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German Pages 255 [256] Year 1986
Biopsychologie der Emotionen
Biopsychologie der Emotionen Studien zu Aktiviertheit und Emotionalität von Rainer Bösel mit Beiträgen von Jürgen H. Otto und Rainer Wieland-Eckelmann
W DE Walter de Gruyter G Berlin • New York 1986
Prof. Dr. Rainer Bösel Freie Universität Berlin Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften 1 Psychologisches Institut Habelschwerdter Allee 45 1000 Berlin 33 Das Buch enthält 73 Abbildungen und 10 Tabellen
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Bösel, Rainer: Biopsychologie der Emotionen : Studien zu Aktiviertheit u. Emotionalität / von Rainer Bösel. Mit Beitr. von Jürgen H. Otto u. Rainer WielandEckelmann. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1986. ISBN 3-11-010961-1
© Copyright 1986 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Druck: Gerike GmbH, Berlin. - Bindung: Dieter Mikolai, Berlin.
Vorwort Aktiviertheit im Sinne von körperlicher Erregtheit wird seit W B. Cannon als Ursache bzw. als Begleiterscheinung von Emotionalität angesehen. Unter Emotionalität wird hier die Gefühlsgeleitetheit von Urteilen und Handlungen, sowie der Bericht über die eigene Aufgeregtheit verstanden. Gibt es Entsprechungen zwischen bestimmten Gefühlen und Syndromen körperlicher Erregtheit? In welchem Verhältnis stehen gedankliche und körperliche Prozesse? Aufbauend auf den evolutionsbiologischen Grundlagen der emotionssteuernden Gehirnteile werden die Syndrome erklärt und diskutiert, die man neuropsychologisch unterscheiden kann. In seltenen Fällen werden solche Syndrome bereits verhaltensrelevant. Meist tragen sie nur zu einer Aufmerksamkeitsverschiebung bei, die Auswirkungen auf den Selbstbericht über die emotionale Befindlichkeit und auf die Bewertung und Verarbeitung von Sinnesinformation hat. Spätestens dann setzt ein bio-kognitiver Selbstregulationsprozeß ein, der Gegenstand mehrerer Emotionstheorien ist. Die Rolle von emotionalen Vorstellungsbildern und aggregierten Informationen über emotionale Vorgänge wird besprochen. Komponenten von Selbstregulationsprozessen sind Gedanken, körperliche Erregungsprozesse und/oder Handlungen, die ihrerseits Befinden und kognitive Verarbeitung beeinflussen. Schließlich wird die besondere Rolle von Emotionalität im sozialen Kontext in einem abschließenden Kapitel behandelt. Im Anhang befindet sich eine kurzgefaßte Anatomie des limbischen Systems, ein Versuch einer formalen Theorie der Gefühle und einige paradigmatische Anordnungen für eine experimentelle Analyse. Vorausgesetzt werden beim Leser Grundkenntnisse der Physiologischen Psychologie. Ziel des Buches ist, zu weiteren Forschungen in diesem spannenden Problemfeld zwischen Körper und Geist anzuregen. Dann hätte es seinen Zweck erfüllt. Den Herren Drs. Otto und Wieland-Eckelmann danke ich für ihre wertvollen Beiträge. Die Abbildungen sind Verkleinerungen von Um- bzw. Originalzeichnungen, die von mir stammen. Bei der Schreibarbeit am Textverarbeitungssystem hat mir Frau Laaser geholfen, die Literaturliste erstellte Frau Müller. Schließlich möchte ich noch meiner Frau danken, die mich im persönlichen Bereich unterstützte. Berlin, im Juni 1986
Rainer Bösel
Inhalt Einleitung 1. Aktiviertheit und Emotionalität
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Kapitel 1: Biologische Grundlagen der Aktivierung 2. Phylogenetische Rahmenbedingungen 3. Strategien zum Verständnis der neuralen Funktionen 4. Zur Geschichte der neuropsychologischen Aktivierungsforschung 5. Ethologische Grundkonzepte Kapitel 2: Die Aktivierungssyndrome 6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte 7. Kurzgefaßte Übersicht über die Aktivierungssyndrome 8. Bewegungsanomalien 9. Makroskopische Verhaltensregulation Kapitel 3: Aktivierung als dominanter Faktor in Verhalten und Erleben 10. Schlafphasen 11. Theta-EEG und die Orientierungsreaktion 12. Notfallreaktion, Katecholaminsekretion und die Regulation des Blutdrucks 13. Aktivierung und emotionaler Ausdruck
9 16 20 24 31 42 45 48 57 58 64 68
Kapitel 4: Aktivierung und BeGndlichkeit (J. Otto und R. BSsel) 14. Selbstbericht und Semantisches Differential 15. Befindlichkeitsveränderungen bei körperlicher Beanspruchung und Aktivierung
73 79
Kapitel 5: Basismodelle emotionaler Informationsverarbeitung 16. Ein Netzwerkmodell der neuralen Repräsentation von "stimmender" (tunender) Information 17. Die Erlebensdimension „besser - schlechter" 18. Die Erlebensdimension „schwerer - leichter"
89 93 98
Kapitel 6: Bio-kognitive Selbstregulation (R. Wieland-Eckelmann) 19. Zur Definition von Emotion 20. Aktivierung und Emotion 21. Die Emotionstheorie von H. Leventhal 22. Die Theorie emotionaler Vorstellungsbilder von E J. Lang Kapitel 7: Interozeption (J. Otto) 23. Begriffsklärungen 24. Die physiologische Komponente (visceral detection) 25. Die kognitiv-verbale Komponente (visceral perception) 26. Prinzipien einer Psychologie physiologischer Symptome und ihrer Selbstregulation
107 110 115 120 127 129 132 135
Vili Kapitel 8: Emotion und soziale Interaktion 27. Emotionalität und prosoziale Mechanismen 28. Zum Verhältnis von Emotionalität und sozialem Verhalten 29. Emotion und Kommunikation
139 146 150
Anhang 30. Kurzgefaßte Anatomie des limbischen Systems 31. Psychische Energie, psychisches Gleichgewicht und Mehrfachregulation. Einige Gedanken zur theoretischen Beschreibung hochkomplexer, dynamischer Verhaltensprozesse 32. Aktivation beim Problemlösen
173 189
Literatur Sachregister
205 239
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EINLEITUNG
1. Aktiviertheit und Emotionalität
Aktiviertheit im Sinne von körperlicher Erregtheit wird seit W.B. Cannon als Ursache bzw. als Begleiterscheinung von Emotionalität angesehen. Unter Emotionalität wollen wir hier die Gefühlsgeleitetheit von Urteilen und Handlungen, sowie den Bericht über die eigene Aufgeregtheit verstehen. Gibt es Entsprechungen zwischen bestimmten Gefühlen und Syndromen körperlicher Erregtheit? In welchem Verhältnis stehen gedankliche und körperliche Prozesse überhaupt? Aktiviertheit ist ein Erklärungsbegriff innerhalb der Vielfalt psychophysischer Zustände. Er soll Zustände des Organismus (und damit in der Regel des Nervensystems) beschreiben, die als Globalreaktion (mass reaction) auf Umwelteinflüsse aufgefaßt werden können (vgl. Fahrenberg 1980). Für die Herstellung und Veränderung dieser Zustände werden abgrenzbare Strukturen und eigenständige Prozesse verantwortlich gemacht (emotionaler Aspekt). Deren Tätigkeit soll sinnvollerweise auch so interpretiert werden können, daß sie die Reaktionslage des Organismus in Richtung auf eine Bereitschaft zu einer bestimmten Klasse von Verhaltensweisen verschiebt (motivationaler Aspekt). Bezeichnungen wie Aktivierung, Aktivation und Arousal werden nicht immer einheitlich verwendet. Im deutschsprachigen Raum wird Aktivierung und Aktivation weitgehend synonym verwendet, und zwar zur Bezeichnung einer Zustandsveränderung. Der Zustand, Aktiviertheit oder activation, ist jeweils durch eine bestimmte Reaktionslage gekennzeichnet (vgl. auch Fahrenberg et al. 1979, S. 12; Schandry 1981, S. 45). Die Bezeichnung Arousal wird häufig kurzzeitigen Zustandverschiebungen vorbehalten, die als organismische Reaktion im Zusammenhang mit dem Prozeß der Informationsaufnahme gesehen werden (vgl. Pribram und McGuinness 1975). In zahlreichen Aktivierungskonzepten herrscht die Vorstellung, daß der Organismuszustand durch eine eindimensional variierende Zustandsgröße beschrieben werden könnte (Lindsley 1951, 1970). Um die emotionale Vielfalt beschreiben und erklären zu können, bedarf es allerdings noch der Existenz spezifizierender ("kognitiver") Prozesse, die die Verbindung von Aktiviertheit und verhaltensrelevanter Emotionalität herstellen (Schachter 1964, 1975). In dieser Tradition wird Aktivierung häufig als Vorbereitung für (motorische) Aktivität bzw. als Veränderung der Handlungsbereitschaft interpretiert (Duffy 1972, Janke 1974). Aktivierung als integrative Globalfunktion des Organismus kann in sehr verschiedenen Verhaltensbereichen auftreten, sei es beim Übergang vom Schlafen zum Wachen, sei es bei vorsorglicher Anspannung vor Beanspruchungssituationen. Insofern handelt es sich um ein Globalkonzept, das Differenzierungen häufig nur auf der Dimension Erregung-Beruhigung erlaubt. Der
Erklärungswert
einer solchen
globalen,
eindimensionalen
Sichtweise
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1. Aktiviertheit und Emotionalität
bleibt naturgemäß beschränkt. Sie wurde vor allem von Lacey (1967) kritisiert, der demgegenüber eine anforderungsabhängige Fraktionierung (directoral fractioning) der Aktivierungsfunktionen sieht. Seither gibt es zahlreiche Versuche, in der Vielfalt einzelner Körperprozesse sinnvolle Zusammenhänge zu entdecken. Vor dem Hintergrund psychologisch relevanter Fragestellungen sollte eine repräsentative Zusammenfassung von Einzelfunktionen zu Globalzuständen bzw. Globalreaktionen des Organismus möglich sein. Die Nützlichkeit solcher Versuche steht außer Zweifel. Im Bereich der psychologischen Konzeptbildung, wo innerorganismische Prozesse nur einen zweitrangigen Platz einnehmen können, sollten wenigstens einige repräsentative Dimensionen des Orgamismuszustandes berücksichtigbar sein. Bei psychophysiologischen Untersuchungen, deren Anliegen es ist, möglichst differenzierte Aussagen über die organismische Reaktivität unter ausgewählten Bedingungen zu machen, ist wieder aus ethischen, versuchspraktischen und meßtechnischen Gründen eine Beschränkung auf repräsentative Kenngrößen notwendig. Aber auch in der neuropsychologisehen Forschung gibt es Evidenzen dafür, daß in den höheren Anteilen des Nervensystems Impulsmuster auftreten, die offenbar Klassen von sehr komplexen, gesamtkörperlichen Zuständen repräsentieren. Ist das noch Aktivierungsforschung? Von physiologisch orientierten Psychologen wurde ohnehin seit jeher ein enger Zusammenhang zwischen physiologischer Aktivierung und den Qualitäten emotionalen Erlebens gesehen, der über eine bloße- Anregung hinausgeht. Spätestens seit Cannon (1927) wird, wie erwähnt, Aktivation immer wieder als Grundlage von Emotionalität angesehen (vgl. Böcher 1976). Kontrovers bleibt, mit welcher Differenziertheit die Aktivität bestimmter neuraler Strukturen kognitive, körperliche und Handlungsprozesse korrespondierend beeinflußt. Außerdem wurde auch in der klassischen Aktivierungsforschung nie gänzlich auf die Erhebung differenzierter Selbstberichtsdaten verzichtet, wiewohl deren geringe Kovariation mit den physiologischen Indikatoren immer wieder bedauert wurde (Schönpflug 1969, Fahrenberg 1979). In der jüngeren Geschichte der Aktivierungsforschung gab es zahlreiche Versuche, zu einer sinnvollen, globalen Klassifizierung von Einzelprozessen des Körpers zu gelangen (vgl. z.B. Schandry 1981). Der bislang wohl umfassendste Versuch beruht auf multivariater Analyse von Aktivierungskenngrößen. Dabei sollte auf der Basis von Kovariationen zwischen und innerhalb möglichst vieler Kennwerte (von Fahrenberg et al. 1979 wurden 161 erfaßt) auf innerorganismische Funktionssysteme geschlossen werden. Diese könnten dann durch "Leitvariablen" indiziert werden, deren Profil unterschiedliche Aktiviertheitszustände kennzeichnen. Ohne daß hier im einzelnen auf die von Fahrenberg et al (1979) gefundenen acht Leitvariablen eingegangen werden soll, müssen doch zumindest drei grundsätzliche Probleme bei einem solchen multivariaten Vorgeben angeführt werden. 1. Psychophysiologische Variablen weisen wegen der hohen Flexibilität der beobachteten Systeme erfahrungsgemäß Kovariationen auf.
funktionellen nur geringe
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1. Aktiviertheit und Emotionalitat
2. Die große Anzahl der in einer multivariaten Analyse berücksichtigten Variablen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Anzahl auf Grund einer systematischen Auswahl beschränkt ist. Implizite Konzepte und die methodisch bedingte Auswahl beeinflussen in hohem Grade direkt die qualitativen Aussagen der Ergebnisse. Insbesondere hat es ohne Zweifel einen erheblichen Einfluß auf die Gestalt der gewonnenen Klassen, wenn aus methodologischen Gründen zentrale Indizes weggelassen werden. 3. Die Gestalt der Klassen wird auch durch die gewählte Klassenzahl bestimmt. Post facto muß eine Entscheidung getroffen werden, welche Zahl von Klassen gerade noch sinnvoll interpretiert werden und einschlägigen Validierungsstudien zugemutet werden kann. Demgegenüber sind auch andere Strategien denkbar und angewandt worden, nach denen eine eng zusammenhängende und - im mikroskopischen Bereich - zufällig variierende Vielfalt heuristisch sinnvoll klassifiziert werden kann. So bietet sich eine Analyse nach kausalgenetischen Prinzipien an, die im Falle psychophysischer Reaktivität auf stammesgeschichtlichen Argumenten aufbauen müßte (Gray 1982, Obuchowski 1982). Ein anderer Ansatz könnte von der Definition globaler Funktionsbereiche ausgehen, denen bestimmte psychophysische Mechanismen zugeordnet werden können. Dabei kann die Definition der Funktionsbereiche vom funktionellen Substrat her gewonnen werden, d.h. also aus dem funktionellen Aufbau des Nervensystems erschlossen werden (z.B. Routtenberg 1968, Pribram und McGuinness 1975). Grundfunktionen des Organismus können aber auch aus Konzepten zur Einordnung der Verhaltensvielfalt erschlossen werden (z.B. Lacey und Lacey 1974, Pribram und Tubbs 1967, Schönpflug 1979). Die konzeptionelle Vielfalt der genannten Strategien darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihnen ein gemeinsames Ziel zugrundeliegt: Die Reduktion der Verhaltensvielfalt auf Kategorien, die einen heuristischen Wert für die Psychologie besitzen. Dies hat mitunter einen fatalen Nebeneffekt. So wird implizit oder auch ausdrücklich in neuropsychologisehen Ansätzen mit Begriffen operiert, die häufig einem vergleichsweise beliebig ausgewählten psychologischen Konzept entstammen. Paradox wird die Situation, wenn - wie es leider in zahlreichen Lehrbüchern mit psychophysiologischen Themen geschieht - zusätzlich aus der Komplexität der neuralen Strukturen Teilstrukturen zu Einheiten zusammengefaßt werden, deren funktioneller Zusammenhang mit schlecht validierbaren psychologischen Konstrukten z.B. aus dem Bereich der Emotionspsychologie, begründet wird. Etwas strengeren Kriterien müssen phylogenetisch und neuroethologisch motivierte Aktivierungskonzepte genügen. Hinter ihnen steht die große Tradition von Verhaltensbiologie, Verhaltensphysiologie, Verhaltenstheorie und neuerdings Verhaltensgenetik. Auf Grund dieser Restriktionen ist es in der Regel schwierig, eine Anpassung oder Korespondenz zur traditionellen psychologischen Konzeptbildung herzustellen (vgl. Schurig 1975, Immelmann 1979, Ewert 1976). Die Überwindung dieser Kluft durch Hypothesen zur spezifisch menschlichen Verhaltensgenese im Tier-Mensch-übergangsfeld ist häufig durch schwer belegbare Zusatzannahmen belastet. Emotionspsychologisch relevante Befunde aus der Biologie der Verhaltensentwicklung beim Menschen sind bislang noch selten. Die
klassischen Aktivierungskonzepte (Duffy 1962;
aber auch
Routtenberg
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1. Aktiviertheit und Emotionalität
1968 und Pribram & McGuinness 1975) sind jedoch ergänzungsbedürftig. Auch muß die Vorstellung von einer klar umgrenzbaren anatomischen Struktur, die für einen bestimmten Aktivierungsprozeß oder gar für eine Komponente einer bestimmten Emotion zuständig ist, korrigiert werden. Einzelne "Aktivierungssysteme" lassen sich wahrscheinlich nicht einmal durch einen Transmitterstoff charakterisieren, wiewohl im folgenden mitunter von noradrenerger oder cholinerger Aktivierung die Rede sein wird. Vielmehr sollte man sich am Muster der Erregungsverteilung orientieren, daß als Abbild der Interaktion im dynamischen innerorganismischen Wirkgefüge zu verstehen ist. Die vegetative Physiologie liefert hier erst Informationen "aus zweiter Hand". zwischen allgemein-biologischen Im folgenden soll versucht werden, Voraussetzungen und funktionellen Beschreibungen des Nervensystems einerseits und aktivierungstheoretischen Befunden andererseits Korrespondenzen aufzudecken, die innerhalb der psychologischen Konzeptbildung einordenbar sind. Auf Grund dieser Korrespondenzen soll im Bereich der Emotionsforschung auf einige grundlegende innerorganismische Mechanismen und Strukturen geschlossen werden. Aktivierung wird unter dieser Perspektive als integrative Globalfunktion des Organismus auf der Basis des Wirkens von neuralen Aktivierungssystemen verstanden, die in mehr oder weniger enger funktionaler und zeitlicher Kopplung in bestimmte kortikale, vegetative und motorische Prozesse steuernd eingreifen. Infolge dieser Regulation werden Veränderungen im Erleben und Selbstbericht, im offenen Verhalten und auf den peripherphysiologischen und zentralen Indikatoren erkennbar (Abb. 1). Indikatorebenen und Datenniveau bleiben unter diesen Voraussetzungen aber ebenso wie in der klassischen Aktivierungsforschung zunächst noch völlig offen. Den Fortschritt sehen wir aber (1) in der Hoffnung größerer Kovariationen zwischen den Meßebenen, solange man innerhalb einer Systemwirkung, dem "Aktivierungssyndrom", bleibt und (2) in der Zuversicht, zur Erklärung des Gesamtverhaltens brauchbarere Verhaltenseinheiten zu besitzen, als es im eindimensionalen Aktivierungskonstrukt mit all seinen Ausnahmeregeln vorliegt. Bereits von der AIItagsanmutung her eröffnet sich hier - um nur ein Beispiel zu nennen - zumindest die Möglichkeit, zwischen den Formen von vitaler Aktiviertheit und ängstlicher Anspannung zu unterscheiden, was sicherlich auch ein zentrales Anliegen der klassischen Aktivierungsforschung ist. Wir werden dazu im Kapitel 4 ausführlicher Stellung nehmen. Der potentielle 'Wert von differenzierten Aktivierungssyndromen der genannten Art hängt allerdings auch von deren Anzahl ab. Aus Gründen der vorhandenen Komplexität dürfte weder vom neurologischen Substrat her noch von der beobachtbaren Verhaltensvielfalt eine Beschränkung nach oben zu erwarten sein. Allerdings ist bei derartigen Klassifizierungsversuchen erfahrungsgemäß der heuristische Wert bei großen Anzahlen ebenso gering wie bei den Zahlen eins und zwei.
1. Aktiviertheit und Emotionalität
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Selbstbericht kognitive (erlebnismässig-verbale) Ebene Grosshirnrinde Zenintegrative Systeme trale 'Hirn("Aktivierungssysteme") Indi— m e c h a kato— nismen' 'motor. GEHIRN ren vegetat. System System
Abb. 1:
peripher-physiol. Ebene
behaviorale Ebene
vegetat. Messgrössen
Tätigkeiten und Handlungen
Konzeptuelle Zusammenhänge zwischen dem "neurologischen Substrat", den klassischen Meßebenen und den wichtigsten Aktivierungs-Indikatoren.
Das Wundt'sche Konzept, das Kontinuum der Gefühle in drei Dimensionen abzubilden, scheint sich trotz aller Kritiken heuristisch ebenso zu bewähren wie die Versuche, aus dem emotionalen Ausdruck eine geringe Zahl von mitteiIbaren Grundemotionen zu extrahieren, aus deren Mischung sich die Vielfalt der Gefühlswelt ergibt. (Auch darüber werden wir schwerpunktmäßig im Kapitel 4 ausführlicher zu berichten haben). Nach unserer Darstellung der Geschichte der neuropsychologischen Aktivierungsforschung (Abschnitt 4) läßt sich eine Anzahl von sechs cerebro-behavioralen Syndromen angeben. Diese werden wir in den darauffolgenden Abschnitten detaillierter besprechen und es wird auch unter anderem die Frage zu erörtern sein, in welchem Verhältnis sie zu den Dimensionen der Gefühlswelt stehen. Die Annahme von "Aktivierungssyndromen" stellt gewissermaßen ein Kernstück in unserem Aufbau von Konzepten der Aktiviertheit und Emotionalität dar. Deshalb sind noch einige Bemerkungen zum Kapitel 2 anzufügen. Ziel dieses Kapitels ist es, zunächst aktivierungstheoretisch bedeutsame Basissyndrome des Organismus zu unterscheiden, sie aufzulisten und sie zu brauchbaren Klassen zusammenzufassen. Der Schwerpunkt wird aber auch auf einer gewissen Vereinbarkeit der einzuführenden Konstrukte mit den bisher vorgestellten ethologischen Konzepten (den "verhaltens-theoretischen" im weitesten Sinn) liegen. Bezüglich der Einordnung anatomischer Details sei auf den Anhang verwiesen. Die dort erfolgte Auflistung ist keineswegs vollständig. Nicht auf alle der im Abschnitt 5 erwähnten ethologischen Prozesse kann
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1. Aktiviertheit und Emotionalität
ausführlich eingegangen werden. Uber zahlreiche Funktionsmechanismen, wie z.B. den des serotoninergen Systems, ist noch zu wenig bekannt, um sie zufriedenstellend in das vorliegende Konzept einfügen zu können. Auch eine große Zahl psychophysiologischer Phänomene, wie z.B. das der Ermüdung, wird nur kurz erwähnt werden. Zu den zu behandelnden, psychologisch bedeutsamen organismischen Zuständen liegen z.T. durchaus widersprüchliche Befunde vor. Insofern ist unsere Darstellung sicherlich noch auf vielen Ebenen korrekturbedürftig. Wie glauben jedoch, daß der Versuch einer differenzierten Aktivationskonzeption lohnt und auch auf dem derzeitigen Stand bereits fruchtbar sein kann. Ein Problem besonderer Art entsteht beim Umgang mit eingeführten Bezeichnungen. Es ist nicht zu vermeiden, daß die eingangs erwähnten Beriffe "Arousal" und "Aktivation" eine etwas andere Bedeutung erhalten werden, als vielfach in der psychologischen Literatur üblich. Insbesondere wird vorgeschlagen werden, "Arousal" und "Aktivation" im Sinne von Pribram und McGuinness (1975) als zwei verschiedene organismische Prozesse zu verstehen, den einen verursacht durch einen Stop-Mechanismus, den anderen bedingt durch einen Go-Mechanismus. In teilweisem Gegensatz zu den genannten Autoren wird jedoch die Auffassung vertreten, daß "Aktivation" mit energetischer Mobilisierung assoziiert werden kann. "Arousal" wird als ein die Informationsaufnahme unterstützender Prozeß verstanden. Im Abschnitt 7 werden die zur Grundlegung unseres Verständnisses Aktivierung angeführten Aktivierungsprozesse bzw. Zustände Aktiviertheit nocheinmal zusammenfassend kurz charakterisiert werden.
von von
Auf welches Integrationsnivteau (von Verhaltenseinheiten) beziehen sich diese Konzepte? Kardiosomatische Kopplungen lassen sich teilweise nur für sehr kurze Zeitspannen nachweisen und beziehen sich auf mikroskopische Prozesse. Befindesmessungen, die beispielsweise zwischen ängstlicher Anpannung und vitaler Aktivierung differenzieren, können dagegen Stimmungsverläufe über sehr lange Zeiträume bzw. makroskopische Prozesse betreffen. Da wir im ersten Schritt unserer Konzeptbildung auf neuropsychologischen Befunden aufbauen wollen, stehen hier mikroskopische Verhaltensprozesse im Vordergrund. Ein Beispiel dafür ist der Versuch, die Orientierungsreaktion durch das Zusammenwirken von zwei oder drei Aktivierungsprozessen zu erklären (vgl. Abschnitt 11). Allerdings wäre es grob unangemessen, nur mit solchen Paradigmen Emotionspsychologie zu betreiben. Gerade seitens der Neurowissenschaftler wird immer wieder auf den Unterschied zwischen biologisch programmierten Verhaltenstendenzen und menschlichen Emotionen hingewiesen (vgl. z.B. Vanderwolf und Goodale 1982). Jedoch können tierexperimentelle Befunde und die mikroskopische Verhaltensanalyse am Menschen dazu, dienen, die "Sprache" unseres Nervensystems zu verstehen. Aus den einzelnen "Worten", die wir so zu lernen glauben, müssen dann die Nachrichten und Bedeutungen des emotionalen Geschehens zusammengesetzt gedacht werden. Allerdings schätzen wir diese "Worte" nicht gering ein: Auch sie können schon sehr bedeutungsvoll sein. So kann man sich leicht Paradigmen denken, in denen das eine oder andere Aktivierungssyndrom dominant vorherrscht (mit Bedacht wird in Abschnitt 5
1. Aktiviertheit und Emotionalitfit
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bereits eine differenziertere Ethologiediskussion geführt). Solche Paradigmen sind besonders geeignet, Aktivierungsprozesse zu studieren. Umgekehrt erklärt Aktivierung hier in hohem Grade bereits das emotionale Verhalten. Die Kapitel 3 und 4 werden davon handeln. Komplizierter wird es dort, wo durch verschiedenartige, mehr oder weniger gleichzeitig auftretende Beanspruchungen ein rascher Wechsel des Aktivierungsmusters zu erwarten ist. Einzelne Komponenten der wechselnden Syndrome können (wegen der Intensität oder wegen der Häufigkeit ihrer Mobilisierung) länger erhalten bleiben, verselbständigen sich gewissermaßen und greifen ihrerseits in das regulative Geschehen steuernd ein. Als Psychologe wird man hier die Informationsaggregation im Gedächtnis berücksichtigen müssen, als Physiologe kann man an langsame vegetative Anpassungen oder gar an hormonelle Veränderungen denken. Diesen "höheren Aggregationsprozessen", sind die Abschnitte ab Kapitel 5 gewidmet. Der Zusammenhang von Emotion und Kognition, zweier seit altersher gesondert betrachteter Konstrukte in der Geschichte der Psychologie (vgl. Scherer, 1981), wird immer wieder betont und beschworen (vgl. z.B. Piaget, 1981). Dennoch existiert hier ein theoretisches Defizit und es besteht das Bedürfnis "... nach einem integrativen Modell der Relation von Emotion und Kognition" (Mandl & Huber, 1983, S. 8). Ein Grund für dieses theoretische Defizit liegt sicherlich sowohl im generell niedrigen Forschungsstand der Gefühlsforschung (vgl. z.B. Debus, 1977, S. 157), als auch in den Defiziten der kognitiven Prozessforschung (vgl. z.B. Dörner, 1976, S. 141).Ein zusätzliches Hindernis für das Zustandekommen integrativer Konzeptionen liegt in der Gefahr, durch theoretische Brücken und Aussagen über Interaktionen den Dualismus zu zementieren (vgl. dazu ebenfalls Piaget, 1981, S. 5). Traditionellerweise werden einerseits antezedent-motivationale Aspekte der Emotionalität betont, d.h. ihre präkognitive und verhaltensdeterminierende Funktion (z.B. Reykowski 1968; Holzkamp-Osterkamp 1975; Holzkamp 1983; Zajonc 1980, 1984). Andererseits werden im Anschluß an kognitive Theorien Emotionen als postkognitives Phänomen erklärt (Lazarus 1966, Schachter & Singer 1962; Valins 1967). keine 'kalte' Aus neuropsychologischer Sicht gibt es Informationsverarbeitung. Wechselwirkungen zwischen emotionalen und kognitiven Prozessen treten nur mit Sekundärprozessen auf höherem Integrationsniveau auf (vgl. Abschnitt 20, z.B. Attributionen, Zuschreibungen oder interpretative Prozesse, wie sie von Schachter & Singer 1962; Valins 1967; Weiner 1980 angenommen werden). Organismische Vorgänge intervenieren also nicht bei emotionalen (oder aufmerksamkeitsregulierenden) Personen sondern sie liegen ihnen zugrunde. Die neuropsychologisehe Grundlage der Emotionen ist ein Zusammenspiel allokortikaler und subkortikaler Aktivierungsmechanismen. Diese sind über entsprechende Vermittlunsinstanzen (kortikale Projektionen, frontale Selektionsmechanismen) als Emotionen integraler Bestandteil kortikaler Informationsverarbeitung (vgl. Pribram 1976; Pribram & McGuinness 1975; Simonov 1972) und zeichnen auch für die periphere physiologische Reaktionslage verantwortlich.
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1. Aktiviertheit und Emotionalität
Dadurch wird es möglich, daß (1) die Aktivität der Aktivierungsmechanismen durch die direkte Art ihrer Wirkung auf die kortikale Informationsverarbeitung Gegenstand des Erlebens wird. Emotionen sind (2) auch indirekt, d.h. durch die Wahrnehmung und "Etikettierung" peripherer Phänomene, kognitiv repräsentiert. Emotionale Stimmungen beruhen wohl (3) auf der Existenz eines über längere Zeit andauernden Bezugssystems für informationsverarbeitende Prozesse, das hauptsächlich durch den Abruf emotionaler Ereignisse (der Arten (1) und (2)) aus dem Gedächtnisspeicher aufgebaut wird. Schließlich bleibt (4) zu erwähnen, daß emotionales Handeln auch immer im sozialen Kontext und entsprechenden Motiven zu sehen ist. Dieses Verständnis von Emotionalität wird in den Kapiteln 6 bis 8 durch die Erörterung bio-kognitiver Regulationen, interozeptiver Bewertungsprozesse und von emotionalem Sozialverhalten exemplarisch vertieft.
Kapitel 1 BIOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER AKTIVIERUNG
2. Phylogenetische
Rahmenbedingungen
In der Geschichte des Lebes auf der Erde gab es immer wieder Zeiten, in denen sich bestimmte Baupläne von Organismen unter den jeweils herrschenden Lebensbedingungen in besonders hohem Grade bewährten und eine Vielzahl von speziellen Anpassungsformen erlaubten. Eine solche Epoche war für den Bauplan der Wirbeltiere, der auch für den Menschen gilt, die Zeit vor etwa 250 Millionen Jahren, das Karbon. Damals entwickelten sich die ersten Landwirbeltiere, die Amphibien und die Vorläufer der heutigen Reptilien (Abb. 2). Die Vielfalt des Lebensraums außerhalb des Wassers wurde dann durch die Eiszeit des Perm für etliche Millionen Jahre eingeengt. Damit wurde auch die Variationsbreite der Landwirbeltiere beschnitten. Danach, im Trias, begann der hohe Bewährungsgrad des Landwirbeltierbauplans seine Früchte zu zeigen.
Abb. 2:
Das Auftreten von höheren Tieren in den verschiedenen Perioden der Erdgeschichte (nach Wurmbach 1968).
10.
2. Phylogenetische Rahmenbedingungen
In den ca. 150 Millionen Jahren des Mesozoikums (Trias, Jura, Kreide) begann die Evolution einer heute kaum mehr zu erahnenden Vielfalt von Lebensformen, die alle auf dem Bauplan des Reptilienstamms beruhte. Ihm entstammten seit der Trias die Säugetiere, seit der Jura die Vögel und während der Kreidezeit die Saurier. Dem Interesse an den Grundprinzipien der Verhaltenssteuerung im menschlichen Organismus folgend, mag es sinnvoll sein, die Organisation der Verhaltenssteuerung in dieser, in der Geschichte der höheren Tiere so zweckmäßigen und fruchtbaren Entwicklungsstufe näher zu betrachten. Einen Einblick in die Organisation der Verhaltenssteuerung dieser Tiere gibt die Struktur ihres Nervensystems, wie sie auch heute noch bei den sogenannten niederen Wirbeltieren existiert. Die Zellen des Nervensystems, die Nervenzellen, bilden mit ihren Fortsätzen, die Kontakt zu anderen Nervenzellen oder zu Zellen anderer Körpergewebe aufnehmen können, das Datenverarbeitungsnetz des Organismus. Bei den Wirbeltieren besitzt dieses Netz eine Konzentration in einem längsgestreckten, dorsal gelegenen Rohr, dem Neurairohr oder zentralen Nervensystem. Schon bei Fischen, vor allem aber bei Amphibien und Reptilien, weist das zentrale Rohr des Nervensystems am Kopfende eine Auftreibung auf, das Gehirn. Insbesondere bei den Landwirbeltieren sitzen am Kopfende die Hauptsinnesorgane zur Aufnahme von Umweltinformation. Die Steuerungsmechanismen für die Motorik übernimmt weitgehend der Rest des Rohres, das Rückenmark. Bei einigen Dinosauriern, die - was Körpergröße und Bewegungsgeschwindigkeit betraf - einen gewissen Aufwand in der Regulation ihrer Bewegungen betreiben mußten, besaß das Rückenmark in der Lendengegend noch eine besondere Auftreibung. Bemerkenswerterweise ist auch die Organisation der Steuerung des Stoffwechsels bei Landwirbeltieren in der vorderen Gegend des Nervenrohrs konzentriert. Dies ist eine von den Fischen übernommene Tradition, deren spezielle Geschichte an dieser Stelle nicht interessiert. Jedenfalls organisierten sich im Laufe der Evolution die Organe für die Steuerung von Beutefang und Nahrungsaufnahme, die Steuerung der Atmung und der Koordination des Fluchtverhaltens um das Vorderende des Körpers. Dieser Bauplan wurde auch bei den Landwirbeltieren beibehalten, bei denen die Fernsinnesorgane für Geruch, Sehen und Erschütterungswahrnehmung eine entsprechende Datenverarbeitung im Dienste von Angriff und Flucht, Nahrungsaufnahme und Stoffwechsel und im Dienste der Fortpflanzung vorzunehmen hatten. Die daraus resultierende Struktur hatte (in Anlehnung an die Organisation beim heutigen Krokodil) etwa ein Aussehen, wie es die Abb. 3a zeigt. Die bläschenartigen Auftreibungen an der Oberseite des Neuralrohr-Vorderendes sind gewissermaßen als phylogenetische Neuerwerbungen anzusehen, während die Verdickungen an der Basis des Gehirns eher die phylogenetisch alten Programme enthalten. Säugetiere unterscheiden sich von Reptilien vor allem durch ihre besondere Haut. Während die Haut der Reptilien im wesentlichen einen Panzer darstellt, der vor Austrocknung schützt, ist die Säugetierhaut ein viel aktiveres Organ. Sie atmet, kann Flüssigkeit aufnehmen und absondern. Hautmuskeln halten die Haut mechanisch und thermisch flexibel. Die von der
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2. Phylogenetische Rahmenbedingungen Beutefang
Gesicht
a Kleinhirn (motorische Koordination)
b Abb. 3:
Aufbau von Wirbeltiergehirnen. Schematische Darstellung für ein Krokodil-Gehirn (a) und für ein Kaninchen-Gehirn (b).
so stoffwechselaktiven Haut gebildeten Drüsen übernehmen Funktionen: Schweißdrüsen, Duftdrüsen, Milchdrüsen.
verschiedenste
In diesem Zusammenhang spielt der Riechsinn eine besondere Rolle, etwa bei der Erkennung eines lebenswerten Biotops, bei der Fortpflanzung, beim Beutefang. Alte Verhaltensprogramme werden ergänzt um ein Informationsverarbeitungssystem, das Geruchsdaten mitauswertet. Das Vorderhirn, insbesondere die Schnittstelle zwischen Vorderhirn und dem restlichen Gehirn gewinnt an Bedeutung. Dies findet sein Korrelat auch in der Anatomie des Gehirns. Abb. 3b zeigt die Grobtopographie eines Kaninchengehi rns. Von jetzt ab setzt eine Entwicklung ein, die evolutionstheoretisch nicht mehr so einfach zu erklären ist, da sie in Anbetracht der großen Zeiträume der bisherigen Geschichte vergleichsweise jung ist.
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2. Phylogenetische Rahmenbedingungen
Im Bereich der Wahrnehmung Läßt die Organisation der Sinnesorgane und des Nervensystems bei höheren Primaten jedenfalls zu, daß vom gleichen Objekt verschiedenste Sinneseindrücke zugleich eintreffen und simultan verarbeitet werden können. Dies gilt nicht nur für die Fernsinne. Ein Schimpanse kann etwa mit seinen beweglichen Fingern und auf Grund seiner Augenstellung einen Gegenstand zugleich betasten, stereoskopisch betrachten, sowie beriechen und die bei der Manipulation entstehenden Geräusche wahrnehmen. hinzugerechnet Zu dieser Sinnesvielfalt müssen noch alle jene Meldungen werden, die das Nervensystem auf Grund von körperinneren Prozessen, momentaner Stoffwechselaktivität und augenblicklichem Zustand des motorischen Systems, dazuliefert. Freilich differenziert das Nervensystem nicht alle Komponenten physikalisch adäquat und nicht alle Kombinationen von Sinneseindrücken führen zu gesonderten Erregungszuständen von Nervenbahnen. Manche Kombinationen allerdings werden eine spezifische Resonanz finden; sie sind "bedeutsam" und führen zu Veränderungen des organismischen Zustandes, zu inneren oder äußeren Reaktionen.
Igel
Tupoja
Halbaffe
Mensch
Abb. 4:
Evolution des Endhirns (nach Kahle 1976). Tupajas (= Spitzhörnchen) sind die ursprünglichsten Primaten.
2. Phylogenetische Rahmenbedingungen
Abb. 5:
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Die Ausdehnung des Allocortex bei einem niederen Säugetier (obere Reihe) und beim Menschen (untere Reihe). Oben das Gehirn eines Igels, unten das auf vergleichbare Größenverhältnisse gebrachte Gehirn eines erwachsenen Menschen (d und e) bzw. eines 6 Monate alten Fötus (f). a und d sind Oberflächenbilder, b und e Medianschnitte, c und f Basisansichten (a,b,d,e nach Economo 1927, c nach Stephan 1975, f nach Villiger 1930).
Die Steuerung von motorischen Aktivitäten erfolgt bei höheren Primaten in hohem Maße auf Grund von Erfahrung. Nicht nur angeborene Erkennungssysteme, sondern auch die erworbene Kenntnis über bedeutsame Reizkombinationen tragen zur organismischen Tätigkeit bei. Höhere Landwirbeltiere sind mitunter sehr verschiedenartigen Umgebungen ausgesetzt. Ihre Temperaturregulation befähigt sie, relativ unabhängig von Witterung und Jahreszeit aktiv zu sein. Ihre Sinnesorgane nehmen Umgebungen differenziert wahr. In wechselnden oder differenziert wahrgenommenen Umgebungen ist die Vielfalt dessen, dem man im Laufe eines individuellen Lebens begegnen kann, um Potenzen höher als bei monotoner oder grob kategorisierter Wahrnehmung. Für eine "hardwaremäßige" Anpassung stand weder die dazu notwendige Entwicklungszeit noch das erforderliche Material zur Verfügung. Vielmehr hilft der individuelle Gedächtnisspeicher in die "Bedeutung" von Reizen hinsichtlich ihrer komplexen Umwelten, zukünftigen Konsequenzen zu erschließen. Der wohl wichtigste Träger des menschlichen, individuellen Gedächtnisses ist das Vorderhirn. Sein phylogenetisch junger Teil, der Neocortex, überwächst im Laufe von Phylogenese (Abb. 4) und Ontogenese (Abb 43 und 44; vgl. Abschnitt 30) fast alle anderen Gehirnteile, auch die alten
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2. Phylogenetische Rahmenbedingungen
Paläopallium: Stria olfactoria laterales Cortex praepiriformis > Amygdala ^ ^ \
Archipallium: Hippocampus—Formation
Ùbergangsgebiet: Substantia perforata Diagonales Band von Broca (Nucleus septi medialis) 'sjo Hypothalamus
Neopallium: Neocortex
Abb. 6: Phylogenetisch alte Hirnteile in der Ansicht von der Hirnbasis her.
Vorderhirnstrukturen von Paläo- und Archicortex, die die Schnittstelle zu den übrigen Gehirnteilen bilden (Abb. 5). Die letztgenannten Strukturen, die gemeinsam auch als Allocortex bezeichnet werden, sind am erwachsenen menschlichen Gehirn von außen nur mehr an der Gehirnbasis zu erkennen (Abb. 6). Diese alten, basalen Vorderhirnstrukturen des Allocortex bilden den wichtigsten Teil des sogenannten limbischen Systems (Abb. 7a), das phylogenetisch als das Bindeglied zwischen den bewährten, lebenserhaltenden Automatismen und der individuellen Sphäre persönlicher Erfahrung angesehen werden könnte. Erfahrungsbildung und Erfahrungsnutzung dürfte in ihnen strukturell verankert sein. In einer vielzitierten Arbeit versuchte McLean (1970a, Kurzfassung in 1970b), die funktionelle Stellung des Limbischen Systems, wie sie durch die Phylogenese festgelegt wurde, zu beschreiben (Abb. 7b). Die bei den ersten Landwirbeltieren hauptsächlich bedeutsamen Gehirnteile nennt er "protoreptilisch". Dazu gehören die meisten unter dem Großhirn liegenden Strukturen, sowie die motorischen Großhirnkerne. Sie wären für überlebensnotwendige, ererbt-stereotype Verhaltensweisen zuständig, die man heute als Erbkoordinationen beschreibt, z.B. Atmung, Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung, sowie Angriffs- und Fluchtverhaltensweisen.
2. Phylogenetische Rahmenbedingungen
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Das Limbische System prägt nach McLean das Verhalten der frühen Säugetiere. Er nennt es deshalb auch das "paläomammalische" Gehirn. Seine Besonderheit ist die Berücksichtigung von Meldungen aus dem Körperinnern (McLean nennt es auch "visceral brain"), die es befähigt, den momentanen individuellen Zustand bei der "höheren" Informationsverarbeitung zu berücksichtigen. Dies ist die Voraussetzung für die Bildung individuell bedeutsamer Erfahrung, die Säugetiere in weit höherem Maße als andere Tiere im individuellen Gedächtnis speichern können. So ist eine Anpassung an differenzierte und wechselnde Umwelten möglich. Die stoffwechselaktive Haut der Säugetiere macht die Geruchsverarbeitung zusätzlich zu einer wichtigen Schaltstelle für soziale Informationen. Individuell bedeutsame Informationen prägen das Leben von Tieren, die nachgeburtlich vom elterlichen Organismus abhängig sind und insbesondere von Organismen, die in sozialer Abhängigkeit stehen. Das "neomammalische" Gehirn nach McLean, d.h. die Großhirnrinde (und zum Teil auch die Rinde des Kleinhirns für automatisierte Bewegungsabläufe), schafft mit seinem individuellen Gedächtnisspeicher die Voraussetzung für diese Lebensweise. Individuelles Wissen und damit individuelles Vorauswissen ermöglicht individuelle Handlungspläne. Die Entwicklung von Konzepten und Strategien wäre Aufgabe dieses Gehirnteils. Zusammen mit sozialer Lebensform ist es die Voraussetzung für kollektives Handeln und kollektive Traditionsbildung.
paläomammalisch neomar
Kaninchen
Katze
Affe protoreptilisch
a
b
Zur Evolution des limbischen Systems, (a) Medialansichten von Säugetiergehirnen verschiedener Organisationsstufen (nach MacLean 1954). (b) Schema der evolutiv-funktionellen Organisation des Säugetiergehirns (nach MacLean 1967).
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3. Strategien zum Verständnis der neuralen Funktionen
3. Strategien zum Verständnis der neuralen Funktionen
Zu den wichtigsten anatomischen Strukturen des Limbischen Systems gehören die der sogenannten Hippocampus-Formation. Innerhalb des im vorangegangenen Abschnitts 2 entwickelten, groben Rahmens für die Einordnung des limbischen Funktionen gibt es eine große Anzahl von psychologischen Theorien, die sich speziell mit den Funktionen der Hippocampus-Formation beschäftigen. Eine Auswahl davon integriert Isaacson (1982). Das Sammelreferat von Schmajuk (1984) gibt speziell für Psychologen einen recht informativen überblick. Es zählt 6 Theorien auf, die sich mit aufmerksamkeitssteuernden Mechanismen des Hippocampus auseinandersetzen, 4 Theorien zur Hippocampus-gesteuerten Response-Hemmung und 9 Theorien zu Gedächtnisfunktionen. Nun ist es grundsätzlich ein Problem, nach funktionellen Beschreibungen anatomischer Einheiten zu fragen (vgl. Bösel 1981, S. 307). Unter der Voraussetzung, daß parallel zur Evolution des limbischen Systems offensichtliche Verhaltensanpassungen stattgefunden haben, mag es gerechtfertigt erscheinen, bestimmte gesamtorganismische Funktionen schwerpunktmäßig mit der Hippocampus-Formation zu assoziieren. So gesehen, scheint vor allem das Modell von Kornhuber (1973) paradigmatisch zu sein. Er weist der Hippocampus-Formation eine Rolle bei der Funktion zu, Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis zur Langzeitspeicherung auszuwählen. Dazu bedarf es einer Erkennung von "Neuheit" und einer Bewertung vor dem Hintergrund eines "motivationalen" Systems. Was es im Einzelnen bedeutet, wenn aktuelle Sinnesdaten vor dem Hintergrund gespeicherter Informationen und vor dem Hintergrund gerade stattfindender organismischer Prozesse gefiltert, bewertet und in reduzierter Form in den Bewertungsspeicher integriert werden, ist Gegenstand der folgenden Kapitel. Der Frage, inwieweit Philosophien der organismischen Funktionen oder gar psychologische Konzepte bei der Interpretation biologisch-physiologischer Daten helfen können, soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Vielmehr soll geprüft werden, welche neurologischen Daten zum Verständnis integrativer neuraler Funktionen überhaupt hilfreich sein können. Bleiben wir zunächst bei der Anatomie. Ein kurzgefaßter Abriß der Anatomie des limbischen Systems ist im Anhang beigefügt. Dort findet sich auch ein Schemabild der wichtigsten Faserverbindungen des limbischen Systems (Abb. 47). Es gibt hier offenbar keinen einfachen Verarbeitungsweg. Auch wenn man die internen Faserverbindungen des limbischen Systems mit den großen sensorischen und motorischen Wegen im Zentralnervensystem in Verbindung bringt (das ist in der Abb. 47 durch breite Pfeile angedeutet), wird ihre Rolle bei der neuronalen Datenverarbeitung nicht hinreichend transparent. Man sieht zwar, daß das limbische System einerseits Informationen von den Bahnen der aufsteigenden Formatio reticularis bezieht, diese mit den neocorticalen, gedächtnis- und aufmerksamkeitsgesteuerten Informationen verknüpfen kann und ihrerseits über den sogenannten frontalen Cortex zu Aufmerksamkeitsprozessen und über die sogenannten Amygdala bzw. die extrapyramidal-motorischen Systeme zu vegetativen und motorischen Efferenzen beiträgt. Eine Übersicht über die feinere Netzwerkstruktur der
3. Strategien zum Verständnis der neuralen Funktionen Verarbeitungswege wird Anordnung erschwert.
aber nicht nur durch ihre
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räumliche
Selbst der quantitative Umfang von Faserbündeln sagt nichts über die funktionelle Bedeutung aus. Einer der prominentesten Faserzüge, der Fasciculus telencephalicus medialis, ist eine Ansammlung von mindestens zwei Dutzend qualitativ verschiedener Verbindungsbahnen. Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß von Nervenfasern bestimmte Wege einfach deshalb gewählt werden, weil sie "gangbar" sind. Andere Verbindungen folgen der Mechanik des Nervenzellwachstums in der Ontogenese (vgl. Bösel 1974). Abgesehen davon bedeutet eine dicke Faserverbindung in der Regel eine Kopplung zweier Verarbeitungszentren auf niedriger Verarbeitungebene (wie z.B. beim Sehnerv); die einzelne Faser trägt dann wenig Information. Eine vergleichsweise dünne Faserverbindung kann dagegen wichtige Führungsgrößen auf gehobener Verarbeitungsebene übermitteln und damit große Wichtigkeit besitzen (wie z.B. bei den Fibrae nigrostiatales). Die funktionelle Bedeutung der zahlreichen Regelschleifen läßt sich aus den anatomischen Beziehungen wohl grundsätzlich nicht ableiten. Sie entstehen sicherlich in der Evolution (und im mikroskopischen Bereich auch ontogenetisch) zunächst "zufällig" und bleiben erhalten, sofern sie sich bewähren oder zumindest nicht stören. Reizungs- und Ausschaltungsexperimente sind daher wichtige Hilfsmittel der funktionellen Analyse. Ihre Ergebnisse sind jedoch mitunter, insbesondere wenn geeignete Hypothesen fehlen, nur schwer zu deuten. Ist es doch schon für einen Fachmann bei einem einfachen Fernsehgerät sehr aufwendig, von einer Störung auf das kaputte Schaltelement zu schließen. Umso schwieriger ist die Analyse eines Netzwerks, dessen Funktionen nur auf einer phänomenalen Ebene zu beschreiben sind, ohne daß einzelne Teilprozesse hinreichend benannt werden können. Diesem Mangel ist eigentlich nur durch einen systematischen Bauplanvergleich zwischen Tieren mit verschiedenen Fähigkeiten beizukommen. Im folgenden soll jedoch vor allem auf Befunde von Ableitungsexperimenten zurückgegriffen werden, die im Zusammenhang mit Verhaltensbeobachtung nicht nur in der Psychophysiologie, sondern auch in der Neuropsychologie außerordentlich wichtige Einblicke in den Verhaltensmechanismus erlauben. Allerdings werden in der Beschreibung dadurch behaviorale Konzepte (samt ihrer immanenten Probleme) in den Vordergrund gerückt. In diesem Zusammenhang muß hier aber zuvor noch eine grundsätzliche Schwierigkeit bei der Deutung der Aktivität von Nervenzellen diskutiert werden. Bei Einzelzellableitungen gibt es drei Arten von Erregungsprozessen (spontan, gehemmt, aktiv), die je nach ihrer erregenden oder hemmenden Wirkung in fünf Qualitäten beschrieben werden können: spontan, aktiv erregend, aktiv hemmend, gehemmt und damit passiv desaktivierend, gehemmt und damit durch Wegfall von Hemmung fördernd. Die Interpretation von Summenableitungen wirft jedoch andere Probleme auf. Dies kann am Beispiel des Hintergrund-EEG verdeutlicht werden. Rhythmische, d.h. in der Regel niederfrequente, hochamplitudige Signale, werden als Zeichen von Ruheaktivität gedeutet; spontane Impulse ohne aktivierende Zuflüsse unterliegen einer wechselseitigen Synchronisation.
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3. Strategien zum Verständnis der neuralen Funktionen
Hochfrequente Signale entstehen bei breiter Erregung durch ankommende, andauernde Impulssalven; man spricht von aktiviertem Wachzustand. Die Effizienz der daraus resultierenden Informationsverarbeitung ist jedoch in Frage zu stellen. Wenn alle Teile des beobachteten Organs zugleich voll tätig sind, ist kaum mit der Produktion redundanter, also strukturtragender Information zu rechnen. Selektive Informationsverarbeitung und damit die Erzeugung strukturierter Signale dürfte durch irreguläre, breitbandige Signale im Summenverhalten der Erregungsprozesse gekennzeichnet sein. Rhythmisch aktive Nervenzellgruppen finden sich an zahlreichen Stellen des Nervensystems. Im Bereich des limbischen Systems ist vor allem das sogenannte Stratum granulosum-moleculare der Fascia dentata zu erwähnen (Abb. 8). Die dort angesiedelten Körnerzellen (i) zeigen ein rhythmisches Impulsmuster mit einer Vorzugsfrequenz zwischen 4 und 12 Hz (HippocampusTheta). Bei der Ratte erscheinen langsame, rhythmische Frequenzen (rhythmic slow activity RSA) im ventralen Tegmentum (VMT) bei Exploration in neuer Umgebung bzw. nach dem Erwachen, sowie bei Schlafbewegungen, insbesondere beim Übergang vom Slow-wave-(Tief-)Schlaf zum paradoxen (REM-)Schlaf. (i) Die Axone der Körnerzellen ziehen zu den ventrikelnahen Pyramidenzellen des Ammonshorns (d.i. der Teil des Hippocampus, der sich, von der dünnen Faserschicht des Alveus bedeckt, nach innen gegen den Hohlraum des Endhirns vorwölbt). Im schläfenlappennahen Teil des Ammonshorns (Area CA 1), wo die Pyramidenzellen kleiner sind, läßt sich in der äußersten Schicht, dem Stratum oriens, ebenfalls rhythmische Aktivität vergleichbarer Frequenz, jedoch mit verschobener Phasenlage beobachten (Bland, Andersen und Ganes 1975; Bland und Whishaw 1976). In dieser Schicht des Ammonshorns befinden sich sogenannte Korbzellen, die von den Axonen der Pyramidenzellen Kollateralen erhalten und ihrerseits mit den Zellkörpern der Pyramidenzellen Kontakt aufnehmen. Das Ammonshorn erhält über die Fornix Zuflüsse vom medialen Septum und vom Kern des diagonalen Bandes von Broca (Kemper 1976, Meibach und Siegel 1977). Letzgenannter Kern innerviert zumindest bei der Ratte auch die Fascia dentata (Domesick 1976). In diesen septalen Bereichen sind bereits seit längerem rhythmisch aktive Zellen bekannt, die als Urheber des hippocampalen Theta-Rhythmus angesehen werden (Green und Arduini 1954; Petsche und Stumpf 1960; Petsche, Stumpf und Gogolak 1962; Stumpf 1965; Gray 1971). Andererseits projiziert die mediale Septalregion, insbesondere der Kern des diagonalen Bandes von Broca, über das mediale Vorderhirnbündel in die Area tegmentalis ventralis des Mittelhirns (Conrad und Pfaff 1976a). Die gleiche Region erhält auch Fasern aus dem septo-hippocampalen Bereich über die postcommissurale Fornix (Valenstein und Nauta 1959; Livingston und Escobar 1971). Dort, im ventralen Tegmentum des Mittelhirns (VMT), wurde bei der Ratte ebenfalls rhythmische Zellaktivität von 6 bis 8 Hz nachgewiesen (LeMoal und Cardo 1975). Läsionen des medialen Septums beschleunigten den VMT-Rhythmus auf 20 bis 30 Hz und reduzierten die Ampitude auf etwa die Hälfte. So gesehen, erscheint die mediale Septalregion als der zentrale Rhythmusgeber des limbischen Systems.
3. Strategien zum Verständnis der neuralen Funktionen
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Der Rhythmus synchronisiert sich auf 7 Hz, wenn eine hungrige Ratte Futter wittert (LeMoal und Cardo 1975). VMT-RSA wäre zu erwarten, wenn "behavioral control and attentive vigiLance are predominant" (S. 146). Rhythmische Aktivität im Hippocampus wurde von zahlreichen Autoren (meist mit Hilfe einer Differenzmessung aus den beiden im Kleindruck beschriebenen Generatorzonen) mit Verhaltensweisen in Zusammenhang gebracht (Lit. bei Vanderwolf und Robinson 1981). Im letztgenannten Bericht heißt es über Hippocammpus-RSA bei der Ratte: "...locomotion is always accompanied by RSA regardless of wheter it occurs ..." (S. 463). Als Beispiele werden folgende Situationen genannt: neue Umgebung, Nahrungsentzug, Amphetaminbehandlung, Schwanzquetschen, eingeübtes Futtersuchen oder Schockvermeiden, Tretmühllaufen, aus einer Box springen, Lagewechsel beim Dösen. An der Großhirnrinde treten Thea-Wellen (4-8 Hz) beim Übergang vom Dösen zum Leichtschlaf auf, im REM-Schlaf, aber auch beim aktiven, tiefen Meditieren, sowie in psychischen Grenzsituationen (bei tiefer Niedergeschlagenheit nach Hasset 1978, S. 104). Bei hoher Konzentration sind Thea-Wellen im Frontalbereich beobachtet worden; der Zusammenhang zwischen frontalem Auftreten und Augenbewegungen ist z.Zt. jedoch nicht hinreichend geklärt. Die eigene Grundfrequenz der Hirnrinde ist der AlphaRhythmus (8-12 Hz), der durch thalamische Fasern getriggert wird (ii).
(ii) Creutzfeld (1971) nimmt an, daß die von der Formatio reticularis angeregten, intralaminären Kerne des Thalamus die spezifischen Thalamuskerne (z.B. Nucleus ventralis lateralis oder Nucleus lateralis posterior) zur Synchronisation von exzitatorischen postsynaptischen Potentialen an den Pyramidenzellen der Hirnrinde veranlassen. Intralaminäre Axone projizieren auch direkt in die Hirnrinde (Jones und Leavitt 1974).
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4. Geschichte der neuropsychologischen Aktivierungsforschung
Statt von Aktivität oder Inaktivität eines Gehirnbereichs zu sprechen, sollte besonderer Augenmerk darauf gerichtet werden, ob die betreffenden Zellverbände im Zusammenhang mit bestimmten Verhaltensweisen (in einer Art tonischen, vorbereitenden Aktivierung) generell erregt, selektiv aktiv im Sinne einer strukturierenden Informationsverarbeitung, oder synchroninaktiv sind.
4.Zur Geschichte der neuropsychologischen Aktivierungsforschung Die Geschichte der Aktivierungsforschung ist eng mit der Hirnforschung und der Enzephalographie verknüpft. Studynka (1974) verweist darauf, daß David Hartley bereits im Jahre 1749 die Hypothese aufstellte, daß psychische Funktionen in rhythmischen Schwingungen des Gehirns ihren Ursprung haben 40 Jahre vor der Entdeckung bioelektrischer Phänomene durch Galvani (1789) und 100 Jahre vor den ersten Galvanometer-Experimenten am Froschhirn durch Bois-Reymond (1849). 1874 meinte der Engländer Canton festzustellen, daß sich die vom Kaninchen- und Affenhirn galvanometrisch ableitbaren Stromschwankungen bei Belichtung verstärken. Am 6. November 1883 reichte Fleischl von Marxow die erste ausführliche Beschreibung von electroencephalographischen Belichtungsexperimenten an verschiedenen Tieren an der Kaiserlichen Wiener Akademie der Wissenschaften ein (publ. 1890). Die Suche nach der "psychischen Energie" war es auch, die Hans Berger aus Jena zur Encephalographie führte. In festem Glauben an organische Korrelate seelischer Störungen untersuchte er zunächst die Blutzirkulation in der Schädelhöhle (1901), später unter anderem die Gehirntemperatur (1910). Am 6. Juli 1924 fand dann die berühmte, erste EEG-Ableitung am Menschen mittels eines Saitengalvanometers statt (publ. 1929). Die Abhängigkeit der Aktivität der Großhirnrinde von der Hirnstammaktivität vedeutlichte Bremer (1935). Bei Durchtrennung des Hirnstamms im Bereich des Mittelhirns ("Cerveau isole") tritt im Neocortex nur synchrones Schlaf-EEG auf, u.zw. wegen der fehlenden Stimulation der Hirnrinde durch die sog. Retikulärformation. Diese Hirnstruktur wird ihrerseits durch unspezifische Komponenten der Sinnesmeldungen erregt. Hinsichtlich der integrativen Leistungen des Nervensystems in bezug auf gesamtkörperliche Aktivitäten verwies Papez (1937) auf das limbische System. Dieser phylogenetisch alte Hirnrindenbereich mit nur zwei bis drei Zellschichten wird als "Allocortex" den phylogenetisch jüngeren Rindenbezirken ("Neocortex" mit 6 bis 7 Zellschichten) gegenübergestellt. Die wichtigsten allocorticalen Strukturen werden wie bereits erwähnt, als "Hippocampus- Formation" bezeichnet. 1954 wiesen Green und Arduini nach, daß eine elektrische Stimulation in der Retikulärformation nicht nur, wie bereits bekannt, eine Desynchronisation (low voltage fast activity LVFA) der elektischen Aktivität des Neocortex erzeugt, sondern zugleich eine rhythmische Slow-wave-Aktivität im Allocortex. 1975 fanden Vanderwolf, Kramis, Gillespie und Bland Unterschiede in der Hippocampus-Aktivität der Ratte bei verschiedenen Bewegungsweisen (Abb. 9). Rhythmische Aktivität (rhythmic slow wave activity RSA) trat bei
4. Geschichte der neuropsychologischen Aktivierungsforschung
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Hippocampus—Aktivität und Verhalten der Ratte
Hippocampus
Verhalten TYP 1. Gehen, laufen, schwimmen, aufrichten, springen, graben, Gegenstände mit den Pfoten anfassen, isolierte Bewegungen des Kopfes oder einer Gliedmasse, Stellungsänderungen. ENGL. TERMS: voluntary, appetitive, instrumental, purposive, operant, or "theta" behavior.
TYP 2. a) in irgendeiner Stellung unbewegt wach b) lecken, kauen, Zähne wetzen, niesen, erschrecken, Laut geben, frieren, zittern, Gesicht waschen. Fell kratzen, Beckenstösse ausführen, ejakulaieren, koten, urinieren, Haare sträuben. ENGL. TERMS: automatic, reflexive, consumma— tory, respondent, or "non—theta" behavior.
Abb. 9:
Beziehung zwischen Hippocampus-Aktivität und Verhalten bei der Ratte; oben RSA (rhythmic slow wave activity), unten LIA (low voltage irregular activity) (nach Vanderwolf, Kramis, Gillespie und Bland 1975).
Bewegungsweisen auf, die die Autoren als "voluntary, appetetive, instrumental" bezeichnen (Typ 1 - Verhalten). Irreguläre Aktivität (low voltage irregulär activity LIA) war bei Verhaltensweisen zu beobachten, die mit "autonomic, reflexive, consumatory" charakterisiert werden (Typ 2 Verhalten). Eine vergleichbare Unterscheidung in der BewegungsKlassifizierung von Tieren trifft Lorenz (1978, S. 106), wenn er "Hehrzweckbewegungen" von "spezialisierten Instinktbewegungen" abgrenzt: "Prinzipiell können nahezu alle Instinktbewegungen einen autotomen Antrieb des Verhaltens liefern und ebenso können fast alle durch Einflüsse, die aus anderen Motivationsquellen stammen, angetrieben werden. In quantitativer Hinsicht aber sind die Fähigkeiten zum Antreiben und zum Sich-AntreibenLassen bei den einzelnen Arten erbkoordinierter Bewegungsweisen sehr verschieden. Solche, die auf sehr spezielle und nicht allzu häufig ausgeführte Funktionen spezialisiert sind, wie etwa jene der Begattung, und die man daher nur in einer einzigen, ebenso spezifischen Außensituation zu sehen bekommt, können nur wenig von einem anderen System, etwa von einer übergeordneten Instanz her, angetrieben werden, es sei denn, daß man Hormone als solche bezeichnet. Auf der anderen Seite werden die schon erwähnten Mehrzweckbewegungen im Dienste sehr verschiedener übergeordneter Systeme ausgeführt und von andersartigen Appetenzen angetrieben."
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4. Geschichte der neuropsychologischen Aktivierungsforschung
Erschreckt man eine ruhig liegende Ratte z.B. durch Händeklatschen, so wird sie aufspringen und den Kopf zunächst ruhig halten. Dann wird sie den Kopf drehen und entweder weglaufen oder im Uebersprung das Gesicht säubern. Der Hippocampus zeigt in diesem Fall irreguläre Aktivität. Erschreckt man in vergleichbarer Weise ein ruhig liegendes Kaninchen, so wird es seine Position nur unmerklich verändern und längere Zeit bewegungslos verharren. Der Hippocampus zeigt RSA, auch wenn sich das Kaninchen das Gesicht säubert (Robinson 1980, Creery und Bland 1980). Le Moal und Cardo (1975) nahmen bei ihren Ratten gleichzeitige Ableitungen vor aus dem okzipitalen Neokortex, aus dem Stratum oriens CA1 des Hippocampus sowie aus dem Nucleus ventralis tegmenti (VMT, vgl. dazu die Abschnitte 3 und 30). Die Autoren beobachteten Exploration eines leeren Versuchskäfigs, Kopfdrehen in Richtung Futter und Schnuppern bei Futtergabe, sowie Fressen. Die Aktivität in Hippocampus und VMT verläuft gleichartig: für die ersten beiden Situationen RSA, für die letztgenannte irreguläre Aktivität mit kleiner Amplitude. Im Neocortex wird unter den genannten Bedingungen stets LVFA beobachtet. Das Typ1/Typ2 - Schema ist sicherlich unzureichend. Uberhaupt ist die Laborratte, an der die meisten einschlägigen Befunde gewonnen wurden, hierfür ein vergleichsweise ungeeignetes Untersuchungsobjekt, da sie von der Wanderratte abstammt und als bewegungsaktiv zu gelten hat. Aus diesem Grund werden wir im folgenden auch darauf verzichten, behaviorale Phänomene wie behavior suppression, response inhibition und freezing für physiologisch-verhaltensmäßige Korrelationen heranzuziehen. Ihre Generalisierbarkeit über Tiergruppen und Paradigmata hinweg ist nicht unproblematisch. Es gibt jedenfalls Exporationsverhalten auch bei unbewegtem Körper, nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren. Wir werden in diesem Fall im folgenden von "orientierender Informationsverarbeitung" sprechen. Ein gutes Beispiel dafür liefert auch die jagende Katze. Smith (1972) und Kimura et al. (1980) konnten nachweisen, daß die Impulse für Hippocampus-RSA bei unbewegtem Körper von der Retikulärformation stammen und über den Kern des diagonalen Bandes von Broca ("mediales Septum") zur Hippocampus-Formation gelangen. Vanderwolf und Robinson (1981) ergänzen dazu, daß diese orientierende Informationsverarbeitung (Typ 1a - Verhalten der Autoren) von einem cholinergen Teil der Formatio reticularis in Gang gesetzt wird. Schon zuvor hatte Gray (1978) darauf hingewiesen, daß sich die Frequenz der rhythmischen Hippocampus-Aktivität je nach Spezifität der nichtreizgebundenen Tätigkeit verändert. Insbesondere treten bei "orientierender Informationsverarbeitung" langsame Frequenzen des sog. Theta-Bandes auf, während bei Explorationstätigkeiten (Typ 1) rasche Theta-Frequenzen (bzw. langsame Alpha-Wellen) zu beobachten sind. Frequenzen im mittleren Bedingungen beobachtet:
Theata-Bereich
wurden
hingegen
- secondary punishing (Auftreten von Mißerfolgs-Vorsignalen) - frustrative non-reward (Ausbleiben einer Belohnung) - novel Stimuli (Konfrontation mit einer unbekannten Umgebung)
unter
drei
4. Geschichte der neuropsychologischen Aktivierungsforschung
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Eine dem dazugehörigen innerorganismischen Prozeß adäquate Bezeichnung für diesen Aktivierungsprozeß zu finden, ohne zu kopflastig zu interpretieren, ist schwierig. Da dieser Aktivierungsprozeß physiologisch mit einer noradrenergen Stimulierung verbunden ist und offenbar immer dann stattfindet, wenn wir beim Menschen eine Anstrengung unterstellen können, sowie unter Bezug auf eine entsprechende Konzeptualisierung, wie sie von Pribram und McGuinness (1975) vorgenommen wurde ("effort"), sprechen wir von "Psychophysiologischer Anstrengung". Differenzierungen, wie sie in Abgrenzung zum Explorationsverhalten der Laborratte vorgenommen wurden, scheinen auch für Aktivierungsprozesse erforderlich, die an irreguläre limbische Erregung gebunden sind. Immerhin kann man davon ausgehen, daß Tätigkeiten beim Menschen nicht nur auf Grund reflektorischer Verknüpfungen, sondern auch infolge hoher Gewöhnung automatisiert sein können (verallgemeinertes Typ 2-Verhalten). Pribram und McGuinness (1975) diskutieren ausführlich das in der psychophysiologischen Tradition schon lange bekannte Phänomen der energetischen Aktivierung, das (bei irregulär erhöhter limbischer Erregung) zu einem Zustand der erhöhten vegetativen Erregung und einer Mobilisierung der energiebereitstellenden Prozesse führt. Demgegenüber sind körperliche Prozesse bei reizorientierter Informationsaufnahme in der Regel durch einen "Clearing-"Mechanismus (vgl. z.B. Gale 1977) gekennzeichnet, die eine vergleichsweise ungestörte Aufmerksamkeitszuwendung ermöglichen. Die Autoren sprechen von perzeptivem Arousal (vgl. auch Vinogradova 1970). Traditionelle physiologische Indikatoren der Aktiviertheit (etwa im Sinne von Duffy 1972) kovariieren teilweise untereinander, aber erfahrungsgemäß nur wenig mit Selbstberichts-Indizes oder kognitiven Operationen. Daher wird immer wieder empfohlen, im multivariaten Ansatz (vgl. Fahrenberg et al. 1979) allgemeine oder spezielle Kopplungen (z.B. kardiosomatisehe, nach Obrist 1976) oder Fraktionierungen (z.B. Lacey 1967) zu untersuchen. Demgegenüber postulieren die neuropsychologisch orientierten Ansätze, von der Wirkungsweise funktionell unterschiedener Aktivierungssysteme auszugehen und psychophysiologische Korrelate zu suchen, die auf eine Kontrolle psychophysiologischer Prozesse durch die verschiedenen Aktivierungsssysteme schließen lassen. Einem solchen Ansatz wollen wir nachgehen. Es wird zu prüfen sein, was nach dem Stand der Literatur ein explikatives Mehr-System-Modell mehr leisten kann gegenüber multivariatmehrdimensionalen Ordnungs- und Deskriptionsversuchen.
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5. Ethologische Grundkonzepte
5. Ethologische
Grundkonzepte
In den vorangehenden Abschnitten wurde immer wieder deutlich, daß es brauchbarer Konstrukte zur Beschreibung des offenen Verhaltens bedarf, wenn neurale Funktionen untereinander stimmig interpretiert werden sollen. In diesem Abschnitt geht es nun darum, eine kurze, theoretische Zusammenfassung der einschlägigen ethologischen Grundkonzepte zu versuchen. Auf die damit zusammenhängende Anlage-Umwelt-Problematik soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Abb. 10 veranschaulicht den Zusammenhang von stammesgeschichtlicher und individualgeschichtlicher Entwicklung aus biologischer Sicht. Die folgende Darstellung soll nur soweit gehen, als ethologishe Konzepte im Rahmen verhaltenstheoretisch motivierter, neuropsychologischer Aktivierungsforschung eine Rolle spielen. Die Bezeichnung "verhaltenstheoretisch" wird hier in seiner allgemeinen Bedeutung verwendet ("theoretische Aussagen über das Verhalten betreffend"). Keineswegs soll damit ein ausschließlicher Bezug zur behavioristischen Verhaltenslehre oder gar nur zu deren Kernstück, der Konditionierungslehre, hergestellt werden. Vor dem bisher geschilderten biologischen und neuropsychologisehen Hintergrund scheinen einige alte Konzepte der Ethologie wieder neue Aktualität zu gewinnen (Abb. 11). Insofern wird, wenn nicht anders angegeben, vor allem auf Lorenz (1978) und Immelmann (1979) zurückgegri ffen. STAMMESGESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG Genetische und damit strukturelle Ausstattung, Struktur und Grund— funktionen des NS, der Sinnesorgane, Biochemie (einschl. Hormone), Biorhythmen, ethologische Aspekte
Genetisch determinierte, verhaltensrelevante Funktionseinheiten des NS, die als " B A U S T E I N E " von - i h individuell und situations— abhängig unterschiedlichen Verhaltensweisen dienen
PERSON-UMWELT—INTERAKTION konkreter Zustand bzw. Prozess
INDIVIDUALGESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG Aktivation, Emotion, situations— und individualspezifische Reaktionen, psychosomatische Phänomene, psychophysiologische Persönlichkeitsforschung
Abb. 10:
Zur Anlage-Umwelt-Problematik neuro-ethologischer Konzeptionen, die für den Menschen anwendbar sein sollen: der Zusammenhang von stammesgeschichtlicher und individualgeschichtlicher Entwicklung aus biologischer Sicht.
5. Ethologische Grundkonzepte
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Exploration
Orientierung \
Aktion
Abb. 11:
Die "klassische" Verhaltensverkettung: Exploration, Aktion, erneutes Explorieren usw.
Orientierung,
Die Ethologie Liefert nicht zuletzt deshalb so fruchtbare Konzepte, weil sie Kind gegensätzlicher Eltern ist. Einerseits umfaßt sie Konzepte der Reiz-Reaktions-Lehren (S-R), die ihrerseits wieder mehr oder weniger unabhängig aus der positivistischen und materialistischen Tradition erwuchsen. Auf der anderen Seite verfügt sie über Konzepte der die teils auf vitalistisch-ganzheitlichen, teils auf Antriebslehren, mechanistisch-historischen Argumentationen aufbauen. Es ist das Verdienst von Lorenz, immer wieder auf die Bedeutung spontanen Verhaltens von Tieren hingewiesen zu haben (vgl. z.B. 1978, S. 4f und 108ff). Die Bereitschaft eines Tieres zu einer bestimmten Verhaltensweise ist freilich von verschiedenen Faktoren abhängig, z.B. (nach Immelmann 1979, S. 33f) von inneren Sinnesreizen und motivierenden Außenreizen, von endogenen Zyklen oder Reifungsperioden, sowie von Hormonen und autonomen nervösen Erregungen, und schließlich von der "Vorgeschichte der Handlung". Unter dem Gesichtspunkt der Integration von S-R- und Antriebs-Ansätzen dürfte es nützlich sein, diese Faktoren in drei Gruppen zusammenzufassen (Abb. 12): (1) Die "Vorgeschichte der Handlung", die neben dem gerade laufenden Verhalten (ongoing behavior) und dem zeitlichen Abstand zur letzten einschlägigen Verhaltensweise auch die vergangenen und gegenwärtigen
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5. Ethologische Grundkonzepte
Umstände ihrer Realisierung und damit die bei höheren Menschen so wichtige Geschichte erlernter egeln umfaßt. (2) Die "motivierenden Außenreize", die durch ihre Wirkung Reaktionen auf andere Reize mitbestimmen. (3) Die "internen Reize" im engeren Sinn, längerfristig-hormonelle oder genetische Faktoren.
Tieren
und
beim
antriebsregulierende
wie
autonom-nervöse,
Außenreize können (1) direkt Reaktionen provozieren ("auslösende Reize") oder (2) indirekt die Orientierung des Verhaltens beeinflussen ("orientierende Reize"), bzw. (3) die Reagibilität auf andere Reize mitbestimmen ("schwellenverändernde Reize"). Einer solchen Aufzählung (vgl. Immelmann, S. 52) sind in Ergänzung des letztgenannten Punktes noch alle überdauernden Effekte anzufügen, die insbesondere auf Lernen und Erfahrungsbildung beruhen. Insofern könnte man von einem gedächtnisverändernden Effekt von Außenzeizen sprechen, dessen Wirkung bis hin zur Änderung von Norm- und WertvorselLungen reichen kann. So gesehen sind alle Verhaltensweisen außen- und innengesteuert. Dies hatte bereits Seitz (194) mit seinen Versuchen zur doppelten Quantifizierung des Kampfverhaltens bei Buntbarschen nachzuweisen versucht. Insbesondere bei komplexen Verhaltensweisen lassen sich im zeitlichen Verlauf aber durchaus überwiegend innengesteuerte Phasen (Neugier- und Appetenzverhalten) neben überwiegend außengesteuerten (Orientierungs- und Taxiskomponenten) unterscheiden. Bevor im Einzelnen darauf eingegangen wird, bedarf die Unterscheidung von einer motivierend-antriebsregulierenden und schwellenverändernden Reizen Rechtfertigung, die z.B. Immelmann (1979) nicht nennt. Lorenz (1978) stellt sich explizit die Frage, "ob solche aufladenden ... Reize die RuheErregbarkeit steigern, oder die Schwelle senken" (S. 142). Ausgehend von der Tatsache, "daß das Eintreffen jedes nicht unmittelbar auslösenden Reizes Bereitschafts-steigernd wirkt" (S. 142), und mit Verweis auf eine Diskussion des Schwellenbegriffs für Nervenerregung bei Schröder (1955) entschließt er sich für ein Modell, nach dem "sich die unmittelbar auslösenden Reizkonfigurationen von den aufladenden nur durch die Schnelligkeit ihrer Wirkung" unterscheiden (S. 143). Hypothetische Schwellen und Schwellenwertänderungen wurden in der Ethologie immer wieder postuliert. Es geht dabei vordergründig um eine Eintrittsschwelle für Reize. Unmittelbar nach Ablauf einer Endhandlung (z.B. Kopulieren) wäre die Schwelle für entsprechende (hier sexuelle) Reize in der Regel erhöht. Da das Kriterium der Auslösbarkeit von einschlägigen (d.h. mit dem Auslösemechanismus gekoppelten) Verhaltensweisen ausschlaggebend ist, ist für Lorenz auch die Umkehrung für die Austrittsschwelle für Instinkthandlungen erlaubt. Als Paradigma für Schwellenerniedrigung gilt die Ausführung von Instinktbewegungen ohne adäquates Taxiobjekt (Handlungen am Ersatzobjekt bis zur Leerlaufhandlung). "Die Schwellenerniedrigung auslösender Reize ist ganz sicher eine Folge desselben physiologischen Zustandes, der ebensowohl die vermehrte Zahl auslösbarer Bewe gungseinheiten, wie auch die Appetenz des Tieres nach der auslösenden Reizsituation verursacht ... Wie weit dieser Effekt von Vorgängen im motorischen Sektor, von einer Kulmination aktions-spezifischer
5. Ethologische Grundkonzepte
interne Reize i.e.S.
27
— > Antriebe (Stimmungen höherer Ordnung)
Bei Unterbrechung des Explorationsverhaltens durch antriebsrelevante Reize:
V
schwellenveränd. Reize (globale Erfahrungen, insbes. Normen u. Werte)
-> Neugier— und Explorationsverhalten
antriebsregulierende - > Appetenz, Suchen Reize (motivierende Reize i.e.S.) orientierende Reize Vorgeschichte der Handlung (ongoing behavior und die Geschichte erlerner Regeln) auslosender Reiz
Abb. 12:
- > Orientierung
und Taxis
Aktivierung
/
Bei Anpassungsschwierig— keiten an den orientierenden Reiz:
angeregte Informationsverarbeitung
v - > Koordinationsund Korrekturmossnahmen Bei Auftreten eines störenden Reizes:
-> Reflexe und Endhandlung (Fixe Aktion)
Neuorientierung
Schema der Organisation von verhaltenssteuernden Funktionseinheiten unter Berücksichtigung von Lernerfahrungen. Das Schema folgt von oben nach unten dem Grad der Außensteuerung von Verhalten und repräsentiert damit das Konkretheitsniveau der Handlungen, aber auch das Abstraktionsniveau der Verhaltensbeschreibung. Links die Klassen von jeweils maßgeblich beteiligten Reizen. In der Mitte Verhaltenseinheiten, nach ihrem Integrationsniveau geordnet. Sie sind fettgedruckt, soweit sie deutlich beobachtbar zum offenen Verhalten beitragen. Rechts psychologisch relevante, innerorganismische Mechanismen, die die Flexibilität des Verhaltens gewährleisten .
Erregung hervorgebracht ist und wie weit Prozesse im rezeptorischen Sektor für ihn verantwortlich sind, müßte in jedem Einzelfall untersucht werden" (S. 100). Methoden zur Untersuchung dieser Konstrukte fehlen. Dies offenbart zugleich auch die Schwachstelle in der Lorenz'schen Konzeption: Erhöht z.B. das Erleben aggressiver Handlungen durch stellvertretendes Agieren die Eintrittsschwellen für aggressionsaus lösende Reize oder werden nicht vielmehr die Handlungsschwellen durch aufladende Reize erniedrigt (vgl. dazu auch Bösel 1981, S. 404)? Werden denn nicht die Eintrittsschwellen für aggressionsauslösende Reize durch Beobachten von Aggressionen erniedrigt? Oder wird vielleicht doch durch die wiederholte Darbietung von auslösenden Reizen der aktions-spezifische Stau gemildert, ohne daß auf der motorischen Seite aktions-spezifische Erregung verbraucht wird? Zu letzterem schreibt Lorenz wörtlich: "Ich glaube das nicht" (S. 100).
28
5. Ethologische Grundkonzepte
Ein anderes Beispiel mag die Sachlage, zumindest für den menschlichen Bereich, noch deutlicher machen, und zwar die Frage nach der Motivation zum Betrachten von Sexfilmen. Wird die sexuelle Motivation dadurch hervorgerufen oder ist man schon sexuell motiviert, wenn man sie aufsucht? Die Antwort ist einfach: Seit der Verstärkungswert sexueller Betätigung ohne Triebreduktion durch Ejakulation im Tierversuch bekannt ist (Sheffield, Wulff und Bäcker 1951), wird sexuelle Motivation als "Appetit" im Sinne von Neugier und Suchen verstanden (Hardy 1964). Sexueller Wunsch (Antrieb) motiviert sexuelles Neugier- und Suchverhalten mit dem Ziel der gerichteten sexuellen Erregung (Schmidt 1975). Erst wenn diese entsprechend (ebenfalls) lustvollen orientiert und koordiniert wird, kann es zur Endhandlung, dem Sexualverhalten im engeren Sinn, kommen. Geht man davon aus, daß sexuelle Wünsche irgendwo in internen Reizen im oben beschriebenen Sinn ihren Ursprung haben, so wird das Aufsuchen eines Sexfilms überwiegend von Norm- oder Wertvorstellungen abhängen. Ihnen in diesem Fall Schwellenfunktion zuzuschreiben, scheint legitim. Es ist Lorenz bezüglich der Beliebigkeit zuzustimmen, die Existenz einer derartigen Schwelle auf der Reiz- oder Reaktionsseite anzunehmen. Weiterhin könnte die antriebsregulierende Wirkung einer bereits aufgesuchten Reizquelle in den bisher eingeführten Begriffen beschrieben werden. Auch wenn in diesem Beispiel "nur" die Konkretisierungsebene des Verhaltens als Kriterium der Reizwirkung im Vordergrund zu stehen scheint, hat dieser Unterschied, wie im Folgenden deutlicher werden dürfte, auch eine qualitative Bedeutung. Wem also die genannten Beispiele noch nicht hinreichend erscheinen, für den sei die Unterscheidung von schwellenverändernden und antriebsregulierenden Reizen (zunächst jedenfalls nur) aus konservativ-systematischen Gründen eingeführt. Auf der Ebene des offenen Verhaltens sind nun, nach dem Kriterium von Innen- und Außengeleitetheit, nur vier Klassen von Verhaltensweisen unterscheidbar (Abb. 12). überwiegend außengesteuert sind (1) Reflexe und Endhandlungen im ethologisehen Sinn und (2) Orientierungs- und Taxiskomponenten. überwiegend innengesteuert ist (3) Neugier- und Explorationsverhalten und (4) Leerlauf- und Übersprungsverhalten. Da Ätiologiefragen vom behavioristischen Standpunkt aus (vor allem im nichtkontrol Iierten Feld) nicht hinreichend operationalisiert werden können, ist etwa eine Unterscheidung zwischen ungerichtetem (exploratory) und gerichtetem Suchverhalten (seeking behavior) in der Regel nicht ausreichend begründbar. Der gänzliche Verzicht auf Hypothesen über innerorganische Prozesse würde der Breite der ethologisehen Erfahrungsbildung aber nicht gerecht werden. So ist die "Zuordnung von Verhaltensweisen" (Immelmann, S. 56f) zu funktionellen Gruppen und zu Integrationseinheiten nur durch Einführung von Kategorien möglich, die innerorganismische Prozesse miteinbeziehen. Dazu gehören die Konstrukte (1) des gerichteten Antriebs, (2) der "zielstrebigen" Appetenz (die ermöglicht, daß Exploration als Suchverhalten interpretiert wird) und (3) auf untergerodneter Ebene die Annahme von Koordinationsinstanzen, die insbesondere im Zusammenhang mit der sogenannten Instinkt-DressurVerschränkung (iii) für Korrekturen bei Zielbewegungen verantwortlich ist. Im Zusammenhang mit der heuristischen (und wohl auch allgemein kommunikativen) Bedeutung der innerorganismischen Konstrukte wurde bereits
5. Ethologische Grundkonzepte
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an anderer Stelle (Bösel 1974, S. 14 und S. 58) dafür der Oberbegriff der Verhaltenstendenz vorgeschlagen. Zumindest beim Menschen sind soviele konkrete Details der Handlungsausführung erfahrungsabhängig, daß die Art des Handelns (was man unter welchen Umständen macht) und die Art der Individualität der handelnden Person vielfach kaum bzw. nur innerhalb sorgfältig eingegrenzter Populationen zu trennen ist. Die objektive Verhaltensbeobachtung beim Menschen, überhaupt als isoliertes Instrument, ist auch nur in wenigen Teilbereichen der Psychologie nützlich. Im folgenden wird daher nicht immer streng zwischen den innerorganismischen und den dazugehörenden behavioralen Begriffen unterschieden. Insbesondere können dann im Zusammenhang mit quasireflektorisehen Endhandlungen beim Menschen auch alle jene automatisierten Tätigkeiten mitbetrachtet werden, die aufgrund erlernter Ausführungsregeln gewohnheitsmäßig koordiniert, stereotyp ablaufen. Dafür soll die Bezeichnung "fixe Aktion" eingeführt werden (vgl. die Verallgemeinerung des Typ 2-Verhaltens in Abschnitt 4). In komplexen Verhaltensketten lassen sich nun Sequenzen von Teilhandlungen auffinden, die sich mit den bisher erklärten Begriffen hinreichend beschreiben lassen. Freilich gibt es Ausnahmen, die der Annahme von Zusatzhypothesen bedürfen. So kann es vorkommen, daß von einer wohlbekannten Reiz-Reaktions-Kette das motorische Verhalten in Abwesenheit des üblicherweise zugehörigen Reizes stattfindet. Für dises sogenannte wird starke Motivation und ggf. die Existenz Leerlaufverhalt en schwellenerniedrigender ("aufladender"), aber nicht typisch auslösender (also streng außensteuernder) Reize angenommen. Übersprungsverhalten wird durch Hemmung außengesteuerter Verhaltensweisen erklärt. Im folgenden seien diese Fälle als Sonderfälle ausgeklammert, da sie möglicherweise als "Kurzschlüsse" im Regulationssystem der steuernden Innenfaktoren verstanden werden können. Hierarchische Instinktmodelle (z.B. Baerends 1956) lassen eine Ordnung im Handlungsablauf von Tieren erkennen, die - gemeinsam mit den zugrundegelegten Verursachungsfaktoren (insbesondere den "Reizen") - im Abb. 11 dargestellt ist. Dieses Inventar repräsentiert zugleich den Typus einer Verhaltenssequenz, wie sie vom Bauplan des Organismus (im Sinne der morphogenetischen Sichtweise) vorgesehen ist. Unabhängig davon bewirken wechselnde Umweltbedingungen, besonders bei lernfähigen Tieren und in hohem Maße beim Menschen, daß die Glieder der Hierarchie "in einer nahezu beliebigen und höchst anpassungsfähigen Folge aneinandergeschachtelt werden können" (Lorenz, S. 162). Diese, in der Psychologie vor allem interessierende Tatsche, ist in der Abb. 12 durch rückläufige Pfeile symbolisiert.
(iii) Der etwas mißverständliche Terminus "Instinkt-Dressur-Verschränkung" stammt aus der Frühzeit der Verhaltensvorschung (Lorenz 1935, S. 251) und bezeichnet das Zusammenwirken von angeborenen und erworbenen Anteilen im Verhalten, bei dem das Grundmuster der Bewegungsfolge angeboren ist, die konkrete Orientierung jedoch erworben wird (z.B. beim Picken des Huhns oder beim Nüsseknacken des Eichhörnchens).
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5. Ethologische Grundkonzepte
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß sich in dem "verhaltenstheoretischen" Schema von Abb. 12 wohl ohne große Schwierigkeiten Prüfprozesse (etwa im Sinne der TOTE-Einheit nach Miller, Galanter und Pribram 1960) wie auch Bewertungsprozesse (etwa im Sinne der Erst-, Zweit- und Neubewertung nach Lazarus 1966) einordnen lassen dürften, ohne daß dies im Einzelnen ausgeführt werden müßte. Der ethologischen Terminologie wird hier aber wegen ihrer Nähe zur neuropsychologisehen Denkweise der Vorzug gegeben. An diesem Punkt stellt sich die Frage, inwieweit die in der Geschichte der neuropsychologisehen Aktivierungsforschung beschriebenen Syndrome (vgl. Abschnitt 4) alle diese verhaltensmäßigen Anpassungen in stimmiger Weise erklären bzw. inwieweit die genannten ethologischen Konzepte hilfreiche bei der Einordnung und Klassifikation der bekannten Aktivierungsphänomene sind. Wir werden diese Fragen im nächsten Kapitel auf der Grundlage der bisher dargestellten evolutionsbiologischen, neurophysiologischen und ethologischen Voraussetzungen weiterverfolgen. "So wird Aktivierungsforschung unversehens kenntlich als Verhaltensforschung, oder umgekehrt: Verhaltensforschung wird kenntlich als Aktivierungsforschung" (Schönpflug 1969, S. 23).
Kapitel 2 DIE AKTIVIERUNGSSYNDROME
6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte 6.1
Fixe Aktion
Einen wichtigen Bestandteil des Bewegungsrepertoires von Tier und Mensch bilden Bewegungen mit einer stereotypen (oder, wie es in der Ethologie heißt: formkonstanten) Ablauffolge. Für die Steuerung stereotyper Bewegungsabläufe werden, soweit sie als "angeboren" gelten können, Reflexbögen und autonome, endogene Erregungsprozesse des Nervensystems verantwortlich gemacht (vgl. z.B. Eibl-Eibesfeldt 1967, S. 51ff). Ihnen liegen also eng umgrenzbare Mechanismen des Nervensystems zugrunde. Es liegt nahe, sie als variabel zusammensetzbare, mikroskopische Elemente des Verhaltens anzusehen. Dies ist jedoch, auch vom rein physiologischen Standpunkt aus, bis zu einem gewissen Grad irreführend. AnpassungsLeistungen sind nämlich vor diesem Hintergrund schwer zu erklären: etwa durch kontinuierlich wirkende, von außen verursachte Parameteränderungen. Der zugehörige Wirkmechanismus ist dann also nicht einer, der auf mehreren Elementarprozessen vergleichbarer Art beruht, sondern ein Wirkmechanismus höherer Ordnung. Dieser bedarf dann zu seiner Erklärung der Funktion größerer Teile des Nervensystems, ja vielleicht sogar einer Gesamtheit (vgl. dazu auch Bösel 1981, S. 391 f). Nicht nur angeborene Bewegungen verlaufen stereotyp, sondern auch gut geübte. Es gibt Gründe anzunehmen, daß auch solche Bewegungen nicht immer der kontinuierlichen Kontrolle der beim Erwerb beteiligten Strukturen bedürfen, um abzulaufen, sondern nur mehr der Tätigkeit eng umgrenzter, motorisch-steuernder Gehirngebiete, wenn sie einmal angestoßen wurden. Hacker (1973) nimmt bei seiner handlungstheoretischen Analyse von Arbeitstätigkeiten eine analoge Beschreibung stereotyper Bewegungsweisen vor und sieht sie in vergleichbarer Weise in die Handlungsregulation integriert. Sowohl angeborene, automatisch gesteuerte Verhaltensweisen, wie auch erworbene, automatisierte Bewegungen sind demnaach durch ihre Stereotypie und durch die innerhalb des ZNS mutmaßlich eng eingrenzbaren Steuerzentren charakterisiert. Von da her scheint es gerechtfertigt, hinsichtlich des begleitenden Aktivierungsverhaltens ähnliche Prozesse zu erwarten. Im Tierversuch zeigt sich, daß bei Abwesenheit von grobmotorischen Bewegungen irreguläre Aktivität im Hippocampus mit größerem Amplitudenwechsel (large amplitude irregulär activity LIA) beobachtet werden kann (Vanderwolf, Kramis, Gillespie und Bland 1975). Dies tritt außer bei absoluter Unbeweglichkeit auch u.a. beim Kauen, Fellkratzen und Ejakulieren auf. Die Autoren nennen das Verhalten automatisch, reflektorisch oder konsummatorisch (und sprechen in diesem Zusammenhang vom Verhaltenstyp 2; demgegenüber stehen die unter 6.5 einzuführenden Verhaltensweisen des Typs 1). Eine Reihe dieser Verhaltensweisen sind bei
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6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
Tieren ira Gegensatz zu anderen Verhaltensweisen nicht shapebar (Annable und Wearden 1979; Shettleworth 1975) und werden "performed in a Single place" (O'Keefe und Nadel 1978). Gray (1978, S. 425 und 428) geht davon aus, daß für "fixed action patterns, including consumraatory behavior" bei der Ratte niederfrequente Anteile der Hippocampus-Aktivität ( < 7 Hz) charakteristisch wären (vgl. auch Gray 1970; Gray und Ball 1970). Vanderwolf und Robinson (1981, S. 463) weisen darauf hin, daß Bewegungsanteile beim ansonsten nicht grobmotorisch-aktiven Tier an kurzzeitigen Theta-Antei len (rhythmic slow waave activity RSA) erkennbar wären. Nach Routtenberg (1971) ist bei stereotypen Bewegungen und eine Aktivität des ersten der von ihm postulierten Aktivierungssystem damit Hippocampus-Beta ( > 13 Hz) zu erwarten. Ohne Zweifel sind im desynchronisierten Hippocampus-Signal Anteile höchst unterschiedlicher Frequenzen enthalten. Bei ausschließlich automatischen und automatisierten Bewegungen ist jedoch zumindest das Band zwischen 7 und 13 Hz nicht dominant. Die Desynchronisation der Hippocampus-Aktivität ist in diesem Zustand begleitet von "low voltage fast activity" (LVFA) im Neocortex. Das größtenteils desynchronisierte EEG weist keine Negativität der Grundlinie auf. Sind je nach Paradigma kontingente Negativierungen vorangegangen, so brechen sie mit dem Auftreten fixer Aktionen abrupt ab (demente, Sterman und Wyrwicke 1964). Für die Fixierung der Aufmerksamkeit während der Ausführung fixer Aktionen dürfte der orbitale Teil des Frontalcortex verantwortlich sein. Bei Zerstörung dieser Region wird Hyperreaktivität beobachtet (Mettler und McLardy 1948; Ruch und Shenkin 1943; Wall und Davis 1951). Hypochondrie, chronische Schmerzzustände, Zwangsneurosen und Depressionen werden durch orbitales Undercutting in ihrer Ausprägung verringert (Scoville 1960, Knight 1964). Der orbitale Cortex ist mit dem basolateralen Amygdalae rückläufig verbunden. Dieses steht seinerseits über die laaterale habenuläre Schleife und über den lateralen Hypothalamus mit dem Hirnstamm, insbesondere mit der Area tegmentalis ventralis, in Verbindung. LeMoal und Cardo (1975, S. 144) berichten, daß - ähnlich wie im Hippocampus und gleichermaßen abhängig vom medialen Septum - irreguläre geringamplitudige Aktivität in der Area tegmentalis ventralis simultan mit kortikaler Desynchronisation bei Automatismen auftritt. Abgesehen von dieser Region ist für den Hirnstamm selektiv erhöhte Aktivität zu erwarten. Dies folgt auch aus der Annahme eines Response-Systems in der unter den genannten Bedingungen erregten Formatio reticularis, deren absteigende Fasern motorische Efferenzen unterstützen (Arousal-System I nach Routtenberg 1968). Die einzelnen Erregungsmuster im Hirnstamm dürften jedoch stark von der Art der ausgeführten Tätigkeit abhängen. Auch für die Vorhersage peripherer Größen dürfte gelten, daß sie im wesentlichen tätigkeitsabhängig variieren. Wegen der ansonsten vorherrschenden körperlichen Ruhe ist zu erwarten, daß der Grundwiderstand der Haut (SRL) und der periphere Widerstand im Gefäßsystem gering ist, die Variabilität der Herzrate hingegen hoch. Die erhöhte Hirnstammaktivität läßt zusätzlich auf eine leichte Steigerung der mittleren Herzschlagzahl schließen (vgl. auch Abrahams, Hi Iton und Zbrozyma 1964). Dies alles
6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
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vorausgesetzt, würde ein Absinken des Blutdrucks zu erwarten sein. Systematische, empirische Daten dazu fehlen allerdings noch weitgehend.
6.2
Perceptives Arousal
Von Erregung spricht man, wenn "an input change produces a measurable incrementing of a physiological or behavioral indicator over a baseline" (Pribram und McGuiness 1975, S. 116). Die genannten Autoren engen den Begriff des Arousal auf den phasischen Anteil der Reaktion ein und beschreiben die mutmaßliche Struktur und Funktion des bei höheren Tieren und beim Menschen hier zugrundeliegenden Mechanismus. Ihnen zufolge handelt es sich dabei um einen "Stop"-Mechanismus, der laufendes Verhalten unterbricht, die Orientierung auf den Reiz ermöglicht und tonische Reaktionen vorbereitet. So gesehen ist der Arousal-Mechanismus ein innerorganismischer Prozeß, der sich im offenen Verhalten vor allem durch die Unterbrechung des ongoing behavior äußert, und der von der (nachfolgenden) Orientierung und der Reizverarbeitung zu unterscheiden ist. Die entsprechenden Signale zur Auslösung dieses Mechanismus stammen aus der Formatio reticularis. Die an dieser Stelle zu besprechenden Prozesse bedürfen keiner präzisen sensorischen Information. Vinogradova (1970) geht sogar davon aus, daß die Formatio reticularis durch den Hippocampus tonisch inhibiert wird, solange es keine "Neuigkeiten" gibt ("when novelty is absent" S. 114). Nur wenn ein unpassender Reiz auftaucht, wird der Hippocampus aktiv, "to process only the perturbations resulting from the mismatch among inputs" (Pribram und McGuinness 1975, S. 129; vgl. auch Pribram 1971). Die Ausführung des Stop-Mechanismus erfolgt über die Amygdala und den Hypothalamus. Nach Pribram und McGuinness (1975, S. 125) sind dabei u.a. auch die im Hypothalamus medial gelegenen Bereiche beteiligt, die (im Zusammenhang mit Konsummation) "Sattheit" melden. Erregungen in der mesencephalen Reticulärformation bewirken im Hypothalamus Desynchronisation und zugleich Synchronisation in den Amygdala-Bahnen (S. 130). Für den Hippocampus der Ratte berichten Vanderwolf und Robinson (1981, S. 464) ein Erregungsmuster, das sich von hohen, irregulären Amplituden (LIA) zu niedrigen, irregulären Amplituden (SIA) verschiebt. In Konditionierungsexperimenten fand Bremner (1970), daß die Signalenergie im Theta-Band der Hippocampusaktivität in dem zeitlichen Intervall absank, das den Tieren zur Vorbereitung der trainierten Antwortreaktion zu Verfügung stand. Reticulo-thalmaische Fasern der medialen Formatio reticularis, die selbst direkte Afferenzen aus dem Rückenmark erhält, ziehen zu den interlaminären Kernen des Thalamus. Diese projizieren in die Großhirnrinde und dürften für eine Dessynchronisation der kortikalen Aktivität mitverantwortlich sein. Eine andere Stimulation geht von der Formatio reticularis des Mittelhirns aus, die über den großzelligen Teil des Nucleus medialis thalami den orbitalen Cortex (Area 11) erreicht (vgl. Fuster 1980, S. 123). Dies dürfte, nicht zuletzt vermittelt über den kleinzelligen Teil des Nucleus medialis thalami, im dorsolateralen Front alcortex die
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6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
Aufmerksamkeitsänderung einleiten. Es wird registriert, daß "something has happend" (Walter 1967). Hingegen unterbinden frontale Laesion häufig eine derartige Kontrolle, sodaß "perseverative, automatic, and routine actions become generally more prevalent" (Fuster 1980, S. 123). Subcorticale Efferenzen entsendet der dorsolaterale Frontalcortex vor allem in die Area praeoptica lateralis (Clara 1959, S. 514, Nauta 1962, Fuster 1980, S. 132). Diese besitzt - über den lateralen Hypothalamus und das laterale Habenulae - Verbindungen zum Locus coeruleus und zur Area tegmentalis ventralis. Resektionen des dorsolateralen Frontalcortex führen zum Verschwinden der vegetativen Komponenten der Orientierungsreaktion (Kimble, Bagshaw und Pribram 1965; Luria und Homskaya 1970; Luria, Pribram und Homskaya 1964). Bei ihrer Diskussion der Orientierungsreaktion gehen Pribram und McGuiness (1975) von einem Paradigma aus, das gekennzeichnet ist durch eine vorhergehende Erwartungshaltung (Antrieb, Appetenz, orientierende Informationsverarbeitung), die u.a. durch eine Herzratensenkung gekennzeichnet ist. Auf einen nun auftretenden, passenden Reiz setzt eine Akzeleration der Herzrate ein. Die Autoren zitieren in diesem Zusammenhang (S. 123) die Arbeit von Obrist, Wood und Perez-Reyes (1965). Ein anfänglicher Atemblock (S. 138) soll die Akzeleration unterstützen (Jennings, Averiii, Opton und Lazarus 1971; Peto, Holland und Bouman 1970; Wood und Obrist 1964). Ausmaß der Akzeleration und Stimulusintensität stünden in einem ungeklärten Verhältnis (Bull und Lang 1972; Graham und Clifton 1966). Die Akzeleration ist gefolgt von einer parasympathisch gesteuerten Gegenregulation, bis sich eine, die mororische Reaktion begleitende, erhöhte Herztätigkeit stabilisiert. Nach der bisher eingeführten Terminologie würde es sich bei der in diesem Fall reizinduzierten Herzatenakzeleration um eine Koordinations-Phase handeln. Arousal wird traditionellerweise durch eine (reizinduzierte) Unterdrückung (vgl. z.B. der okzipitalen EEG-Aktivität im Alphabereich definiert Mulholland 1972). Sie folgt auf einen orientierenden Reiz in der Regel innerhalb der ersten halben Sekunde. In diese Zeit fällt bei der klassischen Orientierungsreaktion, die auf unerwartete Reize folgt und die im Zusammenhang mit Aktivation im Abschnitt 6.6 diskutiert werden wird, eine Phase der Herzratendezeleration. Die Alpha-Blockade im klassischen Paradigma ist in der Regel unmittelbar von Augenbewegungen gefolgt, die im späteren Verlauf mit der Tätigkeit des Explorierens in Zusammenhang gebracht werden wird. Bei diesem Verlaufstypus akzeleriert die Herzrate danach. Arousal als Vorbereitung für orientierende Informationsverarbeitung also mit einer Senkung der Herzrate verbunden. 6.3
Orientierende
ist
Informationsverarbeitunng
Eine zunächst ruhig liegende Ratte wird, wenn sie spontanes Händeklatschen hört, gewöhnlich aufspringen und mit weit geöffneten Augen zunächst ruhig stehen. Ihr Hippocampus zeigt solange irreguläre Aktivität bis sie ihren Kopf dreht oder wegläuft. Die irreguläre Hippocampusaktivität wird auch andauern, falls sie - in einer Übersprungsbewegung - beginnen sollte, ihr Gesicht zu säubern.
6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
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Kaninchen hingegen zeigen, etwa nach dem Händeklatschen, nur eine ganz geringe Veränderung ihrer Körperposition und verharren danach für Längere Zeit bewegungslos. Der Hippocampus des Kaninchens zeigt unter diesen Umständen langsame, rhythmische Wellen (rhythmic slow wave activity RSA; Harper 1971, Robinson 1980, Winson 1972). Dieses Phänomen tritt aber erst bei mindestens 14 Tage alten Tieren auf (Creery und Bland 1980). Auch das Gesichtwaschen des Kaninchens ist von Hippocampus-RSA begleitet. Ähnliches geschieht bei der Ratte nur unter der Wirkung von Betäubungsmitteln wie Alkohol oder Äther (Vanderwolf und Robinson 1981, S. 464). Die Frequenz der unter körperlicher Ruhe (bzw. beim Gesichtssäubern) auftretenden Hippocampus-RSA wird von Vanderwolf und Robinson (1981, S. 464) mit 6 Hz angegeben. Beobachtungen dazu gibt es außer vom Kaninchen auch von der Katze (S. 464) und vom Meerschweinchen (S. 474). Diese Art RSA verschwindet nach Atropingaben und wird demnach durch cholinerge Afferenzen hervorgerufen (S. 465). Die Impulse dazu dürften vom medialen Septum und vom Kern des diagonalen Bandes stammen (Kimura, McGeer, Peng, McGeer 1980), ihrerseits angeregt durch die Formatio reticularis (Smith 1972). Grandstaff (iv) und Pribram (1972) weisen darauf hin, daß unter CNV-erzeugenden Bedingungen die Signalenergie im Theta-Bereich der Hippocampusaktivität sprunghaft ansteigt, wenn die CNV mit einer Positivierung abbricht. Hippocampus-Neurone habituieren bei Reizwiederholung, werden aber bei jeder Änderung in der Reizkonfiguration sofort wieder aktiv. Bei Primaten und beim Menschen existieren im ventralen Hippocampus Neurone, die erst nach einer Reizdauer von mindestens einer halben, teilweise erst nach einer Sekunde aktiv werden (Vinogradova 1970). Bestimmte, reizorientierte Aktivitäten des Hippocampus bedürfen also einer längeren ReizsummationsPeriode. Im Cortex wird (und zwar bei fast allen beobachteten Tieren) unter den eingangs genannten Umständen low voltage fast activity (LVFA) beobachtet. Unter Atropinwirkung verschwindet diese LVA bei unbewegten Tieren (Vanderwolf 1975) und gilt daher ebenfalls als cholinerg induziert. Shut und Lewis (1967) machen hierfür eine "ascending cholinergic reticular formation" verantwortlich. Lernen setzt möglicherweise diese Art von "Aufmerksamkeit" voraus (vgl. Bösel 1981, S. 336). Auch die tonische Hippocampus-RSA, die während des paradoxen Schlafs auftritt und die bei der Ratte eine Frequenz von 5-6 Hz aufweist, ist atropin-sensitiv (Vanderwolf und Robinson 1981, S. 472). In dieser Zeit ist der Körper unbewegt (Kopf- und Nackenbereich typisch atomisch) und im Cortex treten rhythmische 6-9 Hz-Spindeln auf. Diese Perioden werden durch Phasen kurzzeitiger Muskelspannungen unterbrochen, die von rhythmischer Hippocampusaktivität höherer Frequenz (bei der Ratte 6-8 Hz und mehr) und rascheren, atropin-resistenten Cortexfrequenzen begleitet sind (Robinson, Kramis und Vanderwolf 1977).
(iv) CNV = contigente negative Variation, d.i. die in bestimmten Paradigmen in Erwartung eines Reizes vor dessen Auftreten zu beobachtende negative Gleichspannungskomponente im EEG.
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6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
Rhythmische Aktivität mit großen Amplituden und einer Frequenz von 7 Hz tritt in der Area tegmentalis ventralis auf, wenn eine hungrige Ratte Futter riecht, aber auch während des paradoxen Schlafs (LeMoal und Cardo 1975, S. 140 und 142). In beiden Fällen werden parallel dazu vergleichbare Wellen im occipitalen Cortex beobachtet. Für peripher-physiologische Ereignisse bei orientierender Informationsverarbeitung lassen sich wenig Vorhersagen machen. Die Ablenkbarkeit, insbesondere die Höhe primär evozierter Potentiale (für REMSchlaf vgl. Weitzman und Kremen 1965), dürfte in dieser Phase gering sein. Ein Kriterium für diese Art orientierter Informationsverarbeitung ist die stattfindende Verhaltens"pause", insbesondere zwischen unmittelbar reizorientierten und anschließenden, zielgerichteten Bewegungen (vgl. auch Obrist, Howard, Sutterer, Hennis und MureLl 1973). Fowles (1980) bringt Gründe dafür vor, EDA-Reaktionen im Zusammenhang mit der behavioral inhibition zu sehen.
6.4
Psychophysiologische
Anstrengung
Wenn Ratten unter besonderen Umständen längere Zeit mit erhobenem Kopf und offenen Augen ruhig verharren ("freezing"), wird in ihrer Gehirnrinde desynchrone Aktivität durch rhythmische Spindeln von 6-9 Hz verdrängt 1975). (Klingberg 1971; Semba, Szechtman und Komisaruk 1980; Vanderwolf Ähnliches passiert, wenn das (häufig im Libersprung auftretende Säubern des Gesichts mehrere Sekunden andauert (Vanderwolf und Robinson 1981, S. 467). Dieser Effekt ist nicht nur atropin-resistent, sondern unter Atropinwirkung noch ausgeprägter (Atropin blockiert den Ueberträgerstoff AcetyIcholin). Der geschilderte Vorgang ist bei der Ratte in der Regel von einem Zittern des Kopfes und der Vibrissen begleitet. Durch geringe sensorische Stimulation oder Reizung der Formatio reticularis verschwinden die genannten Wellen (Vanderwolf und Robinson 1981, S. 467). Gray (1978) beobachtet unter vergleichbaren Umständen einen anderen atropin-resistenten Effekt. Die Hippocampus-Aktivität synchronisiert sich beim "freezing" der Ratte in einem Theta-Band mit einer Zentrumsfrequenz von 7,7 Hz. Der Autor vermutet, daß das triggernde Signal dafür über das dorsale aufsteigende noradrenerge Bündel (DANB) vom Locus coeruleus kommt und über das mediale Septum das Septo-hippocampale-System (SHS) beeinflußt: inhibiting "The system made up of the DANB and the SHS has the task of ongoing behavior upon the receipt of information about secondary punishing, secondary frustrative or novel stimuli" (S. 432). DANB-Blockade durch 6 hydroxi-Dopamin verhindert diesen Effekt (Gray, McNaughton, James und Kel ley 1975). Die drei von Gray (1978) aufgezählten, für Hippocampus-7,7 Hz-Synchronisation charakteristischen, situativen Bedingungen sind: "secondary punishing" (Reize, die vor zu erwartenden Mißerfolgen warnen), "anticipated frustrative non-reward" (Reize, die darauf schließen lassen, daß fehlender Erfolg zur Enttäuschung führt) und "novel stimuli" (z.B. open field). Für den Menschen stellt sich in derartigen Situationen die Frage: "Was tun?" Pribram und McGuinness (1975) vertreten die Meinung, daß der hippocampothalamische Erregungskreise "uncouples the stimulus from the response by
6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
37
coordinating the amygdala and basal ganglia mechanisms so that appropriate changes in the central representation can occur, a process that entails effort" (S. 132). Dieser Prozess könne verstanden werden als eine Änderung des Zustandes, des Sets oder der Einstellung. Die Autoren verweisen auf die (1937) formulierte im Zusammenhang mit der Emotionstheorie von Papez "attitude theory of emotion" (Bull 1951). Befunde an Hippocampus-ektomierten Affen interpretieren die Autoren so: Unter diesen Umständen "either input or output captures an aspect of the behavior of the organism" (S. 129); eine zentrale Kontrolle, die das Verhältnis von Stimulus und Response koordiniert, wenn Anstrengung erforderlich ist, würde dann fehlen. Sanders (1983) greift die neuropsychologisehe "effort"-Theorie der Autoren auf und baut sie zu einem Konzept der menschlichen Informationsverarbeitung aus (vgl. Abb. 13). Spätestens an dieser Stelle muß kritisch angemerkt werden, daß die unter den Überschriften "Perceptives Arousal", "Orientierende Informationsverarbeitung" und "Psychophysiologische Anstrengung" abgehandelten Prozesse in der Literatur nur selten voneinander getrennt in engem funktionalen Zusammenhang stehen. werden und ohne Zweifel Sicherlich bedarf daher die neuropsychologische und die psychophysiologische Beschreibung noch etlicher Korrekturen. Dennoch wird hier nocheinmal auf die Notwendigkeit einer Differenzierung hingewiesen. Schon bei einer einfachen Orientierungsreaktion sind mindestens folgende Funktionen vertreten: Erstbewertung der Informationsaufnahme durch
evaluation
evaluation mechanism
effort arousal -
energetical mechanisms
processing stages
stimulus preprocessing
feoture extroction
stimulus intensity
signal quality
p
response choice
activation
motor adjustment feedback •
experimental variables
Abb. 13:
S—R compatibility
time uncertainty
Ein "kognitiv-energetisches" Wirkschema der menschlichen Informationsverarbeitung (nach Sanders 1983). Verschiedene Basismechanismen werden durch einen "efforf'-Mechanismus überwacht und koordiniert, der direkt mit der zentralen Response-Wahl assoziiert ist. Der "evaluation"-Mechanismus überwacht die Funktion der Basismechanismen und hilft, deren Tätigkeit zu optimieren.
38
6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
entsprechend orientierende Reaktionen und Bewertung der Informationen im Hinblick auf spezifische Antwortreaktionen. In Abschnitt 10 wird der Versuch unternommen werden, diese drei funtionalen Komponenten mit unterschiedlichen Frequenzkomponenten in der Hirnstromaktivität in Verbindung zu bringen. 6.5
Ungerichtetes Explorieren
Verhaltensweisen mit grobmotorischen Bewegungen, wie Laufen, Graben, Manipulieren oder Kopfdrehen, sind bei der Ratte stets von rhythmischer Aktivität im Hippocampus begleitet (Vanderwolf, Kramis, Gillespie, und Bland 1975). Die Autoren nennen das Verhalten willkürlich, appetetiv oder instrumental (Typ 1). Es kann durch operantes Konditionieren geformt werden (Vanderwolf und Robinson 1981, S. 475). Die Ueberschrift "Explorieren" wurde gewählt, um einige Abgrenzungen deutlich zu machen. Im Englischen wird in diesem Zusammenhang oft von "goal directed behavior" gesprochen, "goal" wird von "target" unterschieden, wobei im ersten Fall eher ein "Zweck", im zweiten ein "festes Zielobjekt" gemeint ist. Zweckgeleitetheit oder Zielgerichtetheit könnte aber auch bei Verhaltensweisen, die als unmittelbar "stimulus related" gelten, unterstellt werden. Andererseits ist die Gerichtetheit einer Exploration gegenüber der Zweckbindung auf höherer Ebene zweitrangig, sodaß diese Bezeichnung im Deutschen unmißverständlicher erscheint. Hippocampus-RSA bei grobmotorischem Verhalten weist eine Frequenz zwischen 7 und 12 Hz ("accompanying type 1 behavior", Vanderwolf und Robinson 1981, S. 464) bzw. zwischen 8,5 und 10 Hz ("associated with locomotor approach", Gray 1978, S. 428) auf. Sie ist resistent gegen die Wirkung von Atropin (Vanderwolf, Bland und Whishaw 1973; Vanderwolf 1975) und von Benzodiazepinen (Gray und Ball 1970; Gray, McNaughton, James und Kelly 1975). Nach den letztgenannten Autoren soll auch eine Resistenz gegen Alkohol bestehen, während andere eine Sensitivität finden (Kramis, Vanderwolf und Bland 1975; Vanderwolf, Kramis und Robinson 1978; Whishaw 1976). RSA im Hippocampus erscheint, wenn Formatio-Bereiche ventral des Locus coeruleus elektrisch gereizt werden; durch Reizungen im Locus coeruleus dagegen nur bei hohen Dosen (Robinson, Kramis und Vanderwolf 1977). Der genaue Weg ist nicht bekannt. Werden Gliedmaßen passiv bewegt, kommt es zu keiner RSA (Vanderwolf und Robinson 1981, S. 463). Im Kortex wird bei Typ 1-Verhalten "low voltage fast activity" (LVFA) beobachtet. Durch welche Impulse sie hervorgerufen wird, ist auch hier unbekannt. Atropin (Vanderwolf 1975), Läsionen des Locus coeruleus und Serotonin-Blockaden verändern die Cortex-LVFA während Typ 1-Verhalten jedenfalls nicht. Routtenberg (1968) postuliert aktivierende Prozesse "concerned with incentive or reward" (Arousal System II). Impulse dazu sollen von einem Gebiet seitlich des Nucleus interpeduncularis ausgehen (Routtenberg und Kane 1966); seine Aktivität wäre mit LVFA im Cortex, aber auch mit Hippocampus-Theta assoziiert.
6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
39
Wie bereits unter 6.3 berichtet, unterbrechen phasische Muskelspannungen, die von Atropin-resistenter Hippocampus-RSA und rascherer Kortexaktivität begleitet sind, den paradoxen Schlaf.
6.6
Energetische Aktivation
Pribram und McGuinness (1975) bezeichnen mit Aktivation die vigilante, tonische Bereitschaft des Organismus zu einer Antwortreaktion auf Umweltreize. Das entsprechende Kontrollsystem wäre "centered on the basal ganglia and involves the activation of "go"mechanisms-expectancies (perceptual) and readiness (motor)" (S. 131). Dieser, im wesentlichen innerorganismische Prozeß wäre gekennzeichnet durch die kontingente Negativierung der Cortexaktivität (vgl. auch Tecce 1972) und eine Dezeleration der Herzrate (vgl. auch Obrist, Webb, Sutterer und Howard 1970 a und b). In bestimmten Paradigmen kovariieren beide Prozesse (vgl. auch Lacey und Lacey 1970). Nach den letztgenannten Autoren wäre der Organismus unter tonischer Aktivation für verschiedenartige Umweltreize besonders offen. Lewis und Wilson (1970) fanden bei Kindern, die Bilder kategorisieren mußten, vor richtigen Antworten besonders starke Herzraten-Senkungen. Daraus folgern Pribram und McGuinness (1975, S. 138), daß Aktivation eine wichtige Voraussetzung für richtige Antwortreaktionen ist. Die Dezeleration der Herzrate ist Vagus-kontrolliert, was für alle Aufmerksamkeits-induzierten Herzratenänderungen gelten soll (Lit. S. 138). Bei Arousalreaktionen, die einer Aktivation häufig vorausgehen, steigt die Herzrate durch eine Blockierung des Parasympathicus. Bei fixen Aktionen hingegen, die einer Aktivation folgen können, kontrolliert das somatomotorisehe System die Herzrate, die unter diesen Bedingungen in der Regel ebenfalls ansteigt. Dieses von Pribram und McGuinness (1975) entworfene Muster bei Aktivationsprouessen widerspricht dem traditionellen Begriff von Aktivation. Gerade die Herzrate korreliert zusammen mit der Hautleitfähigkeit positiv mit der berichteten Aktivation (vgl. z.B. Schönpflug 1965 und Thayer 1970). Freilich bleibt die Frage nach dem bei erlebter Aktivation aktiven Aktivationssystemen offen. Eine genauere funktionelle Betrachtung der in Frage stehenden Aktivationsprozesse mag dazu eine Antwort liefern. Die von Lynn (1966) beschriebenen Orientierungsreaktionen von Pawlows Hunden bei dessen Eintreten ins Labor, die Ausdruck einer (neugierigen) orientierenden Informationsverarbeitung sein mochten, und die in der Folge auch am Menschen untersucht wurden, haben einen typischen biphasischen Verlauf: erst Minderung, dann geringfügiger Anstieg der Herzrate (vgl. z.B. Guski 1978). Bei der Schreckreaktion (startle reflex) treten hauptsächlich die typischen sympathisch-adrenergen Reaktionen mit Puls- und Schweißsekretions-Steigerung auf (Sternbach 1966, vgl. auch den späterfolgenden Abschnitt 11.). Insofern ist die Gleichsetzung von Orientierungs- und Schreckreaktion (vgl. Gestaut und Roger 1960) ungenau. Bei wiederholter Auslösung der Orientierungsreaktion tritt bereits vor der
40
6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
Reizdarbietung die Herzraten-Dezeleration auf (vgl. z.B. Raskin, Kotses und Bever 1969), danach die Beschleunigung (im Falle der sog. Defensiv-Reaktion sogar starke Akzeleration). Die richtigen Antworten der von Lewis und Wilson (1970) untersuchten Kinder sind demgegenüber vermutlich unter anderen Bedingungen zustande gekommen, vielleicht durch eine der Aufgabenstellung folgende, ausgedehnte Exploration und orientierende Informationsverarbeitung und schließlich durch die der Aufgabe angemessen, Antwortreaktion. Sie benötigen dazu auch längere Zeit. Ein solcher Prozeß wäre einer Aktivation im Sinne der tonischen Bereitschaft zum Handeln entgegengesetzt, wenn man darunter stark zielorientierte Befindlichkeiten oder energiemobilisierende Notfallreaktionen versteht, die rasches Handeln vorbereiten und ermöglichen. Motivation (im Sinne des in Abschnitt 5 eingeführten Antriebs-Konstruktes) und Aktivation dürften also aktivierungstheoretisch gewissermaßen gegenläufige Prozesse sein, die einander in vergleichbaren Situationen aus ersetzen und in der selben Situation ergänzen können. Eine Mischung Impulsivität und Reflexivität in diesem Sinn mag auch eine Voraussetzung für gute Leistungen sein. Dies würde jedenfalls die umgekehrt U-förmige Beziehung der Regel nach Yerkes und Dodson (1908; Bradhurst 1957) erklären (Abb. 14). In umgekehrt U-förmigen Beziehungen zwischen klassischen Aktiviertheitsindikatoren (z.B. Muskelspannung oder EEG-Desynchronisation) und Verhaltensmaßen (Vigilanz, Reaktionszeit, Rechenleistung, Lernerfolg) hat sich das eindimensionale Aktivierungskonzept scheinbar besonders gut bewährt, wiewohl gerade auch deren Vertreter die generelle Gültigkeit oder die Aussagekraft eines solchen Zusammenhangs bezweifelten (vgl. z.B. Duffy 1972). Wegen der letztlich schwer zu verstehenden Bedeutung umgekehrt U-förmiger Beziehungen zwischen Leistungsdaten und Daten, die unspezifische Aktivierungsindikatoren sein sollen, haben wir dieser Detailproblematik einen Abschnitt in Anhang 2 gewidmet. Dort wird ein solcher Zusammenhang zwischen Leistungsdaten und Kenngrößen der Leistungsvorbereitung plausibel gemacht. Da es sich dabei um ein Beispiel aus dem Problemlösebereich handelt, heißt die Aktivierungsvariable nicht "Energetische Aktivation", sondern gemäß der in diesem Abschnitt getroffenen Differenzierungen "Anstrengung". Im folgenden wird jedenfalls Aktivation als energiemobilisierender, die Herzrate steigernder Prozeß verstanden. Die von Pribram und McGuinness (1975) vorgenommene Beschreibung von activation ist jedoch für das von ihnen gewählte Paradigma (vgl. Abschnitt 6.2) durchaus zutreffend. Die mit Erwartung und Bereitschaft gekoppelten Prozesse von (serotoninergenem?) Antrieb, Appetenz und orientierender Informationsverarbeitung sind der ergotropen Reaktionsläge entgegengesetzt und dürften weitgehend parasympathisch kontrolliert sein. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem Phänomen der Ermüdung. Der Begriff der Ermüdung ist mit mindestens vier Paradigmen assoziiert: mit dem Wach-Schlaf-Rhythmus (Bedürfnis nach Schlaf), mit der
6. Die aktivierungstheoretischen Basiskonstrukte
41
informational reaktiven Hemmung (Sättigung) im Sinne von HuLL (1943), mit overload oder Monotonie als "zentrale Ermüdung" (Bedürfnis nach Ruhe) und mit körperlicher Tätigkeit als körperliche Ermüdung (Erschöpfung). Ohne hier im Einzelnen auf Gemeinsamkeiten oder Unterschiede dieser vier Ermüdungsbegriffe einzugehen (vgl. dazu Grandjean 1961 oder Schmidtke 1965), sei nur auf einen Punkt hingewiesen: Die Beendigung einer fixen Aktion, fehlendes Arousal (im Sinne vom Pribram und McGuinness 1975) und "orientierende Informationsverarbeitung" ohne Anstrengung wirken nach dem bisher entwickelten Modell desaktivierend.
0)
Abb. 14:
Das Yerkes-Dodson-Gesetz. Ratten mußten unterschiedlich lange in einem mit Wasser gefüllten Labyrinth tauchen, bevor sie durch die Wahl der richtigen Tür entkommen konnten. Die optimale Motivation zum Lernen war von der Schwierigkeit der Aufgabe abhängig (nach Broadhurst 1957).
42
7. Kurzgefaßte Übersicht über die Aktivierungssyndrome
7. Kurzgefaßte Übersicht über die Aktivierungssyndrome Es werden unter verhaltenstheoretischen Gesichtspunkten neun verhaltenswirksame Kategorien von Verarbeitungsprozessen postuliert. Drei davon sind als Verhaltensklassen im offenen Verhalten unterscheidbar: Fixe Aktion, orientierende Informationsverarbeitung, ungerichtetes Explorieren. Die restlichen sechs Kategorien, benannt als Aktivation und Antrieb, Arousal und Koordination, Anstrengung und Appetenz, werden als Pole dreier bivalenter Aktivierungsprozesse verstanden. Sie ermöglichen und unterstützten den Übergang zwischen Verhaltensklassen (vgl. dazu das Schema die Steuerung der Verhaltensklassen und der von Abb. 15). Für Aktivierungsprozesse werden sechs Aktivierungssyndrome vorgestellt, deren Charakterisierung im folgenden in vereinfachender Form noch einmal kurz zusammengefaßt werden soll (vgl. Abb. 16).
Psychophysiologische Anstrengung
Orientierende
Ungerichtetes Explorieren
Energetische
Informationsverarbeitung
\
Koordination/
Perzeptives Arousal
Aktivation Fixe Aktion Abb. 15:
Vereinfachte Darstellung des Schemas von Abb. 12. Fixe Aktion, Orientierende Informationsverarbeitung und Ungerichtetes Explorieren sind Verhaltensklassen, die im offenen Verhalten in der Regel gut unterscheidbar sind. Sie können, wie die Pfeile andeuten, in wechselnder Reihenfolge auftreten. Die "Übergänge" zwischen diesen Verhaltensklassen werden durch Verhaltenskategorien geleistet, für die die neben den Pfeilen stehenden Bezeichnungen gewählt wurden. Dabei werden Antrieb, Koordination und Appetenz nur als Erklärungsbegriffe verstanden; sie repräsentieren gewissermaßen den biologischen "Normalfall" von Verhaltensverkettungen. Für Perceptives Arousal, Psychophysiologische Anstrengung und Energetische Aktivation wird aber ebenso wie für die integrative Koordination der offenen Verhaltensweisen die Tätigkeit von eigenen Aktivierungssystemen angenommen, deren Existenz durch die Beobachtung von sog. Aktivierungssyndromen nahegelegt wird.
7. Kurzgefaßte Übersicht über die Aktivierungssyndrome
43
Fixe Aktion. Die laterale, motorische Formatio reticularis ist aktiv. Der Hippocampus zeigt desynchronisierte Aktivität, in der Area tegmentalis ventralis der Ratte wird ebenfalls low voltage fast activity beobachtet. Das EEG ist desynchronisiert. Die Motorik ist durch hohe Stereotypie gekennzeichnet, die Herzrate ist (tätigkeitsabhängig) leicht erhöht. Im Ausdrucksverhalten wid Interesse ablesbar. Perzeptives Arousal. Hippocampus- und Cortexaktivität werden infolge mesencephaler Reticularisierregung desynchronisiert. Okzipitales Alpha wird unterdrückt und gerade stattfindendes Verhalten unterbrochen. Die Herzrate dezeleriert. Orientierende Informationsverarbeitung. Cholinerge Teile der Formatio reticularis bewirken im Hippocampus atropinsensitive rhythmic slow wave activity. Die Aktivität des Cortex ist charakterisiert durch atropin-sensitive low voltage fast activity, die von Theta-aktiven Phasen unterbrochen wird. Die Area tegmentalis ventralis der Ratte ist mit 7 Hz rhythmisch aktiv. Die Motorik ist durch eine Bewegungsruhe gekennzeichnet. Herzrate und Blutdruck sinken ab. Der Basiswert der Hautleitfähigkeit steigt. Im Ausdrucksverhalten wird Zufriedenheit/Unzufriedenheit erkennbar. Psychophysiologische Anstrengung. Angestoßen durch die aufsteigende, noradrenerge Aktivität des Locus coeruleus erscheinen atropin-resistente Theta-Frequenzen im EEG. Im
DIE AKTIVIERUNGSSYNDROME PARADIGMEN—KA TEGORIEN REIZORIENTIERT FUNKTIONSKATEGORIEN
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14. S e l b s t b e r i c h t u n d s e m a n t i s c h e s Differential
76
Bevor die mögliche aktivationstheoretische Bedeutung der Dimensionen von Osgood, May und Miron (1975) diskutiert wird, soll dieser Untersuchung eine andere gegenübergestellt werden, in der es darum ging, emotionale Zustände durch Zuschreibung von aktivitätsbeschreibenden Eigenschaften zu kennzei chnen. Bei Konstruktion einer Activation/Deactivation-Adjective Check List (ADADL) findet Thayer (1967) vier Faktoren, die er "General Activation" (GAct), "Deactivation-Sleep" (Deac-Sl), "High Activation" (H-Act), und "General Deactivation" (G-Deac) nennt. In Folgeuntersuchungen (Thayer 1978a und b) zeigt sich, daß die Faktoren paarweise negativ korreliert sind, sodaß sie der Autor zu zwei bipolaren Dimensionen zusammenfaßt. Daß Aktivierungsdimensionen mit teilweise gegenläufiger Kohärenz existieren, ist nicht nur von großer theoretischer, sondern auch von praktischer Bedeutung. So kann man von einem hohen Anpassungswert der Aktivierungsformen sprechen, aber auch von einer funktionellen generalisierter psychophysiologischer Streßsyndrome. Eindimensionalität Inwieweit bestimmte Formen neurotischer Anspannung durch Induzierung energetischer Aktivierung wieder ins Gleichgewicht gebracht werden können, behandelt der nächste Abschnitt. Die Korrelationen für G-Act/Deac-Sl waren ein wenig höher (-.58, -.49) als für H-Act/G-Deac (-.50, - . 4 1 ) . Die Bipolarität bewährt sich nicht immer. Bei Leistungsvorhersagen für Aufgaben zum verbalen Lernen hat nur der Faktor G-Act den erwarteten Einfluß, nicht dagegen Deac-Sl (Thayer und Cox 1968). Berücksichtigt man insbesondere das in Abschnitt 6.6 diskutierte Verhältnis von Aktivation und Desaktivation, so scheint es sinnvoll, im Zusammenhang mit emotionalem Selbstbericht die ersten beiden Faktoren in einer gemeinsamen Dimension zu belassen oder aber den Faktor Deac-Sl als
Tab. 5:
Auszug aus der Tabelle der Korrelationen (* ... p < .05) zwischen den AD-ACL-Faktor-Scores und einigen Summenscores aus physiologischen Indikatorvariablen nach Thayer (1970). Weitere Erklärungen im Text.
Physiologische Indikatoren
AD-ACL-Faktoren General Deactivation
High Activation
General Activation
HR-MAP
.00
.17
.33*
HR-BV
.23
.36*
.30
SC-BV-MAP
.36*
.29
.23
14. Selbstbericht und semantisches Differential
77
Beschreibungsdimension eines Sekundärphänomens bei der aktivationstheoretisehen Betrachtung gänzlich hintanzustellen. Bedeutsam ist ferner, daß im Zusammenhang mit Angst der Faktor H-Act den Erwartungen (hohe Ladung) entspricht, nicht aber Deac-Sl (der oft auch hoch lädt; Thayer und Moore 1972). Dementsprechend berücksichtigt die Tab. 4 gesondert drei Dimensionen der Widerspiegelung von Aktiviertheit im Selbstbericht: G Act, G-Deac und H-Act. Allerdings läßt Thayer in einer neueren Arbeit (Thayer im Druck) erkennen, daß beim Einsatz der G-Deac-Skala mitunter Verständnisprobleme auftreten und daß er ihr gegenüber die Deac-Sl-Skala vorzieht. Insofern kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar die Existenz einer eigenständigen Deaktivations-Dimension erkennen, nicht jedoch eindeutig, durch welche Adjektive sie zu repräsentieren ist. Thayer (1970) erhob bei 38 Personen während eines belastenden Treatments (Rückwärtszählen mit Zeitdruck und Lärm) eine Reihe physiologischer (SC), den Indikatoren: die Quadratwurzel des Hautleitfähigkeitswertes Mittelwert der Herzrate (HR), das relative Finger-Blutvolumen (BV) und den Mittelwert der integrierten Muskelaktionspotentiale (MAP), und zwar jeweils als Differenzscore zum Ruhewert. Unter Zusammenfassung der bei den einzelnen Personen jeweils größten Differenzscores zu Summenscores von zwei und drei Indikatoren erhielt der Autor das durch Tab. 5 gestellte Ergebnis. Darin spiegelt sich die Verwandtschaft von G-Act (HR-MAP) zu adrenerger Aktivierung, von G-Deac (SC-BV-MAP) zu cholinerger Aktivierung und H-Act (HR-BV) zu noradrenerger Aktivierung wieder. Größen Mag es nun ein durch die Art der Meßanordnungen für periphere erzeugter Bias sein oder eine durch ein neuropsychologisches Prinzip determinierte Gesetzmäßigkeit: Die am besten verbal zu repräsentierenden psychophysiologischen Befindlichkeiten sind mit der Tätigkeit des sympatischen Systems korreliert (vgl. auch Fahrenberg 1969). Das bedeutet, daß im Selbstbericht in der Regel Arousal/orientierende Informationsverarbeitung, Anstrengung und Aktivation besser repräsentiert sein dürften, als fixe Aktion oder Explorieren. Ausgenommen davon sind freilich emotionale Kognitionen, die sich explizit auf Handlungen beziehen und die, wie bereits im Abschnitt 13 dargelegt, eine theoretische Brücke zu nonverbalem Ausdrucksverhalten bilden können. Zu unterscheiden ist ferner zwischen Eigenschaften, die man dem momentanen Zustand zuschreiben kann, und Eigenschaften, die die epistemische Struktur beschreiben, die solche Zustände erwarten läßt. Insofern ist keine Kongurenz, wohl aber eine Korrespondenz zwischen den Listen von Thayer (1967) und Osgood, May und Miron (1975) zu erwarten (Tab.3 und 4 sowie Abb. 28). Die Korrespondenz zwischen den Faktoren "General Activation" und "Activity" liegt schon wegen der gleichartigen Attribute nahe. Bezüge zum Kontrukt der Anstrengung weisen die Faktoren "High Activation" und "Potency" auf. Im ersten Fall domenieren, auf subjektiver und auf objektiver Ebene, die Hinweise auf die noradrenerge Reaktionsläge des Anstrengungs-Konstrukts. Im zweiten Fall charakterisieren die Eigenschaftspaare die Situationen, in denen noradrenerge "Anstrengung" bevorzugt zu beobachten ist (bzw. fehlt). Auch zwischen "General Deactivation" und "Evaluation" dürfte bis zu einem
14. Selbstbericht und semantisches Differential
78
>schwer-leicht< Psychophysiologische Anstrengung
Orientierende
Ungerichtetes Explorieren
Energetische Aktivation
>aktiv-pas3i'
Informationsverarbeitung
Antrieb
Koordination /
\
I
I
i
/
Perzeptives Arousal
>gut-schlecht