Geschichtspolitiken und Fernsehen: Repräsentationen des Nationalsozialismus im frühen österreichischen TV (1955-1970) [1. Aufl.] 9783839424414

»Der Herr Karl«, der 1961 von Helmut Qualtinger gespielte opportunistische Mitläufer, stellt bis heute sicherlich die be

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German Pages 322 [323] Year 2014

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Geschichtspolitiken und Fernsehen: Repräsentationen des Nationalsozialismus im frühen österreichischen TV (1955-1970) [1. Aufl.]
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Renée Winter Geschichtspolitiken und Fernsehen

Histoire | Band 46

Renée Winter (Dr. phil.) ist Historikerin und lehrt an der Universität Wien und der Kunstuniversität Linz. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medien(-geschichte), Nachgeschichte des Nationalsozialismus, Gender und Migration/Postkolonialismus.

Renée Winter

Geschichtspolitiken und Fernsehen Repräsentationen des Nationalsozialismus im frühen österreichischen TV (1955-1970)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagabbildung und -gestaltung: Lisa Bolyos; die Fotografie wurde im Wiener Kuchenladen Fett und Zucker unter Verwendung eines Stills der Sendung »Der österreichische Widerstand« (ORF 1964) aufgenommen. Wandgestaltung: Nick Prokesch Lektorat: Nikolaus Stenitzer, zeichenweise.com Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2441-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort und Dank | 9 Einleitung. Forschungsstand, Forschungsfragen, methodisch-theoretische Herangehensweise, Aufbau | 13

1 DISKURSIVE VERORTUNGEN DES GESCHICHTSFERNSEHENS

| 37

1.1 (Re-)Demokratisierungsversprechen | 40

1.1.1 Konsens, „Postdemokratie“, Regieren | 42 1.1.2 „Objektivität“, „Authentizität“ | 46 1.1.3 Live-Übertragung | 49 1.1.4 Nationskonstruktion | 52 1.2 Geschlechtercodierungen von Publikum und Fernsehen | 61 1.3 Bildungsfunktion | 66

1.3.1 Vom „Schulfernsehen“ zum lebenslangen Lernen | 69 1.3.2 Fernsehen „nach Auschwitz“? | 73 1.4 Geschichtsfernsehen als Instrument für die Bildung demokratischer Staatsbürger_innen | 77

2 G ESCHICHTSPOLITISCHE HANDLUNGSFELDER (IN) DER FERNSEHANSTALT | 83 2.1 Programmieren. Thematisierungen des Nationalsozialismus | 84

2.1.1 Auswahl | 85 2.1.2 Koproduktion | 87 2.1.3 Übertragung | 90 2.1.4 Eigen- und Auftragsproduktionen des ORF | 92 2.2 Kooperationen. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien | 94

2.3 Die „Affäre Borodajkewycz“ | 101 2.4 Exkurs: Geschichtspolitiken im Fernsehkabarett | 107 2.5 Das Gedenken an den März 1938. 1958/1963/1968 | 114 2.6 Das Gedenken an den 27. April 1945 und 15.Mai 1955. 1960/1965/1970 | 116 2.7 Sendungsprotokolle und printmediale Rezeptionen | 123

2.7.1 „Was sagt uns der 13. März?“ (1961) | 123 2.7.2 Zeitgeschichte aus der Nähe. Teil 2: 1938-1945 (1962) | 125 2.7.3 Der österreichische Widerstand 1938-1945 (1964) | 130 2.7.4 Die Republik der Überzeugten (1965) | 132 2.7.5 Die Iden des März (1968) | 135 2.7.6 50 Jahre unserer Republik (1968) | 138 2.7.7 27. April. Wiedergeburt einer Republik (1970) | 141

3 AUDIOVISUELLE STRATEGIEN IM DOKUMENTARISCHEN G ESCHICHTSFERNSEHEN . REPRÄSENTATIONEN DES NATIONALSOZIALISMUS, FUNKTIONEN, GESCHLECHTLICHE C ODIERUNGEN | 145 3.1 Einleitung. Fragestellungen | 145 3.2 Verbale Narration/Voice-Over | 158

3.2.1 Externalisierung | 161 3.2.2 Subsumierung, Zahlen, Nicht-Benennungen | 164 3.2.3 Ent-Akteurisierung | 167 3.2.4 Personalisierung | 168 3.2.5 Harmonisierung (durch) Patriotisierung | 170 3.3 Archivfotos. Etablierung eines Bildrepertoires. Auswahl, Benennung, Kadrierung | 175

3.3.1 Parallelisierung der Verfolgung von Jüdinnen/Juden und Katholik_innen | 177 3.3.2 Kadrierung 1: Infantilisierung und Universalisierung der Opfer | 181 3.3.3 Visuelle Viktimisierung von Österreicher_innen | 186

3.3.4 Kadrierung 2: Ausblendung von Handlungsmöglichkeiten gegen das NS-Regime, Vereindeutigung der Aussage, Ausblenden der Täter_innen | 192 3.4 Archivfilm. Montage, Kontextualisierung | 198

3.4.1 Archivfilm als Illustration. Bedeutungsunterschiede durch Kommentierung. Adressierung, Handlungsmöglichkeiten | 199 3.4.2 Archivfilm als Präsentation. Auf Bilder und deren Herstellung hinweisen. Visuelle Darstellungen der Konzentrationslager | 205 3.4.3 Aufnahmen vom März 1938. Propaganda vs. Beweis. Verführung und Verführte | 216 3.4.4 Aufnahmen vom April 1945. Wiederherstellung der Geschlechterordnung | 225 3.5 Zeitzeug_innen. Sprechbedingungen | 231

3.5.1 Sprechen über Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden. Sprechstrategie 1: Zahlen, Fakten, Patriotismus. Kontext: Der Prozess gegen Franz Murer, Graz 1963 | 242 3.5.2 Sprechen über Frauen im Widerstand. Sprechstrategie 2: Betroffenheit erzeugen, emotionale Involvierung. Kontext: Vermittlungstätigkeiten der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück | 250 3.6 Ton | 258

3.6.1 Das Aussetzen der verbalen Narration. Schweigen, Geräusche, Stille | 259 3.6.2 Original-Tonaufnahmen: Authentisierung und Wiederholung | 261 3.6.3 Musik. Dominanz, Dissonanz | 264 3.7 Fiktionale Elemente im Dokumentargenre. Re-Enactment | 265

3.7.1 Ausblick: Fiktionalisierung. Das Fernsehspiel An der schönen blauen Donau (NDR 1965) | 269

S CHLUSS

| 281

Literatur | 285 Quellen | 310 Abbildungsverzeichnis | 320

Vorwort und Dank

Im Fernseher auf dem Titelbild ist ein Standbild der Sendung „Der österreichische Widerstand“ (1964) zu sehen. Das Bild zeigt ein Flugblatt des sozialistischen Widerstandes in Österreich, auf dem ein Stiefel ein Hakenkreuz zertritt. Im Titelbild eröffnen sich bereits viele Bezüge auf Fragestellungen und Themen, die im Buch behandelt werden: Die Darstellung von Widerstand und Handlungsmöglichkeiten gegen das NS-Regime, die technischen und medialen Bedingungen, die sich in den verschiedenen Formaten andeuten, das Fernseharchiv, das seine Spuren unter anderem im eingeblendeten Timecode hinterlässt und nicht zuletzt die Frage der Rezeption und möglicher Bedeutungsproduktionen der Geschichtsfernsehsendungen. Vor allem aber repräsentiert das Foto für mich eine historiographietheoretische und politische Frage nach Dominanz und Marginalisierung in der Darstellung von Dominanz und Marginalisierung. Weder das sozialistische Flugblatt noch die Sendung, die in Kooperation mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes entstand, waren für das österreichische Fernsehen dieser Zeit repräsentativ in dem Sinn, dass sie einem dominanten Konsens und dem Geschichtsverständnis der meisten anderen Sendungen entsprochen hätten. Was die Sendung jedoch ausgesprochen repräsentativ für Darstellungen des Nationalsozialismus im österreichischen Fernsehen macht, ist, dass sie Aufschluss über den historischen Rahmen des Denkbaren und Machbaren gibt und darüber hinaus auf Marginalisierungsmechanismen und den Kampf um Geschichtsdeutungen verweist. Das Coverfoto und die Titelgestaltung hat Lisa Bolyos gemacht, der ich hiermit sehr dafür danken möchte. Die Fotografie wurde im Wiener Kuchenladen Fett+Zucker aufgenommen, Dank dafür an Eva Trimmel; im Hintergrund ist ein Teil eines Wand-Comics von Nick Prokesch zu sehen. Dieses Buch stellt eine überarbeitete und erweiterte Fassung meiner 2012 an der Universität Wien abgeschlossenen Dissertation statt. Ich möchte mich sehr herzlich bei meiner Dissertationsbetreuerin Johanna Gehmacher bedanken, die

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diese Arbeit lange Jahre durch die verschiedensten Recherche- und SchreibPhasen und durch die Auf und Abs der Finanzierungsschwierigkeiten mit unschätzbarem Feedback und viel Klugheit und Verständnis begleitet hat. Sehr danken möchte ich auch Monika Bernold, die nicht nur vor vielen Jahren in ihren Lehrveranstaltungen mein theoretisches und politisches Interesse am Fernsehen geweckt hat, sondern die auch große Teile des Manuskripts gelesen und gefeedbackt hat. Und ich danke Siegfried Mattl, der wichtige Anmerkungen und Kritik zur Rohfassung formuliert hat. Ich danke allen Teilnehmer_innen des Diplomand_innen-Dissertant_innenSeminars von Johanna Gehmacher (2011-2012 gemeinsam mit Gabriella Hauch) und für wertvolle Anmerkungen in verschiedenen Stadien der Dissertation insbesondere: Vida Bakondy, Elena Barta, Astrid Frauendienst, Fanny Fröhlich, Eva Hallama, Elisa Heinrich, Christine Jarma, Alice Kanelutti, Hansi Kirchknopf, Christina Kleiser, Sonja Niederacher, Heidi Niederkofler, Corinna Oesch, Paul Pennerstorfer, Makiko Ruike, Melanie Ruff und Bernhard Weidinger. Für Informationen und wichtige Hinweise am Weg der Recherche geht mein Dank an Hartmann Schaufler und Jakob Steiner (ORF-Archiv), Stefan Kontra (Deutsches Historisches Museum), Doris Warlitsch (Archiv der KZGedenkstätte Mauthausen), Hans Petschar und Michaela Pfundner (Bildarchiv der ÖNB), Elisabeth Klamper (DÖW Fotoarchiv), Albert Knoll (Archiv Gedenkstätte Dachau), Regina Wonisch (AZ-Fotoarchiv), Heimo Hofgartner (Multimediale Sammlungen im Universalmuseum Joanneum, Graz), sowie Dieter Binder, Wolfgang Fuhrmann, Peter Larndorfer, Heinz Jedlicka, Bertrand Perz und Oliver Rathkolb. Die Dissertation wurde durch ein einjähriges Forschungsstipendium der Universität Wien und ein dreimonatiges Kurzstipendium für kurzfristiges wissenschaftliches Arbeiten im Ausland (ebenfalls der Universität Wien) gefördert. Das Manuskript wurde mit dem Theodor-Körner-Preis ausgezeichnet. Nach Projektarbeiten und Jobs und neben Lehraufträgen ermöglichte vor allem die großzügige, bedingungslose finanzielle Unterstützung durch meine Mutter, Ingrid Winter-Reumann, die Fertigstellung der Arbeit, für die ich ihr hiermit sehr, sehr danken möchte. Ohne diese Unterstützung wäre die Dissertation in dieser Form und dieser Zeit nicht zustande gekommen. Gleichzeitig bedeutet diese Finanzierungsgeschichte, dass das mehr und mehr prekarisierte wissenschaftliche Arbeiten, ob nun zu Beginn oder im Laufe einer Wissenschaftskarriere, in vielen Fällen nur möglich ist, wenn es Geld im Hintergrund gibt, das nötigenfalls die Fertigstellung einer Dissertation ermöglicht, Einkommenslücken zwischen Projekten schließt, oder von dem gezehrt werden kann, wenn in einem Semester einmal nicht genug Lehraufträge für die Existenzsicherung bewilligt wurden. Diese Vo-

V ORWORT

UND

D ANK | 11

raussetzungen wirken sich auf die soziale Zusammensetzung derer, die im Wissenschaftsbereich tätig sind, aus. Ich danke meinen Freund_innen Birgit Michlmayr, Nikolaus Stenitzer und Eva Waibel, die mit mir gemeinsam so viel Zeit, Arbeit, Gedanken und Nerven in Forschungsanträge und Hearing-Vorbereitungen gesteckt haben, leider ist unser Projekt nicht gefördert worden. Unter dem Titel „Mediale Geschichtspolitiken“ reichten wir in unterschiedlichen Zusammensetzungen zweimal ein Forschungsprojekt zu einem Vergleich französischer und österreichischer Geschichtspolitiken in Fernsehen, Chanson und Film bzw. Theater ein. Viele der gemeinsam diskutierten und erarbeiteten methodisch-theoretischen Überlegungen haben Eingang in dieses Buch gefunden. Bei Philipp Schwarzbauer möchte ich mich für Transkriptionsarbeiten und vor allem für seine gelungenen Parodien der Sendungen bedanken. Für das Korrekturlesen in verschiedenen Phasen und unterschiedlicher Textmengen danke ich Doris Ausserladscheider, Romeo Bissuti, Arnhilt Hoefle, Birgit Michlmayr, Annie Ring und Fritz Trümpi. Nikolaus Stenitzer hat schließlich das gesamte zum Druck bestimmte Manuskript nicht nur lektoriert und korrigiert, sondern auch wertvolle inhaltliche Anmerkungen in letzter Minute gemacht. Danke, Nick. Ich danke meinen Eltern Ingrid Winter-Reumann und Fritz Winter für Ermutigungen, Wertschätzungen und Interesse – und für ihre Unterschiedlichkeit. Ich möchte außerdem meinen Mitbewohnerinnen danken, die jahrelang den Sound des Geschichtsfernsehens als gelegentliches Hintergrundgeräusch ertragen haben. Ich danke – wie immer – Elke Renner fürs da gewesen sein und bleiben und den kritischen Blick und Elke und Heinz für die Überlassung ihres Hauses als wunderbaren Schreibort. Für wichtige Gespräche und Hinweise danke ich Lilly Axster, Wolfie Christl, Melanie Letschnig, Drehli Robnik, Petra Sandner, Johanna Schaffer, Fritz Trümpi und Lisa Udl. Für emotionalen Rückhalt und für einander da sein: Natalie Dutter und Romeo Bissuti. Wien, am 2.8.2013

Einleitung Forschungsstand, Forschungsfragen, methodisch-theoretische Herangehensweise, Aufbau

„Wann i was sehn will, geh i an de Ecken zum Wirt. Der hat an Fernseh ... man muß net hinschauen, aber man kann. Da sitz i da und schau zu ... Mir is Wurscht, was gespielt wird. Wann i miad bin, zahl i und geh furt.“ HELMUT QUALTINGER, CARL MERZ: DER HERR KARL, 19611

 Die Figur des Herrn Karl hatte 1961, der Rolle eines Durchschnittsbürgers entsprechend, selbst noch keinen Fernsehapparat und konsumierte die Angebote des neuen Mediums eher mäßig interessiert im Wirtshaus. Trotzdem wurde aus dem Ein-Personen-Stück, in dem Helmut Qualtinger einen opportunistischen Mitläufertypen über alle politischen Zäsuren hinweg spielt, das vielleicht bekannteste Beispiel einer Fernsehsendung der 1960er Jahre, die die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs thematisiert. In zahlreichen Publikationen wird die Ausstrahlung des Herrn Karl am 15. November 1961 im Fernsehprogramm des Österreichischen Rundfunks (ORF) als Referenzpunkt des österreichischen Umgangs mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit erwähnt.2 Der Herr Karl ist nicht nur inhaltlich als ein Stück von Bedeutung, in dem die Opferrolle von Österreicher_innen im Nationalsozialismus nachdrücklich in Frage gestellt wird; auch das Medienereignis Der Herr Karl ist betrachtenswert. Fiona Steinert und 1

Zitiert nach Merz/Qualtinger 1996: 47.

2

Vgl. z.B. Scheit 1995: 182-184, Rehberger 1998: 89-92, Garscha 2002, Uhl 2005b: 65, Wegan 2005: 311, Bernold 2007b: 144f, Zöchmeister 2007: 33. Siehe auch den Sammelband zu Qualtingers Film- und Fernseharbeiten: Krenn 2003 (darin insbesondere Itkin 2003, Kühn 2003, Fink 2003).

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Heinz Steinert beschreiben dieses als „inszenierten Skandal“, dem eine Integration des Stückes als „Folklore des Wienertums“ gefolgt sei.3 In einem rückblickenden Interview meinte Peter Huemer, dass die Wirkung des Herrn Karl nur vor dem Hintergrund zu verstehen sei, „dass um 1960 herum der absolute Höhepunkt des Wegschiebens unserer Geschichte und der Tiefpunkt des ErinnernWollens in Österreich erreicht war. [...] Es [die Zeit des Nationalsozialismus, Anm. rw] war eben tabu, man durfte nicht dran rühren.“ 4 Auf diese These des Tabuisierens und Schweigens in den 1960er Jahren traf ich im Zuge der Auseinandersetzung mit der Darstellung von Nationalsozialismus im österreichischen Fernsehen oft. Zu den häufigsten ersten Reaktionen in Gesprächen über mein Forschungsthema zählte die eher überraschte Nachfrage: „Gab es da überhaupt etwas?“ Diese Reaktion ist meines Erachtens zwei miteinander verknüpften dominanten Einschätzungen zum österreichischen Umgang mit der NS-Vergangenheit geschuldet: Erstens der aus einer Kritik an der marginalisierten Beschäftigung mit der Mit/Täter_innenschaft Österreichs und der österreichischen Bevölkerung entstandenen Erzählung zum vorherrschenden Schweigen über die Vergangenheit; zweitens der damit verbundenen These, dass dieses Schweigen erst mit der Affäre Waldheim in den 1980er Jahren einen Bruch, eine Veränderung oder ein Ende erfahren hätte. Diese Erzählung folgt einer Fortschrittslogik und erfüllt nicht zuletzt auch die Funktion einer Legitimierung der Gegenwart: Auf Basis einer Unsichtbarmachung früher geschichtspolitischer Kämpfe zur Deutung der nationalsozialistischen Vergangenheit erscheint die Gegenwart fortgeschrittener, die Menschen heute informierter. Demgegenüber erscheint es mir sinnvoller – auch und gerade in Bezug auf das Fernsehen – eine differenziertere Interpretation und Analyse der historischen Veränderungen der Geschichtspolitiken vorzunehmen. Geschichtssendungen, die für das Fernsehen produziert und im Fernsehen gezeigt werden, folgen nicht unbedingt immer dominanten Vergangenheitsnarrativen, und sie sind von medialen Bedingungen wie den Erwartungen an das Fernsehen, ästhetischen Mitteln, zur Verfügung stehenden Formaten und Entscheidungsstrukturen in der Fernsehanstalt ebenso geprägt wie von offiziellen (und parteipolitischen) Gedenkpolitiken. Wissenschaftlich und politisch relevant erscheint mir eine (historiographische) Zugangsweise, die marginalisierte Stimmen aufspürt und gleichzeitig die Mechanismen ihrer Marginalisierung wie auch die gegen die Marginalisierung gerichteten Strategien zu rekonstruieren vermag.

3

Steinert/Steinert 1995: 244.

4

Peter Huemer im Interview mit Sylvia Szely, in: Szely 2005: 229.

E INLEITUNG

| 15

Die Fernsehhistorikerin Lynn Spigel schreibt der Selbsthistorisierung des Fernsehens ebenfalls ein Fortschrittsparadigma zu: „television engages in a kind of historical consciousness that remembers the past in order to believe in the progress of the present.“5 Eine Möglichkeit des Fernsehens, seine eigene Vergangenheit zu erinnern, besteht in der Ausstrahlung vergangener Sendungen, wie Monika Bernold schreibt, „in Form des Recyclings historischer Sendungen im aktuellen Programm (eine Erinnerung in schwarzweiß)“.6 Bernold hält fest, dass „es zunehmend die Institution des ORF selbst [ist], die die Geschichtsschreibung der Republik verwaltet, visualisiert und damit Geschichte ‚schreibt‘."7 Die (Wieder-)Aufführung österreichischer Fernsehgeschichte geht mittlerweile auf dem Spartenkanal ORF III, der 2011 (patriotisch am österreichischen Nationalfeiertag, dem 26.10.) gestartet ist, vonstatten, in zwei Sendeschienen, die programmatisch „Kult.reloaded“ und „Fernsehen wie damals“ betitelt sind. Eine andere Perspektive auf ORF-Geschichte sollte die von Sylvia Szely und Dietmar Schwärzler für das Österreichische Filmarchiv kuratierte Rückschau darstellen, die schon 2005 unter dem Namen „ORF 3“ im Wiener Metro Kino stattfand. Insbesondere sollte der Blick dorthin gelenkt werden, „wo es [das öffentlich-rechtliche Fernsehen, Anm. rw] sich selbst nicht (mehr) erinnert.“8 Der Name des Programms des „fiktiven Senders“ setzte sich einerseits aus der Gleichung „ORF 1 + ORF 2 = ORF 3“ zusammen und bezog sich andererseits auf das gegenkulturelle Projekt eines temporären „3. Fernsehkanals“ im Rahmen der Grazer Fernsehtage 1974.9 „ORF 3, das weiß jeder hier zu Lande, gibt es nicht“10, konnte Isabella Reicher 2005 noch im Standard schreiben. Jetzt gibt es ORF III – und obwohl es noch immer nicht jede und jeder weiß, ist der Kanal nun, neben käuflich erwerbbaren DVD-Editionen vergangener ORF-Produktionen, der vorrangige Ort der Selbsthistorisierung des ORF. Im Zuge des Programms von ORF III konnte ich 2012 und 2013 beispielsweise einige Folgen der Sendungen Zeitventil (19631968), Die große Glocke (1968-1971) und Aufzeichnungen von Programmen des Kabarett Simpl sehen und aufnehmen, zu denen ich bis dahin keinen oder nur (finanziell) eingeschränkten Zugang hatte.11 Der Sendebetrieb von ORF III be5

Spigel 1995: 20. Vgl. auch Öhner 1997: 238.

6

Bernold 1996a [1995]: 223.

7

Bernold 1996a [1995]: 223.

8

Schwärzler/Szely 2005: 29.

9

Schwärzler/Szely 2005: 29.

10 Isabella Reicher: Eine schöne Sendelandschaft, in: Der Standard, 20.10.2005. 11 Einige Folgen von Zeitventil wurden nicht wiederholt, darunter die Folge acht, die eine nicht unwichtige Rolle in der Popularisierung der Debatte um die Absetzung des Hochschulprofessors Taras Borodajkewycz spielte (Siehe Kapitel 2.3). Ob diese

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deutet im Kontext der unten beschriebenen Archivbedingungen des ORF eine Bestätigung der nach wie vor notwendigen Funktion von Fernsehhistoriker_innen als „Amateurarchivar[innen]“12 für die Fernsehforschung. Forschungsstand: Repräsentationen des Nationalsozialismus im österreichischen Fernsehen Zum österreichischen Fernsehen als Schauplatz für Verhandlungen österreichischer Zeitgeschichte existieren bisher nur wenige Untersuchungen, die sich – abgesehen von der oben erwähnten Konzentration auf den Herrn Karl – vor allem mit dem Zeitraum nach 1970 und mit spezifischen Sendereihen oder Aspekten auseinandersetzen: So existieren Arbeiten zu den Dokumentarreihen Österreich I (12 Folgen, Hugo Portisch, Sepp Riff, ORF 1987-89) und Österreich II (23 Folgen, Hugo Portisch, Sepp Riff, ORF 1982-86, 1995)13 bzw. deren „Remake“14 unter dem Titel Die Zweite Republik. Eine unglaubliche Geschichte (4 Folgen, Hugo Portisch, ORF 2005) im Jahr 200515; zur Ausstrahlung und Rezeption der Serie Holocaust (4 Teile, Marvin J. Chomsky, NBC 1978) im österreichischen Fernsehen 197916; zur Darstellung der „Schlacht von Stalingrad“ im Fernsehen seit den 1970er Jahren17 und zu Darstellungen des Nationalsozialismus in österreichischen Fernsehspielen18; dazu kommen theoretisch orientierte Überblicke zu Geschichtsfernsehproduktionen.19 Verstreute Hinweise auf Fern-

Auswahl ein Resultat fehlender vollständiger Aufzeichnungen war oder anhand anderer Kriterien erfolgte, ist nicht ersichtlich. 12 Keilbach/Thiele 2003: 70. 13 Vgl. Eybl 1993. Weiters Botz 1988, Eybl/Malina 1988, Eybl 1989, Fuchs 1989, Malina/Spann 1989, Rath 1999 und die Kontroverse zwischen Susanne Eybl, Elke Renner und Hugo Portisch in der Zeitschrift zeitgeschichte: Eybl/Renner 1989, Portisch 1990, Eybl/Renner 1990. 14 Öhner 2006: 140. 15 Öhner 2006, Reichert 2005 und Rohringer 2009. 16 Marchart/Öhner/Uhl 2003, Uhl 2003 und Öhner 2005. 17 Pollak 2003. 18 Pollach 2005, Robnik 2005. Zu Koproduktionen von ZDF und ORF siehe auch Keilbach 2005b. 19 Bernold 2007b, Öhner 1997, Öhner 2005.

E INLEITUNG

| 17

sehproduktionen finden sich auch in filmwissenschaftlichen Publikationen20 und in Forschungen zum österreichischen Kabarett.21 Der Zeitraum 1955-1970 stellt somit – in Bezug auf die televisuellen Darstellungen des Nationalsozialismus22 – eine Forschungslücke dar. In diesem Zeitraum entwickelten sich jedoch die televisuellen Geschichtsformate, etablierte sich ein Bilderkanon zum Nationalsozialismus und war die (politische) Rolle des Mediums Fernsehen Gegenstand von Auseinandersetzungen. Umso wichtiger erscheint es, einen Fokus auf diese ersten fünfzehn Jahre des österreichischen Fernsehens zu legen – nicht zuletzt als Grundlage für weitere Fernsehforschungen. Wenn wir mit Judith Keilbach und Matthias Thiele „Geschichtsschreibung als Produkt der Organisation von Archiven“23 begreifen, so lässt sich aus der schwierigen Quellenlage und Archivsituation des österreichischen Fernsehens erklären, dass bisher keine Publikationen erschienen sind, die sich systematisch (und auf der Ebene des audiovisuellen Materials selbst) mit dokumentarischen Geschichtsdarstellungen im ORF vor 1970 auseinandersetzen. Fernseharchiv/Quellen Wulf Kansteiner hält über den Zugang zu Fernseharchiven prägnant fest: „The media institutions that shaped everyday culture in the second half of the twentieth century control archival treasures that remain far less accessible for the researcher than rare medieval manuscripts. Especially the most important source, the visual record itself, is carefully guarded against unwanted, poor intruders who have neither the means nor the desire to purchase distribution and copyrights.”24

Seit 2007, dem Zeitpunkt meiner ersten Recherche und der Zusammenstellung des audiovisuellen Quellenkorpus im ORF-Archiv, haben sich die Forschungs-

20 Z.B. Büttner/Dewald 1997; Robnik 2009: 138, 161-163; Robnik 2010: 101-103. 21 Z.B. Fink 2000, Fink 2003. 22 Zum frühen österreichischen Fernsehen im Kontext von Konsum und Konstruktionen der Familie und Nation siehe Bernold 1997 und Bernold 2007a. Grundlegende empirische Arbeiten zu Programm- und Institutionengeschichte des frühen ORF sind Rest 1988 und Venus 1991. 23 Keilbach/Thiele 2003: 69. 24 Kansteiner 2006: 131.

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bedingungen zum österreichischen Fernsehen verändert.25 So war 2007 eine wissenschaftliche Recherche im ORF-Archiv prinzipiell möglich; die Rahmenbedingungen dafür waren jedoch nicht formalisiert, sondern wurden individuell mit den jeweils zuständigen Archivmitarbeiter_innen festgelegt. Für meine Recherche bedeutete das die Möglichkeit, die Datenbank des ORF-Archivs (damals noch FARAO) für einige Stunden selbst benutzen zu können und schließlich im Rahmen von maximal zwanzig Sendungsstunden audiovisuelles Material in der Sichtungskoje zu sichten, gegen eine Bezahlung von 20 Euro pro Sendungsstunde. Die Sichtungen waren durch zwei weitere Bedingungen beschränkt: Erstens sind gerade aus der Anfangszeit des Fernsehens aufgrund der Wiederverwendung der Magnetbänder nur Bruchteile des gesendeten Materials archiviert; zweitens wurde mir zu einzelnen nicht auf Video archivierten Sendungen aufgrund des erhöhten technischen Aufwandes kein Zugang gewährt. Geduldet war dagegen das Mitschneiden der Sendungen auf VHS für wissenschaftliche Zwecke. Diese Möglichkeit der Kopie ist für das wissenschaftliche Arbeiten mit audiovisuellem Material grundlegend. So bildeten detaillierte Transkriptionen der untersuchten Sendungen, deren Erstellung ohne wiederholtes Abspielen, Anhalten und Zurückspulen nicht durchführbar gewesen wäre, sowie die Möglichkeit, Sequenzen wieder und wieder anzuschauen, die Basis meiner Analyse der Fernsehsendungen. Die schließlich im Mai 2011 (nach jahrzehntelangen Forderungen von Fernsehforscher_innen, Studienrichtungsvertreter_innen u.a. nach Öffnung des Archivs) im Institut für Zeitgeschichte der Universität eröffnete „RechercheStation“ besteht im Wesentlichen aus einem Computer, auf dem über einen Browser ein Zugang zu mARCo (Medien Archiv Online), der Benutzeroberfläche für die Fernseharchivdatenbank FESAD des ORF, gewährleistet ist. Zugänglich sind die vom ORF angelegten Daten zum archivierten (nicht zum gesendeten) Material. Idealerweise umfassen die Daten Titel, Sendedatum, Signatur, beteiligte Personen, Bildinhalt und Beschlagwortung; sie sind jedoch nicht in jedem Fall vollständig. Darüber hinaus sind einige bereits digital vorhandene Sendungen per Stream abrufbar. Das betraf zum Zeitpunkt meiner letzten Recherche (im Januar 2013) vor allem Sendungen des vergangenen Jahrzehnts; vereinzelt waren auch Sendungen des Zeitraums 1955-1970 abrufbar, darunter aber keine der von mir untersuchten. Zur Möglichkeit der Sichtung von Sendungen, die in mARCo (noch) nicht erfasst sind, wird in den aufliegenden Benutzungshinweisen vage formuliert: „Einzelne Sendungen oder Beiträge können bei Bedarf digitalisiert werden, sofern bereits Videokopien vorhanden sind. Diese Sendungen 25 Zu einer Historisierung von Archivpolitiken des ORF und deren forschungspolitischen Konsequenzen siehe Öhner 2001 und Bernold 2012: 94-101.

E INLEITUNG

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können danach wie gewohnt in mARCo abgerufen werden. Die Bearbeitungszeit richtet sich nach den Kapazitäten des ORF-Archivs und der Anzahl der gewünschten Beiträge. Die Kosten dafür trägt der ORF.“26 Im nächsten Punkt wird festgehalten: „Umfangreichere Recherchen, die über das mARCo-Angebot hinausgehen, sind von ORF-Archivredakteuren durchzuführen (siehe Preisliste).“27 Die Preisliste umfasst außer dem zu entrichtenden Entgelt für die „Betreuung durch Archivredakteur“ (pro Stunde 53,30 Euro) auch die nunmehr anfallenden Kosten für Sendungskopien. Diese richten sich nach der Beitragslänge; so sind beispielsweise für 30-Minuten-Sendungen 64,68 Euro zu zahlen.28 Diese Archivpolitik setzt eine Verhinderung der Möglichkeit des „wilde[n] und maßlose[n] Sichten[s] von Sendungen“29 fort, das nach Judith Keilbach und Matthias Thiele so maßgeblich für eine Fernsehgeschichtsschreibung wäre, und verhindert nach wie vor Analysen des audiovisuellen Materials selbst. Der Zugang zum Material wird nunmehr – im Zuge der Formalisierung des wissenschaftlichen Zugangs zum ORF-Archiv – durch eine ökonomische Zugangsbeschränkung reguliert. Darüber hinaus ist die Recherche-Station ausschließlich für Studierende und Mitarbeiter_innen der Universität Wien zugänglich. Das führt zu paradoxen Situationen: So haben zum Beispiel Personen, die wissenschaftliche Abschlussarbeiten im Bereich der Fernsehforschung schreiben, nach Abschluss des Studiums keinen Zugang mehr zu der Datenbank, sofern sie nicht eine Stelle oder einen Lehrauftrag an der Universität Wien erhalten. Aber auch davon abgesehen ist nicht ganz einzusehen, weswegen etwa Studierende und Forschende anderer Universitäten und Forschungszusammenhänge (auch international) vom Zugang zum ORF-Archiv ausgeschlossen werden sollten. Und schließlich drängt sich die Frage auf, ob zu einem Archiv, das sich als „das elektronische Gedächtnis des Landes“ versteht; das den Anspruch hat, „diesen Schatz nicht nur zu bewahren, sondern zugänglich zu machen“; und das sich als „europäische Spitze, was Fernseharchiv und Aufarbeitung betrifft“30, begreift; ob zu einem solchen Archiv nicht auch Schüler_innen und Lehrer_innen, Vereine und NGOs, Künstler_innen und Journalist_innen und letzten Endes alle Interessierten Zugang haben sollten 26 ORF-Dokumentation & Archive: Benutzungshinweise Recherche-Station Institut für Zeitgeschichte, Juli 2011: 13. Siehe auch http://bibliothek.univie.ac.at/fb-zeit geschichte/ORF%20Benutzungshinweise%20201107.pdf (Stand: 15.6.2013) 27 ORF-Dokumentation & Archive: Benutzungshinweise Recherche-Station Institut für Zeitgeschichte, Juli 2011: 13. 28 Ebd. 29 Keilbach/Thiele 2003: 65. 30 So der amtierende Generaldirektor des ORF, Alexander Wrabetz, bei der Ein-JahresFeier der Recherche-Station am 9.3.2012 an der Universität Wien.

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– etwa im Rahmen solcher Computer-Zugänge in den (städtischen) Büchereien oder durch die Freigabe der Datenbank im Internet. Ein Blick hinaus: Internationale Fernsehforschung zu Repräsentationen des Nationalsozialismus Außerhalb Österreichs sind zu Darstellungen des Nationalsozialismus im Fernsehen weitaus systematischere Untersuchungen erschienen, auf deren Ergebnisse oder deren methodisches Vorgehen sich diese Studie zum Teil beziehen wird. Für Deutschland wäre das beispielsweise Christoph Classens quantitativ orientierte Analyse des Fernsehprogramms von 1955 bis 1965 anhand der Programmzeitschrift Hör Zu.31 Classen geht jedoch nur geringfügig auf die spezifischen audiovisuellen Darstellungen ein. Dasselbe gilt auch für Christiane Fritsches 2003 erschienene Untersuchung zum Umgang mit dem Nationalsozialismus im westdeutschen Fernsehen der 1950er und 1960er Jahre.32 Wulf Kansteiner hat sich im Rahmen seiner an den Cultural Studies orientierten Untersuchung von „History, Politics, and Television after Auschwitz“ unter anderem ebenfalls mit dem hier untersuchten Zeitraum vor 1970 (in Westdeutschland) auseinandergesetzt.33 Die Fernsehwissenschafterin Judith Keilbach setzt ihren Schwerpunkt auf die „formalästhetischen Verfahren“ des Geschichtsfernsehens34 und dabei insbesondere auf den Einsatz von visuellem Material und von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.35 Ziel ihrer Untersuchung ist es allerdings ausdrücklich nicht, das in den Sendungen generierte historische Wissen zu analysieren.36 Sabine Horn analysiert die Berichterstattung zum ersten Auschwitz-Prozess (1963-1965) und zum Majdanek-Prozess (1975-1981) im westdeutschen Fernsehen und anhand eines diachronen Vergleichs die Veränderung des televisuellen Umgangs mit NS-Prozessen.37 Von Leif Kramp erschien 2011 eine – weniger an spezifischen historischen Narrativen interessierte als sich an Diskursen und theoretischen Positionen zu Fernsehen und Geschichte/Gedächtnis/Erinnerung abarbeitende –

31 Classen 1999. 32 Fritsche 2003. 33 Kansteiner 2006. 34 Keilbach 2008: 20. 35 Zu Zeitzeug_innen im deutschen Fernsehen siehe auch Keilbach 2003, Keilbach 2007 und Bösch 2008. 36 Keilbach 2008: 28. 37 Horn 2009.

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zweibändige Studie, die an der Fernsehentwicklung und Fernseharchivpolitik in Deutschland und den USA orientiert ist.38 Weiters wurden grundlegende Aufsätze zu Teilbereichen des hier untersuchten Themas publiziert, wie von Knut Hickethier 2003 zur „Darstellung des Massenmordes an den Juden im Fernsehen der Bundesrepublik 1960 bis 1980“39, von Edgar Lersch und Reinhold Viehoff zur Entwicklung des deutschen Geschichtsfernsehens im Rahmen einer Untersuchung, die sich allerdings vor allem auf den Zeitraum 1995 bis 2003 konzentriert40, oder theoretische Positionen und inhaltliche Analysen in den Aufsätzen des von Eva Hohenberger und Judith Keilbach herausgegebenen Sammelbandes „Die Gegenwart der Vergangenheit. Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte“.41 Für den nicht-deutschsprachigen Kontext sei in aller Kürze auf fünf Publikationen verwiesen: Jeffrey Shandler veröffentlichte 1999 eine grundlegende Studie zu US-amerikanischer – wie er es nennt – „Holocaust television“. Er behandelt vor allem fiktionale Fernsehformate im Zeitraum 1945-1995; als Zäsuren in diesem Zeitraum setzt er den Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 und die Ausstrahlung der Miniserie Holocaust 1978.42 Als einen seiner Ausgangspunkte in der Beschäftigung mit dem Fernsehen nennt Shandler den Umstand, dass andere Medien, die sich mit der Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen beschäftig(t)en, (Geschichtsschreibung, Romane, Filme, bildende Künste etc.) zu Beginn des Zweiten Weltkrieges bereits über entwickelte ästhetische Konventionen verfügt hätten. „But when television first dealt with the Holocaust, the medium was itself new. Thus, television and Holocaust memory culture have, in some ways, a shared history.“43 Der Sammelband „History and the Media“ enthält verschiedene Auseinandersetzungen mit (britischem) Geschichtsfernsehen, teilweise verfasst von Akteur_innen des Fernsehens selbst.44 Der auf einem Forschungsprojekt basierende Sammelband „Televising History. Mediating the Past in Postwar Europe“ beinhaltet Analysen zu Fernsehproduktionen westeuropäischer Länder, die verschiedene Kriege zum Gegenstand haben, und konzentriert sich dabei auf Fernsehproduktionen nach 1990.45 Julie Maeck vergleicht in ihrer Analyse „Montrer la Shoah à la télévision, de 1960 à nos jours“ die Thematisie38 Kramp 2011. 39 Hickethier 2003. 40 Lersch/Viehoff 2007: 49-59. 41 Hohenberger/Keilbach 2003. 42 Vgl. Shandler 1999. 43 Shandler 1999: XVII. 44 Cannadine 2004. 45 Bell/Gray 2010.

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rung der Ermordung von Juden und Jüdinnen im französischen und (bundes-)deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen und im französisch-deutschen Kanal Arte 1960-2000 anhand dokumentarischer Sendungen.46 Emiliano Perra untersucht Debatten zum Holocaust in Italien seit 1945 anhand der printmedialen Rezeption von Filmen und Fernsehproduktionen zum Thema47. Nicht explizit zu televisuellen Darstellungen, aber zu Fragen der Repräsentation sind in den letzten beiden Jahrzehnten eine Vielzahl gendertheoretisch fundierter Analysen von Darstellungen des Nationalsozialismus erschienen.48 Geschlechtlich codierten Symbolisierungen und Metaphern kommen entscheidende Funktionen in visuellen und narrativen Darstellungen von (NS-)Geschichte zu. Einzelne Untersuchungen beschreiben Phänomene der „Feminisierung des Faschismus“49 wie auch der „Infantilisierung und Feminisierung der Opfer und die damit einhergehende Hyper-Maskulinisierung und daher Depersonalisierung der Täter“50 als jeweils eigene Strategien der Entschuldung oder Entlastung. Ein weiterer Effekt der Verwendung von Geschlechterbildern in historischen Darstellungen kann, so Silke Wenk und Insa Eschebach, die „Naturalisierung von Geschichte“ sein.51 In Bezug auf die Konstruktion von Nationen nehmen geschlechtlich definierte Körper, darauf weist Nira Yuval-Davis hin, zentrale Positionen als „territories, markers and reproducers of the narratives of nations and other collectivities“ ein.52 In den hier kurz angerissenen internationalen Forschungszusammenhängen zu audiovisuellen Medien, Repräsentationen von Nationalsozialismus und Shoah und Geschlecht ist die vorliegende Publikation methodisch-theoretisch verortet.

46 Maeck 2009. 47 Perra 2010. 48 Siehe Eschebach/Jacobeit/Wenk 2002, Weckel/Wolfrum 2003, A.G. GENDER KILLER 2005, Paver 2007; die Aufsätze Hirsch/Spitzer 1993, Doneson 1997, Kramer 2003b, Weckel 2005 und einzelne Beiträge in: Zelizer 2001, Hoenes/Kochius/Mühr/ Ellwanger/Wenk 2005, Gehmacher/Hauch 2007, Apfelthaler/Köhne 2007, Schraut/ Paletschek 2008, Frietsch/Herkommer 2009. 49 Rogoff 1993, Hoffmann-Curtius 1996. 50 Hirsch 2002: 206. 51 Wenk/Eschebach 2002: 22. 52 Yuval-Davis 1997: 39.

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Forschungsfragen und methodisch-theoretische Herangehensweise Wenn wir annehmen, dass sich die formale Gestaltung von Geschichtsfernsehen auch auf Erklärungsmodelle von Geschichte auswirkt, wie das etwa Judith Keilbach beschrieben hat53, und dass diese formalen Elemente, wie Monika Bernold bemerkt, „nicht nur mit dem jeweiligen dominanten vergangenheitspolitischen Diskurs, sondern immer auch mit der jeweiligen medienhistorischen Entwicklung zu tun“54 hatten; wie könnte eine Analyse von Geschichtsfernsehen aussehen, die beides miteinbezieht: die geschichtspolitischen Diskurse und die (historischen) Logiken des Fernsehens? In der Auseinandersetzung mit Geschichtsfernsehen sind für mich zwei Vorannahmen grundlegend. Erstens, dass die Rekonstruktion von Geschichte immer auf Medien angewiesen ist und diesen somit auch eine produktive Dimension zukommt, wie Eva Hohenberger und Judith Keilbach argumentieren55, beziehungsweise wie es Wulf Kansteiner formuliert, der schreibt, dass „[media] neither simply reflect nor determine collective memory but are inextricably involved in its construction and evolution“.56 Und zweitens, dass Geschlecht ein „bestimmendes, wenn auch verstecktes Idiom der Erinnerung“57 darstellt. Bisher gibt es wenige konkrete Thesenbildungen zu Geschlechtercodes in österreichischen Geschichtsdarstellungen und Selbstbildern. In einer Untersuchung von ÖsterreichRepräsentationen nach 1945 spricht Siegfried Mattl von einer „Effeminierung“ des „Selbstverständnis[ses] der Österreicher“.58 Für diese These der diskursiven Feminisierung der österreichischen Bevölkerung spricht auch die Nachkriegsformulierung von der „Vergewaltigung Österreichs“.59 Cathrin Hermann stellt in ihrer Dissertation über Widerstandsforschung und -historiographie seit 1945 eine Unterrepräsentanz von Frauen fest,60 eine These, die auch von Kathrin Hoffmann-Curtius‘ Analyse des 1948 errichteten „Denkmals für die Opfer der Stadt Wien“ gestützt wird – Trauer ist weiblich, die „‚sieghafte[...] Gestalt der Befrei-

53 Keilbach 2008: 240. 54 Bernold 2007b: 146f. 55 Hohenberger/Keilbach 2003: 17. 56 Kansteiner 2006: 25. 57 Hirsch 2002: 206. 58 Mattl 1996b: 500. 59 Wassermann 2000: 19. 60 Hermann 2011.

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ung‘“ männlich konnotiert.61 Der Blick auf Geschlechtercodierungen in den audiovisuellen Produktionen, aber auch in den Diskursen um das Medium Fernsehen, stellt somit ein zentrales Analyseinstrument und Forschungsinteresse dar. Der im Titel dieser Publikation zentral gesetzte Begriff der „Geschichtspolitiken“ hat bisher sehr unterschiedliche Definitionen und Verwendungen erfahren. Nach Edgar Wolfrum bezeichnet „Geschichtspolitik“ ein „Handlungs- und Politikfeld, auf dem verschiedene Akteure Geschichte mit ihren spezifischen Interessen befrachten und politisch zu nutzen suchen“.62 Wolfrum grenzt „Geschichtspolitik“ von „Vergangenheitspolitik“ ab, die „vornehmlich praktischpolitische Maßnahmen bezeichnet“63, wohingegen mit dem Begriff der „Geschichtspolitik“ die „öffentlichen Konstruktionen von Geschichts- und Identitätsbildern, die sich über Rituale und Diskurse vollziehen“64, in den Blick geraten würden. Claus Leggewies und Erik Meyers Begriff von „Geschichtspolitik“ basiert auf einem sehr engen Politikbegriff: „Politik wird üblicherweise definiert als die verbindliche Durchsetzung kollektiver Entscheidungen.“65 Ausgehend davon verstehen sie „Geschichtspolitiken“ als „jedes politische Handeln, das sich deutend auf die (vor allem jüngere) Geschichte eines politischen Gemeinswesens bezieht und dazu verbindliche Entscheidungen trifft; sie kann näher unterteilt werden in die Bereiche politische Kommunikation, staatliches Handeln und soziale Mobilisierung.“66 Aleida Assmann betont, dass der Begriff der „Geschichtspolitiken“ gegenüber dem der „Erinnerungskultur“ oft negativ bewertet werde, da er „mit einer top down verordneten und gewaltsam homogenisierenden Form des Erinnerns gleichgesetzt“67 werde und ihm der Geschmack der Instrumentalisierung anhafte. Demgegenüber führt Assmann das Argument an, dass es „keine kollektive Erinnerung ohne Instrumentalisierung gäbe“.68 Gegenüber diesen Verwendungen des Begriffs existieren einige hegemonietheoretisch angeleitete Konzeptualisierungen69, auf die ich mich theoretisch beziehe und deren Konzepte sich in Hinblick auf eine Theoretisierung von Geschichtspolitiken und Medien ergiebiger zeigen. Während bei Edgar Wolfrum 61 Hoffmann-Curtius 2002: 380f. 62 Wolfrum 1999: 25. 63 Wolfrum 1999: 32. 64 Wolfrum 1999: 32. 65 Leggewie/Meyer 2005: 14. 66 Leggewie/Meyer 2005: 14f. 67 Assmann 2006: 274. 68 Assmann bezieht sich in diesem Argument auf Peter Novick. Assmann 2006: 274f. 69 Vgl. Sandner 2001, Molden 2011. Vgl. auch Marchart 2005, der jedoch hier nicht den Begriff der „Geschichtspolitiken“, sondern den des „Gedächtnisses“ zentral setzt.

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den Medien die Rolle der „Vermittlung“70 zukommt, sind diese in der hegemonietheoretisch angeleiteten Konzeption von Günther Sandner auch als geschichtspolitische Akteure gefasst. Günther Sandner schlägt vor, Geschichtspolitiken auf funktionaler wie auf intentionaler Ebene zu analysieren. Dies ermögliche eine Untersuchung von Funktionen wie „Traditionsstiftung und Kontinuität“, „Legitimierung – Delegitimierung“, „(kollektive) Identität“, „Antizipation – Emanzipation“ und „(nationale und/oder soziale) Integration“71; in der Analyse der intentionalen Ebene werde es auf diese Weise außerdem möglich, den Blick auf die Akteur_innen zu richten. Die Akteur_innen verfolgen je eigene Interessen, denen sie mittels verschiedener Strategien nachzukommen versuchen.72 „Erinnerungsmedien“ nennt Sandner zum einen den Ort, „an dem sich „geschichtspolitische Konflikte“ „materialisieren [….] und artikulieren“73; zum anderen werden „Massenmedien“ explizit als geschichtspolitische Akteur_innen erfasst74. Die Spannung zwischen dem Fernsehen als Ort der Aushandlung oder des Kampfes um geschichtspolitische Deutungsmacht und dem Fernsehen als geschichtspolitischem Akteur strukturiert auch den vorliegenden Text. Mit John Hartley lässt sich die Art der Autorschaft, die das frühe Fernsehen gegenüber den von ihm produzierten geschichtspolitischen Bedeutungen einnimmt, als „redactional form of authorship“ bezeichnen.75 Hartley betont, dass diese vom Print-Journalismus übernommene Funktion des Bearbeitens vorhandenen Inhalts mehr sei als bloßes „editing“: „Redaction is a form of production not reduction of text.“76 Auch seien wesentliche geschichtspolitische Akteur_innen des Fernsehens die Zuschauer_innen: Bedeutung werde (nicht) zuletzt im Rezeptionsprozess hergestellt.77 Den Vorstellungen vom Fernsehpublikum, verschiedenen Gebrauchsweisen und möglichen Bedeutungsproduktionen in der Rezeption werde ich mich über (gedruckte) zeitgenössische Quellen annähern. Trotz dieser auch analytischen Beachtung der Akteur_innen von Geschichtspolitiken handelt es sich bei der vorliegenden Publikation um keine biographisch orientierte Arbeit. Wie von Judith Keilbach und Matthias Thiele in ihren Überle70 Vgl. Wolfrum 1999: 29: „Bei Geschichtspolitik handelt es sich um einen öffentlichen und massenmedial vermittelten Prozeß“. 71 Sandner 2001: 7-10. 72 Sandner 2001: 11. 73 Sandner 2001: 10. 74 Sandner 2001: 12. 75 Hartley 2008: 113. 76 Hartley 2008: 112. 77 Vgl. Hall 1996 [1973].

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gungen zu einer experimentellen Fernsehgeschichte vorgeschlagen, werden „einzelne Personen, die Geräte erfunden, Rundfunkanstalten geleitet, Programmphilosophien verantwortet oder Sendungen produziert haben, für die experimentelle Fernsehgeschichte lediglich ein Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit Strukturen und Prozessen“78 sein. Wo es mir nötig erschien, sind einzelne handelnde Personen kurz biographisch kontextualisiert; grundsätzlich liegt mein Interesse an Diskursen, audiovisuellen Strategien und den (vom Dispositiv hervorgebrachten) Subjekt- und Sprechpositionen. Von einigen Fernsehtheoretiker_innen und -historiker_innen gibt es Vorschläge, das Konzept des „Dispositivs“ für die Fernsehforschung nutzbar zu machen.79 So betont Monika Bernold: „Fernsehen [...] als dispositive Anordnung zu verstehen macht es möglich, oft getrennt besprochene Bereiche wie Wahrnehmungs-, Gebrauchs- und Rezeptionsweisen, technologische, ökonomische und institutionelle Rahmenbedingungen und Diskurse wie auch die Formen der televisuellen Repräsentation (Programme, Formate, Stile u.a.) zusammen zu denken.“80

Mit dem Begriff des Dispositivs gelinge es außerdem, so Bernold, „Fernsehen immer in einem Feld von Machtkonstellationen [...], in denen es sich artikuliert, die es aber auch mitproduziert und verändert“ 81, zu situieren. Auch Knut Hickethier betont die „Machtaspekte in der Fernsehkommunikation“82 und weist darauf hin, dass das „Dispositiv Fernsehen“ historisch veränderbar sei und dass „sich in seiner Geschichte verschiedene dispositive Strukturen herausgebildet haben“.83 Dass es durch Anwendung des Dispositiv-Begriffes möglich werde, mediale Bedeutungsproduktion im Zusammenspiel von „Form und Inhalt“ zu sehen, hat Vrääth Öhner herausgearbeitet. So verändere sich, so Öhner, „die Bedeutung jeder Aussage wenn sie in einer Zeitung, im Kino, im Fernsehen, auf einem Computerbildschirm oder sonstwo erscheint. Das Dispositiv erlaubt gerade, die Beziehung von Technik und Ideologie oder Wissen und Macht innerhalb eines bestimmten Präsentationsraums, einer bestimmten sozialen Praktik zu be-

78 Keilbach/Thiele 2003: 66. 79 Siehe z.B. Öhner 1993, Hickethier 1995, Bernold 2001, Keilbach/Thiele 2003: 71. 80 Bernold 2001: 16. 81 Bernold 2001: 16. 82 Hickethier 1995: 69. 83 Hickethier 1995: 64.

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greifen. Es negiert die Trennung von Form und Inhalt, oder, wie im Falle technischer Medien, jene von Technik und wahrnehmbarer Bedeutung.“84 Michel Foucault bezeichnet als Dispositiv die Verbindungen, „das Netz“ zwischen verschiedenen Elementen, die „Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes“ umfassen würden.85 Spezifische Diskurse könnten als verschiedene Elemente auftauchen: „So kann dieser oder jener Diskurs bald als Programm einer Institution erscheinen, bald im Gegenteil als ein Element, das es erlaubt, eine Praktik zu rechtfertigen und zu maskieren, die ihrerseits stumm bleibt.“86 Drittens sagt Foucault über das Dispositiv, dass seine „Hauptfunktion zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand (urgence) zu antworten. Das Dispositiv hat also eine vorwiegend strategische Funktion.“87 Geschichtspolitiken in eine Konzeptualisierung des Mediums Fernsehen als Dispositiv einzuschreiben bedeutet demnach auch, geschichtspolitische Strategien und Bedeutungsproduktionen an vielen Orten festzustellen: in Programmierungen, Geschichtsdokumentationen, Übertragungen von Gedenkveranstaltungen und Berichten zu NS-Prozessen ebenso wie in Entscheidungen für oder gegen bestimmte Repräsentationsformen, in erwünschten Anordnungen und Gebrauchsweisen des Publikums und nicht zuletzt in dem, was ungesagt bleibt. Die Frage nach dem „Handlungsbedarf“ zu stellen (eine weitere mögliche Übersetzung für „urgence“), auf den das Dispositiv antwortet, bedeutet auch, Legitimierungen des Geschichtsfernsehens und Konstruktionen von Handlungsbedarf in Forderungen nach entsprechenden Sendungen aufzuspüren.88 Nicht zuletzt soll durch den Bezug auf den Dispositiv-Begriff im folgenden Text versucht werden, Perspektiven der Institutionengeschichte, Technikgeschichte, Programmgeschichte, Genregeschichte, Rezeptionsgeschichte und Repräsentationsgeschichte des Fernsehens miteinander zu verschränken.89

84 Öhner 1993: 34. 85 Foucault 1978: 119f. 86 Foucault 1978: 120. 87 Foucault 1978: 120. (Hervorh. im Orig.) 88 Andrea Bührmann und Werner Schneider veröffentlichten 2008 das Buch „Vom Diskurs zum Dispositiv. Eine Einführung in die Dispositivanalyse“ (Bührmann/Schneider 2008). Bührmann und Schneider fassen darin grundlegende theoretische Grundgerüste des Dispositivbegriffs zusammen und versuchen, diesen methodisch nutzbar zu machen. Die entwickelten Methoden zur Dispositivanalyse sind jedoch stark sozialwissenschaftlich orientiert, weswegen sie in diese Publikation keinen Eingang gefunden haben. 89 Vgl. auch Bleicher 2003: 18f.

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Im ersten Kapitel meiner Studie stelle ich die Frage nach den diskursiven Verortungen des sich herausbildenden Geschichtsfernsehens. John Ellis beschreibt, dass in der „era of scarcity” („Periode des Mangels”90) „television’s basic pattern of genres was developed, along with its significant regional variants”91. Von dieser Einschätzung ausgehend lassen sich folgende Fragen stellen: Mit welchen Diskursen verknüpfte sich die Forderung nach und die Entwicklung des (dokumentarischen) Geschichtsfernsehen/s in Österreich, und welche Vorstellungen des Verhältnisses von Medium und Zuschauer_innen92 waren diesen eingeschrieben? Wie wurden Fernsehen, Publikum und die Gebrauchsweisen des Fernsehens geschlechtlich codiert? Diesen Fragen soll vor allem anhand zeitgenössischer Texte zum Fernsehen nachgegangen werden. Im zweiten Kapitel werden spezifische Handlungsfelder (in) der Fernsehanstalt rekonstruiert. Hier stellt sich zum einen die Frage nach den Programmierungen: In welchen Sendungen und Formaten wurde Nationalsozialismus auf der Ebene des Programms thematisiert, das sich, wie Monika Bernold gezeigt hat, in den 1960er Jahren in einer „Periode des Übergangs“93 von einem Programm mit Pausen zwischen den einzelnen Blöcken hin zum von Raymond Williams94 beschriebenen, einflussreichen Konzept des „flow“, zum ununterbrochenen Senden, befand? Auf einer anderen zeitlichen Ebene stellt sich die Frage nach den Programmierungen an bestimmten historischen Jubiläen und Gedenkdaten: Wie verhielt sich die Fernsehanstalt zu offiziellen Veranstaltungen, und in welchen Momenten entschloss sie sich zu (welchen) Eigenproduktionen? Weiters werde ich Kooperationen untersuchen, die der ORF oder von ihm beauftragte Sendungsgestalter_innen in Bezug auf das Geschichtsfernsehen mit wissenschaftlichen Institutionen eingingen, insbesondere mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Anhand der sogenannten Affäre Borodajkewycz gehe ich schließlich der Frage nach, welche Funktionen das Fernsehen in einem aktuellen geschichtspolitischen Konflikt hatte. Teil des zweiten Kapitels sind außerdem kur90 Bernold 2001: 17; Öhner 2005: 133f. 91 Ellis 2002: 57. 92 Die Fernsehtheoretikerin Ien Ang beschreibt beispielsweise, dass für das öffentlichrechtliche Fernsehen weniger eine Vorstellung des „Publikums-als-Markt“ denn „alsÖffentlichkeit“ grundlegend sei, das „nicht aus VerbraucherInnen, sondern aus BürgerInnen, die informiert, erzogen, verändert und auch unterhalten werden müssen [besteht]. Kurz, ihnen muss so gedient werden, dass sie ihre demokratischen Rechte und Pflichten besser wahrnehmen können.“ Ang 2001 [1991]: 468f. 93 Bernold 2007a: 102 94 Williams 2001 [1975].

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ze Beschreibungen derjenigen dokumentarischen Sendungen, die im letzten Kapitel analysiert werden, und der dazugehörigen Rezeptionen. Günter Riederer warnt davor, in geschichtswissenschaftlichen Analysen audiovisueller Erzeugnisse auf die Bilder zu vergessen. Er betont, dass die historische Analyse in Bezug auf die Erforschung des Kontextes von Filmen auf viele Quellen hingewiesen habe: „Filmkritiken, Lebenserinnerungen, Polizeiberichte, Zensurkarten, gleichzeitig entstandene Romane, Gedichte und Theaterstücke oder illustrierte Zeitschriften. Das Problem, das sich dabei stellt, ist offenkundig: Es besteht die Gefahr, den eigentlichen Untersuchungsgegenstand aus den Augen zu verlieren und eine ‚Filmgeschichte ohne Bilder‘ zu schreiben.“95

Das umfangreichste und dritte Kapitel ist der Analyse des audiovisuellen Materials gewidmet. Anhand einer analytischen Trennung nach formalen Kriterien (verbale Narration/Voice-Over, Archivfotos, Archivfilm, Zeitzeug_innen, Ton und fiktionale Elemente) und auf Basis detaillierter Transkriptionen96 des audiovisuellen Materials analysiere ich die Verfahren des dokumentarischen Geschichtsfernsehens. Die Sendungen sollen anhand bereits existierender geschichtswissenschaftlicher Forschungen an geschichtspolitische Diskurse rückgebunden werden, und gleichzeitig sollen die spezifischen audiovisuellen Strategien als geschichtspolitische begriffen werden. Das dokumentarische Geschichtsfernsehen entsteht nicht aus dem Nichts; es knüpft in seinen visuellen Darstellungen an bereits existierende Genres wie den historischen Dokumentarfilm97, den Kulturfilm oder die Wochenschau an und greift in seiner Bildauswahl auf bestehende Bildrepertoires (Fotografie oder Film) zurück beziehungsweise steht mit diesen in einer Wechselwirkung. Dementsprechend beziehe ich mich auch auf Forschungsliteratur zu anderen Medien. Eine grundlegende Analysekategorie ist hier, wie schon angesprochen, die Kategorie Geschlecht: Insbesondere soll der Frage nach Geschlechterbildern in den Repräsentationen des Nationalsozialismus und deren geschichtspolitischen Funktionen nachgegangen werden. Thematisch ist die Analyse auf zwei sich überschneidende Fragestellungen fokussiert: Auf die der Darstellung von Handlungsmöglichkeiten im und gegen das 95 Riederer 2003: 27. 96 Die in tabellarischer Form verfassten Transkriptionen der Sendungen umfassen 1) Timecode, 2) Beschreibung der Bildebene, 3) Tonebene 1 (gesprochener Text), 4) Tonebene 2 (Hintergrundgeräusche, Musik) und 5) Anmerkungen/Notizen der Verfasserin. 97 Vgl. Lersch/Viehoff 2007: 50.

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NS-Regime und auf die der Repräsentation der Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen. (Audio-/Visuelle) Repräsentationen der Shoah sind Gegenstand eines internationalen interdisziplinären Forschungsfeldes geworden, das vor allem die Medien-, Film- und Geschichtswissenschaften verhandeln.98 Das mag mit einer Weiterführung der Debatten um Darstellungsformen zusammenhängen, wie sie nach dem Erfolg von Schindler’s List (USA 1993, Regie: Steven Spielberg)99 oder ein paar Jahre später anlässlich des Filmes La vita è bella (Italien 1997, Regie: Roberto Benigni) geführt wurden, ist aber auch Ausdruck einer durch die globale Verbreitung medialer Produktionen ermöglichten und angestoßenen Globalisierung von geschichtspolitischen Diskursen.100 Im Zusammenhang mit der Verfügbarmachung historischen Filmmaterials zur Shoah ist das im 1993 gegründeten US Holocaust Memorial Museum untergebrachte Steven Spielberg Film and Video Archive zu nennen, das umfangreiches historisches Filmmaterial sammelt und auch online zugänglich macht.101 Als Referenzwerke, die den filmwissenschaftlichen Teil der Debatte strukturieren, können Nuit et Brouillard (F 1955, Regie: Alain Resnais), Shoah (F 1985, Regie: Claude Lanzmann) und Schindler’s List (USA 1993, Regie: Steven Spielberg) gelten. Fernsehhistorisch bedeutsam ist die vierteilige Miniserie Holocaust (USA 1978, NBC, Regie: Marvin J. Chomsky). Die Ausstrahlung der Serie in Österreich 1979 bedeutete, so Oliver Marchart, Vrääth Öhner und Heidemarie Uhl, eine „Intervention […] in den narrativen Haushalt des nationalen Gedächtnisses“.102 So wurden zwar im Jahr davor, anlässlich des März-Gedenkens 1978, auch kritische Standpunkte etabliert; diese richteten sich aber hauptsächlich gegen den Konsens der „‚geteilte[n] Schuld‘ der politischen Lager am Scheitern der Ersten Republik“.103 Die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden wurde 1978 nur marginal thematisiert.104 98

Siehe z.B. Young 1997 [1988], Zelizer 2001, Kramer 2003a; Hirsch/Kacandes 2004, Haggith/Newman 2005, Stephan/Tacke 2007, Ebbrecht 2011, Bruns/Dardan/ Dietrich 2012, Keitz/Weber 2013 und einzelne Beiträge in Bartl/Hoenes/Mühr/ Wienand 2011. Vgl. auch die Debatte um dokumentarische/fotografische Darstellungen des Massenmordes an Jüdinnen und Juden und deren Implikationen in Bezug auf Didi-Huberman 2007.

99

Vgl. Loshitzky 1997, Elsaesser 1996, Koch 1999.

100 Vgl. auch Levy/Sznaider 2007 [2001]. 101 http://www.ushmm.org/research/collections/filmvideo/ (Stand: 15.6.2013) 102 Marchart/Öhner/Uhl 2003: 317; vgl. auch Uhl 2003. 103 Marchart/Öhner/Uhl 2003: 322. 104 Marchart/Öhner/Uhl 2003: 320.

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Eine sich daraus ergebende Fragestellung an den Zeitraum 1955-1970, der zur Gänze vor dieser konstatierten „Intervention“ liegt, ist, ob und wie die Shoah auch im frühen Fernsehen marginalisiert wurde und ob es Momente gewollter oder nicht gewollter bzw. geglückter oder nicht geglückter Intervention gab. Die Thesenbildungen zum audiovisuellen Material müssen dabei die Historizität der Entstehungs- und Rezeptionskontexte der Sendungen berücksichtigen, die in einem Zeitraum entstanden, der unter anderem vor einer systematischen Beschäftigung der Geschichtswissenschaften mit Oral History und lebensgeschichtlichen Erzählungen sowie mit Gedenkkulturen und Gedächtnis liegt. Untersuchungszeitraum 1955-1970 Der Untersuchungszeitraum 1955-1970 ist einerseits durch die Unterzeichnung des Staatsvertrages, das Ende der alliierten Verwaltung in Österreich und die Aufnahme des Fernsehbetriebs des Österreichischen Rundfunks und andererseits durch den Antritt der ersten SPÖ-Minderheitsregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky mit Unterstützung der FPÖ begrenzt. Politisch bestanden in diesem Zeitraum bis 1966 große Koalitionsregierungen von ÖVP und SPÖ unter Kanzlerschaft der ÖVP (Julius Raab: 1953-1956, 1956-1959, 1959-1960; Alfons Gorbach: 1961-1963, 1963-1964; Josef Klaus: 1964-1966), gefolgt von einer ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus (1966-1970). Im Sinne einer Kritik an der „nationale[n] Perspektivierung“105 von Fernsehgeschichtsschreibungen soll der Fokus der Untersuchung auf das österreichische Fernsehen weder Homogenität noch Abgeschlossenheit des untersuchten Raums signalisieren: Vielmehr wird die Frage nach dem Konstruktionsprozess von (österreichischer) Nation im und durch das (Geschichts-)Fernsehen zentral gesetzt.106 Darüber hinaus lassen sich, wie ich zeigen werde, auf allen untersuchten Ebenen des Mediums transnationale Austauschprozesse nachvollziehen. In der Geschichte des österreichischen Fernsehens markiert der Zeitraum 1955-1970 die (Neu-107)Gründung als „Staatsbetrieb“108 und die Ausbreitung des Mediums. In die gleiche Periode fällt die auf das Rundfunkvolksbegehren 1964 gefolgte Rundfunkreform 1967, der oft die Qualität einer Zäsur in der Geschich105 Keilbach/Thiele 2003: 67. 106 Zu österreichischen Nationskonstruktionen in den 1960er und 1970er Jahren in Zusammenhang mit Geschichtspolitiken siehe Gehmacher 2007a. 107 Zur Vorstellung der Fernsehtechnologie auf der Wiener Herbstmesse 1938 siehe Bernold 2007a: 68; zum Fernsehen im NS-Regime siehe Zielinski 1989: 146-171. Kurz auch: Steinmaurer 2009: 20f. 108 Mattl 1996a: 35.

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te des ORF zugeschrieben wird.109 Bezüglich des Programmumfanges ist eine Ausdehnung festzustellen: Nach einer kontinuierlichen Zunahme der gesendeten Stunden in den ersten Jahren wurde ab Herbst 1961 an drei Tagen in der Woche ein zweites Programm als „Technisches Versuchsprogramm“110 eingeführt; bis Ende der 1960er Jahre erhöhte sich die Anzahl der täglich gesendeten Stunden auf beiden Programmen weiter. Mit der Rundfunkreform 1967 ging auch eine Programmreform einher, und das nunmehr „Zweite Programm“ wurde ausgebaut.111 Auch die Verbreitung des Mediums stieg, Bernold spricht von drei Phasen der Verbreitung: Der „Frühphase der Popularisierung“112 1955-1959, in der das Fernsehen überwiegend in Elektrofachgeschäften oder (wie im Eingangszitat vom Herrn Karl beschrieben) in Gaststätten präsent und rezipierbar war; der „Vorbereitungsphase zur eigentlichen Periode des Übergangs des Fernsehapparats vom Luxusgegenstand zum Alltagsgegenstand“113 1960-1963/64 und der „Phase der eigentlichen breiten Ausstattung der österreichischen Haushalte mit Fernsehgeräten“114 1964/65-1968/69. 1969 startete das Farbfernsehen in Österreich, die Entscheidung für das System PAL (statt SECAM) war vor allem eine außenpolitische. SECAM wurde von Frankreich, der Sowjetunion und in Osteuropa verwendet, „für das deutsche ‚Pal‘-Patent erwärmte sich der Rest des Kontinents.“115 Die Etablierung und Expandierung des Mediums Fernsehen bedeutete im Zusammenhang mit Geschichtsdarstellungen eine allmähliche Ausdifferenzierung der Formate, aber auch das Experimentieren mit neuen Formen. Im Kontext offizieller Feiern und Jahrestage begann das Fernsehen Mitte der 1960er Jahre Funktionen zu übernehmen, die bis dahin dem Radio vorbehalten waren, wie Direktübertragungen von Festakten. Als international bedeutsames Ereignis des Zeitraums 1955-1970 im Kontext der Aufarbeitung von NS-Vergangenheit gilt der Prozess gegen Adolf Eich109 Zu dieser Zuschreibung siehe Bernold 1997: 16f. Siehe auch Kapitel 1.1. 110 Rest 1988: 276. 111 Rest 1988: 282-286. Die Ausstrahlung ist nicht gleichbedeutend mit der Empfangsmöglichkeit; so war das (zweite) „Technische Versuchsprogramm“ anfangs nur im Raum Wien und Umgebung empfangbar. Rest 1988: 276. Zum sukzessiven Senderausbau und diesen begleitende Diskurse der Nationalstaatlichkeit siehe Bernold 2007a: 27-35. 112 Bernold 2007a: 61. 113 Bernold 2007a: 63. 114 Bernold 2007a: 66. 115 Hör Zu 8/1967: 15.

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mann. Der 1961 in Israel geführte Prozess wurde in Österreich allerdings laut Heidemarie Uhl kaum rezipiert116, im ORF-Fernseharchiv lassen sich um die fünfzehn zeitgenössische Nachrichtenbeiträge in der Zeit im Bild (ZIB) zum Prozess recherchieren.117 Als Zeichen verstärkter öffentlicher Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Österreich können die Gründungen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (1963) und des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien (1966) gelesen werden. Die bisherige zeitgeschichtliche Forschung zur Frage des Umgangs mit österreichischer NSVergangenheit in den 1960er Jahren konzentriert sich hauptsächlich auf die sogenannte Affäre Borodajkewycz.118 Dieser Affäre bzw. ihren Kontexten und Auswirkungen im Jahr 1965 wurde wiederholt die Qualität eines „Wandel[s] der offiziellen österreichischen Gedächtniskultur“ zugeschrieben.119 So seien sowohl der Wahlsieg von Franz Jonas bei der Bundespräsidentschaftswahl 1965 im Zusammenhang mit seiner Teilnahme am Staatsbegräbnis des während einer Demonstration gegen Taras Borodajkewycz getöteten Ernst Kirchweger120 als auch die Errichtung der Gedenkstätte im Burgtor für die „Opfer im Kampfe für Österreichs Freiheit“ als „Zeichensetzung“ zu verstehen. Diese, so Heidemarie Uhl, markiere „das Ende jener Phase, in der die Formulierung des Geschichtsbildes auch auf bundespolitischer Ebene weitestgehend vom Entgegenkommen gegenüber den ehemaligen NationalsozialistInnen geprägt war“ und diene gleichzeitig als „Erneuerung des Konsenses der politischen Eliten beider Großparteien […] über das Geschichtsverständnis der Opferthese in ihrer antinazistischen Variante“.121 Demgegenüber sei, wie Oliver Marchart anmerkt, das „große Tabu“ der Gedächtnispolitik der frühen Zweiten Republik nicht der (in der öffentlichen Wahrnehmung absente) Nationalsozialismus gewesen, sondern Bürgerkrieg und 116 Uhl 2005b: 65. 117 Meines Wissens gibt es zur österreichischen Fernsehberichterstattung zum Eichmann-Prozess wie zu anderen NS-Prozessen der 1960er Jahre (noch) keine systematischen Untersuchungen, wohl unter anderem aufgrund der dargelegten problematischen Archivsituation. Im Oktober 2006 fand im Filmmuseum in Wien die von Siegfried Mattl und Drehli Robnik konzipierte Tagung Prozess/Beobachter: FilmBilder und Fern-Sehen: NS-Verbrechen vor Gericht statt, die sich mit Fragen der filmischen und televisuellen Re-/Inszenzierungen von und in NS-Prozessen beschäftigte. 118 Siehe dazu Kapitel 2.3. 119 Gerbel 2005: 87. 120 Das Begräbnis Ernst Kirchwegers fiel in die Periode des Wahlkampfes zur Bundespräsidentschaftswahl 1965. 121 Uhl 2005b: 67.

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Austrofaschismus, die für ein Gelingen der sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit der Zweiten Republik verworfen werden mussten.122 Die vorliegende Studie untersucht nun vor dem Hintergrund existierender geschichtswissenschaftlicher Forschungen und Thesenbildungen zu österreichischen Geschichtspolitiken 1955-1970 die bisher vernachlässigte Perspektive des Mediums Fernsehen. Damit möchte ich auch einen differenzierten und differenzierenden Blick auf mediale Geschichtspolitiken werfen. Ich werde zeigen, dass es weitaus mehr Sendungen als den Herrn Karl gab und somit nicht grundsätzlich von einem Schweigen über Nationalsozialismus und Shoah im Fernsehen gesprochen werden kann. Davon ausgehend muss sich die Untersuchung darauf konzentrieren herauszuarbeiten, welche geschichtspolitischen Bedeutungen wie und von wem produziert werden, wann sie sich an offizielle oder parteipolitische Geschichtsnarrative halten und wann sie diesen widersprechen. Eine Untersuchung der ersten eineinhalb Jahrzehnte des österreichischen Fernsehens soll so auch einer homogenisierenden Sichtweise auf Geschichtspolitiken widersprechen und die vielen an der Produktion von historischen Narrativen beteiligten Stimmen – damals wie heute – hervorheben. Vorbemerkungen Einige Kapitel und Textteile sind überarbeitete Versionen bereits publizierter Aufsätze. So beruht das Kapitel zu Zeitzeug_innen (3.5) nahezu vollständig auf zwei bereits veröffentlichten Texten123, und einige methodische Überlegungen und weitere Textteile wurden in Ansätzen bereits in drei früheren Artikeln publiziert.124 Die Untersuchung beinhaltet keine quantitative Auswertung derjenigen Fernsehsendungen, die Nationalsozialismus thematisieren. Eine solche Auswertung, wie sie beispielsweise Christoph Classen auf Grundlage der Programmankündigungen in der Zeitschrift Hör Zu für das Fernsehen der BRD vorgenommen hat125, erachte ich aus mehreren Gründen für diese Analyse des österreichischen Fernsehens nicht für sinnvoll: Erstens stünde eine quantitative Analyse der Fernsehprogrammzeitschriften vor dem Problem, dass nur auf Grundlage der Sendungstitel und der rudimentären inhaltlichen Informationen in den Fernsehzeitschriften keine genaue Aussage darüber getroffen werden kann, ob 122 Marchart 2005: 38. 123 Winter 2009 und Winter 2012. 124 Winter 2008a, Winter 2008b und Winter 2010. 125 Classen 1999, zu Hör Zu als Quellenbasis siehe ebd. 13. Sabine Horn problematisiert Classens methodischen Zugang detailliert (Horn 2009: 40-42).

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sich die Sendungen mit Nationalsozialismus (bzw. welchen Teilaspekten davon) auseinandersetzen (das gilt insbesondere für Reihen und aktuelle Sendungen). Hier ist zum Beispiel die Sendereihe Erinnern Sie sich noch? von Ernst Hagen und Gerhard Bronner zu nennen. Das kabarettistische Format bot von 24.9.1965 bis 1.8.1968 in 22 Folgen ausgehend von Interviews mit prominenten Personen sowie Archivfilmmaterial einen humoristischen Zugang zu nicht näher spezifizierten geschichtlichen Ereignissen. Aus den Informationen der Programmzeitschrift Hör Zu ist nur in Ausnahmefällen ersichtlich, welche Themen besprochen werden. Nationalsozialismus stellt jedoch ein in den Interviews wiederkehrendes Thema dar126, wohl nicht zuletzt aufgrund des Frageinteresses der Sendungsgestaltenden. Die elektronische Datenbank des ORF ist für diesen Zeitraum einerseits zu ungenau beschlagwortet und andererseits zu lückenhaft, um sie als Basis einer solchen Auswertung heranzuziehen.127 Und schließlich sind die Sendungen selbst nur zu einem Bruchteil archiviert beziehungsweise zugänglich. Zweitens wäre selbst eine quantitative Auswertung, die diese Daten (also beispielsweise Titel, einheitliche Beschlagwortung, kurze Sendungsbeschreibung aller ausgestrahlten Sendungen) zur Verfügung hätte, nur begrenzt aussagekräftig: Welche Kriterien muss eine Sendung erfüllen, damit sie als eine gilt, die Nationalsozialismus behandelt? Fallen darunter Auseinandersetzungen mit der Nachkriegszeit und dem Umgang mit NS-Täter_innen und Opfern? Ist eine Fernsehdiskussion über österreichische Geschichte, in der jedoch explizit nicht über 1938-1945 gesprochen wird und Nationalsozialismus also externalisiert wird, nicht auch Teil des medialen Umgangs mit der NS-Zeit?128 Darüber hinausgehend sagt die Anzahl von Sendungen noch nichts über die in diesen hergestellten historischen Narrative und ihre politischen Funktionen aus.129 Die untersuchten ORF-Sendungen werden im Kurzzitat mit Kürzel bezeichnet. Zum Beispiel: ZgadN für Zeitgeschichte aus der Nähe. Eine Liste aller Sendungen und der dazugehörigen Kürzel findet sich im Anhang. Bestimmte

126 So etwa im Interview mit Richard Dolberg in: Erinnern Sie sich noch? Folge 22, Erstausstrahlung 1.8.1968. 127 Zum Beispiel war keine der von mir untersuchten Sendungen zum letzten Recherchezeitpunkt (Januar 2013) in der Datenbank mARCo mit „Nationalsozialismus“ beschlagwortet; verwendete Schlagworte waren „Politik“, „Krieg“, „Krise“, „Zerstörung“ oder „Bildung“. 128 Vgl. zum Beispiel Was ist Österreich heute? 26.10.1969, siehe Kapitel 1.1.4. 129 Christoph Classen erwähnt dieses methodische Problem kurz und begegnet ihm, indem er der quantitativen Auswertung diskursanalytische Untersuchungen von vier Sendungen hinzufügt. Classen 1999: 17.

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Ausschnitte der Sendungen werden unter Angabe des Timecodes in folgender Form zitiert: TC (Stunde.)Minuten.Sekunden. Zum Versuch einer geschlechtergerechten Schreibweise: Ich verwende im folgenden Text die sich in den letzten Jahren im deutschen Sprachraum etablierende Variante des Unterstriches. Also zum Beispiel „Programmansager_innen“ statt „Programmansager und Programmansagerinnen“. Über die Sichtbarmachung der generisch weiblichen Form hinaus (wie sie beispielsweise durch das Binnen-I angestrebt wurde: „ProgrammansagerInnen“) soll der durch den Unterstrich entstehende Zwischen_Raum auf die Konstruiertheit des binären Zweigeschlechtermodells verweisen und „einen Raum multipler Geschlechtszuschreibungen jenseits dichotomer Essenzialismen“130 eröffnen.

130 Graf 2010: 9.

1 Diskursive Verortungen des Geschichtsfernsehens

Geschichtsfernsehen und Sendungen mit historischem Inhalt im Allgemeinen sind von geschichtspolitischen Diskursen ebenso geprägt wie von Konzeptualisierungen des Mediums Fernsehen. Geschichtspolitik und Medienverständnis treffen sich als Legitimationsgrundlage des entstehenden Geschichtsfernsehens insbesondere in den zwei Aspekten der Demokratisierung und der Bildung. Die Diskurse von Demokratisierung und Bildung im Zusammenhang mit dem Fernsehen sind miteinander verknüpft und beinhalten Versprechen, die dem neuen Medium nicht zuletzt aufgrund seiner technischen Möglichkeiten zugeschrieben werden, die es gegen Film, Theater oder Buch abgrenzen. Die Debatten um das sich etablierende Medium, seine Potentiale, Auswirkungen und den (erhofften) Umgang der Zuschauer_innen damit brachten spezifische Geschlechtercodierungen von Publikum und Fernsehen hervor, die hier ebenfalls untersucht werden sollen. Zur Analyse dieser Diskurse bringe ich im Folgenden zeitgenössische Texte des Fernsehens und Texte über das Fernsehen (selbständige Publikationen, zwei Fernsehzeitschriften, Programm und Sendungen) in Verbindung mit medien- und politiktheoretischen Ansätzen. Die beiden untersuchten Zeitschriften Hör Zu und Telespiegel lassen sich an zwei sehr differenten (Sprech-)Positionen im Fernsehdiskurs verorten. Hör Zu wurde 1946 von Axel Springer in Hamburg gegründet, vorerst als Rundfunkzeitung des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR)1; Chefredakteur wurde Eduard Rhein, den Springer dem politisch (NS-)belasteten Ludwig Kapeller vorgezogen habe, so Lu Seegers: „Ausschlaggebend für Springer war zudem die parteiunabhängige und grundsätzliche [sic] ‚unpolitische‘ Lebenseinstellung Rheins, sollte doch seine Radiozeitschrift der Entspannung der

1

Vgl. Seegers 2001: 159-174.

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LeserInnen dienen, nicht ihrer politisch-moralischen Unterweisung.“2 Ab Dezember 1962 gab der Springer-Verlag eine Österreich-Ausgabe heraus3, die ältere Programmzeitschriften wie Funk und Film (1945-1961; ab 1960 unter dem Titel Funk und Film, Fernsehen) und Blick (1961-1962) ablöste. Hör Zu stellte über die Funktion als Programmzeitschrift hinaus einen Ort der Verhandlung von Populärkultur und modernem Leben dar; übliche Themen waren Stars aus Kino, Musik und zunehmend auch Fernsehen sowie Wohnen und Mode. Rätsel, Horoskope und Fortsetzungsromane waren weitere Bestandteile der Zeitschrift. Einen Fixpunkt stellte außerdem die regelmäßige Beratungsspalte „Fragen Sie Frau Irene“ dar, in der sich verändernde Geschlechterverhältnisse4 und Auswirkungen der Arbeitsmigration nach Deutschland und Österreich5 in den Leser_innenbriefen artikulieren. Ab der Ausgabe 5/1966 war der Teil „Extra für sie – Seiten für die Frau“ fester Bestandteil jeder Ausgabe. Gegenüber diesem populären Ort der Verhandlung des neuen Mediums lässt sich die vom Österreichischen Rundfunk und dem Bundesministerium für Unterricht herausgegebene Zeitschrift Telespiegel als elitär und paternalisierend be2

Seegers 2001: 161.

3

Seegers 2001: 219. Sitz der Redaktion war Hamburg, ebd. FN 363.

4

„Frau Irene“, das Pseudonym von Walther von Hollander (Seegers 2001: 207, bzw. 369-374), nahm dabei nicht selten Positionen ein, die Anstoß zu Diskussionen und Ausverhandlungen gaben, wie zum Beispiel der folgende Leserbrief zeigt, in dem ein Mann sich über zu viel Hausarbeit beschwert: „Meine Frau ist zwar nicht zänkisch, aber sehr rechthaberisch. Ihre Ansicht: In einer modernen Ehe haben alle zuzupacken. Ja, wenn sie auch zupackte, dann wäre alles in Ordnung. Sie bezieht übrigens ihre Meinung über die moderne Ehe von Ihnen, Frau Irene!“ In der Antwort plädiert „Frau Irene“ weiter nachdrücklich für eine faire Aufteilung der Hausarbeit und dafür, bei der Aufteilung auch die beiden im Haushalt lebenden erwachsenen Söhne miteinzubeziehen (Hör Zu 32/1967: 41). Lu Seegers hat die Fernsehberichterstattung von Hör Zu und die liberal-fortschrittliche Positionen vertretende Rubrik „Fragen sie Frau Irene“ auf die darin enthaltenen und sich verändernden Vorstellungen von Geschlechterrollen und Sexualität untersucht (Seegers 2001: 374-410 bzw. auch Seegers 2004).

5

Diese Artikulationen verbleiben jedoch in einer mehrheitsdeutschen bzw. -österreichischen Perspektive. So suchen vor allem weiße Frauen Rat, die Liebesbeziehungen mit Migranten eingegangen sind und deshalb mit rassistischen Einstellungen der Umwelt (insbesondere der Eltern) konfrontiert sind (Hör Zu 30/1966: 49; Hör Zu 49/1967: 53). In einer Ausgabe werden zwei Beiträge von mit Migranten verheirateten Österreicherinnen gegenübergestellt: „Die Ehe mit dem Ausländer muß nicht schwierig sein!“ und „Dies muß ein Mädchen vor der Ehe mit einem Orientalen wissen!“ (Hör Zu 20/1966: 49)

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schreiben. Gegründet im September 1962, parallel zur Einführung des Schulfernsehens, bestand die an Lehrerinnen und Lehrer gerichtete Zeitschrift aus der Präsentation des Schulfernsehprogramms, diversen Artikeln zum Themenkomplex Fernsehen, Schule, Bildung und Jugend sowie aus weiterführenden Programmhinweisen. Regelmäßige Autoren waren Helmut Zilk (damals Schulfernsehkoordinator des Österreichischen Rundfunks6), Herbert Hauk (Leiter der Abteilung „Jugend und Familie“ im ORF7), Hans Tänzer (Ministerialrat im Bundesministerium für Unterricht und Vorsitzender der ministerialen Approbationskommission für Schulfunk- und Schulfernseh-Sendungen8), der Regisseur Otto Kamm, Irmbert Fried (Lehrer, Rundfunkmitarbeiter, ab 1967 Programmadministrator des Fernsehens9), Jakob Laub, Hans Wedenig (Lehrer in Klagenfurt und Villach, Schulfunkautor) und Walter Sachers, wobei die ersten drei Genannten in der Ausgabe 1/1962 als Redaktion angegeben werden. Der amtierende Bundesminister für Unterricht Heinrich Drimmel schrieb ein Vorwort zur ersten Ausgabe, das Monika Bernold treffend folgendermaßen resümierte: „Der gesellschaftspolitische Auftrag des Schulfernsehens wird vom Unterrichtsminister über die negative Abgrenzung von den zentralen Figuren der ‚Massenkultur‘ und ihrer Wahrnehmungsformen definiert.“10 Zu Beginn des Publikationszeitraums werden auf den Rückseiten der Zeitschrift Fotografien aus dem Fernsehproduktions-Alltag gezeigt: Die Technik wird ins Bild gerückt. Ab Heft Nr. 18/1967 werden diese Darstellungen von Karikaturen des Fernseheinsatzes in Schulklassen abgelöst, was auf einen Etablierungsprozess des Mediums verweist; so scheint die Notwendigkeit der Einführung und Vorstellung des Fernsehens (mitsamt seinen technologischen Apparaturen) einer Reflexion seines Gebrauches und seiner Inhalte zu weichen. Zusätzlich zu den Zeitschriften Hör Zu und Telespiegel wurde für dieses und das folgende Kapitel punktuell zu bestimmten Sendungen und (Gedenk-)Daten die Berichterstattung in den Tageszeitungen Arbeiter-Zeitung, Die Presse, Express, Illustrierte Kronen-Zeitung, Kurier, Neues Österreich (bis 1967), Salzburger Nachrichten und Volksstimme analysiert. Neben ihrer jeweiligen politischen Nähe oder Distanz zu dem bis zur Rundfunkreform als sozialistisch geltenden Medium standen Printmedien einerseits in einem Konkurrenzverhältnis zum Fernsehen und machten es andererseits zugänglich, indem sie beispielswei6

Telespiegel 1/1962: 26.

7

Telespiegel 1/1962: 2.

8

Telespiegel 1/1962: 2.

9

Vgl. die Bio-Bibliografie auf: http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/fried_ irmbert.htm (Stand: 15.6.2013)

10 Bernold 2007a: 39.

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se über das Programm informierten. Unter diesen Rahmenbedingungen stellen sie Orte der Reflexion über das neue Medium und die mit dessen Etablierung verbundenen Transformationen von Öffentlichkeit dar. „Demokratie“ und „Bildung“ sind in allen Zeitschriften und Tageszeitungen, trotz ihrer sehr unterschiedlichen Positionierungen, zentrale Begriffe in Texten über – erwünschte oder zugeschriebene – Funktionen des Fernsehens.

1.1 (R E -)D EMOKRATISIERUNGSVERSPRECHEN „Fernsehen, das ist die wiedergewonnene Unabhängigkeit, das ist die neue, freie, Zweite Republik.“11

So definierte Alfred Payrleitner12 in einem 1988 veröffentlichten Aufsatz rückblickend das frühe Fernsehen. In der zitierten Aussage drückt sich ein Paradigma aus, das wesentlich für ein zeitgenössisches Verständnis des Fernsehens war. Im August 1955, nur drei Monate nach der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages, wurde der Versuchsbetrieb des Fernsehens aufgenommen. Mit den Live-Übertragungen der Wiedereröffnungen des Burgtheaters und der Staatsoper in Wien am 14. Oktober bzw. 5. November 1955 als „Anfangsritual der österreichischen Fernsehgeschichte“13 erfuhr dieses, so Monika Bernold, nicht nur eine hochkulturelle Legitimierung, sondern es ließen sich auf diese Weise auch die Anfänge des Fernsehens im Nationalsozialismus verdrängen.14 „Demokratie“ wurde in Bezug auf das Fernsehen in den 1960er Jahren nicht zuletzt rund um das Rundfunkvolksbegehren 1964 und das am 1. Januar 1967 in Kraft getretene Rundfunkgesetz thematisiert. Obwohl mit der Rundfunkreform 1967 – aber auch mit dem Tod des langjährigen Fernsehspielleiters Erich Neuberg (1928-1967) – personelle Veränderungen einhergingen15, sind in Bezug auf

11 Payrleitner 1988: 315. 12 Alfred Payrleitner, geboren 1935, wurde 1967 im Zuge der Rundfunkreform als stellvertretender Chefredakteur des ORF eingesetzt, leitete ab 1968 die Abteilung „Politik und Zeitgeschehen“ und war 1975-1979 Kommentarchef der Tageszeitung Kurier. 13 Bernold 2007a: 21. 14 Bernold 2007a: 20. 15 So wurde Kuno Knöbl Unterhaltungschef, Gerd Bacher Generalintendant, Helmut Zilk statt Gerhard Freund Fernsehdirektor, und Alfred Payrleitner erhielt den Posten des Hauptabteilungsleiters Politik und Zeitgeschehen.

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das Geschichtsfernsehen und die Darstellung des Nationalsozialismus bis 1970 keine grundlegenden Änderungen in Programmpolitik und Sendungsausrichtungen zu bemerken. Im Zuge der Programmreform wurden zwar auch neue Jugendformate wie Ohne Maulkorb (1967-1987) oder Kontakt (1968-1974) geschaffen; eine Auseinandersetzung mit geschichtspolitischen Themen innerhalb dieser Formate lässt sich für den untersuchten Zeitraum aber nicht erkennen. Auf die Funktion der Rede von der Demokratisierung durch die Rundfunkreform als Teil der Selbstrepräsentation der Rundfunkanstalt hat Monika Bernold hingewiesen: Demnach folgte der „große[n] kollektive[n] Erzählung über den ‚Proporzrundfunk‘ 1955-1966“ die „Vorstellung von einem modernen entpolitisierten Fernsehzeitalter in der Zeit ‚nach 1966‘“, womit die „Glaubhaftmachung einer ökonomischen und parteipolitischen Unabhängigkeit […] speziell seit der Rundfunkreform 1966/1967 zur zentralen Repräsentationsaufgabe der Institution und ihrer MitarbeiterInnen“16 wurde. „Demokratie“ bedeutete im Kontext des frühen Fernsehens des Österreichischen Rundfunks weder partizipatorische Praktiken etwa in Form eines „Offenen Kanals“, wie er in Österreich (auf Initiative von Personen aus dem Kunst- und Kulturbereich) erst ab 1975 auf lokaler und zeitlich beschränkter Ebene konzeptualisiert und umgesetzt wurde17, noch die „Idee der Freiheit der Wahl“18, die US16 Bernold 1997: 16f. An anderer Stelle stellt Bernold der Erzählung vom Bruch Kontinuitäten geschlechtsspezifischer Machtkonstellationen gegenüber: „Der Anspruch dieser männerbündisch geprägten Elite auf die Repräsentation einer nationalstaatlichen Öffentlichkeit war eine zentrale Dimension der österreichischen Fernsehgeschichte der 50er und 60er Jahre, die die rundfunkpolitischen Neuordnungen von 1966/67 und auch jene von 1974 überdauerte.“ (Bernold 2000: 48). Eher eine Wiederholung als eine kritische Betrachtung der Demokratisierungsversprechen des ORF findet sich in Naderhirn 2009. 17 Vgl. Kellermann et. al. 1977. Obwohl die Sendungen des „Medienversuchs Lokales Fernsehen“ nicht ausgestrahlt wurden, sondern die Verbreitung durch Videovorführungen stattfand (ebd.: 6), stellte eine Zielsetzung dar, „freie ‚Bürgerkanäle‘“ zu schaffen (ebd.: 7). In ihrer Forderung danach, dass „das Distributionssystem […] zu einem Kommunikationsinstrument“ (ebd.: 7) werde, bezieht sich die Projektgruppe in der Wortwahl auf Bertolt Brechts Radiotheorie (Vgl. Brecht 1992 [1932]: 553) – ein Bezug, der auch ein paar Jahre zuvor in zwei theoretischen Konzeptualisierungen elektronischer Medien bzw. des Fernsehens hergestellt wurde: in Hans Magnus Enzensbergers „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ (siehe Enzensberger 1970: 161) und Oskar Negts und Alexander Kluges „Öffentlichkeit und Erfahrung“ (siehe Negt/Kluge 1976 [1972]: 182). 18 Bernold 2007a: 11.

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Bürger_innen der Nachkriegszeit angeboten wurde. Wie Monika Bernold in ihrer Untersuchung des frühen Fernsehens in Österreich gezeigt hat, bot das österreichische TV vielmehr „die Idee von Sicherheit und die Idee der Teilhabe im Sinne des ‚Dazugehörens‘“19. Diese Ideen, so Bernold weiter, „können gerade im österreichischen Kontext nur in Verbindung mit den ‚alten‘ Techniken der Öffentlichkeit, mit der Hierarchisierung der politischen Öffentlichkeit und der spezifischen nationalstaatlichen Entwicklung begriffen werden.“20 Im Folgenden zeige ich, wie dem neuen Medium Fernsehen in den 1960er Jahren Versprechen der Demokratisierung (unter anderem aufgrund seiner technischen Möglichkeiten) eingeschrieben wurden. Dazu möchte ich vier Aspekte dieses Diskurses behandeln: Konsens als Grundlage eines Verständnisses von Demokratie im Kontext des frühen Fernsehens; die Rede von „Objektivität“ und „Authentizität“; Versprechungen der Live-Übertragung und die Konstruktion einer österreichischen Nation als demokratisches Projekt im und durch das Fernsehen. 1.1.1 Konsens, „Postdemokratie“, Regieren Zum ersten Aspekt der Demokratieversprechen, der Rede vom Konsens, möchte ich vorerst einen programmatischen Text von Gerhard Freund (1925-1979), dem ersten Fernsehdirektor des Österreichischen Rundfunks (1957-1967), analysieren. Freund, Sozialdemokrat, Journalist und Schauspieler, meinte in seinen „Betrachtungen des österreichischen Fernsehdirektors“ 1962, dass das Fernsehen ein „Hort der Demokratie“21 sein solle: „Gerade weil in der Demokratie verschiedene Anschauungen nebeneinander existieren können und sollen, Meinungsverschiedenheiten offen ausgetragen werden und im offenen Wettkampf versucht wird, Menschen für die eigene Meinung zu g e w i n n e n , gerade deswegen kann und soll ein Massenkommunikationsmittel wie das Fernsehen geradezu ein Hort der Demokratie sein. […] Das Fernsehen hat allerdings die Verpflichtung, die Demokratie an sich, wo und wann immer es möglich ist, zu unterstützen und festigen zu helfen. Es kann auch ein wertvolles Stimulans für das demokratische Verhalten der Staatsbürger, aber auch der öffentlichen Funktionäre werden.“22

19 Bernold 2007a: 12. 20 Bernold 2007a: 11f. 21 Freund 1962: 20. 22 Freund 1962: 20 (Hervorh. im Orig.).

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Diese Unterstützung, so Freund weiter, solle insbesondere durch folgende drei Maßnahmen erreicht werden: Erstens solle das Fernsehen „mit besonderer Betonung der Vorgänge im Gemeinwesen“ über aktuelle Ereignisse berichten, zweitens „die Gegenüberstellung von Meinungen in der freien Diskussion“ ermöglichen und drittens „nüchterne, sachliche Information, die eine echte, freie Meinungsbildung ermöglicht“, bieten.23 Freund illustriert diese Maßnahmen anhand zweier Beispiele. Im ersten Beispiel erklärt er, was das Fernsehen im Fall von Beschwerden bezüglich Baustellen und Umleitungen im Straßenverkehr tun solle: Hier sei es die „Aufgabe des Informationsmittels – und wer könnte das besser als das optisch-akustische Instrument Fernsehen –, bereits zur Zeit des Ärgernisses zu demonstrieren, daß solche Dinge letztlich nur zur Erleichterung des staatsbürgerlichen Daseins gemacht werden.“24 Das zweite Beispiel betrifft die Möglichkeit der Übertragung politischer Diskussionen im Fernsehen: Hier habe es sich „aus Reaktionen des Publikums eindeutig erwiesen, daß allein die Tatsache einer öffentlichen Diskussion über ein umstrittenes Projekt oder dessen Durchführung genügt, um viele Gemüter zu beruhigen. Vor allem dahin zu beruhigen, daß sich ‚die da oben‘ jedenfalls ‚etwas‘ dabei denken, mag auch die Auffassung noch immer umstritten sein.“25 In den hier zitierten Aussagen wird ein hierarchisches Verständnis von Demokratie deutlich – eine Art top-downModell, in dem sich legitimierte Akteur_innen „oben“ und „Menschen“, „Staatsbürger“, das „Publikum“ „darunter“ befinden. Was Freund hier ausdrückt, ist keine Auffassung von Demokratie als Mitbestimmung oder Eröffnung eines Raumes für andernorts marginalisierte politische Diskussionen. Er zeichnet vielmehr eine Vision von politischen Fernsehdiskussionen als einer Art Beruhigungsmittel für das Publikum und eine Vorstellung von demokratischem Fernsehen, das die Zuschauer_innen davon überzeugen müsse, dass staatliche (politische) Maßnahmen gerechtfertigt seien. In der solcherart paternalistischen Vorstellung des Mediums kommen diesem harmonisierende und erzieherische Aufgaben zu. Der Verweis auf die „optisch-akustischen“ Möglichkeiten, die das Fernsehen in besonderem Maße dafür qualifizieren würden, die Zuschauer_innen von etwas zu überzeugen, stellt eine Argumentation dar, die auf der Prämisse beruht, dass dem Gezeigten Glauben geschenkt werden soll und darf. Hier gerät Freunds Argumentation in Widersprüche. So definiert er das demokratische Fernsehen in Abgrenzung zu „Propaganda“, die er in einer ausholenden totalisie-

23 Freund 1962: 21. 24 Freund 1962: 22. 25 Freund 1962: 22f.

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renden Bewegung dem Austrofaschismus, Nationalsozialismus und den sozialistischen Staaten zuschreibt26 und meint: „Unser Ziel muß daher sein, nicht die Menschen mit Schlagworten und Propaganda zu ‚erschlagen‘, sondern sie aufzuwecken, zum selbständigen und unabhängigen Denken zu bringen, sich selbst eine eigene freie Meinung zu bilden.“27

Eben dieses selbständige Denken wird den Zuschauer_innen von Freund gleichzeitig (noch) abgesprochen.28 Eine weitere Aussage aus dem Aufsatz lässt darauf schließen, dass es in dem von Freund verwendeten Demokratie-Begriff nicht um die Kritik oder die Abschaffung von Herrschaftsstrukturen geht, sondern um die Verfeinerung von Herrschaftstechniken. So wendet er sich in einem Abschnitt an Politiker (und vermutlich nur bedingt an Politikerinnen) und nennt einige Verhaltensregeln für das Auftreten im Fernsehen. Als dritten Punkt empfiehlt er: „Immer daran denken, daß einzelne Menschen angesprochen werden, keine ‚Masse‘. (Die persönliche, intime Anrede wirkt auf den Zuschauer in der Atmosphäre seines Heimes direkt. Er zeigt sofort Abwehrreaktionen, wenn er im Versammlungston angesprochen wird.)“

29

Diese Aussage verweist auf die Durchsetzung des „private[n], familiale[n] bzw. individuelle[n] TV-Konsum[s]“30 gegenüber der zu Beginn stärker öffentlichkollektiven Rezeption und ist außerdem lesbar als eine Sprechanleitung für die Regierenden, die eine Adressierung mit einer „direkten Wirkung“ auf die Zuschauer_innen und eine Minimierung des Risikos einer widerständigen Rezeption, eines „oppositional reading“31, zum Ziel hat. 26 Freund 1962: 20. 27 Freund 1962: 25. 28 Deutlich wird das unter anderem an dem folgenden Satz: „Dem desinteressierten Fernsehteilnehmer muß erstens einmal der Gedanke nähergebracht werden, daß eine demokratische Funktion der Verwaltungseinrichtungen, von seiner Gemeinde angefangen, nur mit seiner aktiven Teilnahme oder zumindest mit seinem Interesse möglich ist.“ (Freund 1962: 21f). 29 Freund 1962: 23. 30 Bernold 2007a: 67. 31 Vgl. Hall 1996 [1973]. In seinem erstmals 1973 veröffentlichten Text „Encoding/decoding“ beschäftigt sich Stuart Hall mit Rezeptionsprozessen des Fernsehens und stellt ein Modell dreier Arten des „Lesens“/des Decodierens von Nachrichten/messages vor: „dominant reading“ verbleibt in der Decodierung der dominan-

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In dieser Vision kommt dem Fernsehen im Namen der „Demokratie“ die Funktion zu, den Regierenden ein Regieren mit dem größtmöglichen Einverständnis der Regierten zu ermöglichen. Diese Funktion der „Demokratie“ als Legitimation ihrer Abschaffung findet sich in Jacques Rancières Konzept der „Postdemokratie“. Während für Rancière die „Demokratie“ eine „Unterbrechung der Ordnung“/„disruption of this order“32 durch einen „Subjektivierungsprozess“/„subjectification“33 darstellt und Demokratie dort stattfindet, wo Politik möglich ist34, bezeichnet „Postdemokratie“ „the paradox that, in the name of democracy, emphasizes the consensual practice of effacing the forms of democratic action. Postdemocracy is the government practice and conceptual legitimization of a democracy after the demos, a democracy that has eliminated the appearance, miscount, and dispute of the people and is thereby reducible to the sole interplay of state mechanisms and combinations of social energies and interests.“35

Die Postdemokratie lasse das Subjekt und die Politik verschwinden, so Rancière, und sei nur eine andere Bezeichnung für Konsensdemokratie.36 Die Essenz der Politik sei jedoch Dissens.37 Der von Gerhard Freund formulierte Begriff von „Demokratie” lässt sich so in Anlehnung an Jacques Rancières Begriff der „Postdemokratie“ als ein Nicht-zustande-kommen-Lassen von politischen Diskussionen im Namen von Konsens und „Demokratie“ lesen. Dass diese Entdemokratisierung gerade in der (Gründungs- bzw.) Etablierungsphase eines Mediums (das Demokratie erst herstellen soll) geschieht, ist bezeichnend. Im Falle des österreichischen Fernsehens handelt es sich demnach weniger um eine Abschaffung vormals demokratischer Strukturen, wie es in Rancières Konzept der Postdemokratie anklingt, sondern um eine Etablierung eines hierarchischen Modells des Mediums Fernsehen, dessen Ein- und Ausschlüsse im Namen der Demokratisierung legitimiert wurden. Daran anschließend ließe sich die These forten/intendierten Bedeutung; „negotiated reading“ akzeptiert weitgehend die bevorzugte Bedeutung des Textes, modifiziert aber die Bedeutung da, wo Widersprüche entstehen und passt sie so an die jeweiligen Gegebenheiten an; und „oppositional reading“ decodiert und erkennt die intendierte Bedeutung, wendet sich jedoch dagegen, da es sich auf andere politische Wertesysteme bezieht. 32 Rancière 1999: 99. 33 Rancière 1999: 99. 34 Rancière 1999: 99f. 35 Rancière 1999: 101f. 36 Rancière 1999: 102. 37 Rancière 2008: 35.

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mulieren, dass die Postdemokratie dem Demokratisierungsprozess gewissermaßen inhärent ist und (hier) nicht chronologisch nach der Demokratie folgt. Eine Implikation der Konsens- bzw. Postdemokratie, so Rancière, sei der Ausschluss von Personen („exclusion as just another name for consensus“38) durch die Verhinderung von Subjektivierungsprozessen und durch eine Struktur des Sichtbaren, die keinen Platz für ein Erscheinen, eine Manifestation von Subjekten lässt, da vorgeblich alles bereits sichtbar ist39 und alle bereits inkludiert sind: „What indeed is consensus if not the presupposition of inclusion of all parties and their problems that prohibits the political subjectification of a part of those who have no part, of a count of the uncounted?”40

Dieser Aspekt der Annahme einer Inklusion „aller“ bildet sich auch in der zweiten hier behandelten Artikulation eines Demokratie-Versprechens durch das Medium Fernsehen ab.41 1.1.2 „Objektivität“, „Authentizität“ Wenige Tage vor Beschluss des Rundfunkgesetzes in Österreich am 8. Juli 1966 erschien in der Fernseh- und Radiozeitschrift Hör Zu ein Artikel mit dem Titel „Demokratie aus erster Hand“.42 Die Autorin bzw. der Autor schreibt: „Wenn es das Fernsehen noch nicht gegeben hätte: Es hätte für diese Demokratie erfunden werden müssen. In der Demokratie sollen alle mitreden und mitbestimmen können, und die Voraussetzung dafür ist, daß alle ein Bild von dem haben, was die Politik hervorbringt. Und nichts könnte ein getreueres Bild von Menschen und Zuständen vermitteln als die Television. Vorausgesetzt, daß sie in den richtigen Händen und über die Zweifel der Parteilichkeit erhaben ist.“ 43

38 Rancière 1999: 115. 39 Vgl. Rancière 1999: 103. 40 Rancière 1999: 116. 41 1972 haben Oskar Negt und Alexander Kluge den „Schein der Partizipation aller Gesellschaftsglieder“ als einen Aspekt der bürgerlichen Öffentlichkeit beschrieben. (Negt/Kluge 1976 [1972]: 104f.) 42 Hör Zu 27/1966: 11. 43 Hör Zu 27/1966: 11.

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Hier wird Mitbestimmung „aller“ auf der Grundlage eines Wissens über politische Vorgänge durch ein vorgeblich durch die Kamera gewährleistetes authentisches Bild versprochen. Dieses authentische Bild werde durch das Fernsehen vermittelt, vorausgesetzt, dass es „in den richtigen Händen und über die Zweifel der Parteilichkeit erhaben“ sei. An den Text lassen sich die Fragen formulieren, was ein „getreues Bild“ darstellt, wer oder was die „erste Hand“ sein soll, die dieses produzieren würde, und wen sich der_die Autor_in als die legitimierten „unparteilichen“ Entscheidungsträger_innen, Fernsehmacher_innen und Sprecher_innen vorstellt, die hier ins Bild gesetzt werden. Die Rhetorik und Argumentation des zitierten Artikels verweist auf ein Paradigma der Objektivität, das sich in vielen zeitgenössischen Texten zum Fernsehen wiederfindet. So ist „Objektivität“ Teil der Selbstdarstellung des Fernsehens (im Fernsehen)44, „objektive Information“ wird durch das Rundfunkgesetz 1967 offizielle Aufgabe des Fernsehens und die „Wahrung strengster Objektivität“ Grundvoraussetzung der bei der Rundfunkgesellschaft beschäftigten Personen.45 „Objectivity is the ‚unauthored‘ voice of the bourgeoisie.“46 Diese lapidare Bemerkung des Medienwissenschaftlers John Fiske über den Objektivitätsanspruch von Fernsehnachrichten lässt sich mit Stuart Allan spezifizieren: „What counts as ‚truth‘ in a given instance is determined by who has the power to define reality.“47 In der Logik des ‚postdemokratischen‘ Fernsehens liegt diese Macht im Konsens – oder dort, wo er vermutet wird. Wie Stuart Hall anhand des britischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens der frühen 1980er Jahre analysierte, werden „Rundfunk und Fernsehen zur Wahrung der ‚Objektivität‘ ständig dazu genötigt […], eine konsensuelle Position einzunehmen, Konsens zu finden (sogar wenn er nicht existiert) und, wenn erst einmal Streit losgebrochen ist, Kon44 „Das Fernsehen muß objektiv informieren“ (Telespiegel 12/1966: 20). Das hier zitierte Manuskript der am 31. März um 11 Uhr im Schulfernsehen ausgestrahlten 4. Folge der Reihe „Brücken zum Menschen: Rundfunk/Fernsehen“ (Buch: Irmbert Fried, Regie: Jakob Laub) ist ein Beispiel für Selbstreferentialität par excellence. Die Schulfernsehzeitschrift Telespiegel reproduziert den gesprochenen Off-Text der Schulfernsehsendung über das Fernsehen, der (teilweise wortwörtlich) Gerhard Freunds „Betrachtungen des österreichischen Fernsehdirektors“ (Freund 1962) übernimmt. 45 § 1 Abs. 1d bzw. § 2 des Rundfunkgesetzes, BGBl. 1966/195. (Bundesgesetz vom 8. Juli 1966 über die Aufgaben und die Einrichtung der „Österreichischer Rundfunk Gesellschaft m.b.H.“) 46 Fiske 1987: 289. 47 Allan 1998: 122. Stuart Allan merkt auch an, dass diese Macht eine männlich codierte sei, aufgrund der einer okzidentalen Wissenschaftstradition geschuldeten gegenderten „dichotomy between the knower and the known“ (Ebd. 122).

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sens zu produzieren.“48 Etablierte Gruppen und Personen erhielten, so Hall, die „primäre Definitionsmacht“49, später Hinzugekommene müssten in diesem „Bezugsrahmen“ diskutieren50 und Positionen, die als außerhalb des Konsenses stehend wahrgenommen würden, hätten keinen Zugang zur als objektiv präsentierten Wissensproduktion.51 Im Österreich der 1960er Jahre steht das gesetzlich formulierte Objektivitätsgebot im Kontext einer politischen Landschaft, die von großkoalitionär und sozialpartnerschaftlich angestrebter Konsensproduktion auf gesellschafts- und geschichtspolitischer Ebene einerseits und auf sozial- und wirtschaftspolitischer Ebene andererseits geprägt war. Das britische Fernsehen, dessen Konsensorientierung Stuart Hall in den 1980er Jahren kritisierte, wurde in den 1960er Jahren von Hör Zu aufgrund seiner „Objektivität“ mit einem neidvollen Blick bedacht. So wird zum einen die Unabhängigkeit der BBC gepriesen: „Für österreichische Leser, die so oft von ‚Proporz‘ hören, klingt es sicher wie eine Utopie: In England gibt es keine politischen Kämpfe bei der Stellenbesetzung in den Rundfunkanstalten. […] Beide Fernsehanstalten sind zu strikter Überparteilichkeit und Objektivität verpflichtet. Parlament, Presse und Öffentlichkeit wachen darüber, daß sie davon nicht abweichen.“52

Zum anderen wird anhand der Übertragung der britischen Unterhauswahlen vom 31. März 1966 das britische Fernsehen als demokratischer als das österreichische gezeichnet: „In dieser Sendung wurde lebendige Demokratie gezeigt, gelehrt. Und jeder vernünftige Österreicher hat bei dieser Sendung weniger um die Sitze und Stimmen der britischen Parteien gebangt, als Vergleiche mit der Heimat gezogen. Er hat nicht Daumen gehalten, sondern studiert. […] Drüben wissen sie mehr mit dem TV anzufangen. Drüben in England liefern sich die Politiker dem Fernsehen als reines Dokumentationsgerät aus. Drüben stehen und reden sie unbekümmert, und ein TV-Auge sieht ihnen zu.“53

48 Hall 2000 [1982]: 138. 49 Hall 2000 [1982]: 141. 50 Hall 2000 [1982]: 142. 51 Vgl. Hall 2000 [1982]: 146. 52 Hör Zu 17/1965: 52. 53 Hör Zu 17/1966: 15.

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Die Autorin/der Autor beschwert sich daraufhin über die „Verkrampfung“ der Politiker im österreichischen Fernsehen während des Wahlkampfes und die daraus resultierenden „unechten Bilder“. Die „lebendige Demokratie, und zwar aus erster Hand“54 fordert auch der_die Autor_in des oben zitierten Hör Zu-Artikels. Dieses solle durch Live-Übertragungen von Parlamentssitzungen geschehen, denn „nur Direktübertragungen [vermitteln] das Gefühl der echten Dokumentation […], weil sie die Möglichkeit zu manipulieren ziemlich ausschließen.“55 Was hier die Garantie für Objektivität und Authentizität der Darstellung liefert, ist die Technik: Kamera und Objektiv in Verbindung mit der Möglichkeit der Live-Übertragung.56 Die die Darstellungen strukturierenden politischen und medialen Bedingungen werden im Diskurs nur an denjenigen Stellen als solche sichtbar, an denen der Konsens übertreten wird. Im imaginierten Ideal- und Normalfall stellen sie ein unsichtbares – wiewohl komplexes – Regelsystem dessen dar, was als objektiv, authentisch und „echt“ gelten kann. 1.1.3 Live-Übertragung Was in den folgenden Jahren tatsächlich anhand von Berichten aus dem Parlament sichtbar und in den Printmedien diskutierbar wurde, war das Verhalten von Politiker_innen: Es wurde zum Gegenstand von Auseinandersetzungen57, wie zum Beispiel anlässlich der Regierungserklärung Bruno Kreiskys im Parlament am 27. April 1970. Nach etwa 90 Minuten Sitzung und zahlreichen Zwischenrufen aus den Reihen von ÖVP und FPÖ erhielt der Vorsitzende und Nationalratspräsident Karl Waldbrunner (SPÖ) eine Notiz eines Mitarbeiters und ergriff anlässlich der nächsten folgenden Zwischenrufe („Wo bleiben die Kriegsopfer, kein Wort!“) das Wort: „Ich mache darauf aufmerksam, meine Damen und Herren, dass diese Sitzung live übertragen wird, und ich geben Ihnen bekannt, dass in meiner Kanzlei während dieser Sitzung dauernd Beschwerden einlaufen, dass die Regierungserklärung durch Gelächter und durch

54 Hör Zu 27/1966: 11. 55 Hör Zu 27/1966: 11. 56 Siehe dazu auch John Fiske, der anhand des Nachrichtendiskurses meint: „Hand in glove with objectivity go authenticity and immediacy.“ (Fiske 1987: 289). Siehe auch die Empörung über das „Vorgaukeln“ einer Live-Sendung in Hör Zu 28/1966: 15. 57 Vgl. z.B. auch Hör Zu 52/1967: 6 bzw. 11.

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Unaufmerksamkeit dauernd gestört wird. Ich gebe Ihnen das zu bedenken.“ (Regierungserklärung Kreisky TC 01.37.42-01.39.11)58

Waldbrunner versuchte hier, unter Verweis auf die Fernsehübertragung zu einem störungsfreien Ablauf der Nationalratssitzung aufzufordern und diese als disziplinierende Instanz anzurufen.59 Die Arbeiter-Zeitung, die der Regierungserklärung am darauffolgenden Tag dreieinhalb Seiten widmete, titelte: „Hunderttausende Fernseher wurden Zeugen: Historische Regierungserklärung Kreiskys. Skandalöses ÖVP-Verhalten im Parlament“.60 Während hier von sozialistischer Seite auf die Live-Übertragung verwiesen wurde, um das Verhalten der konservativen Partei anzuprangern, war in den Jahren zuvor die Linie der SPÖ, wie auch der ÖVP, in Bezug auf das Fernsehen im Parlament bzw. das Parlament im Fernsehen eine andere. Fernseh-Direktübertragungen von Nationalratssitzungen waren eine jahrelange Streitfrage zwischen den Parteien und dem ORF und erst seit Mai 1969 möglich.61 Die Abgeordneten (vor allem die der Großparteien SPÖ und ÖVP62) fürchteten den Verlust der Kontrolle über ihre Repräsentationen und argumentierten ihre Ablehnung der Übertragung mit Bezug auf bei den Zuschauer_innen geweckte „antidemokratische Ressentiments“.63 Das Argument der Demokratisierung durch die Live-Übertragung hingegen kam (neben dem 58 Der zitierte Zwischenruf kam laut dem stenographischen Protokoll vom Abgeordneten Anton Schlager (ÖVP). (Vgl. Sten Prot 27. April 1970, 2. Sitzung, XII. GP.: 25). 59 Auf diese Funktion des Fernsehens als Disziplinierungsmaschine der Abgeordneten bezieht sich auch ein kurzer Kommentar in Hör Zu zur Übertragung der Regierungserklärung. Laut dem Autor („Telemax“) wirkte „die Television [...] auf sie [die Abgeordneten, Anm. rw] pädagogisch ein: Es bessern sich ihre Manieren, sie versuchen geradezusitzen und nicht mehr Zeitung zu lesen, obwohl sie hören sollten.“ (Hör Zu 20/1970: 8). 60 Arbeiter-Zeitung 28.4.1970: 1. 61 Ergert/Andics/Kriechbaumer 1985: 148-150. 62 Ergert/Andics/Kriechbaumer 1985: 69-71. 63 So fassen Viktor Ergert, Hellmut Andics und Robert Kriechbaumer im Rückblick auf ORF-Geschichte die Argumentation der Parteien zusammen: „Ein halbleeres Plenum, wie es häufig genug vorkam, zeitungslesende Mandatare, nicht anwesende Minister auf der Regierungsbank – diese Begleiterscheinungen des parlamentarischen Alltags vermochten durch optische Überbetonung nur allzu leicht antidemokratische Ressentiments bei manchem Fernseher zu wecken. Die Kamera konnte zwar als Instrument der Disziplinierung des politischen Stils dienen, doch nicht alle Abgeordneten waren gleichermaßen telegen; eine Bildregie, mit der das filmische Temperament durchging, delektierte sich vielleicht an Meuchelbildern.“ Ergert/Andics/Kriechbaumer 1985: 66.

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Fernsehen und beispielsweise dem oben zitieren Hör Zu-Artikel) auch von der FPÖ,64 die sich dadurch vermutlich mehr mediale Öffentlichkeit erwartete. Insbesondere Gustav Zeillinger (1917-1997, Gründungsmitglied der FPÖ), dem bei der Regierungserklärung Kreiskys wegen wiederholter Zwischenrufe ein Ordnungsruf erteilt wurde65, hatte sich für die Fernseh-Direktübertragung aus dem Parlament stark gemacht.66 „Demokratie“ stellte in dieser Diskussion einen positiv konnotierten Begriff und anzustrebenden Zustand dar, der dabei allerdings bemerkenswert leer bleibt und von den konfligierenden Parteien rhetorisch eingesetzt wird. Auch auf anderen Ebenen drückt sich die Vorstellung von Demokratisierungsmöglichkeiten durch Direktübertragungen des Fernsehens aus. Anlässlich der „Jugenddiskussion unter der Leitung von Doktor Helmut Zilk“67 mit dem Titel Was sagt uns der 13. März? vom 12. März 196168 wird von der Programmzeitschrift Funk und Film, Fernsehen insbesondere auf die medialen Diskussionsbedingungen hingewiesen: „Diese Sendung ist keine Filmaufzeichnung oder ein Film oder irgendwie gestellt. Die Teilnehmer an dieser Debatte befinden sich zur Zeit der Sendung im Studio und diskutieren. Kurz, eine freie Debatte, wie sie zur Zeit der Hitlerherrschaft nicht denkbar gewesen wäre.“69

Die Betonungen, dass es sich um „keine Filmaufzeichnung“ handle beziehungsweise die Diskutierenden „sich zur Zeit der Sendung im Studio [befinden]“ würden verweisen auf das Bemühen, der Sendung Authentizität zuzuweisen. Gleichzeitig wird der Modus der Live-Übertragung erwähnt und erklärt. Dadurch wird nicht nur das neue Medium Fernsehen vom Film abgegrenzt70, sondern Fernsehen als Kommunikationsmittel und dispositive Anordnung wird damit in einen Gegensatz zum nationalsozialistischen Regime gebracht. An der zitierten Stelle

64 Ergert/Andics/Kriechbaumer 1985: 69-71. 65 Regierungserklärung Kreisky TC 01.40.10. 66 Ergert/Andics/Kriechbaumer 1985: 70. 67 Funk und Film, Fernsehen 10/1961: 13. 68 Siehe Kapitel 2.7.1. 69 Funk und Film, Fernsehen 10/1961: 13. 70 Vrääth Öhner macht darauf aufmerksam, dass das Fernsehen „im Geschehen der LiveÜbertragung seine wesentlichste Eigenschaft entwickelt hat, die seine Angebote sowohl von denen des Kinos als auch von denen des Radios zuverlässig unterscheiden half.“ (Öhner 2005: 134).

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wird dieses Verhältnis über das Versprechen eines unmittelbaren „freien“ Sprechens durch Direktübertragungs-Technologien des Fernsehens erzeugt. Das Lob der Direktübertragung geht über das Versprechen nichtmanipulierter Gespräche hinaus; so begeistert sich der Telespiegel: „Konnte man beim Hörfunk aus der Ferne miterleben, so kann man durch das Fernsehen aus der Ferne dabei sein!“71 Dies verweist auf den durch das „LIVE-Moment“ des Fernsehens hergestellten „akuten Erfahrungsmodus des ‚Dabei-seins‘“, dem, so Monika Bernold, „das Wissen um die zukünftige Erfahrung des ‚Dabeigewesen-seins‘“ eingeschrieben sei und der „Zeugenschaft“ als eine Adressierungsform der Zuschauer_innen produziere.72 In Anlehnung an Benedict Anderson stelle das frühe Fernsehen darüber hinaus durch die im Live-Modus stattfindende „Herstellung von Simultanität“ die technologischen Bedingungen für eine nationalstaatliche Identifikation des „Publikum[s] als imaginiertes ‚Wir‘“73 bereit. Bernold schlägt vor, Fernsehen als „Dispositiv der Zugehörigkeit“ zu fassen, das sich in Österreich bis (längstens) in die frühen 1980er Jahre als „Dispositiv nationaler Zugehörigkeit“ generierte.74 Diese nationalisierende Funktion des Fernsehens stellte im Kontext offizieller Geschichtspolitiken zum Nationalsozialismus auch ein Versprechen der Demokratisierung dar, wie ich im Folgenden zeigen werde. 1.1.4 Nationskonstruktion Deutlich wird die aktive Rolle des Fernsehens bei der Konstruktion österreichischer Identität anhand des Umgangs des Österreichischen Rundfunks mit dem österreichischen Nationalfeiertag. 1965 wurde der 26. Oktober (vormals „Tag der Fahne“) als Jahrestag der Beschlussfassung der immerwährenden Neutralität (1955) als Nationalfeiertag eingeführt75 und offiziell im Parlament mit einer 71 Telespiegel 12/1966: 19. Interessanterweise kündigt sich zeitgleich zu dieser euphorischen Betonung in Hör Zu bereits eine Übersättigung an: „Die Zeiten, wo sich der Zuschauer vor dem Wunder Fernsehen niederkniete, sind vorbei. Die Live-Übertragung, das Dabeisein über große Distanzen, ist längst eine Alltäglichkeit geworden.“ (Hör Zu 25/1966: 11). 72 Bernold 2001: 14. 73 Bernold 2000: 49 (Hervorh. im Orig.). 74 Bernold 2001: 17f. 75 Zur Entstehungsgeschichte vgl. z.B. Spann 1996. 1955 fand der „Tag der Fahne“ das einzige Mal am 25. Oktober statt, festgelegt auf das Datum, an dem der letzte alliierte Soldat österreichisches Staatsgebiet zu verlassen hatte. Obwohl schon 1956 der Tag am 26. Oktober begangen wurde, war das Narrativ vom „letzten Besatzungssoldaten“

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Festsitzung des Nationalrates und des Bundesrates, die auch vom ORF direkt übertragen wurde, begangen.76 Auch in den folgenden Jahren übertrug der ORF die offiziellen Feiern live (1966: Direktübertragung der „Feier für die Jugend Österreichs“ in der Wiener Stadthalle; 1967: Direktübertragung der Festsitzung im Parlament und der Feierlichkeiten im Salzburger Festspielhaus; 1968: Übertragung der Feierlichkeiten aus der Wiener Stadthalle)77 und befüllte das Programm zusätzlich mit Ferdinand Raimund-Aufführungen und Mozart-Konzerten. Bemerkenswert sind die 1967 und 1968 im Zweiten Programm gebotenen Alternativen zu den Österreich-Sendungen: 1967 zeigte das Zweite Programm um 20:15 Uhr „Die Nibelungen“ (Teil 1: Siegfrieds Tod. Buch: Friedrich Hebbel, Regie: Wilhelm Semmelroth, D 1967) und 1968 um 20:30 Uhr „Unsterblicher Walzer“ (Regie: Emmerich W. Emo, Wien Film 1939).78 „Die Nibelungen“ seien zufällig durch eine Direktübernahme und zeitgleiche Fernsehpremiere in Deutschland ins Programm des 26. Oktober gekommen, berichtet die ArbeiterZeitung79. Dennoch lässt sich die Programmgestaltung als deutschnationales Angebot an einen Teil der Zuschauer_innen verstehen. 1969 gab es keine größere offizielle Feier, der ORF produzierte und sendete aber drei Sendungen eigens für den Nationalfeiertag: am Vorabend um 20:15 Uhr die Sendung Guten Abend in Österreich mit Heinz Conrads und musikalischen Einlagen österreichischer Gruppen, die als Nachfolge der Regierungsveranstaltungen der vorangegangenen Jahre in der Stadthalle angelegt war und im Wiener Ronacher stattfand.80 Am 26. Oktober selbst wurde Vorbilder, Kämpfer, lange Zeit bestimmend (vgl. Spann 1996: 89f). 1967 wurde der 26. Oktober, trotz der (auf einer deutschnationalen Logik basierenden) Opposition der FPÖ, auch gesetzlicher (arbeitsfreier) Feiertag (vgl. Macho 2002: 57). 76 Arbeiter-Zeitung 26.10.1965: 9. 77 Arbeiter-Zeitung 26.10.1966: 9; Arbeiter-Zeitung 26.10.1967: 9; Arbeiter-Zeitung 26.10.1968: 6. 78 Der Film Unsterblicher Walzer, in dem es um die Konflikte zwischen Johann Strauß Vater und seinen Söhnen geht, zählt laut Katharina Trost zu den problematischeren Wiener Filmen der Wien-Film im Nationalsozialismus, da er in einem Setting der Walzer-Seligkeit nationalsozialistische „Ideale und Werte“ vermittle (Trost 2008: 7781; 126; 131f.). Fritz Trümpi weist darauf hin, dass die verstärkte Strauß-Rezeption der Wiener Philharmoniker (die die Tonaufnahmen zum „Unsterblichen Walzer“ beisteuerten) im Nationalsozialismus weniger auf ein „Bekenntnis zu Österreich“ zurückzuführen sei als auf „politisches Kalkül der nationalsozialistischen Protagonisten in Wien“ (Trümpi 2011: 257). 79 Arbeiter-Zeitung 26.10.1967: 9. 80 Hör Zu 43/1969: 6.

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Österreicher. Sportidole 1969 um 15:30 Uhr und eine Studiodiskussion mit dem programmatischen Titel Staatsgespräche. Was ist Österreich heute? um 20:15 Uhr gesendet.81 Der Titel Staatsgespräche bezieht sich dabei auf die seit 1962 von Helmut Zilk moderierte Diskussionssendung Stadtgespräche. Die Sendung Vorbilder, Kämpfer, Österreicher. Sportidole 1969 ist eine Huldigung an den österreichischen Sport und stellt in neunzig Minuten eine Reihe von verschiedenen Sportarten und österreichischen Sportlerinnen und Sportlern vor. Die ersten Minuten sind dem Fußball gewidmet: „Fußballbegeisterung oder Begeisterung für Fußball ist eine alte Leidenschaft des Österreichers. Er liebt das Theater, er liebt den Witz und wenn der Herr Österreicher zu wählen hat zwischen Parlament und Museum, dann entscheidet er sich für das Stadion. Dort hat er alles, was er braucht. Ein bisserl Politik, ein bisserl Vergangenheit, ein bisserl Hoffnung. Das Wiener Stadion ist das Kolosseum der Österreicher. Und manchmal spielen die heimischen Fußballer auch wirklich kolossal. Gegen den früheren Weltmeister Deutschland kämpften sie so kraftvoll und elegant, dass sich auch Skeptiker wieder freuten, Österreicher zu sein. Nirgendwo wird der Nationalstolz so gepflegt oder strapaziert wie im Fußballstadion. Das erste Tor im Spiel gegen Deutschland schossen die Österreicher. Und das Match endete 1:1. Fußball ist ein Spiel des ganzen Landes und aller Österreicher. Im Burgenland wird es genauso geliebt wie inmitten der Berge. Und ein richtiger Bub, der traktiert ganz bestimmt irgendwann und irgendwo die Lederkugel.“ (VKÖ TC 03.38-05.25)82

Der Kommentar bezieht sich auf das Freundschaftsspiel Österreich gegen Deutschland vom 21. September 1969, von dem auch Szenen – insbesondere das österreichische Tor – gezeigt werden. Fußball wird hier konnotiert mit österreichischer Identität beziehungsweise mit den Vorlieben „des Herrn Österreichers“. Verknüpft mit Geschlechterstereotypen werden hier, einer Klischeesammlung gleich, dem Fußball weitere Elemente eines Österreich-Diskurses der 1960er 81 Offenbar befasste sich auch das Jugendmagazin Kontakt dieses Tages (Erstes Programm 17:15-17:35 Uhr) mit dem Nationalfeiertag, in einer von der Presse und den Salzburger Nachrichten nicht goutierten, hingegen von der Arbeiter-Zeitung lobend hervorgehobenen Weise. (Vgl. Die Presse 28.10.1969: 11; Salzburger Nachrichten 28.10.1969: 12; Arbeiter-Zeitung 28.10.1969: 9). Diese Kontakt-Folge war im ORF Archiv zum Zeitpunkt meiner Recherchen ausschließlich auf 16mm Film archiviert und mir deshalb nicht einsehbar. Außerdem startete an diesem Tag die GeschichtsDokumentationsserie Das österreichische Jahrhundert von Hellmut Andics. (Siehe auch Kapitel 2.1.4 und 2.2) 82 Die Hervorhebung kennzeichnet hier eine besondere Betonung des Sprechers.

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Jahre hinzugefügt: Hochkultur (Theater und Museum), Natur und Föderalismus (das Burgenland und die Berge) und die ambivalente Selbststereotypisierung als humorvoll bzw. lustig. Interessanter als diese Österreich-Bilder erscheinen mir die hier stattfindenden Verweise auf Vergangenheit und Politik sowie die Zentralität des Spiels gegen Deutschland. Das Ergebnis des Spiels, ein Unentschieden (1:1), wird als Erfolg gefeiert und stellt die Grundlage dafür dar, „dass sich auch Skeptiker wieder freuten, Österreicher zu sein“. Der Historiker Michael John spricht von „Sportpatriotismus“83 als Teil der Konstruktion österreichischer Identität und von der besonderen Bedeutung der Abgrenzung gegenüber Deutschland, insbesondere im Fußball. Diese Abgrenzung sieht John in Zusammenhang mit der gemeinsamen nationalsozialistischen Vergangenheit und mit Abgrenzungsversuchen von österreichischer Seite nach dem Zweiten Weltkrieg, die gleichzeitig eine Abschiebung der Frage nach der (Mit-)Verantwortung an NS-Verbrechen nach sich zogen.84 Eine weitere Verknüpfung von österreich-patriotischer Abgrenzung zu Deutschland und NS-Vergangenheit war später an diesem Fernsehtag zu sehen. Fünf Stunden nach Vorbilder, Kämpfer, Österreicher. Sportidole 1969 wurde die bereits erwähnte Studiodiskussion mit dem programmatischen Titel Staatsgespräche. Was ist Österreich heute? gesendet. Unter der Leitung des damaligen ORF-Fernsehdirektors (und späteren Wiener Bürgermeisters) Helmut Zilk nahmen an der Diskussion Universitätsprofessoren, Studenten und Vertreter_innen aus Wirtschaft, Kultur und Presse teil.85 Helmut Zilk weist zu Beginn der Sendung darauf hin, dass die Diskussion unter anderem deswegen stattfinde, weil „die österreichische Bundesregierung heuer, im Gegensatz zu den vergangenen 83 John 1990: 149. 84 John 1990: 149f. 85 Teilgenommen haben: Gerhard Bruckmann (Universitätsprofessor für Statistik), Hans Buchner (Generaldirektor der österreichischen Stickstoffwerke), Gertrud Fussenegger (Schriftstellerin), Peter Kowalski (Geschichte- und Philosophie-Student, VSSTÖ), René Marcic (Universitätsprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Salzburg), Gerhard Ortner (Student der Wirtschaftswissenschaften und Mitglied des Österreichischen Cartellverbands), Otto Schulmeister (Chefredakteur der Tageszeitung Die Presse), Ernst Topitsch (Universitätsprofessor für Philosophie, Graz), Friedrich Torberg (Schriftsteller/Journalist), Karl von Winkler (Vorsitzender des Vorstandes der Buderus Eisenwerke) und Ernst Vikacs (burgenländisch-kroatischer Kaplan). Der Diskussionsrunde waren somit sehr differente Bezüge zum NS-System eingeschrieben. Ehemalige NSDAP-Mitglieder (Fussenegger, Schulmeister) saßen, ohne dass es aus- oder angesprochen worden wäre, dem vom NS-Regime aus antisemitischen Gründen verfolgten und aus dem Exil zurückgekehrten Friedrich Torberg gegenüber.

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Jahren, nicht jene Mittel aufgebracht hat, um die Großveranstaltungen, Monsterveranstaltungen, durchzuführen, wie wir sie gekannt haben“ (WiÖh TC 01.2901.40). Die Diskussion beginnt daraufhin mit einer Abgrenzung beziehungsweise Ausgrenzung. Helmut Zilk definiert in seiner Rolle als Moderator, worüber gesprochen respektive nicht gesprochen werden soll, mit der gleichzeitigen Forderung eines „Bekenntnisses“ zu Österreich:86 „Wir wollen hier nicht diskutieren über Dinge, die schon tausendmal diskutiert worden sind. Es steht nicht der Nationenbegriff zur Debatte. Es steht nicht […] zur Debatte zum hundertsten Mal die Zeitgeschichte Österreichs, sondern wir wollen versuchen zu finden, was ist Österreich heute, was stellt Österreich dar? Und wir wenden uns daher auch nur an die Österreicher unter unseren Zuschauern. Diejenigen unter Ihnen, meine Damen und Herren, die sich zu diesem Land, zu diesem Staat nicht vorbehaltlos bekennen, die wollen wir heute gewissermaßen, und Sie verzeihen uns das, wenn ich das so offen ausspreche, gar nicht ansprechen.“ (WiÖh TC 14.25-14.59)

Die „Zeitgeschichte Österreichs“ steht hier implizit für die nationalsozialistische (und etwas weniger die austrofaschistische) Vergangenheit Österreichs, die nicht Thema sein soll.87 Einerseits wird ihr dadurch eine Zentralität gegeben; die Diskussion kreist um die unbenannte und ausgesparte Periode der „berühmten Jahre, die wir zu nennen uns versagt haben“ (WiÖh TC 34.24-34.28), wie es Ernst Topitsch, ein Diskutant, formuliert. Andererseits zeichnet sich eine diskursive Verschiebung des Stellenwerts der NS-Vergangenheit ab, die Johanna Gehmacher an den Beginn der 1970er Jahre datiert: Demnach seien die offiziellen Diskurse um österreichische Identität nunmehr weniger an der Vergangenheit als mehr an 86 Johanna Gehmacher bemerkt anhand der Rede des damaligen Bundespräsidenten Franz Jonas zum Nationalfeiertag 1967 und seiner Verwendung des Begriffs des „Bekenntnisses“, dass diesem eine „doppelte Botschaft“ eingeschrieben sei. Die Zugehörigkeit zur „Nation“ würde mit diesem Begriff weder auf „Abstammung“ noch auf „Sprache und Kultur“ zurückgeführt, sondern erinnere einerseits an „den zivilgesellschaftlichen Rahmen des täglichen Plebiszits“ und verweise „zum anderen auf religiöse Zugehörigkeit und die mit Religion verbundenen Absolutheitsansprüche, die keine Wahl zwischen mehreren Alternativen zuließ.“ (Gehmacher 2007a: 139f). 87 Im Verlauf der Diskussion wird trotz dieser einleitenden Absage an die Geschichte zumindest von einem Teil der Diskutanten wiederholt auf die „Vergangenheit“ Österreichs Bezug genommen, um österreichische Identität zu definieren. Die damit angesprochene Vergangenheit ist jedoch die der Habsburger Monarchie, die unter den positiv besetzten Stichworten Vielvölkerstaat, Diplomatie und Tradition herangezogen wird, um historische Kontinuitäten österreichischer Identität zu behaupten.

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Fragen der Zukunft orientiert. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit wurde im Zuge dieses Prozesses der Wissenschaft übertragen.88 Das Fernsehpublikum solle sich „vorbehaltlos“ zu Österreich „bekennen“, fordert Helmut Zilk. Dass das „Bekenntnis zu Österreich als demokratische Alternative“89 zum Deutschnationalismus gesetzt wurde, machte gleichzeitig die Externalisierung der Frage nach der Verantwortung für Verbrechen des Nationalsozialismus möglich.90 In einer Analyse von Konstruktionen der österreichischen Nation in den 1960er und 1970er Jahren spricht sich Johanna Gehmacher dafür aus, „nicht nur die Leerstellen der Erinnerung [zu untersuchen], sondern auch die Struktur und Inhalte der expliziten Aussagen zur österreichischen Nation in ihrer doppelten Funktion, die Kontinuität zum Nationalsozialismus zugleich zu durchbrechen und zu negieren.“91 Die Externalisierung der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Sendung Staatsgespräche. Was ist Österreich heute? war vermutlich in Verbindung mit der exklusiven Adressierung der sich zu Österreich Bekennenden als diskursiver Ausschluss von Deutschnationalismus intendiert, hat jedoch mehr den Effekt einer Negation der Kontinuitäten als den eines Bruches. Durch das Sprechverbot über die NS-Vergangenheit werden auch Differenzen in den Erfahrungen der Sprechenden nivelliert und personelle Kontinuitäten ignoriert. Durch das Anliegen, ausschließlich über die Gegenwart und Zukunft Österreichs zu sprechen, wird vor allem auf die aktuelle wirtschaftliche und politische Entwicklung Bezug genommen. An dieser Stelle taucht Deutschland, genauer die BRD, wieder in der Identitätsdiskussion auf, allerdings in einer anderen Rolle als in der des NS-Nachfolgestaats. Deutschland erscheint in dieser Diskussion vor allem als ein – im Vergleich zu Österreich – modernerer und weiter entwickelter Staat. Dies knüpft nun wieder an das zu Beginn zitierte Feiern eines 1:1-Fußballergebnisses gegen Deutschland an. Michael John sieht im Verhältnis Österreichs und der BRD im Fußball „Minderwertigkeitsgefühle“92 der Österreicher_innen. Den unterschiedlichen Bezugnahmen auf Deutschland – als ehemaligen nationalsozialistischen Staat, von dem sich Österreich abgrenzt einerseits und als modernen, wirtschaftlich weiter entwickelten Staat andererseits – gemeinsam ist die Selbstsetzung Österreichs als kleiner und weniger mächtig. Unter der Prämisse der Selbstinfantilisierung und Selbstviktimisierung lässt sich die Abschiebung der Verantwortungsfrage für die nationalsozialistischen Verbre88 Gehmacher 2007a: 142. 89 Gehmacher 2007a: 149. 90 Vgl. auch Malina 1990; Mitten 1995; Schmid 1990. 91 Gehmacher 2007a: 133. 92 John 1990: 150.

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chen auf Deutschland mit dem neidvollen Blick auf eine moderne und besser Fußball spielende Bundesrepublik verbinden. Die sich auf eine Redemokratisierung nach dem Nationalsozialismus berufende „Wiederherstellung eines eigenen, kulturellen Identitätsgefühls“93 im Fernsehen spiegelte sich in der Programmierung ebenso wider wie in dem Umstand, dass ab dem 12. November 1964 (nicht zufällig am Jubiläumstag der Ausrufung der 1. Republik) nach Sendeschluss (wie im Radio) die österreichische Bundeshymne gesendet wurde.94 In einer im Telespiegel wiedergegebenen Auswertung einer auf 9300 Fragebögen beruhenden „Fernseherbefragung 1963“ wird sichtbar, dass sich schon in den 1960er Jahren ein patriotischer Österreich-Diskurs mit rassistischen Reinheitsidealen verbinden lassen konnte. In der Auswertung der „Wünsche, Anregungen und Kritik“ wird angegeben, dass sich ein signifikanter Anteil der befragten Personen ein „österreichischeres“ Programm wünschte. Unter dieser Kategorie fasst der Telespiegel sowohl Kommentare von Zuschauer_innen gegen „deutschen Mist“ wie solche gegen „grelle N[…]musik“95 zusammen. Darüber hinaus stellt der Telespiegel fest, dass „1,26% der Befragten […] keine ausländischen Sendungen, keine ausländischen Stars und keine fremdländischen Lieder“ wollen – und zitiert den Wunsch einer befragten Person: „Doch keine alten amerikanischen Filme!“96. Interessant ist die frühe Subsumierung eines gegen Deutschland gerichteten Österreich-Diskurses und rassistischer Aussagen unter eine Kategorie. Das Projekt eines antifaschistischen demokratischen ÖsterreichPatriotismus ließ sich offensichtlich schon in den 1960er Jahren nur bedingt von rassistischen Ab- und Ausgrenzungsprozessen freihalten.97

93 Payrleitner 1988: 316. 94 Arbeiter-Zeitung 12.11.1964: 9. Siehe auch Hör Zu (26/1965: 4), in der lobend erwähnt wird, dass das Fernsehen eine eigene Form („arteigene Interpretation“) gefunden habe: „Die Hymne wird sichtbar gemacht.“ 95 Telespiegel 5/1964: 20. Zu dem hier angewendeten Vorschlag der Schwarzen österreichischen Recherchegruppe zu einer „emanzipatorischen Schreibpraxis“ bei rassistischen Fremdbezeichnungen in Quellenzitaten siehe Bratiü/Johnston-Arthur/Ponger/ Sternfeld/Ziaja 2006: 40. 96 Telespiegel 5/1964: 20. 97 Siehe dazu auch Johanna Gehmachers Feststellung, dass FPÖ und BZÖ seit einigen Jahren auf Österreich-Patriotismus statt Deutschnationalismus setzen würden, und ihre Schlussfolgerung: „Die Verbindung zwischen antirassistischem Engagement und nationalem Bekenntnis, wie sie Mitte der 1970er Jahre offenbar nicht nur gangbar, sondern auch notwendig erschien, bedarf somit einer kritischen Reflexion, die auch die

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Eine weitere zitierte Forderung einer befragten Person in Bezug auf „österreichischere“ Programmgestaltung war: „Reportagen aus Großindustrien, Kraftwerken und verstaatlichten Betrieben.“98 Diese Äußerung spielt auf ein weiteres Set an Österreich-Bildern an, das sich in den Nachkriegsjahren herausgebildet hat.99 Die Bilder um Wiederaufbau, Modernisierung, Industrialisierung und Technisierung sind männlich codiert100, sollen in die Zukunft weisen und sind doch untrennbar mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs verbunden.101 Für eine derartige Repräsentation des Nationalen hatte sich das österreichische Fernsehen auch zur zweistündigen internationalen Live-Sendung „Unsere Welt“ am Sonntag, den 25. Juni 1967 entschieden. In der von der Arbeiter-Zeitung als „Mondovision“102, von Hör Zu als „Erste Direktsendung rund um den Erdball“103 bezeichneten Sendung bestehen die Welt und deren Repräsentation aus denjenigen Ländern, die Fernsehen senden und empfangen können: „Ob in Wien, New York oder Moskau, in Paris, Rom und Mexiko, in Japan, Australien und Kanada – fast überall dort auf der Erde, wo Fernsehgeräte stehen, werden am Sonntag Millionen Menschen vor dem Bildschirm sitzen und ein und dasselbe Fernsehprogramm verfolgen: […] ein Programm, das sich zudem noch zum selben Zeitpunkt ereignet, also live gesendet wird. Nur Südamerika, einige Teile Afrikas und Asiens, die keine geeigneten Bodenempfangsstationen haben, können nicht teilnehmen.“104

Ausgewählte Fernsehstationen sendeten (nationale) Selbstrepräsentationen; die BBC, die die Sendung leitete, sendete aus London und zeigte die Beatles, aus Odessa wurden stellvertretend für die Sowjetunion Aufnahmen des Clowns Po-

Refigurationen des phantasmatischen Verhältnisses von Selbst und Anderen zu interpretieren vermag.“ (Gehmacher 2007a: 132) 98

Telespiegel 5/1964: 20.

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Hans Petschar und Georg Schmid benennen dieses Set in ihrer Analyse der Austria Wochenschau 1949-1960 als „Faszinosum Technik“. Siehe Petschar/Schmid 1990: 127-145.

100 Vgl. Kos 1994: 108ff und 122f. Zur Repräsentation des Tauernkraftwerks in Kaprun als „männlicher Mythos“ siehe auch: Thurner 2000: 46ff und Reiter 2002b: 188. 101 Wie zum Beispiel das Kraftwerk Kaprun, dessen Bau während des Nationalsozialismus mit Zwangsarbeiter_innen begonnen wurde. Vgl. z.B. Reiter 2002b. In Kaprun arbeiteten vereinzelt auch weibliche Arbeitskräfte, vgl. ebd.: 146. 102 Arbeiter-Zeitung, 25.6.1967: 7. 103 Hör Zu 26/1967: 27. 104 Hör Zu 26/1967: 20.

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pov gesendet105 und Italien zeigte Proben des Regisseurs Franco Zeffirelli106. Die vom österreichischen Fernsehen „rund um die Erde“ geschickten Bilder, beschrieb Hör Zu folgendermaßen: „Linz (Donau). In einem 30-Tonnen-Tiegel wird Roheisen durch Aufblasen von reinem Sauerstoff in Stahl verwandelt. Österreich berichtet in dieser Sendung über das revolutionäre LD-Blasstahl-Verfahren.“107

Die Entscheidung für die Repräsentation eines technologischen Verfahrens ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Rundfunkanstalt Interesse daran hatte, Österreich – und damit auch sich selbst – als technologisch fortgeschritten (und wiederaufgebaut108) zu präsentieren, was andere mögliche Interessen des Fremdenverkehrs oder der Außenpolitik und zugehörige Bilderwelten (Natur, Lipizzaner109, Hochkultur, Parlament, etc.) zurückdrängte. Bezeichnender- und vermutlich unbeabsichtigterweise rücken mit dem 1949 von der VÖEST (Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke) entwickelten Verfahren gleich zwei Bezüge zur nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs ins Bild. Erstens ging die VÖEST aus den 1938 gegründeten Hermann Göring-Werken110 hervor, für die zu arbeiten ab 1943 Tausende Inhaftierte von Außenlagern des

105 Hör Zu 26/1967: 20. 106 Arbeiter-Zeitung 27.6.1967: 9. 107 Hör Zu 26/1967: 20. 108 In ihrer Analyse der Austria Wochenschau beschreiben Hans Petschar und Georg Schmid die verstaatlichte (Schwer-)Industrie als „Säule des Wiederaufbaus“ „im ‚Semiouniversum‘ der 50er Jahre“: „Sie ist sein primärer Signifikant […] und das Signifikat ‚Wiederaufbau‘ […] ist ja unübersehbar das Zentralmotiv des spezifisch österreichischen Identitätgewinns, genauer: seiner -konstruktion in der in Frage stehenden Zeit.“ (Petschar/Schmid 1990: 136). 109 1962 präsentierte sich Österreich im nordamerikanisch-europäischen Satellitenprogramm tageszeitbedingt mit einer Vorführung der Spanischen Hofreitschule (und die BRD mit flüssigem Stahl): „Hätte Telstar bei Tag angepeilt werden können, hätte sich Österreich mit dem Kraftwerk Ybbs-Persenbeug und einem Abstecher nach Schönbrunn vorgestellt“, so die Arbeiter-Zeitung (25.8.1962: 8). Auch der Bau des Donaukraftwerks Ybbs-Persenbeug wurde während des Nationalsozialismus mit der Arbeit von Kriegsgefangenen und ausländischen Arbeitskräften begonnen. Vgl. Oertel 2002, insbesondere: 252-258; 263-269. 110 Vgl. Moser 2001: 346ff.

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KZ Mauthausen gezwungen wurden111, und zweitens wurde Linz als Stadt von Adolf Hitler (gegenüber Wien) ausdrücklich bevorzugt.112 Zur Repräsentation Österreichs nach innen und außen dienten letzten Endes auch die Geschichtssendungen. Darauf, dass Geschichtserzählungen Baustein für die Konstruktion von (nationalen) Identitäten sind, weist unter anderen Philipp Sarasin hin: „Wie im Narrativ der Autobiographie entwerfen Nationen ihre ‚Identität‘, indem sie die Chronologie umkehren und die Zeit rückwärts lesen, weil sie ihren genealogischen Faden von der Gegenwart aus in die Vergangenheit auslegen“113 – eine Erzählung, die jedoch ebenso auf „Erinnern“ wie auf „Vergessen“ angewiesen ist114. Siegfried J. Schmidt, der anstelle des Begriffs „Vergessen“ den des „Nicht-Erinnerns“ vorschlägt, da dem „Vergessen“ die Konnotation des Nicht-Intentionalen anhafte, betont die Rolle der Medien in diesem Zusammenhang: Medien lieferten nicht nur „Erinnerungsanlässe“, sie seien auch an der Konstruktion und Reproduktion von Geschichtserzählungen beteiligt: „Erinnern braucht Darstellung“115, so Schmidt.

1.2 G ESCHLECHTERCODIERUNGEN UND F ERNSEHEN

VON

P UBLIKUM

„Knaben sind eher Fernseher“116, schreibt Helmut Zilk 1963 in der Besprechung einer Studie des pädagogischen Instituts der Stadt Wien über den „Fernsehkonsum der Wiener Schüler“117 im Telespiegel. Diese Feststellung steht auf den ersten Blick der These der diskursiven Feminisierung des frühen TV-Publikums entgegen. Lynne Joyrich analysiert, dass in frühen empirischen Erhebungen der Sozialwissenschaften Zuschauer_innen als Objekte tendenziell als „die Anderen“ infantilisiert und feminisiert worden seien: „effect research tends to demonstrate a patronizing concern for groups posed as more vulnerable than ‚us‘.“118 Weitere Feminisierungen der Fernsehzuschauer_innen in der US-amerikanischen Popu-

111 Perz 2001: 484ff. 112 Siehe zum Beispiel Trost 2008: 52. 113 Sarasin 2003: 160. 114 Sarasin 2003: 161. 115 Schmidt 2006: 56 bzw. 55. 116 Telespiegel 2/1963: 17. 117 Telespiegel 2/1963: 16-18. 118 Joyrich 1996: 28.

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lärkultur der 1950er Jahre ergäben sich aus der Verknüpfung von Fernsehen mit Konsum (und der von Frauen mit der Figur der Konsumentin).119 Die frühen Jahre des österreichischen Fernsehens betreffend hat Monika Bernold gezeigt, dass im – auch in Österreich rezipierten – Hollywood-Film eine „diskursive Feminisierung des Fernsehkonsums und des Publikums […] über weiblich konnotierte Vorstellungen von Privatheit, Mütterlichkeit und Familiarität“120 stattfand, die „die fernsehende Familie als Publikum und als Konsumeinheit“121 setzte. Diese „Rezeptionssituation ‚im kleinen Kreis‘“ wurde zwar auch „im Verkaufsstudio simuliert“ 122; da jedoch „kollektive Rezeptionsformen bis in die Mitte der 60er Jahre die dominanten Formen von Fernseherfahrung in Österreich“123 blieben, funktionierte „Fernsehen als familiale, private Rezeptionsform […] in den 50er Jahren und bis in die 60er Jahre in Österreich […] nicht primär als gesellschaftlicher Erfahrungs-, sondern als ge s e l l s c h a f t l i c h e r E r w a r t u n gs b e gr i f f . “124 Die Veröffentlichungen des Fachhandels befanden sich, was die Geschlechtercodierungen der Zuschauer_innen betraf, zudem vor dem „Widerspruch, der sich aus der dominierenden weiblichen Codierung von Massenkultur, Fernsehen und Familie für die Adressierung eines primär männlichen Käuferpublikums ergab“125. Die oben zitierte Setzung des starken TVKonsumenten als männlich und jung im Kontext eines elitären/staatlichen Diskurses im Telespiegel entspricht wohl eher einer beginnenden Wahrnehmung und Problematisierung von Jugendkultur, die mit „Unterhaltung“ verknüpft und als männlich rezipiert wurde.126 Dagegen war eine dominante Zuschreibung an Mädchen und junge Frauen die der „Häuslichkeit“, deren Funktion in der Aufrechterhaltung einer durch den Fernsehapparat tendenziell gestörten Familienkommunikation lag.127 Für das Fernsehen der USA der 1950er Jahre hat 119 Joyrich 1996: 39f. 120 Bernold 2007a: 91. 121 Bernold 2007a: 91. 122 Bernold 2007a: 72. 123 Bernold 2007a: 72. 124 Bernold 2007a: 73. (Hervorh. im Orig.) 125 Bernold 2007a: 82. 126 Vgl. auch McRobbie/Garber 1979: 217f. 127 Vgl. die von Hans Wedenig in Telespiegel 25/1969: 23-25 besprochene Studie zu „Fernsehen und Familie“. Lynn Spigel hat ähnliche Debatten zu Auswirkungen des Fernsehens auf das Familienleben für das US-amerikanische Fernsehen der 1950er Jahre beschrieben. Demnach oszillierten die Zuschreibungen an das Medium zwischen der Herstellung und der Störung eines gemeinsamen Familienlebens. (Spigel 1992: 36-72).

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Matthew Murray beschrieben, dass „daytime television“ für weibliche, „night time“ für männliche Zuschauer_innen konzipiert worden sei. Prime time galt demnach als „rational, sensible, valid (masculine) viewing“128. Für das frühe österreichische Fernsehen ließe sich das vor allem von feministischen Fernsehwissenschafter_innen im angloamerikanischen Raum analysierte Paradigma der Parallelitäten von Daytime Television und Hausarbeit nicht ohne Weiteres übertragen, da in den 1960er Jahren noch kaum gesendet worden und außerdem nicht dieselbe Form der Werbeunterbrechungen gegeben gewesen sei, so Monika Bernold.129 Vermutlich spielte das Radio(-programm) diesbezüglich bis Ende der 1960er Jahre eine weitaus größere Rolle.130 Im Folgenden möchte ich zwei Beispiele der Geschlechtercodierung des Publikums bzw. des Fernsehens selbst analysieren. Tania Maier hat darauf hingewiesen, dass aus „einer geschlechterorientierten Perspektive […] die Konstruktion und Zuschreibung von Geschlecht bei der häuslichen Fernsehaneignung nachvollzogen werden [sollte], um die Prozesse untersuchen zu können, mit denen die Rezipierenden bei der Fernsehaneignung im häuslichen Kontext männlich und weiblich vergeschlechtlicht werden.“131 Einen Bereich dieser Zuschreibungen stellt das Fernsehprogramm als Organisation unterschiedlich geschlechtlich codierter Genres und Sendungen dar. Die sich im österreichischen Fernsehen erst etablierenden Programmschemata und Unvorhersehbarkeiten von Programmänderungen und -verschiebungen waren auf den Fernsehseiten der Tageszeitungen und in Programmzeitschriften der 1960er Jahre ein wiederkehrendes Thema. 1965 wurde in der Fernsehzeitschrift Hör Zu die Einhaltung eines strukturierten Programmschemas gefordert: „Das Fernsehen bemüht sich (seit nicht allzu langer Zeit übrigens), im Ablauf des Programms Ordnung zu haben. […] Das ist gut so, denn es ermöglicht dem Zuschauer eine genaue Einteilung des Abends. Erst dann, wenn die Programmzeiten präzise eingehalten werden, kann vom Zuschauer verlangt werden, daß er sich an die empfohlenen Regeln hält: Eben sich nicht berieseln zu lassen, sondern bewusst zu wählen.“ 132

128 Murray 2002: 135. 129 Bernold 2007a: 104. 130 Darauf lässt ein Artikel zur Programmreform des Radios schließen, in dem diese unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit des Vormittagsprogramms mit Kochen und anderen Versorgungstätigkeiten diskutiert wird. Siehe Arbeiter-Zeitung 4.1.1968: 9. 131 Maier 2005: 170. 132 Hör Zu 22/1965: 4.

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Diese Beschreibung des Verhältnisses zwischen Zuschauer_in und Fernsehen als das eines beiderseitigen Einhaltens von Regeln lässt sich mit einer Analyse von Francesco Casetti und Roger Odin verknüpfen. In ihrem Text „Vom Paläo- zum Neo-Fernsehen“ sprechen sie von Verträgen/„contrats“, die das (frühe) PaläoFernsehen mit seinen Zuschauer_innen eingehe. Diese beträfen erstens die Übereinkunft über eine pädagogische Funktion, der eine hierarchisierte Kommunikationssituation eingeschrieben sei – es gibt diejenigen, die Wissen besitzen und die, an die es weitergegeben wird133 − und zweitens, dass das Fernsehen identifizierbare, nach Genre, Zielpublikum etc. unterscheidbare Programme zur Verfügung stelle.134 Dieses zeitlich fixierte Programmschema erlaube es den Zuschauer_innen, auszuwählen und sich auf den Sinnzusammenhang des erwarteten Programms einzustellen.135 Für uns interessant an diesen Überlegungen ist, dass Casetti und Odin die Bildungsfunktion des frühen Fernsehens mit dessen Programmorganisation verknüpfen und die Funktion der Programmschemata als Organisierung des Publikums beschreiben. Im zitierten Hör Zu-Artikel wird die Unzuverlässigkeit des Fernsehprogramms in Hinblick auf das dadurch evozierte Auseinanderfallen von Zielpublikum und tatsächlichen Zuseher_innen beklagt: „Stramme Männer mit einem Heldengemüt lassen sich am Nachmittag Puppenspiele für Kleinstkinder herunterlaufen, Leute, die partout keine Fremdsprachen lernen wollen, schalten mit einer gewissen Automatik die Professoren Creux und Fangl ein. Und hören und sehen keine Sekunde bewusst zu. […] Es ist wichtig, schon vorher den Wert abzuschätzen, den eine bestimmte Sendung haben wird. Und sich zu fragen, ob es nicht besser sei, ein gutes Buch zu lesen, einen Strumpf zu stricken oder mit dem Kanarienvogel zu spielen.“136

Die hier abgelehnte Inkohärenz zwischen Zielpublikum und tatsächlich Zuschauenden wird unter anderem mit dem Hinweis auf durcheinandergebrachte Geschlechterrollen argumentiert. Zum Ausdruck kommt die Warnung vor einer Infantilisierung und Demaskulinisierung durch das Fernsehen137 unter anderem

133 Casetti/Odin 1990: 10. 134 Casetti/Odin 1990: 10. 135 Casetti/Odin 1990: 11. 136 Hör Zu 22/1965: 4. Georges Creux und Walter Fangl moderierten Französisch- bzw. Englischkurse im Fernsehen, Anm. rw. 137 Lynn Spigel stellt die Darstellung von einer vom Fernsehen ausgehenden Gefahr der Feminisierung der männlichen Zuseher auch für den Diskurs um das USamerikanische Fernsehen in den 1950er Jahren fest. Laut Spigel wurden ähnliche

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durch eine Passivisierung.138 Die positiven Gegenbeispiele für mögliche Alternativbeschäftigungen – „ein gutes Buch zu lesen, einen Strumpf zu stricken oder mit dem Kanarienvogel zu spielen“ – lassen ein Bild der klar nach Geschlecht und Generationen getrennten Freizeitgestaltung entstehen. Die Fixierung des Fernsehprogramms wurde demnach auch als notwendig für eine Bewahrung bzw. Stabilisierung von Geschlechteridentitäten und (Klein-)Familienkonstellationen angesehen. Neben diesen Geschlechtercodierungen des Publikums lassen sich in Hör Zu auch weibliche Codierungen des Fernsehens selbst feststellen. In den „PressePointen“, einer Rubrik, die Thematisierungen des Fernsehens in der österreichischen Presse wiederabdruckte, wurden 1968 zwei Artikel aus der Wiener Zeitung wiedergegeben, die das Fernsehen mit Metaphern der Mütterlichkeit beschreiben. Unter dem Titel „Konserven“ beschwert sich ein Autor darüber, dass das Fernsehen zu wenige Eigenproduktionen sende: „Wenn eine Hausfrau zu faul oder ganz einfach einfallslos ist, macht sie eine Konserve auf. Auch in der Programmküche ist rascher eine Konserve – für den Alltag zudem die eingedosten Spielfilme – zur Hand, als ein eigenes Rezept. […] So wird von der heutigen Freizeiturmutter Fernsehen ein Zwitter nach dem anderen geboren: Theater im Fernsehen, Prosa im Fernsehen, Musik im Fernsehen, Film im Fernsehen, Schallplatten im Fernsehen, Revue im Fernsehen usw. Das Fernsehen selbst tritt im Fernsehen nur mehr als Lückenbüßer in Erscheinung.“139

Das Fernsehen wird als versorgend und gebärend gesetzt und, wenn auch abwertend, mit mütterlichen Fähigkeiten assoziiert. Diese Rede setzt ein weiterer Artikel – „Oma bleibt konkurrenzlos“140 – fort, der eine Studie über Kleinkinder und Fernsehen vorstellt: „Die Psychologen ziehen aus der Untersuchung den Schluß, daß das Fernsehen […] für Kinder auf vielerlei Weise positiv sein kann. Es bietet einen brauchbaren Notbehelf, wenn

Demaskulinisierungs-Szenarien anlässlich der Etablierung des Radios in den 1920er Jahren gezeichnet (Spigel 1992: 61). 138 Aus einer konservativ-katholischen Perspektive sieht Josef Pöppl 1962 in der durch das Fernsehen hervorgerufenen „Passivität“ eine Gefahr für „die demokratische Gemeinschaft“ (Pöppl 1962: 67f.). 139 Hör Zu 5/1968: 15 (Presse Pointen: Thomas Pluch, Wiener Zeitung). 140 Hör Zu 10/1968: 21f. (Presse-Pointen – Dr. Ute Sassadeck – Wiener Zeitung)

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die märchenerzählende Oma, Tante oder Mutter in der Familie fehlt, obwohl es die Person als Übermittler der Erzählung nicht voll ersetzen kann.“141

Diese Zuschreibungen an das Fernsehen verweisen auf berufstätige oder aus anderen Gründen für die Kindererziehung nicht zur Verfügung stehende Frauen. Auch die Erwähnung von Lebensmittelkonserven ist im Kontext sich ankündigender Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen zu sehen. So schreibt Angelika Dollinger-Woidich zum Versuch der Aufwertung von Fertigprodukten in den 1960er Jahren, dass diese mit dem „Bild von der aktiven, unabhängigen Frau, die sich zwischen Kochen und Freizeit für letzteres entscheidet“142 verknüpft worden sei. Demgegenüber drückt sich im oben zitierten Artikel ein Versuch der negativen Konnotierung der Konserve mit „Faulheit“ und „Einfallslosigkeit“ der Hausfrau aus, die metaphorisch auf die Programmgestaltung des Fernsehens übertragen wird. Dieser weiblichen Codierung von Gesamtprogramm, (Kinder-)Unterhaltung und Märchenerzählen steht eine männliche Codierung der Informationssendungen, Dokumentationen und Diskussionsrunden gegenüber. Was evident wird anhand der sehr unterschiedlichen geschlechtlichen Codierungen ist die Projektion, Verknüpfung und Aushandlung sich zum Teil widersprechender gesellschaftlicher Anforderungen (Bildung, Konsum, Familie/Reproduktion, Berufstätigkeit) in den Zuschreibungen an die Fernsehzuschauer_innen und das Fernsehen.

1.3 B ILDUNGSFUNKTION „Einen Begriff wie ‚Bildung‘ kennt nur die deutsche Sprache“143, merkt der Bildungssoziologe Ingolf Erler an. Erler weist auf die unterschiedlichen Bewertungen von Wissen hin: Nicht jedes Wissen gilt als (gleich) wert, erworben zu werden, und nur wenige „Ausprägungen alltäglichen Lernens“ werden als „Bildung“ anerkannt.144 So wird auch selten der Erwerb des in Unterhaltungssendungen generierten Wissens als „Bildung“ verstanden. „Bildung“ war, ebenso wie „Unterhaltung“ und „Information“, von Beginn an eine festgeschriebene Aufgabe des österreichischen Fernsehens. Wie ich zeigen werde, ist der zeitgenössischen Rede vom Fernsehen als Bildungsinstrument (wie der vom „demokratischen Medi-

141 Hör Zu 10/1968: 22. 142 Dollinger-Woidich 1989: 226. 143 Erler 2011: 192f. 144 Erler 2011: 193.

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um“) ein autoritäres und hierarchisches Verständnis des Mediums bzw. eines Modells von Sender_in und Empfänger_in eingeschrieben. Laut einer Untersuchung von 1980 variierte der Anteil von „Bildungssendungen“ am Fernsehprogramm in den Jahren 1955-1970 zwischen 9,8 Prozent (1955-1958 zusammengefasst) und 23,1 Prozent (1969); der von „Unterhaltung“ zwischen 64,2 Prozent (1959) und 40,4 Prozent (1970) und von „Information“ zwischen 24,8 Prozent (1959) und 39,8 Prozent (1970).145 Im untersuchten Zeitraum stieg also der Anteil der Bildungssendungen stark, der der Informationssendungen etwas weniger, jedoch stetig, und die Sendezeit der Unterhaltungssendungen ging tendenziell zurück, machte jedoch nach wie vor den größten Anteil des Programms aus. Im Diskurs um Fernsehen als Bildungsmedium, wie er sich zum Beispiel in der Zeitschrift Telespiegel artikulierte, konnte auf eine in Österreich seit den Anfängen des Kinos geführte Auseinandersetzung mit dem „wertvollen Film“ zurückgegriffen werden. Sozialdemokratische und konservative Positionen trafen sich in dem Punkt, dass (unter Bezug auf die „Volksbildung“ bzw. „pädagogisch“ und „künstlerisch wertvolle“ Qualitäten) unterhaltende Funktionen des Films abgelehnt wurden146, dies mitunter mithilfe einer mehr oder minder offen antisemitischen Abgrenzung gegenüber US-amerikanischen Produktionen.147 Kurz nach der Einführung des Versuchsbetriebs des Fernsehens in Österreich erschien in den Mitteilungen der Wiener Urania in der Ausgabe vom Oktober 1955 ein Artikel mit dem Titel: „Wünsche der Volkshochschulen an den FernsehFunk“.148 Interessant ist hier der – auf eine Außenwahrnehmung gerichtete – Verweis auf das „Ansehen unseres Landes“, in dessen Interesse es liege, „die volksbildnerischen Möglichkeiten des Fernsehens auszunützen.“149 Unter Verwendung einer Rhetorik des Krieges, die das Fernsehen einer Invasion gleichsetzt, formulieren die Autor_innen die programmatische Forderung, gegen die „drohenden Gefahren rechtzeitig pädagogische Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.“150 Einer in diesem Zusammenhang geäußerten „Wünsche“ ist der nach einem zehnprozentigen Programmanteil, der von den Volkshochschulen gestaltet werden sollte. „Gefahrenpotentiale“ des Fernsehens werden in der „hypnotischen Wirkung, der Lähmung des persönlichen Urteils und des persönlichen Geschmacks“ gesehen; als mögliche Gegenmaßnahme werden „Kollektivempfänge mit anschließender Aussprache oder Diskussionen, die sich an die zu Hause 145 Richter/Richter 1980: 74. 146 Vgl. Stifter 1997; Bakondy/Winter 2007: 148-150. 147 Bakondy/Winter 2007: 149. 148 Mitteilungen der Wiener Urania Oktober 1955: 1. 149 Mitteilungen der Wiener Urania Oktober 1955: 1. 150 Mitteilungen der Wiener Urania Oktober 1955: 1.

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empfangenen Sendungen anschließen“151 empfohlen. Diese beiden Figuren – die Abwertung von Unterhaltung und Popularkultur einerseits und der Versuch der Kontrolle152 oder zumindest Lenkung der Rezeption andererseits – finden sich auch in Texten der Akteur_innen von ORF und Bundesministerium für Unterricht, die Anfang der 1960er Jahre für das Schulfernsehen und damit für Produktion und Gestaltung eines Teils des Bildungsprogramms des Fernsehens zuständig waren, in der Zeitschrift Telespiegel. Herbert Hauk bezieht sich in seinem programmatischen Text zur Einführung des Schulfernsehens 1962 auf die USA: „Die Entwicklung in den USA auf dem Gebiete des kommerziellen Fernsehens läßt die Schlußfolgerung zu, daß eine ähnliche bedenkliche Situation eines Tages auch bei uns eintreten könnte, sodaß es dringend geboten scheint, rechtzeitig auf dem Sektor der Erziehung und Bildung das Massenmedium Fernsehen in die Lage zu versetzen, auf breitester Basis für die geistige Entwicklung und Weiterbildung der Bevölkerung zu sorgen.“153

Diese Ablehnung kommerziellen Fernsehens, das in der Abgrenzung zum öffentlich-rechtlichen mit Popularkultur und Werbefernsehen identifiziert wurde, ging mit einer Abwertung derjenigen einher, die die Unterhaltungsangebote des Fernsehens nutzten (und das betraf einen Großteil der Fernsehzuseher_innen154). So schloss Helmut Zilk 1963 in der Auswertung einer Untersuchung des pädagogischen Instituts der Stadt Wien über den „Fernsehkonsum der Wiener Schüler“155 aus der höheren Präferenz von Hauptschüler_innen (gegenüber Mittelschüler_innen) für Unterhaltungssendungen auf „eine eindeutige Beziehung zwischen Intelligenz und Programmwahl“.156 „Intelligenz“ als Konstruktion, deren Messung und Bewertung im Kontext sozialer Machtverhältnisse geschieht, wird hier vom besuchten Schultyp abgeleitet und auf das Programm übertragen. Darauf, dass das österreichische duale Schulsystem vor allem der Reproduktion sozialer 151 Mitteilungen der Wiener Urania Oktober 1955: 1. 152 Ien Ang bezeichnet Wissensproduktionen seitens der Fernsehinstitutionen über „das Publikum“ als „gemeinsame diskursive Konstruktion vom ‚Fernsehpublikum‘ als eine Kategorie von Anderen, die kontrolliert werden müssen.“ (Ang 2001 [1991]: 462). 153 Telespiegel 1/1962: 24. 154 In Richter/Richter 1980 werden die „Seheranteile nach Programmsparten“ zwar erst ab 1971 angegeben, können aber in ihrer Tendenz aussagekräftig für das Jahrzehnt davor sein. 1971: Information 29,4%, Unterhaltung 44,6% und Bildung 26%. (Richter/Richter 1980: 84). 155 Telespiegel 2/1963: 16-18. 156 Telespiegel 2/1963: 18.

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Hierarchien dient, hat zuletzt Ingolf Erler hingewiesen157; daran anschließend lässt sich formulieren, dass die unterschiedliche Bewertung und Unterteilung des Fernsehprogramms mit ökonomischen Machtverhältnissen und auf diesen basierenden Zuschreibungen in Zusammenhang steht und mit der Abwertung einkommensschwacher Fernsehzuschauer_innen einhergeht.158 1.3.1 Vom „Schulfernsehen“ zum lebenslangen Lernen In der Zeitschrift Telespiegel ist in den 1960er Jahren eine Veränderung der Aussagen zur Funktion des Fernsehens in Bezug auf Bildung festzustellen, die sich als eine Veränderung des Dispositivs Bildungsfernsehen beschreiben lässt. Zu Beginn der 1960er Jahre konzentrieren sich die Diskussionen über die Bildungsfunktion des Fernsehens auf bestimmte Programme bzw. – der Funktion der Zeitschrift Telespiegel geschuldet – auf das Schulfernsehen. Im September 1959 als Versuchsprogramm eingeführt, sendete das Schulfernsehen ab September 1962 regelmäßig (zuerst jeden Donnerstag um 11 Uhr, ab November 1965 auch mittwochs und freitags vormittags) Sendungen, die sich bestimmten Unterrichtsgegenständen zuordnen ließen.159 Wurden die Programme vorerst von der Abteilung „Jugend und Familie“ (mit Herbert Hauk, Irmbert Fried und Helmut Zilk) mitproduziert, erhielt das Schulfernsehen mit der Rundfunkreform 1967 eine eigene Abteilung unter der Leitung von Otto Kamm; im Januar 1968 wurde das Programm erneut erweitert.160 Die Zeitschrift gab Anleitungen, wie die Programme von den Lehrer_innen in den Unterricht einzubeziehen seien – bis hin zur Darstellung idealer Sitzanordnungen im Klassenzimmer.161 Die Anordnungsvorschläge, die den Fernsehapparat entweder an die Stelle der Lehrperson treten lassen, oder aber, um eine bessere Sichtbarkeit zu gewährleisten, das Gerät an der Fensterseite des Klassenraums und die Schüler_innen in einem diesem zugewandten Kreissektor platzieren, sind von folgendem Text begleitet: 157 Erler 2011: 195-201. 158 Auf ähnlich funktionierenden Zuschreibungen basieren heutige Kategorisierungen wie „Unterschichts-Fernsehen“ oder „Quality-TV“. 159 Telespiegel 26/1969: 24f. 160 Telespiegel 26/1969: 25. 161 Vgl. Telespiegel 8/1965: 26f. Diese Vorschläge stellten Idealvorstellungen dar. Wie weit diese oft von der Realität entfernt waren, zeigt der Bericht eines Schulleiters, der über die Schulfernseh-Erfahrungen an seiner Schule in Hochneukirchen, Niederösterreich berichtet: „Da die Kinder bei mir in der Wohnung jeweils die Sendungen sehen können, ist die räumliche Unterbringung nicht die beste.“ (Telespiegel 3/1963: 19).

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„Fernsehen zu Hause ist für die Kinder eine angenehme Freizeitbeschäftigung. Im allgemeinen lassen sie die Sendungen passiv über sich ergehen, lutschen Bonbons dabei, reden dazwischen, denken mit, denken weg. Fernsehen in der Schule ist ein Teil des Unterrichts. Das bedeutet, daß sich die Haltung der Kinder dem Medium gegenüber ändern muß. Wo bisher Entspannung erlaubt war, müssen jetzt Anspannung, Konzentration, Mitarbeit gefordert werden. Und der Lehrer hat neben seinem Unterricht auch noch die Aufgabe, die Kinder zum sinnvollen Fernsehen zu erziehen.“ 162

Die Eingliederung des Fernsehens in die Schule geschieht hier durch Disziplinierungsprozesse auf mehreren Ebenen. Zum einen durch eine räumliche Fixierung, denn das Dispositiv Fernsehen kann, wie Knut Hickethier gezeigt hat, im Gegensatz zum Kino163 als durch einen „Verzicht auf die Disziplinierung der Wahrnehmung durch die Fixierung der Zuschauer“164 gekennzeichnet beschrieben werden. Die räumliche Fixierung, die dem Klassenraum schon eingeschrieben war, wird für das Fernsehen angepasst, aber nicht aufgehoben. Zum anderen wird versucht, die Rezeptionshaltung zu kontrollieren: Es gilt, nicht zu essen, nicht zu reden und dem Verlauf der Sendung zu folgen. Während in Bezug auf Unterhaltungssendungen davon ausgegangen wird, dass die Zuseher_innen deren als verwerflich angesehene Botschaften unhinterfragt übernehmen würden, scheint hier das Gegenteil ein Problem darzustellen: dass die Schüler_innen den Sendungen nicht aufmerksam genug folgen könnten. Durch „Fernseherziehung“165 sollten die Schüler_innen zu dieser an einer Stelle bezeichnenderweise „Sehdisziplin“166 genannten Rezeptionshaltung herangeführt werden. Gegen Beginn der 1970er Jahre mehren sich in der Zeitschrift Texte, die „Lernen“ als permanenten Prozess definieren: „LERNEN ist heute vielmehr ein permanenter Faktor des Menschseins, ein fixer Bestandteil der Berufsarbeit und auch der Freizeit, der das ganze Menschenleben hindurch ununterbrochene Aktivität in der Form eines ständigen Weiterlernens verlangt.“167

162 Telespiegel 8/1965: 26. 163 Der Filmwissenschafter Thomas Elsaesser zeigte, wie auch im Kino die Fixierung der Zuschauer_innen erst hergestellt werden musste. Elsaesser 2000: 39. 164 Hickethier 1995: 65. 165 Siehe zum Beispiel den Text von Hans Wedenig: Praktische Fernseherziehung in der Schule, in: Telespiegel 17/1967, 20f. 166 Telespiegel 10/1965: 15. 167 Telespiegel 28/1970: 23. (Hervorh. im Orig.)

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Dieses Lernen sei durch audiovisuelle Medien besonders dann gut möglich, wenn die Schüler_innen eine „aktive Teilnahme“ zeigten, die „entscheidend für die Einprägung“168 sei. In seinem Text „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“ beschreibt Gilles Deleuze 1990 eine „Krise aller Einschließungsmilieus, Gefängnis, Krankenhaus, Fabrik, Schule, Familie.“169 Die der Krise folgende ‚Ablösung‘ der Disziplinar- durch die Kontrollgesellschaften transformiere „sogar die staatlichen Bildungseinrichtungen: Denn wie das Unternehmen die Fabrik ablöst, löst die permanente Weiterbildung tendenziell die Schule ab, und die kontinuierliche Kontrolle das Examen. Das ist der sicherste Weg, die Schule dem Unternehmen auszuliefern.“170 Dieser ökonomische Aspekt von Bildung wird auch im Telespiegel thematisiert. So wird die Notwendigkeit des permanenten Lernens mit wirtschaftlichen Überlegungen argumentiert: „Bildung wird ein Wirtschaftsfaktor. Jeder Bildungsaufwand erfüllt daher prinzipiell die Kriterien des Begriffes Investition. Er bedeutet Verzicht auf sofortigen Konsum verfügbarer Mittel und ist auf Ertrag in der Zukunft gerichtet, das heißt, Bildung muß nach dynamisch rationellen Gesichtspunkten erfolgen. Dynamisch rationelle Bildung ist aber nur mit Hilfe audio-visueller Medien und audio-visueller Geräte möglich.“171

Wo im Schulfernsehen Fixierung und stumme Konzentration auf das Gesehene gefordert war, verlangt die permanente Bildung die Aktivierung der Schüler_innen: „sehen + hören + tun“172 ist die neue Devise. Von den audiovisuellen Medien versprechen sich die diversen Autor_innen eine „besondere[…] Eindrucksmacht“.173 Es gehe nicht mehr um eine Abfolge von „in sich abgeschlossene[n] isolierte[n] Darbietungen in Form interessanter Kurzfilme“, sondern um einen „Gesamtplan der Unterrichtseinheiten“ und einen „harmonischen“ Einsatz als „Montageteil des Unterrichts“.174 Der Einsatz von Medien im Unterricht führ-

168 Telespiegel 28/1970: 25. 169 Deleuze 1993: 255. 170 Deleuze 1993: 257 (Hervorh. im Orig.). Deleuze ordnet die beiden Gesellschaftsmodelle im Übrigen nicht auf einer Skala des Fort- oder Rückschritts an: „Es ist nicht nötig zu fragen, welches das härtere Regime ist oder das erträglichere, denn in jedem von ihnen stehen Befreiungen und Unterwerfungen einander gegenüber.“ (Deleuze 1993: 255). 171 Telespiegel 35/1971: 23. 172 Telespiegel 35/1971: 21. 173 Telespiegel 28/1970: 24. 174 Telespiegel 28/1970: 25f.

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te zu Verhandlungen von (Deutungs-)Machtansprüchen zwischen Fernsehen und Lehrer_innen. Dies drückt sich unter anderem in der katholisch-pädagogischen Schrift zum Fernsehen Fernsehen und Volksbildung (1962) von Josef Pöppl aus: „Wird das Fernsehen den Lehrer aus seiner zentralen Stellung als Erzieher, Berater und Autorität in der Klasse verdrängen?“175 fragt Pöppl, und beruhigt: „Der Lehrer im Fernsehstudio ist also nicht der besserwissende Konkurrent des Klassenlehrers, sondern sein Vorbild und Freund. […] Die Autorität in Erziehungsfragen zu sein, ist nach wie vor dem Lehrer übertragen, der mit lebendigen Menschen Kontakt hat und der alle Eindrücke einem sinnvollen Weltbild einzuordnen versteht.“176

Während hier also 1962 in einer dem „Einschließungsmilieu“ Kirche nahestehenden Publikation die Definitionsmacht und Autorität des Lehrpersonals bestärkt wird, wurde in den 1960er Jahren auch im Telespiegel des Öfteren betont, dass das Fernsehen das Lehrpersonal nicht ersetzen werde.177 1970 wird das anzustrebende Verhältnis zwischen Fernsehen, Lehrer_in und Schüler_in von einem Autor jedoch wie folgt beschrieben: „Die Inhalte der Sendungen sind so an den Lernenden heranzutragen, daß er auf die Hilfe des Klassenlehrers verwiesen wird, ohne daß der Prozeß des selbständigen Weiterdenkens und Weiterarbeitens oder das selbständige Lösen von Lernschritten abreißt.“178

An die Stelle der Disziplinierung der Schüler_innen tritt somit die ökonomisch motivierte Selbstmotivation179, an die Stelle des_der Lehrer_in, die_der die Schüler_innen sieht und für Disziplin sorgt, das Fernsehgerät, das von den Schüler_innen gesehen wird, und die Lehrperson als Coach. Eine ähnliche Verschiebung von Disziplinar- zu Kontrollgesellschaft konstatiert Monika Bernold für denselben Zeitraum in Bezug auf Unterhaltung, Familie und Fernsehen. Die Ende 1969 startende Sendung Wünsch Dir was stellte, so

175 Pöppl 1962: 230. 176 Pöppl 1962: 231. 177 Vgl. Telespiegel 8/1965: 19f. bzw. Telespiegel 20/1968: 19f. 178 Telespiegel 28/1970: 25f. 179 Deleuze beschreibt auch, wie das Unternehmen an die Stelle der überwachten Masse in der Fabrik „ständig eine unhintergehbare Rivalität als heilsamen Wetteifer und ausgezeichnete Motivation, die die Individuen zueinander in Gegensatz bringt, jedes von ihnen durchläuft und in sich selbst spaltet“, setze. (Deleuze 1993: 257).

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Bernold, einen „strategischen Ort der Antizipation“180 dieses von Deleuze beschriebenen Übergangs dar. 1.3.2 Fernsehen „nach Auschwitz“? Im Telespiegel nicht rezipiert, aber in der BRD zur gleichen Zeit diskutiert wurden Fernsehanalysen von Theodor W. Adorno. Adorno kommt, wenn auch mit anderen politischen Zielsetzungen181, zu demselben Schluss wie die österreichischen Volkshochschulen und die Akteur_innen des Schulfernsehens182, nämlich „daß man die Zuschauer Fernsehen lehren müßte.“183 Im Hessischen Rundfunk wurde am 1.6.1963 ein Gespräch unter der Leitung von Gerd Kadelbach gesendet; unter dem Titel „Fernsehen und Bildung“ diskutierten Adorno und der in seiner Funktion als Präsident der deutschen Volkshochschulen geladene Hellmut Becker. Obwohl der Nationalsozialismus — bzw. der Umgang des Fernsehens damit — Thema des Gesprächs war, kamen Erfahrungsdifferenzen zwischen dem aus dem Exil zurückgekehrten Adorno und dem 1937 der NSDAP beigetretenen und nach dem Krieg als Verteidiger bei den Nürnberger Prozessen tätigen Becker184 nicht zur Sprache. Für Theodor W. Adorno, dessen Haltung gegenüber der Populärkultur bekanntermaßen skeptisch war, stellte das Fernsehen ein Medium dar, das die Möglichkeit der Kontrolle und Manipulation der Zuschauer_innen barg.185 Einer der „Effekte“186 von Fernsehen sei die Erzeugung eines „falschen Bewußtseins“187 bei den Zuschauer_innen. Diese „Gefahr“ der „Verschleierungen der Wirklichkeit“188 verortet Adorno vor allem in Fernsehspielen: „Ich halte […] im Grunde die üblichen Fernsehspiele für politisch viel gefährlicher als jemals eine politische Sendung.“189 Dieses Statement könnte einerseits 180 Bernold 1996b: 530. 181 Hier muss betont werden, dass die Gefahr, die Adorno im Fernsehen sah und benannte, nämlich die einer von der Warenförmigkeit populärkultureller Produktionen ausgehende „Gleichschaltung“, im Kontext seiner Auseinandersetzungen mit dem Faschismus zu sehen ist. 182 So zum Beispiel im Artikel von Hans Wedenig: „Praktische Fernseherziehung in der Schule“ (Telespiegel 17/1967: 20f.). 183 Adorno 1971b: 54. 184 Conze/Frei/Hayes/Zimmermann 2010: 405f; 412. 185 Vgl. Adorno 1954. 186 Adorno 1954: 13. 187 Adorno 1971b: 55; 58. 188 Adorno 1971b: 54. 189 Adorno 1971b: 56.

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vor dem Hintergrund der Abwertung von Unterhaltung zugunsten von Bildung interpretiert werden; andererseits könnte es dahingehend gelesen werden, dass Adorno mit diesem Fokus auf die „Ideologie“ die politischen Funktionen von Unterhaltungssendungen ernst nahm. Im 1954 erschienenen Text „How to Look at Television“ führt Adorno anhand des US-amerikanischen Fernsehens (das er gegen den populären Roman des 19. Jahrhunderts abgrenzt) einige Beispiele dieses „Effekts“ des Fernsehens an.190 Er identifiziert unterschwellige Botschaften des Fernsehens, die er für politisch gefährlich hält, da sie totalitäre Ideologien befördern würden, wie zum Beispiel „Don’t expect the impossible, don’t daydream, but be realistic”191, oder, anhand der personalisierten Darstellung eines fiktiven sadistischen Diktators, die Personalisierung und Psychologisierung politischer Machtverhältnisse: „The impression is created that totalitarianism grows out of character disorders of ambitious politicians.“192 Auffällig an Adornos Kritik in diesem Text ist allerdings, dass in allen von ihm zitierten Beispielen an (Comedy-)Serien und Fernsehspielen Geschlecht bzw. die Veränderung von Geschlechterverhältnissen eine entscheidende Rolle spielt. So bespricht Adorno bezugnehmend auf das Motiv „a pretty girl can do no wrong“193 zwei Beispiele, in denen junge Frauen trotz ihres offensichtlichen gesellschaftlichen Fehlverhaltens gegenüber dem Vater beziehungsweise ihres kriminellen Verhaltens gegenüber einem Mann nicht bestraft werden. Adorno meint „the heroine really gets away with everything just because she is pretty“194, was gravierende Folgen habe: „It goes without saying that such psychological models tend to confirm exploitative, demanding, and aggressive attitudes on the part of young girls – a character structure which has come to be known in psychoanalysis under the name of oral aggressiveness.”195 Unter der Prämisse, dass Aggression kein anzustrebendes Verhalten von jungen Frauen sei, bedient sich Adorno hier mit Bezug auf die Psychoanalyse einer Pathologisierung von nicht geschlechterrollenkonformem Verhalten. Ohne das Material, das Adorno bespricht, zu kennen (Adorno gibt keine Sendungstitel an), drängt sich aufgrund der Sendungsbeschreibungen die Vermutung auf, dass eine queer-/feministische Lesart der von Adorno zitierten televisuellen Texte zu anderen Einschätzungen der politischen Botschaften käme. Folglich stellt sich die Frage, ob nicht ein Teil des von Adorno konstatierten durch 190 Adorno 1954. 191 Adorno 1954: 225. 192 Adorno 1954: 231. 193 Adorno 1954: 232. 194 Adorno 1954: 232. 195 Adorno 1954: 232.

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das Fernsehen verbreiteten „falschen Bewußtseins“ eine Destabilisierung der Geschlechterordnung darstellte. Eine weitere Textstelle, einige Seiten später, spricht für diese Annahme: Adorno beschreibt das Stereotyp des männlichen Künstlers als „‚aesthete‘, a weakling, and a ‚sissy‘“196 und mit Homosexualität konnotiert. Er zitiert ein „comedy script“, in dem eine solche männliche Figur sich in eine stärker dargestellte Frau verliebt und meint: „As happens frequently in mass culture, the roles of the sexes are reversed – the girl is utterly aggressive, and the boy, utterly afraid of her, describes himself as ‚woman-handled‘ when she manages to kiss him.”197 Wie oben erwähnt sieht Adorno eine Problematik dieser Darstellungen darin, dass die dargestellten Verhaltensweisen von jungen Frauen/Zuschauerinnen übernommen würden. Seine Skepsis gegenüber dem Fernsehen beruht auf einer spezifischen Konfiguration des Verhältnisses von gesendetem Material und Zuschauer_in, die das Publikum als den unterschwelligen Botschaften des Mediums gegenüber machtlos setzt. So stelle sich der „Effekt“ des Fernsehens dadurch her, dass die „verborgene Botschaft/Bedeutung“/„this hidden message will escape the controls of consciousness, will not be ‚looked through‘, will not be warded off by sales resistance, but is likely to sink into the spectators mind.“198 „Gutes“ Fernsehen hingegen sollte seiner Meinung nach Folgendes zustande bringen: „mature, adult, and responsible reactions – implying not only in content but in the very ways things are being looked at, the idea of autonomous individuals in a free democratic society.“199 Diese spezifische Vorstellung idealer Zuschauer_innenreaktionen ist sehr nahe an dem, was Adorno an anderer Stelle 1966 als einzig mögliches Ziel einer „Erziehung nach Auschwitz“ formuliert hat: „Die einzig wahrhafte Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie, wenn ich den kantischen Ausdruck verwenden darf; die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen.“200 Deutlich werden in diesem Modell zwei entgegengesetzte Pole der Vorstellung von Zuschauer_innen. Auf der einen Seite die feminisierte, leicht manipulierbare Zuschauerin, die den Botschaften des Mediums hilflos ausgeliefert ist201 und das aggressive Verhalten der Bildschirmheldinnen imitiert; und auf der an196 Adorno 1954: 233. 197 Adorno 1954: 234. 198 Adorno 1954: 221. 199 Adorno 1954: 222. 200 Adorno 1971a: 93. 201 Vor allem in Bezug auf die Konstruktion von Konsumentinnen wurden diese Darstellungen (aus dem Umfeld) der Frankfurter Schule von feministischen Theoretiker_innen mehrfach kritisiert. Siehe z.B. Carter 1990: 38-41 und Nava 1999: 51.

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deren Seite die_der autonome, erwachsene, reife, verwantwortliche und reflektierte Zuschauer_in. Über diese hierarchisierten und geschlechtlich codierten Zuschauer_innenkonstruktionen202 hinaus ergibt sich eine weitere Problematik aus diesem Modell. So bedarf die Entwicklung von einem präferierten Pol zum anderen hier erneut des Einflusses und Anstoßes von außen, nämlich durch Erziehung oder von Seiten des (besseren) Fernsehens. Diese Vorstellung bleibt in dem Paradox gefangen, dass ein Subjekt durch bestimmte Strategien dazu gebracht werden soll (manipuliert werden soll), autonom und selbstbestimmt (und nicht manipulierbar) zu werden. Zuletzt möchte ich die These formulieren, dass die Figur des_der manipulierten und infantilisierten Zuschauer_in auf ähnlichen Geschlechterkonstruktionen beruht wie die Darstellung einer feminisierten, vom Nationalsozialismus verführten Bevölkerung.203 Diese Figur kann demnach, gerade wenn sie in Zusammenhang mit Medien, Propaganda und Nationalsozialismus steht, auch der Entlastung dienen. Ein Modell, das davon ausgeht, dass die Medien tatsächlich eine so überwältigende Wirkung haben, der sich die Zuschauer_innen aufgrund des unterschwelligen Charakters der Botschaften gar nicht entziehen können, läuft Gefahr, mögliche Reaktionen zu homogenisieren, die eventuelle Zustimmung zum Gesendeten nicht ernst zu nehmen bzw. – im Kontext von Propaganda und Nationalsozialismus – diejenigen zu entlasten und zu entschuldigen, die zustimmen und sie letztlich ihrer Verantwortung zu entheben. Als Gegenmittel setzt der Diskurs zum dokumentarischen Geschichtsfernsehen die Erziehung der Zuschauenden und damit eine paternalistische Vorstellung eines „besseren“ Fernsehens. Geht dieses Modell von einer Unmündigkeit und Passivität der Zuschauer_innen aus, ist es vereinbar mit einem dominanten geschichtspolitischen Erklärungs- und Entlastungsmuster, das auch in Fernsehsendungen der 1960er Jahre artikuliert wurde. Demnach wäre die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung durch Propaganda und Versprechungen der Nationalsozialist_innen manipuliert

202 Lynne Joyrich stellt diese Gendercodierungen auch in einem anderen Text von Adorno fest: „Adorno too associates the rise of mass culture and the death of a virile and authorial modernism with the threat of femininity and infantilization. […] Rather than the masculine spectator stimulated by the negativity inherent in modernist art, television creates an effeminate viewer, passive and gullible, in need of comfort and support“ (Joyrich 1996: 26). 203 Zur Figur der Verführung im bzw. durch den Nationalsozialismus und deren Geschlechtercodierungen siehe Wenk/Eschebach 2002: 26; Hoffmann-Curtius 1996: 54; Duesterberg 2002: 239 und 241. (Ausführlicher dazu siehe Kapitel 3.4.3)

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worden und habe erst zu spät den „wahren“ Charakter des NS-Regimes erkannt.204

1.4 G ESCHICHTSFERNSEHEN ALS I NSTRUMENT FÜR DIE B ILDUNG DEMOKRATISCHER S TAATSBÜRGER _ INNEN 205 Im frühen Geschichtsfernseh-Diskurs, das heißt in Texten/Äußerungen, in den Sendungen selbst und in der Frage der Programmgestaltung wird – insbesondere dann, wenn es um die Darstellung der Zeitgeschichte geht – auf die eben beschriebenen Diskursebenen der (Re-)Demokratisierung und der Bildung zurückgegriffen. Eine der intendierten Funktionen von Geschichtssendungen war die Erziehung der Zuschauer_innen zu demokratischen Staatsbürger_innen. Bezeichnend für diese Haltung erscheint mir ein Artikel aus der Fernsehzeitschrift Hör Zu vom April 1965, der im Rahmen der zahlreichen Fernsehsendungen zu den Feierlichkeiten zum 20-jährigen Jubiläum der Zweiten Republik erschien. Die regelmäßige Kolumne „HÖR ZU meint“ trug in dieser Ausgabe den Titel „Gebt uns Geschichtsunterricht!“, — eine Forderung, die sich auch durch den Text zieht. Die_der namentlich nicht genannte Verfasser_in diskutiert ausgehend von einer „erzieherische[n] Aufgabe“ des Fernsehens die Umsetzung des Bildungsauftrags206: „Wir erfahren in spannenden Darbietungen, wie etwa die Fische im Meere leben, was sie gerne fressen und wie sie sich in den meisten Fällen verhalten. Auch ist es wichtig und interessiert weite Teile der Bevölkerung, auf welche Art der moderne Bauer den Wuchs des Schweines lenken kann und welche Methoden er anwenden muß, um zu einer erstaunlichen Rübenernte zu kommen. Das alles sind zweifellos wichtige und notwendige Informationen. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß es wenigstens ebenso von Wert ist, wenn man sich der sogenannten Zeitgeschichte annimmt. […] Noch nie war die Chance so groß, dem Staatsbürger zu einer echten politischen Bewußtseinsbildung zu verhelfen, wie jetzt, wo das Fernsehen in allen Stuben ist. Noch nie hatte ein Staat so sehr die Möglichkeit, seine Bürger auf ein demokratisches Niveau zu bringen, wie gerade jetzt. Es hat sich

204 So zum Beispiel in Zeitgeschichte aus der Nähe Teil 2 (1962), TC 08:00ff oder Die Republik der Überzeugten (1965), TC 14:00ff. 205 Teile dieses Unterkapitels basieren auf einer überarbeiteten Version von Winter 2010. 206 Hör Zu 17/1965: 4.

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schon herumgesprochen, daß nichts gefährlicher ist als ein Volk, dessen Mitglieder politisch desinteressiert sind. Genau die Leute sind es nämlich, die auf jedes Schlagwort hereinfallen und die wehrlos werden, wenn ihnen jemand schöne Augen macht.“207

In diesem Text artikuliert sich etwas, das die Historikerin Monika Bernold als Teil des „Fernsehdispositiv[s] der ersten Jahre“ bezeichnet, nämlich die „Konstituierung des TV-Konsumenten als Staatsbürger“208 mit der Devise „‚Wir geben dem Publikum was es braucht‘“ – im Gegensatz zu der in Österreich erst später folgenden Losung „‚wir geben dem Publikum was es will‘“209. Das „Wir“ des Hör Zu-Artikels konstituiert sich jedoch (vorerst) als ein anderes als das paternalisierende „Wir“, das sich in dem von Monika Bernold beschriebenen Diskurs ausdrückt und das Publikum als ein Anderes erzeugt. Der_die Autor_in des Textes positioniert sich innerhalb dieses Publikums: „Gebt uns Geschichtsunterricht!“ ist das Begehren. Das Subjekt des Artikels konstruiert sich so selbst als das, was Bildung braucht und zudem verlangt, dass ihm diese von jemand anderem gegeben wird, was auch als ein Prozess der Selbstinfantilisierung und Selbstentlastung gelesen werden kann. In die Forderung nach Geschichtsunterricht im Fernsehen schreibt sich hier der Verweis auf den Nationalsozialismus ein. Durch Geschichtsunterricht und politische Bildung hätte dieser verhindert werden können, so die dahinterliegende Behauptung. Der Text argumentiert dabei mit einer Manipulationsfigur – „auf jedes Schlagwort hereinfallen“ – und einer Verführungsfigur – „wehrlos werden, wenn ihnen jemand schöne Augen macht“, wodurch ein gegenüber Manipulationen und Verführungen machtloses Subjekt konstruiert wird. Bezeichnenderweise wechselt der_die Autor_in in der Bezeichnung des Publikums an dieser Stelle von einem „Wir“ zu einem „Sie“ („Genau die Leute…“) und steht somit als Subjekt außerhalb der Gruppe der potentiell Manipulierten. Der Fernsehhistoriker Knut Hickethier stellt für die bundesdeutsche Fernsehgeschichte fest, dass die „Vorstellung, dass das Fernsehen, als eine öffentlichrechtlich organisierte Unternehmung, zu einem zentralen Ort der gesellschaftlichen Selbstverständigung und damit auch zu einem politisch zu verstehenden Forum der Thematisierung der jüngsten Vergangenheit werden könnte, […] anfangs nicht sonderlich ausgeprägt“210 war. Durch den Vergleich mit Instrumenten diktatorischer Herrschaft habe es eine gewisse Distanz gegenüber einer Funktionalisierung von Fernsehen als Medium politischer Aufklärung gegeben, 207 Hör Zu 17/1965: 4. 208 Bernold 2007a: 38. 209 Bernold 2007a: 40. 210 Hickethier 2003: 118.

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so Hickethier weiter.211 Ein solches Unbehagen lässt sich in den von mir untersuchten österreichischen Quellen kaum feststellen. Vielmehr wird Fernsehen, wie im Hör Zu-Artikel, als demokratisches Bildungsmedium in einen Gegensatz zu NS-Propaganda gebracht. Ein 1967 im Telespiegel erschienener programmatischer Text von August Walzl und Hans Wedenig beschreibt aus einer pädagogisch-paternalistischen Perspektive die medialen Möglichkeiten und den geschichtspolitischen Auftrag des Schulfernsehens. Der Titel des Textes Lebendige Geschichte am Bildschirm verweist auf eine Abgrenzung zu (Schul-)Buch und Unterricht, denen es nicht in ähnlicher Weise gelinge, Geschichte „lebendig“ zu machen. Das Fernsehen habe zwei Vorzüge gegenüber dem Schulunterricht, was die Darstellung von Zeitgeschichte betreffe: Erstens hätten Lehrer_innen „Wertungsangst“212 beziehungsweise scheuten „noch eine Stellungnahme zum zeitgeschichtlichen Phänomen“.213 Das befürchtete Schweigen im Geschichtsunterricht über den Nationalsozialismus wird nicht als gesellschaftliches Phänomen oder als auf die politischen oder familiären Hintergründe der Lehrer_innen zurückgehend beschrieben, sondern bleibt seltsam unbegründet. Zweitens nennen die Autoren „die besondere optische Darstellungsform des Fernsehens, die der Aktualität unentrinnbar verpflichtet ist“.214 Daraus und „aus dem Zusammenwirken von Bild und Wort und aus der Reichweite der Aufnahmemöglichkeiten“ ergebe sich „eine besondere Berufung des Schulfernsehens zur historischen Dokumentation“, da „kein Museum, kein Archiv, überhaupt kein Ort und kein Ereignis […] letzten Endes einem Aufnahmeteam des Fernsehens unerreichbar“ sei.215 Das Argument der Darstellungsform und Aktualität des Fernsehens verweist auf das Bedeutungsset der Versprechungen der Unmittelbarkeit und Objektivität.216 Anders als der oben zitierte Hör Zu-Artikel, der die signifikante Grundlage des Fernsehens 211 Hickethier 2003: 118. Diese Distanz drückt beispielsweise auch Walter Menningen 1971 (wiederum in der BRD verortet) aus: „Die immer wieder mehr oder weniger versteckt erhobene Forderung nach einer ‚positiven Manipulation’ des Bürgers mit Hilfe der Massenmedien zeigt zweierlei: einmal mangelndes Demokratieverständnis, Missachtung auch jener Mitbürger, die anderer Lebensauffassung sind und andere Bedürfnisse haben; zum anderen eine tiefe Resignation darüber, daß das demokratischen Grundsätzen folgende Erziehungs- und Bildungssystem angeblich versagt“ (Menningen 1971: 15f.). 212 Telespiegel 16/1967: 24. 213 Telespiegel 16/1967: 23. 214 Telespiegel 16/1967: 23. 215 Telespiegel 16/1967: 24. 216 Siehe Kapitel 1.1.2.

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in dessen ubiquitärer Verbreitungsform sieht („jetzt, wo das Fernsehen in allen Stuben ist“217), argumentieren die Autoren hier mit der Unbegrenztheit der Aufnahmemöglichkeiten. Zeitzeug_innen werden in dieser Aufzählung der unbegrenzten Motive interessanterweise nicht genannt. Die Aufgabe des Schulfernsehens sei es, aus dem Unbegrenzten „Bleibendes und Wertvolles auszuwählen“.218 Der Vorgang des Auswählens verweist zum einen auf die Etablierung eines Bilderkanons in den 1960er Jahren, was die Verwendung von Fotografie- und Filmmaterial zur Darstellung des Nationalsozialismus betrifft. Zum anderen lässt diese Unterscheidung zwischen dem potentiell Unbegrenzten des Aufgenommenen/Aufzunehmenden219 und dem daraus ausgewählten „Wertvollen“ an Aleida Assmanns Begriffe von „Speichergedächtnis“ und „Funktionsgedächtnis“ denken. Assmann stellt das „Funktionsgedächtnis“ als „bewohntes Gedächtnis“ dem „unbewohnten“, „der Dachkammer“, dem „Speichergedächtnis“ gegenüber, und weist auch auf die Möglichkeit der Verschränkung zwischen beiden hin.220 Die Merkmale des Funktionsgedächtnisses seien „Gruppenbezug, Selektivität, Wertbindung und Zukunftsorientierung.“221 Diese Merkmale und – im Zusammenhang damit – erwünschte Funktionen der Geschichte im Schulfernsehen drücken sich prägnant im folgenden Absatz aus: „Brennende Themen, die sich einer Bearbeitung geradezu aufdrängen und durch welche zweifellos zu einer inneren Bewältigung der Vergangenheit beigetragen werden könnte, wären [sic] eingehende Behandlung der Geschichte des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges samt seinen Folgen für Europa. So wie es dadurch möglich ist, dem [sic] jungen Menschen eine klare Stellungnahme zu Ereignissen gewinnen zu lassen, welche von der älteren Generation noch durchlitten wurden, so ergibt sich vom Bereich der Zeitgeschichte aus auch vielfältig Möglichkeit und Verpflichtung zur Stärkung des ÖsterreichBewußtseins, das auf solchem Weg zweifellos besser gefördert wird als durch manche Schulfeiern mit Gedichten und Liedern, die oft allzu peinlich an ähnliches in jüngst vergangenen Zeiten erinnern. Ernsthaftes Verstehen und Werten kann so oberflächlichen Hurra-Patriotismus verdrängen.“222 217 Hör Zu 17/1965: 4. 218 Telespiegel 16/1967: 23. 219 Wiewohl diese Vorstellung gerade in Bezug auf die Darstellung des Nationalsozialismus eine Allmachtsphantasie des Fernsehen darstellt. Von vielen Morden/Verbrechen gibt es keine Bilder, keine überlebenden Zeug_innen oder keine Menschen, die darüber sprechen wollen. 220 Assmann 1995: 171. 221 Assmann 1995: 182. 222 Telespiegel 16/1967: 23f.

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Hier wird deutlich, dass die Darstellung des Nationalsozialismus als zentrale Aufgabe gesehen wird; gleichzeitig wird diese mit bestimmten Funktionen verknüpft. Diejenigen, die den Nationalsozialismus miterlebt haben, werden ausschließlich als leidend dargestellt (Selektivität), die Jugendlichen sollen aus der Vergangenheit lernen (Zukunftsorientierung), ihr „Österreich-Bewusstsein“ soll „gestärkt“ werden (Gruppenbezug und Wertbindung). Diese erwünschte patriotisierende Wirkung der Geschichtsdarstellung drückt sich an anderer Stelle in der gewagten Aussage der Autoren aus, dass „eine Darstellung österreichischer Geschichte in vielen Fällen ohnehin zugleich eine Darstellung österreichischer Leistung ist […] immer wird der junge Mensch daraus nicht nur Stolz und Heimatliebe, sondern auch Ansporn zu eigener Leistung schöpfen können.“223 Sowohl aus staatlich-pädagogischer (Telespiegel) als auch aus populärer (Hör Zu) printmedialer Perspektive wird Fernsehen als demokratisches Bildungsmedium unter Bezug auf den Nationalsozialismus legitimiert. Die gewünschten Funktionen der Darstellung der Zeitgeschichte unterscheiden sich jedoch: Während Hör Zu den Fokus auf „politische Bewußtseinsbildung“224 legt, sieht der Telespiegel ihn in der „Stärkung des Österreich-Bewußtseins“.225 Der Konsens liegt darin, Fernsehen als mediale Anordnung zu begreifen, die Objektivität und Authentizität verspricht und einen Ort der (re-)education226 darstellen soll, an dem die Zuschauer_innen über NS-Geschichte aufgeklärt und so zu demokratischen oder patriotischen Staatsbürger_innen erzogen werden sollen. Wie sich die historischen Rezeptionen der Zuschauer_innen gegenüber diesen Sendungen gestalteten, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden und könnte eine Fragestellung eines eigenen (aufwändigen) Forschungsprojekts sein. Anzunehmen ist, dass Programm und Sendungen nicht immer auf das Einverständnis des Publikums stießen. In der schon erwähnten Auswertung einer Publikums-Befragung in Telespiegel werden auch Stimmen wiedergegeben, die darauf schließen lassen, dass einigen österreichischen Fernsehzuschauer_innen zu viel vom Nationalsozialismus gesprochen wurde:

223 Telespiegel 16/1967: 23. 224 Hör Zu 17/1965: 4. 225 Telespiegel 16/1967: 23. 226 Zum Versprechen der entnazifizierenden re-education bzw. re-orientation durch das Medium Film anhand der beiden (auch) in Wien gezeigten Filme Lager des Grauens (nicht erhalten, wahrscheinlich Zusammenschnitt anderer Filme, 1945) und Todesmühlen, (Hanuš Burger, USA 1945) siehe Tode 2005.

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„Sendungen wie der Bockerer sind eine Schande. Man sollte endlich aufhören, alten Dreck aufzurühren. Noch eine solche Sendung und ich w a r Fenseher. Zu viel Krieg, Nazi, Bomben. 7 jahre life [sic] waren genug!“227

Jedoch musste das Fernsehen (im Gegensatz zum Kino), wie Knut Hickethier bemerkt, „keine Rücksichten auf tatsächliche oder vermeintliche Verdrängungswünsche des Publikums“228 nehmen, da es nicht auf kommerziellen Erfolg angewiesen war. Dies galt zumindest für das frühe Fernsehen und damit auch für den ORF der 1960er Jahre. Mit der späteren Verbreiterung der Wahlmöglichkeiten durch Kabel- und Privatfernsehen änderte sich dieses Verhältnis, wie der Historiker Wulf Kansteiner anhand der Einführung des Privatfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1984 zeigt: „Viewers welcomed the new entertainment opportunities because public television had not always offered their preferred television fare. Rather, in patriarchal fashion, public television presented programs that politicians and TV executives deemed suitable for their constituency and that viewers found acceptable given the lack of alternatives. For the majority of the viewers, this acceptable fare included historical coverage on the topic of Nazism.”229

Wie sich die Thematisierung von Nationalsozialismus im österreichischen Fernsehen der 1960er Jahre gestaltete, in welchen Formaten sie umgesetzt wurde und welche Handlungsspielräume die Fernsehanstalt hatte, wird Gegenstand des nächsten Kapitels sein.

227 Telespiegel 5/1964: 21. (Hervorh. im Orig.) 228 Hickethier 2003: 121. 229 Kansteiner 2006: 135.

2 Geschichtspolitische Handlungsfelder (in) der Fernsehanstalt

Das Ziel dieses Kapitels ist, auf Aspekte der Programm- und Produktionsentscheidungen der Fernsehanstalt einzugehen, um diese als geschichtspolitische Akteurin zu positionieren. Im vorigen Kapitel habe ich gezeigt, dass (und wie) die Vermittlung von Zeitgeschichte als Aufgabe des Fernsehens konstruiert wurde. Hier soll nun anhand von Beispielen (Programmgestaltung, Kooperationen, Eigen- und Auftragsproduktionen, Umgang mit politischen Ereignissen und Jubiläen bzw. Gedenkdaten) auf konkrete geschichtspolitische Handlungsfelder (in) der Fernsehanstalt hingewiesen werden. Die Analyse basiert auf Programmrecherchen anhand der Programmzeitschriften Funk und Film, Fernsehen (1960), Blick (1961-1962) und Hör Zu (ab Dezember 1962) sowie ergänzend anhand der Fernsehseite der Arbeiter-Zeitung1; außerdem auf Recherchen in der elektronischen Datenbank des ORF-Archivs im Wiener ORF-Zentrum (am Küniglberg) und ab 2011 in der auf FESAD (Fernseharchivdatenbank) basierenden Datenbank mARCo (Multimediales Archiv Online) am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien sowie auf Sichtungen audiovisuellen Materials. Die Notwendigkeit dieser sich gegenseitig ergänzenden Programmrecherchen ergibt sich aus der Tatsache, dass erstens das tatsächlich gesendete Programm aufgrund tagesaktueller Entscheidungen teilweise von dem in der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift abgedruckten abweicht, und dass zweitens die Datenbank des ORF-Archivs in einigen Fällen ergänzende Informationen zu den Sendungen bietet, wobei in der Datenbank nur archiviertes (und nicht das gesamte gesendete) Material erfasst ist. Kooperationen des Österreichischen Rundfunks mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und dem 1

Die Arbeiter-Zeitung wurde aus Gründen der Zugänglichkeit gewählt. Die vollständigen Ausgaben des Zeitraums 5.8.1945 bis 31.3.1989 sind digitalisiert und seit 2004 auf http://www.arbeiter-zeitung.at online zugänglich.

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Institut für Zeitgeschichte habe ich auf Basis von in deren Archiven gesammelten Schriftwechseln recherchiert und außerdem zeitgenössische Publikationen und Sendungen des ORF herangezogen. Am Schluss des Kapitels werden die im dritten Teil der Arbeit analysierten Sendungen kurz vorgestellt. Ich verstehe diese dokumentarischen Eigen- oder Auftragsproduktionen des ORF als Ergebnisse von geschichtspolitischen Aushandlungsprozessen auf Basis der in Kapitel 1 dargelegten diskursiven Verortungen des Geschichtsfernsehens.

2.1 P ROGRAMMIEREN . T HEMATISIERUNGEN N ATIONALSOZIALISMUS

DES

Die Thematisierung österreichischer Geschichte im Fernsehen bedeutete sehr oft – gerade anlässlich von politischen Jubiläen – auch eine Thematisierung der Jahre 1938-1945: Hier ist also kein Schweigen zu diagnostizieren, sondern ein vielstimmiges Sprechen unter bestimmten politischen und medialen Bedingungen und Machtverhältnissen, die Inhalte und Form der repräsentierten Geschichtserzählungen mitbestimmten und sich auch dahingehend auswirkten, dass einige Stimmen dominanter als andere waren, blieben oder wurden. Signifikante Verdichtungen von Sendungen, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, sind an und um spezifische Gedenk- und Jubiläumsdaten festzustellen, insbesondere: 13. März (1938 „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich), 27. April (1945 Proklamation der Zweiten Republik Österreich), 15. Mai (1955 Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages), 20. Juli (1944 Attentat auf Adolf Hitler), 25. Juli (1934 Ermordung Engelbert Dollfuß’ durch österreichische Nationalsozialisten), 12. November (1918 Proklamation der Ersten Republik – Republik Deutschösterreich) und – allerdings erst ab 1965 mit seiner Erhebung vom „Tag der Fahne“ zum Nationalfeiertag – der 26. Oktober.2 Andere Daten, die für andere Erinnerungsperspektiven stünden, wie etwa der 8. Mai (1945 Kapitulation der Wehrmacht), der 1. September (1939 Einmarsch der Wehrmacht in Polen, Beginn des Zweiten Weltkrieges) oder der 9./10. November (1938 Novemberpogrome) wurden im untersuchten Zeitraum nicht derart intensiv bespielt.3 In Bezug auf Sendungen zum Nationalsozialismus

2 3

Siehe Kapitel 1.1.4. Für diese Gruppe an Gedenkdaten war keine regelmäßige Abstimmung des Fernsehprogramms (also auch außerhalb der Fünf- und Zehn-Jahresjubiläen) zu erkennen. Auch drei weitere, thematisch anders gelagerte, untersuchte Daten wurden nicht auffällig oft für mögliche Schwerpunktsetzungen im Programm genutzt: der 12. Februar

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hatte die Fernsehanstalt verschiedene Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten: Auswahl, Koproduktion, Übertragung und Eigen- bzw. Auftragsproduktionen. 2.1.1 Auswahl Laut einer frühen Untersuchung des Kommunikationswissenschafters Franz Rest zur Programmentwicklung des österreichischen Fernsehens von 1955 bis 1970 bestanden 1964 42% des ausgestrahlten Programms aus so genannten „Fremdproduktionen“.4 Im ORF-Almanach 1969 ist der Anteil der „Fremdprogramme“ am Fernsehprogramm des Jahres 1968 mit 45,2 Prozent angegeben.5 1971 findet sich im ORF-Almanach keine derartige Aufschlüsselung wieder, es wird nur festgehalten, dass der Anteil an Sendeminuten von „ausländischen Anstalten“ von 1968 auf 1969 zurückgegangen, die Anzahl der vom ORF an andere Sendeanstalten im Zuge eines „internationale[n] (kostenlose[n]) Programmaustausch[es]“ abgegebenen Programme dagegen gestiegen sei.6 Der noch immer relativ große Anteil an „Fremdprogrammen“ wurde von der Anstalt selbst negativ konnotiert und in einer entschuldigenden Rhetorik insbesondere mit Kostengründen argumentiert.7 Die vom ORF negativ bewertete Übernahme von Kino(1934 Beginn der Kämpfe von Schutzbund und Arbeiter_innen gegen das austrofaschistische Regime), der 1. Mai („Tag der Arbeit“ bzw. Verkündung der Verfassung des austrofaschistischen Ständestaates 1934) und der 1. Oktober (1924 Gründung der RAVAG – Radio Verkehrs AG, ab 1958: ORF). 4

Rest 1988: 281. Diese Prozentzahl wurde von Franz Rest auf Grundlage einer auf Angaben des ORF basierenden Statistik im Statistischen Handbuch für die Republik Österreich (Wien 1965: 384) errechnet. Die im Statistischen Handbuch 1970 vom ORF übernommenen Angaben sind lediglich nach Sendungskategorie und Programmabteilung aufgeschlüsselt, was eine Aussage über den Anteil der Eigen- und Fremdproduktionen nicht ermöglicht. (Österreichisches Statistisches Zentralamt 1970: 402).

5

Österreichischer Rundfunk 1969: 81. Der Österreichische Rundfunk differenziert hier zwischen „multilaterale[n] oder bilaterale[n] direkte[n] (manchmal auch zeitlich versetzte[n]) Übernahmen von ausländischen Sendeanstalten“ (8,8%) und „ausländische[n] und inländische[n] Spielfilme[n], Fertigprogramme[n] von privaten Programmproduzenten etc.“ (36,4%) (Ebd).

6

Österreichischer Rundfunk 1971: 54.

7

Österreichischer Rundfunk 1971: 54f. So urteilte der ORF-Almanach zum Kinofilm: „Der Kinofilm wurde lange Zeit gewissermaßen als Allheilmittel angesehen, das den Programmplanern im Verlegenheitsfall aus der Patsche half. Das Ergebnis dieser Praxis war weder für die Anstalt noch für das Publikum befriedigend.“ (Österreichischer Rundfunk 1971: 55).

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filmen führte jedoch in Bezug auf Auseinandersetzungen mit Nationalsozialismus und Shoah dazu, dass im frühen ORF filmische Produktionen ausgestrahlt wurden, deren geschichtspolitische Perspektiven und Ästhetiken das Potential hatten, in österreichische Bilderhaushalte und dominante Geschichtsnarrationen zu intervenieren, wie zum Beispiel Sein oder Nichtsein (Ernst Lubitsch, USA 1942, Ausstrahlung ORF: 12.11.1961), Die Mörder sind unter uns (Wolfgang Staudte, D 1946, Ausstrahlung ORF: 27.9.1966 & 28.10.19668), Grüne Ernte/La verte moisson (François Villier, F 1959, Ausstrahlung ORF: 10.5.1966), Das Tagebuch der Anne Frank (George Stevens, USA 1959, Ausstrahlung ORF: 1.11.1966) oder PasaĪerka (Andrzej Munk, PL 1963, Ausstrahlung ORF: 10.12.1966).9 Franz Rest betont die Dominanz der BRD und der USA als Herkunftsländer der nichtösterreichischen Produktionen.10 Während sich diese Dominanz für importierte Kinofilme mit Bezug auf den Nationalsozialismus nicht feststellen lässt, kann ein Überhang von BRD-Produktionen in den übernommenen Fernsehproduktionen festgestellt werden. So finden sich unter den vom ORF gesendeten Produktionen anderer Fernsehanstalten Fernsehspiele wie An der schönen blauen Donau (Franz Hiesel, NDR 1965, Ausstrahlung ORF 3.5.1966)11, das deutsch-französisch-polnische Episodenspiel Der Augenblick des Friedens/Die weißen Vorhänge (NDR in Zusammenarbeit mit Régie Francaise de Cinéma, Paris und der Filmgruppe Kamera Film-Polski, Warschau, 1965, Ausstrahlung ORF 11.5.1968), Ein Tag. Bericht von Gunther R. Lys aus einem deutschen Konzentrationslager (Egon Monk, NDR 1965, ORF-Ausstrahlung 6.5.1966) oder Paris muß brennen! Die Rettung der französischen Hauptstadt durch den General von Choltitz (Erich Kröhnke, ZDF 1965, ORF-Ausstrahlung 2.8.1966; 26.8.1967); Theaterverfilmungen wie Draußen vor der Tür (nach einem Stück von Wolfgang Borchert, Regie: Rudolf Noelte, NDR 1957, Ausstrahlung ORF: 5.10.1962), Dreht Euch nicht um! (nach einem Theaterstück von Hans-Joachim Häcker, Regie: Günther Fleckenstein, SDR 1962, Ausstrahlung ORF: 8

Das zweite Datum betrifft hier die Wiederholung im Versuchsprogramm.

9

Des Weiteren beispielsweise Ehe im Schatten (Kurt Maetzig, D 1947, Ausstrahlung ORF: 7./8. 9. 1965), Ardennen 1944/Attack (Robert Aldrich, USA 1956, Ausstrahlung ORF: 3.9.1966), Hunde, wollt ihr ewig leben ( Frank Wisbar, BRD 1959, Ausstrahlung ORF: 8.5.1965), Die vor die Hunde gehen/Les honneurs de la guerre (Jean Dewever, F 1960, Ausstrahlung ORF: 8.1.1967) Ein Mann sucht seinen Mörder (später: Der Schwur des Soldaten Pooley)/The Story of Private Pooley; Kurt Jung-Alsen, UK 1963, Ausstrahlung ORF 29.4.1966).

10 Rest 1988: 269. 11 Siehe Kapitel 3.7.1.

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27.4.1962), Der Hund des Generals (Heinar Kipphardt, Regie: Franz Peter Wirth 1964, ORF-Ausstrahlung 5.11.1966) oder Die Geschichte von Joel Brand (Heinar Kipphardt nach dem Bericht von Alex Weissberg, Regie: Franz Peter Wirth, ARD 1964, ORF-Ausstrahlung 2.4.1965, 31.8.1966) und Literaturverfilmungen wie Jeder stirbt für sich allein (nach dem Roman von Hans Fallada, Regie: Falk Harnack, SFB 1962, Ausstrahlung ORF: 19.7.1962), Land, das meine Sprache spricht (nach der Erzählung Der 20. Juli von Alexander Lernet-Holenia, Regie: Michael Kehlmann, ARD 1959, ORF-Ausstrahlung 20.7.1964), Die Mission (nach dem Roman von Hans Habe. Fernsehbearbeitung Jochen Huth, Regie: Ludwig Cremer, BR 1967, ORF-Ausstrahlung 19.6.1967) und Der Schlaf der Gerechten (Oliver Storz nach einem Motiv von Albrecht Goes, Regie: Rolf Hädrich, WDR 1962, ORF-Ausstrahlung 2.12.1966). An diesen Beispielen zeigt sich, dass vor allem fiktionalisierte Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus wie Fernsehspiele, Fernsehfilme und Dokumentarspiele häufig von Fernsehanstalten der BRD übernommen wurden. Im Bereich der Dokumentationen wurden weit häufiger auch nicht-deutschsprachige Produktionen eingekauft, wie zum Beispiel Warschauer Ghetto (Warsaw Ghetto, Regie: Hugh Burnett, Erzähler: Alexander Bernfes, BBC 1965, ORF-Ausstrahlung: 16.5.1968). Diese wurden jedoch vielfach nicht nur übersetzt, sondern auch nachbearbeitet, weswegen ich sie im Folgenden der Kategorie „Koproduktionen“ zuordnen möchte. 2.1.2 Koproduktion Koproduktion als Form vertraglich geregelter Zusammenarbeit mit anderen Fernsehanstalten wurde in Bezug auf Sendungen mit historischem Inhalt vor allem bei Fernsehspielen praktiziert, wie zum Beispiel bei der Produktion Der Befehl (Fernsehspiel von Fritz Hochwälder, ORF/ZDF/SF 1967, ORF-Ausstrahlung 19.1.1967). Laut Franz Rest gab es ab 1961 Koproduktionen mit dem bundesdeutschen Fernsehen.12 Judith Keilbach analysiert diese (vor allem von ZDF und ORF) koproduzierten „Dokumentarspiele“ und bemerkt, dass es „kein Zufall“ sei, dass diese Koproduktionen sich mehrheitlich mit dem Nationalsozialismus beschäftigten; „schließlich handelt es sich bei der nationalsozialistischen Vergangenheit um eine gemeinsame (gewissermaßen koproduzierte) Geschichte, und auch die Abwehrstrategien nach dem Krieg waren sich ähnlich. Dokumentarspiele, die Rechtfertigungen und Entschuldigungen lieferten oder in denen die Protagonisten christlich oder militärisch motivierten Widerstand gegen das Regime leisteten und so zu ‚Männern der Geschichte‘ wurden, passten in beiden

12 Rest 1988: 276.

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Ländern ins (vergangenheits-)politische Konzept.“13 Am 11.5.1965 kündigte die Arbeiter-Zeitung die erste Koproduktion von Bayrischem Rundfunk, tschechoslowakischem Fernsehen und ORF an, die sich bezeichnenderweise bei ihrer Premiere mit einem weniger konfliktträchtigen Thema beschäftigte: „Musik kennt keine Grenzen“ war der Titel der Sendung, in der „die jugendlichen TVAkteure aus Bayern und der Tschechoslowakei Volkslieder und Volkstänze zeigen“14. Der ORF selbst argumentierte die Koproduktionstätigkeit, deren Ausweitung mit 196815 angegeben wird, wie auch schon die „Fremdprogramm“-Beschaffung mit wirtschaftlichen Gründen.16 Finanzielle Vorteile werden nicht nur der Fernsehanstalt selbst versprochen: „Für die heimische Filmindustrie – heute zu einem Großteil mit der Fertigung von Auftragsproduktionen für das Fernsehen beschäftigt – ist die Realisierung gemeinschaftlicher Projekte in Österreich mit ausländischer Mitfinanzierung lebenswichtig.“17 Im ORF-Almanach 1971, dessen Funktion als Jahrbuch auch in der Außenrepräsentation der Fernsehanstalt liegt, wird auch betont, dass „bei den meisten Coproduktionen mit dem ZDF – bekanntlich Österreichs wichtigster Partner auf dem Fernsehsektor – die Federführung beim ORF liegt. Dabei übernimmt der ORF einen Großteil an künstlerischer Verantwortung, ohne natürlich das Mitspracherecht des jeweiligen Partners in irgendeiner Weise beeinträchtigen zu wollen.“18 Die rechtfertigende Rhetorik dieser Sätze ergibt in einer Bewertungslogik Sinn, in der „eigene“ bzw. österreichische Produktionen prinzipiell höher bewertet werden als nicht-österreichische Produktionen. In Bezug auf Darstellungen der Geschichte von Nationalsozialismus und Shoah bedeutet dieser nationale Fokus auch einen Versuch der Kontrolle über die Geschichtsperspektive.

13 Keilbach 2005b: 115. 14 Arbeiter-Zeitung 11.5.1965: 9. Bis zum tatsächlichen Produktionstermin kam offensichtlich noch die Schweiz dazu. (Vgl. die Beschreibung der Sendung zum Ausstrahlungstermin am 12.12.1965, Arbeiter-Zeitung 12.12.1965: 11). Diese hier erstmals im Fernsehen übertragene Veranstaltung dürfte zurückgehen auf vorhergehende Treffen unter dem gleichen Motto, an denen jedoch nur österreichische, bayrische und schweizerische Jugendliche teilgenommen hatten. (Vgl. ORF-Fernseharchiv, Sendungsbeitrag in Welt der Jugend, 6.1.1963). 15 Siehe auch die Meldung in den Salzburger Nachrichten vom 9.11.1968 (S. 23) über 90 geplante Koproduktionen des ORF mit dem ZDF. 16 Vgl. Österreichischer Rundfunk 1969: 79 und Österreichischer Rundfunk 1971: 56. 17 Österreichischer Rundfunk 1971: 56. 18 Österreichischer Rundfunk 1971: 56.

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Als Koproduktionen, insbesondere in Bezug auf ihre geschichtspolitischen Funktionen, möchte ich außerdem jene Sendungen bezeichnen, die ursprünglich von einer anderen (meist nicht deutschsprachigen) Fernsehgesellschaft produziert wurden und für den ORF bearbeitet und übersetzt wurden; so zum Beispiel die Sendung Das Hakenkreuz, eine von der NBC produzierte Sendung, die vom ORF überarbeitet, übersetzt und am 13.3.1961 ausgestrahlt wurde. Ein im Express zitiertes Interview mit Teddy Podgorsky, der für die ORF-Fassung zuständig war, lässt darauf schließen, dass der englische Text großen Veränderungen unterzogen wurde. Podgorsky wird hier folgendermaßen zitiert: „‚Der Film ist gut fünfzehn Jahre alt und das zu übersetzende Manuskript ist ebenfalls noch aus dieser Zeit – inzwischen aber haben die Kommentatoren ihre Diktion gegenüber Deutschland recht geändert, und diesem Umstand muß auch ich bei der neuen Übersetzung Rechnung tragen.‘“19 Wie Alfred Payrleitner bemerkte, stützten sich viele Reihen mit historischem Inhalt „auf ausländische Vorarbeiten, meist französischer oder englischer Provenienz, die dann lediglich von österreichischen Gestaltern (Kurt Grotter) übersetzt und adaptiert wurden“.20 Nach Daten des ORF-Archivs waren diese Ausgangsmaterialien jedoch größeren Veränderungen als lediglich einer „Übersetzung“ oder Neuinterpretation des Sprechtextes unterworfen. Das lässt sich etwa anhand von Männer und Mächte rekonstruieren, einem hochgradig gegenderten biographischen Geschichtsformat des ORF, das in jeder Folge das Leben und Wirken eines – historisch oder aktuell – politisch mächtigen Mannes zum Thema hatte. In der Datenbank mARCo des ORFArchivs sind Folgen zwischen 28.1.1965 und 15.11.1967 verzeichnet, die sich (in dieser Reihenfolge) mit Josef Stalin, Theodore Roosevelt, Benito Mussolini, Adolf Hitler, Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt, Hirohito, Francisco Franco, Mahatma Gandhi, Harry S. Truman, Josip Broz Tito, Konrad Adenauer, Nikita Chruschtschow, Charles de Gaulle, Jomo Kenyatta, Mao Tse Tung, David Ben Gurion, Fidel Castro, Martin Luther King und Philibert Tsiranana beschäftigen. Die Reihe basierte auf Sendungen anderer Fernsehanstalten und wurde von Hellmut Andics und Walter Davy für den ORF neu montiert, überarbeitet und betextet. Teilweise sind in der Datenbank mARCo Angaben über das Ausgangsmaterial zu finden, so zum Beispiel für die am 25.8.1965 erstmals ausgestrahlte Folge F.D. Roosevelt: Vom New Deal zur UNO 1933-1945. Bilddokumente unserer Zeit von Hellmut Andics und Walter Davy.21 Die genaue Herkunft 19 Express 14.3.1961: 9. 20 Payrleitner 1988: 317. 21 ORF-Fernseharchiv: Männer und Mächte. F.D. Roosevelt: Vom New Deal zur UNO 1933-1945. Bilddokumente unserer Zeit von Hellmut Andics und Walter Davy. 25.8.1965, 57‘03‘‘.

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des (ebenfalls unter dem Ausstrahlungsdatum archivierten) Ausgangsmaterials lässt sich in der Online-Datenbank nicht nachvollziehen, jedoch ein Teil der Arbeitsweise. So wurden mindestens zwei existierende englischsprachige Film- oder Fernsehbiographien von Franklin Delano Roosevelt22 und Eleanor Roosevelt23 angekauft, das zu verwendende Bildmaterial auskopiert und von Hellmut Andics und Walter Davy neu kompiliert und mit neuem Text versehen. Bezeichnend ist, dass zwar eine Dokumentation über die Politikerin und Frauenrechtlerin Eleanor Roosevelt verwendet wurde, aus diesem Material auch siebzehn Minuten auskopiert wurden24, ihr Name entsprechend der sich im Reihentitel ausdrückenden geschlechtlichen Codierung des Sendungskonzeptes im Titel aber keine Erwähnung mehr findet. Ein rekonstruierbarer Anteil des ORF an der Koproduktionstätigkeit dieser Sendung war demnach, durch Ausblendungen und Unsichtbarmachungen und durch Auswahl und Umarbeitung bestehender Fernsehsendungen politisch mächtige Männlichkeiten audiovisuell herzustellen. 2.1.3 Übertragung Die Fernsehanstalt überträgt eine extern organisierte Veranstaltung. Das Ereignis muss zuallererst als wichtig genug erachtet werden, um übertragen zu werden. In Bezug auf Gedenkveranstaltungen bedeutete dies, dass vor allem Regierungsveranstaltungen übertragen wurden und Veranstaltungen solcher Gruppen, die nicht Teil des öffentlichen Geschichtskonsenses waren, tendenziell ausgeschlossen wurden. Das Fernsehen ist auch entscheidend an der Repräsentation und damit den produzierten Bedeutungen des Ereignisses beteiligt; es kommentiert und bestimmt die Perspektive. Wie Daniel Dayan und Elihu Katz am Beispiel der Fernsehübertragungen zur Hochzeit von Prinz Charles und Lady Diana 1981 gezeigt haben, kommen dem Fernsehen dabei verschiedene Funktionen zu. So gäbe es eine grundsätzliche „Loyalität des Fernsehens gegenüber dem Ereignis“, was zu einer „Ästhetik der Definitionswahrung“ führe.25 Durch die Fernsehübertragung komme es, wie Dayan und Katz ausführen, aber zu einer „qualitativen Umwandlung der Beschaffenheit öffentlicher Ereignisse“26; das Ereignis wandle sich von 22 ORF-Fernseharchiv: Männer und Mächte. Franklin Delano Roosevelt Biography. 25.8.1965, zwei Rollen, 25‘ und 18‘33‘‘. 23 ORF-Fernseharchiv: Männer und Mächte. Eleanor Roosevelt Biography. 25.8.1965, zwei Rollen, 21‘13‘‘ und 25‘12‘‘. 24 ORF-Fernseharchiv: Männer und Mächte. Eleanor Roosevelt Auskopierungen, 25.8.1965, 17‘. 25 Dayan/Katz 2001 [1987]: 415. 26 Dayan/Katz 2001 [1987]: 414.

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einer Zeremonie zu einem Spektakel.27 Das Fernsehen sei dabei vergeblich bemüht, die „zeremonielle Teilnahme“ der Zuseher_innen am Ereignis zu simulieren und „als ‚phatischer‘ Kanal für die aktuelle Interaktion zwischen Feiernden und Publikum zu Hause dienen zu können“.28 Dies führe, so Dayan und Katz, letzten Endes zu einem neuen Modus von Öffentlichkeit, in dem die Teilnahme an der Zeremonie in „verstreuten Gemeinschaften“29 stattfinde, „in kleinen, um das Fernsehgerät versammelten Gruppen [...], die sich auf ein symbolisches Zentrum konzentrieren und sich sehr wohl bewusst sind, dass unzählige andere Gruppen zur selben Zeit dasselbe tun.“30 In Bezug auf die Rolle des Fernsehens bei der Übertragung von Gedenkveranstaltungen kann also angenommen werden, dass diese weit darüber hinausging, „die öffentliche Gedenkkultur der Zeit zu spiegeln“31, wie Christoph Classen es ausdrückt. NS-Geschichtspolitiken betreffend sind hier zum Beispiel die Übertragung „Gedenkstunde der Bundesregierung“ am 11. März 1963 im Schulfernsehen32, die Übertragung der Militärparade am 27. April 196533, die Übertragungen der offiziellen Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag34 und Übertragungen aus dem Parlament35 zu nennen. Lorenz Engell beschreibt die Live-Sendung als eine der Formen, die das Fernsehen „aus vorgefundenen Formen des Radios herausgelöst, schematisiert und verfestigt“36 habe. In Bezug auf geschichtspolitische Sendungen lässt sich diese Übernahme von Formen und Funktionen des Radios am Umgang dieser beiden Medien mit Gedenkdaten nachvollziehen.37 Laut ORF-Almanach wurde 1968 eine fixe Übertragungs-„Außenanlage“ im Parlament eingerichtet38, nach Widerständen von SPÖ und ÖVP gegenüber einer prinzipiellen (und nicht von den Parlamentsfraktionen kontrollierten) LiveBerichterstattung erfolgte der erste Direktbericht aus dem Parlament am 21. Mai

27 Dayan/Katz 2001 [1987]: 450. 28 Dayan/Katz 2001 [1987]: 432. 29 Dayan/Katz 2001 [1987]: 452. 30 Dayan/Katz 2001 [1987]: 451. 31 Classen 1999: 61. 32 Siehe Kapitel 2.5. 33 Siehe Kapitel 2.6. 34 Siehe Kapitel 1.1.4. 35 Siehe Kapitel 1.1.3. 36 Engell 2001: 52. 37 Siehe Kapitel 2.5 und 2.6. 38 Österreichischer Rundfunk 1969: 119. Andere Außenanlagen betrafen Veranstaltungsorte der musikalischen Hochkultur und Stadtsäle in den Bundesländern. (Ebd.)

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1969.39 Die erste Live-Übertragung in Farbe war die des Neujahrskonzertes 196940, mobile Außenübertragungen wurden mit Hilfe von Übertragungswägen gewährleistet; über die Anschaffung einer tragbaren Kamera, die live übertragen konnte (allerdings nur in schwarz-weiß) berichtet der ORF erst 1971.41 Bleibende Relevanz hatten die hier genannten Übertragungen vermutlich kaum. In einer in den späten 1980er Jahren von Kurt Luger durchgeführten Studie zu medialen Bildern und Ereignissen der Zweiten Republik wurden als Erinnerungen an Live-Momente vor allem Sportereignisse und die Mondlandung genannt.42 2.1.4 Eigen- und Auftragsproduktionen des ORF Der Kommunikationswissenschafter Franz Rest betont, dass der ORF bis Ende der 1950er Jahre über keine eigenen Produktionsstudios verfügte43; es wurde also von Beginn an (auch) durch Fernsehfirmen auftragsproduziert. Weder Programmzeitschriften noch Fernseharchiv unterscheiden zwischen vom ORF selbst produzierten und vom ORF bei (Film- und) Fernsehproduktionsfirmen in Auftrag gegebenen Produktionen. Auch die hier untersuchten Sendungen von Hellmut Andics, Die Republik der Überzeugten, Die Iden des März und 50 Jahre unserer Republik sind formal Produktionen der Fernsehfilmproduktion Dr. Heinz Scheiderbauer K.G. Wien, werden jedoch in Darstellungen (aus dem Umfeld) des ORF als Eigenproduktionen verstanden.44 Darauf, dass Konzept, Sendungsgestaltende, Dauer etc. von den zuständigen Abteilungen im ORF (mit-) entschieden wurden, lassen zeitgenössische Berichte schließen.45 Alfred Payrleitner zufolge waren in den 1960er Jahren Eigenproduktionen des ORF zu historischen Stoffen aufgrund finanzieller Überlegungen die Ausnahme und wurden nur bei Themen hergestellt, bei denen „sich besondere österreichische Betroffenheit ergibt“.46 Die Geschichtsdarstellung des Nationalsozialismus schien durch so eine „besondere österreichische Betroffenheit“ gekennzeichnet zu sein; so wurden die zentralen (und hier untersuchten) dokumentarischen Geschichtssendungen zu historischen Jubiläen vom ORF produziert und/oder in Auftrag gegeben. Neben diesen Dokumentationen lassen sich The39 Vgl. Ergert/Andics/Kriechbaumer 1985: 148-150. 40 Österreichischer Rundfunk 1969: 121. 41 Österreichischer Rundfunk 1971: 148. 42 Luger 1988: 78-80; 91. 43 Rest 1988: 269. 44 Ergert/Andics/Kriechbaumer 1985: 139. Payrleitner 1988: 317. 45 Hör Zu 2/1968: 10f. 46 Payrleitner 1988: 317.

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matisierungen des Nationalsozialismus in vielen Formaten feststellen. Für die 1960er Jahre grundlegend war hier das Fernsehspiel, das – bis 1967 unter der Leitung von Erich Neuberg (1928-1967) – zahlreiche kritische Bearbeitungen der NS-Vergangenheit Österreichs hervorbrachte47, als deren bekannteste und bis heute am meisten rezipierte sicherlich das am 15.11.1961 um 21 Uhr erstmals ausgestrahlte Spiel Der Herr Karl (Carl Merz, Helmut Qualtinger) bezeichnet werden kann. Schwieriger festzustellen, weil nicht zwingend in der Sendungsbeschreibung angegeben, sind geschichtspolitische Themen und Andeutungen in den kabarettistischen Unterhaltungsformaten des ORF wie Spiegel vorm Gsicht (Gerhard Bronner, Carl Merz, Helmut Qualtinger 1958-1959)48, Zeitventil (Gerhard Bronner, Peter Wehle 1963-1968)49, Erinnern Sie sich noch? (Gerhard Bronner, Ernst Hagen 1965-1968), Die heiße Viertelstunde (Georg Kreisler 1968-1969) oder die Doppelconférencen von Ernst Waldbrunn und Karl Farkas.50 Wie ich zeigen werde, stellten diese jedoch einen wesentlichen Ort der satirisch vorgebrachten Kritik am Umgang mit Österreichs NS-Vergangenheit dar.51 Nationalsozialismus ist implizit oder explizit Thema in Fernsehdiskussionen wie Stadtgespräche, Was halten Sie davon? oder x minus 32, und ebenso in den beiden von Helmut Zilk moderierten Staatsgespräche. Was ist Österreich heute? (26.10.1969)52 und Genützte und versäumte Gelegenheiten. 25 Jahre Zweite Republik (26.4.1970).53 Die erste vom ORF in Farbe produzierte dokumentarische Reihe war Das österreichische Jahrhundert (12 Teile, 1969-1971). Dieser Versuch, „die Vergangenheit lebendig zu machen aus den Zeugnissen dieser Vergangenheit“ (DöJ TC 03.58-04.03) – so der Sendungsgestaltende Hellmut Andics in der ersten Folge – umfasst allerdings, trotz des im Titel versprochenen Jahrhunderts, lediglich den Zeitraum von 1848 bis 1918. Ephemerer und nur mit gezielter Suche auffindbar wenn vom ORF archiviert und beschlagwortet sind Nachrichtenbeiträge zu geschichtspolitischen Ausei-

47 Vgl. Pollach 2005. 48 Fink 2003: 37-41. 49 Siehe Kapitel 2.3. 50 Vgl. G’scheites und Blödes. Karl Farkas & Ernst Waldbrunn: Conferencen und Doppelconferencen. Vol 1: 1958-1965, Vol 2: 1965-1971 (VHS, ORF 1990). 51 Siehe Kapitel 2.4. 52 Siehe Kapitel 1.1.4. 53 Siehe Kapitel 2.5.

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nandersetzungen.54 Und schließlich sind hier auch diejenigen Eigen- und Auftragsproduktionen des ORF zu nennen, die sich in dokumentarischen Formaten explizit mit österreichischer Geschichte und mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen und die im Rahmen dieser Untersuchung analysiert und am Ende dieses Kapitels kurz vorgestellt und beschrieben werden.

2.2 K OOPERATIONEN . D OKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN W IDERSTANDES , I NSTITUT FÜR Z EITGESCHICHTE DER U NIVERSITÄT W IEN Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) wurde offiziell am 25. Juni 1963 von ehemaligen Widerstandskämpfer_innen, Angehörigen der Opferverbände und Wissenschafter_innen in Wien gegründet.55 Der Mitgründer, Sekretär und langjährige (1963-1983) wissenschaftliche Leiter Herbert Steiner (1923-2001) war Mitglied der verbotenen kommunistischen Bewegung im Austrofaschismus. Im Nationalsozialismus als Jude verfolgt, flüchtete er ins englische Exil.56 Die Zusammensetzung des Vorstandes und der Mitarbeiter_innen war „von weltanschaulicher und religiöser Pluralität geprägt“; so gehörten laut Brigitte Bailer-Galanda und Wolfgang Neugebauer seit 1963 „dem Vorstand des DÖW Repräsentanten der drei Opferverbände (ÖVPKameradschaft der politisch Verfolgten, Bund Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus, KZ-Verband) ebenso an wie jene der Israelitischen Kultusgemeinde, der katholischen Kirche und der Wissenschaft.“57 Christian Gerbel betont, dass die „wissenschaftliche Arbeit des DÖW [...] von Anfang an nicht nur auf eine Dokumentation des Widerstandes, sondern auch auf die Geschichte der Verfolgung von Jüdinnen und Juden und anderer vom NS-Regime ausgegrenzter Gruppen gerichtet“58 gewesen sei. 1964 wurde in einer Kooperation des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes mit dem österreichischen Fernsehen die halbstündige

54 Z.B. Beiträge in der Zeit im Bild (z.B.: 30.10. 1960: Simon Wiesenthal zur EichmannFestnahme, 0‘37‘‘; 27.6.1963: Proteste gegen den Freispruch von Franz Murer, 1‘50‘‘; 8.6.1967: Alfred Maleta zu Besuch im Institut für Zeitgeschichte, 0‘58‘‘) 55 Zu Gründungs- und Aufbauphase des DÖW siehe Bailer-Galanda/Neugebauer 2003: 26-36. 56 Garscha 2002: 28. 57 Bailer-Galanda/Neugebauer 2003: 30. 58 Gerbel 2005: 111.

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Sendung Der österreichische Widerstand produziert.59 Wie es zu dieser Kooperation kam, lässt sich auf Basis des im DÖW-Archiv gesammelten Schriftverkehrs nicht rekonstruieren; erhalten ist aber ein Antwortbrief Helmut Zilks auf ein nicht im Archiv befindliches Schreiben von Herbert Steiner, das auf Konflikte im Vorfeld schließen lässt. Zilk schreibt: „Obwohl mir die Diktion Ihres Briefes ein wenig verwunderlich erscheint, nehme ich doch an, daß der von Ihnen angesprochene Film identisch ist mit jenem, den das Österreichische Fernsehen für den 12.3.64 plant und vorbereitet. Es ist für uns nicht leicht, ohne Absprache Termine zu erfüllen, dennoch ist es uns gelungen, Herrn Dr. Wiesler, der den Film produzeirt [sic], und den Regisseur Herrn Dr. Otto Kamm für diesen Termin freizumachen. Beide Herren werden am 6.2. um 10h bei Ihnen anwesend sein und ich ersuche Sie sehr, daß womöglich alle in Aussicht genommenen Teilnehmer sowie Herr Professor Lein an der Besprechung teilnehmen. Die von Ihnen vorgesehenen Teilnehmer sind auf der beiliegenden Drehskizze ersichtlich.“60

Am 29. Juni 1964, einige Monate nach der schlussendlich erfolgreichen Produktion und Ausstrahlung der Sendung, schrieb Herbert Steiner, mittlerweile per du, an Helmut Zilk und machte mehrere Vorschläge für weitere (Schulfernseh)Sendungen. So erwähnte er neben dem nahenden Jubiläum des Attentats auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 und der kurz zuvor erfolgten Veröffentlichung seiner Publikation „Zum Tode verurteilt. Österreicher gegen Hitler. Eine Dokumentation“ (Wien/Köln/Stuttgart/Zürich 1964), dass „nächstes Jahr der 20. Jahrestag der Befreiung Österreichs und des 10. Jahrestag des Staatsvertrages ist. Vielleicht könnte man in diesem Zusammenhang für das Schulfernsehen eine ganze Reihe mit unserer Hilfe vorbereiten. Ich bin dazu jederzeit gerne bereit. Bei der Durchführung der Sendung im März 1964 über den Widerstand haben österr. Regisseure und Mitarbeiter dafür auch großes Interesse bekundet.“61

Nach meinen Recherchen haben im untersuchten Zeitraum keine Kooperationen mehr zwischen ORF und DÖW stattgefunden. Die beiden (im Auftrag des)

59 Siehe Kapitel 2.7.3. 60 DÖW 50120 Hd2. DÖW Korrespondenz 30.1.1964-9.3.1964: Brief von Helmut Zilk an Herbert Steiner, 30.1.1964. Die angesprochene Drehskizze befand sich nicht (mehr) in den im DÖW-Archiv befindlichen Unterlagen. 61 DÖW 50210 Hd3. DÖW Korrespondenz 1.4.1964-6.11.1964. Durchschlag eines Briefes von Herbert Steiner an Helmut Zilk, 29.6.1964.

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ORF-produzierten Dokumentationen im April und Mai 1965 wurden von Hellmut Andics (Die Republik der Überzeugten, 27.4.1965, Erstes Programm, 20 Uhr)62 bzw. Hermann Schnell und Klemens Zens (Der österreichische Staatsvertrag, 13.5.1965, Erstes Programm, 11h) gestaltet. Am 27.4.1965 wurde die Sendung Der österreichische Widerstand zwar wiederholt, jedoch auf einem nicht sehr populären Sendeplatz: im Technischen Versuchsprogramm um 19h und damit parallel zur Zusammenfassung der Übertragungen der Republiksfeierlichkeiten. Auch in der Datenbank des ORF-Fernseharchivs finden sich in Bezug auf das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes lediglich Hinweise auf kurze Nachrichtenbeiträge anlässlich von Jahresversammlungen oder Gedenk-Anlässen.63 Vielfältiger gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem 1961 außeruniversitär und 1966 als Universitätsinstitut gegründeten Institut für Zeitgeschichte beziehungsweise mit dessen Vorstand Ludwig Jedlicka. Diese Kooperationen fanden auf verschiedenen Ebenen statt und lassen sich vor allem anhand der im Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien archivierten Institutskorrespondenzen nachvollziehen.64 Nach Oliver Rathkolb, der eine „biographische Skizze“ über Ludwig Jedlicka (1916-1977) verfasste65, lassen sich die politischen biographischen Bezugspunkte Ludwig Jedlickas wie folgt charakterisieren: Vor 1938 eine „doppelte Karriere-Absicherung“ in Richtung Vaterländische Front einerseits und illegale NSDAP andererseits66, während des Nationalsozialismus als „untauglich“ eingestuft, Dienst im Heeresgeschichtlichen Museum, Promotion 1940 und ein wenig propagandistische Publikationstätigkeit67; nach 1945 ein kurzes – und 1949 eingestelltes – Verfahren aufgrund seiner illegalen HJ-Tätigkeit, Beitritt zu Car-

62 Siehe Kapitel 2.7.4. 63 ORF-Fernseharchiv:

ZIB

vom

12.2.1963,

Beitrag

1:

Wien:

Widerstands-

Dokumentationszentrum, 0‘58‘‘; ZIB vom 21.2.1964, Beitrag 6: Wien: Gedenkfeier der Widerstandsbewegung 0‘37‘‘, ZIB vom 26.10.1966, Beitrag 5: Besuch im Dokumentationsarchiv 5‘24‘‘, ZIB vom 15.3.1967, Beitrag 3: Wien: Widerstandskämpfer (Jahresversammlung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes) 3‘03‘‘. 64 Die dort archivierten Schriftstücke reichen über das Gründungsjahr als Universitätsinstitut hinaus, die frühesten gesammelten Korrespondenzen datieren auf das Jahr 1962. Gesichtet wurden die Unterlagen bis einschließlich 1970. 65 Rathkolb 2005. 66 Rathkolb 2005: 353. 67 Rathkolb 2005: 354; 364; 355-357.

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tellverband und ÖVP und Mitarbeiter der katholischen Zeitschrift Die Furche.68 1957 folgte eine nicht unumstrittene Habilitation, 1960 die Gründung des Vereins Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte, der 1961 das noch außeruniversitäre Österreichische Institut für Zeitgeschichte gründete. 1965 wurde Ludwig Jedlicka zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt und 1966 zum Institutsvorstand des neu errichteten Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien bestellt.69 Ludwig Jedlicka sprach in seiner Funktion als Universitätsprofessor zu geschichtspolitischen Anlässen im Radio (zum Beispiel am 27.4.1965 und 26.10.1969) und Fernsehen (Die Wiener Universität, 26.6.1969). Nachrichtenbeiträge über das Institut brachte der ORF 1966 anlässlich eines Besuchs des Bundeskanzlers Josef Klaus (ÖVP) im neugegründeten Institut für Zeitgeschichte und 1967 anlässlich eines Besuchs des damaligen Nationalratspräsidenten Alfred Maleta (ÖVP).70 1970 lehnte der als rechtskonservativ geltende Chefredakteur des ORF, Alfons Dalma, mit Verweis auf das im Zuge der Rundfunkreform formulierte Nachrichtenstatut vom 23. Mai 196771 einen Bericht über den Besuch des Bundespräsidenten Franz Jonas (SPÖ) am Institut für Zeitgeschichte ab.72 Die archivierten Korrespondenzen zwischen Mitarbeitern des ORF und Ludwig Jedlicka sind vielfältig und umfassen Rechnungen für vom ORF verwendete Fotografien73, Bitten um Ankündigungen von Veranstaltungen und Publikationen74, Glückwünsche zur Institutsgründung75 ebenso wie die von 68 Rathkolb 2005:357. 69 Rathkolb 2005: 359-361. 70 ORF-Fernseharchiv, ZIB vom 1.10.1966, Beitrag: Wien: Klaus besucht Zeitgeschichte-Institut; ZIB vom 8.6.1967: Beitrag 3: Wien: Maleta zu Besuch im Institut für Zeitgeschichte 0‘58‘‘. 71 Österreichischer Rundfunk 1969: 100-103. Die betreffende Richtlinie besagte Folgendes: „Hochgestellte Institutionen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens treten oft nur auf, ohne echte Ereignisse zu schaffen. Achtung vor dem eigenen Staat und vor seinen Souveränitätsträgern gebieten aber eine abgewogene Betrachtung solcher protokollarischer Ereignisse. Die Nachrichten darüber gehören nur in besonders repräsentativen Fällen an die Spitze der Inlandsinformation.“ Österreichischer Rundfunk 1969: 101. 72 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte. Institutskorrespondenzen. Alfons Dalma an Ludwig Jedlicka (abgelegt unter ORF), 27.4.1970. 73 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Durchschrift eines Briefes an den ORF (nicht namentlich gezeichnet), 3.6.1970. 74 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Ludwig Jedlicka an den ORF 29.1.1962 und 28.3.1962, sowie Jedlicka an Gerd Bacher 10.11.1969.

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Jedlicka direkt an Gerd Bacher gerichtete Bitte um die Einstellung des „Sohnes eines Jugendfreundes“ als Elektrotechniker.76 Im Rahmen des sich etablierenden Geschichtsfernsehens wurden Ludwig Jedlicka bzw. das Institut für Zeitgeschichte regelmäßig in beratender Funktion herangezogen, was in den Sendungen auch ausgewiesen wurde. Ein 1961 verfasstes Schreiben des damals im Stadtschulrat tätigen Bezirksschulinspektors (und Mitverfassers des Textes der Reihe Zeitgeschichte aus der Nähe) Hermann Schnell an den Universitätsdozenten und Generalsekretär des noch außeruniversitären Österreichischen Instituts für Zeitgeschichte legt nahe, dass Jedlicka schon zu Beginn der Arbeiten an Zeitgeschichte aus der Nähe als Berater herangezogen wurde. Hermann Schnell berichtet in diesem auf den 2. Juni 1961 datierten Brief, dass die Fernsehsendung „‚Österreich 1918-1945‘ verschoben wird, weil das Österreichische Fernsehen neues Bildmaterial für diese Sendung erwerben kann“ und bittet Jedlicka, seiner Zusage, das Manuskript „durchzusehen“, auch „nach den Ferien“ nachzukommen.77 Da im betreffenden Zeitraum keine andere zeitgeschichtliche Sendung mit diesem Fokus und unter Mitarbeit von Hermann Schnell vom ORF produziert und gezeigt wurde liegt nahe, dass es sich dabei um den Arbeitstitel oder eine erste Fassung der dreiteiligen Reihe Zeitgeschichte aus der Nähe (25.10.1961, 14.3.1962, 13.6.1962) handelt.78 Weitere Schriftstücke, die diese Beratungsfunktion betreffen würden, sind nicht archiviert. Sichtbar wird jedoch die Änderung des behandelten Zeitraums in der Sendung (die letztendlich produzierte dreiteilige Sendung umfasste den Zeitraum 1914 bis 1962) wie auch des Titels. So lässt Österreich 1918-1945 noch eher an einen Schulbuch-Kapiteltitel denken, während Zeitgeschichte aus der Nähe eines der Lieblingswortspiele des neuen Mediums aufgreift: Die oft im Zusammenhang mit dem Fernsehen bemühte Nähe-Ferne-Rhetorik bezieht sich auf das Versprechen des Fernsehens, entfernt stattfindende Ereignisse nahe zu bringen. In den hier untersuchten Sendungen wird das Institut für Zeitgeschichte in Beratungs- oder Mitwirkungsfunktion zweimal erwähnt: im Abspann von Die Iden des März (1968) und in dem von 50 Jahre unserer Republik (1968). Zu beiden Sendungen finden sich keine 75 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. ORF an Ludwig Jedlicka, 24.6.1966. 76 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Ludwig Jedlicka an Gerd Bacher (abgelegt unter ORF), 2.10.1968. 77 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Hermann Schnell an Ludwig Jedlicka, 2.6.1961. 78 In der Datenbank des ORF-Fernseharchivs mARCo findet sich keine Sendung mit dem im Schreiben genannten Titel. Zu Zeitgeschichte aus der Nähe siehe Kapitel 2.7.2.

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Briefwechsel, wohl aber zum Manuskript der ebenfalls von Hellmut Andics gestalteten Sendereihe Das österreichische Jahrhundert. Jedlicka schickt seine wohlwollenden Anmerkungen bezüglich des groben Sendungsplanes an Helmut Zilk und bemerkt: „Bezüglich der genauen Formulierung meiner Beratung sowohl bei der Schirach-Sendung als auch bei der geplanten großen Serie will ich mir erlauben, mündlich mit Dir die genaue Festlegung durchzusprechen.“79 Mit der „Schirach-Sendung“ meinte Jedlicka die am 21.10.1966 erstausgestrahlte Sendung über Baldur von Schirach, die ebenfalls von Hellmut Andics gestaltet und bei der in beratender Funktion ebenfalls das Institut für Zeitgeschichte80 angegeben wurde. Das Augenmerk, das von Seiten Jedlickas wie auch seitens der Fernsehanstalt darauf gelegt wurde, dass und wie das Institut für Zeitgeschichte genannt werde, lässt darauf schließen, dass es um mehr ging als um eine wissenschaftliche Absicherung oder die Deutungsmacht um die letztendlich veröffentliche Geschichtsversion. Jedlicka war sicherlich auch eine Positionierung des Instituts für Zeitgeschichte wichtig, während für das Geschichtsfernsehen des ORF der Verweis auf die Zusammenarbeit mit dem Institut eine entscheidende Authentisierungsstrategie darstellte. An dem Briefwechsel zur Sendung 50 Jahre Kärntner Abwehrkampf (10.10.1969), dessen Manuskript Ludwig Jedlicka unter dem Titel 50 Jahre Kärnten übermittelt worden war, fallen mehrere Aspekte auf. Erstens verlangte Jedlicka für seine Beratungstätigkeit ein Honorar (das auf ein auf seinen Namen lautendes Konto überwiesen werden solle)81; zweitens urteilte er überaus kritisch über das Manuskript; und drittens war er in diesem Fall nicht einverstanden mit der uneingeschränkten Nennung des Instituts als beratender Instanz. So beginnen Jedlickas fünfseitige Anmerkungen zu dem ihm übermittelten Text der Sendung mit den Worten: „Das Manuskript ist primitiv, in vielen Teilen falsch“ 82. Worin genau die Unstimmigkeiten bestanden haben, kann hier (auf Basis von Jedlickas Anmerkungen) nur vermutet werden. Mehrere Formulierungen legen jedoch nahe, dass Jedlicka einem partisanen- und minderheitenfeindlichen und unter Umständen deutschnationalen Jargon des Manuskript-

79 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Ludwig Jedlicka an Helmut Zilk (abgelegt unter „ORF“), 5.10.1966. 80 Die Erwähnung des Instituts für Zeitgeschichte erfolgte hier sogar in der Programmankündigung (Hör Zu 42/1966: 51). 81 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Ludwig Jedlicka an Helmut Zilk, 31.3.1969. 82 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Ludwig Jedlicka an Helmut Zilk, 31.3.1969.

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schreibers Dieter Kulnik entgegenwirken wollte. Es folgen mehrere Korrekturen von Formulierungen bezüglich Partisan_innen und Minderheiten: „Die Partisanenbewegung, welche schon sehr früh – 1940/41 – wegen der Ausweisungen einsetzte, war nicht von Belgrad gesteuert, sondern eine natürliche Reaktion auf die Klagenfurter Gewaltpolitik.“ Oder: „Die jugoslawischen Truppen kämpften nicht hinterhältiger als alle anderen Truppen und waren 1945 keine Partisanen, da sie längst den Statuts [sic] einer alliierten Armee zuerkannt bekommen hatten.“ „Völkische Minderheiten = überholte Terminologie. Anderssprachige Minderheiten ist besser. Die Kroaten im Burgenland sind weder Abspaltungen noch unbedeutende Randerscheinungen, sondern eine seit Jahrhunderten gefestigte Volksgruppe mit einem sehr hohen kulturellen Niveau.“83

Im Kontext der politischen Biographie und früherer Schriften Ludwig Jedlickas, die oben kurz angerissen wurde, verwundern diese durchaus verärgert klingenden Kommentare. Wie Oliver Rathkolb gezeigt hat, war Jedlicka in seinen (zeit-)geschichtswissenschaftlichen Äußerungen eher großkoalitionär konsensorientiert und diskutierte „zwar alle innenpolitischen Konfliktthemen“ an, entzog sich jedoch „einer klaren realpolitischen Analyse der innerösterreichischen Akteure und Interessen und vor allem einer persönlichen Stellungnahme und Bewertung“.84 Vermutlich reagierte Jedlicka hier deswegen so scharf, weil das Sendungsmanuskript zwei seiner Selbstverständnisse angriff, die Oliver Rathkolb folgendermaßen benennt: Erstens das der „Monarchie als heile Welt“ (zu der eben auch die verschiedenen Volksgruppen gehörten) und zweitens das der nach 1945 gezogenen „Lehren aus der Geschichte“85 (zu denen auch die Erkenntnis gezählt werden kann, dass nach 1945 bestimmte Begriffe und Jargons nicht mehr opportun waren). Am 21. Oktober 1969 schrieb Ludwig Jedlicka an Alfred Payrleitner, der mittlerweile zum Hauptabteilungsleiter für Politik und Zeitgeschehen im ORF86 aufgestiegen war: „Sie werden vielleicht aus den Akten ersehen haben, daß ich vor über einem halben Jahr über Wunsch von Herrn Direktor Dr. Zilk das Manuskript eines Herrn Dieter Kulnik über Kärnten und den Abwehrkampf vernichtend kritisiert habe. Man versprach mir dann ent83 Alle Zitate: Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Ludwig Jedlicka an Helmut Zilk, 31.3.1969. 84 Rathkolb 2005: 363. 85 Rathkolb 2005: 365. 86 Payrleitner trat die Nachfolge von Karl Pisa an, der ab 1968 ÖVP-Staatssekretär im Bundeskanzleramt war. Siehe Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Alfred Payrleitner an Ludwig Jedlicka, 14.10.1968.

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weder eine Zurückziehung oder vollständige Änderung. Leider ist, wie man mir berichtete, jüngst eine Sendung zu diesem Thema gelaufen, bei der noch dazu die Beratung unseres Instituts erwähnt wurde. Ich möchte Sie, sehr verehrter Herr Payrleithner [sic] bitten, daß für den Fall unserer Beratung auch bei nicht sehr hochwertigen Manuskripten, die dann doch gebracht werden müssen, immer die einschränkende Bezeichnung ‚historische Beratung‘ gebracht wird, da wir natürlich nicht für den kulturpolitischen Inhalt verantwortlich gemacht werden können, noch weniger für Dialoge, Technik, Ton etc.“87

Offensichtlich wurde hier nicht mehr Jedlickas ausdrückliche Zustimmung zur Nennung im Abspann eingeholt. Im Schreiben an Payrleitner versucht sich Jedlicka einerseits zu distanzieren, andererseits eine gewisse Kontrolle darüber zu gewinnen, wie er bzw. das Institut im Fernsehen genannt würden. Jedlickas Beratungstätigkeit wurde einige Jahre später formalisiert: Er erhielt 1974 einen Konsulentenvertrag mit dem ORF.88 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass von Seiten der Fernsehanstalt die Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte gesucht und betrieben wurde, wohingegen die Kooperationen mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Untersuchungszeitraum mit Ausnahme der Sendung Der österreichische Widerstand (1964) minimal waren. Im Kontext der eingangs dargelegten differenten geschichtspolitischen Verortungen der beiden Institutionen entschied sich das österreichische Fernsehen damit gegen eine eindeutige Positionierung auf Seiten ehemaliger Gegner_innen und Verfolgter des NS-Regimes.

2.3 D IE „AFFÄRE B ORODAJKEWYCZ “ Das Fernsehen spielte eine nicht unwesentliche Rolle während und in der so genannten „Affäre Borodajkewycz“, die einleitend kurz umrissen werden soll. Das Publikwerden regelmäßiger antisemitischer Äußerungen von Taras Borodajkewycz, Historiker und Professor an der Hochschule für Welthandel in Wien, in seinen Vorlesungen führte zu öffentlichen Debatten um eine mögliche Suspendierung von Borodajkewycz. Am 31. März 1965 fanden in Wien Demonstrationen pro und contra Borodajkewycz statt, im Zuge deren der Kommunist und KZ-Überlebende Ernst Kirchweger von Günther Kümel, einem Mitglied des

87 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. Institutskorrespondenzen. Ludwig Jedlicka an Alfred Payrleitner, 21.10.1969. 88 Rathkolb 2005: 366.

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Rings Freiheitlicher Studenten, schwer verletzt wurde. Ernst Kirchweger, der zwei Tage später an diesen Verletzungen starb, erhielt ein Staatsbegräbnis, an dem rund 25.000 Personen teilnahmen.89 Nach mehr als einem Jahr „Hinhaltetaktik“ des ÖVP-Unterrichtsministers Theodor Piffl-Perþeviü wurde Taras Borodajkewycz am 14. Mai 1966 schließlich zwangspensioniert.90 In der österreichischen Zeitgeschichte gilt die Affäre als „folgenreiche Zäsur“, die einen „Wandel der offiziellen österreichischen Gedächtniskultur“91 eingeleitet habe, wie es beispielsweise der Historiker Christian Gerbel beschrieb. Drei im ORF übertragene Sendungen strukturierten die mediale Debatte: Die Sendung Das Zeitventil vom 18.3.1965, die auch im Fernsehen gezeigte Pressekonferenz von Taras Borodajkewycz vom 23.3.1965 und die ein Jahr später von der NBC unter Mitarbeit von Hellmut Andics hergestellte Dokumentation An Austrian Affair. Die achte Folge der kabarettistischen Sendung Zeitventil von Gerhard Bronner und Peter Wehle wird in mehreren Darstellungen als letztendlicher Auslöser der öffentlichen Debatte bezeichnet.92 In der Sendung gab der Schauspieler Kurt Sobotka, als Taras Borodajkewycz verkleidet, in einem fiktiven Interview Antworten, die als Originalzitate von Borodajkewycz ausgewiesen wurden.93 Borodajkewycz verklagte Gerhard Freund und die beiden verantwortlichen Sendungsgestaltenden; diese argumentierten jedoch, nur Originalzitate verwendet zu haben und das auch beweisen zu können.94 Nach dem Freispruch des damaligen SPÖ-Klubsekretärs Heinz Fischer und des Arbeiter-ZeitungsRedakteurs Alois Brunnthaler im Ehrenbeleidigungsverfahren am 22.6.196595 89 Vgl. Kasemir 1995: 497. 90 Kasemir 1995: 500. Gerard Kasemir sieht diesen Ausgang des Disziplinarverfahrens in Zusammenhang mit dem Wahlsieg der ÖVP im März 1966, nach dem Borodajkewycz für die ÖVP „seinen Wert als eine politische Schachfigur (Abdeckung des rechten Randes) verloren zu haben [schien]“ (Ebd.). 91 Gerbel 2005: 87. 92 Kasemir 1994: 53, Zimmermann 2001: 21f, Adunka 2002: 31. Zur Sendung Zeitventil siehe Kapitel 2.4. 93 Kasemir 1994: 53. 94 Arbeiter-Zeitung 19.5.1965: 5. Laut Arbeiter-Zeitung gab Gerhard Freund außerdem vor Gericht an, dass er das Manuskript nicht gekannt habe, aber auch im gegenteiligen Fall die Szene nicht gestrichen hätte, da er „Kabarett grundsätzlich nicht zensuriere“ (Ebd.) 95 Kasemir 1995: 498, Arbeiter-Zeitung 23.6.1965: 1 bzw. 4. Heinz Fischer hatte bereits 1962 in der Arbeiter-Zeitung Artikel veröffentlicht, die Borodajkewycz‘ NSVergangenheit und dessen antisemitische Aussagen während seiner Vorlesungen thematisiert hatten. Borodajkewycz verklagte Fischer und den zuständigen Redakteur

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und der Zwangspensionierung Borodajkewycz‘ zog dieser die Ehrenbeleidigungsklage gegen die ORF-Sendungsgestaltenden und Freund am 28. Juli 1966 zurück.96 Am 23. März 1965 nahm Taras Borodajkewycz an einer von der Österreichischen Hochschülerschaft organisierten Pressekonferenz teil, bei der Personen des Fernsehens anwesend waren. Laut seiner eigenen Aussage forderte Borodajkewycz diese zunächst zum Verlassen der Veranstaltung auf, ließ sich dann aber zum Abhalten der Diskussion „überreden“.97 Die Pressekonferenz war gekennzeichnet von einer Fortsetzung und Wiederholung der antisemitischen Aussprüche vor einem mehrheitlich zustimmenden und lauten Beifall äußernden Publikum.98 Dabei bezog Borodajkewycz sich auch auf die Sendung Zeitventil: „Seit wann also sind akademische Lehrer in Österreich dazu da, um in einem Sketch verulkt zu werden? Ich hab selbst kein Fernsehen, ich hab es nicht gesehen, ich bin also nur angewiesen auf die Berichte darüber, nicht wahr, aber, was also besonders gravierend ist, ist ja die Tatsache, daß immer wieder unten eingeblendet wurde, ‚Originalzitate‘ von mir [...]. Ich weiß nicht, ob es dem Ansehen der Hochschulen und schließlich auch dem Verhältnis Lehrer-akademische Jugend dient, nicht wahr, wenn man einen Professor gewissermaßen als alten Trottel hinstellt, nicht wahr, der noch immer ein Neonazi oder ein Nazi ist. Auf das geht ja das ganze hinaus im Fernsehen.“99

An dieser Stelle100 weicht Borodajkewycz der inhaltlichen politischen Argumentation dadurch aus, dass er auf die kabarettistische Form der Sendung eingeht. Er Alois Brunnthaler wegen Ehrenbeleidung und gewann den Prozess 1963. Im Prozess 1963 wurden Vorlesungs-Mitschriften von Ferdinand Lacina nicht vollständig als Beweismittel vorgelegt, da Lacinas Studienabschluss nicht gefährdet werden sollte. 1965 wurde das Verfahren von Heinz Fischer wieder aufgenommen, nun konnten auch die Mitschriften vollständig als Beweismittel eingebracht werden (Kasemir 1995: 491-498). 96

Zimmermann 2001: 22.

97

Niederschrift des Protokolls der Einvernahme von Taras Borodajkewycz, Bundes-

98

Kasemir 1994: 56-59.

99

Niederschrift der Tonbandaufnahme der Pressekonferenz von Taras Borodajkewycz

polizeidirektion Wien, 29.3.1965, zitiert nach Fischer 1966: 115-118: 116.

am 23.3.1965, zitiert nach: Fischer 1966: 108. 100 Auf zwei in der Sendung zitierte Aussagen vom 15.3.1938 als dem „schönsten Tag seines Lebens“ und die systematische Kennzeichnung jüdischer Personen in seinen Vorlesungen geht er zuvor ein (Niederschrift der Tonbandaufnahme der Pressekonferenz von Taras Borodajkewycz am 23.3.1965, in: Fischer 1966: 96-115; 98).

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verschiebt somit eine politische Frage in eine des guten Benehmens, die letzten Endes auf der Autorität der Universität gegenüber dem Fernsehen besteht. Durch das von ihm selbst nicht genutzte neue Medium sieht Borodajkewycz seine Autorität als Universitätsprofessor (zu Recht) bedroht. Festzuhalten ist, dass hier (wie auch schon 1961 in Der Herr Karl) in kabarettistischer Form eine Kritik formuliert wurde, die nicht nur wirkungsvoller war, sondern sich über das Mittel der Satire auch wesentlich eindeutiger politisch antifaschistisch positionierte, als es die Informationsformate taten. In mehreren historischen Darstellungen ist davon die Rede, dass die Pressekonferenz vom Fernsehen „übertragen“ worden sei.101 Dafür, dass eher nachträglich eine Zusammenfassung gesendet wurde, sprechen mehrere Hinweise. So fand am 23. März 1965 ein Streik der Post- und Bahnbediensteten statt, in Zuge dessen auch das Radio- und Fernsehprogramm stark eingeschränkt wurde. Die Arbeiter-Zeitung berichtet rückblickend über den Streiktag: „Im Fernsehen gab es nur die Nachrichten und die Sendung ‚Zeit im Bild‘.“102 Der ÖVP-Abgeordnete Alexander Nemecz sprach eine Woche später in einer Parlamentsdebatte darüber, dass er gehört habe, die Fernsehsendung über die Pressekonferenz sei „zugeschnitten“ worden103, was – ungeachtet der Frage, ob der Vorwurf berechtigt war oder nicht – ebenfalls auf eine spätere Ausstrahlung verweist.104 Ein Jahr nach diesem Höhepunkt der Debatte und kurz nach der Zwangspensionierung von Borodajkewycz flammte die Diskussion anlässlich der von der NBC produzierten Sendung An Austrian Affair (George Vicas, unter Mitarbeit von Hellmut Andics)105 erneut auf. Die Sendung wurde in den USA am 15. Mai 1966106 und in Österreich am 12. Juni 1966107 erstmals ausgestrahlt. Vor dem österreichischen Ausstrahlungstermin wurde der Film in der österreichischen Pres-

101 Vgl. z.B. Kasemir 1994: 55 und Adunka 2002: 31. 102 Arbeiter-Zeitung 24.3.1965: 3. 103 Alexander Nemecz (ÖVP) im Parlament am 31.3.1965, zitiert nach: Fischer 1966: 130. 104 Auch in der ORF-Datenbank mARCo findet sich lediglich der Hinweis auf einen acht Minuten langen ZIB-Beitrag vom 24.3.1965. 105 In der ORF-Datenbank mARCo ist die Sendung weder unter dem englischen noch unter dem deutschen Titel – Eine österreichische Affäre – auffindbar. 106 Um 18.30 Uhr auf NBC. Recherche im Paley Center for Media, New York am 26.09.2008. 107 Hör Zu bemängelte angesichts der Ausstrahlung auch, dass der Termin erst vier Tage zuvor bekannt gegeben worden sei, weshalb die wöchentlich erscheinenden Programmzeitschriften die Sendung nicht ankündigen konnten (Hör Zu 26/1966: 10).

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se mehrheitlich als US-amerikanische „Einmischung“ empfunden108; Stimmen des Lobes, wie in der Gemeinde – das offizielle Organ der israelitischen Kultusgemeinde, waren eher die Ausnahme.109 Nach der ORF-Ausstrahlung gab es laut der Historikerin Evelyn Adunka im Wesentlichen zwei Rezeptionslinien: So lehnten Bundeskanzler Josef Klaus und Außenminister Lujo Toncic-Sorinj den Film nach wie vor als „unpatriotisch“ bzw. nicht richtig ab110; die Gemeinde, die katholische Furche und einige linke Zeitschriften hingegen kritisierten den Film als viel zu harmlos – dadurch, dass Antisemitismus ausschließlich am rechten Rand verortet würde, sei „‚Österreich in diesem Film eher viel zu gut weggekommen‘“.111 Überraschenderweise wurde gerade in der Sendung Zeitventil der Film ebenfalls abgelehnt. So singen Gerhard Bronner und Peter Wehle in der Folge 13, fünf Tage nach der Ausstrahlung von An Austrian Affair: „Amerika zeigt jüngst im Television uns einen frischen Europagreuel. Die Jugend Österreichs ist, so meint man kritisch, antisemitisch zum großen Teil. Doch wissen wir Amerika ist auch nicht stubenrein - da gibt‘s noch heut‘ Hotels da dürfen Juden nicht hinein. Und wenn man dann bedenkt, was dort beim Ku Klux Klan geschieht, na ist das nicht, na ist das nicht ein Riesenunterschied.“112

Bronner und Wehle bedienen sich hier einer in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Österreich und Deutschland verbreiteten Argumentation, die den USA rassistische Einstellungen zuschrieb und auf dieser Basis eine Schuldumkehr betrieb, die die NS-Nachfolgestaaten moralisch entlasten und rehabilitieren sollte.113 Mit der Borodajkewycz-Affäre und dem Staatsbegräbnis für Ernst Kirchweger sei es, so Winfried Garscha, 1965 zu einer „Kehrtwendung“ gegen die „schleichende Rechtsentwicklung“114 gekommen. Auch Evelyn Adunka misst diesen Vorfällen große Bedeutung für die Frage der öffentlichen Legitimation antisemitischen Sprechens bei: „In Österreich nach 1945 gab es in allen Parteien und großen Zeitungen antisemitische Politiker und Äußerungen, allerdings nicht im gleichen Ausmaß. Geändert haben sich seit der Borodajkewycz-Affäre aber

108 Zimmermann 2001: 42-46. 109 Adunka 2002: 35. 110 Adunka 2002: 36. 111 Die Gemeinde 29.6.1966, zitiert nach Adunka 2002: 35. 112 Zeitventil Folge 13, 17.6.1966, (TC 1.21.00-1.21.34). 113 Vgl. Bakondy/Winter 2007: 166f. 114 Garscha 2002: 43.

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auch die öffentlichen Reaktionen.“115 Der Österreichische Rundfunk spielte für die Popularisierung und Fortführung dieser Debatte jedenfalls eine entscheidende Rolle. Die Debatte fand auch in das dokumentarische Geschichtsfernsehen Eingang: Die Dokumentation Die Republik der Überzeugten, von Hellmut Andics zum 20-jährigen Jubiläum der Zweiten Republik für den ORF gestaltet (siehe unten) beginnt mit Film- und Tonaufnahmen sowie abgefilmten Zeitungsberichten über die Demonstrationen pro und contra Taras Borodajkewycz.116 Auch der schwer verletzt am Boden liegende Ernst Kirchweger wird gezeigt. Die beiden Sprecher Helmut Janatsch und Wolfgang Riemerschmid geben keine weiteren Erklärungen ab, nennen keine Namen von Beteiligten, sondern führen folgenden Dialog: Sprecher 1: „Und das geschah am 31. März 1965 in Wien.“ Sprecher 2: „Trotz eines Todesopfers wollen wir den Vorfall nicht überbewerten.“ Sprecher 1: „Aber wir wollen diesen Einzelfall auch nicht übersehen. Gerade heute nicht.“ Sprecher 2: „Denn es geschah wenige Wochen vor dem Tag, an dem wir den 20. Geburtstag der Zweiten Republik feiern.“117

Es scheinen keine konkreten Begriffe, Erklärungen oder Namen nötig zu sein, um „das“ zu bezeichnen. Einerseits kann dieses Fehlen der Worte Ausdruck der Aktualität der Vorfälle sein, andererseits wird offen gelassen, was „es“ denn sei, „das“ geschehen ist und „wir“ nicht wollen.118 Dieser Repräsentation der Borodajkewycz-Affäre liegt ein angenommener Konsens zwischen SendungsGestaltenden und Zuschauer_innen zugrunde, der sich nicht nur durch das „Wir“ ausdrückt, sondern auch im Vertrauen auf die im Sinn der Produzent_innen „korrekte“ Decodierung der Bilder. Bemerkenswert ist der Versuch, die Bedeutung des „Vorfalls“ bei seiner Integration in die (Jubiläums-)Geschichtserzählung zu minimieren. Im Dialog der Sprecher wird – konsensorientiert – sowohl angeboten, „nicht über[zu]bewerten“ als auch „nicht [zu] übersehen“. Die letztere Position wird jedoch mit dem Wort „Einzelfall“ verknüpft, 115 Adunka 2002: 55. 116 RdÜ TC 00.54-03.58. 117 RdÜ TC 01.01-01.24. 118 Gegen Ende der Sendung werden Aufnahmen der Borodajkewycz-Demonstrationen noch einmal aufgegriffen und mit einer Fotografie eines Krematoriums montiert. Dazu ein Sprecher: „Das wollen wir nicht. Denn das hat schon einmal ins Unglück geführt“ (RdÜ TC 47.52-48.00). Das deutet darauf hin, dass die von den Filmemachern intendierte Bedeutung des „das“ das Wiedererstarken nationalsozialistischen Gedankenguts ist.

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wodurch ein Verständnis der Borodajkewycz-Affäre als Ausdruck von Kontinuitäten des Antisemitismus und nationalsozialistischer Ideologien (und des offiziellen politischen Umgangs mit diesen Kontinuitäten seit 1945) und damit als geschichtspolitische Angelegenheit abgewehrt wird.

2.4 E XKURS : G ESCHICHTSPOLITIKEN F ERNSEHKABARETT

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Eine Darstellung oder Analyse des frühen österreichischen Fernsehkabaretts mitsamt seinen Akteur_innen würde mindestens ein weiteres Buch füllen; an dieser Stelle beschränke ich mich darauf, anhand von Beispielen mir zugänglicher Aufzeichnungen Thesen zu geschichtspolitischen Strategien einiger Sendungen zu bilden. Die (wissenschaftliche) Literatur zum österreichischen Nachkriegskabarett fokussiert vor allem auf die 1950er Jahre.119 Diese Konzentration ist meines Erachtens auf zwei Umstände zurückzuführen: Erstens setzt sich hier die Prominenz des Schauspielers und Kabarettisten Helmut Qualtingers fort, in diesen Jahren Teil einer kabarettistischen Formation gemeinsam mit Gerhard Bronner und Carl Merz (und zeitweise Michael Kehlmann, Georg Kreisler, Louise Martini und Peter Wehle120). Und zweitens wurde den 1950er Jahren in Bezug auf das (Wiener) Kabarett nachträglich eine „Goldene Ära“ attestiert.121 Weniger wurde über die späteren Fernseh-Kabarett-Sendungen wie Spiegel vorm Gsicht (19581959), Zeitventil (1963-1968), Die große Glocke (1968-1971) oder die Übertragungen der Simpl-Programme geschrieben. Von der Reihe Spiegel vorm Gsicht sind keine Aufzeichnungen mehr erhalten122; Doppelconférencen von Karl Farkas und Ernst Waldbrunn wurden hingegen schon 1990 vom ORF in einer VHSEdition zum Verkauf angeboten123 und einzelne Folgen von Zeitventil bzw. Die große Glocke sowie weitere vereinzelte historische Kabarettsendungen wurden 2012 und 2013 auf dem österreichischen Fernsehsender ORF III in der Reihe „Kult reloaded“ ausgestrahlt. In den populären Doppelconférencen von Karl Farkas und Ernst Waldbrunn und den im Fernsehen übertragenen Programmen des Simpl-Kabaretts wird the-

119 Vgl. z.B. Scheichl 1998, Fink 2003, Klaffenböck 2004, Veigl 2005, Durrani 2012. 120 Fink 2003: 26. 121 Vgl. Bronner 1995, Scheichl 1998: 95f. 122 Fink 2003: 28 bzw. 32. 123 Vgl. G’scheites und Blödes. Karl Farkas & Ernst Waldbrunn: Conferencen und Doppelconferencen. Vol 1: 1958-1965, Vol 2: 1965-1971 (VHS, ORF 1990).

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matisch vieles verhandelt; die NS-Vergangenheit Österreichs jedoch so gut wie gar nicht.124 Diese Nicht-Thematisierung kann im Kontext der Biographien von Farkas und Waldbrunn als geschichtspolitische Strategie verstanden werden. Der Wiener Schauspieler, Kabarettist und Entertainer Karl Farkas (1893-1971) konnte 1938 nach kurzfristiger Verhaftung aus Österreich flüchten. 1939/40 in Frankreich interniert, konnte er 1941 in die USA emigrieren, wo er seine KabarettTätigkeit wieder aufnahm; 1946 kehrte er aus dem US-amerikanischen Exil nach Wien zurück.125 Zwei Schwestern, ein Neffe und sein ehemaliger KabarettPartner Fritz Grünbaum waren von den Nationalsozialisten ermordet worden.126 Ab 1950 künstlerischer Leiter des Kabarett Simpl (dessen Direktor er bereits 1934-38 gewesen war127), war Farkas Teil der allerersten Fernsehausstrahlungen des österreichischen Rundfunks, wie die Kulturwissenschafterin Iris Fink festhält: „Im Rahmen der Wiener Herbstmesse wurde ein ‚Fernsehmesseprogramm‘ ausgestrahlt, dessen Höhepunkt zweifellos TELEVISION-NÄRRISCHES von und mit Karl Farkas war. Ein weiterer Höhepunkt sollten seine BILANZEN werden, die ab 30. September 1957 ausgestrahlt wurden.“128 Lisa Silverman formuliert die These, dass Farkas‘ Schweigen über Österreichs NSVergangenheit erstens der Preis für eine Nachkriegskarriere in Österreich gewesen sei und sich zweitens die „kulturelle Rückforderung/Wiedererlangung“ (attempt „to ‚reclaim‘ the lost cultural property of pre-war Jewish writers, artists, and entertainers by becoming active again in Austrian cultural life, albeit one without a flourishing Jewish component“ 129) weniger schmerzvoll gestaltet habe als eine Rückforderung des geraubten Eigentums von Jüdinnen und Juden.130 Auch Ernst Waldbrunn thematisierte die nationalsozialistische Vergangenheit nicht in den Kabarettprogrammen nach 1945 – allerdings im Theaterstück Die Flucht (Ernst Waldbrunn und Lida Winiewicz 1965). Das Stück, das ein Jahr später als Fernsehspiel verfilmt wurde, beinhaltet autobiographische Elemente. 124 Abgesehen von kleinen Wortspielen wie zum Beispiel im Simpl-Programm Alt aber gut. Karl Farkas spielt einen stotternden Richter und sagt zum Angeklagten: „Ich werde jetzt ihr Dings aufnehmen, ihr Nazi-Dings“ Angeklagter (Fritz Muliar): „Nazi?“, Farkas „Nationale werd ich aufnehmen.“ Alt aber gut (Simpl), 13.5.1966. Als „Nationale“ werden in der österreichischen Amtssprache die Angaben zur Person (Name, Geburtsdatum etc.) bezeichnet. 125 Veigl/Fink 2012: 34f. 126 Silverman 2003: 148. 127 Veigl/Fink 2012: 34f. 128 Fink 2003: 32 (Hervorh. im Orig.). 129 Silverman 2003: 151. 130 Ebd.

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Wie der Protagonist Karl Anton Winter musste Waldbrunn für die Wachmannschaft von Auschwitz auftreten, wie dieser wurde er 1944 interniert und wie diesem gelang ihm die Flucht nach Wien.131 Dass die Fernsehpräsenz und Popularität von Karl Farkas im Nachkriegsösterreich schon eine geschichtspolitische Strategie an sich darstellte, zeigte sich nicht zuletzt an den massiven antisemitischen Reaktionen, die diese offenbar hervorrief. Diese Reaktionen deuten sich in einem Artikel der Arbeiter-Zeitung, in dem u.a. Publikumsreaktionen auf die Berichterstattung zum Begräbnis von Karl Farkas wiedergegeben werden lediglich an.132 Anders als in den Farkas-Waldbrunn-Nummern finden sich in den Programmen der Gruppe(n) um Gerhard Bronner133 umso häufiger Bezüge auf die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs. Insbesondere die Sendung Zeitventil verstand sich als politisches Kabarett und griff schon in der ersten Sendung gleich mehrmals das Thema der österreichischen NS-Vergangenheit auf. Zeitventil war eine etwa 90-minütige, von Gerhard Bronner und Peter Wehle gestaltete musikalische Kabarettsendung in 23 Folgen (1963-1968), in der von einem Ensemble gespielte Szenen und Sketche sich mit Liedern und Dialogen von Bronner und Wehle abwechselten. In einer programmatischen Einleitung der Sendereihe von Gerhard Bronner, in der dieser auf der Bühne des Kärntnertortheaters sitzt und zum Fernsehpublikum spricht, wird Kabarett in einen Zusammenhang mit Demokratie gebracht: „Denn wenn man nicht weiß, was Kabarett ist, besteht auch die Gefahr, dass man nicht weiß, was Demokratie ist. Und ich bin überzeugt davon, wenn zum Beispiel in den 30er Jahren mehr Leute in Deutschland gewusst hätten, was Kabarett ist, dann hätten wir uns

131 Veigl/Fink 2012: 115. 132 Arbeiter-Zeitung 10.6.1971: 7. 133 Gerhard Bronner wurde 1922 in Wien geboren und konnte 1938 als einziges Mitglied seiner Familie vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Brno flüchten, von wo aus ihm die Flucht nach Palästina gelang. 1948 kehrte er nach Wien zurück, ursprünglich mit dem Ziel, nach einigen Wochen Aufenthalt nach London zu ziehen, um dort einen Job als Pianist anzunehmen. Nach Tätigkeiten als Kabarettist und Pianist sowie beim Radio ging Bronner Mitte der 1950er Jahre nach Hamburg, um dort beim Fernsehen zu arbeiten. Ab 1955 war er wieder in Wien als Musiker und Kabarettist auf der Bühne und im Fernsehen tätig, u.a. gemeinsam mit Georg Kreisler, Louise Martini, Carl Merz, Helmut Qualtinger und Peter Wehle. Vgl. Bronner 2004.

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vielleicht sogar den Zweiten Weltkrieg ersparen können. Und in diesem Sinne, meine Damen und Herren: Gute Unterhaltung!“134

Der Umgang mit der NS-Vergangenheit Österreichs ist an zwei weiteren Stellen der Sendung Thema: Erstens im Zuge eines Auftritts dreier „Kameraden“ (Teddy Podgorsky, Kurt Sobotka, Gerhard Steffen mit einer satirischen Darstellung von Wehrmachts-Veteranen), die mit Hitler-Bart, Seitenscheitel und Uniform ein Lied über das Marschieren, das Bier, Krainer Würschtln und den steirischen Landeshauptmann Josef Krainer135 singen. Und zweitens in einem kleinen Sketch, in dem ein Taucher eine Liste von ranghohen „Geheimnisträger[n] und staatspolitisch wichtigen und verlässlichen Persönlichkeiten des Dritten Reiches, die nicht bei der Partei sind, Ressort Ostmark“ gefunden hat, die vom zuständigen Beamten nach der Feststellung, dass darunter zahlreiche amtierende Politiker seien, wieder zur Versenkung beordert wird. Reaktionen von Seiten der Kameradschaftsbünde nahmen Bronner und Wehle direkt in der Sendung dadurch vorweg, dass sie nach dem ersten Lied der „Kameraden“ einen simulierten Beschwerdeanruf satirisch beantworteten. Anhand vieler folgender ZeitventilFolgen wird deutlich, dass geschichtspolitische Bezüge (auf den Nationalsozialismus) ein integraler Bestandteil dieser Programme waren. Insbesondere die Präsenz nationalsozialistischen Gedankenguts und belasteter Personen in öffentlichen Ämtern und Funktionen wurden in Sketches und Liedern thematisiert; zum Beispiel in der Folge 12 vom 15. April 1966, in der Gerhard Bronner, Gerhard Steffen, Kurt Sobotka und Peter Wehle vier Nazirichter spielen, die zur Melodie von Franz von Suppés Leichter Cavallerie unmissverständlich darauf hinweisen, dass nicht nur ehemalige Nationalsozialisten Richterämter innehatten, sondern der SPÖ-Justizminister Christian Broda sich auch schützend vor diese stellte: „Sieg Heil Hipp Hipp Hurra. Wir waren in der Ostmark seit je Diener der Justitia. 134 ORF-Fernseharchiv, Zeitventil, Folge 1, 30.11.1963, Preview (TC 06.58-07.21). 135 Vermutlich eine Anspielung auf Josef Krainers Umgang mit ehemaligen Nationalsozialist_innen. Krainer sprach auf Veranstaltungen des „Amnestie-AktionsAusschusses in der Landesleitung Steiermark“, der ab 1948 eine Amnestie für ehemalige Nationalsozialist_innen forderte (Rabinovici 1992: 99). 1963 erlangte das Bundesland Steiermark in diesem Zusammenhang durch den Freispruch im Strafprozess gegen den ehemaligen stellvertretenden Gebietskommissar für Wilna/Vilnius Franz Murer mediale Aufmerksamkeit. Zum Prozess gegen Murer siehe auch Kapitel 3.5.1.

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Wir sorgen dass heute wie einst allen Leuten recht geschah. Wir sind in alter Frische da. [...] Wir sind immer noch ganz obenauf. Kein Witz – wir leiten die Justiz. Wir entscheiden ganz richtig, tüchtig. Ja und wenn uns die Standuhr im Sessel sieht hämmert sie leise die Weise vom Wessel-Lied. Tik tak tik tak tik tak tik tak zickezack, wir ziehn im zick zack. Wir ziehen am alten Strang noch. Teils im Verwaltungsgericht. Teils im Verfassungsgericht, teils im Justizministerium, wie beim höchsten Senat[...] Ja da sitzen wir richtig, tüchtig. 45 hat man uns entlastet und wenn man nicht rostet und rastet ist alles ok. Wir ließen uns, wir ließen uns, wir ließen uns fotografieren, von Kopf bis Fuß mit deutschem Gruß und ließen vom Führer uns führen! Doch nachher gleich in Österreich begann das Entnazifizieren, zuerst hat uns vom Teufel tramt [geträumt], doch dann blieben wir im Amt. Jetzt können sie uns, jetzt können sie unsere Akten in Österreich suchen. In Wien ist nix und in Berlin da wird es schon keiner versuchen. Und traut sich so im Forum wo ein Stinker, ein Linker, zu fluchen, dann hat das höchstens den Effekt, dass man uns von oben deckt. [...] Äußerlich rufen wir ‚Österreich schätzen wir‘, innerlich folgen den Nazigesetzen wir. [...] Es lernen von uns, es lernen von uns die neupromovierten Doktoren, so gehn so gehn so gehn so gehn so gehn die Ideen nicht verloren.“136

Die Justiz wurde auch dort zum Thema gemacht, wo nationalsozialistische Täter_innen in NS-Verbrechensprozessen freigesprochen wurden, so zum Beispiel anlässlich des Freispruches des Eichmann-Mitarbeiters Franz Novak 1966137: Die zum Freispruch führende Verteidigungsstrategie Novaks, die Berufung auf „Befehlsnotstand“, wird aufgegriffen und ad absurdum geführt, indem in einem fiktiven Kriegsverbrecherprozess Adolf Hitler sich auf einen „Befehl“ „von allerhöchster Seite“, „von der Vorsehung“, beruft und schließlich freigesprochen wird.138 Die Einmischung in die Borodajkewycz-Affäre war nicht die einzige 136 Ursprünglich in der Zeitventil-Folge 12, 15.4.1966 ausgestrahlt, wurde der Beitrag in der Sendung Prophet im eigenen Land wiederholt (Prophet im eigenen Land, 8.7.1978, TC 31:17-35.55). 137 Erst 1972 wurde Franz Novak schließlich verurteilt. 138 Zeitventil Folge 14, 19.10.1966, (TC 24.10-31.15).

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hochschulpolitische Intervention. 1967 wurde – nach dem einleitenden Dialog zwischen Erich Frank und Gerhard Steffen: „Weißt Du eigentlich, wie man an einer österreichischen Universität einen Lehrauftrag kriegt?“ „Indem man sich rehabilitiert.“ – in der Sendung auch die Habilitation des Schweizer Rechtsextremen Armin Mohler an der Universität Innsbruck kritisiert.139 Auch Antiziganismus wurde im Zeitventil kritisiert und in den Kontext österreichischer NSVergangenheit gestellt. In Folge 13 stellen Erich Frank und Johann Sklenka zwei an einem Wirtshaustisch zusammentreffende Personen dar, die anlässlich eines wegen Raubmordes gesuchten Täters, der von der Presse als „der Z. Karl Rosenfeld“140 bezeichnet wird, in antiziganistische und rechte Parolen verfallen. Schlussendlich stellt sich heraus, dass Rosenfeld ein Alibi hat.141 In weiteren Nummern und Liedern werden Aspekte der postnationalsozialistischen österreichischen Gesellschaft thematisiert, meist indem das Ensemble ehemalige und zeitgenössische Nationalsozialisten überaffirmiert und persifliert. In einem von Erich Frank, Kurt Sobotka, Gerhard Steffen und Eva Pilz gespielten Sketch wird eine Sitzung im österreichischen Innenministerium nachgestellt, in der beschlossen wird, sogenannten „Gammlern“ – jungen, Rockmusik hörenden Männern mit langen Haaren – die Einreise zu verweigern. Dies geschieht unter Nachahmung von Gestik und Sprache des Nationalsozialismus und Antisemitismus. So poltert Erich Frank in Anlehnung an den antisemitischen Wiener Bürgermeister Karl Lueger „Wer ein Gammler ist, bestimme ich!“ oder schlägt die Festlegung „wer eine oder mehrere langhaarige Großmütter hat, der fällt unter den Gammlerparagraphen“ vor und Kurt Sobotka parodiert Hitler mit einem zackigen „Jetzt wird zurückgeschossen!“142 Auch in einer von Peter Frick und Kurt Sobotka gespielten Nummer finden sich zahlreiche Wortspiele, die auf Österreichs NSVergangenheit Bezug nehmen; so zum Beispiel im Gespräch über die österreichische Zigarettenmarke „Austria 3“: „Außen Rot-Weiß-Rot, innen alles braun!“143 Diese Verteidigung von Jugendkulturen stellte aber nur ein kurzes Zwischenspiel dar. Der Grundtenor späterer Sendungen richtete sich etwa gegen Hippies und die Beatles, und in einem Lied wurde von Bronner sogar die Außer-

139 Zeitventil Folge 19, 2.10.1967 (TC 33.29-36.39). 140 In Anlehnung an die schon angesprochene Praxis zum Umgang mit rassistischen Fremdbezeichnungen in Quellenzitaten, wird auch hier lediglich der erste Buchstabe des

diskriminierenden

Wortes

wiedergegeben

Arthur/Ponger/Sternfeld/Ziaja 2006: 40). 141 Zeitventil Folge 13, 17.6.1966, (TC 22.30-27.57). 142 Zeitventil Folge 17, 18.6.1967 (TC 34.20-39.00). 143 Zeitventil Folge 9, 19.5.1965 (TC 37.19-41.04).

(Siehe

Bratiü/Johnston-

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parlamentarische Opposition APO auf Gestapo gereimt.144 Unbestritten ist auch der antikommunistische Impetus der Programme im Kontext von kaltem Krieg und Sozialpartnerschaft.145 Dass Gerhard Bronner sich neben dem antifaschistischen Grundtenor einem Kampf gegen den „Linksextremismus“ verschrieben hatte, ist auch seiner 1978 ausgestrahlten Rückschau auf die Programme der 1960er Jahre anzumerken. Darin deutet er die linken politischen Bewegungen der späten 1960er als Zeichen der Jugendverwahrlosung und merkt zur politischen Verfasstheit Österreichs an: „Politisch glaube ich sogar, ist der Durchschnittsösterreicher ziemlich vernünftig, das merkt man zum Beispiel auch daran, dass bei den diversen Wahlen die rechts- oder linksextremen Parteien noch nie ein wirkliches Leiberl gerissen haben.“146 Was beim heutigen Betrachten darüber hinaus auffällt, sind die rassistischen Untertöne, die die Programme durchziehen. Ist die Verwendung des N-Wortes aus dem zeitlichen Kontext heraus erklärbar, erstaunen manche Betrachtungen im Kontext der Entkolonialisierungsbewegungen. So singen Gerhard Bronner und Peter Wehle 1966 im Duett „Alles geht so schnell“: Bronner: „Oder wenn wir Afrika besehen, verringert sich das Tempo kaum.“ Wehle: „Dort gibt‘s jeden Augenblick an nagelneuen Staat, der kommt in die UNO.“ Bronner: „Sein Herr Präsident saß noch vor gar nicht allzu langer Zeit auf einem Baum.“ Wehle: „Er ist erwählt.“ Bronner: „Drum will er Geld“ Wehle: „Während er’s zählt“ Bronner: „Stürzt ihn eine eilige Junta vom Sockel herunter.“147

Vermutlich bezogen auf die der Sendung vorangegangenen Militärputsche in Dahomey, Kongo, Ghana und der Zentralafrikanischen Republik ersetzen hier Stereotypen die sonst so scharfe Beobachtungsgabe und verhindern eine Analyse der politischen Vorgänge und Machtkämpfe in den seit kurzem dekolonialisierten Staaten. Das kritische Potential des Kabaretts übersetzte sich auch nicht in eine Kritik der Geschlechterverhältnisse – eher im Gegenteil. Frauen waren nicht nur als Darstellerinnen, Protagonistinnen und Autorinnen unterrepräsentiert; die Frauen- und Männerrollen in Kabarettnummern und Liedern offenbarten die se-

144 Die große Glocke Folge 6, 28.10.1969 (TC 1.12.24-1.16.24). 145 Scheichl 1998: 103-105, Klaffenböck 2004, Fink 2003: 36, Kreisler 1989: 100f. 146 Prophet im eigenen Land, 8.7.1978 (TC 1.08.37-1.08.50). 147 Zeitventil Folge 13, 17.6.1966, (TC 1.08.41-1.11.17).

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xistischen Stereotype der Autoren eher, als dass sie die gesellschaftlichen Machtverhältnisse dekonstruiert und kritisiert hätten.148 Trotz oder vielleicht auch wegen dieser Begrenzungen der Kritik bildeten kabarettistische Sendungen im frühen Fernsehen ein zentrales Handlungsfeld marginalisierter geschichtspolitischer Strategien – populär und im Hauptabendprogramm.

2.5 D AS G EDENKEN AN 1958/1963/1968

DEN

M ÄRZ 1938.

Aus den Programmankündigungen für Fernsehen und Radio allein sind 1958 keine Schwerpunktsendungen zum 20-jährigen Jahrestag des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich erkennbar. Für das Fernsehen lässt sich jedoch (mindestens) ein Nachrichtenbeitrag recherchieren: „Wien: Gedenksendung zum 13.3.1938“ ist ein Eintrag in der ORF-Fernseharchiv-Datenbank mARCo zu einem ZIB-Beitrag mit 2 Minuten und 47 Sekunden Länge vom 12.3.1958.149 1963 wurden zum Gedenken an den März 1938 zwei Sendungen vom Aktuellen Dienst des Fernsehens produziert: Vor 25 Jahren und März 1938, beide ausgestrahlt am Abend des 13. März 1963.150 Im Rahmen des Schulfernsehens wurde eine Wiederholung von Zeitgeschichte aus der Nähe Teil 2 (am 14.3.1963) gezeigt und die „Gedenkstunde der Bundesregierung“ am Montag den 11. März 1963 übertragen. Laut Arbeiter-Zeitung sollten bei der Veranstaltung am Heldenplatz „600 Schüler und Schülerinnen der Wiener Mittelschulen

148 Vgl. die in dieser Hinsicht sehr aufschlussreiche Diplomarbeit von Christine Vesely: Vesely 2007. 149 Ein weiterer Eintrag zu einem ZIB Beitrag vom 19.3.1958 lautet „Maria_Taferl: Gedenkstätte“ (1‘13‘‘). Zu eruieren, ob dieser Beitrag mit dem Anschluss-Jubiläum in Zusammenhang steht, wäre nur durch eine Sichtung möglich. Auch ist nicht klar, um welche Gedenkstätte es sich handelt, das „Landesehrenmal“ des Österreichischen Kameradschaftsbundes in Maria Taferl wurde erst 1963 eröffnet. Siehe die Website des Östereichischen Kameradschaftsbundes http://www.okb.at/index.php ?aktid=19 (Stand 15.6.2013). 150 Vgl. Arbeiter-Zeitung 13.3.1963: 7 bzw. 14.3.1863: 7. Siehe auch die Einträge ORF-Fernseharchiv: „Vor 25 Jahren – Anschluß oder Annexion? (13.3.1963, 2‘50‘‘) und den ZIB-Beitrag: „Österreich: Rückblick auf März 1938“ (13.3.1963, 13‘57‘‘). Zusätzlich wurde am 14.3.1963 ein ZIB-Beitrag über eine „Kundgebung der sozialistischen Jugend zur Erinnerung an den März 1938“ (1‘29‘‘) ausgestrahlt.

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zusammen mit Jugendlichen anderer Bundesländer die österreichische Jugend repräsentieren.“151 Im Radio hingegen wurden vier Tage lang, von 10. März bis 13. März, Gedenkfeierlichkeiten, Hörspiele und Informationssendungen übertragen.152 Fand das massenmediale Gedenken also 1963 noch vor allem im Radio statt, war es 1968 eine Sache des Fernsehens. Schon im Januar 1968 fragte Hör Zu auf einer Doppelseite „Wird 1968 ein Jahr des nationalen TV-Kitsches?“153 und bezieht sich dabei auf den 30. Jahrestag des März 1938 und den 50. Jahrestag der Gründung der Ersten Republik. Den „nationalen Kitsch“ befürchtet Hör Zu in einer Fortsetzung der Programmgestaltung zum 26. Oktober 1967, wovon sich der interviewte Fernsehdirektor Helmut Zilk jedoch deutlich abgrenzt: „‚Bei der damaligen Sendung in Salzburg waren wir nur Ausführende von Regierungsaufträgen. Bei dem was wir heuer vorbereiten, sind wir entscheidend.‘“154 Im gleichen Artikel wird moniert, dass Kurt Schuschnigg für die Dokumentation Die Iden des März ein Interview verweigert habe, dem ZDF aber für den eigenen März 1938-Schwerpunkt eines gegeben habe, Zilk habe daraufhin interveniert: „‚Ich schrieb bereits an Schuschnigg, daß er das nicht machen sollte, da es einer Brüskierung der Österreicher gleich käme.‘“155 Offensichtlich blieben die Interventionen des Fernseh-Direktors Helmut Zilk nicht ohne Erfolg, da Kurt Schuschnigg für die zweite große historische Österreich-Dokumentation 50 Jahre unserer Republik zum 12.11.1968 (siehe unten) als Interviewpartner nicht nur zur Verfügung stand, sondern auch in auffälligem Maße öfter und länger am Wort war als die anderen Redner.156 1968 wurden die in unterschiedlichen Kontexten stattfindenden Gedenkfeiern157 weder vom Radio noch vom Fernsehen übertragen. Das Fernsehen produzierte jedoch die vielbeachtete Sendung Die Iden des März (siehe unten) und wiederholte am 13.3.1968 um 10 Uhr Der österreichische Widerstand (1964) und am 14.3.1968 um 20.15 Uhr Der Herr Karl (1961). 151 Arbeiter-Zeitung 10.3.1963: 6. 152 Arbeiter-Zeitung 10.3.1963: 7 und 9. 153 Hör Zu 2/1968: 10f. 154 Hör Zu 2/1968: 10. 155 Helmut Zilk zitiert nach: Hör Zu 2/1968: 10f. 156 Siehe Kapitel 3.5. 157 Vgl. zum Beispiel die in der Arbeiter-Zeitung genannten Ereignisse und Veranstaltungen: Ausstellungseröffnung „Der österreichische Freiheitskampf von 1938 bis 1945“ im Wiener Stadtschulrat, 11.3.1968; Kundgebung der Arbeitsgemeinschaft der Opferverbände im Großen Konzerthaussaal, 12.3.1968; Gedenksitzung des Wiener Landtages, 13.3.1968. Arbeiter-Zeitung 12.3.1968: 1 bzw. 4.

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2.6 D AS G EDENKEN AN DEN 27. APRIL 1945 M AI 1955. 1960/1965/1970

UND

15.

Schon 1960, zum fünfjährigen Jubiläum der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955, wurden die entsprechenden Feierlichkeiten mit denen zur Erinnerung an die Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs am 27.4.1945 zusammengelegt und am 14. Mai 1960 mit einer Festsitzung des Nationalrates und einer Parade des Bundesheeres begangen. Lediglich die Festsitzung wurde vom Radio übertragen.158 Die Parade als audiovisuelle Repräsentation militärischer Stärke war Gegenstand ausführlicher Beschreibungen und Bildberichte in Tageszeitungen; das adressierte Publikum war jedoch auf die Anwesenden und damit regional auf „die schaulustigen Wiener“159 beschränkt. Im Fernsehprogramm gab es keine Sendungen mit erkennbarem Bezug zu den Jubiläen. 1965, zum zehnjährigen Jubiläum des Staatsvertrages und zum zwanzigjährigen Jubiläum der Zweiten Republik, verliefen die Feierlichkeiten wieder getrennt, und Fernsehen und Radio übertrugen live Teile der offiziellen Veranstaltungen am 27. April bzw. am 15. Mai. So liefen am 27. April 1965 sowohl im Radio als auch im Fernsehen die Festsitzung der Bundesversammlung im Parlament und die daran anschließende Parade des österreichischen Bundesheeres. Während das Zweite Radioprogramm die Übertragungen am Abend fortsetzte und sowohl die Gedenkfeier am Heldenplatz mit Kranzniederlegung im neugestalteten Weiheraum des Burgtores – laut Heidemarie Uhl „das erste staatliche, von der Republik Österreich errichtete Widerstandsdenkmal“160 –als auch die Festaufführung von Beethovens 9. Sinfonie in der Wiener Staatsoper übertrug, sendete das Fernsehen ein eigenes Programm. Um 19 Uhr wurde eine halbstündige Zusammenfassung der Feierlichkeiten gesendet161, parallel zu einer Wiederholung der Sendung Der österreichische Widerstand im Versuchsprogramm. Um 20 Uhr, nach der Zeit im Bild, hatten die Fernsehzuschauer_innen die Wahl zwischen Die Republik der Überzeugten (Hellmut Andics, 1965, siehe unten) im Ersten Programm und dem Film 1. April 2000 (Regie: Wolfgang Liebeneiner, 1952 im Auftrag der Bundesregierung Österreichs).162 Was bei einem Vergleich

158 Vgl. z.B. Arbeiter-Zeitung 14.3.1960: 1 bzw. 8 und 15.3.1960: 1f. 159 Arbeiter-Zeitung 15.5.1960: 3. 160 Uhl 2005b: 67. 161 ORF-Fernseharchiv: Festsitzung und Parade zum 20. Jahrestag der 2. Republik, 27.4.1965, 35‘ Diese halbe Stunde ist nach meinen Recherchen das einzige im ORFArchiv erhaltene Material von Festsitzung und Parade. 162 Vgl. Kieninger/Langreiter/Loacker/Löffler 2000.

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des Programms der offiziellen Gedenkfeiern und den Programmen des Rundfunks auffällt, ist, dass die um 8 bzw. 8:30 Uhr stattfindenden Gedenkfeiern für die Opfer der NS-Justiz im Justizministerium und die Kranzniederlegung am Dachauer Kreuz in der Michaelerkirche163 nicht übertragen wurden, und die Kranzniederlegung beim Weiheraum des Burgtores ausschließlich im Radio. Ein Vergleich von Zitaten aus der Rede von Alfred Maleta während der Festsitzung im Parlament, die in der Arbeiter-Zeitung wiedergegeben wurden, mit der Zusammenfassung des ORF bringt Auslassungen zutage, die darauf hindeuten, dass bei der Kondensierung aus den Gedenkveranstaltungen für das Fernsehen patriotisierende Redeteile bevorzugt und explizite NS-Bezüge herausgeschnitten wurden. So sprach Alfred Maleta, gleichwohl apologetisch, über „Spuren einer neonazistischen Betätigung“ und über den Fall Taras Borodajkewycz und stellte fest: „Wir haben in den letzten 20 Jahren Menschen pardoniert, aber wir akzeptieren nicht das Geschichtsbild nationalsozialistischer Vergangenheit.“164 Diese Redeteile sind in dem im ORF-Archiv vorhandenen Material nicht enthalten. Waren die Zuseher_innen der Militärparade 1960 lokal auf die Wiener Innenstadt begrenzt, erweiterte sich 1965 der Kreis potentieller Zuseher_innen. Die Fernsehübertragung wurde – obwohl Ende 1965 in Österreich erst 710.795 Fernseh-Teilnehmer_innen registriert waren165 – als potentielle Teilhabe von „ganz Österreich“ gesetzt.166 Die Militärparade des 27.4.1965 sollte österreichpatriotische Tradition gepaart mit technologischem Fortschritt und militärischer Stärke repräsentieren.167 Das spezifische „Österreichische“ wurde vor allem über die musikalische Auswahl hergestellt, was auch der Fernsehkommentator betonte: „Die Märsche, meine Damen und Herren, die von den Militärmusiken anlässlich der Parade gespielt werden, sind keineswegs zufällig, sondern festgelegt. Sie weisen darauf hin, dass das Heer, so wie der Staat, in der Geschichte wurzelt. Das Heer steht innerhalb einer großen, ehrenvollen Tradition, in der österreichischen Tradition.“ (FuP TC 22.55-23.17) 163 Vgl. Arbeiter-Zeitung 27.4.1965: 1. 164 Arbeiter-Zeitung 28.4.1965: 2. 165 Bernold 2007a: 66. 166 So z.B. im Express: „Das Bundesheer marschierte vorbei an Honoratioren, an tausenden Zuschauern, an den Fernsehkameras und also an ganz Österreich.“ (Express 28.4.1965: 8). 167 Vgl. z.B. FuP TC 16.36-17.17. Der Sprecher weist auf den Marsch O du mein Österreich von Franz von Suppé aus dem Jahr 1852 hin, um gleich darauf die „neu angeschafften Funkfernschreibgeräte“ zu erwähnen, die „eine wesentliche Verbesserung der Fernmeldeausrüstung des Bundesheeres“ darstellen würden.

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Die „Verwurzelung“ in der Geschichte und die Betonung des „Österreichischen“ scheint zum einen der Abgrenzung möglicher Konnotationen zu RingstraßenParaden der Wehrmacht zu dienen; zum anderen werden damit spezifische historische Bezüge hergestellt. Mit der namentlichen Hervorhebung des Prinz-EugenMarsches durch den Sprecher, der sich auf den Krieg Österreichs gegen das osmanische Heer 1716-1718 und die Einnahme der Stadt Belgrad durch Eugen von Savoyen im Jahr 1717 bezieht, können spezifische (rassistisch konnotierte) Bilder von Überlegenheit, Eroberung und Stärke evoziert werden, gleichzeitig wird auf einen für das austrofaschistische Regime wesentlichen Erinnerungsort – die so genannten „Türkenbelagerungen“ – verwiesen.168 Die Kronen-Zeitung hob den Radetzkymarsch hervor, der mit „Vaterlandsliebe und Traditionspflege“ verbunden sei, um daran anknüpfend gegen das gleichnamige Fernsehspiel von Michael Kehlmann nach dem Roman von Joseph Roth (zweiteiliger Fernsehfilm BR, ORF, 1965; Erstausstrahlungen: 18.4. und 19.4. 1965) zu polemisieren.169 Die Parade war von einem Anspruch auf Perfektion geprägt (ausgedrückt durch die die Angst vor „Pannen“170), die damit verbundene erwünschte Rezeptionshaltung war eine der ernsten Anteilnahme. Keine der im Fernsehen sichtbaren Personen lacht, weder Personen des Militärs noch die im Bild befindlichen (vor allem offizielle Funktionen bekleidenden) Zusehenden.171 Einige Rezensionen erwähnen den Regen während der Parade in Zusammenhang mit der Frage, von welchem Ort aus diese beobachtet werde.172 Beste Sichtbarkeit und Wetterunabhängigkeit sind wiederkehrende Versprechen des Live-Übertragungsmodus des Fernsehens. Der Regen ermöglichte jedenfalls auch nicht intendierte Rezeptionshaltungen. So beschreibt der Rezensent der Arbeiter-Zeitung, dass er „ab und zu – sehr dezent – vor [sich…] hinkichern mußte: Manchmal war das Bild so verzogen, daß aus den sehr eindrucksvollen Panzern deformierte Ungeheuer wurden und die Soldatengesichter amüsante Grimassen schnitten.“173 Hier gerieten der Anspruch nach Perfektion und jener nach größtmöglichem Publikum in 168 Vgl. Suppanz 2002 insbesondere 164f; 167-170; 178-180. 169 Kronen-Zeitung 29.4.1954: 3. Einen Tag später war der Radetzkymarsch Schlagzeilenthema der Titelseite der Kronen-Zeitung und wurde in Zusammenhang mit der Forderung nach einer raschen Durchsetzung des Rundfunkvolksbegehrens gebracht (Vgl. Kronen-Zeitung 30.4.1965: 1). 170 Vgl. Express 28.4.1965: 5 und Arbeiter-Zeitung 28.4.1965: 2. 171 Dieser Gedanke ist – vor allem aus international vergleichender Perspektive – nicht so abwegig. Zwanzig Jahre Befreiung hätten auch Anlass für einen Ausdruck der Freude sein können. 172 Vgl. Express 28.4.1965: 5 u. 8; Hör Zu 20/1965: 29; Arbeiter-Zeitung 28.4.1965: 9. 173 Arbeiter-Zeitung 28.4.1965: 9.

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Widerspruch, und der Prozess der Übertragung machte zusätzliche Bedeutungen möglich. Ob die vom Autor beschriebenen Bildstörungen während der Aufnahme entstanden oder erst während des Sendens und damit unter Umständen lediglich einen Teil der Empfangsgeräte betrafen, ist nicht eruierbar. In dem im Archiv befindlichen halbstündigen Zusammenschnitt der Parade sind keine derartigen Bilder zu sehen. Am 15. Mai 1965174 übertrugen Radio und Fernsehen nahezu dieselben Veranstaltungen: Ab kurz vor 11 Uhr schalteten beide zum Festakt der Bundesregierung im Belvedere. Im Ersten Radioprogramm sprachen zusätzlich um 18 Uhr die Landeshauptleute zum Jahrestag. Während im Abendprogramm des Radios live die von Herbert von Karajan dirigierte Fidelio-Festvorstellung in der Wiener Staatsoper zu hören war, war im Fernsehen eine Fidelio-Aufzeichnung aus der Städtischen Oper Berlin zu sehen. Zu diesem Kompromiss kam es, da (laut Arbeiter-Zeitung) durch das für die Fernseh-Aufzeichnung notwendige Licht sowohl die „Inszenierung verfälscht“, – was Herbert von Karajan dazu „veranlaßte, zu verlangen, daß sein Name bei der Übertragung nicht genannt wird“ – als auch „die Illusion des Publikums gestört“175 worden wäre. Diesen im Zeichen hochkultureller nationaler Identitätskonstruktion stehenden Konflikt zwischen Opernhaus und Fernsehanstalt entschied, trotz der Eröffnung der Wiener Staatsoper 1955 (übrigens ebenfalls mit Fidelio176) als „Anfangsritual der österreichischen Fernsehgeschichte“177, die Oper für sich. Medienhistorisch können die konfligierenden Positionen beschrieben werden als die eines Bewahrens eines

174 Einen Tag davor, am 14.5.1965, war die abendliche Übertragung der Festvorführung der Spanischen Hofreitschule zugunsten der Übertragung des Begräbnisses von Leopold Figl abgesagt worden (Vgl. Hör Zu 19/1965: 45 bzw. Arbeiter-Zeitung 14.5.1965: 9). 175 Arbeiter-Zeitung 9.5.1965: 9. 176 Dieser Einsatz von Beethoven zu offiziellen österreichischen Staatsakten, deren patriotisierende geschichtspolitische Funktion nicht selten auf einer Externalisierung des Nationalsozialismus basierte, lässt darauf schließen, dass sich einige der Wurzeln für Billy Wilders sarkastisches Verdikt anlässlich Kurt Waldheims Bundespräsidentschaftswahlkampf im Mai 1986 in einem Spiegel-Interview – „Die Österreicher […] haben das Kunststück fertiggebracht, aus Beethoven einen Österreicher und aus Hitler einen Deutschen zu machen“ (Spiegel 21/1986: 193) – in den 1950er und 1960er Jahren finden lassen. 177 Bernold 2007a: 21.

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„auratischen Erlebens“ und des Ritualcharakters versus die der Einbindung eines möglichst großen Personenkreises in das Ereignis.178 1970 schien der 15. Mai 1955 als Bezugsdatum für offizielle Feiern und Programmierungen des Fernsehens nur eine kleine Rolle zu spielen. Einzig das Schulfernsehen wiederholte die Sendung Der österreichische Staatsvertrag, und im Radio (Österreich 1) wurde Die Stunde eins, ein Hörbild, gesendet. Wesentlich ereignisreicher fielen die Bezugnahmen auf den 27. April 1945 aus. Die Regierungserklärung und die Vorstellung der Bundesregierung des neu amtierenden Bundeskanzlers Bruno Kreisky wurden auf den 27. April 1970 gelegt; damit wurden nicht nur historische Bezüge der Befreiung Wiens und der ersten provisorischen Regierung 1945 funktionalisiert, sondern auch der ‚Erinnerungsort‘ 27. April 1945 sozialistisch konnotiert. Das Fernsehen übertrug diese Regierungserklärung179 als einzige offizielle Veranstaltung des Tages. Damit blieben Kranzniederlegungen am Zentralfriedhof (Präsidentengruft und Grab Leopold Kunschak), Festsitzung der Bundesregierung, Republikfeier im Wiener Rathaus und Angelobungsfeiern des Bundesheeres unübertragen.180 Die in der ArbeiterZeitung erwähnte Fernsehansprache des Bundespräsidenten Franz Jonas am Abend des 26.4.1970 ist im Fernsehprogramm nicht ersichtlich und wurde daher vermutlich im Rahmen der Zeit im Bild ausgestrahlt.181 Der ORF produzierte zwei Sendungen anlässlich des Gedenkens zum 27.4.1945. Am Jubiläumstag selbst wurde die Dokumentation 27. April. Wiedergeburt einer Republik von Jörg Mauthe und Werner Stanzl ausgestrahlt (siehe unten) und am Vorabend die von Helmut Zilk moderierte Diskussion Genützte und versäumte Gelegenheiten. 25 Jahre Zweite Republik. Bemerkenswert an dieser Diskussion mit Rudolf 178 Die Lösung, die auf einem Ausschluss des Fernsehpublikums basierte, war eine zugunsten eines im Benjamin‘schen Sinn „auratischen“ Erlebens eines limitierten Eliten-Publikums. Walter Benjamin, der einen durch die technischen Möglichkeiten der Reproduktion (insbesondere Photographie und Film) hervorgerufenen „Verfall der Aura“ von Kunstwerken konstatiert (Benjamin 2002 [1936/1939]: 357), weist darauf hin, dass die „Reproduktionstechnik [...] das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab[löst]“ (Benjamin 2002 [1936/1939]: 355). So hätte der „einzigartige Wert des »echten« Kunstwerks […] seine Fundierung im Ritual, in dem es seinen originären und ersten Gebrauchswert hatte.“ (Benjamin 2002 [1936/1939]: 358). 179 Siehe Kapitel 1.1.3. 180 Vgl. Arbeiter-Zeitung 26.4.1970: 7 bzw. 28.4.1970: 5. Das Radio (Österreich 1) übertrug am 27.4.1970 abends das anlässlich des „25. Jahrestages der Befreiung“ veranstaltete Orchesterkonzert. 181 Vgl. Arbeiter-Zeitung 26.4.1970: 7 bzw. 28.4.1970: 5.

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Kalmar, Franz Kreuzer, Hugo Portisch, Viktor Reimann, Otto Schulmeister und Kurt Vorhofer ist, dass trotz sehr kontroverser Debatten (über die Einschätzung der Ersten Republik, die Frage, ob 1945 eine „Stunde null“ darstelle und über die erste Minderheitsregierung der SPÖ) eine harmonisierende Tendenz zu bemerken ist. Hergestellt wird diese Harmonisierung durch ein Nivellieren von Erfahrungsdifferenzen in Bezug auf Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg, wie in einem Statement von Otto Schulmeister, damaliger Chefredakteur der konservativen österreichischen Tageszeitung Die Presse, besonders augenfällig wird: „Aber, jedenfalls haben wir in diesem Land einiges erreicht, sehr viel sogar. Ich erinnere mich, wie ich aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekommen bin, und jeder von uns wird ähnliche Erfahrungen gemacht haben, ob er aus der Kriegsgefangenschaft oder aus dem KZ oder aus einem Gefängnis oder wo immer er herkam oder auch nur von der Provinz wieder in die Stadt zurück, vom Land wieder in die Stadt zurück. Manche haben gesagt zehn, zwanzig Jahre werden wir miserabel leben, stattdessen waren wir nach fünf Jahren schon so weit, nach zehn Jahren, und wir konnten also uns wieder eine Wohnung einrichten und wir konnten Kinder erziehen und diese Kinder sind selber schon so alt, dass sie wieder Kinder haben und so geht das dahin.“ (GuvG TC 20.23-21.01)

Otto Schulmeister homogenisiert Erfahrungen von Krieg und Nationalsozialismus und bleibt darin unwidersprochen.182 Die Homogenisierung geschieht zum einen durch ein generalisierendes „Wir“, zum anderen durch die Erwähnung reproduktiver Nachkriegsaktivitäten (Wohnung und Kinder). Schulmeister spricht als ehemaliges NSDAP-Mitglied (was allerdings zum Zeitpunkt der Sendung nicht öffentlich bekannt war) von einer spezifischen Position aus, und er spricht in eine Runde mit differenten Erfahrungen. Rudolf Kalmars Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau dürfte nicht zuletzt aufgrund seiner Publikation Zeit ohne Gnade (1946) relativ bekannt gewesen sein und wird implizit (von ihm selbst und anderen) zum Thema gemacht. Die Harmonisierung durch Homogeni182 Im Gegensatz zu seinem späteren Zwischenruf, der durchaus Widerspruch erntete: „Darf ich etwas ganz Brutales sagen, das unseren Freund Kalmar, er wird es verstehen, […] Wer hat die großen Reformen durchgeführt? Derselbe Mann, der die Juden durch den Gasofen geschickt hat. Linz und anderes ist von dem Ex-Österreicher Adolf Hitler gemacht worden und vorher war es der gescheiterte Kaiser Joseph, der Gott sei Dank rechtzeitig gestorben ist.“ (GuvG TC 46.38-47.04) Hugo Portisch, der hier von Schulmeister unterbrochen wurde, widerspricht, Viktor Reimann grinst und wenig später versucht Kurt Vorhofer zu kalmieren: „Das mit dem Diktator hat der Dr. Schulmeister vielleicht gar nicht so gemeint, mit dem Hitler.“ (GuvG TC 50.0350.07)

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sierung, die in diesem Statement von Otto Schulmeister ihren Kristallisationspunkt findet, wird in Helmut Zilks abschließenden Worten im Zeichen eines Österreich-Patriotismus fortgeführt: „Meine Damen und Herren, zusammenfassend: Ich glaube, bei aller Verschiedenheit der Meinungen, ist bemerkenswert das Bekenntnis zu diesem Staat, zu seinen 25 Jahren, zu seinem Geburtstag und zu seinem Morgen. Ich würde mir wünschen, dass Sie alle genau so denken wie diese sechs Herren hier. Dankeschön.“ (GuvG TC 01.03.33-01.03.48)

Die zeitgenössische Rede vom „Bekenntnis zu Österreich“183 ist eine, die der Vorstellung einer Zugehörigkeit qua „Abstammung“ oder Sprache Konnotationen des Plesbiszits oder Religion gegenüberstellt, wie Johanna Gehmacher ausführt.184 Im von Helmut Zilk formulierten (absurd anmutenden und unerfüllbaren) Wunsch an die Zuschauer_innen – „dass Sie alle genau so denken wie diese sechs Herren hier“ – drückt sich diese Forderung nach einem Bekenntnis der Zuschauer_innen zu Österreich aus. Die ORF-produzierten Dokumentationen zum Gedenken an den 27. April 1945 zusammenfassend erscheint bemerkenswert, dass beide Sendungen (Hellmut Andics 1965 und Jörg Mauthe/Werner Stanzl 1970) im Narrativ der Sendung die Erinnerung an dieses Datum jeweils anderen Daten unterordnen: 1965 der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 und 1970 der Bildung der ersten gewählten Regierung Figl am 20. Dezember 1945. Diese Entscheidungen haben jeweils historisch kontextualisierbare Funktionen und Implikationen. So erfüllt die Wahrnehmung der alliierten Mächte als „Besatzer“ statt „Befreier“ eine integrative Funktion in Richtung ehemaliger Nationalsozialist_innen; gleichzeitig werden durch die pejorativen Narrative zur sowjetischen Verwaltung antikommunistische Ressentiments bedient. Während die Produktion 1965 noch im Zeichen der Affäre Borodajkewycz stand und damit dem Staatsvertrag in diesem Zusammenhang auch eine österreich-patriotisierende Funktion zukommt, wird in der Sendung 1970 (am Tag der SPÖ-Minderheits-Regierungserklärung) von den eher konservativen Sendungsgestaltenden die Regierung Figl gegenüber der provisorischen Regierung Renner betont. Die Gestalter treffen jedoch auch eine visuelle Entscheidung zwischen zwei unterschiedlichen BilderSets. Die existierenden Bilder vom April 1945 zeigen Karl Renner, der mit seinem Hut in die Menge winkt, und tanzende Menschen – in der Mehrheit Frauen – vor dem Parlament. Was die gewählten Bilder vom Dezember

183 Siehe Kapitel 1.1.4. 184 Gehmacher 2007a: 139f.

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1945 und Mai 1955 gemein haben, ist die Repräsentation von Männern in Anzügen, die etwas unterschreiben.185

2.7 S ENDUNGSPROTOKOLLE R EZEPTIONEN

UND PRINTMEDIALE

Im Folgenden werden die im dritten Kapitel analysierten dokumentarischen Eigen- und Auftragsproduktionen des ORF beschrieben und kontextualisiert. In Kurzbeschreibungen gehe ich auf inhaltliche und formale Aspekte des Materials ein, außerdem – wo es der Kontextualisierung dient – auf beteiligte Personen. Die Sendungsprotokolle und Kurzbeschreibungen wurden auf Basis von Fernsehprogrammen, der ORF-Datenbank, von Sichtungen der Sendungen und von printmedialer Rezeption verfasst. Für eine Analyse der printmedialen Rezeption der Sendungen wurden die Tageszeitungen Arbeiter-Zeitung, Die Presse, Express, Illustrierte Kronen-Zeitung, Kurier, Neues Österreich (bis 1967), Salzburger Nachrichten und Volksstimme ausgewertet. In meiner Analyse des Fernsehens als eines geschichtspolitischen Akteurs gehe ich somit auf Fernseh-Produktionen ein, die (Zwischen-)Resultate von Entscheidungsprozessen, von Kämpfen um Geschichtsnarrative und die Teilnahme am neuen Medium darstellen. Was aufgrund des fehlenden Zugangs zum archivierten internen Schriftverkehr und zu Unterlagen des ORF leider nicht nachvollziehbar ist, sind die Prozesse des Zustandekommens vieler dieser Programm-, Produktions- und Kooperationsentscheidungen. 2.7.1 „Was sagt uns der 13. März?“ Sendebeitrag, Straßenbefragung anlässlich einer Jugenddiskussion unter der Leitung von Doktor Helmut Zilk (Kürzel: Wsud13M) Erstausstrahlung und Länge Sonntag, 12.3.1961, 17 Uhr. 30 Minuten (erhaltener Beitrag: 5 Minuten). Vorspann/Nachspann Nicht erhalten. Beteiligte laut ORF-Fernseharchiv: Gestaltung: Helmut Zilk

185 Siehe Kapitel 3.4.4.

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Kamera: Gerhard Mörth Produktionsleitung: Herbert Hauk Regie: Otto Anton Eder186 Kurzbeschreibung (Inhalt, Formales, Personen) Die halbstündige „Jugenddiskussion unter der Leitung von Doktor Helmut Zilk“187, in der Jugendliche mit Nationalratsabgeordneten (Peter Strasser, SPÖ, Hubert Hofeneder, ÖVP und Willfried Gredler, FPÖ)188 live diskutierten, ist vom ORF nicht vollständig archiviert, lediglich der fünfminütige Einleitungsbeitrag ist erhalten. Die Tatsache, dass in den Zeitschriften und Zeitungen drei verschiedene Schreibweisen von Gredler kursieren (neben der korrekten189 noch: „Wilfried Gredler“190 und „Wilfried Grädler“191), lässt darauf schließen, dass der Bekanntheitsgrad des späteren Bundespräsidentschaftskandidaten (1980) noch nicht besonders hoch war. Die Auswahl der erwachsenen Teilnehmer folgte offensichtlich dem Prinzip der Repräsentation aller im Parlament vertretenen Parteien. Für den archivierten Beitrag, der die Diskussion einleitete, wurden junge Menschen vor der Universität Wien interviewt. Es werden Statements von zehn Männern und zwei Frauen gezeigt, die interviewende Person ist nicht sichtbar, auch ihre Fragen sind nicht zu hören – die Antworten lassen jedoch darauf schließen, dass die Eingangsfrage auch die titelgebende ist: „Was sagt Ihnen der 13. März?“ Einige kommen öfter zu Wort als andere: Ein Mann wird viermal gezeigt, vier weitere Männer und eine Frau kommen zu je drei Statements, ein Mann zu zwei, der Rest (vier Männer, eine Frau) zu je einem Wortbeitrag. In den Redebeiträgen können drei Schwerpunkte identifiziert werden: Erstens eine starke Thematisierung der vom März 1938 zirkulierenden Bilder von jubelnden Österreicher_innen. Zweitens mehrere Redebeiträge zur wirtschaftlichen und politischen Situation vor dem März 1938, denen hauptsächlich eine apologetische Funktion zugeschrieben werden kann – so wird in drei der wiedergegebenen Redebeiträge die dem Nationalsozialismus vorangegangene Arbeitslosigkeit erwähnt. Und drittens die stark von einer Frau ausgehende Beanstandung, dass dem Einmarsch deutscher Truppen von österreichischer Seite kein Widerstand entgegengesetzt worden war. 186 Alle laut mARCo-Onlinedatenbank des ORF-Archivs. 187 Funk und Film, Fernsehen 10/1961: 13. 188 Kronen Zeitung 12.3.1961: 10. Funk und Film, Fernsehen hingegen kündigte statt Hubert Hofeneder Lujo Toncic an (Funk und Film, Fernsehen 10/1961: 13). 189 Kronen Zeitung 12.3.1961: 10. 190 Express 11.3.1961: 12. 191 Funk und Film, Fernsehen 10/1961: 13.

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Rezeptionen Die Arbeiter-Zeitung resümierte die Sendung zwei Tage später gönnerhaft: „Es war eine hochinteressante Diskussion, bei der – trotz den Lücken, die das Wissen unserer Jugend natürlich aufweist – insbesondere einige der jungen Leute glänzend abschnitten. Mit solchen Gesprächen kann das Fernsehen zumindest ein wenig von dem nachholen, was die Schule versäumt.“192 Das Fernsehen erscheint hier als eine die Schule ergänzende Bildungsinstitution. Zu bilden sind nicht nur die jungen Diskutant_innen, sondern auch die Zuschauer_innen vor den Fernsehbildschirmen. Was aber in der Sendung gesprochen und von der Arbeiter-Zeitung als „Lücken“ beziehungsweise „hochinteressant“ eingeschätzt wurde, lässt sich mangels Archivierung nicht rekonstruieren – und bleibt so auch hier eine Lücke. Die Rezeptionen in den übrigen Tageszeitungen waren dürftig und beschränkten sich meist auf die Erwähnung der Sendung.193 Stärker rezipiert wurde die einen Tag später ausgestrahlte NBC-Dokumentation Das Hakenkreuz194 (in einer deutschen, von Teddy Podgorski bearbeiteten Fassung).195 2.7.2 Zeitgeschichte aus der Nähe. Teil 2: 1938-1945 (Kürzel: ZgadN) Erstausstrahlungen und Länge Mittwoch 14.3.1962, 17:45 Uhr und Donnerstag 15.3.1962, 11 Uhr. (Weitere Wiederholungen mindestens 14.3.1963, 11 Uhr und 13.3.1969, 10 Uhr). 51 Minuten. Vorspann „Zeitgeschichte aus der Nähe 2. Teil österr. Geschichte 1938-1945“ Nachspann „Zeitgeschichte aus der Nähe

192 Arbeiter-Zeitung 14.3.1961: 6. 193 Kronen Zeitung 12.3.1961: 10; Express 11.3.1961: 12. 194 Die Salzburger Nachrichten befanden die Sendung Das Hakenkreuz als zu kurz und wiesen lobend auf die mehrteilige deutsche Reihe „Das dritte Reich“ hin, die mehr zu bieten hätte „als der amerikanische Kurzbericht“ (Salzburger Nachrichten 15.3.1961: 7). Zur Reihe Das Dritte Reich (1960/61) unter dem Aspekt der Zeitzeug_innenschaft vgl. Keilbach 2008: 147-152. 195 Express 14.3.1961: 9; Kurier 14.3.1961: 7; Volksstimme 16.3.1961: 6.

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2. Teil österr. Geschichte 1938-1945 Text: Dr. Hermann Schnell, Dr. Klemens Zens Pädagogische Beratung: Dr. Helmut Zilk Sprecher: Hans Thimig Kamera: Gerald Ferk Schnitt: Gertraude Roher Ton: [Name unlesbar durch Timecode-Einblendung]196 Herstellungsleitung: Kurt Schreiber Aufnahmeleitung: Erik Vallensperg Produktion: Herbert Hauk Regie: Dr. Otto Kamm“ Kurzbeschreibung (Inhalt, Formales, Personen) Zeitgeschichte aus der Nähe II ist der zweite Teil einer im Rahmen des Schulfernseh-Versuchsbetriebes produzierten dreiteiligen Dokumentar-Reihe. Der erste Teil umfasste die Jahre 1914-1938 und wurde am 25.10.1961 ausgestrahlt – am „Vorabend des Tages der österreichischen Fahne“197, wie der damalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel in seinen die Dokumentationsreihe einleitenden Worten an die „Schuljugend in Österreich“ betonte. Der dritte Teil, der die Jahre von 1945 bis zur Gegenwart thematisierte, wurde am 13.6.1962 ohne erkennbaren Bezug zu einem historischen Datum ausgestrahlt.198 Das Manuskript der 50-minütigen Sendung wurde von einem großkoalitionären Team verfasst. Hermann Schnell, 1914 geboren, war Sozialdemokrat, von 1951 bis 1969 Direktor des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien, Bezirksschulinspektor und von 1969 bis 1980 Präsident des Wiener Stadtschulrates.199 Klemens Zens, 1913 geboren, war ab 1938 Hauptschullehrer, von 1939 bis 1945 zur Wehrmacht eingezogen, danach wieder Hauptschullehrer, ab 1950 Bezirksschulinspektor200 und von 1966 bis 1977 Direktor der pädagogischen Akademie Strebersdorf der Erzdiözese Wien.201 In den 1950er und 1960er Jahren war Zens Verfasser bzw. Her196 Laut Online-Datenbank mARCo des ORF-Fernseharchivs: Geza Laszloffy. 197 ORF-Fernseharchiv: Zeitgeschichte aus der Nähe Teil 1, 25.10.1961. Preview: Statement Heinrich Drimmel. TC 0.28-03.44. 198 Laut ORF-Fernseharchiv umfasste der (am 25.10.1962 wiederholte) dritte Teil die Jahre 1945 bis 1960, nach den printmedialen Ankündigungen 1945 bis 1962. Telespiegel 1/1962: 14, Arbeiter-Zeitung 13.6.1962: 8; 25.10.1962: 8. 199 Bruckmüller 2002: 436. 200 Vgl. Zens 1952: Curriculum Vitae, o.S. 201 PaS. Power aus Strebersdorf. Zeitschrift des Absolventenvereins an der Pädagogischen Akademie der Erzdiözese Wien, Teil der zukünftigen Kirchlichen Pädagogi-

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ausgeber einiger pädagogischer Schriften zur staatsbürgerlichen Erziehung für Kinder und Jugendliche wie Mein Österreich, mein Vaterland. Ein Buch für Schule und Haus (1955) oder Schaut ringsumher. Zum österreichischen Nationalfeiertag (1966). Gemeinsam mit anderen publizierten Klemens Zens und Hermann Schnell bis in die 1980er Jahre Geschichtslehrbücher unter dem Titel Zeiten, Völker und Kulturen.202 Schnell und Zens waren auch gemeinsame Autoren anderer Schulfernseh-Sendungen, zum Beispiel von Der österreichische Staatsvertrag (Erstausstrahlungsdatum: 13.5.1965), einer zum zehnjährigen Staatsvertragsjubiläum produzierten Dokumentation.203 Hermann Schnell zog vermutlich für die Rohfassung des Dreiteilers den Historiker Ludwig Jedlicka zur Beratung heran.204 Durch die Sendung Zeitgeschichte aus der Nähe Teil 2 führt der Schauspieler Hans Thimig, der sich Sprecher aus einem wohnzimmerhaft eingerichteten Studio meldet.205 Zeitgeschichte aus der Nähe beginnt mit einer Aufnahme des Denkmals der Tschechoslowakei in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.206 Nach einer Einblendung des Sendungstitels wird ein Ausschnitt der Originalaufnahme der Radiorede Kurt Schuschniggs vom 11. März 1938 wiedergegeben, der einen Einstieg in eine Erzählung der Tage vom 11. bis zum 15. März 1938 bildet. Vom 15. März – der Kundgebung auf dem Wiener Heldenplatz – wird übergegangen zu einer kurzen Biographie Hitlers; sein Geburtsort Braunau, sein Wienaufenthalt und sein Aufstieg in Deutschland werden thematisiert. Der März 1938 wird als personalisierter „persönlicher Triumph“ Hitlers geschildert. Es folgt eine Erzählung zur Volksabstimmung am 10. April 1938 und zu direkten Folgen des „Anschlusses“: der Aufteilung in Gaue, der Verfügbarmachung österreichischer Soldaten

schen Hochschule in Wien Nr. 1/2007, 5. Online unter: http://www.pas.at/journal/ archiv/PAS%20Nr%201%20-%202007f.pdf (Stand 15.6.2013) 202 Kuzaj-Sefelin 2002: 163-165. 203 Telespiegel 9/1965: 10. 204 Siehe Kapitel 2.2. 205 Auf den in Teil 1 anwesenden „Sohn“, dem der „Vater“ (Thimig) die Geschichte erklärt, verzichtet der zweite Teil (Vgl. ORF-Fernseharchiv: Zeitgeschichte aus der Nähe Teil 1, 25.10.1961. Preview). 206 Das tschechoslowakische Denkmal der KZ-Gedenkstätte Mauthausen wurde laut Bertrand Perz im Mai 1959 enthüllt; Leopold Figl und Oskar Helmer sagten ihre Teilnahme ab, „nachdem die tschechoslowakische […] Staatsspitze massive Kritik an der Abhaltung des Sudetendeutschen Tages in Wien und der Teilnahme von österreichischen Regierungsvertretern an dieser Veranstaltung geübt hatte.“ (Vgl. Perz 2006: 177).

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und österreichischen Vermögens, der Verfolgung von Juden und Jüdinnen und Katholik_innen, dem Verbot und der Verbrennung von Kunstwerken und Büchern. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf die Bemühungen der Nationalsozialisten gelegt, „deutsche“ Kinder und Jugendliche zu erfassen, zu organisieren und zu erziehen. Es folgen Beschreibungen der Besetzung der Tschechoslowakei, des Nichtangriffspaktes zwischen Hitler und Stalin, des Angriffs auf Polen, der Besetzung Dänemarks und Norwegens und der Angriffe auf Frankreich, Nordafrika, Jugoslawien, Griechenland und die Sowjetunion. Diese Schilderungen erfolgen meist in wenigen Sätzen, Bündnispolitiken werden erwähnt und die Angriffe meist mit Einblendungen von Landkarten und Kriegsarchivaufnahmen bebildert. In diesem unmittelbaren Kontext vom „Höhepunkt“ des Krieges werden auch Konzentrationslager angesprochen. Gleich darauf folgen die Schlacht von Stalingrad und Goebbels’ Sportpalast-Rede vom „totalen Krieg“, anschließend Erzählungen von Luftangriffen der alliierten Armeen auf deutsche und österreichische Städte. Im Kontext dieser Luftangriffe wird eine Erzählung zum Widerstand eingeleitet. Gegen Ende der Sendung gibt es ein vierminütiges Interview mit dem ehemaligen Wehrmachtsoffizier Carl Szokoll im Studio, der zu seiner Rolle und seinen Einschätzungen zum militärischen Widerstand im April 1945 in Wien spricht. Die Sendung endet mit der Angelobung der provisorischen Regierung Renner und einer wehenden Österreich-Fahne. Rezensionen Obwohl als Schulfernsehsendung auf ein jugendliches Publikum ausgerichtet, wurde Zeitgeschichte aus der Nähe Teil 2 in den Tageszeitungen vergleichsweise stark rezipiert. So verlangen die Salzburger Nachrichten im Namen der Demokratie mehr „solcher Fernsehfilme“ für Schüler_innen, deren Wissen „aus den Spielfilmkinos“ sich laut Autor_in lediglich auf „Rommel und Stalingrad“ beschränkte.207 Der Sprecher Hans Thimig wird zweimal Thema. Express bezieht sich auf den „Onkelton“, der sich (positiv) unterscheide von „der Schnoddrigkeit, die meistens dort zum Stil wird, wo Funk, Platte oder TV zur Geschichtsdarstellung anheben“208, die Volksstimme kritisiert die „Überladung“ des Kommentars.209 Express folgt in seiner Rezeption am ehesten der präferierten Bedeutung als „sachlich und objektiv“210, verweist auf die Befangenheit der Leh207 Salzburger Nachrichten 16.3.1962: 4. 208 Express 15.3.1962: 8. 209 Volksstimme 17.3.1962: 6. 210 Diese Formulierung war vermutlich Teil der Eigenbeschreibung der Sendung; sie findet sich in mehreren Ankündigungen, z.B. Kronen Zeitung 14.3.1962: 10; Kurier 14.3.1962: 5; Arbeiter-Zeitung 14.3.1962: 8; Hör Zu 10/1962: 16.

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rer_innen beim Unterrichten dieser Zeitspanne211 und stellt fest: „Für die Jugend war es lebendiger Geschichtsunterricht. Für die Älteren war es eine Wochenschau, die abgeflimmert ist zum besseren Verständnis für den Herrn Karl.“212 In der Arbeiter-Zeitung bekam Zeitgeschichte aus der Nähe Vorschuss-Lorbeeren unter Verweis darauf, dass die politische Meinung Jugendlicher oft „allein vom elterlichen Haus und der politischen Einstellung einiger Freunde gefärbt“213 sei. Hier wird dem Fernsehen (antifaschistische) Objektivität zugeschrieben. Einen Tag nach der Sendung kritisiert die Arbeiter-Zeitung vorerst die NichtThematisierung des Austrofaschismus. Im versöhnlichen Schluss zeigt die_der Rezensent_in jedoch Verständnis für diese Auslassung, da es darum ginge, dass sich „unsere Jugend“ jene Bilder „für immer einprägen sollte“, die „jene Männer [zeigten…], die sich im österreichischen Bürgerkrieg einst als Feinde gegenüberstanden und 1945 darangingen, Seite an Seite die Geschicke unseres Landes gemeinsam in die Hand zu nehmen.“214 Die leise Kritik an der Geschichtsdarstellung wird hier also letztlich zugunsten der Konsensorientierung verworfen. Die Presse kritisierte die personalisierenden Tendenzen der Sendung, die affirmative Haltung gegenüber den „jubelnden Einzüge[n]“ und die mangelnde „Entlarvung des Pathos“.215 Die Volksstimme beanstandete, dass die „Unterstützung Hitlers durch das deutsche Monopolkapital“ keine Erwähnung gefunden habe, und außerdem der Eindruck erweckt werde, „als habe Österreich keine Möglichkeit gehabt, sich auch nur eine Stunde lang gegen die Okkupation zu wehren.“216 Diese Auslassungen seien gerade „um der ‚Objektivität‘ willen und um nirgends ‚anzuecken‘“217 geschehen. Allein in der Rezeption der Volksstimme ist hiermit kein positiver Bezug auf das Konzept der „Objektivität“ festzustellen. Positiv bezieht sich die Volksstimme jedoch auf Carl Szokoll: Er bilde „einen positiven, bewußt österreichischen Auftakt zu den nachfolgenden Szenen der Gründung der Zweiten Republik.“218

211 Express 14.3.1962: 9. 212 Express 15.3.1962: 8. 213 Arbeiter-Zeitung 14.3.1962: 8. 214 Arbeiter-Zeitung 15.3.1962: 8. 215 Die Presse 15.3.1962: 6. 216 Volksstimme 17.3.1962: 6. 217 Volksstimme 17.3.1962: 6. 218 Volksstimme 17.3.1962: 6.

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2.7.3 Der österreichische Widerstand 1938-1945 (Kürzel: DöW) Erstausstrahlungen und Länge Mittwoch, 11.3.1964, 19 Uhr (Technisches Versuchsprogramm), Donnerstag 12.3.1964, 11 Uhr. (Weitere Wiederholungen mindestens 27.4.1965, 19 Uhr, Technisches Versuchsprogramm und 13.3.1968, 10 Uhr). 30 Minuten. Vorspann „der österreichische WIDERSTAND 1938-1945 Buch Hermann Lein, Herbert Steiner Pädagogische Gestaltung Dr. Helmut Zilk Produktion Herbert Hauk“ Nachspann Nicht erhalten. Beteiligte Personen laut ORF-Fernseharchiv: Schnitt, Film und Herstellungsleitung: Helmut Wiesler Drehbuch: Hermann Lein, Herbert Steiner Kamera: Alfred Niki Sprecher: Hanns Obonya Pädagogische Gestaltung: Helmut Zilk Kamera-Assistenz: Klaus Schreiber Produktionsleitung: Herbert Hauk Regieassistenz und Aufnahmeleitung: Maria Travnicek Regie: Otto Kamm219 Kurzbeschreibung (Inhalt, Formales, Personen) Konzipiert wurde die Sendung Der österreichische Widerstand 1938-1945 für das Schulfernsehen von Herbert Steiner (1923-2001), einem der Gründer des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes und dessen Sekretär und wissenschaftlicher Leiter von 1963 bis 1983220 gemeinsam mit Hermann Lein (1920-2006), einem katholischen Lehrer, der ab 1963 im Unterrichtsministerium tätig war. Steiner musste als Kommunist und Jude vor den nationalsozia219 Alle laut mARCo, Eintrag zu Der österreichische Widerstand 1938-1945, 12.3.1964. 220 Vgl. zur Gründung und zu den Anfangsjahren sowie zur Person Herbert Steiners: Bailer-Galanda/Neugebauer 2003: 26-35.

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listischen Behörden ins englische Exil fliehen221, Hermann Lein war im Zuge seines katholisch motivierten Engagements gegen den Nationalsozialismus von Dezember 1938 bis April 1940 in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen inhaftiert.222 Die halbstündige Sendung besteht fast ausschließlich aus Interviews mit Augenzeug_innen; meist ist die interviewte Person zu sehen, teilweise werden Schriftstücke, Fotografien oder Filmaufnahmen eingeblendet. Vor, nach und zwischen den Beiträgen schildert ein Off-Sprecher zu Archivaufnahmen die historischen Hintergründe und leitet von einem Interview zum nächsten über. Interviewt werden (in dieser Reihenfolge und dieser Funktion): Heinrich Kodré über militärische Widerstandsmöglichkeiten 1938; Hans Rieger, evangelischer Pfarrer und Gefängnisseelsorger, über die NS-Justiz; Wilhelm Krell für die Israelitische Kultusgemeinde über Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden; Erika Weinzierl als Historikerin über kirchlichen Widerstand; Hermann Lein als Vertreter des katholischen Widerstandes über das Rosenkranzfest am 7.10.1938; Ludwig Soswinski über Solidarität in den Konzentrationslagern; Antonie Lehr über das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück; Alfred Ströer über Widerstand in Arbeiter_innenkreisen und zuletzt Ferdinand Kaes über militärischen Widerstand 1945. Die Sendung Der österreichische Widerstand kann als Versuch gesehen werden, andere als die im Fernsehen der 1960er Jahre sich etablierenden Personen zu Wort kommen zu lassen und damit marginalisierten Positionen einen Raum zu geben. Dabei kommen die Sprechenden aber nicht umhin, sich zu vorgegebenen Parametern zu verhalten; in diesem Fall zu einem dominanten Geschichtsbild, das dadurch auch mit-spricht.223 Rezeptionen In der Zeitschrift Telespiegel wird die Sendung im Rahmen der Ankündigung des Schulfernsehprogramms mit einem Begleittext des Mitautors Hermann Lein angekündigt.224 Die dort verwendete Formulierung von den „Grundlagen der Zweiten Republik“, die „im Widerstand gelegt“ worden seien225, wird von Arbeiter-Zeitung und Hör Zu übernommen.226 Hör Zu fügt noch einen im ursprünglichen Text nicht vorkommenden Verweis auf die alliierte Verwaltung hinzu: „Die geistige Kraft, die aus dem Widerstand erwuchs, wirkte auch über die Tage der 221 Garscha 2002: 28. 222 Vgl. Lein 1988. 223 Siehe Kapitel 3.5.1 und 3.5.2. 224 Telespiegel 5/1964: 13. 225 Telespiegel 5/1964: 13. 226 Arbeiter-Zeitung 11.3.1964: 9; Hör Zu 10/1964: 39.

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vierfachen Besetzung hinaus und hat in dem Österreicher ein neues Staatsbewußtsein erweckt.“227 Außer diesen Ankündigungen sind die Erwähnungen in den Tageszeitungen spärlich, auf den Fernseh-Seiten von Kronen Zeitung und Express ist die Einführung des Schichtarbeiter-Fernsehens Thema, in der Volksstimme der weitgehende Ausschluss von Kommunist_innen aus Fernsehdiskussionen und -sendungen und in den Salzburger Nachrichten eine Sendung des Ersten Deutschen Fernsehens zu Widerstand und Verfolgung unter dem NSRegime.228 Die Zeitschrift des Bundesverbandes Österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus (KZ-Verband), Der neue Mahnruf, lobt an der Sendung, dass „vor allem der Jugend […] ein Bild jener Zeit vermittelt wurde.“229 Der Sendung wird außerordentlich viel Platz eingeräumt, Teile mehrerer Redebeiträge werden in der Zeitung wiedergegeben. In der Gemeinde, der Zeitschrift der Israelitischen Kultusgemeinde, wird die Sendung im Rahmen eines Berichts über die Jahresversammlung des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes kurz erwähnt.230 2.7.4 Die Republik der Überzeugten Eine zeitgeschichtliche Dokumentation zum 20. Jahrestag der Zweiten Republik. (Kürzel: RdÜ) Erstausstrahlungen und Länge Dienstag 27.4.1965, 20 Uhr und Donnerstag 29.4.1965, 12 Uhr. (Weitere Wiederholungen mindestens 27.4.1966, 10 Uhr, Technisches Versuchsprogramm und 28.4.1966, 12 Uhr). 49 Minuten. Vorspann „die republik der überzeugten manuskript: hellmut andics“ Nachspann „die republik der überzeugten. sprecher: helmut janatsch, wolfgang riemerschmid. ein film des österreichischen rundfunks fernsehen hergestellt: fernsehfilmproduktion dr. heinz scheiderbauer k.g. wien“ 227 Hör Zu 10/1964: 39. 228 Vgl. Kronen Zeitung 13.3.1964: 4; Express 11.3.1964: 5; Volksstimme 18.3.1964: 1 bzw. 3; Salzburger Nachrichten 12.3.1964: 4. 229 Der neue Mahnruf April 1964: 3. 230 Die Gemeinde 31.3.1964: 4.

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Kurzbeschreibung (Inhalt, Formales, Personen) Das Drehbuch der zum 20-jährigen Jubiläum des Gründungstages der 2. Republik hergestellten Sendung Die Republik der Überzeugten schrieb Hellmut Andics (1922-1998). Andics, dem für die Herstellung televisueller Geschichtsbilder von und für Österreich für die 1960er und frühen 1970er Jahre eine ähnlich prominente Rolle attestiert werden kann wie Hugo Portisch für die 1980er Jahre, galt als Sozialdemokrat und Freund des späteren Generalintendanten Gerd Bacher.231 In einer biographischen Arbeit zu Hellmut Andics beschreibt Ingrid Dunkl Andics’ politische Sozialisation folgendermaßen: Andics sei von seinem „deutschliberalen“ Vater zum „Hasser“ von Dollfuß und Schuschnigg erzogen worden, hätte in seiner Jugend Sympathien für die Nationalsozialisten gehegt, worüber seine jüdische Mutter verzweifelt gewesen sei, und habe sich dann in Opposition zu seinem Vater der Sozialdemokratie zugewandt.232 Für den Beginn von Andics’ journalistischer Karriere sei der Prozess gegen Guido Schmidt 1947 prägend gewesen; als Prozessberichterstatter für das Neue Österreich habe er viele Gespräche mit ehemaligen Politikern geführt. „Zwei stundenlange Gespräche mit Schuschnigg waren für Hellmut Andics der Höhepunkt dieser seiner Privatrecherchen“233, so Dunkl. Für seine Dokumentation 15. Juli 1927 über den Justizpalastbrand (Erstausstrahlung 15.7.1967) erhielt Andics den in diesem Jahr erstmals verliehenen Fernsehpreis der österreichischen Volksbildung.234 Zusätzlich zu seinen Tätigkeiten im Fernsehen publizierte Hellmut Andics zu zahlreichen historischen Themen, in den 1960er Jahren neben österreichischer Zeitgeschichte235 zu Antisemitismus236, den Habsburgern237 und zur Sowjetunion.238 1985 war er Mitverfasser des vierten Bandes zur Geschichte des österreichischen Rundfunks.239 Im Zuge der ORF-Reform 1967/1968 berichtete die ArbeiterZeitung darüber, dass ursprünglich Hellmut Andics (statt Alfred Payrleitner) als Hauptabteilungsleiter für Politik und Zeitgeschehen vorgesehen gewesen sei, je231 Dunkl 1995: 31 und 46-49. 232 Dunkl 1995: 30f. 233 Dunkl 1995: 40. 234 Kurier, 13.3.1968: 13; Salzburger Nachrichten 13.3.1968: 7; Arbeiter-Zeitung 13.3.1968: 9. 235 Andics 1962 und Andics 1968. 236 Andics 1965. 237 Vgl. Hellmut Andics: Der Fall Otto Habsburg (1965), Die Frauen der Habsburger (1969). 238 Vgl. Hellmut Andics: Der große Terror. Von den Anfängen der russischen Revolution bis zum Tode Stalins (1967). 239 Ergert/Andics/Kriechbaumer 1985.

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doch „sein Engagement als Hauptabteilungsleiter vermutlich daran gescheitert [ist], daß seine Gehaltsforderungen für ORF-Maßstäbe zu hoch gewesen sind.“240 In Die Republik der Überzeugten ist nach einleitenden Aufnahmen der Demonstrationen pro und contra Borodajkewycz241 der Sprecher Vincenz Ludwig Ostry242 in einer halbnahen Einstellung zu sehen und adressiert die Zuseher_innen mit der Aussage, dass sie „kein Unterhaltungsprogramm erwartet“ und daher unbequeme Bilder zu sehen sein werden; Ostry schließt jedoch damit, dass „wir Ihnen Bilder zeigen, deren wir uns nicht zu schämen brauchen, im Gegenteil, wir versäumen nur zu oft, uns laut und deutlich zu ihnen zu bekennen.“243 Das unentschiedene Lavieren zwischen „nicht überbewerten“ und „nicht übersehen“ wird überführt in ein „Bekenntnis“ zu Österreich. Dieser Einleitung schließt sich eine historische Dokumentation an, die mehrheitlich auf einer Kompilation von Archivmaterial und dem Kommentar zweier Off-Sprecher basiert. Zeitlich erstreckt sich die Narration von 1897 (Badenische Sprachenverordnung244) bis 1956 (Aufnahme ungarischer Flüchtlinge), wobei den Jahren 1938 bis 1945 mit ca. 23 Minuten245 vergleichsweise am meisten Sendezeit eingeräumt wird. Ein einziges Interview ist Teil der Sendung; der evangelische Pastor und ehemalige Gefängnisseelsorger Hans Rieger spricht über Hinrichtungen der NS-Justiz im Landesgericht. Von der Erzählung der Aufnahme ungarischer Flüchtlinge 1956 springt die Dokumentation zu einer Beschreibung scheinbar zeitloser österreichischer Eigenschaften: „Wir trinken gerne, zugegeben, und wir haben auch was für Brathendln übrig, sehr viel sogar. Wir rutschen gerne mitten hinein ins Vergnügen. Aber auch in die Arbeit. Wir reden nur nicht so viel darüber, wie es manche Leute in anderen Ländern gerne tun.“246

240 Arbeiter-Zeitung 19.3.1968: 9. 241 Siehe Kapitel 2.3. 242 Für die Identifizierung des im Abspann nicht genannten Vincenz Ludwig Ostry danke ich Siegfried Mattl. 243 RdÜ TC 03.58-04.44. 244 Der Badenischen Sprachenverordnung, die die zweisprachige Amtsführung in Böhmen und Mähren vorsah, folgten deutschnationale Proteste und der Aufstieg Georg Ritter von Schönerers (Bruckmüller 1996: 296; 375). In der Narration von Die Republik der Überzeugten setzte mit der Sprachenverordnung „die letzte Etappe des Niedergangs ein“ (TC 05.00-05.06). 245 RdÜ TC 12.20-35.22. 246 RdÜ TC 42.32-42.51.

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Aus diesen Sätzen spricht ein defensiver Patriotismus, der gegen Zuschreibungen von außen gerichtet ist – im Besonderen gegen die drei Jahre zuvor in Österreich heftig diskutierte NBC-Reportage Our man in Vienna von David Brinkley, in der Österreich nicht gerade gemäß der bevorzugten Selbstrepräsentation dargestellt wurde.247 Die Sendung schließt mit Bildern des Staatsvertrags von 1955, was nicht nur hinsichtlich der durchbrochenen Chronologie bemerkenswert ist, sondern auch angesichts der Tatsache, dass die Sendung zwar zum 20. Jahrestag des 27.4.1945 produziert und auch an diesem Datum ausgestrahlt wurde, der 15. Mai 1955 jedoch den dominanten historischen Bezugspunkt der Sendung darstellt. Dies ist vermutlich als nach innen wie nach außen gerichteter Appell zu verstehen „alles zu tun, um die Freiheit des Staates, von dem wir überzeugt sind, nicht noch einmal zu verlieren.“248 Nach innen wirkt dieser Appell insofern, als daran erinnert wird, dass auf (neo-)nationalsozialistische Betätigung das Eingreifen der Alliierten folgen würde; nach außen als Bestätigung des demokratischen Konsenses der Zweiten Republik Österreich. Rezeptionen Die Sendung wurde in der Tagespresse kaum rezipiert; auf den Fernsehseiten der Tageszeitungen überwiegen die Rezeptionen der Direktübertragung der Militärparade249 bzw. wird der Debatte über die Ausstrahlung von Radetzkymarsch (zweiteiliger Fernsehfilm BR, ORF, 1965 Regie: Michael Kehlmann; Erstausstrahlungen: 18.4. und 19.4.1965) in Form von Leser_innenbriefen Raum gegeben.250 2.7.5 Die Iden des März (Kürzel: IdM) Erstausstrahlung und Länge Dienstag 12.3.1968, 20:15 Uhr. 59 Minuten.

247 Vom Sprecher wird Brinkley zuvor auch namentlich erwähnt: „Da [beim KriegsSchutt-Wegräumen, Anm. rw] war Herr Brinkley mit seiner Fernsehkamera leider nicht dabei. Da scheint keiner von denen zugeschaut zu haben, die heute so viel an unserem Wohlergehen auszusetzen haben.“ (RdÜ TC 38.35-38.48) Our man in Vienna wurde auf NBC am 24.1.1962 ausgestrahlt (Arbeiter-Zeitung 26.1.1962: 1). 248 RdÜ TC 49.00-48.07. 249 Arbeiter-Zeitung 28.4.1965: 2; Express 28.4.1965: 8; Die Presse 28.4.1965. 250 Kronen Zeitung 29.4.1965: 3 und 30.4. 1965: 1; Die Presse 28.4.1965: 9.

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Vorspann „11. März 1938 die iden des märz eine dokumentation von hellmut andics“ Nachspann „Die Iden des März eine dokumentation von hellmut andics unter mitwirkung des instituts für zeitgeschichte universität wien sprecher: ernst wappel, e. auer, c.a. tichy, h. gratzer, w. regelsberger, h. schenk schnitt: irene tomschik, ton: karl höfler, trick: a.h. stepan produktionsleitung: hans limbek, assistents [sic]: e. schenk gestaltung: helmuth voitl ein film des österr. rundfunk fernsehen fernsehfilm-produktion dr. scheiderbauer wien“ Kurzbeschreibung (Inhalt, Formales, Personen) Das Drehbuch zu Die Iden des März stammt, wie das zu Die Republik der Überzeugten, von Hellmut Andics. In der Sendung, die die Zeitspanne von 1918 bis 1938 behandelt, ist der Kommentator nie zu sehen. Neben den von einem Sprecher kommentierten Archivbildern, -filmen, Dokumenten, Karten und Diagrammen werden auch experimentellere Darstellungsstrategien eingesetzt. Mehrere Kommentartexte wie auch Originaltonaufnahmen werden mit Kamerafahrten durch das (1968) aktuelle Wien bebildert, was ein Spannungsverhältnis von Bild und Ton herstellt, das Fragen nach der politischen Relevanz und Aktualität der dargestellten historischen Vorgänge aufwerfen kann.251 Einen großen Teil der Sendung nimmt die Rekonstruktion der Telefongespräche des Nachmittags und Abends des 11. März 1938 zwischen Hermann Göring, Arthur Seyß-Inquart, dem Botschaftsangehörigen der Deutschen Botschaft in Wien Dombrovsky, Wilhelm Keppler, dem Reichspressechef Otto Dietrich, Phillip von Hessen und Adolf Hitler ein. Nachgestellt werden die Gespräche mittels Drahtfiguren mit Namensschildern und Telefonhörern.252 Zwei Redebeiträge – der des sozialistischen Gewerkschafters Friedrich Hillegeist und der des ehemaligen BundesheerGenerals Karl Bornemann – nehmen insgesamt dreizehn Minuten der Sendezeit in Anspruch. Die Narration der Vorgeschichte des März 1938 folgt im Wesentli-

251 Zu den Originaltonaufnahmen und der Kamerafahrt siehe auch Kapitel 3.6.2. 252 Siehe zu dieser Rekonstruktion Kapitel 3.7.

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chen der von Hellmut Andics auch publizistisch vertretenen These vom „Staat, den keiner wollte“.253 Rezeptionen In den Tageszeitungen wurde Die Iden des März außerordentlich häufig und ausführlich rezipiert. Neben generellen Bewertungen der Sendung als „objektiv“ bzw. „bildend“ (unter Verweis auf die Zusammenarbeit mit Ludwig Jedlicka bzw. dem Institut für Zeitgeschichte254) und Überlegungen zu möglichen Funktionen der Sendung für ein jugendliches255, modernes256 oder österreichisches257 Publikum fokussieren die Rezensionen auf drei Hauptthemen: Erstens auf die Person Kurt Schuschniggs; zweitens darauf, dass das gezeigte Archivmaterial schon bekannt war; und drittens auf die Darstellungsform der Telefongespräche. Gegenstand der Diskussion um Schuschnigg ist einerseits die in L’Express und am 11.3.1968 im Spiegel veröffentlichte „Erklärung“ des inhaftierten Kurt Schuschnigg vom 11.6.1938258, die eine an Adolf Hitler gerichtete Rechtfertigungs- und Loyalitätserklärung darstellt.259 Dominanter ist jedoch die Erwähnung des Umstandes, dass Kurt Schuschnigg anlässlich des Jubiläums des März 1938 dem Österreichischen Fernsehen kein Interview gegeben hatte, dafür aber dem Zweiten Deutschen Fernsehen.260 Die in den Rezeptionen auftauchenden Bemerkungen darüber, dass das verwendete Archivmaterial schon des Öfteren gezeigt worden sei261, drücken ein Begehren nach neuen Bildern aus, das auf ein Versprechen des Fernsehen, Neues zu zeigen und das Behaupten des Scheiterns dieses Versprechens durch die konkurrierenden Printmedien verweist.262 Das „Neue“ der Sendung, die Inszenierung der Telefongespräche mit einem Draht253 Andics 1962. 254 Die Presse 15.3.1968: 9. 255 Volksstimme 12.3.1968: 7; Volksstimme 14.3.1968: 8; Kurier 14.3.1968: 12. 256 Hör Zu 13/1968: 7. 257 Die Presse 12.3.1968: 9; Volksstimme 14.3.1968: 8; Kurier 14.3.1968: 12. 258 Spiegel 11/1968: 114. 259 Vgl. Kronen Zeitung 12.3.1968: 1 bzw. 8; Salzburger Nachrichten 12.3.1968: 2. 260 Vgl. Presse 15.3.1968: 9; Kronen Zeitung 12.3.1968: 1 bzw. 8; Volksstimme 12.3.1968: 7; Kurier: 14.3.1968:12; Express 12.3.1968: 9; Salzburger Nachrichten 12.3.1968: 2 und 13.3.1968: 2. 261 Hör Zu 13/1968: 7; Arbeiter Zeitung 14.3.1968: 9; Salzburger Nachrichten 13.3.1968: 2. 262 Auch späteres Geschichtsfernsehen wie jenes von Hugo Portisch in den 1980ern und Guido Knopp um 2000 bewarb die Sendungen mit dem Versprechen neuer (alter) Bilder.

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modell, wurde überwiegend kritisiert. Hör Zu fand die Darstellung „lächerlich“263, die Arbeiter-Zeitung „mißlungen“264 und die Salzburger Nachrichten „nicht eigentlich packend“265; einzig Die Presse nennt die Lösung „originell“.266 Kritik ernteten die in der Sendung hergestellten historischen Narrative vor allem in der Volksstimme und in der Kronen Zeitung. Kritikpunkte der Volksstimme sind die Entkontextualisierung des Justizpalastbrandes 1927, die mangelnde Thematisierung der Bedeutung des austrofaschistischen Regimes für die Repression möglichen Widerstands durch Arbeiter_innen-Organisationen und die Nicht-Erwähnung des Protestes der Sowjetunion gegen den Anschluss Österreichs. Positiv erwähnt wird (im Gegensatz zum Kurier) das Interview mit Karl Bornemann, der geäußert hatte, dass Österreich im März 1938 in der Lage gewesen wäre, militärischen Widerstand zu leisten.267 In der Kronen Zeitung mokiert sich Richard Nimmerrichter alias Staberl über die televisuellen und offiziellen Gedenkfeierlichkeiten zum März 1938 im Allgemeinen.268 2.7.6 50 Jahre unserer Republik (Kürzel: 50JuR) Erstausstrahlung und Länge Dienstag, 12.11.1968, 20:15 Uhr. 90 Minuten. Vorspann „50 Jahre unserer Republik Eine Dokumentation von Hellmut Andics Hergestellt mit Unterstützung der österreichischen Bundesregierung zum 50jährigen Bestand der Republik Österreich“ Nachspann „50 jahre unserer Republik Buch: Hellmut Andics Beratung und Mitarbeit: Institut für Zeitgeschichte Wien, Prof. Ludwig Jedlicka Sprecher: Ernst Wappel, Erich Gabriel 263 Hör Zu 13/1968: 7. 264 Arbeiter Zeitung 14.3.1968: 9. 265 Salzburger Nachrichten 13.3.1968: 2. 266 Die Presse 15.3.1968: 9. 267 Vgl. Volksstimme 14.3.1968: 8; Kurier 14.3.1968: 12. Der Kurier erwähnt hingegen den „mannhaften Widerstand“ Wilhelm Miklas’. 268 Kronen Zeitung 14.3.1968: 8.

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Ton: Karl Höfler, Herbert Hager Graphik u. Trick: Adi Stepan Schnitt: Ulli Scheiderbauer Produktionsleitung: Hans Limbek Regie: Helmut Voitl Gesamtleitung: Walter Davy Eine Produktion der Fernsehfilmproduktion Dr. H. Scheiderbauer Wien Hergestellt im Auftrag des Österreichischen Rundfunks Mit Unterstützung der Österreichischen Bundesregierung Archivmaterial aus: Österreichischem Filmarchiv Filmmuseum Hauptstelle für Bildungsfilm Österreichischen Wochenschauen Fox-Wochenschau Bundesländerarchive ORF-Archiv Sowie: Koblenz-London-Paris-Budapest u.a.m.“ Kurzbeschreibung (Inhalt, Formales, Personen) In 50 Jahre unserer Republik setzt Hellmut Andics ein stilistisches Mittel ein, das er schon in früheren Sendungen verwendet hatte: Den Rückblick von der Gegenwart in die Vergangenheit. Die Sendung beginnt 1968, mit einer Reihe visueller Österreich-Stereotypen: Skispringer, Lipizzaner, Sängerknaben, Fiaker, um dieses Bild gleich darauf in Frage zu stellen; bezeichnenderweise mit einem Zitat des antisemitischen Schriftstellers und NSDAP-Mitgliedes (1931-1933; 1944-1945) Josef Weinheber. Dem folgt ein Rückblick auf die Jahre 1918-1956, der sowohl im Kommentartext als auch in der Verwendung von Archivmaterial stark an die Iden des März angelehnt ist. Teilweise werden Sequenzen und Text wortgleich übernommen; dazu kommen Interviews mit Kurt Schuschnigg, Julius Deutsch, Friedrich Hillegeist, Karl Bornemann, Alfons Gorbach, Felix Hurdes, Karl Gruber, Josef Holaubek und Bruno Kreisky. Die Sequenz, die sich im weitesten Sinn mit der Zeit zwischen 1938 und 1945 beschäftigt, hat eine Länge von ca. zehn Minuten. Nach hintereinander eingespielten Statements zur Frage, ob Widerstand im März 1938 möglich und notwendig gewesen sei (auf die zwei Pro-Widerstand-Stimmen des sozialdemokratischen Gewerkschafters Friedrich Hillegeist und des Angehörigen des Militärs Karl Bornemann folgt die ContraStimme des ehemaligen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg) werden der Ein-

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marsch der deutschen Truppen und der österreichische Jubel thematisiert. Alfons Gorbach erklärt in einem Interview, wie eine Fotografie von ihm, Karl Maria Stepan und Franz Zelburg im Mai 1938 im Konzentrationslager Dachau zustande gekommen sei. Nach einer Aufzählung widerständiger Österreicher leitet ein Interview mit Felix Hurdes direkt zum April 1945 über. Die nationalsozialistische Periode besteht in 50 Jahre unserer Republik demnach vor allem aus den Jahren 1938 und 1945 und einer Erzählung des Widerstands und des Zueinanderfindens von Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten in den Konzentrationslagern. Die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden ist nicht Teil der Geschichtserzählung „unserer Republik“. Die Sendung, die in einer Periode der ÖVP-Alleinregierung „mit Unterstützung der österreichischen Bundesregierung“ entstand, hatte auch die Funktion einer nach außen gerichteten Selbstdarstellung. Rezeptionen Die Repräsentationsfunktion der Sendung war denn auch Gegenstand der printmedialen Rezeptionen. So notiert der Kurier, dass „die österreichische Bundesregierung […] eine Anzahl Kopien von dieser Sendung für die österreichische Auslandsvertretung erhalten“269 werde. Die Arbeiter-Zeitung stellt die Repräsentationsfunktion gar als Hauptaufgabe der Dokumentation dar: „Der Film ‚50 Jahre Republik‘ von Andics und Voitl mag für den TV-Stammkunden, abgesehen von einer Reihe unbekannter Aufnahmen, wenig Neues gebracht haben […]. Darum ging‘s aber nicht und auch nicht um eine neue Gelegenheit zum Nachhilfeunterricht, sondern darum, einen repräsentativen Österreichfilm fürs Ausland zu haben.“270

Auch die Salzburger Nachrichten zeigen sich mit dem Ergebnis zufrieden: „Die große Rückschau konnte sich sehen lassen, zumal Österreich sich heute sehen lassen kann.“271 Im Kurier wird der Einsatz des Interviews mit Kurt Schuschnigg, das „zerhackt und mit Kontrapunkten versehen“272 eingebaut worden sei, gelobt. Die Betonung verweist auf die erst im Entstehen begriffene Etablierung des Zeitzeug_inneninterviews als Element des Geschichtsfernsehens und darauf, dass in früheren Sendungen (zum Beispiel in Der österreichische Widerstand) Redebeiträge en bloc und nicht über die Sendung aufgeteilt eingesetzt wurden.273

269 Kurier 9.11.1968: 23. 270 Arbeiter-Zeitung 14.11.1968: 9. 271 Salzburger Nachrichten 14.11.1968: 7. 272 Kurier 14.11.1968: 14. 273 Siehe auch Kapitel 3.5.

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Zwei ausführliche Artikel der Volksstimme widmen sich einer Kritik an den Geschichtsdarstellungen der Sendung 50 Jahre unserer Republik. Wird zuerst vor allem die Darstellung des Streiks im Oktober 1950 als „Oktoberputsch“274 kritisiert275, weitet sich einen Tag später die Kritik auch auf Darstellungen des Nationalsozialismus aus. Die Zeitung beanstandet in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet Kurt Schuschnigg als Einziger zu Aufstieg und Machtübernahme des Nationalsozialismus in Österreich 1934-1938 befragt wurde und kritisiert das Herunterspielen der Rolle des kommunistischen Widerstands.276 In Kurier und Presse wird auf das gezeigte Archivfilmmaterial eingegangen. Das Beschaffen von Filmmaterial in internationalen Archiven steht in beiden Erwähnungen im Vordergrund,277 vollständig zufrieden zeigt sich Die Presse jedoch nicht: „Manche Aufnahmen, offenbar mit viel Geduld und Spürsinn in einschlägigen Archiven aufgestöbert, waren sensationell. Andere Einstellungen hatte man schon im Fernsehen gesehen.“ 278

2.7.7 27. April. Wiedergeburt einer Republik (Kürzel: 27A) Erstausstrahlung und Länge Montag, 27.4.1970, 20:15 Uhr. 55 Minuten. Vorspann „27. April Wiedergeburt einer Republik Eine Dokumentation von Jörg Mauthe und Werner Stanzl“ Nachspann Nicht erhalten. Beteiligte laut ORF-Fernseharchiv: Gestaltung: Werner Stanzl, Jörg Mauthe Sprecher: Wolfgang Gasser279

274 50JuR TC 01.20.10. 275 Volksstimme 14.11.1968: 2. 276 Volksstimme 15.11.1968: 2. 277 Kurier 9.11.1968: 23; Die Presse 14.11.1968: 11. 278 Die Presse 14.11.1968: 11.

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Kurzbeschreibung (Inhalt, Formales, Personen) Das Drehbuch von 27. April. Wiedergeburt einer Republik wurde von Jörg Mauthe und Werner Stanzl verfasst. Jörg Mauthe (1924-1986) war Presse-, Radio-, Film- und Fernseh-Journalist (Furche, Die Presse, Kurier, Sender RotWeiß-Rot, Austria-Wochenschau, Österreichische Telefilm-AG, ORF) und 1978-1986 Wiener Stadtrat für die ÖVP.280 Werner Stanzl war Journalist und ist Mitglied der Katholisch-Österreichischen Studentenverbindung Bavaria Wien.281 Die Sendung behandelt die Monate von Januar bis Dezember 1945: Ausgehend von der Befreiung Budapests durch die Rote Armee (deren Schilderung jedoch weniger die Figur der Befreiung nahelegt als vielmehr das Trauern über einen Verlust evoziert), wird die Befreiung Wiens (und die Rolle der WehrmachtsOffiziere Biedermann/Huth/Raschke282), die Bildung der provisorischen Regierung Renner und die Kapitulation der deutschen Truppen geschildert. Die ersten Nachkriegsmonate stehen im Zeichen der Entbehrungen und Verwüstungen und der Wiederaufnahme der Tätigkeit in Hochkultur und Medien. Die alliierten Befreier werden umgehend als störende Besatzer dargestellt. Höhe- und Schlusspunkt der Dokumentation ist der der Nationalratswahl am 25.11.1945 folgende Amtsantritt der Regierung Figl am 20. Dezember 1945. Eine Leerstelle der Erzählung dieser Zeitspanne stellen die Todesmärsche ungarischer Juden und Jüdinnen quer durch Österreich dar.283 Diese Auslassung unter vielen ist vor allem deswegen besonders auffallend, weil Budapest und dessen Befreiung den narrativen Ausgangspunkt der Sendung darstellen. Außerdem ist bemerkenswert, dass der namensgebende 27. April 1945 in der Narration der Sendung eine eher geringe Rolle spielt. Der Unterzeichnung der Gründungsurkunde und der Bildung der provisorischen Regierung Renner wird zwar Raum gegeben; den narrativen 279 Hier fehlen auch in der Datenbank des ORF Angaben. So sind in der Sendung mindestens drei Sprecher_innen identifizierbar (zwei männliche, eine weibliche); außerdem fehlen Angaben zu Schnitt, Ton, Kamera, etc. 280 Vgl. Koth 2008: 12ff. 281 Siehe das Programm des Winter-Semesters 2006/2007 der K.Ö.St.V. Bavaria http://bavaria-wien.at/bvw/programm_WS0607.htm (Stand 15.6.2013). 282 Siehe Kapitel 3.1. 283 Vgl. Lappin/Uslu-Pauer/Wieninger 2006. Die Todesmärsche der als Zwangsarbeiter_innen eingesetzten ungarischen Jüdinnen und Juden ab Ende März/Anfang April 1945, meist in Richtung Mauthausen, fanden für die Bevölkerung der durchquerten Gebiete – Burgenland, Teile der Steiermark, Wien, Niederösterreich und Teile Oberösterreichs – öffentlich sichtbar statt. Die Massengräber der während der Märsche ermordeten Menschen dokumentierte Simon Wiesenthal bereits 1945 (Uslu-Pauer 2006: 215).

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Höhe- und Schlusspunkt bildet aber die Regierung Figl. Da der Erstausstrahlungstermin der Sendung, der 27.4.1970, ebenfalls auf den Tag einer Regierungsbildung fiel, nämlich den der ersten SPÖ-Minderheitsregierung der Zweiten Republik (die zudem die erste ÖVP-Alleinregierung der Zweiten Republik ablöste), hat diese Entscheidung nicht unwichtige geschichtspolitische Funktionen. Statt die „Wiedergeburt“ Österreichs aus einer SPÖ-dominierten Regierung (mit ÖVP und KPÖ) zu erzählen, wird die ÖVP-SPÖ Regierung ausgewählt und Leopold Figl visuell und narrativ als Gründungsfigur der Zweiten Republik positioniert. Formal arbeitet die Sendung eher traditionell mit Archivfilmen und OffKommentar bzw. Original-Tonaufnahmen. Mauthe und Stanzl verwenden keine Interviews. Bemerkenswert ist, dass der Kommentar von drei Personen, zwei männlichen und einer weiblichen, gesprochen wird. Bezüglich der Inhalte des gesprochenen Textes lässt sich keine Differenzierung nach Geschlecht der Sprecher_innen feststellen. Rezeptionen 27. April Wiedergeburt einer Republik wurde in den Tageszeitungen nicht sehr ausführlich rezipiert; ein wichtigeres Thema (auch der Fernsehseiten) war die live übertragene Regierungserklärung Bruno Kreiskys vom selben Tag. Einzig Presse, Volksstimme und Arbeiter-Zeitung gingen auf die Dokumentation ein. Während die Volksstimme die Sendung vorwiegend lobte und die „zum Teil unbekannten, zum Teil oft gesehenen, aus verschiedenen Archiven zusammengesuchten Filmaufnahmen“ und den „sachliche[n] Kommentar“ positiv hervorhob284, kritisierte die Presse leise aber doch die wertenden Untertöne im OffKommentar: „Und er verbrämte die Äußerungen des Dritten Reiches mit wohlfeiler Ironie; was nun nicht heißt, daß Ironie und Schärferes jenen Machthabern gegenüber nicht am Platz gewesen wäre; was aber sehr wohl heißt, daß man Feuilletonstil und Dokumentation auseinanderhalten sollte.“285

284 Volksstimme 29.4.1970: 7. Die restliche Rezension unternahm die häufige generationelle Einteilung des Publikums in jene, die anlässlich der Sendung „Gelegenheit [gehabt hätten], sich zu erinnern“ und in „die Jugend, die keinerlei emotionelle Bindungen an die Bilder aus dieser Vergangenheit haben kann“, und für die die Sendung „zumindest lebendigen und anschaulichen Geschichtsunterricht“ dargestellt habe (Ebd.). 285 Presse 29.4.1970: 9.

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Gerade die von der Presse thematisierte „Ironie“ ist es, die in der ArbeiterZeitung zustimmend erwähnt wird: „er [der Kommentar] bewies, daß Ironie, am richtigen Platz angesetzt, objektiver ist als Sachlichkeit.“286 Diese unterschiedlichen Bewertungen überraschen auf den ersten Blick, standen doch die SendungsAutoren der Presse politisch wesentlich näher als Arbeiter-Zeitung oder Volksstimme. Erklären lässt sich der scheinbare Widerspruch damit, dass die Presse nicht die grundsätzliche geschichtspolitische Ausrichtung der Sendung kritisierte, sondern deren Stil, die nicht versteckte Positionierung. Die hier vorgestellten und beschriebenen dokumentarischen Geschichtssendungen des ORF werden im nun folgenden Kapitel analysiert und die darin audiovisuell hergestellten historischen Narrative sowie deren geschichtspolitische Funktionen untersucht.

286 Arbeiter-Zeitung 29.4.1970: 9.

3 Audiovisuelle Strategien im dokumentarischen Geschichtsfernsehen. Repräsentationen des Nationalsozialismus, Funktionen, geschlechtliche Codierungen

3.1 E INLEITUNG . F RAGESTELLUNGEN Im Folgenden sollen audiovisuelle geschichtspolitische Strategien auf der Mikroebene des dokumentarischen Geschichtsfernsehens, die von dem archivierten audiovisuellen Material gebildet wird, analysiert werden. Die am Ende des vorigen Kapitels beschriebenen und kontextualisierten Sendungen werden mittels einer Unterteilung nach formalen Kriterien analysiert: Verbale Narration/VoiceOver, Archivfotos, Archivfilm, Zeitzeug_innen, Ton und fiktionale Elemente. Diese Vorgangsweise macht es möglich, die spezifisch medialen Strategien des frühen österreichischen Geschichtsfernsehens herauszuarbeiten und mit geschichtspolitischen Funktionen zu verknüpfen. Den geschlechtlichen Codierungen des Materials (sowohl in der verbalen Narration als auch in den visuellen Darstellungen) nachzugehen und nach ihren möglichen Bedeutungen und Funktionen zu fragen ist, wie in der gesamten Arbeit, ein zentrales Anliegen der Untersuchung. Mit dem Begriff der Strategie beziehe ich mich auf Oliver Marcharts Konzeptualisierung einer „politischen Theorie kollektiver Erinnerung“.1 So lässt sich mit dem Begriff der Strategie erstens der Prozess des Kampfes um die Anerkennung und Deutungsmacht von Geschichtsnarrativen in den Blick bekommen: „Da eine bestimmte Version der Vergangenheit nicht nach Belieben verordnet werden kann und keine gesellschaftliche Instanz die ultimative Definitionshoheit besetzt, muss 1

Marchart 2005.

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sich jede Version gegen andere durchsetzen. Konstruktionen verfahren somit notwendigerweise strategisch.“2

Zweitens lassen sich diese geschichtspolitischen Aushandlungsprozesse an gesellschaftliche Machtverhältnisse (und damit auch Akteur_innen) rückbinden.3 In Bezug auf das Geschichtsfernsehen bedeutet das beispielsweise, dass sich nicht etablierte Sprecher_innen (etwa in Zeitzeug_innen-Interviews) spezifischer Sprechstrategien bedienen, die different sind von jenen des Voice-OverKommentars einer großkoalitionären Schulfernseh-Sendung. Inhaltlich richtet sich mein Interesse auf zwei ineinandergreifende Fragestellungen, die ich im Folgenden im (geschichts-)politischen Kontext des Zeitraums 1955 bis 1970 verorten möchte. Der erste thematische Fokus richtet sich auf Repräsentationen der Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen im nationalsozialistischen Regime. Allgemein ist festzuhalten, dass die Shoah im Geschichtsfernsehen der 1960er Jahre marginalisiert wurde, dabei aber (im Gegensatz zur Verfolgung von anderen Personengruppen, etwa von Roma, Sinti, Lesben, Schwulen, sogenannten „Asozialen“ oder „Kriminellen“) keine vollständige Ausblendung bestand oder auch geschichtspolitisch möglich gewesen wäre. In fast allen untersuchten Sendungen kommen entsprechend zumindest Hinweise auf die Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen vor; dabei gibt es allerdings überraschende Auslassungen. So werden im kurzen Beitrag der Sendung Was sagt uns der 13. März Juden und Jüdinnen oder Antisemitismus in den Aussagen der vor der Universität befragten Personen nicht erwähnt.4 Diese Auslassung von Erinnerungen an und Erzählungen über Antisemitismus und Verfolgungen von Jüdinnen und Juden5 lässt Rückschlüsse auf das repräsentierte „Wir“ zu, das im Sendungstitel steckt. Dieser Ausschluss ist auch im Kontext der „Etablierung einer österreichischen ‚Fernseh-Nation‘“ 6 zu sehen, die nicht 2

Marchart 2005: 27.

3

Marchart 2005: 28.

4

Hier stellt sich darüber hinaus ein aus den Archivierungsbedingungen entstehendes Problem: Auf dem im ORF-Archiv befindlichen Videoband fehlen in der Mitte des Beitrags etwa 19 Sekunden. Es ist möglich, dass hier Antisemitismus thematisiert wird.

5

Zu Dokumenten und autobiographischen Erinnerungen an Antisemitismus und die Verfolgung von Jüdinnen und Juden 1938 in Österreich vgl. Hecht/Lappin/RagammBlesch/Rettl/Uhl 2008. Vgl. auch Gedye 1947: 290-298.

6

Bernold 2001: 19. Diese sei, so Bernold, „zumindest bis Ende der sechziger Jahre durch einen hegemonialen televisuellen Konsens geprägt, der besagte, dass die österreichische Gesellschaft ‚sich‘ im Fernsehen als kleinbürgerlich und heterosexuell, als

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Juden und Jüdinnen per se als Sprechende ausschließt, sondern die Benennung jüdischer Erfahrungen und Identitäten. Auch was die drei untersuchten Sendungen von Hellmut Andics (RdÜ, IdM, 50JuR) betrifft, stellen Antisemitismus und die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden marginalisierte Themen dar, wobei die ohnehin minimale Thematisierung von 1965 bis 1968 sukzessive zurückgedrängt wird. Das erscheint besonders verwunderlich, weil Andics sich im selben Zeitraum in einem ganzen Buch mit Antisemitismus auseinandersetzte: Der ewige Jude. Ursachen und Geschichte des Antisemitismus erschien 1965. In dem Buch legt Andics seine Einschätzung des politischen Zusammenhangs von Nationalsozialismus und Antisemitismus folgendermaßen dar: „Der Antisemitismus war nur einer, und auf weite Strecken nicht einmal der wichtigste Punkt des nationalsozialistischen Programmes. Wer Antisemit war, der war damit noch nicht zwangsläufig Nazi – die ganze christlich-soziale Bewegung in Österreich beispielsweise war antisemitisch, aber die Nachfahren des Doktor Lueger haben in den dreißiger Jahren einen Verzweiflungskampf gegen Hitler und den Nationalsozialismus geführt. Andererseits liefen Hitler aus den verschiedensten Gründen eine ganze Menge Anhänger zu, die keine Judenhasser waren. Trotzdem bleibt der spätere Nationalsozialismus untrennbar mit dem Antisemitismus verbunden, und der frühe Nationalsozialismus der zwanziger Jahre baute auf der Judenfeindschaft nach dem Ersten Weltkrieg auf.“7

Antisemitismus stellt demnach für Andics zwar einen, aber nicht den „wichtigsten“ Bestandteil nationalsozialistischer Politik dar, was ausschlaggebend für die Auslassungen in seinen Dokumentationen sein könnte. Allerdings kann darin, dass Andics Antisemitismus eben nicht als auf das nationalsozialistische Regime begrenzt begriff, möglicherweise noch ein anderer Grund für die Marginalisierung des Themas in seinen Geschichtssendungen – im Gegensatz zu seiner Buchpublikation – liegen. Wäre er seiner eigenen Argumentation konsequent gefolgt, hätte Andics auch den österreichischen austrofaschistischen Antisemitismus thematisieren müssen, was für ihn offenbar keine im österreichischen Fernsehen der 1960er Jahre vertretbare politische Argumentation darstellte –im Gegensatz zur Darstellung des austrofaschistischen Regimes als „Widerstand“ gegen den Nationalsozialismus.8 Dass die Shoah in der Geschichtserzählung der

minderheiten- und migrantInnenfrei, als westorientiert und ‚österreichisch‘ im Sinne des Parteien-Proporzes repräsentierte.“ (Ebd.) 7

Andics 1965: 268.

8

Siehe Kapitel 3.2.4.

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„fürs Ausland“9 gedachten Sendung 50 Jahre unserer Republik schließlich gar nicht mehr vorkommt, ist bezeichnend und folgt wohl einer Repräsentationslogik Österreichs nach außen als Opfer. Geschichtswissenschaftliche Forschungen sprechen in Bezug auf den Zeitraum 1955 bis 1970 von einem fortbestehenden bzw. in den 1960er Jahren wieder öffentlich sichtbarer werdenden Antisemitismus10, der sich in vielfältiger Weise artikulierte: In antisemitischen Akten wie Friedhofsschändungen, Schmieraktionen und Drohungen gegen die Israelitische Kultusgemeinde11, in den milden Urteilen in Prozessen, in denen NS-Verbrechen verhandelt wurden und in den medialen Rezeptionen zu diesen Prozessen12, in der „Affäre Borodajkewycz“13 und in zahlreichen weiteren dokumentierten Vorfällen.14 Winfried Garscha weist in einem Text über den Umgang mit der österreichischen NSVergangenheit 1955 bis 1970 auf einen weiteren Aspekt hin: „Man hat oft vom ‚latenten Antisemitismus‘ jener Zeit gesprochen. Doch der Antisemitismus war nicht latent, sondern allgegenwärtig – insbesondere in der Alltagssprache der Menschen.“15 Vor dem Hintergrund der Kontinuität des Antisemitismus einerseits und der (auch öffentlichen) konfliktträchtigen Auseinandersetzungen, die

9

Arbeiter-Zeitung 14.11.1968: 9.

10 Michael Gehler spricht von einer „rechtsextremen Welle“ zu Beginn der 1960er Jahre. Gehler 1995: 242-246. 11 Vgl. Adunka 2002: 24f. 12 Vgl. die Online-Auflistung der NS-Prozesse seit 1956 der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz:

http://www.nachkriegsjustiz.at/prozesse/geschworeneng/35prozesse56_

04.php (Stand: 15.6.2013); zum medial präsenten Prozess gegen Franz Murer 1963 siehe Pöschl 2007 und Rabinovici 1992 sowie Kapitel 3.5.1. 13 Vgl. Kasemir 1994 und 1995, Fischer 1966, Zimmermann 2001, Adunka 2002, 29-37. Siehe auch Kapitel 2.3. 14 Zum Beispiel antisemitische Äußerungen in der Presse wie anlässlich der Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn 1956 (Adunka 2002: 21), antisemitische Aussagen in (partei-)politischen Auseinandersetzungen, etwa in Folge des Ausschlusses von Franz Olah aus der SPÖ 1964 (Adunka 2002: 25f, Wassermann 2000: 69, Reiter 2002a: 101) und im Wahlkampf 1966 und 1970 gegenüber Bruno Kreisky (Adunka 2002: 26f, Manoschek 1995: 58), in Debatten um den Staat Israel und den Nahostkonflikt und entsprechenden Positionierungen der KPÖ und linker Gruppierungen als Reaktion auf den Sechstagekrieg 1967 (Reiter 2002a: 110-115) und anlässlich der Thematisierung der NS-Vergangenheit von vier Mitgliedern der SPÖ-Minderheitsregierung 1970 durch Simon Wiesenthal (Wassermann 2000: 69, Reiter 2002a: 101). 15 Garscha 2002: 36.

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im Tod Ernst Kirchwegers während der Pro- und Contra-BorodajkewyczDemonstrationen gipfelten16, bestand von verschiedenen politischen Parteien und Gruppierungen in Österreich – aus jeweils unterschiedlichen Gründen – wenig Interesse daran, der nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen öffentlich zu gedenken. Laut Kurt Richard Luther finden sich in den von ihm untersuchten Parteiprogrammen von VdU und FPÖ keine „direkten Hinweis[e] auf Nationalsozialismus, Antisemitismus oder den Holocaust.“17 Diese Auslassung in der Thematisierung kann als noch nicht entwickelte Lösung des Konflikts zwischen eigenem Geschichtsverständnis und öffentlich akzeptierbaren geschichtspolitischen Aussagen gedeutet werden. In Bezug auf Studentenverbindungen in Österreich nach 1945 argumentiert Michael Gehler, dass Antisemitismus „auch nach 1945 weiter[lebte], wenngleich er sich nicht so offen artikulieren konnte wie vor dem Zweiten Weltkrieg.“18 Dennoch kam es zu öffentlichen Sichtbarkeiten; zum Beispiel wurden als Täter der Verwüstung des jüdischen Friedhofes in Innsbruck im November 1961 zwei Burschenschafter verurteilt.19 Das Geschichtsverständnis der ÖVP der Nachkriegszeit schloss, so Walter Manoschek „eine Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Judenvernichtung allgemein und der österreichischen Beteiligung im besonderen“20 aus. Dazu kam, dass Antisemitismus in Österreich lediglich dem nationalsozialistischen Regime zugeschrieben wurde, wodurch sich die ÖVP der Auseinandersetzung mit den eigenen aktuellen Antisemitismen und jenen des austrofaschistischen Regimes und ihrer christlich-sozialen Vorgängerpartei entzog.21 Öffentliche antisemitische Äußerungen von Politiker_innen der ÖVP nach 1945 beschränkten sich auf wenige Vorfälle, so Manoschek: „Der Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten hatte das offene Bekenntnis zum Antisemitismus mit einem Tabu belegt. Im allgemeinen wurde in der ÖVP die Diskussion jüdischer Themen vermieden.“22 Für einen sozialdemokratischen Umgang mit Antisemitismus und der Ermordung von Jüdinnen und Juden in der Nachkriegszeit seien vier Vorbedingungen erwähnenswert, so Richard Mitten. Erstens: Der linke und zum Teil jüdische sozialdemokratische Flügel überlebte das NS-Regime nicht und wurde nach 1945 von einem gemäßigten Flügel ersetzt. Zweitens: Die sozialdemokratische Kapitalismuskritik der Ersten Republik operierte durchaus auch mit 16 Siehe Kapitel 2.3. 17 Luther 1995: 139. 18 Gehler 1995: 242. 19 Gehler 1995: 244. 20 Manoschek 1995: 52. 21 Manoschek 1995: 52. 22 Manoschek 1995: 54.

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antisemitischen Stereotypen. Drittens strebten Teile der österreichischen Sozialdemokratie der Ersten Republik einen Anschluss an das Deutsche Reich an; und viertens stellte nach der austromarxistischen Faschismustheorie Antisemitismus keinen bedeutenden Bestandteil des Nationalsozialismus dar.23 Nach 1945 wurde im sozialdemokratischen öffentlichen Diskurs „Antisemitismus“ entsprechend auf die nationalsozialistische Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen beschränkt, was es leichter machte, „sowohl den Stellenwert eines nicht nationalsozialistischen Antisemitismus vor 1938 in Österreich zu verharmlosen als auch überhaupt die Fortdauer antisemitischer Vorurteile in die Zweite Republik hinein zu bestreiten.“24 Margit Reiter untersucht die komplexe Beziehung der KPÖ zu Antisemitismus, dem in Deutungen des Nationalsozialismus von Seiten der Partei der Status eines „Nebenwiderspruchs“ zugekommen sei.25 Obwohl die Volksstimme (Tageszeitung der KPÖ 1945-1990) als eines der wenigen Medien regelmäßig über NS-Verbrechen und diesbezügliche Gerichtsverfahren berichtete, wurde ein „besonderer Stellenwert, eine Einzigartigkeit […] dem rassisch motivierten, mörderischen Vernichtungsantisemitismus allerdings auch hier nicht zugesprochen.“26 Antisemitismus in der eigenen Partei – für den Reiter mehrere Beispiele dokumentiert – wurde einzig 1969 auf einer ParteitagsResolution thematisiert und verurteilt.27 Der dominante Konsens, Antisemitismus lediglich dem (als „deutsch“ und also nicht „österreichisch“ externalisierten) nationalsozialistischen Regime zuzuschreiben, diente nicht zuletzt dazu, Rückgabe- und „Wiedergutmachungs“Forderungen abzuwehren, und kulminierte im Bild einer „gesamtösterreichischen Opfergemeinschaft, in der niemand – und vor allem nicht die Juden – eine privilegierte Stellung genoß“28, wie es Richard Mitten beschreibt. Auch in gut gemeinten Statements ist diese Integrationsfigur anzutreffen: Anhand der Grußbotschaften der ÖVP zu Rosch ha-Schana 5721 (jüdisches Neujahrsfest 1960) identifiziert Walter Manoschek die darin vorgenommene Setzung von Juden und Jüdinnen als „Teil des ‚österreichischen Opferkollektivs‘“ als ein Element „eines spezifisch österreichischen philosemitischen Habitus“.29 Diese Subsumierung jüdischer Opfer in ein österreichisches Opferkollektiv korrelierte mit einem über 23 Mitten 1995: 103-105. 24 Mitten 1995: 110. 25 Reiter 1995: 178. 26 Reiter 1995: 180. 27 Reiter 1995: 188. Dies ist zumindest die einzige Stellungnahme bis zur Veröffentlichung von Reiters Text 1995. 28 Mitten 1995: 112. Vgl. auch Manoschek 1995: 55-57. 29 Manoschek 1995: 59.

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Österreich hinausgehenden Diskurs nach 1945. So wurden auch in den ReEducation-Filmen der Alliierten Juden und Jüdinnen nicht als vorrangige Opfergruppe genannt; die Filme folgten damit laut dem Filmhistoriker Ronny Loewy einem „universalistischen Opferbild”30, das noch Jahre nach 1945 vorgeherrscht habe. Die Historikerin Katharina Wegan deutet in einer vergleichenden Untersuchung von „Vergangenheitsmythen“ zum Nationalsozialismus anhand von Denkmälern in Österreich und Frankreich den Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 und den Sechstagekrieg 1967 als „wesentlichste[…] Katalysatoren […], die eine Sensibilisierung für die Geschichte der Shoah und deren Einzigartigkeit in Gang brachten“.31 Der Schriftsteller und Überlebende von Auschwitz und Buchenwald Elie Wiesel sei 1967 einer der ersten gewesen, „die explizit Anspruch auf die Einzigartigkeit der jüdischen NS-Opfer erhoben.“32 Auf medialer Ebene hätte der Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 Anlass bieten können, sich mit der (Mit-)Verantwortung von Österreicher_innen an der Ermordung von Juden und Jüdinnen auseinanderzusetzen. Nach Heinz P. Wassermann wurde diese Möglichkeit von der österreichischen Tagespresse jedoch kaum genutzt und die entsprechende Perspektive allenfalls von der Arbeiter-Zeitung thematisiert. Obwohl die Arbeiter-Zeitung auch österreichische Beteiligte an NS-Verbrechen benannte, blieb es bei einer Darstellung von „Nationalsozialismus als deutsche Erscheinung und als deutsches Problem“.33 Auch die Thematisierung der Novemberpogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 als „Jahrestagsthema“34 in der Tagespresse war vergleichsweise marginal. Wassermann fasst zusammen, dass die Novemberpogrome „in einer Kontinuitätslinie zur ‚Endlösung‘“ dargestellt wurden; als Urheber galt die NSDAP oder Einzelpersonen, Täter_innen „wurden zumeist als (nationalsozialistischer) ‚Mob‘ und ‚Pöbel‘ anonymisiert“.35 Keine mediale oder öffentliche Dominanz erlangten Diskurse der Kritik des alltäglichen Antisemitismus und der Thematisierung von (Mit-)Verantwortung; gleichwohl waren solche aber nicht inexistent. Sie wurden in der Gemeinde, der 30 Vgl. die Rezension des Workshops „Bilder des Grauens“ im Rahmen der Berlinale 2005 (Berlin, 15.2.2005) von Richard Herding: http://www.idmedienpraxis.de/node/ 69 (Stand: 15.6.2013) bzw. filmarchiv Nr. 06/07 2006: 65. Politische Bedingungen für diesen (geschichts-)politischen Umgang mit der Ermordung von Juden und Jüdinnen nach 1945 in Bezug auf die USA benennen Levy/Sznaider 2007 [2001]: 109-115. 31 Wegan 2005: 309. 32 Wegan 2005: 310. 33 Wassermann 2000: 46. 34 Wassermann 2000: 448. 35 Wassermann 2000: 457.

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Zeitschrift der Israelitischen Kultusgemeinde36, ebenso geführt wie im Ausweg – Jüdische Zeitschrift für Aufklärung und Abwehr und in der Zeitschrift des KZVerbandes, Der neue Mahnruf. Maßgeblich war die Arbeit von Simon Wiesenthal und dem von ihm gegründeten Bund jüdischer Verfolgter des Naziregimes hinsichtlich der Strafverfolgung österreichischer NS-Verbrecher.37 In der Literatur gab es ebenso Kritik am Fortbestand des Antisemitismus38 wie in der bildenden Kunst.39 Geschichtswissenschaftlich setzte sich Jonny Moser außerhalb universitärer Strukturen mit der „Judenverfolgung in Österreich 1938-1945“ auseinander und publizierte unter diesem Titel in der Reihe des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes 1966 erstmals einen Versuch einer vollständigen Auflistung der Verhaftungen und Deportationen von Juden und Jüdinnen in Österreich 1938-1945.40 In derselben Reihe publizierte Selma Steinmetz 1966 über die Verfolgung von Roma und Sinti im Nationalsozialismus, Tilly Spiegel 1967 über Frauen und Mädchen im Widerstand und Herbert Rosenkranz 1968 eine erste systematische Untersuchung des Novemberpogroms in Österreich.41 Der zweite Fokus in der Analyse der Geschichtsdokumentationen ist die Darstellung von Handlungsmöglichkeiten und die Konstruktion handelnder Subjekte gegenüber dem bzw. im NS-Regime. Diese Fragestellung beruht auf der Feststellung, dass zwar „Widerstand“ als Schlagwort und „österreichischer Freiheitskampf“ als patriotischer Bezugspunkt in den Sendungen präsent war, die Erwähnungen aber oft ohne die Darstellung tatsächlicher Handlungsoptionen oder -räume auskommen. Außerdem erlaubt die Frage nach Handlungsspielräumen und handelnden Subjekten eine Analyse der audiovisuellen Darstellung politischen Handelns, deren Bedeutung über die geschichtspolitische Frage nach Widerstand, „Beitrag zur eigenen Befreiung“ oder Mit-Verantwortung hinausgeht und damit auch Darstellungen von (Mit-)Täter_innen, Zustimmenden, Verfolgten und Nicht-Verfolgten bzw. Überschneidungen dieser Kategorien miteinzubeziehen. Auf der Ebene öffentlichen Gedenkens stand den oben umrissenen Kontinuitäten des Antisemitismus und der gleichzeitigen Dethematisierung der spezifisch antisemitischen Verfolgungs- und Ermordungspolitik des Nationalsozialismus 36 Siehe z.B. Embacher 1995: 326; Adunka 2002. 37 Vgl. Wiesenthal 1967. 38 Siehe etwa die 1961 erstmals erschienene Erzählung von Ingeborg Bachmann Unter Mördern und Irren, Bachmann 1991 [1961]. 39 Siehe Chaimowicz 1986. 40 Moser 1966. 41 Steinmetz 1966, Spiegel 1967, Rosenkranz 1968.

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eine Einschätzung des österreichischen Widerstands gegenüber, die diesen zumindest in der Darstellung nach außen betonte und als politische Grundlage der Zweiten Republik setzte. So bildete sich nach Heidemarie Uhl seit Beginn der 1950er Jahre „jenes widersprüchliche Geschichtsverständnis, jener ‚double speak‘ heraus, durch den die spezifisch österreichische Geschichtspolitik charakterisiert ist: Nach außen stellte sich Österreich als ‚erstes Opfer‘ und – mit Hinweis auf den österreichischen Widerstand – als antinazistischer Staat dar. In Österreich selbst wurde die Erinnerung an den Widerstand, vor allem aber an die Verbrechen des NS-Regimes marginalisiert oder als ‚kommunistisch‘ diffamiert.“42 In den 1960er Jahren kam es, so Uhl, manifestiert durch die Errichtung des Weiheraums für die Opfer des österreichischen Freiheitskampfes im äußeren Burgtor der Wiener Hofburg 1965, zu einer „Erneuerung des Konsenses der politischen Eliten beider Großparteien (auf der Ebene der dabei eingebundenen Verbände der politisch Verfolgten auch unter Einbeziehung der KPÖ) über das Geschichtsverständnis der Opferthese in ihrer antinazistischen Variante.“43 Als eine weitere zentrale Zeichensetzung ist die von der Regierung 1962 beschlossene und 1963 in Auftrag gegebene Dokumentation zur Darstellung des Beitrags Österreichs zu seiner Befreiung zu sehen44, die letztendlich nicht veröffentlicht wurde.45 In diesem Kontext ist auch die starke Betonung des Widerstandes in den untersuchten Geschichtsdokumentationen zu verstehen. „Österreichischer Widerstand“ ist – analog zum offiziellen Geschichtsverständnis, nach dem Österreich, wie in der Moskauer Deklaration verlangt, „seinen eigenen Beitrag zur Befreiung“ leistete – zentraler Bestandteil der Sendungen zum Nationalsozialismus. Ein Konsens darüber, wer Widerstand geleistet hätte, kann in den untersuchten Sendungen nicht ausgemacht werden. Eher kann von einem kleinsten gemeinsamen Nenner gesprochen werden, der in den drei Wehrmachtsoffizieren Karl Biedermann, Alfred Huth und Rudolf Raschke, die am 8. April 1945 öffentlich gehängt wurden, gefunden wurde.46 Die Offiziere werden in fünf der untersuchten Sendungen erwähnt (ZgadN, DöW, RdÜ, 50JuR, 27A). Weitere Mehr-

42 Uhl 2005b: 64. 43 Uhl 2005b: 67. 44 Vgl. Gerbel 2005: 111; Bailer-Galanda/Neugebauer 2003: 28; Oberkofler 2011 [2003]. 45 Oberkofler 2011 [2003]: 80. 46 Eine Gruppe von Wehrmachtsangehörigen (darunter Carl Szokoll) bereitete die kampflose Übergabe Wiens an die Rote Armee im April 1945 vor. Das Vorhaben wurde verraten und die genannten Offiziere hingerichtet.

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fachnennungen betreffen die Gruppe O547 (ZgadN, 50JuR), Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Zusammenhang mit dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 (ZgadN, RdÜ) und meistens nicht weiter spezifizierten sozialdemokratischen und christlich-sozialen bzw. kirchlichen Widerstand. Kommunistischer Widerstand, dem die zahlenmäßig größte Gruppe zuzurechnen war48, wird lediglich in der Sendung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (bzw. im Rahmen einer Aufzählung in Die Republik der Überzeugten) erwähnt. Partisan_innen werden kurz in der Sendung 27. April. Wiedergeburt einer Republik angesprochen; dies am Beispiel des österreichischen Partisanenbataillons, das als „kriegsgeschichtliche[s] Kuriosum“, das „leider bis heute keinen Historiker gefunden“ habe (27A TC 41.13-41.19), bezeichnet wird.49 Jüdischer Widerstand ist in den Sendungen absent, obwohl es, wie Doron Rabinovici dokumentiert, dazu seit den 1940er Jahren Publikationen gab.50 Bis auf wenige Ausnahmen51 werden durchwegs männlich codierte Repräsentationen des Widerstands hergestellt. In Bezug auf die Mehrzahl der untersuchten Sendungen kann also eine „Reduzierung des politischen Spektrums von Widerstand und Widerstandleistenden“52, wie sie Ulrike Kuzaj-Sefelin für Darstellungen im Schulbuch konstatiert hat, festgestellt werden. Die Sendung Der österreichische Widerstand für sich betrachtet folgt in Auswahl und Zusammenstellung der interviewten Personen hingegen einem „breiten Widerstandbegriff“.53 Interviewt 47 Die Gruppe O5 war eine österreich-patriotische Gruppe, die überparteilich agierte, jedoch „von bürgerlich-konservativen Kräften initiiert und getragen“ wurde. (Neugebauer 2000: 202) 48 Neugebauer 2000: 192. 49 Ein Jahr später reichte Willibald Holzer eine zweibändige Dissertation zu den österreichischen Partisanen-Bataillonen an der Universität Wien ein. Siehe Holzer 1971. 50 Rabinovici 2008: 90 bzw. 124f, Anmerkung 127. Rabinovici unterscheidet zwischen „jüdischem Widerstand“ und „Widerstand von Juden“ und Jüdinnen. (Rabinovici 2008: 83) Nicht jüdischer Widerstand, aber Widerstand von Juden und Jüdinnen kommt, wenn auch nicht explizit, in der Sendung Der österreichische Widerstand vor, siehe Kapitel 3.5.2. 51 Siehe Kapitel 3.5.2. 52 Kuzaj-Sefelin 2002: 140. 53 Neugebauer 1987: 168. Wolfgang Neugebauer spricht hier über das dem Dokumentationsarchiv zugrundeliegende Verständnis von „Widerstand“ seit seiner Gründung 1963: „Entsprechend der politischen Struktur und den Grundsätzen des Dokumentationsarchivs, in dem Vertreter verschiedener politischer und weltanschaulicher Richtungen – von den Kommunisten über Sozialisten, Katholiken, Konservative bis hin zu ehemaligen ‚Austrofaschisten‘ – zusammenarbeiten, wurde keine Gruppe des Wider-

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werden neun Personen, die verschiedene Opfer- bzw. Widerstandsgruppen repräsentieren: Militär, Kirche, Juden und Jüdinnen, Sozialist_innen, Kommunist_innen und Frauen.54 Ein ähnlicher Ansatz wird in der Sendung Die Republik der Überzeugten in folgender Sequenz sichtbar: Sprecher 1: „Rund 17000 Strafverfahren wurden gegen österreichische Widerstandskämpfer durchgeführt.“ [Musik: 5. Sinfonie Ludwig van Beethoven] Sprecher 2: „Gegen Priester, gegen Klosterschwestern, gegen sozialistische Arbeiter, gegen Monarchisten.“ Sprecher 1: „Gegen Hausfrauen, gegen Bauern, gegen kommunistische Gewerkschafter. Gegen Studenten.“ Sprecher 2: „Und wieder gegen Priester.“ (RdÜ TC 18.12-18.57)

Auf der visuellen Ebene wird diese Aufzählung begleitet von einer Serie von 17 Porträtfotografien (und einer Fotografie einer Frau neben einem Polizisten). Die Fotografien lassen sich anfangs den genannten Gruppen („Priester“: Fotografie von Roman Karl Scholz; „Klosterschwestern“: Fotografie von Schwester Maria Restituta/Helene Kafka) zuordnen, die Schnittfrequenz wird daraufhin kontinuierlich erhöht, bis sie bei der Frau neben dem Polizisten verweilt und zur letzten Porträtfotografie eines Priesters übergeht. Auffallend ist hier, neben der offensichtlichen Betonung katholischen Widerstandes, dass ein breites Verständnis des Begriffs „Widerstand“ tendenziell dazu führt, auch Frauen als Akteurinnen zu benennen.55 Die konkreten Aktivitäten der im Widerstand Tätigen bleiben meist vage. Wenige spezifische Ereignisse werden näher beschrieben, wie die Verhandlungen mit der Roten Armee durch Ferdinand Käs (RdÜ TC 27.2033.15; DöW TC 25.03-30.28) oder die Aktivitäten der Hilfsstelle der Caritas und

standes von vornherein ausgeklammert, sondern jeder Widerstand – aus welchen politischen, weltanschaulichen, religiösen, sittlichen, nationalen oder sonstigen Gründen immer – dokumentiert: dissidente Kommunisten, verfolgte NS-Abspaltungen wie die ‚Schwarze Front‘, Zeugen Jehovas und andere Sekten, um nur einige, nicht selten übergangene Kleingruppen des Widerstandes zu nennen.“ (ebd.) 54 Der Anspruch einer Repräsentation eines breiten Spektrums scheint zumindest der Auswahl der Interviewpartner_innen zugrunde gelegen zu haben. Darauf, wie sich dieses in das Sprechen der interviewten Personen übersetzte, komme ich später zurück, siehe Kapitel 3.5. 55 Siehe auch Ingrid Strobl, die zeigt, wie die Fokussierung auf sogenannten politischen, militärischen und organisierten Widerstand weite Teile des Widerstands von Frauen, aber auch anderer unorganisierter Gruppen bzw. Einzelpersonen ausblendet. Strobl 2008: 329-331.

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der Beratungsstelle für katholische Auswanderer um Pater Georg Bichlmair56, die Gemeindefürsorgerin Manuela Kielmannsegg und Pater Ludger Born, die sich um Auswanderungsmöglichkeiten der von den Nazis als Juden und Jüdinnen verfolgten Katholik_innen bemühten (DöW TC 12.39-13.56). Diese Schilderung der Historikerin Erika Weinzierl in der Sendung Der österreichische Widerstand endet mit den Worten: „Es galt eben auch schon bloßes Helfen als Widerstand.“ (DöW TC 13.51-13.56) Die Diskussion darüber, was im Nationalsozialismus als Widerstand galt bzw. welche Handlungen nach 1945 als solche eingestuft werden sollten, wird kurz in der Sendung Die Republik der Überzeugten angerissen: Sprecher 1: „Widerstand, war das wirklich nur das Schwarzhören ausländischer Sender? Wie viele Leute heute ironisch behaupten.“ Sprecher 2: „Und das Schwarzschlachten von Schweinen für den Schleichhandel?“ Sprecher 1: „Waren es nur Drückeberger, die Hitlers sinnlosen Krieg nicht mitmachen wollten?“ (RdÜ TC 17.36-17.52)

Durch Rhetorik und Tonfall wird nahegelegt, dass „Widerstand“ mehr als die genannten Aktivitäten umfasste, dennoch werden auch hier keine darüber hinausgehenden konkreten Tätigkeiten benannt. Die sarkastische Erwähnung der „Drückeberger“ ist eine für das Geschichtsfernsehen frühe Anspielung auf Wehrmachtsdeserteure, die sechs Jahre später anlässlich des Dokumentarspiels Der Fall Jägerstätter (Axel Corti ORF/ZDF 1971) mediale Aufmerksamkeit erhielten. Nicht nur von offizieller Seite gab es in den 1960er Jahren Interesse an einer Thematisierung des Widerstandes. Zur Gründung des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes 1963 und zu dessen frühen Tätigkeiten be-

56 Pater Georg Bichlmair, ab 1936 Leiter des missionierenden Pauluswerkes, war massiver Proponent eines antisemitischen Diskurses, der jedoch nationalsozialistische „Rassetheorien“ zugunsten eines katholischen Antisemitismus ablehnte (Vgl. Königseder 2005: 58). 1934/35 war er einer der wenigen kirchlichen Unterstützer der Forderungen der katholischen Frauenbewegung in Bezug auf die Frauenerwerbsarbeit (Vgl. Bandhauer-Schöffmann 2005: 274f). Bichlmair war des Weiteren beteiligt an der austrofaschistischen Zensur in Arbeiterbibliotheken (Vgl. Pape 2006: 113). 1938 wurde er „gauverwiesen“, laut Erika Weinzierl (in der Sendung Der österreichische Widerstand) aufgrund seines Engagements für Konvertit_innen (Vgl. DöW TC 13.3213.40); laut Christian Pape aufgrund seines angeblichen Einflusses auf Kardinal Innitzer bzw. aufgrund seiner (Juden und Jüdinnen) missionierenden Tätigkeit (Vgl. Pape 2006: 111).

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merken Brigitte Bailer-Galanda und Wolfgang Neugebauer: „Diese Berufung auf den Widerstand durch die öffentliche Erinnerung, die aus heutiger Sicht als ‚Teil einer Verdrängungsstrategie‘ des offiziellen Österreich erscheint, stellte in den sechziger Jahren ein kritisches, gegen die Geschichtsauffassung der Kameradschaftsverbände und der Wehrmachtstradition gerichtetes Konzept dar.“57 Auch für „die ehemaligen Verfolgten“ erschienen die „Dokumentation des Widerstands und der Verfolgungsmaßnahmen; das Aufzeigen des Beitrags der WiderstandskämpferInnen zur Befreiung und zur Wiedererrichtung der Republik Österreich“ als „ein wichtigeres Anliegen als Täterforschung“.58 Zweifellos stellte die Betonung des Widerstandes eine grundlegende antifaschistische politische Strategie dar; trotzdem lässt sich diese Feststellung nicht auf alle ehemaligen Verfolgten übertragen. So zeigen die Tätigkeiten Simon Wiesenthals und des von ihm gegründeten Bundes jüdischer Verfolgter – analog zum Titel von Wiesenthals 1967 erschienener Publikation „Doch die Mörder leben“59 – durchaus eine Konzentration auf NS-Täter_innen. Nicht zuletzt soll die hier unternommene Untersuchung auch Aufschluss über (geschichts-)politische Funktionen von Repräsentationen des Widerstandes im Geschichtsfernsehen geben. Doron Rabinovici beschreibt das Ineinandergreifen der Dethematisierung der spezifisch antisemitischen Verfolgungspolitik des NS-Regimes und der Kontinuitäten des Antisemitismus einerseits und der Überbetonung der Quantität und Patriotisierung des Widerstandes andererseits wie folgt: „Die jüdischen Ermordeten wurden lange Zeit hindurch der Opferbilanz des Widerstands, der eben nur ein patriotischer gewesen sein sollte, zugerechnet. Somit konnte die österreichische Täterschaft vertuscht und der patriotische Widerstand zahlenmäßig aufgebessert werden.“60 Ausgehend von dieser These der homogenisierenden und subsumierenden Repräsentation werde ich in meiner Untersuchung auf genannte, nicht genannte und nahegelegte Verfolgungsgründe (antisemitische Verfolgung/politische Verfolgung) achten. Diese Differenzierung ist nicht unproblematisch, da sie auf nationalsozialistischen Verfolgungskategorien beruht; die Unterscheidung ist jedoch in der Analyse der Geschichtsnarrationen notwendig, gerade weil sie in den Fernsehsendungen oftmals unterlassen wurde. Dies geschah, wie ich zeigen werde, von unterschiedlichen Positionen aus, und damit auch mit verschiedenen Motivationen. In einer dominanten Lesart trägt diese Unsichtbarmachung jedoch auch zu einer Nicht-Thematisierung sowohl jüdischen Widerstandes als auch antisemitischer Verfolgung bei. 57 Bailer-Galanda/Neugebauer 2003: 29. 58 Bailer-Galanda/Neugebauer 2003: 29. 59 Wiesenthal 1967. 60 Rabinovici 1991: 152.

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In den nun folgenden Abschnitten werde ich den Analysefokus jeweils auf ein formales Element (Verbale Narration/Voice-Over, Fotografie, Archivfilm, Zeitzeug_innen, Ton und Fiktionales) legen, nicht ohne diese Elemente jeweils in ihrem Gesamtkontext zu untersuchen. So ist die Bedeutung von visuellem Material nicht unabhängig vom dazu gesprochenen Text oder der verwendeten Musik zu denken; und so werden auch im nächsten Kapitel, in dem ich Elemente der verbalen Narration analysiere, visuelle Elemente mitbedacht.

3.2 V ERBALE N ARRATION /V OICE -O VER Die verbale Narration ist im dokumentarischen Geschichtsfernsehen der 1960er Jahre eine dominante Ebene der Sinngebung. Der von einzelnen oder verschiedenen Sprecher_innen vorgetragene Text, der meist als Voice-Over über das Bild gelegt wird, führt durch die Sendung. Der Text strukturiert die Narration und tritt in ein Verhältnis mit den gezeigten visuellen und schriftlichen Elementen, den Beiträgen von Zeitzeug_innen61 und verwendeten (Original-)Tonaufnahmen. In Fernsehdokumentationen des frühen ORF – und damit auch in einigen der von mir untersuchten Sendungen – wurden vielfach Theaterschauspieler_innen als Sprecher_innen eingesetzt. So führte Hans Thimig durch die Sendung Zeitgeschichte aus der Nähe, und Helmut Janatsch sprach einen der beiden OffKommentare in Die Republik der Überzeugten; beide waren langjährige Ensemblemitglieder am Theater in der Josefstadt bzw. am Burgtheater.62 Diese personellen Überschneidungen des Fernsehens mit dem Theater stehen mit einer Orientierung des frühen Fernsehens an etablierten Medien wie dem Theater in Zusammenhang63 und verweisen damit auch auf eine Orientierung der Fernsehdokumentationen an einer hochkulturellen (und als typisch österreichisch wahrgenommenen) Art des Vortrags und der (Aus-)Sprache. Mary Ann Doane beschreibt den Voice-Over-Kommentar in dokumentarischen Produktionen als „disembodied voice“. Der Kommentar etabliere eine Komplizität mit der_dem

61 Die verbale Narration der Zeitzeug_innen ist, im Gegensatz zum Text des/der Sprecher_in, der „disembodied voice“, ein (auch körperlich) verortetes Sprechen. (Siehe Kapitel 3.5) 62 Ackerl/Weissensteiner 1992: 201 bzw. 483f. 63 Vgl. Engell 2001: 50. Für den ORF stellt Monika Bernold diese von Engell als „Phase des Selbstentzugs bzw. der Fremdorientierung“ (ebd.) bezeichnete Periode bis in die 1960er Jahre fest. Bernold 2007b: 143f.

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Zuschauer_in, so Doane: „together they understand and thus place the image. It is precisely because the voice is not localizable, because it cannot be yoked to a body, that it is capable of interpreting the image, producing its truth.”64 Diese wissen- und wahrheitsproduzierende Stimme sei großteils männlich (konnotiert).65 Mit einer Ausnahme sind alle Sprecher_innen der untersuchten Sendungen männlich.66 Die meisten Sendungen setzen den oder die Sprecher_innen als Erzähler_innen einer Geschichtserzählung, der Objektivität zugesprochen wird, was sich meist in einer konsensorientierten Geschichtsdarstellung artikuliert. Auch in den beiden Sendungen, in denen die Sprecher und die Sprecherin sich einer Sprache bedienen, die gegenüber den historischen Vorgängen Position bezieht, zielen die sarkastischen bzw. distanzierenden Bemerkungen ausschließlich auf das externalisierte Andere, den Nationalsozialismus (RdÜ und 27A67). Die „Objektivität“ und „Richtigkeit“ der Geschichtsdarstellung wird in einem Wechselverhältnis mit dem gezeigten Bild hergestellt. Dem Bild kommt zum einen eine Beleg- oder Illustrationsfunktion gegenüber der erzählten Geschichtsnarration zu – zum Beispiel sind Archivfotografien von Vorgängen oder Porträts von Personen, von denen gesprochen wird, zu sehen. Zum anderen widerspricht der Voice-Over-Text auch, oder er kommentiert das zu Sehende und beansprucht somit eine Autorität über das Bild. In der Schulfernsehsendung Zeitgeschichte aus der Nähe greift Hans Thimig auf ein weiteres gestalterisches Mittel zurück: Im Wohnzimmer-Studio liest er aus verschiedenen Büchern vor. Diese Geste verweist unter anderem auf eine Legitimationsstrategie, die Margaret Morse anhand früher Nachrichtensprecher_innen beschrieben hat. Morse zufolge hätten diese Sprecher_innen Autorität über das geschriebene Wort bezogen. Um die Authentizität der Nachricht zu beweisen, sei die im Fernsehen sichtbare Geste des Ablesens wichtig gewesen.68 Eine weitere formale Gemein64 Doane 1985: 168. 65 Doane 1985: 168. 66 In der Sendung 27. April. Wiedergeburt einer Republik ist eine der Sprecher_innen weiblich; ihr Name wird weder im Abspann noch im Eintrag in der ORFFernseharchiv-Datenbank genannt. 67 In Die Republik der Überzeugten werden verbreitete Positiv-Aussagen zum Nationalsozialismus ironisch wiederholt und mit anderen Narrativen konfrontiert: Aufnahmen vom Konzentrationslager Theresienstadt bzw. von Juden und Jüdinnen, die im März 1938 in Wien gezwungen wurden, Parolen des austrofaschistischen Regimes wegzuwaschen, werden kommentiert mit: „Aber dafür baute der Führer ja die Autobahn, nicht wahr!?“ (RdÜ TC 16.53-16.57) Zu Strategien der Sendung 27. April. Wiedergeburt einer Republik siehe unten Kapitel 3.2.1. 68 Morse 1986: 77, Anm. 11.

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samkeit der frühen Geschichtsdokumentationen mit den Fernsehnachrichten besteht in der direkten Adressierung der Zuschauer_innen.69 In einigen der untersuchten (ZgadN, RdÜ) und weiteren gesichteten Sendungen (Das österreichische Jahrhundert) werden die Zuschauer_innen im Rahmen der Geschichtsdokumentation direkt angesprochen. Diese direkte Adressierung hat in den genannten Sendungen je spezifische Funktionen: So wendet sich Hans Thimig in der Schulfernsehsendung Zeitgeschichte aus der Nähe als Fernseh-Lehrer und Geschichtenerzähler an Schüler_innen und ist in dieser Funktion auch wiederkehrend im Bild. In den anderen beiden Sendungen wird die direkte Adressierung einmalig zu Beginn als einleitender Kommentar bzw. als Vorwort eingesetzt: Am Beginn der ersten Folge von Das österreichische Jahrhundert versucht der Regisseur Hellmut Andics, in neue Darstellungsweisen und deren Wahrnehmungsmöglichkeiten einzuführen.70 In Die Republik der Überzeugten hingegen leitet der namhafte Journalist Vincenz Ludwig Ostry von den aktuellen Bildern der Borodajkewycz-Demonstrationen in die Geschichtserzählung über, was eine formale Unterbrechung zwischen aktuellen und historischen Bildern und die Vorgabe eines bestimmten Rezeptionsrahmens zur Folge hat: „Wir werden von Dingen sprechen und wir werden Ihnen Bilder zeigen, die manche Leute heute, am 20. Geburtstag der Zweiten Republik, nicht mehr oder noch immer nicht wahrhaben möchten. Wir werden aber auch von Dingen sprechen und wir werden Ihnen Bilder zeigen, derer wir uns nicht zu schämen brauchen, im Gegenteil, wir versäumen nur zu oft, uns laut und deutlich zu ihnen zu bekennen.“ (RdÜ TC 04.18-04.44)

Wie in diesem Fall sind die direkten Adressierungen oft mit wertenden oder moralischen Appellen verbunden. Sie können auch als „‚Protokolle‘ möglicher Lektüren“71 im Sinne eines Versuches der Lenkung der Rezeptionsweisen verstanden werden. Inwieweit die Zuschauer_innen diesen bevorzugten Rezeptionen 69 Mary Ann Doane beschreibt (anhand des US-amerikanischen Fernsehens der späten 1980er Jahre) die formalen Charakteristika von Dokumentation und Nachrichten als grundlegend verschieden: Die Dokumentation bediene sich des männlichen VoiceOvers, wohingegen die Nachrichten „involve the persistent, direct, embodied, and personalized address of the newscaster.“ Doane 1990: 224. 70 Konkret stellt Andics Quellen der Fernsehreihe, deren Erzählung mit dem Jahr 1848 beginnt, vor (Musik, Theater, Stadtmodell) und erklärt deren Einsatz in der Sendung: „Wir unternehmen den Versuch, die Vergangenheit lebendig zu machen aus den Zeugnissen dieser Vergangenheit. Wir wollen die Vergangenheit rekonstruieren, so wie die Zeitgenossen sie damals gesehen haben.“ (DöJ TC 03.55-04.11) 71 Sarasin 2003: 38-40.

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folgten, ihnen widersprachen oder ganz andere entwickelten, ist nicht Gegenstand dieser Analyse. Im Folgenden werden sich wiederholende Elemente der verbalen Narration im Sinne von „Aussagen als Wiederholung ähnlicher Aussagen“72 analysiert und geschichtspolitisch verortet. 3.2.1 Externalisierung Der Nationalsozialismus, seine Ideologie und damit verbundene Verbrechen werden als etwas von außen Kommendes dargestellt. Das Fremde, das auf das Eigene trifft, wird hierzu meist mit den Zuschreibungen „deutsch“ (versus „österreichisch“) konnotiert. Diese Externalisierung wird durch verschiedene Strategien hergestellt: Durch den Bezug auf die in Artikel II der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 verwendete Formulierung vom „dem österreichischen Volke aufgezwungene[n] Anschluss“ in Zeitgeschichte aus der Nähe (ZgadN TC 52.04-52.07), durch den Verweis auf die Moskauer Deklaration und deren Interpretation von Österreich als „erstem Opfer“ in Die Republik der Überzeugten (RdÜ TC 22.44-22.59), durch rhetorische Strategien wie die Rede von der „ihm [Österreich] aufgezwungene[n] Beteiligung am Krieg“ in 50 Jahre unserer Republik (50JuR TC 01.07.52-01.07.54) oder dadurch, dass konkrete Maßnahmen antisemitischer Politiken in Zeitgeschichte aus der Nähe ausschließlich anhand einer Erzählung des Aufstiegs des Nationalsozialismus vor 1938 in Deutschland thematisiert werden (ZgadN TC 14.57-15.14). So stellen Benennungen wie „die österreichischen Nationalsozialisten“ (ZgadN TC 07.54) eine Ausnahme in den Sendungen dar. Auch diese Ausnahme basiert jedoch bezeichnenderweise auf einer Gegenüberstellung. Die „österreichischen Nationalsozialisten“ werden der Gruppe der „Bevölkerung“ gegenübergestellt (ZgadN TC 07.47-08.01), wodurch impliziert wird, dass Nationalsozialist_innen nicht Teil der österreichischen Bevölkerung (gewesen) seien. Die oft eingesetzte Externalisierung des Nationalsozialismus als deutsches Phänomen73, das in der Nachkriegspolitik ein „Bekenntnis zu Österreich als demokratische Alternative“74 zum Deutschnationalismus erscheinen ließ, ist demnach grundlegender Bestandteil auch der Fernsehdokumentationen. Drei weitere Externalisierungen lassen sich in den Sendungen feststellen: Zunächst wird Nationalsozialismus durch eine Konnotation mit Krankheit und Perversität externalisiert. Dies ist am deutlichsten in 27. April. Wiedergeburt einer Republik zu sehen. Dort ist die Rede von der nationalsozialistischen Kriegs72 Sarasin 2003: 34f. 73 Vgl. auch Malina 1990; Mitten 1995; Schmid 1990. 74 Gehmacher 2007a: 149. Siehe dazu auch Kapitel 1.1.4.

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politik 1945 als „Wahnwitz“, „perverse[m] Wunschtraum“ und „methodische[m] Irrsinn“ (27A TC 07.18, 08.40 und 08.52). Die hier verwendeten psychologisierend-pathologisierenden Begriffe konnotieren nationalsozialistische Kriegspolitik mit Krankheit und sexueller Devianz. Diese Darstellungsstrategie hat eine lange und hartnäckige Geschichte75 und vielfältige politische Konsequenzen. In Bezug auf den Nationalsozialismus kann sie externalisierend („die Kranken als Andere“) und entlastend („für Krankheiten sind die betreffenden Personen nicht selbst verantwortlich“) wirken. Gleichzeitig wirkt die Anwendung des Stereotypensets zurück auf die normalisierenden Vorstellungen von Krankheit/Gesundheit und sexueller Devianz/Normalität. Als eine weitere Form der Externalisierung ist die Übertragung der Verantwortung für den „Anschluss“ auf andere Staaten festzustellen. Handlungsmacht scheint allein auf Seiten anderer zu liegen, wie zum Beispiel in Zeitgeschichte aus der Nähe: „Da niemand Österreich schützte, konnte es zu dieser Okkupation kommen.“ (ZgadN TC 07.2807.33) In Die Iden des März spricht der Sprecher in Zusammenhang mit den Aufnahmen jubelnder Österreicher_innen beim Einmarsch von der „Hilflosigkeit eines Volkes, das die Großmächte zwanzig Jahre lang als Spielball ihrer Weltpolitik missbraucht hatten. Diese Großmächte, die so wenig taten, um diesem kleinen Volk ein erträgliches Leben zu ermöglichen, ließen es nun hilflos untergehen.“ (IdM TC 56.55-57.11)76 Wenn „Großmächte“ genannt werden, sind das Großbritannien, Frankreich (ZgadN) und Italien (ZgadN, IdM). Ohne jede Problematisierung des faschistischen Regimes in Italien wird in diesen beiden Narrationen die politische Abwendung Mussolinis vom austrofaschistischen Österreich und Hinwendung zum nationalsozialistischen Deutschen Reich bedauert. Auf die sich hier in der Rede von den „Großmächten“ und dem „kleinen, hilflosen Volk“ abzeichnenden Darstellungsstrategien der Viktimisierung und Infantilisierung werde ich später zurückkommen. In Die Iden des März kommt schließlich eine auf ökonomischen Kriterien fußende Externalisierung zur Anwendung. Im gesamten gesprochenen Text der Sendung erfolgt eine direkte Benennung der 75 So wandte sich Kurt Tucholsky schon 1932 dagegen, dass im Kampf gegen den Nationalsozialismus homophobe Argumentationen eingesetzt wurden. (Vgl. Tucholsky 1932) Zur pathologisierten Darstellung Hitlers in Der Untergang (2004) vgl. Dietrich/Nachtigall 2009: 387 bzw. zu Sexualisierungen in Darstellungen des Nationalsozialismus als „Rhetoriken der Pornografisierung“ Wenk 2002. 76 Eine sehr ähnliche Argumentation wird ein halbes Jahr später in 50 Jahre unserer Republik vorgeschlagen: „Gerade die Großmächte im Westen, die Österreich vom Jahre 1918 an zum Prügelknaben ihrer Politik gemacht und dann zu ihrem eigenen Frieden im Stich gelassen hatten, warfen den Österreichern diesen Jubel immer wieder vor.“ (50JuR TC 01.00.42-01.00.55)

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Verfolgung von Juden und Jüdinnen nur ein einziges Mal. Antisemitische Propaganda tritt in der Erzählung an einer Stelle auf, an der ihr die Funktion zukommt, die Anschlussgedanken der späten 1920er und 1930er Jahre in Österreich von denen der späten 1910er Jahre abzugrenzen. „In dieser Katastrophenstimmung [des Justizpalastbrandes 1927 und des sog. ‚schwarzen Freitags‘ an der New Yorker Börse, Anm. rw] bekommt der Anschlussgedanke seine neue, nationalistische, seine braune Färbung. Der Anschlussgedanke hat einen neuen Führer bekommen. Der Appell richtet sich an alle, die die Republik enttäuscht hat. An die in ihrer Existenz bedrohten ‚Stehkragenproletarier‘, an das die Kommunisten, die Sozialdemokraten, die Gewerkschaften fürchtende Kleinbürgertum. Der Nationalismus arbeitet mit Hassparolen gegen die angeblich Schuldtragenden an dem ganzen Elend, gegen die Juden, die Pfaffen, die Parlamentarier, die Demokratie überhaupt. Es ist der Appell an die Gewalt zur Lösung scheinbar unlösbarer Probleme.“ (IdM TC 08.52-09.38)

Antisemitismus (hier in einer Reihe genannt mit Antiklerikalismus, Antiparlamentarismus und Nationalismus) wird Kleinbürgern und kleinen Angestellten zugeschrieben. In einer Diskussion wissenschaftlicher Rassismus-Modelle77 führt Hans Pühretmayer auch das Erklärungsmuster von „ModernisierungsverliererInnen als ‚bevorzugten Kandidaten‘ für Rassismus“ an.78 Dieses Muster konstruiere das „Forschersubjekt negativ als quasi auf natürliche Weise (Intellektuelle = Vernunft = kosmopolitisch) nicht rassistisch“ und verleugne damit Rassismen bei Intellektuellen, „von Wohlhabenden, von Eliten, von Beamten etc.“.79 Indem in Die Iden des März Antisemitismus und nationalsozialistische Ideologie auf das „Kleinbürgertum“ beschränkt werden, können sich die Sendungsgestaltenden ebenso wie die Zuschauer_innen qua ökonomischer Position von entsprechenden Vorwürfen entweder ausnehmen oder sie im Nachhinein legitimieren und darüber hinaus strukturelle antisemitische Kontinuitäten ausblenden. In der oben zitierten Stelle (IdM TC 08.52-09.38) tritt eine weitere rhetorische Figur auf, die ebenfalls wiederholt feststellbar ist: Antisemitismus wird hier in einem Zug genannt mit einer Ablehnung der katholischen Kirche und der Demokratie.

77 Ich möchte hier keine Gleichsetzung von Rassismus und Antisemitismus vornehmen; die Heranziehung dieses Textes soll die Zuschreibung von bestimmten Denkmustern an bestimmte (ökonomisch definierte) Bevölkerungsgruppen problematisieren. 78 Pühretmayer 2002: 293. 79 Pühretmayer 2002: 293.

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3.2.2 Subsumierung, Zahlen, Nicht-Benennungen Rhetoriken der Subsumierung von Juden und Jüdinnen als Form der Dethematisierung antisemitischer Verfolgung im Sinne eines universalistischen „Opferbildes“80 finden sich gehäuft in Zeitgeschichte aus der Nähe und damit vor allem am Beginn der 1960er Jahre. In der Sendung vollzieht sich diese Subsumierung auf drei Ebenen: Bezüglich der während des Zweiten Weltkrieges getöteten Menschen, bezüglich der in den Konzentrationslagern getöteten Menschen und bezüglich der Folgen des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich. Am offensichtlichsten ist die Aufrechnung bezüglich der Toten des Krieges: Hans Thimig adressiert hier gegen Ende der Sendung die Zuschauer_innen direkt. Vorerst noch in einer halbtotalen Einstellung, zoomt die Kamera ab dem Wort „Konzentrationslager“ näher und verbleibt bei den letzten Sätzen in einer Nahaufnahme auf Thimigs Gesicht: „Mehr als vier Millionen Angehörige der deutschen Wehrmacht sind im Zweiten Weltkrieg gefallen oder werden vermisst. Im Luftkrieg gingen über eine halbe Million Menschen zugrunde. England, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika verloren 1,2 Millionen Menschen. Russland über sechs Millionen. Dazu kommen dann noch die Verluste in den Konzentrationslagern. Über sechs Millionen Menschen. Im Zeitalter der Technik und der Zivilisation kostete der Rückschritt in die Barbarei über 35 Millionen Menschen das Leben. Die entsetzlichen, furchtbaren Leiden und Qualen, die dieser unheilvolle Krieg über die Menschheit gebracht hat, sind wirklich unermesslich und unbeschreiblich.“ (ZgadN TC 50.37-51.50)

Von den mittlerweile überholten Zahlenverhältnissen abgesehen sind hier zwei Subsumierungen und Nicht-Benennungen aufschlussreich: Die der österreichischen Kriegstoten unter die deutschen und die der ermordeten Juden und Jüdinnen unter „Verluste in den Konzentrationslagern“ und unter alle Toten des Krieges. Wo an anderer Stelle sehr genau getrennt wird zwischen österreichisch und deutsch (siehe den vorigen Abschnitt zu Externalisierung) werden, wenn es um Tote geht, die österreichischen und deutschen zusammengezählt. Dadurch ergibt sich eine wesentlich höhere Anzahl an Toten. Die Formulierung „Verluste in den Konzentrationslagern“ hingegen vermeidet sowohl eine Benennung der verfolgten Gruppen und damit des antisemitischen und rassistischen Charakters der Verfolgung als auch eine Thematisierung der auf Ermordung ausgerichteten NSVernichtungspolitik in den Konzentrationslagern. Im darauffolgenden Satz wird die Verantwortung schließlich vollkommen verteilt, indem von einem generellen 80 Siehe Kapitel 3.1.

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„Rückschritt in die Barbarei“ die Rede ist, um schließlich zu einer Darstellung des Krieges als einer nahezu metaphysischen, nicht beschreibbaren Kraft zu gelangen. Eine andere Form der Subsumierung, die zwar beteiligte Gruppen benennt, aber Verfolgungszusammenhänge nivelliert, steht in der Sendung im Kontext einer Erzählung zu Verbrechen in den Konzentrationslagern: „Millionen von Juden, Katholiken, Sozialisten und Kommunisten, und nicht zuletzt hunderttausende Ausländer fielen in den berüchtigten Konzentrationslagern den unerhört harten Arbeitsbedingungen oder dem Hunger zum Opfer, oder sie wurden grausam hingerichtet und ihre Leichen in eigens konstruierten Öfen verbrannt.“ (ZgadN TC 36.01-36.24)

Juden und Jüdinnen werden hier durch den Sprecher in eine Reihe mit „Katholiken“, „Sozialisten“ „Kommunisten“ und „Ausländern“ gestellt. Das Zahlwort „Millionen“ ist derart platziert, dass es entweder als nur die Gruppe der Juden und Jüdinnen betreffend zu verstehen ist; oder aber, und das wird durch Intonation und Redefluss nahegelegt, es bezieht sich auf „Juden, Katholiken, Sozialisten und Kommunisten“. Der Gruppe der „Ausländer“ hingegen wird die Zahl „hunderttausende“ zugeschrieben. Die Aufzählung lässt sich letztlich auch als eine Gegenüberstellung begreifen, die irritiert. Sie legt nahe, dass „Juden, Katholiken, Sozialisten und Kommunisten“ und „Ausländer“ sich nicht überschneidende Gruppen darstellten, was letztlich die Millionen Ermordeten auf Seite der „Inländer“ situiert. Nicht thematisiert werden verfolgte Gruppen wie Roma, Sinti, Lesben, Schwule, Menschen mit Behinderung, Zeug_innen Jehovas und nicht oder anders organisierte (politische) Oppositionelle – ebenso wenig wie der geplante und systematische Charakter der Deportation und Ermordung von Jüdinnen und Juden.81 Eine weitere Erwähnung und Subsumierung von Jüdinnen und Juden in der Sendung Zeitgeschichte aus der Nähe erfolgt im narrativen Kontext des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich: „Besonders wertvoll waren für ihn [Adolf Hitler, Anm. rw] natürlich die 90.000 Kilo Gold der österreichischen Nationalbank und auch das Gold und Silber und andere Edelmetalle, die im Münzamt lagerten. Sie wurden alle von der deutschen Reichsbank übernommen. Dazu kam dann noch das Vermögen der Juden in Österreich, das im Jahr 1938 auf ca. zehn Millionen Reichsmark geschätzt wurde. Ihre Geschäfte wurden geplündert, dreißig Tempel beschlagnahmt, 25 Synagogen und 67 Beträume gingen in Flammen auf. Den Klöstern wurde jede schulische Tätigkeit untersagt, ihr Vermögen zum großen Teil be-

81 Eine Analyse dieser Aussagen im weiteren Kontext der gesamten Szene und des gezeigten Filmmaterials folgt in Kapitel 3.4.2.

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schlagnahmt und Klosterfrauen wurden nur in Spitälern und Lazaretten geduldet.“ (ZgadN TC 19.57-20.43)

Im Bild ist hier vor allem der Sprecher Hans Thimig, der teilweise in die Kamera schaut, teilweise Zahlen abliest („zehn Millionen Reichsmark“, „dreißig Tempel“). Während des Halbsatzes „25 Synagogen und 67 Beträume gingen in Flammen auf“ werden zwei Fotografien zerstörter Gebäude eingeblendet, danach ist wieder Thimig zu sehen. Der Raub von jüdischem Vermögen wird hier dem österreichischen, das in das deutsche eingegliedert wurde, hinzugefügt. Ausgelassen werden in dieser Parallelisierung nicht nur die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen (Übernahme staatlichen Vermögens versus Entzug privaten Besitzes in einem Verfolgungszusammenhang) sondern auch die großen Differenzen in den Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die ökonomischen Verhältnisse verschiedener Staaten und gesellschaftlicher Gruppen. Während die Rückstellungen jüdischen Vermögens nach 1945 in Österreich sehr zögerlich anund abliefen82, charakterisiert Fritz Weber die Entwicklung der österreichischen Industrie während der NS-Zeit als „abhängige Modernisierung“83: vor allem die kriegswichtigen Industriezweige hätten floriert. Weber pflichtet Norbert Schausbergers Einschätzung bei: „‚Die in einem modernen Krieg unvermeidliche Vergrößerung des Wirtschaftspotenzials bewirkte, dass das befreite Österreich seine Industrie auf erweiterter Basis wieder aufbauen bzw. ausbauen und so seine wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit stützen konnte.‘“84 Auch Florian Freund und Bertrand Perz konstatieren eine durch das nationalsozialistische Zwangsarbeitssystem bedingte Industrialisierung Österreichs, die maßgebend für den „wirtschaftliche[n] Boom der Nachkriegszeit“85 gewesen sei. Statt Österreicher_innen unter anderem als Profiteur_innen der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden zu nennen, wird in dieser Sequenz Nationalsozialismus als Verlustgeschäft für Österreicher_innen präsentiert; und dies umso mehr, als das in der Sequenz dem österreichischen „verlorenen“ Vermögen hinzuaddierte jüdische Vermögen die Quantität des vorgeblichen finanziellen Verlustes Österreichs vergrößert und die Qualität der Opfer-Position verstärkt. Während der Verlust jüdischen Vermögens hier gleichsam auch als Verlust österreichischen

82 Vgl. Bailer-Galanda 2000. 83 Weber 2000: 335. 84 Norbert Schausberger (1970), zitiert nach Weber 2000: 343. 85 Freund/Perz 2000: 684.

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Vermögens präsentiert wird, wird das Vermögen jüdischer Österreicher_innen dennoch getrennt von dem nichtjüdischer Österreicher_innen genannt.86 Die Parallelisierung der Verfolgung von Juden und Jüdinnen und Maßnahmen gegen die katholische Kirche tritt hier ein weiteres Mal auf. Sie erlaubt es, die zum großen Teil katholische Bevölkerung Österreichs ebenfalls als Opfer zu setzen, ignoriert die mit dem Nationalsozialismus kooperierenden Teile der katholischen Kirche und trivialisiert antisemitische Verfolgung.87 3.2.3 Ent-Akteurisierung In den oben genannten Beispielen deutet sich ein weiteres Element des Sprechens über Nationalsozialismus an: Taten, Verbrechen oder Handlungen werden geschildert, ohne konkrete Akteur_innen zu nennen. Dies geschieht oft unter Rückgriff auf grammatikalische Passivkonstruktionen, wie zum Beispiel im bereits angeführten Zitat: „Ihre Geschäfte [die von Juden und Jüdinnen, Anm. rw] wurden geplündert, dreißig Tempel beschlagnahmt, 25 Synagogen und 67 Beträume gingen in Flammen auf.“ (ZgadN TC 20.21-20.31)

Durch das Nicht-Benennen von Akteur_innen wird eine Situation gezeichnet, in der es nur von Handlungen Betroffene, aber keine Handelnden gibt.88 Die Beteiligungen und der Profit von Teilen der österreichischen Bevölkerung an Plünderungen (und den hier nicht genannten Arisierungen) werden so ausgespart. Wie Hans Safrian und Hans Witek gezeigt haben, war die Situation in Wien im März

86 Das verweist auch auf ein komplexes System von Zugehörigkeiten und Ausschlüssen von Jüdinnen und Juden aus der österreichischen Nachkriegsgesellschaft, das Ruth Beckermann folgendermaßen charakterisiert: „In Österreich durften die Juden, wenn sie brav und still waren, vielleicht wieder leben – allerdings, wie Bundeskanzler Figl betonte, als Österreicher, nicht als Juden. Ihr Sonderschicksal unter dem Naziregime wurde ihnen nachträglich abgesprochen.“ Beckermann 1989: 65. 87 Siehe auch Kapitel 3.3.1. 88 Die gleiche Strategie beschrieben Susanne Eybl und Elke Renner anhand der Serie Österreich II (Hugo Portisch/Sepp Riff, A 1982-1986): „Passivkonstruktionen stellen als Geschehnis dar, was in Wirklichkeit von handelnden Menschen vollzogen wurde“; das führe dazu, dass es „keine Täter, nur Opfer“ gebe. Eybl/Renner 1989: 35.

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1938 dagegen eher eine, in der österreichische Akteur_innen eine zentrale Rolle bei den antisemitischen Verfolgungen und Plünderungen spielten.89 3.2.4 Personalisierung Eine weitere Strategie der Auslagerung von Handlungsfähigkeit ist die Personalisierung als rhetorische Methode der Personifizierung von Systemen in einzelnen Menschen. Das nationalsozialistische System wird in einem Großteil der Sendungen in Adolf Hitler personifiziert, womit die Sendungen auch einer Selbstrepräsentation des NS-Regimes folgen. Der zweite Mann, der in den Sendungen für das nationalsozialistische System steht, ist Joseph Goebbels (ZgadN, RdÜ, 27A). Die Dimension der Personalisierung Goebbels’ zeigt sich unter anderem daran, dass der Journalist und Mitbegründer des VdU Viktor Reimann in einer Diskussionssendung 1970 von der „Goebbelszeit“ spricht (GuvG TC 27.44). Der Figur Joseph Goebbels kommt in den Dokumentationen eine entlastende Funktion zu, die auf seiner Rolle als Propagandaminister beruht. So wird Goebbels dort herangezogen, wo es gilt, die Zustimmung von weiten Teilen der Bevölkerung zum nationalsozialistischen Regime zu erklären.90 Evoziert wird so ein Bild einer durch Propaganda verführten Bevölkerung. Eine personalisierende Geschichtsschreibung dominiert in den Sendungen auch dort, wo die politischen Prozesse, die zum „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich führten, beschrieben werden. Die Dokumentation Die Iden des März, die die Geschichte der ersten Republik als „Tragödie“ bezeichnet91, setzt als Protagonisten der letzten Jahre dieser „Tragödie“ Kurt Schuschnigg, der als einsamer Kämpfer dargestellt wird:

89 Safrian und Witek beschreiben die Situation folgendermaßen: „Manche Exzesse der Wiener Antisemiten gingen der Führung etwas zu weit, sie versuchte – meist halbherzig und sehr mild – die Ausbrüche zu bremsen und zu kanalisieren, bzw. für ihre eigenen Zwecke organisiert und gezielt einzusetzen. Virulent wurden die Differenzen, als es um die Aneignung der Besitztümer von Wiener Juden ging. Die Plünderungen auf eigene Faust, die Räubereien und das in-die-eigene-Tasche-Wirtschaften von selbsternannten ‚kommissarischen Verwaltern‘ der Geschäfte und Firmen von Juden, damals ‚wilde Kommissare’ genannt, nahmen in Wien ein solches Ausmaß an, daß die NSund Staatsführer um ihren Anteil an der Beute zu fürchten begannen.“ Safrian/Witek 1988: 15. 90 Siehe auch Kapitel 3.4.3. 91 „Am Anfang der Tragödie steht das Jahr 1918.“ (IdM TC 04.30-04.35)

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„So fährt der von aller Welt verlassene Schuschnigg am 12. Februar 1938 zu Hitler auf den Berghof nach Berchtesgaden, in der Hoffnung, durch neue Zugeständnisse wenigstens eine Atempause zu erkaufen, bis sich die Weltlage geändert hat. Doch Hitler ist nicht gewillt, auf Österreich zu verzichten. Unter deutschem Druck muss Schuschnigg jetzt seine Regierung umbilden und sogenannte betont Nationale aufnehmen.“ (IdM TC 24.15-24.38)

Die Dramatik der Situation wird unterstrichen durch rasch nacheinander eingeblendete Fotos des Berghofs, in die schnell hineingezoomt wird, und durch das Ertönen der Anfangstakte der Fünften Symphonie von Beethoven – der „Schicksalssymphonie“.92 Schuschnigg scheint durch „deutschen Druck“ gezwungen, andere Handlungsmöglichkeiten sind nicht in Sicht. Zweite handelnde Person ist in Die Iden des März der Bundespräsident Wilhelm Miklas.93 Auch er wird als widerständig dargestellt, auch er muss sich letztlich dem Druck von außen beugen: „Um Mitternacht schließlich gibt Miklas, auch von Schuschnigg und Guido Schmidt dazu gedrängt, seinen Widerstand auf. Er ernennt Seyß-Inquart zum Kanzler einer nationalsozialistischen Regierung.“ (IdM TC 55.54-55.58)

Im Sinne einer personalisierenden Politikgeschichtsschreibung, die Geschichte als Folge des Handelns einzelner (meist männlicher) Politiker_innen begreift, werden Kurt Schuschnigg und auch Wilhelm Miklas als letztlich nicht erfolgreiche, aber doch bemühte Retter Österreichs gezeichnet – eine Erzählung, der Ausblendungen des diktatorischen und faschistischen Charakters des vorhergehenden Regimes eingeschrieben sind, und der oft ein Verweis auf das Ausland hinzugefügt wird, das nicht eingegriffen hätte. Vor allem in den Sendungen von Hellmut Andics steht die oben beschriebene Charakterisierung der Politiker Schuschnigg und Miklas oft in Zusammenhang mit einer sinngemäßen Definition des austrofaschistischen Regimes als Widerstand gegen den Nationalsozialismus (was eine zeitgenössische geschichtspolitische Argumentation der ÖVP darstellte).94 In Die Republik der Überzeugten (1965) zum Beispiel folgt auf eine Schilderung der Ermordung Engelbert Dollfuß’ durch österreichische Nationalsozialisten und der Niederschlagung des Putsches der Kommentartext: Sprecher 1: „Aber mit Maschinengewehren und mit der Polizei allein und auch mit dem ganzen Bundesheer ist auf die Dauer ein Staat nicht zu regieren.“ 92 Zur Dominanz dieses Musikstücks in den Dokumentationen siehe Kapitel 3.6.3. 93 Amtszeit: 1928-1938. 94 Manoschek 1995: 51.

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Sprecher 2: „Der neue Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg muss schon sehr bald diese Erfahrung machen. Vier Jahre lang kämpft er auf immer schmäler werdender Plattform gegen den Nationalsozialismus.“ Sprecher 1: „Vergeblich.“ (RdÜ TC 11.43-12.13)

Hier wird implizit behauptet, dass die diktatorische und autoritäre Regierungsform des Austrofaschismus eine notwendige Maßnahme gegen den aufstrebenden Nationalsozialismus gewesen sei. Auch in der „mit Unterstützung der österreichischen Bundesregierung“ (1968 eine ÖVP-Alleinregierung) hergestellten Sendung 50 Jahre unserer Republik dominiert eine Darstellung des Austrofaschismus als Widerstand gegen den Nationalsozialismus.95 Der Antisemitismus des austrofaschistischen Regimes kommt nicht zur Sprache96, wohl aber dessen autoritäre Elemente. Die Verantwortung für diese Elemente werden in der Sendung jedoch nicht Dollfuß oder Schuschnigg oder Miklas zugeschrieben, sondern allein Emil Fey, der als „der wahre starke Mann“ und „fanatischer Hasser der Linken, der den immer noch zögernden Kanzler zur gewaltsamen Endlösung [sic] drängt“ (50JuR TC 42.07 bzw. 42.15-42.22) beschrieben wird. Hier werden mit Hilfe einer Personifizierung des Autoritären in der Person von Emil Fey die für die Nachkriegs-ÖVP nach wie vor positiven Identifikationsfiguren Kurt Schuschnigg, Wilhelm Miklas und Engelbert Dollfuß entlastet. 3.2.5 Harmonisierung (durch) Patriotisierung Konflikte werden in der Narration häufig durch einen Bezug auf Konstruktionen von „Österreich“ und „österreichisch“ harmonisiert. Anhand dreier SchlussSequenzen (1962, 1965 und 1968) möchte ich im Folgenden Strategien dieser Patriotisierung erläutern. Die letzten Sätze der Schulfernsehsendung Zeitgeschichte aus der Nähe, begleitet von Aufnahmen von Karl Renner, Leopold Figl und Abgeordneten im Parlament, die abgelöst werden von Hans Thimig, der seine Zuschauer_innen direkt adressiert, lauten: „Die Männer der österreichischen Parteien, die noch im Jahre 1934 in einem Bürgerkrieg einander gegenüberstanden, hatten in den Kerkern und Konzentrationslagern des Dritten Reiches zueinander gefunden. Vor ihnen stand die große Aufgabe, Österreich wieder aufzubauen. Deshalb entschlossen sie sich, zusammenzuarbeiten und gemeinsam die Verant-

95 Siehe z.B. 50JuR TC 20.58-21.23. 96 Zu Antisemitismus im Austrofaschismus siehe Staudinger 2005: 44-46; Königseder 2005; Rabinovici 2008: 76f.

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wortung für Österreich zu tragen. Aus Schutt, Asche und Trümmern entstand wieder unser Österreich.“ (ZgadN TC 52.21-53.09)

Es folgen Musik97, das Bild einer wehenden Österreichfahne und der Abspann. Die Patriotisierung als Harmonisierung der Konfliktgeschichte der Ersten Republik, der Februarkämpfe und des Austrofaschismus erfolgt hier unter Bezug auf den Nationalsozialismus. Das angeführte Zitat verweist auf eine weitere geschichtspolitische Auswirkung der Externalisierung des Nationalsozialismus (neben der Auslagerung von Verantwortung). Als ein gemeinsames Außen wird der Nationalsozialismus zum Bezugspunkt innerösterreichischer Harmonie und großkoalitionärer Machtverhältnisse. In dieser Geschichtserzählung kommt den Konzentrationslagern eine spezifische Funktion zu, die an eine von Oliver Marchart für sozialpartnerschaftliche Narrative der Nachkriegszeit formulierte These anknüpfen lässt: „Scheint für die BRD unter anderem das Konzentrationslager – und hier vor allem der Name ‚Auschwitz‘ – der mythische Ort einer negativen Gründung des Gemeinwesens zu sein, so wird es in einem der dominanten österreichischen Gründungsmythen, nämlich dem Mythos vom ‚Handschlag auf der Lagerstraße‘, zum Ort der Versöhnung und zum stabilisierenden Prinzip künftiger sozialpartnerschaftlicher Zusammenarbeit.“98

Einen „Ort der Versöhnung“ stellen Konzentrationslager auch in der zitierten Passage aus der Sendung Zeitgeschichte aus der Nähe dar. Möglich wird diese geschichtspolitische Funktionalisierung der Konzentrationslager unter anderem durch die oben beschriebene Nicht-Benennung antisemitischer Verfolgung in Form der Subsumierung jüdischer Verfolgter und Ermordeter in ein österreichisches Opferkollektiv. Die Konzentrationslager werden zum Schauplatz einer männlich konnotierten patriotischen Harmonisierungs- und Wiederaufbauerzählung. In Die Republik der Überzeugten stehen die Schlusssätze (wie auch der Beginn der Sendung) im Zeichen der Affäre Borodajkewycz. Mit dem Satz „Das wollen wir nicht, denn das hat schon einmal ins Unglück geführt.“ (RdÜ 47.5248.12) und Aufnahmen von Borodajkewycz-Demonstrationen, gegengeschnitten mit einer Aufnahme von KZ-Überlebenden im Mai 1945 vor einem Krematori-

97 Eine Sequenz aus dem „Heldenleben“ von Richard Strauss („Des Helden Walstatt“). Für diesen Hinweis danke ich Wolfgang Fuhrmann. 98 Marchart 2005: 38.

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umsofen in Dachau99, wird die narrative Verbindung zwischen Geschichtserzählung und Gegenwart hergestellt. Illustriert mit Filmaufnahmen von Stiefeln, die den „Anschluss“ symbolisieren100, Aufnahmen zerstörter Gebäude in Wien 1945 und Bildern der Staatsvertragsunterzeichnung 1955 schließen die Sprecher mit den Sätzen: Sprecher 1: „Solche Stiefel wollen wir nicht mehr über unsere Straßen marschieren sehen und all das wollen wir nie wieder erleben.“ Sprecher 2: „Denn diesen Tag vor zehn Jahren haben wir teuer genug bezahlt. Und den Staat, in dem wir leben, wollen wir uns nicht noch einmal zerstören lassen.“ Sprecher 1: „Nach zehn Jahren Befreiung wurden wir endlich auch von den Befreiern befreit. Machen wir uns nichts vor. Wir konnten nur sehr wenig dazu tun, dass die Vier im Jeep endlich abzogen.“ Sprecher 2: „Aber: Wir sind entschlossen, alles zu tun, um die Freiheit des Staates, von dem wir überzeugt sind, nicht noch einmal zu verlieren.“ (RdÜ TC 48.12-49.09)

Im Vergleich zu Zeitgeschichte aus der Nähe ist hier das hervorgehobene und funktionalisierte Datum nicht die Befreiung 1945, sondern die Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955. Einer durchaus antifaschistischen Argumentation (gegen Borodajkewycz, gegen Nationalsozialismus) werden so Elemente hinzugefügt, die diese breiter konsensfähig machen. Durch die Narration wird implizit nahegelegt, dass die den Nationalsozialismus symbolisierenden Stiefel auch deswegen abzulehnen seien, weil sie erstens alliierte Bomben und zweitens zehn Jahre alliierte Verwaltung nach sich zogen. Die vorerst noch antifaschistische Legitimation des patriotisierenden Appells an ein „Wir“ wird überführt in eine Logik, nach der bestimmte Handlungen nicht allein aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Ideologie, sondern aufgrund der aus ihnen folgenden Konsequenzen abzulehnen seien. Die Rede davon, dass „wir“ „von den Befreiern befreit“ werden mussten, konnte auch für (ehemalige) Nationalsozialist_innen ein Angebot in Sachen Österreichpatriotismus sein.101 Die im abschließenden Satz verwende99

Siehe

die

Online-Bilddatenbank

der

Stiftung

Preußischer

Kulturbesitz

http://bpkgate.picturemaxx.com, Bild Nr. 30011689. (Stand: 15.6.2013) 100 Dieselben Aufnahmen werden auch in ZgadN und DöW eingesetzt. Ähnliche Stiefel, die über ein stilisiertes Österreich marschieren, befinden sich auf der ersten Schautafel der 1978 errichteten Österreich-Ausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz. 101 Johanna Gehmacher beschreibt eine ähnliche Argumentation in dem ÖVP-nahen Jubiläums-Band Zwanzig Jahre Zweite Republik. Österreich findet zu sich selbst (1965), in dem die Rede von einer „den Alliierten gegenüberstehende[n] ‚geschlos-

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te Formulierung vom „Staat, von dem wir überzeugt sind“ bezieht sich auf die von Andics selbst geprägte – und in der Sendung wiederholt geäußerte – Bezeichnung der Ersten Republik als „Staat, den keiner wollte“.102 Konflikte der Zwischenkriegszeit werden damit angedeutet, die Lösung liegt im gemeinsamen patriotischen Projekt der Zweiten Republik. „Überzeugt“ hat die Geschichte, wie der Sprecher zehn Minuten davor erläutert: „Heute vor 20 Jahren: Karl Renner, einst Kanzler des Staates, den keiner wollte, wird am 27. April 1945 zum Begründer der Zweiten Republik. Eine Republik von Bürgern, die ein tragisches Vierteljahrhundert überzeugt hatte.“ (RdÜ TC 36.02-36.21) In der Analyse der Rede Bruno Kreiskys anlässlich der Staatsvertragsfeiern 1965 stellt Johanna Gehmacher eine Veränderung des „strategische[n] Einsatz[es] der Bezugnahme auf Vergangenes“ fest: „Geschichte als Menetekel, nicht als Fundament.“103 Unter Bezug auf die (in den Publikationen der Großparteien nicht thematisierten) Konflikte der Ersten Republik argumentiere Kreisky, dass eine „Lehre aus der Geschichte“ 104 zu ziehen sei, die ein „Bekenntnis zu Österreich“105 umfasse, so Gehmacher. Das „Lernen aus der Geschichte“ wird schließlich in dem zum Republiksjubiläum am 12. November 1968 hergestellten Dokumentarfilm 50 Jahre unserer Republik zum Hauptthema der Schlusssequenz: „Aus den entsetzlichen Lehren der Vergangenheit wuchs in 50 Jahren die Erkenntnis: Nie wieder Hass und nie wieder Gewalt. Die Schatten der Vergangenheit waren stärker als alle Gegensätze, die der Alltag uns bringen konnte, auch wenn sie mitunter unüberbrückbar schienen. Das ‚Nie wieder!‘ hielt 21 Jahre lang die Koalition zusammen. Sie zerbrach schließlich im Streit der Meinungen, aber nicht im Kampf der einen Hälfte des Volkes gegen die andere. Und gemeinsam blieben, als sich die großen Parteien 1966 in Opposition und Regierung trennten, die Republik und ihre Verfassung. Denn wenn irgendein Volk

sene[n] Front österreichischer Demokraten‘ […] als eine integrative Formel der beiden großen politischen Integrationsmilieus unter Einschluss der ehemaligen NationalsozialistInnen interpretiert werden“ könne. (Gehmacher 2007a: 137) 102 So lautet der Titel der von Hellmut Andics zuerst in der österreichischen Tageszeitung Die Presse und 1962 als Buch publizierten Abhandlungen über die Geschichte der Ersten Republik (Andics 1962). Zur Durchsetzung der mit dieser Formulierung verbundenen geschichtspolitischen Einschätzung der Ersten Republik siehe Reisacher 2010; zur zeitgenössischen Rezeption von Andics insbesondere 194-198. 103 Gehmacher 2007a: 139. 104 Gehmacher 2007a: 138. 105 Gehmacher 2007a: 139.

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dieser Erde jemals Grund hatte, aus seiner Geschichte zu lernen, dann ist es das österreichische.“ (50JuR TC 01.29.38-01.30.28)

Die während dieser Sequenz schnell hintereinander montierten Fotografien und Filmaufnahmen erzählen eine Geschichte von der Ausrufung der Republik über den Justizpalastbrand, bewaffnete Kämpfe zwischen Heimwehren und Schutzbund, Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg, Adolf Hitler und die jubelnde Bevölkerung, Bomben und den 27. April 1945 vor dem Parlament bis zur Übertragung der Wahlergebnisse 1966 im Fernsehen, gefolgt von Aufnahmen von Josef Klaus und einer Österreich-Fahne. Das konkrete „Entsetzliche“ bzw. die „Schatten der Vergangenheit“ werden nicht benannt; es werden aber mögliche Bedeutungen durch die verwendeten Fotografien und Filmaufnahmen nahegelegt. Hier zeigt sich auch etwas, das Martin Reisacher, der die Feierlichkeiten zu den Jubiläen der Republiksgründung am 12. November 1918 in den Jahren 1948, 1958 und 1968 untersuchte, herausgearbeitet hat. Laut Reisacher erreichten die staatlichen Feierlichkeiten unter der ÖVP-Alleinregierung 1968 die vergleichsweise breiteste Öffentlichkeit106, sie bildeten allerdings gleichzeitig den konsensualen Ausgangspunkt für eine negative Konnotation der Ersten Republik, womit ein Bedeutungsverlust des Gedächtnisortes 12. November eingeleitet wurde.107 Diese Negativbewertung artikulierte sich, so Reisacher, im Topos vom „Staat, den keiner wollte“.108 Auch in 50 Jahre unserer Republik finden sich keine positiven Bezugnahmen auf die Erste Republik. Der Sprecher spricht von der „Tragödie der Ersten Republik“ (50JuR TC 29.16)109; als positives Gegenbeispiel dient die Zweite Republik. Österreichischer Patriotismus, der in der Ersten Republik fehlte und während des Nationalsozialismus erlernt wurde, sollte in der Zweiten Republik den über politischen Gegensätzen stehenden gemeinsamen Konsens bilden, so die Aussage. Die Rede vom „Lernen aus der Geschichte“ richtet sich auch nach außen. So kann eine Funktion der auch als außenpolitische Selbstdarstellung verwendeten Sendung110 darin liegen zu beweisen, dass „Österreich“ „etwas gelernt hat“.

106 Reisacher 2010: 157-160. 107 Reisacher 2010: 187f. 108 Reisacher 2010: 194ff. 109 Auch schon in Die Iden des März formuliert der Voice-Over-Kommentar: „Am Anfang der Tragödie steht das Jahr 1918.“ (IdM TC 04.30-04.35). 110 Siehe Kapitel 2.7.6: „Die österreichische Bundesregierung“ sollte „eine Anzahl Kopien von dieser Sendung für die österreichische Auslandsvertretung“ erhalten, Kurier 9.11.1968: 23.

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Die Funktion der Patriotisierung als Harmonisierung politischer Gegensätze ist nicht zuletzt auch bei Darstellungen des Widerstandes feststellbar. So wird in allen untersuchten Sendungen Widerstand patriotisiert. Das führt dazu, dass differente Beweggründe und politische Zielsetzungen, unterschiedliche Betroffenheiten und Verfolgungssituationen der Widerstand Leistenden homogenisiert werden. Als einziges zu erreichendes Ziel wird die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs dargestellt.111 Andere politische Ziele, alternative Gesellschaftsentwürfe, für die gekämpft wurde, bleiben ebenso unerwähnt wie konkrete Verbrechen des Nationalsozialismus. So sind auch Darstellungen des Widerstandes in den untersuchten Sendungen geprägt von der Tendenz, als folgenschwerste Konsequenz des Nationalsozialismus den Verlust der Unabhängigkeit Österreichs zu werten.112

3.3 ARCHIVFOTOS . E TABLIERUNG EINES B ILDREPERTOIRES . AUSWAHL , B ENENNUNG , K ADRIERUNG Abgefilmte Fotografien sind integraler Bestandteil des verwendeten Bildmaterials. Häufig fungieren sie in den Sendungen als Illustration der verbalen Narration oder sollen eine weitere Informationsebene bilden; zum Beispiel, wenn Porträtfotografien von im Sprechtext genannten Personen eingeblendet werden. Auch werden bestimmte historische Ereignisse, von denen keine Filmaufnahmen verfügbar sind, mit Fotografien visualisiert, wie etwa die öffentliche Hinrichtung von Karl Biedermann, Alfred Huth und Rudolf Raschke am 8. April 1945. Mit der Auswahl und wiederholten Verwendung bestimmter Fotografien nimmt das Fernsehen an einem Prozess der Etablierung eines Bildrepertoires des visuellen

111 Dass diese Strategie auch Teil der Sendung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes ist, werte ich als Versuch der Einschreibung der in der Sendung Sprechenden in einen dominanten Diskurs. Siehe auch Kapitel 3.5. 112 Das deutet sich zum Beispiel in folgendem Zitat aus Die Iden des März an: „Der Einmarsch findet statt, um Österreichs Unabhängigkeit auszulöschen. Noch am Abend des 11. März mag Seyß-Inquart wirklich gehofft haben, die österreichische Selbständigkeit zu retten, wenn das Land nur eine nationalsozialistische Regierung bekäme. Er und viele andere Nationalsozialisten mussten sehr schnell einsehen, dass es Hitler nicht um den Nationalsozialismus, sondern um die Besetzung Österreichs ging, um die totale Gleichschaltung als Ausgangsbasis für viel weiter reichende Eroberungspläne.“ (IdM TC 56.08-56.42)

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Gedächtnisses an den Nationalsozialismus teil, wie er für Deutschland anhand von Ausstellungen, Bildbänden und Printmedien beispielsweise von Cornelia Brink und Habbo Knoch113 beschrieben worden ist. Es ist anzunehmen, dass bei der Auswahl der Fotografien zu einem großen Teil auf bereits veröffentlichte Fotografien – insbesondere aus historischen Bildbänden wie Der gelbe Stern114 – zurückgegriffen wurde. Zu einem kleineren Teil – und tendenziell erst in den späteren Sendungen des Untersuchungszeitraumes – stammen die verwendeten Fotografien aus den im Aufbau begriffenen Bildarchiven, wie jenem des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes und später dem des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien. In jedem Fall beruht die Auswahl auf einer Vorauswahl. Obwohl sich der ORF der Reproduktion der von Cornelia Brink als „Ikonen der Vernichtung“115 beschriebenen Fotografien nicht gänzlich entzieht (siehe unten), sind es doch zum Großteil andere Bilder als die von Brink und Knoch beschriebenen, die mehrfach verwendet und sinnstiftend eingesetzt werden. Das erklärt sich zum einen aus dem Versuch, Fotografien aus einem österreichischen Kontext auszuwählen. Zum anderen sind Auswahl und Verwendung der Bilder vor dem Hintergrund spezifischer geschichtspolitischer Strategien im Österreich der 1960er Jahre zu betrachten: So artikulieren sich im Wie des Einsatzes der Fotografien auch geschichtspolitische Funktionen, wie ich sie oben anhand der verbalen Narration analysiert habe. Da beim Verwenden von Fotografien im Fernsehen (in einer anderen Art als beim Schreiben eines Kommentartextes) auf Vorhandenes zurückgegriffen werden muss, lässt sich in der Analyse das Ausgeblendete deutlicher rekonstruieren. Eine dem Abfilmen von Fotografien ähnliche und hier nicht eigens untersuchte Darstellungsmethode des frühen Geschichtsfernsehens ist das Abfilmen von Dokumenten oder auch Textpassagen in Büchern. Dieses ästhetische Mittel, das darauf verweist, dass das frühe Fernsehen seine Autorität noch über andere und ihm vorausgehende Medien (hier das geschriebene Wort) absicherte, wurde bis zum Ende des Jahrzehnts mehr und mehr zurückgedrängt. Hier ebenfalls nicht untersucht wurde der Einsatz von Farbe, da alle hier analysierten Geschichtsdokumentationen in schwarz-weiß gedreht, ausgestrahlt und archiviert wurden. Festzuhalten bleibt jedoch, dass der Farbe schon bei ihrem Einzug ins Bildungsfernsehen ein Authentizitätsversprechen anhing.116 113 Brink 1998, Knoch 2001. 114 Schoenberner 1960. 115 Brink 1998. 116 So schrieb der Regisseur Otto Kamm 1969, im Jahr der Einführung der Farbe im ORF „Über den didaktischen Wert der Farbe“: „Farbfernsehzuschauer fühlen sich erfahrungsgemäß näher an das Geschehen herangerückt, denn die Farbe vermittelt

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3.3.1 Parallelisierung der Verfolgung von Jüdinnen/Juden und Katholik_innen Die in der verbalen Narration auftretende Figur der Parallelisierung der Verfolgung von Jüdinnen und Juden und Katholik_innen findet ihre visuelle Entsprechung in der mehrfach verwendeten Fotografie einer nationalsozialistischen Demonstration im Oktober 1938 in Wien117: Abbildung 1

Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.

Die Fotografie, die erstmals auf der Titelseite des Kleinen Blattes am 14.10.1938118 erschien, wird in Zeitgeschichte aus der Nähe, Der österreichische

größere Realität und Authentizität. Das Farbfernsehen erscheint dem Betrachter realistischer, weil es der Wirklichkeit mehr entspricht.“ (Telespiegel 25/1969: 22.) Interessanterweise oszilliert diese Formulierung zwischen der Behauptung, dass Farbfernsehen der Wirklichkeit mehr entspräche und der Feststellung, dass dadurch größere Authentizität vermittelt würde, also zwischen einer affirmativen Behauptung der Authentizität und der Beschreibung ihrer medialen Herstellung. 117 Laut Angaben im Fotoarchiv des DÖW zu Foto Nr. 2544. 118 Im Kleinen Blatt steht die Fotografie im Kontext der nationalsozialistischen antiklerikalen Demonstration am 13.10.1938 am Wiener Heldenplatz und der dort gehaltenen Rede Josef Bürckels. Die Bildunterschrift und der begleitende Artikel auf Seite 2 deuten darauf hin, dass das Foto auf der Wienzeile aufgenommen wurde und einen Demonstrationszug auf dem Weg zum Heldenplatz zeigt. (Das Kleine Blatt, 14.10.1938: 1f.) Die Fotografie lässt sich weder im Fotoarchiv des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung (E-Mail von Regina Wonisch an die Verfasserin,

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Widerstand und Die Republik der Überzeugten eingesetzt. In Zeitgeschichte aus der Nähe erscheint sie im Zuge der Beschreibung des politischen Aufstiegs Adolf Hitlers in den 1920er Jahren in Deutschland: „Hitler verkündete sein Programm, das sich gegen alles richtete, was damals Geltung hatte. Gegen die Friedensverträge und die Kriegsgegner von 1914, gegen die Reparationen, gegen den Völkerbund und die Völkerverständigung, gegen die Demokratie und die politischen Parteien, gegen die Kirche und die herrschende Gesellschaftsordnung. Vor allem aber gegen die Juden, denen Hitler die Schuld am Niedergang des Deutschen Reiches zuschob.“ (ZgadN TC 11.36-12.07)

Am Beginn dieses vom Off-Kommentar vorgetragenen Sprechtextes sehen wir eine Fotografie Adolf Hitlers vor Hakenkreuzfahnen und Männern in Uniform, dann eine Filmaufnahme zweier Personen, die auf den Boden gefallene Hakenkreuze aufheben; darauf folgend eine Filmaufnahme eines Lastkraftwagens mit offener Ladefläche, auf der etwa fünfzehn Männer mit zum Hitlergruß erhobenem rechten Arm stehen und großteils in Richtung Kamera blicken. Ab der Textstelle „gegen die Kirche“ wird die oben abgebildete Fotografie abgefilmt; zunächst entspricht der Bildausschnitt in etwa den Begrenzungen der Fotografie, die Kamera schwenkt schließlich über die beiden Transparente. Im Kontext der Narration können die Transparente als deutsche Positionen gelesen werden: Es erfolgt keinerlei Hinweis darauf, dass es sich um eine Demonstration in Wien handelt. Lediglich der im Transparent genannte damalige Wiener Erzbischof Theodor Innitzer (1875-1955) stellt einen Bezug zu Österreich dar. Eine weitere Lesart bietet sich durch die in der Fotografie stattfindende Verbindung von katholischer Kirche und jüdischer Bevölkerung an. Wird der Antisemitismus des Parteiprogramms der NSDAP im gesprochenen Text noch besonders betont, wird er auf der Bildebene mit einer Ablehnung der katholischen Kirche, symbolisiert durch einen betenden Priester und die namentliche Nennung von Theodor Innitzer, gleichgesetzt. Am Beispiel österreichischer Schulbücher für die 4. Klassen der Hauptschulen und AHS nach 1945 stellte Ulrike Kuzaj-Sefelin fest, dass in „den meisten Lehrwerken […] die Kirchen gemeinsam mit Juden und Jüdinnen als die Hauptopfer des NS-Regimes dargestellt“119 würden, was eine Ausblendung von christlichem Antisemitismus einerseits und von Kooperationen der Kirchen mit dem Nationalsozialismus andererseits impliziere.120 Die Gleich31.1.2012) noch im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek (E-Mail von Michaela Pfundner an die Verfasserin, 6.2.2012) auffinden. 119 Kuzaj-Sefelin 2002: 126. 120 Kuzaj-Sefelin 2002: 126.

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setzung kann nicht zuletzt auch als Relativierung der Ermordung von Jüdinnen und Juden verstanden werden. In der Sendung Der österreichische Widerstand wird die Fotografie in zwei Überleitungen verwendet, einmal zwischen den Redebeiträgen von Wilhelm Krell und Erika Weinzierl und ein zweites Mal zwischen jenen von Erika Weinzierl und Hermann Lein.121 Die Voice-Over-Kommentare während dieser Überleitungen lauten folgendermaßen: „Die Nationalsozialisten verfolgten selbstverständlich auch die Juden, die schon lange zum Christentum übergetreten waren, ihrer nahm sich die katholische Kirche in der so genannten Bichlmair-Aktion an. Frau Universitätsdozent Dr. Weinzierl wird uns über diese Aktion berichten.“ (DöW TC 11.30-11.50) „Im Übrigen suchte die katholische Kirche zuerst eine Verständigung mit den neuen Machthabern, um zu retten, was noch zu retten war. Man musste freilich bald erkennen, dass mit den Nationalsozialisten kein Bündnis zu schließen war. Wir wollen auch hier 122

wieder einen Augenzeugen bitten, uns darüber zu berichten.“ (DöW TC 13.56-14.15)

Die Fotografie funktioniert somit sowohl als thematische Überleitung von antisemitischer Verfolgung zu einer Darstellung katholischen Widerstands als auch als referentieller Verweis auf antiklerikale nationalsozialistische Aktionen im Oktober 1938 in Wien, von denen der als „Augenzeuge“ vorgestellte Hermann Lein auch berichtet. Beide von der Fotografie eingeleiteten Interviews beschäftigen sich mit der katholischen Kirche im Nationalsozialismus, ein weiteres Interview mit dem evangelischen Pfarrer Hans Rieger thematisiert die Inhaftierung und Hinrichtung des Priesters Roman Scholz. Somit wird die katholische Kirche gegenüber anderen thematisierten Gruppen (Militär, Juden/Jüdinnen, Frauen, Arbeiter_innen/Gewerkschaft) nicht nur quantitativ deutlich hervorgehoben, ihre Rolle wird auch differenzierter dargestellt. Mehrere Akteur_innen werden genannt, Katholik_innen erscheinen als aktiv handelnd, verfolgt und widerständig. Theodor Innitzer kommt sowohl im Kommentartext als auch auf der visuellen Ebene eine zentrale Position zu. Opportunistisches Verhalten der katholischen Kirche (bzw. spezifischer: das von Theodor Innitzer) gegenüber dem National121 Auch in der langjährigen Ausstellung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes Der Österreichische Freiheitskampf 1938-1945 (1978-2005) wurde die Fotografie der Demonstration zur Visualisierung des Themenbereichs „Verfolgung und Widerstand der Kirche“ eingesetzt. (Vgl. Larndorfer 2009: 148) 122 Hier wird während des ersten Satzes ein Gemälde von Theodor Innitzer gezeigt, um im nächsten Satz zur Fotografie der Demonstration 1938 zu wechseln. Zu Pater Georg Bichlmair siehe Kapitel 3.1.

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sozialismus wird in der oben zitierten Stelle angedeutet (DöW TC 13.5614.05)123, dabei aber – auch vermittels der visuellen Parallelisierung mit Juden und Jüdinnen – als Notwendigkeit argumentiert.124 In der Sendung Die Republik der Überzeugten tritt die Fotografie unmittelbar anschließend an die Thematisierung der Volksabstimmung vom 10. April 1938, die mit NS-Wochenschauaufnahmen visualisiert wird, auf: Sprecher 1: „Das ‚Ja‘ auf dem Stimmzettel schien die Fahrkarte in eine Zukunft des ewigen Wohlstandes und des Friedens. Aber so sah schon sehr bald die Wirklichkeit aus.“ (RdÜ TC 16.23-16.33)

Inhaltlich basiert diese Argumentation auf der Vorstellung einer manipulierten/verführten Bevölkerung125, die dem Anschluss an das Deutsche Reich nur deswegen zugestimmt hätte, weil ihr Informationen über dessen politische Ausrichtung vorenthalten wurden. Diese Argumentationsfigur der „getäuschten“ Bevölkerung ist ein – auch in Fernsehdokumentationen der folgenden Jahrzehnte – wiederkehrendes Erklärungsmuster, das hartnäckig die antisemitische und rassistische Propaganda des NS-Regimes ignoriert und impliziert, die politische Ausrichtung des Nationalsozialismus wäre ein gut gehütetes Geheimnis gewesen.126 123 Anzunehmen ist, dass hier auf die „Feierliche Erklärung“ vom März 1938 angespielt wird, in der österreichische Erzbischöfe und Bischöfe ihre Loyalität gegenüber dem NS-Regime bekundeten und eine „Ja“-Stimmempfehlung für die Volksabstimmung vom 10. April 1938 abgaben (Vgl. Sauer 2000: 164f.) und nicht auf antisemitische Tendenzen und Politiken der Kirche der Zwischenkriegszeit (Vgl. Staudinger 2000. Zu Innitzer insbesondere S. 279). 124 Die Interpretation des Handelns Innitzers als Versuch „zu retten, was noch zu retten war“ (DöW TC 14.03-14.05) ähnelt auch der nationalsozialistischen Interpretation, bis hin zu einer frappierend gleichen Wortwahl. So paraphrasiert der Völkische Beobachter am 13.10.1938 eine Rede des Gauredners Scholz: „Wenn Kardinal Innitzer sich im März als ‚schlechter Zweiter‘ dem Führer genähert habe, so zeige er jetzt, daß er nicht aus Überzeugung in den Jubel eines befreiten Volkes eingestimmt habe. Wahrscheinlich hatte er versucht, zu retten, was zu retten war.“ (Völkischer Beobachter, 13.10.1938: 1) 125 Siehe dazu Kapitel 3.4.3. 126 Die Argumentation findet sich z.B. in der 16. Folge von Österreich II (Hugo Portisch/Sepp Riff, ORF 1984), in der die ehemalige BDM-Funktionärin Ilse Ehrentraud beschreibt, sie sei „bitterböse, dass man uns betrogen hat“; oder auch in Menschen und Mächte: Der Zweite Weltkrieg, Folge 1: Heil Hitler, Herr Lehrer (Peter Liska, ORF 2010), in der der ehemalige Hitlerjunge Gerd Bacher seine Erfahrungen

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Die Fotografie der Demonstration ist hier in einer referentiellen Funktion – „so sah [...] die Wirklichkeit aus“ – eingesetzt und eröffnet eine Sequenz, die im nächsten Abschnitt analysiert werden soll. 3.3.2 Kadrierung 1: Infantilisierung und Universalisierung der Opfer In der direkt an den oben zitierten Ausschnitt anschließenden Sequenz aus Die Republik der Überzeugten werden verschiedene visuelle Hinweise auf die Ermordung von Juden und Jüdinnen eingewoben. Der dazugehörige OffKommentar lautet: Sprecher 2: „Da begannen nämlich die Dinge, die nicht alle gewollt hatten, die noch knapp zuvor unter den ‚Ja‘-Schreiern gewesen waren. Menschen wurden zu Sklaven degradiert.“ Sprecher 1: „Und für alle, die dagegen waren, öffneten sich die Tore der Konzentrationslager, und sie schlossen sich für Zehntausende bis zum Tod.“ Sprecher 2: „Aber dafür baute der Führer ja die Autobahn, nicht wahr!?“ Sprecher 1: „Aber nicht für alle Deutschen.“ Sprecher 2: „Und dann wurde gestorben. Millionenfach an allen Fronten.“ Sprecher 1: „Und in den Konzentrationslagern. Und am Galgen. Unter dem Fallbeil. Galt das ‚Ja‘ auch dafür? Sprecher 2 : „Und so erwachte schon sehr bald das Gefühl, dass das kleine Österreich von einst, das keiner so recht gewollt hatte, doch viel mehr gewesen sein könnte als nur ein Rest. Der Widerstand flammte auf.“ (RdÜ TC 16.33-17.35)

Die kontinuierlichen Sprecher- und Themenwechsel gehen mit einer visuellen Montage einher, die von verschiedenen Aufnahmen antisemitischer Verfolgungen zu Aufnahmen eines Brückenbaus wechselt, von einer Fotografie der USArmee anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald zu Wochenschau-Aufnahmen des Einmarsches deutscher Soldaten in Österreich und schließlich von Bombenexplosionen zu Fotografien von Überlebenden und Leichen in den befreiten Konzentrationslagern. Die Wirkung dieser Kontrastmontage wird durch den Einsatz von Musik verstärkt. Ab dem Satz „Und dann wurde

mit den Worten „Alles war eine Täuschung“ beschreibt. Parodistisch wurde diese Argumentation von der deutschen Satirezeitschrift Titanic aufgegriffen, die auf dem Cover der Ausgabe 7/2002 ein Portrait Adolf Hitlers mit der Schlagzeile „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“ veröffentlichte.

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gestorben…“ setzt heitere Marschmusik ein, die durch Bilder von Tod und Zerstörung konterkariert wird.127 Die verbale Narration enthält einige der bereits im vorigen Kapitel analysierten Elemente: Die Subsumierung beziehungsweise Nicht-Benennung der Ermordung von Juden und Jüdinnen, die gleichzeitige Nennung der vagen Zahl „Zehntausende“ (die sich auf ermordete österreichische Jüdinnen und Juden oder auf ausschließlich aus politischen Gründen verfolgte und ermordete Personen beziehen kann128), die Personalisierung des Regimes in der Person Adolf Hitlers und die Patriotisierung des Widerstandes. Der Sprechtext erfüllt eine legitimatorische Funktion, indem er von einer hohen Zustimmung zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich ausgeht, dann von Verfolgung und Tod erzählt und schließlich nahelegt, dass die zuvor vom Regime getäuschte Bevölkerung aufgrund der „Dinge, die nicht alle gewollt hatten“ zum Widerstand überwechselte. Als eines dieser „Dinge, die nicht alle gewollt hatten“ werden zwei Ausschnitte von Fotografien gezeigt, auf denen die spezifisch österreichischen Gewalt- und Erniedrigungsaktionen festgehalten sind, in denen Jüdinnen und Juden zum Abwaschen von (austrofaschistischen) Parolen im öffentlichen Raum gezwungen wurden. Dieser Verweis widerspricht der chronologischen Erzählung der verbalen Narration, da diese öffentlich sehr sichtbaren Aktionen129 schon im März 1938 stattgefunden haben – und damit vor der im Voice-Over-Kommentar angeführten Volksabstimmung. Als weiteres Beispiel für etwas, das „nicht alle gewollt hatten“, wird ein Ausschnitt eines sehr häufig reproduzierten Bildes wiedergegeben, das Susan Sontag als eines von jenen, die „zu Sinnbildern des Leidens geworden“130 sind, bezeichnet hat:

127 Zu diesem Einsatz der Musik siehe Kapitel 3.6.3. 128 Zu dieser Zahl zwei geschichtswissenschaftliche Einschätzungen der 1960er und 1970er Jahre: Der Historiker Jonny Moser spricht in seiner 1966 publizierten Studie von 65.459 in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordeten österreichischen Juden und Jüdinnen (Moser 1966: 52). Erika Weinzierl nennt 1975 dieselbe Zahl und spricht von 16.493 österreichischen Personen, die aus politischen Gründen verfolgt und in den Konzentrationslagern ermordet wurden (Weinzierl 1975: 180 bzw. 169). 129 Zu öffentlich sichtbarer aisemitischer Gewalt im März 1938 siehe z.B. die Beobachtungen des britischen Auslandskorrespondenten George Eric Rowe Gedye (Gedye 1947: 290-298; bzw. insbesondere 294f zum Straßen-Aufwaschen). Zu fotografischen Dokumenten und lebensgeschichtlichen Erinnerungen an das AnschlussPogrom siehe Hecht/Lappin/Raggam-Blesch/Rettl/Uhl 2008: 10-16. 130 Sontag 2005: 139.

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Abbildung 2: Markierung: Bildausschnitt in RdÜ TC 16.35-16.37

Quelle: Hirsch 2002: 205.

Marianne Hirsch spricht angesichts der Dominanz dieser Fotografie in visuellen Darstellungen des Holocaust von dem Jungen als „Vorzeige-Kind des Holocaust“131 und betont den oft nicht beachteten Herstellungskontext.132 Die Fotografie ist Teil des so genannten Stroop-Berichts, eines von dem für die Niederschlagung des Warschauer Ghetto-Aufstandes verantwortlichen SSStandartenführer Jürgen Stroop erstellten Berichts, der die Funktion hatte, den Fortschritt der gewaltsamen Auflösung des Warschauer Ghettos zu zeigen.133 Die Fotografie stellt laut Hirsch somit ein „Täter-Bild“ dar, das davon gekennzeichnet ist, dass die Kamera „den Blick des Täters [verkörpert], der vom gleichen Ort ausgeht wie die Waffen der Verhaftung und Hinrichtung“.134 Dieser

131 Hirsch 2002: 203. 132 Hirsch 2002: 204. 133 Hirsch 2002: 204. 134 Hirsch 2002: 209. Cornelia Brink betont, dass in einer der wichtigsten diese Fotografie popularisierenden Publikationen, dem Bildband Der gelbe Stern (1960), der Anspruch gestellt wurde, „mit den Aufnahmen der NS-Fotografen nicht gleichzeitig deren Blick auf die Opfer zu reproduzieren, im Gegenteil: Der ursprünglichen Botschaft diametral entgegengesetzt, waren die Fotos der Täter jetzt zu Beweisen gegen sie geworden“. (Brink 2003: 71)

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„Nazi-Blick“ werde jedoch in diesem Foto auch modifiziert, so Hirsch, „indem es zeigt, dass die Täter einzelne Soldaten sind, jeder mit seinem eigenen, individuellen Blick, motiviert durch Formen individuellen wie auch kollektiven Willens und Begehrens.“135 Die vielfältigen, das Bild strukturierenden Blicke sind in Die Republik der Überzeugten (wie auch im Falle anderer Reproduktionen des Bildes in Schulbüchern, auf Websites, Dokumentationen und künstlerischen Bearbeitungen) jedoch ausgeblendet. Auch das Spektrum der im Bild angelegten möglichen Bedeutungen wird eingeengt. Zum Off-Kommentar „Da begannen nämlich die Dinge, die nicht alle gewollt hatten“ sehen wir lediglich ein Kind mit erhobenen Händen. Marianne Hirsch betont weiter, dass Kinderbilder sich besonders zur Universalisierung eignen würden. Sie laden, so Hirsch, „zu vielfachen Projektionen und Identifikationen ein. Fotos von Kindern, insbesondere, wenn sie ausgeschnitten und entkontextualisiert werden, evozieren bei den Betrachtenden sowohl einen Blick, der sich zugehörig wähnt, als auch einen beschützenden Blick; einen Blick, der Vergessen oder sogar Verleugnung befördert.“136 Ein Beispiel für eine Verwendung der Fotografie, die nicht entkontextualisierend wirkt, ist die BBC-Dokumentation Warsaw Ghetto, die ebenfalls 1965 produziert (und am 16. Mai 1968 auch im ORF gesendet) wurde. Der gesprochene Kommentar des Überlebenden Alexander Bernfes thematisiert laufend die Herkunft und Gebrauchsgeschichte des Archivmaterials. Als die uns hier beschäftigende Fotografie ins Bild kommt, wechselt die Kamera zunächst zwischen verschiedenen, sonst vernachlässigten Details, ehe sie bei dem Ausschnitt mit dem Jungen landet. Im Kommentar sind an dieser Stelle die Worte „this famous photograph“ zu hören. Schließlich wird rekonstruiert, dass der betreffende Junge auch auf anderen Aufnahmen zu erkennen ist; ihm wird damit ein Teil seiner Geschichte und seines Subjektstatus zurückgegeben, von denen er im Zuge einer Universalisierung abgeschnitten wurde.137 135 Hirsch 2002: 211. 136 Hirsch 2002: 214. 137 Vgl. Warsaw Ghetto (Hugh Burnett, BBC 1965). Mittlerweile wurden einige Personen auf der Fotografie identifiziert, so der SS-Mann mit dem Gewehr rechts als Josef Bloesche, das Mädchen links und die Frau daneben als Tochter und Mutter Hanka Lamet und Marta Lamet Goldfinger, die Frau im Vordergrund als Chana Zeilinwanger und der Junge mit dem Sack auf der Schulter hinten in der Bildmitte als Leo Kartuzinsky. Die Identität des so oft hervorgehobenen Jungen ist nicht geklärt. Siehe die Online Bilddatenbank des US Holocaust Memorial Museums: http://digital assets.ushmm.org/photoarchives/detail.aspx?id=1088110 Bild Nr. 26543 (Stand 15.6.2013)

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Ab 1960, mit der Publikation des Stroop-Berichts und des Bildbandes Der gelbe Stern von Gerhard Schoenberner, erreichte die Fotografie des Jungen aus dem Warschauer Ghetto eine größere Öffentlichkeit, so Annette Krings, die den pädagogischen Einsatz des Fotos analysierte.138 Wie die Kunsthistorikerin Hildegard Frübis bemerkt, wurden seit den 1960er Jahren verstärkt Kindergesichter zur Darstellung des Holocaust eingesetzt.139 Am Beispiel der Rezeptionsgeschichte des Tagebuchs der Anne Frank argumentiert sie, dass die Universalisierung Anne Franks als symbolische Figur des Holocaust „der Rezeptionshaltung der 1960er Jahre entgegen[kommt], die es bei der ‚Identifikation mit den unschuldigen Opfern‘ belässt und zum sentimentalen Mitleiden aufruft.“140 In der BRD habe sich die Figur der Anne Frank in eine Nachkriegsrhetorik eingefügt, die „auf Versöhnung setzte und [...] das Spezifische der Taten sowie deren Ausmaß [überging]“141. Die Verwendung des Kinderfotos als Strategie zur Vermeidung der Benennung spezifischer Täter_innen, Taten und verfolgter Gruppen über eine Universalisierung der Opfer lässt sich auch für Die Republik der Überzeugten konstatieren. Die vorrangige Funktion des ikonisierten Bildes ist hier keine des Beweises, keine der Erklärung und geht auch über eine bloße Illustration des gesprochenen Textes hinaus. Die Fotografie dient hier der Emotionalisierung, der Affizierung.142 Gilles Deleuze beschreibt die Großaufnahme des Gesichts als eine Möglichkeit des „Affektbildes“.143 Dieses impliziere eine „ganz spezielle Deterritorialisation“; im Affektbild hätte die Großaufnahme die „Kraft, das Bild aus seinen raumzeitlichen Koordinaten zu lösen, um den reinen Affekt in seinem Ausdruck zu zeigen.“144 Angenommen, dass es auch in der verwendeten Großaufnahme des Jungen um den Affekt geht, erscheint im postnationalsozialistischen Kontext des Österreich der 1960er Jahre politisch bemerkenswert, dass dieser Versuch der Emotionalisierung oder Empörung der Zuschauer_innen mittels eines Ver138 Vgl. Krings 2006: 98. 139 Frübis 2009: 358f. 140 Frübis 2009: 361. Mit der Formulierung „Identifikation mit den unschuldigen Opfern“ bezieht sich Frübis auf Brink 1998: 175. 141 Frübis 2009: 362. 142 Lorenz Engell beschreibt, dass durch den ikonischen und nichtindexikalischen Einsatz von Bilddokumenten im Geschichtsfernsehen die Bilder weniger einem „historiographische[n] Motiv der Dokumentation, das das Vergangene distanziert und verallgemeinert“ entsprechen würden, sondern einem „Motiv der Erinnerung, die über Identifikation und Partikularisierung abläuft“. (Engell 2005:68) 143 Deleuze 1997 [1989]: 123-142. 144 Deleuze 1997 [1989]: 135.

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schweigens spezifischer (und hier antisemitischer) Verfolgungen bei einer gleichzeitigen Verwendung und visuellen Entkontextualisierung/Deterritorialisierung der fotografischen Darstellungen aus diesem Zusammenhang geschieht. Während in der oben diskutierten Verwendung der Fotografie aus dem Warschauer Ghetto der historische Kontext des Bildes ausgeblendet wird, lassen weitere in der hier analysierten Sequenz aus Die Republik der Überzeugten eingesetzte Bilder eher Assoziationen zu antisemitischer Verfolgung und zur Ermordung von Jüdinnen und Juden zu.145 Diese stehen jedoch einem Kommentar gegenüber, der von Verfolgungen und vom Sterben spricht, ohne spezifische Verfolgungsgründe zu erwähnen. Das im Kommentartext erwähnte Sterben „an allen Fronten“, „in den Konzentrationslagern“, „am Galgen“ und „unter dem Fallbeil“ dient einer Ausweitung des Opferbegriffs auf weite Teile der österreichischen Bevölkerung. 3.3.3 Visuelle Viktimisierung von Österreicher_innen Die sich in Die Republik der Überzeugten andeutende Verwendung von Bildern antisemitischer Verfolgung stellte einen durchaus gängigen Umgang mit diesen Fotografien dar. So ist ein ähnlicher Einsatz einer Fotografie auch in Zeitgeschichte aus der Nähe feststellbar. In einer Sequenz zum März 1938, die vor allem mit Propagandaaufnahmen visualisiert wird146, wird während des Satzes „Schon während der Anschlusstage aber wurden mehr als zehntausend aufrechte Österreicher verhaftet“ (ZgadN TC 08:02-08:11) folgender Ausschnitt einer Fotografie gezeigt:

145 Zu sehen sind beispielsweise Fotografien von Wiener Jüdinnen und Juden, die im März 1938 gezwungen werden, Straßen aufzuwaschen (RdÜ TC 16.34 und 16.4416.48) und eine Fotografie einer Menschengruppe, die das Gestapogefängnis des Konzentrationslagers Theresienstadt/Terezín betritt, über dessen Torbogen die Aufschrift „Arbeit macht frei“ erkennbar ist. (RdÜ TC 16.37-16.44) 146 Siehe Kapitel 3.4.3.

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Abbildung 3: Standbild aus ZgadN TC 08.05-08.11

Quelle: ORF-Fernseharchiv.

Die Verhaftungsgründe bleiben offen, die Wortwahl „Österreicher“ und der Kontext der Erzählung legen auch keine antisemitische oder rassistische Motivation der Verfolgung nahe. Hier wird – wie auch in anderen Beispielen, in denen von diesen ersten verhafteten Österreicher_innen die Rede ist – außerdem nicht erwähnt, dass ein großer Teil der Genannten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt wurde.147 Ilsen About und Clément Chéroux betonen in ihrem Vorschlag einer Methodologie für einen Umgang mit historischen Fotografien, dass es notwendig wäre, „die fotografische Tatsache” anhand des „Fotografen, [der] technische[n] Vorrichtung und [des] Gegenstand[s]“148 zu untersuchen. Der dritte Vorgang, die Untersuchung des Gegenstandes der Fotografie, sei unter anderem eine Analyse der Verwendungsgeschichte von Fotografien: „Die genaue Analyse der Geschichte eines Bildes – die kritische Bestandsaufnahme der Veränderungen, die an ihm vorgenommen wurden [Retuschen oder ein Ausschnitt aus dem vollen Bildformat], der Vergleich der mit ihm verknüpften Diskurse [von der Bildunterschrift bis hin zum Kontext der jeweiligen Veröffentlichung] – ermöglicht es, den Erwartungshorizont zu verstehen, in dem es wirkt.“149 Auch Cornelia Brink betont die Bedeutung von Fotografien als „das Ergebnis eines kommunikativen

147 Laut Florian Freund und Hans Safrian waren „[v]on den beiden ersten in das Konzentrationslager Dachau mit den so genannten Prominententransporten eingelieferten ca. 270 Gefangenen aus Österreich […] fast die Hälfte Juden; noch im Frühjahr 1938 organisierte die Gestapo weitere Verhaftungswellen und Transporte von Juden nach Dachau.“ Freund/Safrian 2000: 768. 148 About/Chéroux 2004: 38. 149 About/Chéroux 2004: 31. Einfügungen im Original in eckigen Klammern.

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Prozesses, der unmittelbar nach der Herstellung einsetzt."150 So gehe es in der historischen Analyse von Fotografien nicht nur um die „Dokumentation des historischen Augenblicks“, sondern – eben da in Bezug auf Fotografien oft „ein ursprünglicher Kontext verloren gegangen und nicht mehr rekonstruierbar ist“151 – auch um die Rekonstruktion von Gebrauch und Wirkungen.152 Die in der Dokumentation verwendete Abbildung ist ein Ausschnitt eines Bildes, das vielfach zur Visualisierung des Holocaust eingesetzt wurde und wird. Abbildung 4:

Quelle: Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ 1959: 78f.

Aufgrund der bei genauerer Betrachtung sichtbaren vertikal verlaufenden Falzspur etwa an der Grenze zwischen dem ersten und dem zweiten Drittel des Bildausschnitts (Abb. 3) liegt nahe, dass diese aus einem Bildband abgefilmt wurde; wahrscheinlich aus dem Band „1939-1945. We have not forgotten – Mɵ ɧɟ ɡɚɛɵɥɢ – Nous n'avons pas oublié“, herausgegeben vom Hauptverband der Kämpfer für Freiheit und Demokratie, Warschau/Związek Bojowników o

150 Brink 2003: 76. 151 Brink 2003: 76. 152 Brink 2003: 76f.

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WolnoĞü i DemokracjĊ (Abb.4).153 Der Begleittext zur Fotografie ist auf Englisch, Russisch und Französisch abgefasst. Die englische Version lautet: „Day in, day out new transports of prisoners crammed into cattle wagons came to the extermination camps from various parts of the country.“154 Weitere Quellenangaben sind nicht vorhanden. Durch den Kontext des Bildbandes wird dreierlei nahegelegt: Laut Klappentext sollen „the sufferings and struggle of the Polish people“ dokumentiert werden, die Fotografie erscheint in einem Abschnitt mehrerer Fotografien, die mit „Auschwitz-Birkenau“ beschriftet werden, und sie steht im Kontext einiger Textstellen zur Verfolgung und Ermordung polnischer Jüdinnen und Juden und einiger Fotografien mit eindeutigen visuellen Hinweisen darauf, dass die abgebildeten Personen als Jüdinnen und Juden verfolgt wurden. Die Darstellung von Österreicher_innen in Zeitgeschichte aus der Nähe mit einer historischen Fotografie, von der die Sendungsgestaltenden zumindest wussten, dass sie in einem polnischen Kontext steht und annehmen konnten, dass sie vermutlich eine Deportation von Juden und Jüdinnen zeigt, lese ich als prägnantes Beispiel einer visuellen Viktimisierungsstrategie von Österreicher_innen. Der Ausschnitt in Zeitgeschichte aus der Nähe fokussiert auf die Gesichter und macht somit den Zugwaggon als solchen weniger erkennbar; das Fenster könnte ebenso das eines Lastwagens oder eines Verschlages sein. Hätte hier ein erkennbarer Zugwaggon doch eine zu starke Assoziation mit deportierten Juden und Jüdinnen nahegelegt?

153 Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ 1959: 78f. Zu diesem Schluss komme ich, da in der Online-Bilddatenbank des Bundesarchives (http://www.bild. bundesarchiv.de Bild.Nr. 183-68431-0005 Stand 15.6.2013) als Quelle die vorhergehende Publikation des Hauptverbandes (Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ 1958) angegeben ist, die Nachfolgepublikation von 1959 im Gegensatz zu der von 1958 jedoch sowohl in der Bibliothek des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes als auch in der Fachbereichsbibliothek des Instituts für Zeitgeschichte in Wien auffindbar ist. Auch weitere Fotografien aus der Publikation wurden in Zeitgeschichte aus der Nähe und in Der österreichische Widerstand eingesetzt. (Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ 1959: 125 und 155). 154 Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ 1959: 78. Der Begleittext der Publikation von 1958 dürfte ähnlich gewesen sein und wird vom Bundesarchiv wie folgt zitiert: „Täglich kamen aus allen Richtungen neue Transporte mit Gefangenen in die faschistischen Vernichtungslager“ (Vgl. http://www.bild.bundesarchiv.de Bild.Nr. 183-68431-0005 Stand 15.6.2013). In dieser deutschen Version findet sich nicht die in der dreisprachigen Publikation verwendete Symbolik des Viehs (cattle/ɫɤɨɬ/bestiaux).

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Bei der obenstehenden Abbildung handelt es sich um die Reproduktion einer Fotografie, die in den 1960er Jahren in unterschiedlichen österreichischen Medien in unterschiedlichen narrativen Zusammenhängen wiederkehrt. Die gleiche Fotografie wurde in der Sendung Der österreichische Widerstand (1964) eingesetzt, dort allerdings in Zusammenhang mit der Deportation und Ermordung von Jüdinnen und Juden.155 In der 1963 von der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück herausgegebenen Broschüre „Was geht das mich an“ wird das Foto mit der Bildunterschrift: „Frauen in Viehwaggons auf dem Transport nach Ravensbrück“ abgedruckt.156 Was Marianne Hirsch 2002 über die wiederkehrende Verwendung von Bildern zur Repräsentation des Holocaust sagt, mag auch auf die Verwendung dieses Bildes in den 1960er Jahren zutreffen: „Heutige Betrachter neigen dazu, nur wenige Bilder zu kennen; diese werden aber in unterschiedlichen Kontexten immer wieder wiederholt, und zwar mehr ihres symbolischen oder emotionalen Gehalts wegen als aufgrund ihrer Beweiskraft oder ihres Informationsgehalts.“157 Als symbolischer Gehalt dieses in der Sendung verwendeten Bildes kann eine starke Opfersymbolik festgestellt werden, eine Darstellung des Ausgeliefertseins, die vor allem durch die Zeichen des Stacheldrahtes und des offensichtlichen Eingesperrtseins hergestellt wird. Außerdem werden die fotografierten Personen manchmal als „Frauen“ beschrieben. Die Fotografie eröffnet eine Konnotation zu den Massenermordungen in den Konzentrationslagern, die dargestellten Personen unterscheiden sich jedoch wesentlich von den deindividualisierten, zugerichteten Körpern anderer Aufnahmen der (befreiten) Konzentrationslager. Die Brille der Person rechts außen lässt an einen bürgerlichen, intellektuellen Hintergrund denken. Was die Fotografie von anderen Aufnahmen von Deportationen unterscheidet (bzw. was sie mit anderen ikonisierten Aufnahmen der Deportationen gemeinsam hat158), ist der direkte Blick der zweiten Person von rechts in die Kamera. Diesen Blick und das Wissen der Betrachter_innen um die anderen Bilder erachte ich als wahrscheinliche Bestandteile des „emotionalen Gehalts“ der Fotografie und als mögliche Erklärung für ihre oftmalige Verwendung. Die symbolische und nicht referentielle Bildverwendung in Zeitgeschichte aus der Nähe korrespondiert mit der Verwendung der Fotografie

155 DöW TC 10:02-10:08. Siehe Kapitel 3.5.1. 156 Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück 1963: 15. 157 Hirsch 2002: 208. 158 Siehe zum Beispiel die oft reproduzierte Aufnahme von Settela Steinbach bei ihrer Deportation von Westerbork nach Bergen-Belsen. Dazu Elsaesser 2002: 23f bzw. als filmische Analyse des Archivfilmmaterials von Westerbork: Aufschub (Harun Farocki, D, ROK, 2007).

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bis heute. So wurde sie in Broschüren159 und geschichtswissenschaftlichen Arbeiten eingesetzt und mit verschiedenen Bildunterschriften versehen160; zum Zeitpunkt der Recherche befinden sich Reproduktionen in drei OnlineBildarchiven (Bundesarchiv161, Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz162 und Yad Vashem Photo Archive163) mit jeweils unterschiedlichen Datierungen (19391945; 1942) und Lokalisierungen (Frankreich, Polen). Die detaillierteste (jedoch ebenfalls nicht gesicherte) Datierung und Lokalisierung stammt aus einer E-Mail-Auskunft des Deutschen Historischen Museums, wonach es sich bei der Abbildung auf der Fotografie „um eine Deportation aus Frankreich (wahrscheinlich Gurs) nach Auschwitz um das Jahr 1942 handelt.“164 159 Siehe Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück 1963: 15 und Yad Vashem 1979. Für den Hinweis auf die Broschüre von Yad Vashem danke ich Elisabeth Klamper. 160 So wurde sie in Heiner Lichtensteins Arbeit über die Reichsbahn beschriftet mit „Mit französischen Güterwagen nach Auschwitz.“ (Lichtenstein 1985: Bildteil zw. S. 80 u 81.) und in Raul Hilbergs Untersuchung „Sonderzüge nach Auschwitz“ mit „Transportzug: ‚Reichsbahn nur Mittel zum Zweck‘“ untertitelt (Hilberg 1981: 17. Das Zitat bezieht sich auf eine Aussage eines ehemaligen Mitarbeiters der Deutschen Reichsbahn, ebd.) Die Bildunterschrift in Guido Knopps „Holokaust“ lautet „Auf dem Weg in den Tod – Ghettobewohner werden unter schrecklichsten Verhältnissen auf Güterwaggons in die Vernichtungslager verschleppt.“ (Knopp 2000: 198) 161 Im Bildarchiv des Bundesarchivs ist die Fotografie mit 1939/1945 datiert und vermerkt, dass sie von Zentralbild (staatliche Bildagentur des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes, DDR) übernommen, dort 1959 aufgenommen und wie oben bemerkt aus Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ 1958 entnommen wurde. (http://www.bild.bundesarchiv.de Bild Nr. 183-68431-0005, Stand: 15.6.2013) 162 Im Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz ist die Fotografie mit 1942 datiert und untertitelt mit „Französische Juden werden deportiert“. Als Standort der Fotografie wird Yad Vashem angegegeben (http://bpkgate.picturemaxx.com Bild Nr. 30002321, Stand: 15.6.2013) 163 Im Yad Vashem Photo Archive wird die Fotografie bezeichnet als „Women on deportation trains from France, on their way to concentration camps.“ Als Herkunft der Fotografie wird der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwasmewski angegeben und auf der Fotografie selbst findet sich der Text „Jews transported to a nazi concentration camp in 1939. Photo: PAP/CAF. Files“ (http://collections.yad vashem.org/photosarchive/en-us/81828.html Stand: 15.6.2013) 164 Laut schriftlicher Auskunft von Stefan Kontra, Deutsches Historisches Museum, vom 19.11.2007. Ab 1942 erfolgten Deportationen von Gurs nach Ausschwitz. (Vgl. Mittag 1996:13)

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An den unterschiedlichen Verwendungen des Bildes ist der Umstand beachtlich, dass jede einzelne der Fotografien die oben angesprochene Falte aufweist.165 Die Falte an der immer gleichen Stelle informiert uns darüber, dass offenbar keines der Fotoarchive im Besitz der Originalfotografie oder des Negativs ist und verweist auf den Kopiervorgang und darauf, dass die verschiedenen kursierenden Reproduktionen wahrscheinlich den gleichen Ursprung haben. Ilsen About und Clément Chéroux beschreiben den Verlust von Informationen durch einen wiederholten Kopiervorgang, bei dem offenbar vor allem die Vorderseite und nicht die Rückseite der Fotografie von Interesse war.166 Dieser Verlust würde „anhand des Archivs eine Archäologie des fotografischen Dokuments“167 erfordern. Erste Schritte einer solchen Archäologie und Rekonstruktion der Gebrauchsgeschichte der diskutierten Fotografie habe ich hier unternommen. Weitere Recherchen in polnischen, französischen und israelischen Archiven wären ein nächster Schritt auf den Spuren einer fotografischen Abbildung, die durch vielfach wiederholte Verwendung so bekannt ist und über deren Aufnahmekontext und die abgebildeten Personen immer noch so wenig gesagt werden kann. 3.3.4 Kadrierung 2: Ausblendung von Handlungsmöglichkeiten gegen das NS-Regime, Vereindeutigung der Aussage, Ausblenden der Täter_innen Wie ich bereits gezeigt habe, erfolgte der Einsatz von Fotografien in Geschichtsdokumentationen der 1960er Jahre oft als Reproduktion eines gewissen Ausschnitts der Fotografie. Ausgehend von einer Passage aus Zeitgeschichte aus der Nähe zu antisemitischer Gesetzgebung in Deutschland 1933 möchte ich weitere Aspekte und Funktionen dieser Kadrierungen untersuchen. In der Passage werden Ausschnitte häufig verwendeter Fotografien zu folgendem Voice-OverKommentar gezeigt: „Am 18. März 1933 bestimmt die Reichsparteileitung: ‚Es sind sofort Aktionskomitees zu bilden zur praktischen, planmäßigen Durchführung von Boykotts jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte.‘“ (ZgadN TC 14:57-15:14)

165 Auch fast jede der von mir erwähnten in Publikationen oder Sendungen verwendete Fotografie weist die Falte auf, mit einer Ausnahme: Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück 1963: 15. 166 About/Chéroux 2004: 19f. 167 About/Chéroux 2004: 20.

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Die erste hier eingesetzte Fotografie wurde im Fotoband Der gelbe Stern168 reproduziert und ist eine vor allem in der BRD häufig reproduzierte NSPropagandafotografie, die in Berlin anlässlich des im Kommentartext angesprochenen Boykotts aufgenommen wurde: Abbildung 5: Markierung: Bildausschnitt in ZgadN TC 14.57-15.03.

Quelle: Schoenberner 1960: 17.

In einer Analyse des 1960 in Hamburg erschienenen Fotobandes argumentiert Cornelia Brink, dass durch die Reproduktion von Propagandaaufnahmen die Selbstrepräsentation des nationalsozialistischen Regimes weitertradiert werde und, „[w]enn auch mit umgekehrter Bewertung“, „das statische Bild einer Gesellschaft [übernommen werde], das die Nazis visuell konstruiert hatten“.169 Das hier verwendete Bild dient ihr jedoch zur Demonstration der Vieldeutigkeit von Fotografien: „Auf einer bekannten Aufnahme von drei SA-Männern, die mit Schildern ‚Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden‘ zum Boykott jüdischer Geschäfte aufrufen, wendet sich einer der Männer einer Passantin zu, keineswegs martialisch oder furchterregend,

168 Schoenberner 1960: 17. 169 Brink 1998: 170.

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sondern freundlich und hilfsbereit […]. Was will die Frau von dem SA-Mann? Protestiert sie gegen die Aktion und fordert Einlaß, stimmt sie ihr zu, fragt sie nach einem ‚arischen‘ Geschäft, in dem sie nun ihre Einkäufe erledigen kann oder nach dem Weg? Oder bestätigt gerade ihre Anwesenheit die propagandistische Absicht, das deutsche Volk habe die Boykotte unterstützt? Befremdlich wirkt die alltägliche Szene am Bildrand allenfalls deswegen, weil die übrigen Aufnahmen der gängigen Vorstellung einer von Beginn an terroristischen Diktatur entsprechen, die jeden ohne Unterschied bedrohte. Um die Bildaussage zu vereindeutigen, wird meist nur ein Ausschnitt reproduziert, und der Rand mit der alten Frau (oder auch der alte Mann links im Bild) fällt der Schere des Layouters zum Opfer.“

170

Auch in der Sendung Zeitgeschichte aus der Nähe wird vereindeutigt. Was bei Brink die „Schere des Layouters“ macht, wird hier durch die Kadrierung der Kameraperson erreicht: Der alte Mann und ein SA-Mann rücken ins Off, die Frau rechts wird zur Hälfte abgeschnitten und dadurch der Aufmerksamkeit ein Stück weit entzogen. (siehe Abb. 5) Die Gesichtszüge des rechten SA-Mannes als „freundlich und hilfsbereit“ zu lesen, ist infolge der Qualität des Fernsehbeitrags kaum möglich (und war es vermutlich auch 1962 nicht). Um Brinks Überlegungen über die „Befremdlichkeit“ der Szene am Bildrand weiter zu verfolgen, ließe die Darstellung der SA-Männer im Kontext von Zivilpersonen die Möglichkeit zu, diese als Phänomen zu sehen, das ein Außerhalb hat und gegen das Handlungen setzbar sind. Diese Lesemöglichkeit wird durch die Eingrenzung des Bildfeldes ausgeblendet. Die zweite in dieser Sequenz eingesetzte Fotografie (Abbildung 6) zeigt eine Wiener Szene vom März 1938 – entgegen dem im oben zitierten Voice-Over-Text nahe gelegten Kontext der Boykottaufrufe in Deutschland 1933. Die Fotografie wurde von der Fotoagentur Albert Hilscher im März 1938 in Wien aufgenommen.171 Die Bilder wurden 1938 nicht publiziert, nach Ansicht des Historikers Hans Petschar deshalb, „weil sich die nationalsozialistische Propaganda vor der Abstimmung am 10. April Ärger mit dem Ausland ersparen wollte.“172 Die Fotografie sei erstmals 1958 in der deutschen Zeitschrift Stern erschienen.173 1975 fand eine Reproduktion der Fotografie Eingang in den historischen Bildband Österreich. Zeitgeschichte in Bildern 1918-1975 mit dem Text: „Juden – auch Kinder – werden in Wien gezwungen, die Auslagen jüdischer Ge-

170 Brink 1998: 170. 171 Vgl. Petschar 2008: 140. 172 Petschar 2008: 16. 173 Petschar 2010: 664f.

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schäfte zu beschmieren.“174 Der Historiker Gerhard Jagschitz erwähnte 1988, dass die Fotografie „durch die häufige Veröffentlichung bereits zum Stereoytp geworden ist“175 und argumentierte, dass sie – nicht zuletzt durch die abgebildeten Zuschauer_innen – der nationalsozialistischen Anschlusspropaganda ein „Bild gegenüber[stellt], das einen Blick hinter die Kulissen erlaubt.“176 Hans Petschar hingegen verweist auf den gestellten Charakter der entsprechenden Bilderserie.177 Abbildung 6: Markierung: Bildausschnitt in ZgadN TC 15.03-15.06

Quelle: Weinzierl 1975: 178.

Diese Überlegungen zum Aufnahmekontext vorangestellt, möchte ich die Verwendung in Zeitgeschichte aus der Nähe analysieren. Hier wurde (wie schon im Fall der oben besprochenen Fotografie) lediglich ein Ausschnitt gezeigt. Dieses Vorgehen ist zum Teil der Veränderung des Bildformates geschuldet (Hochfor174 Weinzierl 1975: 180. Text zu Abb. 314. 175 Jagschitz 1988: 85. 176 Jagschitz 1988: 86. 177 Petschar 2008: 16.

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mat der Fotografie versus Querformat des Fernsehbildschirms), lässt aber einen Spielraum bei der Auswahl des Ausschnitts. Der hier gewählte Ausschnitt blendet Blick und Gesicht des aufsehenden Mannes und der umstehenden Kinder und Jugendlichen, bis auf eines, aus. Die ausgeblendeten Blicke wirken zum Teil konzentriert oder interessiert, ein Junge scheint etwas zu sagen. Das in Zeitgeschichte aus der Nähe im Bild verbleibende Kind ist deutlich am kleinsten und jüngsten von allen. Marianne Hirsch argumentiert (anhand des in Kapitel 3.3.2 analysierten Fotos), dass „die Infantilisierung strukturell auch eine Figur der Feminisierung“ sei, die zu einer „Hypermaskulinisierung der Täter“ einlade. Diese Maskulinisierung führe „schließlich zu einer Depersonalisierung, die eine Ausradierung der Frage nach der Täterschaft ermöglicht.“178 Die Anwendung von Hirschs Überlegungen auf das uns hier beschäftigende Bild legt für die Zuschauer_innen Identifizierungen mit einem der beiden im Bild verbleibenden Kinder nahe; also mit dem jüdischen Jungen oder dem kleinsten zuschauenden Kind. Die Position dieses kleinsten Kindes kann noch eher als „machtlos und daher unschuldig“ gelesen werden als die der anderen zusehenden Kinder. Die Option einer Identifikation mit den umstehenden, in dieser Szene nicht eingreifenden Kindern und Jugendlichen und dem beaufsichtigenden Mann, oder die Möglichkeit, Fragen nach deren Handlungsspielräumen zu stellen, wird den Fernsehzuschauer_innen durch das Ausschneiden zumindest erheblich erschwert. Das Wegschneiden der Umstehenden stellt visuell eine Situation her, in der die einzige als Täter lesbare Figur fast die ganze rechte Bildhälfte ausfüllt und – gesichtslos mit großem Bauch und Hakenkreuzbinde – an den von Marianne Hirsch charakterisierten „depersonalisierten“, „hypermaskulinisierten“ Täter denken lässt. Was den beiden Darstellungen in Zeitgeschichte aus der Nähe gemein ist, ist das Vermeiden der Visualisierung anderer Positionen als der von Nationalsozialisten und jener der von Verfolgung Betroffenen. Diese Ausblendung von Positionen, die mit anderen möglichen Handlungsspielräumen ausgestattet sind, hat eine klare geschichtspolitische Funktion. Sie legitimiert nicht nur eine stillschweigende Zustimmung („man konnte ja nichts tun“) sondern auch eine Mittäter_innenschaft („wer nicht mitgemacht hat, wurde verfolgt“). Einen anderen Umgang mit (zum Teil denselben) Fotografien zeigt die Sendung Der österreichische Widerstand, in der die Fotografie von Albert Hilscher während des Redebeitrags von Wilhelm Krell ebenfalls eingesetzt wird.179

178 Hirsch 2002: 216. 179 Siehe Kapitel 3.5.1.

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Abbildung 7: Standbild aus DöW TC 08.39-08.44.

Quelle: ORF-Fernseharchiv.

Hier wurde nicht nur ein anderer Ausschnitt gewählt, der mehrere Gesichter im Bild belässt und somit auf die öffentliche Sichtbarkeit der antisemitischen Aktionen verweist180; die Fotografie wird auch im Kontext der Erzählung zum März 1938 in Wien gezeigt. Wilhelm Krell sagt: „Nach einer teuflisch vorbereiteten Regie wurden die Juden zunächst zum Gespött des johlenden Straßenmobs gemacht, unmittelbar darauf folgten Misshandlungen und Verhaftungen.“ (DöW TC 8.39-8.54)

Bei der zweiten während dieser Passage eingesetzten Fotografie, die eine Szene zeigt, in der jüdische Personen zum Putzen der Straße gezwungen werden, schwenkt die Kamera von den umstehenden Zuschauenden (von denen viele in Uniform gekleidet sind) hinunter zu den am Boden hockenden Personen. Der Blick der Kamera scheint auf die verschiedenen in den Fotografien sichtbaren Positionen, die auch von Krell benannt werden, hinweisen zu wollen. Die Rede von der „Regie“, nach der die gewalttätigen Aktionen stattgefunden hätten, widerspricht historischen Forschungen zum Anschlusspogrom181, entlastet letztlich Mittäter_innen und sagt etwas über die Bedingungen und Begrenzungen des öffentlichen Sprechens von Überlebenden in Österreich in den 1960er Jahren

180 Auch die Hakenkreuz-Binde des Mannes rechts im Bild ist ausgeblendet, was ebenfalls erlaubt, die Szene tendenziell als Ausdruck eines gesellschaftlich weit verbreiteten Antisemitismus (im Gegensatz zu einer ausschließlichen Verortung von Antisemitismus in der nationalsozialistischen Ideologie) zu lesen. 181 Vgl. Safrian/Witek 1988.

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aus.182 Das letztgenannte Beispiel eines alternativen Umganges mit der Ausschnittwahl zeigt, dass die Vorgänge der Auswahl, Benennung und Kadrierung von Fotografien in den hier diskutierten Fernsehdokumentationen visuelle Entscheidungen mit spezifischen geschichtspolitischen Funktionen darstellen. Diese Auswahlprozesse sind nicht beliebig, sondern müssen in ihrem historischen Kontext gesehen werden, insbesondere unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit und der historischen Konnotationen von Fotografien. Zusammenfassend ist im Hinblick auf die Fragestellungen der Analyse festzustellen, dass fotografisches Material aus dem Zusammenhang der Verfolgung, Deportation und Ermordung von Juden und Jüdinnen verwendet wurde; in den meisten Fällen aber ohne diese in einen Kontext antisemitischer NS-Politik zu stellen. Mögliche Funktionen dieser Verwendung sind die Viktimisierung der österreichischen Bevölkerung (wo diese mit Fotografien aus dem Kontext der Shoah visualisiert wird) sowie eine Universalisierung der Opfer. Tendenziell ist bei diesen Fotografien eine Ausschnittswahl zu bemerken, die sich auf die Darstellung von „Opfern“ oder (seltener) von „Opfern“ und „Täter_innen“ konzentriert und andere auf den Archivfotografien befindliche Personen ins Off verweist. Damit werden Positionen jenseits einer Täter_innen-Opfer-Dichotomie und damit verbundene Handlungsmöglichkeiten gegenüber dem NS-Regime visuell ausgeblendet. Der Anteil an Fotografien (und schriftlichen Dokumenten) am visuellen Material geht im Laufe des Jahrzehnts zugunsten der Verwendung von Archivfilmmaterial, auf das ich im nächsten Kapitel zu sprechen kommen werde, zurück.

3.4 ARCHIVFILM . M ONTAGE , K ONTEXTUALISIERUNG Wie die oben analysierten Fotografien hatte das in den Fernsehdokumentationen verwendete Archivfilmmaterial bei seiner Herstellung (und teilweise mehrmals zwischen Herstellung und Wiederverwendung) andere Funktionen: So wurde der Großteil des in den analysierten Sendungen zur Darstellung des Nationalsozialismus eingesetzten Filmmaterials ursprünglich für Zwecke der nationalsozialistischen Propaganda hergestellt. Seltener wurde im österreichischen Fernsehen der 1960er Jahre auf die nach der Befreiung der Konzentrationslager von alliierten Soldaten hergestellten Aufnahmen zurückgegriffen. Auch waren die Aufnahmen eigentlich für einen anderen „Verbreitungsraum“ gedacht, worauf Lorenz Engell hinweist. Er spricht davon, dass dem Fernsehen die NS-Aufnahmen

182 Siehe Kapitel 3.5.1.

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„gleichsam einverleibt [wurden] als dem Ort, an dem sie ihre Aufführung wieder und wieder erleben können, wohingegen sie aus der Zirkulation in ihrem ‚eigenen‘ Verbreitungsraum, dem Kino, faktisch weitgehend ausgeschlossen sind. Das Fernsehen wird zum Gesamtrepertoire aller Bilder, die überhaupt in Umlauf gesetzt werden können, und alle anderen Bilder werden auf diese Weise in eine Art Vorgeschichte des Fernsehens eingereiht.“ 183 Im folgenden Abschnitt werde ich vorerst anhand des Einsatzes von NSPropagandamaterial einerseits und von alliierten Aufnahmen der Konzentrationslager andererseits „Illustration“ und „Präsentation“ als zwei von Judith Keilbach vorgeschlagene Modi des Bild-Ton-Verhältnisses vorstellen. Auf dieser analytischen Unterscheidung aufbauend untersuche ich den Einsatz zweier für ein österreichisches filmisches Gedächtnis bedeutender Sets von Archivaufnahmen: Die Wochenschau-Aufnahmen vom „Anschluss“ – dabei insbesondere jene von Adolf Hitlers Einzug in Wien und seiner Rede am Heldenplatz184 – sowie die Aufnahmen vom April 1945 zur Bildung der provisorischen Regierung und von tanzenden Menschen vor dem Parlament. 3.4.1 Archivfilm als Illustration. Bedeutungsunterschiede durch Kommentierung. Adressierung, Handlungsmöglichkeiten Judith Keilbach schlägt für das Verhältnis zwischen Bild und Ton im dokumentarischen Geschichtsfernsehen die Unterscheidung zwischen „‚Präsentation‘ und ‚Illustration‘ […] als zwei[er] Pole, zwischen denen die Filmaufnahmen in unterschiedlichen Abstufungen angesiedelt sind“185 vor. Im Modus der „Illustration“ richte sich die Aufmerksamkeit auf den Kommentar, die Aufnahmen werden „nicht identifiziert oder kontextualisiert“ und erfordern demnach ein „visuelles Vorwissen der Zuschauer und eine Stereotypisierung von Nationalsozialismus, Krieg und Holocaust“.186 Im Modus der „Präsentation“ hingegen werde die Aufmerksamkeit der Zuschauer_innen durch verschiedene Methoden direkt auf die Bildebene gelenkt. Im Folgenden werde ich anhand dieser analytischen Unterscheidung den Einsatz von NS-Propagandamaterial analysieren, das 1933 entstanden ist. In Zeitgeschichte aus der Nähe und Der österreichische Widerstand werden jeweils dieselben Archivfilmaufnahmen eingesetzt – zu unterschiedlichem

183 Engell 2005: 71. 184 Vgl. Petschar 2008: 144-154. 185 Keilbach 2008: 99f. 186 Keilbach 2008: 100.

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Kommentartext. Zur Veranschaulichung werden in der folgenden Tabelle die Sprechtexte der beiden Sendungen und Screenshots der betreffenden Archivfilmsequenzen wiedergegeben. Die Tabelle orientiert sich an der (längeren) Sequenz in Zeitgeschichte aus der Nähe, in Der österreichische Widerstand werden nur die Aufnahmen 9-11 eingesetzt. Tabelle 1: Filmmaterial in ZgadN TC 21.50-22.22 und DöW TC 06.49-07.06 Text ZgadN

Text DöW

Standbild ZgadN (Abb. 8). Quelle: ORF.

„Die jüdischen Geschäfte wurden nun auch in Österreich geschlossen und jüdische Männer und

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Frauen gezwungen, die Straßen aufzuwaschen und später sogar den Judenstern zu tragen.

„Vorerst brach das Unheil für alle sichtbar über eine Menschengruppe herein, die in den Augen

Die Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Mitmenschen begann.

der Nationalsozialisten einen nicht wiedergutzumachenden Fehler hatte. Sie waren Juden.

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Während die Gegner des Nationalsozialismus sehr bald die nackte Gewalt der neuen Machthaber zu spüren bekamen,

Herr Regierungsrat Krell wird uns über die damalige Situation und über die Verfolgung der Juden berichten.“

verfolgte Hitler das Ziel, die Jugend durch Propaganda, Versprechungen

---

und Zwang zum Träger seiner politischen Ziele zu machen.“

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Das Material, aus dem die gezeigten Sequenzen stammen, wird bis heute oft wiederverwendet; mindestens bei den ersten fünf Einstellungen handelt es sich um deutsches Filmmaterial von 1933187, das später unter anderem im Film The Nazi Plan (USA 1945: Teil 2: Acquiring Totalitarian Control of Germany, 1933-

187 In einer 1989 publizierten Auflistung der filmischen Archivbestände des National Archive in Washington/DC zu Holocaust/Israel/Jews wird die entsprechende Szenenfolge auf 1933 datiert, entstanden im Zuge der antisemitischen Boykottkampagne vom 1.4.1933. Vgl. Gellert 1989: 27.

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1935) verwendet wurde.188 Dieser vom US Counsel for the Prosecution of Axis Criminality produzierte Film, der ausschließlich auf deutsches Archivmaterial zurückgreift, wurde bei den Nürnberger Prozessen vorgeführt.189 Den konkreten Szenen kamen folglich vor ihrem Einsatz in den Fernsehsendungen bereits mehrere Funktionen zu: 1933 eine Propagandafunktion, als die Aufnahmen zur Darstellung und Verbreitung des Boykotts jüdischer Geschäfte gemacht wurden, und 1945 die Funktion der Unterstützung der Beweisführung190 der Anklage bei den Nürnberger Prozessen, die nicht zuletzt durch den wiederholten Hinweis auf die (deutsche) Herkunft der Bilder betont wurde.191 Im Gegensatz zum Einsatz im Gerichtsprozess wird die Herkunft der Aufnahmen in den hier untersuchten Fernsehsendungen nicht thematisiert. Der illustrative Einsatz der deutschen Aufnahmen von 1933 ist Ergebnis und Teil eines Prozesses, den Judith Keilbach als „Verschiebung von der Konkretion zur Abstraktion“192 bezeichnet. Diese erfolge aufgrund einer auf Wiederholung basierenden Typisierung von Bildern.193 Die Wiederholung ist (ähnlich wie bei der oben untersuchten Verwendung von Fotografien) auch bedingt durch eine Praxis der Beschaffung von visuellem Material in den 1960er Jahren. Da die drei glei188 Ausschnitte des Films sind im Online Archiv des US Holocaust Memorial Museum abrufbar. Für die hier erwähnten Szenen siehe: http://resources.ushmm.org/ film/display/detail.php?file_num=2909 (Stand 15.6.2013) Nach dem Timecode des 2. Teils: „Acquiring Totalitarian Control of Germany 1933-1935“, entsprechen die hier besprochenen Szenen der Reihe nach: Ausschnitt Abb.8: 02.33-02.39, Abb.9: 02.07-02.14, Abb.10: 01.32-01.37; Abb.11: 02.02-02.07, Abb.12: 02.14-02.18. 189 Lennon 2005: 67. 190 Nicht der Film „The Nazi Plan“ als Film, jedoch eine übersetzte Abschrift wurde als Beweismittel Nr. 3054-PS zugelassen. Vgl. Office of United States Chief of Counsel for Prosecution of Axis Criminality 1946-1948, Vol. V: 801-852 bzw. Vol. VIII: 954. 191 Siehe etwa die einführenden Worte von James Britt Donovan, Fregattenkapitän der US-Naval Reserve und Hilfsankläger, zur Vorführung des Films: „Ich möchte erneut betonen, daß der ganze Film, der jetzt im Gerichtssaal gezeigt werden soll, einschließlich zum Beispiel von Bildern aus Nazi-Zeitungen der ersten Zeit, ein deutscher Originalfilm ist, dem wir nur den englischen Titel hinzugefügt haben.“ bzw. der spätere Hinweis desselben: „Darf ich den Gerichtshof noch einmal daran erinnern, daß der ganze Film, der hier vorgeführt wird, und der gesamte deutsche Text, wie er hier zu hören ist, Originale sind, wie sie von den Nazis aufgenommen wurden.“ Internationaler Militär-Gerichtshof Nürnberg 1947: Band 3: 449; 450. 192 Keilbach 2008: 101. 193 Keilbach 2008: 100f.

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chen Szenen (siehe Abb. 9-11) in der gleichen Reihenfolge geschnitten sind (die im Übrigen eine andere ist als in The Nazi Plan), ist anzunehmen, dass für beide Sendungen auf dasselbe (bereits montierte) Filmmaterial zurückgegriffen wurde. Das verweist auf eine Praxis der Bildbeschaffung im Geschichtsfernsehen, nach der laut Keilbach außer bei aufwändigeren Produktionen auf „bereits existierende Kompilationsfilme als Bildquelle“ bzw. „auf die ‚im eigenen Haus‘ archivierten Kopien [des historischen Bildmaterials, Anm. rw]“194 zurückgegriffen werde. Diese Vorgangsweise habe eine „mehrfache Auswertung und permanente Wiederholung der Filmaufnahmen“195 zur Folge. Trotz des gleichen Materials und des in beiden Sendungen illustrativen Gebrauchs der Filmaufnahmen lassen sich in der Analyse des Bild-Ton-Verhältnisses verschiedene Bedeutungen der Sequenzen rekonstruieren. In Zeitgeschichte aus der Nähe steht die Sequenz im Kontext einer Schilderung der Folgen des „Anschlusses“ Österreichs an das Dritte Reich. Im Sprechtext (siehe oben) wird zunächst auf antisemitische Maßnahmen und Übergriffe eingegangen, wobei unter Rückgriff auf Passivsätze und eine Konzentration auf die Person Adolf Hitlers handelnde Personen/Mit_Täter_innen nicht weiter spezifiziert werden.196 Irritierend ist die distanzlose Verwendung des Begriffs „Judenstern“.197 Von der Thematisierung der Übergriffe auf Jüdinnen und Juden wird – bei gleichbleibendem Kontext des Bildmaterials – zum Sprechen über eine Gewalt gegenüber „Gegnern des Nationalsozialismus“ übergegangen, um schließlich auf den in dieser Sendung wiederkehrenden Erklärungsansatz von „Propaganda, Versprechungen und Zwang“ zurückzukommen. Diese Argumentationsstruktur suggeriert die Unmöglichkeit eines aktiven Einverständnisses mit dem nationalsozialistischen Regime und einer freiwilligen, aktiven Beteiligung; die Teilnahme ist immer fremdbestimmt.198 Der Bezug auf die „Jugend“ als Subjekt nationalsozialistischer Politik unterstützt die Argumentation der Manipulation und infantilisiert diejenigen Bevölkerungsteile, die an antisemitischen Übergriffen beteiligt waren. Auch im darauffolgenden Satz geht es um die Jugend: „Die Jugend unseres Landes musste zum 194 Keilbach 2008: 113. 195 Keilbach 2008: 112. 196 Siehe Kapitel 3.2.3 und 3.2.4. 197 Als „Judenstern“ wurde in den nationalsozialistischen Erlässen und Medien die vorgeschriebene Kennzeichnung von Jüdinnen und Juden durch einen gelben Davidstern mit der Aufschrift „Jude“ bezeichnet. Vgl. Schmitz-Berning 1998: 337-339. 198 Rolf Gutte und Freerk Huysken beschreiben die Logik dieses Erklärungsansatzes anhand eines Geschichtsbuches aus der BRD der 1980er Jahre, das „sich die Zustimmung der Deutschen zum Programm der Nationalsozialisten nur als Ergebnis von Lüge, Betrug oder Manipulation vorstellen“ könne. (Gutte/Huysken 1997: 104)

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Reichsarbeitsdienst einrücken, später zum Militär, und sie starb auf den Schlachtfeldern Europas.“ (ZgadN TC 22.22-22.33) Dieser direkt an die zitierte Passage anschließende Satz verdeutlicht zwei Aspekte: Erstens, dass die Erzählung von der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zwar antisemitische Gewalt benennt, aber direkt überführt wird in eine Zählung „österreichischer“ Opfer; und zweitens, dass dafür eine spezifische Form der Adressierung vorgenommen wird. Die Germanistin Yasemin Yıldız betonte in einer Untersuchung dominanter Adressierungspolitiken der deutschen Mehrheitsgesellschaft, dass „die Problematik, die durch die Analyse der Adressierungen sichtbar wird, nicht eigentlich der Ausschluss ist. Die Adressierung dient vielmehr dazu, die Orte von Subjekten festzulegen.“199 In Zeitgeschichte aus der Nähe wird die „Jugend unseres Landes“ nicht aus antisemitischen Gründen verfolgt, sondern muss zum Reichsarbeitsdienst. Jüdische Männer und Frauen hingegen werden als „Mitmenschen“ bezeichnet. Die Anordnung der Subjekte in dieser Passage, wie auch deren Bezeichnungen, machen eine bestimmte Perspektive offensichtlich: Juden und Jüdinnen, die „Mitmenschen“, sind „die Anderen“ und nicht Teil des adressierten „Wir“. In der Sendung Der österreichische Widerstand sind die Filmausschnitte und der Kommentar als Überleitung vom Statement des evangelischen Pfarrers Hans Rieger und als Einleitung des Redebeitrages von Wilhelm Krell eingesetzt. Auffallend ist im Sprechtext (siehe oben) die Betonung, dass die Verfolgung „für alle sichtbar“ gewesen sei, was der in anderen Dokumentationen verbreiteten Argumentation der Uninformiertheit über antisemitische Vorgänge widerspricht. Während die Formulierung „einen nicht wiedergutzumachenden Fehler“ vermutlich den absoluten Charakter der antisemitischen Verfolgungspolitik des NSRegimes unterstreichen soll, die programmatisch keine Schlupflöcher zugelassen habe, irritiert sie doch als Übernahme des Nachkriegsvokabulars der „Wiedergutmachung“ in einen anderen Zusammenhang. Sind es nach 1945 Österreich und Deutschland, die durch Zahlungen die Folgen von Vertreibung, Verfolgung und Ermordung „wiedergutmachen“ sollten, wird hier die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass es etwas gegeben hätte, das Jüdinnen und Juden „wiedergutmachen“ hätten sollen. Die Phrase doppelt sich außerdem mit dem von Krell gegen Ende des Interviews zitierten Ausspruch von Franz Jonas: „Dieser geistige Verlust kann durch nichts mehr ersetzt und wiedergutgemacht werden.“ (DöW TC 10.57-11.05) Auch hier werden Mit_täter_innen vom Voice-OverKommentar nicht benannt, und der Nationalsozialismus und die antisemitische Verfolgung erscheinen als metaphysische Kraft – „das Unheil“. Jedoch wird in der Aussage „für alle sichtbar“ eine weitere Personengruppe eingeführt: „Alle“. 199 Yıldız 2009: 90.

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Dadurch werden andere Ebenen des Filmmaterials als in Zeitgeschichte aus der Nähe betont. Die Filmaufnahmen verbleiben zwar in einer illustrativen Funktion, verstärken aber die Aussage der Unübersehbarkeit antisemitischer (Verfolgungs-)Maßnahmen, da sich alle drei Szenen im öffentlichen Raum abspielen und eine sich zu den Aktionen verhaltende Öffentlichkeit im Bild ist. Wie Judith Keilbach ausführt, erfolgt die „Semantisierung der Bilder [...] bei ihrer Verwendung als Illustration nur für den jeweiligen Moment, wobei die Bedeutung der Aufnahmen durch ihre lose Koppelung mit dem Ton nicht festgeschrieben wird. Sie behalten vielmehr eine ‚Offenheit‘, sodass die Aktualisierung eines anderen Semantisierungspotenzials weiterhin möglich ist. Der Einsatz von historischem Bildmaterial als Illustration führt insofern dazu, dass die Aufnahmen auch weiterhin flexibel bleiben und für die Verwendung in anderen Kontexten und Fernsehsendungen zur Verfügung stehen.“200 Während die Zuschauer_innen in Zeitgeschichte aus der Nähe eher dazu angehalten werden, im Filmmaterial die Ergebnisse antisemitischer Akte zu sehen, lenkt der Kommentar in Der österreichische Widerstand die Aufmerksamkeit auf die im Bild befindlichen zusehenden Personen. Darüber hinaus spielen die Aufnahmen im Gesamtkontext der Sendungen unterschiedliche Rollen. Werden sie in Zeitgeschichte aus der Nähe in eine österreichische und explizit nichtjüdische Opfererzählung überführt, eröffnen sie in Der österreichische Widerstand einen viereinhalbminütigen Redebeitrag über antisemitische Verfolgung und Shoah.201 Was Michael Zryd im Kontext des Found-Footage Films über die Evidenz filmischer Darstellungen sagt, kann so auch für die Verwendung der Aufnahmen in den beiden Fernsehsendungen gelten: „Nur selten spricht ein Bild ‚für sich‘, obwohl es häufig in einen rhetorischen Kontext gebettet wird, der zu verstehen geben soll, dass es dazu in der Lage ist. Filmmaterial ist in der Tat außerordentlich gefügig, seine Bedeutung und sein [sic] tieferer Sinn liefern ebenso der Kontext wie der ‚Inhalt‘ des Bildes.“202 3.4.2 Archivfilm als Präsentation. Auf Bilder und deren Herstellung hinweisen. Visuelle Darstellungen der Konzentrationslager Im Folgenden untersuche ich eine Sequenz, in der das (Film-)Bild „für sich“ sprechen soll; beziehungsweise in der ihm, in den Worten Judith Keilbachs,

200 Keilbach 2008: 102. 201 Siehe Kapitel 3.5.1. 202 Zryd 2002: 122.

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durch einen präsentativen Zugang ein „argumentative[r] und visuelle[r] Eigenwert“203 verliehen wird. Es ist gleichzeitig eine der (im untersuchten Material seltenen) Verwendungen des von alliierten Militärangehörigen hergestellten Filmmaterials der befreiten Konzentrationslager. Die Sequenz, hier wiedergegeben durch eine Transkription des Voice-Over-Kommentars und Standbilder der zugehörigen Einstellungen (ZgadN TC 35.52-37.00), stellt die zentrale Stelle zur Thematisierung von Konzentrationslagern und Shoah in Zeitgeschichte aus der Nähe dar.

Tabelle 2: Thematisierung der Konzentrationslager in der Sendung Zeitgeschichte aus der Nähe (1962) Text ZgadN

Abbildungen: Standbilder ZgadN. Quelle: ORF.

„Im nationalsozialistischen Deutschland und in den von ihm besetzten Gebieten aber ereignete sich in diesen Jahren die größte Katastrophe der Menschheit,

Abb. 14

an die heute noch die Mahnmale erinnern. [Musik]

Abb. 15

203 Keilbach 2008:103.

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[Musik]

Abb. 16

Millionen von Juden, Katholiken, Sozialisten und Kommunisten und nicht zuletzt hunderttausende Ausländer fielen in den

Abb. 17

berüchtigten Konzentrationslagern den unerhört harten Arbeitsbedingungen oder dem Hunger zum Opfer oder sie wurden grausam hingerichtet und ihre Leichen

Abb. 18

in eigens konstruierten

Abb. 19

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Öfen verbrannt. [Musik]

Abb. 20

[Musik]

Abb. 21

[Musik]

Abb. 22

Auch diese Bilder aus dem Konzentrationslager

Abb. 23

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Mauthausen in Oberösterreich Abb. 24

berichten heute noch von dem unermesslichen Leid, von dem Millionen Menschen an vielen ähnlichen Orten betroffen wurden. Unter ihnen befanden sich auch Abb. 25

viele aufrechte Österreicher.

Abb. 26

[Musik]

Abb. 27

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[Musik]“ (ZgadN TC 35.52-37.11)

Abb. 28

Die in den Abbildungen 14-16 und 23-28 wiedergegebenen Einstellungen sind Filmaufnahmen des ehemaligen Konzentrationslagers und der Gedenkstätte Mauthausen. Die Aufnahmen 17-21 sind Filmaufnahmen, die nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen hergestellt und zum Teil im Film Death Mills (Hanuš Burger, USA 1945) verwendet wurden. Abbildung Nummer 22 bezieht sich auf ein abgefilmtes Foto, das auch im Bildband „1939-1945. We have not forgotten – Mɵ ɧɟ ɡɚɛɵɥɢ – Nous n'avons pas oublié“204 im Kontext von Deportationen in Polen abgebildet ist.205 Auf die hier im Sprechtext zum Ausdruck kommende subsumierende Funktion der aufzählenden Rede von den Opfergruppen im Konzentrationslager habe ich bereits hingewiesen.206 Die Szene endet mit der Thematisierung einer einzigen Opfergruppe, den „aufrechten Österreichern“, und reproduziert damit eine sinnstiftende patriotisierende Funktion der Konzentrationslager in konsensorientierten Geschichtsdarstellungen der Nachkriegszeit.207 Die begleitenden Filmaufnahmen und die Fotografie werden vom Sprechtext und der Tonebene präsentiert. So werden Denkmäler der Gedenkstätte Mauthausen gezeigt (hier das jugoslawische und ein Teil des italienischen Denkmals208), während der Sprecher „Mahnmale“ nennt. Hier und während der Bergen-Belsen-Aufnahmen setzt der Kommentar aus, es dominieren Schweigen und Musik. Die Darstellung der massenhaften Ermordung von Juden und Jüdinnen geschehe, so Knut Hickethier in Bezug auf das bundesdeutsche Fernsehen der 1960er Jahre, oft in „Form eines erzählerischen Innehaltens“, es

204 Siehe Kapitel 3.3.3. 205 Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ 1959: 155. 206 Siehe Kapitel 3.2.2. 207 Siehe Kapitel 3.2.5. 208 Vgl. Schmid/Dobrowolskij/Hutterberger 2007: 50-59; 76-85, siehe auch Perz 2006: 175.

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regiere eine „dramaturgische Form des entsetzten Schweigens“.209 In diesem Fall ist eine unruhige, schneller werdende Musik zu hören.210 Judith Keilbach argumentiert, dass Musik und das gleichzeitige Aussetzen des Kommentars eine Form des präsentativen Zugangs zu Bildmaterial darstellen würden.211 Musik fungiere ebenso wie „Verstummen“ oder ein direkter Verweis des Sprechtextes auf die Bildebene als „Aufforderung zum Hinsehen“ und verleihe „dem Bild dadurch einen argumentativen und visuellen Eigenwert.“212 Ein direkter Verweis auf das zu Sehende wird im letzten Teil der Sequenz (Abb. 23-28) gegeben, in dem der Kommentar direkt auf die gezeigten Aufnahmen des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen verweist: „Auch diese Bilder aus dem Konzentrationslager Mauthausen in Oberösterreich berichten heute noch von dem unermesslichen Leid, von dem Millionen Menschen an vielen ähnlichen Orten betroffen wurden.“ (ZgadN TC 36.41-36.53) Ich möchte nun der Frage nachgehen, was in den Aufnahmen zu sehen ist, denen ein solcher „visuelle[r] und argumentative[r] Eigenwert“213 zugestanden wird. Den ersten Aufnahmen von Mauthausen kann eine symbolische Funktion zugesprochen werden. Verschiedenen Nahaufnahmen von Stacheldraht (eine „visuelle Chiffre“214 der Konzentrationslager) werden zwei Aufnahmen von Mahnmalen hinzugefügt, die vermutlich ebenfalls eher aufgrund ihrer symbolischen Aussagekraft (sich streckende Hände, ein Kreuz) als aufgrund ihres nationalen Kontextes (Jugoslawien, Italien) ausgewählt wurden. Es folgen Aufnahmen des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Nach der Befreiung von BergenBelsen durch das britische Militär am 15. April 1945 erfolgte, so der (Film-)Historiker und Kurator des Imperial War Museums in London Toby Haggith, die ausführlichste audio-/visuelle Dokumentation eines Konzentrationslagers, die zudem in einem NS-Kriegsverbrechens-Prozess eingesetzt wurde.215 Wie Haggith bemerkt, kam es aufgrund der zahlreichen Wiederholungen und Wiederverwendungen des Materials in Film und Fernsehen zu einer Ikonisierung der Aufnahmen „coming to symbolise not just the Holocaust but the evils of the 209 Hickethier 2003: 125. Zum Schweigen und zum Aussetzen der verbalen Narration siehe Kapitel 3.6.1. 210 Ein Ausschnitt aus dem 2. Satz der Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta (1936) von Béla Bartók. Für die Identifizierung dieses Werks danke ich Wolfgang Fuhrmann. 211 Keilbach 2008: 106f. 212 Keilbach 2008: 103. 213 Keilbach 2008: 103. 214 Vgl. Elsaesser 2002: 23. 215 Haggith 2005: 33.

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Nazi regime as a whole.“216 An den Sequenzen in Zeitgeschichte aus der Nähe fällt auf, dass ausschließlich Überlebende des Konzentrationslagers und Tote gezeigt werden. Im ursprünglich hergestellten Filmmaterial sind neben ehemaligem Wachpersonal auch deutsche Zivilbevölkerung und Angehörige der britischen Armee zu sehen; des Weiteren wurden einige Ton-Interviews mit Überlebenden und anderen vor Ort Anwesenden geführt.217 Das Aussparen anderer Personengruppen (außer jener der Opfer) kann als Teil einer Entkontextualisierungsstrategie gesehen werden, die die Verbrechen in den Konzentrationslagern, die systematische Ermordung von Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti und anderen an einem Ort lokalisiert, an dem es scheinbar keine anderen Personen als die Inhaftierten gab, was mit Bildern entkontextualisierten Leidens visualisiert wird.218 Dass in (westdeutschen) Nachkriegs-Darstellungen die NS-Verbrechen meist visuell und narrativ ausschließlich an den einen Ort „Konzentrationslager“ gebunden werden, bezeichnet Habbo Knoch als „Exterritorialisierung der Verbrechen“: „Räumliche Sujets, mit denen die NS-Verbrechen geöffnet wurden, waren den Symbolen einer in geschlossenen Lagern lokalisierbaren Tat nachgeordnet. In die Erinnerungsikonographie der NS-Verbrechen verlängerte sich somit eine Exterritorialisierung der Verbrechen, die bereits 1933 eingesetzt hatte sowie 1945 und danach als Bestätigung des Nichtwissens manifestiert worden war.“219 Schließlich werden die Zuschauer_innen aufgefordert, in den zwischen 1958 und 1962220 hergestellten Aufnahmen der leeren Gebäude von Mauthausen etwas 216 Haggith 2005: 33. 217 Vgl. Haggith 2005: 39-41. Die Abwesenheit dieser Interviews bedeutet auch eine Abwesenheit von Sprechpositionen von Überlebenden der Konzentrationslager. 218 Das Nicht-Benennen und Nicht-Zeigen von Mit-/Täter_innen, Handlungsoptionen etc. auf der Ebene des Kommentartextes bzw. bei der Verwendung von Fotografien habe ich in Kapitel 3.2.3 und 3.3.4 analysiert. Die Universalisierung der Opfer und die damit einhergehende Dethematisierung des antisemitischen (und antiziganistischen, Anm. rw) Charakters der NS-Vernichtungspolitik war laut Toby Haggith schon Teil des alliierten Umgangs in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit den Bergen-Belsen-Aufnahmen: „it is not clear to the viewer that the majority of the dead and survivors found at Belsen were Jewish, a problem compounded by the fact that in press reports, news-reels and official films produced for the public, there was a tendency to universalise the suffering and down-play the high number of Jews in the camp.“ (Haggith 2005: 34) 219 Knoch 2003: 108. 220 Aufgrund des Aufstellungsdatums der gefilmten nationalen Mahnmäler (Italien 1955 und Jugoslawien 1958, Perz 2006: 175) kann der Aufnahmezeitraum auf 1958 bis 1962 (Erstausstrahlung der Sendung) eingeschränkt werden.

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zu sehen, das sich jedoch nicht unmittelbar erschließt. Die Bilder des Krematoriumsofens, der Mauer mit Wachturm (und der ehemaligen Wäschereibaracke und Küchenbaracke, links im Bild) und des Appellplatzes zeugen für Zuschauer_innen (ausgenommen jene Überlebenden, die selbst in Mauthausen inhaftiert gewesen waren, Angehörige oder sonst mit dem Ort vertraute Personen) eben nicht „von dem unermesslichen Leid, von dem Millionen Menschen an vielen ähnlichen Orten betroffen wurden.“ Diesen später hergestellten Aufnahmen wird dennoch zugeschrieben, den Massenmord darstellen zu können, von ihm zu „berichten“. Eine andere Form des Umgangs mit ähnlichem Filmmaterial hat beispielsweise der 1955 produzierte Film Nuit et brouillard221 gefunden. Auch hier werden Archivaufnahmen222 mit für den Film hergestellten (Farb-)Aufnahmen von Auschwitz/Birkenau kontrastiert und letztere im Voice-Over des Sprechers des Öfteren mit Fragen nach ihrer Fähigkeit uns etwas mitzuteilen konfrontiert: „Wer übrigens weiß schon etwas davon? Die Wirklichkeit der Lager. Die, die sie geschaffen haben, ignorieren sie, und die sie erleiden, können sie nicht fassen. Und wir, die wir nun zu sehen versuchen, was übrigblieb? […] Kein Bild, keine Beschreibung gibt ihnen ihre wahre Dimension wieder. Die ununterbrochene Angst.“223 Die hier vom Kommentartext aufgeworfene Frage nach Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der visuellen Repräsentation der Shoah ist Gegenstand einer seit 1945 intensiv geführten Diskussion, die verschiedene theoretische Po221 Regie: Alain Resnais, Drehbuch: Jean Cayrol, Frankreich 1955, deutscher Titel: Nacht und Nebel. 222 In diesem Fall wurden ebenfalls Aufnahmen, die im Zuge der Befreiung der Konzentrationslager gemacht wurden, verwendet, außerdem die Filmaufnahmen aus Westerbork (1944) oder Fotos des Berichts von Jürgen Stroop über die gewaltsame Auflösung des Warschauer Ghettos (1943). 223 Nacht und Nebel (Alain Resnais, Frankreich 1955), Szene transkribiert von der Verfasserin. Der französische Originalfilm Nuit et brouillard basiert auf den Poèmes de la nuit et du brouillard des Schriftstellers Jean Cayrol, der Text der deutschen Fassung ist eine Übersetzung Paul Celans. Hinweise auf das Medium Film und dessen historische Beweiskraft, auf Materialität und Erinnerung sowie die Frage danach, was denn danach an dem Ort noch erfahrbar sei, tauchen auch an anderen Stellen im Film auf: „Das Blut ist geronnen, die Münder sind verstummt. Es ist nur eine Kamera, die jetzt diese Blocks besichtigen kommt. Ein eigentümliches Grün bedeckt die müde getretene Erde. Die Drähte sind nicht mehr elektrisch geladen. Kein Schritt mehr, nur der unsere.“ Bzw. „Dieselbe Bahnstrecke heute. Tageslicht und Sonne. Langsam schreitet man sie ab. Auf der Suche wonach? Nach einer Spur der Leichen, nach den Fußstapfen der Auswaggonierten, die man mit Kolbenstößen zum Lager trieb, unter Hundegebell, von Scheinwerfern angestrahlt.“ (Ebd.)

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sitionen und filmische Vorschläge hervorgebracht hat.224 Der präsentative Zugang von Zeitgeschichte aus der Nähe zu gerade diesen Aufnahmen ist kein Zufall. Auch der Kommentar von 27. April. Wiedergeburt einer Republik verstummt vor fotografischen Aufnahmen der befreiten Konzentrationslager Mauthausen, Gusen und Ebensee. (Vgl. 27A TC 38.01-38.40) Die Aufnahmen von Bergen-Belsen (und vergleichbare Aufnahmen anderer befreiter Konzentrationslager) sind gewaltige Bilder, die kurz nacheinander die Funktionen der Dokumentation, der juristischen Beweiskraft und der pädagogischen Aufklärung (in ihrem Einsatz in Re-Education-Filmen) erfüllen sollten. Viele der Aufnahmen entkommen dabei nicht dem Vorgang, den Sven Kramer folgendermaßen beschreibt: „Sie [die Bilder, Anm. rw] drücken jene Dehumanisierung der Opfer aus, die die Nazis ins Werk gesetzt haben. Allerdings gehörte es zur Bilderpolitik der Alliierten, diese Dehumanisierung durch die rhetorische Strategie der Bilder zu wiederholen.“225 Dies sei mit ein Grund für deren „Schockeffekt“, so Kramer.226 Das Schockierende dieser Bilder – das Susan Sontag dazu veranlasst hat, wie sie schreibt, ihr „Leben in zwei Abschnitte einzuteilen: in die Zeit, bevor ich diese Fotos sah [...] und die Zeit danach“227 – wird in Zeitgeschichte aus der Nähe aufgelöst in Bilder des Gedenkens in der damaligen Gegenwart. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Gedenken an die Ermordung von Juden und Jüdinnen, sondern um eines, das an die „aufrechten Österreicher“ erinnern will. Auf der visuellen Ebene wird das Ende dieser narrativen 224 In Bezug auf die Fähigkeit fotografischer und filmischer Aufnahmen, etwas über die Shoah mitzuteilen, können die Positionen von Claude Lanzmann, der die Verwendung jedes visuellen Archivmaterials ablehnt und als „Bilder, ohne jede Aussagekraft“ bezeichnet (Lanzmann 2000: 107) bzw. Georges Didi-Huberman, der sich auf vier vom Sonderkommando in Auschwitz heimlich aufgenommene Fotografien als „Bilder trotz allem“ bezieht (Didi-Huberman 2007), als zwei Pole der Debatte genannt werden. Zentrale filmische Positionen zur Darstellung der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus sind unter anderem die Re-Education-Filme der Alliierten, Nuit et Brouillard (F 1955), Shoah (F 1985, Regie: Claude Lanzmann), die TV-Miniserie Holocaust (USA 1978, NBC, Regie: Marvin J. Chomsky), Schindler’s List (USA 1993, Regie: Steven Spielberg) und La vita e bella (Italien 1997, Regie: Roberto Benigni). Diese Debatte kann hier nur angesprochen und nicht ausgeführt werden, einen guten Überblick in Bezug auf den sich verändernden Status fotografischer Aufnahmen der Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen bietet Ebbrecht 2011: 87-122. 225 Kramer 2003b: 231. 226 Kramer 2003b: 231. 227 Sontag 2003: 25.

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Einheit228 über drei Gedenktafeln hergestellt, die verschieden lesbar sind. So können die drei Tafeln einem Gedenken der Parteien KPÖ, SPÖ und ÖVP zugeordnet werden.229 Das stellte vermutlich eines der Auswahlkriterien dar, was sich in der Rezeption allerdings nicht unmittelbar erschließt. Die Narration, die sich aus den drei Tafeln ergibt, beginnt bei der Gedenktafel zum Tod Ludwig Haiders230, auf der zusätzlich „Lokführer. Vergast 23.4.45“ zu lesen ist. Dieser visuelle Hinweis ist die einzige Thematisierung der Ermordung durch Gas in der gesamten Sendung. Darauf folgt die Tafel mit der Aufschrift „Unseren für Freiheit und Recht gemordeten Genossen“, was bereits als Sinngebung gelesen werden kann, wobei jedoch durch die Formulierung „gemordet“ betont wird, dass es sich hier um ein unfreiwilliges Sterben, um ein Gewaltverhältnis gehandelt hat. Und schließlich die letzte, am längsten im Bild verbleibende Tafel mit dem Text „Den Österreichern, die hier für die Freiheit des Vaterlandes gestorben sind. Ihr Opfer möge der Welt Frieden bringen.“ Eine sinnstiftende Funktion ist hier am ehesten erkennbar. Die Motive, für die gestorben (und nicht mehr gemordet) wurde, sind die „Freiheit des Vaterlandes“ (statt „Freiheit und Recht“) und der 228 Darauf folgt eine neue Erzählung zum weiteren Kriegsverlauf an den Fronten 1942/43 und insbesondere zur Schlacht von Stalingrad. 229 Der Name Ludwig Haider, der sich auf der ersten Gedenktafel befindet (Abb. 26), findet sich auch auf einer 2001 von der KPÖ und dem Verband der Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus und des KZ-Verbands (Landesverband Oberösterreich) in der Gedenkstätte Mauthausen angebrachten Gedenktafel. Das in ZgadN noch sichtbare Portraitfoto auf der in der ehemaligen Gaskammer angebrachten Plakette wurde mittlerweile gestohlen. (Notizen der Verf. Oktober 2011, Gedenkstätte Mauthausen). Die anderen beiden Gedenktafeln sind derzeit nicht mehr angebracht. Weitergehende Informationen wie Abnahmezeitpunkt oder Verbleib der Tafeln konnten nicht in Erfahrung gebracht werden. (E-Mails von Doris Warlitsch, Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, an die Verfasserin, 27.10.2011, 22.2.2012.) 230 Ludwig Haider, geboren am 9.8.1885, war Eisenbahner und Mitglied der illegalen Gewerkschaftsbewegung (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1982: 318). 1945 wurde eine Straße in Linz nach ihm benannt. Im Zuge der Straßenbenennung wird er auf der Homepage der KPÖ Oberösterreich als Kommunist (http://ooe.kpoe.at/news/article.php?story=20060405102750978 Stand 15.6.2013) und auf der Homepage der Stadt Linz als Sozialdemokrat bezeichnet. (http:// www.linz.at/strassennamen/default.asp?action=strassendetail&ID=1914

Stand

15.6.2013) Ludwig Haider gehörte zu einer Gruppe von 42 noch im April 1945 im Konzentrationslager Mauthausen ermordeten Widerstandskämpfern (siehe Gedenktafel d. KPÖ 2001), die von der Gestapo unter dem Namen „Welser Gruppe“ verfolgt und verhaftet worden war. Vgl. Kammerstätter 1990: 607.

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„Frieden“. Die genannten Subjekte und die angegeben Todesgründe machen durch die Montage eine Verschiebung durch: Von einem Tod eines einzigen Mannes, der ohne Kontextualisierung als sinnloser Tod verstanden werden kann über jene, die unter den politischen Begriff „Genossen“ gefasst werden und wegen ihrer politischen Ziele „gemordet“ wurden hin zu jenen „Österreichern“, deren Tod mit Sinn gefüllt wird. Im Kontext der gesamten Sendung bedeutet dies auch eine Verschiebung von der visuellen Inszenierung eines absoluten Opferstatus und Ausgeliefertseins hin zu einer Handlungsfähigkeit gegen den Nationalsozialismus mit einer gleichzeitigen Verschiebung der benannten Subjekte von „Juden, Katholiken, Sozialisten, Kommunisten“ und „Ausländern“ hin zu „Österreichern“. Die narrative Schließung der Thematisierung der Konzentrationslager und der Shoah erfolgt in Zeitgeschichte aus der Nähe demnach durch eine patriotisierte Figur von Österreicher_innen, die gleichzeitig als widerständig und als Opfer (für einen sinnvollen Zweck) gezeichnet werden. 3.4.3 Aufnahmen vom März 1938. Propaganda vs. Beweis. Verführung und Verführte In allen untersuchten Fernsehsendungen, die den so genannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 thematisieren, werden die (Propaganda-)Aufnahmen vom Einzug der deutschen Truppen und dem Jubel der österreichischen Bevölkerung implizit oder explizit als NS-Propaganda zum Thema gemacht. Oft werden die Bilder mit einer Diskussion der Zustimmung beziehungsweise Ablehnung der österreichischen Bevölkerung zum nationalsozialistischen Regime verknüpft. Hier werden einerseits spezifische Erklärungsstrategien für das Zustandekommen der Bilder bemüht (was den Informationswert der Bilder in Frage stellt), und andererseits werden sie als Beweis für die „Sinnlosigkeit“ eines Widerstandes herangezogen (was auf der Annahme einer Authentizität der Bilder beruht). In der Sendung Was sagt uns der 13. März? (1961) wird keinerlei Archivfilmmaterial verwendet, Filmaufnahmen und Fotografien jubelnder Menschen werden jedoch von einigen der interviewten Personen angesprochen und unterschiedlich interpretiert. So befassen sich ausgehend von der Thematisierung dieser Bilder einige Beiträge mit der Frage nach der Zustimmung bzw. Ablehnung der österreichischen Bevölkerung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime. So vermutet ein junger Mann, „dass da außer parteipolitischen Sachen keine Stimmung gegen Hitler war“ (Wsud13M TC 02.05-02.11) – als Grund für den Jubel nennt er „Propaganda“. Ein weiterer Mann vermutet eine 40%ige Zustimmung zum Regime – „ich möchte aber nicht sagen, dass 90 Prozent der Be-

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völkerung, aber immerhin 40 sicherlich, die das gewollt hatten“ (Wsud13M TC 02.18-02.24). Am explizitesten auf die visuellen Dokumente vom März 1938 verweist die Aussage des fünften interviewten Mannes: „Ja, also, man kann das natürlich nicht verallgemeinern, aber wenn man die Massen in Wien zumindest von Fotos her gesehen hat, die beim Hitler-Empfang waren, dann könnte man glauben, das war ein willkommener Empfang. Aber ich glaube doch, dass da mehr als die Hälfte dagegen waren, die halt zuhaus’ geblieben sind und da natürlich nicht aufschienen.“ (Wsud13M TC 03.16-03.39)

Die Bilder jubelnder Menschen beim Einzug Hitlers und deutscher Truppen in Wien werden unter gleichzeitiger Infragestellung ihres Informationswertes aufgerufen. Diese Argumentationsfigur tritt in dokumentarischen Sendungen vielfach auf, zum Beispiel auch in Hellmut Andics’ Dokumentationen Die Iden des März, Die Republik der Überzeugten und 50 Jahre unserer Republik, die diese Archivbilder verwenden und im Off-Kommentar auf ihre Konstruiertheit und ihren Propagandacharakter verweisen (siehe unten). Die zitierte Aussage des Mannes in Was sagt uns der 13. März zeigt, dass die Bilder offensichtlich auch bei einer jüngeren Generation 1961 präsent waren und es galt, sich zu ihnen zu verhalten. Ein weiterer interviewter Mann bemerkt lakonisch: „Aber ich glaube kaum, dass das lauter Statisten waren, die auf der Ringstraße auf den Bäumen gehockt sind und begeistert mitgebrüllt haben und Hitler also da ziemlich einen feierlichen und einen ausgesprochen freundlichen Empfang gemacht haben.“ (Wsud13M TC 03.01-03.15)

Als televisueller Beitrag und Impuls für die (nicht archivierte) Fernsehdiskussion im Anschluss ruft der Zusammenschnitt jedenfalls die bekannten Bilder auf und bietet verschiedene Möglichkeiten ihrer Interpretation an. Ungeachtet der Klärung der Frage, welche Wirklichkeit diese Bilder nun zeigen, wird durch wiederholtes und längeres Sprechen einer der beiden interviewten Frauen dennoch einer bestimmten Interpretation Vorschub geleistet, nämlich der, dass verabsäumt wurde, dem Einmarsch etwas entgegenzusetzen. Die etwa 25-jährige Frau (in ihrem ersten Statement erwähnt sie, dass sie im Jahr 1938 ca. zwei Jahre alt war) spricht ebenfalls die erwähnten Jubelaufnahmen an. Dies tut sie interessanterweise mit den Worten „ich erinnere mich“; sie erinnert sich jedoch nicht an ein Ereignis, sondern an das Gezeigt-Bekommen von Bildern eines Ereignisses: „Ich erinnere mich an viele Bilder, die man mir gezeigt hat in der Schule, wie die Leute hier am Ring in Trauben oben hingen auf den Bäumen und auf der Bastei

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standen und ihm zuwinken und so weiter.“ (Wsud13M TC 01.44-01.55) Entgegen dem Impetus ihrer späteren Aussagen zum Ausbleiben des Widerstandes schildert die Frau diese Szenen fast begeistert. Ihre beiden weiteren Aussagen beziehen sich auf die Frage möglicher Reaktionen auf den „Anschluss“: „Allerdings ich, ich persönlich verzeihe den Österreichern nicht, ich bilde mir nicht ein, dass wir hätten dem Aufmarsch, äh dem Einmarsch der Deutschen Einhalt gebieten können, aber dass nicht einer aufgestanden ist und hingegangen ist und gesagt hat: ‚Moment, mein Herr, erschießt mich von mir aus, aber ich mach jetzt einfach ein Beispiel, ich will zeigen, wir wollen nicht!‘, das ist unverzeihlich.“ (Wsud13M TC 04.47-05.06) „Wir haben doch ein österreichisches Bundesheer gehabt. Wieso sind da nicht hundert Mann, wenn’s hundert gewesen wären, oder fünfe, aufmarschiert und gesagt: ‚So, wir wissen, es hat keinen Sinn, aber trotzdem wollen wir unsere Einstellung bekunden.‘? Das ist unverzeihlich, ich find’ das wirkt sich auch heute noch im Staatsvertrag aus, diese Geschichte. Wir gehen ja fast hausieren, möchte ich sagen, mit unserer Okkupation.“ (Wsud13M TC 05.30-05.54)

Die interviewte Frau beklagt zwar die Abwesenheit jeden Widerstandes; zugleich betont sie aber, dass dieser in Bezug auf den „Einmarsch der Deutschen“ folgenlos geblieben wäre. Die Einforderung einer Gegenreaktion wird somit abgeschwächt. „Widerstand“ erscheint somit als etwas, das (im März 1938) nicht passiert ist, aber auch keine Folgen gehabt hätte. In Zeitgeschichte aus der Nähe werden die Propagandaaufnahmen vom Einmarsch des deutschen Militärs vorerst im Kontext einer Erzählung der Sinnlosigkeit eines militärischen Widerstandes eingesetzt: „Befehlsgemäß setzte die österreichische Exekutive den einmarschierenden Verbänden keinen Widerstand entgegen. Es wäre auch gegen die Übermacht der mit Panzern, schwerer Artillerie und mit Kampfflugzeugen operierenden Deutschen sinnlos gewesen. Sinnlos vor allem deshalb, weil europäische Großmächte, an die sich Österreich gewandt hatte, beteuert hatten, dass sie Österreich nicht zur Hilfe kommen konnten. Großbritannien, Frankreich und einige überseeische Mächte schickten formelle Proteste nach Berlin, aber sie ließen Hitler gewähren. Mussolini, der vorher für die Selbständigkeit Österreichs eingetreten war und Hitler abgehalten hatte, erklärte sich nun mit dem Vorgehen Hitlers einverstanden, weil er dafür freie Hand in Südtirol erhielt. Da niemand Österreich schützte, konnte es zu dieser Okkupation kommen.“ (ZgadN TC 06.30-07.35)

Zwei Argumentationslinien für die „Sinnlosigkeit“ von Widerstand kennzeichnen diese Passage. Erstens die Übermacht des deutschen Militärs und zweitens

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das Nicht-Eingreifen anderer Staaten.231 In beiden Fällen erscheint Österreich als handlungsunfähig und dem Agieren größerer und mächtigerer Staaten hilflos ausgeliefert. Auf der visuellen Ebene wird diese Handlungsunfähigkeit durch das NS-Propagandafilmmaterial vom März 1938 hergestellt. Ursprünglich gedreht und montiert mit der Intention, das Bild eines starken, mächtigen deutschen Militärs zu zeigen, unterstützt gerade diese Propagandafunktion die Rede von der Sinnlosigkeit, sich zu wehren.232 Mit dem Propagandamaterial kommen aber auch die jubelnden Österreicher_innen ins Bild, die auf der textuellen Ebene folgendermaßen thematisiert werden: „Nach der militärischen Besetzung Österreichs rühmte die nationalsozialistische Propaganda in der Presse und im Rundfunk den großen Sieg Hitlers. Der Bevölkerung wurden Arbeit, Wohlstand und Frieden versprochen. Die österreichischen Nationalsozialisten gaben sich einem Taumel der Freude hin und ließen bis in die kleinsten Dörfer ihren Rachegefühlen freien Lauf. Schon während der Anschlusstage aber wurden mehr als zehntausend aufrechte Österreicher verhaftet. Aber der Schmerz Hunderttausender über den Verlust ihres Vaterlandes ging unter im Jubel der verführten Massen, die Angst, Neugierde und die Hoffnung auf Arbeit, Brot und Sicherheit auf die Straße getrieben hatten. An Versprechungen ließen es die neuen Machthaber ja nicht fehlen. Dafür sorgte der Apparat des Propagandaministers Dr. Joseph Goebbels. […] Goebbels organisierte es, dass Österreicher ihrem eigenen Totengräber mit Begeisterung zujubelten, als er sich auf seiner Fahrt durch Österreich huldigen ließ.“ (ZgadN TC 07.36-09.20)

Diese gesprochenen Sätze sind in Zeitgeschichte aus der Nähe mit Archivfotos von NS-Militärs illustriert, mit abgefilmten Zeitungsschlagzeilen „Ein Volk – ein Reich – ein Führer“, Fotografien von Joseph Goebbels und NSWochenschau-Filmmaterial, auf dem Menschenmengen und Hakenkreuzfahnen zu sehen sind. Im Text folgt nach einem ersten und später wiederholten Hinweis auf Propaganda und Versprechungen die (seltene) Bezeichnung „österreichische Nationalsozialisten“, denen jedoch drei andere Gruppen von Österreicher_innen gegenübergestellt werden: die „mehr als zehntausend aufrechten Österreicher“233, die verhaftet wurden, die „Hunderttausenden“, die „Schmerz“ verspürten, aber nicht gehört wurden, und die „verführten Massen“. Diese Konstruktionen bieten differenzierte Entlastungsstrategien für österreichische Fernsehzu231 Zu dieser Form der Verantwortungsabschiebung als Externalisierungsstrategie siehe Kapitel 3.2.1. 232 Eine ähnliche Argumentation in Bezug auf die Darstellung der Faszinationsfähigkeit Hitlers führt Vrääth Öhner an: Öhner 2005: 143 (siehe unten). 233 Zu deren Visualisierung siehe Kapitel 3.3.3.

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schauer_innen der 1960er Jahre an: So ist es demnach möglich, das Verhalten eines Großteils der Bevölkerung als nicht gehörte Opposition zu interpretieren oder diese als verführt zu beschreiben. Die Figur der Verführung, eine sexualisierte Figur, lagert letztendlich die Verantwortung an den Verführer oder die Verführerin aus (siehe unten). Auch in den letzten hier zitierten Sätzen werden Handlungsmöglichkeit und Verantwortung in einem „Apparat“ – ein technischer Begriff, der es leicht macht, der Frage nach tatsächlichen Akteur_innen auszuweichen – beziehungsweise in einer einzigen männlichen Figur manifestiert, die nicht von Adolf Hitler, sondern Joseph Goebbels verkörpert wird.234 Die Nennung des Propagandaministers statt des Reichskanzlers bekräftigt nochmals die Rede von den manipulierten und verführten Österreicher_innen. Zudem ist Joseph Goebbels ein Politiker deutscher und nicht österreichischer Herkunft, ein passendes Element in einer Argumentationslogik der Externalisierung nationalsozialistischer Politik als genuin deutsches und nicht österreichisches Phänomen.235 Die an dieser Stelle benannten Opfer sind ausschließlich „verführte“, „nicht gehörte“, oder „verhaftete Österreicher“, von spezifisch antisemitischen Verfolgungen ist hier keine Rede. Der „Schmerz Hunderttausender“ ist keiner, der sich auf den Verlust von Freiheiten, auf die Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen, also auf den rassistischen und diktatorischen Charakter des Regimes bezieht, sondern sein Auslöser ist der „Verlust des Vaterlandes“. Während also in Zeitgeschichte aus der Nähe einerseits NS-Propagandabilder zur Visualisierung der militärischen Übermacht des Deutschen Reiches herangezogen werden, werden andererseits die in den Bildern sichtbaren jubelnden Menschen zum Resultat der NS-Propaganda erklärt. Ein anderer Umgang mit der Frage nach Zustimmung oder Ablehnung des nationalsozialistischen Regimes und der Verwendung und Thematisierung der Aufnahmen jubelnder Österreicher_innen beim Einmarsch der deutschen Truppen wurde in den Sendungen von Hellmut Andics gewählt. Hier betont der Kommentar die Selektivität der Jubelaufnahmen, wie etwa in Die Republik der Überzeugten: „Die, die daheim geblieben waren, wurden nicht gefilmt.“ (RdÜ 14.05-14.08); und in 50 Jahre unserer Republik „Aber es wurden nur jene gefilmt, die damals jubelten.“ (50JuR 1.00.56-1.00.57) 236 In Die Iden des März be234 Zu der Betonung Joseph Goebbels’ gegenüber Adolf Hitler siehe auch Kapitel 3.2.4. 235 Siehe Kapitel 3.2.1. 236 In den drei von mir untersuchten Sendungen von Hellmut Andics (und in Andics 1968: 343) wird die Passage zum Einmarsch der deutschen Truppen und den diesen begleitenden Propagandaaufnahmen inhaltlich und visuell sehr ähnlich aufgebaut. (Vgl. RdÜ TC 13.58-14.13 und 50JuR TC 01.00.34-01.01.12)

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zieht sich der Kommentar beim Zeigen der Bilder gleich zweimal direkt auf die Bildebene: „Am 12. März 1938 findet dieser berühmt berüchtigte Blumenfeldzug statt. Es ist sinnlos, die Richtigkeit dieser Bilder zu leugnen, dahinter steckt die Hilflosigkeit eines Volkes, das die Großmächte zwanzig Jahre lang als Spielball ihrer Weltpolitik missbraucht hatten. Diese Großmächte, die so wenig taten, um diesem kleinen Volk ein erträgliches Leben zu ermöglichen, ließen es nun hilflos untergehen. Und während die Massen jubelten und während nur die gefilmt wurden, die eben jubelten, wanderten schon in der ersten Nacht Hunderte in die Gefängnisse, und in den nächsten Tagen schlossen sich die Tore der Konzentrationslager hinter tausenden Österreichern.“ (IdM TC 56.42-57.27)

Judith Keilbach beschreibt im präsentativen Modus zwei verschiedene Möglichkeiten des Sprechtextes, die Aufmerksamkeit auf die Bildebene zu lenken, nämlich „entweder auf das Referenzobjekt des Bildes oder auf das Bild als Bild (d.h. auf seine Materialität und Qualität)“.237 Beide Arten der Bezugnahme geschehen in dem hier zitierten Beispiel. Zum einen wird auf das Referenzobjekt des Bildes – die jubelnde Bevölkerung – Bezug genommen und den Bildern mit Hilfe des Textes Beweiskraft zugesprochen (es sei „sinnlos, die Richtigkeit dieser Bilder zu leugnen“); gleichzeitig wird ein Interpretationsrahmen vorgeben. Die begeistert winkenden Menschen seien „hilflos“ und „missbraucht“ (ein Begriff mit sexualisierten Konnotationen238) und zwar von den „Großmächten“. Diesen „Großen“ wird das „kleine Volk“ gegenübergestellt; dadurch erfolgt eine Infantilisierung und Viktimisierung der nicht zu leugnenden jubelnden österreichischen Bevölkerung. Zum anderen wird auf das „Bild als Bild“ verwiesen, indem der selektive Herstellungsprozess der Aufnahmen betont wird („während nur die gefilmt wurden, die eben jubelten“). Diese Aussage betont das Nicht-Gefilmte und stellt die Aussagekraft der Aufnahmen als historisches Dokument in Frage. Auf der Bildebene wird die Frage nach dem Außerhalb der gezeigten Bilder durch eine Gegenmontage beantwortet. Die Jubelaufnahmen werden mit Auf237 Keilbach 2008: 103 (Hervorh. im Orig.). 238 Schon zu Beginn des Jahrhunderts betrifft eine Bedeutungsebene des Wortes „Mißbrauch“ sexualisierte Gewalt und ist zudem geschlechtlich konnotiert. So wird im Eintrag „Mißbrauch“ in Meyers Großem Konversations-Lexikon 1905 unter Bezug auf deutsches Strafrecht neben anderen Bedeutungen angegeben: „Der M. zum Beischlaf wird nach § 176 des Reichsstrafgesetzbuches mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft, wenn eine willenslose oder bewußtlose oder geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischlaf benutzt wird.“ Meyers 1905 [Band 13: 1908]: 898899.

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nahmen eines Wachturms mit Stacheldrahtzaun – visuelle Chiffren der Konzentrationslager – und einer Aufnahme dreier Männer in Häftlingskleidung (siehe Abb. 29239) überblendet. Marschmusik und Jubel bleiben hörbar, die Sequenz schließt mit einer Rückkehr zu den Propagandaaufnahmen. Zur Authentifizierung des auf den Propagandabildern nicht Sichtbaren werden also wieder visuelle Dokumente eingesetzt. Auch das nicht Sichtbare muss erst sichtbar gemacht werden, um in der Geschichtserzählung der Fernsehdokumentation zu existieren. Diese Gegenmontage ist ein von Hellmut Andics öfter eingesetztes Mittel: Hier soll die propagandistische Selbstdarstellung des NS-Regimes mit anderen Bildern konfrontiert werden, von denen nahegelegt wird, dass sie nicht Teil der öffentlichen Selbstdarstellung des Regimes gewesen seien. Dabei werden jedoch, ob Jubel oder Konzentrationslager, jeweils Aufnahmen verwendet, die Teil des Bildrepertoires des nationalsozialistischen Regimes waren. So wurde die Fotografie (siehe Abb. 29) der Männer in Häftlingskleidung – Franz Zelburg, Karl Maria Stepan und Alfons Gorbach (von links nach rechts) – laut Alfons Gorbach während seiner Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau zu dem Zweck aufgenommen, in einer NS-Ausstellung über politische Gegner des Nationalsozialismus in Graz ausgestellt zu werden.240 In Die Iden des März fährt die Kamera über die Fotografie und tastet die Gesichter und die Winkel mit den Häftlingsnummern ab. Der Fokus auf die Gesichter lässt darauf schließen, dass die Fotografie unter anderem aufgrund des Wiedererkennungswertes dieser Vertreter des austrofaschistischen Staates241 ausgewählt wurde (wie vermutlich die drei Männer schon 1939 für die nationalsozialistische Ausstellung wegen ihres Wiedererkennungswertes ausgewählt wurden).

239 Signatur im DÖW Foto-Archiv: 1859. 240 Das erklärt Alfons Gorbach im Interview in 50 Jahre unsere Republik (TC 01.01.20-01.01.54). Auch der Historiker Dieter Binder konnte diese Erzählung vom Zustandekommen der Fotografie aufgrund von Erinnerungen der Tochter von Karl Maria Stepan bestätigen. (E-Mail an die Verf. 22.4.2012). Die Fotografie befindet sich in den Multimedialen Sammlungen des Universalmuseums Joanneum, Graz (EMail von Heimo Hofgartner an die Verf. 18.04.2012). Albert Knoll von der Gedenkstätte Dachau schränkte den Aufnahmezeitraum aufgrund der Inhaftierungszeiten der drei Männer auf die Monate April bis Juli 1939 ein (E-Mail an die Verf. 18.1.2012). 241 Die drei abgebildeten Männer waren vor ihrer Verhaftung Landtagsabgeordneter und Landesrat für die Vaterländische Front (Alfons Gorbach, 1898-1972), Landeshauptmann der Steiermark (Karl Maria Stepan, 1894-1972) und Generalinspektor der Bundesgendarmerie (Franz Zelburg, 1883-1950).

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Abbildung 29

Quelle: Weinzierl 1975: 164.

Während an dieser Stelle also der propagandistischen Selbstdarstellung des Regimes andere Bilder entgegengesetzt werden (auch wenn diese für das NSRegime hergestellt wurden) und der Wahrheitswert der Propaganda-Bilder in Frage gestellt wird, wird in Die Iden des März an anderen Stellen Propagandamaterial eingesetzt, aber nicht als solches benannt. Das gilt etwa für eine Szene, die vom Sprecher eingeleitet wird mit den Worten: „Der Westen blickt hypnotisiert auf das Schauspiel, das Deutschland der Welt bietet.“ (IdM TC 22.4822.55) Darauf folgt eine ungefähr einminütige ungeschnittene und unkommentierte Sequenz mit Originalton aus Triumph des Willens (Leni Riefenstahl, 1935242). Gegen Ende werden die Bilder wieder kommentiert: „Niemand will den allmächtig scheinenden deutschen Führer reizen. Das kleine Österreich ist den Westmächten keinen Krieg mit dem bis an die Zähne bewaffneten Nationalsozialismus wert.“ (IdM TC 23:48-24:02) Der Hinweis auf die Herkunft der Bilder bei einer Szene, in der den Nazis zujubelnde Österreicher_innen gezeigt werden, und das Fehlen des entsprechen-

242 Gewählt wurde ein Ausschnitt zur Hitler-Jugend (IdM TC 22:55-23:48).

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den Hinweises, wenn der „allmächtig scheinende[…] deutsche[…] Führer“ repräsentiert werden soll, sind bezeichnend. Dieser Umgang legt nahe, dass die Beweiskraft des Archivmaterials nur dann in Frage gestellt wird, wenn es um die Zustimmung und die Mittäter_innenschaft von Österreicher_innen im Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Regime geht. Die kritische Distanz fehlt aber, wenn die „Verführungskompetenz“ des Propagandamaterials bewiesen werden soll, wie auch Vrääth Öhner ausführt: „Bis heute findet kaum ein Kompilationsfilm etwas dabei, beispielsweise die faszinierende Wirkung Hitlers auf seine Zuhörer mit Bildmaterial zu illustrieren, das genau aus dem Grund hergestellt wurde, um die faszinierende Wirkung Hitlers auf seine Zuhörer zu zeigen.“243 Die Verführungsfigur, die in Zeitgeschichte aus der Nähe II direkt angesprochen wird – „Jubel der verführten Massen“ (ZgadN TC 08.17) –, findet sich in Die Iden des März auf der Bildebene wieder. Die Montage des JubelPropaganda-Materials enthält im Vergleich zum Rest der Dokumentation viele Aufnahmen von Frauen, die mitunter jubeln oder Adolf Hitler Blumen überreichen. Diese feminisierte Darstellung der Bevölkerung steht an einer Stelle, an der es um die Frage nach Zustimmung (oder Ablehnung) des nationalsozialistischen Regimes geht. Der Kommentar lässt keinen Zweifel, wie die Bilder interpretiert werden sollen: Er spricht vom „missbrauchten“, „hilflosen“ „Volk“. Diese geschlechtlich codierten Zuweisungen stellen Insa Eschebach und Silke Wenk auch in einem bundesdeutschen Kontext fest: „Ist das ‚deutsche Volk‘, das die Nazis an die Macht brachte, erst einmal über die Zuordnung zum ‚Weiblichen‘ auf der Seite des Schwachen (als der Opposition ‚des Männlichen‘), so lässt es sich als ‚Opfer‘ (im Sinne von victim) beschreiben: verführt und/oder vergewaltigt.“244 Auf die Metapher der Verführung als vielfältiges Deutungsmuster der Zustimmung zum nationalsozialistischen Regime und seine geschlechtlichen Codierungen hat Kathrin Hoffmann-Curtius 1996 in ihrem vielzitierten Artikel Feminisierung des Faschismus hingewiesen.245 So existieren nebeneinander die Figur der Verführung des „kleinen Mannes durch die große femme fatale Germania“246, wie auch die Vorstellung von „Hitler als Verführer“247 der vor allem weiblich codierten Bevölkerung. Eine Funktion dieser Metapher ist eine Darstellung der Zustimmenden und Täter_innen als passiv und „fremdbestimmt“, wie 243 Öhner 2005: 143. 244 Wenk/Eschebach 2002: 26. 245 Hoffmann-Curtius 1996. 246 Hoffmann-Curtius 1996: 54. 247 Hoffmann-Curtius 1996: 55.

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Julia Duesterberg anhand der stereotypen Darstellung von KZ-Aufseherinnen zeigt.248 Auf das hier verwendete Bildmaterial trifft außerdem etwas zu, das Johanna Gehmacher anhand einer Analyse populärer Darstellungen von Frauen der NS-Elite seit den 1950er Jahren beschreibt, nämlich dass diese „selbst Teil der Repräsentationspolitik des Regimes“249 waren. Da der Nachkriegsdiskurs an diese Bilder anknüpfe, gehe es darum, „die stereotypen Narrative erkennbar zu machen und die unterschiedlichen damit verbundenen Darstellungsstrategien zu dekonstruieren“250, um „die vielfach phantasmatischen Geschlechtermetaphern in der Gedächtnisgeschichte des Nationalsozialismus aufzulösen und damit ihren problematischen gedächtnis- und geschlechterpolitischen Folgen entgegenzuwirken.“251 Auf die Geschlechtermetaphern der besprochenen Jubelszenen angewendet bedeutet das, die Aufnahmen jubelnder Frauen wahrzunehmen als solche, die unter anderem mit der Intention hergestellt wurden, Adolf Hitler als heterosexuelles Begehrensobjekt zu konstituieren. Diese Argumentation wird in Die Iden des März nicht gebrochen. Vielmehr wird das Gelingen dieses Begehrensdiskurses postuliert, unter Verweis auf die missglückten Verhältnisse zu den nahezu elterlich dargestellten „Großmächten“, die Österreich „zwanzig Jahre lang als Spielball ihrer Weltpolitik missbraucht hatten“, um es dann „hilflos untergehen“ zu lassen. Zusammenfassend lassen sich in Auswahl, Montage und Kommentierung der Wochenschau-Aufnahmen vom „Anschluss“ im März 1938 spezifische geschichtspolitische Strategien der Entlastung, Entschuldigung und Viktimisierung der österreichischen Bevölkerung, der Bagatellisierung der NS-Verbrechen und der Patriotisierung von Verfolgung und Widerstand feststellen. 3.4.4 Aufnahmen vom April 1945. Wiederherstellung der Geschlechterordnung Wie sich das Gedenken an den 27. April 1945 einerseits und an den 15. Mai 1955 andererseits im ORF der 1960er Jahre zueinander verhielten, habe ich bereits dargelegt; ebenso die Unterordnung des April 1945 in der Gesamtnarration der Sendungen unter andere Ereignisse (Die Republik der Überzeugten und 27. April. Wiedergeburt einer Republik).252 Hier möchte ich nun den Einsatz spezifi-

248 Duesterberg 2002: 239 und 241. 249 Gehmacher 2009: 65. 250 Gehmacher 2009: 65. 251 Gehmacher 2009: 65f. 252 Siehe Kapitel 2.6.

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schen Filmmaterials vom 29. April 1945 analysieren. In einer Untersuchung der Austria Wochenschau von 1949 bis 1955 stellt Heidemarie Uhl fest, dass Österreich vor allem als „Opfer des Krieges gegen den Nationalsozialismus“253 festgeschrieben werde. Dies gehe mit einer dominanten Stellung der Staatsvertragsunterzeichnung 1955 im österreichischen Bildgedächtnis einher.254 Über die Staatsvertrags-Sondersendung der Austria Wochenschau vom 28. Oktober 1955, in der „Wiener vor Freude über den Abzug der Besatzungsmächte auf den Straßen der Stadt Walzer tanzen“255, schreibt Uhl: „Dass es solche Szenen auch aus dem Jahr 1945 gibt, ist nicht zufällig aus dem kollektiven Bewusstsein verschwunden. Bilder, die das Kriegsende 1945 als Befreiung zeigen, aus denen die Freude über das Ende des NS-Terrorregimes oder schlichtweg darüber, den Wahnsinn des Krieges überlebt zu haben, hervorgeht, fehlen im österreichischen Gedächtnis.“256 Genau diese Aufnahmen der tanzenden Menschen vor dem Parlament vom 29. April 1945 werden im Geschichtsfernsehen der 1960er Jahre jedoch wiederholt eingesetzt. Wie diese im Einzelnen montiert und kommentiert werden und in welchem Kontext sie innerhalb der jeweiligen Sendung stehen, ist Gegenstand des folgenden Abschnittes. In Zeitgeschichte aus der Nähe II wird das Ende des Krieges und des Nationalsozialismus als Wiederherstellung der Geschlechterverhältnisse ins Bild gesetzt. Die Sequenz (ZgadN TC 47.20-49.43) wird mit einer Archivaufnahme eingeleitet, in der die Kamera über einen Soldatenfriedhof schwenkt und dann bei einer Frau und einem Kind, die vor einem der vielen Kreuze stehen, verharrt. Es folgen eine Aufnahme des Grabsteines der wegen militärischen Widerstandes im April 1945 hingerichteten Wehrmachts-Offiziere Karl Biedermann, Rudolf Raschke und Alfred Huth257 sowie Portraits der drei Männer. Im Anschluss sind Kriegsaufnahmen zu sehen (vor allem Explosionen, Rauch, Kanonen, Soldaten), die durch den Einsatz von Musik und das Aussetzen des Kommentars dramaturgisch markiert werden. Gegen Ende der etwa einminütigen Passage werden Soldaten von anderen Soldaten aus einem Haus herausgeführt. Diese und weitere Festnahmeszenen werden abgelöst von Aufnahmen von Menschen, die sich um eine Ausgabe der Zeitung Neues Österreich mit der Schlagzeile „Der Krieg ist zu Ende. Endgültiger Sieg der Vereinten Nationen“ scharen. Schließlich werden 253 Uhl 2005a: 512. 254 Uhl 2005a: 495-499. 255 Uhl 2005a: 512. 256 Uhl 2005a: 512. 257 Der Grabstein des gemeinsamen Grabes auf dem Friedhof Hietzing wurde 1950 von der ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten gestiftet. Vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1998: 307f.

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die tanzenden Menschen vor dem Parlament mit Österreichfahnen gezeigt, unterbrochen von zwei kurzen Einblendungen: Die erste zeigt eine junge Frau und einen jungen Mann, die in die Kamera lachen, die zweite eine junge Frau allein. Diese Bilder erzählen eine eigenständige Geschichte, die mit dem Sprechtext258 in Wechselwirkung steht. Dass das Ende des Krieges „vor allem als Untergang stabiler Geschlechterverhältnisse“259 erscheine, analysiert Johanna Gehmacher anhand der Publikation „Der Untergang“ von Joachim Fest (2003). Eine weitere Geschlechterunordnung beschreibt Klaus Theweleit – „With a lost war in your hand you are sort of a woman“260 – um auf die den verlorenen Kriegen folgenden Remaskulinisierungsprozesse hinzuweisen. Ein ähnlich geschlechtlich codiertes Bedeutungsset wird aufgerufen, wenn in Zeitgeschichte aus der Nähe sich (anderen Männern) ergebende Soldaten zu sehen sind und dabei von den alliierten Truppen die Rede ist, die in Österreich „eingedrungen“ seien.261 Werden Männer zuerst als tot, kämpfend, verwundet, verhaftet oder sich ergebend gezeigt, versprechen das Ende des Krieges und das neue Österreich eine Rückkehr zur Ehe und Familie. Die Archivaufnahmen der tanzenden Menschen widersprechen aber dieser visuell zusätzlich eingeführten Normalität: Viele der (schlecht erkennbaren) tanzenden Paare vor dem Wiener Parlament werden von jeweils zwei Frauen gebildet. Das eingeblendete Bild eines Paares, das aus einem Mann und einer Frau besteht, ist 258 Der gesprochene Text zur betreffenden Passage ist: „Dennoch verloren noch viele aufrechte Österreicher in den letzten Kriegstagen ihr Leben. So wurden am 8. April 1945, also bereits zu einer Zeit, als der größte Teil Wiens in der Hand der Russen war, die österreichischen Widerstandsoffiziere Major Biedermann, Hauptmann Huth und Oberleutnant Raschke auf dem Floridsdorfer Spitz von einem Kommando der Gestapo hingerichtet. Am 31. März 1945 hatten die russischen Truppen die österreichische Grenze überschritten und waren am 7. April in Wien eingedrungen. [Musik] Einige Wochen später drangen Amerikaner und Franzosen vom Westen und Engländer vom Süden her in Österreich ein. Der Krieg dauerte noch an, denn erst am 8. Mai wurde die Kapitulation von Seiten Deutschlands unterzeichnet. Das tausendjährige Dritte Reich war nach zwölf Jahren zu Ende, Europa lag in Schutt und Asche, der heiß ersehnte Friede auf diese Art gekommen. [Kirchenglocken].“ (ZgadN 47.20-49.43) 259 Gehmacher 2007b: 247. 260 Theweleit 1993: 284. Theweleit bezieht sich auf Susan Jeffords’ Untersuchung „The Remasculinization of America: Gender and the Vietnam War“, Bloomington 1989. 261 Auf feminisierte Metaphern von Land, in das in einer Allegorie männlicher okzidentaler Macht „eingedrungen“ wird, weist Ella Shohat im Zusammenhang mit sexualisierten Darstellungen des Orients hin. Vgl. Shohat 1993: 40.

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als Versuch zu lesen, die Wahrnehmung in eine bestimmte Richtung zu lenken: In den tanzenden Paaren soll jeweils ein Mann und eine Frau gesehen werden. Während hier eine symbolische Remaskulinisierung in den Bereichen Beziehung und Familie vollzogen wird, geschieht dasselbe auf der Ebene der Handlungsfähigkeit und der Darstellung von (unverwundeten) Körpern erst einige Minuten später. Nach einer Sequenz über Zerstörungen (Wiens) und Aufzählungen der Toten (des Krieges und der Konzentrationslager)262 schließt die Sendung mit einem Ausblick auf die Anfänge der Zweiten Republik, die als Wiederherstellung politischer Macht österreichischer Männer gezeichnet wird.263 Visualisiert wird dieser Ausblick mit Aufnahmen der Abgeordneten, die an den Stellen, an denen keine Großaufnahmen (wie die von Karl Renner oder Leopold Figl) eingesetzt werden, als Ansammlung von vielen Männern in Anzügen erscheint.264 Anne Hollander beschreibt die Entwicklung und Veränderung des Herrenanzugs seit dem 17. Jahrhundert. Anzüge, so Hollander „are obviously not really inexpressive; they express classical modernity, in material design, in politics, and in sexuality. In their pure form, they express a confident adult masculinity, unflavored with either violence or passivity.”265 Sie beschreibt den Anzug weiter als „uniform of official power, not manifest force or physical labor – it suggests diplomacy, compromise, civility, and physical self-control.”266 Die spezifische Männlichkeit, die in den Repräsentationen der Anfänge der Republik 1945 in Zeitgeschichte aus der Nähe somit affirmiert wird, ist eine moderne, nicht gewalttätige Männlichkeit der Diplomatie und des Kompromisses. In Die Republik der Überzeugten werden die Aufnahmen der Menschenmenge vor dem Parlament zunächst visuell und verbal mit „Jugend“ und „Zukunft“ verknüpft. Zwischen die Aufnahmen der tanzenden Menschen und der Menschenmenge um Auto und Regierung wird ein Filmausschnitt von im Kreis tanzenden Kindern montiert, dann sagt der Sprecher:

262 ZgadN TC 50.37-51.50. Zu einer Analyse dieser Aufzählungen siehe Kapitel 3.2.2. 263 ZgadN TC 52.21-53.09. Zu einer Analyse der patriotisierenden und harmonisierenden Funktion des zugehörigen Sprechtextes siehe Kapitel 3.2.5. 264 Auf den Aufnahmen ist keine der weiblichen Abgeordneten zu erkennen, eventuell liegt das auch an der Bildqualität. 265 Hollander 1994: 113. (Hervorh. im Orig.) Für den Hinweis auf die Publikation von Anne Hollander danke ich Johanna Schaffer. 266 Hollander 1994: 113.

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„Ein Staat, von dessen Existenzberechtigung jetzt alle überzeugt waren bis auf ein paar Unbelehrbare. Keine Zwischenlösung. Ein Staat für die Zukunft kommender Generationen.“ (RdÜ TC 35.32-35.44)267

Dieser zukunftsfrohe Augenblick wird jedoch umgehend beendet: „Die Regierung Renner lenkte die ersten Monate eines befreiten, aber noch keineswegs eines freien Landes. Die Herrschaft der vier begann, und sie sollte länger dauern, als die trübsten Pessimisten es erwartet hatten.“ (RdÜ TC 36.22-36.32)

Die Bilder der Menschen vor dem Parlament und der provisorischen Regierung werden von Aufnahmen alliierter Soldaten abgelöst. Die österreichische Bevölkerung, zuerst tanzend ins Bild gesetzt, ist nun zu sehen, wie sie sich um Lebensmittel anstellt und Schutt wegräumt. Drei Jahre später, in der Sendung 50 Jahre unserer Republik, geschieht diese Entwicklung der Erzählung von Freude zu Enttäuschung schon wesentlich schneller. Den Aufnahmen der tanzenden Menschen folgt hier dieser Sprechtext: „Die Freiheit jedoch, die die Österreicher mit stürmischem Jubel begrüßten, war zunächst nur äußerer Schein. Die Besatzungsmacht regierte vorderhand mit dem Recht und nach dem Gesetz des Siegers. Und den Österreichern in den östlichen Bundesländern kam es zunächst so vor, als hätten sie lediglich einen Eroberer gegen den anderen eingetauscht.“ (50JuR TC 01.09.28-01.09.50)

Rhetorisch werden hier die Österreich befreienden alliierten Mächte mit dem nationalsozialistischen Regime gleichgesetzt. Totalitaristischen Konzeptionen entsprechend wird diese Gleichsetzung insbesondere in Bezug auf die sowjetische Verwaltung („die östlichen Bundesländer“) behauptet. Auch die Formulierung vom „Jubel“, die Andics sonst für die Beschreibung der Aufnahmen vom März 1938 vorbehält, verweist auf diese Parallelisierung. Explizit wird der „Jubel“ in der Sendung 27. April. Wiedergeburt einer Republik verglichen. Zu den Aufnahmen der provisorischen Regierung, die durch eine Menschenmenge von Rathaus zu Parlament zieht, bemerkt ein Sprecher: „Der Jubel, der sie begleitete, war echt und ehrlich und freiwillig.“ (27A TC 27.45-27.49) In der Anspielung auf die Aufnahmen vom März 1938 wird nahegelegt, dass die dort sichtbare Begeisterung für den Nationalsozialismus entwe267 Zum hier auch auftretenden Topos vom „Staat, den keiner wollte“ (Andics 1962), zur Rede vom „Bekenntnis“ zu Österreich und zur Bezugnahme auf Geschichte als „Menetekel“ (Gehmacher 2007a) siehe auch Kapitel 3.2.5.

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der nicht „echt und ehrlich“ oder unfreiwillig gewesen sein müsste. Im Gegensatz dazu lädt der Kommentar hier ein, die Bilder vom April 1945 als „echt“ und infolgedessen authentisch anzuerkennen. Die Aufnahmen der tanzenden Menschen folgen erst einige Minuten später und werden vom Kommentar (und der Musik) präsentiert: „Und vor dem Parlament tanzte man und feierte. Warum auch nicht? Man hatte lange genug keinen Grund zum Feiern gehabt. [Musik] Die Kontakte zur Befreiungs- und Besatzungsmacht waren freilich nicht ganz so problemlos, wie es auf diesen Bildern scheinen mag.“ (27A TC 29.48-30.20)268

Interessant erscheint hier, dass eine relativ lange Sequenz der Tanz-Aufnahmen verwendet wird, die – mit Walzermusik unterlegt – zum Genießen des Moments einlädt. Aber wie schon in Die Republik der Überzeugten oder 50 Jahre unserer Republik trügt der Schein und die („echt begeisterte“) österreichische Bevölkerung erscheint getäuscht – ein weiteres Mal. Zu den Aufnahmen der tanzenden Menschen vor dem Parlament vom April 1945 kann festgestellt werden, dass sie in den Geschichtsdokumentationen des ORF der 1960er Jahre durchgehend eingesetzt und auch durchaus positiv konnotiert werden, also nicht unbedingt „fehlen“.269 Sie werden jedoch sukzessive mit einer Erzählung überlagert, die die Aufnahmen als zwar echte, aber vorschnelle Freude interpretiert. Darüber hinaus wird (wie bereits gezeigt) sogar in den anlässlich von Jubiläen des 27. April 1945 hergestellten Sendungen Die Republik der Überzeugten und 27. April. Wiedergeburt einer Republik in der Gesamtnarration die Bedeutung der Befreiung Wiens im April 1945 zugunsten der Bildung der ersten Regierung Figl 1945 bzw. der Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955 minimiert. Zusammenfassend: In den untersuchten Sendungen wird das verwendete Archivfilmmaterial selten in Frage gestellt oder kontextualisiert. Auffällig ist daher der oft vorkommende Hinweis auf die (NS-Propaganda-)Herkunft des Materials bei den Wochenschau-Aufnahmen der jubelnden österreichischen Bevölkerung im März 1938. Die Voice-Over-Interpretationen dieses Bildmaterials schwanken zwischen einer Erklärung der Bilder mithilfe einer – teilweise feminisierten – Figur der verführten Bevölkerung und einer Infragestellung der Repräsentativität der Aufnahmen. Diese selektive Quellenkritik legt nahe, dass sie dort eingesetzt wird, wo das visuelle Material unübersehbar ein Narrativ befördert, das der intendierten Geschichtsversion der Dokumentation widerspricht. Eine bevorzugte 268 Direkt anschließend wird ein Schild gezeigt, das dazu aufruft „Plünderungen und Schändungen“ zu melden. 269 Vgl. Uhl 2005a: 512.

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Darstellung in Bezug auf den März 1938 beschreibt die österreichische Bevölkerung als nicht eigenmächtig handelnd. Mit dem Ende des Krieges und des nationalsozialistischen Regimes wechselt die geschlechtliche Codierung des präferierten visuellen Materials zu einer männlichen; dieser Wechsel geht mit der Wiederherstellung politischer Handlungsfähigkeit einher. In einer der wenigen Verwendungen des Archivfilmmaterials der befreiten Konzentrationslager in Zeitgeschichte aus der Nähe wird die Narration, die unter anderem eine Erwähnung der Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen beinhaltet, hingeführt zu einer Erzählung von ermordeten österreichischen politischen Häftlingen, deren Tod als „Opfer“ „für die Freiheit des Vaterlandes“ mit Sinn gefüllt wird. Visuelle Darstellungen der Konzentrationslager werden also lediglich zu einem geringen Teil mit der Shoah konnotiert; dagegen ist eine starke Konnotation mit österreichischem Leiden und patriotischen Widerstand zu erkennen.

3.5 Z EITZEUG _ INNEN . S PRECHBEDINGUNGEN Im vorigen Kapitel habe ich bereits auf den Ausschluss von Sprechpositionen durch einen bestimmten Umgang mit dem zur Auseinandersetzung mit der Shoah verwendeten Filmmaterial hingewiesen: So wurden Aufnahmen von Überlebenden ausschließlich als visuelle Darstellung des Leidens einbezogen. Diese einschränkende Darstellung ist zum Teil dem Ausgangsmaterial geschuldet270; allerdings wurden, wie schon angesprochen, beispielsweise nur Teile des Filmmaterials des befreiten Konzentrationslagers Bergen-Belsen verwendet, in denen ausschließlich Tote und schweigende Überlebende des Konzentrationslagers zu sehen sind. Überlebende, die sprechen, werden nicht gezeigt. Damit werden Redebeiträge wie etwa das Statement der Häftlingsärztin Hadassah Bimko (1946 verh. Rosensaft)271 ausgeschlossen.272 Dieser Ausschluss von Sprechpositionen

270 Darauf, dass im Filmmaterial von der Befreiung der Konzentrationslager und den Re-Education-Filmen eine „rein visuelle Beglaubigung“ (Bösch 2008: 53) vorherrscht bzw. „the survivors were almost never given an opportunity to speak for themselves“ (Weckel 2005: 555), wurde in der Literatur bereits mehrfach hingewiesen. 271 Siehe Rosensaft 2005. In den autobiographischen Aufzeichnungen berichtet Hadassah Rosensaft nicht von diesen Filmaufnahmen, jedoch unter anderem von ihrer Arbeit als Häftlingsärztin in Bergen-Belsen, von der Befreiung, den Jahren danach und der politischen Organisierung der jüdischen DPs; außerdem über ihre Rolle als Zeugin im Bergen-Belsen-Prozess 1945. (Rosensaft 2005: 41-92)

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ist Teil und Ergebnis des Herstellungsprozesses jener „Ungleichheitsordnungen“, die, wie Drehli Robnik gezeigt hat, „unter Berufung auf eine in Stummheit und Schweigen gründende Wahrheit festlegen: Sie legen fest, wer im Bild der Geschichte als ohnmächtig erscheinen soll, wie Opfer zu reden haben und dass sich da ein aggressiver Ton nicht schickt.“273 In der Analyse von Zeitzeug_innen in Geschichtsdokumentationen der 1960er Jahre möchte ich geschichtspolitisch strukturierte Sprechpositionen thematisieren. Die Frage nach historischen Bedingungen des Sprechens (und des Gehört-Werdens) kann diskursanalytisch formuliert werden als Frage nach dem „Ort des legitimierten Sprechens“ als dem „Platz, den ein Subjekt einnehmen muss, wenn es im Rahmen eines Diskurses etwas sagen will, das als wahr gelten soll“274. Die diesen Ort strukturierenden Bedingungen sind es auch, die in den Sendungen des ORF der 1960er Jahre Ausschlüsse des Sprechens organisieren, die nicht auf dem Ausschluss von Personen bestimmter identitärer, religiöser oder politischer Zugehörigkeiten per se beruhen. Wie ich zeigen werde, konnten unter gewissen Umständen (wie im Fall der Sendung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes) Personen sprechen, die als Jüdinnen und Juden, Kommunist_innen, Gewerkschafter_innen oder Katholik_innen verfolgt worden waren. Über die grundsätzliche Möglichkeit im Fernsehen sprechen zu dürfen hinaus wirkten jedoch geschichtspolitisch strukturierte Regeln des Sprechens als Ausschlussmechanismen. Wie Johanna Schaffer aus einer repräsentationskritischen Perspektive gezeigt hat, bedeutet mehr „Sichtbarkeit“ minorisierter Positionen und Subjekte nicht unbedingt „mehr politische Präsenz oder Durchsetzungsvermögen“, sondern „auch eine höhere Einbindung in normative Identitätsvorgaben und Parameter der Kontrolle und Disziplinierung“.275 In Anlehnung an diese Position werde ich in der Analyse von Redebeiträgen den Fokus auf im 272 Die Frage, aus welchem vorhandenen audiovisuellen Material die österreichischen Fernseh- und Filmemacher_innen für die untersuchten Sendungen auswählen konnten, habe ich mir während der Recherchen oft gestellt. Antworten sind in vielen Fällen nicht mehr rekonstruierbar. Das hier angesprochene Statement von Hadassah Bimko ist jedenfalls auch in dem bei den Nürnberger Prossen gezeigten Film Nazi Concentration Camps (George Stevens, USA 1945) enthalten. Vgl. den entsprechenden Ausschnitt (TC 14.17-17.20) auf dem Online-Videoarchiv des US Holocaust Memorial Museums http://resources.ushmm.org/film/display/detail.php?file_ num=226 (Stand: 15.6.2013) 273 Robnik 2010: 107. 274 Sarasin 2003: 34. Sarasin bezieht sich in dieser Formulierung auf Dominique Maingueneaus Klassifizierung der Foucaultschen Diskursanalyse. 275 Schaffer 2008: 51.

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geschichtspolitischen Diskurs der 1960er Jahre minorisierte Positionen richten – und darauf, wie diese zum Sprechen kommen. Ich möchte zeigen, dass für das Sprechen der dominante geschichtspolitische Kontext strukturierend wirkte und von den Sprechenden unterschiedliche Strategien angewandt wurden, um mitsprechen zu können. Geschichtspolitische Kämpfe können so auch als Kämpfe um legitime Sprechpositionen erscheinen, und die das „Spannungsfeld“ der kollektiven Erinnerung als „Verhältnis konkurrierender Diskurse“ strukturierenden unterschiedlich verteilten „Kräfteverhältnisse [...] und Strategien“276 als unterschiedliche Strukturierung und Wirkungsmächtigkeit dieser Positionen und als dementsprechend unterschiedliche Sprechstrategien. Im Folgenden werde ich einige allgemeine und formale Bemerkungen zum Auftreten von Zeitzeug_innen im ORF der 1960er Jahre festhalten. Nach einem kurzen Exkurs zum Einsatz prominenter dominanter Sprechender in 50 Jahre unserer Republik werde ich schließlich anhand zweier Redebeiträge aus der Sendung Der österreichische Widerstand auf Bedingungen und Möglichkeiten des Sprechens von Personen, die aufgrund antisemitischer und/oder politischer Verfolgung in Konzentrationslagern inhaftiert waren, eingehen. Um einen Überblick über Zeitzeug_innen277 in den untersuchten Sendungen zu geben, sind in der folgenden Tabelle die Timecodes der Redebeiträge, die Namen der sprechenden Personen und das Thema des jeweiligen Beitrags stichwortartig wiedergegeben.278 Tabelle 3: Zeitzeug_innen Sendung (Jahr) ZgadN (1962) DöW (1964)

TC 41.39-45.58

Interviewte Personen Carl Szokoll

01.32-04.34

Heinrich Kodré

Thema Militärischer Widerstand April 1945 Militärischer Widerstand im März 1938 wäre möglich gewesen

276 Marchart 2005: 28. (Hervorh. im Orig.) 277 Zu den in den Sendungen verwendeten Begriffen des „Tatzeugen“ bzw. „Augenzeugen“ siehe unten. 278 Zwei Sendungen wurden hier nicht erfasst: In der Sendung Was sagt uns der 13. März (1961) sprechen die interviewten Personen in einem anderen Modus, sie werden nicht dazu eingeladen, über etwas zu berichten, werden auch nicht mit Namen genannt, sprechen also weder im Modus der Zeitzeugin noch in jenem der Expertin. In 27. April. Wiedergeburt einer Republik (1970) kommen keine Redebeiträge vor.

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RdÜ (1965) IdM (1968)

05.12-06.49

Hans Rieger

07.06-11.30

Wilhelm Krell

11.50-13.56

Erika Weinzierl

14.15-17.19

Hermann Lein

18.24-21.19

Ludwig Soswinski

21.32-23.57

Antonie Lehr

24.04-27.03

Alfred Ströer

27.28-30.28

Ferdinand Käs

19.17-21.26

Hans Rieger

28.30-36.49

Friedrich Hillegeist

37.34-39.50

Karl Bornemann

44.54-46.52

Karl Bornemann

50.30-51.19

Friedrich Hillegeist

Gefängnisseelsorge, NSJustiz, Roman Scholz Verfolgung/Ermordung von Juden und Jüdinnen Katholischer Widerstand; Georg Bichlmair, Beratungsstelle für katholische Auswanderer Katholischer Widerstand, Rosenkranzfest Oktober 1938 Österreichischer Patriotismus, Solidarität in Konzentrationslagern Frauen/Konzentrationslager Ravensbrück Arbeiter_innenWiderstand, Widerstand in Betrieben Militärischer Widerstand April 1945 Gefängnisseelsorge, Hinrichtungen Verhandlungen der illegalen Gewerkschaften mit Kurt Schuschnigg Februar/März 1938 Militärischer Widerstand 1938 wäre möglich gewesen Militärischer Widerstand 1938 möglich Kein gemeinsamer Widerstand der Gewerkschaften mit Regierung Schuschnigg 1938, da keine Nachricht von der Regierung

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50JuR (1968)

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21.36-22.14

Kurt Schuschnigg

26.53-28.32 36.16-38.35

Julius Deutsch279 Kurt Schuschnigg

39.12-40.14

Kurt Schuschnigg

46.02-48.06

Kurt Schuschnigg

51.56-53.46

Kurt Schuschnigg

54.43-55.26

Kurt Schuschnigg

55.32-57.38

Kurt Schuschnigg

57.47-58.45

Friedrich Hillegeist

58.53-59.39

Karl Bornemann

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Deutschnationalismus im Österreich der 1920er und -30er Jahre Justizpalastbrand 1927 Parlamentssitzung 4. März 1933 Autoritäre Staatsform des Austrofaschismus notwendig zur Erhaltung Österreichs Autoritäre Staatsform des Austrofaschismus wegen Druck Italiens. Wirtschaftliche Bedeutung Italiens. Juli-Abkommen 1936, deutsche Aufrüstung 1937, Westmächte schweigen Treffen mit Adolf Hitler am 12. Februar 1938 in Berchtesgaden Vorbedingungen des Anschlusses, österreichische Nationalsozialisten, verhinderte Volksabstimmung Frage des gemeinsamen Widerstandes der illegalen Gewerkschaften mit Regierung Schuschnigg 1938. Wäre ohne Hilfe von außen sinnlos gewesen Militärischer Widerstand 1938 möglich gewesen

279 Julius Deutsch starb am 1. Januar 1968. Es ist anzunehmen, dass Hellmut Andics das Interview ursprünglich für eine andere Sendung aufgenommen hatte.

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59.3901.00.03 01.01.2201.03.09

Kurt Schuschnigg

01.04.0701.07.41

Felix Hurdes

01.10.0601.12.58

Karl Gruber

01.16.5501.20.09

Josef Holaubek

01.23.2801.27.32

Bruno Kreisky

Alfons Gorbach

Widerstand 1938 wäre nicht möglich gewesen Versöhnung der Großparteien im Konzentrationslager Widerstand Großparteien und Kommunist_innen für Österreich Widerstand: Übernahme des Landhauses in Innsbruck, 3.5.1945 Streiks 1950, vom Sprecher als „Oktoberputsch“ bezeichnet Staatsvertragsverhandlungen April in Moskau

Was die Anzahl und Länge der Interviews innerhalb der untersuchten Sendungen angeht, so kann in diesem Zeitraum nicht von einer linearen Entwicklung gesprochen werden. Während die Sendung Der österreichische Widerstand (1964), die in Kooperation mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes entstand, nahezu ausschließlich aus Redebeiträgen besteht (insgesamt neun Beiträge), enthalten die 1962 bzw. 1965 produzierten Sendungen Zeitgeschichte aus der Nähe und Die Republik der Überzeugten jeweils ein Interview, Die Iden des März (1968) zwei, 50 Jahre unserer Republik (1968) neun (allerdings in mehrere Beiträge aufgeteilte) und die 1970 von Jörg Mauthe und Werner Stanzl produzierte Sendung 27. April. Wiedergeburt einer Republik kein einziges Interview. Die signifikant höhere Anzahl von Interviews in der Jubiläumssendung 50 Jahre unserer Republik führe ich unter anderem auf die geplante repräsentative Funktion der Sendung über Österreich hinaus zurück.280 Werden in den frühen Sendungen die Interviews noch en bloc ausgestrahlt, ist in den Sendungen von Hellmut Andics ein sukzessives Zerteilen der Redebeiträge und deren Verstreuung über die Sendung feststellbar. Die Beiträge aller Sprechenden sind im Verhältnis zu heutigen Fernsehgewohnheiten ausgesprochen lang (bis zu knapp achteinhalb Minuten, die Friedrich Hillegeist in Die Iden des März am Stück spricht), wirken vorbereitet und teilweise abgelesen. Dieser „Vortrag vorformulierter und schriftlich fixierter Aussagen“ habe, so Judith Keilbach, unter

280 Siehe Kapitel 2.7.6.

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anderem den Effekt „emotionale[r] Distanz“.281 Eine formale Veränderung, die Judith Keilbach anhand der Reihen Das Dritte Reich (SDR/WDR 1960/61) und Die Deutschen im Zweiten Weltkrieg (BR/SWF/ORF 1985) feststellt, lässt sich zwar nicht in den untersuchten Geschichtsdokumentationen, aber anhand der Reihe Erinnern Sie sich noch? (ORF 1965-1968) feststellen. Keilbach beschreibt, dass 1960/61 keine homogene visuelle Lösung der Interviews feststellbar war, wogegen in den 1980er Jahren mit einer einheitlichen Einstellung vor einem einheitlichen Hintergrund gedreht wurde, was insbesondere die Wiederverwertung der Interviews vereinfachte.282 Die vor allem an populärkulturellen und medialen Ereignissen orientierte Sendung Erinnern Sie sich noch?, die aus Interviews mit prominenten Personen, Sketches und Archivaufnahmen bestand, ist nur in Bruchstücken erhalten. In den Fällen der 10. (21.12.1966) und der 22. (und letzten) Folge (1.8.1968) wurden lediglich die Interviewaufnahmen archiviert. 1966 wurden die Interviews noch an verschiedenen Orten durchgeführt (vermutlich in privaten oder beruflichen Räumen der Interviewten); 1968 fanden die Gespräche vor einer grauen Wand statt, wahrscheinlich in einem Studio. In den Geschichtsdokumentationen sind diese Standardisierungen der Interviews nicht feststellbar. Einzig das Interview mit Carl Szokoll (1962) scheint im Studio gedreht, alle anderen in Büros und an historischen Schauplätzen. Der Bezug der Sprechenden zu den Orten der Geschichte erfährt eine besondere Betonung: „Ich spreche hier von der Weihestätte des Wiener Landesgerichtes für Strafsachen“ (Hans Rieger in DöW TC 05.12-05.18) „Hier im Spazierhof des Polizeigefangenenhauses in Wien [...]“ (Einleitung zu Ludwig Soswinskis Redebeitrag in DöW 17.46-17.49) „Wir konnten damals auch durchsetzen, dass uns eine halblegale Vertrauensmännerkonferenz bewilligt wurde, die am 7. März hier in Floridsdorf im Arbeiterheim stattgefunden hat.“ (Friedrich Hillegeist in IdM TC 33.00-33.12) „Ich erinnere mich daran, wie wir im Jahr 1945 und zwar im April hier im [Palais, Anm. rw] Auersperg zusammengekommen sind.“ (Felix Hurdes in 50JuR TC 01.04.0201.04.12)

Die Betonung und Verknüpfung der (oft wenig bekannten oder in den Aufnahmen schlecht erkennbaren) Orte liegt im ausgesprochenen „hier“, das nicht zuletzt auch auf die Fähigkeit des Fernsehens verweist, die entsprechenden Orte aufzusuchen und zu zeigen. Trotz der Nicht-Standardisierung der Redebeiträge wurden diese zum Teil wiederverwendet. Ausschnitte aus den Interviews mit 281 Keilbach 2008: 149. 282 Keilbach 2007: 102 bzw. 111 (FN 6).

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Friedrich Hillegeist und Karl Bornemann, die schon in Die Iden des März gezeigt worden waren283, wurden für 50 Jahre unserer Republik verwendet. Der dadurch entstandene Schnitt im Interview mit Friedrich Hillegeist wurde durch einen Einschub anderer Aufnahmen der Floridsdorfer Fabrik verdeckt. Zeug_innen seien im Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland der 1960er Jahre primär in einer (die vom Off-Kommentar präsentierte Geschichtsversion) beglaubigenden Funktion eingesetzt, im Gegensatz zu einer emotionalen Funktion im späteren Geschichtsfernsehen, so Judith Keilbach.284 Beglaubigt würden „vor allem Beschreibungen von Ereignissen und Strukturen, mit denen die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung in ihrer Vergangenheit nicht persönlich konfrontiert war“.285 Thematisch sprechen die interviewten Personen in den von mir untersuchten Sendungen überdurchschnittlich oft über Widerstand. Offensichtlich erschien es den Produzierenden des Geschichtsfernsehens im ORF der 1960er Jahre vor allem notwendig, Erzählungen des Widerstandes durch Zeug_innen zu beglaubigen. Die Beglaubigungsfunktion richtet sich dabei sowohl an ein Außen, vor allem an den „Westen“, in den 1960er Jahren noch mit dem Nachgeschmack des Beweises, dass Österreich „seinen eigenen Beitrag zur Befreiung geleistet“ habe, als auch – in komplexerer Form – an ein Innen. Der Umstand, dass so viel über Widerstand gesprochen wird, und die Weise, in der darüber gesprochen wird, verweisen auch darauf, dass die positive Bewertung dieses Widerstandes keine unwidersprochene geschichtspolitische Deutung war. Das zeigt sich unter anderem in den in den Sendungen hauptsächlich angeführten Gründen für einen Widerstand: Die Verhinderung oder Eingrenzung von kriegsbedingten Zerstörungen (durch die Alliierten), die Erfüllung eines „eigenen Beitrags zur Befreiung“ im Sinne der Moskauer Deklaration und der patriotische Kampf für ein selbständiges (freies) Österreich. Es erscheint naheliegend, dass solche Motive in den Vordergrund gestellt wurden, um „Widerstand“ im innerösterreichischen geschichtspolitischen Diskurs konsensfähig zu machen, während bei einer Betonung des Kampfes gegen Verfolgung, Ermordung, Diktatur und Faschismus mit weniger Zustimmung zu rechnen gewesen wäre. Die oben angeführten Motive sind auch Bestandteile der Argumentation von Carl Szokoll in Zeitgeschichte aus der Nähe. In seinem Redebeitrag findet sich neben Legitimationen des Widerstandes (in diesem Fall die militärische Vorbereitung der kampflosen Übergabe Wiens) auch eine Legitimation des Sprechens darüber. So beendet Szokoll seinen Redebeitrag mit folgenden Worten:

283 Bornemann: IdM TC 37.57-38.41; Hillegeist: IdM TC 31.12-31.35; 34.32-35.09. 284 Keilbach 2008: 147ff. 285 Keilbach 2008: 152.

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„Und wenn ich heute nach vielen Jahren Schweigens dazu noch einmal öffentlich Stellung nehme, so ist es deswegen, weil ich glaube, im Namen der Vielen zu sprechen, die damals mit mir gekämpft haben und dass das, was sie sich erwünscht und erträumt haben von der Zukunft unseres Landes, wenn auch nicht zur Gänze, aber doch wenigstens zum Teil wahr gemacht worden ist von jenen, die heute die politischen Geschicke des Landes lenken.“ (ZgadN TC 45.27-45.58)

Die „vielen Jahre des Schweigens“ verweisen auf eine gesellschaftliche Unerwünschtheit des Sprechens über Widerstand. Szokolls Formulierung von den „Vielen“, in deren Namen er spreche, kann als Versuch der Stärkung seiner Sprecherposition gelesen werden. Unklar ist die Funktion des zweiten Teils des Satzes: Handelt es sich um eine weitere Legitimation aus der damals aktuellen politischen Kräfteverteilung oder um einen Appell an die Bundesregierung, sich des Kampfes gegen den Nationalsozialismus zu entsinnen? Der Begriff Zeitzeuge/Zeitzeugin kommt in den Sendungen selbst nicht zur Anwendung. In Der österreichische Widerstand werden die Begriffe „Tatzeuge“ (für Wilhelm Krell) und „Augenzeuge“ (für Hermann Lein) gewählt; beides Begriffe, die auf einen juridischen Diskurs des Beweises hindeuten.286 Die verbleibenden Sprechenden dieser Sendung werden bezeichnenderweise nicht über ihre momentane oder vergangene Funktion eingeführt, sondern mit einer kurzen Beschreibung dessen, worüber sie „berichten“ werden. Diese Form der Vorstellung ist sehr verschieden von dem in 50 Jahre unserer Republik gewählten Zugang. Dort werden die sprechenden Personen hauptsächlich über ihre frühere Funktion eingeführt. Diese Differenz steht in Zusammenhang mit der Auswahl der Sprechenden; in Der österreichische Widerstand sind vor allem Personen aus dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und aus dessen Umfeld vertreten. Das Fehlen eines Hinweises auf diesen Umstand wie auch auf frühere Aktivitäten der Sprechenden im kommunistischen Widerstand oder auf ihre Verfolgung aufgrund jüdischer Herkunft verweisen bereits auf die Bedingungen für das Sprechen und das Gehört-Werden. So ist es in der Sendung Der österreichische Widerstand zwar möglich, dass etwa politisch aktive Kommunist_innen und/oder Juden und Jüdinnen im Fernsehen sprechen können – allerdings nicht als politisch aktive Kommunist_innen und nicht uneingeschränkt als Juden und Jüdinnen.

286 Judith Keilbach unterscheidet die an einem juridischen bzw. historischen Diskurs orientierten Zeugen-Begriffe durch die Differenzierung „(Zeit-)Zeugen“ bzw. „Zeitzeugen“. (Keilbach 2008: 141)

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In 50 Jahre unserer Republik sprechen hingegen vor allem Personen, die offizielle politische Positionen in Parteien, Gewerkschaft, Militär oder Polizei innehatten (oder zum Zeitpunkt der Sendung innehaben). Die Geschichtserzählung wird hier dadurch abgesichert, dass sie von Sprecher_innen geteilt oder präsentiert wird, die durch ein externes System legitimiert sind. Auffällig ist dabei die dominante Position, die Kurt Schuschnigg einnimmt, der im Untertitel anachronistisch mit „Kurt v. Schuschnigg“ vorgestellt wird. In insgesamt acht Redesequenzen werden Schuschnigg gute elf (von neunzig) Minuten Sendezeit eingeräumt. Diesen Sequenzen kommt weniger der Status einer klar positionierten Erzählung des ehemaligen christlichsozialen Justizministers und Bundeskanzlers des austrofaschistischen Staates zu als vielmehr der einer mit Hintergrundwissen ausgestatteten historischen Ereignisschilderung. „Zeitzeugen sind [...] eines der flexiblen Elemente des Fernsehens und können im textuellen Geflecht gleichermaßen autorisiert wie denunziert werden“ bemerkt Judith Keilbach und betont, dass die „spezifische Ausprägung der Zeitzeugen [...] somit immer auch auf den historischen Moment [verweist], in dem sie konstituiert wurden.“287 Kurt Schuschnigg wird in 50 Jahre unserer Republik nicht in Frage gestellt, wie im Übrigen auch kein anderer der Zeitzeugen. Die Sendung, die wie bereits erwähnt 1968 zum 50. Jubiläum der Ersten Republik mit Unterstützung der Bundesregierung288 hergestellt wurde, steht historisch im Kontext von offiziellen Feierlichkeiten zur Republiksgründung, die Martin Reisacher folgendermaßen charakterisiert: „Der Fokus verlagerte sich [...] in der Betrachtung des 12. November weg von einer Fokussierung auf die Unterschiede, wie es 1958 der Fall gewesen war, hin zu einer Integration dieses Tages in ein gemeinsam staatlich ausformuliertes Narrativ über die Formel des Lernens aus der Geschichte der Ersten Republik.“289 Das dafür notwendige „Ausverhandeln“, das sich dem „gemeinsame[n] Bekenntnis zu Österreich“ unterordnete290, ging jedoch nicht „ohne parteipolitische Interessen und Einflussnahme vor sich“, so Reisacher; vielmehr verlor „im Diskurs die delegitimatorische Komponente, also der Versuch, das andere Narrativ zu diskreditieren, an Bedeutung [...], während trotzdem natürlich versucht wurde, einzelne Aspekte der eigenen Narrative in eine staatlich geprägte Erzählung einfließen zu lassen.“291

287 Keilbach 2008: 142. 288 Es handelte sich um die bis dato einzige ÖVP-Alleinregierung der Zweiten Republik, die von 1966-1970 im Amt war. Bundeskanzler war Josef Klaus. 289 Reisacher 2010: 185. 290 Reisacher 2010: 185. 291 Reisacher 2010: 186.

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Ähnlich dem von Reisacher beschriebenen Prozess werden die Aussagen der prominenten Zeitzeugen (mit zahlenmäßig relativ ausgewogen ausgewähltem parteipolitischen Hintergrund) in 50 Jahre unserer Republik nicht in Frage gestellt und bleiben nebeneinander bestehen.292 Die unwidersprochene Autorität der Zeitzeugen einerseits und die auch in der Sendung feststellbare Unterordnung der Narrative unter ein Bekenntnis zu Österreich andererseits führen im Fall der dominanten Aussagen Kurt Schuschniggs dazu, dass das austrofaschistische Regime als notwendig zur Erhaltung der Selbständigkeit des österreichischen Staates dargestellt wird: Kurt Schuschnigg: „Wenn Sie es so ausdrücken wollen, man ist aus der Situation hineingeschlittert in neue Entwicklungen, von denen man sich vorgestellt hat, das sie die beste Garantie für die Erhaltung Österreichs im Angesicht der wirtschaftlichen und vor allem der internationalen Bedrohung, die von Deutschland aus gekommen ist, zu erwarten steht [sic].“ (50JuR TC 39.51-40.14)

Der nachfolgende Kommentar stellt diese Behauptung weder in Frage, noch wird diese mit anderen Aussagen (etwa anderer Zeitzeug_innen) konfrontiert. Der Kommentar fährt vielmehr in der Argumentationslogik Schuschniggs fort: „So richtet sich der Kampf des autoritären Regimes zunächst gegen die Nationalsozialisten.“ (50JuR TC 40.14-40.24). Damit wird weder die programmatische antidemokratische Ausrichtung im Korneuburger Eid 1930 erwähnt, noch die dem Verbot der NSDAP am 19.6.1933 vorangegangenen Verbote des Republikanischen Schutzbundes (31.3.1933) oder der Kommunistischen Partei (26.5.1933).293 Nach einer Sequenz zum Februar 1934, in der auch von dem Verbot und den Repressionen gegenüber der Sozialdemokratie die Rede ist, kommt Schuschnigg ein zweites Mal zum Thema Staatsform zu Wort. Auch seine zweite Erklärung darüber, „warum es sich so entwickelt hat, zum Ständestaat, zum autoritären Staat, gerade in diesen Formen“ (50JuR TC 46.03-46.11) bleibt unwidersprochen. Er führt als Erklärung neben der „internationalen“ auch die „geografische Lage“ an, um schließlich zu argumentieren, dass eine autoritäre Verfassung letztlich ein nicht zu vermeidendes Entgegenkommen gegenüber dem italienischen faschistischen Staat gewesen sei. (50JuR TC 46.17-47.07) Der 292 Der Versuch, das christlichsoziale Narrativ nicht in Frage zu stellen, findet sich auch auf der Ebene der Begriffswahl des Kommentars. Verwendete Hellmut Andics in Die Republik der Überzeugten 1965 noch die Bezeichnung „rechtsradikal“ für die Heimwehren (RdÜ TC 09.47), fällt diese Klassifizierung trotz der Weiterverwendung anderer Textpassagen weg. 293 Tálos 2005: 421-423.

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Kommentar widerspricht auch hier Schuschniggs Aussagen nicht. Einzig nach Schuschniggs Stellungnahme zur Sinnlosigkeit eines möglichen Widerstandes im März 1938 bezeichnet der Kommentar diese implizit als „Fehleinschätzung“ (50JuR TC 01.00.18), eine leise Kritik, die jedoch im Rechtfertigungsmodus des Irrtums verbleibt. Das Fernsehen nimmt hier gegenüber den interviewten Personen und insbesondere gegenüber dem 1968 nach Österreich zurückgekehrten Kurt Schuschnigg294 eine beinahe ehrfürchtige Haltung ein. Anders in Der österreichische Widerstand: Die Sendung besteht nahezu ausschließlich aus den Redebeiträgen von Personen, die in dominanten Geschichtsnarrativen der 1960er Jahre keine tragende Rolle spielten. Sie werden als Träger_innen eines historischen Wissens herangezogen, das sie mittels Erfahrung oder wissenschaftlicher Beschäftigung (Erika Weinzierl) erworben haben. Die beiden im Folgenden analysierten Redebeiträge thematisieren zwei im ORF der 1960er Jahre marginalisierte Themen: Die Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen und den Widerstand von Frauen. Anhand dieser beiden Beispiele werde ich im Folgenden insbesondere der Frage nach den Sprechbedingungen und Sprechstrategien von geschichtspolitisch und medial minorisierten Positionen nachgehen. 3.5.1 Sprechen über Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden. Sprechstrategie 1: Zahlen, Fakten, Patriotismus Kontext: Der Prozess gegen Franz Murer, Graz 1963295 Der in der Sendung Der österreichische Widerstand zur Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden interviewte Wilhelm Krell (1902-1973) war 1964 eines der Vorstandsmitglieder des DÖW.296 Krell amtierte von 1947 bis 1972 als Amtsdirektor der Israelitischen Kultusgemeinde297; er war außerdem noch in weiteren Organisationen tätig (unter anderen „Aktionskomitee für jüdische KZler“ und „Bund der politisch Verfolgten“298) und Mitglied der SPÖ.299 Als Mitglied der Opferfürsorgekommission beim Bundesministerium für soziale Verwaltung, der er zwanzig Jahre lang angehörte, war Wilhelm Krell an der Ent-

294 Um das Interview mit Schuschnigg hatte sich der ORF besonders bemüht. Vgl. Walter Staudacher: Wird 1968 ein Jahr des nationalen TV-Kitsches? In: HÖR ZU Nr. 2/1968: 10f. Siehe auch Kapitel 2.5. 295 Dieses Kapitel basiert auf einem bereits publizierten Text: Winter 2009. 296 o.A.: Dokumentationsarchiv des Widerstandes, in: Die Gemeinde 31.3.1964: 4. 297 Vgl. Knight 1988: 249. 298 Vgl. o.A.: Wilhelm Krell – Hofrat, in: Die Gemeinde 22.3.1972: S. 3. 299 Vgl. Bailer-Galanda 2003: 286.

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stehung der österreichischen Entschädigungsgesetze in diesem Zeitraum beteiligt. Während des Nationalsozialismus war er in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert, zuletzt in Auschwitz, wo seine erste Ehefrau und das gemeinsame Kind ermordet wurden.300 In seiner rund viereinhalbminütigen Rede spricht Wilhelm Krell in Nahaufnahme meist direkt in die Kamera, teilweise werden seine Aussagen von eingeblendetem Archivbildmaterial und Dokumenten begleitet. Krell beginnt seine Rede mit folgendem Satz: „Wenn ich als erster der Tatzeugen über den Opfergang einer bestimmten Gruppe von Österreichern spreche, so ist dies kein Zufall. Ich spreche im Namen der Juden, die als Erste Opfer des Naziterrors wurden.“ (DöW TC 07.06-07.22)

Er stellt sich somit als Zeuge und Repräsentant vor, was sein Sprechen in der Sendung zweifach legitimiert: Seine Berechtigung zu sprechen begründet er erstens über eine Erfahrung, ein Dabei-Gewesen-Sein; zweitens spricht er für und „im Namen“ einer Gruppe. Ein großer Teil seiner dann folgenden Rede bewegt sich auf der Ebene faktischer Aussagen, oft mit Zahlen und Daten belegt: „Am 13. März 1938 lebten in Österreich 200.000 Juden.“ (DöW TC 07.23-07.30) „Die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung begann bereits in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938, wenige Stunden nach der Abschiedsrede Schuschniggs, nach seinen Worten ‚Gott schütze Österreich‘. Nach einer teuflisch vorbereiteten Regie wurden die Juden zunächst zum Gespött des johlenden Straßenmobs gemacht, unmittelbar darauf folgten Misshandlungen und Verhaftungen. Hunderte verübten Selbstmord.“ (TC 08.20-08.57) „Die erste Phase des Terrors gegen die Juden erreichte den Höhepunkt in den Tempelbränden der so genannten Kristallnacht vom 10. November 1938.“ (TC 09.09-09.20) „Tausende wurden verhaftet und in Konzentrationslager eingeliefert, sie mussten alle später einen schrecklichen Tod dort sterben. Nur zwei Drittel der österreichischen Judenschaft konnten sich durch Flucht oder Emigration das nackte Leben retten. 60.000 österreichische Juden kamen in den Vernichtungslagern des Dritten Reiches um.“ (TC 09.3210.02) „Der Plan der so genannten Endlösung der jüdischen Frage – von Himmler und Heydrich erdacht, von Adolf Eichmann organisiert – führte zur Ermordung von sechs Millionen europäischer Juden; Männer, Frauen und Kinder.“ (DöW TC 10.13-10.30)

So knapp und verkürzt diese Fakten vom Standpunkt aktueller geschichtswissenschaftlicher Forschung einerseits und verglichen mit dem in heutigen Fernsehsendungen zur nationalsozialistischen Vergangenheit produzierten Wissen andererseits wirken, stellen sie im Verhältnis zu den anderen ORF-Dokumentationen 300 Vgl. o.A.: Wilhelm Krell – Hofrat, in: Die Gemeinde 22.3.1972: S. 3.

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der 1960er Jahre dennoch ein bemerkenswertes Mehr an Informationen bereit. Während zum Beispiel in Zeitgeschichte aus der Nähe nahegelegt wird, dass die Akteur_innen antisemitischer Verfolgungen und Ermordungen Deutsche bzw. österreichische Einzeltäter gewesen seien, weist Krell darauf hin, dass schon vor dem Einmarsch der deutschen Truppen antisemitische Verfolgungen stattfanden.301 Seine Aussage von den „Juden, die als Erste Opfer des Naziterrors wurden“ lässt sich auch als Verweis auf den österreichischen Opfermythos lesen. In Bezug auf die Moskauer Deklaration und in einer Verkürzung der darin befindlichen Formulierung „Austria, the first free country to fall victim to Hitlerite aggression“ wurde die Rede von Österreich als „Hitlers erstes Opfer“302 zum dominanten Geschichtsbild.303 Krell verwendet als Selbstbezeichnung „Tatzeuge“304, was auf eine bestimmte Funktion von (Zeit-)Zeug_innen im Fernsehen hindeutet. Die Fernsehwissenschafterin Judith Keilbach beschreibt, dass schon in den Gerichtsprozessen der Nachkriegszeit den juristischen Zeug_innen unterschiedliche Aufgaben zukamen. So waren sie beim Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1945/46 vor allem geladen, um Dokumente und andere Beweisstücke zu beglaubigen; beim Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 wiederum galt es, durch möglichst detailgenaue (und emotionale) Schilderungen die Beweisführung zu unterstützen.305 Diese beiden Funktionen würden sich 301 Zur Beteiligung großer Teile der österreichischen Bevölkerung an der Vertreibung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden vgl. Safrian/Witek 1988. 302 Siehe z.B. auch RdÜ TC 22.51. 303 Siehe auch die 1978 errichtete österreichische Ausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. 2005 wurde der einleitenden Schriftzeile „Österreich – Erstes Opfer des Nationalsozialismus“ ein erklärender Text hinzugefügt, eine NeuKonzeption der Gedenkstätte ist in Planung. Vgl. Bailer/Perz/Uhl 2008. 304 Krell war 1953 selbst Zeuge im Prozess gegen Fritz Hildebrand, der als „SSObersturmführer“ die „Zwangsarbeitslager“ Drohobycz und Boryslaw leitete. (Vgl. o.A: Mörder unter uns, in: Die Stimme. Organ der allgemeinen Zionisten in Österreich Nr. 74, Mai 1953: 3.) Fritz Hildebrand wurde wegen Totschlages und Beihilfe zu Mord zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Er wurde Ende Dezember 1955 vorzeitig entlassen; im Mai 1965 kam es erneut zu einem Prozess. (Vgl. o.A.: SSObersturmführer wieder vor Gericht, in: Die Gemeinde 29.3.1965: 3.) 1967 wurde Hildebrand zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Vgl. „Justiz und NS-Verbrechen“, die Online-Datenbank deutscher Strafverfahren wegen NS-Tötungsverbrechen des Instituts für Strafrecht der Universität Amsterdam: http://www1.jur.uva.nl/junsv/ brd/files/brd653.htm (Stand: 15.6.2013) 305 Keilbach 2008: 144f.

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auch bei der Übernahme der Figur der Zeugin/des Zeugen in das Fernsehen zeigen, wobei hier eine Entwicklung feststellbar sei: Wurden in frühen Fernsehsendungen zum Nationalsozialismus (Zeit-)Zeug_innen noch vornehmlich zur Beglaubigung der in der Sendung hergestellten Geschichtsversion herangezogen, dienten sie in neueren Fernsehdokumentationen dazu, durch emotionales Erzählen Nähe, Identifikation und Empathie zu begünstigen.306 Wilhelm Krell, dessen Fernseh-Zeugnis nach Judith Keilbachs Periodisierung in der Phase der Beglaubigung anzusetzen ist, berichtet mit gleichbleibender Mimik und unverändertem Tonfall unter anderem davon, dass er der Ermordung vieler Kinder zusehen musste und dass sein eigenes Kind getötet wurde. (DöW TC 11.05-11.21) Diese Nicht-Emotionalität im Fernsehen kann aber nicht nur auf Darstellungsformen des frühen Fernsehens zurückgeführt, sondern auch als von Krell strategisch eingesetzte Selbstrepräsentation verstanden werden. Die Historikerin Gabriele Rosenthal, die zwischen „erlebter“ und „erzählter“ Lebensgeschichte unterscheidet, beschreibt soziale Bedingungen des Erzählens: „Wie die biographischen Erfahrungen gedeutet und im Laufe der Zeit reinterpretiert werden, ist ebenso wie die Art und Weise ihrer Präsentation sozial konstituiert. Im Laufe der Sozialisation lernt man, welche Bereiche des Lebens in welchen Situationen erzählbar sind, welche besser verschwiegen werden und welche Darstellungsformen angemessen sind.“307 Die Präsentation des Erlebten orientiere sich, so Rosenthal, weiters an der „Interaktion mit den Zuhörern oder einem imaginierten Publikum“.308 Bei der Wahl der Darstellungsform könnte Wilhelm Krell sich dementsprechend daran orientiert haben, was in einer öffentlichen Rede – vor dem imaginierten Fernsehpublikum – wie aus-sagbar ist, sodass es glaubwürdig und wahrnehmbar wird. Einen öffentlich wahrnehmbaren Kontext der Beglaubigung von NSVerbrechen stellte im Vorfeld der Sendung der Prozess gegen Franz Murer dar. Murer, ehemaliger stellvertretender Gebietskommissar für Wilna/Vilnius wurde schon 1947 als Kriegsverbrecher wegen des „Massenmord[es] an 60.000 Juden und Jüdinnen, die 1941 in Ponary erschossen worden waren [… und wegen] kaltblütige[n] Überfahrens von 16 Juden und Jüdinnen“309 als internationaler Kriegsverbrecher gesucht. 1948 wurde er von einem sowjetischen Kriegstribunal erstmals zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt, im Rahmen der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages jedoch vorzeitig entlassen.310 Vor allem auf 306 Keilbach 2008: 147ff. 307 Rosenthal 1995: 100. 308 Rosenthal 1995: 132. 309 Pöschl 2007: 297. 310 Pöschl 2007: 297.

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Betreiben Simon Wiesenthals kam es 1963 zu einem neuerlichen Prozess in Graz. Die vielfältigen Hindernisse auf dem Weg zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. zu einem neuen Prozess, die Solidaritätsbekundungen für Murer von Bewohner_innen Gaishorns (dem Wohnort Murers), Liezens und Wiens und von offizieller Seite aus ÖVP und SPÖ (Josef Wallner, Theodor Piffl-Percevic und Alfred Haberl) seien hier nur erwähnt.311 Im Kontext des Fernseh-Interviews ist vor allem der mediale und juristische Umgang mit den jüdischen Zeug_innen interessant. Laut Gabriele Pöschl, die die Verhandlungsprotokolle untersuchte, wurden die Zeug_innen „mit Detailfragen traktiert“; etwa mit Fragen nach Farben von Uniformen oder nach genauen zeitlichen Angaben.312 Pöschl hat die These formuliert, dass den Zeug_innen „offenbar auf diese Weise Gehässigkeiten und falsche Behauptungen nachgewiesen werden [sollten]. Möglicherweise sollten auch emotionale Zusammenbrüche provoziert werden, um einen krankhaften Geisteszustand der ZeugInnen zu konstruieren.“313 Ein Effekt dieser Vorgehensweise zeigte sich darin, dass es der Verteidigungsseite leicht fiel, Aussagen jüdischer Zeug_innen als unglaubwürdig erscheinen zu lassen, eine Strategie, die sich in großen Teilen der medialen Berichterstattung in Österreich fortsetzte.314 Franz Murer wurde am 19.6.1963 freigesprochen.315 Stefan Nowotny bezieht sich auf Jean-François Lyotard, um zu zeigen, dass (aus der Perspektive der Täter_innen) „die sprachliche Vernichtung der Zeugenaussage, der zerstörerische Angriff auf ihre Komponenten, als ‚perfektere‘ Strategie erscheinen [kann] denn die physische Vernichtung der ZeugInnen.“316 Solche Strategien der „sprachlichen Vernichtung“ sind auch im Prozess gegen Franz Murer festzustellen. Neben den oben schon erwähnten Strategien des unglaubwürdig-Machens wurden Zeug_innen während des Prozesses von Murers Söhnen ausgelacht317 und Zeug_innen der Lüge318 bezichtigt oder zumindest in Fra311 Siehe Pöschl 2007 bzw. ausführlicher: Rabinovici 1992. 312 Pöschl 2007: 299f. 313 Pöschl 2007: 299. 314 Vgl. Rabinovici 1992 insbesondere: 107-110. 315 Rabinovici 1992: 110. Simon Wiesenthal bemühte sich in den folgenden Jahren erfolglos um eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Auch als in den späten 1980er Jahren im Zuge der Waldheim-Affäre neue Beweismaterialien gegen Franz Murer auftauchten, kam es zu keiner neuen Anklage. (Vgl. Rabinovici 1992: 115-118) Murer starb am 5.1.1994. 316 Nowotny 2008: 204. 317 Vgl. Rabinovici 1992: 108; Pöschl 2007: 300. Bei einem dieser Söhne handelt es sich um den ehemaligen FPÖ-Politiker, Nationalratsabgeordneten (1979-1983; 1986-1996), Staatssekretär im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft

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ge gestellt, eben weil sie Juden und Jüdinnen und weil sie emotional involviert waren.319 Vor diesem Hintergrund wird der unemotionale Gestus von Wilhelm Krell als Gegenstrategie zu einer „sprachlichen Vernichtung“ lesbar, als Versuch, einer Unterstellung der Unglaubwürdigkeit entgegenzuwirken. In diesem Sinn lassen sich auch andere Elemente seiner Aussage verstehen. Krell stützt sich beispielsweise stark auf Zahlen, die Zahl 60.000 (ermordete österreichische Juden und Jüdinnen) wird zweimal erwähnt. Die Zahlen können als Versuch gesehen werden, potentiellen Leugnungsversuchen Fakten entgegenzusetzen. Auch ein weiterer großer Teil von Krells Rede verweist auf den antisemitischen Kontext, innerhalb dessen und in den hinein er spricht. Rund ein Drittel seiner Redezeit verwendet er darauf, Loyalität und Patriotismus österreichischer Jüdinnen und Juden sowie deren Verdienste und Errungenschaften hervorzuheben: „Am 13. März 1938 lebten in Österreich 200.000 Juden. Sie waren Handwerker und Kaufleute, Angestellte und Arbeiter, Angehörige der freien Berufe, durch viele Generationen mit der österreichischen Heimat verbunden, im friedlichen Zusammenleben mit ihren christlichen Nachbarn trugen sie auf allen Gebieten des menschlichen und gesellschaftlichen Wirkens bei, den Namen Österreichs ruhmvoll in die Welt zu tragen. Unbeschadet des Bewusstseins der vieltausendjährigen Geschichte des jüdischen Volkes waren sie loyale Bürger der Republik, mehr noch, sie waren österreichische Patrioten. Im Ersten Weltkrieg fielen über 20.000 Juden als österreichische Soldaten und Offiziere.“ (DöW TC 07.23-08.20) „Österreich verlor darunter nicht nur 60.000 seiner treuesten Bürger, sondern Hunderte und Aberhunderte seiner geistigen und kulturellen Elite. Wissenschafter und Forscher, Ärzte und Rechtsgelehrte, Musiker, Dichter und Komponisten. Wiens Bürgermeister Jonas sagte in einer Rede hierzu: ‚Dieser geistige Verlust kann durch nichts mehr ersetzt und wieder gut gemacht werden.‘“ (DöW TC 10.30-11.04)

Diese Sätze, denen das Bemühen, ein patriotisches Bild von österreichischen Juden und Jüdinnen zu verbreiten, deutlich anzumerken ist, lassen vor allem Rückschlüsse auf die Bedingungen öffentlichen Sprechens von Juden und Jüdinnen im postnationalsozialistischen Österreich zu. Den eigenen Patriotismus dem jeweiligen Land gegenüber zu betonen war schon in der Zwischenkriegszeit eine von jüdischen Gruppierungen in Österreich und Deutschland angewandte Strate(1983-1987) und Träger des Großen Silbernen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich Gerulf Murer (geb. 1941). http://www. parlament.gv.at/WWER/PAD_01297/index.shtml (Stand: 15.6.2013) 318 Vgl. Rabinovici 1992: 110. 319 Vgl. Rabinovici 1992: 119.

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gie gegen den erstarkenden Antisemitismus.320 In der Sendung irritieren diese Aussagen gerade wegen des großen Stellenwerts, den sie in Krells Statement einnehmen. Die Betonung der Loyalität gegenüber Österreich und des Beitrags zum österreichischen „Ruhm“ wirkt wie eine Beweisführung darüber, dass Juden und Jüdinnen wertvolle Mitglieder der österreichischen Gesellschaft (gewesen) seien, und verweist damit auf jene Aussagen, die das Gegenteil behaupten. Helga Embacher beschreibt den „Entwurf vom ‚neuen Juden‘ als Reaktion auf den Antisemitismus“321 als spezifische Strategie jüdischer Organisationen in Österreich nach 1945. Diese stellten Rückkehrer_innen als „‚aufbauwillig, patriotisch und frei von Rachegedanken‘“322 dar: „Um dem Antisemitismus entgegenzuwirken und um als Österreicher akzeptiert zu werden, sahen sich Juden ständig gezwungen, ihre Loyalität unter Beweis zu stellen.“323 Einen Vorschlag zur Annäherung an „Zeugnisse, die von der Shoah, von der vielförmigen Gewalt der nazistischen Vernichtungspolitik sowie vom Leben und Sterben unter der Bedingung dieser Gewalt sprechen“324 macht Stefan Nowotny: „Zeugnisse […] eignen sich kaum dafür, einen wie auch immer motivierten direkten Zugriff auf das Wirkliche zu etablieren“.325 Dies allerdings nicht aus einem Mangel, sondern aufgrund eines „Zuviel“: „einem Zuviel an Rede (als Akt einer Aussage), einem Zuviel an Schweigen, einem Zuviel an Erfahrung, das die Aussage und ihren möglichen Gehalt überbordet.“ Eine Möglichkeit, einer derartigen Rede zu begegnen, sei der „Versuch eines Abtragens der diskursiven Überlagerungen“, wobei dahinter „keine wirklichkeitsgesättigte Bedeutung“ zu erwarten sei, „sondern eine in sich vielfältig gebrochene Rede, ein in sich vielfältig gebrochenes Schweigen.“326 Die „in sich vielfältig gebrochene Rede“327 Wilhelm Krells reflektiert die in der Erzählung zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Massenmordes an Jüdinnen und Juden vorhandenen antisemitischen Strategien mit, die auf das Verschweigen dieser Geschichte bzw. auf die Fortsetzung des Ausschlusses von Sprechpositionen abzielen. Das Ergebnis ist eine sachliche, auf Zahlen, Fakten und Patriotismus basierende Rede. Krell schließt seinen Beitrag mit den Worten „Ich gedenke schmerzenden Herzens all der Kinder, auch meines eigenen Kindes, die in den Vernichtungslagern ihre unschuldi320 Vgl. Rabinovici 1991: 16 bzw. 21f. 321 Embacher 1995: 326. 322 Embacher 1995: 327. 323 Embacher 1995: 327. 324 Nowotny 2008: 200. 325 Nowotny 2008: 212. 326 Nowotny 2008: 213. 327 Nowotny 2008: 213.

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ge Seele aushauchte. [sic] Hunderte von ihnen sah ich sterben. Ich gedenke zugleich all der Opfer und all der Märtyrer der Zeit ohne Gnade.“ (DöW TC 11.0511.30) Krell stellt so gegen Ende einen Bezug zu eigenen Erfahrungen her, zum eigenen „Sehen“. Das „Gesehen-Haben“ unterstützt die Authentizität der Erzählung, und Krell beschreibt in nüchtern-sachlichem Tonfall die eigene, auch emotionale Involviertheit. Die Toten im abschließenden Satz nicht nur als Opfer, sondern auch als „Märtyrer der Zeit ohne Gnade“328 zu bezeichnen, kann als Versuch gesehen werden, deren Tod in einen Sinnzusammenhang einzuordnen.329 In diesen letzten Sätzen entsteht ein Auseinanderklaffen zwischen Vortrag und Inhalt der Rede, das auf den prekarisierten Status der Zeugenschaft der Shoah verweist. Judith Keilbach beschreibt als „prekäre Zeugenschaft“ die Zeugenschaft von NS-Opfern nach 1945 in einem juridischen System, das nach „unparteiischen Zeugen“ verlangt.330 Während es – auch um eine Retraumatisierung zu vermeiden – ein „empathische[s] und anerkennende[s] Zuhören[...]“331 brauchen würde, werde vor Gericht die Glaubwürdigkeit der Zeug_innen in Frage gestellt.332 Krell reagiert auf diese Prekarisierung, indem er auch in dem Moment, in dem er das Sterben seines Kindes bezeugt, sachlich und damit gewissermaßen innerhalb eines juridisch anerkannten Diskurses bleibt. Die im folgenden Unterkapitel analysierte Rede von Antonie Lehr richtet sich dagegen, wie ich zeigen werde, mehr an potentiell empathische Zuseher_innen.

328 „Zeit ohne Gnade“ ist vermutlich eine Anspielung auf den Titel der 1946 veröffentlichten Erinnerungen des in Dachau inhaftiert gewesenen Journalisten Rudolf Kalmar. 329 Vgl. Agamben 2003: 23-25. Dies stellt einerseits eine Verarbeitungsstrategie dar, andererseits wird damit eine sinnvolle Grundlage des Massenmords impliziert, wie auch Doron Rabinovici ausführt: „Märtyrer sterben freiwillig und für eine Idee. Die meisten Opfer der Nazis waren aber keine Märtyrer. Die Opfer wurden nicht ermordet, weil sie Juden sein wollten, sondern vielmehr, weil sie, nolens volens, vom Regime als Juden und Jüdinnen definiert waren. [...] Dem Massenmord einen nachträglichen, höheren Sinn zu verleihen, heißt ihn beschönigen.“ (Rabinovici 1991: 167f) 330 Keilbach 2008: 153. 331 Keilbach 2008: 154. Keilbach bezieht sich hier auf Laub 2000. 332 Keilbach 2008: 155.

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3.5.2 Sprechen über Frauen im Widerstand . Sprechstrategie 2: Betroffenheit erzeugen, emotionale Involvierung . Kontext: Vermittlungstätigkeiten der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück333 Antonie (Toni) Lehr (1907-1997) war aktives Mitglied der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück und zum Zeitpunkt der Sendung Mitglied der KPÖ. Seit 1927 in der KPÖ tätig, vom nationalsozialistischen System auch als Jüdin verfolgt334, wurde sie im Zuge ihrer Tätigkeit in einer kommunistischen Widerstandsgruppe 1944 verhaftet und in Auschwitz und später Ravensbrück inhaftiert.335 In Ravensbrück überlebte sie, gemeinsam mit Gerti Schindel und Edith Wexberg, durch die Hilfe und den Einsatz anderer inhaftierter Frauen trotz eines bereits existierenden Hinrichtungsbefehls.336 In der Sendung Der österreichische Widerstand wird Lehrs Redebeitrag vorerst dem Thema „Frauen im Widerstand“ zugeordnet. Eingeleitet wird ihr Statement von einem Sprecher aus dem Off: „Auch Frauen haben ihren Anteil am Widerstand geleistet, auch sie haben manches Opfer gebracht. Es gab ein eigenes Frauen-KZ in Ravensbrück. Darüber berichtet Frau Lehr.“ (DöW TC 21.1921.31) Die Betonung des Sprechers – „Auch Frauen“ – argumentiert in einem Modus des Hinzufügens, gleichzeitig wird die Widerstandstätigkeit von Frauen durch die Formulierung „manches Opfer“ relativiert. Das Aufgreifen und Popularisieren der Thematik des Widerstandes unter geschlechtsspezifischer Perspektive tritt hier relativ früh auf; Frauenforschung und Geschichtswissenschaft haben sich erst in den 1970er und 1980er Jahren eingehender mit Frauen im Widerstand befasst.337 Die Thematisierung in der Sendung ist auf die Aktivität der 1947 gegründeten Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück und deren Tätigkeiten im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zu-

333 Dieses Kapitel basiert auf einem bereits publizierten Text: Winter 2012. 334 Apel 2005: 58. 335 Vgl. Lehr 1985. 336 Vgl. Lehr 1987, Spiegel 1967: 60f. 337 Gugglberger 2007: 154f. Als frühe Publikation dazu siehe Spiegel 1967 (erschienen in der Schriftenreihe des DÖW – Monographien zur Zeitgeschichte). Cathrin Hermann stellt in ihrer Dissertation eine Unterrepräsentanz von Frauen in der Forschungsliteratur zur „Österreichischen Freiheitsbewegung“ und zur sog. „Tschechischen Sektion der KPÖ“ in den 1950er und -60er Jahren (Hermann 2011: 134ff) und in einem Großteil der Publikationen bis heute (Hermann 2011: 187ff) fest.

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rückzuführen.338 Bevor ich nun auf den Redebeitrag Antonie Lehrs eingehe, möchte ich auf Vermittlungstätigkeiten der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück zu sprechen kommen und aus diesen Sprechstrategien und bedingungen dieser Gruppe ableiten. Als Einleitung zu Antonie Lehrs Statement wird ein Ausschnitt einer Fotografie gezeigt, die (zuerst unscharf, dann allmählich deutlich erkennbar) eine junge Frau mit gelangweiltem bis arroganten Gesichtsausdruck zeigt. (DöW TC 21.19-21.25) Abbildung 30: Bildausschnitt in DöW TC 21.19-21.25.

Quelle: Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück 1963: Titelbild.

Abgefilmt wurde hierfür das Titelbild der von der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück herausgegebenen Broschüre „Was geht das mich an“.339 Die erstmals 1963 (2. Auflage 1976) erschienene Broschüre richtete sich vornehmlich an Schülerinnen, die junge Frau wird in der Broschüre als „Claudia“ vorgestellt und soll als Identifikationsmöglichkeit für die Schülerinnen und Schüler dienen. Die zuerst vor dem Hintergrund übereinandergestapelter Leichen arrogant erscheinende „Claudia“ wird im Laufe der Broschüre von Narration und Bildmaterial emotional affiziert und ändert ihren Gesichtsausdruck hin zu einer involvierten Bestürztheit. Dass mit „Claudia“ hier eine weibliche Personifizierung des Publikums stattfindet, ist wahrscheinlich der Zusammensetzung der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück und der primären Zielgruppe der

338 Vgl. Amesberger/Lechner 2008: 16ff bzw. 56ff. 339 Für diesen Hinweis danke ich Bertrand Perz.

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Broschüre geschuldet. Allerdings wird damit auch eine Figur der Zuschauerin aufgerufen, die unmittelbar und emotional auf die ihr dargebotenen Darstellungen reagiert. Abbildungen 31-34

Quelle: Österr.Lagergemeinschaft Ravensbrück 1963: Titelbild und S. 5, 7, 26.

Die Broschüre, die sich in direkter Rede an die Leser_innen (und damit vornehmlich Schüler_innen340) richtet, erzählt mithilfe von Fotografien, Dokumenten und schriftlicher Narration eine Geschichte des Nationalsozialismus anhand des Konzentrationslagers Ravensbrück. Eine Analyse der Narrative zum Nationalsozialismus in dieser Broschüre wäre zweifellos ergiebig; hier möchte ich mich jedoch auf die Formen der Adressierung und Affizierung der Leser_innen konzentrieren. Dazu möchte ich kurz die Vorstellungssätze von „Claudia“, die der Widerstandskämpferin „Anni“ gegenübergestellt wird, aufgreifen: „Claudia ist ein Mädchen von heute. Sie hat von Anni und ihrer Generation bisher nur sehr wenig gewußt. So wie in dir erweckte erst die Begegnung mit den Zeugen dieser Zeit ihr Interesse. Es ist sonderbar, aber eine Tatsache: Die fünfundzwanzig Jahre zwischen dir und Anni scheinen eine Ewigkeit zu sein. Doch das, was Anni dir zu sagen hat, ist für dein Leben von größter Bedeutung.“341

340 Eine andere Leserin und im Zusammenhang mit dieser eine weitere Funktion der Broschüre beschreibt Maja Haderlap in ihrem Roman „Engel des Vergessens“ (2011). Hier ist es die Großmutter, die Ravensbrück überlebt hat, die die Broschüren zum ehemaligen Frauenkonzentrationslager (darunter die hier angesprochene) aufbewahrt und sie mit der Enkelin im Kärnten/Koroška der 1960er Jahre bespricht. Die Enkelin bemerkt: „Sie glaubt, dass wegen dieser beiden Bücher niemand mehr behaupten könne, dass sie ihre Geschichten erfinde. Niemand kann mich mehr Lügnerin schimpfen, sagt sie.“ (Haderlap 2011: 119). 341 Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück 1963: 7.

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Die Leser_innen werden eingeladen, sich mit Claudia zu identifizieren und gemeinsam mit ihr eine Nähe zu „Anni und ihrer Generation“342 herzustellen. Sie werden aufgefordert, zuzuhören und die Vergangenheit in Gestalt der NS-Zeit in ihrer Gegenwart bedeutsam werden zu lassen. Welche Bedeutungen dabei in den Blick kommen sollen, zeigt sich anhand eines anderen Dokuments. Neben der Organisation von Begegnungen zwischen Schüler_innen und Zeitzeug_innen in Schulen setzte die Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück auch auf andere, insbesondere visuelle Vermittlungsformen wie die Wanderausstellung Den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Mahnung und Filmvorführungen in Schulen.343 In Wiener Schulen wurden zum Beispiel im Mai und Juni 1960 die Filme Nacht und Nebel/Nuit et brouillard (Alain Resnais, FR 1955) und Die letzte Etappe/Ostatni etap (Wanda Jakubowska, PL 1948) gezeigt.344 Im an die Lehrerinnen und Lehrer gerichteten Begleitschreiben zu diesen Filmen ist die Rede von der „Pflicht“, „dafür zu sorgen, die Jugend aufzuklären“. Das Schreiben endet mit einem Appell, aus dem sich rekonstruieren lässt, was die intendierte Bedeutung, die die Vergangenheit für die damalige Jugend haben sollte, war: „Bitte, sprechen Sie mit der Jugend, sagen Sie ihr, was Sie [sic] wissen muß, die Jugend hat Anspruch darauf, die Wahrheit zu erfahren; sie muß wissen, welche Jugendorganisationen und Jugendverbände nationalsozialistisches Gedankengut vermittelt [sic] und Österreich als Nation leugnet [sic], damit sie gefeit ist vor den Schlechten, damit sie weiss [sic], worin die Gefahr für unser Vaterland Österreich und darüber hinaus für Europa besteht. Die heutige Jugend ist es, die unser Erbe der Alten übernehmen muß, sie muß deshalb die Vergangenheit kennen, um verstehen zu können, daß wir für ein freies, und unabhängiges und vor allem, neutrales Österreich eintreten und damit auch die Jugend bereit ist dafür einzutreten und das aufzubauen, was wir unserer Jugend von ganzem Herzen wünschen, dauernden Wohlstand und Frieden.“345

Eine der Hauptbedeutungen der Vergangenheit für die Gegenwart ist demnach auch für die Aktiven der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück das 342 Diese Formulierung irritiert hier insofern, als ein Grossteil der Generation „Annis“ in Österreich nicht in Opposition zum Nationalsozialismus gestanden hat. 343 Vgl. Amesberger/Lechner 2008: 47-53. 344 Zu den auf diese Filmvorführungen folgenden Diskussionen mit Schüler_innen gibt es sehr interessante handschriftliche Aufzeichnungen von Elisabeth Lauscher, die hier leider nicht bearbeitet werden können (DÖW 50104/217). 345 DÖW 50104/29. Inhaltsangabe über den Film „Nacht und Nebel“, geschrieben von Anna Wundsam anlässlich der Vorführungen in den Schulen, mit einem Aufruf, die Jugend über den Nationalsozialismus aufzuklären (1960).

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Bekenntnis zu Österreich.346 Darin sowie im Aufklärungsanspruch und im Wunsch nach der Erziehung des Publikums treffen die Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück und das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes auf ein grundlegendes Selbstverständnis des frühen österreichischen Fernsehens. Der Redebeitrag Antonie Lehrs in der Sendung Der österreichische Widerstand gliedert sich in drei Teile: Am Beginn steht eine Einleitung, in der Zahlen und Fakten zum Konzentrationslager Ravensbrück genannt werden (DöW TC 21.31-22.16); dann folgt eine Erklärung einer so genannten „Rentabilitätsberechnung“, mittels derer die Warenförmigkeit der Häftlinge für das NS-Regime gezeigt werden soll (DöW TC 22.17-23.11); und schließlich endet der Beitrag mit einer Erzählung über die Weihnachtsfeier für Kinder 1944 (DöW TC 23.1223.57). Ich möchte insbesondere auf den ersten und dritten Teil eingehen. Antonie Lehr, die vor einem Bücherregal sitzt und frontal in die Kamera blickt, beginnt ihren Beitrag mit folgenden Worten: „Ravensbrück war das größte deutsche Frauen-Konzentrationslager. Von 1938 bis 45 waren ungefähr 140.000 Frauen in Ravensbrück, davon sind 92.000 Frauen elend zugrunde gegangen, zu Tode gefoltert, vergast worden. Viele österreichische Widerstandskämpferinnen waren auch im Lager Ravensbrück, darunter Sozialistinnen wie die Nationalrätin Rosa Jochmann, Kommunistinnen wie Mela Ernst, die Leiterin des internationalen Widerstandskomitees im Lager, Bibelforscherinnen und Katholikinnen. Wir Frauen mussten 16 Stunden im Tag schwerste Arbeit leisten.“ (DöW TC 21.31-22.16)

Lehr beginnt ihre Erzählung, ähnlich wie Wilhelm Krell, auf einer Ebene der Zahlen, Daten und Fakten. Bei der Aufzählung der verschiedenen Gruppen im Konzentrationslager Ravensbrück – „österreichische Widerstandskämpferinnen“, „Sozialistinnen“, „Kommunistinnen“ „Bibelforscherinnen und Katholikinnen“ – nennt sie bezeichnenderweise keine Jüdinnen.347 Nach Studien der Historikerin Linde Apel waren 1939 bis 1942 etwa zehn Prozent der inhaftierten Personen in Ravensbrück jüdischer Herkunft.348 Nach einem Erlass fanden Ende 1941 und

346 Auch die Broschüre appelliert gegen Ende an die Leser_innen: „Bekennt euch zu unserem, aus Leid und Schmerz entstandenen Österreich!“ (Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück 1963: 32). 347 Laut Helga Amesberger und Kerstin Lechner waren nur wenige Jüdinnen Mitglieder der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück, die sich vor allem aus ehemaligen politisch Verfolgten zusammensetzte. Vgl. Amesberger/Lechner 2008: 35. 348 Apel 2005: 44.

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1942 zahlreiche Ermordungen und Deportationen nach Auschwitz statt.349 Am meisten Jüdinnen waren laut Apel 1944/45, zum Zeitpunkt der Inhaftierung Antonie Lehrs, in Ravensbrück inhaftiert, da sich ab dem „Sommer 1944 [...] das KZ Ravensbrück zum Sammelpunkt für jüdische und nichtjüdische Häftlinge aus dem Osten [entwickelte]“.350 Im Nicht-Benennen der Verfolgung von Jüdinnen im Konzentrationslager Ravensbrück durch Antonie Lehr sprechen, so meine These, verschiedene Bedingungen mit. So verstanden sich Kommunistinnen wie Antonie Lehr eben nicht (zuallererst) als Jüdinnen, obwohl sie vom Nationalsozialismus als solche verfolgt wurden.351 Wie Ingrid Strobl gezeigt hat, konnten sich diese Selbstverständnisse und Interpretationen der Vergangenheit auch ändern, abhängig von weiteren biographischen Entscheidungen.352 Obwohl die Verfolgung aufgrund jüdischer Herkunft Grundlage des Hinrichtungsbefehls und damit zentraler Bestandteil der oft erzählten Geschichte der Rettung von Antonie Lehr, Gerti Schindel und Edith Wexberg im Konzentrationslager Ravensbrück ist, wird diese selten erwähnt.353 Auch in den Oral History-Aufzeichnungen von Antonie Lehr, die in den 1980er Jahren in zwei Sammelbänden publiziert wurden, wird dieser Verfolgungsgrund nicht benannt.354 In

349 Apel 2005: 50-52. 350 Apel 2005: 54. 351 Doron Rabinovici beschreibt dieses Verhältnis folgendermaßen: „Es muß zwischen einem jüdischen Widerstand und einem Widerstand von Juden unterschieden werden. Kommunistische Antifaschisten jüdischer Abstammung wollten nicht als Juden bezeichnet werden. Dennoch gehörten sie, trotz ihres damaligen Selbstverständnisses, zur jüdischen Opfergruppe. Ihre Selbsteinschätzung soll nicht unterschlagen werden, aber in die historische Erforschung des deutschen und österreichischen Judentums müssen alle einbezogen werden, die das jüdische Schicksal erlitten oder von der Außenwelt als Juden angesehen wurden.“ (Rabinovici 2008: 83) 352 Ingrid Strobl schreibt über Erinnerungen von jüdischen Frauen im bewaffneten organisierten Widerstand: „Ehemalige Kommunistinnen etwa, die sich nach dem Krieg von der Partei ab und beispielsweise ihren jüdischen Wurzeln zuwandten, neigen dazu, ihre Motive nachträglich als spezifisch jüdische zu betrachten. Andere, die treue Parteimitglieder blieben, bestehen darauf, sie hätten ausschließlich als Kommunistinnen gekämpft. Mehrere Frauen sagen allerdings, bei ihnen hätten sich beide Faktoren miteinander vermischt.“ (Strobl 2008: 335f.) 353 Vgl. Spiegel 1967: 60f. 354 Vgl. Lehr 1985; Lehr 1987. Bemerkenswert an den beiden von Berger/Holzinger/ Podgornik/Trallori herausgegebenen Sammelbänden ist auch, dass im Band von 1985 in keiner der Kurzbiographien eine jüdische Herkunft der interviewten Frauen

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der KPÖ traf dieses Selbstverständnis der politisch aktiven Frauen nach 1945 auf eine politische Deutung von Antisemitismus als „Nebenwiderspruch“355, zu dem Margit Reiter bemerkt: „Die prinzipielle, marxistisch begründete Ablehnung einer Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden in der Partei trug zudem dazu bei, daß ein gelegentlich sichtbar werdender Antisemitismus in der Partei für inexistent erklärt werden konnte.“356 Im medialen und öffentlichen Kontext der 1960er Jahre verknüpfte sich diese Nicht-Benennung mit einer Marginalisierung der Thematik der Verfolgung und Ermordung von Juden und Jüdinnen in Österreich und ermöglichte darüber hinaus eine Subsumierung von Juden und Jüdinnen unter ein österreichisches Opferkollektiv.357 Eine diskursive Sprechbedingung für den antifaschistischen und säkularen Bezug auf Österreich im Kontext der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück stellte somit in einem geschichtspolitischen Raum der 1960er Jahre das Verschweigen und Marginalisieren der Erzählungen zur Shoah und das Verschweigen der österreichischen Beteiligung daran als Grundlagen der dominanten Konstruktion österreichischer Identität nach 1945 dar. Lehr schließt ihren Beitrag mit einer Erzählung über die Weihnachtsfeier für Kinder 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück:358 „Wir hatten auch viele tausende Kinder im Lager Ravensbrück. Ende 1944 waren es ungefähr 500. Da beschlossen wir Frauen, den Kindern einmal eine Freude zu bereiten und eine große Weihnachtsfeier zu veranstalten. An und für sich war das verboten, aber der Lagerkommandant, der auch das Ende des Krieges herannahen fühlte, gestattete es uns ausnahmsweise. So kam dann diese Feier, und am Schluss sprach der Lagerkommandant zu den Kindern und versprach ihnen eine herrliche Zukunft in einem großdeutschen Reich. Das sah so aus, dass die Kinder fast alle, 14 Tage darauf, nach Bergen-Belsen gebracht und vergast wurden.“ (DöW TC 23.12-23.57)

Die Erzählung wird mit Aufnahmen von Kindern359 illustriert. Auf universalisierende Funktionen von Kinderfotos wie auch auf deren identifikatorisches Potenthematisiert wird; 1987 bildet diese Information einen Teil der Biographie, jedoch beispielsweise nicht bei Antonie Lehr oder Gerti Schindel. 355 Reiter 1995: 178. 356 Reiter 1995: 181. 357 Siehe Kapitel 3.1 und 3.2.2. 358 Darauf, dass diese Erzählung ein wiederkehrendes Motiv in Erzählungen der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück ist, haben Helga Amesberger und Kerstin Lechner hingewiesen (Amesberger/Lechner 2008: 108). Vgl. auch Spiegel 1967: 61f.

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tial bin ich bereits anhand der Fotografie des Jungen im Warschauer Ghetto eingegangen.360 Der Tonfall Antonie Lehrs, aber auch der Charakter der Erzählung als Schilderung eines Ereignisses im Gegensatz zur überblicksmäßigen Darstellung von Fakten und nicht zuletzt der Inhalt der Erzählung deuten auf eine Strategie der emotionalen Affizierung des Publikums hin. Bei den Zuschauer_innen soll – wie bei „Claudia“ in der Broschüre – Betroffenheit erzeugt werden. Wenn wir Antonie Lehrs Sprechen noch einmal auf den oben dargestellten Kontext des Prozesses gegen Franz Murer zurückführen, so wäre emotionale Betroffenheit und Bestürztheit auch eine Rezeptionsmöglichkeit, die dem Verspotten der Zeug_innen einerseits und dem Ausgang des Prozesses andererseits entgegengehalten werden kann. Beide Sprechstrategien, jene von Wilhelm Krell und die von Antonie Lehr, sind Strategien marginalisierter Positionen vor dem Hintergrund dominanter geschichtspolitischer Sprechbedingungen. Während die Strategie Wilhelm Krells wie gezeigt als eine beschrieben werden kann, die Emotionalität als Wahrnehmungsmodus seiner Rede weitestgehend auszuschließen versucht, um als sachlich und glaubwürdig rezipiert zu werden, wählt Antonie Lehr eine andere. Lehrs Sprechen adressiert potentiell empathische und sich emotional involvierende Zuschauer_innen, wobei diese emotionale Betroffenheit als intendierte Rezeptionshaltung zur Grundlage einer (geschichts-)politischen Haltung werden soll. Dieser Wunsch an die Rezipient_innen drückt sich etwa in der Broschüre „Was geht das mich an“ im abschließenden Appell aus: „Sprecht mit euren Eltern und Freunden über diese furchtbare Zeit der Barbarei. Und widersprecht allen, die versuchen, die Nazizeit als ‚harmlos‘ und ‚nicht so arg‘ hinzustellen. [...] Duldet nicht, daß hier in unserem Lande Haß gegen andere Völker und Nationen gesät wird!“361

Zusammenfassend wird in Der österreichische Widerstand nicht eine vom Kommentar vorgegebene historische Darstellung durch die Zeuginnen und Zeugen authentifiziert; vielmehr sind die interviewten Personen in dieser Sendung 359 Darunter die 1945 im Kontext der Befreiung von Auschwitz gemachte Aufnahme der überlebenden Zwillinge, die Opfer von Josef Mengeles Experimenten wurden (vgl. Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ 1959: 125) und das ebenfalls in diesem Kontext aufgenommene Foto der Kinder zwischen den Zäunen, die die eintätowierte Nummer auf ihrem Arm zeigen (vgl. Schoenberner 1960: 195), sowie ein Foto eines Kindes mit Kopftuch aus einem Ghetto-Kontext (vgl. Schoenberner 1960: 70). 360 Siehe Kapitel 3.3.2. 361 Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück 1963: 32.

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Trägerinnen und Träger der in der Sendung produzierten Geschichtserzählungen. Die Sprechenden werden lediglich durch kurze Überleitungen unterbrochen und adressieren das Publikum direkt. Die Dokumentation ist darüber hinaus die einzige von mir gesichtete Sendung, in der Personen sprechen, die nicht einem dominanten geschichtspolitischen Konsens (SPÖ, ÖVP) zuzurechnen sind. Auffallend ist aber, dass gerade Antonie Lehr als eine der wenigen Frauen und der als Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde sprechende Wilhelm Krell in ihren Statements nicht über Widerstand, sondern über Verfolgung sprechen. „Der österreichische Widerstand“ wird somit als männlich und nicht-jüdisch repräsentiert, eine reine Opferposition tendenziell feminisiert und jüdisch konnotiert. Das Sprechen über tatsächliche Widerstands-Handlungen wird auch in der Sendung Der österreichische Widerstand von denjenigen übernommen, die am ehesten den großen Parteien oder deren Umfeldern zuzuordnen sind.

3.6 T ON Dass der Ton gegenüber dem Bild im Fernsehen eine bedeutendere Rolle spiele, ist von verschiedenen Fernsehtheoretiker_innen behauptet worden. So schreibt Mary Ann Doane 1985 über das Verhältnis von Ton (insbesondere Voice-Over) und Bild in Fernsehdokumentationen und Nachrichten: „sound carries the burden of ‚information‘ while the impoverished image simply fills the screen.“362 Rick Altman betont 1986 die verschiedenen Funktionen des Fernsehtons im Zeichen des Ringens um die Aufmerksamkeit seines Publikums, das bei vielerlei Tätigkeiten bei eingeschaltetem Fernseher oft weit davon entfernt sei, konzentriert dem Geschehen auf dem Bildschirm zu folgen.363 Und „sound, mainly the sound of speech, is always foremost in television“ behauptet 1994 der Medientheoretiker und Komponist Michel Chion und geht so weit, Fernsehen als „illustriertes Radio” zu bezeichnen.364 Chion schränkt seine Einschätzung allerdings ein: „In countries where television has not yet exploded into multiple channels running twenty-four hours a day, television continues to be considered a visual medium. But in places where it has extended its programming round the clock and infiltrated the workplace as well as the home, it must inevitably assume its radiophonic nature.“365 Was Chion hier geographisch (und mit dem bedeutenden Zu-

362 Doane 1985: 168f. 363 Altman 2001[1986]: 392ff. 364 Chion 1994: 157. 365 Chion 1994: 165.

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satz „not yet“366 auch zeitlich) verortet, nämlich dass Fernsehen als visuelles Medium dann funktioniert, wenn es (noch) nicht überall und allerzeit verfügbar ist, lässt sich auf die hier untersuchten Sendungen übertragen. Die im öffentlichrechtlichen Fernsehen in einer Phase der Etablierung und Verbreitung entstandenen Geschichtsdokumentationen – oft zu Jahrestagen produziert und im Hauptabendprogramm oder Schulfernsehen gezeigt – unterlagen vermutlich nicht vorrangig einem Rezeptionsmodus des „Nebenbei-Schauens“. Diese Bemerkungen vorangestellt, werden im Folgenden mögliche Funktionen der Tonebene, die über die zu Beginn analysierte verbale Narration hinausgehen, herausgearbeitet. 3.6.1 Das Aussetzen der verbalen Narration . Schweigen, Geräusche, Stille Das Schweigen oder Aussetzen des Kommentars wurde bereits als eine mögliche Form des präsentativen Zugangs zum visuellen Material betont.367 Das Verstummen des Kommentars in Dokumentationen zum Nationalsozialismus lenke, so Judith Keilbach, „die Aufmerksamkeit aufgrund der plötzlich eintretenden ‚symbolischen Stille‘ [...] auf die Bildebene und akzentuiert deren eigenständigen Argumentationswert.“368 Dieses Aussetzen der verbalen Narration werde insbesondere bei Aufnahmen der befreiten Konzentrationslager eingesetzt369, wird von Keilbach aber auch anhand der Sendung Die Deutschen im Zweiten Weltkrieg (1985) bei der Thematisierung von Kriegserfahrungen festgestellt.370 Längere Sequenzen des Aussetzens des Kommentars bei gleichzeitigen Explosionsgeräuschen und Aufnahmen von Krieg, Explosionen und Bomben sind Elemente mehrerer untersuchter Sendungen.371 Die in diesen Passagen eingesetzten Kriegsaufnahmen sind nahezu immer Aufnahmen, die auf dem Gebiet des heuti-

366 Dieser aus einer Perspektive von 1994 formulierte Zusatz, dass in manchen Ländern das Fernsehen „noch nicht“ seine radiophone Gestalt angenommen habe, verweist auf ein lineares Entwicklungsmodell des Mediums Fernsehen einerseits und auf ein historisch-geographisches Konzept andererseits, das die Vergangenheit der einen Orte in der Gegenwart der anderen und dementsprechend die Zukunft der anderen in der Gegenwart der einen und dazwischen den „Fortschritt“ sieht. 367 Siehe Kapitel 3.4.2. 368 Keilbach 2008: 104. 369 Keilbach 2008: 70. 370 Keilbach 2008: 104-106. 371 Vgl. auch ZgadN TC 40.04-40.30, RdÜ TC 34.18-34.46 und IdM TC 59.00-59.17.

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gen Österreich (und seltener Deutschland) gemacht wurden. Symbolisch stehen diese Passagen so für die Leiden der österreichischen (deutschen) Bevölkerung. Aus den Sendungen von Hellmut Andics ließe sich ein Schluß ziehen, den Christian Schneider angesichts von Der Untergang (Oliver Hirschbiegel, D 2004) formuliert hat: „Es muss sehr laut zugegangen sein im Nationalsozialismus“.372 Bei Andics wird dieser eine Sound des Zweiten Weltkrieges (der der Bomben und Explosionen) mit einem anderen Sound des Nationalsozialismus kontrastiert (dem der Propaganda). So geht in Die Iden des März eine Aufnahme der Rede Adolf Hitlers am Heldenplatz und des Jubels im März 1938 direkt über in den Lärm von Bomben und Aufnahmen zerstörter Gebäude Wiens. (IdM TC 59.00-59.17) In Die Republik der Überzeugten wird über Explosionsgeräusche die Aussage Adolf Hitlers über Wien – „Diese Stadt ist eine Perle“ – vom Sprecher mehrfach wiederholt und anschließend ausgeblendet. (RdÜ TC 34.1834.46)373 In beiden Sendungen haben die Bomben und Explosionen die Funktion, die Versprechungen des Nationalsozialismus zu konterkarieren bzw. lautstark als Propaganda zu entlarven. Sehr viele Momente des Aussetzens des Kommentars gibt es in 27. April. Wiedergeburt einer Republik. In den meisten Fällen werden dabei ebenfalls Kriegsaufnahmen eingesetzt, begleitet von Explosionsgeräuschen und/oder Musik, wohl auch aufgrund der thematischen und zeitlichen Beschränkung der Sendung auf das Jahr 1945 und das Ende des Krieges. Ein Aussetzen jedes (absichtlichen) Geräusches gibt es in dieser Sendung an der Stelle, an der Fotografien der Konzentrationslager Mauthausen, Ebensee und Gusen gezeigt werden (Vgl. 27A TC 38.01-38.40). Dieses Schweigen bei Darstellungen der Shoah ist auffallend und, wie schon erwähnt, wiederkehrend. Knut Hickethier bezeichnet in einem Text zur Repräsentation der Shoah im bundesdeutschen Fernsehen das Schweigen zu Aufnahmen der Gedenkstätte Dachau im Fernsehspiel Anfrage (Christian Geissler, Egon Monk, NDR 1962) als eine der „typischen Verdrängungsformen der Nachkriegsdeutschen“. Laut Hickethier symbolisiere das Schweigen „beispielhaft die Sprachlosigkeit einer ganzen Generation, die sich mit der eigenen Vergangenheit nicht beschäftigen wollte.“374 Hickethier bezieht sich hier auf ein Verständnis des Begriffs „Schweigen“, der diesen gerade im Zusammenhang mit dem Umgang der Nachfolgegesellschaften des Nationalsozialismus mit Verdrängung und Schuldabwehr verknüpft. In diesem Wortsinn wurde der Begriff auch in Österreich Mitte der 1960er Jahre im pädagogischen 372 Schneider 2007: 16. 373 Auch in Zeitgeschichte aus der Nähe werden die kriegsbedingten Zerstörungen Wiens mit der Aussage Adolf Hitlers konfrontiert. (ZgadN TC 49.43-50.26) 374 Hickethier 2003: 117.

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Kontext verwendet. So wurde für den Unterrichtsgebrauch 1965 der Band „Wir schweigen nicht“375 herausgegeben. Johanna Schaffer bezieht sich in ihrer Theoretisierung der „Ambivalenzen der Sichtbarkeit“ auf eine von Wendy Brown formulierte „Kritik an einer Anordnung von Schweigen und Sprechen, die die beiden als Oppositionen und eben nicht als gegenseitige Modalitäten begreift und vor allem dem zweiten Begriff alleiniges emanzipatives Potential zuspricht“.376 Von dieser Kritik ausgehend kann festgestellt werden, dass Stille und Schweigen in audiovisuellen Repräsentationen der Shoah sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen können, unter anderem davon abhängig, wer wie schweigt. In der Sendung Der österreichische Widerstand wird einzig bei Wilhelm Krell eine Redepause eingesetzt, an der Stelle, an der Krell über die Novemberpogrome spricht.377 Während ein Dokument (eine Nachricht des RFSS-Sicherheitsdienstes über Zerstörungen in Wien an das Berliner Sicherheitshauptamt) abgefilmt wird, spricht Krell vorerst aus dem Off: „Die erste Phase des Terrors gegen die Juden erreichte den Höhepunkt in den Tempelbränden der so genannten Kristallnacht vom 10. November 1938.“ (DöW TC 09.09-09.20). Darauf folgen zwölf Sekunden Stille, während die Kamera auf die Worte „restlos zerstört“ fokussiert und schließlich ein Foto einer zerstörten Synagoge gezeigt wird. Hier ist das Schweigen weder Verdrängung noch bloße Präsentation des Bildmaterials, sondern bekommt den Charakter eines Gedenkmoments. 3.6.2 Original-Tonaufnahmen: Authentisierung und Wiederholung Das am häufigsten in den untersuchten Sendungen eingesetzte Ton-Dokument ist die Radiorede Kurt Schuschniggs vom 11. März 1938, vor allem die letzten Sätze daraus.378 Die Rede, die mit dem zum geflügelten Wort gewordenen Satz „Gott schütze Österreich“ endet, eignet sich auch im Rest ihrer Wortwahl zum Einstieg in eine konsensorientierte österreich-patriotische Opfer-Erzählung. So-

375 Gross/Lein/Schnell 1965. 376 Schaffer 2008: 56. 377 Siehe Kapitel 3.5.1. 378 ZgadN TC 01.16-02.30, RdÜ 13.13-13.26, IdM 02.16-03.35. Interessanterweise wird in Andics‘ Sendung 50 Jahre unserer Republik im Gegensatz zu Die Iden des März die Rede nicht verwendet. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Schuschnigg selbst sehr ausführlich zu Wort kommt (siehe Kapitel 3.5).

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wohl Zeitgeschichte aus der Nähe als auch Die Iden des März379 beginnen mit den Worten Schuschniggs: „Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volke mitzuteilen, daß wir der Gewalt weichen. Wir haben, weil wir um keinen Preis, auch in dieser ernsten Stunde nicht, deutsches Blut zu vergießen gesonnen sind, unserer Wehrmacht den Auftrag gegeben, für den Fall, daß der Einmarsch durchgeführt wird, ohne Widerstand sich zurückzuziehen und die Entscheidungen der nächsten Stunden abzuwarten. Der Herr Bundespräsident hat den Herrn General der Infanterie Schilhavsky, den Generalgruppeninspektor mit der Führung der Wehrmacht betraut. Durch ihn werden die weiteren Weisungen an die Wehrmacht ergehen. So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volke mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch. Gott schütze Österreich.“ (ZgadN TC 01.16-02.30, IdM TC 02.17-03.35)

In Zeitgeschichte aus der Nähe beginnt die Einstellung mit einer Großaufnahme des Radio- und Plattenspielgerätes, das die Rede abspielt, die Kamera zoomt allmählich heraus und zeigt den Raum in einer Totalen. Hans Thimig sitzt auf einem Lehnsessel, hört zu, dreht den Apparat nach den Worten „Gott schütze Österreich“ ab und sagt: „Diese Worte sprach Bundeskanzler Schuschnigg am 11. März 1938 um circa acht Uhr abends über den Rundfunk. Sie bedeuteten das Ende der Ersten Republik Österreichs.“ (ZgadN TC 02.30-02.57) Diskursiv wird mit dieser Eröffnung den von Schuschnigg gesprochenen Worten auch eine gewisse Deutungshoheit zugesprochen. Schuschniggs Rede bleibt für sich stehen und wird weder interpretiert noch analysiert. Über ihre narrative Rolle hinaus dient die Rede in dieser einleitenden Sequenz mehreren Funktionen. Formal beginnt die Sendung so mit einem Originaltondokument, das die Authentizität der Erzählung garantiert. Darüber hinaus stellt dessen Abspielen eine technische Möglichkeit dar und aus, die das (Schul-)Fernsehen den (Schul-)Büchern voraushat. Der anfängliche Bildausschnitt, der auf das Gerät – Radio und Plattenspieler – zur Stimme des ehemaligen austrofaschistischen Bundekanzlers fokussiert, zeigt zweierlei: Das dem Fernsehen vorausgegangene Masseninformationsmedium und einen rezipierenden Blick auf das Audioabspielgerät, das noch keine Bilder zur Verfügung stellt. So, wird gezeigt, saßen die Leute damals vor dem Radio. Das Erscheinen Thimigs führt diese Rekonstruktion der Vergangenheit über in den Modus des Rezipierens einer historischen Quelle und leitet so die folgende Geschichts-Schulstunde ein.

379 In der Sendung Die Iden des März erfolgt die Wiedergabe der Rede nach einleitenden Worten des Sprechers zum Gesamtkonzept der Sendung.

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In Die Iden des März dagegen ist auf der visuellen Ebene zur SchuschniggRede eine Kamerafahrt durch das 1968 aktuelle Wien zu sehen. Die vermutlich von einem Auto aus gefilmte Fahrt beginnt beim Rathaus; die Kamera fährt über die noch zweispurig befahrbare Ringstraße vorbei an Parlament und Volksgarten (und lässt das Denkmal der Republik bezeichnenderweise aus), zeigt Naturhistorisches Museum, Kunsthistorisches Museum und Maria Theresia-Denkmal und biegt schließlich auf den Heldenplatz ein, betritt die Hofburg und schließlich den Balkon mit Blick zum Heldenplatz. Die Rede unterstreicht hier eine Bewegung, die geradewegs und ausweglos zum symbolisch für den Nationalsozialismus stehenden Ort der Rede Adolf Hitlers am 15. März 1938 vor tausenden jubelnden Österreicher_innen führte. Eine weitere Assoziation, die im Zusammenspiel von Bild- und Tonebene aufkommen kann, ist die eines fahrenden Lautsprecherwagens – neben Fernsehen und Radio ein weiteres Medium der Informationsverbreitung im öffentlichen Raum. Gleichzeitig unterstützt die Verknüpfung der aktuellen Kameraaufnahmen und der historischen Rede einen Rezeptionsmodus, in dem Fragen nach der politischen Relevanz der historischen Vorgänge in der jeweiligen Gegenwart gestellt werden können. Was den Einsatz von NS-Tonaufnahmen betrifft, so ist festzustellen, dass die in den Sendungen gelegentlich eingeworfenen Rede-Ausschnitte von Adolf Hitler oder Hermann Göring die Geschichtssendung in zweifacher Weise authentisieren: Erstens durch den Rückgriff auf historische Quellen und Originalmaterial; und zweitens, ähnlich der Verwendung des propagandistischen Bildmaterials380, als Beleg der propagandistischen Wirkung der Propaganda. Eine den Intentionen der Sendungsgestaltenden entgegengesetzte Wirkung können bei dieser Verwendung von NS-Tonmaterial die wiedergegebenen Lieder haben. So werden in Zeitgeschichte aus der Nähe zwei nationalsozialistische Lieder angespielt: „Siehst du im Osten das Morgenrot“ zu Wochenschau-Aufnahmen des 15. März 1938 am Heldenplatz381 und das „Frankreich-Lied“ im Kontext des Angriffs auf Frankreich und zu Aufnahmen brennender Gebäude.382 In den Iden des März wird zu den Heldenplatz-Aufnahmen das „Horst-Wessel-Lied“ gespielt (im Gegensatz zu den Liedern in Zeitgeschichte aus der Nähe nur in einer Instrumentalversion).383 Durch den Einsatz der Lieder ohne jeden Verfremdungsef-

380 Siehe Kapitel 3.4.3. 381 ZgadN TC 10.10-10.50. Zwei Minuten davor wird das Stück bereits im Hintergrund angespielt. (ZgadN TC 07.40-08.22) 382 ZgadN TC 30.13-30.30. 383 IdM TC 03.43-04.30.

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fekt384 als historisch bedeutsame Geräuschkulisse wird ein Trägermedium der NS-Propaganda wiederholt, dessen Verbreitung eben auf Wiederholung basiert. Die durch die Wiederholung auch ermöglichte (Re-)Popularisierung des Liedguts läuft dem aufklärerischen, bildenden Impetus der Sendungen entgegen. 3.6.3 Musik. Dominanz, Dissonanz Eine musikhistorisch fundierte und systematische Auseinandersetzung mit den in den Sendungen verwendeten Werken und den politischen und historischen Kontexten ihrer Autor_innen, Entstehungszusammenhänge und Verwendungsgeschichten wäre ohne Zweifel sehr fruchtbar, kann hier jedoch nicht geleistet werden. Es sei aber auf den auffallend häufigen Einsatz der 5. Symphonie Ludwig van Beethovens hingewiesen. Die ersten Takte der Symphonie doppeln zum einen die (auch in den Sendungen wiederholt eingesetzte) Erkennungsmelodie der BBC385 während des Zweiten Weltkrieges. Zum anderen – und dieser Bedeutungszusammenhang ist vermutlich wirkmächtiger – konnotiert dieses auch „Schicksals-Symphonie“386 genannte Werk den Nationalsozialismus als unausweichliches Los oder Unheil, wie in der schon erwähnten Inszenierung der Besprechung Schuschniggs und Hitlers in Berchtesgaden am 12. Februar 1938 und deren Folgen in der Sendung Die Iden des März.387 Judith Keilbach, die den Einsatz musikalischer Elemente in Geschichtsdokumentationen auch als präsentativen Zugang zum Bildmaterial analysiert, beschreibt, dass „durch den Einsatz von Musik Emotionen evoziert und Bedeutungen signifiziert [werden].“388 In den hier untersuchten Sendungen werden die 384 Anders die Musik von Hanns Eisler für Nacht und Nebel (Alain Resnais, F 1955). Eisler greift Elemente existierenden Lied- und Hymnenguts auf und verfremdet diese durch eine Veränderung von Harmonie, Rhythmus oder Tonfarbe. 385 Siehe zum Beispiel den Vorspann von Die Republik der Überzeugten, in dem lediglich die anfänglichen Paukenschläge eingesetzt werden. 386 Siehe auch den 1941 erschienenen Roman „Schicksalssymphonie“ von Friedrich Schreyvogl, für den die 5. Symphonie Beethovens namensgebend ist. Fritz Trümpi schätzt die Rolle des Romans, dessen Handlung im Wien der Jahrhundertwende angesetzt ist, folgendermaßen ein: „Insofern trug der Wiener Autor mit seiner Medialisierung der Wiener Philharmoniker nicht nur zu einer nationalsozialistischen Aufladung des vergangenheitsbezogenen ‚Musikstadt‘-Topos bei, sondern lieferte mit seinem (1952 erneut aufgelegten) Roman zudem einen nicht unerheblichen Beitrag zur NS-Kriegspropaganda.“ (Trümpi 2011: 225) 387 IdM TC 24.15-25.00. Siehe Kapitel 3.2.4. 388 Keilbach 2008: 106.

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Musikstücke emotional meist der Narration angepasst: Tote und Trauer in Moll, tanzende Menschen vor dem Parlament und der Staatsvertrag in Dur. Einzig in den Sendungen von Hellmut Andics wird Ton, in diesem Fall Musik, „dissonant“ eingesetzt, wenn etwa tote Soldaten und Tote in den Konzentrationslagern mit heiterer Marschmusik begleitet werden (RdÜ TC 17.06-17.25). „Audiovisual dissonance“ bezeichnet Michel Chion als „an effect of contradiction between sound and image at a precise moment in a story“389 und fährt fort: „It can be noted that the effect of audiovisual dissonance is almost always limited to pre-coded rhetorical cases such as gender opposition, contrast between voice and body, city versus nature in Godard’s films, nature versus culture […] or past versus science fiction with the Blue Danube waltz in Stanley Kubrick’s 2001: A Space Odyssey (1968).” Die bereits etablierte und hier aufgerufene Differenz, auf die sich die Dissonanz in der Sendung Republik der Überzeugten bezieht, ist die zwischen militärischer und nationalsozialistischer Selbstrepräsentation einerseits und dem Wissen um den Ausgang der Geschichte andererseits; in anderen Worten die zwischen Propaganda und Tod und Leid (worunter tote Wehrmachtssoldaten und Ermordete in den Konzentrationslagern subsumiert werden). Die Dissonanz wird in Die Republik der Überzeugten schließlich durch folgende Sätze aufgelöst: „Und so erwachte schon sehr bald das Gefühl, dass das kleine Österreich von einst, das keiner so recht gewollt hatte, doch viel mehr gewesen sein könnte als nur ein Rest. Der Widerstand flammte auf.“ (RdÜ TC 17.25-17.35) Es folgt eine lange Passage zu österreichischem Widerstand (RdÜ TC 17.36-19.16), begleitet von der 5. Sinfonie Ludwig van Beethovens, in der der auf das Wiener Landesgericht bezogene Satz fällt: „In diesen Mauern war Österreich.“ (RdÜ TC 17.5417.57) Die narrative Schließung dieser Sequenz erfolgt damit in einer Überbetonung und Patriotisierung des Widerstandes, der als Harmonisierung der Dissonanz fungiert.

3.7 F IKTIONALE E LEMENTE R E -E NACTMENT

IM

D OKUMENTARGENRE .

Re-Enactment als Nachstellung historischer Situationen mit Schauspieler_innen ist mittlerweile ein etabliertes Stilmittel des dokumentarischen Geschichtsfernsehens; ihre Anfänge hatte diese Form in den 1960er Jahren. Eine solche Reinszenzierung im dokumentarischen Fernsehen werde ich im Folgenden analysieren. Judith Keilbach, die in einem Text von ORF und ZDF koproduzierte

389 Chion 2000: 219.

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Dokumentarspiele untersucht, beschreibt, dass vom ORF seit den 1960er Jahren „Tatsachenspiele“ bzw. „Dokumentarspiele“ produziert würden.390 Diese Spiele, die wie zum Beispiel Der Fall Jägerstätter (ORF 1971) an einer fiktionalisierten Narration einer Geschichte orientiert sind, werden oft mit dokumentarischen Elementen versehen (Archivfilm, Zeitzeug_innen etc.).391 Andererseits werden fiktionale Elemente (etwa gespielte Szenen, Spannungsaufbau) Teil des dokumentarischen Geschichtsfernsehens.392 In Die Iden des März (1968) werden die Telefongespräche des Nachmittags und Abends des 11. März 1938 zwischen Hermann Göring, Arthur Seyß-Inquart, dem Botschaftsangehörigen der Deutschen Botschaft in Wien Dombrovsky, Wilhelm Keppler, dem Reichspresseschef Otto Dietrich, Philipp von Hessen und Adolf Hitler393 reinszeniert. Zu den mit unterschiedlichen Stimmen gesprochenen Dialogen der Protagonisten wird eine eigens konstruierte Installation abgefilmt, in der sich drei Drahtfiguren mit Telefonen an Schreibtischen, die mit „Wien“, „Berlin“ und „Rom“ beschriftet sind, gegenübersitzen. Im Hintergrund werden die jeweiligen Porträtfotos und Namensschilder eingeblendet. Zusätzlich zu diesem Versuch der Rekonstruktion wird regelmäßig eine Uhr eingeblendet, die das Verstreichen der Stunden und Minuten sichtbar macht. Die Uhr als Element des Spannungsaufbaus und die Namensschilder als Identifizierungshilfe hatte Andics drei Jahre zuvor schon in der Dokumentation Der 25. Juli 1934. Eine Dokumentation über die Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Dr. Engelbert Dollfuß, (Buch: Hellmut Andics, Regie: Walter Davy, 1965) verwendet. Darin wird der Mord an Engelbert Dollfuß mit Schauspielern mit Namensschildern im Bundeskanzleramt in verschiedenen Versionen nachgespielt. In Die Iden des März sind die Sprecher interessanterweise nicht zu sehen, stattdessen eine aufwändige Drahtkonstruktion.394 390 Keilbach 2005b: 113. 391 Keilbach 2005b: 115. 392 Keilbach 2005b: 115. 393 Die Salzburger Nachrichten verweisen darauf, dass die Telefongespräche schon aus einer „Hörfunk-Gedenksendung vor fünf Jahren“ bekannt gewesen seien. (Salzburger Nachrichten 12.3.1968: 2); vermutlich ist damit das am 11.3.1963 um 19.30 Uhr im zweiten Rundfunkprogramm ausgestrahlte Hörspiel „Der 11. März 1938 am Ballhausplatz“ gemeint. 394 Zu sehen sind Schauspieler dagegen in der ORF-Jubiläums-Produktion zum März 1938 im Jahr 2008. Peter Faerber und Fritz Friedl lesen darin, an einem Tisch sitzend, die erwähnten Telefonprotokolle vor. Der Rest der Inszenierung ist derjenigen in der Produktion von 1968 erstaunlich ähnlich. Hinter Faerber und Friedl hängen große Portraitfotos der von ihnen gesprochenen Politiker, dazwischen werden zeit-

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Abbildung 35: Standbild aus Die Iden des März. Vorspann.

Quelle: ORF-Fernseharchiv.

Abbildung 36: Standbild aus IdM TC 53:58: Die Drahtfigur von Arthur Seyß-Inquart telefoniert mit der von Wilhelm Keppler.

Quelle: ORF-Fernseharchiv.

Die Sendung beginnt mit einer Zeichnung eines solchen Drahtoberkörpers mit einem Telefon. Titel und Autor der Dokumentation werden dazugeblendet. Der Off-Kommentar erläutert: „11. März 1938. An diesem Tage wurden zwischen Wien, Berlin und Rom eine Reihe von Telefongesprächen geführt, die inzwischen in die Weltgeschichte eingegangen sind. In diesen Telefongesprächen entschied sich das Schicksal der Ersten Republik. Diese Fernsehdokumentation unternimmt den Versuch, zu rekonstruieren, was damals geschah.“ (IdM TC 1.301.58) Noch ein zweites Mal, direkt vor der tatsächlichen Reinszenierung der Telefongespräche, erfolgt eine Betonung, dass hier etwas „rekonstruiert“ werde. (TC 43.20-43.28) Laut Judith Keilbach dient der Hinweis auf die Rekonstruktion

genössische Telefone abgefilmt und die Uhrzeit der Gespräche eingeblendet. Vgl. Der Untergang Österreichs (Andreas Novak, ORF 2008).

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des Ereignisses der Steigerung von Authentizität und Objektivität.395 Lorenz Engell sieht in einer solchen Praxis, in der „sich das Fernsehen der Repräsentation der Rekonstruktionsanstrengung selbst [widme]“396, weitreichende Konsequenzen: „Es [das Fernsehen, Anm. rw] lässt das Abwesende iconisch anwesend sein und verweist es dennoch zugleich in die modale Distanz als bloßes ReKonstrukt. Es oszilliert zwischen einem memorativen und einem historiographischen Verfahren. Indem es beide zugleich als verschiedene Perspektiven auf einund denselben Vorgang anbietet, stattet es sich selbst mit einer Souveränität, einer Verfügungsgewalt über das Vergangene aus.“397 In gewisser Weise findet das Geschichtsfernsehen mit dem Re-Enactment und dem Ausstellen der Rekonstruktionsleistung zu einer seiner langfristig erfolgreichen398 Formen, die nicht mehr an Schulstunde, Wochenschau oder Geschichtsbuch orientiert sind. Grundlage für die in Die Iden des März reinszenierten Telefon-Dialoge sind Aufzeichnungen, die 1938 vom Reichsluftfahrtministerium zur Dokumentation angefertigt wurden und im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 1945/1946 verwendet wurden.399 Beide Verwendungskontexte werden auch vom Kommentar benannt. (IdM TC 43.7-43.30) Im Nürnberger Prozess wurden die Gesprächprotokolle vom Ankläger Sidney S. Alderman eingebracht, um zu zeigen, dass die Angeklagten, hier namentlich „von Papen, Seyß-Inquart, Ribbentrop, von Neurath und Göring“ „wirklich gefährliche Männer“ und „schlaue Tyrannen“ gewesen seien. 400 Später betonte Alderman, die Dokumente würden „nachdrücklich und mit unmißverständlicher Klarheit [zeigen], daß die Nazis tatsächlich ein Ultimatum an die österreichische Regierung gerichtet hatten, daß sie Truppen über die Grenze schicken würden, falls Schuschnigg nicht zurücktrete und der Angeklagte Seyß-Inquart nicht zum Kanzler ernannt würde.“401 Die Anführung der Gesprächsprotokolle hatte demnach die Funktion, den Angeklagten im Sinne 395 Keilbach 2005b: 113. 396 Engell 2005: 75. 397 Engell 2005: 70. 398 Edgar Lersch und Reinhold Viehoff etwa verorten die verstärkte Verwendung von fiktionalen Elementen und Re-Enactment ab den 1990er Jahren. (Lersch/Viehoff 2007: 56) 399 Vgl. Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg 1947: Band 2: 457-471. Die Gesprächsprotokolle waren Teil der US-Beweismittel (Beweismittel Nr. 2949-PS [US 76]), die englische Übersetzung findet sich in der Dokumentensammlung: Office of United States Chief of Counsel for Prosecution of Axis Criminality: Nazi Conspiracy and Aggression, Washington/DC 1946-1948, Vol. V: 628-654. 400 Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg 1947: Band 2: 471. 401 Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg 1947: Band 3: 369.

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der Anklage einen Angriff auf Österreich nachzuweisen. Die den Zuschauer_innen nahegelegte Interpretation der Telefongespräche in der Sendung Die Iden des März folgt im Wesentlichen der der Anklage. Die (deutschen) Nazis auf der einen Seite, die österreichischen Opfer auf der anderen. Die „Regierung Schuschnigg“ sei „auf telefonischem Weg gestürzt“ worden; „per Ferngespräch wurde Österreichs Unabhängigkeit für sieben Jahre ausgelöscht.“ (IdM TC 42.58-43.07) Einzig Arthur Seyß-Inquart wird in Die Iden des März weniger als „gefährlich“ denn als ungeschickt dargestellt; er sei zwar Nazi, aber wenigstens erfolgloser Patriot gewesen: „Der Einmarsch findet statt, um Österreichs Unabhängigkeit auszulöschen. Noch am Abend des 11. März mag Seyß-Inquart wirklich gehofft haben, die österreichische Selbständigkeit zu retten, wenn das Land nur eine nationalsozialistische Regierung bekäme. Er und viele andere Nationalsozialisten mussten sehr schnell einsehen, dass es Hitler nicht um den Nationalsozialismus, sondern um die Besetzung Österreichs ging, um die totale Gleichschaltung als Ausgangsbasis für viel weiter reichende Eroberungspläne.“ (IdM TC 56.09-56.40)

Der bedauernde Tonfall des Kommentars legt nahe, dass es auch den Sendungsgestaltenden nicht so sehr um die Ideologien, Repressionen und den Verfolgungsapparat des Nationalsozialismus ging, sondern für sie die Nicht-Existenz des österreichischen Staates die beklagenswerteste Folge der Telefongespräche darstellt. 3.7.1 Ausblick: Fiktionalisierung. Das Fernsehspiel An der schönen blauen Donau (NDR 1965) Am Ende meiner Analyse des dokumentarischen Geschichtsfernsehens werde ich nun noch auf ein nicht im Korpus der analysierten Sendungen befindliches Fernsehspiel von 1965 eingehen und dieses anhand der Fragestellungen zur Ermordung von Juden und Jüdinnen und der Inszenierung politischer Handlungsfähigkeit untersuchen. Im Gegensatz zum oben dargestellten Re-Enactment in der Dokumentation Die Iden des März betreffen die rekonstruierten Handlungen in diesem Fall nicht (nur) ehemalige Politiker. Das Fernsehspiel An der schönen blauen Donau von Franz Hiesel, das 1965 „nach einer Idee von Hellmut Andics“ von der Wiener Fernsehproduktionsfirma Heinz Scheiderbauer im Auftrag des NDR produziert und am 3.5.1966 erstmals im österreichischen Fernsehen gesendet wurde, behandelt die Tage und Ereignisse um den Mord an Engelbert Dollfuß am 25. Juli 1934 durch österreichische

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Nationalsozialisten. Es reinszeniert das historische Ereignis mittels einer fiktiven Handlung und setzt dokumentarische Elemente zur Authentisierung ein. So wird zu Beginn in einem dokumentarischen Vorspann mittels Voice-Over, Zeitungsausschnitten und Fotografien sowie Archivfilmaufnahmen (vom Justizpalastbrand 1927, von Heimwehr-Aufmärschen und von den Februarkämpfen 1934) eine Einführung in das historische Setting gegeben, in dem sich die fiktive Handlung abspielen wird. (AdsbD TC 01.18-03.15) Die Handlung dreht sich vor allem um das junge heterosexuelle Paar Tini Gasser (Christiane Hörbiger) und Franz Schantl (Hans Peter Musäus). Tini stammt aus sozialdemokratischem Elternhaus, Franz ist seit kurzem in einer nationalsozialistischen Gruppierung organisiert, was auch für Streit zwischen den beiden sorgt. Antisemitismus wird an den Figuren des Alteisenhändlers David Redlich (Emil Feldmar) und seiner Ehefrau, Frau Redlich, deren Vorname unbekannt bleibt (Alice Lach), verhandelt.402 Das Ehepaar Redlich wird in zehn Szenen thematisiert: • Szene 1: (TC 22.05-22.38) Josef Wondrak (Fritz Muliar) zeigt als lokaler Lei-









ter der illegalen Nationalsozialisten dem Sturmbannführer Sass (Reinhard Glemnitz) von seinem Fenster aus, dass er und seine Gruppe die Waffen für das Attentat auf Dollfuß im Lager des jüdischen Alteisenhändlers David Redlich versteckt haben. Szene 2: (TC 24.52-26.39) Redlich meldet den Fund einer Waffe bei der Polizei. Der korrupte und opportunistische Polizist Bramburi (Karl Paryla) verdächtigt ihn des Waffenschmuggels. Szene 3: (TC 28.46- 31.06) Nacht. Redlich hat in seinem Lager weitere Gewehre gefunden und trägt sie zusammen, als sich gleichzeitig die Nationalsozialisten Franz Schantl (Hans Peter Musäus) und Otto (Walter Kohut) in das Lager schleichen, um die Waffen abzuholen. Otto verletzt Redlich – wie sich herausstellen wird – tödlich. Szene 4: (TC 31.57-34.40) Wieder zurück bei den anderen Nationalsozialisten lastet Otto Franz den Mord an. Tini Gasser (Christiane Hörbiger) stößt dazu, da sie mit Franz sprechen will, und sieht den blutenden David Redlich am Boden liegen. Die Nazis beschließen, ihn in den Donaukanal zu werfen, während Franz und Tini im Freien alleine sprechen. Tini macht Franz Vorwürfe, er will, dass sie nach Hause geht, er selbst kehrt wieder zu den anderen Nazis zurück. Szene 5: (TC 43.58-45.59) Am nächsten Morgen sucht Frau Redlich (Alice Lach) das Ehepaar Wondrak (Lotte Lang und Fritz Muliar) auf, da sie sich

402 Damit wurden zwei Schauspieler_innen gewählt, die vor nationalsozialistischer Verfolgung fliehen mussten. Veigl/Fink 2012: 35f bzw. 71.

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Sorgen um ihren verschwundenen Mann macht. Josef Wondrak will sie davon abbringen, zur Polizei zu gehen und erinnert sie an frühere gemeinsame Abendaktivitäten von David Redlich und Josef Wondrak. Szene 6: (TC 50.11-52.77) Frau Redlich macht eine Abgängigkeitsanzeige bei der Polizei, Bramburi unterstellt David Redlich nach wie vor Waffenschmuggel. Szene 7: (TC 1.03.15-1.04.33) Tini erfährt von Frau Wondrak, dass Herr Redlich abgängig ist. Szene 8: (TC 1.04.33-1.09.15) Im Wirtshaus. Die Nazis sind betrunken und singen. Tini betritt das Lokal und fragt Franz nach dem Verbleib von David Redlich. Ein Mann kommt vom Klo und singt „Es schwimmt eine Leiche im Donaukanal“. Franz beteuert seine Unschuld und erzählt Tini vom für den nächsten Tag vorgesehenen Putschversuch. Tini verlässt das Lokal wieder. Die Nazis singen „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt“. Franz beginnt einen Streit mit Otto und beschließt, auszusteigen; er verlässt das Lokal. Auf Ottos Aufforderung hin folgen Franz zwei Nazis. Szene 9: (TC 1.26.46-1.26.59) In einer Art Epilog wird in einer Aufzählung der weiteren Schicksale der Figuren mitgeteilt, dass David Redlichs Leiche in der Donau gefunden wurde und er auf dem Friedhof der Namenlosen in Albern (Wien) begraben wurde. Szene 10: (TC 1.27.27-1.27.30) Es wird mitgeteilt, dass Frau Redlich im Konzentrationslager Mauthausen ermordet wurde.

Das mit einem sprechenden Namen versehene Ehepaar Redlich (sie sind „redlich“ im Vergleich zu anderen in der Sendung auftretenden Charakteren) bietet Anlass, Antisemitismen in Österreich vor 1938 und dazu mögliche Positionierungen aufzuzeigen. Auch wird am Beispiel von Frau Redlich der nationalsozialistische Massenmord an Juden und Jüdinnen angedeutet. David Redlich kommt eine zentrale Rolle für einen Teil der Handlung zu, die allerdings fast ausschließlich passiv angelegt ist: er ist zunächst der Willkür von Polizei und Nazis ausgeliefert und nach seinem Tod lediglich als eine Figur präsent, die in Gesprächen thematisiert wird. Diese ungleiche (Handlungs-)Machtverteilung drückt sich auch in den Blickbeziehungen zweier Szenen aus. In Szene 1 blicken Josef Wondrak und der Sturmbannführer vom Fenster herab auf das Lager Redlichs. Hier nimmt die Kamera vorerst die Perspektive der Nazis ein, die David Redlich beobachten. Dabei spielt sich folgender Dialog zwischen Josef Wondrak und dem deutschen Sturmbannführer ab:

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Josef Wondrak: „Die Gewehre sind in den besten Händen. Bitte… [bittet den Sturmbannführer zum Fenster] A Jud. Gut, was? Ein besseres Versteck hätten nicht einmal Sie sich ausdenken können. Der Itzig geht g’rad’ nach Haus und hat keine Ahnung, was er unter seinem Dreck verborgen hat. Zufrieden?“ Sturmbannführer Sass: „Aus euch Österreichern wird man nicht schlau, eine Mischung von Genialität und Schlamperei.“ (AdsbD TC 22.05-22.38)

Die Einführung der Figur des David Redlich erfolgt so aus Perspektive der Nazis, sowohl visuell als auch im Dialog. In Szene 3 wiederholt sich dieses Verhältnis insofern, als die Nazis Redlich sehen und beobachten, bevor er sie bemerkt.403 Der obenstehende Dialog ist auch über die Frage der ungleichen Blickund Sprechposition hinaus aufschlussreich. Anhand des Sprechens über einen Juden wird das Verhältnis zwischen Deutschen und Österreicher_innen verhandelt. Einerseits schafft der Verweis auf ein gemeinsames Anderes Zusammengehörigkeit. Wondrak verwendet hier zudem den Begriff „Itzig“, der in einer antisemitischen Aneignung des jüdischen Namens Itzig/Itzik als Bezeichnung für Juden dient/e. Andererseits werden Rollen und Zuschreibungen zwischen Österreicher_innen und Deutschen differenziert. Der Österreicher Wondrak ist gegenüber dem deutschen Sturmbannführer zwar in einer unterlegenen Position; sein Einfall aber, die Waffen bei Redlich zu verstecken, bringt ihm die Anerkennung und Bescheinigung von „Genialität“ durch den Deutschen. Wondraks Behauptung – „Ein besseres Versteck hätten nicht einmal Sie sich ausdenken können“ – liegt die Annahme einer Superiorität des Deutschen zugrunde; allerdings schwingt im Subtext mit, dass die Deutschen es ja auch nicht hätten besser machen können, womit die Österreicher_innen vielleicht doch die besseren Deutschen seien, zumindest, was den Antisemitismus betrifft. Stereotype werden sowohl in der Darstellung von David Redlich eingesetzt als auch in Dialogen zum Thema gemacht. So entspricht seine berufliche Tätigkeit als (Alteisen-)Händler einem Klischee, das unter anderem aus dem langen Ausschluss von Juden und Jüdinnen aus wirtschaftlichen Bereichen wie Handwerk und Landwirtschaft entstand.404 Albert Lichtblau betont, dass gerade weil sich um 1900 „die Unterschiede der Berufsstruktur zwischen Juden und Nichtjuden bis zur Belanglosigkeit hin zu verwischen drohten“ eine auf Rassisierung beruhende Kategorisierung an Gewicht gewann.405 Stereotype, die sich auf frühere berufliche Tätigkeiten von Juden und Jüdinnen bezogen, setzten sich trotz ver403 Auch hier bleibt Redlich beinahe sprachlos. Sein einziges Wort ist „Franz!“, als er Franz Schantl in der Dunkelheit in seinem Alteisenlager erkennt. 404 Gamm 1998: 68. 405 Lichtblau 1995: 222.

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änderter wirtschaftlicher Situation in antisemitischen Diskursen fort.406 Auch in Szene 2 wird im Dialog zwischen dem austrofaschistischen Polizisten Bramburi und David Redlich ein antisemitisches Stereotyp aufgegriffen: Bramburi (Polizist): „Was ist denn das?“ David Redlich: „Ein Gewehr. Ich hab’s gefunden.“ B: „Gefunden?“ DR: „Ja.“ B: „Wo gefunden?“ DR: „Bei mir, auf meinem Alteisenplatz, wenn Sie erlauben.“ B: „‚Wenn Sie erlauben‘, Sie, werden Sie net frech, net!“ DR: „Unter dem Gerümpel, versteckt, hab’ ich’s gefunden. Waffen müssen sogleich abgeliefert werden […?]. Vielleicht hat dieses Gewehr eine besondere Bedeutung.“ B: „Das hat ein Gewehr immer, Herr Redlich. Sind Sie Sozialdemokrat?“ DR: „Ja was hat das mit dem Gewehr zu tun, Herr Inspektor?“ B: „Die Herren Israeliten stehen doch meistens links.“ DR: „Das ist bei Gott ein Fundgegenstand, Herr Inspektor.“ B: „Sind Sie mit irgendwelchen Sozis verwandt, verschwägert oder befreundet oder irgendwelche diesbezüglichen Kaffehausbekanntschaften gehabt?“ DR: „Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, Herr Inspektor. Ich habe das Gewehr wirklich auf meinem Grund und Boden gefunden und hab’s Ihnen gleich hierher gebracht, also…“ B: „‚Gleich…‘ der Termin bis zu welchem die Sozis ihre Waffen haben abliefern müssen ist verstrichen, Herr Redlich.“ DR: „Was heißt das? Für was halten Sie mich?“ B: „Geh’n’S, schau’n’S, wir machen doch jetzt eine Menge Razzien, net wahr, uns bleibt ja nichts verborgen. Ist es da nicht unter Umständen möglich, dass Sie da plötzlich Angst gekriegt haben und sich gedacht haben, ‚Ach, ich liefer’ den Schießprügel doch lieber schnell ab?‘“ DR: „Ich hab’ das Gewehr wirklich auf meinem Lagerplatz gefunden. Zufällig.“ B: „So…“ DR: „Versteckt unter einem ganzen Haufen alter Blechkannen und …“ B: „Das Gegenteil ist schwer zu beweisen, Herr Redlich, aber bitte schön, Sie können gehen. Aber wir werden Sie jetzt leider im Auge behalten müssen.“ DR:„Mich?“ B: „Ja!“ DR: „Ist das ein Witz, Herr Inspektor?“

406 Vgl. Lichtblau 1995: 223f.

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B: „Ein Gewehr ist kein Witz, mein lieber Herr. Geh’n’S, wer soll denn bei Ihnen ein Gewehr verstecken?“ DR: „Ich weiß es nicht, Herr Inspektor, aber, bitte, eines können Sie mir glauben, ich werd’ jetzt aufpassen.“ B: „Wir auch.“ (AdsbD TC 24.52-26.39)

Der Dialog ist a priori von einem Machtverhältnis geprägt, das sich unter anderem in Tonfall und Sprache (Anreden und Zurechtweisungen) artikuliert. Vom Polizisten Bramburi wird eine Assoziation von Juden und Jüdinnen mit politisch linken Ideen angesprochen, und durch diese Verbindung in der konkreten Situation im austrofaschistischen Österreich 1934 David Redlich eine kriminelle Handlung unterstellt. Die Historikerin Shulamit Volkov beschreibt, wie sich Antisemitismus im 19. Jahrhundert zu einem „kulturellen Code“, zum „Signum kultureller Identität, der Zugehörigkeit zu einem spezifischen kulturellen Lager“407 entwickelt habe. Antisemitismus wurde demnach mit „der aufkommenden Ideologie des deutschen Nationalismus“ verknüpft, die zugleich „antisozialistisch“, „antidemokratisch“ und „anti-emanzipatorisch“ war.408 Durch den „mehrdeutigen, diffusen Charakter“ des Antisemitismus war es in antisemitischen Zuschreibungen möglich, Jüdinnen und Juden zugleich als Kapitalist_innen und als (Kapitalismus kritisierende) Intellektuelle zu beschreiben.409 Bilder der Identifizierung von Juden und Jüdinnen mit sozialistischen und marxistischen Ideen einerseits und mit kapitalistischen Geschäftsinteressen andererseits können so gleichzeitig Teil des antisemitischen Bildrepertoires sein. Neben der oben beschriebenen Erwähnung des späteren Todes von Frau Redlich im Konzentrationslager Mauthausen als Hinweis auf die spätere massenhafte Ermordung von Jüdinnen und Juden gibt es noch weitere Anspielungen auf den mörderischen Charakter des nationalsozialistischen Antisemitismus. In Szene acht singen die Nationalsozialisten die Liedzeile „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt“, was sich sowohl auf den toten David Redlich beziehen kann als auch auf Juden und Jüdinnen allgemein. In Szene vier appelliert Tini Gasser, nachdem sie David Redlich verletzt bei den Nationalsozialisten liegen gesehen hat, an Franz’ Gewissen: Tini Gasser: „Was um Himmels willen ist passiert, Franz? Wie ist denn das geschehen? So gib mir doch eine Antwort. Da stimmt doch etwas nicht. Was hast du damit zu tun?“ Franz Schantl: „Nichts.“ 407 Volkov 2000 [1978]: 23. 408 Volkov 2000 [1978]: 27. 409 Vgl. Volkov 2000 [1978]: 26.

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TG: „Nichts? Ein Mensch verblutet in Eurer Gesellschaft und du willst damit nichts zu tun haben? Du kannst mich doch jetzt nicht wieder auf die Strasse schicken, ‚Gute Nacht‘ sagen und mich einfach laufen lassen.“ FS: „Warum denn nicht?“ TG: „Ich hab den Mann sofort erkannt, das war der Herr Redlich. Wie kommt der zu Euch in den Schuppen?“ FS: „Ein Unfall, mehr weiß ich auch nicht. Bedauerlich, aber doch kein Grund, dass du dich so alterierst.“ (AdsbD TC 33.38-34 06)

Wenn die Figur des David Redlich auch für die im Nationalsozialismus ermordeten Juden und Jüdinnen steht, kann der Dialog als Verhandlung möglicher Handlungsweisen der nichtjüdischen Bevölkerung Österreichs gelesen werden. Franz’ vorgegebenes Nicht-Wissen beziehungsweise Nicht-soviel-wissen-Wollen ist im Kontext der Handlung als Lüge erkennbar und wird von Tini im Laufe des Films auch als solche entlarvt. Sie stellt Franz’ Behauptung, dass er nichts mit dem Vorfall zu tun habe, in Frage; allerdings nicht aufgrund der Tatsache, dass er tatsächlich involviert war (was sie ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß), sondern allein deswegen, weil er – ebenso wie sie – den sterbenden David Redlich gesehen hat. („Ein Mensch verblutet in Eurer Gesellschaft und Du willst damit nichts zu tun haben?“) In Bezug auf Geschlechtercodes ist bezeichnend, dass das nachhaltige kritische Nachfragen und Mehr-wissen-Wollen im Fernsehspiel von einer jungen, österreichischen Frau, die einem sozialdemokratischen Umfeld zugeordnet wird, übernommen wird. Damit unterscheidet sich ihre Position von den Positionen der anderen – und älteren – (Ehe-)Frauen. In einem der Wirtshausszene direkt vorausgehenden Dialog (Szene sieben) zwischen Tini Gasser und Frau Wondrak kommt es zu einer Konfrontation der unterschiedlichen Positionen: Frau Wondrak: „Die Männer haben was Besseres zu tun, die sitzen im Wirtshaus.“ Tini Gasser: „Ich wollt Sie eigentlich nur fragen…“ FW: „Nehmen’S Platz, Fräulein Gasser.“ TG: „Danke… Frau Wondrak, ich habe Angst, dass was passiert.“ FW: „Ah… Wie ich so alt war wie Sie, da hab ich auch die ganze Nacht kein Auge geschlossen, wenn mein Mann im Wirtshaus war.“ TG: „Wie geht’s denn dem Herrn Redlich? Schlecht?“ FW: „Dem Redlich?“ TG: „Ja, nach seinem Unfall.“ FW: „Unfall? Der Redlich ist doch abgängig.“ TG: „Abgängig? Aber nein, Frau Wondrak, das stimmt ja nicht.“

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FW: „Aber wenn ich ihnen sag’, dass er abgängig ist, Fräulein Gasser, dann müssen Sie mir schon glauben. Seine Frau war doch heute früh hier und hat das selber erzählt, und die wird es ja wissen.“ TG: „Ja, die muss es wissen.“ FW: „Na also, es wird soviel rumgetratscht. Die Leute wollen immer alles besser wissen als die eigene Frau.“ TG: „Wo ist ihr Mann, Frau Wondrak? Wo ist der Franz, in welchem Wirtshaus?“ FW: „In der Traube, aber die haben einen Kameradschaftsabend, da passen wir nicht hin.“ TG: [steht auf] „Entschuldigen Sie, Frau Wondrak, aber ich muss sofort hin.“ FW: „Aber nein, so bleiben’S doch, Frauen gehören da nicht hin.“ (AdsbD TC 1.03.15-1.04.32)

Tini Gasser (Christiane Hörbiger) hat hier die Position der Beunruhigten, derjenigen, die sich nicht zufrieden gibt mit einfachen Erklärungen. Frau Wondrak (Lotte Lang) dagegen versucht, die Beunruhigung aufzulösen in der Weitergabe von Erfahrung einer älteren (verheirateten) Frau an die Jüngere: „Wie ich so alt war wie Sie, da hab ich auch die ganze Nacht kein Auge geschlossen, wenn mein Mann im Wirtshaus war.“ Die Beunruhigung wird dadurch auf die Sorge um den Ehemann reduziert; Tini Gasser geht es aber zumindest auch um den Zustand von David Redlich. Die diesbezügliche Beunruhigung und das Nachfragen wird von Frau Wondrak mit „Tratsch“ und Einmischen in die Angelegenheiten (in die Ehe) anderer Leute assoziiert. Frau Wondrak existiert im Fernsehspiel nur als Ehefrau, weder hat sie einen eigenen Namen, noch ist sie fähig, Gegebenheiten außerhalb des Paradigmas der Ehe oder der heterosexuellen Paarbeziehung zu interpretieren. Das Einmischen Tini Gassers bedeutet schließlich auch ein Eindringen in die männlich konnotierte (öffentliche) Sphäre des Gasthauses, etwas, das Frau Wondrak ablehnt, denn „Frauen gehören da nicht hin“. Wie Frau Wondrak werden auch die anderen beiden Ehefrauen, Frau Schantl (Franz’ Mutter) und Frau Redlich gezeichnet. Sie geben sich schnell mit einfachen Argumentationen zufrieden und sind zögerlich im Einmischen in die Angelegenheiten ihrer Ehemänner. In der Radio- und Fernsehzeitschrift Hör Zu wurde zur österreichischen Erstausstrahlung ein Interview mit dem Drehbuchautor Franz Hiesel geführt, in dem dieser auf einzelne Figuren und insbesondere Frauen eingeht: „[Hör Zu:] Haben Sie bewusst typisiert? [Franz Hiesel:] ‚Ja natürlich. Jede Figur soll im Grunde Repräsentant einer jener vielgestaltigen politisch engagierten Schichten sein. Bramburi zum Beispiel würde ich als typischen Vertreter des damaligen österreichischen Polizisten bezeichnen – den Herrschenden

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scheinbar treu ergeben, aber immer Ausschau haltend nach dem Hintertürl, das ihm den Weg zu ihren eventuellen Nachfolgern freigibt. Auch die älteren Frauen sind in ihrer Interesselosigkeit für das Geschehen um sie herum, in dessen Strudel sie schließlich auch geraten müssen, typisch. Die anhaltende wirtschaftliche Misere hatte sie nicht etwa zur Anteilnahme an Politik gebracht, im Gegenteil, ihre Maxime war: Die Männer werden’s schon richten!‘ [Hör Zu:] Wie verhält es sich mit dem Mädchen Tini? [Franz Hiesel:] ‚Sie ist als einzige politisch interessiert, eine Folge ihrer Erziehung und auch ihrer Liebe zu dem nazi-schwärmerischen Franz. Daß sie am Ende einen Straßenbahner heiratet, soll im übrigen andeuten, daß sie sich weiterhin in sozialistischen Kreisen bewegt hat. Die Kommunalbetriebe in Wien waren ja stets eine ‚Rote Hochburg‘. Die Heirat soll also ihre geistige Heimat verdeutlichen.‘“410

Hiesel gendert die verschiedenen Positionen in der Zwischenkriegszeit bzw. während des Austrofaschismus deutlich: der Opportunist, der es sich in jedem System (auch beruflich) richten kann, ist männlich (wie im Übrigen auch der Herr Karl); die politisch Desinteressierten sind weiblich (und älter); eine positive, politisch aktive Figur ist weiblich (und jünger) konnotiert, funktioniert als Figur aber nur über männlich codierte Bezugspunkte. Tini Gassers politisches Engagement argumentiert Hiesel ausschließlich über ihren Bezug zu Männern (zum Vater, zu Franz, zum späteren Ehemann). Der Verweis auf ihre „Erziehung“ bedeutet im Kontext des Films die Erziehung durch ihren Vater (Attila Hörbiger); ihre Mutter ist im Film abwesend, über ihren Verbleib erfahren die Zuschauer_innen nichts. Anders als Hiesl im Interview lässt der Film offen, woher Tini Gassers Antrieb zum Handeln stammt. Es ist zwar ein von der Sorge um andere Personen (um David Redlich, um Franz Schantl) angetriebenes Handeln, das einem traditionellen Weiblichkeitsbild der aufopfernden, fürsorglichen Frau (Mutter) zugeordnet werden könnte, führt jedoch in seiner Konsequenz darüber hinaus zu einer Einmischung in männlich konnotierte, politische Sphären. „Die Ermordung eines Juden ist ein Grund sich einzumischen, nicht wegzusehen, dahinter könnten sich noch andere Geschichten verbergen, wie zum Beispiel die geplante Ermordung Engelbert Dollfuß’“ könnte eine Sinngenerierung von An der schönen blauen Donau sein. „Das Drama trägt entscheidend dazu bei, die Effekte der brutalen Unterteilung der Welt in eine Reihe von ‚Sies‘ zurückzunehmen und zu verändern“411 410 O.A.: An der schönen blauen Donau. Dokumentarspiel um den Dollfuß-Mord. Dienstag, 20.15 Uhr, im Fernsehen I. HÖR ZU sprach mit dem Autor, in: Hör Zu 18/1966, 28f. 411 Ellis 2001 [1992]: 70.

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hob John Ellis Potentiale der fiktionalen Formate des Fernsehens gegenüber seinen dokumentarischen hervor. Für An der schönen blauen Donau kann festgehalten werden, dass hier – im Gegensatz zu allen untersuchten Dokumentationen – kein österreichisches „Wir“ hergestellt wird, dem ein „Sie“ gegenübergestellt werden könnte. Außerdem wird eindeutig eine Subjektposition des Einmischens und Nachfragens aus Gründen der Solidarität und Sorge412 präferiert. Wenn auch das Fernsehspiel an dem Punkt nicht weiter geht als die Dokumentationen, an dem es Juden und Jüdinnen im Gegensatz zu anderen Figuren keine aktive und handlungsmächtige Position zuweist und somit darauf verzichtet, eine Position jüdischen Widerstands anzudeuten, unterscheidet es sich in seinen Aussagen und Strategien doch wesentlich vom dokumentarischen österreichischen Geschichtsfernsehen seiner Zeit. So ist in An der schönen blauen Donau ein wesentliches Motiv zu handeln eine antisemitische Gewalttat (wie sich herausstellt mit tödlichen Folgen) und nicht, wie in den Dokumentationen, der (drohende) Verlust der Eigenstaatlichkeit Österreichs. Antisemitismus in Österreich vor 1938 wird thematisiert und sowohl österreichischen Nationalsozialist_innen zugeschrieben als auch einem über alle politischen Regimewechsel hinweg tätigen opportunistischen Polizeibeamten. Auch die Geschlechtercodierung der widerständigen, sich einmischenden Figur als junge Frau ist eine andere als in der Mehrzahl der Dokumentationen, die Widerstand durch mehrheitlich militärische und/oder politische Funktionen besetzende Männer repräsentieren. Nicht zuletzt wird in An der schönen blauen Donau auch ein anderes Bild des austrofaschistischen Regimes gezeichnet. Für ein Fernsehspiel, zu dem Hellmut Andics die Idee hatte, ist das vor allem deswegen auffällig, weil in anderen Sendungen Andics’ eine Definition des austrofaschistischen Regimes als Widerstand gegen den Nationalsozialismus impliziert wird.413 Ein möglicher Grund dafür, dass in fiktionalisierten Formaten wie dem hier analysierten Beispiel mehr und anderes sagbar ist als in den oben untersuchten Dokumentationen könnte darin liegen, dass die Fernsehspiele und -filme nicht dem großkoalitionären geschichtspolitischen Aushandlungsprozess unterliegen, an dem sich die – oft zu offiziellen Jubiläumsdaten produzierten – dokumentarischen Formate zu orientieren scheinen. Ein weiterer Grund für die Abweichung der Geschichtsnarrative in diesem Fall dürfte sein, dass das von einem österreichischen Regisseur414, einem österreichischen Drehbuchautor, österreichischen 412 Zu einer Konzeption von „Widerstand“ als Solidarität und Verantwortlichkeit anderen Menschen gegenüber siehe Geyer 1994. 413 Siehe Kapitel 3.2.4. 414 Der in Wien als Fritz Arzt geborene Kabarettist und Schauspieler John Olden konnte vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach England flüchten. Nach 1945

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Schauspieler_innen und einer österreichischen Produktionsfirma hergestellte Fernsehspiel im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks produziert wurde. Das legen auch Äußerungen des Drehbuchautors und damaligen Chefdramaturgs der Hörspielabteilung des NDR, Franz Hiesel, nahe.415 Laut Hör Zu kam es zudem zu einer Verzögerung des österreichischen Erstausstrahlungstermins; demnach wurde das Spiel nicht – wie in ähnlichen Fällen üblich – gleichzeitig mit der deutschen Fernsehpremiere (14.1.1965), sondern erst über ein Jahr später im ORF gesendet (3.5.1966).416 Die Differenz des Spiels zum dokumentarischen Geschichtsfernsehen eröffnet jedenfalls eine Reihe weiterer Fragen: etwa die nach Entscheidungsstrukturen in der Fernsehanstalt, die nach Zuschauer_innenreaktionen oder die nach dem historischen Rezeptionszusammenhang, in dem sich die hier analysierten Dokumentationen befinden. Im frühen österreichischen Fernsehen waren – wie in Kapitel 2 ausgeführt – dokumentarische Sendungen nur eine von vielen televisuellen Formen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und standen neben und zwischen verschiedensten (internationalen) fiktionalen oder kabarettistischen Film- und Fernsehproduktionen. Eine systematische Einbeziehung dieser Formate würde jedenfalls auch ein Ernstnehmen fiktionaler Vergangenheitsrepräsentationen durch die Geschichtswissenschaften und die Auseinandersetzung mit interdisziplinären Methoden und Theorien zu deren Analyse erfordern.

ging er nach Hamburg und war ab Mitte der 1950er Jahre in der Fernsehspielabteilung des NDR als Regisseur tätig, ab 1960 als deren Leiter. Vgl. auch Bronner 2004: 198-202. 415 Hör Zu 18/1966: 28f. Hiesel, der im Interview erwähnte, dass er gerne wieder in Wien leben würde, antwortete auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, dass der ORF ihm eine ähnliche Stelle bieten könne: „‚Schauen Sie, eine solche Stellung gab es nie und gibt es auch heute nicht. Das liegt an der ganz spezifischen Struktur dieser Anstalt …‘“ (Hör Zu 18/1966: 29). Erst 1977 wechselte Hiesel zur Hörspielabteilung des ORF. 416 Hör Zu 18/1966: 28. Franz Hiesel nennt im Interview in der Hör Zu noch ein weiteres Beispiel für eine vom österreichischen Rundfunk nicht gesendete (Hörfunk-)Sendung. (Hör Zu 18/1966: 29.)

Schluss

„Gebt uns Geschichtsunterricht!“1 lautete 1965 eine deutliche Forderung in der Publikumszeitschrift Hör Zu. Der Wunsch nach und die Vorstellung von Geschichtsfernsehen waren in Österreich nach 1955 stark mit Diskursen der (Re-)Demokratisierung und der Bildung verknüpft. Abgesehen von den erhofften Inhalten eines (dokumentarischen) Geschichtsfernsehens artikulierten sich darin auch Vorstellungen eines qua Aufnahme- und Sendetechnik für demokratische Kommunikation prädisponierten Mediums ebenso wie erwünschte Rezeptionshaltungen und -anordnungen. Das dominante Verständnis des neuen Mediums war jedoch allen Absichten (und aller demokratischen Rhetorik) zum Trotz paternalistisch; das Fernsehen sollte das Publikum bilden und zu guten (demokratischen und patriotischen) Staatsbürger_innen erziehen. Der Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs war dabei wesentlich für die Selbstund Außenwahrnehmungen des neuen Mediums. Fernsehen wurde – als dispositive Anordnung – als per se nicht für (nationalsozialistische) Propaganda geeignet beschrieben; seine Möglichkeiten der Live-Übertragung wurden mit dem Versprechen eines freien, authentischen Sprechens verknüpft. Die nationalsozialistische Vergangenheit unter dem Vorzeichen der Konstruktion und Stärkung österreichischer Identität zu thematisieren stellte dementsprechend kein Tabu dar, sondern wurde als eine zentrale Aufgabe des österreichischen Fernsehens formuliert. Diese Aufgabe wurde unterschiedlich gelöst. Während im dokumentarischen (und oftmals zu Jubiläen oder Gedenkdaten produzierten) Geschichtsfernsehen entlastende Strategien dominierten, waren – vor allem in kabarettistischen und fiktionalen Formaten – durchaus kritische Bearbeitungen der historischen Narrative und der österreichischen Vergangenheitspolitik möglich. Die exkulpatorischen Strategien arbeiteten auf vielen Ebenen des audiovisuellen Materials; eine

1

Hör Zu 17/1965: 4.

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prägnante visuelle Viktimisierungsstrategie setzt visuelle Dokumente aus einem Kontext antisemitischer Verfolgung und Ermordung ein – bei gleichzeitiger Dethematisierung der nationalsozialistischen antisemitischen Vernichtungspolitik und/oder deren Subsumierung unter ein österreichisches Opferkollektiv. In ihren geschichtspolitischen Aussagen, aber auch in ihrem formalästhetischen Vorgehen unterscheidet sich die aus der – im Untersuchungszeitraum – einzigen Kooperation des ORF mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes entstandene Sendung Der österreichische Widerstand von den anderen hier untersuchten dokumentarischen Geschichtssendungen. Zu einem frühen Zeitpunkt (1964) setzte die Sendung die Aussagen befragter Personen aus dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und aus dessen Umfeld zentral, während andere Sendungen sich hauptsächlich der Repräsentationsmittel des klassischen Kompilationsfilms bedienten (Voice-Over über kompiliertes Material – Archivfilm und Fotografie). Diese Sendung wie auch das abschließend analysierte Fernsehspiel An der schönen blauen Donau (1965) geben Hinweise auf den Rahmen des Sagbaren im österreichischen Fernsehen. Die beiden Sendungen unterscheiden sich in ihren geschichtspolitischen Funktionen von anderen untersuchten dokumentarischen Sendungen. Sie werden nicht auf zentralen Sendeplätzen ausgestrahlt, sind aber dennoch Teil des Programms und des historischen Rezeptionszusammenhangs. Die Wirkungsweise von Geschlechtercodierungen und Geschlechterbildern wird in dieser Arbeit auf mehreren Ebenen deutlich. Geschlechtercodierungen spielten im Prozess des Formulierens erwünschter Funktionen und Gebrauchsweisen des Fernsehens eine entscheidende Rolle. Die Etablierung eines fixen Programmschemas wurde mit der Aufrechterhaltung und Reproduktion von Geschlechteridentitäten verknüpft. Teilaspekte des Fernsehens wie die „Versorgung“ der Zuschauer_innen oder das Kinderfernsehen und tendenziell auch ein manipulierbares und verführbares Zuschauer_innen-Subjekt wurden weiblich konnotiert. Eine ähnliche Figur findet sich in Geschichtsdarstellungen zum Nationalsozialismus – im Bild der weiblich konnotierten, vom Nationalsozialismus verführten Bevölkerung. Die Kategorie Geschlecht und die zugehörigen Metaphern, Bilder und Zuschreibungen stellen ein Bedeutungssystem zur Verfügung, dessen sich die medialen und geschichtspolitischen Repräsentationen bedienen, um damit bestimmte Bedeutungen zu produzieren, zu verstärken oder nahezulegen. Diese Arbeit ist neben einer Darstellung und Analyse von televisuellen Geschichtspolitiken und Repräsentationen des Nationalsozialismus auch ein Plädoyer für eine Mediengeschichtsschreibung, die, wie in der Einleitung dargelegt, sich nicht eindimensional auf eine reine Programmgeschichte, Sendungsanalyse

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oder Institutionengeschichte beschränkt, sondern die die verschiedenen Elemente des Dispositivs in ihrem Zusammenspiel denkt. Wie ich gezeigt habe, werden Geschichtspolitiken in den Konzeptualisierungen des neuen Mediums Fernsehen als (re-)demokratisierend ebenso wirksam wie in der Entwicklung spezifischer Formate, in der Adressierung und Imagination der Zuschauer_innen, in der Programmauswahl und Bespielung bestimmter Gedenkdaten und auf der Ebene der audiovisuellen Produktionen selbst. Eine „die vielen Geschichten des Fernsehens“2 berücksichtigende Analyse muss notwendigerweise interdisziplinär verfahren. Eine historische Arbeit zu Fernsehen, die sich gegenüber medientheoretischen Ansätzen und Ansätzen aus den Visual und Cultural Studies verschließt, verfehlt einen Großteil ihres Gegenstands. Wie bereits ausgeführt ist für kommende Forschungsmöglichkeiten der Zugang zum audiovisuellen Material unabdinglich. Einer Fernsehforschung, die nicht über die Möglichkeit zur wiederholten Sichtung und detailgenauen Analyse des gesendeten Materials verfügt, fehlt der zentrale Analysegegenstand für geschichtspolitische Strategien, Bildgedächtnis und historische Narrative. Keine ernstzunehmende historische Forschung zu einem anderen Gegenstand würde sich lediglich mit Angaben zu Datierung, Aufbewahrungsort und Titel der Quellen begnügen, ohne einen Zugang zum Text der Quellen selbst zu haben. Nach wie vor bestehen Forschungslücken – vor allem aufgrund des mangelnden Zugangs zu Quellen – aus denen sich weitere Forschungsfragen auch für zukünftige Forschungen zu (Geschichts-)Fernsehen nach 1970 ergeben, vor allem betreffend die Entscheidungsstrukturen in der Fernsehanstalt in Bezug auf Geschichtssendungen. Zur Beantwortung solcher Fragen – zum Beispiel: Wer entschied wie über Kooperationen, Autor_innen, Beteiligte und importierte Sendungen? Oder: Wie wurden Themen und Programmschwerpunkte festgelegt? – müsste ein Zugang zu Schriftverkehr und Protokollen der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt gegeben sein. Offen sind auch viele Fragen nach Abläufen bei der Sendungsproduktion: Wie ging die Materialauswahl und -beschaffung vor sich? Welches Material stand zur Verfügung? Welche Entscheidungsabläufe führten zu VoiceOver-Text und Auswahl der Zeitzeug_innen? Solche Fragen sind vor allem hinsichtlich der Erforschung der Herkunfts- und Gebrauchsgeschichten eines österreichischen Bildrepertoires relevant; sie könnten zum Beispiel anhand von Sendungsmanuskripten, Korrespondenzen und archiviertem Ausgangsmaterial im ORF-Fernseharchiv (insbesondere Film) untersucht werden. Neben diesen produktionsseitigen Forschungsfragen eröffnen sich auch Fragen nach den historischen Rezeptionen der Sendungen. Hier könnte bei einer entsprechenden Öff2

So der Titel eines programmatischen Textes von Judith Keilbach zur Historiographie des Fernsehens: Keilbach 2005a.

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nung des Fernseh-Archivs zum Beispiel nach eventuell vorhandenen Aufzeichnungen der Fernsehanstalt über (postalische und telefonische) Zuschauer_innenReaktionen gesucht werden oder darüber hinausgehend möglichen Rezeptionen anhand lebensgeschichtlicher Interviews, Ego-Dokumenten und anderer auto/biographischer Quellen nachgegangen werden. Historische Rezeptionsforschung ist ein aufwändiges Unterfangen und stellt nicht zuletzt eine methodologische Herausforderung dar. Die Frage nach der Rezeption ist jedoch insbesondere in Bezug auf Geschichtspolitiken bedeutsam: So stellt sich nicht zuletzt die Frage danach, wie Zuschauer_innen mit dominanten und marginalisierten historischen Narrativen umgingen und wie sie die vielstimmigen und sich teilweise widersprechenden geschichtspolitischen Aussagen rezipierten. Im Kontext österreichischer Vergangenheitspolitiken, insbesondere einen Zeitraum betreffend, der fünzehn bis dreißig Jahre vor der sogenannten Waldheim-Affäre (und etwas kürzer vor der Ausstrahlung der US-amerikanischen Miniserie Holocaust) liegt, sind vor allem drei Punkte bemerkenswert: Erstens lassen sich im Fernsehprogramm mehrere internationale Produktionen feststellen, die in österreichische Vergangenheitsnarrative intervenierendes Potential hatten. Zweitens beschäftigten sich kabarettistische Sendungen regelmäßig mit dem Umgang mit ehemaligen Nationalsozialist_innen in der österreichischen (Partei-)Politik, mit neonazistischen Tendenzen und mit Antisemitismen. Und drittens wurden in zwei analysierten Sendungen (Der österreichische Widerstand und An der schönen blauen Donau) antisemitische Einstellungen und Gewalttaten von Österreicher_innen thematisiert. In Der österreichische Widerstand wird außerdem auf dessen öffentliche Sichtbarkeit hingewiesen. Diese exemplarischen, gegen eine österreichische Opferthese gerichteten Stimmen repräsentierten in den 1950er und 1960er Jahren sicherlich keine dominante Geschichtsauffassung. Sie deuten jedoch darauf hin, dass der Rahmen des geschichtspolitisch Sagbaren im Fernsehen nicht allzu eng war – was wiederum die Frage aufwirft, welche Marginalisierungsmechanismen diese geschichtspolitischen Narrative langfristig daran hinderten, Wirkungsmächtigkeit zu erlangen.

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310 | G ESCHICHTSPOLITIKEN UND FERNSEHEN

Sabo (Hg.): Update! Perspektiven der Zeitgeschichte. Zeitgeschichtetage 2010, Innsbruck/Wien/Bozen 2012, 340-348. Winter, Renée: Mit-Sprechen. Über ein Interview zu nationalsozialistischen Verbrechen an Jüdinnen und Juden im ORF der 1960er Jahre, in: Julia Kläring, Katharina Lampert (Hg.): Geschichte/n verwahren (= Publikation zur Ausstellung „Geschichte/n verwahren“ in der Galerie der IG Bildende Kunst, Wien, 4.6-24.7.2009), Wien 2009, 54-62. Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt 1999. Yıldız, Yasemin: Immer noch keine Adresse in Deutschland? Adressierung als politische Strategie, in: Gabriele Dietze, Claudia Brunner, Edith Wenzel (Hg.): Kritik des Okzidentalismus. Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo)Orientalismus und Geschlecht, Bielefeld 2009, 83-99. Young, James Edward: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation, Frankfurt am Main 1997 (orig. 1988; übersetzt von Christa Schuenke). Yuval-Davis, Nira: Gender & Nation, London/Thousand Oaks/New Delhi 1997. Zelizer, Barbie (Hg.): Visual Culture and the Holocaust, London 2001. Zielinski, Siegfried: Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte, Reinbek bei Hamburg 1989. Zimmermann, Maria: Die Affäre Borodajkewycz. Höhe- und Wendepunkt eines antisemitischen und antidemokratischen Hochschulskandals im Jahr 1965 – inhaltsanalytisch untersucht am Beispiel von sechs österreichischen Tageszeitungen, Wien 2001 (ungedr. phil. Dipl.). Zöchmeister, Markus: Nazismus, Karneval und Perversion. Mediale Reproduktionen der NS-Welt, in: Margrit Frölich, Christian Schneider, Karsten Visarius (Hg.): Das Böse im Blick. Die Gegenwart des Nationalsozialismus im Film, München 2007, 30-42. Zryd, Michael: Found Footage-Film als diskursive Metageschichte. Craig Baldwins Tribulation 99, in: montage a/v 11.Jg., Nr. 1/2002, 113-134.

Q UELLEN Zeitschriften und Periodika Der Ausweg. Jüdische Zeitschrift für Aufklärung und Abwehr (Bund jüdischer Verfolgter des Naziregimes) (1963-1966) Blick (Jahrgänge 1961-1962)

310 | G ESCHICHTSPOLITIKEN UND FERNSEHEN

Sabo (Hg.): Update! Perspektiven der Zeitgeschichte. Zeitgeschichtetage 2010, Innsbruck/Wien/Bozen 2012, 340-348. Winter, Renée: Mit-Sprechen. Über ein Interview zu nationalsozialistischen Verbrechen an Jüdinnen und Juden im ORF der 1960er Jahre, in: Julia Kläring, Katharina Lampert (Hg.): Geschichte/n verwahren (= Publikation zur Ausstellung „Geschichte/n verwahren“ in der Galerie der IG Bildende Kunst, Wien, 4.6-24.7.2009), Wien 2009, 54-62. Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt 1999. Yıldız, Yasemin: Immer noch keine Adresse in Deutschland? Adressierung als politische Strategie, in: Gabriele Dietze, Claudia Brunner, Edith Wenzel (Hg.): Kritik des Okzidentalismus. Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo)Orientalismus und Geschlecht, Bielefeld 2009, 83-99. Young, James Edward: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation, Frankfurt am Main 1997 (orig. 1988; übersetzt von Christa Schuenke). Yuval-Davis, Nira: Gender & Nation, London/Thousand Oaks/New Delhi 1997. Zelizer, Barbie (Hg.): Visual Culture and the Holocaust, London 2001. Zielinski, Siegfried: Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte, Reinbek bei Hamburg 1989. Zimmermann, Maria: Die Affäre Borodajkewycz. Höhe- und Wendepunkt eines antisemitischen und antidemokratischen Hochschulskandals im Jahr 1965 – inhaltsanalytisch untersucht am Beispiel von sechs österreichischen Tageszeitungen, Wien 2001 (ungedr. phil. Dipl.). Zöchmeister, Markus: Nazismus, Karneval und Perversion. Mediale Reproduktionen der NS-Welt, in: Margrit Frölich, Christian Schneider, Karsten Visarius (Hg.): Das Böse im Blick. Die Gegenwart des Nationalsozialismus im Film, München 2007, 30-42. Zryd, Michael: Found Footage-Film als diskursive Metageschichte. Craig Baldwins Tribulation 99, in: montage a/v 11.Jg., Nr. 1/2002, 113-134.

Q UELLEN Zeitschriften und Periodika Der Ausweg. Jüdische Zeitschrift für Aufklärung und Abwehr (Bund jüdischer Verfolgter des Naziregimes) (1963-1966) Blick (Jahrgänge 1961-1962)

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Kann sein. Frauen im Widerstand Österreich 1938-1945, Wien 1985, 168179. Lehr, Antonie: Die Rettung, in: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N.Trallori (Hg.): Ich gebe Dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen, Wien 1987, 199-200. Lein, Hermann: Als „Innitzergardist“ in Dachau und Mauthausen. Ein Rückblick zum 50 Jahrestag, Wien 1988. Menningen, Walter: Fernsehen – Unterhaltungsindustrie oder Bildungsinstitut, Stuttgart 1971. Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage, Leipzig 1905ff. Moser, Jonny: Die Judenverfolgung in Österreich 1938-1945, Wien/Frankfurt/Zürich 1966 (= Monographien zur Zeitgeschichte. Schriftenreihe des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes). Office of United States Chief of Counsel for Prosecution of Axis Criminality: Nazi Conspiracy and Aggression, Washington/DC 1946-1948. 8 Bände und 2 Ergänzungsbände. Online auf der Homepage der Library of Congress (Washington DC): http://www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/NT_Naziconspiracy.html, letzte Überprüfung der URL: 15.6.2013. Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück, Emma Mayerhofer (für den Inhalt verantwortlich) (Hg.): Was geht das mich an, Wien 1963. Österreichischer Rundfunk (Hg.): ORF-Almanach 1969, Wien 1969. Österreichischer Rundfunk (Hg.): ORF-Almanach 1971, Wien 1971. Österreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.): Statistisches Handbuch für die Republik Österreich, Wien 1970. Pöppl, Josef: Fernsehen und Volksbildung. Ein Handbuch für den Volksbildner, Wien 1962. Reicher, Isabella: Eine schöne Sendelandschaft, in: Der Standard, 20.10.2005. Rosenkranz, Herbert: „Reichskristallnacht“. 9. November 1938 in Österreich, Wien/Frankfurt/Zürich 1968. (= Monographien zur Zeitgeschichte. Schriftenreihe des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes). Rosensaft, Hadassah: Yesterday. My Story, New York/Jerusalem 2005 (2. Aufl.). Schoenberner, Gerhard: Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945, Hamburg 1960. Spiegel, Tilly: Frauen und Mädchen im österreichischen Widerstand, Wien/Frankfurt/Zürich 1967 (= Monographien zur Zeitgeschichte. Schriftenreihe des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes).

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Steinmetz, Selma: Österreichs Zigeuner im NS-Staat, Wien/Frankfurt/Zürich 1966 (= Monographien zur Zeitgeschichte. Schriftenreihe des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes). Stenographische Protokolle des Nationalrats, 12. Gesetzgebungsperiode, 2. Sitzung, 27.4.1970, 25. Wiesenthal, Simon: Doch die Mörder leben, München/Zürich 1967. Yad Vashem: Der Holocaust, Jerusalem 1979. Zens, Klemens: Untersuchungen zum Problem der Schulleistungen in der Hauptschule, Wien 1952 (ungedr. phil Diss). Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ (Stanisław Wrzos-Glinka, Tadeusz Mazur, Jerzy Tomaszewski): 1939-1945. We have not forgotten – Ɇɵ ɧɟ ɡɚɛɵɥɢ – Nous n'avons pas oublié, Warszawa 1959. Archive Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien: Institutskorrespondenzen (bis inklusive 1970) British Film Institute National Archive, London. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Wien: DÖW 50120 Hd2, DÖW 50210 Hd3, DÖW 50104/29, DÖW 50104/217, DÖW 05968 ORF-Fernseharchiv, ORF-Zentrum Wien. ORF-Fernseharchiv, Recherche-Station. Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. (= mARCo – Medien Archiv Online) The Paley Center for Media, New York. Audiovisuelle Quellen (und Kürzel) ORF-Fernseharchiv (in chronologischer Reihenfolge) „Was sagt uns der 13. März?“ [Wsud13M], Sendebeitrag, Straßenbefragung anlässlich einer Jugenddiskussion unter der Leitung von Doktor Helmut Zilk, Erstausstrahlung: 12.3.1961, 6 Min. Zeitgeschichte aus der Nähe Folge 1: 1914-1938 [ZgadN], Erstausstrahlung: 25.10.1961, 50 Min. (gesichtet im ORF-Online-Fernseharchiv mARCo) Zeitgeschichte aus der Nähe Folge 2: 1938-1945 [ZgadN], Erstausstrahlung: 14.3.1962, 51 Min. Der österreichische Widerstand 1938-1945, [DöW], Buch: Dr. Hermann Lein und Herbert Steiner; Regie: Dr. Otto Kamm, Erstausstrahlung: 11.3.1964, 30 Min.

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Zeitventil, Folge 1, Erstausstrahlung 30.11.1963, (gesichtet im ORF-OnlineFernseharchiv mARCo). [Material zu] Zeitventil Folge 8, Erstausstrahlung 18.3.1965. 12 Min, kein Ton. Festsitzung und Parade zum 20. Jahrestag der 2. Republik [FuP], Ausschnitte aus den Feierlichkeiten, Erstausstrahlung 27.4.1965, 32 Min. Die Republik der Überzeugten, [RdÜ] Buch: Hellmut Andics, Regie: Walter Davy, Erstausstrahlung 27.4.1965, 49 Min. Der 25. Juli 1934. Eine Dokumentation über die Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Dr. Engelbert Dollfuß, Buch: Hellmut Andics, Regie: Walter Davy, Erstausstrahlung: 8.7.1965, 55 Min. [Material zu] Erinnern Sie sich noch? Eine Rückblendung zur Gedächtnisauffrischung, Folge 1, Ernst Hagen, Gerhard Bronner, Regie: Otto Anton Eder, Erstausstrahlung: 24.9.1965, 14 Min. An der schönen blauen Donau [AdsbD], Fernsehspiel NDR 1965, Buch: Franz Hiesel, Regie: John Olden, Erstausstrahlung ORF: 3.5.1966, 90 Min. [Material zu] Erinnern Sie sich noch? Eine Rückblendung zur Gedächtnisauffrischung, Folge 10, Ernst Hagen, Gerhard Bronner, Regie: Otto Anton Eder, Erstausstrahlung: 21.12.1966, 25 Min. Die Iden des März [IdM], Buch: Hellmut Andics, Erstausstrahlung: 12.3.1968, 59 Min. [Material zu] Erinnern Sie sich noch? Eine Rückblendung zur Gedächtnisauffrischung, Folge 12 (letzte Folge), Ernst Hagen, Gerhard Bronner, Regie: Otto Anton Eder, Erstausstrahlung: 1.8.1968, 38 Min. 50 Jahre Republik [50JuR], Buch: Hellmut Andics, Erstausstrahlung: 12.11.1968, 90 Min. Staatsgespräche. Was ist Österreich heute? [WiÖh], Diskussion unter der Leitung von Helmut Zilk mit Gertrud Fussenegger, Gerhard Bruckmann, Hans Buchner, Peter Kowalski, René Marcic, Gerhard Ortner, Otto Schulmeister, Ernst Topitsch, Friedrich Torberg, Karl von Winkler und Ernst Vikacs; Erstausstrahlung 26.10.1969, 90 Min. Das österreichische Jahrhundert: 1. Folge: 1848 [DöJ], Buch: Hellmut Andics, Erstausstrahlung 26.10.1969, 59 Min. Vorbilder – Kämpfer – Österreicher. Sportidole 1969 [VKÖ], Erstausstrahlung 26.10.1969, 81 Min. Genützte und versäumte Gelegenheiten. 25 Jahre Zweite Republik [GuvG], Diskussion unter der Leitung von Helmut Zilk mit Rudolf Kalmar, Franz Kreuzer, Hugo Portisch, Viktor Reimann, Otto Schulmeister und Kurt Vorhofer, Erstausstrahlung: 26.4.1970, 63 Min.

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Regierungserklärung Bruno Kreiskys im Parlament, (Direktübertragung), Erstausstrahlung: 27.4.1970, 122 Min. 27. April. Wiedergeburt einer Republik [27A], Filmdokumentation von Jörg Mauthe und Werner Stanzl, Erstausstrahlung: 27.4.1970, 55 Min. So sehen sie uns mit Acht. Unsere Kinder und ihr Land, Elisabeth Guggenberger, Helmut Voitl, Erstausstrahlung: 26.10.1970, 45 Min. British Film Institute National Archive The Warsaw Ghetto (Hugh Burnett, BBC 1965). Sonstiges audiovisuelles Material Alt aber gut (Simpl), Erstausstrahlung: 13.5.1966. Aufgenommen am 18.8.2012 ORF III. Prophet im eigenen Land, Erstausstrahlung: 8.7.1978. (Aufgenommen am 13.10.2012 ORF III) Aufschub (Harun Farocki, D, ROK 2007) Der Fall Jägerstätter (Axel Corti ORF/ZDF 1971) Der Herr Karl (Buch: Carl Merz, Helmut Qualtinger, Regie: Erich Neuberg, ORF 1961) Der Himbeerpflücker (Buch: Fritz Hochwälder, Regie: Erich Neuberg, ORF 1965) Die große Glocke, Folge 6, Erstausstrahlung: 28.10.1969. (Aufgenommen am 6.10.2012 ORF III) G’scheites und Blödes. Karl Farkas & Ernst Waldbrunn: Conferencen und Doppelconferencen. 2 VHS-Kassetten, Vol.1: 1958-1965, Vol.2: 1965-1971 (ORF 1990) Menschen und Mächte: Der Zweite Weltkrieg, Folge 1: Heil Hitler, Herr Lehrer (Peter Liska, ORF 2010) Nazi Concentration Camps (R: George Stevens, USA 1945) The Nazi Plan (R: Ray Kellog u.a. B: Budd Schulberg, Stuart Schulberg, USA 1945) Nuit et brouillard (dt.: Nacht und Nebel, R: Alain Resnais, B: Jean Cayrol, Frankreich 1955) Österreich II, Folge 16: Heim aus dem Reich (Hugo Portisch/Sepp Riff, ORF 1984) Triumph des Willens (Leni Riefenstahl, D 1935) Der Untergang Österreichs (Andreas Novak, ORF 2008) Zeitventil Folge 9, Erstausstrahlung: 19.5.1965. (Aufgenommen am 21.4.2012 ORF III)

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Zeitventil Folge 13, Erstausstrahlung: 17.6.1966. (Aufgenommen am 28.4.2012 ORF III) Zeitventil Folge 14, Erstausstrahlung: 19.10.1966. (Aufgenommen am 20.4.2013 ORF III) Zeitventil Folge 17, Erstausstrahlung: 18.6.1967. (Aufgenommen am 19.5.2012 ORF III) Zeitventil Folge 19, Erstausstrahlung: 2.10.1967. (Aufgenommen am 15.7.2012 ORF III) Internet (letzte Überprüfung der URLs: 15.6.2013) http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/fried_irmbert.htm Bio-Bibliografie von Irmbert Fried auf der Website des Archivs für die Geschichte der Soziologie in Österreich. http://anno.onb.ac.at Online Archiv ausgewählter historischer österreichischer Zeitschriften und Zeitungen der Österreichischen Nationalbibliothek. http://www.arbeiter-zeitung.at Online-Archiv aller Ausgaben der Arbeiter-Zeitung 5.8.1945 bis 31.3.1989. http://bavaria-wien.at/bvw/programm_WS0607.htm Programm des Winter-Semesters 2006/2007 der K.Ö.St.V. Bavaria http://bdi.memorialdelashoah.org Katalog des Centre de Documentation Juive Contemporaine, Mémorial de la Shoah (Paris). Fotoarchiv teilweise digitalisiert. http://bibliothek.univie.ac.at/fbzeitgeschichte/ORF%20Benutzungshinweise%20201107.pdf ORF-Dokumentation & Archive: Benutzungshinweise Recherche-Station Institut für Zeitgeschichte, Juli 2011 http://www.bildarchivaustria.at/ Digitales Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. http://www.bild.bundesarchiv.de Digitales Bildarchiv des Bundesarchivs. http://bpkgate.picturemaxx.com Online-Bilddatenbank der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. http://www.cine-holocaust.de/ Cinematographie des Holocaust. Dokumentation und Nachweis von filmischen Zeugnissen. (Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main) http://collections.yadvashem.org/photosarchive/ Online-Bilddatenbank des Yad Vashem Photo Archives

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http://digitalassets.ushmm.org/photoarchives/ Online-Bilddatenbank des US Holocaust Memorial Museums. http://www.doew.at/frames.php?/service/ausstellung/1938/1938.html Online-Version der Ausstellung „1938. NS-Herrschaft in Österreich“ (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, 1998) http://www.idmedienpraxis.de/node/69 Rezension des Workshops „Bilder des Grauens“ im Rahmen der Berlinale 2005 (Berlin, 15.2.2005) von Richard Herding. http://www1.jur.uva.nl/junsv/brd/files/brd653.htm Eintrag zum NS-Prozess von Friedrich Hildebrand. Online-Datenbank deutscher Strafverfahren wegen NS-Tötungsverbrechen des Instituts für Strafrecht der Universität Amsterdam. http://www.linz.at/strassennamen/default.asp?action=strassendetail&ID=1914 „Haiderstraße“. Eintrag zur Haiderstraße im Katalog der Straßennamen der Stadt Linz. http://www.nachkriegsjustiz.at/prozesse/geschworeneng/35prozesse56_04.php Auflistung der österreichischen NS-Prozesse seit 1956. Website der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz. http://www.okb.at/index.php?aktid=19 Eintrag: „40 Jahre Landesehrenmal Maria Taferl. Jubiläumsveranstaltung des ÖKB mit Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll am Sonntag, 24.August 2003“ auf der Website des Österreichischen Kameradschaftsbundes. http://ooe.kpoe.at/news/article.php?story=20060405102750978 „Nach KommunistInnen benannte Straßen in Oberösterreich“, 8.5.2005, Website der Kommunistischen Partei Österreich, Landesvorstand Oberösterreich. http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_01297/index.shtml Biographie von Gerulf Murer auf der Website des Österreichischen Parlaments. http://www.pas.at/journal/archiv/PAS%20Nr%201%20-%202007f.pdf PaS. Power aus Strebersdorf. Zeitschrift des Absolventenvereins an der Pädagogischen Akademie der Erziözese Wien, Teil der zukünftigen Kirchlichen Pädagogischen Hochschule in Wien Nr. 1/2007. http://resources.ushmm.org/film/ Steven Spielberg Film and Video Archive des US Holocaust Memorial Museum. http://www.textlog.de/tucholsky-roehm.html Ignaz Wrobel (= Kurt Tucholsky): Röhm, in: Die Weltbühne, 26.04.1932,

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Nr. 17, S. 641. Wiedergegeben auf textlog.de, Sammlung historischer Texte und Wörterbücher. E-Mails/schriftliche Auskünfte E-Mail von Dieter Binder, Institut für Geschichte der Universität Graz, an die Verfasserin, 22.4.2012. E-Mail von Heimo Hofgartner, Chefkurator der Multimedialen Sammlungen des Universalmuseums Joanneum in Graz, an die Verfasserin, 18.4.2012 E-Mail von Albert Knoll, Archiv der Gedenkstätte Dachau, an die Verfasserin, 18.1.2012. E-Mail von Stefan Kontra, Deutsches Historisches Museum, an die Verfasserin, 19.11.2007. E-Mails von Michaela Pfundner, Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek an die Verfasserin, 27.1.2012, 6.2.2012. E-Mails von Doris Warlitsch, Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, an die Verfasserin, 27.10.2011, 22.2.2012. E-Mail von Regina Wonisch, AZ-Fotoarchiv, an die Verfasserin, 31.1.2012.

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS Ich habe mich bemüht, für sämtliche hier ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken zitierten Bilder ordnungsgemäße Quellenangaben zu nennen. Sollte eine Urheberrechtsverletzung bekannt werden, ersuche ich um Meldung bei mir. Abb. 1: Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Online-Ausgabe der Ausstellung „1938. NS-Herrschaft in Österreich“ http://www.doew.at/service/ausstellung/1938/22/22_11.html. DÖWFotoarchiv Nr: 2544. Abb. 2: Quelle: Hirsch 2002: 205. Abb. 3: Standbild aus Zeitgeschichte aus der Nähe. Teil 2: 1938-1945. (ORF 1962) Quelle: ORF-Fernseharchiv. Abb. 4: Quelle: Związek Bojowników o WolnoĞü i DemokracjĊ 1959: 78f. Abb. 5: Quelle: Schoenberner 1960: 17. Abb. 6: Quelle: Weinzierl 1975: 178. Foto: Albert Hilscher. Abb. 7: Standbild aus Der österreichische Widerstand. (ORF 1964) Quelle: ORF-Fernseharchiv. Abb. 8-13: Standbilder aus Zeitgeschichte aus der Nähe. Teil 2: 1938-1945. (ORF 1962) Quelle: ORF-Fernseharchiv. Abb. 14-28: Standbilder aus Zeitgeschichte aus der Nähe. Teil 2: 1938-1945. (ORF 1962) Quelle: ORF-Fernseharchiv. Abb. 29 : Quelle: Weinzierl 1975: 164. Abb. 30-34: Quelle: Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück 1963: Titelbild und S. 5, 7, 26. Fotos: Oskar Horowitz. Abb. 35-36: Standbilder aus Die Iden des März. (ORF 1968), Quelle: ORFFernseharchiv.

Histoire Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.) Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 (3., überarbeitete und erweiterte Auflage) August 2014, 398 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2366-6

Alexa Geisthövel, Bodo Mrozek (Hg.) Popgeschichte Band 1: Konzepte und Methoden April 2014, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2528-8

Katharina Gerund, Heike Paul (Hg.) Die amerikanische Reeducation-Politik nach 1945 Interdisziplinäre Perspektiven auf »America’s Germany« Juli 2014, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2632-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Histoire Bernd Hüppauf Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs September 2013, 568 Seiten, kart., 29,90 €, ISBN 978-3-8376-2180-8

Felix Krämer Moral Leaders Medien, Gender und Glaube in den USA der 1970er und 1980er Jahre September 2014, ca. 430 Seiten, kart., ca. 35,99 €, ISBN 978-3-8376-2645-2

Bodo Mrozek, Alexa Geisthövel, Jürgen Danyel (Hg.) Popgeschichte Band 2: Zeithistorische Fallstudien 1958-1988 April 2014, ca. 350 Seiten, kart., zahl. Abb. , ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2529-5

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