1877), S. 661f. Die Abschrift gehört zu den am schlechtesten erhaltenen der Otfridhandschriften von Stades. Das Papier ist an den Rändern stark angegriffen durch Wasserschaden. Der Einband hält kaum noch, der Buchrücken ebenso. Die Seiten lösen sich schlecht voneinander. Gut lesbar ist die Handschrift aber dennoch. Sie umfaßt 366 Blätter, die bis 362 mit Bleistift numeriert sind. Zusätzlich gibt es eine mittig stehende Zählung in roter Schrift. Die Handschrift enthält über die Datierung der Anfertigung der Abschrift hinaus noch zwei weitere Datierungen: Ebenfalls auf Bl. 9r (5. September 1701) und auf Bl. 8v (2. September 1705). Das deutet darauf hin, daß von Stade über Jahre mit dieser Abschrift gearbeitet hat. Vgl. zur Verszählung in seinem Specimen S. 178. Vgl. die Exzerpte aus den Commentarii auf Bl. 356r–358r. Vgl. Memoria Stadeniana (Anm. 22), Briefe vom 23. Februar 1695, 7. Juli 1695, 7. November 1707 und 22. Juli 1710. Den Memoria Stadeniana ist der Beginn des Widmungsschreibens an Hartmut und Werinbert (V. 1–28) mit synoptischer Übersetzung ins Lateinische und ein Kommentar beigegeben. Vgl. Memoria Stadeniana (Anm. 22), S. 385– 398.

173 Über den Text von Flacius bemerkte von Stade bereits in einem Brief vom 23. Februar 1695 an Eggeling, daß dieser äußerst fehlerhaft sein müsse. Aber auch die Ergänzungen aus dem Kommentar des Lambecius stellten ihn noch nicht zufrieden. Um über eine verläßlichere Textgrundlage für seine Arbeit zu verfügen, wandte er sich an seinen in Wien lebenden Sohn, Johann Friedrich, mit der Bitte, einen Vergleich zwischen Flacius und der Wiener Handschrift des Evangelienbuchs anzustellen.35 Zu dieser Zeit arbeitete Johann Philipp Schmid bereits für Johann Schilter an einer Abschrift des gesamten Codex (s. Kap. 3.1.2). Schmid erklärte sich dazu bereit, auch von Stade weiterzuhelfen. Er fertigte für ihn ein umfangreiches Lesartenverzeichnis aus V an, für das von Stade sich am 9. Mai 1705 bedankt: Durch Mhhn. communicirte discrepantias lectionum Otfridi Voluminis Euangeliorum Flacianæ editionis et MS. in bibliotheca Cæsar. Vindobon. extantis habe ich eine tapffere Hülfe und zuträglichen Entsatz überkommen, den verum sensum autoris an vielen Oertern zu fassen, welches mir vorhin unmöglich war.36

Von Stade erhielt das Lesartenverzeichnis auf zwei ›Lieferungen‹ verteilt in den Jahren 1704 und 1705.37 Es trägt die Überschrift: Lectiones discrepantes Evangeliorum Otfridi ex Cod. MS. Bibliothecæ Cæsareæ Vindobonensis connotatæ et cum Editione Flacii Illyrici collatæ. (Bl. 6r)38

Schmid fügte auf derselben Seite eine Bemerkung ein, in der er von Stade darauf hinweist, daß der Text des Evangelienbuchs in der Wiener Handschrift nicht, wie es die Edition von Flacius wiedergebe, in Halbverse, sondern in Langverse gegliedert sei: In evolvendis his correctionibus notandum est, numerum primum denotare duos versus, in una linea ex authentico scriptos: posteriorem numerum unum versum, quæ in authentico tantum dimidiam lineam occupat. Si ergo evolvere aliquid velis iuxta meam allegationem in indice Otfridiano iuxta strophas priorem numerum duplica; posteriorem quadruplica, quod facile fieri potest.

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Vgl. Kelle I (1856), S. 111. Memoria Stadeniana (Anm. 22), S. 239f. Vgl. die Überschrift von Stades auf Bl. 5r: »Lectiones correctæ Voluminis Evangeliorum Otfridi, editionis Flacianæ, ut et supplementorum P. Lambecii, a Dn. J. Phil. Schmid, Arg. Consil. »Leiningensi Westerburg«, ad exemplar MS. Codicis bibliothecæ Cæsar. Vindobonensis, magno studio et cura observatæ et annotatæ, et Vienna per Fil. Jo. Frider. von Stade transmissæ, anno 1704 et 5 foliis in forma quarta, XXVI constantes. DVStade.« Die Handschrift (MS IV 461) umfaßt heute 53 Blätter, eine mit Bleistift nachgetragene Zählung geht bis 49. Eine andere oben in der Mitte der Seite stehende Zählung beginnt auf Bl. 6r. Die mittig stehende Seitenzählung geht auch im zweiten Teil der Hs. weiter, diesmal mit Rotstift eingetragen. Der Einband ist wie bei den anderen Handschriften aufgequollen. Der Inhalt ist aber gut lesbar. In beiden Teilen sind zwei Hände, die Schmids und die von Stades, zu erkennen. Auf jeden Fall wurde V zweimal mit der Flaciusausgabe bzw. der Abschrift von Stades davon verglichen. Das zeigen eben die vielen Nachträge und Korrekturen mit anderer Tinte.

174 Nach diesen beiden Zählungen habe er sein Verzeichnis eingerichtet, das im übrigen »3744 errata« (Bl. 4v) gegenüber Flacius enthalte. Schmid verwandte große Sorgfalt auf die Anfertigung des Verzeichnisses: Alle Unterschiede von V gegenüber dem Druck von Flacius zeichnet er in Nachahmung der karolingischen Minuskel und der Auszeichnungsschriften in V auf. Das Lesartenverzeichnis in Quart umfaßt 27 Blätter (Bl. 5–31). Darauf folgt auf weiteren 18 Blättern (Bl. 32–49) eine Liste, in der Schmid Fehler in Lambecks Beschreibung gegenüber der Wiener Handschrift erfaßte. Sie ist überschrieben mit: »Errata Lambeciana ex Codice Cæsareo MS. summa fide, et quoad omnes accentuum quoque apices, restituta.« (Bl. 32r) Von Stade muß das Verzeichnis für seine Arbeit am Text intensiv benutzt haben. Dafür spricht eine Reihe von Eintragungen und Unterstreichungen in der Handschrift selbst, vor allem aber, daß er die Lesarten Schmids wenigstens partiell in seine Abschrift des Drucks von 1571 eingearbeitet hat (s. S. 172). Von Stade wußte natürlich aus den Bemerkungen bei Flacius und aus Lambecius’ Commentarii, daß noch mehrere Handschriften mit dem Evangelienbuch vorhanden sein müssen. Um die Verhältnisse der Handschriften zueinander kümmerte er sich aber nicht weiter. Für ihn ist die Wiener Handschrift der »Codex authenticus«, an den allein er sich in seinem Specimen halten wird.39 Anfang 1707 übersandte Schmid durch Johann Friedrich von Stade des weiteren eine umfangreiche Beschreibung der Wiener Handschrift, aus der mit Seitenverweisen versehene Bemerkungen in das Lesartenverzeichnis eingegangen sind.40 Ausgiebige Exzerpte aus diesen »Animadversiones« nimmt von Stade dann in die Vorrede zu seiner geplanten Otfridausgabe auf (s. S. 182–184). Im August 1707 scheint er einen gewissen Endpunkt in seiner Beschäftigung mit dem Evangelienbuch erreicht zu haben. Er vermerkt auf Bl. 49r: Hactenus emendationes potissimæ Augustissimi Codicis MS. Evangeliorum Otfridi Deo gloria 1707 d. 3. Aug.

Seine Korrespondenz belegt, daß er bereits früh an die Herausgabe des gesamten Textes dachte. 41 Die beiden zentralen Grundlagen liegen mit der Abschrift des Drucks von 1571 und dem Lesartenverzeichnis Schmids vor. Eben jene Handschriften sind es, die eine in Folio, die andere in Quart, die von Stade Zacharias Conrad von Uffenbach bei dessen Besuch im März 1710 vorzeigte

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Mit »authenticus« meint er im Specimen (Bl. A 3v) allein die Tatsache der Vollständigkeit und das Alter der Wiener Handschrift gegenüber dem Text bei Flacius. Davon, daß die Handschrift tatsächlich ein Teilautograph ist, konnte von Stade nichts wissen. Vgl. Kelle I (1856), S. 115–117. Vgl. dazu den Brief Schmids an von Stade vom 11. Februar 1707. In: Memoria Stadeniana (Anm. 22), S. 242–246. Nach den Seitenverweisen zu schließen, muß die Beschreibung Schmids mehr als 73 Seiten lang gewesen sein. Vgl. MS IV 461, Bl. 39v. Vgl. auch MS IV 458, Bl. 357v. Die Korrespondenz mit Schmid reicht bis zum 17. November 1714. Vgl. Memoria Stadeniana (Anm. 22), S. 319–332, S. 335f. Vgl. Kelle I (1856), S. 110.

175 (s. S. 168). Im Druck erschien 1708 nur ein Specimen mit einigen ausgewählten Abschnitten aus dem Evangelienbuch. 42

5.2.3 Das Specimen (1708) Ludouuig ther snello. thes uuisduames follo er Ostarrichi rihtit al. so Frankono Kuning scaL. Mit diesen beiden Versen ist bereits wiedergegeben, was von Stades Teildruck auf typographischer Ebene grundsätzlich von allen Herausgebern des Evangelienbuchs vor ihm und nach ihm bis hin zu Eberhard Gottlieb Graffs Krist (1831, s. Kap. 6.2) unterscheidet.43 Er nahm den Hinweis Johann Philipp Schmids auf die Langzeilenform des Otfridschen Verses ernst und setzte sie im Druck konsequent um (s. S. 173). Diese »novitas«, das hält er auch in seiner Vorrede, die auf den 1. März 1708 datiert ist,44 fest, sei aber eigentlich keine: Minime vero ulla novitatis ratio est habita, sed antiquitatis. Id ad oculum ut demonstretur, ecce quæ Nobilissimus atqve eruditissimus Dn. Schmidius, quem ¢utÒpthn honoris causa hic iterum nomino, [...] (Bl. A 4v)

Die beigegebene lateinische Übersetzung steht aus diesem Grund nicht mit dem althochdeutschen Text in zwei Spalten auf einer, sondern auf der gegenüberliegenden Seite, ebenfalls in Langversen. Diese Übersetzung charakterisiert er im übrigen als unelegant und barbarisch. Er hätte auch eine feinere Stilistik im Lateinischen heranziehen können. Aber: Cui bono? Lectori minus in Francica hac exercitato subvenire volui, verbum verbo fere reddens, presse Francici textus sequor vestigia, ut vocum significatio clarius patet. (Bl. A 4r)

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Zu ergänzen ist hier das folgende: Johann Philipp Palthens Ausgabe der Tatianbilingue ist der Abdruck eines anonymen »Philoteutonus« mit lateinischer Übersetzung und Kommentar von Christus und die Samariterin beigegeben. Dieser stammt von Dietrich von Stade. Vgl. Johann Philipp Palthen: Tatiani Alexandrini Harmoniae Evangelicae antiquissima Versio Theotisca [Greifswald 1706]. Hg. von Peter Ganz. Amsterdam-Atlanta, GA 1993 (Early Studies in Germanic Philology 2), S. 419–426. Zur Zuschreibung an von Stade s. dort die Einleitung von Peter Ganz, S. xv. Von Stade half auch bei der Kommentierung des Tatian mit und verfaßte ein kurzes Lobgedicht auf Palthen, das in der Ausgabe vor der Præfatio abgedruckt ist. Vgl. zu ihrer Verbindung Ganz, S. xiiif. Der vollständige Titel des Druckes lautet: Specimen lectionum antiquarum Francicarum ex Otfridi Monachi Wizanburgensis libris Euangeliorum atque aliis Ecclesiæ Christianæ Germanicæ veteris monumentis antiquissimis collectum, cum interpretatione Latina. Pro præmetio integri Voluminis Evangeliorum Otfridi, cuius editio, sublatis innumeris sphalmatibus editionis Flacianæ, non solum cum supplementis, ab ill. Lambecio publicatis, sed etiam aliis ab eodem non animadversis, ac inde omissis, ope Codicis authentici Augustissimæ Cæsareæ Vindobonensis Bibliothecæ, nec non Glossario vocum obscuriorum in toto opere, summo Numine benigne annuente paratur. Stade 1708. Die Nachrede ist datiert auf den 11. September 1708.

176 Die längsten Ausführungen der Vorrede gelten der Frage nach den Akzenten bei Otfrid. Er habe sie weggelassen, auch wenn Lambecius an der Ausgabe des Flacius die Unterlassung bzw. falsche Positionierung der Akzente moniert habe. Seine Begründung lautet, daß der Text auch ohne Akzente gelesen und verstanden werden könne: Causam pro me dico hanc, quod res fuisset maximi impendii, & meo quidem judicio, non necessarii usus, cum illis careamus commode satis, ac sine accentibus, textus Evangeliorum Otfridi, si alias exercitatum, & in his studiis subactum habet Lectorem, legi & intelligi possit. (Bl. A 3r)

Sie seien lediglich ein ungewohntes Ärgernis für den Setzer wie für den Leser und besäßen keine erkennbare Funktion. Die Frage der Sprache und Sprachverwandtschaft streift er nur eingangs kurz und stellt fest, daß die fränkische Sprache des 9. Jahrhunderts in enger Beziehung stehe zu den nordischen Sprachen:45 [...] linguæ Francicæ, qvæ non solum cum reliqvis Septentrionalibus arctissimæ cognationis vinculo cohæret, sed earum soror germana est, etsi habitu non nihil diverso induta,[...]. (Bl. A 2r)

Das Specimen beinhaltet aus dem Evangelienbuch die Widmung an Ludwig den Deutschen (S. 1–8), die Widmung an Salomo (S. 9f.), das erste Kapitel des dritten Buches (S. 11f.),46 die Verse 23–34 aus V,16 (Missionsbefehl, S. 19) und die Einsetzungsworte aus IV,10 (V. 9–16, S. 19).47 Dazu kommen Psalm XLII (S. 30–33) und einige weitere Stücke.48 Die Psalmenbearbeitung und das Vaterunser (S. 14f.) aus dem Wiener Notker schreibt Dietrich von Stade Otfrid zu:49 Ex Otfridi Paraphrasi Psalmorum Theotisca prosaica in Bibliotheca Augustissima Cæsarea Vindobonensi extante. Codex est membranaceus nitidus ac Euangelia scriptus. (S. 30)50

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Die Sprachbezeichnung für das Althochdeutsch Otfrids ist bei Dietrich von Stade im übrigen immer konsequent »francicus« oder »altfränkisch«. Vgl. den Abdruck der lateinischen Übersetzung dieses Kapitels bei Johann Kelle: Otfrids Evangelienbuch in zwei unbekannten hochdeutschen Uebersetzungen. In: Serapeum 21 (1860), S. 65–76, S. 81–96, S. 97–105, S. 113–121, hier S. 67f. Dietrich von Stade faßt den Text ›tetrastichisch‹ auf. Zwei Langverse bilden bei ihm also eine Zähleinheit. S. S. 173. Namentlich das Athanasische Glaubensbekenntnis (S. 13). Dazu kommt aus bereits gedruckt vorliegenden Quellen die Reichenauer Beichte (S. 20–25), das Altsächsische Taufgelöbnis (S. 16f.), die Exhortatio ad plebem christianam (S. 26f.) und ein Auszug aus einem Weihnachtsspiel (S. 34f.). Notkers Psalter wird seit Johannes Trithemius häufig Otfrid zugeschrieben (s. S. 28). Klärung in der Frage der Verfasserschaft brachte eine Arbeit des St. Gallers Bernhard Franck, die der Ausgabe von Notkers Psalter in Schilters Thesaurus (Bd. 1) vorangestellt wurde. Vgl. Stefan Sonderegger: Schatzkammer deutscher Sprachdenkmäler. Die Stiftsbibliothek Sankt Gallen als Quelle germanistischer Handschriftenerschließung vom Humanismus bis zur Gegenwart. St. Gallen – Sigmaringen 1982 (Bibliotheca Sangallensis 7), S. 49f. Die Informationen über den Wiener Notker erhielt von Stade wohl durch Johann Philipp Schmid. Zur Handschrift vgl. Ernst Hellgardt: Die ›Wiener Notker‹-Handschrift. Überle-

177 Ich gebe als Beispiel für die Texteinrichtung den Missionsbefehl nach von Stades Specimen mit lateinischer Übersetzung:51 12. Faret bredigonti. so uuit so thisu uuorolt si ioh kundet ellu thisu thing. vbar thesan uuorolt ring. 13. Gizellet in ouh filu fram, theih selbo hera in uuorolt quam thaz thiu min geginuuerti giuueihti thia iro herti, Docentes 14. Mines selbes lera. thia duet in filu mara servare toufet sie inti bredigot. thaz sie gilouben in Got omnia. 15. Arme ioh thie riche. so gen iu al giliche so uuaz so in erdu habe lib. Thaz si gomman inti uuib. Qui credi16. Oba sie thes gigahent. zi gilouba sih gifahent derit gidoufit uuerden alle. so ist iro laba thanne. Qui verò 17. Ther auur thes ni gihilit. mit doufu sih ni uuihit, non crediderit. ni giloubit thanne ouh thuruh not. so ist er io firdamnot. Euntes in mundum.

12 . 13. 14. 15. 16. 17.

Ite prædicantes, quam late hic mundus patet. & annunciate omnes has res, super hunc mundi orbem. Enarrate ipsis etiam præcipue, quod ego ipse huc in mundum venerim; ut hæc mea præsentia emolliret hanc eorum duritiem. Meam propriam doctrinam, reddite ipsis cognitam, baptizate eos & prædicate, ut credant in Deum, Pauperes atqve etam diuites, pertineant ad vos æqualiter, quicquid in terra habet vitam, sive sit vir sive mulier, Si ipsi approperent, ad fidem se adjungant, baptizentur omnes, sic est eorum refectio præsto; Qui vero ad hoc non festinat, baptismo se non consecrat, neque tum credit, necesse est ut condemnetur. (S. 19)

Vergleicht man den althochdeutschen Text mit dem in der Edition Erdmanns (1882), gibt es – abgesehen von rein graphischen Varianten (»uu« / »w«, »v« / »u«, »i« / »j«) – nur marginale Unterschiede: In V. 31 (= § 16) liest Erdmann mit V gilóubu, in V. 33 bessert Erdmann nach der Heidelberger Handschrift gihilit zu giilit. Ansonsten sind die Texte in beiden Editionen identisch. Gemessen an der Flaciusausgabe und gemessen daran, daß Dietrich von Stade sich für seinen Text ausschließlich auf das Lesartenverzeichnis von Johann Philipp Schmid stützt, ist ihm also, ohne daß er jemals einen Blick in eine Otfridhandschrift geworfen hätte, eine erstaunlich präzise Textwiedergabe gelungen.52

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gungen zum ursprünglichen Bestand und Gebrauch. In: Aspekte der Germanistik. FS HansFriedrich Rosenfeld. Hg. von Walter Tauber. Göppingen 1989 (GAG 521), S. 47–67. Der Abschnitt trägt die Überschrift: VERBA INSTITUTIONIS ET PROMISSIONIS BAPTISMI. Otfridus Euangel. Lib. V. Cap. XVI., S. 19. Ich setze Text und Übersetzung untereinander und nicht nebeneinander, wie im Specimen. Er zieht im übrigen an keiner Stelle die Emendationes von Freher oder Lambecks Commentarii für die Textherstellung heran.

178 Der wiedergegebene Abschnitt war für von Stade nicht weiter kommentierungsbedürftig. Anders ist dies bei Ad Ludovicum. Dort umfaßt der Textabdruck mit Übersetzung vier Doppelseiten, die im Anschluß an den Text abgedruckten »Notæ« vier volle Seiten. Um die inhaltlichen Schwerpunkte seiner Kommentierung deutlich zu machen, gebe ich hierzu als Beispiel den Beginn seines Kommentars zu Ad Ludovicum: Cum operam dederimus, ut ad authentici Codicis formam hæc imprimeretur, ita ut duabus lineis semper quatuor rhythmi, sive tetrastichon, &, quod inde sponte sequitur, tetrasticho quovis paragraphus exhiberetur: in subjectis notis figuram hanc, §, quæ paragraphum signare solet, hic loco tetrastichi, in quo vox notata se offert, collocare voluimus, quod hic in principio monendum fuit. §3

Druhtin. Dominus Freherus in notis ad Symbolum Apostolicum. Juvat scire, inqvit, Islandos, Noruuagos, illud Druhtin pro Deo retinere & frequentare. Gudm. Andreæ, Islandus, cujus Lexicon prodiit Havniæ 1683.4. idem affirmat, Drotten, Dominus. Olim hoc Reges (in Suecia præcipue) sunt insigniti titulo, loco Regii Nominis, ut Drotten esset Rex, Drotta, Regina, hinc Drotning, corrupte Dronning. Hodie Drotten, pro Domino Deo. Drottin, Dominus in Bibliis Islandicis ubique Jehovam notat, Verel. index, Kero, Trohtin, Otfrid Druhtin, & aliquando Truhtin.

§ eod. Etsi titulus nomen Ludovic, per d exhibeat, hac & sequ. § tamen ab initio TH. ponuntur, ut sit, Luthovvicus. §4

Thigge, petat, roget. & §16. Fergo, peto, in eadem, ut videtur, significatione. Differentia tamen, ut puto, olim inter has voces fuit, ut Thiggen sit, enixe & anxie petere & quasi emendicare, Tiggia Suec. certe est mendicare, Tiggiare, mendicus; Fergan vero proprie poscere, postulare, importune urgendo & quasi extorquendo precibus, quod & dolose quandoque fit. Fergia Goth. & Isl. premere, compingere. Vergen, Vaergen, Verghen, Fland. Hol. Sicambr. adhuc in usu est, notatqve proponere, offere, objicere, poscere, petere, quærere, exequi. Kilian. Etymolog. item phrasis hæc Batav. Dat vuy u Liidsamheit niet te veele vergen. Ne vestram patientiam nimis urgeamus. Et hinc auguror esse vocem Ferchan, dolus, qvam Tatiani Interpres Franc. habet, Cap. CLIII §4. qvam CL. in Academia Gryphica Professor Regius, Dn. Palthenius miratur inter rei ipsius amantissimos periisse, recteque, si quid ego video, huc etiam refert Gothic. Ulph. Fergans, insidiatores, qui urgent & quasi instant petendo, poscendo, ut fallant. Sed Franci promiscue fere dictis vocibus, Thiggan & fergon, usi videntur. Otfrid L. I. c. VII. v. 49.50 Nu fergomes thia thiarnun, selbun Sancta Mariun. Ergo petamus illam virginem, ipsam Sanctam Mariam, idem L. V. cap. XXIII. § 36. 37 Thes himilriches thiggen, thes emmizigen fergon, gihogtlichen forgon, petamus regnum cœlorum, assidue postulemus, solicite curemus: ubi thiggen & fergon, conjunguntur, quæ utraque vox ab usu jam recessit. (S. 5)

Dietrich von Stade leitet seinen Kommentar mit einer Bemerkung zur Verszählung in seiner Teilausgabe ein. Nach dieser Zählung bilden immer zwei Langverse bei Otfrid eine Zähleinheit und werden mit einem Paragraphenzeichen versehen (s. S. 172). Die zweite Anmerkung zu § 3 (in den heutigen Editionen V. 6) konstatiert eine einfache Abweichung in der Schreibung des Namens Ludwig in der Überschrift zu dem Widmungsgedicht gegenüber der Schreibung

179 im Akro- und Telestichon. Weitaus typischer für den Typ der Kommentierung im Specimen sind aber die beiden anderen hier abgedruckten Erläuterungen: Die erste Anmerkung zu § 3 und diejenige zu § 4 erläutern die etymologischen Aspekte und die semantischen Spektra zweier althochdeutscher Wörter: druhtin und thiggen. Zu druhtin verweist von Stade vergleichend auf das Isländische, Norwegische und Schwedische, wo die entsprechenden Nomina vormals den König bezeichneten, in den Gegenwartssprachen aber für (Herr-)Gott stehen. Als Sekundärliteratur beruft er sich auf das 1683 in Kopenhagen erschienene Wörterbuch des Isländischen von Gudmundus Andreas.53 An Primärtexten bezieht er sich über das Evangelienbuch hinaus noch auf Melchior Goldasts Ausgabe der althochdeutschen Benediktsregel (1606) und Palthens Ausgabe der Tatianbilingue. Auch zu thiggen (V. 8), dessen Bedeutung er mit althochdeutsch fergon vergleicht und davon abgrenzt, zieht er Belege aus nordischen, niederdeutschen und der gotischen Sprache heran. Am Ende des Artikels steht jeweils ein weiteres Beispiel für thiggen und fergon aus dem Evangelienbuch. Diese Beispielsätze sollen deutlich machen, daß beide Verben auch synonym verwendet werden.

5.2.4 Zu den späteren Otfridarbeiten Entwürfe zu einem Otfridglossar In seiner Vorrede kündigt von Stade an, daß er seiner geplanten, vollständigen Ausgabe des Evangelienbuchs an Stelle einer lateinischen Übersetzung als Hilfestellung ein Glossarium Francicum beifügen werde: In ipsa Otfridi Euangeliorum editione, nullam versionem Latinam exspecta; sed locum ejus sustinebit, cum tuo L. B. majori usu & commodo Glossarium Francicum, qvod si Deus vitam mihi, jam septuagesimum annum supergresso, concesserit clementissime, adjungetur. (Bl. A3r)

Weder dieses Wörterbuch noch die vollständige Ausgabe sind je gedruckt worden. Die Vorarbeiten zu beiden müssen aber bereits zum Zeitpunkt des Erscheinens des Specimens weit vorangeschritten gewesen sein, denn in den späteren Handschriften von Stades finden sich zwei Entwürfe zu einem Otfridwörterbuch. Beide sind auf 1708 datiert. Von Stade arbeitete, danach zu urteilen, bereits vor dem Erscheinen des Specimen zunächst an einem sprachvergleichenden Glossar zum Evangelienbuch. Die ältere Fassung ist Teil der Handschrift MS IV 463 mit Entwürfen, Exzerpten und Notizen verschiedenster Art zum Evangelienbuch. Auf Bl. 6v findet

_________ 53

Vgl. zur frühen Lexikographie der skandinavischen Sprachen Michael Jacoby: Historische Lexikologie zum nordgermanischen Raum. Lexika als Kultur- und Sprachdokumente zwischen Mittelalter und Neuzeit – Einflüsse von Toledo bis Paris, von London bis Berlin. Wiesbaden 1990.

180 sich die Datierung auf den 7. April 1708. Auf Bl. 29r–150r steht der erste, alphabetisch geordnete Entwurf zu einem Otfridwörterbuch. Wichtiger ist der zweite, etwas jüngere Entwurf in der Handschrift MS IV 462 (Bl. 1r: 11. November 1708).54 Das Glossar, das ebenfalls alphabetisch angelegt ist, beginnt auf Bl. 6r und endet auf Bl. 270v. Darauf folgen auf Bl. 271r– 424v »Addenda ad præcedentem indicem«, die ein zweites, durchnumeriertes Glossar mit Ergänzungen zu dem Entwurf im vorderen Teil der Handschrift bieten. Auf diese Ergänzungen beziehen sich die ebenfalls hinzugefügten Nummern im Glossar. Insgesamt enthält dieses Wörterbuch 1647 Nummern mit Nachträgen zu den einzelnen Lemmata. In einem vorangestellten Verzeichnis (Bl. 5r) führt Dietrich von Stade mehr als zwölf alte und moderne Sprachen an, die er vergleichend hinzugezogen hat, und nennt mehr als 25 Quellen, aus denen er das Glossar erarbeitet hat. Die zum Vergleich herangezogenen Sprachen, die er hier im einzelnen aufführt, sind: Angelsächsisch (= Altenglisch), Englisch, Isländisch, Schwedisch, Altschwedisch, Dänisch, Französisch, Mittellatein, Deutsch und Belgisch. Zu den herangezogenen Quellen gehören mittelalterlich-volkssprachige und lateinische Texte, aus denen er Belegstellen entnehmen konnte, genauso wie Wörterbücher zu modernen Sprachen und Sprachstufen. Ich nenne hier nur die Williramausgabe von Paulus Merula (1598), eine Ausgabe der Werke Taulers (1521), die althochdeutsche Benediktsregel (1606), das Annolied in der Ausgabe von Opitz (1639), den Reinke Fuchs in mehreren Editionen (1498 und 1711), das Heldenbuch (1509), die Chronik Jacob Twingers von Königshofen (1690), eine schwedische Bibel (1655), den Vocabularius Gemma Gemmarum (1505), Werke von Verelius, Stiernhielm, Junius und anderes mehr. Eingerichtet ist das Glossar so, daß auf der linken Seite die Lemmata aus dem Evangelienbuch stehen, auf der gegenüberliegenden rechten Seite die Interpretamente mit Belegstellen aus dem Evangelienbuch und den erwähnten Sprachen und Quellen. Die Zielsprachen sind durchweg Latein und Deutsch. Von Stade führt im übrigen jede flektierte oder unflektierte Wortform gesondert auf (z. B. : Bigan – incipiebat, Begann – anfing; Bigin – incipe; Biginne – incipiat; Bigonda – incipiebat).55 Entwürfe zu einer Otfridgrammatik Bereits in seinem Nachwort zum Specimen aus dem Evangelienbuch kündigt Dietrich von Stade eine Grammatica Franco-Theotisca an, die er – maßgeblich angeregt durch die Lektüre von Georg Hickes Thesaurus (1703–1705) – vorlegen wollte.56 Auch hier haben sich zwei Entwürfe erhalten, ein erster aus dem

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Die Arbeit daran hat sich sicher über Jahre hingezogen, wie das Verzeichnis der Quellen belegen kann, das etwa eine Ausgabe des Reinke Fuchs aus dem Jahr 1711 enthält. Die Handschrift umfaßt insgesamt 428 numerierte Blätter. Zu der Schwierigkeit, mit ihr zu arbeiten, vgl. Anm. 26. Vgl. das Nachwort zum Specimen, S. 35–39 sowie die Vorrede zur Grammatik in MS IV 459, Bl. 153r.

181 Jahr 1709 (MS IV 464) und ein zweiter aus den Jahren 1710 und 1711 (MS IV 460).57 Der ältere Entwurf ist als Konzept zu charakterisieren, das auf 87 Blättern im Folioformat eine Reihe von Exzerpten aus Hickes Thesaurus, aus Palthens Edition des Tatian und Übersichten zur Flexionsmorphologie enthält. Der Inhalt des jüngeren Entwurfs, der 102 Blätter umfaßt, ist demgegenüber etwas deutlicher strukturiert. Freilich trifft auch hier noch Eduard Bodemanns Charakterisierung der Handschrift als »Collectanea miscellanea«58 durchaus zu. Auf Bl. 1v findet sich in MS IV 460 der folgende Titelentwurf: Titulus libri, qui presentis state 1710 imprimetur Stadæ, in forma quarti Institutiones Grammaticæ linguæ Franco-Theotiscæ antiquæ Otfridianæ, / meris exemplis / ex integro Evangeliorum Otfridi, Vuizanburgensis Monachi omnium Francicorum Scriptorum, de quorum ætate constat, et quorum Opera haud mutilata, ad nos pervenerunt antiquissimi / Volumine illustratæ / quarum ope, non solum veteres Authores Francici recte intelliguntur et linguæ Teutonicæ, sive Germanicæ, qua hodie utimur, indoles et genius cognoscimusque monstrari potest, mutationem illam, quam præterita secula dederunt, tantum non valuisse, quin eadem genuina sit lingua, quæ antiqua fuit. opera et studio Diederici von Stadæ 24. April 1710. (Bl. 1v)59

In der Handschrift folgt eine in insgesamt 17 Abschnitte untergliederte Beschreibung der Grammatik des Evangelienbuchs. Sie tragen die folgenden Überschriften: De orthographia et pronunciatione. Mit einer Tabelle zum bestimmten Artikel (Bl. 3rv) Übersicht zum unbestimmten Artikel (Bl. 4r) Declinationes Nominum: I. Masculinorum (Bl. 4v)60 II. Neutrorum (Bl. 5v) III. Foemininorum (Bl. 6v) IV. Foemininorum in A (Bl. 7v) V. Masculinorum et Neutrorum (Bl. 8v) I. Declinatio adjectivorum, nominum pronominum et participiorum sine articulo (Bl. 9v) De usu adjectivorum, cum vel sine terminatione (Bl. 11r) De Derivatione Substantivorum (Bl. 11v) De Pronomine sive numine vicario (Bl. 17r) Verba Auxiliaria Franco-Theotisca (Bl. 36r) Conjugatio verbi auxiliaris, vuerthen, vel vuerden, fieri (Bl. 45v) De verbo, ejusq conjugatione sive flexione (Bl. 48) De verbo passivo (Bl. 60v) De verbo impersonali (Bl. 63v) De constructione Syntaxi vocum (Bl. 68r)

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58 59 60

MS IV 464 enthält zwei Datierungen: 6. Juni 1709 (Bl. 1r) und 8. Juli 1709 (Bl. 4r). MS IV 460: 24. April 1710 (Bl. 2r) und 21. Februar [1711] (Bl. 48r). Dazu kommen ein Titelentwurf für sein Bibelwörterbuch, der auf 1711 datiert ist, sowie ein eingelegter Brief von Martin Klein an Gabriel Diecmann vom 25. März 1712. Bodemann (Anm. 25), S. 79. Ein weiterer Titelentwurf findet sich auf Bl. 2v: »Grammatica Franco-Theotisca, Paradigmatico-Otfridiana, id est, Exemplis ex volumine Evangeliorum Otfridi illustrata.« Zwischen Bl. 4 und 5 sind drei Blätter mit Übersichtstabellen eingeheftet, die ursprünglich wohl nicht hierher gehörten, aber auch die Deklinationen zum Gegenstand haben. Sie sind im Querformat beschriftet.

182 Auf Bl. 69v enden diese Entwürfe, denen in der Handschrift noch einige Exzerpte und weitere nicht detaillierter ausgearbeitete Teile folgen. Die Grammatik sollte nach dem zitierten Titelentwurf noch 1710 erscheinen. Aus welchen Gründen die Drucklegung der Grammatik und der Textausgabe nicht zustande kam, ist ungeklärt, mag aber mit dem unabgeschlossenen Stand der Vorhaben in Zusammenhang stehen, an denen von Stade wohl bis zu seinem Lebensende, sicher bis zum Jahr 1716 weiterarbeitete. Weitere Entwürfe und Vorreden zur Otfridausgabe und -grammatik Beleg für die Weiterarbeit Dietrich von Stades ist seine chronologisch gesehen letzte Handschrift (MS IV 459). Ihren Hauptbestandteil bildet eine vollständige Übersetzung des Evangelienbuchs ins Lateinische (Bl. 1r–114r), die mindestens zweimal durchkorrigiert wurde.61 Dazu kommen weitere ausgearbeitete Teile, insbesondere eine ausformulierte Vorrede zu einer Otfridgrammatik, die auf den 22. Oktober 1711 datiert ist (Bl. 176r). Ein Titelentwurf auf Bl. 121r zeigt, in welcher Form Dietrich von Stade seine Grammatik wohl publizieren wollte. Sie sollte demnach aus vier Abschnitten bestehen, die in der Handschrift zum größten Teil bereits ausformuliert sind. 1. Auctoris præfationem ad Lectorem (Bl. 153r–157r) 2. Otfridi præfationem ad Liutbertum Archiep. Mogunt. volumini Evangeliorum præmissam in qua agitur de re grammatica veteris linguæ Theotiscæ. (Bl. 159r–162v) 3. Introductionem in artem linguæ Franco-Theotiscæ grammaticam, in qua præmissa Otfridi præfatio illustratur. (Bl. 166r–176r) 4. Observationes Grammaticas Franco-Theotiscas, duodecim capitibus comprehensas, quorum argumenta in principio notata sunt. (Bl. 177r–220r)

In der reinschriftlichen Vorrede Dietrich von Stades zu seiner Otfridgrammatik expliziert er in aller Kürze das Ziel seines Vorhabens, daß nämlich »Grammaticæ artis cognitionem eis præcipue esse necessariam, qui linguam atque stylum ejus recte intelligere, et interpretari velint .« (Bl. 153r) 62 Als Hinführung dazu gibt er einen knappen Abriß der Geschichte der Beschreibung der (neuhoch-)deutschen Grammatik im 16. und 17. Jahrhundert. Er verweist hier insbesondere auf Arbeiten von Albert Ölinger, Valentin Ickelsamer, Johannes Claius Hertzberg, Johann Brucken, Johann Girbert, Justus Georg Schottel, Daniel Georg Morhoff und Johann Bödiker.63 Von Stade zeigt an einigen Beispielen aus Franciscus Junius’ Kommentar zur Hoheliedparaphrase Willirams von Ebersberg sowie an Johann Schilters Ausgabe des Ludwigsliedes und der Chronik Königshovens, welche Fehler diesen bei ihren Übersetzungen ins Lateini-

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Diese Übersetzung scheint der Aussage in der Vorrede zum Specimen zu widersprechen, daß der althochdeutsche Text ohne Übersetzung publiziert werden sollte (s. S. 179). Einen Abdruck dieser Vorrede biete ich in Kap. 8.3.2. Vgl. zu diesen Namen und ihrer Beschäftigung mit der Geschichte der deutschen Sprache Max Hermann Jellinek: Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik von den Anfängen bis auf Adelung. Zwei Halbbde. Heidelberg 1913 / 1914. Andreas Gardt: Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Berlin – New York 1999.

183 sche unterlaufen seien. Im übrigen seien noch »varias hallucinationes« (Bl. 156v) übrig, die unbedingt erklärungsbedürftig seien. In der Handschrift steht nach der Abschrift von Ad Liutbertum eine »Introductio in artem linguæ Franco-Theotiscæ Grammaticam, ubi Otfridi ad Liutbertum illustratur, et causæ, quæ culturam ejus Linguæ impedierint, tum falsæ antiquorum hypothesum«. Bei dieser Einführung handelt es sich um eine unfertige Konzeptniederschrift mit einem ausführlichen Kommentar zu Ad Liutbertum. Darauf folgen »Observationes« zur Grammatik des Evangelienbuchs, die nach dem Titelentwurf auf Bl. 166r bereits 13 Abschnitte, nicht mehr zwölf, enthalten sollte: Observationes Grammatica Franco-theotisca. Pro intellectu verborum & locutionum, in volumine Evangeliorum Otfridi, Wizanburgensis quondam Monachi, occurrentium. Plurimis exemplis illustrata. contenta libelli hujus. 1. Præfatio 2. De orthographia, pronunciatione, & qua eo pertineat. 3. De Articulis. 4. De Declinatione Nominum. 5. De terminatio Nominum Substantivorum & adjectivorum. 6. De comparatioone. 7. De speciebus nominum, quod sint vel primitiva vel derivativa. 8. De figura, quod voces sint vel simplices vel composita 9. De Pronominibq 10. De verbis. 11. De particulis, adverbiis, conjunctionib, Präpositonibus et interjectionibus. 12. De Syntax sive constructione. 13. De Prosodia

Die Entwürfe reichen bis Bl. 220r. Dort steht: »Sed satis de his. DEO LAUS ET GLORIA.« Danach steht ein weiterer Entwurf zu einem althochdeutschlateinischen Otfridglossar (Bl. 223r–255r), das die Überschrift trägt: »Catalogus vocum in libris Evangeliorum Otfridi Monachi Wizanburgensis occurrentium.« Vorangestellt ist diesen vier Teilen eine umfangreiche Präfation (Bl. 123r– 151r), die Dietrich von Stade der Otfridausgabe voranstellen wollte. 64 Sie enthält zuerst in Orientierung an den Widmungszuschriften Otfrids eine historische Einführung zu den Empfängern der Widmungsschreiben (Bl. 123r–137v) mit allgemeinen Informationen zu Otfrid und seinem Werk. Darauf folgt eine Beschreibung der Wiener Handschrift, für die er sich auf die »Animadversiones« von Johann Philipp Schmid stützt und ausführlich daraus zitiert (Bl. 137– 151r, s. S. 174). Am Ende folgen einige Anmerkungen zur dialektalen Einordnung der Sprache Otfrids sowie eine metrische Beschreibung des Otfridverses. Dieser auf die Handschrift und den Text bezogene Teil ist mit folgenden Überschriften versehen:65

_________ 64

65

Die Handschrift sollte eigentlich nur die Grammatik enthalten. Die Vorrede zur Otfridausgabe ist aus folgendem Grund beigegeben: »Huic volumini addita est (ne separata periret) Introductio in Otfridi opus Evangeliorum poeticum, nova ejus editione ab Auctore destinata, adeoque eidem, si Deus dederit, præfationis loco præfigenda.« (Bl. 121r) Auch diese Vorrede ist im Anhang (Kap. 8.3.1) abgedruckt. Sie bietet, wie auch die weiteren angesprochenen Bestandteile der Handschrift MS IV 459, ungedrucktes Material, das vor allem für eine Geschichte der Sprachwissenschaft von Interesse ist.

184 1. De forma externa Codicis Msti Bibliothecæ Cæsareæ Otfridi Evangeliorum authentici (Bl. 137v–139r) 2. De forma scripturæ externa, ut et ejus dispositione & ordine (Bl. 139r–140r) 3. De potestate literarum, sive orthographia et pronunciatione (Bl. 140r–141v) 4. De punctis (Bl. 142r–143r) 5. De accentibus (Bl. 143r–145v) 6. De emendationibus codicis Otfridiani authentici (Bl. 145v) 7. De nævis codicis Viennensis & usu Flacianæ editionis in restituendis lacunis (Bl. 145v–146v) 8. De dialecto carminis Otfridiani (Bl. 147r–147v) 9. De metro & ratione carminis Otfridiani (Bl. 147v–151r)

Dietrich von Stade bezeichnet die Textgrundlage für seine Edition in mehreren Briefen als fertiggestellt (s. S. 174). Unter seinen heute in Hannover aufbewahrten Materialien findet sich allerdings keine solche Handschrift, die man als fertige Druckvorlage bezeichnen könnte. Man wird kaum davon ausgehen können, daß der Text nach der Abschrift der Edition von Flacius (MS IV 458) angefertigt werden sollte, in die die Lesarten aus der Wiener Handschrift ja nur partiell eingearbeitet sind (s. S. 171f.). Daß der Setzer diese Arbeit durchführen sollte, erscheint mir unwahrscheinlich zu sein. Die Handschrift MS IV 458 kann demnach nicht die Druckvorlage gewesen sein. Geht man davon aus, daß Dietrich von Stade den Editionstext fertiggestellt hatte, muß die Vorlage als verschollen gelten. Abschließend sei die Frage gestellt nach den Motiven, die für Dietrich von Stade bei seiner Beschäftigung mit dem Evangelienbuch leitend gewesen sein könnten. Auf der Hand liegt die sprachvergleichende Zugriffsweise, die sich aus seinen biographischen Lebenszusammenhängen – Interesse für ›Altertumskunde‹, Studium in Schweden, schwedisch regiertes Umfeld in Stade – ergibt. Es fällt darüber hinaus auf, daß er offenbar erst verhältnismäßig spät beginnt, sich mit Otfrid auseinanderzusetzen. Das Evangelienbuch scheint eine Art ›Altersbeschäftigung‹ für ihn gewesen zu sein. Ein religiöser Begründungszusammenhang spielt für Dietrich von Stade offenbar keine Rolle.66 Dieser Zusammenhang scheint höchstens als ein religionsgeschichtlicher durch, für den exemplarisch die Texte stehen, die er neben den Auszügen aus dem Evangelienbuch in seinem Specimen abdruckt.67

5.3.

Zwischen Dietrich von Stade und Schilters Thesaurus

In Straßburg habe [ich] mit H. Simon gleuch Bekantschaft gemacht, und auf Veranlassung des H. Mareck de Villars ad instantiam, D. Princip. Eugenii der H. Prætor Regius mein weniges videtur von den Schilterianis erlanget worden, gelegenheit genommen, diese ziemlich zu perlustriren. Ich habe auch die edierung derselben, so viel möglich recommendiert und es hat der gelehrte Buchführer Dultzecker bereits eine raisonable offerte dem

_________ 66 67

Dies gilt auch für das Stichwort Patriotismus, der bei Dietrich von Stade als Motiv durchaus naheliegend wäre. Vgl. die Vorrede zum Specimen, Bl. B 1r.

185 H. Possesori gethan. Er ist aber gar zu geitzig. Indessen kan ich (doch vertraulich) nicht verhalten, daß præsentia famam sehr minuieret. Das Glossarium allemanicum ist nicht groß, hat keine etymologien. Ja an vielen Orten mangeln autoritates. Der Otfridus daucht gar nicht. Denn der Sel. H. Schilter hat nichts als des Flacii edition gehabt, und ex genio corrigiret; darauf seine version gemacht, aber auch noch dazu seinen autorem lange nicht genug verstanden, noch weniger ein glossarium dazu gemacht, oder dergleichen dem grossen inserieret. Daher habe ich gerathen, daß man um des braven Sel. H. honneur zu menagieren und den Verleger nicht in Schaden zu setzen, diesen nicht ediren, sondern sich bemühen müste des alten H. von Staden Arbeit zu bekommen. Denn dieser hat den gantzen Otfrid zu Wien von einem rüstigen Mann mit allem Fleiß copiirt bekommen, so daß nur bey ein par Büchern die accentuation fehlet. Und wie er gewiß den Otfrid so gut verstehet als ihn ein jetztlebender verstehen kan, also hat er eine vortreffliche version und kurtzes glossariolum hiebey gemacht. Ich habe bey meiner Durchreise durch Bremen alles zur edition fertig gesehen.68

»Der Otfrid daucht gar nicht.« Mit dieser Aussage bringt der Rechtsgelehrte und Hamburger Syndicus Johann Anderson seine Meinung zur (noch) ungedruckten Schilterschen Ausgabe des Evangelienbuchs, wie er sie in dem von Johann Christian Simon erworbenen Nachlaß gesehen habe, auf den Punkt.69 Die Voraussetzungen seien die falschen gewesen. Schilter habe nur »ex genio« Flacius korrigiert und sonst keine Kenntnisse besessen, weder was die Textgrundlage noch was ein angemessenes Textverständnis angehe. Deshalb habe er gegenüber dem Nachlaßverwalter die Empfehlung ausgesprochen, aus Pietät gegenüber Schilter und aus ökonomischen Gründen, die Ausgabe des Evangelienbuchs im Thesaurus wegzulassen. Anderson empfiehlt dagegen sehr die Otfridarbeiten Dietrich von Stades, mit dem er übrigens in brieflichem Austausch stand.70 Dieser habe in Gestalt einer Abschrift auf die Wiener Handschrift zurückgegriffen – gemeint ist das Lesartenverzeichnis in MS IV 461 (s. S. 173f.) –, eine Übersetzung und ein Glossar erarbeitet, mithin versteht er Otfrids Text »so gut [...] als ihn ein jetztlebender verstehen kan«. Stimmte das so, wie Anderson es hier darstellt? Befand sich im Nachlaß Schilters nicht mehr als die Ausgabe in der Form, wie sie der Teildruck von 1698 repräsentiert? Hatte Schilter keine weiteren Anstrengungen unternommen, um den Text des Evangelienbuchs aus einer anderen Grundlage als der Ausgabe von 1571 zu ergänzen und zu verbessern? Und wurde Andersons Empfehlung, die Stadeschen Arbeiten anstelle derjenigen Schilters zu benutzen und daraus eine neue Ausgabe zu erarbeiten, noch berücksichtigt? Diese Fragen werden im folgenden Abschnitt zu behandeln sein.

_________ 68

69

70

Dieser Auszug stammt aus einem unedierten Brief Andersons vom 5. Januar 1715 an Johann Georg von Eccart. Der Brief findet sich in einer Handschrift mit »Varia Leibnitii et Eccardi ad vetustissimum Germaniæ statum facientia« Hannover, LB, MS XIII 785, Bl. 1rv. Vgl. Bodemann (Anm. 25), S. 154. Vgl. zu Anderson das Biogramm in Eduard Bodemann: Der Briefwechsel des Gottfried Wilhelm Leibniz in der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover. Mit Ergänzungen und Register von Gisela Krönert und Heinrich Lackmann, sowie einem Vorwort von Karl-Heinz Weimann. Hildesheim 1966, S. 5. Vgl. Memoria Stadeniana, S. 158f, S. 301f., S. 303–305.

186

5.4.

Die Thesaurierung des Evangelienbuchs. Die Otfridausgabe im Thesaurus antiquitatum Teutonicarum (1726)

5.4.1 Voraussetzungen, Inhalt und Entstehungsgeschichte Schilters Thesaurus ist eine Gemeinschaftsleistung zahlreicher gelehrter Altertumsforscher, nicht nur, weil die früheren Editionsleistungen darin aufgehoben sind, sondern weil Schilter sich bei der Verfolgung seines Plans der Mithilfe vieler Zuarbeiter sicher sein konnte.71

Der Thesaurus ist nicht die Leistung eines einzelnen, hinter ihr steht – wie Ulrich Seelbach beobachtet hat – ein gelehrtes Netzwerk von Literaturagenten, Hilfskräften, Abschreibern, Büchersammlern und Informanten.72 Schilter hatte seinen gesamten Nachlaß bereits zu Lebzeiten an seinen Schüler, den nachmaligen Syndicus von Kempten, Johann Christian Simon, verkauft.73 Die Veröffentlichung des Thesaurus zögerte sich noch bis in die zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts hin. Die Verhandlungen mit dem Verleger der Teildrucke aus dem Evangelienbuch und aus Notkers Psalter sowie der Ausgabe des Ludwigsliedes, Johann Georg Dullsecker, scheiterten, wie Anderson sagt, aus Geiz von Simon, der mit dem Nachlaß offenbar handfeste ökonomische Interessen verband. Erst 1725 schloß Simon mit dem Ulmer Buchhändler und Verleger Daniel Bartholomäus einen Vertrag.74 Die Hauptherausgeberschaft übernahm aber nicht Simon selbst, sondern der Ulmer Johannes Frick (1670–1739). Der Thesaurus erschien dann von 1726–28 in drei umfangreichen Foliobänden. Er enthält eine Reihe von Texteditionen, die zum damaligen Zeitpunkt bereits gedruckt vorlagen, und darüber hinaus einige Erstausgaben. Schon allein vom Inhalt der Bände ergibt sich, daß die Aussage zu differenzieren ist, der Thesaurus sei »hauptsächlich eine für die Kenntnis des Althochdeutschen wichtige Sammlung alter Rechtstexte«.75 Er enthält auch zeitlich teilweise erheblich später anzusetzende Texte in der deutschen und in anderen Volkssprachen wie in lateinischer Sprache. Dazu kommt, daß der Thesaurus mehrere Texte umfaßt, die sich auch bei einer sehr weiten Terminologie kaum unter dem Stichwort ›Rechtsgeschichte‹ verbuchen lassen. Das war offenbar auch nicht die Intention Schilters und seiner Nachlaßverwalter. Die Differenzierung, die sie grundsätzlich treffen, besteht vielmehr in einer freilich rudimentär gebliebenen Gattungssystematik, die geistliche und weltliche Texte voneinander trennen möchte: der erste Band beinhaltet demnach die monumenta sacra, der zweite die monumenta civilia. Die Anordnung der Texte folgt ansonsten keiner erkennbaren systematischen oder chronologischen Ordnung. Der erste, 1726 erschienene Band umfaßt:

_________ 71 72 73 74 75

Seelbach (Anm. 16), S. 111. Vgl. Seelbach (Anm. 16), S. 109 und S. 111. Vgl. Kelle I (1856), S. 119. Vgl. Kelle I (1856), S. 119. Luig (wie Anm. 8), S. 775. Vgl. ähnlich Schulze (wie Anm. 8), Sp. 1408.

187

1. Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch (400 S.) 2. Notker III. von St. Gallen, Psalter und Cantica, Oratio Dominica, Symbolum Apostolorum, Ymnus Zachariæ, Canticum Sanctæ Mariæ, Fides Sancti Athanasii Episcopi. (274 S.) 3. Williram von Ebersberg, Paraphrase des Hohen Liedes (69 S.) 4. Ahd. Isidor (12 S.) 5. Ahd. Benediktsregel (62 S.) 6. Index Evangeliorum Dominicalium et Festorum apud veteres Anglo-Saxones (S. 63-69) 7. Kalendarium Alemannicum ex Cod. MS. Seculi XIII. descriptum (S. 70-74) 8. Monumenta Catechetica Theotisca, darunter u. a. die hier Otfrid zugeschriebene Oratio Dominica Notkers, zahlreiche weitere Vaterunser-Versionen, Beichtformeln. (S. 75-89) 9. Annolied (32 S.)

Der zweite, 1727 erschienene Band enthält: 1. Lex Salica (94 S.) 2. Schwabenspiegel (240 S.) 3. Stricker, Karl (133 S.) 4. Rolandslied (51 S.) 5. Ludwigslied (19 S.) 6. König Tirol und Fridebrant, Winsbecke und Winsbeckin (51 S.) 7. Als Paralipomena: Constitutiones imperiales, Schriften über Schilters Leben und Werk (42 S.) 8. als Appendix zu Bd. I: Ahd. Tatian, Christus und die Samariterin (104 S.) 9. Verschiedene, lateinische Schriften zur Historia Suevica (113 S.)

Der 1728 erschienene dritte Band beinhaltet ein über 900 Seiten umfassendes deutsch-lateinisches Glossarium ad scriptores linguæ francicæ et alemannicæ veteris, das nicht nur im Textcorpus, den verwendeten sekundären Quellen, Bedeutungsangaben, Belegstellen und Etymologien weit über die in den ersten beiden Bänden abgedruckten Texte hinausgeht, sondern auch – innerhalb der Artikel – noch einige weitere, kürzere Texte zum Abdruck bringt.76 In welcher Form übte nun das angesprochene Netzwerk für die Otfridausgabe seine Tätigkeit aus? Schilter hatte bereits vor der Veröffentlichung seines Specimens oder in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem Erscheinen die Nachforschungen zu den unmittelbaren handschriftlichen Quellen des Evangelienbuchs intensiviert. Von der Abschrift der Heidelberger Handschrift durch Achill Pirmin Gasser erhielt er bereits im Januar 1697 Kenntnis. Der Augsburger Christoph Jacob Lauber schreibt ihm: Liber Evangeliorum Christi, per Otfridum Monachum rythmice ante IIX. Secula in idioma Germanicum translatus. Codex hic est manu Gasseri ao. 1560. scriptus in Fol. ex quo editione Basiliensis M. Flaccii fuit procurator, at mendose.77

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Dieses Wörterbuch geht auf den Bearbeiter der Texte, Johann Georg Scherz, zurück. Es wurde 1781 von Jeremias Jakob Oberlin in ergänzter Form erneut herausgegeben. Gießen, UB, Cod. 141, Bl. 205r. Zitiert nach Seelbach (Anm. 16), S. 110, Anm. 71. Vgl. zu den weiteren Bemühungen Laubers ebd.

188 Die Gassersche Abschrift konnte Schilter für die Gestaltung seines Textes nicht mehr nutzen. Ende 1699 erhielt Schilter von Frederik Rostgaard (in handschriftlicher Form) die Emendationes, die dieser in Rom aus der Heidelberger Handschrift genommen hatte. Zur Wiener Handschrift belegen erst die Briefe Johann Philipp Schmids die Aktivität Schilters in diesem Zusammenhang.78 Um 1700 wird Schilter die Hälfte des Vindobonensis in der Abschrift Schmids vorgelegen haben. Schilter kam aber, »partim aliis negotiis impeditus, partim morte præventus«79, nicht mehr zur Ausführung seines Unternehmens. Die Bearbeitung des Evangelienbuchs übernahm wiederum ein anderer Schüler Schilters, der Straßburger Jurist und Professor Johann Georg Scherz (1678–1754).80 Scherz machte sich die Materialien aus dem Nachlaß zunutze, auch er sah aber nie eine der damals bekannten mittelalterlichen Handschriften des Evangelienbuchs im Original ein. Ihm gelang es allerdings, aus der Bibliothek des Raymund Krafft von Delmensingen die Gassersche Abschrift zu erhalten und zu benutzen.81 Noch 1726, dem Jahr der Veröffentlichung des ersten Thesaurus-Bandes mit der Otfridausgabe, bemühte sich Scherz, vermittelt durch Frick, den einzigen noch unberücksichtigten Textzeugen, die Freisinger Handschrift, zu erhalten. Da Frick und Scherz möglicherweise der Zugang zur Freisinger Bibliothek verwehrt blieb, wandten sie sich, allerdings ohne Erfolg, an den Göttweiger Abt, Gottfried Bessel, von dessen Abschrift sie erfahren hatten (s. Kap. 3.1.3). Somit lag Scherz eine umfangreiche Materialbasis vor, aus der er einen ›kritischen‹ Text des Evangelienbuchs erarbeiten wollte. Sie umfaßte, um die wichtigsten gedruckten und ungedruckten Hilfsmittel für die Erstellung des Textes zu resümieren, die Abschrift der Heidelberger Handschrift von Gasser, den Druck des Evangelienbuchs von Flacius, Frehers und Rostgaards Emendationes, die Commentarii Lambecks, eine Teilabschrift der Wiener Handschrift von Johann Philipp Schmid sowie die »Specimina« von Georg Hickes und Dietrich von Stade.

5.4.2 Zur Anlage von Textedition und Kommentar Otfridi Weissenburgensis Volumen Evangeliorum, in quinque Libros Distinctum, a Johannes Schiltero, Polyhistore & JCto Argentinensio Celeberrimo, Latinitate donatum ac eximiis Observationibus exornatum, Collatum autem cum Codice Manuscripto Vindobonensi & Emendationibus ex Codice Manuscripto Vaticano desumtis; ac præterea Notis auctum à Joh. Georgio Scherzio, Juris Professore P. Ord. in Universitate Argentoratensi, Ulmæ 1726.

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Vgl. die Angaben in Kap. 3.1.2. Johann Georg Scherz: Supplementum Præfationis. In: Thesaurus Bd. I, Bl. b 1v. Vgl. zu Scherz Ellen Martin: Scherz, Johann Georg. In: ADB 31 (1890), S. 138f. Zur regionalen Situierung vor einem größeren Hintergrund: Voss (Anm. 13). Vgl. Johann Georg Scherz: Supplementum Præfationis. In: Thesaurus, Bl. b 1v. Die Gassersche Abschrift trägt auf dem Buchrücken die Nr. 98. Nr. 96 ist die alte und neue Signatur der Abschrift Schmids.

189 Unter diesem Titel erschien 1726 die Otfridausgabe als erstes Stück des ersten Bandes des Thesaurus, der nach dem später vorgesetzten Haupttitel den »Monumenta Ecclesiastica Christiana Veterum Francorum & Alemannorum vernacula: Edita, Inedita« zugedacht war.82 Die Ausgabe des Evangelienbuchs wurde von der Kritik des 19. Jahrhunderts äußerst negativ aufgenommen. Der Vorwurf lautet, Scherz habe doch alle nötigen Grundlagen besessen, um einen soliden althochdeutschen Text herzustellen:83 Es ist daher ganz unbegreiflich, wie Scherz alle jene unsinnig verdorbenen Lesarten, welche Schilter, wenn auch vielleicht für nicht richtig hielt, doch aus dem Grunde aufnahm, weil er glauben mochte, Flacius habe sie in einer Handschrift vorgefunden, in seinem Text beibehalten konnte.- Wäre nöthig, Beispiele des verdorbenen Textes anzuführen, so brauchte man nicht lange nach denselben zu suchen. Jedes Blatt, jede Seite bietet derer in mehr als hinreichender Anzahl. [...] Es muss auffallen, dass sich Schilter und Scherz in die Sprache eines Schriftstellers, mit dem sie sich doch Jahre lang beschäftigten, nicht besser hineinlebten, und sogar manchmal gegen die allgemeinsten Sprachkenntnisse verstiessen. Indicativ und Conjunctiv, Präsens und Präteritum sind sehr häufig völlig verkannt, und oft eine Uebersetzung geliefert, aus der hervorgeht, dass weder Schilter noch Scherz, der ihn verbessern wollte, wussten, was sie übersetzten.84

Schilter wird hier von Kelle eingangs noch explizit verteidigt, weil ihm die nötigen Grundlagen für die Herstellung eines verläßlichen Textes gefehlt hätten, Scherz aber hart kritisiert, weil er die zahlreichen Materialien nicht in der Weise genutzt habe, wie das möglich gewesen wäre. Wie aber war Scherz mit den zusammengetragenen Hilfsmitteln verfahren? In seiner Vorrede gibt er über seine Vorgehensweise und seine Motive dafür Auskunft: Contuli itaque Textum, qualis a Schiltero exhibetur, integrum cum toto Codice Vindobonensi & Emendationibus Rostgaardi, deceptis ex Codice Vaticano. Imo & contuli ipsum illud MS. quod Typographis inserviebat, cum Flaciana Editio imprimetur, [...]. Licet autem non facilis sim ad lapsus aliorum, inprimis Præceptorum, sub censuram revocandos, tamen Publici boni amore raptus, non potui, quin, ubi B. Schilterum humani aliquid passum esse deprehendi, per notulas quasdam subjunctas medicinam afferre tentarem.85

D. h., er habe zwar alle Materialen zu einem Vergleich mit dem Text von Schilter nach der Ausgabe von 1571 herangezogen, aber aus Respekt vor seinem Lehrer nicht in den Text selbst eingegriffen.86 Die typographische Gestaltung

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Vgl. zu einer knappen Analyse des Frontispiz’ Wolfgang Harms: Das Interesse an mittelalterlicher deutscher Literatur zwischen der Reformationszeit und der Frühromantik. In: Akten des VI. Internationalen Germanisten-Kongresses Basel 1980. Teil 1. Hg. von Heinz Rupp und Hans-Gert Roloff, Bern – Frankfurt a. M. – Las Vegas 1981 (Jahrbuch für Internationale Germanistik A 8), S. 60–84, hier S. 79. Vgl. dagegen die Ausgabe von Notkers Psalter, deren »typographische Vollkommenheit in der Textgestaltung« bis heute ohne Nachfolger geblieben ist. Sonderegger (Anm. 49), S. 49. Kelle I (1856), S. 122. Johann Georg Scherz: Supplementum Præfationis. In: Thesaurus Bd. I, Bl. b 1v. Änderungen gegenüber Schilters Specimen finden sich lediglich auf der Ebene der Interpunktion und Akzentuation. Scherz hielt sich hier an die Position Dietrich von Stades und läßt alle Akzente weg. Er beruft sich in seiner Vorrede sowohl auf ihn als auch auf Johann

190 bleibt wie im Specimen von 1698 bestehen, er läßt aber den althochdeutschen Text in Halbversen recte drucken, daneben auf derselben Seite kursiv in Halbversen die lateinische Übersetzung. Er beschränkt sich darauf, die Heilung von Fehlern im Apparat vorzunehmen. Die in Schilters Specimen noch getrennt, untereinander gesetzten beiden Apparate führt er nun unter einer durchgezogenen Linie zu einem zusammen und kürzt bzw. streicht die ausführlichen historischen Anmerkungen Schilters (s. S. 167f.). Auf diese Weise reduziert er die textuellen Ebenen der ursprünglichen Edition, innerhalb des Kommentars aber multiplizieren sich die Gegenstände und Hilfsmittel der Textkommentierung. Er versammelt hier alle Titel, die Schilter selbst herangezogen hatte, und vermehrt sie um die Materialien, die ihm aus dem Nachlaß zur Verfügung standen. Die Einzelkommentare versieht er mit seiner und / oder Schilters Signatur, wodurch die Zusätze eindeutig identifizierbar sind. Ich gebe als Beispiel hier Text und Kommentar des Beginns der Widmung an Ludwig den Deutschen (S. 1) wieder.87 Ludouuig ther snello, thes uuisduames follo; Er ostarrichi rihtit al, so Frankono Kuning scaL.

Ludovicus alacer, sapientia plenus; Is Orientale regnum (Franci) regit omne, ut Francorum Regi decet.

Vbar 1 Frankono lant gizal 5 Super Francorum regionem inclutam so gengit ellu sin giuualt; progreditur omnis ejus potestas; thaz rihtit 2 so ih thir zellu, Hoc regit, quod ego tibi recenseo, thiu sin giuualt ellV. omnis sua potestas. Themo si jamer heili, Huic sit semper salus joh salida gimeini. 10 atque Felicitas publica. druhtin hohemo thaz guat, Dominus accumulet ipsi Bonum Joh freuuemo e^izen thaz3 muaT. atque exhilaret ipsi jugiter animum. Accumulet ipsi gratiam, Hohemo 4 gimuato, jo allo 5 ziti guato. atque omnia tempora bona. (felicia) 1) Flacius reddit: Uber Franckenland gizalt. Unde patet lacunam esse in textu & excidisse verbum gizalt vel gizal, ut infra I,1, 197. quod claritudinem, celebritatem, & deprædicationem significat., a Zelen, prædicare, dicere. Schilter. Dubito an gizalt hic sit inserendum, cum in Cod. MS. Vind. non occurrat, nec ad rem facit, quod Flacius in Versione hanc vocem habeat; ipse enim eam addidit ÐmoioteleÚtî causa. Sane in MSt. ex quo editio Flaciana fuit impressa, hoc vocabulum non extat. Cæterum hic nota, quod integræ hujus Dedicationis Versionem Latinam ediderit Stadenius in Specimine Lectionum Antiquarum Francicarum p. 1 sqq. Scherz.

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Philipp Schmid, dessen Animadversiones zur Wiener Handschrift er 1714 erhalten habe. Vgl. Johann Georg Scherz: Supplementum Præfationis. In: Thesaurus Bd. I, Bl. a 4v–b1r. Zur Dichte der Kommentierung sei angemerkt, daß allein die Widmung an Ludwig den Deutschen mit 81 Anmerkungen versehen ist. Für Buch I zähle ich mit den vorangestellten Widmungen über 800 Anmerkungen.

191 2) Flacius: Das regieren so ich dir erzelle Das sint sein gevalt alle. rectius: Das regiert was ich dir sage Diese seine gewalt alles. Schilter. Optime Stadenius reddit: Hanc regit, ut tibi refero, hæc ejus potestas omnis. Scherz. 3) Flacius legit: Thur muat, & reddit: mit mut. sed MSt. Vind. si recte attendas, habet, thaz muat. Unde textus emendandus. 4) Gimuato, non est gemüthe; & hohemo non significat hohem, ut reddit Flacius; sed Höhe ihm genade; apprecatur Regi diuinæ gratiæ augmenta. 5) Flac. legit: rihi, & reddit: Ja alle reiche güte, Sed Cod. MS. Vind. Cæsar. Ziti habet; scilicet bona tempora, eorumque felicitatem exoptat Regi ut. v. 65.

Die grundlegenden Hilfsmittel für die Edition kommen bereits in diesem kurzen Abschnitt vor: die Edition von Flacius, die Abschrift der Wiener Handschrift durch Schmid (»Cod. MS. Vind. Cæsar.«), von Stades Specimen und die Abschrift Gassers, von der Scherz wußte, daß sie die Vorlage für den Druck von 1571 war (»MSt. ex quo editio Flaciana fuit impressa«).88 Die Frage, warum der Text des Evangelienbuchs im Thesaurus nicht – wie bei Dietrich von Stade – auf Langzeilen umgestellt ist, berührt Scherz in seiner Vorrede. Für ihn und den Druckerverleger hätte die Umsetzung dieser Einsicht bedeutet, den gesamten Text mit der synoptisch stehenden lateinischen Übersetzung neu einrichten zu müssen. Das Hauptargument gegen diesen Schritt ist für Scherz aber nicht ein auf die Pietät gegenüber dem Lehrer bezogenes, sondern vor allem ein pragmatisches. Den Text lässt Scherz nämlich vor allem deswegen unangetastet, weil diesem eine Verszählung beigegeben ist, auf die sich das (noch nicht gedruckte) Wörterbuch bezieht, und auf die Schilter sich bereits in seinen anderen Schriften mehrfach bezogen hatte: Maluimus autem modum a Flacio usurpatum, & a Schiltero retentum, ideo servare, quia in Glossario aliisque Scriptis Schilterianis versus juxta Hypothesin tetrast…cwn numerati allegantur; & præterea alii Eruditorum, qui ad Otfridum provocant, hanc numerandi citandique rationem sequuntur.89

Das entscheidende Argument besteht demnach also in der Zitierfähigkeit des Textes und der Verweise, die durch die Umstellung auf Langzeilen nicht mehr gegeben gewesen wäre.

5.4.3 Zu den Paratexten Die dargestellte Form der kommentierenden ›Thesaurierung‹ wird durch die Paratexte noch weitergetrieben.90 Sie werden nach dem Titelblatt91 eröffnet durch

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Auf sie verweist Scherz meist mit der Sigle »MS. Vat.« Johann Georg Scherz: Supplementum Præfationis. In: Thesaurus Bd. I, Bl. a 4v. Ich beschränke mich auf die Elemente innerhalb der Otfridausgabe, ohne Haupttitel, die Præfatio Generalis von Frick und das Frontispiz. Auf dem Titel ist eine Vignette eingefügt, die ein im Gewitter wogendes Meer darstellt, auf der linken Seite erhöht eine Stadt, auf der rechten Seite ein Berg, auf dem eine Taube sitzt,

192 eine Vorrede Schilters (Bl. a 1r–4r), die dieser bereits 1693 fertiggestellt hatte, und ein Supplement dazu von Scherz, das er teils aus den Unterlagen Schilters und teils aus eigenen Beobachtungen zusammenstellt (Bl. a 4v–b 4v).92 Darauf folgen die lateinische und die deutsche Vorrede, das Sprachgutachten und Exzerpte aus Beatus Rhenanus und Johannes Trithemius nach dem Druck von Flacius (Bl. c 1r–d 1v).93 Diese wiederabgedruckten Beigaben versieht Scherz mit einigen Anmerkungen. Die Reihe beschließt ein Abschnitt mit »Judicia de Otfrido«, der den ›Forschungsbericht‹ von Flacius bis ins 18. Jahrhundert weiterführt. Es finden sich an dieser Stelle Auszüge mit Bemerkungen zu Otfrid von Welser, Brower, Serarius, Morhof und Hickes.94 Und die Arbeiten Dietrich von Stades, die Johann Anderson dem Nachlaßverwalter Johann Christian Simon so sehr empfohlen hatte (s. S. 184f.)? Scherz berücksichtigte, wie gesagt, das 1708 erschienene Specimen von Stades. Dessen handschriftliche Unterlagen hätte er gerne herangezogen, aber sie blieben für ihn unerreichbar: Cæterum meliora sine dubio ad poliendum Otfridum nostrum afferri potuissent, si quæ B. Dn. Dietericus a STADE, Vir quondam in Antiquitatibus Germanicis versatissimus, magna Eruditione, ac labore summo Otfridi illustrandi causa composuit, inspicere licuisset, sed hanc Corinthum adire mihi non contigit.95

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um die herum die Worte »Defensor benigne« geschrieben sind. Über ihr schwebt ein Schild, der die Blitze des Gewitters anzieht und dadurch die Stadt verschont. Auf dem Schild wird auf Ps. 84,12 verwiesen: »quia misericordiam et veritatem diligit: Deus gratiam et gloriam dabit Dominus non privabit bonis eos qui ambulant in innocentia Domine virtutum beatus vir qui sperat in te.« Eine Interpretation könnte aufschlußreich sein für die Frage nach den Motiven für die Ausgabe. Das Supplement ist datiert auf den 4. November 1725. Weggelassen ist das Glossar Gassers mit der Begründung, daß es nicht viel enthalte und sich im dritten Band umfassender Ersatz dafür finde. Vgl. Bl. c 1r. Die Fuldaer Beichte wird, ohne sie zu erwähnen, weggelassen. Vgl. das Quellenverzeichnis (Kap. 9.2) zu den Jahren 1602, 1604, 1612, 1682, 1688, 1705. Scherz, Supplementum Præfationis. In: Thesaurus, b 1v. Der letzte Nebensatz ist sprichwörtlich. Nach Horaz, Ep. I, 17, 36 dient die Wendung zur Bezeichnung einer Sache, die nicht jedermann erreichbar ist.

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An den Rändern der Wissenschaft

6.1 Die Otfridarbeiten von P. Leopold Koplhuber (Kremsmünster) 6.1.1 Otfridus und Leopoldus Non Otfride reor, mea Te Scriptura decorat; Fidem catholicam sustinet ista tuam. Fidem non aliam, quam habuerunt Beda, Rhabanus, Et tuus Alchwinus, Karole Magne pius. Quod cupit Otfridus, Leopoldus concupit æque Concupiunt possint - ! ambo placere Deo. Mentem Si cernas procul haud a fine moramur. Sin opus, heu, forsitan [?] languet uterque miser. Namque nihil, velut ipse scies, sub sole beatum Quam Momus Titan ipsemet atque Sua Ad te, cum veniam, quod erit, mox, tunc ego menda. Dico tibi tua. Tu - Sed bene parce ! mea. Non, quia Te verti, Corvo me conspice vultu. Vertat ais melior, non tua lava manus1 Quodlibet inceptum grave, cum incipientibus autem Dicito, quod fas est. connumerandus ego. Copia me Sequitur, quorum tua Scripta perapte Unus post alium lucidiora dabit. Nec, puto, Maronis splendebat versio prima.

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Diese neuneinhalb, nicht mehr an allen Stellen graphisch und inhaltlich ganz nachvollziehbaren Distichen stehen im letzten Teil der Schlierbacher Handschrift I–5. 2 Sie stellen den Entwurf eines panegyrischen Gedichts eines Ichs (V. 1) dar, das sich in der Folge »Leopoldus« (V. 5) nennt, an ein Du (V. 1), »Otfridus« (V. 1). Es stellt eine Kontinuität her zwischen beiden, die sich darauf beruft, daß die Schrift des zweiten diejenige des ersteren schmücken wolle und beide mithin die »fides catholica« (V. 2) vertreten. Dafür beruft sich das Ich auf eine gemeinsame religiöse Tradition seit den Zeiten Karls des Großen, der auch explizit angesprochen wird (V. 4). In dieser Tradition stehen Beda, Hrabanus und Alcuin. Das Anliegen, das »Otfridus« und »Leopoldus« miteinander verbindet, sei »placere Deo« (V. 6). »Leopoldus« bittet schließlich »Otfridus« um Nachsicht: er möge ihn nicht schräg ansehen, weil er seinen Text übersetzt habe, denn alle Anfänge seien bekanntlich schwer, was die »versio prima« (V. 19)

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Am linken Seitenrand nachgetragen: »Dextra vertat ais.« Schlierbach (Oberösterrreich), Stiftsbibliothek, I–5, S. 561f.

194 Vergils, also die erste Übersetzung der Aeneis belege.3 Spätere Nachfolger werden dann bessere Resultate als er hervorbringen können (V. 17f.). Die Handschrift, aus der dieser Text stammt, enthält auf ihrem Titel den Hinweis: Heute den 23ten April 1845 von meinem treuen Freund und Bruder P. Michael Reischl zum Geschenk bekommen. P. Leopold Schmid. Profess: Schlierbac: [eigenhändige Unterschrift]4

Der Schlierbacher Pater, Leopold Schmid, erhielt diese Handschrift vielleicht zu einem Professjubiläum als Geschenk überreicht von seinem Kremsmünsterer Mitbruder P. Michael Reischl.5 Reischl wirkte von 1815–1827 als Kooperator in Steinhaus bei Wels (Oberösterreich) an der Seite des dortigen Pfarrers und Kremsmünsterer Benediktinerpaters, Leopold Koplhuber (1763–1826). Dieser ist der »Leopoldus« der Distichen an den Otfrid, mit dem natürlich kein anderer als Otfrid von Weißenburg gemeint ist. Koplhuber kommt das Verdienst zu, die erste vollständige Edition und eine Übersetzung von Otfrids Evangelienbuch ins Neuhochdeutsche angefertigt zu haben. In der Handschrift Schlierbach I–5 liegt eine frühe Fassung dieser Edition und Übersetzung von seiner eigenen Hand vor.6 Im Anschluß an die Vorrede, die er dazu verfaßte, notiert er: »Geschrieben zu Steinhaus, das erste Mahl im Monate März 1821.«7 Der Kremsmünsterer Koplhuber aktualisiert in seinem lateinischen Gedicht also eine benediktinische Tradition, für die er sich auf eine fast tausendjährige Geschichte berufen kann.8 Ob Koplhuber sein Werk drucken lassen wollte, läßt sich nicht mehr sagen. Erhalten haben sich mit der Schlierbacher Fassung insgesamt vier Handschriften seiner bis heute ungedruckt gebliebenen Otfridarbeiten.9 In der erwähnten Vorrede expliziert er nach einem teilweise stark polemisch gefärbten Rundumschlag gegen frühere Arbeiten zu Otfrid seine Motive für die Beschäftigung mit Otfrid: Und warum sollt ich auch nicht? Ich setzte doch nichts weder für mich, noch für andere aufs Spiel. Und meinem Berufe, glaub ich, sagte das Studium, und Erklären des Werkes Otfrids ebenso gut zu, wie dem seinigen das Verfaßen desselben zugesagt hatte. Anfangs wollte ich nur einige Kapitel, oder wohl gar nur einige Stellen, die mir besonders zu fielen,

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5 6 7 8

9

Vgl. dazu CCn 23, Bl. 28a. So auf dem unpaginierten Titel. Zitiert nach Konrad Kienesberger: P. Leopold Koplhuber (Kremsmünster) und seine neuhochdeutsche Otfrid-Version (Mit einem Brief Jacob Grimms). In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 88 (1977), S. 239–267, hier S. 245. Vgl. zu Koplhubers Otfridarbeiten auch Anselm Salzer: Die erste neuhochdeutsche Übersetzung der Otfridischen Evangelienharmonie. In: ZfdPh 14 (1882), S. 331–345. Vgl. Kienesberger (Anm. 4), S. 245f., mit Anm. 29. Vgl. Kienesberger (Anm. 4), S. 245. Das zitierte lateinische Gedicht in der Handschrift hat Kienesberger offenbar nicht bemerkt. Schlierbach I–5, S. 19. Soweit ich sehe, ist er damit letzte Benediktiner, der dies in Bezug auf Otfrid bis heute getan hat. Koplhuber ist in die Geschichte der österreichischen Literatur eingegangen als Mundartdichter. Zu Leben und Werk vgl. Kienesberger (Anm. 4), S. 241–243. Vgl. Kienesberger (Anm. 4), S. 243–246.

195 bearbeiten. Ich hatte keines wegs die Absicht, mich über einen großen Theil, noch weniger über das Ganze zu verbreiten. Auch war nicht der mindeste Beweggrund zu einem solchen Unternehmen vorhanden. Viel mehr hätte ich mir denken müssen: Wozu gibst du dir so viele Mühe? Für dich selbst ist es wohl unnöthig, weil du Otfriden kaum beßer wirst verstehen lernen, wenn du ihn vom Anfang bis zu Ende abschreibst, und diese Verdolmetschung überall fleißig daneben setzest. Und für andere wenige abgerechnet, mag dieser Mann mit seiner seltsamen Schrift, nicht viel Interesse haben. [...] Kurz, ich wollte mir für mich, und auch nur über einige, besondere Neugierde erregende Erzählungen Otfrids, meine Kräfte versuchen. Aber wie es so geht, sowohl das Gelingen als auch das Fehlschlagen, was häufig wechselte, schob mich vorwärts. Das erste verstärkte die Lust, das zweyte vermehrte den Eifer. Lust und Eifer steigerten die Anstrengung: Anstrengung gab Übung: Übung gewährte nach und nach einen gewissen Grad von Fertigkeit, und so wurde vom Anfange bis zu Ende, ein Buch nach dem andern durchgegangen. Der ersten Bearbeitung folgte bald eine zweyte, dritte, vierte, bis endlich bey vergößertem Wortreichthum und bey vollständiger Einsicht in das Grammatische, das hervorging, was die gegenwärtige Vorrede begleitet. (CCn 23, Bl. 20b–21b)10

Der Begründungszusammenhang, den Koplhuber hier benennt, trifft genau das, was man in der modernen Psychologie als einen Paradefall für intrinsische Motivation bezeichnen würde. Er tut es – seiner eigenen Aussage nach – ausschließlich für sich selbst. Daß es seinem Beruf als Pfarrer entspricht und nützt, tritt demgegenüber völlig in den Hintergrund. Koplhuber verweist einmal darauf, daß die Beschäftigung mit der »altdeutschen Sprache« in der Zukunft vielleicht wieder für ein breiteres Publikum und schuldidaktische Zwecke relevant werden könnte. Die Hoffnung oder der Anspruch, daß seine eigene Arbeit dadurch eine gewisse Resonanz finden könnte, spielen im Zusammenhang dieser Äußerung aber keine Rolle: Ein anderes Mahl mag freylich wieder ein theilnehmender Sinn herrschend werden, denjenigen gleich, der das Ende des siebenzehnten, und den Anfang des achtzehnten Jahrhundert so mächtig belebte; Ja es ist sogar nicht unwahrscheinlich, daß man die altdeutsche Sprache, sobald man ihren Nutzen und ihr Bedürfnis begreifen wird, zu einem öffentlichen Lehrgegenstand in Gymnasien und Lycäen wie sie es verdient, erheben werde. (CCn 23, Bl. 18b)

Koplhuber sieht sich vielmehr auch hier in Parallele zu Otfrid, dem das Verfassen des Evangelienbuchs genausoviel Vergnügen bereitet habe wie ihm die Beschäftigung mit demselben. An zwei Stellen scheint in der Vorrede offenbar auch eine Form von benediktinischem Anspruch auf die Beschäftigung mit Otfrid durch, die wir bereits im Zusammenhang des Göttweiger Otfrid beobachten konnten (s. Kap. 3.1.3). Auch hier ist die Rede von »unserm Otfrid«.11

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11

Ich zitiere hier und im folgenden immer nach der letzten autographen Fassung dieser Vorrede in der Handschrift Kremsmünster, CCn 23. Die Vorrede ist mit zwei abweichenden Foliierungen versehen, ich zitiere hier die korrekte, zweite Foliierung. Die Edition und Übersetzung dagegen sind paginiert. Im editorischen Anhang (Kap. 8.4) biete ich einen Abdruck des vollständigen Textes der Vorrede. Es könnte sich dabei allerdings auch lediglich um eine heute antiquierte Form der Leseranrede handeln. Vgl. Bl. 22b, Bl. 29a.

196

6.1.2 Kritik an den Vorgängern In der Vorrede bezieht Koplhuber sich zunächst auf vorangegange Arbeiten zu Otfrid und konstatiert, daß man aus ihnen die »ehrwürdige Urkunde [...] keines wegs auf eine solche Art verstanden [habe], die befriedigend wäre« (Bl. 9a). Seine Form der Kritik ist in nicht wenigen Fällen von unterschwelligen Ironien und polemischen Bemerkungen gekennzeichnet. Auf Schilter, so sagt er, gehe er deswegen nicht näher ein, weil es nicht weiterführe, Beispiele aus seinem »unverständlichen und sinnlosen Wortgemengsel anzuführen, und damit unnütz ein paar Blätter zu füllen« (Bl. 9b). Von Dietrich von Stades Arbeiten sei »bis auf den heutigen Tag nichts zum Vorschein gekommen« und das, was gedruckt vorliege, sei »eine Menge namhafter Schattenflecke, die uns Otfrids wahre Gestalt verhüllen« (Bl. 10a–10b). Auch die Vorgänger Schilters und von Stades seien kaum der Erwähnung wert. Die schärfste Kritik trifft dabei Flacius und seine Otfridausgabe: Dieser hätte »gar keinen Beruf, den guten Otfrid auch nur von Ferne zu berühren«12 gehabt. Man könne sich »bey vielen Stellen [der Edition von Flacius] des Lachens nicht enthalten.« Er bezeichnet ihn ironisch als »geschickt« oder als »dienstbaren Gast«, der den Text abänderte, »wie es ihm beliebte«. Mit dem Titel »Gratia« habe er eine »scharfsinnige Erfindung« vorgelegt, die »vortrefflich« zu seinem »theologischen System« (Bl. 11a–11b) paßte. Koplhuber schließt: »Das beste ist, das dieser geplagte Mann vielleicht nicht viel weiter als bis zu Ende dieser Dedikation (an Salomo) mit seiner Verdolmetschung kam.« (Bl. 12b). Von einem angemessenen Verständnis des althochdeutschen Textes bei Flacius könne keine Rede sein: Wahrhaftig wenn Flacius unsern Otfrid nur zur Hälfte verstanden, oder auch nur den Verdacht gehabt hätte, wie Schilter, daß er gar nichts anders verhandle, als aus Beda, Alcuin, Hrab. Maur, nach Hieronymus, Augustinus, Gregorius M., in ihren lateinischen Werken vorgetragen: so hätte dieser Mann in dem Schleichfieber seiner Befangenheit, den guten Otfrid vielmehr unterdrückt, als ihn der christlichen Welt mitgetheilt. (Bl. 32a)

Koplhuber wendet sich in der Folge den Gelehrten im 18. Jahrhundert zu, die Otfrid des »Obscurismo« bezichtigt hätten. Die »Ursache der Unverständlichkeit« des Evangelienbuchs sei nicht im althochdeutschen Text selbst, sondern vielmehr in seinen Erforschern zu sehen. Dies richtet sich gegen Johann Georg Wachter, der Otfrid in seinem Glossarium Germanicum (1737) als »Scriptorem obscurissimum« bezeichnet, und gegen Johann Christian Zahn, der in seiner Wulfilaausgabe (1805) meinte, das Evangelienbuch sei nicht mehr als eine »elende Reimerey«.13 Insbesondere die Wachtersche Kritik habe ihn angeregt, diese negativen Urteile zu revidieren. Nur ohne »leitende[n] Faden« sei das nicht machbar:

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Auch Koplhuber hebt hier in Anlehnung an die Vorrede Johannes Fricks im Thesaurus auf die mangelnde Sprachkenntnis von Flacius ab. Beide beziehen ihr Urteil nicht auf das Evangelienbuch im ganzen, sondern auf Einzelstellen. Vgl. Johann Georg Wachter: Glossarium Germanicum [...]. Leipzig 1737, §49. Ulfilas gothische Bibelübertragung [...]. Hg. von Johann Christian Zahn. Weißenfels 1805, S. 37.

197 [...] da ich aber bald gewahr wurde, es sey ohne Grammatik nichts mit Erfolg zu unternehmen, und doch überall nichts in Erfahrung bringen konnte, was etwa in dieser Rücksicht als leitender Faden schon vorhanden seyn mochte; so konnte ich der in mir immer lauter werdenden Stimme, unmöglich widerstehn, selbst einige Versuche zur Auffindung der grammaticalischen Regeln, besonders in Beziehung auf die Mundart Otfrids, zu machen.. (CCn 23, Bl. 18a–18b)

Damit sind wir angelangt bei der Frage, was seine Vorrede begleitet, und auf welche Weise Koplhuber bei der Bearbeitung des Textes und der Übersetzung methodisch vorgegangen ist.

6.1.3 Der Context bannt den Sinn: Vorarbeiten und Quellen Der Ansatzpunkt Koplhubers, um zu einem Verständnis des Evangelienbuchs zu gelangen, sind die »grammaticalischen Regeln« des Textes, die es zu eruieren gelte. Aber wie? Unter den Handschriften Koplhubers in Kremsmünster finden sich zwei »lexikonartige Manuskripte [...], beide Foliobände mit je 728 bzw. 642 Seiten und aufgeklebten alphabetischen Indices sowie zahlreichen Zusätzen und Verbesserungen.«14 Der erste Lexikonband (CCn 35) datiert das Ende der Arbeiten daran auf »den 5. May 1822« (CCn 35, Bl. 708). Der zweite auf den »3. Xbris 1822« (CCn 36, Bl. 641) und vermerkt im Anschluß an diese Datierung: Integrum annum ergo consumpsimus in his duobus voluminis colligendis, et hoc quidem, labore continuo nullatenus interrupto multum presso festinatoque. (CCn 36, Bl. 641)15

Ein ganzes Jahr habe er also gebraucht, um diese Sammlungen, die als Vorarbeiten für die Beschäftigung mit Otfrid dienten, zusammenzustellen. Die beiden Bände erfassen in alphabetischer Reihenfolge den Wortschatz Otfrids mit genauer Stellenangabe. Ich zitiere als Beispiel den Artikel zu ahd. »unbitherb«:16 U n b i t h e r b . adj. Unbieder; unnütz, unbrauchbar, nutzlos, unfruchtbar Wir warun unbitherbe joh harto filu dumbe Wir waren sehr u n g e s c h i c k t und dumm. IV,5,29 Er kam in sein Eigenthum, auf sein Erbgut, thaz lag al unbitherbi, das lag ganz u n f r u c h t b a r , u n g e p f l o g e n darnieder. II,2,44 Nu ligit uns unbitherbi thaz unser adalerbi, nun liegt unser Stammgut u n f r u c h t b a r ( u n g e p f l a n z t ) darnieder I,18,33 Wenn man den grünen tragbaren Baum verbrennt, waz wanet werde thanne themo unbitherben walde was meint ihr, wird sodann dem u n f r u c h t b a r e n Walde geschehen? IV,26,102

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16

Kienesberger (Anm. 4), S. 246. Darüber hinaus gibt es noch ein Bibelglossar von der Hand Koplhubers (CCn 34), das ich im weiteren unberücksichtigt lasse. Aus der Pluralform in dem Zitat (»consumpsimus«) könnte man schließen, daß P. Michael Reischl bereits an den Vorarbeiten beteiligt war. Ich stütze mich auf den Abdruck bei Kienesberger (Anm. 4), S. 251, hebe jedoch die Bedeutungsangaben und die Übersetzungen Koplhubers durch Kursivierung bzw. Fettdruck hervor.

198 Das Konzept des Glossars wird aus den Hervorhebungen deutlich. Koplhuber bestimmt zunächst die Wortart und gibt darunter gesammelt die neuhochdeutschen Bedeutungen dafür an. Es folgen einzelne Belegstellen für »unbitherbi« aus dem Evangelienbuch, zuerst der althochdeutsche Text, dann seine Übersetzung. Dies führt er für den gesamten Wortschatz des Evangelienbuchs durch, bei höherfrequenten Wörtern weniger genau als in diesem Beispiel.17 Auf der gegenüberliegenden Seite bringt er jeweils Belege für das Lemma, die er aus anderen Quellen ausgehoben hat:18 Notk. 24, 3. Confundantur v a n a agentes umbiderbe (umbitherbe). Kero 7. Ne Deus nos aspiciat aliquando malos et i n u t i l e s factos unpiderbe (unbitherbe). [Glossa Mondseensis] 5667. Sic erit verbum meum, non reveretur ad me v a c u u m , sed faciet quae volui, unpiderb (unbitherbaz) 4282. Didicimus quosdam sacerdotes s u p e r s t i t i o s o potius cultui servire quam fidei puritati, unpiderpero, das ist r i t r e , n i c h t i g . unbidarpeo: vel uncirso. R a c h a (Racca) R. M. unbidherbiu: c a s s a . Bor.

Als Quellenbelege zieht er hier Notkers des Deutschen Psalterbearbeitung, die althochdeutsche Benediktinerregel (Kero), die Monseer Glossen, die Samanunga (R. M.) und die sogenannte Glossa Lindenborgensis (Bor.) heran, die ihm alle in gedruckter Form vorlagen.19 In der Vorrede nennt er weitere Quellen, vor allem Glossare.20 Aber diese halfen ihm nur begrenzt weiter:

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Koplhuber zieht hier alle Belegstellen für dieses Lemma im Evangelienbuch heran. Vgl. Kelle III (1881), S. 640. Wie Anm. 16. Koplhuber konnte sich dafür und für die anderen Quellen, die er nennt, auf die folgenden Editionen stützen: Die Benediktinerregel, Notkers Psalter, den Isidor und den Tatian in Schilters Thesaurus. Für das Monseer Glossar auf Bernhard Pez: Thesaurus anectodotum novissimus. Bd. I,1. Augsburg 1721, S. 319–400; für das früher Hrabanus zugeschriebene Glossar (d. h. Samanunga) z. B. auf Johann Georg von Eccart: Commentarii de rebus Franciæ orientalis. Bd. 2. Würzburg 1729, S. 950–976 und für die Glossa Lindenborgensis ebenfalls auf Eccarts Commentarii. Bd. 2. Würzburg 1729, S. 991–1002. Die frühe Geschichte der Edition althochdeutscher Glossen und Glossare wäre ein eigenes Thema. Die Grundlage dafür sind die bei Elias von Steinmeyer / Eduard Sievers: Die althochdeutschen Glossen. 5 Bde. Berlin 1879–1922 (ND Hildesheim 1999) genannten frühen Abschriften und Drucke. Als weitere Quellen nennt er in seiner Vorrede darüber hinaus noch die Zwettler und Florentiner Glossen, das mittellateinische Wörterbuch von DuCange, die Emendationes Frehers und Rostgaards, den Thesaurus von Georg Hickes, den Teildruck aus dem Evangelienbuch von Dietrich von Stade, sowie die Memoria Stadeniana und einige gegenwartssprachliche Wörterbücher. Als einzige handschriftliche Quellen zog er die Steirische Reimchronik und die damals noch in Kremsmünster aufbewahrte Weltchronik Heinrichs von München (heute München, BSB, cgm 7377) zurate. Vgl. dazu Fritz Peter Knapp: Die altdeutsche Dichtung als Gegenstand literarhistorischer Forschung in Österreich von den Brüdern Pez bis zu Friedrich Schlegels Wiener Vorlesungen im Jahre 1812. In: Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1750-1830). Hg. von Herbert Zeman T. 1.2. Graz 1979 (Die österreichische Literatur. Eine Dokumentation ihrer literarhistorischen Entwicklung), S. 735–772.

199 Was man übrigens in Beziehung auf die Grammatik durch die Glossen lernt, beschränkt sich größten theils nur auf die Flexion, freylich auf den wichtigsten, und am wenigsten entbehrlichen Theil. Die Declinationen und Conjugationen lernt man vollkommen daraus. Was die Formation der Wörter und ihre Syntaxis anbelangt, helfen die Glossen nicht viel. In dieser Rücksicht muß man anders wohin seine Zuflucht nehmen. (CCn 23, Bl. 18a)

Das tat er vor allem bei Notker und bei Otfrid und zwar aus dem Grund, weil über die Bedeutung seines [sc. Notkers] Ausdruckes kein gerechter Zweifel übrig bleiben kann. Bey diesen Autographen, nicht bey den Wörter= und Phrasen=Sammlern, hat, weil der Context den Sinn bannt, eigene freye Beurtheilung und Überzeugung statt. (CCn 23, Bl. 18b)

Eben diese Vorgehensweise läßt sich auch aus den streng kontextbezogenen Interpretamenten seines Wörterbuches ablesen. Koplhuber übersetzt nie einzelne Wörter, sondern bindet sie, übrigens als erster Wortschatzbearbeiter zu Otfrid überhaupt, immer syntagmatisch-kontextuell ein.21 Darüber hinaus überprüfte er jede Glosse einzeln an den Editionen der zugrundeliegenden lateinischen Texte. Er plante, zu einem späteren Zeitpunkt eine Reinschrift des Glossars anzufertigen, die aber nicht mehr zustande kam.22 Mit dem Glossar sei die Grundlage geschaffen, um sich an den »problematischen Otfrid« (CCn 23, Bl. 18a) zu wagen: Und dieses war es, womit ich mich, gestützt auf den noch gar schwächlichen Stab meiner Grammatik, unterfieng, mich dem Werke Otfrids zu nähern, und die deutsche Sprache seiner Zeit, in die deutsche Sprache unserer Zeit zu übertragen. (CCn 23, Bl. 20b)

6.1.4 Die Textgestaltung und der Kommentar Der Interessensschwerpunkt Koplhubers lag von Anfang an nicht auf einer Edition des althochdeutschen Textes, sondern auf einer Übersetzung. Er bearbeitete aber auch den Text des Evangelienbuchs in editorischer und kommentatorischer Hinsicht. Koplhuber, der im übrigen nie eine Handschrift des Evangelienbuchs gesehen hat, stützt sich dafür auf den Text in Schilters Thesaurus und arbeitet alle Anmerkungen von Scherz aus den Fußnoten in seinen Haupttext ein.23 Die Texteinrichtung bei Schilter ändert er allerdings wesentlich nach seinem Verständnis ab. Eigentlich müsse man nämlich den Langvers in eine Zeile setzen,

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22 23

Diese Vorgehensweise nähert ihn der in Kelles Otfridglossar stark an, der im übrigen die Koplhuberschen Arbeiten aus eigener Anschauung kannte, bevor er 1881 sein Glossar veröffentlichte. Vgl. Kelle I (1856), S. 128f. Johann Kelle: Otfrids Evangelienbuch in zwei unbekannten hochdeutschen Uebersetzungen. In: Serapeum 21 (1860), S. 65–76, S. 81–96, S. 97–105, S. 113–121, hier S. 69–76. Vgl. CCn 23, Bl. 19a. Daß er ausgiebig mit Schilters Text im Thesaurus gearbeitet haben muß, belegt das mit zahlreichen autographen Anmerkungen versehene Exemplar der Stiftsbibliothek (Signatur: 2o Fy 83).

200 nicht in zwei.24 Auch für ihn stellt sich das gleiche Problem wie für die Herausgeber des Thesaurus: Da aber das Abbrechen bey mir sowenig, wie bey Schilter zu vermeiden war, indem ich auf der andern Spalte für die Übersetzung Platz gewinnen mußte: so sorgte ich doch wenigstens dafür, daß die zusammengehörenden Hälften eines Verses unter einer gleichen Verticallinie anfiengen, und das zweyte Zeilenpaar tiefer hineingerückt wurde. (CCn 23, Bl. 22b)

Die Präsentation des althochdeutschen Textes, den er übrigens kalligraphisch sehr aufwendig und ansprechend gestaltet, sieht dann bei ihm für den Anfang der Widmung an Ludwig so aus: Ludowig ther Snello, thes wisduames follo, Er Ostarrichi rihtit al So Frankono Kuning sca L (CCn 23, S. 1) Rechts daneben steht in deutscher Schrift auf der gleichen Seite seine Übersetzung ins Neuhochdeutsche: Ludwig, dem Tapferen, dem Weisheitsvollen, der, Wie es dem König der Deutschen ziemt, die Ostreiche beherrscht. Gegenüber der Schilterschen Textdarbietung hat diese Form der Textpräsentation, so Koplhuber, einen entscheidenden Vorteil: Otfrid spricht nämlich mit einem Disticho [d. h. zwei Langversen] gemeiniglich einen ganzen Sinn; aber es ist ihm das erste die prothes. und das zweyte die apothes. Nach der Schilterschen Versestellung, die immer durch ein ganzes Kapitel wechselweise die eine Zeile verschiebt, und die andere zurücksetzt, wird dies nicht gehörig sichtbar; wohl aber vollkommen durch die meinige. (CCn 23, Bl. 24b)

Außerdem beklagt Koplhuber Schwierigkeiten im Umgang mit der Orthographie und Interpunktion Otfrids, für die er sich auf seine Vorläufer habe verlassen müssen. Besonderen Wert habe er gelegt auf die Akzente, die Dietrich von Stade sträflicherweise völlig außer Acht gelassen habe und deshalb besser überhaupt zum Evangelienbuch hätte schweigen sollen.25 Dem althochdeutschen Text und seiner neuhochdeutschen Übersetzung gibt er einen umfangreichen Fußnotenapparat bei, der sich inhaltlich auf drei Aspekte konzentriert: »Kritische« Anmerkungen, in denen er »verdächtige Stellen, sammt den Gründen, warum sie es sind«, anzeigt »und mit den wahrscheinlichen Hypothesen, und Conjecturen« begleitet. Ferner einige wenige »mit etymologischen Erklärungen«. Schließlich drittens: »Anmerkungen, die die

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Vgl. CCn 23, Bl. 20b. Vgl. CCn 23, Bl. 23a–23b.

201 Erläuterungen der Otfridischen Paraphrase« betreffen.26 Damit spielt er an auf die Auslegungskapitel und die darin von Otfrid herangezogenen exegetischen Quellen, die er ausgehoben und verwertet habe. Seine Begründung dafür lautet: Die entsprechenden Stellen hob ich daher aus zur Bestättigung der Übersetzung, besonders in den Kapiteln, die die Aufschrift: mystice, spiritualiter, moraliter, tragen. Ja einige Reden Otfrids sind oft gar nicht zuverstehn, wenn man nicht die Schriften der genannten Kirchenlehrer zu Rathe zieht. So läßt er z.B. V. 15 Jesum dreymal zu Petro sagen: gihalt min scaf minu – minu; nales thinu. das ist Pasce oves meas – meas; non tuas. Woher und wozu dieser seltsame Zusatz? Er findet sich Bedas Commentar sammt der Erklärung desselben. (CCn 23, Bl. 27a–27b)

Die Datierungen der handschriftlichen Fassungen legen nahe, daß Koplhuber mithin nicht in der strikten Sukzessivität, wie sie die Vorrede suggeriert, vorging.27 Die Arbeit an den Glossaren und der Übersetzung wird Hand in Hand vonstatten gegangen sein. Koplhuber spricht in der Vorrede von insgesamt fünf Bearbeitungsstufen. Die fünfte liegt vor im CCn 23. Die »unmittelbare Vorstufe« dazu stellt nach Kienesberger die Schlierbacher Fassung (I–5) dar.28 Eine zeitlich sicher früher anzusetzende, nicht datierte Bearbeitungsstufe liegt im CCn 24a vor.29 Sie enthält nur ausgewählte Stücke aus den Büchern I–IV des Evangelienbuchs. Frühere Bearbeitungsstufen sind nicht erhalten.30 Der althochdeutsche Text, wie Koplhuber ihn bot, zeigt innerhalb der Fassungen kaum signifikante Veränderungen. Bei seinen Kommentaren ist das anders. Ich versuche an einem ausgewählten Teilstück (Ad Ludovicum, V. 1–7) sein »work in progress« nachvollziehbar zu machen. Dafür biete ich den Text seiner Anmerkungen nach dem CCn 23 und gebe in eckigen Klammern Auskunft über Entsprechungen, Überschüsse oder Abstriche gegenüber den früheren Fassungen in Schlierbach I–5 (S. 35) und CCn 24a (S. 1). Vor dem Kommentar wiederhole ich das Lemma, auf das sich Koplhuber bezieht, nach dem CCn 23 (S. 1f.).31 1. Ludowig ther Snello / Ludwig, dem Tapferen Eine ähnliche Umsetzung der nom. und pronom. in andern casus [CCn 24a: Eine ähnliche Umsetzung der Wörter] ist nach der heutigen Syntaxis mehrmals nöthig: Vergl. I.8.1.] [Schl. I–5: »nöthig« nachgetragen]

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Vgl. CCn 23, Bl. 26b–27b. Kienesberger weist darauf hin, daß die »endgültige Redaktion sicher erst zwischen Herbst 1824 und Sommer 1826« erfolgte. Vgl. Kienesberger (Anm. 4), S. 244. Die Datierung der Vorrede auf »März 1821« in Schlierbach I–5 wurde von Koplhuber in den späteren Fassungen beibehalten. Dies gilt auch für die reinschriftliche Fassung (CCn 24), die P. Michael Reischl nach dem Tod Koplhubers »zwischen 1835 und 1840« anfertigte. Vgl. Kienesberger (Anm. 4), S. 245. Vgl. Kienesberger (Anm. 4), S. 246. Nur wenn man die beiden Bearbeitungsstufen des Glossars miteinbezieht, geht die Rechnung Koplhubers also auf. Als Vergleichspunkt für den CCn 23 vgl. Kienesberger (Anm. 4), Abb. 4. Für das Evangelienbuch: Erdmann (1882).

202 2. Snello snello. von snel. Die Alten gemminierten die consonant. nur in der Mitte; nicht am Ende des Wortes, so ist es auch mit foller von fol, aller von al &c. [fehlt in CCn 24a; Ludwigs Zunahme [!] zu seiner Zeit snello ist übrigens soviel als: der Tapfere. Schl. I–5 ] Der Schnelle ist übrigens soviel als der Muthige. Dem Begriff des Voreilens gibt nämlich der Begriff das Rühren, Recken, Verwegene. Daher hat auch bald beyde Bedeutungen; frech, frey, frevelhaft, gehört unmittelbar zu frühe, fram, vor. Unser heutiges geschwind ist das gothische: Swinths, fortis. [Der vorletzte Satz in Schl. I–5 ohne deutsche Übersetzungen nachgetragen.] 3. al al gehört zu So in der folg. Zeile: al..so, und heißt: sowie, ganzso, omnino. Vergl. V, 71. [CCn 24a wie in CCn 23 bis »heißt«; Es steht nicht adjective für omne, sondern adverb. für omnino, und heißt, ... Sic. Schl. I–5] 4. Frankono frankono. genit. plur. von franko. Für frank werd ich immer deutsch sagen, zur Vermeidung der Zweydeutigkeit, und weil zu Otfrids zeiten beyde Wörter wirklich synonimisch waren. [ebenso in CCn 24a und Schl. I–5] 5. Frankonolant frankonolant. hieß bei den Alten: Germania. [CCn 24a: Der Anfang wie hier, dann: dieses übersetzt man mit: Teutschland, so werden wir also auch Frankonolant mit Teutschland übersetzen können. Schl. I–5: nun ist aber heute Germania Deutschland, also ist auch Frankono lant] Siehe Bern. Pez. Tom. I. pag. 417. 6. gengit gengit, von gangan (gang, gengit, giang, gangan). gehen. [CCn 24a gengit siehe: gangan Schl. I–5 wie CCn 23] 7. ellu ellu für die volle Form: elliu, von al, umlautend in e wegen des folg. i, wenn es gleich in der Schrift unterdrückt ist: ellugiwalt und giwalt ellu. V. 8. gleichsam Gewaltall wie Weltall von worolt ellu: es bedeutete universalem und supremam potestatem. Gegenwärtig ersetzt: Souverainetaet! [Der erste Satz fehlt in CCn 24a und Schl I–5] 8. giwalt [8. Giwalt. der Reim: giwalt auf lant darf nicht befremden: er kommt öfter vor. Z.B. unten an Salomo. Vers 88 reimt Otfrid lant auf ward, nur in Schl. I–5]

203 9. ioh [9. Joh. in Schilters Texte: io. Jo heißt je und joh gebraucht Otfrid fast immer für: und. höchst selten hat er: inti wie andre. Die Unachtsamkeit der Schreiber hat diese zwey Wörtchen häufig vermengt. Wo der Fehler so offenbar ist wie hier, würden wir es für unbillig halten, ihn im Texte stehen zu lassen. Wir haben daher joh für io geschrieben, und werden es auch in vielen eben so unstreitigen Fällen thun. Schl. I–5] 10. hohemo hohemo, conlidiert für hohe imo, oder hohe +mo, Bey imo und inan wird nämlich im Elisionsfall das i weggeworfen: daher +mo, +nan für: imo, inan. [ohne linguistische Fachtermini in CCn 24a und Sch. I–5] 11. gimuato gimuato, und im folg. V. guato stehen adverb. und gehören zum Verb: hohe [... hier aber stehen sie adverbialiter, gimuato gnädig, guato gütig Schl. I–5 schließt an: ... und gehören zum Nominat. Zeit] Was kann man aus der Genese dieses Kommentarstückes vom CCn 24a über Schlierbach I–5 bis CCn 23 ablesen? Inhaltlich stehen in allen Fassungen Beschreibungen sprachlich-grammatikalischer Phänomene und Probleme bei ihrer Umsetzung ins Neuhochdeutsche im Vordergrund. Nur in einem Fall verweist er auf ein textkritisches Problem (Nr. 9), einmal auf einen Reim (Nr. 8). In der Schlierbacher Fassung verweist er noch auf die Einträge seiner Glossare (Nr. 6), im CCn 23 übernimmt er dann die Stammformen aus den Glossaren in den Kommentar. Besonders auffällig ist die unterschiedliche Verwendung von Fachbegriffen zur Beschreibung linguistischer Erscheinungen in den Fassungen. Für Nr. 1 kann man das im Sinne einer Präzision der grammatikalischen Beschreibung auffassen, für die Nr. 7 und 10 ist das nicht in derselben Weise möglich. Die Verwendung der Termini Umlaut, Elision und die Beschreibung des Primärumlauts setzen zwangsläufig die Kenntnis der Grimmschen Grammatik (Erste Auflage: 1819) voraus (s. S. 205f.). Die Fassungen im CCn 24a und Schlierbach I–5 kommen dagegen vollständig ohne die von Grimm eingeführte Terminologie aus. Eine eigene Grammatik zum Evangelienbuch hat Koplhuber im übrigen nicht hinterlassen. Für das, was er bei seinen Vorgängern beklagte, nämlich die »Unbekanntschaft mit den Flexionen der Wörter, und ihrer Verbindung untereinander zu einem Redesatz« (Bl. 12b), fand er erst in der zweiten Auflage der Grimmschen Grammatik ein geeignetes Beschreibungsinstrumentar.

204

6.1.5 Die Übersetzung Koplhuber legte sich für seine Übersetzung metrische »Fesseln« an. Er charakterisiert sie selbst mit den folgenden Worten: Die Übersetzung besteht aus Jamben. Aber da ich hart beym Worte bleiben sollte und wollte: so war es mir unmöglich, mich auf eine bestimmte Anzahl von Füßen einschränken zu laßen. Noch weniger konnt ich, um dieses Zweckes willen der nothwendig im Angesichte bleiben mußte an einen regelmäßigen männlichen und weiblichen Ausgang des Verses, am allerwenigsten aber an einen Reim in denselben denken. (CCn 23, Bl. 25b)

Im Nachhinein bereute er, nicht die Form der Prosa gewählt zu haben, denn Umstellung einzelner Worte und ganzer Sätze gegenüber Otfrid war unvermeidlich.32 Vor allem versuchte er auf semantischer Ebene die Bedeutungsverschiebung einzelner Worte sichtbar zu machen. Die drei erhaltenen Fassungen zeigen auch hier signifikante Unterschiede. Ich versuche, auch die Genese der Übersetzung anhand des Beginns von Ad Ludovicum (V. 1–6) sichtbar zu machen.33 Davor stelle ich zum Vergleich den althochdeutschen Text nach Koplhuber (CCn 23, S. 1f.).34 Ludowig ther Snello, thes wisduames follo, Er Ostarrichi rihtit al, So Frankono kuning sca L; Ludwig, dem Tapferen, / dem Weisheitsvollen, der, / Wie es dem König der Deutschen ziemt, / die Ostreiche beherrscht; [Ludwig, dem Schnellen, dem Weisheitsvollen! Ihm, der die Ostreiche beherrscht, wie es dem Könige der Teutschen ziemt CCn 24a; Ludwig dem Schnellen, / Dem Weisheits vollen! / Der, wie es ziemt, dem Könige der Deutschen / Die Ostreiche beherrscht, Schl I–5] Vbar Frankono lant so gengit ellu sin giwalt: Thaz rihtit, so ih thir zellu, thiu sin giwalt ell – V. Denn dessen Oberherrschaft / erstreckt sich über Deutschland: / Dies, wie ich so eben sage, / Lenkt seine Fürstenmacht, [Deß Oberherrschaft sich Erstreitet

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Vgl. CCn 23, Bl. 26a. Man könnte noch eine weitere »genetische Stufe« ergänzen: In Schlierbach I–5 sind große Teile der Übersetzung durch aufgeklebte Zettel überarbeitet. Da diese Zettel nur an einem Seitenrand angeklebt sind, läßt sich an allen Stellen die darunterliegende Fassung lesen. Ich verzichte im folgenden Beispiel auf die Berücksichtigung dieser Fassung. Ausführlichere Auszüge aus der Übersetzung sind abgedruckt in: Kelle (1860, Anm. 21), S. 69–75. Salzer (Anm. 4), S. 334–343. Kienesberger (Anm. 4), S. 257–259.

205 über Teutschland, Und der dieß, wie ich melde, mit seiner Hochgewalt beherrscht. CCn 24a; Desselben Oberherrschaft / Erstreckt sich nähmlich über Deutschland: / Dies, wie ich eben sage, / Lenkt seine Fürstenmacht.: Schl. I–5] Themo si iamer heili ioh salida gimeini! Druhtin hohe mo thaz guat, ioh frewemo emizzen thaz muaT! Ihm sey auf ewig Heil, / Und Wohlergehn verlieh’n! Der Herr soll stets sein Glück erhöhn, / Erfreue Ihm seine Seele! [Ihm sey auf ewig Heil, Und Wohlergehn herliche! Der Herr mög’ ihn des Güt erhöhn, Und immer dar erfreun das Herz! CCn 24a; Ihm sey auf ewig Heil, / Und Wohlergehn verliehn! / Der Herr soll stets sein Glück erhöhn / Erfreun Ihm seine Seele! Schl. I–5] Koplhubers Bemühungen, möglichst nahe am Althochdeutschen zu bleiben, werden vor allem in der frühesten Fassung (CCn 24a) sichtbar. Die von ihm eingefügte Interpunktion diente ihm zur Gliederung der Übersetzung. Die katalektischen und akatalektischen Versausgänge und die unregelmäßige Hebungszahl der Jamben vermitteln im CCn 23 nahezu den Eindruck eines rhythmisierten Prosatextes. Vor allem im CCn 24a tritt der Rhythmus viel stärker hervor als in den beiden späteren Fassungen. Die Schlierbacher Version ist für dieses Textstück nur eine in Details abweichende Version.35

6.1.6 Koplhuber und Jacob Grimm Koplhuber nahm die Grimmsche Grammatik in ihrer zweiten Auflage (1822), von der er erst Ende 1824 erfahren habe, zur Kenntnis.36 Sie habe seine Arbeit am Evangelienbuch in allen Belangen bestätigt: Und von dem mit allen unsern Vorgängern schlechterdings unvergleichbaren, Jacob Grimm hört ich und sah ich nicht eher etwas als 1824 im Herbste. Unendlich freut es mich, meine Fünde durch die seinigen vorzüglich in der Flexionslehre, weiter hab ich ohne hin noch nichts, bey sehr unbedeutenden Abweichungen bestätiget zu sehn. Wenn ich nicht selbst eine kurzgefaßte Gramm. über die Sprache Otfrids am Ende des Buches beyfüge, so verweise ich alle, die darin unterrichtet zu werden wünschen an die Grimmsche. Göttingen 1822. (CCn 23, Anm.*****, Bl. 17b)

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Die erwähnte Version unter den Zetteln in Schlierbach I–5 zeigt demgegenüber noch größere Abweichungen. Koplhuber kannte offenbar nicht die erste, 1819 in Göttingen erschienene Auflage. Der erste Band behandelt insbesondere die Flexion. Die 1822 veröffentlichte, umgearbeitete, zweite Auflage enthielt darüber hinaus einen phonologischen Teil. Vgl. dazu im Überblick Ludwig Denecke: Jacob Grimm und sein Bruder Wilhelm. Stuttgart 1971 (SM 100), S. 90f.

206 Die Kenntnis dieser für ihn bedeutenden Grundlage scheint in ihm das Bedürfnis geweckt zu haben, seine Otfridarbeiten doch nicht ganz für sich zu behalten und einen Schritt mit ihnen über die Kremsmünsterer Klostermauern hinaus zu wagen. Dafür wandte er sich nicht an sein näheres Umfeld, sondern direkt an den »unvergleichbaren« Jacob Grimm.37 Der Reinschrift, die P. Michael Reisch nach dem Tod Koplhubers vom CCn 23 anfertigte, liegt ein autographer Brief Jacob Grimms bei.38 Er ist datiert auf den »1 dec. 1824«. Das Schreiben Grimms setzt einen Brief Koplhubers voraus, dem eine Probe seiner Otfridarbeit beigelegen haben muß. Grimm konnte damit allerdings offenbar nichts anfangen: Was mit den otfriedischen proben beabsichtigt worden ist, weiß ich freilich nicht. Den O[tfrid] neu zu edieren und damit die heutigen forderungen zufrieden zu stellen, halte ich recht für etwas schweres.39

Die »heutigen Forderungen«, damit ist der wissenschaftliche Anspruch der sich disziplinär etablierenden Germanistik gemeint. Er besteht in einer Kollation aller bekannten Handschriften als einzig denkbare Grundlage für eine Neuedition, die »herstellung eines reines textes«40 aus den Textzeugen unter Berücksichtigung der Metrik, Interpunktion und Akzente. Von all diesen Problemen besaß Koplhuber nur eine vage Ahnung, die sich nicht auf Kenntnis der Handschriften des Evangelienbuchs stützte.41 Grimm ermutigt ihn aber, ein »specimen seines fleisses« herauszugeben aus einer Handschrift benachbarter Klöster, oder sich »ein stück der alten grammatik«42 vorzunehmen. Grimm meinte, daß Koplhuber mit einer Arbeit hervortreten solle, da er »in der laut- und flexionslehre auf verschiednes irrige und unzulänglich erwiesene meiner darstellung (sc. in Grimms Grammatik) gestoßen« sei. Koplhuber tat dies aber nie, und Grimm hätte wohl auch keine Möglichkeit gehabt, sich danach zu erkundigen, da Koplhuber den Brief an Grimm anonym verfaßt und abgesandt hatte.43 Er verband mit seinen Otfridarbeiten keinen wissenschaftlichen Anspruch im Sinne der Forderungen, die Grimm an eine Edition und an eine Übersetzung des Evangelienbuchs stellte. Wie Otfrid, so suggeriert es der Topos, war ihm der Lohn vor Gott genug, wie es in dem eingangs zitier-

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Auch der Kremsmünsterer P. Matthias Höfer stand etwas früher als Koplhuber mit Jacob Grimm in Kontakt. In der Stiftsbibliothek liegen mehrere Widmungsexemplare Grimms an Höfer, etwa die Ausgabe des Hildebrandsliedes (Signatur: 4° Ff 4). Vgl. dazu Konrad Kienesberger: P. Matthias Höfer von Kremsmünster. Sprachforscher zwischen Aufklärung und Romantik (Mit einem ungedruckten Brief Jacob Grimms). In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 88 (1977), S. 188–223. Vgl. die Edition und die Abbildungen des Schreibens bei Kienesberger (Anm. 4), S. 263– 265, Abb. 6 und 7. Grimm an Koplhuber. Nach Kienesberger (Anm. 4), S. 264. Grimm an Koplhuber. Nach Kienesberger (Anm. 4), S. 264. Vgl. seine Vorrede, S. 31a. Grimm an Koplhuber. Nach Kienesberger (Anm. 4), S. 263. Vgl. Kienesberger (Anm. 4), S. 263.

207 ten lateinischen Gedicht heißt, »placere Deo« (s. S. 193), oder am Ende seiner Vorrede: Und, Otfrid, wenn wohlwollend mich dein Richterblick verschont: Ist Niemand köstlicher als ich für seinen Dienst belohnt. (Bl. 33b)

6.2 Eberhard Gottlieb Graffs Krist (1831) Jacob Grimm wies Koplhuber in seinem Schreiben auch auf eine »monographie von den praepositionen« hin, die jener sich für einen eigenen Beitrag zum Vorbild machen könne. Damit meinte er die gleichnamige, ihm gewidmete Schrift Eberhard Gottlieb Graffs (1780–1841).44 Graff wurde Anfang der zwanziger Jahre bei seiner Bearbeitung des Otfridwortschatzes für seinen Althochdeutschen Sprachschatz darauf aufmerksam, daß die Ausgabe von Scherz einen »vielfach entstellten«45 Text biete. Der Weg, um zu einer »kritischen« Textbasis des Evangelienbuchs zu gelangen, führte für Graff nur über eine »Collation der Handschriften«, zu der er im Rahmen seiner Handschriftenreise Gelegenheit fand: 46 Die Reise, die ich, unterstützt von dem königl. preusz. Ministerium des Cultus und des Unterrichts, zur Auffindung und Benutzung der altdeutschen Sprachdenkmäler im Jahre 1825 unternahm und bis zum Jahre 1827 fortsetzte, führte mich denn auch zu den Handschriften Otfrids, aus denen ich nicht nur alle Varianten mir samlete, sondern auch die Accente, mit denen das ganze Werk versehen ist, vollständig eintrug. (Graff, Krist, S. V)

Beinahe wäre er aus gesundheitlichen Gründen an der Herausgabe gescheitert.47 Seine Arbeitsmoral, wie er sie in der Vorrede zur Otfridausgabe darstellt, gibt einen repräsentativen Einblick in das Wissenschaftsethos in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Graff erläutert hier, warum er trotz »Augenschwäche« und

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Eberhard Gottlieb Graff: Die althochdeutschen Präpositionen. Ein Beitrag zur deutschen Sprachkunde und Vorläufer eines althochdeutschen Sprachschatzes nach den Quellen des 8. bis 11. Jahrhunderts. Königsberg 1824. Zu Graff vgl. Wilhelm Scherer: Graff, Eberhard Gottlieb. In: ADB 9 (1879), S. 566–568. Elisabeth Karg-Gasterstädt: Graff, Eberhard Gottlieb. In: NDB 6 (1964), S. 730f. Hans-Werner Eroms: Schmeller, Graff und die Germanistik ihrer Zeit. In: Johann Andreas Schmeller und der Beginn der Germanistik. Hg. von Ludwig M. Eichinger und Bernd Naumann. München 1988, S. 65-81. Uwe Meves: Eberhard Gottlieb Graff (1780-1841). In: Die Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren. Aus Anlaß der Gründung der Albertus-Universität vor 450 Jahren. Hg. von Dietrich Rauschning und Donata v. Nerée. Berlin 1995 (Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. 29), S. 167–183. Vgl. Eberhard Gottlieb Graff: Krist. Das älteste, von Otfrid im neunten Iarhundert verfaszte, hochdeutsche Gedicht, nach den drei gleichzeitigen, zu Wien, München und Heidelberg befindlichen, Handschriften kritisch herausgegeben von E. G. Graff. Mit einem Facsimile aus ieder der drei Handschriften. Königsberg 1831, S. V. Zur Handschriftenreise Graffs vgl. Meves (Anm. 44) S. 175f.. Vgl. zu den Umständen der Entstehung Eroms (Anm. 44) S. 73.

208 »Nervenleiden« nicht davon Abstand nahm, »das Hauptwerk der althochdeutschen Sprache«48 herauszugeben: allein, der Umstand, dasz leider bis jetzt nur Wenige unserer alten Sprache ein Studium gewidmet haben, das sie zur Herausgabe des otfridischen Werks befähigte, und diese Wenigen nicht im Besitz des dazu nöthigen Apparats sind, ich aber schon auf meiner Reise mehr als 3 Monathe zur Collation der Handschriften und Eintragung der Accente verwandt hatte, rechtfertigte nicht nur die Ausführung meines Unternehmens, sondern machte sie mir für ein Werk, wie das otfridische ist, zur Pflicht. (Graff, Krist, S. V)

1831 erschien die Graffsche Ausgabe des Evangelienbuchs unter dem Titel Krist als hochdeutsches Pendant zu Johann Andreas Schmellers Heliand (1830).49 Graff berücksichtigt alle damals bekannten Textzeugen, also die Wiener, die Heidelberger und die Freisinger Handschrift, sowie alle damals bekannten Fragmente aus dem Codex Discissus (s. Kap. 2.4). Er legt seiner Edition die Wiener Handschrift als Leithandschrift zugrunde und ist der erste, der auch die otfridischen Akzente systematisch in seine Edition mitaufnahm. Sein Bemühen, das Evangelienbuch als »ein otfridisches [sc. Werk] mit allen Eigenthümlichkeiten und Schwankungen seines Dialects, gereinigt von den Entstellungen der Abschreiber«50 herauszugeben, führte zu Eingriffen in den Text, die von den späteren Otfridherausgebern, insbesondere von Johann Kelle, sehr kritisch beurteilt wurden.51 Graff war, das ist unbestreitbar, Mitglied der institutionalisierten Germanistik, und zwar als erster ordentlicher Professor für deutsche Sprache und Literatur in Königsberg. Ihm kommt, das gilt trotz der Kritik Johann Kelles, das Verdienst zu, die »erste, nach wissenschaftlicher Methode gearbeitete Gesamtausgabe«52 des Evangelienbuchs vorgelegt zu haben.53 Insofern ist er genaugenommen nicht mehr Bestandteil der vorliegenden Arbeit, sondern gehört bereits zu einer Geschichte der Otfridforschung vor dem Hintergrund der disziplinären Institutionalisierung. Dennoch gehört er – wie ich meine – in gewisser Hinsicht dennoch zum Gegenstandsbereich meiner Arbeit. In der 2004 erschienenen Neuausgabe der Wiener Handschrift des Evangelienbuchs bringt Wolfgang Kleiber den Zwischenstatus, den die Ausgabe Graffs offenbar einnimmt, in einer paradoxal anmutenden, aber durchaus treffenden Doppelnennung der Graffschen Ausgabe zum Ausdruck:

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Alle Zitate Graff (Anm. 45), S. Vf. Vgl. Johann Andreas Schmeller: Heliand. Poema saxonicum seculi noni, accurate expressum ad exemplar Monacense insertis e Cottoniano Londinensi supplementis nec non adiecta lectionum varietate nunc primum edidit. Monach., Stuttg. et Tubingæ 1830. Graff (Anm. 45), S: XVII. Vgl. die Ausführungen Graffs zum Konsonantismus, Vokalismus und zur Flexionsmorphologie im Evangelienbuch, S. XVIII–XXVI. Die dort angekündigte Otfridgrammatik, ein Otfridglossar und eine Darstellung zur Metrik sind nicht erschienen. Johanna Belkin / Jürgen Meier: Bibliographie zu Otfrid von Weißenburg und zur altsächsischen Bibeldichtung (Heliand und Genesis). Berlin 1975 (Bibliographien zur deutschen Literatur des Mittelalters Heft 7), S. 20, Nr. 58. Vgl. Kelle I (1856), S. 129–136.

209 Die frühen Ausgaben von Flacius Illyricus, Johannes Schilter, Eberhard Gottlieb Graff sind von Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte. Hier besprochen werden nur die eigentlich Kritischen Ausgaben, die »Großausgaben« von Eberhard Gottlieb Graff (1831), Johann Kelle (1856/1868/1881), Paul Piper (1878/1882) und Oskar Erdmann (1882), [...].54

Kleiber konzentriert sich in seiner Forschungskritik dann auf den von Graff edierten Text, der »eine Vorstufe [repräsentiere] auf dem Weg zu einer Kritischen Ausgabe, die Graff beabsichtigt, aber nicht erreicht hat«55. Er verweist speziell auf die von Graff »als unnütz und den Druck nur erschwerend und entstellend«56 weggelassenen Marginalien. Graff betont in seiner Vorrede zunächst vor allem den sprachlichen Reiz, der eine Beschäftigung mit dem Evangelienbuch lohnend mache. Denn es gehöre einer Zeit an, in der Deutschland unter Ludwig dem Deutschen noch in seiner Kraft und Einheit dastand, Karls des Groszen Einflusz auf Sitte und Wiszenschaft noch nicht durch innere Unruhen, Faustrecht und Raubsystem zerstört war, und – was vor allem dieses Werk interessant macht – die deutsche Sprache noch nicht das Leben und den Reiz ihrer Jugend ganz eingebüszt hatte. (Graff, Krist, S. VIf.)

Mit dem Evangelienbuch trete insbesondere der noch »unentstellte Organismus« der früheren Sprachstufe hervor, deren Beschreibung Graff einen hohen Wert für die Sprache seiner Gegenwart zuschreibt, nicht nur in Hinblick auf die Erforschung ihrer Grammatik und Etymologie, sondern auch, wie er sagt, in der »Wiederbeseelung unsrer heutigen Wörter«57. Ich möchte darüber hinaus auf einen weiteren Aspekt aufmerksam machen, der deutlich macht, daß Graff gewissermaßen gleichzeitig auf zwei Seiten steht. Er betrifft den Anspruch, den Graff hinsichtlich der potentiellen Rezeption seiner Ausgabe expliziert. Friedrich Heinrich von der Hagen weist in seiner Gedenkrede auf Graff von 1841 darauf hin, daß Graff sich seinen Althochdeutschen Sprachschatz »selbst auf den Tischen der Frauen«58 gewünscht habe. Für den Otfrid äußert er unter Berufung auf die Grimmsche Grammatik und auf Matthias Flacius Illyricus einen ähnlichen Anspruch. Der Otfrid sei gedacht nicht nur für Lehrer und Sprachforscher, sondern auch für jeden gebildeten Deutschen, dem deutscher Geist und deutsches Wort nicht gleichgültig ist, der Lectüre des otfridischen Werkes beiwohnt, und daraus die Nothwendigkeit erkennen zu laszen, die Lesung und Erklärung dieses Werkes zu einer stehenden Lection auf der Universität und den obern Classen der Gymnasien und höhern Bürgerschulen zu machen. (Graff, Krist, S. XIV.)

Er verbindet damit also einen dezidiert patriotischen Anspruch, wie er in dieser Form für das Evangelienbuch zwar mehrfach formuliert wurde, aber mit diesem

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Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 18. Kleiber / Heuser I, 2 (2004), S. 18. Graff (Anm. 45), S. XVII. Die beiden Zitate nach Graff (Anm. 45), S. IX und VIII. Friedrich Heinrich von der Hagen: Erinnerung an E. G. Graff. Vorgelesen in der Octoberversammlung 1841. In: Germania 5 (1843), S. 58–66, hier S. 63.

210 Nachdruck hier wohl das letzte Mal.59 Graff widmet die »Älteste Hochdeutsche Messiade« dem preußischen Kronprinzen und stellte der Edition als »Stimme aus der Vorzeit« den ersten Reichston Walthers von der Vogelweide voran, einen Text also, der für das 19. Jahrhundert zweifelsohne ein weitaus höheres politisch-nationales Effektpotential besaß als das Evangelienbuch. Realisiert wurde der Anspruch in der Form, wie ihn Graff sich vorstellte, nicht. Es gab im 19. Jahrhundert andere mittelalterlich-volkssprachige Autoren und Texte, wie eben z. B. den »Sänger des Reichs«, Walther, oder das Nibelungenlied, mit denen sich der von Graff angesprochene »deutsche[] Geist« deutlich besser bedienen ließ als mit Otfrids Liber Evangeliorum.60 Über das Evangelienbuch breiteten sich mit Karl Lachmann und seinen Nachfolgern nicht, wie Hans Butzmann sagt, die »kühlen Schatten der Philologie«61, sondern die (vielleicht noch kühleren) Schatten der wissenschaftlichen Germanistik aus.62

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Hinter dieser Motivation steht bei Graff sicher auch sein früheres schulpolitisches Engagement. Vgl. dazu Meves (Anm. 44). Der Heliand war für solche Inanspruchnahmen weitaus anfälliger. Ich verweise hier exemplarisch nur auf die Forschungsdiskussion im 19. Jahrhundert, die zum Heliand unter dem Stichwort »Germanisierung des Christentums« geführt wurde. Zur Rezeption des Nibelungenlieds nenne ich hier nur Otfrid Ehrismann: Das Nibelungenlied in Deutschland. Studien zur Rezeption des Nibelungenlieds von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. München 1975 (Münchner Germanistische Beiträge 14). Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von Joachim Heinzle und Anneliese Waldschmidt. Frankfurt a. M. 1991. Otfrid von Weißenburg: Evangelienharmonie. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex Vindobonensis 2687 der Österreichischen Nationalbibliothek. Eingeleitet von Hans Butzmann. Graz 1972 (Codices Selecti 30), S. 35. An dieser Stelle sei hingewiesen auf einen weiteren Rezipienten des Evangelienbuchs, der mit Jacob Grimm in Austausch stand und der für die Frühgeschichte der Schweizer Germanistik eine bedeutende Rolle spielt. Gemeint ist Leonz Füglistaller (1768–1840). Er arbeitete an einer Textausgabe, Übersetzung und einem Wörterbuch, die zum größten Teil ungedruckt sind und sich nur in Teilen handschriftlich in der Kantonsbibliothek Aarau erhalten haben (Text und Übersetzung: Aarau, Kantonsbibliothek, MS. Bibl. Mur. 34,1– 34,5; Animadversiones: MS. Bibl. Mur. 57). Vgl. zu ihm und seinen Arbeiten Kelle (Anm. 21), S. 81–96, S. 97–105. Eduard Studer: Leonz Füglistaller. 1768–1840. Leben und germanistische Arbeiten. Freiburg / Schweiz 1952. Stefan Sonderegger: Jacob Grimm und die Frühgeschichte der Germanistik in der Schweiz: In: Brüder Grimm Gedenken 14 (2001), S. 1–45, hier S. 29–35.

7 Zur frühen Wissenschaftsgeschichte der Germanistik In den voranstehenden Kapiteln habe ich den Versuch unternommen, die Geschichte der Wiederentdeckung und Wiedererschließung von Otfrids Evangelienbuch aus einer strikt philologiegeschichtlichen Perspektive zu beschreiben. Man hätte die Rezeption dieses Textes gewiß auch aus anderen Perspektiven und unter anderen methodischen Prämissen darstellen können, als ich das hier getan habe. Eine mögliche Alternative hätte etwa ansetzen können bei Rezeptionszeugnissen zu Otfrids Evangelienbuch, die in einem weiten Sinne als literarische oder poetische aufzufassen und zu interpretieren wären. Ich möchte dafür drei Beispiele anführen: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616–1679) bietet in der Einleitung zu seinen 1679 erschienenen Deutschen Übersetzungen und Getichten einen Abriß der Geschichte der Poesie und führt als Beispiel hier auch den »frommen Mönch« Otfrid an. Seine »Evangelia sammt den Auslegungen« seien aber »so rauche und unverständlich«, daß man sie »leicht vor ein Werck einer ausländischen Sprache halten dörffte.«1 Er spricht in der Folge einige Schwierigkeiten an, die er dem Sprachgutachten der Edition von Matthias Flacius entnimmt, genauso wie die ersten sechs Verse der Widmung an Ludwig den Deutschen, von denen er eine gereimte Übersetzung bietet. Er löst Otfrids Binnenreime auf und verwandelt den Text metrisch in einen achthebigen zäsurierten Trochäus ganz eigenen Stils: Der geschwinde Ludewig aller hohen Weißheit voll / Der gantz Oesterreich regiert / wie ein Fränkscher König sol. Über dieses Fränksche Land gehet alle seine Macht / Die Regierung / wie ich melde / hat er in den schwung gebracht. Gott verstärck jhm seine Güte und erfreu ihm seinen Muth / Er erleucht’ ihm sein Gemüte und gewehr ihm reiches Gut.2

1690 bringt der Rektor des Breslauer Marien-Gymnasiums, Christian Gryphius (1649–1706), ein Schultheaterstück mit dem Titel Der Deutschen Sprache unterschiedene Alter und nach und nach zunehmendes Wachsthum zur Aufführung. In der fünften Szene kommt es zum Auftritt Otfrids: Karl der Große bittet Ludwig den Frommen, Otfrid möge doch eine Probe seiner »noch unter der Hand habenden Arbeit« vortragen. Otfrid kann als »unterthäniger Diener« nicht

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Alle Zitate nach Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. Teil 1. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Franz Heiduk. Hildesheim – Zürich – New York 1984, S. 23. Hoffmann von Hoffmannswaldau (Anm. 1), S. 25.

212 ablehnen, betont aber, es sei ihm schwergefallen, »unsere harte Sprache dergestalt zu zwingen, daß sie sich in Reim-Bände einschräncken und nach der Länge oder Kürtze der Sylben soll abmessen lassen.« Mit dem Evangelienbuch sei lediglich der Grund gelegt, auf den die Nachwelt »etwas ansehlichers und bessers baue«. Otfrid trägt dann die ersten Verse seiner Widmung an »Eure Majestät Kayser Ludwig« vor, zunächst in althochdeutscher Sprache, dann in der Versübersetzung Hoffmannswaldaus. Ludwig lobt schließlich das Vorhaben Otfrids und urteilt lapidar: »Wir lassen uns euren Wunsch und Schreib-Art nicht übel gefallen / fahrt nur ferner fort / und versichert euch / daß es an reicher Belohnung nicht ermangeln soll.«3 Ich komme zu meinem dritten Beispiel: Novembernebel brauen über der Spree. Wie große Schildkröten ruhen die grauen Kähne im träge fließenden Wasser. Arbeitslose, Neugierige, Schulbuben blicken gelangweilt in die trübe Flut. Plötzlich Gestampfe und Gerattere, Kolonnen von Soldaten rücken heran. Sie schleppen Maschinengewehre hinter sich her. Düster und starr die Augen unter dem Stahlhelm. In die Gaffer kommt Leben. Wirre Fragen, heiße, aufgeregte Rufe. Was ist los?

Dieser Erzählanfang stammt, nach dem Titel des 1929 bei Walter Nestler in Meißen immerhin in 10000 Exemplaren erschienenen Romans, Friede – Freiheit – Brot! Ein Revolutionsroman, zu urteilen, sogar von »Otfried von Weißenburg«. Seinen Inhalt bilden – knapp zusammengefaßt – die Ereignisse der Novemberrevolution in Berlin aus Sicht des Protagonisten Hermann Werner, einem Journalisten für das »Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands«, »Vorwärts«, die Liebe zu seiner Parteigenossin Else Krille, die Rettung ihres Bruders Alfred vor der Erschießung, schließlich die Erstürmung des »Vorwärts«-Gebäudes und der Austritt des resignierten Protagonisten aus der sozialdemokratischen Partei. Nun erscheint die Tatsache doch ziemlich überraschend, daß ein Schriftsteller, der sich im Jahr der Weltwirtschaftskrise für ein besseres Deutschland einsetzt, ausgerechnet den Namen des Benediktinermönches und Verfassers einer althochdeutschen Evangeliendichtung aus dem 9. Jahrhundert als Pseudonym verwendet. Die Antwort auf das Warum fällt im vorliegenden Fall aber erstaunlich leicht: Hinter dem Pseudonym verbirgt sich ein engagierter Sozialdemokrat namens Emil Unger-Winkelried. Wirft man einen Blick in seine 1934 publizierte Autobiographie Von Bebel zu Hitler. Vom Zukunftsstaat zum Dritten Reich, wird auch der Grund für die Wahl Otfrids als Pseudonym klar. Ihr erster Satz lautet: »Mein Geburtsort ist Weißenburg im Elsaß.«4. Wenig später folgt im Stil eines etwas pathetischen Reiseführers ein eigener Abschnitt zu Otfrid, der die Bedeutung der Stadt erklärt:

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Alle Zitate nach Christian Gryphius: Der Deutschen Sprache unterschiedene Alter und nach und nach zunehmendes Wachsthum / ehemals in einem =ffentlichen Dramate auff der Theatralischen Schau-BFhne bey dem Breßlauischen Gymnasio zu St. Maria Magdalena entworffen von Christian Gryphius [...]. Breslau 1708, S. 67–71, die Zitate S. 67f. Emil Unger-Winkelried: Von Bebel zu Hitler. Vom Zukunftsstaat zum Dritten Reich. Aus dem Leben eines sozialdemokratischen Arbeiters. Berlin 1934, S. 5.

213 Mein Heimatstädtchen wäre aber auch ohne Krieg recht bemerkenswert gewesen. Allein der Umstand, daß es die Wiege der deutschen Dichtkunst, mindestens der deutschen Dichtkunst in ihrer heutigen Gestalt ist, genügte schon, um seinen Namen unvergeßlich erscheinen zu lassen. Vor mehr als tausend Jahren verfaßte daselbst der Mönch Otfrid in oberdeutscher Mundart, also in althochdeutscher Sprache, ein fünfbändiges Epos, das er nach dem Muster der christlichen Hymnen mit dem Endreim ausstattete.5

Mit Unger-Winkelried ist systematisch und chronologisch der Endpunkt der literarischen Adaptionen Otfrids und seines Evangelienbuchs im 20. Jahrhundert erreicht. Weiteres ließe sich anführen: die Otfridrezeption durch Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803),6 eine erzählende Dichtung aus dem Jahr 1903 von Meinrad Sadil (1864–1943), die eine Biographie Otfrids und seine Liebe zu der vielgedeuteten Judith aus dem Liutbertbrief konstruiert,7 oder ein Gedicht zu Otfrid aus dem Zyklus Straßburg. Ein Kreis (1920) von Ernst Bertram (1884– 1957). Zu verweisen wäre in diesem Zusammenhang auch auf diejenigen Übersetzungen des Evangelienbuchs, die mit einem poetisch-literarischen Anspruch auftreten.8 In dieser Arbeit stand ein anderer ›Rezeptionstyp‹ des Evangelienbuchs im Vordergrund, der sich auf die Wiederentdeckung und philologische Wiedererschließung des Textes in den Jahrhunderten vor der institutionellen Etablierung der Germanistik als universitäre Disziplin konzentrierte. Daß dieser Typ eine Dominante für die frühneuzeitliche Rezeptionsgeschichte Otfrids bildet, ergibt sich allein quantitativ im Blick auf den Kanon der Rezeptionszeugnisse (s. Kap. 9.2). Meine Darstellung stützte sich dabei methodisch nicht auf einen vorgezeichneten Weg, der linear von der Wiederentdeckung zur Wissenschaft, von der gelehrten zur disziplinär gebundenen Beschäftigung oder von der dilettantischen zur professionellen Auseinandersetzung mit dem Evangelienbuch führte. Ulrich Seelbach bemerkte in bezug auf solche Teleologien, daß eine Geschichte der frühen Erforschung mittelalterlich-volkssprachiger Literatur nicht zwangsläufig »die Unvollkommenheiten auf dem Weg zur etablierten Wissenschaft, den Zustand des noch nicht Erreichten«9 betonen müsse. Einen Weg, der

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Unger-Winkelried, (Anm. 4), S. 6. Zwischen dem Inhalt des Romans und Otfrid gibt es übrigens an keiner Stelle einen intentionalen Zusammenhang. Vgl. Karl Heinz Borck: Hexameter so zierlich nach Otfrids Klange. In: FS Horst Gronemeyer zum 60. Geburtstag. Hg. von Harald Weigel. Herzberg 1993 (bibliothemata 10), S. 287–303. Meinrad Sadil: Otfried. Erzählende Dichtung. Stuttgart – Wien 1903. Sadil war übrigens Benediktiner im Wiener Schottenstift. Möglicherweise kannte er die Abschrift Achill Pirmin Gassers, die bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts dorthin gelangte. S. S. 86f. Otfrieds von Weissenburg Evangelienbuch. Aus dem Althochdeutschen übersetzt von Georg Rapp. Stuttgart 1858. Otfrids Evangelienbuch. Aus dem Altdeutschen frei übersetzt von Richard Fromme. Berlin o. J. [ca. 1928]. Vgl. auch Johann Kelle: Christi Leben und Lehre besungen von Otfrid. Aus dem Althochdeutschen übersetzt. Prag 1870 (ND Osnabrück 1966). Vgl. Mittelalterliche Literatur in der frühen Neuzeit. in: Das Berliner Modell der mittleren deutschen Literatur. Beiträge zur Tagung Kloster Zinna 29.09.–01.10.1997. Hg. von Christiane Caemmerer, Walter Delabar, Jörg Jungmayr, Knut Kiesant. Amsterdam / Atlanta, GA 2000 (Chloe – Beihefte zum Daphnis 33), S. 89–115, hier S. 93.

214 nicht die Unvollkommenheiten des frühneuzeitlichen Umgangs mit mittelalterlicher Literatur gegenüber der heutigen wissenschaftlichen Beschäftigung in den Vordergrund stellt, habe ich hier zu beschreiten versucht. Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen war die Frage nach elementaren philologischen Grundfertigkeiten und ihre Applikation auf Otfrids Evangelienbuch vom Ende des 15. bis zum ersten Drittel des 19. Jahrhunderts: Sammeln, Abschreiben und Beschreiben, Edieren, Kommentieren und Interpretieren.10 Diese Elemente philologischen Arbeitens treten von der Wiederentdeckung des Textes an in zeitlicher Parallelität auf und lassen sich nicht in so strikter Weise trennen, wie es die Strukturierung der Arbeit suggerieren mag. Die Grundfertigkeiten sind dabei nicht zu trennen von den leitenden Motivationen für die Beschäftigung mit dem Text, die auf Schritt und Tritt begegnen und aus der Behandlung meines Gegenstandsbereiches nicht auszuschließen waren: die konfessionellen und humanistisch-patriotischen, die historisch-genealogischen, später die Selbstvergewisserungen benediktinischer Ordenstradition und schließlich die Motivation eines im Ansatz fast schon zweckfrei zu nennenden Interesses an einer Art vergleichender Sprachwissenschaft. Auch diese Palette an Motiven, die sich sicher noch erweitern ließe, ist nicht aufzufassen im Sinne einer diachronen Entfaltung, sondern als ein synchrones Nebeneinander. Mit der Institutionalisierung der Germanistik an den Universitäten wandeln sich die ›Interessensbereiche‹ an mittelalterlich-volkssprachiger Sprache und Literatur sowie die Geltungsbehauptungen, mit denen eine solche Beschäftigung verknüpft wird, wie auch die methodischen Grundlagen für den Umgang mit ihrem Gegenstandsbereich.11 Das entscheidende Moment, das – bei allen Differenzen – die disziplinären und die frühneuzeitlichen Modi der Auseinandersetzung mit dem Evangelienbuch miteinander verbindet, liegt, mit Jan-Dirk Müller zu sprechen, in folgendem: Sinn ist nicht zeitüberdauernd präsent in der Materialität des Buches, sondern muß über die Distanz der Tradition allererst rekonstruiert werden. Wenn Schrift jetzt als Spur einer verschütteten Vergangenheit gesammelt und entziffert werden muß, dann wird historisches Verstehen eine unabschließbare Aufgabe für die Zukunft.12

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Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Die Macht der Philologie. Über einen verborgenen Impuls im wissenschaftlichen Umgang mit Texten. Frankfurt a. M. 2003. Vgl. zur Genese der Germanistik als universitäre Disziplin, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Ulrich Wyss: Die wilde Philologie. Jacob Grimm und der Historismus. München 1979 (Edition Beck 22). Eine Wissenschaft etabliert sich 1810–1870, Mit einer Einführung hg. von Johannes Janota. Tübingen 1980 (Texte zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik III). Wissenschaft und Nation. Studien zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. Hg. von Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp. München 1991. Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert. Hg. von Jürgen Fohrmann und Wilhelm Voßkamp. Stuttgart – Weimar 1994. Lothar Bluhm: Die Brüder Grimm und der Beginn der Deutschen Philologie. Eine Studie zu Kommunikation und Wissenschaftsbildung im frühen 19. Jahrhundert. Hildesheim 1997 (Spolia Berolinensia. Berliner Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit 11). Jan-Dirk Müller: Der Körper des Buchs. Zum Medienwechsel zwischen Handschrift und Druck. In: Materialität der Kommunikation. Hg. von Hans Ulrich Gumbrecht und

215 Mit dieser genuin hermeneutischen Zugangsweise ist die Geschichte der modernen Wiederentdeckung und Wiedererschließung mittelalterlich-volkssprachiger Literatur insgesamt Bestandteil einer Geschichte der deutschen Philologie, genauso wie sie Bestandteil einer Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft ist. Insofern ist die Aufarbeitung der Geschichte von Otfrids Evangelienbuch in der frühen Neuzeit auch zu verstehen als ein Beitrag zu einer ›frühen Wissenschaftsgeschichte der Germanistik‹.13 Die vorliegenden Studien zu den Anfängen der Beschäftigung mit dem Gegenstandsbereich der heutigen Germanistik an einem paradigmatischen Fall fügen sich aber nicht glatt in die Systematik der Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, wie sie zuletzt aus der Perspektive der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft beispielhaft Klaus Weimar entworfen und vorgelegt hat. Sie eröffnen ein Arbeitsfeld, das konzeptionell erst noch in eine solche Geschichte zu integrieren wäre.14 Daß sich der am Beispiel von Otfrids Evangelienbuch beschriebene Ansatz ausweiten ließe auf andere Autoren und Texte des volkssprachigen Mittelalters – auch auf mittelhochdeutsche –, wurde bei Gelegenheit mitdokumentiert.15 Aus diesen und anderen Quellen ließe sich in methodisch innovativer Weise eine Geschichte der deutschen Philologie vor ihrer disziplinären Institutionalisierung erarbeiten, auch wenn ihre Gegenstände in vielerlei Hinsicht immer noch eine »terra incognita«16 sind, wie Johannes Janota bereits 1983 festgestellt hat.17 Das

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K. Ludwig Pfeiffer. Frankfurt a. M. 1988, S. 203–217, hier S. 206. Vgl. zum Mittelalter als Sinnstiftungsinstanz in der (Post-)Moderne Valentin Groebner: Das Mittelalter hört nicht auf. Über historisches Erzählen. München 2008. So lassen sich terminologisch die Probleme umgehen, die man sich mit Begriffen wie proto-, prä- oder vorwissenschaftlich schafft. Mein Begriff von (Literatur-)Wissenschaft orientiert sich somit nicht übergeordnet an der Kategorie ›universitäre Diszplin‹, sondern an intersubjektiv überprüfbaren Formen der Bezogenheit auf den Gegenstandsbereich. Vgl. dazu Klaus Weimar: Literaturwissenschaft. In: 3RL II.(2000), S. 485–489. Vgl. Klaus Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. München 2003. Vgl. etwa zur Geschichte des Codex Manesse Max Wehrli: Zur Geschichte der Manesse Philologie. In: Codex Manesse. Die große Heidelberger Liederhandschrift. 2 Bde. Hg. von Walter Koschorreck und Wilfried Werner. Kassel 1981, Kommentarbd., S. 145–165. Man vgl. etwa auch den Abdruck eines Textstücks aus dem Nibelungenlied (Handschrift c) bei Wolfgang Lazius. S. dazu Ernst Hellgardt: Originalität und Innovation. Konzepte der Reflexion auf Sprache und Literatur der deutschen Vorzeit im 16. Jahrhundert. In: Innovation und Originalität. Hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger. Tübingen 1993 (Fortuna vitrea 9), S. 162–174, hier S. 164. Johannes Janota: Zur Rezeption mittelalterlicher Literatur zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. In: Das Weiterleben des Mittelalters in der deutschen Literatur. Hg. von James F. Poag und Gerhild Scholz-Williams. Königstein / Ts. 1983, S. 37–46. An seinem Befund hat sich bis heute wenig geändert. Die heuristische Grundlage für ein solches Projekt, das über einzelne Fallstudien hinauszielt, müßte eine Sammlung von Rezeptionszeugnissen bilden, wie sie am umfassendsten vorliegt in Rudolf von Raumer: Geschichte der Germanischen Philologie vorzugsweise in Deutschland. München 1870 (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 9).

216 Untersuchungsfeld ließe sich im übrigen problemlos auch auf andere moderne Philologien und ihre Geschichte ausdehnen.18 Ulrich Wyss hat vor etwas mehr als 25 Jahren in einer Rezension geschrieben, daß Germanisten nur über die Geschichte ihres Faches reden, wenn es etwas zu feiern gebe oder sie sich nicht wohl in ihrer Gelehrten-Haut fühlten.19 Dieses Bild hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten grundlegend gewandelt, auch wenn die Wissenschaftsgeschichte der Germanistik kein institutionell etabliertes Teilgebiet des Faches selbst ist. Die Fachdisziplin und ihre Vertreter nehmen dennoch die Voraussetzungen und Bedingungen ihrer eigenen Wissenschaftlichkeit zur Kenntnis.20 Daß diese Voraussetzungen und Bedingungen in ihren Anfängen rund 300 Jahre früher anzusetzen sind, als dies für gewöhnlich und unter Berufung auf das nicht bestreitbare Faktum ihrer Institutionalisierung angenommen wird, wäre eine Erkenntnis, die das Blickfeld der germanistischen Wissenschaftsgeschichtsschreibung weiten und möglicherweise auch zur kritischen Selbstreflexion des Faches beitragen könnte.

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Zu England vgl. Helmut Gneuss: Die Wissenschaft von der englischen Sprache: Ihre Entwicklung bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. München 1990 (Bayer. Akad. d. Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse Sitzungsberichte 1990 Heft 1). Zu den Niederlanden vgl. Kees Dekker: The origins of old Germanic studies in the low countries. Leiden 1999 (Brill’s studies in intellectual history 92). Zu Frankreich vgl. etwa Friedrich Wolfzettel: Die antiquités gauloises und die humanistische Konstruktion des Mittelalters im französischen 16. Jahrhundert. In: Mittelalter und Moderne. Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt. Kongreßakten des 6. Symposiums des Mediävistenverbandes in Bayreuth 1995. Hg. von Peter Segl. Sigmaringen 1997, S. 229–241. Ulrich Wyss: Rez. zu: Eine Wissenschaft etabliert sich 1810–1870, Mit einer Einführung hg. von Johannes Janota. Tübingen 1980 (Texte zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik III). In: AfdA 110 (1981), S. 143–146, hier S. 143. Vgl. Rolf Köhn: Was ist und soll eine Geschichte der Mittelalterrezeption? Thesen eines Historikers. In: Mittelalter-Rezeption IV: Medien, Politik, Ideologie, Ökonomie. Gesammelte Vorträge des 4. Internationalen Symposions zur Mittelalter-Rezeption an der Universität Lausanne 1989. Hg. von Irene von Burg, Jürgen Kühnel, Ulrich Müller, Alexander Schwarz. Göppingen 1991 (GAG 550), S. 407–431, hier S. 424.

8 Editorischer Anhang 8.1 Die Vorreden zur Otfridausgabe von Matthias Flacius Die lateinische und die deutsche Vorrede, die Flacius seiner Edition voranstellt, sind in ihrer Art einzigartige Zeugnisse für die Geschichte der Deutschen Philologie und Flacius’ Auseinandersetzung mit Otfrids Evangelienbuch in der frühen Neuzeit. Ich biete im folgenden einen Textabdruck beider Vorreden, die seit der Ausgabe des Evangelienbuchs in Johann Schilters Thesaurus (Ulm 1726) nicht wieder veröffentlicht wurden. Zur Texteinrichtung und Übersetzung der lateinischen Vorrede Ich ediere den lateinischen Text nach dem Druck unter Auflösung aller Abkürzungen außer »&«. Langes »s« ist durchweg durch rundes »s« ersetzt. Die Reklamanten des Drucks sind weggelassen. Die Seitenzählung des Drucks und die von Ernst Hellgardt eingeführte Zählung (mit Asterisk) zeige ich in eckigen Klammern an.1 Neben dem lateinischen Text steht meine Übersetzung der Vorrede ins Deutsche, die keine literarischen Ansprüche erhebt und nicht mehr als eine Erleichterung des Zugangs zum lateinischen Text sein möchte. Zur Texteinrichtung der deutschen Vorrede Die Abkürzungen im deutschen Text sind aufgelöst. Langes »s« ist durch rundes »s« ersetzt. Die im Text unterschiedenen »r«-Formen sind zugunsten von »r« vereinheitlicht. Auch hier verzichte ich auf die Reklamanten. Ansonsten hält sich mein Text an die Orthographie und Interpunktion der Vorlage. Seiten- bzw. Blattwechsel zeige ich in eckigen Klammern an. Die wenigen Stellen, die im Druck aus einer Antiqua gesetzt sind, zeige ich im Abdruck durch Kursivierung an.

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Ernst Hellgardt: ... der alten Teutschen spraach und gottesforcht zuerlernen. Über Voraussetzungen und Ziele der Otfridausgabe des Matthias Flacius Illyricus (Basel 1571). In: FS Walter Haug und Burghart Wachinger, Bd. 1. Hg. von Johannes Janota, Paul Sappler, Frieder Schanze, Konrad Vollmann, Gisela Vollmann-Profe, Hans-Joachim Ziegeler. Tübingen 1992, S. 267–286.

218 [Bl. α 2r, S. *3] NOBILI GENERE | AC VIRTVTE VIRO D. | Adolpho Hermanno Riedesel in Eisen- | bach, Marschalco Haßiæ hæreditario, | Domino & patrono suo optat M. Fl. Il- | lyricus solidam sinceræ Christi religionis | cognitionem, zelum ac constantem | confeßionem. NOBILISSIME & clarissime uir, ac Patrone plurimum obseruande, Thesaurum hunc egregium antiquitatis (ut hoc præclarissimum monumentum beatus Rhenanus uocat) Theutonum, gentis regione & hominum frequentia amplissimę, ob plures causas, magno labore tum repertum, tum etiam a quodam doctissimo & pientissimo uiro descriptum iam diu in publicum euulgare, multos sollicitando & orando, sedulo conatus sum, ac tandem etiam uix perfeci: quas causas hic non tam ideo enumerare libuit, ut facti mei rationem, tibi alioqui non ignotam redderem, quam ut tanto pluris hoc opus Germani alijque facerent, maioresque etiam fructus inde perciperent. [Bl. α 2v, S. *4] Prima sane ea causa est, quam etiam ipse Ottfridus, huius libri Author sibi scribendi fuisse dicit: ut qui uel canendo, uel legendo occupantur alijs uel inutilibus, uel etiam noxijs cantilenis aut scriptis, inde ad salutarem tractationem, lectionem, cantionem, ac meditationem Scripturæ & sacrosancti Euangelij Christi, quod hic rhythmis uertitur, inuitentur ac retrahantur: quam quidem eximiam planeque diuinam utilitatem nunc etiam ecclesiasticę uulgaris linguæ cantilenæ, maxima Spiritus energia, potissimum a Luthero compositæ, egregie præstant. Secunda est, quod cum omnes uetustas res, etiamsi sint tantum lapides sculpti, uetera ædificia, arma, picturæ, numismata, alięue res, ob solam earum antiquitatem admiremur: quanto magis par est, cunctos hoc uetustissimum monumentum, sacram insuper doctrinam continens, magnifacere? Tertia est, quod cum nunc acriter controuertatur, an liceat sacras literas a multitudine, idque præsertim uulgaribus quarumuis gentium linguis legi: hic habemus illustrem quæstionis istius decisionem, quod olim tempore Christianissimorum Cæsarum Caroli M. & Ludouici Pij, cum Episcopi adhuc essent literatiores, & Ecclesię religioque nonnihil ma-[Bl. α 3r, S. *5]gis florerent, quam postea quando hoc Opus compositum publicatumque est, non tantum fas piumque est habitum, uulgi manu sacras literas teri, sed etiam uulgaribus rhythmis uulgo passim decantari & celebrari.

219 Dem edlen und tugendhaften Mann, Herrn Adolph Hermann Riedesel, in Eisenbach, Erbmarschall in Hessen, seinem Herrn und Beschützer, wünscht M. Fl. Illyricus wahrhafte Erkenntnis der echten Religion Christi, Eifer und beständiges Bekenntnis. Edelster, herrlichster Mann und hochgeachteter Beschützer! Ich habe auf Drängen und Bitten vieler eifrig versucht, diesen ehrwürdigen Schatz des Altertums der Deutschen (wie Beatus Rhenanus dieses herausragende Denkmal nennt), eines nach Verbreitung und Vielzahl der Menschen höchst ansehnlichen Volkes, aus zahlreichen Gründen schon lange der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Das Werk war unter großer Mühe aufgefunden und dann auch von einem gewissen hochgelehrten und überaus frommen Mann abgeschrieben worden. Dennoch habe ich es kaum geschafft [sc. es bekannt zu machen]. Die Gründe dafür ziemt es sich hier eigentlich nicht so sehr deswegen aufzuzählen, um dir – ohnehin wohl bekannte – Rechenschaft abzulegen über meine Beweggründe, sondern vielmehr, damit die Deutschen und andere dieses Werk schätzen lernten und auch aus ihm große Früchte ernten sollten. Der erste Grund ist gewiß dieser, den auch Otfrid selbst, der Autor dieses Buches, als denjenigen seines Schreibens nennt: Daß diejenigen, die sich singend oder lesend mit anderen, sei es unnützen Dingen oder sogar mit schädlichen Liedern oder Schriften beschäftigen, hiermit zur heilsamen Beschäftigung, (Vor-)Lesen, Singen und Betrachtung der heiligen Schrift und des hochheiligen Evangeliums Christi, das hier in die Versform gebracht wird, eingeladen und zurückgeführt werden. Wie unstreitig nun ja auch die volkssprachigen Kirchengesänge, durch die größte Kraft des Heiligen Geistes, wie sie am großartigsten von Luther komponiert wurden, einen ausgezeichneten und göttlichen Nutzen bringen. Der zweite Grund ist: Wie bewundern wir alle alten Dinge, seien es auch nur Skulpturen, alte Gebäude, Waffen, Bilder, Münzen oder andere Dinge allein ihres Alters wegen! Ist es da nicht umso mehr angezeigt, dass alle Menschen dieses überaus alte Denkmal, das noch dazu die heilige Lehre enthält, hochschätzen? Der dritte Grund ist: Es wird zur Zeit heftig gestritten, ob es erlaubt sei, daß die heiligen Schriften von vielen Menschen gelesen werden, und das besonders in den Volkssprachen welcher Völker auch immer. Hier haben wir eine klare Entscheidung dieser Frage. Denn damals, zur Zeit der christlichsten Kaiser, Karls des Großen und Ludwigs des Frommen, als die Bischöfe noch gebildeter waren und Kirchen und Religion in nicht unerheblichem Maße in höherer Blüte standen als später, zu der Zeit als dieses Werk verfaßt und veröffentlicht wurde, hielt man es nicht nur für fromm und recht, daß das Volk die heiligen Schriften ausgiebig gebrauchte, sondern auch, daß sie in volkssprachigen Versen allenthalben gesungen und bekanntgemacht wurden.

220 Quarta causa est, quod cum omnes homines merito, ac secundum Dei mandatum, suos parentes, & quo suis maiores antecessoresque, ac ipsorum etiam qua suis res, monumentaue magnifaciant: quanto æquius est omnes Germanos suorum maiorum linguam, monumentaque aut libros eam continentia magnifacere? Eorum igitur studijs uotisque gratificari uolui: ut & in hac parte meam erga Germaniam uoluntatem testatam facerem: præsertim autem gratitudinem, ob acceptam inde ueram religionem doctrinamque, & diutinum hospitium, ac insuper ductam hinc uxorem, & genitos XVII. liberos, quorum IX. iam ad Dominum commigrarunt: præsertim uero quia Deus uoluit, me in hac gente, de sua hisce postremis temporibus ex ingenti misericordia instaurata ueritate, contra multiplices corruptelas nebulasque quæ ei offunduntur, contraque instaurationem ueterum tenebrarum, testimonium publice dicere, quoquo demum modo satan eiusque organa, uel etiam alij hominum filij de me blaterent: quorum obla[Bl. α 3v, S. *6]trationes, Deo & bona conscientia fretus fioccipendo. Quinta causa est, quod hinc cognoscitur huius gentis nobilitas, uel potius ingens Dei erga illam beneficium. Aristoteles enim dicit: Nobilitatem esse ueterem hæreditariamque uirtutem, aut ueteres diuitias. Hæc quoque sane non parua nobilitas, & simul ingens Dei beneficium est, quod iam ut minimum duobus millibus annorum hæc gens hasce sedes, & hanc linguam, semper ferme florens ac regnans, certe numquam diu feruiens, retinuerit. Etsi enim pronunciatio & terminationes uocum non parum uariauerint, sicut etiam in uicinis regionibus dialecti uariant, tamen uoces sunt pleræque omnes eædem: cum contra aliæ gentes aut sint ex diuersissimis populis confusæ, aut ex alijs sedibus in alias subinde propulsæ, uel abactæ, aut etiam linguam prorsus mutauerint, & ex diuersis confuderint, & denique diutissime alienum iugum passæ misere seruierint. Quod autem eadem lingua uerbaque maxima ex parte iam olim fuerint, quæ nunc quoque sunt in usu, testantur luculenter nomina propria hominum, qui olim ante Christum fuerunt, quorum etiam nunc Etymologiæ notæ sunt, & communi linguæ respondent. De qua tota re, ac præ-[Bl. α 4r, S. *7]sertim de uetustate gentis & linguæ Germanicæ, uide Auentinum libro primo suorum Annalium.

221 Der vierte Grund ist: Alle Menschen schätzen zu Recht und gemäß Gottes Gebot ihre Verwandten, ihre Ahnen und Vorgänger, sowie auch deren Besitztümer und Denkmäler. Um wieviel angemessener ist es deshalb, daß alle Deutschen die Sprache ihrer Ahnen und die Denkmäler oder Bücher, in denen diese Sprache enthalten ist, hochachten? Ich wollte ihnen also für die Bemühungen und Geschenke eine Gefälligkeit erweisen, indem ich auch in dieser Hinsicht meinen guten Willen Deutschland gegenüber öffentlich kundtue: insbesondere aber auch meine Dankbarkeit dafür, daß ich hier die wahre Religion und Lehre angenommen habe, Dankbarkeit für die langwährende Gastfreundschaft, und vor allem dafür, daß ich hier meine Gattin geheiratet habe und weil hier die siebzehn Kinder geboren sind, von denen neun schon zum Herrn gegangen sind. Besonders aber bin ich dankbar, weil Gott wollte, daß ich in diesen letzten Zeiten vor seinem Volk, das dank göttlicher Barmherzigkeit über die Wahrheit unterrichtet ist, öffentlich Zeugnis ablege gegen vielfältige Verderben und Trübheiten, die über ihn verbreitet werden, und gegen die Erneuerung alter Dunkelheiten und wodurch auch immer Satan und seine Werkzeuge oder auch andere Menschensöhne über mich lästern. Ihr Gekläffe achte ich im Vertrauen auf Gott und gutes Gewissen für nichts. Der fünfte Grund ist, daß hierdurch die edle Art dieses Volkes oder besser die ungeheure Begünstigung Gottes jenem gegenüber erkannt wird. Aristoteles sagt nämlich: Edle Art besteht entweder in altererbter Tugend oder in alten Reichtümern. Dies aber ist gewiß keine geringe Form von Edelheit und zugleich eine große Begünstigung Gottes, daß nämlich dieses Volk schon seit mindestens 2000 Jahren diese Heimat und diese Sprache behalten hat, immer in Blüte stand, herrschte und gewiß niemals längere Zeit in Auseinandersetzungen verstrickt war. Auch wenn sich nämlich die Aussprache und die Endungen der Wörter erheblich verändert haben, wie auch in benachbarten Regionen die Dialekte voneinander abweichen, sind die meisten Wörter dennoch alle dieselben, während dagegen andere Volksstämme entweder aus den verschiedensten Völkern vermischt oder wiederholt von einem Ort zum andern vertrieben oder gewaltsam verstoßen wurden oder auch ihre Sprache gänzlich verändert haben und aus verschiedenen gemischt haben und schließlich die längste Zeit unter einem fremden Joch leidend auf elende Weise gedient haben. Daß aber dieselbe Sprache und Wörter, wie sie auch heute noch in Gebrauch sind, zum größten Teil schon damals existierten, zeigen ganz klar die Personennamen, die es einst vor Christi Geburt gab. Von ihnen sind nun auch die Etymologien bekannt und sie stimmen mit der gemeinsamen Sprache überein. Zu der ganzen Sache, besonders aber zum Alter des Volkes und der germanischen Sprache, siehe das erste Buch der Annalen des Aventinus.

222 Admoneantur igitur hoc ipso suo uetere monumento nobiles, & quasi aÙtÒcqonej Alemani, non solum de hoc ipso immenso Dei beneficio: cui nunc etiam illud longe maius accessit, quod filius Dei in hac gente, & per eius gentis homines, in hisce horrendis tenebris primum ueram religionem instaurauit: sed cum etiam uideant, uicinas olimque nobiles ac florentes nationes, Gręcam, Illyricam, Pannonicam, Belgicam, Liuonicam, aliasque horribiliter, partim in miserandam seruitutem redigi, partim etiam plane aboleri: euigilent tandem statuantque, se quoque mensuram peccatorum suorum egregie impleuisse, & etiamnum multiplicibus malefactis sibi iram in die iræ cumulare. Non profecto tantum in bonum fœlicitatemque hominibus instauratur prædicatio diuini uerbi, & ista euidens Dei uisitatio: sed multis est etiam eritque odor mortis: & plerunque [!] sane ea tunc demum a Deo ordinantur, cum iam securis iræ diuinę ad radicem arboris posita est. Christus petra scandali, conterensque aduersarios insanientes, Psal. 2 & 110, nunc accedente fine mundi, de cœlesti monte deorsum ru-[Bl. α 4v, S. *8]ens, sicut iam dudum caput, pectus, uentremque & fœmora & tibias istius mystici gigantis Danielis contriuit, Antiochumque istum patefecit & fregit prostrauitque ita etiam tandem reliquum pedum digitorumque, exultante interim illo blasphemo cornu bestiæ, conteret, donec tandem omnia aduersa pedibus suis subijciat. Agnoscant ergo Germani tempus istius admirabilis uisitationis, contemplantes etiam proximarum gentium Gallicæ, Brabanticæ, Danicæ ac Suecæ tristissimas iræ diuinæ acerbissimasque flagellationes diligenter secum illam historicam Christi regulam meditantes: Nolite putare, quod illi sint peccatores præ uobis: sed nisi pœnitentiam egeritis, omnes similiter peribitis. Sexta causa est, quod cum hęc lingua multas habeat propagines, aut certe plurimas uoces alijs linguis communicarit, ut Italicę, Gallicæ, Hispanicæ, Anglicæ, Polonicæ, Bohemicæ & alijs, quæ nunc uel sono ipso, uel etiam illa ueteri notione minus notæ sunt, cognita nonnihil hac uetustiore forma istius sermonis, tanto clarius illis ipsis peregrinis gentibus illarum uocum origines simul, & significationes innotescent. Narrat Iulius Cæsar, sacerdotes Gallorum (qui ut Auentinus probat, olim etiam Germanice sunt lo-[Bl. α 5r, S. *9]cuti) uocatos esse Druidas, cuius uocis Etymologiam liquido hic Liber indicat, cum toties Trutin uocat Deum: ut Druidæ idem sint, quod diuini uiri, aut Dei ministri. Trutin autem ideo putant aliqui Deum dici, quod sit fidelis, uerax ac constans, sicut etiamnum ista locutio celebratur, Der trewe Gott / & Paulus inquit, Fidelis Deus.

223 Die edlen und sozusagen autochthonen Alemannen mögen also durch ihr altes Denkmal nicht nur an dieses ungeheure Geschenk Gottes erinnert werden. Dazu ist nun noch etwas weitaus Bedeutenderes hinzugekommen, daß nämlich der Sohn Gottes bei diesem Volk und durch die Menschen dieses Volkes in diesen schrecklichen dunklen Zeiten zuerst die wahre Religion begründet hat. Sie mögen dadurch auch erkennen, daß einst edle, blühende, benachbarte Nationen, Griechenland, Illyrien, Pannonien, Belgien, Livland und andere auf ganz schreckliche Weise teils in elende Knechtschaft zurückgekehrt, teils ganz vernichtet wurden, und sie sollten daher darauf achten und sich darüber im Klaren sein, daß das Maß ihrer Sünden mehr als voll ist und sich auch jetzt der Zorn auf den Tag des Gerichts wegen ihrer vielen Missetaten vergrößert. Wahrlich, die Verkündigung des göttlichen Wortes und die offensichtliche Heimsuchung Gottes werden den Menschen nicht nur zum Guten und zum Glück aufgerichtet. Für viele bedeutet es auch oder wird es den Geruch des Todes bedeuten: und meistenteils werden in der Tat solche Angelegenheiten dann erst geordnet, wenn schon die Axt des göttlichen Zorns an die Wurzel des Baumes gelegt ist. Christus, der Stein des Anstoßes, zerstört erst die Gegner und bringt sie zum Rasen (Ps. 2 und 110), und nun, da das Ende der Welt herankommt, stürmt er vom himmlischen Berg herab, und so wie er schon längst das Haupt, die Brust, den Magen, die Oberschenkel und die Schienbeine des geheimnisvollen Giganten Daniel zerstört hat und den Antiochus enthüllt, zerbrochen und vernichtet hat, so zerstört er auch die übrigen Beine und Finger, indem er unterdessen Jubelgesänge singt mit jenem lästerlichen Horn der Bestie, bis er endlich alle Feinde seinen Füßen unterwirft. Die Germanen mögen den Zeitpunkt dieser wunderbaren Heimsuchung erkennen und auf die überaus traurigen und bitteren Demütigungen durch den göttlichen Zorn bei den benachbarten Völkern, Frankreich, Brabant, Dänemark und Schweden schauen, und sie mögen sorgfältig bei sich über jene historische Regel Christi nachdenken: Denkt nicht, daß jene vor euch Sünder seien, sondern: wenn ihr keine Buße tut, werdet ihr alle gleichermaßen zugrunde gehen. Der sechste Grund ist: Da diese Sprache viele Ableger hat oder sicher viele Wörter mit anderen Sprachen teilt, etwa dem Italienischen, Französischen, Spanischen, Englischen, Polnischen, Böhmischen und anderen, über deren Klang oder auch alten Sinn weniger bekannt ist, während wir in nicht unerheblichem Maße Kenntnisse über die ältere Form dieser Sprache besitzen, um wieviel klarer können die Ursprünge und Bedeutungen ihrer Wörter jenen ausländischen Völkern selbst bekannt werden. Julius Cæsar berichtet, daß die Priester der Gallier Druiden genannt wurden (wie Aventinus beweist, wurden sie auch im Germanischen so genannt), und die Etymologie dieses Wortes belegt das vorliegende Buch in klarer Weise, da Trutin oft Gott bezeichnet: wie ja die Druiden dasselbe sind wie göttliche Männer oder Diener Gottes. Andere meinen aber, daß Trutin Gott bezeichnet, weil er treu, wahrhaftig und beständig sei, wie auch jetzt noch die Redensart Der trewe Gott (Paulus sagt, Fidelis Deus) überall verbreitet ist.

224 Nomen Marsalck facile ex hoc libro intelliges significare ministrum equorum aut rei equestris, cum hinc animaduertes, Salch significare ministrum aut famulum, nempe ministrum Principis, qui rem equestrem, equitesque & aulam curet aut regat. Omnino plurimum huius libri sermonisque cognitio proderit, ad cognoscendas Etymologias & origines uocum Germanicarum, & plane ad plenius cognoscendam hanc linguam. Nam & propagines uariarum uocum ex illis primis thematibus, aut (ut Hebræi Grammatici loquuntur) radicibus deducuntur: & ex illo ueteri uocum usu præsens istarum uocum significatio ususque & abusus plenius cognosci potest. Plane non dubitanter possis statuere ac dicere, quod sine hoc quasi Etymologico linguæ huius, nemo eam plene perfecteque cognoscere possit. Septima, Nauauit bonam operam Auena-[Bl. α 5v, S. *10]rius in suo Hebræo Lexico, monstrans tres istas primarias & originarias linguas, Græcam, Latinam, & Germanicam, habere suas originales uoces ex Hebræa. Idem & de Illyrica aut de Sclauonica aut Vandalica monstrari haud difficulter posset, quæ itidem latissime per Europam, a mari Adriatico, usque ad Balthicum, aut etiam Hyperboreum Oceanum & Euxinum extenditur. Porro eiusdem Hebrææ linguæ propagines esse Chaldęam, Arabicam, Punicam & Turcicam, etiam facilius esset monstrare, quod illę multo magis ad matrem accedant. Istud uero ipsum de origine huius linguæ ex Hebræa, multo etiam magis ex hac uetustiori forma, aut dialecto Germanici sermonis demonstrari posset, cuius primaria themata propius ad illam sono & sensu accedunt. Vox Kerle olim significauit hominem, sicut & adhuc in Suecia & in Saxonia: quam uocem si ad Hebræam linguam referas, præclarissimam profecto Etymologiam habet: notat enim inuocatorem & cultorem Dei, quod idem est ac si dicas, hominem esse filium & imaginem Dei, quæ uera primariaque hominis ratio, natura ac forma est. Monstrata uero sic uetustate Hebręæ linguæ & gentis (quod etiam Hebræa nomi-[Bl. α 6r, S. *11]na Græcarum literarum testantur) ultro inde consequeretur non tantum ueritas istius sacræ Historiæ, de linguarum dissipatione, deque omnium gentium origine, a Noacho & filijs Hebraice loquentibus, sed etiam Historiæ illius totius, ac insuper religionis uetustas simul & ueritas. Vtinam autem aliquis ociosior doctiorque ac diligentior hanc sibi operam desumat, ut accuratius pleniusque ostendat, omnium linguarum originem & præsertim originalia themata ab Hebręa exorta esse. Incœperam ego quidem ipse istud opus tentare, iam ante annos 23 sed postea grauioribus rebus, curis ac laboribus retinendi cœlestis depositi impeditus, illud omisi.

225 Du verstehst leicht mit diesem Buch, daß der Name Marsalck den Pferdediener oder Diener der Reiterei meint, weil du durch es sehen kannst, daß Salch den Diener oder Sklaven bezeichnet, offenbar den Fürstendiener, der sich um die Reiterei, Reiter und Stall kümmert und ihnen vorsteht. Ja es wird die Kenntnis des Buches und der Sprache sogar nützen, um Etymologien und Ursprünge deutscher Wörter zu erkennen und gewiß, um eine vollständigere Kenntnis dieser Sprache zu erlangen. Denn auch die Ableger der verschiedenen Wörter werden aus jenen ersten Stämmen oder Wurzeln (so sagen die Grammatiker des Hebräischen dazu) abgeleitet, und aus dem früheren Gebrauch der Wörter kann man ihre heutige Bedeutung sowie ihren Gebrauch oder Mißbrauch besser erkennen. Du kannst also völlig zweifellos feststellen und sagen, daß niemand diese Sprache ohne ihre etymologische Seite voll und ganz verstehen kann. Für den siebten Grund erweist uns Avenarius in seinem hebräischen Lexikon einen guten Dienst. Er zeigt, daß die drei ersten und ursprünglichen Sprachen, Griechisch, Latein und Deutsch, ihre ursprünglichen Wörter aus dem Hebräischen haben. Ebenso würde es nicht schwer sein, dies vom Illyrischen, Slawischen oder Vandalischen zu zeigen, die genauso weitverbreitet in ganz Europa sind und sich von der Adria bis zum Baltikum, oder auch von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer erstrecken. Ferner: Daß das Chaldäische, Arabische, Punische und Türkische Sprößlinge derselben hebräischen Sprache sind, ließe sich noch leichter erweisen, weil jene der Mutter noch um einiges näher stehen. Dies aber könnte vom Ursprung der deutschen Sprache aus dem Hebräischen auch viel besser anhand dieser älteren Form oder aus dem Dialekt der deutschen Sprache gezeigt werden, dessen ursprüngliche Wortstämme ihrem Klang und Sinn viel näher stehen. Das Wort Kerle bedeutete früher Mensch, wie heute noch im Schwedischen und Sächsischen, und wenn man dieses Wort auf die hebräische Sprache rückbezieht, erhält es in der Tat eine herausragende Etymologie. Es bezeichnet nämlich den Anbeter und Verehrer Gottes, was dasselbe wäre, wie wenn du sagtest, daß der Mensch Sohn und Abbild Gottes ist, welches die wahre und ursprüngliche Ratio, Natur und Gestalt des Menschen ist. Da so das Alter des Hebräischen und des hebräischen Volkes bewiesen ist (was auch hebräische Namen in griechischen Schriften belegen), folgt darüber hinaus nicht nur die Wahrheit seiner heiligen Geschichte, über die Sprachverwirrung und über den Ursprung aller Völker, von Noah und den Hebräisch sprechenden Söhnen, sondern auch seine Geschichten im Ganzen, obendrein Alter und Wahrheit der Religion. Wenn doch aber irgendeiner schneller, gelehrter und sorgfältiger die Arbeit auf sich nehmen könnte, genauer und vollständiger zu zeigen, daß der Ursprung aller Sprachen und besonders die ursprünglichen Wurzeln von der hebräischen Sprache abstammen! Ich habe selbst schon vor 23 Jahren begonnen, einen Versuch zu diesem Werk zu unternehmen, gab es aber später, durch wichtigere Dinge, Sorgen und Arbeiten daran gehindert, auf.

226 Ad quod argumentum faceret etiam, quod pleræque gentilium tandem corruptæ fabulosæque historiæ, sicut & ritus sacrorum corrupti, & etiamnum circumcisio Mahometanis usitata monstrari possunt, habere suam originem ex ueris Sacrarum literarum monumentis, historijsque Hebræorum. Octaua causa huius editionis est, quod aliqua indicia purioris religionis (quantumuis iam tum ualde incœperit declinare) hinc haberi possunt: cuiusmodi est, quod dixi omnibus tunc licuisse uulgari lingua Sacras literas lectitare & cantillare, deque ijs cum alijs loqui & conferre. Præterea, quod fuerit tunc ad-[Bl. α 6v, S. *12]huc magnum studium cognoscendi uerum Deum, eiusque uoluntatem ex ipsismet literarum fontibus, seu ex scrutatione Sacrarum [l]iterarum, non ex hominum traditionibus & putribus lacunis, quib. frustra Deus agnoscitur & colitur. Ipsum profecto solum nomen gratiæ, hisce libris pro titulo impositum, satis liquido testatur, Christicolas adhuc tum temporis sacrosancta Euangelia, quæ in hoc Opere uersu conuertuntur, pro lætis quibusdam nuncijs gratiæ ac fauoris Dei per Christum parti habuisse, non pro seuera legum ac mandatorum exactione, minarumque, irę ac pœnarum Dei denunciatione: ut postea plerique perperam de Euangelio, tanquam noua exactioreque quadam lege senserunt & disseruerunt, Christumque pro mero legislatore, & austeriore Moyse, quam ille prior fuerit, habuerunt. Quin etiam ipse Author scopum hunc omnium Euangelistarum titulumque & fidem suam pientissimis uersibus, asserentibus gratuitam iustificationem contingentem sine nostris meritis, exposuit. Id enim ipsum in Præfatione inter alia de hoc summo salutis nostræ dogmate canit, ut mox in sequente epistola eius uersus adscribemus. Illud quoque in hac parte non negligendum [Bl. α 7r, S. *13] est, quod hoc opus tantum suo Archiepiscopo examinandum & probandum commendat, non id pontificis beatorum pedibus & Romanæ Ecclesiæ subijcit, sicut postea fieri necesse fuit, & etiam nunc (proh pudor) adulatorie parasiticeque a plerisque factitatur: & insuper pro fidei articulo habetur doceturque. Tanta erat adhuc tunc libertas Ecclesiarum & pastorum, quam postea contraria extrema prorsus tyrannis est consecuta.

227 Derjenige sollte es auch deshalb machen, weil viele falsche und heidnische Geschichten, wie auch die verdorbenen Bräuche der Heiligen oder die noch heutzutage bei den Mohammedanern gebräuchliche Beschneidung zeigen können, daß ihr Ursprung in den wahren Denkmälern der Heiligen Schriften und Geschichten der Hebräer liegt. Der achte Grund für diese Edition ist: Es können einige Anzeichen für eine reinere Religion geltend gemacht werden (obgleich sie schon damals begann stark abzusinken). Sie ist dergestalt, wie ich bereits sagte, daß es damals allen gefiel, die heiligen Schriften in der Volkssprache mit Eifer zu lesen, zu singen und mit anderen über sie zu sprechen und sich auszutauschen. Außerdem ist ein Grund, daß es von damals bis heute ein großes Bemühen gibt, den wahren Gott und seinen Willen aus den Quellen der Schriften selbst oder aus der Untersuchung der heiligen Schriften zu erkennen, und nicht aus Überlieferungen der Menschen und faulen Sümpfen, in denen Gott irrtümlich erkannt und verehrt wird. Schon allein der Name der Gnade, der diesen Büchern als Titel beigelegt ist, bezeugt ganz klar, daß die Christen seit der damaligen Zeit die hochheiligen Evangelien, die in diesem Werk in Verse übertragen werden, gehalten haben für jene freudigen Verkündigungen der Gnade und Gefälligkeit Gottes durch Christus, und nicht für eine strenge Ausführung von Gesetzen oder von Befehlen und Drohungen, bzw. die Ankündigung des Zorns und der Strafen Gottes: wie nachher die meisten fälschlicherweise das Evangelium, als ob sie ein neues und genaueres Gesetz wahrnähmen und diskutierten, und Christus für einen bloßen Gesetzgeber und strengeren Moses, wie es jener früher war, hielten. Auch der Autor selbst hat ja sogar diesen Skopus aller Evangelien, den Titel und seinen Glauben in überaus frommen Versen dargelegt, in denen er die umsonst zuteil werdende Rechtfertigung, die ohne unsere Verdienste erreicht wird, belegt hat. Das nämlich trägt er in der Präfatio unter anderem über diese höchste Lehre unseres Heils vor, wie wir es gleich in seinen Versen unten im nachfolgenden Sendschreiben [sc. der deutschen Vorrede] beifügen. Es ist an dieser Stelle auch nicht zu vernachlässigen, daß er dieses Werk ausschließlich seinem Erzbischof zur Prüfung vorgelegt hat. Er hat es nicht zu den Füßen des Oberpriesters der Seligen und der römischen Kirche gelegt, wie es dann später notwendig war und auch heute (wie beschämend!) in schmeichlerischer und schmarotzerhafter Weise von den meisten gemacht wird: und noch dazu wird dies für einen Glaubensartikel gehalten und gelehrt. So groß war damals die Freiheit der Kirchen und der Priester, wie nachher im äußersten Gegenteil dazu eine totale Tyrannis folgte.

228 Nec illud profecto etiam leue indicium uestigiumque purioris doctrinæ est, quod tunc sacerdotes alijque doctores iudicauerunt utile esse, omnia sacra mysteria omnibus Christianis esse notissima, sicut & olim sancti Apostoli docuerunt, eoque uulgari ac plane intelligibili sermone multitudini sacra scripta proposuerunt. At postea perinde sibi solis clauem scientiæ rapientes spirituales isti (uti sese uocant) omnia sacra mysteria occultarunt, sicut Cicero scribit, ueteres Romanorum sacrificos & leguleios in occultatione fastorum factitasse. Quo scilicet uulgus hominum omnium illorum mysteriorum ignarum & semibrutum ipsis tanto magis obnoxium foret, sibique quidlibet, uulgo ob imperitiam non reclamante, liceret. Nona causa est, ut hinc appareat, Christum [Bl. α 7v, S. *14] semper ad dexteram patris gloriose regnare, & subinde in omnibus gentibus mittere ac largiri dona hominibus, excitando suos ministros, qui Sacras literas illustrent, & per eas homines ad ardens pietatis cultusque diuini studium excitent, inflammentque: atque ita tum hominum salutem, tum & gloriam Dei amplificent & insigniter promoueant. Decima causa est, ut & instruantur Lectores huius Libri doctrina, & insuper exemplo ipso pij studij illustrandi Sacras literas & promouendi ueram pietatem omnes excitentur, ad parem diligentiam ardoremque rerum sacrarum suæque propriæ salutis, & gloriæ Dei, nec degenerent in Epicuream profanitatem: quo nunc sub finem mundi plerique mortales, proh dolor, maximo impetu degenerant, ruuntque ac currunt. Pulchrum enim sane est, ueteres, pręsertimque suos maiores, imitari in re bona, & non in prauis studijs: quo fine iam ante annos 300. Leopoldus de Bebenburg scripsit utilem libellum, de Zelo studioque pietatis ueterum Germanorum. Postrema causa est, ut ipse etiam Liber extet, historiaque facti, aut dudum euulgati huius libri habeatur: atque adeo ut cognoscatur, iam dudum antea sępius Sacras literas in uulgarem Germanorum sermonem conuersas [Bl. α 8r, S. *15] fuisse.

229 Und es ist nun wahrlich kein geringes Zeichen und Merkmal der reineren Lehre, daß damals die Priester und andere Gelehrte urteilten, es sei nützlich, daß alle heiligen Mysterien allen Christen vollständig bekannt seien, wie einst die heiligen Apostel lehrten und die heiligen Schriften in volkssprachiger und ganz verständlicher Rede der Menge öffentlich bekannt machten. Aber nachher haben diese Geistlichen (wie sie sich selbst nennen), dadurch, daß sie den Schlüssel der Wissenschaft allein an sich rissen, alle heiligen Mysterien verdunkelt, wie Cicero schreibt, daß es die alten Priester und Gesetzeskrämer der Römer zu tun gepflegt hätten in der Geheimhaltung der Fasten, und wodurch natürlich die Menge, ohne Kenntnis all jener Geheimnisse halbdumm, und ihnen um so mehr unterworfen wäre, und ihnen alles erlaubt wäre, weil das Volk aus Unwissenheit nicht widerspreche. Der neunte Grund ist, daß es von hierher offenkundig wird, daß Christus immer ruhmreich zur Rechten des Vaters herrscht und immer wieder zu allen Völkern in Verbindung tritt und den Menschen die Gaben vergrößert, indem er seine Diener, die die heiligen Schriften verherrlichen, anregt, und durch sie die Menschen zum Studium, das vor Frömmigkeit und Gottesverehrung brennt, anregt und entflammt. So vergrößern und bringen sie sowohl das Heil der Menschen als auch den Ruhm Gottes deutlich vorwärts. Der zehnte Grund ist: Die Leser dieses Buches werden in der Lehre unterrichtet, und besonders werden alle durch dieses Vorbild frommen Bemühens, die heiligen Schriften zu verherrlichen und wahre Frömmigkeit vorwärtszubringen, angeregt zur gleichen Sorgfalt und Eifer in Bezug auf heilige Dinge, das eigene Heil und den Ruhm Gottes, damit sie nicht in epikureische Heillosigkeit absinken, zu der nun am Ende der Welt die meisten Sterblichen – wie ist es schmerzvoll, das zu sehen – mit dem größten Eifer absteigen, eilen und laufen. Es ist nämlich sicher schön, die Alten und besonders seine Vorfahren, in einer guten Sache und nicht in den unbedeutenden Bemühungen nachzuahmen, zu welchem Zweck schon vor 300 Jahren Leopold von Bebenburg ein nützliches Büchlein über Eifer und Bemühung um Frömmigkeit bei den alten Deutschen geschrieben hat. Der letzte Grund ist, daß das Buch selbst hervorragen soll, und daß die Geschichte der Erstellung oder auch der schon langen Verbreitung dieses Buchs bekannt sein soll, und zwar derart, daß gewußt werden soll, daß schon vor geraumer Zeit die Heiligen Schriften öfters in die Volkssprache der Deutschen übertragen worden sind.

230 Nam primum Vlphilas episcopus Gothorum (qui itidem Germani fuerunt) mox post Nicenum Concilium, circa annum Domini 370. teste Theodoreto & Sozomeno, conuertit sacrum Codicem in Gothicam linguam, eiusque diuini instrumenti ope gentem eam, maximo sub periculo, ad fidem Christianam conuertit. Quod quidem factum est ante D. Hieronymi popularis mei tempora. Hunc uero aiunt etiam in Illyricam aut Sclauonicam linguam idem sacrosanctum Volumen conuertisse. Vnde forte est Moscouitica uersio eiusdem linguæ, cuius uetusta exemplaria etiamnum reperiuntur, & aliqua eius fragmenta, sicut & Seruianæ (cuius gentis idem sermo est) ipsemet in Bibliotheca D. Antonij Venetijs conspexi. Vnde quoque est, quod ea tota gens, sicut & Seruiana & Moscouitica, uulgari lingua in Sacris religioneque utitur. De qua re narrat Æneas Syluius, aut Pius II. olim in quadam Romana Synodo acriter disputatum esse, an id sit in ea parte Illyrię ferendum, ubi pontifex imperitauit, & tandem esse auditam cœlitus uocem: Omnis lingua laudat Dominum. Verum de hac quæstione dogmateque Spiritus S. iam olim 1. Cor. 14 disertissime pronunciauit, & multi hactenus luculenter in eo ueram sententiam demonstrarunt. [Bl. α 8v, S. *16] Postea quoque tempore Caroli Magni tres docti uiri, Strabo, Rabanus & Haimo idem sacrum uolumen in uulgarem linguam conuertisse leguntur: quorum tamen Opus tam cito interijste, ualde sane dolendum est. Sed nimirum hoc quoque fraude satanæ & hypocritarum factum est, qui salutarem uerbi Dei lucem pusillis Christi fulgere ferre nequeunt. Sane ipsummet Carolum Magnum patriæ linguæ, quæ fuit Germanica, illustrandæ studiosum fuisse, notissimum est, adeo ut & Grammaticam de ea conscripsisse referatur. Matthæus Paris Anglicus Historicus, qui longe ante hæc tempora uixit, narrat Germanos iam olim ante Christi tempora scriptis præsertim rhythmicis, suas historias conscribere fuisse solitos, & quosdam eiusmodi libros nominatim indicat. Idem etiam refert probatque Ioannes Magnus in suo Opere. Atque hæc priorum uersionum Scripturæ ueterumque morum gentis Germanicę in consignandis suis monumentis, studiaque Sacrarum literarum historia digna est, quæ sciatur, tum ut Dei gloria eluceat, qui in omnibus gentibus præclara ingenia excitat, tum etiam ut posteri ad maiorum suorum uirtutem industriamque imitandam exuscitentur.

231 Denn zuerst hat Ulphila, der Bischof der Goten (die ebenso Germanen waren) bald nach dem Konzil von Nicäa, ungefähr im Jahr 370 nach Christus, wie Theodoret und Sozomenus bezeugen, den heiligen Codex in die gotische Sprache übertragen und mit seinem göttlichen Werkzeug dieses Volk unter höchster Gefahr zum christlichen Glauben bekehrt. Das ist sicher vor den Zeiten meines Landsmannes Hieronymus geschehen. Von dem wird aber erzählt, daß er auch das hochheilige Buch ebenso in die illyrische oder slawische Sprache übertragen hat. Von dorther stammt vielleicht auch die moskovitische Version in derselben Sprache, von der sich jetzt noch alte Exemplare finden, und andere Fragmente davon, sowie ich auch Fragmente der serbischen Version (dessen Volk dieselbe Sprache spricht), selbst in der Bibliothek des Herrn Antonius zu Venedig gesehen habe. Daher kommt es, daß dieses ganze Volk, sowohl das serbische wie auch das moskovitische, die Volkssprache in heiligen Dingen und der Religion gebrauchen. In dieser Angelegenheit, so berichtet Aeneas Silvius, bzw. Pius II., habe es einst in einer römischen Synode einen harten Streit gegeben, ob dies [sc. die volkssprachige Bibeltradition] in jenem Teil Illyriens hinzunehmen sei, wo der Papst befehligte, als schließlich eine himmlische Stimme zu hören war: Jede Sprache lobt den Herrn. Aber in dieser Frage und Lehre hat sich der Heilige Geist schon einst in 1 Kor 14 ganz klar geäußert, und viele haben bis heute in dieser Sache klar den wahren Urteilsspruch gezeigt. Auch später übertrugen – wie man nachlesen kann – zur Zeit Karls des Großen drei gelehrte Männer, Strabo, Hrabanus und Haimo, ebenso das Heilige Buch in die Volkssprache. Doch ging ihr Werk sehr schnell verloren, was gewiß sehr bedauerlich ist. Aber das geschah sicher durch den Betrug Satans und der Heuchler, die nicht ertragen können, daß das heilbringende Licht des Wortes Gottes den Geringfügigen in Christo weithin leuchtet. Es ist ganz bekannt, daß Karl der Große selbst bemüht war um die Verherrlichung seiner Heimatsprache, die deutsch war, und man sagt sogar, daß er eine Grammatik der deutschen Sprache verfaßt habe. Der englische Geschichtsschreiber Matthæus Paris, der lange vor diesen Zeiten gelebt hat, erzählt, daß die Deutschen schon einst in den Zeiten vor Christus besonders in rhythmischen Schriften gewohnt waren ihre Geschichten aufzuschreiben, und er nennt gewisse Bücher dieser Art namentlich. Dasselbe berichtet und beweist Johannes Magnus in seinem Werk. Doch diese Studien der heiligen Schriften sind eine würdige Geschichte der früheren Versionen der Schrift und der alten Sitten des deutschen Volkes, vermittelt durch die Aufzeichnung ihrer Denkmäler, welche man kennen sollte, damit zum einen der Ruhm Gottes leuchte, der in allen Völkern herausragende Talente herbeiruft, und damit zum anderen die Nachfahren angeregt werden, die Tugend und den Fleiß ihrer Vorfahren nachzuahmen.

232 [Bl. β 1r, S. *17] Hæ aliæque complures causæ, & pręsertim publicæ utilitates, tum ad Dei gloriam ac hominum salutem, tum etiam ad gloriam gentis Alemanicæ, ac denique etiam ad commoda eiusdem, & præsertim ecclesiæ Dei spectantes, me impulerunt, ut (sicut & prius dixi) iam longo tempore sum conatus, seduloque laborauerim, in promouenda impressione huius Operis. Quo quidem me etiam non parum impulit doctissimi uiri, beati Rhenani Selestadiensis grauissimum testimonium & præconium huius ipsius Operis, cuius uerba paulo post adscribemus. Plurimum sane hanc editionem adiuuit eruditione & pietate clarissimus uir D. D. Achilles Gassarus, tum describendo, tum & Lexicon ueterum huius sermonis uocum conficiendo, quo publicæ utilitati & suo ardenti erga patriam & ueram Ecclesiam studio satisfaceret: cui ab omnibus ingenuis Germanis Christique fidis cultoribus gratiæ debentur & habebuntur. Tibi uero, uir genere ac uirtute clarissime, hoc Opus dedicare ob plures causas uolui, præsertim autem quod & ursisti hanc editionem, & tuam liberalitatem ad eam promouendam promisisti: & denique, quod spero complures ex Germanica nobilitate, atque [Bl. β 1v, S. *18] adeo etiam ex superioribus ordinibus, & pręsertim literatis hominibus, ob tuum nomen, Librum hunc studiose complexuros esse, & linguam etiam hanc porro illustraturos. Quod si hoc Opus eo studio fauoreque excipietur a suis Germanis, quo certe par est, forte aliquando etiam illud alterum maiusque uolumen edetur, mihi a te communicatum, in quo ueteris Testamenti Historiæ itidem rhythmis ante annos 300. conscriptę sunt. Sane indigni fuerint, qui de nomine genteque Germana glorientur ac nominentur, qui non dignabuntur hoc sacrosanctum uetustatis suæ monumentum habere & cognoscere, suamque maternam linguam & auitum sermonem degustare: præsertim cum ad eum conatum tanta hic præsidia habeant, tum uocum cum præcedentibus congruentiam, tum pręfationis uersionem, tum Dictionarium adiunctum, tum denique etiam Latinum Euangeliorum textum ad singula loca annotatum, ex cuius collatione facile sensus rhythmorum deprehendi ubique possit. Iuuat nos laudique etiam datur, cognouisse aut saltem degustasse peregrinas aliquas linguas, unde nullum unquam fructum sis percepturus: quanto uero honestius præclariusque fuerit suorum maiorum sermonem exactius cognoscere?

233 Diese und andere weitere Gründe, insbesondere allgemeine Vorteile, zum Ruhm Gottes und zum Heil der Menschen, auch zum Ruhm des alemannischen Volkes, und schließlich auch zum Nutzen desselben, und besonders Gründe, die sich auf die Kirchen Gottes beziehen, haben mich dazu getrieben, daß ich (wie ich bereits vorher sagte) lange versucht und mich sehr bemüht habe, dieses Werk zum Druck zu befördern. Auch hat mich nicht wenig angetrieben das bedeutende Zeugnis und die Verehrung dieses Werkes durch einen überaus gelehrten Mann, nämlich Beatus Rhenanus von Schlettstadt, dessen Worte wir gleich im Anschluß abdrucken. Am meisten hat aber sicher bei dieser Ausgabe der berühmte Mann, Herr Achill Gasser, durch seine Bildung und Frömmigkeit geholfen, sowohl im Abschreiben wie auch in der Anfertigung des Lexikons der alten Wörter dieses Textes, wodurch er dem allgemeinen Nutzen und seinem brennenden Eifer gegenüber dem Vaterland und der wahren Kirche Genüge tut: Ihm schulden alle einheimischen Deutschen und gläubigen Verehrer Christi Dank und werden diesen auch abstatten. Dir aber, Du an Adel und Tugend herausragender Mann, wollte ich dieses Werk aus vielen Gründen widmen, besonders aber weil Du diese Edition eifrig vorangetrieben hast und Deine Freigebigkeit zu ihrer Herausgabe versprochen hast: und schließlich hoffe ich, daß viele aus deutschem Adel und auch aus höheren Ständen, sowie besonders aber von den gebildeten Menschen, wegen deines Namens das Buch eifrig in die Hand nehmen und diese Sprache auch weiterhin verherrlichen werden. Wenn dieses Werk mit solchem Eifer und Gunst von seinen Deutschen aufgenommen wird, wie es ihm gebührt, wird vielleicht irgendwann auch dieses andere, größere Buch herausgegeben, das du mir bekannt gemacht hast, und in dem die Geschichten des Alten Testaments – gleichfalls in Versen – vor 300 Jahren aufgeschrieben worden sind. Gewiß sind diejenigen unwürdig gewesen, sich dem Namen und Volk nach als deutsch zu rühmen und zu nennen, die nicht für würdig halten, dieses hochheilige, alte Denkmal zu besitzen und zu kennen, seine Muttersprache und den uralten Text zu genießen: gerade weil sie hier zu diesem Versuch viele Hilfsmittel in der Hand haben, einmal die Übereinstimmung der Wörter mit den vorausgehenden, dann die Übersetzung der Präfatio, dann ein beigefügtes Wörterbuch, dann schließlich auch den zu einzelnen Stellen mitgegebenen lateinischen Text der Evangelien, aus dessen Zusammenstellung überall leicht der Sinn der Verse abgeleitet werden kann. Es freut uns und wir loben es, daß wir eine andere Sprache kennengelernt haben oder wenigstens probiert haben, wenn man auch keinen Nutzen davon jemals empfangen wird: wieviel ehrenhafter und nützlicher wird es dann aber sein, die Sprache seiner Vorfahren genauer kennenzulernen?

234 [Bl. β 2r, S. *19] Quapropter tu & hoc Opus dedicationemque eius benigne excipito, & literarum, præsertimque sacrarum, non tantum studiosus, sed & fautor promotorque esse pergito: idque omnino agito, ut non postremo loco regnum cœlorum quæras, sicut plerique homines solent (tametsi & in hoc iniuriam eis facio. plurimi enim nullo prorsus loco & numquam regnum cœlorum quęrunt aut curant) sed primo plane loco illud, iuxta mandatum unici nostri Seruatoris, ambias & secteris. Et quoniam pro tua dignitate, prudentia, uirtute & alijs eximijs donis sæpe ad summos Germaniæ proceres aditum habes, id omni studio conatuque apud eos agito, monendo & urgendo, ut præsentes controuersiæ religionis non uiolento furore opprimantur, sed potius legitima cognitione dirimantur. Sed bone Deus, quantus est satanę furor, quantaque in genus humanum potentia, quod cum etiam in minimis litibus, ubi de paucis aliquot nummis rebusque uilibus contenditur, omnes putant placide quieteque ac legitime progrediendum esse, uti auditis recta ratione partibus, probeque omnibus ad cognitionem facientibus peruestigatis ac examinatis, tandem seruato omni iuris processu [Bl. β 2v, S. *20] pronuncietur, executioque debita ratione fiat. At in religionis controuersijs contra nunc plerique temere ac non lectis cognitisque utriusque partis scriptis, dictis ac testimonijs, iudicant, pronunciant, clamant ac uociferantur, horrendis conuitijs infamationibusque confessores ueritatis proscindunt, & denique qui possunt, etiam uiolentiam adhibent. Olim in omnibus difficultatibus controuersijsque religionis & hæresibus, secundum Christi ordinationem præceptumque soliti sunt sacerdotes & episcopi, promouentibus id principibus & regibus, conuenire, ibique ex uerbo Dei recta ratione conferre ac disputare, & uerum a falso secundum Scripturam distinguere. At nunc, proh dolor, contraria potius omnia fiunt. Quæ cum & tristia horrendaque sint, & ab omnibus cernantur, commemorare non est necesse, atque adeo etiam ob eorum fœditatem cruciatumque animi cordisque mei inde orientem longe acerbissimum non libet.

235 Deswegen nimm Du sowohl dieses Werk als auch dessen Widmung geneigt auf und fahre fort, um die Schriften, und zumal die heiligen, nicht nur bemüht zu sein, sondern ihnen sowohl ein Begünstiger als auch ein Unterstützer zu sein; und dies tue besonders, damit du nicht auf einem letzten Platz das Himmelreich aufsuchst, wie die meisten Menschen zu tun pflegen (obgleich ich ihnen damit Unrecht antue. Die meisten nämlich suchen oder kümmern sich an gar keiner Stelle um das Himmelreich). Du aber strebe und jage an vorderster Stelle danach, gemäß dem Auftrag unseres einzigen Retters. Und da du aufgrund deiner Würde, Klugheit, Tugend und anderer außerordentlicher Gaben oft zu den höchsten Vornehmen in Deutschland Zugang hast, betreibe dies mit allem Eifer und Versuchen bei ihnen, mahnend und handelnd, daß die gegenwärtigen Religionsstreitigkeiten nicht in gewaltsamem Wüten erstickt werden, sondern besser auf der Grundlage der Gesetze geschlichtet werden. Aber guter Gott, wie groß ist der Zorn Satans und wie groß ist seine Macht im Menschengeschlecht, daß – zwar bei kleinsten Streitereien, wo über wenig Geld und nebensächliche Dinge verhandelt wird – alle meinen, man müsse in angenehmer, gelassener und legitimer Weise vorgehen, sodaß erst in rechter Weise beide Parteien angehört werden und auf rechte Weise alle zur Erkenntnis gehörenden Dinge verfolgt und untersucht werden, schließlich aber unter Wahrung des kompletten Rechtsverfahrens ein Urteil verkündet wird und eine Vollstreckung in der geschuldeten Form geschieht. In den Religionsstreitigkeiten hingegen urteilen, reden, schreien und rufen die meisten nun planlos und – in Unkenntnis der Schriften, Reden und Zeugnisse beider Parteien – zerreißen sie in schrecklichem Geschrei und mit Infamitäten die Bekenner der Wahrheit, und die, die können, wenden sogar Gewalt an. Einst war es gemäß den Vorgaben und der Lehre Christi üblich, daß in allen Schwierigkeiten und Streitigkeiten der Religion und in Häresiefragen die Priester und Bischöfe, indem sie von Fürsten und Königen dazu angetrieben wurden, zusammenkamen und dort aus dem Wort Gottes in rechter Vernunft redeten, diskutierten und das Wahre vom Falschen gemäß der Schrift unterschieden. Doch nun geschieht leider genau das Gegenteil. Weil dies alles traurig und schrecklich ist und auch allen bekannt ist, muß man es nicht in Erinnerung rufen, und es beliebt auch nicht wegen der Häßlichkeit dieser Dinge und der bei weitem größten Qual von allen, die von dort in meiner Seele und in meinem Herzen erregt wird.

236 Tu uero uir præstantissime, qui scias te nomen Christo ad istam ipsam sacrosanctam militiam dedisse, perge in ea strenue, nec moueare Epicureis sermonibus Nimbrodicorum istorum uenatorum, qui tantum gentiles deos, Bachum, Venerem, Martem, Plutum & [Bl. β 3r, S. *21] Deliam Mercuriumque colunt, tantumque sua studia moresque magnifaciunt, & Christum cum suo cœlesti regno contemnunt, & ab eo uicissim contemnuntur: sciens te amplissimam remunerationem ab illo summo uictoriossimoque Duce, cum in extremo iudicio ultimum illum suum cœlestemque triumphum de omnibus hostibus sibi plenissime subiectis, nempe de satana, peccato, morte, & toto mundo, aget, recepturum esse. Dominus Iesus Ecclesiam suam religionemque, & omnes suos fideles potenter suo S. spiritu regat & conseruet, contra omnes satanæ & impiorum nequissimas machinationes ignitaque tela tueatur, ob misericordiam & ueritatem suam, Amen. Vale in Christo unico mundi Seruatore, semper fœlicicissime [!]. Argentinę, anno aduentus Messiæ unici Seruatoris totius mundi 1571. Calendis Septembribus.

237 Du aber, herausragender Mann, der Du weißt, daß Du Deinen Namen Christus zu dieser hochheiligen Ritterschaft hingegeben hast, fahre tüchtig fort, laß dich nicht einwickeln von epikureischem Geschwätz dieser Jäger in Nimrods Art, die nur die heidnischen Götter, Bacchus, Venus, Mars, Pluto, Delia und Merkur verehren und nur ihren Eifer und ihre Sitten hervorkehren und Christus mit seinem himmlischen Reich verdammen und von ihm im Gegenzug verdammt werden. Du weißt, daß du aufgenommen sein wirst in den größten Schutz jenes höchsten und siegreichsten Führers, wenn er im Jüngsten Gericht jenen seinen letzten und himmlischen Triumph führt über alle Feinde, die er sich ganz unterworfen hat, nämlich den Satan, die Sünde, den Tod und die ganze Welt. Der Herr Jesus beherrsche und bewahre seine Kirche und Religion und alle seine Gläubigen mit der Hilfe des Heiligen Geistes gegen alle unwerten Listen Satans und der Ungläubigen und bewahre die feurigen Waffen, um seiner Gnade und Wahrheit willen, Amen. Lebe wohl und immer glücklichst in Christus, dem einzigen Retter der Welt. Straßburg, im Jahr 1571 der Ankunft des Messias, des einzigen Retters der ganzen Welt, an den Kalenden des Septembers.

238 [Bl. β 3v, S. *22] Dem gestrengen vnd Ernuesten Herrn Adolph Herman Riedesel in Eisenbach / Erbmarschalc in Hessen / meinem günstigen Herrn vnd Patron / wüntsche ich Matthias Flacius Illyricus volkommene erkandtnuß der reinen Religion vnd lehre Christi / ernsten eyffer / sampt bestendiger bekandtnuß. GEstrenger / ernuester / günstiger Herr / die hochwichtige vrsachen / warumm das ich in Truck habe lassen auß geen diß alte Buch / darinnen vor 700. jar die fier Euangelisten reimenweis in ein einige erzelung der Histori vnd Predigten Christi zusamen bracht / vnd in der uralten Teutschen sprach vertolmetscht worden sein / vnd auch den vielfeltigen nutz vnd frucht / so der Christlich leser darauß nemmen kann / hab ich nach der leng in der Lateinischen Vorred erzelet / das es ohn von n=ten / allhie abermal die selbige zu widerholen. Wiewol wann gleich kein andere vrsach were / warumb die freie vnd ehrliebende Teutschen solten diß Buch lieb haben vnd hochachten / so ist diese wichtig vnd groß genug / das nach dem alle menschen gern von jhren eltern vnd vorfarn viel wissen w=llen / auch alles so bei jnen gewon-[Bl. β 4r, S. *23]lich vnd gebreuchlich / hochhalten / weil auch alle menschen gern etwas beides von den vralten / vnd von frembden spraachen wissen: so muß einer jhe gar ein stock / vnd so zureden / kein rechter Teutscher sein / der nit auch gern etwas wissen wolt von der alten spraach seiner vorfarn vnd eltern / welches man dann auffs best vnd leichtest auß diesem Buch haben vnd vernemmen kan / sonderlich weil der Leser allhie so mancherley behelff vnd fürderung darzu hat / als nammlich die erklerung der alten w=rter / die tolmetschung der Vorrede / vnd entlich den Lateinischen text der Euangelisten / der hin vnd wider in diesem Buch vertolmetschet ist. Will derwegen jetz nur etliche andere stuck hierzu geh=rig anzeigen: als nammlich fürs erste / das der meister dieses Buchs / ist gewesen ein Gottseliger gelehrter Münch (ich mein aber ein solchen Münch / wie sie vorzeiten gewesen / da sie waarhafftigklich reichtumm / ehr vnd die wollüste dieser welt verlassen / vnd sich gentzlich zum dienst Christi vnd seiner Kirchen ergeben / vnd derwegen auch studieret / gearbeitet / gelehret vnd geprediget haben: nicht wie die newe / die neben der abg=tterey nur den gott Bacho oder Baucho sampt seiner schwester Venere vnd bruder Pluto / damit sie zum Plutone kommen / trewlich dienen) genant Otfrid / auß der erbarn vnd vralten Statt Reinweissen-[Bl. β 4v, S. *24]burg / da auch nach jetziger zeit / Got hab lob / die waare Religion / durch fürderung der namhafften Herrn Elephanten vnd anderer Gottseliger herrn erhalten würt: vnnd hatt dieser Ottfridus auch andere mehr BFcher zu gemeinem nutz geschrieben / wie auß seinem leben kurtzlich von Trithemio angezeiget / zu sehen ist. Ferner so hat der hochgelehrte mann Beatus Rhenanus von Schletstat diß Buch / da ers zu Freising in Baiern gesehen hat / hochgerFmbt / wie sein zeugnuß hernach geschrieben bezeüget: da er auch saget / es sein ein treflicher schatz der vralten Teutschen kleinoten.

239 Er zeiget auch an / wie hoch sich der fürtreffenliche held Keiser Maximilian nach solcher alten Teutschen schrifften gesehnet habe / vnd wie hoch er alle die jenige begabet / die jm etwas solches vralts / sonderlich von BFchern vnd schrifften fürgebracht vnd verehret haben. Solcher sein sinn vnd meinung zeiget an / das er sein Vatterland vnd volck lieb gehabt / auch seine vorfar / vnd was bey jnen l=blich gewesen / hochgeachtet / gern erhalten vnd gefürdert / vnd nit stets nach seltzamen / newen / Welschen / Spanischen / R=mischen dingen gegaffet habe. Es haben auch die V(tter vnd alte Scribenten / so vor tausent oder dreizehenhundert jar gelebet haben / die vralte lehr / Religion / regiment / [Bl. β 5r, S. *25] vnd weis der Kirchen Christi hoch gepreiset vnd gerFmbt / vnd sich vber jhr zeit vnd stand beklaget: derer Vetter sprüche jetzt vnsere widersecher die Papisten gar vbel mißbrauchen / gleich als sie das jenige hetten gelobet vnd gepreiset / das zu vnsern / vnd nicht zu jren zeiten hette m=gen alt geschetzt vnd genennet werden: welches je ein grober betrug ist. Dann wann sie von den alten zeiten / stand vnd Religion / geredt haben / vnd geklaget vber jrer zeit newerung / so haben sie gemeinet die lehr vnd Religion / auch stand vnd regiment der Kirchen / so drei oder fierhundert jar fFr jnen / als nammlich zur zeit Christi vnd der Apostel / im gebrauch gewesen / vnd freilich nicht den stand vnd sitten der Kirchen / so etlich hundert jar nach jhnen entstanden ist / dahin man jetzt jhre sprüche mit gewalt deüten vnd ziehen will. Es ist aber freilich nicht one / daz Virgilius der treffenliche Poet schreibet / daz alle gute ding jmmer von tag zu tag abnemmen / wann man sich gleich hoch bemFhet / die selbige in jrem vorigem guten stand zuerhalten. Solches aber geschicht zuuorauß in der Kirchen vnd Religions sachen / daß sie alle tag je lenger je mehr verfinsteret vnd verkeret werden / nicht anders als ein wol gebauwetes hauß jmmerzu erger vnd bawfelliger wurde / biß das es ein guter meister widerumm von newen erbauwet. [Bl. β 5v, S. *26] Also thut auch Gott der himmlische Vatter / der h=chste sch=pffer vnd bauwmeister / ein stiffter vnd vrsacher alles guten / sonderlich in der Kirchen / welcher je zu zeiten vnd offtmals an seiner Kirchen vnd Religion / wiewol auch in weltlichem stande vnd policei / das jenige widerumb bessert vnd auffrichtet / was der b=se feind vnd die menschen verkeeret vnd verderbet haben / vnnd also gleich als newe encenia oder kirchweihe halt. Solches ist gar offtmals geschehen / wie auß der heiligen Schrifft vnd andern kirchen Historien zusehen ist: als erstlich zur zeit Enoch / darnach zur zeit Noah / Abraham / vnd sonderlich zur zeit Moise: weiter darnach zur zeit Samuelis / Dauidis / Ezechias / Josaphat / vnd JosiaS. Zuuor auß aber zur zeit Christi vnd der Apostel: welcher mit der geisel vnd mit dem schwerdt seines worts allerley wust vnd grewel / sampt jhren meistern vnd kremern / ja raubern vnd m=rdern / auß seines vatters hauß außgemustert vnnd außgefeget hat: welches hauß dazumal / wie er selber bezeuget / zu einer m=rder gruben durch die mancherley verfFrer gemacht war. Er ist freilich der rechte Engel deß bunds / der rechte lauterer oder reformierer der Leuiten / wie Malachias von jm geweissaget / ein meister vnnd außfeger

240 seiner Kirchen gewesen / in deß handen die rechte wurffschauffel ist wie Johan[Bl. β 6r, S. *27]nes der T=uffer prediget: vnd er hat sollen seinen tennen recht auß fegen: darnach etlicher massen zur zeit Constantini vnnd Augustini / auch Huß seligers: vnd sonderlich zu vnsern zeiten / da der letzte Helias kommen ist / vor der letzten zukunfft deß Herrn / jme den weg zubereiten / den Antichrist zuoffenbaren vnd zurichten / vnd die seinen von sollichem Pharao vnd dem teuffel entlich zuerl=sen. Wie nun der stand der Kirchen vnd Religion alle tag je lenger je erger wirdt / biß auff solliche g=ttliche ernewerung vnnd widerauffrichtung der Religion: also wer fleissig darnach forschet / der findet jmmerzu gar viel solche anzeigung oder gewisse zeichen eines bessern stands der Religion / so zuuor gewesen / welche als (so zu reden) rechte heilthumb man mit allem fleiß suchen vnd herfür ziehen soll / die waare vnd rechte vralte religion damit zuerkleren vnd zubeweisen. Solcher hinderstelliger mancherley zeichen vnd anzeigungen der waaren Religion / vnd daz zuuor mit der Kirchen besser gestanden sei / hab ich etliche viel in dem Buch Catalogus testium ueritatis glaubwürdig erzelet. Ein solches zeichen vnd zeugnuß eines bessern zustandes der Religion / mag auch dieses Buch sein / darinne die fier Euangelisten vor 700. jaren in Teutsche reimen vertolmetscht vnd [Bl. β 6v, S. *28] in ein einige erzelung gebracht / vnd das Buch Gratia Dei, die gnad Gottes genant worden: darmit der Scribent anzeigen w=llen / Christus sei nicht ein gesetzgeber / auch sein Euangelion nicht ein gesetz / wie die verfFrer hernach fFrgeben / sonder ein erwerber vnd verkündiger der heilsamen genaden Gottes. Diß Buch zeiget auch an / das dazumal die heilig Schrifft in der Kirchen Gottes hochgeachtet gewesen / vnd das man sie nicht gelestert habe / es sein ein finster / zweiffelhafftig / vnuolkommen Buch / daß sich lasse hin vnd wider deüten vnd denen / darinnen man nicht alles was zur seligkeit von n=ten / finden k=nne / ja auch ein ketzerbuch / darauß aller jrthumm entspriset / wie leider jetzt offentlich wider die heilig Schrifft / ja wider den heiligen Geist selbst / der sie geschrieben hat / mit grosser begnadung vnd priuilegien gelestert wirt: welches nie zuuor weder in der Christenheit / noch bey den Juden erh=rt vnd geschehen. Die Türcken lassen freilich nicht zu / das mann also jhren Alcoran lestere. Darumb hierauff der eusserste zorn vnd straff Gottes / vnd gewißlich die Türckische tyrannei selbst geh=ret / vnd entlich kommen mGß: wie auch auff die grewliche vnzucht der geistlichen vnd anderen / vnnd auff die blutschanden: welche grewliche laster / sampt andern vnzelichen sünden jetz regieren vnd v-[Bl. β 7r, S. *29]berhand nemmen. Dazumal hat mans freilich nicht darfür gehalten / als obs nicht recht were / wann man die heilige Schrifft in gemeiner sprach vertolmetschet / oder wann sie die Leyen lesen solten: welcher jrrthumb / wie auch gedachter Rhenanus bezeüget / gar newe ist: sunder (wie dieser Scribent schreibet) man hat viel mehr geglaubet vnd gelehret / es sei gantz Christlich vnd heilsam / das man sie daheim lese / ja auch in Reimweis singe. Zu welchem nutz oder gebrauch er auch diese tolmetschung / wie er selber bezeuget / gemachet hatt.

241 Er bekennet auch in der Vorred seinen glauben vnd waare endtliche meinung oder hauptsumma dieses gantzen Buchs / von der gnaden Gottes oder fier Euangelisten / nammlich daz wir one vnser wercke / lauter vmb sonst / durch Christum selig werden / mit diesen worten. Thaz ich in himilriche / Thir Druthin jamerliche / Joh iamer freuue in rihti / In dineru gesichti / Mit Engilen dinen / Thaz n'ist bi uuercken minen / Suntar rehto in uuaru / Bi thineru ginadu. [Bl. β 7v, S. *30] Das ist auff gut Teutsch: Das ich im himelreiche / Dir Gott immerliche / Ja jmmer frewe in grichte / In deinem angesichte / Mit den Engeln dein / Das nicht ist bei den wercken mein. Sonder recht fürware / Bei deiner gnade / etc. Hierzu nammlich anzuzeigen / das zuuor die Religion vnd wesen der Kirchen besser gestanden sei / mag auch geh=ren / das in den Teutschen Kirchen noch etliche vralte Teutsche gesange in muter spraach in der gemeine Gottes stetz gesungen worden sein / als da sein der Glaub / Ein kindelein so lobelich / Christus ist erstanden / Christus fur gen Himmel / Nun bitten wir den heiligen Geist / etc. Also haben sie auch das liebe Vatter vnser in mutersprach gebetten / vnnd die Zehen gebott Teutsch außwendig gelehrnet vnd erzelet / welches in Welschen landen vnd an andern orten im Babstumb nicht hat pflegen zugeschen. Dergleichen sein auch die predigte viel =ffter in Teutschem land geschehen / dann im Welschen land. Der gedachte hochgelehrte Beatus Rhenanus von Schletstatt beweiset auch auß dem wort Meß / das man jetzt für die sonderliche grosse jar [Bl. β 8r, S. *31] marckte gebrauchet / das vor zeiten gar selten Meß gehalten worden seien / wie auch bei den Griechen / vnd das eigentlich die Meß ein gemeiner handel der gantzen Kirchen / vnd waarhafftigklich die Communion selbst gewesen sey / vnd darumb die leut an die selbigen ort zu der communion auß allen vmbligenden flecken gelauffen / vnd durch diese gelegenheit daselbst solche grosse hendel vnd jar m(rckte entstanden ein / vnnd auch daher solchen nammen entlich bekommen haben.

242 Solches ist freilich ein gute vnd starcke beweisung: aber hernach da man die Meß hatt geschetzt für ein sonderlichs opffer für die sünde / vnd für allerley not / ja auch fFr die lebendigen vnd fFr die todten / da hat man sie one maß vnd ziel gehauffet / vnnd ein rechten jarmarckt oder kremerey darauß gemachet / also das der Priester ampt vnd befelch nicht mehr lautet / wie es Christus geordnet vnd befolhen hat / sprechent: Gehet hin / vnd prediget / was ich euch gelehret hab: oder / Jr werdet den tod deß herren verkündigen: sonder wann der Bischoff sie ordinieret / so spricht er an stadt solches befelchs Christi also / Jch gebe euch macht zu opffern für die lebendigen vnd für die todten / vnd für die sünden der gantzen welt. Weil ich auch allhie auff die alte gebreüche [Bl. β 8v, S. *32] der Teutschen Kirchen kommen bin / so were nicht vnbillich / das ich auch etwas sagete von der alten herkunfft der selbigen. Dann die P(pste rFmen sich / das sie alle Kirchen in Europa gegen Nidergang gepflantzet haben. Aber in der waarheit halt sichs viel anderst / vnnd seind fast so bald etliche jünger Christi in Teutschland kommen / als eben Petrus ghen Rom sol kommen sein / wie die Papisten von jm tichten: wie solches Auentinus anzeigt / vnd sie auch nennet / welche an der Tonauw vnd vmb Augspurg gelehret haben / nammlich S. Marcus vnd auch Lucius Cyreneus. Also rFmet auch Jreneus / der da bald nach der Apostel zeit gelebt hat / die Teutsche Kirchen / als alte vnd rechtgl=ubige / hoch vnd ehrlich. Ja das die Christliche Religion nicht von Rom / vnd von den P(psten kommen sei in Teutschland / ist auß dem offenbar / das die selbige Kirche / wie auch die Euangelische / sehr lange zeit / vnnd viel hundert jar nach Christi geburt / haben nicht w=llen den R=mischen gebreuchen vnd Kirchen sich gleichf=rmig machen: darüber auch wol 700. jar nach Christo / grosser streit gewesen ist / wie ich in meinem Buch Catalogus testium ueritatis genant / nach der lenge angezeigt habe. Entlich aber hart vor Caroli Magni zeit / hat Bapst Gregorius II. einen seiner jünger oder geschwornen knecht / Bonifa-[Bl. γ 1r, S. *33]cium genant / in Teutschland gesendet / welcher jm hat außtrucklich schweren mFssen / das er w=lle seinen deß Babsts nutz suchen / vnd fürdern / wie die wort klaar in solchen seinem eides pflicht stehen. Der selbige nun hat die Teutsche Kirche nicht vom Heidenthumb zu Christo / sondern von Christo zum Babst bekeeret / vnnd alle gottselige alte Apostolische gebreüche vnd ordnungen in Papistische verwandlet. Es haben jm viel gottselige vnd hochgelehrte Bischoff / vnd auch andere treffenliche menner widerstanden / aber er hat sie entlich durch beistand der B(bste vnd auch etlicher gewaltigen mit grewlicher verfolgung gedempt vnnd vnderdruckt / wie solliches auch daselbst zufinden ist. Den selbigen hat der Babst gelehret / das er sol das opffern für die todten in diesen Kirchen anrichten / dann er hat lang daran gezweiffelt / wie es in jrem Decret steht. 3.q.2. Ja der gedachte treffenliche Apostel deß Bapsts hat auch die B(bstische heiligkeit durch einen sondern brieff gefraget / wann man den speck essen solt. Da hat der heilige Bapst im geantwortet / wann der speck gnugsam gesotten / oder aber gereucheret ist / als dann solle man jhn essen / wie solches klaar im Buch der Concilien zulesen ist. Also hat mFssen denen leuten ein son-

243 derliche gottseligkeit vnd ver-[Bl. γ 1v, S. *34]dienst oder gutes werck / auch an dem garstigen speck gelegen sein. Der selbige trew geschworne knecht der B(bsten hat auch alle Kirchen gebette vnd hendel auß der gemeinen spraach in die Lateinisch verwandelt. Ich muß alhie erzelen / was mir der H. M. Georg Schnell / etwa deß H. D. Luth[er] verwanter mehrmal erzelet hat / wie das zu Dessaw ein vhralt geschrieben pergamen Buch gewesen / darinne die gantze form der Tauff in Teutscher spraach gestanden / auß wellichem Buch er selbst mehr kinder getaufft hab. Also findet man noch gar viel zeichen oder vberbleibende stucke / darauß zumercken / das es vorzeiten viel besser mit der Kirchen vnd religion gestanden sey / dann darnach vnder dem Bapst / daruon ich in gedachtem Buch weitleuffiger gehandelt habe. Das sey nun jetzt zur Vorrede gnug. Jch hab aber dieses Buch E.E. vmb vieler vrsachen willen zuschreiben w=llen / die ich in der Lateinischen Vorrede weitleuffiger erzelet habe. Vnder anderen aber ist diese nicht die geringste / auff das / weil sie die gute vnnd freie künsten / sonderlich aber die reine vnnd Christliche Theologiam / oder G=ttliches Wort lieb hatt / jha mich auch ermanet / diß Buch inn truck auß zugehn lassen / das auch andere treffenliche leut vom Adel von herzen / vnd sonst an[Bl. γ 2r, S. *35]dere alle durch jhr exempel desto mehr gereitzet / vnd verursacht werden / den selbigen hochl=blichen studijs / warer Religion / vnd auch diesem Buch günstig / geneiget vnd fürderlich zusein. Derwegen so bitt ich E.E. sie w=lle diese meine Christliche vereherung oder zuschreiben dieses Buchs günstigklich annemmen / vnd mir zum besten deüten / auch hinfort / wie bißher / ja noch viel mehr alle gute studia / vnnd sonderlich die waare Religion vnd rechtschaffene lehrer nach dem befelch Gottes ehren vnd fFrdern / vnd sich ja nicht keren an der gottlosen leut epicurischen reden / die da nicht nach Gott fragen / sondern nur nach dieser welt ehr / gut vnd wollust streben / ja die auch den selbigen vergengklichen schaten der zeitlichen gFter zuerlangen sich nicht scheuhen Christum selbst vnnd seine Religion / auch die diener g=ttliches worts / wider jr eigen gewissen / den gewaltigen vnd gottlosen zugefallen / zuuerfolgen. Es sind ja leider viel grewlicher ergernussen vnd vnkraut mitten in dem acker vnd zwischen dem guten samen vnnd weitzen Christi / wie es zwar auch stets gewesen / vnd eben zu den zeiten da Christus selbst auff erden gewandlet / vnd seine Kirche selbst mit eignem mund vnderwisen vnd regieret hat. Wol aber dem / der sich darab nicht ergert / noch von der warheit abfellet. Was belanget die vnwarhafftigen gedichte [Bl. γ 2v, S. *36] vnd schreien / so etliche wider mich mit aller vnwarheit außbreiten / ist jnen gnugsam in meiner Lateinischen vnnd Teutschen bekandtnuß geantwortet. Jch hab mich auch nun lenger denn 20. jar vnzelich mal nur gnugsam zu einem Synodo vnd disputation erbotten / ja auch darumm den gewaltigen vnd allen regenten auffs demFtigest suppliciret / wie ich dann auch meine vnderthenigste Supplication vmb rechtschaffene erkandtnuß allerley beschuldigung / so etliche auff mich tichten / in vergangenem Reichßtag der h=chsten Oberkeit

244 vnnd gantzen Reich vberantwort habe. Aber wer arges thut / der scheuhet das liecht / vnd widerumb wer das liecht scheuhet / der muß im vbel bewußt sein. Der allmechtige ewige Gott erbarme sich seiner Kirchen / vnd bringe alle jre sachen zu einer rechten gottseligen erkandtnuß / vnd hebe alle ergernuß auff / vmb seines lieben Sons vnsers Herren Jhesu Christi willen / Amen. Darzu sprechen alle gottselige / Amen.

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8.2 Die Übersetzung von Ad Liutbertum in der deutschen Ausgabe des Catalogus testium veritatis (Frankfurt a. M. 1573) Der Catalogus testium veritatis von Matthias Flacius wurde in seiner zweiten Auflage 1573 in einer noch von ihm autorisierten Übersetzung vorgelegt, die Konrad Lautenbach herausgab (s. S. 120). Dort findet sich die älteste Übersetzung des Liutbertbriefes wie auch der Präfatio und Versus, die man dem Heliand zurechnet. Ich biete im folgenden einen buchstabengetreuen Abdruck der Übersetzung des Schreibens an Liutbert aus dem Lateinischen. Einzelne Wörter und Buchstaben, die in lateinischer Schrift gesetzt sind, kursiviere ich. Die Randbemerkungen, die Lautenbach der lateinischen Fassung des Catalogus hinzufügt, setze ich als Anmerkungen ans Seitenende. Seitenwechsel ist in eckigen Klammern angezeigt. [Bl. 98r] Otthfridus von Weissenburg

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DJser Mann hat vmb das 860. jar nach der geburt Christi gelebt / vnd viel geschriben / sonderlich aber vnder anderm / fFnff BFcher gestellet in Teutscher sprach. Deren Tittel ist Gratia daß ist gnad / Der inhalt ist auß volgender vorred zuuernemen / ich hab dieselbige BFcher gesehen / darinn die sprach gar viel anderst ist / dann man jetzund redet / darumb sie auch kein Teutscher verstehen mag / ja man kan kaum etlich wenig wort vernemmen. Daß ist aber sonderlich darinnen zu mercken / daß man es fFr 700. Jaren (dann so lang ists daß dises Buch geschriben worden) fFr keine sFnd / sonder fFr ein Gottselig werck gehalten hat / die heilige schrifft in MFtterliche sprach vnd in Reimen zu bringen / so doch die teutsche sprach damaln viel gr=ber / vnlieblicher / vnd vnartiger war / etwas rechts / zuschreiben vnd∗ [Bl. 98v] zuhandlen / dann sie jetzund durch Gottes gnaden ist. Da sie eben so zierlich / fFglich vnd bequem ist / zu schreiben vnd allerhandt verstendtlich fFr zu bringen / als die Lateinische sprach. Er wirdt sonders zweiffels im Text viel dings sagen / das sich mit den jetzigen B(bstischen jrrthumben / vnd mißbreuchen nit vergleichet. Er ist bey dem herrlichen Mann Rabano zu schul gangen / vnd hat jhm auch Luitpertus Bischoff zu Mentz sein Version vnd Dolmetschung gefallen lassen. Dann man findt schier in allen Libereyen stFck daruon. Als sich aber die Teutsche sprach / hernach vnd allgemach geenderet / hat man seines schreibens als eins wercks / das man nit verstehen und brauchen k=nnen / nit mehr so hoch geachtet. Dem HochwFrdigsten vnd Durchleuchtigsten Herrn Luitbergo Ertzbischoffen zu Mentz / wFndschet Othfridus unwFrdiger doch andechtiger

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Z. 8–13: Dolmetschung der H. Schrifft in MFtterliche sprach vnd Reimen. Z. 19–23: Der Bischoff zu Mentz leßt jm Otfridi version gefallen. Z. 24–26: Otfridi vorred an den Bischoff zu Mentz.

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MFnch vnd Priester in Christo Jhesu ewige freud und seligkeit. Jch hab mir HochwFrdiger Herr fFrgenommen / zum eingang dises Buchs / welches ich euch hiemit vberschicke vnd vbergib / vrsach anzuzeigen / die mich bewegt haben dises Buch zu schreiben / Damit es nit von gleubigen Leuten verachtet werde / vnd ich vermessentlichen gehandlet haben mFsse. Nach dem bißher viel frommer Leut mit grossen verdruß / das vnnFtze geplerr vnd die Fppige lieder der gemeinen Leyen h=ren mFssen / haben mich etliche namhaffte BrFder / vnd sonderlich ein ehrliche Matron Judith genannt / fleissig gebetten das ich jnen ein stFck auß den Euangelien Teutsch beschreiben w=lle. Damit doch deß geschreys der weltlichen lieder weniger wFrde / vnd sie sich mit den Euangelien in jhrer sprach belustigen / vnd deß unnFtzen geplerrs abthun m=chten. Darneben wendeten sie fFr / Das die Heidnischen Poeten / Virgilius / Lucanus / Ouidius / vnd andere mehr / der jhren thaten in angeborner sprach auffs papier gebracht / Das jetzund alle welt von jhren BFchern vnd thaten zu sagen wFste / vnd lobeten die theure Menner Iuuencum, Aratorem, Prudentium, vnd andere mehr vnsers glaubens genossen / welche Christi Lehr vnd wunderwerck fein beschriben hetten. Ob wir nun wol denselbigen glauben vnd gnad hetten / Schemeten wir vns doch das helle Gottes wort in vnsere sprach zubringen. Dieweil ich dann jhnen jhre ernstliche bitt nit wissen ab zu schlagen / hab ich mich / wiewol ich darzu vngeFbt bin / jhre freundtliche bitt erweichen lassen / vnd durch hilff jres gebets ein theil der Euangelien in Fränckischer sprach beschriben / vnd etwan ein geistliche Lehr vnd vermanung mit einlauffen lassen / Damit meniglich dem die sprach vorhin zu schwer vnd vnanmFtig war / die heilige Schrifft hinfort in seiner eignen sprach lesen vnd verstehen m=ge / vnd lehrne sich zu schewen / auch das aller geringste zu thun / wider das heilige gesatz / welches er jetzund fFr sich selber verstehen kan. In den ersten vnd letzen theilen dises Buchs / bin ich durch die vier Euangelisten gangen / vnd ordenlich nach einander angezeigt / so gut als ichs gek=ndt / was diser oder jhener vnd die andern miteinander vnd besonders haben / Mitten ein / damit der leser keinen verdruß ob den vberflFssigen worten bekeme / hab ich viel gleichnussen wunderwerck / vnd Predigten Christi geordnet. Dann wiewol ich schon mFd war (dann das hab ich zu aller letzt gemacht) hab ich doch auß erzelten vrsachen nit gern etwas außgelassen / habs aber nit ordenlich nacheinander gesetzet / wie ichs angefangen hatte / sonder wie mirs etwan nach meiner einfalt in sinn kommen ist. Das gantz werck hab ich in fFnff BFcher abgetheilet. In dem ersten wirdt die geburt Christi erzelet / vnd endet sich am Tauff vnd Lehr Johannis. Das ander meldet wie Christus jm JFnger erwehlet vnd mit was wunderwercken er seine Lehr in der welt außgebreitet habe. Das dritt / gedencket ein wenig der herrli*

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Z. 29–33: Was Otfridum bewegt habe zu Dolmetschung der Bibel / etc. Z. 51–53: Summa des gantzen Buchs. Z. 62–64: Abtheilung des gantzen Buchs.

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chen wunderwerck vnd Predigen Christi bey den JFden. Das vierdt zeigt an als sich sein leiden genahet / das er den todt williglich fFr uns erlitten habe. Das fFnfft begreifft seine aufferstehung vnd gesprech mit seinen JFngern / die Himmelfardt vnd das JFngste gericht. [Bl. 99r] Wiewol nur vier Euangelisten sind / so hab ich doch fFnff BFcher drauß machen w=llen / dann die gleicheit der vier Euangelisten zieret die vngleicheit vnserer fFnff sinnen / vnd den vberfluß in vns / vnd richtet beydes vnsere werck vnd gedancken in das Himmlisch / was wir mit sehen / h=ren / riechen / schmecken / vnd fFlen sFndigen / daß vertreiben wir als dann / wann wir drinnen lesen. Das Fppige gesicht / sol durch die Euangelische klarheit erleuchtet werden. Das sch(ndtlich geh=r sol vnser Hertz nit vbert(uben. Der geruch vnd geschmack sol daß b=ß nit an sich ziehen / sonder sich an die sFssigkeit Christi halten / damit das Hertz jmmer durch Fbung diser geschribnen Teutschen / Lection erinnert werde. Dann wie dise sprach grob vnd vnartig ist / vnd sich nit l(st nach der Grammatica fassen / also ist sie auch in vielen orten schwer. Sintemal offt viel Buchstaben zusammen kommen / die man nit kan außsprechen / Dann bißweilen muß man drey. u.u.u. mit einander außsprechen / die ersten zwei sind mitstimmende Buchstaben / vnd das dritt muß meines bedFnckens ein Lautbuchstab sein / Biß weilen hab ich auch der Lautbuchstaben hall a.e.i. oder u. nit vmbgehen k=nnen. Da dFnckt mich mFsse man daß Griechische y hin zu setzen / welchen Buchstaben / dise sprach offt nit leiden wil / vnd leßt sich offt manchmal / mit keinem andern Buchstaben außreden K. und Z. wirdt offter gebraucht in diser sprach / dann bey den Latiniern / welche sagen / dise Buchstaben seyen vberig daß Z. brauchen sie in diser sprach / meines bedunckens / von wegen deß wisplens der zehne / daß K. aber vmb deß gurgelns willen im hals / Man muß auch offt doch nit allwegen die Buchstaben vberruplen vnd zusammen fassen / welches die Grammatici Synalepham nennen. Vnd wann der leser nit achtung daruff gibt / so lautet es gar heßlich / Etwan muß man die Buchstaben im schreiben behalten / bißweilen aber außlassen / nach art der Hebraischen sprach / welche im brauch hat wie etlich sagen / daß man die Buchstaben / wie auch in der Figur Synalephe gar auß lesset / vnd vberhFpfft / Nit daß dise schrifft so genaw vnd kunstreich in Reimen gefast seye / Sonder ich hab darauff gesehen / daß die Verß zu letzt gleich auß gehen. Dann die hindersten wort / mussen artlich vnd wol auffeinander gehen / vnd gleich lauten / nit allein deß mitstimmenden Buchstabens halben / der zwischen den zweyen Lautbuchstaben ist / sonder auch offt mit den andern / Dann die zier diser sprach vnd Synalephe / leiden nit das sich die wort im lesen stossen / sonder zuletzt gleich vnd lieblich miteinander auffh=ren vnd enden / welches Ðmoiotšleuton heisset / vnd man muß offt zween drey oder vier Verß lesen / biß man die meynung recht verstehet. Da findt man I. und O. vnd *

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Z. 69f.: Vrsach der abtheilung. Z. 78–80: Wie die grobheit der Teutschen sprach uerstreichen.

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andere Lautbuchstaben bey einander geschriben / vnd mFssen doch offt vnderschiedlich gelesen werden / bißweilen wann sie bey einander stehen / muß man den ersten / wie einen mitstimmenden Buchstaben lesen. Es werden auch offt zwey neyn wort / welche bey den Latinern ein starck ja bedeuten / in diser sprach stets fFr ein neyn gesetzt. Diser sprach art leidet nit / das ich auff den numerum oder daß genus achtete / Dann was in der Lateinischen sprach Masculinum war / must ich hie in fœmininum verendern / vnd also fort mit den andern generibus. Gleicher gestalt hab ich numerum pluralem in singularem, vnd singularem in pluralem mFssen verwandlen. / Das hat mit offt ein grobe vnd vnartige gestalt im schreiben bracht. Dise obgeschribne m(ngel in disem Buch / wolt ich all zu Teutsch hieher setzen / wann ich nit fFrchte der leser wFrde meiner spotten. Dann wann ich die groben wort der Beurischen sprach vnder das verstendtlich Latin mischete / wFrd ich dem leser ein gelechter machen. Man halt dises fFr ein grobe und Beurische sprach / als welche die Teutschen niemals in schrifften herauß gestrichen / oder jhr ein rechte / vnd kunstreiche gestalt geben haben. Dann sie jhrer vorfaren Historien nit wie andere V=lcker in schrifften verfasset / oder jhr leben vnd geschicht zierlich [Bl. 99v] beschriben haben. Jsts aber gleich etwan geschehen / so haben sies doch in einer andern / als der Griechischen oder Lateinischen sprach verrichtet / sie schemen sich in andern sprachen mit einem einigen Buchstaben zu fehlen / vnd fehlen in jhrer eignen sprach vber daß ander wort. Das wil sich gebFren / daß das menschlich geschlecht auff alleweg vnd in allen sprachen / sie sie seyen Beurisch oder zierlich / lobe vnd preyse den Sch=pffer aller ding / welcher auch die sprach geben hat / vnd nit nach geschliffnen noch glatten worten fraget / sonder sihet auff eines frommen Hertzen gedancken / wil auch nit das man jhm vergebens mit den lippen diene / sonder sich befleisse viel gutter werck zu thun. Dises Buch schick nun euch nach ewerm hohen verstand zu besichtigen. Dann weil ich vnwFrdiger von ewern wFrdigen vorfaren Rabano seliger ged(chtnus aufferzogen worden / hab ichs ewer wFrde zuschreiben w=llen / das so fern es derselbigen nit zu wider / auch andern gleubigen mitgetheilt werde. Wo es aber zu vngereimpt / vnd ichs darinn nach meinem geringen verstand nit recht getroffen hette / mag Ewer wFrde dasselbig auß habendem gewalt verwerffen. Dann ich beydes ewerm freyen willen vnd erkantnuß heimstelle. Die heilige Dreyfaltigkeit das einige G=ttlich wesen / w=lle euch vielen Leuten zu gut / auff dem rechten weg lang frisch / vnd gesundt / bewaren / Amen. *

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Z. 107–110: Duæ negatiuæ faciunt vnam affirmationem. Z. 119–122: Die Teutschen haben nicht viel in jhrer sprach geschrieben. Z. 133f.: Otfridus des Rabani schuler gewesen.

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8.3 Die Vorreden Dietrich von Stades Im Anschluß biete ich einen buchstabengetreuen Abdruck der lateinischen Vorreden zu einer Otfridausgabe und einer Otfridgrammatik, wie sie Dietrich von Stade in einem unfertigen und an vielen Stellen schwer lesbaren Konzept hinterlassen hat. Überliefert sind beide Vorreden in der Handschrift MS IV 459 der Landesbibliothek Hannover (s. zur Handschrift S. 171, 182–184). Ich halte mich an die Texteinrichtung bei von Stade. Wörter und Beispielsätze, die von Stade in deutscher Schrift setzt, gebe ich hier kursiv wieder. Hinter alle Wörter, bei deren Lesung ich mir unsicher war, setze ich [?]. An die Stelle vereinzelter Wörter, die ich nicht lesen konnte, setze ich [...].

8.3.1 Die Vorrede zu einer Otfridausgabe (Hannover, LB, MS IV, 459, Bl. 123r–151r) [Bl. 123r] Introductio pro illustratione non solum trium Dedicationum & Epilogi Otfridiani operis, sed & necessaria Lectoris instructione.

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Prodit jam B[enevolo] L[ectori] Divina benigne annuente gratia, nova atque integra operis Otfridiani Evangeliorum typis exscripta editio, qua hactenus caruimus, in lucem publicam, quam ¥neu prooim…j in scenam produci inconveniens esse duximque, cum præsertim quædam in promptu sint, quibus lectorem pro meliori & lectione & intellectu libri instruere necesse videatur, ut in familiaritatem nostri Otfridi eo commodius penetrare atque eam, quæ in lectione ejus se offert difficultas, ab ipso ejus primo editore, Matthia Flacio Illyrico in Clavi S. S. p. II col. 2 et a Trithemio in vita Otfridi, quæ in Catal. virorum illustrium extat, notata, eo facilius superare possit. Fuit autem auctor ejus operis Otfridus, Monachus Wizanburgensis, ut se ipsum vocat, in cœnobio Wizanburg, hodie Weissenburg dicto, quod a Rege Gall. Dagoberto anno 623 ut Principum, Comitum ac Baronum ibi educarentur liberi, conditum, ut trahit Bruschius de Episc. Germ. in Catal. Episcoporum Spirensium, sub Amelrico, Episcop. XVI., ei eidem in Chronologia Monast. in m. p 18 s. Ducali dignitate conspicuum in ejusdem nominis imperiali oppido ad Lutherum [...] dicitur, ab omni jugo Episcopali liberum, ordinis s. instituti Benedictini, quod anno 1526 in Præposituram commutatum et anno 1546 Episcopatui Spirensi incorporatus, l. c. p. 24 quod monasterium plures Episcopos Spirenses ante dederat. Quadrat in hunc nostrum [Bl. 123v] Autorem optimo jure, quod olim Vadianus in Tract. de Collegiis Monasteriisque Germaniæ veteribus scripsit: Extat apud nos SanGalli Psalterium, a Notkero Monacho, quem ob linguæ tarditatem Balbulum cognominarunt, in nostram linguam translatum, Arnolpho imperante, tam verborum difficultate, ut non nisi ab attento & immorante lectore accipi & intelligi queat. Goldast. rer. Alam. T. III p. m. 34. Recte etiam in præf. ad Lect. nec sine prægnanti ratione, monet Cl. quondam in Academia Gryphica Professor Regius, Jo. Phil. Palthenius, qui publico Tatiani Harmonia interpretem Francicum donavit, non post Willeramum ad Otfridum esse progrediendum illi, qui in Francicis

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& velit exercere, sed potius dictum Tatiani interpretem esse legendum cum Otfridus præ Tatiano & Willeramo multa habeat conforta, atque Poetarum more, licentiose dicta. Hinc etiam est, quod ipse Cl. Junius in locis a se allegatis quædam interdum expedire non potuerit, quæ aliis reliquit enucleanda. Sic in observ ad Willer. p. 172 se offert vox Nendet, et citat bina Otfridi loca, ubi nendit & nanta extat, ibidemque vir optimus aperte confitetur, se non satis exsequi proprietatem horum verborum. V. tamen indicem nostrum. Verbum, unde hæ voces supersunt, jam in nostra lingua germanica disparuit, superest in Gothica, Nenna, et Suevica, Nennas, audare, confidere agere, animum aggrediendi habere [Bl. 124r] nec fugere & reformidare. Et in Glossario Gothico p. 205 ex Otfridi L. II. c. 4 §2 citat hunc rhythmum: Er fasteta unnoto thar niuuan hunt ziti. Sed addenda sunt et sequentia a Junio omissa: Sehzug ouh miti in uuar. So ruarta nan hungar. Quod tetrastichon latine ita reddendum: Ille (Christum intellige) jejunabat difficulter ibi nongentas & sexaginta horas, tum fames eum stimulabat. Quod idem est acsi dixisset: Christus in deserto jejunabat quadraginta dies et noctes etc: Sic L. III. c. 3 §13. Man armer thehein, nullus vir pauper, ubi divitem intelligas oportet. Kein armer Mann, das ist ein reicher. Et sic sensus facile fluit. Disseruerat enim Otfridus citato cap., quod Christus ad Centurionem, cujus servus languebat, non rogatus sponte se venturum, servumque sanaturum dixisset: Regulo vero petenti, ut se inviseret et secum in domum suam descenderet, et filium sanaret præsens, id denegarit, & tantum eundem domum discedere jusserit, etsi hic ditior & potentior Centurione fuerit, cum Salvator non respiciat potentiam & opes. Ac nos contra, inquit Otfridus, infine sortis homines nihili æstimamus; sed cum præ[...] nos vocat & invitat, ei prolixas agimus gratias, & honoris causa [...] ei invocamus. Consultatur auctor, et patebit quod dixi, ut adeo ex adductis constare satis arbitrer, quod de ejus utpote Poetæ, difficultate supra asserui. Pro majori confirmatione dictorum addam adhuc unicum exemplum, quod exhibet Auctoris nostri L. IV. c. 6. §24. [Bl.124v] Zalt er in sum sibun uue. in einemo ist zi uilule. Denunciabat illis speciatim septies væ, & unum ad huc insuper i. e. Christus denunciabat ipsis octies væ. Cæterum difficultas hujus nostri Otfridiani carminis cum partim in verbis partim in rebus ita sit, illi Indice siue Glossario adjuncto consuli potest; at vero sunt & alia quadam, Grammatica quidem, sed quæ ad eam artis Grammaticæ partem, quo Glossaria, Vocabularia, & Nomenclatores, referenda non sunt, sed ad aliis Grammatices partes orthographiam scilicet, syntaxin & prosodiam, de quibus in Observat. Grammat. Franco-Theotiscis pluribus agendum. Quod vero ad res attinet, multum ad expeditiorem intelligentiam eorum, quæ in præfationibus suis & L. I. c. I. Otfridus recenset, videtur, si faciem temporum illorum, quibus Otfridus scripsit, & seriem rerum gestarum noverimus. Quæ enim ex Codice Biblico, & [...] Evangeliis, narrantur, Dei gratia, constant satis, & quæ est felicitas temporis nostri (utinam eam grati agnoscamus) cuivis legere & addiscere integrum est. Ideo ea, quae ad rerum gestarum seriam ejus temporis faciunt, pauci delibabimus, ne eruditis, qui hac legere non aspernabantur, & quibus ea, quæ subsequuntur, perspecta & cognita sunt, fastidium creamus: tum quædam de con-[Bl. 125r]ditione & statu codicis authentici Augustiss. Caesarea Biblio-

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thecæ Vindobonensis, & et denique quæ de Grammaticis apicibus, de scriptura, lectione Francicæ antiquæ linguæ, de orthographia, metro, rhythme & prosodia monenda erunt, subjungemus, ea, qua longo usa ipsi didicimus, [...] aliis communicaturi, ne nobis solum legisse, collegisse, scripsisse videamus, rætius sentientium judicio ubique salvo. Sed jam ad rem. Cum præsens suum volumen Evangeliorum rhythmis Theotiscis siue Francicis conscriptum Otfridus, Wizanburgensis monachus, Ludovico orientalium regnorum Regi, Liutberto, sedis Moguntinæ Archiepiscopo, & Salomoni, Constantiensi Episcopo, & quidem singulari cuique, Regi & Episcopo Francicæ, Archiepiscopo Latina præfatione inscripsit, Epilogum ad Hartmuatem & Werinbertum, S. Galli Monachos, direxerit, constat inde facile de tempore, quo hoc scriptum natum. Etsi enim annum, quo consignatum est, præcise determinare non liceat, id tamen inde conficera pronum est, factum id eo tempore, quo quinque hi prædicti, Ludovicus scilicet orientalium regnorum Rex, Liutbertus Moguntinus Archiepiscopus, Salomon Constantiensis Episcopus, tum Hartmuatus [Bl. 125v] atque Werinbertus, S. Galli Monachi simul in vivis fuerunt, ea dignitate conspicui & statu gaudentes, quod tempus intermedium est inter annum DCCCLXIII & DCCCLXXI. Etsi enim Salomon, hujus nominis primus, quem hic intelligere fas est, Constantiensis Episcopus jam A. D. DCCCXXXI electus sit; Liutbertus tamen Archiepiscopus Moguntiacensis demum A. DCCCLXIII ad Archiepiscopatum pervenit, ita ut ante hunc annum octingentesimum sexagesimum tertium simul vixisse in ea, quæ ipsis tribuitur, dignitate & statu dici non possint. Tum porro cum Salomon Episcopus Constantiensis diem suum A. D. DCCCLXXI. obierit post illum annum, quo Salomon ultimam vitæ scenam clausit, una in vivis esse desierunt. Quid? quod & Hartmuatus, quem Otfridus Monachum S. Galli dicit, A.C. DCCCLXXII. post Grimaldum electus sit sui Monasterii Abbas v. Hepidani Cœnobitæ S. Galli Annales & Ratpertus de orig. & diversis casibus Monasterii S. Galli in Alamanni T. I. p. 1. Rer. Alam. Goldasti. Evincitur inde aportissime, ipsum hoc Otfridi opus Evangeliorum ad minimum octingentorum triginta septem annorum ætatem ferre. [Bl. 126r] Ludovicus, sive ut in ipso onomastico carmine Otfridiano dicitur, Luthovvicus Orientalium Regnorum Rex, est ille ipse, qui vulgariter Ludovicus Germanicus dici solet, Imperatoris Aug. Ludovici Pii (quem Imperatorem ideo Pium vocatum, quod in filios, Clericos & alios justo mitior & indulgentior fuerit, prudentes plurimi statuunt, cum artes belli neglexerit, in omnibus quoque vitæ imperiique, partibus incantus & infelix. Cl. Dn. Schurzfleisch, Disquisit. de divisione Imperii Carolini §VII. XLIII) filius tertio genitus, ex priori Ludovici Pii conjuge Hermingarde. Duas enim uxores Ludovicum Pium habuisse constat, Hermingardem scilicet & Juditham, ex illa ipsi nati Lotharius, Patris sacerdos & Imperator, Pipinus, Aquitaniæ Rex & Ludovicus hic noster Germanicus, ex hac Carolus Calvus qui dicitur, Franciæ Occidentalis Rex, & post fata Ludovici II. Lotharii Imperatoris filii, Augustus. Ludovicus Imperator, antequam secundum matrimonium contraxit cum Juditha, universum imperium inter filios prioris matrimonii ita diviserat, ut Pipinus quidem Aquitaniam, Ludovicus autem Bajoariam, Lotharius vero post obitum

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ejus universum imperium haberet, cui et una se vivo Imperatoris nomen habere concessit, ut Nithardus coævus scriptor, historiæ suæ, de dissensionibus filiorum Ludovici Pii Lib. I. refert. Hæc imperii divisio, cum postea ex secundo matrimonio Carolus nasceretur, origo plurimorum malorum extitit, cum Ludovicus Pius Imperator crebro instante et flagitante Juditha (quæ alias plurima consilia prava suggessit, unde seditiones natæ, quæ magnas deinde calamitates excitarunt, ut ex Annalibus Fuldensibus et aliis A. Schurtzfl. citata disquis. §XL. [Bl. 126v] annotat). Carolo, etiam imperii sive Regni partem dare, nemo vero filiorum prioris matrimonii, suo jure cedere vellet. Et ne mirum cuidam videatur et præter jus factum imperii, quod Ludovicus et ipsum imperii summi ¢x…wma et regna filiis distribuerit, quod longe a moribus nostri seculi alienum est, docet Celeberrimus quondam et præter Excellentem eruditionem et polymathiam in Historica Germaniæ scientissimus D. Conringius in censura Diplomatis Lindaviensis Cœnobii p. 81. Carolum M. jus aliquod hæreditarium ad imperiale munus impetrasse, quod in ejus posteris duravit. An vero divisio talis imperii, etsi in gente Francorum, jam ante aliquoties contigerit utilis et prudentiæ Politicæ conveniens sit, alia quæstio est, quam negandam censemus. Ex hoc, quod supra indicavimus Ludovicum Germanicum a patre vivente Regem Bajoariæ constitutum esse, ita tamen, ut patrem Imperatorem agnosceret superiorem, discimus etiam tempus, quo Otfridi carmen conscriptum, non quadrare huic ætati Ludovici Regis, qua solum Bajoariæ Rex dictus, sed posterioribus annis, cum Otfridus eum diserte Orientalium regnorum Regem vocet, quo titulo demum post fata Patris Ludovici Pii quod anno DCCCXL. XII. Cal. Jul. contigerunt usus, ita ut is annus initium Regnorum Orientalium Ludovici dicatur, cum Patre superstite solo [Bl. 127r] titulo Regis Bajoariæ contentus, ab alio titulo, etiam Imperatorio, eo defuncto, abstinuerit. Etsi enim jure quidem ipsi debita fuit imperatoria dignitas defuncto Ludovico II. Lotharii filio, Aug. cum tamen Carolus Calvus minor frater uterinus, favente Papa Johanne, ipsi dignitatem hanc præripuerit, eo non usus est titulo. ut in prælaudata Censura Diplomatis Lindaviensis Dn. Conringius p. 78 sequ. egregie ostendit. Et quamvis Rex noster Ludovicus Germanicus vir justus, gravis et vanitatis osor, in historia ejus ævi dicatur, non tamen dissimulandum, quod Nithardus aliique Historici narrant, eum rebellionis reliquorum filiorum in Pium Patrem, consortem fuisse, cum in campo, inter Argentinam et Basileam, in quo Pater Augustus instructa acie filiorum rebellium copias expectabat, a quam plurimis vero suorum fidelium vasallorumque desereretur, unde campum mendacii, Theganus nominatum fuisse scribit, eo quod ibi plurimorum fidelitas extincta sit, quemque inde, Franci ipsi, sive Germani, das Lügen=Feld, appellaverint, quem locum Reinesius V. Lect. Lib. II. Cap. XVI p. 269 accuratius inquirendum monet. Vid. Theganus § XLII. Emendavit tamen, ut potuit, Ludovicus Rex hanc culpam, cum Ludovicus Pius Imperator, Pater cum filio Carolo, natu minimo, a filio Lothario sub libera custodia servaretur, Pipino et Ludovico Germanico, accurrentibus, regina et fratres Patri restituerentur, ac plebs universa ditioni ejus se subderet, præ[Bl. 127v]sertim cum fatali hora instante. Pater Pius, monentibus viris Ecclesiasticis, qui aderant, de Ludovico: ego, quod meum est ago, vobis testibus et

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Deo, omnia quæ in me peccavit, illi remitto testatus sit. V. Vita Ludovici Pii m. p. 425, quæ oratio Patris non parvo solatio indubie Ludovico cessit. Sed his dissensionibus Patris et filiorum diutius non immorabimur, cum ad scopum nostrum et textum Otfridi non faciant, qui eas cognovisse desiderat, Historicos ejus ætatis consulat. Divina interim eaque justissima providentia Ludovicum nostrum eadem adversa a filiis suis experiri permissit, dum et filiorum suorum rebellionem sentire coactus est. Scopum nostrum propius respiciunt bella filiorum Ludovici Pii, quæ inter se magna animi contentione et omni qua polluerunt vi, plus una vice acerrime decertarunt, Hos inter enim concordia rara fuit, et præcipue Lotharius Imperator, defuncto jam Patre, A. D. DCCCXL.XII. Kal. Julii, ut supra diximus, Ludovicum Germanicum et fratrem juniorem Carolum, post Imperatorem et Calvum dictum, omni nisu et astu opprimere studuit. Pipinus enim Aquitaniorum Rex jam Patre superstite, anno a Christo nato DCCCXXXVII. mense Novembri diem suum obierat, testantibus annalibus incerti Autoris Pithoei, edition. Wechelianæ, relicto filio homonymo, [Bl. 128r] qui Metis a Drogone, Episcopo et agnato educabatur. Lotharius enim Imperator, solam Bajoariam Ludovico, Carolo vero Vasconiam permittere statuerat. Primum prælium inter Lotharium Aug. et Ludovicum Regem contigit, cum Imperator Wormatiæ cum copiis suis Rhenum trajicerit, et Ludovicum ex improviso obrueret, qui a plurimis, in quibus magnam spem habebat, pene desertus, fere in ejus potestatem venisset, nisi cum paucis suis fuga elapsus, in Bavariam, ut hodie dicitur, se subduxisset, et periculum declinasset. Huc sine dubio respexit Otfridus, dum in præfatione sua prima ita de eo scribit: Ofto in noti er uuas in uuar. thaz biuuankota er sar Mit Gotes scirmu scioro. ioh harto filo zioro i.e. Sæpe in necessitatibus erat, sed has evitabat confestim, divina protectione solum, ac valde decenter. Alterum prælium acrius longe et magis grave fuit, cum Lotharius fratrem Carolum Francorum Occidentalium Regem evertere, eique regnum eripere statuisset, atque in ipsum numerosum exercitum duceret, et ne Ludovicus fratri suppetias ullas ferre posset, copias satis firmas, ut putabat, cum Duce, Comite, Adelberto, reliquit, quæ [Bl. 128v] ipsum aditu prohiberent. Sed Ludovicus fratris Caroli nunciis ac precibus solicitatus, et, quod commune periculum cerneret; fratre enim Carolo oppresso, omnem belli molem in se conversum iri, facile persensit; per Sueviam tendens Cæsaris Lotharii copias obvias habuit, quas fortiter profligavit, cæso Duce Adelberto, qui Autor belli Lothario fuisse creditur, cum fratre Carolo, qui ad Mosam flumen inter ea progressus fuerat, exercitum junxit. Contigit tum calamitatosissimum ac detestabile et in omni historia memorabile prælium, quod inter filios Ludovici Pii, Lotharium Imperatorem ex una, et Ludovicum Germaniæ et Carolum Galliæ Reges, ex altera parte commissum est, et summa contentione pugnatum, tot præterea cædibus insignium ac nobilissimorum hominum nobilitatum in pago Autissiodorensi, propter urbem Alcedronensem, ut a Nithardo Lib. II de dissensionibus filiorum Ludovici Pii, et aliis, qui, ut Baluzius præfatione ad Rhabani Mauri Epistolam ad Heribaldum, adjecta Reginoni de disciplina Ecclesiastica §XIX. observat, circa Rhenum et Mosellam

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per ea tempora scribebant, vocatur, quæ ab aliis Autissiodorensis urbs, aut Autissiodorum dicitur, juxta villam Fontinatam, sive villam Fontiniacum, unde prælium Fontiniacense dici solet. Fontiniacum Lat. Fontinidus pagi Altissiodorensis locus nonnullis audit. vulgo Fontenaj. [Bl. 129r] Conring. de Fin. Imp. in annotat. p. 9. Cœterum urbs ipsa Autissiodorum, Alcedronensis urbs, hodie Auxerre, teste Ortelio in Thesauro Geographico, in Burgundia superest. Hac pugna tam acriter et strenue decertata est anno DCCCXLI VII. Calendas Julii, hora videlicet diei secunda, ut probatissimorum Historicorum calculo, ad centum millia hominum occisi, et flos ipse Nobilitatis Germanicæ et Francicæ occubuerit, victoria tamen a partibus Ludovici et Caroli Regum stetit, et ut Nithard Lib. III. initio, more istius seculi, ait, Lotharius judicio Dei, et hac plaga repressus, et triduanum jejunium celebratum est. Et licet Imperator Lotharius bellum redintegrare plus una vice studuerit, tamen viribus suis diffidens nihil memorabile gerere potuit; sed sæpius suis metu superioris cladis, territus, et profugus fuit. Ludovico et Carolo Regibus ansam dedit copias suas iterum conjungendi. Ergo anno 842 XVI. Kal. Martii (sunt verba Nithardi Lib III m. p. ) Ludovicus et Carolus in civitate quæ olim Argentina vocabatur, nunc autem Strazburg vulgo dicitur, convenerunt, et Sacramentum, Ludovicus Romana, Carolus vero Teudesca lingua dixerunt, nec solum Reges audiente populo juramenta præstiterunt invicem, sed et populus ipse pro se, in majus firmamentum fidei solenni juramento se obstrinxit. Hac juramenta quia a pluribus quidem relata sunt, et de verbo ad verbum expressa, quia tamen, quod ad voces, maxime variant, et vitiosissime expressa, vitio descriptorum, ut puto, qui minus antiqui idiomatis gnari fuerunt, eadem hic apponam. [Bl. 129v] Sic autem Carolus lingua theotisca sive Francica antiqua Ludovico juravit: In Godes minna, indi duruh thes Christianes folches indi unser bedhero gihaltnissi, fon thesemo dage frammordes, so fram mir Got giwizzi indi maht furgibit, so hald ih thesan minan Bruodher, soso man mit rehtu sinan bruodher scal: in thiu thaz er mih so sama duo, indi mit Lutherem inno theheini thing ne gigango, thaz ce minan willon, imo ce scadhon werthe. i.e. In Dei amore (sive ita me Deus amet) et propter Christiani populi, et nostrum utriusque conservationem, ex hoc die in posterum, quatenus mihi Deus intellectum et potentiam concedit (sive ut Nithardus L. IIII in quantum nosse ac posse Deus mihi concedet) ita habeo hunc meum fratrem, sicut frater per justitiam fratrem suum habere debet, et cum Lothario nullum pactum inibo, quod ipsi per meam voluntatem, in damnum cedat. Sacramentum populi Regis Ludovici, Carolo præstitum lingua eadem, sic habet: Oba Karl then eid, then er sinemo Bruodher Ludhwige gisuor, gileistit, indi Ludhuwig min herro then her imo gisuor forbrichit, oba ih inan es aruuenden nemag, noh ih, noh thero thehein es arwenden mag, widar Karle imo ce follusti ni wirdih. i.e.

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[Bl. 130r] Si Carolus sacramentum hoc, quod suo fratri Ludovico juravit, præstat, et Ludovicus Dominus meus, quod ipsi juravit, violat, si ego eum inde avertere non possum, neque ego neque ullus eorum id avertere possum, contra Carolum ipsi adjumento ego non ero. Quia Carolus et populus Ludovici una Theotisca, Ludovicus et Caroli populus Romana, rustica illa et vulgari, unde Provincialis, ac demum hodie usitata Gallica profluxit lingua, vice versa Ludovico, ejusque Populo solenniter jure jurando repromiserunt. Sed redeamus e diverticulo in viam. Post ferale illud Fontiniacense prælium, divisio regnorum inter fratres incepta quidem, sed anno 843. tandem exitum sortita, arbitris proceribus Imperii et Regnorum electis, qui primo Confluentiæ convenientes negotium ad finem perducere nequierunt, quod Lotharius nimia regnandi cupiditate in census æquis postulatis resisteret, tempusque traheret, et more suo tergi versaretur. Tandem ad Virdunum, Galliæ civitatem, ut Auctor Annalium Bertinianorum tradit, convenerunt, ibidemque juris jurandi religione munita Ludovico omnem regionem quæ nobis cis Rhenum et ad orientem ejus est, addixerunt, tum etiam urbes quasdam ad alteram Rheni ripam, quod cis Rhenum vinearum copia tunc temporis nondum esset, Wormatiam scilicet, Spiram et Moguntiam, Lehmann. Chronico Spirensi, L. III. c. 40. et quamvis Aventinus addat Argentinam, tamen rectius docet Conringius in Censura Diplom. Lindav. p. 86 Argentinam, demum in illius ditionem pervenisse, anno Chr. DCCCLXX facta divisione Lotharingici Regni cum fratre Carolo Calvo, vid. ejusdem tractatum de Finibus Imperii, Cap. VII. illo autem septuagesimo seculi noni anno, jam annum trigesimum regiæ suæ in Orientali Francica potestatis numerabat Germanicus Ludovicus. [Bl. 130v] Ubi notari inprimis meretur, summum Francicæ imperium, triplicem Franciam sub se habuisse, Occidentalem, Orientalem et Mediam, quod ab Imperio Romanor. ac regno Italiæ sive Longobardia distinguebatur, diversumque erat. Ut adeo Lotharius Imperator ratione imperialis ¢xièmatw aut Francicæ mediæ nihil sibi juris in orientalem a occidentalem Franciam, quod fratribus obvenerant, asserere potuerit, etsi subinde ex capite hujus tituli aliquid ultra tertiam partem in Regni divisione a fratribus petebat, ut ex Nithardo constat. Bella Ludovici tum per se, tum per filios atque Duces et comites contra Slavos, Venedos, Sorabos gesta, hic recensere ab instituto nostro alienum est, atque nimis hoc loco prolixum foret. Id tamen ad laudem fortitudinis Ludovici Regis maxime pertinet, tum quod Otfridus in præfatione ad eum ita canit. §9: In sines selbes brusti. ist herza filu festi. In ejus pectore est cor firmissimum, atque eum Davidi confert. Tum quod hostes per suos Francos sæpius represserit, magnisque cladibus domuerit, et Imperio ejus audientes esse compulerit, quod et Otfridus noster Lib. I. cap. 1 §38 digitum intendit cum ait: Sie sint filuredie. si fianton zirettine / Ni gidurron sie es biginnan, sie eigun se ubaruuunnan / Liut et usque ad verba: iz mit in fehte. Qui plura de gestis Ludovici Germ. nosse desiderat, consulat coævos Historicos, et quæ ex iis collegit Aventinus [Bl. 131r] Lib. IV. Hinc defuncto demum

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Ludovico nostro, cujus fortitudine retinebantur in obsequio, insolentiores facti, sub jugum missi, Slauui, Venedi, Sorabi, quod Helmoldus Lib. I. cap. VII Chronici sui his verbis refert: Post mortem Ludovici Regis Germaniæ effera barbaries laxis regnabat habenis. Nam Boemi, Sorabi, Sasi et cœteri Slaui, quos ipse tributis subjecerat; tunc servitutis jugum excusserunt, et annales Fuldenses ad Ann. DCCCLXXVII. Slaui, qui vocantur Linones et Siusli, eorumque vicini, defectionem molientes solitum dare censum renuunt, quorum annalium auctorem Goldastus statuit Strabum Fuldensem. Magno itaque adjumento et gloriæ virtus Ludovici nostri Germanico Populo fuit, ut adeo non immerito Otfridus ejus virtutes decantet in dedicatione et præloquio ad ipsum. Floruit et æquitatis, Sapientiæ et eloquentiæ laude, unde Otfridus inter alia ita canit § 7.8.9: Uuanta er ist edil Franko. uuisero githanko, / uuisera redinu. thaz duit er al mit ebinu / managfalto guati. bithiu ist sinen er gimuati / Cleinero githanko so ist ther selbo Franko. / hoc est: Si quidem ille est nobilis Francus, sapiens in cogitationibus / Prudens in sermone, hoc facit omne æquitate / Varia bonitate, ideo suis est benignus, / Subtilis in perpendendo. talis est ille Francus. Deprædicant easdem in ipso virtutes ejus ævi Historici, et Specimen eloquentiæ ostendunt, quæ Nithardus recenset Lib. III. ab ipso juramento suo in publica concione populi et primatum Regnorum et Franciæ præmissa. [Bl. 131v] Mortalitatem demum gloriosissimus, et ut in brevibus Papalibus salutatur, Sublimissimus Rex, explevit, debitumque naturæ solvit anno a Christo nato DCCCLXXVI die XXVIII. Augusti sive V. Cal. Sept. Laureaci in Palatinatu Rheni sepultus, et quidem in Monasterio D. Nazarii, videatur Aventinus cl. Lib. IV edit. Germ. p. 607. Regina conjux vocatur Emma, aut ut quidam habent Hemma, Hispana, filios superstites habuit, Carolomannum, Ludovicum et Carolum, cum filia Hildegarda, quam quidam, sed minus recte, Liutgardam, dicunt. Nam Hildegardam vero nomine vocatam, ostendit Diploma quod dedit Monasterio Sancti monialium Tigurino cui Hildegardam Abbatissam præfecit, ut id a Dn. Conringo in elaboratissima sua Censura Diplomatis Lindav. p. 960 optima fide productum. Conjugem itaque cum Ludovicus Rex noster habuit, atque ex ea liberos utriusque sexus, hinc est, quod Otfridus ita vota faciat: §42. Allen sinen Kindon. si richiduam mit minnon / Si zi Gote ouh minna. thera selbun Kuniginna / Euuiniga drutscaf niazen se iamer soso ih quad / in himile zi uuare, mit Ludouuige thare. Nec solum virtus et pietas optimi Regis hanc a subdito Otfrido devotionem meruit, sed et publica vota universæ Ecclesiæ Germanicæ, unde et in Litania, quam Goldastus inter Alemannica monumenta tomo II. parte I. m. p. 136 exhibet, ita pro eo intercedit: [Bl. 132r] Exaudi Christe RP. HLVDOVICO a Deo coronato magno et pacifico Regi, vita et victoria etc: item. / Exaudi Christi RP. Hemmæ Reginæ nostræ vita etc: / Exaudi Christe RP. Nobilissimæ PROLI Regali vita. Sigillum et imaginem cum Ludovici Pii, Augusti, qui videre desiderat, laudatum Dom. Conringium sæpe citati tractatus p. 363.369 et pag. 34.333 evolvat, et huic quidem in margine circumscriptum legitur: Christe protege HLUDOWI-

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CUM IMPERATOREM; illi vero: Christe protege LUDOVICUM REGEM. Sed hæc de Ludovico e Rege sufficiant. Pergimus jam ad Liutbertum, urbis Moguntiacensis Archiepiscopum Rhabani Mauri in sede illa successorem, quam anno Christi DCCCLXIII. occupavit, et anno DCCCXXCIX. vacuam reliquit. Fuit is pro more ejus temporis Episcopus miles. Sic n. Annales incerti Autoris Pithoei, sub anno DCCCLXXIV. Sorabi et Siusli eorumque vicini Thaculfo defuncto deficerunt etc: p. 89. Qui et gratia in aula Ludovici Reg. G. valuit, nam cum anno DCCCLXV Ludovicus, junior dictus, contra patrem rebellaret, quod Carolo Magno fratri propensior videretur, illi concessis, quæ in suum dedecus et detrimentum interpretabatur facile victus Liutberti Moguntiaci Archiepiscopi autoritate paternam gratiam recepit. Huic Liutberto rationem sui scripti reddit Otfridus quod a quibusdam fratribus, et præsertim a veneranda matrona Juditha, rogatus id susceperit, ut partem Evangeliorum eis Theotisce conscriberet. Quænam hæc matrona Judith fuerit, affirmari certo nequit. Duas equidem [Bl. 132v] ejus nominis hoc ipso tempore vixisse constat, scilicet Juditham, posteriorem Ludovici Pii conjugem, Augustam, et Caroli Calvi filiam, Ludovici Germanici septem, de qua Regino Lib. II. cap. CLXXXVII. Filiam nostram Judith viduam secundum leges divinas et humanas sub tuitione ecclesiastica et Regio mundiburde constitutam Balduinus sibi furatus est uxorem. Capit. Kar. Calvi Tit. 30 c. 5. Sed an alteram harum indigitet Otfridus, non liquet. Finem vero indicat, ut aliquantulum hujus (Evangeliorum) cantus lectionis ludum secularium vocum delerat, et in Evangeliorum propria lingua occupati dulcedine sonum inutilium rerum noverint declinare, quæ sunt ipsissima Otfridi verba. Qui conatus et labor profecto in viro Ecclesiastico et Monastico voto astricto merito laudandus. Quod vero Otfridus de barbarie linguæ suæ Francicæ asserit, quod sit inculta et indisciplinabilis, atque insueta capi regulari freno Grammaticæ artis, et in multis dictis scriptio propter litterarum aut congeriem aut incongruam sonoritatem difficilis: Recte Dn. Lambecius in eruditissimis suis de Biblioth. Cæsar. Comment. observat, solum in causa fuisse, quod hæc lingua difficilis visa, unde nullos nisi serios cultores nacta; longe aliter se jam rem habere, atque linguam Germanicam jam per ses qui seculum et diutius expolitam majorem cultum adeptam, cum et Latina lingua usu virorum [Bl. 133r] eruditorum talem ornatum adepta sit, quem in seculi aurei tempore ostentat. Quin et constat quam etiam seculo illo aureo sermo vulgaris et plebejus longe alius atque a Ciceronis et aliorum elegantiæ sermonis cultorum diversus fuerit. Sed ut ut hæc ita se habeant, advertendum est; præter ea, quæ Lambecius hac de re habet, quod cultum Germanici sermonis non parum impedivit, quod antiquitus ad leges negotia et historias conscribendas soli adhiberentur Clerici, viri Ecclesiastici ordinis, qui Latine docti erant, laici vero etiam Nobilissimi viri arma et civilia negotia tractarent et ministeria Regum et Principum obirent. Unde Clerici, qui Latine, etsi barbare scribere didicerant, Theotiscam linguam spernebant, et ut Otfridus in hac de qua agimus præfatione, libere eloquitur lingua hæc velut agrestis habita, dum a propriis nec arte aliqua ullis est temporibus expolita. Clerici vero illi, quia Latine docti erant huic porro falsæ hypothesi inutriti erant,

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linguam Latinam omnium reliquarum linguarum esse normam et regulam, et quod ad eas non quadrabat, aut sub eas regulas redigi respuebant, id esse irregulare, aut barbarum, nulla ratione habita genii et indolis cujusque linguæ. Sic contemta ars Grammatica Theotisca jacuit, ut et hodie a plurimis sit, qui ea quæ non didicerunt, spernunt, et verbis quantum possunt, elevant, quibus multi a studiis severioribus, [Bl. 133v] sine quibus tamen ad altiora eniti nequeunt, retinentur, et avocantur, ii præsertim, qui saltem ea curant, quæ prÕs ¥lfita faciunt. Accedimus ad tertiam præfationem sive dedicationem, quæ Francice ad Salomonem Episcopum Constantiensem ejus nominis primum, ut recte observat Dn. Lambec. non II.dum qui anno DCCCLXXI ei in Cathedra fauessit, directa est. Fuit et is Salomon I., ut ex historiis constat, a Rege Ludovico Germanico multis negotiis adhibitus, ac proinde ei gratus. Id solum hoc loco, quod nos propius tangit, referam, scilicet quod a Rege Ludovico ad Papam Nicolaum I. missus Diplomata duo, alterum de confirmatione Ramsolæ, alterum de conjunctione Ecclesiarum Hamburgensis et Bremensis attulerit, quæ et apud Maderum in appendice ad Adamum Bremensem, Lambecium in Originibus Hamburgensibus, et Lindebrogium legi possunt. Et huic Otfridus bona quæque precatur, eumque laudat, qui ipsi etiam autor extiterit scribendi sui carminis Evangelici. Dum eum ita affatur: Si salida &c. usque: zuuiualta. Epilogus voluminis Otfridiani Evangeliorum, qui itidem, ut Præfationes ad Regem Ludovicum et Salomonem Constantiensem Episcopum, singulari arti[Bl. 134r]ficio conscriptus est, ita ut quodvis tetrastichon, unam inscriptionis OTFRIDUS WIZANBURGENSIS MONACHUS HARTMUATE ET WERINBERTO SANCTI GALLI MONASTERII MONACHIS: literam a capite ad calcem ab initio contineat, inque eandem desinat. Causa et occasio amicitiæ Otfridi cum Hartmuto et Werinberto fuit, condiscipulatus eorum sub Rhabano Mauro, utpote cujus omnes tres uno eodemque tempore fuerunt auditores et discipulis, ut ex Trithemio refert P. Lambecius. Et imprimis de Hartmuto Abbas Trithemius affirmat, in Catalogo Illustrium Virorum, eum fuisse virum undecunque doctum, ingenio subtilem, eloquio disertum, vita et conversatione devotum, Græcæ, Latinæ et Hebraicæ linguæ peritum, adde et Arabicæ non ignarum, qui et post mortem Grimoaldi, in Abbatem Monasterii S. Galli, cujus erat Monachus, anno DCCCLXXII electus, qui tamen Anno DCCCLXXXIII, se abdicavit. Conf. Ratpertum et Ekkehardum juniorem, de casibus Monasterii S. Galli, apud Goldastum rerum Alamannicarum Tom. I. Ipsum vero nomen Hartmuti Germanicæ est originis, notatque firmi et fortis animi virum Werinbracht et Lat. Werinbertus etiam S. Galli monachus fuit, vir, ut loquitur Trithemius in allegato illustrium virorum Catalogo, in divinis scripturis eruditus, et in secularibus literis egregie doctus, Philosophus [Bl. 134v] clarus, Poeta insignis, Græci sermonis non ignarus, cujus etiam sermones, hymni et cantus, quos in honorem Domini nostri Jesu Christi, et Sanctorum composuit non tacentur. Est et hoc ipsum nomen Werinbertus, sive Werinbracht, vere Alamannicum, ex Weren, defendere, et bert, pert, precht, pret, clarus, illustris, unde et substan-

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tivum Pracht, splendor, decus, oritur, ut Werinbracht sit celebris defensor, sive ob defensionem et tuitionem celebris. Et ut Epilogi hujus epilogum tandem finiam, duo restant de hoc monenda: Alterum; quo duo ultima tetrasticha non sint Acrosticha, sive non contineant ullas superius in digitatæ [?] inscriptionis litteras, utpote quæ jam absolutæ et finitæ, quod et jam Dn. Lambecius monuit; Alterum, quod ultimum tetrastichon sit votum ad totum conventum sive coetum Monachorum Monasterii S. Galli, quod quidem tale est: Joh allen io zi gamane. Themo heiligen gisamane / thie dages ioh nahtes thuruh not, thar / Sancte Gallen thionont. hoc est: imo etiam omnibus ad gaudium, (scil. quod in præcedentibus dixerat, sit æterna salus) illi sancto coetui, qui die nocteque ex officii ratione, ibidem Sancto Gallo serviunt. [Bl. 135r] Sed quid? anne Monachi atque totus conventus serviunt S. Gallo, quæ hæc, diceret quis non sine ratione, servitus et dulia si non idololatria, id equidem negari non potest, Otfridum nostrum, qui fuit nævus illius seculi, statuisse et approbasse cultum et invocationem Sanctorum, longe vero eum ab ista fuisse opinione, Sanctis diu noctuque serviendum esse. Sed verba Poetæ nostri, sic recte accipi possunt, quod ea ratione et modo, quo Sanctus Gallus olim in illo loco Trinunum Deum coluerat et celebraverat, colant et celebrent. Quæ et ratio et causa est regularum monasticarum, ut ad præscriptum modum qui Monasteria ingrediuntur, viviant, et cultum divinum peragant, atque ita Monachi S. Galli omnes suas actiones ad morem modumque, quem olim S. Gallus observavit, exsequantur, et si quid video, clare, id colligitur ex Ratperti, Monachi S. Galli, libro de origine et diversis casibus Monasterii S. Galli in Alamannia, qui Cap. I. Syntagmatis Goldastini, part. I. ita refert: B. Gallus studiose cœpit inquirere locum in eremo ex alia parte castri præfati Alpibus contiguo, divinis famulatibus aptum, quem et inventum aquis planitieque jocundum, Duce quodam Willimari bres-[Bl. 135v]byteri Diacono, nomine Hiltibolt, cum gratulatione excepit non minima ipsumque locum jejuniis et orationibus consecrando cellulam, in qua ipse, et cum eo Domino servituri commanerent, celeriter ædificavit. Sufficerent hæc, nisi paucis etiam de Francis, quos tum in præfatione ad Regem Ludovicum, tum Cap. I. Lib. I. magnis laudibus celebrat Autor noster agere ratio instituti juberet. De origine Francorum vero tenendum, quosdam e Trojæ ruderibus eos educere, de qua fabula in eruditissima observatione, quæ Chronico Jacobi Konigshovii num. quinta est adjuncta D. Schilterus, agit eamque refutat, et unde illa orta, ex historia monstrat. Tangit et illam anonymus autor rhythmi de S. Annone, dum §VI, ita loquitur: Die Trojanischen Vranken, / Sie sülen es ie mir Gode danken, / Daz her un so manigen heiligen gesant. Ubi consule Autorem notarum dicto loco, sub nomine Martini Opitii adjectarum, ita ut tempus in ea fabula explodenda terere, sit eo abuti. Alii originem Francorum ex Macedonia et popularibus Alexandri M. accersunt, quam opinionem [Bl. 136r] et Otfridus noster refert, an approbet, non liquet, lib. 1 c. 1. §44. hisce verbis: Las ih iu in ala uuar. in einen buachon, ih

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uueiz uuar, / Sie in sibbu io in ahtu. sin Alexandres slahtu, / Ther uuorolti so githreuuita, mit suuertu sia al gi- / streuuita / Untar sinen hanton. mit filu herten banton. / Joh fand in theru redinu. thaz fon Macedoniu / Ther liut in giburti. gisceidin er uuurti. Lapsus est tamen in interpretatione horum versiculorum Excellentissimus vir, dum dicta observatione V. ad Konigshovii historiam Germanice conscripta, p. 475 vult Otfridum asserere, quod Franci septem aut octo præliis Alexandri M. interfuerint, verbis hisce: Sie in sibbu ioh in ahtu Sin Alexanders slahtu, quæ verba hoc minime volunt, sed ita reddenda: Franci, qui subjectum orationis, ut vocant Logici, constituunt de quo agit Otfridus, illi sunt in cognatione et existimatione ejusdem cum Alexandro stirpis a[ut]. generis; Conferatur eadem phrasis in Præfatione I. §28 Sib enim, Sibba, non notat septem, quod Otfrido alias est Sibini, sed stirps, cognatio, et ahta est existimatio hoc loco, Slahta, hic genus unde hodie dicimus, Geschlecht, non prælium quod Otfrido est uuig, quamvis non negem alicubi Otfrido slaht esse cædem, occisionem, unde Manslaht, homicidium a man, homo et slahan, cædere, percutere, item in illis Otfridi Lib. 1. cap. XX. §2 de Herode infantes Bethlemiticos per milites interficiente loquentis: [Bl. 136v] Er santa man manage. mit uuafanon garauue / ioh datun se ana fehta mihila slahta, i. e. Herodes mittebat homines multos armis instructos, qui faciebant, absque pugna, magnam stragem. Sed mittamus fabulosas Francorum origines. Cui volupe est, consulat Historicos, etsi magno studio eos evolverit, et non multo hac in re se incertiorem quam ante dimissum sentiet, habet quod gaudeat. Incertæ enim valde sunt origines gentium, quas ex migrationibus populorum dicere studuit jam olim Lazius, in vasto suo de hac materia conscripto opere, sed non omnium eruditorum calculum meruit. Destituit nos in plurimis historia, unde post exhaustos multorum annorum labores, demum in eam perductus sententiam, quam suis rationibus innixam teneo. Certissimum argumentum originis populorum esse communionem linguæ, utut dialecto variatam et certa ratione mutatam Inde porro prono alveo fluit, Saxones nostros et Anglo-Saxones ejusdem fuisse stirpis, Gothos in Suecia et Mœso-Gothos, unius esse stirpis et generis. Francos, Alemannos, et multos alios, qui eodem idiomate gaudent, non esse diversos genere, sed ejusdem originis. Perpende hæc, Optime Lector, mihi non vacat jam pluribus hæc persequi hoc loco, ne præfatio nostra nimium excrescat, modumque excedat, cum adhuc alia agenda suppetant. [Bl. 137r] Laudes Francorum brevibus percurremus Otfridus Lib. I. c. I. §53 seq. illorum pietatem et ingenium studiis aptum celebrat: Uuanta allaz thaz si es thenkent. sie iz al mit gote uuirkent. / Ni duent si es uuiht in noti. ana sin girati. / Sie sint gotes uuorto flizig filu harto. / Thaz sie thaz gilernen thaz in thia buach zellen. / Thaz sie thez biginnen. in uzana gisingen. / Joh sie iz ouh irfullen mit mihilemo uuillen. Fortitudinem & laudem bellicam, qua Franci floruere, ita canit. L. I. c. I. § 29.30.: Ziu sculun Francon so ih quad Zi thiu einen uuesan ungimah. / Thie liut es uuiht ni dualtun Thie uuir hiar oba zaltun. / Sie sint so sama chuani Selb so thie Romani. / Ni tharf man thaz ouh redinon Thaz Kriachi in thes giuuidaron.

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[...] [...] §40. seq.: Ih uueiz iz Got uuorahta Al eigun se iro forahta. / Nist liut thaz es biginne Thaz uuidar in ringe. / In eigun sie iz firmeinit Mit uuafanon gizeinit. / Sie lertun sie iz mit suuerton Nalas mit then uuorton. / Mit speron filu uuasgo Bithiu forahten sie se noh so. / Ni si thiot thaz thes gidrahte In thiu iz mit in fehte. / Thoh Medi iz sin ioh Persi. Nubi nes [!] thi uuirsi. Prudentiam œconomicam §31. ita dilaudat: Sie eigun in zi nuzzi So samalicho uuizzi / In feldo ioh in uualde So sint sie sama balde. Ubi et in sequentibus de Francis ait, quod terram bonam & cultui aptam non negligant, sed probe excolant ingeniosi artifices, variis utentes instrumentis artis, imo et effordiant dona Divinæ bonitatis, aurum, argentum, æs, cyprum, ferrum. Summatim superiora cuncta, quæ in Francorum laudem dixerat, complectitur et concludit his verbis Otfridus L. [I.] c. [I.] §56.: Gidan ist es nu redina Thaz sie sint guate thegana. / Ouh Gote thiononti alle Joh uuisduames folle. Nobilitatem quoque venerati sunt Franci. Unde [Bl. 137v] Otfridus de ipso Rege Ludovico præf. ad eum §7: Er ist edel Franko. Et quæ sunt plura, ad veram laudem Francorum pertinentia, quo & id referendum, quod jugant externi Regis non subeant, quod Otfridus tangit, illis verbis L. I. c.I §47: Nist untar in thaz thulte Thaz kuning iro uualte / In uuorolti niheine. Ni si thie sie zugun heime. Et in signum libertatis de iis tradit prælaudatus Schilterus observ ad Konigshovii Chronicon §XVII. p. 476 quod Reges multos initio habuerint, sed Duces. Restat ut jam ad ipsum opus Otfridi quod sub manu est, perveniamus, atque ea, quade dicenda, quam potest fieri brevis fine absolvamus.

1. De forma externa Codicis Msti Bibliothecæ Cæsareæ Otfridi Evangeliorum authentici Omnium optime de hoc testari potest αυτοπτηj præst. Cl vir, Dn. Jo. Philip. Schmidius, Argentoratensis, ut qui [...] Perillustri Dno. Bindero, S. Cæs. Maj. Consiliario Imperiali Aulico, ab Illustriss. et Excellentiss. Dno Comite Harrachio Summo Aulæ Imperialis Magistro, gratiosissimam juxta atque singularem plane concessionem obtinuit, Codicem istum Otfridi in Biblioth. Cæsarea extantem, domum secum asportandi integreque describendi. Ita autem ille in Animadversionibus suis Manuscriptis mecum benevole communicatis: Divina illa in codice Evangeliorum Otfridi contenta sapientia sordido omnino palliolo circumdata est: horrida namque illius est facies & ligatura. [Bl. 138r] Corium suillum fumo vel crassitie denigratum, lignoque querceo, annosam vetustatem magis ferente, eoque a vermibus pene adhuc libero, superinductum, quadratæ fore formæ codicem claudit, atque ab offensione majori contra omnem temporis injuriam hactenus præstat immunem. His ligneis ejus lateribus flavi ævi seu ex orichalco ferramenta in centris & ad omnes angulos in formam bullarum, quod vestigia monstrant, olim erant affixa, corpori tanto majus contra quoscunque inimicos assultus conciliantia robur: sed quo velut clypeo hodie spoliatum cernitur & denudatius, nisi quod in medio residuæ clausuræ, quas vulgo appellant,

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fulcrum lateri ejus uni ad huc adhæreat. Dorsum idem corium satis adhuc communit, nisi quod rubra charta recentius, invitis vetustatis gratiis, superinducta, antiquam ejus speciem decusque magis obfuscet, quam ullam majoris muniminis adferat utilitatem, in cujus dorsi partem superiore scheda ex transverso adjecta inscriptionem a Lambecii manu operi notam hanc exhibet lustrantibus: Otfridi Evangelia IV. Rhythmis Germanicis expressa. Litera præterea Tm minutæ [...] agglutinatæ schedulæ prælo impresse ordinem, quem codex in Augustissima Cæsarea Bibliotheca inter cæteros MS. Codices servat, ostendunt. Ad interiorem laterum ligaturæ partem, quam communiter hodierni Bibliopegi, ad tegendas corii vel membranæ dissectas extremitates, illi nere solent charta, membra hic adglutinata cernitur, sed quæ a latere lævo, quod principium libri respicit, soluto rursus & plane abscissa hodie disparat. Dexteri lateris membrana post calcem libri ligno adhuc [Bl. 138v] firmiter, inverso licet ordine, adhærens, antiquæ cujusdem Liturgiæ seu Missalis fragmentum, cujus partem prioris lateris resecta membrana sine dubio referebat, exhibet. Corpus itaque post nonnulla interjecta addit, in seculorum ætates firmum & durabile accepit noster Otfridus, nil enim nisi cutis est, at bis centumplicata. Numerantur autem membranarum codicis in F [?] universum folia 193, ubi pessime peccatum est, vel ab ipso Lambecio vel quovis tandem numeratore, a quo 192 saltem signata sunt, præterquam quod alias etiam quater in numerando error commissus. Histamen omnibus adnumerandum venit folium membranaceum preliminare, præfationem Otfridi ad Ludovicum Regem antecedens, ac figura Labyrinthi Cyclici insignitum, cujus circuli, a centro usque ad circumferentiam coloribus rubro flavo ac viridi iridis in modum gradatim tincti numerantur. CL. Figura hæc coæva ipsi quoque est textui, at in ejus centro inscriptæ sunt literæ PAS. a recenti manu, forte Possessoris codicis, antequam is, ut verisimilius est, in augustas Imperatoris Maximiliani, gloriosissimæ memoriæ, devenisset. Cl. Lambecius equidem sentit, codicem hunc nonnisi post Imperatoris Maximiliani I. obitum ad Bibliothecam Cæsaream pervenisse; sed cum hæc res facti sit, ut Icti loqui amant, et præsumptiones ab utraque parte militent, mittimus hanc litem. [Bl. 139r] Addimus autem sequentia Cl. Schmidii verba: Denique membrana omnes lineis pro rectitudine scriptura stylo eburneo vel simili ad regulam ductis notatæ cernuntur, verum in iis gravitas styli adeo profundos egit sulas [?], ut in una tantum folii cujusvis pagina ductæ lineæ ex altera quoque parte transparentes viam scribentibus monstrare potuerint. Illarum autem quoris folio numerantur viginti atque una, rarius viginti duæ, justo spatio distantes, quæ rursus binis aliis ad latera, pro inscribendis literis majusculis perpendiculariter sibi subordinandis, deorsum ductis clauduntur.

2. De forma scripturæ externa, ut et ejus dispositione & ordine 610

Accedit ea fere ad formam scripturæ Latinæ, quæ istis seculis usu viguit, et ex parte ad Anglo-Saxonicam, quam Alfredus Rex Angliæ introduxit. Unde est, ut Francica sive Alamannica ex solo charactere scripturæ a Latinis discerni ne-

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queant, nisi lectionem addas, ut sentias. Id tamen monendum, varios Descriptores Codicis Ms. Cæsarei fuisse, quod ex diversitate scripturæ apparet, cum probabile sit, Monachis Cœnobii Weissenburgensis, ubi Otfridus Presbyter degebat, Codicem hunc per pensa ad describendum fuisse distributum, unde varios statim a varia amanuensium manu characteres experiri fuit necesse, uti Dn. Schmidius bene asseruit, & vel XVI aut plures diversos Descriptores Codicis hujus MSti observavit. Exinde vero laudatus Schmidius minime permittendum asseverat, ut venerandæ vetustatis dignitati pretio-[Bl. 139v]sissimi Codicis Otfridiani quidquam decessisse dici queat, quin potius audaciter asserendum, opus a capite ad calcem scribarum regnare manus, inbutas nempe omnes, quotquot earum exarando codici adnota fuerunt, forma scribenda Gothica, tempore illo usitata, diversimode licet, quoad differentes scribentium manus, substantia & similitudine characterum semper retenta, expressas. Vide integrum literarum Schema, quibus codicis scriptura constat, in tabula observationibus Grammaticis Franco-theotiscis principio capitis I inserta, in conspectum tuum Lecor Benevolo propositum.

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[Spatium für das nicht ausgeführte Schema freigelassen]

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Quoad dispositionem & ordinem scripturæ, notari inprimis meretur, Tetrasticha carminis istius dedicatorii, quæ Lambecius, æque ut Flacius, quatuor versibus totidemque lineis repræsentavit, duobus saltem versibus seu lineis in Scriptura originali absolvi, eademque scriptionis methodo universum deinceps opus concinnatum spectari. [Bl. 140r] Id quod jam ante hac in præfatione Speciminis nostri verbis Schmidianis demonstratum est. Ad formam scribendi quoque, notante Schmidio, pertinet, quod ad modum fere Elegiaci carminis Tetrasticha Otfridiana sint descripta, ita ut Rhythmus præcedens, qui semper a majuscula incipit litera, pro spatio hujusce literæ, Rhythmum sequentem, a minuscula semper inchoantem, antevertat et præcurrat. Ubi more isto olim observato, terminatio in medio versus, in fine nemper recurrit, quos versus leoninos vocabant veteres, ad quem modum paraphrasis latina Cantici Canticorum, meris hexametris constans, a Willeramo Abbate eleganter composita est. Margines autem argumenta textus verbis latinis repræsentantes, minio adscriptos esse non ab ipso Otfrido, sed ab alio viro docto, idem monuit Schmidius.

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3. De potestate literarum, sive orthographia et pronunciatione

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Progressum facimus ad potestatem literarum, earumque vim pernoscendam, ubi ratione vocalium, absque sequente vocali positarum, nihil quicquam peculiariter notandum occurrit, nisi de I, quæ interdum valet Jota Latinis. Aliud vero est, cum duæ vocales se immediate non solum subsequuntur, sed etiam ita, ut unam syllabam saltem constituent. IA. IE. IO. IU. pronuncia ut I longum. Sic occurrit apud hunc nostrum, Liabe, Liebun, Liobes, Liuben, quæ sunt voces bisyllabæ, amorem et amatum no-

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tantes, ut nos dicimus, Liebe, Lieber, unde hæc orthographia ad nos etiam dimanavit. Nota tamen de IE, re-[Bl. 140v]gulam hanc non valere in vocibus compositis, cum ratione hujus compositionis i ante e ponitur, ut in voce gienot, vel ut Flacius habet, gieinot, convenit, univit: hæc enim vox tribus syllabis enuntianda. UA, UE, pronuncia ut U longum, ut ruachit, curat, guetemo, bono, suester, soror. Vel si suavis UA recte etiam profers ut O e.g. muater, matir, moter, uuisduam, sapientia, uuisdom. Consentit Lambecius T. II p. 452 et Verelius not. ad Histor. Gothici p. 5. Sed quæ fuit combinationis hujus vocalium causa, cum tamen una saltem eorum in pronunciando audiatur? Respondeo, factum id esse ad exprimendum diductiorem syllabæ sonum & ut nimirum ejusdem vocalis repetitionem evitarent. De Bavaris enim & Austriacis G Scioppius Consultat suarum de Scholis et studiorum ratione II. p. m. 40 affirmat, quod vocales longo pronunciationis tractu usque eo producere gaudeant, ut ex singulis ternas vel quaternas [...] videantur, ut cum e.g. Aaa dicunt pro Auch, Pfaffenhoooofen, Schrobnhaaausen, Waaarle, pro Warlich, Yyynglstad, goold, eiiisen, triiinck, huut, Graaaz, etc: Inde et nos in plurimis vocibus i et e scribimus, ad ostendendum syllabæ productionem, ut notissimum, in schiessen, schieben, brief, etc: Sunt tamen loca in Cod. authentico, ubi amanuenses vocales geminarunt, ut L. IV. c. 26 et 29 et 35 ubi liib pro lib, et ziit pro zit scribitur. EI et OU sunt diphthongi, ut: Ei, ovum, ouga, oculus, frou, lætus, froh, KOU, mandebat, masticabat, käuete. [Bl. 141r] Quoad mutas vero ad modum variat scriptura et lectio: quæ tamen diversitas, ut conjicere in promptu cuivis est, ex varia dialecto et pronunciatione scribentis provenit. Sic e. g. C ante H interdum ponitur, interdum omittitur, et tamen ac si C positum esset, legendum est, ut rih: legitur rich, vindica, räche. Eodem modo Latina vox nihil, a quibusdam pronunciatur, ac si scriberetur nichil, mihi, ut michi, quamvis male. C. G. et K. interdum promiscue usurpantur et permutantur. Sic legitur apud Nostrum, Francono et Frankono, Uuirdig et Uuirdic, Githic et Githig. Item D., T. et TH. Sic Deta et Teta, Druhtin et Truthin, Dih et Thih, Blidet et Blithet. F et PH. Ut Hilfis et Hilphis. Item F et U. Sic scribitur afur et auur, filu et uilu, fon et uon. Tritum quoque est apud nostrates observante Camerario hor. subsec. cent. III. p. 269 quod pro V consonante F sonent, et contra V pro F, ut Folo pro Volo etc: Quod vitium omnibus Germanis commune, nisi instruantur recte a magistris suis, et sæpe etiam perverse Italicam et Gallicam pronunciant. Sed his diutius insistere volupe non est, cum hæc sint talia, quæ parum difficultatis habeant. Id solum notetur, veteres literam W semper fere per duo UU scripsisse, unde Sueci et Dani hodieque eam literam vocant dubbel u s. duplex U. interdum tamen ejus loco unicum tantum U exprimi, ut uuntar pro uuuntar, wunder, miraculum, dual, pro duual, [...] unde [...]. Z crebro in hac Francica lingua occurrens, non tam duriter pronunciandum, ut jam a Germanis fit, sed ut doctus ille Anonymus in suo judicio de hac lingua, Flacianæ editione præfixo, monuit, in medio ut duo s, c. g. sazin, mezent, lege

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sassin, messent. Et in fine D ut simplex sive [...] S pronunciandum, ut: thaz, faz, lege, thas, fas. [Bl. 141v] Rationes orthographicas sequentia adhuc notari merentur: 1. Nomina propria in Codice MS. authentico in medio textus non scribi majusculis literis, nisi quando in initio paragraphi aut versus occurrunt. Est quoniam majusculis literis scribi usus jam postulat, tum sæpe dubia lectio hoc pacto tollitur, et mens autoris isto modo magis patescit, nulla nobis religio fuit, nomina propria et in medio majusculis literis exprimere. 2. Voces monosyllabicæ articulorum et pronominum vocabulis præcedentibus scribendo communiter junguntur, e. g. uuanter, pro uuanta er, si quidem ille. Uuolter, volebat ille. Spraher, dicebat ille. Mohter, poterat ille. Contra præpositiones monosyllabicæ subsequentibus, suis casibus junguntur e. g. inbuachon, in libris. 3. In Msto originali voces sæpe divelluntur et separantur, quæ conjugendæ erant: et contra conjuguntur ac in unam contrahuntur, quæ separatæ et diversæ. Unde plurima errata in Flacianam editionem irrepserunt. Nam illa diviso unius vocis, aut plurium conjunctio, ex mera oscitantia aut imperitia scribarum profecta est. Plura v. in observationibus nostris Grammaticis Franco-Theotiscis.

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Per totum opus Otfridianum puncta, ad unum rhythmum ab alio separandum, in medio lineæ interposita sunt, et quidem non ad medium, sed ad basin literarum, finito autem versu, ad exitum linearum, ut & alias in textu regulariter nulla aut rarius pro distinctionis nota adhibentur. Etsi enim in antiquissimis MStis interdum videmus, puncta, commatum, loco esse adhibita, ut et Anglo-Saxonibus usitatum fuit, id tamen in Otfrido nostro non observatur. Nam quæ initio L. I. c. I. §1: frequentiore spectas in hoc tetrasticho: Uuas liuto. filu. in flize. in managemo. agaleize. sie thaz. in scrip gicleiptin. thaz sie iro. namon. breittin. ea ultra hunc locum vix alibi taliter occurrunt, minime quidem tali frequentia, ut laudatus testatur Schmidius. Unde nec facile dictu, a cujus manu, aut in quem usum fuerint cumulata, nisi quod existimare liceat, factum id pro more, quo inscriptiones lapidariæ ita per puncta, post unamquamque vocem, & olim & nunc distinctas cernere licet, quod merito in hac nostra editione omisimus, cum nulli usui ea res sit futura. Præter istum vero supra indicatum separationis rhythmorum usum, insignis alius quoque deprehenditur in segregatione vocum atque literarum, quæ, uti scribæ iniuria junctæ, vix, imo plane non aliquibus locis fuissent discretæ, locumque maximis dubiis difficultatibusque reliquissent, nisi exquitissima revisoris Otfridi forte ipsius, (quæ sunt ipsissima Schmidii nostri verba) cura atque diligentia ea omnia nunc cernere liceret complanata. [Bl. 142v] Alius iterum punctorum usus est, quando pro literis, syllabis aut verbis integris scribæ incuria omissis, aut perverse posita, vel insertionis notam constituunt, ut L. I. c. I. §15. ubi vox irreinot, correcta est in pluralem, hoc mo-

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do: irreinont: vel substitutionis, ut § ead. in voce Theheiniga, quæ ita correcta: Theheinaga, ubi i pro a substituitur; vel omnimode deletionis, ut L. II. c. 22 §71 in mitthen ubi deletio literæ h indicatur. Alius denique punctorum usus est, ad indicandam elisionem aut contractionem, inprimis in scansione versuum, in literis aut syllabis per supra infraque factam punctationem literarum elidendarum. Sic L. I. c. I. §1. Sie iro, ubi legendum siro, sie ihre. Item L. I. c. 7. §13. zi iru. jota primum habet punctum et supra et sub scriptum, zu ihrem. Neque istiusmodi elisiones in quotidiano nostro sermone & scriptis inusitatæ sunt. Sic v.c. dicimus Zur pro Zu der, Zur häupten, I. Sam. XXVI 12. pro Zu den häupten, ut exemplis pluribus non sit opus. Sic sæpius in Otfrido nostro occurrit, zen pro zi then, zu dem, zemo pro zi themo, zu dem, v. L. I. c. 9 §3. Sed etsi multa ejusmodi elisionis puncta in authentico Otfridi volumine occurrunt, non tamen in omnibus vocibus, in quibus synalœpha facienda, notatæ sunt literæ, quod mihi certo indicio est, non ab ipsius Otfridi manu illas punctationes superiores & inferiores esses profectas, verum ab alio quodam lectore pro rudioribus & in poesi minus eruditis adscriptas, quod plurimis exemplis, si res non esset ex ipsa inspectione li-[Bl. 143r]bri satis clara & ad solem posita, demonstrari posset. Tum etiam plurime contractiones ab ipso Otfrido in textu, omissis literis, quæ pro more poterant, sunt factæ. Bene interim est, quod aliquando voces plene omnibus literis, quas extra hanc contractionem habent, consignatæ sint, iisque contractionis sive omissionis puncta annotata, unde discimus & quasi manu ducimur, in aliis exemplis idem faciendum, ac fieri debere, si metrum observare velimus. E. G. L. II. c. 4 §19.: Thoh uuan ih blugo er ruarti. ubi in scansione blug pro blugo pronunciandum, etsi nullum signum elisionis sit appositum. Item L. I. c. 11 §9.: so uuara so in erdente. Ubi scandendum, sin erdente. Cæterum litera I, i in Cod. Otfrid. MS. numquam punctum habet. iò Y vero, prorsus ut in scriptura Anglo-Sax. puncto inter duo cornua posito (y) [y mit Punkt darüber, N.K.] signatum est.

5. De accentibus. Dn. Lambecius Commentar. de Biblioth. Cæs. L. II. p 421 specimen ex Otfrido se exhibiturum promittit, una cum antiquis accentibus, qui more Græcorum additi, idque ibidem præstat, & bonum illum virum, Flacium Illyricum, quem jam aperte in præcedentibus habuit, hic iterum flagellat, quasi is omnes omnino accentus in sua editione neglexerit, quod tamen se ita non habere ex inspectione ipsa cuivis patet, licet fatendum sit, editionem hanc ipsos ut plurimum non congruo loco adhibuisse. Ast vero quoties & ipse Lambecius, acutissimus Censor, ad eundem lapidem impegit, qui tamen insigni super omnes forte codice Cæsa[Bl. 143v]reo authentico potiebatur? Et quod majus est sphalma, rhythmos ipsos interdum, insigni paror£mati, male distinxit, dum e. g. l. c. p. 441 ita habet, ex Epil. §4.: Rihti pedi mine thar sine / Thie holdun skalka thine. Cum ita distinguere debuisset: Rihti pedi mine / thar sin thie holdun skalka thine. Quin & sen-

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sum depravavit, dum sine, ejus, posuit pro sin, sunt. Sed facile ejusmodi lapsus ei condonamus, & optaremus, ne tanto zelo in virum integrum, Matthiam Flacium, debacchatus fuisset, qui tam indigne tractari haud meruit, & cui pro editione sua Autoris nostri, qualiscumque ea demum sit, gratia debetur, cum et illa usui esse possit in quibusdam, qua de re post dicemus. Quod vero accentus Otfridianos attinet, quos more Græcorum Lambecius syllabis quibusdam impositos asserit, sunt illi Græcis quidem similes, non tamen omnimodo illius formæ, quam Græcorum acuti vel graves, quos tamen omnes Lambecius ad modum acutorum exformari fecit. Sunt enim quidem ex parte ut acuti Græcorum, sed sæpissime super se uncinulum habent adjunctum, qui literam sequentem quasi attrahendam monstrat, ita ut typis istis, quibus nos utimur, dextre exprimi non possint, [Bl. 144r] qua de re pluribus in specimine Otfridiano egimus. In specie vero, quod Cl. Dn. Schmidius accurate observavit, notandum regulariter istos in Codice Otfridiano vocabulis duobus bisyllabis & trisyllabis se subsequentibus numquam fere super imponi, & quod addo, eos in tertia, quandoque etiam in quarta, imo & quinta a fine syllaba, in Francica, Alamannica & Germanica lingua, contra morem Græcorum pronunciari & pro ignaris scribi posse. e. g. in mánagfalto, fórasagono; ubi tamen non putandum, accentum hunc indicare solam syllabam longam. Syllaba fal enim in managfalto æque longa est ac syllaba ma in eadem voce. Nec syllaba fo in forasagono magis longa censenda est, quam sa in hac ipsa voce. Unde jam in supra memorato specimine causas, quare accentus hi, sine ullo incommodo auto lectionis aut intellectus, omitti possint, pluribus indicavimus, præsertim cum Germanus legere Germanice sciat, et vocibus justam reddere pronunciationem, etsi accentum nullum videat expressum. Et quid denique facies voculis istis io et iu, quæ plerumque duobus, interdum etiam tribus, sed duobus posterioribusque infra conjunctis, in superiori parte vero divisis, accentibus insigniti, et in quem usum? [Bl. 144v] Dicam verbo: cum antiqui Franci æque ac Anglo-Saxones i suum, ferme ac nos hodie facimus, nullo puncto insignirent, virgulis eam notarunt, ne confusio illius literæ cum n, m, vel u fieret, quod alias in scriptura obscuriori facile posset; vel etiam hæc causa subest, ut per hosce accentus vel virgulas geminatas simul indicarent, i illud esse legendum, ut nostrum jota. Hujus enim literæ peculiarem characterem non habuerunt, ac aliquando g pro j usi sunt. Accedit & insuper alia prægnans ratio omittendi in hac editione accentum figuras, quod nulla lingua, quamdiu nationi est vernacula, habeat, aut, si habet, frequenter accentus. V. Henninium in Hellenismo suo Ñrqwidù §XVI. hac de re pluribus agentem, ad quem Benevolo Lector merito remitto, cum omnia, de hac materia quæ dici possunt, prolixe dixerit. Non inopportune, quod ad accentus de quibus hactenus egimus, attinet, locus mihi occurrit notabilis. Ubi enim Regino, in sui de disciplina Ecclesiastica libri primi initio referens, quid Episcopus vel ejus ministri in suo districtu inquirere debeant, § 83 ex Presbytero quæri notat: si Epistolam et Evangelium bene legere possit: V. Cl. Baluzius in notis addit: Ea igitur erat seculi illius infelicitas, ut necesse esset Presbyteros ab Episcopis interrogari, uterum bene legere nossent. Et quibusdam [Bl. 145r] interjectis: quid autem faciunt hodie, qui librorum Divinorum editiones procurant, quam ut

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Presbyterorum nostri seculi irascitatem prodant, cum in Missalibus et Breviariis notant accentus? Annon ita fit, quia putant libros illos in manus talium Presbyterorum incidere posse, qui bene legere nesciunt, adeoque juvandos esse notatione accentuum? Quid vero nobis Germanis opus accentibus? Anne et nos iis carere in vernacula non possumus, ne impingamus? Absit.

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6. De emendationibus codicis Otfridiani authentici.

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Emendationes, correctiones & restitutiones literarum, ab amanuensibus, ut fit humanitus, per totum Otfridianum MS. codicem falso aut indiligenter exaratarum, cum cura consideravit Schmidius in animadversionibus suis supra laudatis. Maximum namque, ait, hoc nomine venerando huic Cæsareo codici accedit meritum, quum in ejusmodi emendationibus, docta admodum ejus revisione, vel ab Otfrido ipso, si propriis ipsius usibus, nec temere, adscribere istum cum Lambecio debemus, vel ab alio ejus ævi erudito viro studiosissime peractis, omnem textus ejus sacri germanicam lectionem sitam esse plane fatendum sit. Quandoquidem vero Dn. Schmidius incredibili labore atque sagacitate [Bl. 145v] omnes ex omni angulo pretiosissimi istius codicis erutas istiusmodi, milloque modis, punctatione, cancellatione, stylo, cultello, pumice, digito, aqua vel sputo, visibiliter vel invisibiliter perpetratas emendationes in unum collegit, earumque juxta capitum dentum confectum indicem non minus amanter, ac lectiones discrepantes, ex Codice eodem MS. notatas & cum editione Flacii ac supplementis Lambecii collatas, nobis communicaverit, secundum illarum normam textum integrum restituimus et excudendum D. V. dabimus.

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7. De nævis codicis Viennensis & usu Flacianæ editionis in restituendis lacunis.

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A blattis et tineis, teste Schmidio, immunis & integer mansit Codex authenticus Otfridi, unum si locum excipias, versu scil. antepenultimo, ubi in voce mir priores duas literas una cum ipsa membrana abstulerunt. Sic morsum quidem sensit, at non interiit, æterna laude celebrandus Codex. De veris autem nævis, quique damnum dolendo utique fato Codici Cæsareo intulerunt, ita commentatur, qui eum curiosissime & diligentissime tractavit, Schmidius: Inter illos, inquit, inprimis numerandæ veniunt nonnullis in locis, cultello, vitro, pumice, aut quovis tandem simili ablativo modo perpetratæ. [Bl. 146r] Obliterationes, quibus non litteræ, non verba saltem, sed Rhytmi integri, imo et Tetrasticha integra vel penitus omnino vel quo ad literarum apices e membrana, nullis vestigiis relictis, ablata cernuntur. Eorum locorum, qui infensam adeo imperiti alicujus maligneque otiosi hominis manum sunt perpessi, in universum sunt octo: Primum locum liber II. Caput XIV. exhibet quo major pars Tetrastichi, nempe V. 81 verba Thie iungoron, usque ad finem V. 82 verba uuuntorotun, pariter usque ad finem ab inimica ista rasura læsa habentur; ita tamen, ut apicibus sal-

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tem litterarum vel in capite vel in pedibus ablatis, er´e. Siduis earum frustis lectio facilis & prona existat. Secundus locus occurrit Libro III capite IV. ubi fœde admodum a maligno isto rasuræ genere quatuor pene uersus integri sunt habiti, nempe versus 34. 35. 36. et 37mus – quorum duo medii, lethale quasi vulnus acceperunt, ut de restauratione eorundem verborum absque medela textus Flaciani plane fuisset actum. Tertius locus apparet in ejusdem libri Capite VII. ubi integrum Tetrastichon nempe versus 31. & 32. ultimis saltem verbis exceptis, infausta illa rasura e media membrana sublati sunt. media certe in priore versu verba absque auxilio Flaciano, non nisi difficillime, vel plane non, possunt agnosci. Hunc statim locum excepit. Quartus, ejusdem videlicet Capitis versus 52. cujus intermedia saltem verba pumex aut infensus cultellus, nec tamen lethaliter afflixit, unde lectio leviter offenso pede adhuc incedit. Quintum locum ejusdem adhuc Capitis infelici manu correpti versus sistit 73tius, cujus priora verba in summitatibus obliterata similiter juvandæ illorum lectioni, Flaciani textus opem efflagitant. Sextus locus a multiplici offensa ejusdem nimirum necdum immunis Capitis mox priorem insequitur, versu videlicet 80mo, qui levem saltem a cultello lituram passus lectionem de cœtero minime impedit. [Bl. 146v] Septimus locus non singulari sed plurali justius numero efferendus plurium Tetrastichorum ejusdem Libri Capitis XIII. insani Obliteratoris manu afflictorum complexum exhibet. Quinque etenim ibi integra Tetrasticha, a versu scilicet 43. usque ad 52. damnanda ista manu obrasa cernuntur; priora autem cujusvis versus verba magis exesa habeatur quam intermedia, postremis plane intactis. Postulant itaque priora ista maxime lacsa verba a Flacii impresso textu aliquam adhuc medelam. Octavus et ultimus misere laceratorum istius modi locorum agmen claudens, est Tetrastichon ultimum Capitis XVI. ex eodem adhuc Libro juncta Rubrica Capitis XVII. sequentis, atque primo hujusce versu in fine paginæ existente. Hujus loci prima atque ultima ubique verba a Correptoris scelerata manu intacta fere evaserunt, maxime destructis intermediis ejusdem verbis, quæ pariter ab Illyriciana Editione in integrum restitui necesse habebunt. Ex superiori enumeratione liquido patet, quanto usui sit editio Flaciana, quodque ejus manum medicam lubens [?] admittat Codex Cæsareus. Gratia ergo debentur Matthiæ Flacio Illyrico, qui in id elaboravit, ut ope Achillis Gassari suam editionem procuraret. Illa enim si restitueremur, quædam integra tetrasticha suppleri non possent.

[Bl. 147r] 8. De dialecto carminis Otfridiani. 925

Freherus ad orat. Dom. & symb. Apost. Alamann. vers. vetustissimam m. p. 4. generaliter dialectos linguæ Germanicæ duas statuit, Saxonicam & Alemannicam sive Suevicam, uti & terra Germanica ita dividatur, hincque interregni tem-

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pore duo sint Vicarii Electores. Adde et jus duplex antiquum superesse, Sachsenspiegel et Schwabenspiegel i.e. Saxonici & Suevici juris libros, qui specula dicuntur, quale Durandus speulum juris Romani et Canonici conscripsit. Ad specialiorem dialectorum recensionem progreditur Scioppius, atque alias principes sive generales alias principibus subjectas sive speciales vocat, supra citata consultatione secunda, quem, cui libet, adent. Otfridus ipse diserte testatur, se libros suos Evangeliorum lingua Francica sive Theotisca conscripsisse, ubi judicium Lambecii Commentar. de Aug. Bibl. Vind. L. II. p. 427 non improbandum. quando scribit, Linguæ Theotiscæ dialectus Francica æque est, ac Saxonica, Bavarica, Helvetica, Austriaca, et aliæ ejus generis. Dicitur eadem lingua hoc tempore Francica antiqua, Alt-Fränkisch, quia nulli Franci eadem jam utuntur in communi sermone, scripta tamen ab eruditis leguntur. Ubi inconstantiam & mutationem omnium rerum humanarum, quæ et in linguis deprehenditur, perpende mecum Lector, & firmam in iis spem ponere [Bl. 147v] noli, sed in solo Deo, qui omnis mutationis expers. Vide pluribus etiam de Dialectis agentem Nobiliss. Stiernhjelmii præfationem in Evangelia Ulphilæ Gothica. Interim plurima hujus linguæ Francicæ antiquæ vocabula, nobis jam usu desita et incognita, ex Anglo-Saxonica, Gothica, Islandica, Suecica, Danica erui possunt, ut ex Indice Otfridiano patet.

9. De metro & ratione carminis Otfridiani. 950

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I. Versus carminis Otfridiani non sunt simpliciter jambici, vel trochaici, aut dactylici, ad modum Latinorum compositi, sed ex trochæis, jambis, spondæo, imo & pyrrichio et rarissime dactylo mixti, qualis tamen, quod ad dactylum attinet, unicus tantum in toto opere mihi observatus, qui una cum trochæo versum Adonicum constituit, ut: Frankono thiete. II. Versus quidam sunt duorum, alii trium aut quatuor, interdum, ast rara, quinque pedum, quidam etiam cum syllaba in fine remanente, quidam sine ea, quos catalecticos & acatalecticos alias vocant. Exempla, quæ magna copia adduci possent, ex auctore nostro, quilibet, qui volet, in promptu habebit. [Bl. 148r] His observatis scansio, ut Grammatici vocant, versuum Otfridianorum haud difficilis est, et metrum justum observatur. In concursu vocalium, alterius in voce antecedente, alterius in voce sequente, difficultatem aliquam parit synalœphe aut elisio, cujus elisionis etiam Otfridus in epistola dedicatoria ad Liutbertum meminit, quando hæc fieri aut non fieri debeat, quod tamen lectori mediocriter exercitato facile patebit. Sic e. g. L. II. c. 18 §2.: Siu bediu uuola irfulti. Scande: Si bé|di uuól | irfúl|ti. Ibidem §7. Ih zell in afur thanana. Scande ita: Ih zéll | j áfur | thánana. Ubi in Cod. Vind. i et u in iu puncto sunt notatæ ita iu [beide Vokale unterpungiert, N.K.], ad indicandam elisionem pro simplicioribus, quod merito insuper habendum, nec scripturam illiusmodi notulis contaminandam censuimus. Attamen cum Dn. Schmidio sentimus, literas taliter elisas minime e textu eliminandas, cum eæ literæ juvent lectorem, præcipue minus exercitatum.

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Sic et L. II. c. 21 § 4. Then hugu in then githankon. Ita scande: Thén húg | in thén | githán|kon. Contra ibid. § 3: In hér|zen sí | iz scó|no. thaz íu | es gót |gilóno. Ubi nulla elisio. Item H cum vocali sequenti impedit contractionem. L. II. c. 4. § 15. Ther liuti fuarta herasun. Ubi sylla ta ante syllabam he integra et illæsa manet. [Bl. 148v] His nunc hactenus pertractatis, considerandum porro, quæ & quot præter Augustissimæ Bibliothecæ Cæsareæ præstantissimum codicem Otfridianum MS. authenticum, quantum scimus, sint reliqui. Lambecius equidem Comment. suorum de Aug. Cæs. Biblioth. L. II p. 453 circafin duos alios adstruxit, scil. Frisingensem Corbinianeæ Bibliothecæ, et, ut ille vocat, Illyricianum, ex quo nempe Flacius Illyricus suam olim primam adornaverit editionem. Verum enim vero, quantum ad ultimum, res si non longe aliter se habet, saltem valde incerta est, Frisingensis equidem codex ille ipse est, quem Beatus Rhenanus, ut ipsemet L. II. Rerum Germanicarum p. m. 201 in Bibliotheca D. Corbiniani invenit, quamvis ipse nomen auctoris adscriptum non invenerit, unde id Otfridi opus esse nescivit. Licet vero Frisingensis codex ita feliciter repertus sit anno 1530 a B. Rhenano; attamen per incuriam iterum ex oculis, manibus & memoria hominum elapsus, ut demum Wigulejo Hundio in Metropoli Salisb. p. 40 teste (allegante Lambecio) ab Ernesto Com. Pal. Rheni et Duce Bavariæ, Episcopo Frisingensi quinquagesimo secundo, anno 1565 constituto, in cista quadam repertus sit, autore Otfrido, cum B. Rhenano æque [Bl. 149r] ignorato. An autem hic ipse codex vel apographum ejus in manus Jo. Ulrici Fuggeri pervenit, dicere non habeo. Id certus est, in Bibliotheca dicti Fuggeri extitisse exemplar illud, ex quo Achilles Pirminius Gassarus suum apographum hausit, ut is in præf. MS. ad Conr. Gesnerum diserte attestatur. Quæ sunt verba Matth. Frid. Beckii in literis ad Meelfürerum anno 1699 d. 9 Nov. scriptis, quarum excerpta mihi per amicum communicata sunt. Illud ipsum autem exemplar indigitare voluit Flacius in præfat. sua latina Otfrido præmissa, quod ab Achille Gassaro, Lindaviensi, Medico Augustano, quem elogio doctissimi et pientissimi viri ornat, descriptum, sibique liberaliter subministratum, suæ editioni fundamenti loco substravit. Henricus Wharton equidem in suo auctario ad Jacobi Userii Historiam dogmaticam controversiæ de scripturis & sacris vernaculis, ut ex Actis Eruditorum, quæ Lipsiæ publicatæ anno 1691, p. 295, apparet, putavit, sub nomine Achillis Gassari latere Flacium Illyricum, quæ opinio ei cum aliis quibusdam communis dici potest. Sed falli eos, qui hoc statuunt, ocularis inspectio editionis Flacianæ docet, utpote in qua Flacius utrique dedicationi ad Riedeselium, et Lati[Bl. 149v]næ & germanicæ, nomen suum expresse præfixit, Achillem Gassarum autem eruditione & pietate clarissimum virum tanquam descriptorem operis & auctorem lexici additi laudat. Quamquam id recte notarit, quod titulus libri non sit, Gratia Dei Theotisce; sed quod Otfridus dicat, se id opus gratia Dei Theotisce composuisse, quod Lambecius jam dudum monuerat. Uti autem Matthias Flacius ex apographo Gassariano codicem Evangeliorum Otfridi publicavit Basilæ anno MDLXXI in forma octava, ita ex Cl. Meelführeri accersionibus ad Jansorii ab Almeloveen Bibliothecam promissam et latentem discimus, illud

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ipsum MS. exemplar Otfridi, quod typotheta Basileensis, curante Flacio tessellis suis olim adhibuit, ante laudatum Dn. Beckium, Pastorem Augustanum, ex edito martyrologio Ecclesiæ Germanicæ inter alia satis notum possidere, licet illud post obitum vir in bibliotheca ejus repertum non esse, Augustam mihi relatum ait. Codici Flacianæ editionis quidem, post præfationem sive dedicationem ad Salomonem Episc. Constantiensem, adscriptum est: Anno DCCCXCII. sed is non est annus, quo primum compositus est ille, sed forte quo descriptus, cum testetur Rhenanus l. supra c. in [Bl. 150r] Codice Frisingensi esse annotatum: Waldo me fieri iussit, Sigfridus prebyter scripsi. Quorum verborum nullus alius sensus est, quam jussu Waldonis, qui inter Episcopos Frisingenses numeratur decimus, a Sigfrido presbytero codicem Evangeliorum esse descriptum, & quidem anno 892 cum ille ipse Waldo ab anno 883 usque ad annum 905 Ecclesiam Frisingensem rexisse compertus sit, ne præter hunc Waldonem Episcopum alius hujus nominis inter sedis ejus antistites reperiatur. An vero is sit ille ipse codex Frisingensis, an alius, qui post in Bibliothecam Palatinam Heidelbergensem, indeque belli Germanici tempore in Vaticanam translatus est, mihi certo non constat. Prius videtur Cl. Dn. Eccardo in eruditis libro historia studii etymologici p. 87 Quod nemo melius Friderico Rostgardo, viro amplissimo, qui eum Romæ accurate perlustravit, et menda editionis Flacianæ annotavit, edocere nos poterit. Quale tendem sit MStum Evangeliorum Otfridi, quod in publica Bibliotheca Francofurti ad Mœnum extare, ex Oleario refert Tenzelius in colloqu. menstr. a 1691, p. 721 licet ejus existentiam percunctantibus quibusdam peregrinantibus negatam esse noverim, aliis indagandum relinquo. [Bl. 150v] Denique ut Benevolo Lector constet character, quo Codex Otfridianus conscriptus est, et peculiaris scribendi ratio, cum accentibus syllabis superimpositis, non vocibus solum, tum ratio tum elisionis, quam emendationis et correctionis sphalmatum seu paragramm£twn a scribis commissorum, item peculiaris ratio conjunctarum aliquando per compendium literarum aut syllabarum ecce adjunctam tabellam, in qua hæc in schematibus quibusdam adjunguntur, et cuivis lineæ lectio literis hodie usitatis latinis subjicitur.

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[Bl. 151r: Nach einigen Beispielen zu »Voces cum accentibus«, »Elisiones punctis notatæ«, »Correctionum exempla« und »Voces abbreviatæ & scripturæ compendia« unter Nachahmung der karolingischen Minuskel und einer Schriftprobe von sechs Versen bricht die Vorrede mit einem »Tantum« auf dieser Seite ab.]

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8.3.2 Die Vorrede zu einer Otfridgrammatik (Hannover, LB, MS IV 459, Bl. 153r–157r)

[Bl. 153r] Humano et Benevolo Lectori Salutem plurimam.

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Non pauci elapsi sunt anni, ex quo observavi, in lectione veterum Autorum Francicorum, præsertim Otfridi, cujus Volumen Evangeliorum integrum et nulla parte mutilatum possidemus, Grammaticæ artis cognitionem eis præcipue esse necessariam, qui linguam atque stylum ejus recte intelligere, et interpretari velint. Laborem illum, artis Grammaticæ condendæ, quem alii fugerunt, equidem in se suscepit, Vir Celeberrimus, Georgius Hickesius, Theologus Anglus sed qui jam ad plures abiit, in præstantissimo suo linguarum et antiquitatum septentrionalium opere. Verum enim vero, cum confuderit monumenta Francica diversorum temporum atque e. gr. Otfridi et Willerami stylum unius Grammaticæ legibus adstrinxerit. Vid. Celeb. Historiographum J. G. Eccardum in Historia studii Etymolog. linguæ Germanicæ p. 99. rem intricatam reddidit, et cum veram lectionem Otfridianorum verborum non habuerit, multa recte interpretari non potuit. Modo laudati CL. Hickesii opera mihi usu equidem fuit, aliorum vero multorum laborem, qui ante plures annos in conscribenda Grammatica Teutonica studia sua collocarunt, inspicere mihi non licuit. Post Carolum enim Magnum longis seculorum parasangis Albertus Oelingerus Argentinensis, Grammaticam patrii sermonis scripsit, qui non solum triphthongos, sed et tetraphthongos in hac lingua propo-[Bl. 153v]suit, ut refert Jacobus Matthiæ Arhusiensis Lib. 2. de litteris, teste monito, Willerami paraphrasi Cant. Canticorum, editionis Merulæ ** 4 b. præmisso, cujus ætatem exacte non novi, cum nemo eam indicet, puto tamen ejus usum hac in parte aliquem esse posse iis, qui eo libro gaudent, postquam ex Konigshovii Chronico Germanico Alsatiæ aperte constat, eum varias voces et phrases, quæ Otfridiano stylo conveniunt, aliis ignotas aut inusitatas, habere, itaque ambos, more ejus regionis, in qua versati, dixisse et scripsisse, censendum esse. Edidit et Valentinus Ickelsammer, Grammaticam Teutonicam, sed nec ejus ætatem indicat, Schottelius, in opere suo Grammatico, nec mihi de ea constat aliunde, asserit tantum, esse libellum exiguum, bonum tamen et mediocriter antiquum, Orat. II. p. 19. §16. Reliquos addo, qui in Grammaticæ Teutonicæ studium incubuerunt, ut Laurentius Albertus Ostrofranck, qui Aug. Vindel. 1573. publicavit Grammaticam, quam tamen imperfectam judicat Schottelius, ast ejus effatum Morhoff, Unterricht von der deutschen Sprache p. 458. laudat; Sub sole, inquientis, vix brevior et facilior lingua est, quæ autofÚηj est, ex se nata, ex se constans. De eo et citatum monitum Willerami paraphr. præmissum asserit [Bl. 154r] eum triphthongos attigisse, tetraphthongos omississe. Johannes Claius Hertzbergensis in publicum etiam produxit Grammaticam anno 1587, in qua rem Grammaticam accuratius et brevius tractavit, atque

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Triphthongos et Tetraphthongos omisit, qui liber plus octies, indice Morhofio, d. tr. p. 457, typis impressus. Et tribus ante illum annis, anno nempe 1584, Adamus Bohorizus Arcticas horulas succisivas Wittenbergæ in 8vo imprimi fecit, quo Libro Lazius et Gesnerus usi esse dicuntur Lambec. de Biblioth. Vindob. Lib. 1. Accessere denique et alii, ut Joh. Brucken, cujus Grammatica Germ. anno 1620 Francofurti, et biennio ante anno videlicet 1618. Vinariensis Grammatica, Zum neuen Methodo, Johannes Girbertus, Gymnasiarcha Mulhusinus, cujus deutsche Grammatica oder Sprach=Kunst, Mulhusii 1653. D. Justus Gerorg. Schottelius, cujus opus Ausführliche Arbeit von der Deutschen Haupt=Sprache inscribitur, anno 1663. Brunswigæ 4to publicatum, cum jam anno 1641. ejusdem Grammatica in 8vo nec non eodem anno, Christiani Gueintzii, Rect. Hall. in publicum prodiisset. Tandem non defuere alii, ut Vorstius, in observationum in linguam vernaculam Specimine, Morhofius, jam sæpius citato tractatus, qui utilia monita addidere. [Bl. 154v] Recentissime Joh. Bödikerus, Gymnasii Sueuo-Colon. Rector, prima vice, Grundsätze der deutschen Sprache in Reden und Schreiben, Cölln an der Spre 1690. 8 edidit, libellum sane utilem, et optimis monitis præceptis et exemplis, quod ad linguam Germanicam, qua hodie utimur, attinet, instructum, cujus impressio jam repetita. Ex quibus tamen omnibus nullos, quam Girbertum, et qui ipsum secuti, mihi videre contigit, eoque veterum auxilio destitutum me sensi. Vt vero necessitas et usus Grammaticæ Franco-Theotiscæ rectius intelligatur, lapsum unum atque alterum virorum in his studiis summorum, ne quaquam animo eos insectandi aut increpandi, a quo vitio, qui me novit, me alienissimum esse, quam maxime dicat, saltem pro exigentia rei, brevibus ostendam. Franciscus Junius, F. F. magnus in Francica et cognatis linguis literator, id quod Otfridus II. 4. 18. habet: Ni uuan ih imo brusti, grozera angusti, explicat ad Willeram. p. 138. Non puto defuerunt ei graviores angustiæ, ubi grozera cepit pro comperativo, cum sit positivus, et quidem genitivus fœm. generis a groza, ut verbum brusti regit, cum sit verbum inopiæ, et reddendum sit, magnæ vel ingentis angustiæ, minime verbo majoris. Idem p. 299. in Willer. ex Otfridi I. 17. 21 hæc verba: Mit in ist guater thingon, ioh filu halingon, explicat: [Bl. 155r] hunne saken staen heel schoon, ende vuorden veel gehaelt. Ubi halingon confudit, cum holungun, et thingon, verbum, tractare, transigere, cum nomine thingon, rerum, ut ita mentem autoris in omnia alia detorserit, sic enim vera lectio habet: Mit in gistuant er thingon ioh filu halingon: id est: cum ipsis incipiebat (ille herodes scil.) pacifici sive transigere scilicet, ut Magi indicarent ipsi novum Regem, ubi natus esset, et halungon, secreta indicarent. Halunga enim est occultatio, ab Helen, occultare, cujus imperf. est Hal, occultabam, ich secretirte, ut hodie Politici nostri, sic dicti, loqui amant. Sic enim loquitur Otfridus noster II. 23. 14: Theih er sie hal iu lango: quod ego antea celavi illos diu, unde nobis superest, Heel, celatio. Linguæ n. aliquando non ipsius thematis Ebræi aut Græci et Latini, addo et Germanici aut Francici, sed alicujus casus

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seu vocis derivatæ a themate ipso formam ductumque imitantur. Videatur Thomæ Hayne Linguarum cognatio, seu de linguis in genere, et de variarum linguarum Harmonica, Dissertatio, pag. 55. Illustris Schilterus in Commentatione sua ad Epin…kion Ludovico Regi acclamatum, p. 48. ex Otfridi Evang. V. 8. 29. citat et explicat hæc verba: Freuuida zi libe ne sit irbolgan vuibe. / Lætificati ad vitam, ne sitis irati mulieri. / Ast Freuuida, non est lætificati, sed est nomen substantivum, gaudium, lætitia, Lætificati vero est, Gifreuuite. Otfrid. Epilog. 18. Gifreuuit ist ther guato: [Bl. 155v] lætificatus est ille bonus jam valde. Et ut Compendium verborum faciam, in loco præmisso, de quo jam agimus, Otfridus dixit, per mulierem (Evam) nobis hominibus propinatam esse mortem, jam per mulierem (Mariam Magdalenam) gloriosæ resurrectionis Salvatoris nostri nunciam, nobis allatam lætitiam. Tum ex lib. II. c. 2. §10. hæc verba: Thaz uuas nu uuorlt scauuta. thaz si nan irkanta, quæ reddit: Hoc quicquid nunc orbis conspicit, ut ipsam agnosceret. Etsi pravam hic B. Schilterus habens lectionem, quam unde hauserit, hariolari non possum, attamen quicquid sit, scauuta non potert reddi, conspicit, sed scouuot, est conspicit, et scouuota, est conspiciebam - bat. Vera lectio, tum in Cod. authent. tum in Flaciano est: Thaz uuaz nu uuorolt scanta. thaz sinan nirkanta, et sic reddenda: Erat id jam ignominia mundi, quod ipsum non cognosceret. Idem B. Schilterus in suis eruditis ad Chronicon Konigshovii observ. p. 524. verba Otfridi IV. 7. 17. Thaz kurzit Druhtin sare thuruh thie druta sine thuruh then Gote leidon mit sinen ginadon, quæ verba ex Matth. XXIV. desumta. Bellarminus de Rom. Pontifice cap. 7. hoc vaticinium Christi Mat. XXIV 21.22. in sensu literali et proprio de persecutione ab Anti-Christo metuenda accipit, atque ex eo evincere conatur, Anti-[Bl. 156r]Christum nondum venisse, cum nondum experti simque gravissimam illam persecutionem, nec dum cessarint omnes publicæ religionis ceremoniæ et sacrificia. In sensu typico ac mystico pii veteres (secuti Danielem c. XII. II ubi de novissimis temporibus eodem modo loquitur) ad Anti-Christi persecutionem hoc Christi vaticinium accomodant, uti et Augustinus in Psalm. IX et Beda in C. XIII. Marc. uti videre est in Harmon. Evang. Gerhardi cap. CLX p. 712. quam opinionem etiam Otfridus noster secutus. Prave vero et contra opinionem Otfridi et ejus verba exponitur a Schiltero: id abbreviat Dominus mox propter fideles suos, propter Dei passionem, cum reddendum sit: propter illum Deo abominabilem, scilicet Anti-Christum. Leid enim est, quod ægre facit. Leidig, qui ideo adversarius est, quod ægre faciat, aut vero cui ægre fit et ideo dolet. Lidon vero a lithan est pati, et si Lidon hic poneretur verbum, non dixisset Otfridus then sed thas Leidon, ut notum, quando verba nominascunt, ea esse neutrius generis, ut et Germanice dicimus, das Leiden. Plura hic addere possem, sed opus non esse judicio, facile enim quilibet rem hanc justo judicio reputans, quod de Grammaticæ necessitate & utilitate monui, verum esse sentiet. [Bl. 156v] Quod reliquum est, recordor equidem me etiam D. Schilterum, cum mihi nullum commercium literarum cum illo esset, per Doctorem Mejerum

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Pastorem Bremensem quondam Stephanianum, qui sæpius cum eo per litteras communicare solebat amice modesteque monuisse, de alia quadam interpretatione dicti Otfridi I. I. 44. quod ad dictum Königshovii Chronicon, de falso credita origine Francorum, et posuit, et exposuit, in quo autem mentem Otfridi nequaquam assecutus est: hoc ex monito meo an emendaverit, dicere non habeo; istud vero tuto affirmare queo, id si factum non fuerit, opus id adeo absolutum et perfectum non faturum, quin in Otfridi Evangeliis et Glossario plura emendanda supersint. Ut adeo optandum sit, ut CL. Dn. Simon, qui jam legitimus possessor Schilterianæ Bibliothecæ, omniumque MS a defuncto elaboratum est; ea Typographo aut Bibliopolæ pro æquo pretio tradat, quo deinde ab aliis, quæ emendanda ostendi et dextre explicari possint, cum ab ejusmodi viro præclaro nec aliud exspectandum sit, ut sic auctor ille in nulla parte mutilatus, tandem in publicum procedat, in antiqua licet, tamen intelligibili satis lingua, quam hactenus multi, nemo tamen universam, quamvis non omnes pari successu, illustrare conati sunt. Cœterum [Bl. 157r] cum hoc non quæratur, ut Francice loqui discamus, sed ut Francice dicta et scripta dextre intelligamus, non tam præceptis, regulis, aut earum exceptionibus Lectorem onerabo, cum id longum et difficile nimis esset: sed productis potissimum exemplis in cognitionem hanc introducam, ut re ipsa instruatur, et fructum inde hauriat. Cum plures etiam Eruditissimi viri ad illustrandum et interpretandum in quibusdam Otfridum, sed absque ulla cura cum Grammaticæ artis, accesserint, unde et sæpius aberraverint, quod et ipsi Doctissimo Martino Hankio in suis de Silesiorum nominibus Antiquitatibus accidisse video. Unde in toto Otfridi Evangeliorum volumine varias hallucinationes superesse, non absque causa metuendum. Vale, Benevole Lector, et hac quantularunque opera fruere feliciter. Dabam Bremæ d. 24 Febr. 1716 D. v. Stade

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8.4 P. Leopold Koplhuber: Vorrede des Übersetzers (CCn 23, Bl. 9a–31b) Ich biete hier einen buchstabengetreuen Abdruck der Vorrede Leopold Koplhubers zu seiner althochdeutschen Textausgabe und der von ihm erarbeiteten neuhochdeutschen Übersetzung von Otfrids Evangelienbuch. Er gab ihr den folgenden Titel: Otfrids | Evangelien Buch | Ein alt deutsches Werk aus dem | neunten Jahrhunderte. | In die heutige deutsche Sprache metrisch über- | setzt, und mit historischen, philologischen, | und patristischen Anmerkungen versehen. | Von P. Leopold Koplhuber. | Mitglied des Benedicktiner | Stiftes Kremsmünster und weiland Pfarrer zu Steinhaus. (CCn 23, unpag. Titel)

Für den Text stütze ich mich auf die letzte Fassung von Koplhubers Hand in der Handschrift Kremsmünster, Stiftsbibliothek, CCn 23. Die geringfügigen Unterschiede zur früheren Fassung in der Handschrift der Schlierbacher Stiftsbibliothek (I–5) und zur späteren Reinschrift von P. Michael Reischl (CCn 24) bleiben unberücksichtigt. Ich folge dem sehr sorgfältig in deutscher Schrift angefertigten Text Koplhubers an allen Stellen, insbesondere seinen individuellen Gewohnheiten der Interpunktion und Getrennt-/Zusammenschreibung. Stillschweigend korrigiert sind (an wenigen Stellen) offensichtliche Verschreibungen. Darüber hinaus ersetze ich Ui durch Ü. Die Anmerkungen, die Koplhuber der Vorrede beigibt, setzt er jeweils unter eine Linie ans Seitenende, ohne aber ihren Bezugspunkt zu vereindeutigen. Ich kennzeichne ihren Bezug zum Text durch Asteriske. Die Blattzählung in der Handschrift springt ab 13 versehentlich auf 11 zurück. Ich setze in Klammern zuerst die falsche Zählung, dann die numerisch richtige. Hinzugefügt ist außerdem eine fortlaufende Zeilenzählung.

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[Bl. 9a] Otfrid, und sein altdeutsches Werk, das Evangelien=Buch, oder wie er es selbst nennt: Evangeliono Deil, und Pars Evangeliorum, ist zwar nachdem es lange Zeit verborgen gelegen war, seit einigen Jahrhunderten im ganzen Vaterlande wieder bekannt. Allein so bekannt, und berühmt auch diese durch das hohe Alterthum so ehrwürdige Urkunde nach ihrer zweyten, ebenso zufälligen als glücklichen Erscheinung, geworden seyn mag, so ist sie doch, wie ich mich für völlig überzeugt halte, bis auf den Augenblick, wo ich dieses schreibe, keines wegs auf eine solche Art verstanden, die befriedigend wäre. Dies beweisen, vielleicht mehr als man fordern kann, die Arbeiten derjenigen, die uns davon eine Erklärung zu geben versucht haben. Wir wollen die Hauptsächlichkeiten, deren Zahl sehr geringe ist, kurz berühren. §2 Das vorzüglichste Werk in dieser Rücksicht ist unstreitig, die lateinische Übersetzung, welche Joh. Schilter, ein Rechtsgelehrter zu Straßburg, beyläufig vor hundert Jahren veranstaltet hat. Aber man lese hie und da ein Kapitel von ihm, und sag uns dann unumwunden, ob vom Anfange bis zu Ende, die Solöcismen, und Barbarismen sogar [Bl. 9b] sorgfältig abgerechnet, etwas andres zu verstehen gewesen sey, als vielleicht einige wenige isolierte Sätze – Ja oft stößt man auf Kapitel, besonders wenn sie mit mystice, spiritualiter &c überschrieben sind, die, wenn man sie durchgelesen hat, nichts in dem Gemüthe zurücklaßen, als die peinigende Sehnsucht zu wißen, was im Original enthalten seyn möge.∗ So fängt Schilter an, so fährt er fort, so endet er, überall gleich unverständlich, und ohne Sinn. Wer ihn jemals gelesen hat, wird das ohne Zweifel wißen, weil es sich ihm auf jeder Seite, die er ansieht, mehrere Mahle und nothwendig aufdrängt; wer ihn aber nicht gelesen hat, der besichtige erst Einiges, und wenn es auch gegen das Ganze gehalten, nur wenig ist, so wird er uns doch, wie ich gewiß glaube, durch sein eigenes Urtheil getrieben, den Beyfall, von dem hier die Rede ist, nicht versagen können. Daher halte ich es auch schlechterdings für unnöthig, Beyspiele von Schilters unverständlichen und sinnlosen Wortgemengsel anzuführen, und damit unnütz ein paar Blätter zu füllen. §3 Die Schiltersche Übersetzung Otfrids wurde von einem seiner Schüler in der altdeutschen Sprache von Joh. Georg Scherz, ebenfalls einem Rechtsgelehrten mit einer beträchtlichen [Bl. 10a] Anzahl von Noten begleitet. Wahr ist es allerdings, daß man durch diesen von Otfrids Schrift in gar vielen Fällen, weit mehr zu verstehen bekommt, als durch seinen Lehrmeister; aber auch unwiederleglich wahr ist es, daß er erstens bey unzähligen trüben Stellen stillschweigend, und sie daher gleichsam bestättigend, vorübergeht: zweytens daß er bey abweichen-

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Man sehe z. B. II,10.

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der Meinung gar oft selbst wieder eine dunkle behauptet, und aufstellt: und drittens daß nicht selten erst er verfinstert, wo schon Schilter hell gewesen war. Auch hierüber enthalte ich mich der Beyspiele, weil ihre Anzahl zu groß ist, weil sie ohnehin so offen vor Augen liegen und weil im Verlaufe meiner Arbeit selbst nicht wenige nothwendig zur Sprache kommen müssen. §4 Eine andere Version des ganzen Otfridischen Werkes soll nach dem Zeugniße des Joh. Georg ab Eckhart in seinem Comment. de rebus Francicis oriental. Tom. II. lib. 31, der berühmte Dietrich von Stade, noch einige wenige Jahre vor Schilter, fertig gehabt haben. Eckhart trug, wie er versichert, das hinterlaßene Manuscript, nebst einem dazu gehörigen Glossario selbst in die Bibliothek zu Hanover. Allein von dieser Arbeit Dieterichs ist bis auf den heutigen Tag nichts zum Vorscheine gekommen. Indeßen hat dieser in der altdeutschen Sprache sehr wohl bewanderte Mann mehrere, sowohl ins Lateinische, als ins Deutsche seiner Zeit übertragene Bruchstücke von Otfrids Evangelien=Werke bekannt gemacht, die in seinem Specimine lectionum Francicarum, und in der Explicatione vocum biblicarum abgedruckt zu fin=[Bl. 10b]den sind. Wiewohl Dietrich von Stade große Vorzüge vor Schiltern beurkundet, und der erwähnte Eckhart gewiß nicht mit Unrecht sagt: Hic vir certe notitia veteris linguæ diligentia et iudicio Schilterum multis parasangis superavit; so hat doch auch er, selbst in dem Wenigen, was von ihm bekannt geworden ist, eine Menge namhafter Schattenflecke, die uns Otfrids wahre Gestalt verhüllen. Zum Beweise nur einige Beyspiele. In der Zueignungsschrift an den König Ludwig gibt er die Phrase Vers 167, der Königinn sey Liebe zi gote, mit: erga Deum. Das ist doch ein wenig unzart. Aber so sagt auch Otfrid nicht. Bey ihm heißt: zi auch apud, coram In der dritten Dedication an den Bischof Salomo zu Kostanz lieset man bey Otfried, Vers 9 und 10: Lekza ih thero buachi Sentu iu in Swaborichi. Das heißt: Lectionem horum librorum (voluminum) mitto vobis in Sueviam. Und Dieterich übersetzt: Edidi ego eos libros vobis missos in Sueviam. Diese einzige Stelle trübt Otfrids Sinn durch die ganze Schrift an den Bischof, weil sie die Angabe ihres Zweckes unterschlägt. - Unten I,3,13 sagt Otfrid: Adam war buenter in worolti, das ist: habitans in mundo. Aber Dieterich, wahrscheinlich zu leichtgläubig gegen die Codd. Vind. et Vat. die für: buenter in; bienterin lesen sollen, übersetzt die Stelle auf die dunkelste Weise, die es geben kann, mit: in hiemibus mundi. das Wort: bienter hatte ihn nämlich an das Wort Winter erinnert. – **2[Bl. 11a] Im zweyten Buche 7,67 steht die Rede: thiu gouma losget dare so

_________ ** Wenn auch die Varianten=Sammler in den Codd. wirklich biénterin, oder bíenterin lesen wollen: so begreift man doch, ohne eine tiefe Critik nöthig zu haben, sehr leicht, daß entweder die Handschrift fehlerhaft ist, oder der Vergleichende nicht wohl sah. Scherz [Bl. 11a] urtheilt gleichfalls so. Die über die Linie geschriebenen Striche scheinen in diesem Werk keine Accente zu seyn; vielleicht sind sie eine Correction des Schreibers, die aus dem i, ein u machen sollte. Man vergl. II,1,52. Und endlich ist doch die zu dem Subst. worolti gehörige praepos: in, mit bienter vereiniget (.bienterin.) handgreiflich genug

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fisg in themo wage. Dies heißt: Ibi, (.in scripturis Prophetarum.) delitescit cibus, sicut piscis in stagno. Dieterich übersetzt deutsch: die Propheten gehn ungehüthet dahin, wie der Fisch im Meere. Schilter stellt nämlich losget (.latet, lauschet.) getrennt in los, und get dar, und Dieterich bemerkte den kleinen Spuk so wenig, wie Schilter und Scherz – doch genug: das mag schon hinreichen, von dem Grade der Klarheit in den Stadeschen Versionen zu urtheilen. §5 Marquart Freher, und Mathias Flacius Illyricus, welche Schiltern und Scherzen, ja sogar Dietrichen voraus gegangen waren, verdienen kaum als Erklärer Otfrids genannt zu werden, wenn sie sich auch mit ihm viel beschäftiget hatten. Der erste, sonst ein gewandter Sprachforscher, gab nur Bemerkungen, nicht so sehr um den Text zuverdolmetschen als vielmehr dessen Schreibfehler, freylich nur ex ingenio zu verbeßern. Der letzte aber, nämlich Flacius, hatte, wie es überall sichtbar genug ist, gar keinen Beruf, den guten Otfrid, auch nur von ferne, zu berühren. Als ein ausgewanderter Illyrier verstand er wahrscheinlich die deutsche Sprache seiner Zeit nicht besonders gut; wie hätte er also die schon dazumal [Bl. 11b] so sehr veraltete Sprache Otfrids verstehen können? Was ich nur so vermuthe, scheint Joh. Frick in præfatione gen. ad Thes. Schilteri pag. X bestimmt gewußt zu haben, wenn er sagt: Flacius numquam germanici Sermonis accuratam, etsi tot annos inter germanos habitabat, peritiam fuit adeptos. Es gibt Genies, besonders unter den Fremdlingen, die wenn sie nach Deutschland kommen, sogleich erschaffen, wo Nichts ist. So eines war, und zwar nicht von gemeinem Schlage, dieser dienstbare Gast. Flacius änderte nämlich den Text ab, wie es ihm beliebte, und das, was in seinen Krame taugte, mußte ihm Otfrid nothwendig gesagt haben. So sehr man durch seine unglaubliche Dreustigkeit zum Ernste gestimmt wird, so kann man sich doch bey vielen Stellen des Lachens nicht enthalten. Wir müßen auch von ihm einige Beyspiele geben. Aus dem allgemeinen Titel des Otfridschen Werkes, welcher lautet: Incipit Liber Evangeliorum, Domini gratia, theodisce conscriptus (.Seite 37.) ergriff Flacius die Worte Domini gratia, und band seinen Lesern auf, mit diesem habe Otfrid das Wort Evangelium ausdrücken, und es dadurch nicht wieder Gesetzbuch, wie das alte Testament; sondern bloßes Gnadenbuch genannt wißen wollen. Die Aufdeckung und Zurechtweisung dieser Sinnverdrehung findet sich zuerst in Petri Lambeccii Lib. II. Biblioth. Cäsar. cap. V. pag. 417. Übrigens paßte diese scharfsinnige Erfindung zu seinem theologischen System ganz vortrefflich.***3

_________ unrichtig. Zudem heißt bey den Alten: Winter, nicht bienter; sondern: wintar. So Kero, Hrab. M. *** Die eigenen Worte des Flacius lauten so: Ein solches Zeugniß eines beßren Zustands der Religion mag auch dieses Buch seyn (.Otfrids.) darinnen die vier Evangelisten vor 700 Jahren in deutschen Reimen verdolmetscht, und in einige Erzählung gebracht, und das Buch Gratia Dei, die Gnad Gottes genannt worden, damit der Scribent anzeigen wöllen; Christus sey nicht ein Gesetzgeber, auch sein Evangelium nicht ein Gesetz, wie die Verführer her-

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[Bl. 12a] Zwey andere Beyspiele seiner sinnreichen Verfahrungsweise mit Otfrids Texte finden sich neben mehreren sogleich im Anfange des Zueignungsschreibens an den König Ludwig. Im Vers 29 und in den 3 folg. spricht Otfrid: In sines selbes brusti, ist herza filu festi managfalto guati: bithiu ist sinen er gimuati. Das heißt wörtlich: In seiner Brust befindet sich ein festes Herz: viele Tugenden: daher ist er den Seinigen so hold. Flacius übersetzt den letzten Vers so: Bey manichfalter Güte, ist sein Ehr gemuote. Bithiu hat er nämlich von seinem Platz gehoben, und wie eine præposit. vor managfalto gesetzt; aus dem pronom. er (-is) machte er das Subst. Ehre (honos) und mit gemute ist sehr lichtvoll: gimuato gegeben – In der unmittelbar folgenden Strophe V. 33. nennt Otfrid den König Ludwig cleinero githanko. Klein heißt in der alten Sprache Subtilis, und die Phrase: Kleinero githanko, etwa: von scharfsinnigem Verstande, oder: scharfsinnig. Unserm geschickten Flacius gefiel es das Wort ganz zu übergehen [?]. Höchstwahrscheinlich war ihm die alte Bedeutung desselben unbekannt, und da es nicht wohl angeht, einem Könige, zu mal in einem Dedicationsschreiben kleine, oder wohl gar kleinlichte Gedanken, nach der spätern Bedeutung, beyzulegen, wie kann ein Mann, wie Flacius verlegen seyn, es zu streichen, da doch nach dem souveränen Urtheile seins Vernuft-Gerichtes, weiter nichts als etwas Ungereimtes gesagt ist u.s.w. Githingini (.famulitium.) Vers 51 gibt er mit Güte; uber iar (.Semper.) mit: übers Jahr Vers 119.- Wenn Otfrids Rede so hell und klar wie der Tag wäre; durch eine Behandlung, wie die [Bl. 12b] flacische ist, würde sie mit der finstersten Nacht bedeckt werden müßen. Wir wollen uns mit ihm nicht weiter abgeben. Leider hat man ihn unten doch noch einmal zu sprechen. Das beste ist, das dieser geplagte Mann vielleicht nicht viel weiter als bis zu Ende dieser Dedication mit seiner Verdolmetschung kam. §6 Bey diesen Umständen ist es freylich kein Wunder, daß manche auf den Gedanken geriehten, die Ursache der Unverständlichkeit liege in Otfrid selbst, und nicht in seinen Dolmetschern: er habe sein Werk so unlogisch entworfen, und so verworren vorgetragen, daß keine genug thuende Erklärung möglich sey. Diese Meinung hat vor allen anderen Joh. Georg Wachter, zwar ein Mann von ausgebreiteter Sprachkenntniß; aber ungemein kühn in seinen Vermuthungen und in seinen Urtheilen despotisch absprechend in seinem Glossario Art. Gewaertig, ebenso derb als unverhohlen ausgesprochen. Er nennt nämlich unsern Otfrid geradezu, und mit dürren Worten: Scriptorem obscurissimum. **** Da ich selbst eine Zeit lang von Otfrid einen Begriff hegte, welcher von4 [Bl. 11a = 13a] dem

_________ [Bl. 12a]nach fürgegeben; sondern ein Erwerber und Verkündiger der heilsamen Gnade Gottes. Siehe Flacii Praefationem germanicam in editionem Otfridi. **** [Bl. 12b] Die Verdammungs=Sentenz lautet wörtlich so: Gewärtig, oritur a warten, observare, non quidem immediate, sed per Subst. giwurti, observantia, quo passim utitur Otfridus, Scriptor obscurissimus; sed inter manus consultissimi Scherzii in multis splendidor factus. Eine ähnliche, den redlichen Otfrid sehr verdächtigende Sprache, führt Wachter

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Wachterschen nicht sehr weit entfernt war, indem ich ihn etwa dem Verfaßer von Karls Feldzuge nach Spanien, oder jenem, der das Gedicht auf den heil. Anno geschrieben hatte, gleichstellte, so irre ich kaum, wenn ich einen ziemlich ähnlichen auch bey mehreren andern vermuthe. Einige geben es in der That nicht undeutlich [Bl. 11b = 13b] zu verstehn; am deutlichsten aber Joh. Christian Zahn, der in seiner Vorrede zur Ausgabe der Ulfilaschen Bibelübersetzung S. 37 Otfrids Werk eine elende Reimerey nennt. §7 Allein gegen diese Anschuldigung erheben sich zum Voraus, und ehe man noch von Otfrids Arbeit ein Urtheil zu schöpfen im Stande ist, weil man seine Sprache nicht hinlänglich kennt, sehr gegründete Zweifel. Hier folgen die wichtigsten. Erstens. Man durchlese die lateinische Zueignungsschrift an Liutbert, Erzbischof zu Mainz; und wenn diese auch durch viele Schreibfehler entstellt ist, so wird man doch kaum den obscuren Kopf wahrnehmen, den Wachter unserm Otfrid zutheilt. Zweytens weiß man, daß Otfrid von mehreren Personen, und insbesondere von einer Frau hohen Ranges, aufgefordert worden sey, dieses Werk zu verfertigen; dergleichen Anträge machet man aber in der Ordnung nicht gern den obscuresten Köpfen. Drit-[Bl. 12a = 14a]tens ist der Verfaßer

_________ gleichfalls in dem Worte Reim. Dort sagt er: Neque enim Otfridus primus nobis fuit carminis autor, etiamsi primus videri cupiat, qui linguam Francicam legibus metricis subjecerit, [Bl. 11a=13a] prout ipse canit. I.1.70: Nist si so gisungan, mit regula bithwungan: Nihil sic cantatum est in regulas redactam. Quod nescio, an satis verecunde scriptum sit. Nam quaecumque demum fuerit antecedentium saeculorum barbaries, concipi sane non potest quo pacto sermo ligatus, numero et regulis unquam carere potuerit. Hodie Musa Otfridi nobis videtur rustica, et inculta, nec immerito, quia regulas iactat; sed non observat. Potuisset et ille nobis meliora et comptiora relinquere, ut ex quibusdam versibus optime concinnatis apparet. Si studium adhibere voluisset. Welche Vorwürfe! Zum Glück aber treffen sie unsern Otfrid nicht im Geringsten, den er selbst sagt bey weitem das nicht, was sich Wachter ihm in den Mund zu legen nicht scheut. Die angeführte Stelle heißt nämlich mit den zwey folg. Versen, die nicht getrennt werden dürfen, so: Licet ea (lingua Franc.) non adeo cantata, coercita regula est; Rectitudinem tamen habet in decora Simplicitate. Die Anklage ist also rein falsch, und liegt so offenbar vor Augen, daß man kein Wort hinzusetzen darf. Übrigens wirken derley Urtheile, zumal wenn sie von einem Mann ausgesprochen sind, der die Kunst versteht, sich mit seinen Gewaltsprüchen zum Meister aller Meister zu erheben, sehr nachtheilig auf diejenigen ein, die, weil sie erst Anfänger, oder vielleicht diese nicht einmal sind, selbst keines zu fällen im Stande sind. »Wachter sagt es«, hört man sodann [Bl. 11b = 13b ] und Wachter wird citiert, sey es mit Fug oder Unfug. Dies ist auch der Grund der gegenwärtigen sehr wohlverdienten Rüge. Cuique suum. Ja Wachter geht in seiner Abneigung gegen Otfrid so weit, daß er ihm nicht einmal das zugibt, was er von der Rohheit seiner Volkssprache, und von der Schwierigkeit sie zu schreiben vorbringt. Er kennt, so benimmt er sich, den Zustand der deutschen Sprache in jener Zeit viel beßer, als Otfrid selbst und läugnet ihm daher a priori und per absurdum jedes Wort, das er sagt. Man sehe Proleg. II 34. und Praefat. ad Germ. 49. Wachter hätte erst einen Versuch machen sollen, in Osterreichischen, Bayerischen, Tyrolischen &c Dialecten zu schreiben, und wenn er nichts zu klagen gefunden hätte über congeriem literarum, über incognitam sonoritatem, über difficulatem scribendi &c, dann hätte man ihm erst gestatten können die Schwierigkeiten Otfrids Lügen zu strafen.

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des Werkes als ein Schüler des berühmten Hrabanus Maur. bekannt, von welchem schwerlich ein Zögling obscur weggegangen ist, wie es auch die zwey Gelehrten Hartmuth und Werinbert, unseres Otfrids Freunde (.siehe seine Epistel an diese beyde am Ende des Evangelien=Werkes.) wenigstens von sich selbst, sattsam dargethan haben. Viertens erblickt man an der Spitze des Werkes drey Dedicationen, die erste an den König selbst, die zweyte an den Erzbischof zu Mainz, wovon wir eben sprachen, und die dritte an den damaligen Bischof zu Konstanz: Salomo, der in früheren Zeiten gleichfalls ein Lehrer Otfrids gewesen. Dies letzte ist meines Erachtens ein Umstand, der uns Otfriden entweder als einen sehr anmaßenden, und unverschämten Menschen, oder als einen ausgezeichneten und in den Wissenschaften wohl gebildeten Mann nothwendig darstellen muß. Das erste läßt sich mit Otfrids großer Bescheidenheit und anspruchsloser Zurückhaltung, die überall so hell hervorleuchtet, schlechterdings nicht vereinbaren. Nach diesem wagt man kaum etwas, wenn man schon vorhinein Otfrid vom »Obscurismo« freyspricht, und diesen, wie er nun einmal unwiderlegbar vorhanden ist, bey seinen Übersetzern vermuthet. §8 Und so findet man es auch in der That, sobald man von Otfrids Sprache eine etwas mehr als oberflächliche Kenntniß erhalten hat. Aber fragt man, wie ist es möglich, daß die Dunkelheiten in Otfrids Werke, den Übersetzern sollen zur Last gelegt werden können, da sie doch, wie es gar keinem Zweifel unterliegt, eine viel umfaßende Kenntniß der altdeutschen Dialecte, und insbesondere des fränkischen, besaßen? Das hat allerdings seine Richtigkeit, ja ich bin sogar vollkommen überzeugt, [Bl. 12b = 14b] daß ihr Wortreichthum, das Materielle, wo nicht ganz, doch wenigstens größtentheils, und gewiß genügend zur Herstellung des Otfridschen Sinns in was immer für einer Sprache hingelangt hätte. Was etwa unverständlich geblieben wäre, würde nach dem Ganzen berechnet, nicht sehr beträchtlich gewesen seyn. Aber es gibt noch etwas anderes, das ebenso gut Dunkelheiten veranlaßt als Wortarmuth. Ich meine das Formelle, und namentlich die Unbekanntschaft mit den Flexionen der Wörter, und ihrer Verbindung untereinander zu einem Redesatze. Und diese Unbekanntschaft ist bey weitem keine seltene Erscheinung: sie begegnet fast auf jeder Zeile. Häufig geschieht es nämlich, daß adjectiva, adverbia, interjectiones, ja sogar verba, wenn sie auch den offenbaren Caractern der Zeit, der Art, der Person, der Zahl, an sich tragen, für Substantiva, und diese umgekehrt für jene angesehen werden. Sehr selten wird genus, casus, numerus, unterschieden, und wo es noch geschieht, ist es gewöhnlich nicht schwer zu erkennen, daß es nicht so sehr aus Einsicht, und Absicht, als vielmehr aus bloßem Zufall so komme. Das ewig wieder kehrende pronom. ther thiu, thaz; und er, siu, iz, ist in seinen verschiedenen casibus, numeris, und generibus sichtbar genug nicht erkannt. Nicht bloß Schilter, auch der weit beßer unterrichtete Scherz, gibt gar oft: in, mit: cum; da doch bey Otfrid: in beständig soviel als eis oder sibi, und eum unabänderlich: inan, aber: ’nan heißt. Und wie gar so oft ist es der Fall, daß bey den verbis der indicativus, und conjunctivus nicht berücksichtigt wird. Wie dunkel, ja ich muß

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sogar sagen, irrig die Übertragung in eine andere Sprache sodann ausfallen müße, kann man sich leicht vorstellen, wenn man bedenkt, daß z. B. der indicat. præt. jederzeit etwas Vergangenes; der conjunct. aber nicht [Bl. 13a = 15a] selten, zumal wenn er ohne Bindewort steht, etwas Künftiges andeute. Zwischen narrabam und narrarem, oder narraßem ist ein himmelhoher Unterschied und doch findet man gar oft das eine für das andre, nämlich: zelita für zeliti, und dieses für jenes gesetzt. Eine gleiche Bewandtniß hat es auch mit der Wortverbindung zu Redesätzen, mit der Syntaxis.*****5

_________ ***** [Bl. 13a = 15a] Auch hier wollt ich anfänglich keine beweisenden Beyspiele, wegen ihrer großen Menge, und wegen der Leichtigkeit, sie überall zu finden, anführen. Doch für diejenigen, die es mir nicht gern erlaßen mochten, sind hier in der Nota einige. IV.4.49 then liuto dati so scono giereti Heißt. Quem hominum industria tam decore honorasset. Schilt. Quem populus faceret, tam pulcre honoraret. Scherz. Quem unquam populus factis tam pulcre honoravit. IV. 20.123 thaz sin unwizzi so wialt thaz er then sambazdag ni hialt. Heißt. Quod ei dementia adeo dominabat, ut sabbathum non observaret. Schilt. Quod eius insipientia sic effrenis (audax, feror). ut sabbathum etc. Scherz. Wialt non vertendum per effrenis. Sed per: agebat, disponebat – Die ist der genit. (eius) weil ihn waltan verlangt. IV. 23.80 thaz deta Druhtin dar tho Krist, thaz uns iz ofanaz ist. Heißt. Hoc patefecit (deta thar that dar) Christus Dominus ut nobis apertum sit Schilt. Hoc facit Dominus Christus hic Scherz. Schweigt. [Bl. 13b = 15b] V.19.61 Lasi thu io thia redina wio Druhtin threwit thanana Heißt: Legisti unquam, qua ratione propterea minatur Dominus. Schilt. Lege etiam Sermonem quomodo Dominus minatur tunc. Scherz: Lasi thu io redderem: lege Omnino Was heißt: lege? Lis, oder lasi? IV.17.31 Engilo giwelti Heißt. Angelorum potestates. Schilt. Angelorum potentium Scherz: Verbeßernd: Giewelti est accusat. sing. (sehr erbaulich!) unde redderem: potentiam I.3.73 Iro dago ward giwagon (-an?) Heißt. Eius (Mariae) dierum mentio facta Schilt. Ejus dies fuit desiderata Scherz. mallem vertere: Eius dies fuit prodicata. Consentit mecum Cl. Stadenius III.8.94 In thaz scif er giang tho zin ni forahtun si in the thiu min. Heißt. intravit ad eos in navim hi non minus sibi metuerant, sc. quam Petrus. Schilt. in navim ipse ivit ad eos, nec metuebant Ipsum eo minus. Scherz schweigt. IV.9.37 Wola thaz githigini thaz noz tho thaz gisidili thia suazi sines muases giwerdan mohta sie thes. Schilt. Beati hi ministri qui fruuntur hic his sedilibus Dulcedine ipsius cibi particeps esse debebant hujus. [Bl. 14a = 16a] Scherz. Beati hi ministri qui fruebantur hac sessione Dulcedo ipsius (Christe) cibi honorare potuit ipsos hac ratione. Heißt. Beatum famulitiam quod potiebatur hoc consessu, Hac ipsius cibi dulcedine! Delectari id eos potuit. J 1...20...11. Joh wurtun al fillo tiu mithont giboraniu Schilt. Ex verberabantur omnes recens nati. Scherz sagt: Pro fillo tiu, Cod. Vind. habet: filloriuta; vat. autem filloriniu. fährt dann fort: Beatus Schilterus hoc notat: Flacius: filloriniu, corrupte; est enim vox fillotiniu (!) – fillo (!) verbera – fillen, flagellare – filloti (!) verberatus – fillotiniu, verberati – ut mox: giboran, natus; giboraniu, nati. Und jetzt ohne Zweifel alles gutheißend, hierzu: Quam vis uterque codex pro litera t habet, r; attamen analogia me proferre iubet lectionem. B. Praeceptoris mei Schilteri. Facili errore pro t, ponitar: r. Aus dieser Note allein überzeugt man sich sehr leicht, daß sowohl Schiltern als auch Scherzen die grammatikalischen Kenntnisse ungemein fremd waren. Filloriniu steht übrigens für firloriniu, oder floriniu und die Stelle heißt: Omnes perditi sunt recens nati. Selbst bey Wachter, der doch ziemlich viel Brauchbares de literarum genesi cognatione, permutatione, transpositione sowie de literis et particulis praepositionis et terminantibus &c geschrieben hat: zeigt sich keine sichere Spur von irgendeiner Kenntniß, die den Namen verdient, in Betreffe der Flexionen, und der Syntaxis. Sein Glossarium wimmelt von Beyspielen, die dies [Bl. 14b = 16b] bestätigen. Im Art. ein heißt ihm una, einaz!, in Fidel, managfaltu swegula, multiplices fistulae; in Frage, quaestio, franc. et alam. Frago! Fraho! in frais, juis terrendi et torquendi, ducta appelatione sive a Freiso! periculum, sive a Vreese timor; in Klein: cleine worto! cleine githanko! Subtitlia verba Subtiles Cogitationes. Wenn uns auch Wachter seine Unkunde im Grammaticalischen nicht selbst ge-

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§9 Alles das ist aber freylich erst dann recht zu verstehen, aber auch auf jeder Seite vielmal anzutreffen, [Bl. 13b = 15b] wenn man zu einer hinlänglichen Kenntniß der Grammatik der Otfridschen Sprache selbst gelangt ist. So war es bey mir der Fall, so wird er es auch bey jedem andern seyn. [Bl. 14a = 16a] Da in mir der Wunsch, Otfrid selbst zu verstehn, besonders durch Wachters hartes Urtheil angeregt, immer höher stieg, da ich aber bald gewahr wurde, es sey ohne Grammatik nichts mit Erfolg zu unternehmen, und doch überall nichts in Erfahrung bringen konnte, was [Bl. 14b = 16b] etwa in dieser Rücksicht als leitender Faden schon vorhanden seyn mochte; so konnte ich der in mir immer lauter werdenden Stimme, unmöglich widerstehn, selbst einige Versuche zur Auffindung der grammaticalischen Regeln, besonders in Beziehung auf die Mundart Otfrids, zu machen. Und nach einer langsamen Classification der Wörter aller Gattung, jetzt durch Zusammenstellen, jetzt wieder durch Trennen, gelang es ein Resultat zu erhalten, das zwar dürftig genug war; mir aber doch von nicht geringer Fruchtbarkeit zu seyn schien.

_________ steht, so verrathen ihn doch überall solche unbewachte Zeugen und tragen ihn zur Schau. Einige mögen wohl Druckfehler seyn; aber gewiß nicht die meisten. Nicht kundiger erscheint Wachter auf dem Gebiete der Syntaxis. Die Stelle Otfrids III.8.25 Ther wint thaz scif fuar jagonti Thio undon bliwenti übersetzt er im Art. füren, so: Ventus navim jactabat impellendo undae verberando. Daß die altdeutsche Redensart: faran jagonti, faran bliwenti, nicht [Bl. 15a = 17a] mehr heiße als: jagon, bliwan allein, ist in der Dedication an König Ludwig V. 136 dargethan. Demzufolge sagen die angeführten zwey Verse sonst nichts als: Ventis navim propulit, verberavit undas. Wer übrigens ohne den Sollöcismus zu vermeiden von Wort zu Wort übertragen will, kann noch nicht einmal, wie Wachter übertragen, sondern: ventus ibat propellens navim, undas verberans. Noch eines Beyspieles mag erwähnt werden, besonders wie sich Wachter selbst mit seiner Entdeckung im Art. Winn gar sehr zu gefallen scheint. Das Aramäische Weib sagt vor Jesu, ihre Tochter befinde sich im Wahnwitze: Ther diufal ist iru inne, ther fiant ist io manne. So lesen die codices. Aber Wachter der diese Lesung in Scherzens Note vor Augen gehabt hatte, nimmt die falsche Schiltersche Lesung des ersten Verses an, und verfälscht eigenmächtig den zweyten, nämlich so: ther diufal ist ir winne, ther fiant ist ir mann. Das übersetzt er: Diabolus est eius adversarius. hostis est eius maritus. Fürs erste ist: ir wohl eine praeposit. ex und ein pronom. pers: vos; aber keins wegs das weibl. posses. eius. Dieses lautet nämlich im Sing: ira, und im plur: iro fürs zweyte ist ja: manne [Bl. 15b = 17b] nicht der nominat.: maritus; sondern der dat.: marito. Bey uns nennt man das: Parvisten-Böcke! – die fragliche Stelle heißt übrigens lateinisch: Inest illi (filiae) diabolus qui semper homini inimicus nest. Was es mit Hickesii Grammatica Anglosaxonica in thes. ling. Septentr. auf sich haben weiß ich nicht, wie ich sie nicht zu Gesicht bekommen konnte, da aber Schilter, Scherz und Wachter, die sie doch hatten, wenig oder gar nichts diente, so verlangte, ich auch nie sehr danach. Die nicht sehr wohl gerathene, aber doch einige gute Winke gebende Zahnsche Grammatik über Ulfilas Sprache lernte ich erst später kennen. Und von dem mit allen unsern Vorgängern schlechterdings unvergleichbaren, Jacob Grimm hört ich und sah ich nicht eher etwas als 1824 im Herbste. Unendlich freut es mich, meine Fünde durch die seinigen vorzüglich in der Flexionslehre, weiter hab ich ohne hin noch nichts, bey sehr unbedeutenden Abweichungen bestätiget zu sehn. Wenn ich nicht selbst eine kurzgefaßte Gramm. über die Sprache Otfrids am Ende des Buches beyfüge, so verweise ich alle, die darin unterrichtet zu werden wünschen an die Grimmsche. Göttingen 1822.

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§ 10 Was mir bey diesem Geschäfte die besten Dienste leistete, war unstreitig die Glossa Monseensis, die ich mir schon früher, wie ich sogleich unten sagen werden, soviel als möglich, [Bl. 15a = 17a] brauchbar eingerichtet hatte, weil sie, vornehmlich in der ersten Abtheilung, die Schreibart abgerechnet, ganz in Otfrids Dialecte geschrieben ist. Die Glossen nämlich haben überhaupt die löbliche Gewohnheit, das deutsche Wort in dem nämlichen Verhältnisse anzusetzen, in welchem das Wort einer fremden Sprache, z. B. der lateinischen, das zu erläutern ist, steht. Substantivum, adjectivum, verbum, adverbium, steht für Substant. adject, verb. adverb. Ferner casus, numerus, für cas. num. Dann tempus, modus, numerus, persona, für temp., mod., num., pers. u.s.w. z. B. arida, i.e. terra: truchini (.die Trockene.), in diversorio: [Bl. 15b = 17b] in dero heripergo; conjectoris: troumsceideres; Expeditos: vartiga; magnus: stiurer; surdo: abwartemo – emergebant, (enatabant.) uz scoummun; descendit: irpeizta; adjura: gieitte – grates: arawingun; tenere: zeizzo; retro: pivun. u.s.f. Allen Glossen=Sammlungen ist zwar in dieser Rücksicht nicht zu trauen, wie sie sich in Zuschnitte bey näherer Betrachtung, sowohl was das lateinische als das deutsche Wort in hohem Grad fehlerhaft abgeschrieben, und so uns überliefert zeigen. Den Mons. Glossen aber durft ich mich keineswegs mehr schüchtern überlaßen, weil ich sie schon vorher, ich will nicht sagen von allem, aber doch wenigstens von sehr vielen Schreibmängeln, besonders im Lateinischen, mittelst Collation gereiniget hatte. Es versteht sich [Bl. 16a = 18a] indessen, daß mir auch diejenigen Scribenten die von Wort zu Wort aus dem Lateinischen übertragen, zu meiner Absicht sehr wohl zu Statten kamen. Vorzüglich nenne ich des Übersetzer der Tatianischen Evangelien=Harmonie Ähnlichkeit seines Dialectes mit dem Otfridischen. Auch weichen sie in der Schreibart nicht sehr von einander ab. Was man übrigens in Beziehung auf die Grammatik durch die Glossen lernt, beschränkt sich größten theils nur auf die Flexion, freylich auf den wichtigsten, und am wenigsten entbehrlichen Theil. Die Declinationen und Conjugationen lernt man vollkommen daraus. Was die Formation der Wörter und ihre Syntaxis anbelangt, helfen die Glossen nicht viel. In dieser Rücksicht muß man anders wohin seine Zuflucht nehmen. Mir verschaffte Notker, und vorzüglich Otfrid selbst, die meisten Entdeckungen dieser Art, indem ich mir seinen Wortschatz mit Aufmerksamkeit zu beobachten, angelegen seyn ließ. Die übrigen, besonders die Übersetzer latinisieren zu viel. Sie taugen zwar, wie gesagt, zur Erkennung der Declinationen, und Conjugationen sehr wohl, lehren aber im Betreffe der Wortfügung nicht. Ja verführen mögen sie nicht selten, durch ihr knechtisches Ankleben an dem Wortschatz der fremden Sprache. § 11 Mit dieser jungen, in meinem Garten gezogenen Pflanze einer altdeutschen Grammatik, die anfänglich in nicht viel mehr als in den dürren Paradigmen der Declinationen, und Conjugationen bestand, wollte ich mich an den problematischen Otfrid wagen. Es versteht sich jedoch wohl, daß in Ansehung des Materiellen, schon längere Zeit vorher gearbeitet worden war. Ich hatte mir nämlich

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schon seit mehreren Jahren von diesen Wörtern, und ihrer Bedeutung, eine nicht unbetrachtliche Kenntniß zu verschaffen gesucht, und zwar nicht aus den Glossa-[Bl. 16b = 18b]rien: Schilter, Wachter, Frisch, Haltarius, Scherz=Oberlin &c &c unterrichteten mich ebenso wenig befriedigend, als wie ich glaube, viele andere; sondern aus den Quellen selbst, die mir zugänglich waren.- Insbesondere waren es Isidor, Kero, Tatian, Notker &c &c die ich plünderte, weil ich bey ihnen wegen ihrer höchst gewißenhaften Übersetzung aus dem Lateinischen, den wahren Sinn des Werkes nicht mit Unrecht vermuthete. Notker übersetzt sich selbst oft wieder ins Lateinische, wobey über die Bedeutung seines Ausdruckes kein gerechter Zweifel übrig bleiben kann. Bey diesen Autographen, nicht bey den Wörter= und Phrasen=Sammlern, hat, weil der Context den Sinn bannt, eigene freye Beurtheilung und Überzeugung statt. Deßwegen aber bleiben die übrigen Quellen nicht unbeachtet. Ich meine vorzüglich die Sammlungen der Glossen, und zwar die Glossen Hrab. Maur. Korent. Lindenbrog super studentium Boxhorn. Lips. Zwettelens. monseensis &c. § 12 Diese letzte Glosse hatte ich mir, weil es so leicht thunlich war, zu einer Hauptquelle, die nunmehr Jeden, sicher führt, umgeschaffen. Es ist nämlich bekannt, daß ein Glossist fast immer nur solche Wörter in ein solches überträgt, die in der Vulgata, oder auch in anderen späteren lateinischen Schriften, in einer ganz ungewöhnlichen, den alten classischen Schriftstellern, fremden Bedeutung vorkommen. Wenn man daher das lateinische mit einer Glosse versehene Wort, so isoliert hingestellt und nicht im Zusammenhange sieht, so kann man nicht nur allein mit Gewißheit nichts lernen; sondern man wird sogar sehr oft irregeleitet, indem man den altdeutschen Wörtern Bedeutungen zuzuschreiben veranlaßt wird, die sie bey weitem nicht haben. Diese Gefahr, die Wörter falsch [Bl. 17a = 19a] zu verstehen, läuft man bey allen Glossen ohne Unterschied. Allein in Ansehung der Monseeschen hätte ich mich hinlänglich gesichert. Ich hatte nämlich, fraglich nicht ohne Mühe, was sich wohl denken läßt, das entsprechende lateinische Wort überall im Original=Texte aufgesucht. Dies geschah im alten und neuen Testament, dies geschah in den Concilien, in den Decretal=Briefen der Päpste, im Lectionario (.das ist: im Evangelien= und Epistel=Buche auf die Kirchenfeste.) in libro Dialogorum, in libro pastorale, in den Homilien, des Heil. Gregorii, in der Expositione S. Hieronymi in Matth &c. Was mir noch mangelt, sind: die vitæ Patrum und Einiges von den Concilien. Die erstern konnte ich überhaupt noch nicht ausfindig machen; und was die africanischen und griechischen Concilienbeschlüße anbelangt, so war mir nicht jedes Mahl die Version in die Hand gerathen, die der Glossist vor sich gehabt haben mag. Da nun auf diese Weise in den Gloß. mons. das lateinische Wort im Zusammenhange mit den übrigen dargestellt ist: so wird man dessen besondere Bedeutung in der gegebenen Stelle nicht leicht verkennen können. So steht z. B. gleich im ersten Kap. der Genes. Capita: ursprinc. Die Stelle, worin dieses: capita vorkommt, lautet: Flavius egrediebatur de loco voluptatis – qui inde dividitur in quatuor capita. Nun weiß aber auch schon Einjeder, wie er es mit: capita

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und urspring zu nehmen habe. Da dieses nicht eigentlich hierher gehört, so will ich mich nicht länger damit verweilen, zumal als ich von dem Vortheilhaften dieser Glossen genug zu sprechen Gelegenheit haben werden, wenn ich sie, wie ich vorhabe, werde revidiert und rein abgeschrieben haben. Nur soviel muß ich noch bemerken, daß es sehr zu wünschen wäre, es möchte mit allen vorhandenen Glossen ebenso verfahren werden, wie hier mit der Monseeschen. Einerseits wer-[Bl. 17b = 19b]den dadurch sehr viele Schreibfehler in beyden Sprachen mit Zuverläßigkeit entdeckt; und andererseitts muß der sonst so oft schwankende Sinn der Wörter unvermeidlich festgestellt werden. Bey allen Glossen ist aber dieses Unternehmen vielleicht nicht mehr ausführbar, bey ihnen nämlich, die die Wörter unter einander gemengt, oder wohl gar nach dem Alphabeth, wenn schon aus gutem Willen, doch aus Unkunde der Sage, zusammengereiht, enthalten, außer man fände sie noch in Originalien vor. Die Glosse Mons. vermehrt übrigens gar sehr den Sprachreichthum, denn sie besteht beynahe aus 8000 Wörtern, wovon freylich einige mehrere Mahle auftreten. § 13 Da es mir nicht unbemerkt geblieben war, daß die alten Deutschen, wenn sie lateinisch schrieben, sehr viele Wörter ihrer Sprache, besonders ökonomische, juridische, militärische &c in lateinischen Formen gebrauchten, und daß das Neulatein, wie es jede Urkunde aus demselben Zeitalter darthut von solchen metamorphosierten Wörtern gleichsam wimmeln, so hatte ich mich auch auf dieses Gebieth verfügt, um zu sehen, ob nicht Beute zu machen sey. Ich muß bekennen, daß ich dem Glossario Carol Dufresne Dom. Du Change, ad Scriptores mediæ et infimæ Latinitatis, sehr viel zu verdanken habe. Was man in ihm findet, ist zum Theil ganz neu; zum Theil dient es zu Erläuterungen, die man sonst überall vergeblich sucht. So ist z. B. ganz allein aus ihm der etymologische Begriff von dem Worte Kreuz, Kruzi, crux entwickelt, und zugleich dargethan, daß die Deutschen und Lateiner das Wort aus der erstern Quelle gemeinschaftlich besitzen. Siehe II. 9. 157. Ebenso wird: merren, aus: marrire (impedire, und wipph aus wissa (signum) [Bl. 18a = 20a] wunderschön aufgeklärt. Wie oft, und wie vortheilhaft Du Fresne anzuwenden sey, wird meine Arbeit zur Genüge beweisen. Es ist nur Schade, daß Du Fresnes Werk gleichsam als ein opus absolutum da steht. Seine drey Bände ließen sich sicher um die Hälfte vermehren. Wie sollte auch ein Mann, wenn er auch noch so fähig, noch so rastlos ist, und noch so lange lebt, im Stande seyn, das große Meer, so zu sagen, allein und mit eigenen Händen aus zu schöpfen? Aber da ist doch Niemand, der zugreift, in dieser schreibseligen Zeit, vielleicht weil eine solche Arbeit mühsamer ist als ein Flugblatt; oder auch weil sie kläglicher nährt als dieses. Das letzte ist freylich zu berücksichtigen. Aber es gibt Männer, die von der Feder ebenso wenig leben dürfen, wie der wackere Du Fresne. Sollte auch von solchen nichts zu erwarten seyn? Soviel ist meiner Meinung nach außer Zweifel, daß das Studium des Neulateins dem gründlichen deutschen Sprachforscher schlechterdings unerläßlich ist. Mit ihm ist jedoch der Italiener, der Spanier, der Franzose, der Britte gleich betheiligt, denn eine Unzahl von deutschen

289 Wörtern ist erst ins Neulatein, und von hier aus in die Provinzial=Sprachen übergegangen. 380

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§ 14 Daß ich die meisten übrigen altdeutschen Scribenten z. B. De expeditione hispanica; de epinicio in Ludovicum; de carmine in S. Annonem, wie sie Schilter in seinem Thesaurus aufführet, nicht unausgezogen gelaßen habe, ist leicht zu vermuthen. Aus dem Mittelalter der deutschen Sprache haben mir vorzüglich zwey Werke Materialien geliefert. Das eine ist von Horneck, oder Ottokar, wie er geheißen seyn will, das ohnehin Jederman kennt. Das andere ist ein Manuscript, enthaltend, soviel ich aus dem Inhalte schließe, denn der Titel [Bl. 18b = 20b] ist nebst mehrern andern Blättern, nicht mehr vorhanden, eine Weltgeschichte, in Reimen von Anfang der Schöpfung bis auf Karl den Großen, aber auch am Ende ist der Codex unganz. Die erste Hälfte dieses Werkes ist von Rudolf von Emsen; und da dieser nach der vorgetragenen Geschichte von König Salomo gestorben war, erhielt es zum Fortsetzer Heinrich von München. Hieronymus Petz kannte das Werk gleichfalls und citiert den Verfaßer desselben immer unter der Benennung eines Anonymi. Beyde Werke geben unseren Erläuterungen und Bestätigungen des früher Gefundenen; nicht sehr viel neues. § 15 Aus diesen, und mehreren andern, deren Anführung überflüßig seyn mochte, hatte ich wie gesagt, schon früher, als ich noch mit Ernste an eine Grammatik dachte, einen nicht unbeträchtlichen Schatz von altdeutschen Wörtern aller Gattung, aufgesammelt, und in ein paar Bände alphabetisch wie in einem Wörterbuche, das nom. soviel mir schon einleuchtete in eas rect; das verbum in infinit. gesetzt, zum schnelleren Nachschlagen geordnet.

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§ 16 Und dieses war es, womit ich mich, gestützt auf den noch gar schwächlichen Stab meiner Grammatik, unterfieng, mich dem Werke Otfrids zu nähern, und die deutsche Sprache seiner Zeit, in die deutsche Sprache unserer Zeit zu übertragen. Und warum sollt ich auch nicht? Ich setzte doch nichts weder für mich, noch für andere aufs Spiel. Und meinem Berufe, glaub ich, sagte das Studium, und Erklären des Werkes Otfrids ebenso gut zu, wie dem seinigen das Verfaßen desselben zugesagt hatte. Anfangs wollte ich nur einige Kapitel, oder wohl gar nur einige Stellen, die mir besonders zu fielen, bearbeiten. Ich hatte keines wegs die Absicht, mich über einen großen Theil, noch weniger über das Ganze zu verbreiten. Auch war nicht der mindeste Beweggrund zu einem solchen Unternehmen vorhanden. Viel mehr hätte ich mir denken müssen: Wozu gibst du dir so viele Mühe? Für dich selbst ist es wohl unnöthig, weil du Otfriden kaum beßer wirst verstehen lernen, wenn du ihn vom Anfang bis zu Ende abschreibst, und diese Verdolmetschung überall fleißig daneben setzest. Und für andere wenige abgerechnet, mag dieser Mann mit seiner seltsamen Schrift, nicht viel Interesse haben. So wenig Anziehendes liefern nämlich in unseren Zeiten

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Sprachalterthümer. Ein anderes Mahl mag freylich wieder ein theilnehmender Sinn herrschend werden, denjenigen gleich, der das Ende des siebenzehnten, und den Anfang des achtzehnten Jahrhundert so mächtig belebte; Ja es ist sogar nicht unwahrscheinlich, daß man die altdeutsche Sprache, sobald man ihren Nutzen und ihr Bedürfnis begreifen wird, zu einem öffentlichen Lehrgegenstand in Gymnasien und Lycäen wie sie es verdient, erheben werde. Kurz, ich wollte mir für mich, und auch nur über einige, besondere Neugierde erregende Erzählungen Otfrids, meine Kräfte versuchen. Aber wie es so geht, sowohl das Gelingen als auch das Fehlschlagen, was häufig wechselte, schob mich vorwärts. Das erste verstärkte die Lust, das zweyte vermehrte den Eifer. Lust und Eifer steigerten die Anstrengung: Anstrengung gab Übung: Übung gewährte nach und nach einen gewissen Grad von Fertigkeit, und so wurde vom Anfange bis zu Ende, ein Buch nach dem andern durchgegangen. Der ersten Bearbeitung folgte bald eine zweyte, dritte, vierte, bis endlich [Bl. 19b = 21b] bey vergößertem Wortreichthum und bey vollständiger Einsicht in das Grammatische, das hervorging, was die gegenwärtige Vorrede begleitet. Mit diesem, wenn auch zu meiner Zufriedenheit noch sehr viel mangelt, entschloß ich mich fürs erste stillzustehn. Was ich künftig noch thun werde, wenn mir Leben und Kraft gegönnt wird, ist mir jetzt selbst unbekannt. Nur so viel weiß ich, daß ich mir fernere Abänderungen nicht leicht werde versagen können; und entdecke ich, was zuverläßig geschen wird, wirkliche Fehler, so ist es ohnehin meine Pflicht, sie nicht stehen zu laßen.

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§ 17 Otfrids altdeutscher Text, welchem die neudeutsche Übersetzung gegenübersteht, hat die Druckausgabe Schilters, Ulm 1728 in seinem Thesauro antiquitatum Teutonicarum Tom. I. zur Grundlage. Dabey sind aber überall die Ergänzungen, und Verbeßerungen, getreulich, wie ich glaube, eingeschoben, welche schon Scherz, nach Rostgaard aus dem Vaticanischen und nach Schmid aus dem Wienerschen Manuscripte in den Notæ sehr fleißig beygefügt hatte. Rostgaards Emendationes Otfridianas habe ich selbst; daher konnte ich auch leicht das wenige noch nachtragen, was Scherzen entgangen war. Allein nebstdem bleiben, wie ich mich für überzeugt halte, noch mehrere Verbeßerungen übrig. Einige Fehler, die gar sehr in die Augen springen, glaubte ich ohne Bedenken, beseitigen zu dürfen, deutete es aber jedes Mahl in der Nota an, um auf den Fall, daß ich etwa doch im Irrthume wäre, Niemand zu verführen. Ein paar solche, meines Erachtens sehr erhebliche Beyspiele liefert sogleich die Zueignungsschrift an König Ludwig V. 52. [Bl. 20a = 22a] und V. 133. Ich bitte, die bezeichneten Stellen selbst nachzuschlagen, damit es unnöthig werde, sie weithläufig auszuschreiben. Übrigens kommen im altdeutschen Texte, selbst nach den eingeschalteten richtigen Lesearten noch sehr viele Wörter und Phrasen vor, die in hohem Grade verdächtig scheinen. Auch dieses ist, mit Beyfügung der wahrscheinlichsten Vermuthungen, sorgfältig angemerkt worden, und am Ende folgt sogar ein Verzeichnis davon nach der Ordnung der Bücher und

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§ 18 Woher Otfrid seinen orthographischen Canon habe, weiß ich nicht. Vielleicht hatte er ihn sich selbst entworfen; vielleicht war es ein Überbleibsel von den grammatischen Versuchen, die man schon zu Karls des Großen Zeiten gemacht hatte. Diese letzte Vermuthung spricht wenigsten Hickesius in Thes. ling. vett. Septentr. aus, indem er sagt: Is (.Otfridus.) Theotiscam Sermonem iterum polire et reformare cupiens, grammaticam Francicam, a Karolo Imp. haud consummatam auxit et perfecit, multaque præteræ præclara opera composuit. Übrigens ist es der einzige Übersetzer des Tatian, der mit Otfrid, was die Schreibart anbelangt, ziemlich nahe übereinstimmt; die übrigen Scribenten und selbst der Verfaßer der Monseeschen Glossen, wiewohl er fast ganz seine Mundart spricht, weichen beträchtlich von ihm ab. Aber wie sich andere nicht gleich bleiben, was mit Tausend Beyspielen zu belegen ist,******6 so [Bl. 20b = 22b] bleibt sich auch unser Otfrid nicht jeder Zeit und in allen Fällen vollkommen gleich. So schreibt er z. B. am Ende der Wörter gewöhnlich: b; aber auch bisweilen wieder: p, wie andere. Er schreibt gemeiniglich: bt aber auch wie viele andere, und die Lateiner: pt. In der Ordnung gebraucht Otfrid nicht Kt, sondern Gt. z.B. wangta, sangta, thagta, von wenken, senken, theken. Und doch hat er auch wieder scankta von scenken. In der Regel wird von ihm kein Wort mit: t, angefangen; nichtsdestoweniger gibt er uns doch bisweilen tod, trado, zu lesen – Mehrere Abweichungen von dem angenommenen Schreib=Canon sind inzwischen bloß für scheinbar zu halten. Hierher gehört vorzüglich der Umlaut und die Assimilation – Der Umlaut des a in e, wegen eines nachfolgenden i, wie z. B. elliu für alliu. Die Assimilation, wenn das Wort einen den Flexionsvocalen gleichen Bildungsvocal annimmt z. B. heresten, herosten. Auch mit s und v wechselt Otfrid öfter nach einer Regel. Am Ende des Wortes steht bey ihm gewöhnlich f. z. B. briaf, zwelif. Aber wenn das f bey der Verlängerung desselben in die Mitte zu stehen käme, so bedient er sich des weicheren v. daher: brieventi (.brievjenti.) zwelivi.Doch das alles gehört eigentlich der Grammatik an, und ist dort umständlich und deutlich zu erörtern. Wo übrigens Otfrids Schreibweise ohne allen Grund verschieden angetroffen wird, da mag es wohl größtentheils auf die Rechnung seiner Abschreiber kommen. [Bl. 21a = 23a] Was mich anbelangt, so schrieb ich den altdeutschen Text, wie ich ihn in Schilters Ausgabe vorfand. Wer sollte auch, wenigstens dermalen eine Änderung vornehmen? Otfrids Manuscript ist verloren, und die Codices sind nicht selten selbst so ge-

_________ ****** [Bl. 20a=22a] Ein solches Beyspiel fällt mir soeben in der Gloss. Lindenbrogianis auf. Erst steht: licium: fiza, und unmittelbar darauf folgt: liciatorum: [Bl. 20b = 22b] vizeboum, von nämlichem Autor. Da möchte man doch wohl fragen, ob etwas anderes zum Grund liege, als regellose Willkür? Es wäre wahrlich auch schwer zu begreifen, daß die alten Deutschen in ihrer rohen Sprache nicht bloß einen festen, sondern auch eine künstlichere Orthographie, sollen gehabt haben, als die Neue in ihrer viel gebildeteren.

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schrieben, wie es der Hand des Schreibers beliebte. So schreibt der Wienersche, in den letzten zwey Büchern häufig: do, du, dih; da doch die Ausgabe Schilters wie vom Anfange des Werkes, so auch am Ende desselben, ununterbrochen, tho, thu, thih, geschrieben darbiethet. Was ich mir erlaubt habe, ist das neuere V für das alte U, wenn es Consonant ist: und: ir, für yr welches Otfrid bisweilen im Anfange eines Verses gebraucht. Auch hielt ich thrato durchgehends bey, wie wohl es in der Mitte des Werkes gemeiniglich: drato, geschrieben vorkommt. § 19 Die Handschriften haben nebst der Buchstabenschrift noch mancherley andere Zeichen über und neben denselben, wie man aus Scherzens Supplement zur Schilterschen Vorrede ersehen kann. Es ist in der That nicht wenig zu beklagen, wenigstens für mich, daß man diese Zeichen nicht bloß die, die wie Accente gezeichnet sind, sondern auch die anders gestalteten, in den gedruckten Ausgaben weggelaßen hat. Ich halt’ es nämlich nicht mit Dieterich von Stade, der an Eggeling über diesen Gegenstand folgender Maßen schreiben zu dürfen glaubte. Ego, ut (de accentibus.) dicam, quod sentio, eos supervacuos esse statuo, et Otfridum suo tempore, iis, aque [!] ac nos hodie, carere potuisse. Scansio et sensus æque bene sine iis procedit, et more sui seculi solum abreptum fuisse Otfridum palam est. Sos palam est? Wie so ganz sicher! Was Eggeling hierauf antwortet, findet noch weniger statt. Seine Worte sind: [Bl. 21b = 23b] De accentibus in codice Otfrdi Cæsareano, quid dicam, fere nescio. Daher hätte er besser schweigen sollen. Hoc tantum possum. Suspicor Otfridum ipsum illos non addidisse. Neque enim tunc temporis vel græcis, vel Germanis, vel Runis, vel Belgis, apices erant cogniti; sed ut pleraque Glossaria vetusta teutonica in gratiam Monachorum claustra germanica inhabitantium, huius autem linguæ ignarorum, conscipta reor, ideoque eos, quo facilius hæc addisceretur, et concinnius pronuntiaretur, additos; sic eandem ob rationem Otfridianis, quamvis a recentiori manu, fuisse adpictos: etenim theotiscam illam linguam sine accentuatione olim a peregrinis æque difficulter potuisset legi et intelligi, ut hodie Chinensium a Missionariis Europæis. Mein Urtheil ist von ganz anderer Art. Hoffentlich werde ich mich erklären müssen, wenn ich meine Meinung von der Scansion des Otfridischen Verses kund gebe. Hier sag ich nur, daß ich die Accente, und überhaupt alle Otfridischen Stimmzeichen eben so getreu als fleißig angemerkt haben würde, wenn ich sie auf irgend eine Weise hätte erhalten können. § 20 Die Interpunction in den Handschriften soll sehr einfach seyn. Sowohl in der Mitte des Verses, als am Ende desselben befindet sich ein Punct. z.B. Ludwig ther snello. Thes wisduames follo. Er Ostarrichi rihtit al. So Frankono Kuning scal. Da diese Interpunction für uns Leser keinen begreiflichen Nutzen verspricht, zumal, wenn die übrigen Zeichen fehlen, so kann man sie, wie ich glaube, ebenso gut vernachläßigen, als beobachten. Interpungieren wir, und nach

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unserer heutigen Art, so hat die Sache offenbar keinen Werth. Daher mach ich mir fast Vorwürfe, daß ich es doch gethan habe, zumal da meine Meinung in dieser Rücksicht aus [Bl. 22a = 24a] der gegenüberstehenden Übersetzung deutlich genug zu ersehen gewesen wäre.

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§ 21 Wenn ein Vocal schon in der Schrift selbst, durch Elision weggeworfen ist: so glaub ich, daß das folgende Wort mit dem vorhergehenden per conlisionem in eines verschmilzt, und daher auch mit diesem ganz zusammengehängt werden soll. Ein anderes ist nämlich: wanta [Punkt auf »a«, N.K.] er; und ein anderes, want er. Beyde sind zwar in der Scansion nur zweysilbig. Aber in wanter verliert die Sylbe er den Ton, wie mir scheint, und in wanta [Punkt auf »a«, N.K.] er behält sie denselben. Daher mein ich, soll man nie want er abgesetzt; sondern zusammengezogen: wanter schreiben. Und so möchte vielleicht mit allen schon in der Schrift vorhandenen Elisionsfällen zu verfahren seyn. Oft, weiß ich, hab ich es auch wirklich gethan; ob aber jeder Zeit mit Recht, getraue ich mir noch nicht zu behaupten. Ob man nicht jedoch in solchen Umständen das Apostrophszeichen ’ z. B. ermo, erio [Apostroph jeweils auf »r«, N.K.], mannan [Apostroph auf dem ersten »n«, N.K.] anwenden kann, ist eine Frage, die wahrscheinlich bejahend beantwortet werden darf. Dies könnte, wenigstens für uns, manchem Mißverstande vorbeugen. Noch muß ich bemerken, daß die Sammler der lect. variantt. auf diesen Gegenstand wenig Rücksicht genommen zu haben scheinen. Rostgaard wenigstens sagt in solchen Fällen öfter: Sic distinguendum, sic separo. Etymologisch muß man allerdings die zusammengesetzten Stücke unterscheiden; aber in der Schrift sind sie meines Erachtens ebenso wenig als in der Aussprache zu sondern. Jedermann spricht und schreibt: Seligkeit; Niemand: Sel – Ig – Keit, und dennoch besteht jenes aus diesen drey Wörtern.

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§ 22 Otfrids Werk besteht aus Distichis. Der Vers soll also auf [Bl. 22b = 24b] einer Zeile gegeben seyn, wie oben § 20. ein Beyspiel, und nicht in zwey abgebrochen. Da aber das Abbrechen bey mir sowenig, wie bey Schilter zu vermeiden war, indem ich auf der andern Spalte für die Übersetzung Platz gewinnen mußte: so sorgte ich doch wenigstens dafür, daß die zusammengehörenden Hälften eines Verses unter einer gleichen Verticallinie anfiengen, und das zweyte Zeilenpaar tiefer hineingerückt wurde. Die Einrichtung schien mir nicht ohne guten Nutzen zu seyn. Otfrid spricht nämlich mit einem Disticho gemeiniglich einen ganzen Sinn; aber es ist ihm das erste die prothes. und das zweyte die apothes. Nach der Schilterschen Versestellung, die immer durch ein ganzes Kapitel wechselweise die eine Zeile verschiebt, und die andere zurücksetzt, wird dies nicht gehörig sichtbar; wohl aber vollkommen durch die meinige. Der Leser wird selbst finden, daß dieses eine Bequemlichkeit ist, die viel zum leichtern Verstande des Satzes beyträgt.

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§ 23 Von dem Wesen des Otfridischen Verses schweige ich hier ganz, weil ich eigens eine Antwort auf die Frage zu versuchen Willens bin: Wie diese uns so sonderbar scheinenden Verse zu scandieren, und daher zu declamieren, und zu singen seyn mögen.

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§ 24 Meine Übersetzung folgt dem Texte Otfrids von Strophe zu Strophe. Zwischen den einzelnen Wörtern aber, und bisweilen auch zwischen ganzen Zeilen, sind der beßren Verständlichkeit wegen, und um eine in dem heutigen Sprachgebrauche gewöhnliche Rede zu erhalten, hin und wieder Umsetzungen vorgenommen worden. Der erste Fall trifft ziemlich oft ein; der zweyte seltener. [Bl. 23a = 25a] Das ist indessen bey Übertragungen aus einer Sprache in die andere überhaupt unvermeidlich. Meine Hauptabsicht ging immer dahin, soviel ich mit Kenntniß und Fleiß zu wegebringen konnte, genau auszudrücken, was Otfrid gesagt hatte. Daher behielt ich, wie ich auch deutsch schrieb, so weit es nur zuläßig war, immer gern das Wort bey, welches sich in ihm findet. Vielleicht verfuhr ich gar zu sclavisch. Allein da sehr viele Wörter, sie mögen von was immer für einer Gattung seyn, durch die Länge der Zeit, seit tausend Jahren, ganz und gar unbekannt geworden sind, und andere noch mehrere in Bezug auf die Bedeutung eine große Veränderung, zumal durch Einschränkung des Begriffes erlitten haben: so war ich doch auch nicht selten gezwungen, meine Zuflucht zu andern Wörtern und Ausdrücken zu nehmen. In der Dedication an König Ludwig heißt es V. 67. Bimide io zala thero fianto fala. Wozu die Dolmetschung von Flacius also lautend: Vermeide die Zahl, die Falle der Feinde. Heutzutage ist nämlich io zala, [keine] Interjection mehr, wie zu Otfrids Zeiten, und wer es behält wie Flacius, sagt etwas, was die Ohren der heutigen Deutschen nicht mehr verstehn. Oder wenn von Otfrid IV. 2, 38. gesagt wird: Mariens Salbe, womit sie Jesum beehrte, stank durch das ganze Haus: wer würde das in seiner Bedeutung so sehr veränderte Wort: Stinken, an dieser Stelle sprechen oder hören wollen? Solche Fälle, in denen die ältere Bedeutung der Wörter bald mehr, bald weniger mit der neuen nicht coincidieren finden sich in großer Anzahl vor. Zudem hat Otfrid nicht wenige ganz eigenthümliche Pleonasmen, und Eklipsen. Zudem mußten gehören vornehmlich die verba: biginnan, gistantan, flizan, ilan &c bey einem andern verbo, das [Bl. 23b = 25b] gewöhnlich im Conjunct. ohne thaz folgt. Manchmal können sie allerdings mit: versuchen, unternehmen, sich bemühen &c gegeben werden; aber sehr oft sind sie, wenn man die Rede nicht schleppend nennen will, gänzlich wegzulaßen. Die Eklipsen treffen häufig die pronomina, die Conjunctiones, und bisweilen auch die Verba. Ein Paar auffallende Beyspiele sind III, 4.9, und 41 zu ersehen. Wie man im ersten Falle das überflüßige Wort unterdrücken muß: so hat man urtümlich im zweyten das mangelnde zu ersetzen, um Idiotismen zu vermeiden, und nicht Barbarismen zu verfallen. Auch duan hat bey Otfrid einen ganz eigenen Gebrauch. Bey ihm vertritt es nämlich gar oft das vorhergehende verbum. Wir können in solchem Falle nicht thun brauchen; sondern müßen nothwendig dasselbe verbum

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wiederhohlen! . Siehe II. 21, 18 und 20. Wo ich indessen von Otfrids Rede, und Ausdrucke beträchtlich abzuweichen genöthiget war, merkte ich es gewöhnlich an, und sagte, wie sein Satz wörtlich laute. § 25 Die Übersetzung besteht aus Jamben. Aber da ich hart beym Worte bleiben sollte und wollte: so war es mir unmöglich, mich auf eine bestimmte Anzahl von Füßen einschränken zu laßen. Noch weniger konnt ich, um dieses Zweckes willen der nothwendig im Angesichte bleiben mußte an einen regelmäßigen männlichen und weiblichen Ausgang des Verses, am allerwenigsten aber an einen Reim in denselben denken. Die größere Freyheit, daran sich spätere Bearbeiter des Otfrischen Werkes zu erfreuen haben dürfen, schien nicht auch mir, einem der ersten, schon verliehen zu seyn. Ja ich mache mir sogar Vorwürfe, daß ich mir die Feßeln eines solchen ge-[Bl. 24a = 26a]wiß ganz bedeutungslosen Jambus anlegte: denn in der schlichten Prosa hätte ich mich, wie ich es oft gefühlt, noch viel freyer bewegen, und Otfrids Sinn, ohne Zweifel, treffender ausdrücken können. § 26 Die Noten, welche sowohl Otfrids Text als die Übersetzung begleiten, sind von dreyfachem Inhalt. Einige sind kritisch. Denn gar oft war ein Schreibfehler bemerkbar zu machen, wie §17 Beyspiele gegeben sind: auch mußten die verdächtigen Stellen, sammt den Gründen, warum sie es sind, angezeigt, und mit den wahrscheinlichsten Hypothesen, und Conjecturen begleitet werden. Andere Noten sind grammaticalisch. Vor allem ließ ich mir angelegen seyn, die Nom. sowohl Substant. als adject. auf das rectum. oder absolutum, und die verba auf ihr infinitivum zurück zu führen. In Ansehung der letzeren geschah es, wie ich glaube besonders fleißig mit denen, die ich bisher selbstische genannt hatte, wie sie das præteritum so zu sagen, aus sich selbst, und nicht mit Hilfe einer Vergangenheitspartikel (ta) wie die übrigen, die deßwegen offenbar beholfene sind, bilden. Da diese selbstischen verba (Bisher hießen sie bey den deutschen Grammatikern irreguläre, wenigstens machen sie einen Theil von diesen aus) sehr viele Veränderungen in der Conjugat. erleiden, so würden auch diese mit besonderer Sorgfalt beygefügt, und namentlich der imperat. – die III. præs sing. indicat. – dann die I. und II. præt. sing. indicat. und endlich das part. præteriti angegeben. Zum Beyspiele steht im Texte: bulgut, so lautet es in der Note: Bulgut, von belgan, (bilg, balg, bulgi, bolgan) zürnen. Also: zürnet – Bey den beholfenen verbis ist in Ansehung derjenigen, die zur conjugat. – i. [Bl. 24b = 26b] gehören, weil ihr Formationslaut: i, und zwar bald Vocal bald Consonant ist, wie ich glaube, für den jeder Zeit vorhandenen Fall das Nöthige angezeigt. Die ganze ziemlich weitläufige, und sich mit mehreren Erörterungen beschäftigende Lehre von den verbis in: i. muß übrigens die Grammatik geben – da die verba der Conjugat. – e bey den meisten altdeutschen Scribenten des Occidents und insbesondere bey Otfrid im infinitivo mit den verbis der conjugat – i zusammenfallen, indem sie beyde auf: en, endigen: so vergaß ich nicht, wo es

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Noth thut, zur Vermeidung aller Irrung den Unterschied anzudeuten. Zum Beispiel so: mornenti von mornen, zur Conjugat – e (morne, morneta) – die verba der Conjugat – o sind kennbar genug, und bedürfen daher keiner weiteren Bemerkung – Was die verba anomal anbetrifft, so habe ich, wo nicht von allen, doch wenigstens von den wichtigsten von duan, durran, mugan, unnan &c das conjugat. Schema kurz angegeben. Einige, nicht sehr viele von den Noten befaßen sich mit etymologischen Erklärungen, ja sogar mit bildlichen, freylich nach einem ganz besonderen, und nicht eher recht begreiflichen System, bis es nach dem Begriffsumkreise, in den Wortfamilien entwickelt, dargestellt ist. Was ich indeßen bisweilen, ohne mich zurückhalten zu können, nach dieser Weise vorbrachte, sagte ich vielleicht doch so populär, daß es dem Faßungsvermögen nicht sonderbar zum Anstoße ist. Ob ich aber über diesen Gegenstand, den ich doch zur innern Begreiflichkeit der Wörter, sie mögen was immer für einer Sprache angehören, für höchst nothwendig erachte, je etwas schreiben werde, glaub ich schwerlich. Allerdings kann ich Beyspiele geben, weil ich deren einige jetzt schon in der Bereitschaft habe, wie die Wörter [Bl. 25a = 27a] hörbare Zeichen der Begriffe, nach eben diesen, familienweise zusammen zu stellen, und die Bedeutung des einen aus der Bedeutung des andern zu erkennen sey. Wer sich vielleicht ins Künftige mit dieser Wissenschaft, die nicht neu seyn wird, weil sie die erste in der Welt war, aber nach Einführung der Buchstabenschrift, allgemach verloren ging – wird abgeben wollen, dem sag ich inzwischen, daß er in seiner Lehre zwar zufällig, aber unvermeidlich wird Dinge vorführen müßen, die er des Wohlstandes wegen, gewiß nicht für alle Menschen ohne Unterschied geeignet hält, und die in ihm die Erinnerung an die Eleusinischen Geheimniße und ähnliche Gelehrten=Institute nicht undeutlich erwecken mögen. Zum Behufe seines Unternehmens würde sich ein solcher vor allem anderen mit einer einsylbigen Sprache, z. B. der Chinesischen vorläufig vertraut zu machen haben – Endlich habe ich noch Anmerkungen, die die Erläuterungen der Otfridischen Paraphrase zum Gegenstande haben. Otfrid hat nämlich das, was er schreibt, nicht aus seinem Kopfe genommen; er hat aus Quellen geschöpft, und diese waren ihm vornehmlich die Commentarii des Hrab. Maur., des Alcuin, und des Britten Beda, in welchen zugleich die hauptsächlichsten Lehren der ältern Väter: des heil. Hieronymus, Augustinus, Ambrosius, Gregorius, gemeiniglich wörtlich aufgenommen waren, wie es immer die ächte Traditions=Methode fordern kann. Die entsprechenden Stellen hob ich daher aus zur Bestättigung der Übersetzung, besonders in den Kapiteln, die die Aufschrift: mystice, spiritualiter, moraliter, tragen. Ja einige Reden Otfrids sind oft gar nicht zuverstehn, wenn man nicht die Schriften der genannten Kirchenlehrern zu Rathe zieht. So läßt er z. B. V. 15 Jesum dreymal zu Petro sagen: [Bl. 25b=27b] gihalt min scaf minu – minu; nales thinu. das ist Pasce oves meas – meas; non tuas. Woher und wozu dieser seltsame Zusatz? Er findet sich Bedas Commentar sammt der Erklärung desselben. Man sehe das angefügte Kapitel.

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§ 27 Und dieses altdeutsche Product der Literatur, welches hier übersetzt erscheint, was ist es denn? Und was enthält es? Auf diese Frage soll doch wohl auch eine geziemende Antwort ertheilt werden. Ohne auf die verschiedenen Meinungen, und die vielen Titel, die man versucht hat, Rücksicht zu nehmen, sage ich, was ich denke, und was ich mir während einer vieljährigen Vertraulichkeit mit demselben abzuziehen Gelegenheit gehabt habe. Ich sage demnach: Otfrids Werk ist dem Entwurfe nach, epischer Natur. Der erhabene Held desselben ist Jesus, der Heilant (der Heilende) wie er ihn selbst nennt, und der Inhalt umfaßt dessen Reden, Thaten und Schicksale zur Wiederherstellung des gefallenen Menschengeschlechtes durch freywillige Aufopferung seiner Selbst. Die Erzählung beginnt, nachdem die einleitenden Begebenheiten vorausgeschickt worden, mit der Menschwerdung, durchgeht in systematischer Zusammenstellung das ganze Wirken des Gottmenschen in seinem Leben; beschreibt dessen eben so großmüthigen, als harten Tod; trägt seine siegreiche Auferstehung, und seine glänzende Himmelfahrt vor: geht, da das Wiederherstellungswerk mit diesem noch nicht vollendet ist, zu seiner Wiederkehr in der Eigenschaft des Weltrichters über, und schließt endlich mit der Schilderung der himmlischen Wonne, wie er sich ausdrückt, mit welcher er beständig eine Aufzählung der iridischen Drang[Bl. 26a = 28a]salen nebenher laufen läßt. Das Ganze, welches aus fünf Büchern besteht, wovon das zweyte Privat=Lehre, und Urkunde, vorzüglich für die Jünger; das dritte aber öffentliche für die jüdische Nation enthält, hat einen wohl berechneten Zusammenhang. Die Charactere sind treffend gezeichnet, die Darstellung, größtentheils dramatisch, ist ungemein lebhaft. Man glaubt immer fort zu hören und zu sehen. Man lese z. B. die Bothschaft Gabriels an Maria, ihren Lobgesang, den Lobgesang Zachariä, den Kindermord zu Bethlehem Simons Empfang im Tempel, die Predigten und das großartige Benehmen Johannes, die Versuchung Jesu durch Satan, die Geschichte mit der Samariterin, der Ehebrecherin, dem Blindgeborenen, dem Lazarus. Man lese ferner Jesu Einzug zu Jerusalem, die kunstreiche Wendung des Pilatus, den großen Gefangenen in Freyheit zu setzen, die trauernde Natur bey Jesu Tod, Auferstehung, das zärtliche Wehklagen der Magdalena zu den Engeln bey dem Grab, die Erscheinungen Jesu nach der Auferstehung, besonders zu Emmaus, und am Gestade des tyberischen Sees, seine hochherrliche Auffahrt in den Himmel, und seine allmächtige Wiederkunft zum Gerichte der Welt u.s.w. Alle Gefühle werden hier wechselseitig in Anspruch genommen; die Gefühle der Liebe des Abscheues, Freude, der Betrübniß der Furcht der Hoffnung des Wohlgefallens, des Mitleidens. Besonders ist Otfrid ein Meister die eingreifendsten Gefühle des Erhabenen und Heiligen zu erwecken. § 28 Man kann in der That kaum glauben, daß so etwas in einer so barbarischen Sprache, wie die Sprache Otfrids in unsern Ohren zu klingen scheint, [Bl. 26b = 28b] hervorzubringen möglich sey. Das hat indeß schon Joh. Schilter, sein erster Übersetzer, wahrgenommen, und innig empfunden, indem er in

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seiner Vorrede in Libros Evangeliorum Otfridi S. III aus eigenem Antriebe bekennt: Mihi incredibilis quidam amor erga hunc librum sese insinuavit. Er hat ganz Recht. Aber was würde er erst empfunden, und gesagt haben, wenn es seine mißgünstigen Umstände erlaubt hätten, dieses Buch, und dessen Inhalt genauer kennen zu lernen? Und ein anderer, der ihn über kurz oder lang beßer versteht, und übersetzt als ich bey meinen dürftigen Hilfsmitteln, wird noch mehr als ich zu empfinden haben, und zu sagen wißen. § 29 Inzwischen hielt sich Otfrid mit der strengsten Gewißenhaftigkeit an die Evangelische Geschichte, und an die Schriften der berühmtesten Kirchenväter. Dies hatte er sich zum unwandelbaren Grundsatz gemacht, wie er in der Ankündigung und Aufstellung seines Zweckes im zweyten Kap. des ersten Buches, deutlich genug selbst erklärt. Daher kommen allerdings die sogenannten poetischen Fictionen, wie etwa in Klopstocks Messiade, nicht sehr häufig vor; wo sie aber vorkommen, dem angenommenen Grundsatze unbeschadet, haben sie ganz zuverläßig ihren entschiedenen Werth. Wie anziehend ist z. B. die Stelle, wo Otfrid den Satan ängstlich überlegen läßt, auf welche Weise ihm der tugendhafte Mann, Christus in die Welt hereingekommen sey. Da er doch nach seinem Wißen, mit vieler Sorgfalt alle Zugänge in dieselbe fest verschlossen hätte, und immerfort, aufmerksam genug verwacht hielte. [Bl. 27a = 29a] § 30 Was Otfrid moralisch, und mystisch vorträgt, ist als Episode zu betrachten. Seine moralischen Anmerkungen sind indessen, wie dafür halte, überall am rechten Orte, und in hohem Grade wirksam. Um sich selbst davon zu überzeugen lese man z. B. nur das 21. Kap. des letzten Buches nach dem Weltgerichte, und der Verwerfung der Gottlosen. Und was Otfrid in der Weise aller älteren Kirchenlehrer, und nach ihrem Sinne, uns unter dem Titel: mystice, und spiritualiter zu lesen gibt, besteht in lauter solchen Bildern, die überall Licht für den Verstand, und Wärme für das Herz sind. Kräftiger kann kaum ein Religionslehrer seinen Vortrag machen. Ja selbst der gelehrte Theologe wird meines Erachtens, Otfrids Paraphrase, nicht ungern lesen, und Vergnügen haben, wenn sich ihm freylich nicht sehr oft, aber doch hie und da neue Ansichten, besonders in Beziehung auf den Zusammenhang der Erzählungen, entgegenstellen. Überhaupt mag jeder Christ in diesen Blättern Nahrung für Herz und Geist finden: denn nach meiner Meinung, und ich glaube nicht, daß ich mich irre, ist Otfrids Evangelien=Werk eines der beßten Erbauungsbücher. Da es soviele, beynahe tausend Jahre zählt, so konnte mancher vielleicht glauben, es enthalte gewiße vitia Seculi. Allein wer dies vermuthet, irrt sich himmelweit. Denn wahrhaftig Niemand ist in dieser Rücksicht weiser als unser Otfrid. Bey ihm findet sich durchaus nichts andres, als was bis auf seine Zeiten überall, und von allen gelehrt worden war. Hätte Otfrid lateinisch geschrieben, so wäre sein Werk ohne Zweifel, immer so bekannt und geehrt geblieben, wie die Werke Beda’s, Alcuins, Hrab. Maur & aus jenem Zeitalter; aber er schrieb, weil es so seine Absicht [Bl. 27b = 29b]

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war, deutsch und die deutsche Sprache hatte schon, zu seiner Zeit, wie wir von ihm wißen, selbst unter seinen Landsleuten keine sehr warmen Freunde. Auch veränderte sich nach Otfrid die deutsche Sprache so schnell, daß das was er geschrieben hatte im nächsten Jahrhundert nicht mehr geläufig hat verstanden werden können. Überdieß weiß man ja auch, daß das, was in einer Sprache, die noch auf dem Wege der Ausbildung ist, geschrieben wird, nach einem Zeitraum von fünfzig Jahren nicht mehr gefällt. Daher ist es sehr leicht zu begreifen, daß Otfrids Werk in Vergeßenheit gerieth, während die Werke der soeben genannten Männer von Hand zu Hand gingen, und immer mehr Öffentlichkeit erhielten, bis sie durch die Druckereyen der ganzen geistlichen Welt mitgetheilt wurden. § 31 Ich weiß es leider selbst nur gar zu gut, wahrhaftig Niemand darf es mir sagen, daß ich mit meiner Arbeit das treffliche Vorbild bey weitem nicht erreicht habe. Es war mir zu hochgestellt. Allerdings that ich mein Möglichstes. An Zeit Aufmerksamkeit und Fleiße ließ ich schwerlich etwas nach meinem Wißen ermangeln. Aber bey allen dem habe ich doch Gebrechen über Gebrechen. Nebstdem daß noch einige Wörter und Redensarten übrig sind, die ich trotz dem angestrengtesten Nachforschen, in allen mir vergönnten Hilfsmitteln nicht ausfindig machen konnte, war ich auch bey bekannten und wohlbegriffenen Stellen, sehr oft nicht im Stande, die paßendsten Wörter und Ausdrücke zu treffen, und anzuwenden, ohne merklich vom Originaltexte abzuweichen: und mehrmal geschah es, daß ich mir [Bl. 28a = 30a] um dieser Ursache willen sehr mißfällige Härten zu Schulden kommen ließ. Auch aus diesem Grunde wäre es ohne Zweifel beßer gewesen, wenn ich die freyere Prosa gewählt hätte. Wo indessen meine Übersetzung nicht recht zuverläßig ist, zeige ich es in der Regel getreulich an. Wenigstens sag ich öfter: hic etiam mihi aqua hæret. wie Scherz, der es das ganze Werk hindurch nur zweymal hören läßt. § 32 Einer, so denk ich, mich selbst tröstend, lichtet den dichten Wald nicht aus. Nicht unwahrscheinlich kommen andere nach, und räumen dienstfertig hinweg, was mir noch stehen bleibt, damit sodann Otfrids Pflanzung, frey von allem, was Schatten wirft, auf sonnigem Ackerland, nach einem Zeithraum von einem Jahrtausende, recht freudig, und vielleicht noch freudigere, als gleich nach ihrem Entstehen gedeihen mögen. Die vollkommeneren Übersetzungen Homers, Virgils & sind doch auch erst auf die mangelhafteren gefolgt, und selbst jetzt scheinen die vollkommensten noch nicht das Tageslicht gesehen zu haben, wie noch fast jedes Jahr neue angekündiget und ausgegeben werden. Und müßte Alles solang in der Werkstätte warten, bis es den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht hätte, wahrhaftig da würde auf der Welt wenig zum Vorschein kommen. Errando discimus: inventis facile est addere. Nur auf diesem Wege werden einst Homer, Virgil, und ohne Zweifel auch Otfrid, um dessentwillen wir alles dieses sagen, ein: Non plus ultra werden. Mir genügt es, für den ge-

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genwärtigen Augenblick zu wißen, daß ich doch Etwas, und besonders in Beziehung [Bl. 28b = 30b] auf den Zusammenhang der Reden geleistet habe. Von diesem Gesichtspuncte aus will ich auch vorzüglich jeder Zeit und überall beurtheilt seyn. Und vor allem wird mich derjenige gehörig richten können, der erst selbst ein Kapitel – bloß mit meinen Hilfsmitteln, und keinen andern – aus der alten Sprache in die neue übertragen, und sein Elaborat mit dem meinigen gefällig verglichen hat. § 33 Übrigens ist der Verfaßer dieses ehrwürdigen Alterthums der deutschen Sprache sonst weiter Niemand als ein frommer Benedictiner=Mönch aus dem Kloster zu Weißenburg (Wizanburg) im Elsaßischen unweit Mainz. Er lebte im neunten Jahrhunderte, und mag etwa um das Jahr 815 nicht lange nach Karls des Großen Tod geboren worden seyn. Weder von seinem Vaterlande, noch von seiner Abkunft ist etwas bekannt. Hrab. Maur. erst Abt zu Fulda, und dann Erzbischof zu Mainz, und Salomo I. Bischof zu Konstanz, waren, wie schon oben S. 7 [s. Bl. 10b] erwähnt worden, seine Lehrer. Beyde nennt er selbst als solche. Jenen in der lateinischen Zueignungsschrift an Liutbert: und diesen in in der Dedication, die er aus Dankbarkeit eigends an ihn gerichtet hatte. Die zwey gelehrten Benedictiner zu St. Gallen Hartmuat und Werinbraht, an die Otfrid die akrostichische Epistel am Schluß des Werkes geschrieben hatte, waren in den Jugendjahren seine Mitschüler, und im Mannsalter seine Freunde. Man sehe die erste Note in der besagten Epistel. Der gelehrte Trithemius gibt unserm Otfrid in seinem Catalogo viror. illustr. [Bl. 29a = 31a] ein höchst rühmliches Zeugniß: er nennt ihn nämlich in Scripturis eruditissimum, et in secularibus literis egregie doctum, Philosophum, Rhetorem, Poetam insignem, ingenio excellentem, et dissertum eloquio – Claruit sub Ludovico, Lothario, Carolo sibi invicem succedentibus anno Domini 870. Man weiß nicht mit Gewißheit, ob die Welt aus Otfrids Hand noch andere Producte lateinisch oder deutsch empfangen hatte. Trithemius spricht ihm zwar noch mehrere zu, aber er theilt auch dieses eine, das Evangelien=Werk, in mehrere für sich selbst bestehende ab, gleichsam als wenn er das Zusammengehören der verschiedenen einzelnen Aufschriften nicht wohl begriffen hätte. So schreibt er ihm z. B. Bücher zu: de iudicio extremo, de gaudiis regni cœlestis &c Aber das sind doch nichts als Kapitel des Evangelien=Werkes.

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§ 34 Zu welcher Zeit das Werk geschrieben ward, ist nicht bestimmt erforscht. Sehr wahrscheinlich aber fällt die Vollendung desselben in die letzte Hälfte der sechziger Jahre. Soviel ist indessen außer Zweifel, daß es 863 noch nicht fertig seyn konnte, weil erst in diesem Jahr Liutbert Erzbischof wurde; aber im Jahre 872 fertig seyn mußte, weil er seinen Freund Hartmuat zu St. Gallen in der oben angefügten Epistel, noch einen gemeinen Mönche nennt, und dieser im genannten Jahre zur abteylicher Würde erhoben wurde. Siehe Not. 1 der Epistel.

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§ 35 Von dem Otfridischen Evangelien=Werke bestehen zwey Druckausgaben, die erste veranstaltete der bekannte Mathias Flacius Illyricus, in [Bl. 29b = 31b] Geselligkeit mit einem gewißen zweyten zu Augsburg, Achilleus Pirminius Gassarus, zu Basel im Jahr 1571. Wie Flacius zum Besitze der Handschrift gelangte, sagt er uns weder in seiner lateinischen, noch in seiner deutschen Vorrede. dafür macht er uns aber umso sorgsamer mit den Beweggründen zur Kundmachung derselben bekannt. Dieser Mann hatte sich nämlich eingebildet, daß Otfrids Schrift der Religionsreformation, die an ihn, wo nicht einen tüchtigen, doch einen leidenschaftlichen Verfechter hatte, ganz vorzüglich zu sagen. Daher spricht er in der deutschen Vorrede so: Dies Buch (nämlich Otfrids Buch) zeigt an, daß dazumal die heil. Schrift in der Kirchen Gottes hochgeachtet gewesen, und daß man sie nicht gelästert habe: Es sey ein finstern (dunkel) zweifelhaftig, unvollkommen Buch, das sich hin und wieder deuten, und drehen läßt, darinnen man nicht alles, was zur Seligkeit von nöthen, finden könne; ja auch ein Ketzerbuch, daraus aller Irrthum entsprießt, wie leider jetzt öffentlich wider den heiligen Geist selbst, mit großer Begnadigung und Privilegien gelästert wird, welches zuvor weder in der Christenheit noch bey den Juden erhört, und geschehen – Im nächsten Abschnitte glaubt Flacius, wenigstens sagt er so, Otfrids Buch lehre, daß wir ohne unser Werk, lauter umsonst durch Christum selig werden, und führt zu seinem Beweise die Stelle I. 2, 85-92 an. Man lese diese, und man wird ohne Schwierigkeit gewahr werden, daß er sich selbst und andere täusche. Otfrids Lehre ist soviel wir erkennen, die gemeine, und lehrt er ihm orthodox, so muß ihm nothwendig die gesammte Christentheit orthodox lehren – Einen andren ebenso gewichtigen Beweggrund [Bl. 30a = 32a] bringt er in seiner lateinischen Vorrede vor: Octa causa huius editionis est, sagt er, quod aliqua indicia purioris religionis (quantumvis iam tum valde incœperit declinare) hinc haberi possunt; cujusmodi est – omnibus tunc licuisse vulgari lingua, Sacras literas lecticare et cantillare, deque iis cum aliis loqui et conferre. Wie leicht hätte Flacius, vermuthlich weyland Priester in der Römischen Kirche, wißen können, daß das Lesen und Singen der heiligen Schrift zu allen Zeiten erlaubt war, so wie noch heutiges Tages; aber freylich ein bißchen nüchterner, als er es vielleicht haben wollte. Otfrid ist ihm mit der Formel: Das magst du selbst lesen, das überlaß ich dir zu lesen, meines Erachtens keineswegs günstiger als der nächste beßte Prediger, der auf die Stelle der Schrift hinweiset, von welcher er wörtlich aber im Auszuge, Erwähnung gemacht hat. Dies, und der vielleicht aus Mißverstand hervorgezogene Titel des Buches: Gnadenbuch; nicht Gesetzbuch (siehe § 5) ut plerique (wie er sagt in causa 8) perperam de Evangelio, tanquam nova, exactioreque quadam lege senserunt, et disseruerunt, Christumque pro mero legislatore, et austeriore Moyse, quam ille prior fuerat, habuerunt – bewog seinen strategischen Geist, Otfrids Evangelien=Werk der Öffentlichkeit zu übergeben. Wahrhaftig wenn Flacius unsern Otfrid nur zur Hälfte verstanden, oder auch nur den Verdacht gehabt hätte, wie Schilter, daß er gar nichts anders verhandle, als aus Beda, Alcuin, Hrab. Maur, nach Hieronymus, Augustinus, Gregorius M., in ihren lateinischen Werken vorgetragen: so hätte dieser

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Mann in dem Schleichfieber seiner Befangenheit, den guten Otfrid vielmehr unterdrückt, als ihn der christlichen Welt mitgetheilt. [Bl. 30b = 32b] Hierauf scheint nicht unwahrscheinlich Schilter selbst anzuspielen, wenn er in seiner Præfat. S. 11 von Flacius und Gassarus sagt: Gratiæ iis debentur, quod non suppresserint, aut neglexerint, sed edi, prout invenerunt, curarint. Wie es auch kam, Flacius war ausersehen, Otfrid ans Licht zu fördern, ohne ihn könnte er noch in der Bibliotheken verborgen liegen, wie vielleicht mehrere Seinesgleichen. § 36 Die zweyte Druckausgabe erschien mit der Schilterschen lateinischen Übersetzung im Jahre 1728 zu Ulm. Schilter würde sie ohne Zweifel selbst besorgt haben. Aber er starb zu früh. Daher übernahm das Geschäft, einer seiner Schüler, Joh. Georg Scherz, der hie und da seinen Meister recht unglücklich verbeßerte, und die abweichenden Lesarten aus den Codd. Vind., und Vat., gesammelt von Schmid, Rostgaard, den Lesern sorgfältig lieferte, woführ ihm aller Dank gebührt. § 37 Handschriften von Otfrids Werk sollen noch drey vorhanden seyn. Nämlich diejenige, die Flacius und Gassarus zum Abdrucke in den Händen hatten. Friedrich Rostgaard glaubt, es sey die flacische Handschrift die nämlich, die sich jetzt zu Rom in der Vaticanischen Bibliothek befindet, und aus der er die Emendationes Otfridianas ausgehoben hat. Er meint, weil sie unter den Pfälzischen Manuscripten ihre Stelle habe, die in früheren Zeiten zu Heidelberg aufbewahrt worden waren: so möge sie von hieraus mit den übrigen nach Rom gewandert seyn. Bevor sie aber setzt er hinzu, in die Pfälzische Bibliothek kam, sollte sie dem Herrn Huldrich Fugger angehört haben. Das mag richtig [Bl. 31a = 33a] seyn, denn die angeführten Beweise sind nicht unglaublich: und der stärkste unter allen wäre der, wenn Gassarus in seiner præfat. zur Ausgabe Otfrids selbst bekennt, er habe sein Exemplar aus dem Fuggerischen Codex abgeschrieben. Flacius hat zwar die Gassarsche præfat. im Drucke weggelaßen; aber Rostgaard versichert, sie im Manuscripte gesehen zu haben, und sagt: Ex codice Fuggeri suum descripsisse exemplar fatetur Gassarus. Eines steht indessen doch im Wege, daß nämlich die flacischen Ausgabe, die erste große Lücke in der Zueignungsschrift an den König Ludwig von Anfange bis Vers 151 nicht hat, wie der Cod. Vat. Man kann nämlich fragen, aus welcher Quelle man diesen Abgang ansetzte; und wenn man noch eine andre hatte, warum man nicht auch die noch beträchtlichere Lücke am Ende des Werkes mittelst dieser ausfüllte? Oder ist die Verstümmelung der Zueignunsschrift vielleicht erst später geschehen, etwa bey Gelegenheit des Transportes nach Rom? – Die zweyte Handschrift wird in der k.k. Hofbibliothek zu Wien aufbewahrt. Sie soll unter der Leitung des Petr. Lambecius, Custos der genannten Bibliothek mit mehreren andern, aus der Bibliothek des Schloßes Ambras in Tyrol, nach Wien übersetzt worden seyn. Aus dieser Handschrift wurde durch den berühmten Lambecius der sehr große

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Abgang ergänzt, der sich in der flaci-[Bl. 31b = 33b]schen Ausgabe sowohl, wie im Vaticanischen Codex von Vers 529 des V. Buches und 23. Kapitel bis zum Vers 283 der Epistel ab Hartmuth und Werinbert, enthaltend 150 Disticha vorfindet – Die dritte Handschrift soll sich zu Freysingen befinden, aber auch im Anfange unganz seyn.

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§ 38 Ob es noch mehrere Handschriften von Otfrids Werke gebe, und ob nicht vielleicht bey den neulichen Ausleerungen der Stiftsbibliotheken einige neue entdeckt worden seyn, sey es in Ganzen oder in Fragmenten ist mir auf diesem meinem Eylande, ohne Verkehr mit der lebenden Welt, und nur mit dem Hingeschieden, nur durch Bücher in einiger Gemeinschaft, nebst vielen anderen Notizen, die eine wohlgerathene Erläuterung des Otfridschen Werkes unerläßlich fordert, zu meinem eigenen Mißtroste nicht beschert. Nachschrift Da ich bey meiner Arbeit sonst keinen andern Zweck hatte, als sie wie sie hier ist, zu vollenden, und da dies nun, freylich mangelhaft genug geschehen ist, so dank ich mit frohem Herzen Gott für Muße, Leben, Kraft, Geduld, und vor allem die nie gewichene Lust.

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Und, Otfrid, wenn wohlwollend mich dein Richterblick verschont: Ist Niemand köstlicher als ich für seinen Dienst belohnt. 1025

Geschrieben zu Steinhaus im Monate März 1821.

9 Literaturverzeichnis 9.1 Abkürzungsverzeichnis und abgekürzt zitierte Literatur 2

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3

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ABäG Abh. ADB AfdA Akad. d. Wiss. ATB Erdmann (1882) FS GAG GRM IASL Kelle I (1856) / Kelle II (1869) / Kelle III (1881)

Kleiber / Heuser I, 1 (2004) I, 2 (2004)

II, 1 (2005) II, 2

3

LThK

MGH N.F.

Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hg. von Karl Langosch und Wolfgang Stammler. Neubearbeitung. Hg. von Kurt Ruh u.a. (1978ff.) Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. 3 Bde. Hg. von Harald Fricke, Klaus Grubmüller, Jan-Dirk Müller und Klaus Weimar. Berlin – New York 1997 / 2000 / 2003. Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik Abhandlung(en) Allgemeine Deutsche Biographie Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur Akademie der Wissenschaften Altdeutsche Textbibliothek Otfrids Evangelienbuch. Hg. und erklärt von Oskar Erdmann. Halle a. d. Saale 1882 (Germanistische Handbibliothek V). Festschrift Göppinger Arbeiten zur Germanistik Germanisch-Romanische Monatsschrift Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch, Hg. von Johann Kelle. Bd. I: Text und Einleitung. Regensburg 1856 (ND Aalen 1963), Bd. II: Die Formen- und Lautlehre der Sprache Otfrids. Mit sechs Tafeln Schriftproben. Regensburg 1869 (ND Aalen 1963), Bd. III: Glossar der Sprache Otfrids. Regensburg 1881 (ND Aalen 1963). Otfrid von Weißenburg: Evangelienbuch. Band I: Edition nach dem Wiener Codex 2687. Hg. und bearbeitet von Wolfgang Kleiber unter Mitarbeit von Rita Heuser. Teil 1: Text. Teil 2: Einleitung und Apparat. Mit Beiträgen von Wolfgang Haubrichs, Norbert Kössinger, Otto Mazal, Norbert H. Ott und Michael Klaper. Tübingen 2004. Otfrid von Weißenburg: Evangelienbuch. Band II: Edition der Heidelberger Handschrift P (Codex Pal. Lat. 52) und der Handschrift D (Codex Discissus: Bonn, Berlin/Krakau, Wolfenbüttel). Hg. und bearbeitet von Wolfgang Kleiber unter Mitarbeit von Rita Heuser. Teil 1: Texte (P,D). Tübingen 2006. Teil 2: Einleitung und Apparat (in Vorbereitung). Lexikon für Theologie und Kirche. Dritte Auflage. Hg. von Walter Kasper 1993–2001. Monumenta Germaniae Historica Neue Folge

305 ND NDB Piper I (21882)

PBB RGA SM TRE VD16 WdF ZfdA ZfdPh

Nach- bzw. Neudruck Neue Deutsche Biographie Otfrids Evangelienbuch. Mit Einleitung, erklärenden Anmerkungen und ausführlichem Glossar und einem Abriß der Grammatik. Hg. von Paul Piper. Erster Theil: Einleitung und Text (Bibliothek der ältesten deutschen Literatur-Denkmäler IX). Paderborn 1878, zweite, durch Nachträge erweiterte Ausgabe Freiburg – Tübingen 1882. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Reallexikon der germanischen Altertumskunde Sammlung Metzler Theologische Realenzyklopädie Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts. Wege der Forschung Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für deutsche Philologie

9.2 Quellenverzeichnis zu Otfrids Evangelienbuch von 1494–1836 Das nachstehende Verzeichnis erfaßt in chronologischer Reihenfolge zum einen vollständig alle in den Kapiteln 1–7 herangezogenen Quellen zu Otfrids Evangelienbuch zwischen 1494 und 1836. Es möchte auch darüber hinaus eine möglichst umfassende Bibliographie der Rezeptionszeugnisse zum Untersuchungszeitraum bieten. Die Grundlage dafür ist eine bibliographische Auswertung der Otfridausgaben von Johann Kelle und Paul Piper, deren Angaben ich teilweise präzisiert, teilweise um ›Neufunde‹ ergänzt habe. Zugänglich ist das Quellenverzeichnis auch über das Register (Kap. 10.2). Handschriftliche Quellen habe ich nur im Ausnahmefall verzeichnet. Sie sind aber ebenfalls über das Register (Kap. 10.1) auffindbar. Kurze Kommentare und Stellenverweise habe ich nur dann hinzugefügt, wenn ein Titel nicht in meiner Darstellung (Kap. 1–7) vorkommt und sich sein Inhalt nicht aus dem Titel ergibt bzw. sich erschließen läßt. 1494 1495

Johannes Trithemius: Liber de scriptoribus ecclesiasticis. Basel 1494. Johannes Trithemius: Cathalogus illustrium viro[rum] germania[m] suis ingenijs et lucubrationibus omnifariam exornantium: d[omi]ni iohannis tritemij abbatis spanhemensis ordinis sancti benedicti: ad Jacobu[m] Vimpfelingu[m] sletstatinu[m] theologum o.O. o.J. [Mainz 1495]. 1518 Johannes Trithemius: Polygraphiæ libri sex Ioannis Trithemii ad Maximilianum Cæsarem. Basel 1518. 1513/15 Briefe von Johannes Trithemius an Maximilian I. vom 21. April 1513, 26. April 1513 und 22. November 1515. 1531 Beatus Rhenanus: Rerum Germanicarum libri tres. Basel 1531. 1537 Johann Eck: Bibel. Alt vnd new Testament nach dem Text in der hailigen kirchen gebraucht durch doctor Johann Ecken mit fleiß auf hohteutsch verdolmetscht. Ingolstadt 1537. 1538 Sebastian Franck: Germaniæ Chronicon : von des gantze Teutschlands aller Teutschen voelcker herkommen, Namen, Haendeln, Guten und boesen Thaten, Reden, Raethen, Kriegen, [...] vor vnnd nach Christi geburt, von Noe biß auff Carolum V. Ankunfft vnnd Stifftung der Reich Bistumb Fürstenthumb Herrschafftenn, Stett, Cloester vnd

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Stifft. Genealogia und geschlecht Register der Potentaten vnd Thurniers gnossen. [...]. Augsburg 1538. Konrad Gesner: Bibliotheca universalis, siue Catalogus omnium scriptorum locupletissimum, [...]. Tiguri 1545. [S. dort Bl. 530vf.] Josias Simler: Epitome Bibliothecæ Conradi Gesneri, conscripta primum à Conrado Lycosthene Rubeaquesini: nunc denuo recognita & plus quam bis mille authorum accessione [...] locupletata: per Iosiam Simlerum Tigurinum. Tiguri 1555. [S. dort Bl. 140v] Juan Christobal Calvete de Estrella: El felicisimo viaje del muy alto y muy poderoso principe Don Phelipe [...]. Antwerpen 1552. [Vgl. zu den Zitaten aus dem Evangelienbuch auf dem Ghenter Triumphbogen auch mit Hinweisen auf weitere Quellen jetzt Markus Stock: Diachronic Topography. The Old High German Inscriptions for the Entry of Prince Philip II of Spain to Ghent (1549). In: Topographies of the Early Modern City. Hg. von Arthur Gross, Hans-Jochen Schiewer und Markus Stock. Göttingen 2008 (Transatlantische Studien zu Mittelalter und Früher Neuzeit – Transatlantic Studies on Medieval and Early Modern Literature and Culture 3), S. 139–160.] Wolfgang Lazius: De gentium aliquot migrationibus, sedibus fixis, reliquiis, linguarumque initiis & immutationibus ac dialectis [...] libri XII. Basileæ 1557. [In Buch III, S. 81 ein Hinweis auf F] Johannes Trithemius: Chronicon Hirsaugiense. Basileae 1559. [Achill Pirmin Gasser:] Liber Euangeliorum Christi rithmis in theodiscam linguam uersus. Finff buecher des heiligen Euangelij / von unsern herren und heilandt Christo / uß den fier Euangelisten / mit altfrenkischen Tytschen rimen / vor siben hundert iaren / durch minch Ottfriden von Wyssenburch zu Sant Gallen beschriben. Transsumptus a me A[chille] P[irminiano] G[assaro] L[indaviensi] hieme anni salutis 1560 Augsburgi, in summa Asmodei vexatione. [Wien, Schottenstift, Cod. 733 (Hübl 605).] Conradi Gesneri ad lectorem præfatio. In: Josua Maaler: Die Teütsch spraach. Dictionarium Germanicolatinum novum. [...]. Tiguri 1561, Bl. 3r–7v. Matthias Flacius Illyricus: Catalogus testium veritatis qui ante nostram ætatem Pontifici Romano eiusque erroribus reclamarunt. Argentinæ 1562. [3Lyon 1597, Bd. II, S. 29–32; 4Frankfurt 1666, S. 215–218.]. Briefe von Konrad Gesner an Achill Pirmin Gasser vom 27. Februar 1563, 17. März 1563, 22. April 1563 und 11. August 1563. In: Caspar Wolf: Epistolarum Medicinalium Conradi Gesneri, [...], libri III. His Accesserunt Eiusdem Aconiti primi Dioscoridis Asseveratio, et De Oxymelitis Elleborati utriusq[ue] descriptione et usu Libellus Omnia nunc primum per Casparum Wolphium Medicum Tigurinum, in lucem data. Tiguri 1577, Bl. 23v, 24r, 26v, 28r. Nona Centuria Ecclesiasticae Historiae: Continens Descriptionem Amplissimarum Rerum In Regno Christi, quae nono post eius natiuitatem seculo acciderunt [...] eodem ordine [...] ut superiores Centuriae, ex vetustis & probatis Historicis, Patribus, & alijs scriptoribus: In Ducatu Illustrissimorum Principum Ac Ducum Megapolensium, in civitate Vuismaria, Per Autores Contexta ; Acceßit rerum verborumque, in hac Centuria praecipuè memorabilium, tum locorum Scripturae obiter explicatorum. Basileae 1565. [S. dort Index s. v. Otfrid] Guilielmus Eysengrein: Catalogus testium veritatis locupletissimus, omnium orthodoxæ matris ecclesiæ doctorum, extantium et non extantium, publicatorum et in Bibliothecis latentium, [...]. Dillingen 1565. [S. dort Bl. 69v] Heinrich Pantaleon: Prosopographiæ Herovm Atqve Illvstrivm Virorvm Totivs Germaniæ. Pars I [...] / Authore Heinrico Pantaleone Physico Basiliensi a Carolo Magno primo Germanorum Imperatore, atq[ue] anno post Christi natiuitatem octingentesimo, ad Maximilianum primum Cæsarem, ipsumq[ue] annum Christi millesimum quingentesimum usq [...]. Basel 1565. [S. dort S. 31.] Matthias Flacius: Clavis scripturae sacrae. Basileae 1567.

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[Matthias Flacius Illyricus:] Otfridi Evangeliorum Liber: ueterum Germanorum grammaticæ, poeseos, theologiæ, præclarum monimentum. Euangelienbuch / in altfrenkischen reimen / durch Otfriden von Weissenburg / Münch zu S. Gallen / vor sibenhundert jaren beschriben: Jetz aber mit gunst deß gestrengen ehrenuesten herrn Adolphen Herman Riedesel / Erbmarschalk zu Hessen / der alten Teutschen spraach und gottsforcht zuerlernen / in truck verfertiget. Basileæ 1571. Conrad Lautenbach: Catalogus testium veritatis. Historia der zeugen / Bekenner und Märterer / so Christum und die Euangelische warheit biß hieher / auch etwa mitten im Reich der finsternus / warhafftig erkennet [...] auß dem Latein in unsere gemeine Teutsche sprach gebracht und verfertiget / Durch Conradum Lautenbach von Mutißlar / Pfarherrn zu Hunaweiler [...]. Franckfurt am Mayn 1573. Claude Fauchet: Recueil De L'Origine De La Langue Et Poesie Françoise. Ryme Et Romans Plus Les Noms Et Sommaire Des Œuvres De CXXVII poetes François, vivans avant l'an MCCC. Paris 1581. [Abdruck von Ad Liutbertum, S. 19ff] Wiguleus Hund: Metropolis Salisburgensis [...]. Ingolstadii 1582. Johann Jacob Frisius: Bibliotheca instituta et collecta, primum a Conrado Gesnero: Deinde in Epitomen redacta, & nouorum Librorum accessione locupletata, [...] per Iohannem Iacobum Frisium. Tiguri 1583, [S. dort S. 646]. Marquard Freher: Origines Palatinæ [...]. Tom. I. Heidelberg 1586. [S. 28 zu IV,20, 2f., S. 80 Abdruck von I,1,69–72] Bernhard Herzog: Chronicon Alsatiæ oder edelsasser Chronick und ausführliche Beschreibung des untern Elsasses am Rheinstrom [...]. Straßburg 1592. [Zu Otfrid in Buch X, S. 193 und 209] Paulus Merula: Willerami Abbatis in Canticum Caticorum paraphrasis gemina, prior rhythmis latinis, altera veteri lingua Francica. Leiden 1598. Marcus Welser: Rerum boicarum libri quinque, Historiam a gentis origine, ad Carolum M. complexi. Augsburg 1602. Melchior Goldast von Haiminsfeld: Paraeneticorum veterum pars I. cum notis M. H. G. ex bibliotheca et sumptibus Bartholomæi Schobingeri i. c. adiectæ Cunradi Rittershusii coniecturæ in panegyricos veteres. Insulæ 1604. Nicolaus Serarius: Mogvntiacarvm Rervm Ab Initio Vsqve Ad [...] Archiepiscopum, ac Electorum, Dominum D. Ioannem Schwichardvm. Libri Qvinqve. Moguntinae 1604. Antonio Possevino: Apparatus sacri. Bd. II. Venedig 1606. [Auf S. 54 zu Otfrid]. Christoph Brower: Fuldensium antiquitatum. Libri IV. Antwerpiæ 1613. Claude Duret: Thrésor de l’histoire des langues de cest univers. [...]. Cologny 1613. [Zu Otfrid auf S. 826] Jacques August Thou: Historiae sui temporis. Parisiis 1614. [Bd. XI, S. 543 zu P] Ioannes Cordesius: Opuscula et epistolae Hincmari Remensis archiepiscopi [...]. Lutetiae Parisiorum 1615. [Auf S. 631–634 Abdruck von Ad Liutbertum] Antonio de Yepes: Coronica general de la orden de San Benito, patriarca de religiosos. Por el maestro Fray Antonio de Yepes. Bd. I. Valladolid 1615. [Auf Bl. 101rv zum Evangelienbuch] Johann Isaac Pontanus: Originum Francicarum Libri VI. Amstelædami 1616. [Auf S. 582–589 I,1,59–74, 111–122, II,21,27–40 mit Übersetzung ins Belgische.] Marquart Freher: Uhralte verdolmetschung deß Hohen lieds Salomonis: Auß Abt Walrams zu Ebersperg berühmbter Teutschen Auslegung / die Er vor 550. jahr darüber gestellt hatt / abgedruckt, [...]. Worms 1631. Marquart Freher: In Willerami Abbatis Eberspergensis Expositionem super Canticum Canticorum. A. 1598 Lugduni Bat. editam Notæ, variæ Lectiones, supplementa, Marquardi Freheri. [...]. Worms 1631. Marquard Freher: In Otfridi Monachi Evangeliorum Librum Octingentos abhinc annos Theotisco rythmo conscriptum et A. 1571 Basileæ impressum, Emendationum Marq. Freheri. Editio posthuma, ex Autographo prolata à Gotthardo Voegelino. Wormatiæ

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impressit Iohannes Mayerhofferus, Anno MDCXXXI. [Einziges bekanntes Exemplar: Zürich, Zentralbibliothek, Sammelbd. VIII. 180(4)] Johann Ludwig Gottfried: Historische Chronica: oder Beschreibung der führnembsten Geschichten [...]. Theil 5. Frankfurt a. M. 1631. [S. 490 zu Otfrid] Martin Zeiller: Itinerarium Germaniae Nov-Antiquae. Teutsches Reyssbuch durch Hoch und Nider Teutschland. Straßburg 1632. [In Buch I, cap. 13, S. 300 eine Erwähnung von V] Martin Opitz: Incerti Poetae Teutonici Rhythmus de Sancto Annone Colon. Archiep. ante D aut circiter annos conscriptus. [...] Dantisci 1639. Christian Gueintz, Deutscher Sprachlehre Entwurf. Cöthen 1641. Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprechspiele So bey ehr- u. tugendliebenden Gesellschaften [...] geübt werden nögen [...]. T. 1. Nürnberg 1644. Justus Georg Schottel: Teutsche Sprach Kunst. Vielfältig vermehret und verbessert [...]. Braunschweig 1651. [Zu Otfrid S. 1194] Franciscus Junius: Observationes in Willerami Abbatis Francicam Paraphrasin Cantici Canticorum. Amstelædami 1655. Johann Heinrich Boeckler: De Rebus Saeculi a Christo nato IX. et X. [...]. Argentorati 1656. [S. 123f zu Otfrid] Justus Georg Schottel: Ausführliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache. I. Teil [...] Braunschweig 1663. [S. 43 und S. 145f Zitate aus dem Evangelienbuch nach Flacius] Cæsarius Egassius Bulaeus: Historia Universitatis Parisiensis. Paris 1666. [Bd. I, S. 627] Petrus Lambecius: Commentarii de Augustissima Bibliotheca Cæsarea Vindobonensi. Bd. II. Wien 1669. Johann Gottfried Olearius: Abacus patrologicus [...]. Jena 1673. Maxima Bibliotheca veterum patrum. Ludgunum 1677. [Bd. XVI, S. 764, Abdruck von Ad Liutbertum] Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Deutsche Übersetzungen und Getichte. Mit bewilligung deß Autoris. Breslau 1679. Daniel Georg Morhoff: Unterricht von der teutschen Sprache und Poesie, deren Uhrsprung, Fortgang und Lehrsätzen. Kiel 1682. Kaspar Stieler: Dichtkunst des Spaten (ungedruckt) [nach Otfrid von Weißenburg, Evangelienharmonie. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex Vindobonensis 2687 der Österreichischen Nationalbibliothek. Eingeleitet von Hans Butzmann. Graz 1972 (Codices Selecti Bd. 30), S. 35] Daniel Georg Morhoff: Polyhistor Sive De Notitia Auctorum Et Rerum CommentariiQvibus Praeterea Varia Ad Omnes Disciplinas Consilia Et Subsidia Proponuntur. Bd. I. Lubecae 1688. Christian Gryphius: Der Deutschen Sprache unterschiedene Alter und nach und nach zunehmendes Wachsthum / ehemals in einem =ffentlichen Dramate auff der Theatralischen Schau-BFhne bey dem Breßlauischen Gymnasio zu St. Maria Magdalena entworffen von Christian Gryphius [...]. Breslau 1708. Johannes Trithemius: Tomus Primus Annalivm Hirsavgiensivm Opus nunquam hactenus editum, & ab Eruditis semper desideratum; Complectens Historiam Franciæ Et Germaniæ, Gesta Imperatorum, Regum, Principium, Episcoporum, Abbatum, Et Illustrium Virorum. Nunc primum in gratiam, et utilitatem Eruditorum è Manuscriptis Bibliothecæ Monasterij S. Galli publicæ luci datum. St. Gallen 1690. James Usher: Historia dogmatica [...] de scripturis et sacris vernaculis. Londinium 1690. [S. 120f.] Monathliche Unterredungen 1691. Monathliche Unterredungen 1695. Johann Schilter: Epinikion Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum, Cum Nortmannos an. DCCCLXXXIII. vicisset. Ex Codice MS. Monasterii Elnonensis sive

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S. Amandi in Belgio, per Domnum Johannem Mabillon, Presbyterum ac Monachum Ordinis S. Benedicti è Congregatione S. Mauri descriptum, Interpretatione Latinâ & commentatione historica illustravit Jo. Schilter. Argentorati, Sumptibus Joh. Reinholdi Dvlsseckeri. Anno MDCXCVI. [zahlreiche Verweise auf das Evangelienbuch] Louis Ellies Du Pin: Nouvelle bibliothèque des auteurs ecclésiastiques Contenant l'histoire de leur vie [...]. Bd. VII. Paris 1696. [S. 199] Monathliche Unterredungen 1698. Johann Schilter: VOLUMEN EVANGELIORVM OTFRIDI MONACHI WEISSENBVRGENSIS IN QVINQVE LIBROS DISTINCTUM Ante annum Christi DCCC LXXVI conscriptum. Nunc infinitis locis emendatius editum, interpretatione Latinâ, variis lectionibus notisque illustratum à JO. SCHILTERO. ARGENTORATI, Sumptibus JOHANNIS REINHOLDI DVLSSECKERI, ANNO M DC XCVIII. [Einziges bekanntes Exemplar: Paris, Bibliothèque Nationale, A- 1977] Teilabschrift von V von Johann Philipp Schmid für Johann Schilter. [Gießen, UB, Hs. 96] Otto Sperling: Dissertatio de nummis non cusis tam veterum quam recentiorum. Amstelædami 1700. [Auf S. 252f. Text und Übersetzung von I,1,67–72.] Georges Hickes: Linguarum Vett. Septentrionalium Thesaurus Grammatico-Critici et Archæologici. Pars secunda: seu Institutiones Gramm. Franco-Theotiscæ. Oxford 1705. Johann Philipp Palthen: Tatiani Alexandrini Harmoniae Evangelicae antiquissima Versio Theotisca [Greifswald 1706]. Vincent Placcius: De scriptis et scriptoribus anonymis atque pseudonymis Syntagma. Hamburgum 1708. [S. 9, Nr. 25 zur Otfridausgabe von Flacius] Specimen lectionum antiquarum Francicarum ex Otfridi Monachi Wizanburgensis libris Euangeliorum atque aliis Ecclesiæ Christianæ Germanicæ veteris monumentis antiquissimis collectum, cum interpretatione Latina. Pro præmetio integri Voluminis Evangeliorum Otfridi, cuius editio, sublatis innumeris sphalmatibus editionis Flacianæ, non solum cum supplementis, ab ill. ambecio publicatis, sed etiam aliis ab eodem non animadversis, ac inde omissis, ope Codicis authentici Augustissimæ Cæsareæ Vindobonensis Bibliothecæ, nec non Glossario vocum obscuriorum in toto opere, summo Numine benigne annuente paratur. Stade 1708. Im Nahmen JESU! Kurtze / richtige Erl(uter= und Erkl(rung Etlicher Deutschen Wörter / Deren sich der theure Mann GOttes / Doct. MArtin. Luther, sel. Ged(chtniß / In Ubersetzung Der Bibel in die Deutsche Sprache / gebrauchet / von welchen einige allen und jeden entweder an sich selbst / oder dem Bebrauche / wie auch dem Ursprunge nach / nicht gnug bekannt seyn m=gen / Den Deutschen zu Liebe / deutsch geschrieben Von Diedrich von Stade / K=nigl. Schwed. in den HertzogthFmern Bermen und Verden bestalten Archiuario. STADE / Gedruckt und verlegt durch Caspar Holwein / Im Jahr Christi 1711. Acta Eruditorum Suppl. tom. V. 1711, S. 184–188. [Zu von Stades Specimen.] Johann Gottfried Olearius: Bibliotheca scriptorum ecclesiasticorum [...]. Jenae 1711. [Bd. II, S. 49f.] Johann Georg von Eccart: Historia studii etymologici lingvægermanicæ [...]. Hannover 1711, S. 86–89. Jakob Friedrich Reimmann: Bibliotheca acromatica. Hannover 1712. [S. 140ff. zu V] Johann Georg von Eccart: Incerti monachi Weissenburgensis catechesis theotisca. Hannover 1711. [S. 12 zu Otfrid] Johann Augustin Egenolff: Historie der teutschen Sprache. Leipzig 1716. [Bd. I, cap. 7; Bd. II (1720), cap. 1 und 2] Miscellanea Lipsiensia, ad incrementum rei litterariæ. Bd. V. Leipzig 1717, S. 56–66. Georgius Christianus Daetrius: Otfridum monachum Weissenburgensem quatuor evangeliorum interpretem celeberrimum, in memoriam versionis B. Lutheri Ger-

310 manicæ. - - - Præside Davide Hoffmanno - - - publice edisseret Georgius Christianus Daetrius. Diss. Helmstadii 1717. [Als Auszug 1733 wieder abgedruckt.] 1718 Georg Joseph von Eggs: Pontificium doctum [...]. Coloniae 1718. [S. 855 zu P] 1720 Frederik Rostgaard: Emendationes in Otfridi theotiscam et metricam paraphrasin Evangeliorum. Basileæ Anno 1571 typis descriptam, ex antiquissimo Codice Manuscripto palatino-vaticano, ad quem Basileensis editio exacta fuit [...]. In: Johann Georg von Eccart: Leges francorum salicæ et ripuariorum. Frankfurt – Leipzig 1720, S. 283– 309. 1720 Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen. [S. 184 zu von Stades Otfridarbeiten] 1721 Johann Diecmann: Specimen Glossarii MSCti Latino-Theotisci, quod Rabano Mauro, Archiepiscopo Moguntino, inscribitur, illustrati, in quo de multis vocibus, cum Latinis, tum Theotiscis, de quibus passim B. Dieterici von Stade explicationes insertae sunt, agitur, varia quoque non ex profana tantum, sed etiam sacra & Ecclesiastica antiquitate delibantur. Opus Posthumum. Accedunt indices necessarii. Bremae 1721. 1722 Casimir Oudin: Commentarivs De Scriptoribvs Ecclesiæ Antiqvis Illorvmque Scriptis Tam Impressis Qvam Manvscriptis Adhvc Extantibvs In Celebrioribvs Evropæ Bibliothecis A Bellarmino, [...] Et Aliis Omissis [...] ; Cvm Mvltis Dissertationibvs, In Qvibvs Insigniorvm Ecclesiæ Avtorvm Opvscvla ... Examinantvr, Tribvs Volvminibvs Cvm Indicibvs Necessariis. Leipzig 1722. [Bd. II, S. 312–317 zu Otfrids Leben und Werken] 1723/24 Gottfried Bessel: Abschrift von F in Göttweig. [Göttweig, Stiftsbibl., Cod. 913] 1723 Johann Friedrich Schannat: Vindemiæ Literariæ, hoc est, veterum monumentorum ad Germaniam sacram præcipue spectantium collectio prima (-secunda). Fulda – Leipzig 1723. [Ausleihverzeichnis der Weißenburger Bibliothek] 1723 Samuel Nauhaus: Dissertatio Historico-Critica de antiquissimis linguæ Germanicæ monumentis Gothico-Theotiscis. [...]. Stargardiæ 1723. [zum Evangelienbuch S. 7– 11] 1723 Parnassus Boicus. 47. Bericht der siebten Unterredung. 1724 Karl Meichelbeck: Historia Frisingensis Bd. I, 1. Augsburg – Graz 1724, S. 155. 1724 Erl(uter= und Erkl(rung / der vornehmsten / Deutschen W=rter / Deren sich / Doct. Martin.Luther, / In Übersetzung / Der Bibel / in die Deutsche Sprache / gebrauchet / Den Deutschen zu Liebe / deutsch geschrieben und in diesem zweyten Druck vielf(ltig vermehret / Von Diederich von Stade / Weiland K=nigl. Schwed. in den HertzogthFmern Bremen und Verden bestalten Archivario. / Nebst einem dreyfachen Anhang desselben Autoris. BREMEN / Bey Johann Andreas Grimm 1724. 1725 Johann Georg Schellhorn: Amœnitates literariæ, quibus variæ observationes, scripta item quædam anecdota & rariora opuscula exhibentur. Tomus III. Frankfurt – Leipzig 1725. 1725 Johann Heinrich von Seelen: Memoria Stadeniana, sive de vita, scriptis ac meritis Diederici a Stade commentarivs, varia simvl historica, philologica, et inprimis tevtonica, complectens. Hambvrgi svmtv Theod. Christoph. Felginer 1725. [Mit zahlreichen Briefen, die u. a. das Evangelienbuch zum Gegenstand haben.] 1726 Johann Schilter, Otfridi Weissenburgensis Volumen Evangeliorum, in quinque Libros Distinctum, a Johannes Schiltero, Polyhistore & JCto Argentinensio Celeberrimo, Latinitate donatum ac eximiis Observationibus exornatum, Collatum autem cum Codice Manuscripto Vindobonensi & Emendationibus ex Codice Manuscripto Vaticano desumtis; ac præterea Notis auctum à Joh. Georgio Scherzio, Ulmæ 1726: In: Johannes Schilter, Thesaurus antiquitatum teutonicarum ecclesiasticarum, civilium, litterariarum tomis tribus, Tom. I. Ulm 1727, S. 1-400. 1727 Acta eruditorum, Nr. IV, S. 145ff. [Zu Schilters Thesaurus] 1727 Gottlieb Stolle: Anleitung zur Historie der Gelahrtheit. Jena 1727. [Bd. I, S. 111 zu Otfrid] 1728 Johann Burkhard Mencke: Scriptores Rerum Germanicarum, Praecipue Saxonicarum. In Quibus Scripta Et Monumenta Illustria, Pleraque Hactenus Inedita, Tum Ad Histo-

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riam Germaniae Generatim, Tum Speciatim Saxoniae Sup. Misniae, Thuringiae Et Varisciae Spectantia [...]. Bd. I. Lipsiae 1728. [S. 11–13 zu Gasser] Johann Georg von Eccart: Commentarii De Rebus Franciae Orientalis Et Episcopatus Wirceburgensis. In quibus regvm et imperatorvm Franciae veteris Germaniaeqve, episcoporvm VVircebvrgensivm et dvcvm Franciae Orientalis gesta ex scriptoribvs coaevis, bullis et diplomatibus genuinis [...] illustratur. Wirceburgi 1729. [Bd. II, S. 542– 545 zu Otfrid, Auszug und Übersetzung aus Ad Ludovicum und I,1,58–72] Johann Friedrich Schannat: Historia Fuldensis. Accedit codex probationum historiae Fuldensis. Francofortum 1729. [S. 60f zu Otfrid und den Vorreden zum Evangelienbuch] Johann David Köhler: Wöchentliche historische Münz-Belustigung darinnen allerhand merckwürdige und rare Thaler, Ducaten, Schaustücken, andere sonderbahre Gold- und Silber-Münzen [...]. Bd. 2. Nürnberg 1730. [S. 167f. zu Otfrid; I,1, 67–72 nach Sperling (s. 1700)] Gottfrid Bessel: Chronicon Gotwicense. Tom. I. Tegernsee 1732. Johann Christoph Gottsched: Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Bd. I. Leipzig 1732, 2. Stück, S. 190–194. Johann Christoph Gottsched: Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Bd. I. Leipzig 1733, 4. Stück, S. 632–658. [Auszug aus der Abhandlung des Jahres 1717] Johann Christoph Gottsched: Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Bd. II. Leipzig 1734, 12. Stück, S. 659. [Zu von Stades Specimen] Johann Christoph Gottsched: Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Bd. 4. Leipzig 1736, S. 269f. Johann Georg Wachter: Glossarium Germanicum [...]. Leipzig 1737. Franz Dominik Haeberlin: Notitia codicum manuscriptorum splendiss. Bibliothecæ Raymondo-Krafftianæ luci publicæ exposita a Francisco Dominico Haeberlin. Ulm 1739, S. 34, Nr. 5. Jean Mabillon: Annales Ordinis S. Benedicti Occidentalium Monachorum Patriarchae. Lucae 1739. [III, S. 128 und S. 384 zu Otfrid] Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste Bd. 25 (1740), Sp. 2363. Histoire littéraire de la France par des religieux benedictins de la congregation de S. Maur. Paris 1740. [Bd. V, S. 368–374 zu Otfrid] William Cave: Scriptorum ecclesiasticorum historia literaria, a Christo nato usque ad saeculum XIV. facili methodo digesta. Qua, De Vita Illorum Ac Rebus Gestis [...] ; Accedunt Scriptores Gentiles, Christianae Religionis Oppugnatores [...] ; Accedunt Ab Aliis Manibus Appendices Duae [...]. Basileae 1741. [Bd. II,1, S. 59 zu Otfrid] Elias Caspar Reichard: Versuch einer Historie der deutschen Sprachkunst. Hamburg 1747. [S. 11–15 zu Otfrid] Daniel Georg Morhoff: Polyhistor literarius, philosophicus et practicus. Cum accessionibus virorum, clarissimorum Ioannis Frickii et Iohannis Molleri, Flensburgensis. Lubeca 1747. [Zu Otfrid Bd. I, S. 746–748] Joseph Blanchini: Evangeliarum quadruplex latinæ versionis antiquæ seu veteris italicæ. Rom 1748. [Bd. II, Bl. 600v zu Otfrid und zu P] Origines Guelficae. Quibus Potentissimae Gentis Primordia, Magnitvdo, Variaqve Fortvna Vsqve Ad Ottonem Quem Vvlgo Pvervum Dicvnt ... Ex Aeqvalivm Scriptorvm Testimoniis, Instrvmentis Pvblicis, Statvis, Lapidibvs, Gemmis, Sigillis [...] Dedvcvntvr, Et In Compendio Exhibentvr [...]. Hanoverae 1751. [Bd. II, S. 193 zur Judith aus Ad Liutbertum] Christian Gottlieb Jöcher: Allgemeines Gelehrten-Lexikon. Bd. 3 (1751). Jacques Georges de Chauffepié: Nouveau Dictionnaire Historique Et Critique. Pour Servir De Supplement Ou De Continuation Au Dictionnaire Historique Et Critique De

312 Mr. Pierre Bayle. Amsterdam 1753. [S. 103–105 zu Otfrid] Johann Gottlob Wilhelm Dunkel: Historisch-Critische Nachrichten von verstorbenen Gelehrten und deren Schriften. Insonderheit aber Denenienigen, welche in der allerneuesten Ausgabe des Jöcherischen Allgemeinen Gelehrten-Lexicons entweder gänzlich mit Stillschweigen übergangen oder doch mangelhaft und unrichtig angeführet werden [...]. Cöthen 1753. [Bd. I,1 S. 119–122 zu Otfrid] 1753 Zacharias Conrad von Uffenbach: Merkwürdige Reise durch Niedersachsen Holland und Engelland. Zweyter Theil. Mit Kupfern. Frankfurt – Leipzig 1753. 1754 Johann Albert Fabricius: Bibliotheca Latina Mediæ Et Infimæ Ætatis cum Supplemento Christiani Schoettgenii. Bd. V. Patavii 1754, S. 181–183. 1754 Rémy Ceillier: Histoire générale des auteurs sacrès et ecclesiastiques. Avec table générale par L. E. Rondet. Paris 1754. [Bd. XIX, S. 208] 1757 Charles Francois Toustain: Nouveau Traité De Diplomatique, Où L'On Examine Les Fondemens De Cet Art, Paris 1757. [Bd. III, S. 126 zu P] 1760 Georg Christoph Hamberger: Zuverlässige Nachrichten von den vornehmsten Schriftstellern vom Anfange der Welt bis 1500. Lemgo 1760. [Bd. III, S. 622f.] 1761 Adam Franz Kollar: Analecta monvmentorum omnis ævi Vindobonensia. Opera et stvdio Adami Francisci Kollarii, Pannonii neosoliensis, Mariæ Theresiæ Avg. a consiliis, et Avg. Bibliothecæ Vindobensis Primi Cvstodis. Tom. I. Vindobonæ. Typis et svmptibus Ioannis Thomæ Trattner, Aulæ et Inclvtorum inferioris avstriæ ordinum typogr. Wien 1761. 1762 Franz Anton Knittel: Ulphilæ versionem gothicam nonnullorum capitum epistolæ Pauli ad Romanos [...] cum variis variæ litteraturæ monimentis huc usque ineditis. Braunschweig 1762. 1774 Johan Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzelnen, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln. Bd. 2. Leipzig 1774 [Auf S. 1101 Erwähnung Otfrids]. 1774 Johann Christoph Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen, 5 Bde. Leipzig 1774–1786. 1777 Leonard Meister: Beiträge zur Geschichte der teutschen Sprache. London 1777. [Bd. I, S. 32–36; Abdruck des Sprachgutachtens aus der Edition von Flacius; Probe V, 14,25–28] 1778 Philippe André Grandidier: Notice sur la vie et les ouvrages d’Otfrid. In: Bibliothèque du Nord. 1778 Philippe André Grandidier: Histoire De L’Église Et Des Évêques-Princes De Strasbourg. Strassbourg 1778. [Bd. II] 1780 Ch. Heinrich Schmid: Skizzen von der Geschichte der deutschen Dichtkunst. In: Olla Potrida 4. Stück (1780), S. 93ff. 1781 Karl August Kütner: Charaktere teutscher Dichter und Prosaisten. Von Kaiser Karl dem Großen bis aufs Jahr 1780. Berlin 1781. [Bd. I, 14–17] 1781/84 Jeremias Jakob Oberlin: Johannis Georgii Scherzii J.U.D. Et P.P. Argentoratensis Glossarium Germanicum Medii Aevi Potissimum Dialecti Suevicae. 2 Bde. Strassbourg 1781 / 1784. 1782 Gottfried Brun: Versuch einer Geschichte der deutschen Dichtkunst, Dichter und Dichterwerke, von ihrem Ursprung bis auf Bodmer und Breitinger, und Poetische Versuche. Danzig 1782. [S. 15–17 zu Otfrid] 1782 Johann Christoph Adelung: Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache. [...] Leipzig 1782. [Bd. I, S. 44ff. zu Otfrid] 1782 Johann Traugott Plant: Chronologischer biographischer und kritischer Entwurf einer Geschichte der deutschen Dichtkunst und Dichter. Stettin 1782. [S. 55–62 zu Otfrid] 1782 Johannes Frantz Episcopivillanus: Alsatia litterata sub Celtis, Romanis, Francis. Praeside Jeremia Jacobo Oberlino [...] defendet Johannes Frantz Episcopivillanus die VIII. Aug. Argentorati 1782. [§ 3 und § 11 zu Otfrid] 1753

313 1784

[Johann Jakob] Bodmer: Die Hauptetappen der deutschen Sprache seit Karl dem Grossen. A. Der Karolingische Zeitpunkt. In: Schweitzerisches Museum 2/1 (1784), S. 118–126. 1785 Leonard Meister: Characteristik deutscher Dichter, nach der Zeitordnung gereihet. Mit Bildnissen von Heinrich Pfenninger. Bd. 1: Zürich 1785, Bd. 2: St. Gallen – Leipzig 1789. [Kap. III zu Otfrid] 1787 Leonard Meister: Hauptepochen der deutschen Sprache seit dem achten Jahrhundert. Eine gekrönte Preisschrift. In: Schriften der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft in Mannheim. Bd. 1. Mannheim 1787, S. 255–306. [Zum Evangelienbuch, S. 261–265.] 1788 Johann David Köhler: Anweisung zur Reiseklugheit für junge Gelehrte. Neu bearbeitet von Friedrich August Kinderling. Magdeburg 1788. [Bd. I, S. 123 zu F] 1789 Christ. Heinrich Schmid: Skizzen von der Geschichte der deutschen Dichtkunst. In: Olla Potrida. 3. Stück 1789, S. 64ff. 1789 Carl Joseph Bouginé: Handbuch der allgemeinen Litteraturgeschichte. Zürich 1789. [Bd. I, S. 434] 1790 Erduin J. Koch: Compendium der deutschen Literatur-Geschichte. Bd. II. Berlin 1790. 1791 Christian Gottfried Böckh: Gang der ersten deutschen Schriftstellerey bis zum Ende der Minnesängerepoche. In: Bragur. Literarisches Magazin für deutsche und nordische Vorzeit. Hg. von Friedrich D. Gräter Bd. I (1791), S. 127–130. 1792 Friedrich D. Gräter: Teutonische Literatur. In: Bragur. Literarisches Magazin für deutsche und nordische Vorzeit. Hg. von Friedrich D. Gräter Bd. II (1792), S. 381f. 1793 Johann Gottfried Herder, Andenken an einige ältere Deutsche Dichter. In: Zerstreute Blätter, Fünfte Sammlung. Gotha 1793. [zum Evangelienbuch S. 195.] 1793 Michael Denis: Codices manuscripti theologici Bibliothecæ Palatinæ Vindobonensis. Bd. I. Wien 1793. 1795 Johann M. Schröckh: Christliche Kirchengeschichte. Bd. 21. Leipzig 1795. [S. 260– 264 zu den Widmungszuschriften] 1796/99 Johann Gottfried Eichhorn: Allgemeine Geschichte der Cultur und Litteratur des neueren Europa. 2 Bde. Göttingen 1796 / 1799. [Zu Otfrid I,1, S. 217 und II, S. 407] 1798 Johann Adolf Nasser: Vorlesungen über die Geschichte der deutschen Poesie. Bd. 1. Altona – Leipzig1798. [Zu Otfrid S. 13–20] 1802 Brief Christian Friedrich Pfeffels an Friedrich D. Gräter vom 20. November 1798. In: Bragur. Literarisches Magazin für deutsche und nordische Vorzeit. Hg. von Friedrich D. Gräter VII. 2. Abt. (1802), S. 254f. 1803 Johann Christian von Aretin: Aufschluss über eine in der Freysinger Dombibliothek ehemals befindlich gewesene altteutsche Handschrift. In: Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek. Hg.von Johann Christian von Aretin. Bd. 1, 1. Stück. München 1803, S. 51–58. 1804 Johann Christian von Aretin: Chronologisches Verzeichniss der in die pfalzbaierischen Centralbibiliothek aus den Bibliotheken aufgehobener Stifter und Klöster übergewanderten altteutschen Handschriften vom VIII–XIV. Jahrhundert. In: Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek. Hg.von Johann Christian von Aretin. Bd. 2, 5. Stück. München 1804. 1805 Johann Christian von Aretin: Fortsetzung der Briefe über meine literarische Geschäftsreise in die baierischen Abteyen. Achtzehnter Brief [13. Juni 1803]. In: Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek. Hg. von Johann Christian von Aretin, Bd. 4, 2. Stück. München 1805, S. 179–192. 1805 Ulfilas gothische Bibelübertragung [...]. Hg. von Johann Christian Zahn. Weißenfels 1805. 1809 Carl Heinrich Joerdens: Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten. Bd. IV. Leipzig 1809. [S. 145–153.] 1811 Friedrich Heinrich von der Hagen: Bruchstücke einer Handschrift von Otfrieds Evangelium. In: Museum für Altdeutsche Literatur und Kunst. Hg. von F. H. von der Ha-

314 gen, Bernhard Joseph Docen, Johann Gustav Büsching und Bernhard Hundeshagen, Bd. 2. Berlin 1811, S. 1–16. 1812 Friedrich Heinrich von der Hagen und Johann Gustav Büsching: Literarischer Grundriß zur Geschichte der Deutschen Poesie von der ältesten Zeit bis in das sechzehnte Jahrhundert. Berlin 1812. [S. XXVIII zu F] 1812 Friedrich Heinrich von der Hagen: Noch ein Bruchstück aus Otfrieds Evangelium. In: Sammlung für Altdeutsche Literatur und Kunst. Hg. von F. H. von der Hagen, Bernhard Joseph. Docen, Johann Gustav Büsching und Bernhard Hundeshagen, Bd. 1, 1. Stück. Breslau 1812, S. 225–227. [Wiederabdruck 1824] 1816 Franz Joseph Mone: De emendanda ratione grammaticae Germaniae libellus. Heidelberg 1816. [zu P 52 S. 36–38] 1816 Heinrich Wilhelm Rotermund: Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Jöchers allgemeinem Gelehrten=Lexiko worin die Schriftsteller aller Stände nach ihren vornehmsten Lebensumständen und Schriften beschrieben werden. Angefangen von Johann Christoph Adelung und vom Buchstaben K fortgesetzt von Heinrich Wilhelm Rotermund. Bd. 9 (Ergänzungsbd. 5). Leipzig 1816. 1817 Friedrich Wilken: Geschichte der Bildung, Beraubung und Vernichtung der alten Heidelbergischen Büchersammlungen. Ein Beytrag zur Literärgeschichte vornehmlich des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts. Heidelberg 1817. 1819 Jacob Grimm. In: Gottfried Seebode: Kritische Bibliothek für das Schul- und Unterrichtswesen. Bd. 1. Hildesheim 1819, S. 1025ff. [Zu I,1,69–72] 1819 Jacob Grimm: Deutsche Grammatik. Göttingen 1819. 21822. [Zu Otfrid S. LVI– LVIII] 1819 Jacob Grimm: Über einige misverstandene Stellen Otfrieds. In: Kritische Bibliothek für das Schul- und Unterrichtswesen 1 (1819), S. 1025–1028. Wieder in: Kleinere Schriften. Bd. 6. Berlin 1882, S. 297–299. 1821 Bonner Bruchstücke vom Otfried. Nebst anderen deutschen Sprachdenkmaelern. Hg. von Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Bonn 1821. 1823/24 Karl Lachmann: Über althochdeutsche Prosodie und Verskunst (1823/24). Mit Beiträgen von Jacob Grimm und einer Einleitung hg. von Ursula Hennig. Tübingen 1990 (Hermaea N.F. 59). 1824 Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Abschrift von P, Datierung: 1824. [Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Berlin MS. germ. fol. 638] 1824 Eberhard Gottlieb Graff: Die althochdeutschen Präpositionen. Ein Beitrag zur deutschen Sprachkunde und Vorläufer eines althochdeutschen Sprachschatzes nach den Quellen des 8. bis 11. Jahrhunderts. Königsberg 1824. 1824 Friedrich Heinrich von der Hagen: Otfried. In: Denkmale des Mittelalters. Hg. von F. H. v. d. Hagen. 1. Heft. Berlin 1824, S. 1–5. [Vgl. 1812] 1824/25 Leonz Füglistaller: Beiträge zur Kenntnis der diutischen Sprache und der Männer, die darin geschrieben. In: Zeichen der gegenwärtigen Zeit im Guten und Bösen zunächst in Bezug auf die Schweiz 2 (1824), S. 250–269, S. 374–395, S. 520–537; 3 (1825), S. 105–120. [enthält eine Übersetzung von Ad Liutbertum, sowie Text und Übersetzung der folgenden Abschnitte aus dem Evangelienbuch: II,16, III,23–25.] 1824/27 Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Niederschrift für eine Ausgabe nach V undatiert. [Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Berlin MS. germ. fol. 638] 1827 Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Abweichungen von V eingetragen in ein Exemplar der Edition von Schilter, Datierung: 25. Juli 1827. [Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Berlin MS. germ. fol. 633] 1829 Eberhard Gottlieb Graff: Diutiska. Denkmäler deutscher Sprache und Litteratur, aus alten Handschriften zum ersten Male theils hg., teils nachgewiesen und beschrieben. Bd. 3 (1829). [Nr. 2 zu V] 1830 Karl Rosenkranz: Geschichte der deutschen Poesie im Mittelalter. Halle a. d. Saale 1830.

315 1830

Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Ueber Otfrid. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Sprachforschung. In: Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Literatur. Bd. I. Breslau 1830, S. 38–47. 1831 Eberhard Gottlieb Graff: Krist. Das älteste, von Otfrid im neunten Iarhundert verfaszte, hochdeutsche Gedicht, nach den drei gleichzeitigen, zu Wien, München und Heidelberg befindlichen, Handschriften kritisch herausgegeben von E. G. Graff. Mit einem Facsimile aus ieder der drei Handschriften. Königsberg 1831. 1833 Wilhelm Wackernagel: Die Verdienste der Schweizer um die deutsche Literatur, Basel 1833, S. 8f. [Otfrid in St. Gallen] 1833 Frédéric-Théodore Hornig: Conjectures sur la vie et l’éducation d’Otfrid, moine de Wissembourg. Dissertation pour obtenir le grade de bachelier en théologie. Straßburg 1833. 1834 August Friedrich Christian Vilmar: De genitivi casus syntaxi quam praebeat Harmonia Evangeliorum, saxonica dialecto seculo IX. conscripta commentatio. Programm des kurfürstlichen Gymnasiums Marburg 1834. 1834/42 Eberhard Gottlieb Graff: Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache [...], etymologisch und grammatisch bearbeitet von E. G. Graff. Berlin 1834–42. 1834 Karl Lachmann: Über althochdeutsche Betonung und Verskunst (1834). Abh. Akad. d. Wiss. Berlin. In: Karl Lachmann: Kleinere Schriften zur deutschen Philologie. Hg. von Karl Müllenhoff. Berlin 1876 (Kleinere Schriften von Karl Lachmann 1), S. 358–406. 1835 Karl Lachmann: Über Singen und Sagen (1835), Abh. Akad. d. Wiss. Berlin. Hist.philol. Klasse. Berlin 1835. Wieder abgedruckt in Karl Lachmann: Kleinere Schriften zur deutschen Philologie. Hg. von Karl Müllenhoff. Berlin 1876 (Kleinere Schriften von Karl Lachmann 1), S. 461–479. 1835 Karl Lachmann: Über das Hildebrandslied (1835). Abh. Akad. d. Wiss. Berlin. Hist.philol. Klasse. Berlin 1835. Wieder abgedruckt in Karl Lachmann: Kleinere Schriften zur deutschen Philologie. Hg. von Karl Müllenhoff. Berlin 1876 (Kleinere Schriften von Karl Lachmann 1), S. 407–448. 1835 Wilhelm Wackernagel: Deutsches Lesebuch. Theil I: Altdeutsches Lesebuch. Basel 1835. 1836 Karl Lachmann: Zu den Nibelungen und zur Klage. Berlin 1836. [Mit Erklärung einiger Stellen aus dem Evangelienbuch] 1836 Karl Lachmann: Otfried (Otfrid). In: Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern. Bearbeitet und hg. von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber. 3. Abt. O–Z (Bd. 7). Leipzig 1836, S. 278–282. Wieder abgedruckt in Karl Lachmann: Kleinere Schriften zur deutschen Philologie. Hg. von Karl Müllenhoff. Berlin 1876 (Kleinere Schriften von Karl Lachmann 1), S. 449–460.

9.3 Weitere gedruckte Quellen und Hilfsmittel Adam, Melchior: Vita Samuelis Grynaei. In: Vitæ Germanorum iureconsultorum et politicorum, qui superiori seculo et quod excurrit floruerunt. Heidelberg 1620. Avenarius, Johannes: Liber Radicum seu Lexicon Ebraicum. Wittenberg 1568. Baufeld, Christa: Kleines frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Lexik aus Dichtung und Fachliteratur des Frühneuhochdeutschen. Tübingen 1996. Beatus Rhenanus: De missarum varietate. In: Matthias Flacius: Refutatio invectivæ Bruni contra centurias Historiæ Ecclesaiasticæ. Basel 1566, S. 155–166. Bernard, Edward: Catalogus Librorum MS. Angliæ et Hiberniæ. Tom. I. Pars 1. Oxoniæ 1697. Briefwechsel des Beatus Rhenanus. Gesammelt und hg. von Adalbert Horawitz / Karl Hartfelder. Leipzig 1886 (ND Niewkoop 1966).

316 Deutsche Sagen. Hg. von Jacob und Wilhelm Grimm. Vollständige Ausgabe nach dem Text der 3. Auflage 1891. München 1956. Die älteste Überlieferung von Willirams Kommentar des Hohen Liedes. Edition, Übersetzung, Glossar. Hg. von Rudolf Schützeichel und Birgit Meineke. Göttingen 2001 (Studien zum Althochdeutschen 39). Die Amerbachkorrespondenz. Im Auftrag der Kommission für die öffentliche Bibliothek der Universität Basel bearbeitet und hg. von Alfred Hartmann. Bd. 10: Die Briefe aus den Jahren 1556–1558. Auf Grund des von Alfred Hartmann gesammelten Materials bearbeitet und hg. von Beat Rudolf Jenny. Basel 1991 / 1995. Dümmler, Ernst: MGH, Epistolae Karolini Aevi. Tom. IV. Berlin 1925. von Eccart, Johann Georg: Commentarii de rebus Franciæ orientalis. Bd. 2. Würzburg 1729. Eine schöne Historia von Engelhart auß Burgunt. Der »Engelhard« Konrads von Würzburg in Abbildungen des Frankfurter Drucks von 1573. Mit einer bibliographischen Notiz zu Kilian Han. Hg. von Hans-Hugo Steinhoff. Göppingen 1987 (Litterae 107). Flacius Illyricus, Matthias: De ratione cognoscendi sacras litteras. Über den Erkenntnisgrund der Heiligen Schrift. Lateinisch-deutsche Parallelausgabe übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Lutz Geldsetzer. Düsseldorf 1968 (Instrumenta philosophica. Series hermeneutica III). Fromme, Richard: Otfrids Evangelienbuch. Aus dem Altdeutschen frei übersetzt. Berlin o.J. [ca. 1928]. Frühneuhochdeutsches Lesebuch. Hg. von Oskar Reichmann und Klaus-Peter Wegera. Tübingen 1988. Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Bearbeitet von Oskar Reichmann. Hg. von Ulrich Goebel und Oskar Reichmann. Berlin – New York 1989ff. Gasser, Achill Pirmin: Historia des gantzen Lebens / vnsers lieben Herren Jhesu Christi / auß den vier Euangelisten in ein ordnung / Durch M. Johann von Hussinetz / im Latein zusamen gebracht / vnd jetzt newlich durch Achillem P. Gasser vonn Lindaw / verdeutscht. Nürnberg 1559. Gemoll, Wilhelm: Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch. Durchgesehen und erweitert von Karl Vretska. Mit einer Einführung in die Sprachgeschichte von Heinz Kronasser. München 91965 (ND München 1991). Georges, Karl Ernst: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Unveränderter Nachdruck der achten verbesserten und vermehrten Auflage von Heinrich Georges. Hannover 1913 (ND Darmstadt 1998). Gessner, Konrad: Mithridates. De differentiis linguarum tum veterum tum quæ hodie apud diversas nationes in toto urbe terrarum in usu sunt. Zürich 1555 (ND. Hg. und eingeleitet von Manfred Peters. Aalen 1974). Graevius, Joannes G.: Vita Franicisci Junii. In: Franciscus Junius, De Pictura Veterum Libri Tres [...]. Rotterdam 1694. Grimm, Jacob: Rede auf Lachmann. Gehalten in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 3. Juli 1851. In: Jacob Grimm, Selbstbiographie. Ausgewählte Schriften, Reden und Abhandlungen. Hg. und eingeleitet von Ulrich Wyss. München 1984, S. 78–92. Hoffmann von Fallersleben, Heinrich: Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen von dems. 6 Bde. Hannover 1868. Johannes Turmair’s genannt Aventinus Annales Ducum Boiariæ. Hg. von Sigmund Rietzel. Bd. I (Buch I–IV). München 1882 (Sämtliche Werke. Hg. von d. Akad. d. Wiss. München I). Junius, Franciscus: Cædmonis Monachi Paraphrasis Pœtica Genesios ac præcipuarum Sacræ paginæ Historiarum, abhinc annos M.LXX. Anglo-Saxonicè conscripta, & nunc primum edita. Hg. von Peter J. Lucas. Amsterdam – Atlanta 2000 (Early Studies in Germanic Philology 3). Kelle, Johann: Christi Leben und Lehre besungen von Otfrid. Aus dem Althochdeutschen übersetzt. Prag 1870 (ND Osnabrück 1966).

317 Maaler, Josua: Die Teütsch spraach. Dictionarium Germanicolatinum [Zürich 1561]. Mit einer Einführung von Gilbert de Smet. Hildesheim – New York 1971 (Documenta Linguistica. Quellen zur Geschichte der deutschen Sprache des 15. bis 20. Jahrhunderts. Reihe I: Wörterbücher des 15. und 16. Jahrhunderts). Marcellus Burdigalensis: De medicamentis liber. Hg. von Max Niedermann. Übersetzt von Jutta Kollesch und Diethard Nickel. Berlin 1968 (Corpus medicorum latinorum 5,1.2). Menhardt, Hermann: Das älteste Handschriftenverzeichnis der Wiener Hofbibliothek von Hugo Blotius 1576. Kritische Ausgabe der Handschrift Series nova 4451 vom Jahre 1597 mit vier Anhängen. Wien 1957 (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophischhistorische Klasse. Denkschriften 76). Otfrids Evangelienbuch. Hg. von Oskar Erdmann. Sechste Auflage besorgt von Ludwig Wolff. Tübingen 1973 (ATB 49). Pez, Bernhard: Thesaurus anectodoum novissimus. Bd. I,1. Augsburg 1721. Quellen zur Geschichte des 7. und 8. Jahrhunderts. Unter der Leitung von Herwig Wolfram neu übertragen von Andreas Kusternig. Darmstadt 1982 (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 4a). Rapp, Georg: Otfrieds von Weissenburg Evangelienbuch. Aus dem Althochdeutschen übersetzt. Stuttgart 1858. Sadil, Meinrad: Otfried. Erzählende Dichtung. Stuttgart – Wien 1903. Sandvig, Bertel Christian: Lectionem theotiscarum specimen. Carminis antiqui de S Georgio fragmentum. Hafniæ 1783. Schilter, Johann: Psalmi Dauidis a NOTKERO Labeone, Abbate S. Galli ante septingentos annos Translatione et Paraphrasi Teutonica expositi, nunc primum ex Museo generosi Dom. de la Loubere in publicum editi. Latina Interpretatione, Notisque illustrauit Io. Schilteri. Straßburg 1698. Schmeller, Johann Andreas: Heliand. Poema saxonicum seculi noni, accurate expressum ad exemplar Monacense insertis e Cottoniano Londinensi supplementis nec non adiecta lectionum varietate nunc primum edidit. Monach., Stuttg. et Tubingæ 1830. Seebold, Elmar: Chronologisches Wörterbuch des deutschen Wortschatzes. Der Wortschatz des 8. Jahrhunderts (und früherer Quellen). Berlin – New York 2001. von Seelen, Johann Heinrich: Stada literata. Doctorum virorvm Stadae Anno MDCCXI viventivum. Vitas Honores atque Opera edita et inedita exhibens scriptore Io. Henrico von Seelen Kedingensi Gymnasii Stadensis cive. Stadæ svmptibus Henrici Brvmmeri typis Casparis Holweinii. Shimbo, Masahiro: Wortindex zu Otfrids Evangelienbuch. Mit alphabetischem und rückläufigem Wortregister. Tübingen 1990 (Indices zur deutschen Literatur 23). von Steinmeyer, Elias / Sievers, Eduard: Die althochdeutschen Glossen. 5 Bde. Berlin 1879– 1922 (ND Hildesheim 1999). Trithemius, Johannes: De laude scriptorum. Zum Lobe der Schreiber. Eingeleitet, hg. und übersetzt von Klaus Arnold. Würzburg 1973. Trithemius, Johannes: De viris illustribus ordinis sancti Benedicti (um 1492). Erstdruck Köln 1575. Trithemius, Johannes: Vita beati Rabani Mauri. In: Acta sanctorum. Februar I. Antwerpen 1658, S. 522–539. Unger-Winkelried, Emil: Friede – Freiheit – Brot! Ein Revolutionsroman. Meißen 1929. Unger-Winkelried, Emil: Von Bebel zu Hitler. Vom Zukunftsstaat zum Dritten Reich. Aus dem Leben eines sozialdemokratischen Arbeiters. Berlin 1934. Williram von Ebersberg: Expositio in Cantica Canticorum und das ›Commentarium in Cantica Canticorum‹ Haimos von Auxerre. Hg. und übersetzt von Henrike Lähnemann und Michael Rupp. Berlin – New York 2004.

318

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10 Register

10.1 Handschriften Aarau, Kantonsbibl. – MS. Mur. 34,1 210 – MS. Mur. 34,2 210 – MS. Mur. 34,3 210 – MS. Mur. 34,4 210 – MS. Mur. 34,5 210 – MS. Mur. 57 210 Basel, UB – Fr. Gr. 9 134 Berlin, SBB-PK – cod. lat. fol. 410 23 – MS. germ. fol. 633 3 – MS. germ. fol. 634 3 – MS. germ. fol. 638 3 – NG N 82 100 Bonn, UB – Cod. S 499 25, Kap. 2.4.2, 139–141 Bremen, SUB – msb 0044-03 137 Brüssel, Bibl. Royale – Ms. 9904 24 Frankfurt a. M. SUB – Ms. Carm. 2 75 Gießen, UB – Hs. 96 86, Kap. 3.1.2 – Cod. Giess. 140 76, 116, 165 – Cod. Giess. 141 165, 187 – Cod. Giess. 142 76, 88f., 115, 165 Göttingen, SUB – Ms. theol. 231 156 Göttweig, Stiftsbibl. – Cod. 689 97 – Cod. 691 94, 96 – Cod. 913 Kap. 3.1.3 – Cod. 919 96 Hannover, LB – MS I 5 171 – MS I 6 171 – MS I 8 171 – MS IV 447 171 – MS IV 453 171

– – –

MS IV 457 88 MS IV 458 170, Kap. 5.2.2 MS IV 459 116f., 171, 180, 182–184, Kap. 8.3 – MS IV 460 171, 180–182 – MS IV 461 170f., Kap. 5.2.2, 185 – MS IV 462 171, Kap. 5.2.4 – MS IV 463 171, Kap. 5.2.4 – MS IV 464 171, 180–182 – MS IV 478 171 – MS IV 477 171 – MS IV 478 171 – MS IV 482 171 – MS IV 487 171 – MS XIII 785 184f. Heidelberg, UB – Cod. Pal. germ. 848 215 – Cod. Pal. lat. 52 3, 24, Kap. 2.3, 77–79, 102–105, 121–130, 139–141 Kopenhagen, Kongelige Bibl. – Gl. kgl. Saml. 439 2o 106 Krakau, Bibl. Jagiellońska – Berol. mgq 504 25, Kap. 2.4.2, 139–141 Kremsmünster, Stiftsbibl. – CCn 23 195–197, 199–207, Kap. 8.4 – CCn 24 201, 277 – CCn24a 201–205 – CCn 34 197 – CCn 35 197 – CCn 36 197 London, BL – cod. Add. 15 102 24 München, BSB – cgm 14 25, Kap. 2.2, 121 – cgm 37 96 New York – H. P. Kraus, cod. 143 23 Oxford, Bodleian Library – MS. Junius 17 71–74 – MS. Junius 80 72 Rom, Bibl. Apostolica Vaticana

336 – Cod. Pal. lat. 1915 52 – Cod. Pal. lat. 1921 52 – Cod. Pal. lat. 1923 52 Schlierbach, Stiftsbibl. – I–5 193f., 201–205, 277 Sélestat, Bibliothèque Humaniste – Cod. 857 40 Speyer, Staatsarchiv – Cod. Traditionum Wissenburgensium 22 Wien, ÖNB – cod. Vind. 1239 29 – cod. Vind. 1815 111 – cod. Vind. 1861 111 – cod. Vind. 2681 88, 115, 176 – cod. Vind. 2687 3, Kap. 2.1, Kap. 3.3, 121–130, 139–141 – cod. Vind. 2711 111 – cod. Vind. 2715 111 – cod. Vind. 5580 50

– cod. Vind. 9045 23 – cod. Vind. 10214a 100 – cod. Vind. 11591 49, 122 – cod. ser. nov. 4451 22 Wien, Bibl. des Schottenstiftes – Cod. 733 (Hübl 605) Kap. 3.1.1, 122– 130, 139–141 Wolfenbüttel, HAB – cod. 1.6. Aug. 2o 57 – cod. 131.1 Extravagantes 25, Kap. 2.4.1 – cod. 148 Gud. 22 – cod. 205 Helmst. 58 – cod. 494 Helmst. 49 – cod. 1043 Helmst. 49 – cod. 1102 Helmst. 59 – cod. 1334 Helmst. 49 – cod. 57 Weiss. 23, 25 – cod. 64 Weiss. 60 – cod. 87 Weiss. 23, 25

10.2 Personen und Werke Acta Eruditorum 310 Adam, Melchior – Vita Samuelis Grynaei 135 Adelung, Johann Christoph – Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches 312 – Umständliches Lehrgebäude 312 Aimoin von Fleury 39 Ahd. Benediktsregel 171, 187, 198 Ahd. Isidor 106, 187, 198 Ahd. Tatian 109, 187, 198 Alcuin 193 Ambraser Heldenbuch 12 Amerbach, Basilius 133–135 Anderson, Johann 185, 192 Annolied 187 Aretin, Johann Christian von 44–46, 313 Altsächsisches Taufgelöbnis 176 Athanasisches Glaubensbekenntnis 176 Avenarius, Johannes – Liber Radicum seu Lexicon Ebraicum 146 Aventinus, Johannes – Annales Ducum Boiariae 145 Bartholomäus, Daniel 186 Beatus Rhenanus s. Rhenanus Beck, Matthias Friedrich 81, 86f., 106 Beda Venerabilis 193 Bertram, Ernst

– Straßburg. Ein Kreis 213 Bessel, Gottfried 45, Kap. 3.1.3, 188 – Chronicon Gotwicense 94, 96, 98f., 311 Bethmann, Konrad 68 Blanchini, Joseph – Evangeliarum quadruplex latinæ versionis 311 Bodmer, Johann Jakob – Die Hauptetappen der deutschen Sprache 313 Böckh, Christian Gottfried – Gang der ersten deutschen Schriftstellerey 313 Böcking, Eduard 62 Boeckler, Johann Heinrich – De Rebus Saeculi a Christo nato IX. 308 Bödiker, Johann 182 Blotius, Hugo 22, 30, 116 Bolsinger, Matthias 101 Bouginé, Carl Joseph – Handbuch der allgemeinen Litteraturgeschichte 313 Brower, Christoph – Fuldensium antiquitatum 192, 307 Brucken, Johann 182 Brun, Gottfried – Versuch einer Geschichte der deutschen Dichtkunst 312 Bulaeus, Caesarius Egassius – Historia Universitatis Parisiensis 308

337 Büsching, Johann Gustav – Grundriß 74, 314 Calvete de Estrella, Juan – El felicisimo viaje 306 Cassander, Georg 66f., 82, 143 Cave, William – Scriptorum ecclesiasticorum historia 311 Ceillier, Rémy – Histoire général 312 Celtis, Konrad 33 Chauffepié, Jacques Georges de – Nouveau Dictionnaire Historique Et Critique 311 Chlodwig 36 Christus und die Samariterin 187 Clauberg, Johann 57 Codex argenteus 67, 72 Cordesius, Ioannes – Opuscula et epistolae Hincmari 307 Daetrius, Georgius Christianus – Otfridum monachum Weissenburgensem quatuor evangeliorum interpretem 309 Dagulf-Psalter 111 Denis, Michael – Codices manuscripti theologici 116, 313 Diecmann, Gabriel 181 Diecmann, Johann – Specimen Glossarii 310 Dietsicker 88 Diez, Friedrich von 62 Dioskurides – Euporista 80 DuCange – Mittellateinisches Wörterbuch 198 Dullsecker, Johann Georg 164, 186 Dunkel, Johann Gottlob Wilhelm – Historisch-Critische Nachrichten 312 Du Pin, Louis Ellies – Nouvelle bibliothèque 309 Duret, Claude – Thrésor de l’histoire des langues 307 Eccart, Johann Georg von 94, 105, 170, 185 – Commentarii 198, 311 – Historia studii etymologici 309 – Incerti monachi Weissenburgensis catechesis 309 Eck, Johann – Alt und new Testament 43, 305 Egenolff, Johann Augustin – Historie der teutschen Sprache 309 Eggeling, Johann Hinrich 172f. Eggs, Georg Joseph von – Pontificium doctum 310

Eichhorn, Johann Gottfried – Allgemeine Geschichte der Cultur 313 Einhart 7 – Vita Caroli Magni 6, 39, 111 Episcopivillanus, Johannes Frantz – Alsatia litterata 312 Ernst, Bischof von Freising (1554–1612) 44 Exhortatio ad plebem christianam 176 Eysengrein, Guilielmus – Catalogus testium veritatis 306 Fabricius, Johann Albert – Bibliotheca Latina 74, 312 Fauchet, Claude – Recueil De L'Origine De La Langue Et Poesie Françoise 307 Flacius, Matthias 17f., Kap. 2.3, 69, 85, Kap. 4 – Catalogus testium veritatis 19, 28, 48– 50, 57, 65, 113, Kap. 4.1.1–4.1.3, 139– 141, 306 – Clavis sripturae sacrae 118, 144f., 150, 306 – Gnîqi seauton 137 – Glossa compendiaria 136 – Otfridausgabe 3, 19, 35, 48–50, 70–72, 91f., 106f., 112–114, 122–130, Kap. 4.2, 166f., 170, 174, 177, 184, 189, 196, 209, Kap. 8.1, 307 – Refutatio invectivae Bruni contra centurias Historiae Ecclesiasticae 150 Florentiner Glossen 198 Folmar, Abt 28 Franck, Bernhard 176 Franck, Sebastian – Germaniae Chronicon 44, 46, 305 Franziskus de Retza – Codex Comestorii vitiorum 60 Freher, Marquard – Emendationes 72, Kap. 3.2.1, 158, 165, 177, 188, 198, 307 – Origines Palatinae 99, 105, 307 Frick, Johannes 97f., 188 Frisius, Johann Jacob – Bibliotheca instituta et collecta 307 Fugger, Ulrich 51–54, 65, 67, 141 Füglistaller, Leonz 210, 314 Fuldaer Beichte 71, 86, 138, 156, 192 Fuldaer Sakramentar 56 Gasser, Achill Pirmin Kap. 2.3.1, 65f., Kap. 3.1.1, 133, 143, 146, 152–154 – Abschrift des Cod. Pal. lat. 52 Kap. 3.1.1, 122–130, 138f., 187, 213, 306 – Historia des gantzen Lebens 51, 84

338 Geldern, Johann von 26 Gelenius, Sigismund 33 Gemusaeus, Hieronymus 135 Gemusaeus, Polykarp 135 Georgslied 47, 55, 106 Gesner, Konrad 53, 64, 66, 67f., 79–85, 133, 143 – Bibliotheca universalis 306 – Euporista 82–85, 146 – Mithridates 81f., 146 – Vorrede zu Maalers Dictionarium 41f., 79f., 306 Gesta Dagoberti 39 Girbert, Johann 182 Glossa Lindenborgensis 198 Goldast, Melchior – Ausgabe der Benediktsregel 179f. – Paraenetica veteres 162, 307 Gottfried, Johann Ludwig – Historische Chronica 308 Gottsched, Johann Christoph – Beyträge zur critischen Historie 45, 311 Gräter, Friedrich David 45 – Bragur 46, 313 Graff, Eberhard Gottlieb 9 – Die althochdeutschen Präpositionen 207, 314 – Althochdeutscher Sprachschatz 207, 209, 315 – Diutiska 314 – Krist 3, 19, 61, 175, Kap. 6.2, 315 Grandidier, Philippe André – Histoire de l’eglise 312 – Notice sur la vie et les ouvrages d’Otfrid 312 Gregor der Große 111 Grimm, Jacob 68, 206 – Deutsche Grammatik 3, 203, 205f., 209, 314 – Rede auf Lachmann 10 – Seebodes Kritische Bibl. 314 – Über einige misverstandene Stellen 314 Grimm, Jacob und Wilhelm – Deutsches Wörterbuch 159 Gryphius, Christian – Der Deutschen Sprache unterschiedene Alter 211f., 308 Grynäus, Johann Jakob 134–136 – Monumenta sanctorum patrum 136 Grynäus, Samuel 135 Grynäus, Simon 134f. Gudmundus, Andreas 179 Gueintz, Christian – Deutscher Sprachlehre Entwurf 308

Haeberlin, Franz Dominik – Notitia codicum 86, 100, 311 Hagen, Friedrich Heinrich von der 61 – Ausgabe der Berliner Bruchstücke 3, 61f., 313, 314 – Erinnerung an E. G. Graff 209 – Grundriß 74, 314 Hahn, Balthasar 135 Hamberger, Georg Christoph – Zuverlässige Nachrichten 312 Harsdörffer, Georg Philipp – Frauenzimmer Gesprechspiele 308 Hase, Theodor 170 Haupt, Moriz 10, 62 Heinrich von München – Weltchronik 198 Heldenbuch 12, 171, 180 Heliand 1f., 22, 210 Heliandpräfatio 50, 121 Herder, Johann Gottfried – Andenken an einige ältere deutsche Dichter 313 Hertzberg, Johannes Claius 182 Herzog, Bernhard – Chronicon Alsatiæ 307 Hickes, Georges – Linguarum Vett. Septentrionalium Thesaurus 164, 180f., 188, 198, 309 Hildebrandslied 171 Hinkmar von Reims – Opusculum LV capitulorum 49 Histoire litteraire de France 311 Höfer, P. Matthias 206 Hoffmann von Fallersleben, Heinrich – Ausgabe der Bonner Bruchstücke 3, 57, 62, 314 – Fundgruben 74, 92 – Über Otfrid 315 – Verzeichniss 116 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian – Deutsche Übersetzungen und Getichte 211, 308 Hornig, Frédéric-Théodore – Conjectures sur la vie et l’éducation d’Otfrid 315 Hrabanus Maurus 7, 111, 193 Hund, Wiguleus – Metropolis Salisburgensis 44, 307 Hunibald 24, 26f. Hus, Jan – Historia gestorum Christi 51 Huttich, Johannes 38 Ickelsamer, Valentin 182 Jöcher, Christian Gottlieb

339 – Allgemeines Gelehrten-Lexikon 311 Joerdens, Carl Heinrich – Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten 313 Junius, Franciscus 70–74, 109, 180 – Ausgabe des Codex Argenteus 72 – Observationes 73, 182, 308 Kaiserchronik 96 Karl der Große 6f., 31, 70, 111f., 193 Karl VI. 99 Kinderling, Johann Friedrich August 61 Klein, Martin 181 Klopstock, Friedrich Gottlieb 213 Knittel, Franz Anton – Ulphilae versionem 60f., 312 Koch, Erduin J. – Compendium 74, 313 Köhler, Johann David 98 – Anweisung zur Reiseklugkeit 45, 95, 313 – Wöchentliche historische MünzBelustigung 311 König Tirol und Fridebrant 187 Kollar, Adam Franz – Analecta 115, 312 Konrad von Würzburg – Engelhard 12 Koplhuber, P. Leopold 19, 99, Kap. 6.1 Krafft von Delmensingen, Raymund 53, 86, 100, 188 Kütner, Karl August – Charaktere teutscher Dichter 312 Lachmann, Karl 1–3, 8–11, 17f., 100, 210, 314, 315 Lambeck, Peter 18 – Commentarii 21, 46, 70, 72, 74, 88f., 91f., 101, Kap. 3.3, 158, 165–167, 171, 174, 176f., 188, 308 Lauber, Christoph 86, 92, 187 Lautenbach, Konrad – Catalogus testium veritatis 19, 120, Kap. 8.2, 307 Lazius, Wolfgang 29, 215 – De gentium aliquot migrationibus 306 Leges Langobardorum 40 Lex Salica 187 Liber historiae Francorum 39 Liutbert von Mainz 31 Livius, Titus – Ab urbe condita 33f. Loccenius, Johannes 169 Ludwigslied 171, 187 Luther, Martin 146 Maaler, Josua – Dictionarium 41, 306

Mabillon, Jean – Annales Ordinis S. Benedicti 311 – Res diplomatica 61 Magdeburger Centurien 28, 48, 51, 64, 66, 118f., 122f., 135, 137, 141, 306 Marcellus Burdigalensis – De medicamentis liber 153 Maximilian I., Kaiser 23f., Kap. 2.1.2, 38, 40, 70 Maximilian I. von Bayern 55 Meichelbeck, Karl 94f. – Historia Frisingensis 45, 94, 310 Meister, Leonard – Beiträge zur Geschichte der teutschen Sprache 312 – Characteristik deutscher Dichter 313 – Hauptepochen der deutschen Sprache 313 Mencke, Johann Burkhard – Scriptores Rerum Germanicarum 310 Merula, Paulus – Williramausgabe 73, 159, 171, 180, 307 Messerschmidt, Paul 119 Miscellanea Lipsiensia, ad incrementum rei litterariæ 309 Moibanus, Johannes – Edition der Euporista 82–85 Monathliche Unterredungen 74–76, 308f. Mone, Franz Joseph – De emendanda ratione 55f., 314 Monseer Glossen 198 Morhoff, Daniel Georg 182 – Polyhistor 308, 311 – Unterricht von der teutschen Sprache 308 Nasser, Johann Adolf – Vorlesungen 313 Nauhaus, Samuel – Dissertatio Historico-Critica 310 Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen 310 Nibelungenlied 210, 215 Nidbruck, Caspar von 28, 50, 64 Notker I. 7 Notker der Deutsche 109 – Brief an Hugo von Sitten 6 – Psalter 28, 176, 187, 198 Oberlin, Jeremias Jakob – Glossarium 187, 312 Ölinger, Albert 182 Olearius, Johann Gottfried – Bibliotheca scriptorum ecclesiasticorum 309 – Abacus patrologicus 74–76, 308 Opitz, Martin

340 –

Annoliedausgabe 96, 98, 162, 171, 180, 308 Oporinus, Johannes 119, 135 Origines Guelficae 311 Ortnit 75 Otto I. 130 Oudin, Casimir – Commentarius 74, 310 Palthen, Johann Philipp – Tatianausgabe 175, 179, 181, 309 Pantaleon, Heinrich – Prosopographiæ Herovm Atqve Illvstrivm Virorvm Totivs Germaniæ 306 Parnassus Boicus 45, 310 Perna, Petrus 136 Petrarca, Francesco 33 Petri, Heinrich 136 Petruslied 9 Peutinger, Konrad 33 Pez, Bernhard – Thesaurus anecdotum novissimus 198 Pfeffel, Christian Friedrich 45f., 313 Physiologus 22, 96 Placcius, Vincent – De scriptis et scriptoribus anonymis 309 Pant, Johann Traugott – Chronologischer biographischer und kritischer Entwurf 312 Platter, Thomas 135 Pontanus, Johann Isaac – Originum Francicarum 307 Possevino, Antonio – Apparatus sacri 307 Psalm 138 22 Reichard, Elias Caspar – Versuch einer Historie der deutschen Sprachkunst 311 Reichenauer Beichte 111, 176 Reichhardt, P. Gottfried 93 Reiffenstein, Johann Wilhelm von 64, 66, 82, 84 Reimmann, Jakob Friedrich – Bibliotheca acromatica 309 Reinke Fuchs 180 Reischl, P. Michael 194, 197, 206 Rhenanus, Beatus 66 – Commentariolus 36 – De missarum varietate 150 – Res Germanicæ 26, Kap. 2.2.1 und 2.2.2, 46, 58, 102, 114, 130, 137, 144, 149–151, 192, 305 Riedesel, Adolph Hermann 136f., 145 Rihel, Josis 83 Rolandslied 187

Rosenkranz, Karl – Geschichte der deutschen Poesie 3, 314 Rostgaard, Frederik 50, 86, 101 – Emendationes 55, 81, 92, Kap. 3.2.2, 139, 158, 188, 198, 310 Rotermund, Heinrich Wilhelm – Fortsetzung und Ergänzungen 69, 314 Rudbeck, Olof 169 Rumler, Johann Ulrich 86 Sachsenspiegel 116 Sadil, Meinrad 213 Sächsische Weltchronik 137 Salomo, Herzog der Bretagne 130 Samanunga 198 Sandvig, Christian 106 Schannat, Johann Friedrich – Historia Fuldensis 311 – Vindemiæ Literariæ 310 Scheffer, Johannes 169 Schellhorn, Johann Georg – Amoenitates literariae 53, 84f., 310 Scherz, Johann Georg 97, 168, 187–192 Schilter, Johann 76, 87–92, 96f., 115f., 163 – Ausgabe der Chronik Jacob Twingers von Königshoven 165, 180, 182 – Epinikion 165f., 182, 308 – Schwabenspiegel 165f. – Teildruck aus dem Evangelienbuch Kap. 5.1, 189f., 309 – Teildruck aus Notkers Psalter 165 – Thesaurus 3, 17,19, 45, 85f., 99, 109, 158, 185, Kap. 5.4, 196, 199, 310 Schmeller, Johann Andreas 110 – Heliand 208 Schmid, Ch. Heinrich – Skizzen 312, 313 Schmid, Johann Philipp 76, Kap. 3.1.2, 115f., 170, 173–175, 177, 183, 188–190 Schmid, P. Leopold 194 Schottel, Justus Georg 182 – Ausführliche Arbeit 308 – Teutsche Sprach Kunst 308 Schröckh, Johann – Christliche Kirchengeschichte 313 Schwabenspiegel 187 Seelen, Johann Heinrich von – Memoria Stadeniana 310 Sengschmitt, Berthold 87 Serarius, Nicolaus – Mogvntiacarvm Rervm 307 Sidonius Appolinaris 40 Sigihard 34 Sigihards Gebete 45 Simler, Josias 80

341 –

Epitome Bibliothecæ Conradi Gesneri 306 Simon, Johann Christian 185f., 192 Sperling, Otto – Dissertatio de nummis 309 Spizel, Theophil 86 Stade, Dietrich von 19, 88, 163, Kap. 5.2 – Bibelwörterbuch 169f., 181, 309f. – Christus und die Samariterin 175 – Specimen lectionum antiquarum Kap. 5.2.3, 188f., 191f., 196, 198, 200, 309 Stade, Johann Friedrich von 88, 170, 173f. Steirische Reimchronik 198 Sternhjelm, Georg 169, 180 Stieler, Kaspar – Dichtkunst des Spaten 308 Stolle, Gottlieb – Anleitung zur Historie der Gelahrtheit 310 Stricker, Der – Karl 111, 187 Sulzer, Johann Georg – Allgemeine Theorie der Schönen Künste 312 Tabula Peutingeriana 33 Tacitus – Annales 36 – Germania 13, 37 Tauler, Johannes 180 Tengnagel, Sebastian 115 Tentzel, Wilhelm Ernst 70f., 74f. Thomas von Aquin 57 Thou, Jacques August – Historiae sui temporis 307 Titurel, Jüngerer 96 Toustain, Charles – Nouveau Traite 312 Trithemius, Johannes 3–12, Kap. 2.1, 101, 130, 144, 148f., 192 – Annales Hirsaugienses 30–32, 308 – Cathalogus illustrium virorum 4–8, 30f., 305 – Chronicon Hirsaugiense 30f., 119, 306 – De viris illustribus 4 – De laude scriptorum 5 – Liber de scriptoribus ecclesiasticis 3–7, 23, 30, 35, 74, 137, 305 – Polygraphia 32, 305 – Questiones in euangelium Ioannis 25 – Vita beati Rabani Mauri 32

St. Trudperter Hohes Lied 18 Uffenbach, Zacharias Conrad von – Merkwürdige Reise 168f., 312 Uguccio – Vocabularius 57, 61 Unger-Winkelried, Emil – Friede – Freiheit – Brot 212 – Von Bebel zu Hitler 212 Usher, James – Historia dogmatica 308 Verelius, Olof 169, 180 Vergil – Aeneis 194 Vilmar, August Friedrich Christian – De genitivi casus syntaxi 315 Vocabularius Gemma Gemmarum 180 Vögelin, Gotthard 101f. Wachter, Johann Georg – Glossarium Germanicum 196, 311 Wackernagel, Wilhelm – Die Verdienste der Schweizer 315 – Deutsches Lesebuch 315 Wagner, Marcus 28, 50, 64–66, 122 Walahfrid Strabo 7 Waldo von Freising 34f. Walther von der Vogelweide – Erster Reichston 210 Welser, Marcus – Rerum boicarum libri quinque 307 Wilhelm, Herzog von Bayern (1548–1626) 44f. Wilken, Friedrich 55 – Geschichte der Bildung 314 Williram von Ebersberg – Hoheliedparaphrase 6, 18, 101f., 104f., 170, 187 Winsbecke und Winsbeckin 187 Wolf, Caspar – Epistolarum Medicinalium Conradi Gesneri 80, 306 Wulfila 170 Yepes, Antonio de – Coronica general 307 Zahn, Johann Christian – Ulfilas gothische Bibelübertragung 196, 313 Zedler, Johann Heinrich – Universallexicon 311 Zeiller, Martin – Itinerarium Germaniae 308 Zwettler Glossen 198