Geschichte der alten Kirche: Teil 2 Ecclesia catholica 9783111447155, 9783111080086


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German Pages 347 [348] Year 1953

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Table of contents :
Inhalt
1. Das römische Weltreich im zweiten und dritten Jahrhundert
2. Die Kirche
3. Das Neue Testament
4. Glaubensregel und Theologie
5. Der Kultus
6. Das Christentum und die Welt
7. Die Apologeten
8. Kleinasien und der Montanismus
9. Gallien
10. Afrika
11. Rom
12. Syrien und sein Hinterland
13. Ägypten
Literatur
Register
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Geschichte der alten Kirche: Teil 2 Ecclesia catholica
 9783111447155, 9783111080086

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GESCHICHTE DER ALTEN KIRCHE von

Hans

Lietzmann

2

Ecclesia

catholica

Zweite Auflage

VERLAG WALTER DE GRUYTER 1953

CO., BERLIN

Alle Rechte, einschl. des Rechtes der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten

Archiv-Nr. 3 2 0 3 53 D r u c k : VEB Deutsche Wertpapier-Druckerei, Leipzig, 11r/18/185 Druckgenehmigungsnummer: 7 2 2 / 3 6 / 5 0 Printed in Germany

Meiner Frau

Inhalt Seite

1.

Das römische Weltreich im zweiten und dritten Jahrhundert Grenzpolitik im ersten Jahrhundert 1. Trajans Feldzüge 2. Hadrian 3. Mark Aurel 4. Kriege mit dem Sassanidenreich 6. Der wirtschaftliche Niedergang 7. Das Soldatenregiment 9. Literatur unter Trajan 11. Die zweite Sophistik 13. Aristides 14. Lukian 15. Mark Aurel 16. Religiosität bei Aristides und Plutarch 17. Philostrat 17. Heroen- und Gespensterglaube 18. Orientalische Religionen in Rom 20. Syrische Götter 22. Pantheos 23. Ostia 24. Timgad 26. Dougga 27. Rheinische Kulte 29. Mysterienkulte 30. Das Judentum 33.

1

2.

Die Kirche 37 Weltgeschichte bei den Griechen 37 und Juden 39. Christliche Apokalyptik 40. Die Ekklesia als Ziel der Weltgeschichte 40. Die Kirche als überirdisches Wesen 42. Die „Propheten" 44. Neue Offenbarungen 46. Die Ämter der Episkopen und Diakonen 47. Der Bischof 48. Bischof und Presbyter 50. Bischofslisten: Rom 51. Antiochia und Jerusalem 53. Alexandria 54. Bischöfliche Mutter- und Tochterstädte 55. Synoden 58.

3.

Das Neue Testament Spruchtradition der Herrenworte 60. Synoptische Evangelien 61. Agrapha 62. Apokryphe Sprüche und Evangelien 64. Kindheitsevangelien 65. Marienlegenden 66. Pilatusakten 67. Veronika 67. Abgar 68. Die Apostelgeschichte 68. Apokryphe Apostelgeschichten 70. Petrusakten 71. Paulusakten 73. Johannesakten 75. Andreasakten 77. Thomasakten 77. Asketische Stimmung 79. Das Christusbild 80. Gnosis in der Kirche 80. Christliche Apokalyptik 81. Die Offenbarung des Johannes 82. Der Hirte des Hermas 84. Die Petrusakopalvpse 85. Die Epistula Apostolorum 86. Die Briefliteratur: Paulus 87. Sammlung der Paulusbriefe 88. Katholische Briefe 89. Die apostolische Autorität 90. Der Kanon der apostolischen

60

Inhalt

VI

Seite

Evangelien 91. Ausscheidung der apokryphen Evangelien 92. Das Diatessaron Tatians 93. Pauluskanon des Marcion 94. Der Kanon der katholischen Briefe 95. Apostelgeschichte 96. Kanon der Apokalypsen 97.

4.

Glaubensregel und Theologie

100

Bekenntnis und Akklamation 100. Das älteste Christusbekenntnis 101. Grundformen und Erweiterungen 102. Zweigliedriges Bekenntnis 104. Dreigliedriges Bekenntnis 105. Bekenntnis in Rom 106 und im Orient 107. Ausbau des zweiten Artikels 108. Der dritte Artikel 109. Bekenntnisformel und Lehre 110. G o t t der Vater 111. Gottes Sohn 112. Die Geburt aus der Jungfrau 113. Adoptianismus 115. Pneumatische Christologie 116. Der heilige Geist 118 und die Kirche 119.

5.

Der Kultus

120

Liturgie der Didache 120. Agapen 121. Sonntagsfeier bei Justin 122. Hippolyts Liturgie 123. Die Eucharistie als Opfer 125. Die Taufe 126. Exorzismus 127. Erweiterungen des Rituals 128. Wochenfasttage 129. Passahfeier 129. Quartodezimaner 130. Osterfeier am Sonntag 131. Osterstreit unter Victor von Rom 131. Pfingsten 132. Totenkult 133. Märtyrerkult 134. Katakomben 135. Die Anfänge der christlichen Kunst 137. Symbolische Figuren 138. Jüdische Bilder 140. Neutestamentliche Darstellungen 141. Die Basilica von Porta Maggiore in Rom 144. Die Aureliergruft in Rom 144.

6. Das Christentum und die Welt

145

Die Mission und ihre Ansatzpunkte 145. Anmeldung zum Katechumenat 148. Verbotene Berufe 149. Christliche Lebenshaltung 150. Die Christen als „Feinde der Menschheit" 152. Plinius und T r a j a n über Christenprozesse 154. Staatliche Grundsätze 155 und Gesetze 156. Erste Verfolgungen 158. Lyon und Vienne 159. Der Märtyrer als Enthusiast 160. Perpetua 161. Märtyrerakte in Protokollform 162. Die syrische Dynastie 163. Neue Verfolgungen im 3. Jahrhundert 164. Verfolgung des Decius 164. Gallus und Valerian 169. Toleranzedikt des Gallienus 171.

7. Die Apologeten Kritik am Christentum 172. Celsus 172. Die ersten Apologeten: Quadratus 175. Aristides 176. Justin 178. Dämonenlehre 179. Weissagungsbeweis 179. Logoslehre 180. Christentum als wahre Philosophie 182. Ethik 184. Gemeindelehren 184. Tatian 186. Athenagoras 187. Theophilos. Brief an Diognet. Minucius Felix 188.

172

Inhalt

VII Seite

8.

Kleinasien und der Montanismus

190

Ausbreitung des Christentums in Kleinasien 190. Osterstreit 191. „Dynamistische" und „monarchianische" Theologie 191. Praxeas 191. Sakramentstheologie 193. Inschrift des Aberkios 193. Die „neue Prophetie" 195. Montanus 196. Eschatologische Stimmung 197. Asketische Forderungen: Ehelosigkeit. Fasten 199. Opfergaben 200. Spätere Formen 201. Martyriumssehnsucht 201. Ablehnung von Seiten der Kirche 202. Versöhnungsversuche 203.

9.

Gallien

206

Beziehungen zu Kleinasien 206. Irenaeus 208. Sein „Elenchos" 208. Abwehr der Spekulation 210. Kanon und Glaubensregel 211. Die bischöfliche Tradition 211. Gott und sein Logos 212. Erlösung durch „Rekapitulation" 213. Sakramentslehre 214. Die kirchliche Frömmigkeit als Grundlage der Theologie 216.

10. Afrika

219

Berber, Punier, Römer 219. Lateinische Literatur 219. Lateinische Bibel 220. Ausbreitung des Christentums 221. Märtyrer von Scilli 221. Tertullian 222: sein Stil 223. Gelehrsamkeit 223. Temperament 224. Apologetik 225. Ethik; der Montanismus 225. Kampf gegen die Kirche 226. Seine Grunderkenntnis 227. Unspekulative Theologie 227. Glückliche Formulierungen 228. Sein Ausgang 228. Cyprian 229. Die Verfolgung des Decius 230. Einigung mit Rom über die Frage der Gefallenen 231. Opposition der Konfessoren und Presbyter 232. Novatus und Felicissimus 233. Cyprians Schriften de lapsis und de unitate ecclesiae 234. Die Synode vom Mai 251: 235. Schisma des Fortunatus in Carthago, des Novatian in Rom 236. Cyprian und Cornelius 236. Cyprian und Stephan von Rom 238. Der Ketzertaufstreit 239. T o d des Stephan 241 und des Cyprian 242.

11. Rom Blüte der Stadt 244. Einheit der Gemeinde 245. Gnostiker in Rom. Osterfragen 246. Viktor und der Osterstreit 247. Die „Kleinasiatische Frage" 248. Theologische Bewegungen 248. Monarchianismus. Sabellius 249. Kallist und Hippolyt 250. Hippolyt als Schriftsteller 251. Das Bußedikt des Kallist 253. Ausgang des Hippolyt und des Pontian 254. Fabian 254. Neuordnung des Klerus. Die „Ordines minores" 255. Die Verfolgungszeit 257. Novatian und Cornelius 258. Verbreitung der Novatianer 259. Die Grundsätze des Stephanus und die Theorie des Cyprian 261. Dionysius von Rom 263.

244

VIII

Inhalt Seite

12. Syrien und sein Hinterland

264

Antiochia als christliches Zentrum 264. Tritt erst seit 250 hervor 266. In Syrien entsteht ein nationales Christentum: Edessa 266. Bardesanes 267. Seine Lehre 267. Palut erster Bischof von Edessa 271. Harmonios 271. Christentum in der Osroéne. Tatians Einfluß 272. Arbela. Syrisches Christentum bei A f r a h a t 273. Ausbreitung am östlichen Tigrisufer 274. Krisis im Judentum 275. Mani 276. Seine Lehre 277. Der Mythus 279. Ausklang 282.

13. Ägypten

283

Gnostisches Christentum der Frühzeit 283. Bischof Demetrius 284. Pantainos und die Katechetenschule 284. Klemens Alexandrinus 285. Schriften 286. Stil 287. Der Protreptikos 288. Der Paidagogos 291. Vom Reichtum 295. Die Stromateis 297. Origenes 305. Der mittlere Piatonismus 308. Schriften des Origenes 311. Die Hexapla 313. Sein System 317. Origenes als Bibelforscher 325.

Literatur

330

Register

332

Das römische Weltreich im zweiten und dritten Jahrhundert Sicherung des Friedens für die ganze Kulturwelt war das ideale Ziel des augusteischen Imperiums, und seine Verwirklichung bildete den Ruhmestitel, seine Bewahrung die Hauptaufgabe aller Träger der römischen Kaiserwürde. Die Vorteile dieses Zustandes banden die tausend Völker und Stämme der Mittelmeerwelt so eng aneinander, daß innere Aufstände die Einheit des Reiches nicht bedrohen konnten. Die Tumulte des auf Neros Tod folgenden Dreikaiserjahres brachten nur örtlichen Schaden und gingen schnell vorüber, und die aus besonderen Gründen an den Grenzen auflodernden Brände des gallische Bataveraufstandes und der jüdischen Freiheitsbewegung hat Vespasians starke Hand zu unterdrücken verstanden. Die wirklichen Gefahren lauerten außen an den Grenzen: am Rhein und an der Donau wurden germanische und teilweise auch slavische Stämme von elementaren Gewalten aus naturhaftem Dasein in den Bereich der Geschichte getrieben, am Euphrat drängten die Iranier Vorderasiens dem syrischen Meere zu. Nach den unter Augustus gemachten Erfahrungen hat das Reich fast ein Jahrhundert lang seine Grenzen im Wesentlichen defensiv verteidigt und sie nur an einzelnen sicheren Stellen mit größter Vorsicht vorgeschoben. Die unter Claudius begonnene und unter Domitian vollendete Eroberung Britanniens ist die bedeutsamste Tat dieser Periode. Unter den flavischen Kaisern wird dieser defensive Charakter des Grenzschutzes noch besonders betont durch die Anlage der großen Limesbefestigungen, welche am Oberrhein und an der Donau das Vorland durch Holztürme und L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

1

2

1. Das römische W e l t r e i c h

Flechtwerkzäune gegen feindliche Einfälle schützen sollen: wir können das Fortschreiten dieser Methoden von Vespasian bis Domitian an den erhaltenen Resten studieren. Trajan erkannte, daß auf diese Weise die Gefahren nicht völlig zu bannen seien und kehrte zu den Gedankengängen altrömischen Soldatentums zurück. Er marschierte in das Land des zur Zeit bedrohlichsten Feindes ein und führte gegen die im heutigen Rumänien wohnendenDaker zwei schwere, verlustreiche Kriege (101 bis 106), die aber schließlich die volle Eingliederung dieses Gebiets in das Reich als Provinz Dacia bescherten.Die römischeTrajanssäule erzählt bis heute in lebensvollen Bildern die ruhmvolle Geschichte dieser Kämpfe. Noch ehe das Ziel der Eroberung Daciens erreicht war, bereitete Trajan weiter Sicherungen des Reiches an der Ostgrenze vor. Der Legat von Syrien bekam den Auftrag, die bis dahin noch bestehende halbe Selbständigkeit der im Nabatäerreiche vereinigten Beduinenstämme zu beendigen, und so entstand, östlich und südlich an die palästinensische Grenze angelehnt, die neue Provinz Arabia. Wasserleitungen, Garnisonslager, Straßenbauten hoben und sicherten ihre wirtschaftliche Bedeutung und riegelten gleichzeitig das römische Reich ab gegen jede Bedrohung von Seiten der freien Beduinen der unermeßlichen arabischenWüste. Die eigentliche Gefahrenzone lag nicht hier, sondern an der Euphratgrenze. Dort drohte das Reich der iranischen Parther dem Imperium seit seiner Geburtsstunde mit Krieg, und die Dauer des von Augustus geschlossenen Friedens hing mehr von den inneren Zuständen des Partherreiches als von den Römern ab. So erschien auch hier dem Kaiser aktive Grenzsicherung unabweisbar. In drei Kriegsjahren 114—116 wurden nicht nur die Parther, sondern auch die mit ihnen verbundenen Armenier niedergeworfen, und drei neue Provinzen, Armenia, Assyria, Mesopotamia eingerichtet. V o r die alten Grenzen des Imperiums war nun ein Ring neuer Provinzen gelegt, der von der Theiß bis zum Schwarzen Meer, vom Kaukasus bis zum persischen Golf und vom Euphrat bis zur Sinaihalbinsel reichte: ein

Trajans Kriege.

3

Hadrian

ungeheures Sicherungsgebiet, das mit stärkstem Kraftaufwand in kurzer Zeit gewonnen war und nun einer langen Periode innerer Durcharbeitung bedurfte, um organisch in das römische Reich hineinzuwachsen und wirklich den Schutz zu leisten, den sein Schöpfer von ihm erwartete. Es war die Frage, ob das Reich die Kraft zur Lösung dieser Aufgabe besaß: und der Nachfolger des 117 nach Vollendung seines Werkes aus dem Leben abberufenen Trajan hat sie sofort nach seinem Regierungantritt verneint. Ein Aufstand, den 115 die ägyptischen Juden, wohl im Bunde mit den übermäßig bedrückten Fellachen1, anzettelten und auf Cypern und die Cyrenaica ausdehnten, war ein warnendes Zeichen: erst nach zwei Jahren konnte der Kaiser über die zur Unterdrückung erforderlichen Truppen verfügen. Und auch an anderen Stellen war nicht alles so ruhig, wie es sein sollte. So zog Hadrian die notwendige, aber unrühmliche Konsequenz: Armenia, Assyria, Mesopotamia wurden wieder geräumt. Arabia und — trotz einiger Bedenken — auch Dacia sollten gehalten werden und sind gehalten worden. Es wurde deutlich, daß Rom nicht mehr im Stande war, Eroberungen großen Stils zu machen, wohl aber, seinen alten Besitz zu verteidigen: und auf diese Aufgabe konzentrierte Hadrian seine ganze militärische Sorge. Die Limesbefestigungen wurden vielfach vorgeschoben und schnitten in langen geraden Linien durchs Gelände: ihr Hauptbestandteil war jetzt ein mächtiger Palisadenzaun, der vom Neuwieder Becken bis in die Gegend von Regensburg lief. In Britannien hat man eine Mauer quer durch die Insel vom Solway Firth bis zur Tynemündung gezogen. Hadrian verfügte nicht über die militärische Begabung Trajans und strebte deshalb einen Zustand des Reiches an, der vom Kaiser nicht die Tugenden eines Feldherrn verlangte. Aber er war ein vortrefflicher Verwaltungsbeamter und hatte Sinn für Organisation: und das ist auch dem Heer zugute gekommen. Dieses hat seine Aufgaben treulich erfüllt: fast ein halbes J-ahrhundert hindurch ist der Reichsfrieden gewahrtwor!) Rostovtzeff, Gesellschaft u. Wirtschaft 2, 65. 1*

4

1. Das römische Weltreich

den, und die nie ganz abreißenden Kämpfe zur Grenzsicherung gingen nur selten über die gewohnte Beanspruchung der Wachttruppenhinaus. AlsAntoninusPius auf demMarsfeld eineSäule nach trajanischem Muster errichtete, hatte er keine Veranlassung, ihren Schaft mit einem Band kriegerischer Bilder zu umwinden. Das blieb seinem Nachfolger Mark Aurel vorbehalten, den die Not des Reiches aus stiller Besinnlichkeit heraus in einen schweren Existenzkampf riß: und sein philosophisches Pflichtgefühl ist stark genug gewesen, um ihn ohne militärische Neigung und Begabung eine Aufgabe lösen zu lassen, die noch schwerer war als die dem Soldaten Trajan gestellte. Die erste Gefahr drohte an der Ostgrenze, wo die Parther wieder im Begriff standen, ihre Herrschaft über Armenien auszudehnen, und die dazwischen tretenden römischen Legionen zertrümmert hatten. Es mußten große Truppenmassen von der germanischen Grenze herangezogen werden, um den unvermeidlich gewordenen Krieg mit dem nötigen Nachdruck zu führen: und nach vierjährigem Kampf war das Ziel erreicht. Das römische Reich festigte seine militärische Stellung in Armenien und schob seine Grenzen auf das linke Euphratufer vor. Die alte Makedonierfestung Dura bekam 167 römische Garnison und wurde Ausfallstor für künftige Einmärsche ins Partherland. Kaum war dieser Krieg beendet, als neue und größere Not über das Reich hereinbrach. An der westlichen Grenze war schon seit längerer Zeit eine flackernde Unruhe zu bemerken: in Britannien und am Oberrhein war die Grenzsicherung durchbrochen und mußte in ernsthaftem Kampf wiederhergestellt werden. Jetzt fluteten plötzlich und unaufhaltsam die Markomannen und Quaden aus Böhmen und Mähren über die Donau ins Reich, überschritten die Alpen und belagerten Aquileia. Und im ganzen Reich wütete die durch den Partherkrieg eingeschleppte Pest, raffte ungeheure Menschenmassen hin und fraß mit besonderer Wut die zusammengeballten Truppenkörper. Es mangelte an Lebensmitteln und die Staatskassen waren leer: der Untergang stand vor der Tür. Mark Aurel ist dieser Gefahr

Mark Aurel. Septimius Severus

5

Herr geworden. Er hat Armeen zusammengebracht und die Waffenfähigen genommen, wo und wie er sie fand. Es gelang, den Einfall abzuwehren, er rückte in Feindesland hinein und rang alle verbündeten Stämme, Germanen und Sarmaten, in immer erneuten Kriegszügen nacheinander zu Boden und besetzte ihr Gebiet. Vierzehn Jahre dauerte der Kampf, dann war er endgültig entschieden: der Kaiser wollte auch im Sieg dem BeispielTrajans folgen und die römischen Grenzen über dieDonau vortreiben. Böhmen, Mähren und das Land zwischen Donau u n d T h e i ß sollten alsMarcomannia undSarmatia römischeProvinzen werden. A b e r ehe die Absicht zur T a t werden konnte, starb Mark Aurel 180 in seinem Hauptquartier zu Wien. Sein Sohn und Nachfolger Commodus verzichtete ohne Bedenken auf die Pläne des Vaters, räumte die besetzten Gebiete und bewilligte den Gegnern günstige Bedingungen: nicht aus kluger Einsicht wie einst Hadrian, sondern aus Bequemlichkeit. A b e r die Wirkung der Kriegstaten seines V a t e r s blieb trotzdem nicht aus: jene Völker sind dauernd gelähmt geblieben und dem Reich nicht mehr gefährlich geworden. Zwei Menschenalter hindurch herrschte nun an der Donaugrenze Ruhe, und auch am Rhein ist es lange still gewesen, bis 213 unter Caracalla ein Vorstoß der Chatten und Alemannen eine Periode ständiger Grenzkämpfe eröffnete, die erst nach mehr als zwanzig Jahren in eine neue Friedenszeit ausmündete. In diesen Jahren der Unsicherheit hat auch der Limes eine Verstärkung erfahren: am Rhein wurde zu den Palisaden jetzt noch ein breiter Graben und ein Wall gefügt, an der Donau zog man eine 3 Meter hohe Mauer die Grenze entlang. Die vorsichtige Grenzgestaltung am Euphrat erwies sich auf die Dauer nicht als haltbar: Septimius Severus rückte 198 vor und machte Nisibis. zur H a u p t s t a d t der umgebildeten Provinz Mesopotamia, die nun bis zum Tigris hinüberreichte und militärisch so stark geschützt wurde, daß sie auch schwache Kaiser zu verteidigen vermochten. Inzwischen fand die durch dauernde Thronstreitigkeiten geschwächte parthische Dynastie ihr Ende. V o n Persepolis aus breitete das

6

1. Das römische Weltreich

alte Königsgeschlecht der Sassaniden seine Macht aus, und Ardaschir I. wurde 226 der Herrscher eines neuen Perserreichs, welches die parthische Herrschaft beseitigte und als sein Pogramm die Wiederherstellung der unter Kyros und Dareios geltenden Grenzen 1 verkündete. Waren schon die Parther recht unbequeme Nachbarn der Römer gewesen, so wurden die Perser erbitterte und unermüdliche Feinde des Reichs. Ihnen war der Drang nach Westen historische Pflicht, und sie erhoben das Schwert gegen Rom, um das Blut des Dareios an den Erben Alexanders des Großen zu rächen 2 . Das heißt: sie fühlten sich als die Vorkämpfer des unterdrückten Asiens gegen Europa, und sie haben an dieser Aufgabe vier Jahrhunderte lang mit steigendem Erfolg gearbeitet, bis der Völkersturm des Islam an ihre Stelle trat und den Widerstand Europas endgültig brach. Um 230 begannen die Kämpfe in Mesopotamien; zehn Jahre später war die Provinz in den Händen der Perser und abermals fünf Jahre danach hatten die Römer ihre Truppen wieder zwischen Euphrat und Tigris stehen und schlössen mit Schapur I. einen faulen Frieden. Um dieselbe Zeit erschien das führende Volk der germanischenVölkerwanderung, die Goten, an der untern Donau. Sie brachen in die römische Provinz ein und verwüsteten Thrakien bis in die Gegend von Saloniki. Kaiser Decius verlor 251 im Abwehrkampf sein Leben, und sein Nachfolger erkaufte einen Waffenstillstand mit Geld. Die Provinz Dacia ging verloren. Gleichzeitig flammte die Pest wieder auf und kurzlebige Kaiser wehrten sich nach- und nebeneinander verzweifelt gegen germanische und orientalische Eindringlinge. Der siebzigjährige Kaiser Valerianus fiel 260 den Persern in die Hände und starb in der Gefangenschaft, während die Goten plündernd Kleinasien durchzogen. Männlich rang sein Sohn Gallienus mit allen Gefahren, ständig von meuternden Truppen und ihren Gegenkaisern bedroht. Und er mußte das Aufkommen eines Pufferstaates mit eigener Herresmacht in Palmyra dulden, weil er Herodian hist. 6, 2, 2. 6, 4, 5.

2

) N ö l d e k e Tabari S. 3.

Das Sassanidenreich. Decius. Valerian

7

als Bollwerk gegen die Perser wirkte. Nie hatte das römische Reich so stark den Eindruck völliger Auflösung gemacht, wie in diesen sechziger Jahren des dritten Jahrhunderts. *

Die von T r a j a n bis Decius abrollenden 150 Jahre zeigen uns deutlich den fortschreitenden Verfall des römischen Reiches und seiner Machtstellung. Die Spannung zwischen den militärischen Notwendigkeiten des Grenzschutzes und den finanziellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Reiches wurde immer größer und bewirkte schließlich die innere Zersetzung 1 . D a ß schon die Feldzüge T r a j a n s eine Überanstrengung der Reichskraft waren, zeigte sich sofort in der Nötigung zur Reduktion der Reichsmünze: die Silberdenar, der unter Augustus einen Metallwert von 70 Pfennig gehabt hatte und von N e r o durch Verkleinerung der Münze auf 60 Pfennig herabgesetzt war, wurde durch 20prozentige Kupferbeimischung auf nur noch 48 Pfennig abgewertet 2 ; die Preise stiegen entsprechend. Hadrian wußte, warum er die Politik seiner Vorgänger liquidierte: sie wäre nur auf Kosten der inneren Gesundheit des Staates durchführbar gewesen, und die wünschte der Kaiser unter allen Umständen zu erhalten. Der Erfolg hat ihm für ein halbes Jahrhundert Recht gegeben. V o n T r a j a n bis Mark Aurel reicht eine Zeit kultureller Blüte und sicherer Entwicklung von Handel und Industrie, die allenthalben in einer großartigen Bautätigkeit einen noch heute sichtbaren Ausdruck gefunden hat. Die Städte werden die Mittelpunkte des Lebens. Das wohlhabende Bürgertum und die Großkapitalisten sind die Träger eines alle Provinzen erfassenden wirtschaftlichen Aufschwungs, und die gebildeten Schichten preisen dankbar die aufgeklärte Monarchie Hadrians und der Antonine. A b e r die inneren Gefahren konnten nur zurückgedrängt, nicht beseitigt werden. Italiens Vorrang sank sowohl in politischer wie in militärischer, ja auch in wirtschaftlicher Hinsicht unwiederbringlich dahin. Der *) Grundlegend M. Rostovtzeff, Gesellschaft u. Wirtschaft im röm. Kaiserreich 1930. 2 ) M. Bernhart, Handbuch z. Münzkunde 20f.

8

1. Das römische Weltreich

alte Adel war ausgemordet oder verzichtete auf Fortpflanzung, das Volk wurde durch Aufnahme immer neuer Scharen barbarischer Freigelassener degeneriert und aus diesem Grunde, aber auch wegen politischer Aspirationen, militärisch unbrauchbar; schon seit Vespasian hob man in Italien keine Legionssoldaten mehr aus 1 . Und die aufblühenden Provinzen machten sich von italischer Produktion so unabhängig, daß die Kaiser künstliche Rettungsversuche für die Wirtschaft des alten Kernlandes anstellen mußten. Die Provinzen waren jetzt die Kraftquellen des Reichs in jeder Beziehung: auch das Heer wurde seit Hadrian aus Provinzialen gebildet, die zugleich mit der Einstellung das römische Bürgerrecht erhielten und Verteidiger ihrer engeren Heimat sein sollten. Ein Austausch der Legionen des Ostens und des Westens war dadurch aufs äußerste erschwert. Wenn Hadrian die Hälfte seiner Regierungszeit auf Reisen durch die Provinzen verwendete und dem ganzen Osten die Herrlichkeit griechischer Kultur unermüdlich vor Augen stellte, so war das nicht bloße Unrast und romantische Träumerei, sondern ernstes Bemühen um die Sicherung, Förderung und kulturelle Hebung der weiten Reichsgebiete, von denen der Bestand des Ganzen jetzt mehr als vordem abhing. Die Entwicklung spiegelt sich klar in den Trägern der Herrschaft: Die ersten Kaiser waren sämtlich Römer, Vespasian und seine Söhne wenigstens Italiker. Die Familien Trajans und der Antonine entstammten dem alten, römisch kultivierten Adel von Spanien und Gallien, Septimius Severus aus den gleichen Kreisen Afrikas. Aber durch seine Gemahlin, die syrische Priesterin Julia Domna kam das Element barbarischen Provinzialentums auf den Thron und wirkte die nächsten Generationen hindurch, bis es von illyrischen Soldatenkaisern abgelöst wurde. Erst besiegte die Provinz Italien, dann siechten die Provinzen dahin — und übrig blieben allein die Soldaten. Und das kam so. Die wirtschaftliche Blüte derAntoninenzeit war nicht fest begründet. Die Not der Kriege Mark Aurels ') Mommsen, Ges. Schriften 6, 38.

Der wirtschaftliche Niedergang

9

und die Entvölkerung des Reiches durch die Pest machten dem Glück des Zeitalters ein Ende. Die Mißregierung des Commodus und die seinerErmordung folgenden Wirren bildeten einen traurigen Abschluß dieser Periode. Septimius Severus zog die grausameKonsequenz und errichtete eine reineMilitärdiktatur: alle Hilfsquellen des Staates wurden aufs äußerste angespannt, um die Heere zu erhalten, die nun einmal zur Grenzverteidigung unentbehrlich waren. Auch dieBeamten rekrutierten sich mehr und mehr aus dem Heere, und aus der Schar verdienter Unteroffiziere erwächst ein neuer Beamtenadel, der nicht gerade als Kulturträger angesprochen werden kann. Die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts ist die entscheidende Periode des wirtschaftlichenZusammbruchs. Die Währung sinkt ständig durch Verschlechterung des Geldes. Der Denar wurde unter Mark Aurel auf 43 Pfennig gesenkt, um 200 hatte er noch für 25 Pfennige Silbergehalt, aber seit 260 ist er nur noch unreines Kupfer, das einen Zwangskurs wie Papiergeld hat — und selbst dieser amtliche Kurs ist um 290 auf 2 Pfennige gesunken. Das Heer fraß alle Früchte der Arbeit, und die kaiserliche Politik hatte keine Möglichkeit, neue Kraftquellen zu erschließen, sondern begnügte sich, die vorhandenen rücksichtslos auszupumpen. Caracalla 1 hat das sinnig so formuliert: „Kein Mensch außer mir braucht Geld zu haben, und ich brauche es, um es den Soldaten zu schenken". Das besitzende Bürgertum wurde vernichtet. Große Vermögen sind in weitem Umfang durch Konfiskation nach einem Scheinprozeß eingezogen worden. Alle übrigen aber wurden mit untragbaren Lasten belegt. Die vermögenden Bürger der Städte waren für alles haftbar: für pünktlichen Steuereingang der gesamten auf der Stadt und ihrem Landkreis liegenden Summe, für jede Extraleistung, die von durchziehenden Truppen angefordert oder von einem Beamten aus irgend einem Grunde befohlen wurde. Daneben bestand für alle Mitglieder der „regierenden" Gemeindekörperschaften die Verpflichtung zu Leistungen für städtische Wohlfahrt und das Vergnügen des Volkes. Die ») D i o Cass. 77, 10, 4.

10

1. Das römische Weltreich

Befreiung von der Pflicht zur Bekleidung städtischer Ämter wurde ein vielbegehrtes Privileg. Das erschütternde Mittel äußerster Notwehr, der Verzicht auf den eigenen Besitz, war nicht selten: aber es ist bezeichnend, daß durch kaiserliches Gesetz die Straflosigkeit des Verzichtenden ausdrücklich angeordnet wurde, und daß er trotzdem in Wirklichkeit keineswegs vor Mißhandlung gesichert war 1 . Handel und Wandel mußten unter solchen Umständen ins Stocken geraten, der Geldverkehr hörte auf, und die Naturalwirtschaft trat wieder in ihre unvergänglichen Rechte. Die an den Grenzen kämpfenden Legionen konnten die Verheerung weiter Länderstrecken durch Barbareneinfälle nicht mehr hindern, geschweige denn den zahllosen Banden entgegentreten, die zu Wasser und zu Lande dem Räuberhandwerk oblagen. Und die „friedlichen" Truppendurchzüge so gut wie die Kämpfe der Kronprätendenten miteinander kamen in ihrer Wirkung feindlichen Einfällen bedenklich nahe. Der einzige Stand, auf den sich alle Sorge der Kaiser konzentrierte, war der des Soldaten — und zuweilen auch der des Kleinbauern, aus dem man die Soldaten aushob. Schon Septimius Severus erkannte die von aktiven Soldaten geschlossenen Ehen an und erlaubte verheirateten Soldaten, außerhalb des Lagers zu wohnen. Das führte mit der Zeit zur bäuerlichen Ansiedlung des Militärs und der Begründung militärischer Bauernkolonien in befestigten Orten. Aber zur Hebung der soldatischen Tugenden und zur Förderung der Schlagfertigkeit des Heeres trug diese Entwicklung nicht eben bei. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts ergab sich daraus die Notwendigkeit, kriegslustige und unbelastete Barbarenstämme als Söldner zu werben: und das führte zu neuen unsere Zeitgrenze überschreitenden Ereignissen. Die militärischen und die wirtschaftlichen Nöte waren miteinander zwangsläufig verbunden und zogen alle andern Elemente der Reichskultur in ihre abwärts führende Bahn. *

!) Rostovtzeff, Gesellschaft u. Wirtschaft 2, 194. 328 A. 42. 344 A. 44. 368 A. 49. Wilcken Chrestomathie n. 402. Anschaulich Philostrat Vita Apoll. 7, 23.

Das Heer. Die Literatur: Tacitus.

Plinius

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Man muß Tacitus lesen, wenn man es voll erfassen will, was der 15 Jahre andauernde Mord der Geister durch Domitian an der seelischen Struktur des römischen Volkes verschuldet hat: wie der erst in den vierziger Jahren stehende Mann sich selbst überlebt erscheint und die bittere Wahrheit an den Anfang neuen Schaffens stellt, daß es leichter ist, geistiges Leben zu unterdrücken, als es wieder zu erwecken 1 . Aber Trajan wird der Bringer einer Zeit der Freiheit: von allen Seiten klingen uns die dankbaren Stimmen der Erlösten entgegen, und Tacitus hat sich unter seinem aufgeklärten Regiment zur vollen Größe entfalten können. Seine Kaisergeschichte ist das gewaltigste Geschichtswerk, das Rom der Welt geschenkt hat, aber von düsterm Ernst und heroischer Resignation überschattet blickt es nicht einer hoffnungshellen Zukunft entgegen, sondern atmet herbe Sorge und tragisches Ahnen. Und doch sind erst hundert Jahre seit den glücklichen Tagen des Livius verflossen, und die Sonne Trajans strahlt Leben weckend über dem Reich. Aber Tacitus ist ein einsamer Mann und hat mit der höchsten Gabe des Genius auch die bittere Mitgift empfangen, weiter zu blicken als alle andern. Sein Freund Plinius ist restlos glücklich und fühlt sich als Kind einer Zeit geistiger Blüte, von der er mit geschickter Rhetorik in seinen Briefen anmutig Zeugnis ablegt. Und innerhalb seines enger begrenzten Gesichtskreises hat er damit recht, auch wenn man seine Uberschätzung des ihn umgebenden literarischen Dilettantismus 2 in Abzug bringt. Dieses Dilettieren ist doch nichts anderes als der Ausdruck ehrlicher Liebe zu geistiger Verfeinerung des Lebens und tätige Aneignung der klassischen Traditionen aus Ciceros Zeit, deren Prophet Quintilian erst kürzlich die Augen geschlossen hatte. Zum Freundeskreis des Plinius gehörte der junge Sueton, der die auf ihn gesetzten Hoffnungen unter Hadrian erfüllt hat. Der Satiriker Juvenal hat in trajanischer Zeit seine besten Leistungen gezeitigt. Keiner von diesen drei Männern ist ein 2 Tacitus Agricola 3. ) Plinius epist. 1, 17. 3, 1, 7. 4, 3. 8, 4. 9,22: sehr bezeichnend 5 , 8 und 7,4.

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1. Das römische Weltreich

Geist ersten Ranges, aber sie haben ihre Gaben so trefflich ausgewertet, daß ihr Einfluß auf die Weltliteratur bis heute spürbar ist. Nach ihrem Tode verstummt die lateinische Muse der Stadt Rom: mit T r a j an geht die literarische Tradition des echten Römertums zu Ende. Wieviel von ihrer künstlerischen Gestaltungskraft noch lebendig ist, zeigen die Reliefbilder der Trajanssäule, die am Konstantinsbogen erhaltenen Rundscheiben und die Marmorschranken der Rednerbühne auf dem Forum. Mit Hadrian beginnt eine neue Zeit, die vom Griechischen her die entscheidenden Anstöße erhält, und diese weisen in ehrwürdige Vergangenheit zurück: wir nennen diese nun aufkommende Tendenz den „Archaismus". Wie die Griechen unbekümmert um die Sprache der lebendigen Gegenwart die attischen Klassiker nachahmten, sobald sie Literatur produzierten, so wird jetzt auch auf lateinischem Sprachgebiet ein noch über Cicero hinausgreifendes Altlatein Mode. Der Afrikaner Fronto ist der große Held dieser Richtung. Die Welt hat ihn und seine Leute mit Recht vergessen bis auf den einen Apuleius, dessen mannigfaltige Schriftstellern in dem Roman vom verzauberten Esel gipfelt: hier siegt die prächtige Erzählungskunst über alle sprachlichen Marotten, und die gegen Ende laut anschwellende mystisch-religiöse Begleitmusik gibt uns einen kräftigen Geschmack von dem, was in der Antoninenzeit aus dem „Muckertum" der Hadrianischen Periode geworden ist. Mit Apuleius endet die lateinische Literatur der Antike: nur im vierten Jahrhundert leuchtet plötzlich und „ohne Vater, Mutter und Stammbaum" das Phänomen des Historikers Ammianus Marcellinus in einsamer Größe. Die Rhetorik hat die absterbende lateinische Literatur beherrscht, selbst Tacitus untersteht ihrer Macht, und sie hat dafür gesorgt, daß es auch dann noch lateinische Schriftsteller gab, als man inhaltlich nichts mehr zu sagen wußte. Das Griechentum hat nicht minder von der Rhetorik gelebt und seit Vespasian sogar eine neue Blüte dieser Kunst entfaltet, die man als „zweite Sophistik" zu bezeichnen pflegt: eine Fülle von Tagesgrößen ist aus dieser Bewegung hervorgegan-

Archaismus. Zweite Sophistik. Plutarch

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gen, und der Eifer hoher und höchster Gönner hat an vielen Orten Professuren zu ihrer schulmäßigen Züchtung gestiftet und hervorragende Sophisten mit Ehren überhäuft. Ihr glänzendster Repräsentant ist der Athener Herodes Atticus 1 , der aus seinem ungeheuren Reichtum an den klassischen Stätten Griechenlands prächtige Bauten aufwachsen ließ und zugleich von der Gunst Hadrians und der Antonine getragen das literarische Leben weithin beherrschte. Aber seine Bauten haben die Jahrhunderte besser überstanden als seine Reden. InTrajans Zeit fallen die Predigten des StoikersEpiktet an die Gebildeten und die breiten und gelegentlich sentimentalen Reden des Dio Chrysostomus.Beide so entgegengesetztenMänner haben einen tiefen sittlichen Ernst und streben auf verschiedenen Wegen doch letztlich nach demselben Ziel einer Besserung derMenschheit durch philosophische Zucht: aber der aus dem Sklavenstande emporgestiegene Epiktet ist der weitaus Größere, weil sein ethisches Wollen ganz rein erscheint und keines irdischen Schmuckes bedarf, auch keine Nebenzwecke anerkennt. Dio sowohl wie Epiktet stammen aus dem nordwestlichen Kleinasien. Griechenland wird um dieselbe Zeit würdig vertreten durch Plutarch, der aus seines Volkes großer Vergangenheit ein ideales Griechentum zieht und es in seiner fein organisierten Seele zur tätigen Auswirkung bringt. Seine Biographien und moralischen Traktate haben zu allen Zeiten Bewunderung erregt, und in den philosophisch-religiösen Schriften spiegelt sich tragisch das ehrliche, aber hoffnungslose Mühen um die Rettung sterbender Götter; und auch das macht den Mann liebenswert. Es ist Geist der trajanischen Periode, wenn er in seinem berühmtesten Werk Griechen und Römer in ideale Parallele stellt. Aber Kaiser Hadrian wurde selbst der Künder des Primats für die griechische Kultur. Alle Provinzen hat er bereist, aber Griechenland und sein geistiges Erbe unablässig den andern vor Augen gehalten: als Zeus Olympios wandelt er über die Erde und läßt Tempel erstehen, *) Vgl. K. A. Neugebauer, Herodes Atticus, ein antiker Kunstmäzen. Antike 10, 1934, 92—121.

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1. Das römische Weltreich

die seiner kaiserlichen Gottheit unter diesem höchsten der hellenischen Namen huldigen. Keine Stadt hat freundlichere Fürsorge erfahren als Athen, auf dessen Boden noch heute das Hadrianstor „des Theseus alte Stadt" von der durch ihn neu begründeten „Stadt Hadrians und nicht des Theseus" trennt 1 . Es war richtige Erkenntnis der wahren Werte: die noch vorhandenen und zur geistigen Einigung der Provinzen untereinander brauchbaren Kräfte des Reichs ruhten im Griechentum: und gerade zur Einschmelzung der orientalischen Länder waren die Griechen die unentbehrlichen Vermittler. Die von Hadrian gesäte Saat ist dann in der Antoninenzeit reichlich aufgegangen, und neben einem respektablen Kreis gediegener Fachgelehrter und einem Schwärm leerer Schwätzer finden wir nun Männer griechischer Zunge, die literarische Bedeutung für sich in Anspruch nehmen dürfen, wrährend Roms Kraft erlischt. Kleinere Geister sind Arrian, der Epiktets Vorlesungen in Nachschriften uns aufbewahrt hat und in reifen Jahren als neuer Xenophon die Geschichte Alexanders des Großen schreibt, und Appian, dessen römische Geschichte von dauerndem Wert geworden ist. Pausanias hat am Ende der Antoninenzeit für die wißbegierigen Besucher des nun amtlich als klassisch anerkannten Hellas einen Reiseführer geschrieben, der uns nicht nur ein unschätzbares Sammelwerk antiquarischen Stoffes ist, sondern auch die Neigung der Zeit zur Altertümelei und romantischen Religiosität mit grober Deutlichkeit widerspiegelt. Der vornehmste Repräsentant des Zeitgeistes ist der Redner Aristides aus Smyrna, ein Schüler des vorhin erwähnten Herodes Atticus. Was man damals noch als Inhalt in die Erzeugnisse mühevoller Redekunst legen konnte, das hat er hineingelegt, und seine Lobrede auf Rom ist ein mit den Farben der Wirklichkeit gemaltes Idealbild jener letzten Blütentage des Reiches. Die Zeitgenossen einschließlich der Kaiser haben ihn hochgeehrt, und er selbst hat es nicht für unbescheiden erachtet, sich über Demosthenes und Plato zu stellen und seine rednerische Lebensleistung den *) G. Kaibel Epigrammata Graeca n. 1045.

Hadrian. Aristides.

Lukian

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W a f f e n t a t e n Alexanders des Großen gleichzuwerten 1 . Aber wenn wir uns dann in die berühmten „heiligen Reden" vertiefen und lesen, wie oft und mit welchen Folgeerscheinungen der berühmte Mann Leibschmerzen gehabt hat, welche Pferdekuren ihm durch Traumgesichte der G o t t Asklepios dagegen verordnete, und wie er endlich nach 16 Jahren durch des Gottes W u n d e r k r a f t geheilt wurde — und das alles nicht in eine höhere Sphäre gehoben und durch Glauben geadelt wie etwa in Brentanos Berichten über Katharina Emmerich, sondern in der ganzen Banalität eines hysterischen Hypochonders: dann reißt der Schleier, und wir sehen, wie auch die besten Literaten dieser Zeit nur innere Dürftigkeit mit dem glänzenden Flitterkram der Bühne umkleiden und von dem Beifall klatschenden Publikum bereitwillig für die Helden glanzvoller Vorzeit genommen werden, die sie darzustellen vorgeben. Das wirkliche Leben und das Walten der Geschichte liegt für diese Leute und ihr Publikum außerhalb des literarischen Theaters, das ihnen die Welt bedeutet. Der Syrer Lukian ist ein Mann, der das weiß, und der deshalb seine Zeit mit all ihren Größen, sich selbst eingeschlossen, nicht ernst nimmt. W a s ihm in den Weg kommt, reißt er herunter, und am meisten die Dinge, welche höchste Erhabenheit in Anspruch nehmen, Religion und Philosophie: aber stets geistreich, mit einem wundervollen Scharfblick über die schwachen Stellen und komischen Züge der Gegner. Die alten Götter Homers und die neuen Gestalten des Orients, Heroen des Epos und Helden moderner Romane, religiöse Propheten und kynische Moralprediger, pedantische Professoren und leichtfertige Mädchen, das alles wirbelt in tollem Karneval um den Leser lukianischer Schriften und amüsiert ihn eine Weile, bis der Geschmack fade wird und der Mann mit der klingelnden Narrenkappe schließlich Ekel erregt. Die anderen meinen es gut, aber sie sind Schwächlinge und spielen die Starken, er glaubt an nichts als an seinen Vorteil, und begeifert alles mit mephistophelischem Vergnügen, was anderen heilig ist — geAristides or. 50, 19. 20. 48. 49. p. 430. 438 Keil.

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1. Das römische Weltreich

rade darum. So ist er der Urahn eines Journalistentypus, den das 19. Jahrhundert erst zur Vollendung gebracht hat. Abseits von all diesem literarischen Treiben steht Kaiser Mark Aurel. Es hat ihm nichts geschadet, daß ihn Fronto und Herodes Atticus in lateinischer und: griechischer Moderhetorik unterrichtet haben. Als ihm ein Stoiker die Vorträge Epiktets in die Hand drückte, entschied sich ihm der Weg seines geistigen Lebens. Der römische Kaiser wurde der ehrfürchtige Jünger des phrygischen Sklaven. In der schwersten Zeit seines Lebens, während er gegen die Markomannen zu Felde lag, hat er ein Seelentagebuch geführt, nicht empfindsam wie die Menschen des 18. Jahrhunderts, sondern in herber Selbstprüfung und Kritik aller irdischen Werte. Mitleidslos zerstört er jede freundliche Täuschung, jeden lockenden Schein. Der Mensch ein vergängliches Gebilde, für eine kurze Spanne ins Dasein gerufen: dann zerfällt der Leib und zu neuen Gestalten formt seine Reste die allwaltende Natur, die Seele zerflattert in der Luft — alles ist Wandlung. Nichts bleibt, und auch der Nachruhm stirbt mit der Nachwelt. Wie lange du lebst, ist gleichgültig: nur daß du deine Pflicht tust, ist nötig: das heißt, daß du den Göttern eine reine Seele darbietest und den Menschen Gutes erweist. Hoffe nicht auf Dank und laß dich nicht verbittern durch Undank. Scheide freundlich aus dieser Welt, wenn die Natur dich von der Bühne abruft: denn was sie tut, ist gut. Viele Tausende haben nach ihm über diesen Tagebüchern gesonnen und Stärkung daraus geschöpft. Friedrich der Große las in seinem Zelt darin, als der Siebenjährige Krieg ihm die Seele bedrückte: aber er fügte die Menschenverachtung hinzu, die Mark Aurels Herzen fremd ist. •

Die Philosophie war den Besten dieser Zeit ihre Religion: sie und sie allein wies ihnen den Weg in eine andere Welt und zur Anerkennung einer höheren Macht. Die alten Götter von Hellas und Rom waren und blieben tot; daran änderte auch die archaistische Stimmung nichts, die seit Hadrian die Kreise der Gebildeten beherrschte. Der Redner Aristides hat eine ganze Serie Prosahymnen auf die Götter verfaßt: einer nach

Mark Aurel. Religion bei Aristides und Plutarch

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dem andern wird mit klingenden Worten gefeiert, aber sieht man genauer zu, so finden wir als echten Kern seines Götterglaubens den stoischen Monotheismus, und die einzelnen Götterfiguren erscheinen als Bilder der kosmischen Kräfte, die dem Urquell des Allvaters entströmen. In den Reden auf Zeus und auf Sarapis, die ihm nur zwei verschiedene Bezeichnungen des weltumfassenden Einen sind, kommt das besonders deutlich zum Ausdruck. Diese Grundmelodie tönt in allen Reden und wird in immer neuen Variationen abgewandelt, deren Motive die traditionelle Mythologie liefert. Aber von Religion, von persönlichem Erfassen des Göttlichen in bindendem und lösendem Erleben, ist keine Rede. Aristides steht dieser Götterwelt kühl gegenüber: er predigt von ihr. aber lebt nicht mit ihr oder gar in ihr. Und doch macht er eine Ausnahme: Asklepios ist ihm eine mächtige und heilsame Wirklichkeit von persönlicher Gestaltung. Er ist ihm ja auch unzählige Male im Traum erschienen und hat sich um tausend Einzelheiten seines Lebens gekümmert. Seinem Wesen nach ist er derselbe Allgott, den wir auch Zeus nennen 1 , aber ihn hat Aristides als persönlichen Helfer, als wirkenden Gott erfahren, an ihm hängt er mit .seiner Seele — ohne freilich daraus irgendwelche weitere Konsequenzen zu ziehen. Plutarch stand da dem alten Glauben noch viel näher, wenn er durch eine ausgebildete Dämonenlehre die Orakelpraxis erklärte und selbst einPriestertum inDelphi mit gutem Gewissen verwaltete. Ihm war Apollo der Allgott seines monotheistischen Glaubens, aber anders als Aristides wußte er von einem aktiven Eingreifen Gottes in die Geschichte und glaubte mit Plato an die Unsterblichkeit der Seele und sittlich abwägende Vergeltung 2 . Dieselbe Erfassung der Religion von der Philosophie aus finden wir bei Philostrat, der zum Kreise der Hofgelehrten der Julia Domna gehört und auch bei Caracalla gut gelitten war. Auf Anregung der Kaiserin schreibt er eine Biographie des Apollonius von Tyana, der unter Domitian als wandernder Aristid. or. 42, 4 p. 335 Keil. Hellenen 2, 497—508. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

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) Vgl. Wilamowitz, Glaube der

3. Aufl.

2

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1. Das römische Weltreich

Prophet eines erneuerten Pythagoreismus berühmt gewesen war. Aber er malt ihn nun für den Geschmack des dritten Jahrhunderts als philosophisch-religiösen Heiland, der durch Predigt und Wundertaten seine über Menschenmaß hinausgehende Verbindung mit der Gottheit erweist und den mystischen Weg zur Vergottung durch Askese und Kontemplation offenbart. Der modernen Neigung entsprechend wird der Orient als Urquelle der Weisheit eingeführt und Indien hoch über das einst so gefeierte Ägypten gestellt: aber Apollonius ist doch Hellene, und bei jeder Gelegenheit wird trotz aller Orientschwärmerei der absolute Vorrang des Griechentums in der Menschheit zum Ausdruck gebracht. Das Ganze ist unter eifriger Benutzung geographischer Handbücher zu einem weitausgreifenden Reiseroman ausgesponnen und hat durch die geschickte Erdichtung zuverlässiger Gewährsmänner 1 bis auf den heutigen Tag viele gläubige Leser gefunden. Die Kritik an den Göttern,Homers hatte im Laufe der Zeit auch zur Anzweifelung der historischen Treue des Dichters geführt, und die gebildete Welt diskutierte die Frage nach der geschichtlichen Existenz der homerischen Helden und der Wirklichkeit der mythologischen Tradition von ihren Schicksalen. Man wird an die Anfänge apologetischer Bekämpfung der Bibelkritik in der Aufklärungszeit erinnert, wenn man den Philostrat die Glaubwürdigkeit Homers beweisen sieht: Im Grabhügel des Aias ist ein Skelett von II Ellen Länge zu Tage gekommen: Hadrian hat es neu bestatten lassen. Die in Nemea aufgefundenen Gebeine des Orest maßen 7 Ellen. Und vor 50 Jahren sind die Leute scharenweise zum Vorgebirge Sigeion gepilgert, wo die 22 Ellen langen Überreste eines von Apollo getöteten Giganten aufgedeckt worden waren 2 . Dies und ähnliches sind die grundlegenden Beweise, auf denen sich dann freilich sofort eine andere Welt aufbaut. Die Heroen leben noch jetzt, erscheinen ihren Freunden zuweilen, und zwar in der vorgeschriebenen Größe von 10—12 Ellen3, unter!) Ed. Meyer im Hermes 52, 409 ff. = Kl. Schriften 2, 131—191. ) Philostrat Heroicus p. 668ff. 3) Philostrat vita Apoll. 4, 16; Heroicus p. 673.

2

Philostrat. Heroen- und Gespensterglaube

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halten sich freundlich mit ihnen und geben bereitwillig Auskunft über allerlei Einzelheiten des trojanischen Krieges, die bei Homer nicht zu finden sind: dafür ist das Interesse des Publikums trotz seiner sonstigen Skepsis offenbar besonders groß. Aber sie helfen auch in allerlei Nöten und segnen die Fluren, rächen sich freilich grimmig, wenn ihnen die gebührende Ehre versagt wird. Und wer sich von ihrer Existenz überzeugen will, braucht nur in das Schwarze Meer einzufahrenund links vom Bosporus nach der Insel Leuke zu suchen1. Dort lebt Achill mit der Helena und ist schon von vielen Schiffern belauscht worden. Von solchen Berichten ist bis zu gruseligen Gespenstergeschichten mit Hexen und Zauberspuk nur ein Schritt: Lukian hat uns eine prachtvolle Sammlung der Art erhalten und manche Partien seines parodistischen Reiseromans könnten mit geringen Änderungen in dem Heroenbuch des Philostrat stehen 2 . Schwerlich hat Philostrat den Unsinn geglaubt, den er seinen Lesern so reichlich auftischt: aber es ist bezeichnend für die Gesamthaltung des gebildeten Publikums seiner Zeit, daß es solchen Lesestoff verlangt. Es vermag philosophische Skepsis mit krassem Aberglauben und Reste natur-religiöser Empfindungen mit pantheistischer oder platonisierender Mystik zu verbinden und lauscht der pythagoreischen Predigt von der Seelenwanderung, selbst in grober Verballhornung, mit stillem Hoffen. In dieser Atmosphäre ist auch der Roman von dem in einen Esel verzauberten Jüngling entstanden, den ein sonst unbekannter Lucius von Patrae verfaßt hat. Lukian vergnügt seine Leser mit einem parodistischen Auszug daraus, während Apuleius den Stoff und seine Tendenz beibehält, aber das Ganze breit auswalzt und reichlich mit Zusatzstücken gleicher Färbung versieht. Er will ebenso wie der ursprüngliche Verfasser seinen Lesern eine ernsthafte, moralisch-religiöse Lektüre bieten: was nicht eben schmeichelhafte Schlüsse auf die Geistesart dieser Leser gestattet 3 . ') Philostrat Heroicus p. 745 f. Anm. Marc. 22, 8. 2) Lueian Philopseudes; Verae historiae 2, 6—36. 3) Photius bibl. cod. 129; Lucian Lucius, Apuleius Metamorphosen. Vgl. R. Reitzenstein, Hellenist. Wundergeschichten S. 32—34. 2*

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1. Das römische Weltreich

Wir haben schon im ersten Jahrhundert das Eindringen des Orients in die Religiosität der griechischen Kulturwelt beobachten können 1 . Das zweite treibt diese Strömung mit kräftiger Wirkung dem Westen zu, wo sie dann im dritten ihren Höhepunkt erreicht. Immer mehr verblassen die Gestalten der alten Staatsgötter. Zwar erscheinen sie noch wie früher auf den Münzen des Reichs, aber in steigendem Maße finden wir an ihrer Stelle die Personifikationen abstrakter Begriffe 2 : Eintracht, Glück, Treue, Freiheit, Friede, Heil, Sieg, Tüchtigkeit — oder den „Genius" des Reichs, des Kaisers, der Stadt. Ja man hat diesen Namen sogar Staatstempel gebaut 3 . Das ist deutlich eine Flucht aus der konkreten Religion der Väter in die abstrakte Welt der Philosophen. Aber die orientalischen Götter, die mit lebendiger Kraft im Volk umgehen, bleiben der amtlichen Bildersprache der Kaisermünzen fern. Eine Ausnahme machten Isis und Sarapis, seit Vespasian ihnen seine besondere Verehrung gewidmet hatte 4 , und Kybele seit Hadrian. Als der Afrikaner Septimius Severus auf dem Throne saß, hat er die punische Himmelsgöttin und auch den Eschmun als Heiland gelegentlich auf solche Münzen gesetzt, denen er spezielle Beziehung zu Carthago geben wollte; Elagabal hat die Einholung des heiligen Steines von Emesa abbilden lassen 5 . Aber das sind nur vorübergehende Launen gewesen: im Ganzen widersprachen solche Orientalismen dem Stil des Münzgepräges. Eine deutlichere Sprache reden die amtlichen Bauten von römischen Staatstempeln 6 . Seit die Restauration des Augustus 2 Bd. 1 S. 160 ff. ) Anschauliche Übersicht bei Gnecchi Medaglioni romani I, XL VI—XLVIII Monete romane 3 S. 290—299. Mit Vespasian beginnt das Anschwellen, erst der Sieg des Christentums macht dem ein Ende. Bernhart Handbuch 1, 80—102. 3) Tempel der Concordia, Felicitas, des Bonus Eventus, der Justitia, Pax, Fortuna, Indulgentia sind von Augustus bis Mark Aurel erbaut: Wissowa, Religion 2 S. 596 f. 4 ) Bernhart Handbuch 1, 63 f. Josephus B. 7, 123. 5 ) Bernhart Handbuch 1, 59. 106 und 2, Taf. 49, 5 (Elagabal); Gnecchi Medaglioni romani 3 S. 39; Abb. der Dea Caelestis bei J. Hirsch Auktionskatalog 31 Taf. 32 Nr. 1534; R. Ball Auktionskat. 6 Taf. 45 Nr. 1795. «) Eine Liste gibt Wissowa, Religion 2 594—597.

Eindringen des Orients

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verklungen ist, werden den alten Göttern nur noch dann Tempel gebaut, wenn ein speziell dynastisches Interesse vorliegt: das gilt vom Tempel der Venus und Roma, den Hadrian errichtete, und erst recht von den beiden Minervatempeln Domitians, der sich amtlich als Sohn der Minerva bezeichnen ließ 1 . Dagegen sind den abstrakten Gottheiten in dieser Zeit sieben und den vergötterten Kaisern fünf Tempel erbaut worden 2 . Freilich hat Mark Aurel zum Dank für das Regenwunder, das seine Truppen im Quadenkrieg vor dem Verdursten rettete, dem Merkur einen Tempel geweiht: aber wenn wir lesen, daß ein ägyptischer Magier namens Arnufis dies Wunder durch Anrufung des „Hermes der Luft" eingeleitet habe, so wird uns deutlich, daß Merkur hier nur der lateinische Deckname für den ägyptischen Thot ist 3 , der Tempel also in Wahrheit einem orientalischen Gott gilt. Isis hat mindestens seit Beginn der Kaiserzeit eine wachsende Zahl von Heiligtümern in der Stadt gewonnen 4 und unter Caligula oder Claudius zugleich mit Sarapis einen Staatstempel auf dem Marsfeld bekommen. Gegen andere Götter blieben die Antonine zurückhaltend. Erst mit dem Regierungsantritt des Septimius Severus beginnt die neue Zeit. Er selbst baut in Rom den Göttern seiner Vaterstadt Leptis Magna, die er lateinisch Liber und Hercules nennt, einen Tempel 5 , einen anderen weiht er der Bellona Pulvinensis, die nur eine Variante der Kybele ist 6 , und auch Juppiter Dolichenus, der kriegerische Gott von Kommagene, erhält auf dem Aventin einen Staatstempel 7 . Diese Dynastie bricht mit der urrömischen Tradition, welche fremden Göttern ihren Platz außerhalb der alten heiligen Stadtgrenze, des Pomeriums, anweist. Caracalla errichtet dem Sarapis einen mächtigen Tempel auf dem Quirinal 8 •— wie er denn auch, um den heiligsten Göttern neue Scharen von Ver>) Philostrat V i t a Apoll. 7 , 2 4 . 2 ) S. 20 Anro. 3. ») Dio Cass. 7 1 , 8 , 4 W . W e b e r in Heidelberger Akad. Sitz.Ber. 1910 Abh. 7. 4 ) Liste bei Kiepert-Huelsen Formae urbis Romae 2 p. 17 vgl. Wissowa Religion 2 352 f. 6 ) Dio Cass. 76, 16, 3. 6 ) Wissowa Religion 2 349 f. Vgl. Dessau Inscr. n. 4180—4182. 7 ) Wissowa Religion 2 362. 8 ) Jordan-Huelsen Topographie der Stadt Rom I 3 S. 423.

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1. Das römische Weltreich

ehrern zuzuführen, die Schranke des römischen Bürgerrechtes im ganzen Reich niederlegt und dies Ehrenrecht den Millionen gnädig schenkt 1 . Es lag bewußte Absicht in dieser Beseitigung der Besonderheiten des Römertums. Septimius Severus war Afrikaner, seine Gemahlin Julia Domna die Tochter des Hohenpriesters des Baal von Emesa. Der Enkel ihrer Schwester, Bassianus, wurde für das gleiche Priesteramt aufgezogen, bestieg aber dann als 14j ähriger Jüngling den Thron und nannte sich mit dem verehrungswürdigen Namen Markus Aurelius Antoninus, führte aber daneben den Titel eines Hohenpriesters des Gottes Elagabal weiter. Diesen seinen Gott machte er zum Herrn der ganzen Götterwelt. Den heiligen Fetischstein aus Emesa hatte er nach Rom überführen lassen. Ein prächtiger Tempel wurde für ihn auf dem Palatin neben den Kaiserpalästen errichtet; hierhin wurde zusammengeschleppt, was an heiligen Steinen und berühmten Fetischen greifbar war samt dem Feuer der Vesta, und mit der karthagischen Himmelsgöttin Tanit feierte der syrische Gott die heilige Hochzeit 2 , während der Kaiser durch seine Heirat mit der Vestalin Aquilia Severa 3 ein irdisches Gegenstück dazu lieferte. Er blieb eben auch als Kaiser der syrische Sonnenpriester und benahm sich danach, bis die Soldaten ihn samt seiner regierenden Großmutter totschlugen. Sein Name wurde verflucht, der Fetisch nach Emesa zurückgeschickt. Aber was geschehen war, blieb in der Folgezeit wirksam, weil es zwar in der Form eine wahnsinnige Caesarenlaune, in der Sache aber eine geschichtlich begründete Wegweisung war: der Sonnengott der Orientalen war wirklich zum letzten Herrscher im Himmel dieser untergehenden Welt bestimmt. Als er entthront wurde, hat er mit seinem Namen auch seinen Geburtstag am 25. Dezember seinem Nachfolger überlassen: Christus regiert nun die Welt als „die wahre Sonne der Gerechtigkeit". ') Mitteis - Wilcken Chrestomathie II 2 n. 377, dazu Cumont 2 oriental. Relig.3 214 A. 1. ) Script, hist. Aug. Heliogab. 1, 6. 3, 4. 7, 1—5 Herodian hist. 5, 5—6. Cumont bei Pauly-Wissowa 5, 2220 ff. 3 ) Prosopogr. Imp. Rom. 2, 225.

Syrische Götter. Pantheos

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In diesem Sonnenkult gipfelt eine Entwicklung, die mit der hellenistischen Zeit ansteigend zu beobachten ist: das vom Orient befruchtete religiöse Denken faßt verschiedene Götter als wechselnde Anschauungsformen einer einzigen großen Gottheit. So finden wir Zeus Helios und Sarapis als Einheit verehrt, so häufen die Bilder des Allgottes „Pantheos" die Kennzeichen von einem halben Dutzend Göttern auf eine Figur oder es wird ein einzelner Gott, Juppiter oder Sarapis oder Silvanus oder gar Priapus als Pantheos bezeichnet. Was man sich dabei dachte, sagt mit klaren Worten Apuleius, wenn er uns von der ihm zuteil gewordenen Erscheinung der Isis berichtet 1 : „Siehe hier bin ich, durch deine Gebete gerufen: die Mutter der Natur, die Herrin aller Elemente, die Erstgeburt der Ewigkeit, die Höchste der Götter, die Königin der Abgeschiedenen, die Erste der Himmlischen, die einheitliche Gestalt der Götter und Göttinnen. Des Himmels lichten Giebel, des Meeres heilbringende Winde, das Schweigen der Toten — das alles verwalt' ich mit meinem Winke. Meine alleinige Gottheit verehrt unter verschiedener Gestalt, in wechselndem Brauch, mit vielartiger Benennung der ganze Erdkreis: die Phryger als Göttermutter, die Athener als Athena, die Kyprier als Aphrodite, die Kreter als Artemis Diktynna, die Sizilier als Persephone, die Eleusinier als Demeter, andere als Hera oder Bellona oder Hekate oder Nemesis: doch die von den Strahlen der aufgehenden Sonne erleuchteten Äthiopen und Arier und die uralter Weisheit mächtigen Ägypter verehren mich mit den mir zustehenden Bräuchen und nennen mich mit meinem wahren Namen: Königin Isis". Da sehen wir die zerfallenden Religionen der antiken Völker unter orientalischer Führung auf dem Weg zu einem naturreligiösen Monotheismus. Die orientalischen Kulte wurden durch die Massen der importierten Sklaven, aber auch durch Kaufleute und Soldaten nach Rom gebracht und dort von landsmannschaftlichen Ver') Apuleius Metam. 11, 5. Zum Ganzen vgl. H. Usener Götternamen S. 341—349. Roscher Myth. Lex. 3, 1555.

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1. Das römische Weltreich

einigungen gepflegt 1 . Sie gewannen hier und da Gönner in den maßgebenden Kreisen, schließlich am Hofe und stärkten dadurch ihre propagandistische Kraft. Von Rom strömten diese Einflüsse dann in die westlichen Provinzen, zunächst von denselben Elementen getragen, die sie auch nach Rom gebracht hatten, dann aber auch die bodenständige Bevölkerung erfassend: dies letztere natürlich in sehr verschiedenem Ausmaß 2 . Das alles ist uns von Meisterhand geschildert 3 und braucht hier nicht aufs neue dargelegt zu werden. Es mag genügen, die religiöse Entwicklung an einigen Beispielen aufzuzeigen. Wenn wir uns von Rom zu der jetzt in weitem Umfang ausgegrabenen Hafenstadt Ostia begeben, so erhalten wir sofort nützliche Belehrung über unser Problem. Der alte Stadtgott ist Volcanus: sein Priester steht an der Spitze der geistlichen Honoratioren und führt eine Art Oberaufsicht über alle sakralen Grundstücke. Sein Tempel ist noch nicht aufgedeckt. Das unter Claudius ausgebaute Forum trägt zunächst ein „Kapitol" d. h. einen der kapitolinischen Trias Juppiter, Juno, Minerva geweihten Tempel: das gehört sich so für eine mit römischem Bürgerrecht ausgestattete „Kolonie". Ihm gegenüber liegt ein Tempel der Roma und des Augustus, also ein Heiligtum des Bekenntnisses zu Kaiser und Reich. Aber es finden sich in einer Nebengasse hinter der Hauptstraße noch vier kleine Tempel aus letzter republikanischer Zeit, in denen wir vielleicht die von einem reichen Bürger namens Gamala gestifteten Tempel der Venus, Fortuna, Ceres und Spes zu erblicken haben 4 . Davor steht ein kleiner Juppitertempel des ersten Jahrhunderts. Wem der große Tempel auf dem Mittelplatz der Schiffahrtsbörse galt, wissen wir nicht. Dann hören wir noch im 2. Jahrhundert von der Wiederher') G. La Piana Foreign groups in Rome during the first centuries of the empire 1927 (aus Harvard Theol. Review). 2 ) Reiches Material gibt J. Toutain Les cultes pai'ens dans l'empire romain Bd. 2, Paris 3 1911. ) F. Cumont, Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum. 3. Aufl. 1931 4 ) CIL 14 n. 375 = Dessau, Inscr. lat. n. 6147, dazu O. Seeck, Untergang 2, 156 f. mit Anm. S. 523 f. Calza Ostia S. 117 f.

Kulte in Ostia

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Stellung eines Tempels des Castor und Pollux 1 , damit ist unser Wissen um Tempel der alten Götter Roms zu Ende. Die von Claudius zur modernen Hafenstadt umgebaute Kolonie huldigte den neuen Göttern der Loyalität und denen des Orients. Es ist bezeichnend, daß der Gartengott Silvanus, der nicht zu den großen Göttern gehört, aber als segenspendender Naturdämon auch in Ostia eifrige Verehrung genießt, schon in der Antoninenzeit nicht nur mit den Laren, sondern auch mit Isis und Sarapis verbunden wird 2 . Eine im dritten Jahrhundert mit einem Wandbild des Silvanus ausgestattete kleine Kapelle enthält auch ein Bild der Laren und der Isis neben Augustus, Fortuna, Liberalitas und Alexander dem Großen®. So ist es nicht zweifelhaft, daß es in Ostia auch ein Heiligtum der ägyptischen Götter gegeben hat: es ist nur noch nicht aufgefunden. Dagegen ist eine Kapelle der Großen Mutter Kybele an der Stadtmauer zu Tage getreten, eine Kultgrotte des Sabazius liegt ganz nahe bei der Hauptstraße, und dem Mithras sind mindestens fünf Heiligtümer geweiht, von denen das älteste gegen 140 gebaut ist 4 . Das im Kult der Großen Mutter eingebürgerte und mit einer Bluttaufe des Opfernden verbundene Stier- oder Widderopfer (Taurobolium und Kriobolium) wird in Ostia seit den Tagen des Mark Aurel „für das Heil des Kaisers und das Wohl des ganzen kaiserlichen Hauses" eben so eifrig geleistet5, wie es in den westlichen Provinzen Sitte ist. Dorthin scheint dieser schaurige Brauch von der römischen Kultstätte am Vatikan gebracht zu sein 6 , und in Rom selbst hat man Zeugnisse für seine Ausübung bis zum Ende des vierten Jahrhunderts gefunden. Kein östlicher Kult hat so fest im ganzen Westen Wurzel geschlagen und ist so tief in alle Schichten der Bevölkerung eingedrungen wie die Verehrung der Großen Mutter vom Berge, der Kybele7. 3 CIL 14 n. 376. -') CIL 14 n. 20. ) Calza Ostia 19. 133 f. ) Calza Ostia S. 119. 134. 165. 169 f. Vgl. die Pläne S. 17. Sabazius S. 92, Kybele S. 168. Datum: CIL 14 n. 33. 67. 5 ) CIL 14 n. 40—43. 4301—4306. e ) Dessau Inscr. lat. n. 4131. Wissowa Religion 3 322—325. 7 Cumont Orient. Rel.3 61 f. ) Toutain Cultes paiens 2,111—119. 4

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1. Das römische Weltreich

Im übrigen Abendland fehlt es uns im allgemeinen an Städten, die in solchem Umfang ausgegraben sind, daß wir einen wirklich umfassenden Uberblick über die Stellung ihrer Einwohnerschaft zur Religion gewinnen können. Was uns im westlichen Kleinasien möglich war, läßt sich in analoger Weise nur im nördlichen Afrika wiederholen. Im Jahre 100 wurde durch den Kommandanten der seit Augustus in Afrika stehenden dritten Legion 1 ein Trupp Veteranen in Timgad angesiedelt, und dieser Ort ist sofort zu einer regelrechten Landsturmkolonie ausgebaut worden, die schnell aufblühte und Jahrhunderte hindurch bestand, bis sie im 6. Jahrhundert zerstört wurde 2 . Den religiösen Bedürfnissen dieser alten Soldaten genügten drei Tempel, von denen die beiden größeren außerhalb der Stadtmauer liegen. Mächtig ragen noch heute die Säulen des Kapitols gen Himmel, das wie in Ostia als Wahrzeichen der Bürgerkolonie errichtet und der Trias Juppiter, Juno, Minerva geweiht ist. Am Westtor liegt der 151 erbaute Tempel des Ortsgenius von Timgad, mit dessen Kult die Verehrung sowohl der kapitolinischen Dreiheit als auch des Bacchus, Silvanus und Mars verbunden war. Der Kult der Stadtgenien ist in den städtereichen Provinzen Afrika und Spanien besonders verbreitet 3 : er ist nur eine besondere Form der in der Kaiserzeit reich entfalteten Geniusvorstellung, die es liebt, ein namenloses Wesen als göttliche Schutzmacht eines Ortes, eines Gebäudes, einer Gemeinschaft zu verehren. Das ist zwar eine altrömische Weise, bedeutet aber in dieser Spätzeit eine pantheisierende Ausweitung des religiösen Gefühls. Silvanus genoß bei den Soldaten der dritten Legion einen besonderen Kult, dessen Grund wir nicht kennen. So ist es nicht verwunderlich, daß die Veteranen von Timgad ihn ihrem Genius zugesellen: und das Gleiche gilt von der bei Soldaten *) Dessau Inscr. lat. 6841. Ritterling bei Pauly - Wissowa 12, 2 1493—1505. ) Plan und Beschreibung bei Baedeker Mittelmeer S. 302—310. R. Cagnat Carthage, Timgad, Tebessa 3 1927 S. 44—126. CIL 8, 2340—2443. 10738—10743. Suppl. 2 p. 1693 n. 17811—p. 1712 n. 17939. 3) Toutain Cultes païens 1, 450 f.

Kulte in Timgad und Dougga

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sehr verständlichen Verehrung des Mars1. Vater Bacchus oder vielmehr „Liber", wie er jetzt meist genannt wird, hat in Afrika viele Freunde 2 , die ihm für die Gabe des Weins dankbar huldigen, und zwar rekrutieren sich diese weniger aus dem Soldatenstand als aus den Kreisen des ortsansässigen Bürgertums 2 . Wieweit der griechisch-römische Gott dabei Erbe eines heimatlichen Weingottes der Punier geworden ist, läßt sich für Timgad nicht entscheiden: an anderen Orten kann man es mit Bestimmtheit bejahen. Der dritte Tempel des Städtchens steht auf demMarkt hinter derRednerbühne.Dasläßtvermuten, daß er einem offiziellen Kult diente : einName wird uns leider nicht genannt. Die Inschriften bringen keine erheblichenneuenZüge in diesBild.DiesealtenSoldaten und ihre Nachkommen undErben leben in der amtlichen Frömmigkeit des Kaiserreichs und verehren daneben noch solche Göttergestalten des römischen Himmels, die ihnen traditionell nahestehen. Hier und da mag vielleicht Einfluß punischer Religion leise anklingen, aber das bedeutet nicht viel. In Timgad weht römische Luft: reinere als in Rom. Anders sieht es in Dougga aus. Dieser einst bedeutende Ort liegt südwestlich von Carthago und hat sich von einer ursprünglichen Berbersiedlung zur römischen Bürgerkolonie heraufgearbeitet 3 . Am Forum erhebt sich das elegante Kapitol, dessen Giebel eine Darstellung der Himmelfahrt des vergotteten Kaisers schmückt und das laut Weihinschrift zur Zeit Mark Aurels etwa 168 erbaut ist 4 . Dies ist das Haus der amtlichen Kultübung für die römische Trias. Aber oben auf der Höhe über der Stadt ragte der prächtige Tempel des Saturn, der in der Severerzeit 195 an die Stelle eines älteren Heiligtums getreten ist 5 : aber dieser in beiden Tempeln verehrte Saturn ist kein römischer Gott, sondern der punische Baal". Und seine Gemahlin, die Dea Caelestis, das heißt die Himmelskönigin Tanit 6 , hat ihren Tempel im Westen des Ortes, wo er noch heute, gut erhalten und von halbkreisrunder Mauer l 2 ) Toutain, Cultes pai'ens 1, 253, 262. ) Toutain 1, 361—364. ) Baedeker Mittelmeer S. 371—373. Cagnat Carthage, Timgad, Tebessa3 S. 67 gibt einen Plan. 4) CIL 8,1471=Suppl. 1 n. 15513. 5) CIL 8 Suppl. 4 n. 26498. 6) Toutain Cultes paiens 3,15 ff.

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1. D a s römische Weltreich

umgeben, marmorleuchtend zwischen den Oliven schläft. Auch dies Gebäude entstammt der Zeit der afrikanischen Dynastie: es ist unter Alexander Severus, also um 230, erbaut 1 . Aber auch hier kann kein Zweifel obwalten, daß es ein älteres Heiligtum ersetzt. Das große afrikanische Götterpaar Baal und Tanit hat durch die Jahrhunderte hindurch die religiösen Gefühle der Einwohner von Dougga auf sich vereinigt. Schließlich erfahren wir noch von einem Tempel des Merkur, der mit zwei Innenräumen, einer Säulenhalle und Apsiden ausgestattet war, ja wir hören sogar, daß der Platz für das Heiligtum des Merkur von der Stadt geschenkt worden ist 2 . Aber auch dieser Gott gehört nicht dem römischen Kreise an, sondern ist ein einheimisches Wesen, dessen Kult uns ringsum in den kleinen Landstädten Afrikas begegnet — nur freilich können wir seinen Namen nicht ermitteln 3 . Timgad und Dougga sind Vertreter zweier entgegengesetzter Typen religiösen Lebens: gemeinsam haben sie miteinander das beinahe 4 vollständige Fehlen jedes orientalischen Importes. Dies ist in gewissem Sinne charakteristisch für die afrikanischen Provinzen überhaupt. Die bodenständigen Religionen genügten den Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung auch in der Kaiserzeit noch, zumal sie in lateinischer Umformung sich der höheren Kultur der Zeit anpaßten. Nur die Mysterien der Großen Mutter mitsamt dem Taurobolium sind in den Kreisen des städtischen Bürgertums aufgenommen und eifrig gepflegt worden 5 . Die übrigen Kulte des Ostens, also die Verehrung der ägyptischen und syrischen Götter, haben ihre Stätten in den großen Garnisonen, vor allem in Lambaesis 6 . Auch für die Mithrasreligion sind die Soldaten aller Grade und ihnen folgend die Provinzialbeamten die entscheidenden Förderer: neben ihnen wirken orientalische Sklaven in 2 ) C I L 8 Suppl. 4 n. 26478—82. ») C I L 8 Suppl. 4 n. 26457—63. ) Toutain Cultes païens 1, 299—307. 4 ) In T i m g a d ist ein mithrischer Dadophor gefunden (Toutain 2, 147 A. 1), in Dougga ein Dendro5 ) Toutain 2, 101 ff. 109 ff. phor bezeugt C I L 8 Suppl. 1 n. 15527. Taurobolium und Kriobolium: Dessau Inscr. lat. 4136. 4142. 6 ) Toutain 2. 18 ff. 56 ff. 3

Religionen am Rhein

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den Hafenstädten als Künder des neuen Glaubens, der seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts auch in Afrika eindringt 1 . Die Denkmäler und Inschriften der germanischen Grenzprovinzen am Rhein zeigen uns nicht das gleiche Bild 2 . Hier treffen römische Soldaten italienischer Abkunft mit solchen aus anderen Gebieten des Reiches zusammen; Orientalen kommen ins Land, meist als Soldaten, vereinzelt auch als Händler oder als Sklaven. Die Provinzen selbst spiegeln ihre wechselvolle Geschichte wider in dem Gemisch der Bevölkerung, die keltisch-gallische und germanische Elemente verbunden zeigt. Und dieser Buntheit der Völker entspricht die Mannigfaltigkeit der Religiosität. In den großen Garnisonen steht der amtliche Kult der römischen Götter und Kaiser an erster Stelle, aber neben ihm und in den Herzen der Mannschaften sicher viel lebendiger wirkend finden wir die Verehrung des Juppiter Dolichenus und vor allem des Mithra: beide sind im zweiten und dritten Jahrhundert bei den Soldaten wahrhaft volkstümlich. Die einheimische Bevölkerung dient ihren angestammten Göttern, baut ihnen Tempel und stiftet Weihdenkmäler, die in lateinischer Sprache beschriftet sind und die Namen der Götter entsprechend umstilisieren — wie es uns Cäsar und Tacitus lehren 3 . Wenn wir also hier Merkur, Mars oder Herkules genannt finden, so wissen wir, daß die römischen Worte keltische oder germanische Götter decken: nicht selten wird das auch durch einen Beinamen ausdrücklich gesagt 4 . Aber neben diesen hohen Göttern lebt eine Schar niederer oder nur örtlich wirksamer Gottheiten, für die es keine römische Etikette gab. Die treten mit ihren wirklichen Namen vor uns auf als Rosmerta, Visuna, Abnoba und erscheinen zuweilen auch im Bilde: so besonders gern die Schützerin der Pferde Epona >) Toutain 2, 146 ff. 163 ff. Vgl. die Karte bei Cumont Mysterien des Mithra 2 1911. 2 ) H. Lehner Orientalische Mysterienkulte im römischen Rheinland, Bonner Jahrbücher Heft 129 (1924) S. 36—91. 3 ) Caesar Bell. Gall. 6, 17. Tacitus Germ. 9. ') Wissowa im Archiv f. Religionswiss. 19, 8 ff. Zusammenstellung des Materials bei A . Riese Das rheinische Germanien in den antiken Inschriften S. 289—366.

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1. Das römische Weltreich

auf ihrem Tier im seitlichen Sitz reitend oder die drei „Matronen" mit ihren mächtigen Hauben und den Fruchtkörben auf dem Schoß; aber auch der stiergestaltige Wassergott Tarvos 1 oder der baumfällende Handelsgott Esus. Im Altbachtal zu Trier ist in jüngster Zeit ein Tempelbezirk ausgegraben, der die einheimische Religionsgeschichte der römisch-germanischen Hauptstadt vom ersten bis ins vierte Jahrhundert aus den Trümmern von mehr als 30 Heiligtümern abzulesen gestattet 2 . Alles ist keltisch oder germanisch — aber als sich eines Tages ein gewisser Martius Martialis ein großes Haus inmitten dieser Heiligtümer baute, hat er sich darin für seine und seiner Freunde private Andacht ein Mithraeum anlegen lassen: und das ist sicher nicht das einzige in Trier gewesen 3 . Der Mithraskult hat sich in Germanien nicht auf die Truppen an der Grenze beschränkt, sondern auch in der einheimischen Bevölkerung im Innern des Landes Freunde gewonnen. In diesen Kreisen wird ferner den ägyptischen Göttern vielfach Verehrung gewidmet und der phrygischen Großen Mutter gehuldigt, sogar mit dem Taurobolium 4 ; und daß auch orientalischer Sternglaube nicht fehlt, lehren die zahlreichen Wochengöttersteine mit den Bildern der sieben Planeten. Mit der fortschreitenden Romanisierung haben die gebildeten Schichten der Bevölkerung auch die religiösen Anregungen der östlichen Reichskultur übernommen und an andere Volkskreise weitergegeben. Alle diese orientalischen Kulte haben das miteinander gemeinsam, daß sie ihre ursprüngliche nationale Beschränkung abgelegt haben und Universalität anstreben; und die meisten von ihnen haben die Form von Mysterienkulten angenommen und bilden eng geschlossene Gemeinden der Bekehrten und Geweihten 5 . In den Mysterien der Isis liefert der Mythus vom Tod und der Wiederbelebung des Osiris den Mittelpunkt, um den sich die Fülle der ägyptischen und ägyptisierenden Riten S. Heichelheim bei Paulv-Wissowa 4, 2453 ff. 3 ) S. Loeschckc Die Erforschung des Tempelbezirks im Altbachtale zu Trier 1928. 2 ) Lehner, Bonner Jahrbücher 129, 87 n. 263—267. 4 ) CIL 13, n. 11352. Riese rhein. Germ. S. 457 n. 3068 b. 5 ) s. Bd. 1, 174.

Mysterienkulte. Isis. Kybele.

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gruppiert. Ende Oktober feiert man das Gedächtnis seines Todes, und mit lauten Klagen begleitet die jammernde Gemeinde die hohe Göttin bei ihrem verzweifelten Suchen. Endlich wird der Leichnam zerstückelt aufgefunden, die Glieder wieder vereinigt, und mit rauschendem Jubel grüßt die beglückte Schar den zum Leben erweckten G o t t — den Garanten der Unsterblichkeit für jeden einzelnen seiner Gläubigen. Wer in diese heilige Gemeinschaft eintreten will, muß sich nach langer kultischer Vorbereitung einer Weihezeremonie unterziehen, die ihn — wie Apuleius 1 von sich geheimnisvoll berichtet — an die Grenze des Totenreichs gelangen und auf die Schwelle der Proserpina treten läßt und ihn schließlich an allen Elementen vorüber zurückführt. „Mitten in der N a c h t sah ich die Sonne in blendendem Licht erstrahlen, die Götter in Hölle und Himmel hab ich besucht und von Angesicht zu Angesicht angebetet". Der Myste leidet den Tod, um durch die Macht der Isis geschützt aus dem Totenreich zurückzukehren, neubelebt und durch die Gottschau selber zum unsterblichen Gott geworden. Mit dem Himmelskleid geschmückt, das Haupt mit einem Strahlenkranz umwunden, zeigt sich im Bilde des Sonnengottes der Neugeweihte der Gemeinde. Klage um den T o d und Freude über die Wiederbelebung des Gottes ist auch der mythische Inhalt für das Hauptfest der Großen Mutter vom Berge, der Kybele 2 : am „Bluttage" pflegten sich einst die durch rasenden Wirbeltanz in bewußtlosen Taumel versetzten Mysten blutige W u n d e n zu schlagen oder gar in höchster Ekstase sich nach dem Vorbild des Attis zu entmannen, später spritze das Blut wenigstens aus den zerschundenen A r m e n der tanzenden Priester. Aber diesem Trauertag folgte sofort das Jubelfest der „Hilaria" am 25. März, wo der Eintritt des Frühlings als die Auferstehung des Attis gefeiert wurde 3 . U n d auch in dieser Religion ist eine Mystenweihe besonderer A r t aufgebaut worden, die uns seit Apuleius Metam. 11, 23 f. Dazu M. Dibelius Die Isisweihe bei Apuleius. Heidelberger Akad. Sitzungsber. 1917 Abh. 4. 2 ) H. Hep3 ding, Attis S. 98 ff. 158 ff. 165 ff. ) Marquardt Rom. Staatsverwaltung 32. 372 f. und Wissowa Religion 2 320 ff.

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1. Das römische Weltreich

der Mitte des zweiten Jahrhunderts faßbar wird und zwischen Rom und den westlichen Provinzen des Reichs hin- und herwandert. Als Taurobolium und Kriobolium wird uns ein feierliches Stier- und Widderopfer bezeichnet, das als solenner Kultakt „für das Heil des Kaisers" dargebracht zu werden pflegt. Damit ist sicher im dritten Jahrhundert, vielleicht schon von Anfang an, eine Bluttaufe des Spenders verbunden, der in einer Höhlung unter dem Tier verborgen die Blutströme über sich fließen läßt und danach von den Gläubigen mit Gebetshuldigung begrüßt wird 1 . Er ist durch diese Taufe „wiedergeboren" — einmal lesen wir „auf ewig", aber anderweitig ist von einer Wiederholung der Bluttaufe nach 20 Jahren oder vielleicht auch nach 28 Jahren die Rede 2 . Sicher ist diese Zeremonie nicht die normale Weihe der Neubekehrten gewesen — dazu waren die Stiere zu teuer — sondern eine außergewöhnliche Leistung hervorragender Mitglieder zu besonderen Gelegenheiten. Der — anscheinend auf Männer beschränkte — Kult des persischen Lichtgottes Mithra hat sich im Lauf des zweiten Jahrhunderts in einer für Missionszwecke sehr geeigneten Mischform verschiedenartiger Elemente im Westen des Reichs gewaltig ausgedehnt, und die Soldaten haben ihn an alle Grenzen getragen. Im dritten Jahrhundert steigt seine Bedeutung noch weiter. Er ergreift auch nichtmilitärische Kreise der Bevölkerung und wird schließlich durch Verbindung mit der amtlichen Sonnenverehrung geadelt. Der Mithrasdienst hat die Herzen vielleicht am stärksten ergriffen, weil er den Typ des Mysterienkultes am breitesten ausprägt 3 . Die einzelnen Gemeinden sind nicht groß an Mitgliederzahl gewesen: alle Heiligtümer sind kleine Räume, in denen kaum hundert Mann Platz finden. So konnte sich eine engere Gemeinschaft von Kameraden bilden, der aber doch die gewohnten militärischen Rangstufen nicht fehlten. Denn in sieben Graden war die Beschreibung bei Prüdentius Peristephanon ) Dessau Inscr. lat. 4152. 4154 vgl. 4150 und Lagrange que 36, 561—566. H. Hepding Attis S. 197 ff. Wissowa 3 ) Cumont Orient. Relig. 3 136 ff. Mysterien d. Mithra 2

10, 1011—1050. in Revue bibliReligion 2 322ff. 125 ff.

Das Taurobolium. Mithra. Das Judentum

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heilige Schar gegliedert: und von der einen zur anderen Stufe gelangte man nur durch harte Prüfungen, die Selbstzucht und Furchtlosigkeit verlangten. Wir hören von Taufen und heiligen Mahlzeiten der Kultgenossen, von Unsterblichkeit und himmlischem Lohn, aber auch von Sittengeboten des Mithra, die einen asketischen Zug haben 1 . Jedenfalls ist klar, daß der Myste des Mithra ein Kämpfer sein soll für den Gott des Lichts, der Reinheit, der Wahrheit gegen das Reich der Finsternis und Lüge: auf dem persischen Dualismus hat sich eine männlich starke Moral aufgebaut 2 , die wohl geeignet war, Soldatenherzen zu gewinnen und den unsicher umhertappenden Zeitgenossen einer Kulturkrise festen Halt zu schaffen. Aber mit philosophischem Grübeln hat sich diese Religion nicht beschwert: um Griechenland und das griechische Kleinasien ist sie in weitem Bogen herumgegangen — und das hat sich letzten Endes doch gerächt. Das Christentum hat gerade von diesen Gegenden aus seinen Weg begonnen. Das Judentum beginnt um diese Zeit allmählich aus dem Gesichtskreis des Historikers zu verschwinden. Das Volk selbst hat nichts getan, um seine Schicksale dem eigenen Gedächtnis zu erhalten, und die anderen Geschichtsschreiber haben sich nicht viel um Israel gekümmert. Die große Kette von jüdischen Aufständen unter Trajan und Hadrian 3 mit ihren entsetzlichen Grausamkeiten hat eine noch gräßlichere Sühne gefunden und den Yolksbestand der orientalischen Juden katastrophal gemindert. Wir hören von „vielen Zehntausenden", die bei solchen Strafexpeditionen abgeschlachtet werden 4 , und ein römischer Historiker nennt uns Zahlen allein der Hadrianische Krieg vernichtete in Judäa außer Jerusalem fünfzig befestigte Orte und 985 Dörfer; im Kampfe fielen 580 000 Juden, und dazu kommen noch die unermeßlichen Verluste durch Hunger, Krankheit und Feuer. Die Zahlen sind merkwürdig genau und stammen vielleicht aus einer ') Justin Apol. 66, 4. Tertullian praescr. haer. 40. Porphyrius de abstin. 4, 16. Julian Caesares am Ende. 2 ) Cumont Orient. Relig.J 143 ff. 3) s. o. S. 3. 4 ) Euseb. KG. 4, 2, 4. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

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1. Das römische Weltreich

amtlichen Siegesmeldung: buchstäblich richtig brauchen sie darum noch nicht zu sein, aber sie geben eine Vorstellung von dem Eindruck, den die Weltöffentlichkeit von den Kriegsfolgen gewann. Tatsächlich sind ganze Provinzen, Palästina, Mesopotamien, Libyen, Cypern von jüdischer Bevölkerung geräumt worden. Der Hadrianaufstand war durch ein allgemeines Verbot der Beschneidung ausgelöst worden 1 : das war für die Juden so unerträglich, daß sie selbst unter Antoninus Pius noch einmal revoltierten und es schließlich erreichten, daß ihnen die Erlaubnis zur Vollziehung dieses religiösen Ritus wiedergegeben, dagegen die Beschneidung von Nichtjuden erneut unter schwerste Strafe gestellt wurde 2 . Und dies Gesetz hat dauernden Bestand gehabt: damit war praktisch die Gewinnung von Proselyten unmöglich gemacht und die jüdische Weltmission unterbunden. Noch immer gab es freilich eine Einwirkung von Mensch zu Mensch, und wir hören noch Jahrhunderte lang von einer stillen jüdischen Propaganda: aber die Zeit der großen Werbung, die Hoffnung auf religiöse Welteroberung ist vorbei. Dafür sehen wir in steigendem Maße das Judentum auf die synkretistische Religiosität einwirken und namentlich in Mystik und Magie Einfluß gewinnen. Die hermetischen Schriften, von denen später zu reden sein wird, sind vom Judentum ebenso erfüllt wie die Zauberpapyri und magischen Gemmen: hier spürt man auf Schritt und Tritt jüdische geheime Weisheit. Die Stellung der Juden im öffentlichen Recht hat sich trotz der blutigen Aufstände nicht geändert, und als Caracalla das römische Bürgerrecht auf das ganze Reich ausdehnte, wurden auch die Juden damit beschenkt 3 . Selbst die religiöse Zentralorganisation, die sich das Volk nach der Zerstörung Jerusalems aufgebaut hatte, wurde anerkannt. Der „Patriarch" leitete die Judenschaft und zog durch seine „Apostel" von ihr eine besondere Steuer ein — die frühere Tempelsteuer floß ja Spartian Hadr. 14, 2. 2) Julius Capitol. Ant. Pius 5, 4. Modestinus in den Digesten 48, 8, 11 pr. 3) Juster les Juifs 2, 23.

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Das Judentum

jetzt in die römische Staatskasse — und sprach in Palästina Recht in solchem Umfang, daß sogar Todesurteile von ihm gefällt wurden*. Das Synedrium freilich war in seiner alten Gestalt verschwunden. An seiner Stelle galt eine Art Rabbinerakademie in Jabne, später in Tiberias als theologischjuristische Oberinstanz 2 . Wir treten jetzt in die Periode der schriftlichen Fixierung der Gesetzestradition ein, die sich in der Redaktion der „Mischna" kundgibt und damit die entscheidende Grundlage für die weitere Entwicklung des orientalischen Judentums liefert. Auf ihr wird im dritten und vierten Jahrhundert in Tiberias weitergebaut: der sogenannte „palästinensische" Talmud gibt Zeugnis von dieser Arbeit. Aber das Schwergewicht des Judentums war inzwischen nach Osten gewandert, und die Judenschaft von Babylon hat im fünften Jahrhundert in dem nach ihrem Wohnsitz benannten Talmud das für die Zukunft maßgebende Werk geschaffen. In dem Maße, wie das hellenisierte Judentum des römischen Reiches an Zahl und Einfluß abnimmt, steigt das Judentum rein orientalischer Prägung empor, um schließlich die Alleinherrschaft im Volk zu gewinnen. Ein höchst eindrucksvolles Beispiel des Zustandes dieser Ubergangszeit haben uns die jüngsten Ausgrabungen an der Euphratfestung Dura geliefert. Hier, außerhalb der Reichsgrenze, aber in enger Verbindung mit Palmyra auf der einen, dem Parther- und Perserreich auf der anderen Seite, finden wir eine reiche und selbstbewußte jüdische Kolonie, die aramäisch, parthisch und griechisch spricht. Den gesetzlichen Vorurteilen gegen Bilder steht sie völlig frei gegenüber und läßt von guten Künstlern die Wände ihrer Synagoge von oben bis unten mit Reihen von Bildern aus der biblischen Geschichte bemalen. Darunter ist auch die Zertrümmerung des Dagonbildes im Philistertempel samt dem Abtransport der Bundeslade (1. Sam. 5 und 6) dargestellt 8 : aber statt des Dagon *) Orígenes epist. ad Afric. 14 (17, 44 f. Lo.). 2) Schürer Gesch. 2, 247. Juster les Juifs 1, 401. 3) Illustrated London News 1933, July 29 S. 190. 3*

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1. Das römische Weltreich

liegen auf dem Boden die Trümmer der in Dura höchst verehrten palmyrenischen Hauptgötter! Diese Judengemeinde fühlt sich turmhoch über ihrer Umgebung stehend: talmudisch empfindet sie noch nicht. Aber Israels Weg war entschieden. Es trennte sich endgültig vom hellenistischen Geist eben um diese selbe Zeit, in der das Christentum sich ihm unlöslich vermählte.

Die Kirche Geschichte zu schreiben ist eine uralte Kunst, aber Weltgeschichte haben zuerst die Griechen geschrieben. Herodot will den Heldenkampf der Perserkriege darstellen, aus dem Macht und Herrlichkeit des ihn umgebenden perikleischen Zeitalters erblüht ist, und er tut es, indem er ihn als letzte und entscheidende Phase eines uralten Ringens zwischen den Völkern des Orients, den Barbaren, und den Griechen begreift und deshalb die Gesamtgeschichte dieses gewaltigen Geschehens vor uns ausbreitet. So wird ihm die tausendfache Mannigfaltigkeit der Einzelgeschichten zu dem von e i n e m Gedanken aus begriffenen Ablauf einer die ganze Ostwelt beherrschenden Spannung. Er hat auch nach den Gesetzen gefragt, die im letzten Grunde die Weltgeschichte gestalten und ihr Sinn geben, und eine Antwort in religiöser Erkenntnis gefunden. Aber sein Götterglaube ist bereits gebrochen und nicht imstande, eine durchgehende Einheitlichkeit der Betrachtung zu schaffen 1 : wir hören von Schuld und Sühne, vom Sieg des Rechtes über den Frevel, aber auch von der Götter Neid und dem notwendigen Wechsel von Glück und Unglück, und schließlich von dem Schicksal, das auch die Götter nicht zu wenden vermögen. So ist die Weltgeschichte nur bis zu einer gewissen Grenze begreiflich und bleibt letztlich ein tragisches Rätsel wie so manches Einzelschicksal auf der Bühne des Lebens. Thukydides hat die Geschichtsschreibung von theologisierender Betrachtung befreit, sie auf diese erkennbare Welt und ihre Bedingungen beschränkt und dadurch ihren wissenschaftlichen Charakter begründet, zugleich aber auch die stofflichen Grenzen streng gezogen und dem Zerfließen in man1 ) v. Wilamowitz, Glaube der Hellenen 2, 206. Jacoby bei PaulyWissowa Suppl, 2, 479—483.

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2. Die Kirche

cherlei Bildergruppen gewehrt. Nach ihm hat lange Zeit niemand mehr gewagt, Weltgeschichte zu schreiben: das weitausgreifende Werk des Ephoros, das vor dem RegierungsantrittAlexanders des Großen vollendet wurde, ist nicht mehr als eine Stoffsammlung ohne leitende Idee gewesen1. Erst Polybios hat an den Beginn seiner meisterhaften römischen Geschichte wieder eine kühne weltgeschichtliche Erörterung gestellt. Er wirft die Frage auf, wie es gekommen sei, daß in den 53 Jahren von 220—168 fast die ganze Welt unter die Herrschaft der Römer kam. Eine Parallele hierzu kennt die Weltgeschichte nicht: alle früheren Dynastien, Perser, Lakedämonier, Makedonier, haben es nur zu vergänglichen Teilherrschaften gebracht, allein die Römer haben fast die gesamte bewohnte Welt sich zu eigen gemacht und damit etwas geschaffen, was auch in Zukunft nicht übertroffen werden kann. Vor 200 gab es nur Einzelgeschichten, von diesem Zeitpunkt an wird die Geschichte ein organisches Wachsen, das die Welt umspannt und sie einem und demselben Ziel zutreibt 2 . Das heißt doch nichts anderes, als daß Polybios die gewaltige Bedeutung des selbsterlebten Geschehens klar erkannt hat und im Römerreich das Ziel der Gesamtentwicklung erblickt: womit er für die nächsten 600 Jahre — in gewissem Sinne sogar für zwei Jahrtausende —• recht behalten hat. Für ihn beginnt die Weltgeschichte im Jahre 200 v. Chr. Ihre treibenden Kräfte sucht er mit nüchterner Sachlichkeit in den bekannten Kausalitäten dieser Erde und macht keine Ausflüge in das Gebiet des Unerforschlichen: nur daß er den irrationalen Faktor der Tyche, das heißt aber hier des Zufalls, an rechter Stelle zu würdigen weiß. An der Schwelle der römischen Kaiserzeit hat dann wieder Diodor eine Universalgeschichte geschrieben, aber nicht vom Geist der Wissenschaft bewegt, sondern um dem Publikum ein handliches Nachschlagebuch zu schaffen, in dem es das Wissenswerte aller Zeiten und Völker bequem finden konnte: mit Weltgeschichte hat das eigentlich nichts zu tun. ») E. Schwartz bei Pauly-Wissowa 6, 7 f.

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) Polyb. hist. 1, 1 -A.

Weltgeschichte bei Griechen und Juden

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Aber auch dieser Literatenseele ist es deutlich, daß das Römerreich die Summe der Geschichte bedeutet. Das israelitische Volk hat von Syrern und Assyrern, Ägyptern und Babyloniern so häufigen und so eindringlichen Anschauungsunterricht in Weltgeschichte bekommen, daß seine Augen sich bald an den weiten Horizont und große Uberschau gewöhnten; und der religiöse Grundzug seines Denkens wies ihm früh den Weg zu einer vom Gottesgedanken ausgehenden Sinndeutung des Weltgeschehens. Gott hat aus allen Völkern der Erde sich das eine Israel auserwählt, das er zum Segensträger für die ganze Welt bestimmt hat. Mag auch jetzt Krieg und Exil das Volk mit Not und Elend züchtigen, es wird doch der Tag kommen, wo Israel allen Völkern die wahre Gotteserkenntnis und damit das Heil bringen wird. Dann wird Gott seine Herrschaft in Zion aufrichten und alle Welt wird zu seinem heiligen Berge pilgern, um anzubeten. Und in mannigfachen Variationen leuchtet die Hoffnung auf, daß dieses Gottesreich auch die politische Unterwerfung aller Nationen unter Israel bescheren werde. Von da führt der Weg zu dem apokalyptischen Bild des wunderbaren messianischen Friedensreiches, das seit den Tagen des Jesaia 1 immer wieder die religiöse Phantasie der Propheten entzündet hat. Um dieselbe Zeit, als Polybius seine römisch orientierte Auffassung der Weltgeschichte gewann, hat Daniel dem jüdischen Volk der Makkabäerkämpfe seine Offenbarungen vorgelegt: darin wird an zwei Stellen, c. 2 und c. 7, der Sinn der Weltgeschichte enthüllt. Es folgen einander die Reiche der Babylonier, Meder, Perser, Makedonier: dies letzte, also das Reich Alexanders, zerbröckelt aber bereits und wird bald zerschmettert und durch ein neues Reich ersetzt werden, das Gott selbst aufrichten wird. In ihm wird der vom Himmel gesandte Menschensohn, der hier nur Symbol ist für das Volk der Heiligen des Höchsten, ewiglich die ganze Welt beherrschen 8 . Die Weltgeschichte mündet also nach göttlichem Plan in das messianische Gottesreich aus, wie es schon Jesaia geweissagt >) Vgl. Jes. 11, 6—9.

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) Daniel 2, 44. 7, 13. 18. 27. Vgl. Bd. 1, 11 f.

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2. Die Kirche

hatte. Wir haben bereits gesehen, wie dieser Gedanke im Spätjudentum weitergewachsen ist und sich mancherlei Formen gesucht hat 1 . Die Makkabäerzeit hat die Hoffnungen auf das große Wunder des Umsturzes aller irdischen Machtverhältnisse neu gefestigt, und unter dem Druck der römischen Herrschaft sind sie gewachsen und haben den verschiedenen Aufständen die innere Kraft geliefert bis hin zu der Katastrophe des Jahres 70 und dem letzten Verzweiflungskampf des Barkochbakrieges in hadrianischer Zeit. Die christliche Gemeinde hat das Erbe dieser jüdischen Enderwartung angetreten 2 und von der Apokalyptik gelernt, die Weltgeschichte als den Weg zum Reich Gottes anzusehen. Die johanneische Offenbarung zeigt uns, wie sich ein christlicher Seher das Ende dieser Welt und die Herrlichkeit des neuen Reiches denkt, wenn nach furchtbaren Zeichen des göttlichen Zorngerichtes Rom mit all seiner Pracht und Macht zusammenbricht und der Satan gebunden in den Abgrund stürzt. Uber den Trümmern dieser Welt erhebt sich dann ein neuer Himmel und eine neue Erde, und das himmlische Jerusalem leuchtet als Hauptstadt einem seligen Volke, das Gott und seinem Lamm untertänig ist und in seinem Lichte wandelt von Ewigkeit zu Ewigkeit. So oder ähnlich — es hat da sicher tausend Variationen gegeben — dachte sich die alte Christenheit den Ablauf der Weltgeschichte: fest und jedem Zweifel entrückt stand ihr die Tatsache, daß die großen Reiche dieser Welt mit dem Imperium Romanum ihre letzte und höchste Ausgestaltung gefunden hatten: diesem aber drohte die Katastrophe, und an seine Stelle trat das von der Parusie Christi eingeleitete Gottesreich der Verheißung. Die Dynastien der römischen Kaiser wurden abgelöst durch den König der Könige Christus. Er und sein Reich war Ziel und letzter Sinn der Weltgeschichte. Alles das war von Urzeiten an geweissagt und im Alten Testament verzeichnet: und die Verheißungen galten, wie PauBd. 1, 15. 25. 2 ) Von den Christen wird als das vierte Reich (vgl. S. 39) das römische angesehen, vgl. Hippolyt in Danielem 2, 12.

Das Gottesreich als Ziel der Weltgeschichte

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lus es ausgeführt hat1, nicht den Juden, sondern dem „geistlichen Israel", das heißt den Christen. Diese junge Religionsgemeinschaft hat das erstaunlich klare Bewußtsein davon, daß mit ihr ein völlig neues Element in die Geschichte eingetreten ist und die alten Maßstäbe zerstört hat. Die nationale Beschränktheit des bisherigen Religionswesens ist gefallen, ein neues Volk 2 tritt auf, das nicht mehr als jüdisch, griechisch, skythisch oder barbarisch angesprochen werden kann 3 , sondern etwas schlechthin Neues ist, ein „drittes Geschlecht" neben Heiden und Juden 4 , ein „auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, zum Eigentum Gottes bestimmt" 5 . Alle bisher in der Welt erschienenen Völker sind durch Fleisch und Blut bedingt und in ihrer Eigenart geformt: das Christenvolk allein ist aus dem Geist geboren, und zwar im Taufsakrament, das die aus allen Völkern auserwählten Christen zu einem neuen und überweltlichen Organismus zusammenschließt, den Paulus als den Leib Christi bezeichnet: so ist Christus denn auch das Haupt 6 . Und diese in Christus durch den Geist geeinte Gesamtheit der Christen heißt von früh an Ekklesia, Kirche. So nannte die griechische Bibel mit Vorliebe die Versammlung des Volkes Israel, und wenn die Christen diese Bezeichnung auf ihre eigene Gemeinschaft anwandten, so gaben sie eben dadurch dem Bewußtsein Ausdruck, das im Alten Testament mit Verheißungen bedachte auserwählte Volk Gottes, das geistliche Israel zu sein. Die Gesamtheit der Christen, die doch an vielen Orten der Erde wohnen, heißt Ekklesia, aber auch jede Einzelgemeinde wird so genannt: denn wo zwei oder drei versammelt sind in des Herrn Namen, da ist er mitten unter ihnen, da ist der Leib Christi sichtbar vorhanden, da ist „die Kirche". ») Gal. 3, 6—9. 6, 16. Rom. 4, 1—25. Phil. 3, 3. Vgl. Bd. 1, 128 f. «) Barnab. 5, 7. 7, 5. Or. Sibyll. 1, 383. vgl. Harnack, Mission 4 1, 262 ff. ») Kol. 3, 11. Gal. 3, 28. vgl. Rom. 10, 12. 1. Kor. 12, 13. 4) Kerygma Petri f. 2 S. 15, 8. Klostermann 2 (Kl. Texte 3). Aristides Apol. 2. Harnack, Mission 4 1, 259—289. 6) 1. Petr. 2, 9. 6 ) 1. Kor. 12, 13. 10, 17. Rom. 12, 5. Kol. 1, 18. 24. Ephes. 2, 11—19. 5, 23. 1. Petr. 2, 5. Hermas Vis. 3, 3, 3—5. Vgl. Bd. 1, 118 f. 226 f.

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2. Die Kirche

Der Verfasser des ersten Klemensbriefes drückt sich mit pedantischer Genauigkeit aus — und wir sind ihm dankbar dafür — wenn er sein Schreiben mit den Worten beginnt 1 : „Die Kirche Gottes, die in Rom zu Gaste ist, grüßt die Kirche Gottes, die in Korinth zu Gaste ist". Die eine Kirche wohnt auf Erden in der Diaspora, sie ist einstweilen noch „in alle vier Winde" und bis an der Welt Enden zerstreut 2 . Und sie ist auf Erden nur zu Gaste, ist ein Fremdling, denn „unsere Heimat, in der wir das Bürgerrecht haben, ist im Himmel"; die Christen sind Mitbürger der Heiligen droben und Hausgenossen Gottes 3 . Die eigentliche Heimat der Christen ist das himmlische Jerusalem, in dem der lebendige Gott ewiglich herrscht, inmitten unzählbarer Engelscharen und der Gemeinde der Auserwählten und Gerechten 4 . Dort ist die Stadt der Zukunft, der wir zustreben, das „Reich Gottes", welches die auf Erden zerstreute Kirche vereinigen wird 5 . Die Ekklesia ist nicht die Summe der irdischen Einzelgemeinden; sondern eine überirdische Größe, die alles umspannt, was Christus angehört und Glied an seinem Leibe ist, die hohen Engel und dienstbaren Geister, die schon vollendeten Seligen, Märtyrer und Bekenner, und die noch hienieden ringenden und kämpfenden Christen 6 . Diese Kirche liebt Christus wie seine Braut, sie ist sein Weib, das mit ihm eins ist, wie Mann und Weib es nach der Schrift sind: Adam und Eva im Paradiese bilden das Verhältnis Christi zur Kirche vor. Und wie Christus Geist, Pneuma, ist, so ist auch die Kirche geistlich und ewig: sie ist von Gott vor aller Welt, vor Sonne und Mond geschaffen 7 . So ist die Kirche Ursprung und Ziel alles Weltgeschehens, aber sie steht eben darum nicht in die') 1. Klem. 1 tit. vgl. Polyc. ad Phil. tit. Mart. Polyc. tit. 2 ) Didache 10, 5. 9, 4; vgl. Jak. 1 , 1 . 3 ) Phil. 3, 20. Ephes. 2, 19. vgl. 1. Petr. 4 ) Hebr. 12, 22—24. Apok. 21, 9—10. 1, 1. 2, 11. Hermas Sim. 1, 1. vgl. 19, 7. 6 ) Hebr. 13, 14. Did. 9, 4. 10, 5; Robert Frick, Gesch. d. Reich-Gottes-Gedankens 29 ff. 6 ) Vgl. Kol. 2, 9—12. 19 und Anm. 4. 7 ) Eph. 5, 29—32. 2. Klem. 14, 1—5; vgl. Ign. ad Polyc. 5, 1. ad Eph. 5, 1. Apok. 19, 7. 21, 9. 22, 17 und Mark. 2, 19. Par. Matth. 25, 1—13. Joh. 3, 29. 2. Kor. 11, 2; Präexistenz: 2. Klem. 14, 1. Hermas Vis. 1, 3, 4. 2, 4, 1.

Die Kirche als überirdisches Wesen

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ser Welt und ist noch weniger von dieser Welt, sondern die Welt ist um ihretwillen geschaffen und hat keinen Selbstzweck. Die Kirche hat ihren eigenen Organismus und ihre eigenen Gesetze, die Welt hat andere Gesetze: beide Größen stehen sich gegenüber wie zwei grundverschiedene Staatswesen 1 . Der Gedanke vom Gegensatz zwischen Gottesstaat und irdischem Staat, dem Augustins gewaltigstes Werk die klassische Form gegeben hat, gehört zum ursprünglichen Wesen des christlichkirchlichen Selbstbewußtseins. Wer als nüchterner Betrachter sich das Mißverhältnis zwischen der ungeheuren Fülle des Imperium Romanum, ja der ganzen Welt in sechs Jahrtausenden, und dem kleinen und zerstreuten Häuflein dieser Christenheit ansieht und sich lebendig vergegenwärtigt, daß diese Handvoll Menschen sich dem Römerreich fremd und stolz gegenüberstellt und behauptet, ihretwegen laufe die ganze Weltgeschichte —der begreift den griechischen Kritiker Celsus2, der entrüstet von diesen „Würmern" spricht, die behaupten, „sie kämen direkt nach Gott und seien ihm völlig gleich geworden, alles sei ihnen unterworfen, Erde und Wasser und Luft und Sterne, und ihretwegen sei alles d a ' und bestimmt, ihnen zu dienen". Er hat ganz recht. So können nur Schwärmer denken, und das sind gemeinhin Narren. Aber zuweilen, ganz ganz selten, ist ein Schwärmer ein Genie, ist die schwärmende Gemeinschaft Trägerin einer weltüberwindenden Kraft. Dann hört die analogisierende Berechnung des Historikers auf und er blickt durch die Ebene des normalen Geschehens hindurch in den Abgrund, aus dem die letzten und wissenschaftlich nicht erfaßbaren Kräfte aufsteigen. Der Glaube redet dann mit Recht vom Wunder. Die Substanz der Kirche ist der Geist. Wir haben bei der Betrachtung der ältesten Periode bereits gesehen, wie sich das Pneuma in der Christenheit kundgibt und brauchen hier nur ergänzend zu bemerken, daß sich die von Paulus so lebendig geschilderten enthusiastischen Wirkungen des Geistes auch im >) Hermas Vis. 1, 1, 6. 2, 4, 1. Sim. 1, 1—5. 2 ) Celsus bei Origenes c. Cels. 4, 23. 3) Vgl. etwa Justin App. 7,1. Aristides Apol. 16, 6.

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2. Die Kirche

zweiten Jahrhundert noch kräftig zeigen. Noch immer wandern Missionare durch die Länder und klingt die Zunge der Propheten betend und dankend, aber auch ermahnend, offenbarend und weissagend in den Versammlungsräumen der Gemeinden, zuweilen wohl auch auf freiem Platz und offener Straße. Und das große Ansehen dieses geistlichen Amtes, die Ehren und äußeren Vorteile, die es seinem Träger verschafft, locken gelegentlich auch sehr ungeistliche Elemente zu betrügerischem Tun. Schon die Kirchenordnung der Didache 1 gibt Anweisung zur Prüfung prophetischer Geistesträger: wenn ihre enthusiastischen Reden auf gutes Essen oder Geldforderungen für den eigenen Beutel hinauslaufen, soll die Gemeinde sie als Schwindler abweisen. Ein heidnischer Schiftsteiler der Antoninenzeit 2 hat uns ein mit sichtlicher Treue gezeichnetes Bild eines solchenAbenteurers geliefert, der nach allerlei Mißerfolgen auf verschiedenen Lebensgebieten Christ wird und als Prophet auftritt, die Gottesdienste leitet, Bibel erklärt, eigene Traktate schreibt und große Verehrung bei den Gemeinden genießt; schließlich wird er gar ins Gefängnis geworfen, was ihm eine weitere Steigerung seines Ansehens einträgt und seinen Lebensunterhalt nach der Freilassung sicherstellt — bis er bei einem Verstoß gegen die kultische Kirchensitte ertappt wird: das macht sofort seinem Prophetentum ein unrühmliches Ende. Wenige Jahre später berichtet uns ein anderer Christenfeind, der schon vorhin genannte Celsus3, von seinen Erfahrungen mit christlichen Propheten, die er selbst in Phönizien und Syrien gehört zu haben versichert. Sie treiben sich in großer Zahl innerhalb und außerhalb der Heiligtümer herum, suchen auch bettelnd die Städte und Militärlager auf und predigen: „Ich bin Gott oder Gottes Sohn oder der heilige Geist. Ich komme. Die Welt geht unter, und ihr Menschen fahrt um eurer Sünden willen dahin. Ich will euch erretten. Ihr werdet mich wiederkommen sehen mit himmlischer Macht. Selig, wer Did. 11, 7—12. 2 ) Lukian de morte Peregrini 11—16. sus bei Origenes 7, 9—11.

») Cel-

Die Pneumatiker

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mir jetzt dient, aber auf die andern alle werde ich ewiges Feuer regnen lassen, auf Städte und Länder. Die Menschen, die nichts von ihren Strafen wissen, werden umsonst Buße tun und stöhnen, aber die an mich geglaubt haben, werde ich in Ewigkeit bewahren." Das ist unfreundlich, aber scharf beobachtet: aus dem Propheten spricht der Geist Jesu selbst in der Ichform; er kündet die Parusie an und schreckt die Sünder mit furchtbarer Drohung. Und wenn Celsus hinzufügt, daß die Rede am Ende in unverständliche und wahnwitzige Laute ausgehe, die keinerlei Sinn gäben und nur einem Schwindler deutbar seien, so haben wir die uns wohlbekannte 1 Erscheinung des Zungenredens mit nachfolgender Deutung vor uns. Daß Celsus das alles für Betrug hält und sich dafür auf das eigene Geständnis solcher Propheten berufen zu dürfen glaubt, wird niemand Wunder nehmen, zumal die Christen selbst sich vor derartigen Betrügern nicht sicher wußten. Aber im Großen und Ganzen ist das Bild des echten pneumatischen Ekstatikers richtig gezeichnet. Nur freilich: die große Zeit des christlichen Prophetentums ist vorbei, und was Celsus gesehen hat, sind kleine Leute an der geographischen und geistigen Peripherie der Kirche, die von der Ehre einer untergehenden Institution die Reste aufsammeln. Die maßgebenden Kreise in der Kirche waren längst mehr als mißtrauisch gegen all diese Geisterei geworden, und man sah sich die Leute genau darauf an, ob sie auch eine den Geboten des Herrn entsprechende Lebensweise 2 führten. In den paulinischen Briefen war ja nachdrücklich allem pneumatischen Wesen die Richtung auf Betätigung christlicher Tugenden gewiesen, und das hohe Lied von der Liebe, die da bleibt, wenn alles Prophezeien und Zungenreden vergeht, wurde nicht vergessen. Der aus dem synagogalen Proselytentum übernommene Moralismus wirkte in ähnlichem Sinne, und so fanden die Worte der Bergpredigt immer aufs neue den Weg zu den Herzen der Gemeinde und formten ihre Begriffe vom christlichen Leben. In den Anfangskapiteln der Didache kann ») Bd. 1, 125.

2

) Did. 11, 8. 10.

2. Die Kirche

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man sehen, wie sich die Worte des Herrn mit den alttestamentlichen Geboten zu einer Einheit verbinden, und wir haben allen Grund zu der Annahme, daß die Lebensführung der großen Masse der Christen durch diese Lehren bestimmt wurde. Auf diesen Boden mußten auch die Pneumatiker treten, und das dämpfte die subjektive Willkür beträchtlich, war auch ein Schutz gegen den grundsätzlichen sittlichen Libertinismus, der in manchen gnostischen Kreisen aus der pneumatischen Begabung abgeleitet wurde 1 . Aber der Pneumatiker war auch Offenbarungsträger: seine Worte waren Kundgebungen desselben Gottesgeistes, der durch die Propheten des Alten Bundes geredet hatte und in Jesus Christus Fleisch geworden war, hatten also grundsätzlich dieselbe Autorität. Wodurch konnte man feststellen, ob der aus irgendeinem Propheten redende Geist wahrhaft göttlich war und nicht die Stimme eines bösen Irrgeistes? Nun, man konnte seine Offenbarungen am Alten Testament prüfen — wenn nur nicht die allegorische Methode erlaubt hätte, mit Leichtigkeit jeden unbequemen Wortlaut zu verflüchtigen oder in die gewünschte Richtung abzubiegen. Aber waren nicht die Briefe des Paulus ein Prüfstein? Denen wußte sich der Pneumatiker großen Stils ebenbürtig. Aber die Worte des Herrn? Die waren freilich unbedingte Autorität, doch unterlagen auch sie gegebenenfalls allegorischer Deutung und vor allem — aus dem geheimnisvollen Dunkel gnostischer Kunde wuchsen immer neue Herrenworte und Geheimoffenbarungen des Meisters an vertrautere Jünger hervor, die freilich die kirchlichen Massen nicht kannten, die aber erforderlichenfalls hervorgeholt und zur Stütze seltsamer prophetischer Offenbarungen gemacht werden konnten. Ein klares Kriterium, das echt und unecht schied, das Wahrheit und Lüge im Munde des Pneumatikers kenntlich zu machen vermochte, gab es nicht. Schon in alter Zeit litt die Kirche nicht wenig unter dieser Unsicherheit, die allerlei fremdartigen Spekulationen die Tür offenhielt: und die späteren Briefe des Neuen Testaments ») z. B. Bd. 1, 306.

Prophetentum und geistliche Offenbarung

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zeigen uns den Widerschein der frühesten Kämpfe gegen mannigfache Irrlehren. Als nun vollends die Gnosis ihre Reize und ihre Macht entfaltete und Valentin mit tausend ähnlich denkenden Genossen die Überlegenheit der gnostisch erleuchteten Pneumatiker gegenüber den im Gleise des Alltäglichen einhertrottenden und an Traditionen und Buchstaben gebundenen Durchschnittschristen der Kirche verkündete 1 , da wurde die Gefahr für die Kirche riesengroß und sie mußte wirksame Gegenwehr leisten, wenn ihre Einheit und Reinheit nicht zu einem Wunschbild zerfließen sollte. Nie war die Gefahr der Auflösung in mehr odermindersynkretistischeKonventikelgrößer als in diesem zweiten Jahrhundert, wo weite Gebiete des Ostens unter dem siegreich vordringenden Einfluß der Gnosis standen. Die Kirche hat eine dreifache Abwehr gegen die pneumatische und gnostische Bedrohung bereitgestellt. Sie hat die Quellen der maßgebenden Tradition im Kanon fixiert, die Grundlinien der theologischen Lehre im Bekenntnis festgelegt, vor allem aber dem frei waltenden Pneumatiker das Gemeindeamt des Bischofs als höhere Autorität entgegengesetzt: so standen den lebendigen Angreifern nicht bloß Bücher und Lehren sondern lebendige Verteidiger gegenüber. Der Kampf wurde Mann gegen Mann ausgefochten, und das war schließlich das Wichtigste. Wir können schon gegen Ende des ersten Jahrhunderts sehen2, wie die ursprünglich rein technischen Ämter der Episkopen und Diakonen von einem römischen Schriftsteller als die christlichen Gegenbilder zu den alttestamentlichen Kultämtern bezeichnet und auf apostolische Einsetzung zurückgeführt werden. Die Episkopen erscheinen bereits als die berufenen Leiter des Kultus, sie bringen „untadelig und heilig die Opfer dar" 3 . Da ist die Übertragung vollzogen, die uns in der Kirchenordnung der Didache 4 angedeutet wird, daß nämlich bei allmählichem Zurücktreten der Pneumatiker die 4

») Bd. 1, 313. ) Did. 15, 1—2.

2

) Bd. 1, 146—149. 202—204.

3

) 1. Klem. 44, 4.

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2. Die Kirche

Episkopen und Diakonen zu ihren bisherigen Funktionen auch noch die priesterliche Leitung des Gottesdienstes übernehmen und damit faktisch die gesamte Führung der Gemeinde in ihren Händen vereinigen. Kurz darauf begegnet uns bei Ignatius von Antiochia 1 der monarchische Episkopat, den er mit hohen Worten preist und empfiehlt, den er als vorhanden in Ephesus, Magnesia, Tralles, Philadelphia und Smyrna voraussetzt, während Rom und Philippi diese Form der Leitung noch nicht kennen. In Philippi steht ein Kollegium von Presbytern und Diakonen an der Spitze der Gemeinde 2 , in Rom scheint es ähnlich gewesen zu sein. Man hat Jahrzehnte hindurch Theorien entwickelt, welche die Entstehung des monarchischen Episkopates aus der ursprünglich kollegialen Gemeindeleitung einleuchtend erklären sollten: aber sie haben diesen Dienst nie wirklich zu leisten vermocht. Klar ist lediglich, daß um die erste Jahrhundertwende in Antiochia und einigen größeren Städten Kleinasiens die Vielköpfigkeit der Führung abgeschafft und die volle Macht auf einen einzigen Episkopos übertragen worden ist. Das Kollegium der Presbyter wurde zu einer beratenden, aber doch ihm untergeordneten Behörde, und auch die Diakonen blieben als eine Mehrzahl bestehen, die kraft ihrer karitativen Funktionen besonders eng mit der Person des Bischofs verbunden war. Fragt man nach dem Grunde der Veränderung, so dürfte die einfachste Antwort wohl auch die zutreffendste sein: man erkannte, daß in schwierigen Zeiten — und man stand hier im Kampf gegen die Gnosis — die Zusammenfassung der Macht in einer Hand die sicherste Gewähr für gute Führung liefert, und man handelte nach dieser Einsicht 3 . Der Erfolg empfahl den Schritt auch anderswo, und so breitete sich der monarchische Episkopat allmählich über die ganze Kirche aus; nur als wunderliches Überbleibsel einer versunkenen Welt begegnet uns in später Zeit noch hie und da ein Doppelbistum 4 . !) Bd. 1, 264. 2 ) Polyc. ad Phil. 5, 3. 6, 1. 3) W. Bauer, Rechtgläubigkeit u. Ketzerei S. 65—74. ') H. Koch, Z N W 19, 81—85. K. Müller Abh. Berl. Akad. 1922 Nr. 3, 6 f.

Der Bischof

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Möglich bleibt daneben, daß auch die liturgische Forderung nach Zentralisierung des Gottesdienstes in der einen Gemeindekirche 1 im Gegensatz zu häuslichen Konventikelandachten die Idee des Einbischofs empfohlen hat. Dieser die Einzelgemeinde leitende Bischof ist nach der grundlegenden Lehre des Ignatius nicht bloß Oberpriester und Führer, er ist vor allem höchste Lehrautorität: er steht für die Gemeinde an Gottes Statt und muß angesehen werden wie der Herr selbst. Wer in seiner Erkenntnis über die vom Bischof gesetzte Grenze hinausgeht, der ist verloren 2 . Mit anderen Worten: dem alten, ungebundenen Propheten wird hier im Bischof der beamtete Pneumatiker entgegengestellt, der alle Autorität in sich vereinigt und alle Streitfragen endgültig entscheidet. Wenn in der Urzeit jede Einzelgemeinde sich als Ekklesia, als auserwähltes Volk Gottes bezeichnen kann, weil Volk Gottes überall da vorhanden ist, wo der Geist waltet, so finden wir jetzt diesen Gedanken zu einer folgenschweren Konsequenz weiterentwickelt. Der Geist schwebt nicht mehr frei umher und ergreift bald diesen, bald jenen. Er wohnt freilich in den einzelnen Gemeindegliedern seit ihrer Taufe und verbindet sie zum einheitlichen Leibe Christi. Aber in besonderer Art offenbart er sich — wie einst in Zungenrednern und Propheten, so jetzt — in dem Bischof und den von ihm geführten Klerikern: der Bischof ist das Haupt dieses geistlichen Leibes. So wird aus dem Satz „wo der Geist ist, da ist die Kirche" im Kampf gegen die Gnosis die neue These „wo der Bischof ist, da ist die Kirche". Und diese These hat den Sieg über Enthusiasmus und Gnosis gewonnen: es ist die Grundlehre des Katholizismus bis auf den heutigen Tag. Es ist überaus schwierig, ja im Grunde unmöglich, dieEntwicklung der ältesten Kirchenverfassung zu beschreiben, weil unsere Quellen nur selten eine Antwort auf die vielen Fragen geben, die wir ihnen vorlegen. In der Frühzeit erschienen diese Dinge als Äußerlichkeiten, die einer Aufzeichnung nicht wert ') K. Müller Z N W 28, 295. Polyc. 5, 2. vgl. Bd. 1, 264.

2

) Ign. Trall. 3, 1. Eph. 6. 1 ad

L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

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2. Die Kirche

waren, und als sie theologisch bedeutsam zu werden begannen, war der Blick der Beobachter durch die Theorie beeinflußt. Für die Zeit des ersten Jahrhunderts können wir sagen, daß die Gemeindeleitung fast ausnahmslos eine kollegiale war — das Jerusalem der Urgemeinde hatte besondere Verhältnisse 1 . Dieses Kollegium nannte man die „Presbyteroi" überall da, wo jüdischer Einfluß bestimmend war, das heißt nicht nur in judenchristlichen, sondern auch in den heidenchristlichen Gemeinden, die aus der hellenistischen Synagoge herausgewachsen waren. Und es umfaßte nicht nur alle, die ein Amt bekleideten, Charismatiker so gut wie technische Beamte, sondern auch andere angesehene Männer, insbesondere die Märtyrer 2 , vereinzelt sogar Frauen 3 . Anderswo, namentlich in paulinischen Gemeinden, sprach man von Episkopen und Diakonen als den Beamten der Gemeinde und schied davon die charismatischen Apostel, Propheten und Lehrer als die Leiter des Kultes. Wir haben bereits gesehen, wie diese Gegensätze sich ausgleichen, indem die Funktionen der Pneumatiker auf Episkopen und Diakonen übertragen werden. Man übernimmt aber auch schon früh die durch das Alte Testament geheiligte und darum ansehnlichere Bezeichnung der „Presbyter" für den Chor der leitenden Männer in Gemeinden, denen dieser Titel von Hause aus fremd war. Jedenfalls finden wir in Rom um 140 an der Spitze der Gemeinde dasKollegium der Presbyter, während uns als spezielle Amtsträger die Episkopen und Diakonen genannt werden 4 , denen insbesondere die Fürsorge für Arme, Witwen und Waisen obliegt. Aber sie stehen auch den Propheten und Lehrern der Vorzeit gleich, haben also geistliche und kultische Funktionen 5 und gehören unzweifelhaft zum Kreise der Presbyter. Der den Gottesdienst leitende Presbyter war Episkopos und nahm die Gaben entgegen, die für die Versorgung der Bedürftigen bestimmt waren 8 . Also ist der im ersten Klemensbrief 0 Bd. 1, 58 f. 2 ) Hermas Vis. 3, 1, 9. Hippolyt KO 34. K. Müller, Abh. Berl. Akad. 1922 Nr. 3 S. 4. 3 ) K. Müller Z N W 28, 275. 4) Z. wiss. Theol. 55, 136—140. 5 ) Hermas Sim. 3, 5, 1. 9, 26. 27. «) Justin Apologie 67, 6.

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Bischöfe und Presbyter

und in der Didache vorgezeichnete Prozeß der Übertragung geistlicher Ämter auf die Episkopen bereits fortgeschritten. Die Pneumatiker sind im allgemeinen verschwunden, und nur vereinzelt kämpft noch ein Prophet einen aussichtslosen Kampf um Anerkennung 1 . Aber innerhalb des Presbyterkollegiums ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen, und es fehlt nicht an Streitigkeiten um Rang und Ehre 2 : der monarchische Episkopat bereitet sich vor und findet naturgemäß Widerstand bei dem seine traditionellen Rechte verteidigenden Kollegium. Gegen Ende des Jahrhunderts ist der Kampf entschieden: da steht unbestritten ein einziger Episkopos an der Spitze der römischen Gemeinde, mag auch sein Titel noch oft und gern im Sprachgebrauch schwanken. Man redet wohl von dem die Gemeinde leitenden Presbyter, wenn man den Bischof meint, und dieser selbst hat noch Jahrhunderte lang die höfliche Sitte gepflegt, die Mitglieder des Presbyteriums als „Kollegen" und sich als ihren „Mitpresbyter" zu bezeichnen 3 . Aber seit der Mitte des Jahrhunderts, also seit Aniket und Soter, kann an dem monarchischen Charakter dieses Episkopates nicht mehr gezweifelt werden. Etwa um 240 wurde auch in Äußerlichkeiten dem römischen Bischofsamt eine besondere Stellung gegeben: man beging den Tag des Amtsantrittes jährlich durch eine liturgische Feier und schuf in der heute sogenannten Kallistkatakombe eine künstlerisch ausgestattete Grabkammer, welche von Pontian an (t 235) bis zu Eutychian (t 282) die Leiber der entschlafenen Bischöfe vereinigt hat. Auch wurde von nun an eine amtliche „Papstliste" mit Angabe von Tag und Jahr der Bischofsweihe und des Todes angelegt und damit die ältere Liste fortgesetzt, die keine Zahlen, sondern nur die Namen der römischen Episkopen enthalten hatte 4 . Von dieser gibt uns Irenaeus um 180 die erste Kunde 5 : sie enthält eine Reihe von !) Hermas Mand. 11. 2 ) Hermas Vis. 3, 9, 7—10. Sim. 8, 7, 4—6. ») Irenaeus 3, 2, 2. 3, 1 ff. 4, 26, 2. 3. 27, 1. Brief an Victor v. Rom bei Euseb. KG 5, 24, 14—16. vgl. Z. wiss. Theol. 55, H ö f . K. Müller 4 s Z N W 28, 274—278. ) Lietzmann, Petrus u. Paulus 2 7—28. ) Irenaeus 3, 3, 3. 4*

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2. Die Kirche

16 Namen, die nach Erwähnung der Apostel Petrus und Paulus mit zwei Unbekannten, Linus und Anenkletus beginnt und an dritter Stelle jenen Klemens nennt, der uns als Verfasser des Briefes an die Korinther bekannt ist und auch sonst noch erwähnt wird 1 . Die Liste reicht also bis auf die apostolische Zeit zurück und mag auf guter historischer Erinnerung beruhen, soweit die Namen in Betracht kommen: nur daß natürlich für die älteste Periode hervorragende Persönlichkeiten des Presbyterkollegiums festgehalten sind, die nicht in säuberlicher Reihenfolge nacheinander amtierten, sondern vielfach nebeneinander und miteinander die Gemeinde geleitet haben. Aber als man ihr die von Irenaeus mitgeteilte Form gab, sollte sie die einander ablösenden Träger der apostolischen Tradition namhaft machen® und die Gewißheit verbürgen, daß der jeweils am Ende dieser Kette stehende lebende Bischof von Rom der echte Erbe der apostolischen Lehre und damit auch ihr autoritativer Verkünder sei. Die einst von Klemens begründete Theorie von der apostolischen Einsetzung des Bischofsamtes und der Notwendigkeit der Anerkennung der apostolischen Sukzession 3 hat in Rom lebendig weitergewirkt und wird von Irenaeus 4 mit Nachdruck zur Verteidigung der bischöflichen Theologie gegenüber den Gnostikern verwertet: was der Bischof lehrt, ist eben dadurch und ohne jede Diskussion als apostolisch legitimiert. Von Rom aus ist diese Lehre ins Abendland gedrungen und hat überall nicht wenig zur Hebung des Ansehens der römischen Gemeinde beigetragen: denn hier war Rom die einzige Gemeinde, die ihre Bischofsliste bis auf die apostolische Zeit zurückführen konnte. Der Afrikaner Tertullian 5 preist um 200 Rom glücklich, da hier die Apostel Petrus, Paulus und Johannes als Märtyrer gewirkt und mit ihrem Blute auch die ganze 2 ») s. Bd. 1, 202. Hermas Vis. 2, 4, 3. ) E. Caspar, Die älteste römische Bischofsliste (1926), 436—472. 3) s. Bd. 1, 204. 4 ) K. Müller in Z N W 23, 216—222. Auch Hegesipp, der diese Lehre vorträgt, lebt in Rom: vgl. Euseb. KG 4, 22, 3. 5 ) Tertullian de praescr. haer. 36.

Bischofslisten

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Summe ihrer Lehre ausgeströmt hätten. So ist Rom und der Träger seiner Tradition, sein Bischof, schon früh die apostolische Autorität des Abendlandes geworden. Außerhalb Roms hat denn auch kein Ort im ganzen Okzident sich die Mühe gemacht, eine bis in die Anfänge hinaufreichende Bischofsliste oder Traditionskette anzulegen, weder Carthago noch die altberühmte Kirche von Lyon haben sich ernstlich um ihre Urgeschichte gekümmert — wenn anders sie überhaupt eine gehabt haben. Im Osten treffen wir zwar bei Ignatius die Lehre von der höchsten Lehrautorität des Bischofs, aber sie ist nicht aus apostolischer Sukzession abgeleitet, sondern wird einfach behauptet 1 . Natürlich hat man auch hier von apostolischerTradition geredet, und die „Alten", die „Presbyteroi", welche noch persönlich Schüler der Apostel gewesen sind, spielen als Träger dieser Uberlieferung eine erhebliche Rolle2: aber wir finden irgends den Gedanken, daß der Bischof kraft seiner Amtssukzession die apostolische Lehre überliefere. So erklärt es sich denn auch, daß die übergroße Mehrzahl der von Aposteln begründeten Orte keine Bischofsliste oder Traditionskette hergestellt, geschweige denn überliefert hat. Nur drei Städte haben solche Listen: die beiden mit Rom konkurrierenden Weltstädte Alexandria und Antiochia 8 , und die alte Zentrale der Christenheit, Jerusalem. Es sind dieselben Orte, welche sich im Lauf der Kirchengeschichte zu Patriarchaten aufschwingen und schon früh beherrschende Stellungen im kirchlichen Leben einnehmen: deren Bischöfe brauchten eine Ahnenreihe, nachdem sie ihren Wert und Sinn von Rom gelernt hatten. Dabei ergibt eine Prüfung der jerusalemischen Liste, daß sogar im ganzen zweiten Jahrhundert an diesem Vorort der Christenheit noch kein lebenslänglicher monarchischer Episkopat vorhanden war: sonst hätten nicht 15 Bischöfe in der Zeit von 134 bis zum Anfang des dritten Jahrhunderts amtieren ') s. Bd. 1, 264. 2) Papias bei Euseb KG 3, 39, 3—4; Fragmente der Presbyter bei Funk Patr. apostol. 2 1, 378—389. E. Preuschen An3 tilegomena 63—71. ) E. Caspar, D. älteste röm. Bischofsliste 347 f. 368.

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2. Die Kirche

können'.Daraus folgt aber die weitereKonsequenz, daß dann auch in anderen Orten des Ostens ähnliche Verhältnisse vorausgesetzt werden müssen, und demnach die Institutionen des monarchischen Episkopates im Hinterland erheblich langsamer durchgeführt worden ist, als es die von Ignatius behaupteten Verhältnisse in den führenden Seestädten zunächst vermuten lassen. Gar keine Kunde haben wir über die Entwicklung des Episkopates im Abendlande außerhalb Roms. Nur aus Lyon wird uns mitgeteilt, daß dort in der großen Verfolgung der mehr als 90jährige Episkopos Potheinos das Martyrium erlitt und daß Irenaeus sein Nachfolger wurde; das wird gegen 178 anzusetzen sein, und da Irenaeus sicherlich monarchischer Bischof war, so wird es sein Vorgänger auch gewesen sein 2 . Damit ist aber unser Wissen und unser Vermuten an seiner Grenze angelangt. In Alexandria ist die Entwicklung der römischen parallel gelaufen, und hier haben wir merkwürdigerweise genauere Nachrichten, die zwar aus späterer Zeit sind, aber einer kritischen Prüfung Stand halten 3 . Freilich liegen die Ursprünge der alexandrinischen Kirche im Dunkel, und auch über die Anfänge des Episkopats dieser Weltstadt haben wir keine andere Kunde als jene bedenklich schemenhafte Namenreihe. Dafür haben sich aber in dieser Kirche auch in späterer Zeit noch ältere Zustände treu erhalten. Im dritten Jahrhundert jedenfalls besteht die alexandrinische Kirche aus einer Anzahl selbständiger Einzelgemeinden, die sich um je ein Kirchengebäude scharen und von einem Presbyter geleitet werden, und dieser Zustand dauert auch im nächsten Jahrhundert noch an. Die Presbyter wählen nun aus ihrer Mitte einen Bischof 4 , der „die alexandrinischen Gemeinden" zu betreuen hat 5 , und *) E. Schwartz in der großen Ausgabe von Eusebs KG 3, CCXXVI f. 2 ) Euseb KG 5, 1, 29. 5, 5, 8. 3 ) K. Müller Z N W 28, 278—296. 4) Hieronymus epist. 146,1,6. Severus Antioch. Sixth book of the selected letters II 3 (I 1, 237) ed. Brooks ( = Journ. of Theol. Gtud. 2, 612); Eutychius Annales (arab.) Corp. script, or. 50, 95 ed. s Cheikho. vgl. E. Schwartz, Gött. Nachr. 1908, 350. ) Euseb KG 5, 9. 22. 6, 2, 2. 35. 9, 6. 2.

Ägypten

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diese Weise hat bis in den Anfang des vierten Jahrhunderts bestanden. Erst Alexander erweiterte den Kreis der Persönlichkeiten, aus denen derBischof ausgewählt werden konnteundbestimmte den Diakon Athanasius zu seinem Nachfolger (328). Aber wir hören noch eine andere und zunächst sehr verwunderlich klingende Nachricht aus Ägypten 1 . Der alexandrinische Bischof war anfänglich überhaupt der einzige Bischof in ganz Ägypten. Erst Bischof Demetrius (189—232) hat drei andere eingesetzt, und sein Nachfolger Heraklas (232—247) hat noch zwanzig weitere hinzugefügt; im Laufe des Jahrhunderts hat sich die Zahl dann gewaltig vermehrt. So standen also die Städte und Dörfer Ägyptens unter der Leitung von Presbytern — und das war in diesem Lande ein auch im profanen Leben sehr beliebter Titel von Kollegialbehörden 2 — ja ganze Dorfgruppen waren einem einzelnen Presbyter unterstellt®. Der Umstand, daß rechtlich Alexandria lange Zeit die einzige „Stadt" Ägyptens war und erst im Jahre 202, d. h. in der Zeit des Demetrius, auch größere Landzentren durch Septimius Severus eine neue Kommunalordnung bekamen 4 , mag bei dieser Entwicklung mitgewirkt haben. Klar ist, daß alle ägyptischen Bischöfe ihre Existenz dem Alexandriner verdanken, und daß er demnach ihr Haupt ist, dem sie sämtlich unterstehen: das hat sich im Verlauf der Kirchengeschichte oft und kräftig ausgewirkt. Der alexandrinische Patriarch hat stets eine ungewöhnlich geschlossene und schlagkräftige Truppe von Bischöfen hinter sich. Wir haben erst in neuerer Zeit gelernt 5 , auf diese Frühstadien der bischöflichen Amtsgeschichte aufmerksam hinzusehen: aber diese Betrachtungen haben unsere Augen geschärft und uns eine einleuchtende Auffassung der Vorgänge beschert. Was hier in Ägypten geschehen ist, tritt keineswegs 0 Eutychius Annales p. 96 Cheikho (Mignte gr. Bd. III, 982). 3 ) H. Hauschildt Z N W 4, 235 ff. ) Athanasius apol. c. Arian. 85. Vgl. Z. wiss. Theol. 55, 150 ff. 4 ) U. Wilcken Grundzüge u. Chresto5 mathie d. Papyruskunde Ia, 41. ) Duchesne Fastes episcopaux de l'anc. Gaule 1, 37 ff. K. Müller, Beiträge z. Geschichte d. Verfassung d. alten Kirche = Abh. Akad. Berlin 1922 Nr. 3 S. 5 ff. 2

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2. Die Kirche

so aus dem Rahmen der sonstigen Kirchengeschichte heraus, wie es zuerst den Anschein hat. Das Christentum faßte doch stets zunächst in den Städten, und zwar zumeist in den größeren, Wurzel und verbreitete sich von dort aus auf das Land. So verstand es sich von selbst, daß die neu entstehenden Landgemeinden unter der Leitung des städtischen Bischofs blieben, daß dieser ihnen Presbyter und Diakonen sandte oder weihte und als obere Autorität eingriff, wo es nötig war. Und es waren nicht bloß Landgemeinden, die auf diese Weise einem hauptstädtischen Bischof unterstanden, auch Städte, kleinere und größere, sind so in geistliche Abhängigkeit geraten. Um 200 sehen wir den antiochenischen Bischof Serapion das benachbarte Rhossos betreuen 1 , und wir dürfen auch ohne weitere Zeugnisse für sicher annehmen, daß es nicht die einzige von Antiochia abhängige Stadt gewesen ist. Im nördlichen Kleinasien begegnen uns öfter pontische Landschaften am Schwarzen Meer als einheitliche und unter je einem Bischof stehende Kirchengebiete 2 . Armenien hatte um 250 nur einen Bischof. In Kreta scheinen sich um 170 die beiden Bischöfe von Gortyn und Knossos in das geistliche Regiment der ganzen Insel geteilt zu haben 3 .In Gallien wird Irenaeus von Lyon als „der Bischof von Gallien" bezeichnet, und seinem Vorgänger Potheinos unterstand sicher auch die Nachbarstadt Vienne 4 . Solche Verhältnisse kann man selbst in der Zeit des voll entwickelten Metropolitansystems in abgelegeneren Gegenden noch öfter beobachten. Wenn nun der Bischof der Zentrale die Aufsicht der von ihm abhängigen Gebiete nicht mehr allein durchführen konnte, so ernannte er ganz ähnlich, wie es der Alexandriner in Ägypten tat, Bischöfe, so viel wie jeweils nötig waren, also in immer steigender Zahl, je mehr lebenskräftige Gemeinden heranwuchsen. Aber es blieb das Verhältnis der Tochtergemeinde zur Mutter erhalten und drückte sich auch in der Unterordnung des neu begründeten Bischofsstuhls unter den älteren ') Euseb KG 6, 12. vgl. Ignatius ad Rom. 2, 2 „Bischof von Sy2 rien". ) Müller Beiträge 6 f. ») Euseb KG 4, 23, 5. 7. *) Euseb KG 5, 23, 3. Duchesne Fastes episc. 1, 40—43.

Bischöfliche Mutter- und Tochterstädte

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aus; der Bischof der Hauptstadt behielt das Recht der Bestätigung und Weihe des anderen auch in ferner Zukunft noch. So wird die schon im dritten Jahrhundert deutlich sichtbare Uberordnung der großen Zentren der Christenheit über merkwürdig weite Gebiete begreiflich. So erklärt sich das Vorortsrecht von Karthago über ganz Afrika, von Rom über große Teile Italiens. Aber auch die nahen Beziehungen Roms zu manchen südgallischen und spanischen Gebieten werden den gleichen Grund haben. Noch mehr:Karthago selbst ist sich um 200 seiner Abhängigkeit von Rom deutlich bewußt 1 : es hat erst das Christentum, später den monarchischen Episkopat von dort empfangen. Vor allem aber erhält das ganz eigenartige Verhältnis der alexandrinischen zur römischen Kirche von hier aus seine einfachste Erklärung. Denn seit wir am Beginn des dritten Jahrhunderts die ägyptische Hauptstadt in die Kirchengeschichte eintreten sehen bis zu der Katastrophe von Ephesus (449) und Chalkedon (451) finden wir die engsten Beziehungen zwischen ihr und Rom; davon wird unsere Darstellung reichlich Belege geben. Und in den Kämpfen des vierten Jahrhunderts kann sogar Julius von Rom 2 allen Ernstes erklären, die Absetzung des alexandrinischen Bischofs ohne Mitwirkung Roms widerspreche der kirchlichen Sitte. Fügen wir hinzu, daß nicht nur Bischof Dionysius von Alexandria, sondern auch mehrere seiner Nachfolger, und zwar gerade die bedeutendsten, Athanasius und Kyrill, sich in einer uns zunächst verblüffenden Weise Rom unterordnen und dadurch sehr in Gegensatz treten zu der traditionellen Haltung der anderen Kirchenfürsten des Ostens, so wird uns der Schluß nahegelegt, daß Alexandria von Rom aus als Tochtergemeinde begründet und mit bischöflicher Autorität begabt ist. Die Legende, der Petrusschüler Markus sei der Stifter und erste Bischof dieser Gemeinde gewesen 3 , ist aus dem Wissen um das geschichtliche Verhältnis ') Tertullian de praescr. 36. 2 ) Julius v. Rom epist. ad Danium, Flacillum 22 p. 385 b Coustant (aus Athanas. apol. c. Arian. 35). ®) Monarchianischer Prolog zum Markusevang. (Kl. Texte I2 S. 16, 16). Euseb KG 2, 16, 1. Ähnlich die Trophimuslegende für Arles, s. E. Caspar, Gesch. d. Papsttums 1, 347.

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2. Die Kirche

beider Kirchen geboren. W i r sehen: die Wurzeln des römischen Primats reichen tief in die Urgeschichte des Christentums hinein. Über diese patriarchalischen Verbindungen hinaus kennt die Kirche der ersten Jahrhunderte keine weiteren organisatorischen Zusammenschlüsse. Vollends die Gesamtkirche als Einheit ist und bleibt noch lange eine unsichtbare und nur in der Idee völlig faßbare Größe. Wohl sind die Gemeinden von einem Ende der Welt bis zum andern von dem gleichen Geist beseelt und durch tausend Bande gegenseitiger Hilfeleistung in leiblicher und geistiger Not verbunden, aber es ist keine äußere Form vorhanden, welche diese Einheit auch als irdische Organisation zur Erscheinung brächte. Auch haben sich in schwierigen Zeiten Bischöfe der betroffenen Gegenden zu gemeinsamer Beratung zusammengefunden. Solche Synoden finden bereits im zweiten Jahrhundert in Kleinasien statt und gelten der Abwehr des Montanismus und der Stellungnahme zur Osterfrage, aber sie sind freie Vereinigungen und entbehren bestimmter rechtlicher Kompetenzen. Ihre Beschlüsse sind freilich Zeugnisse des heiligen Geistes und insofern maßgebend für die ganze Kirche. Aber das gilt praktisch nur für die Gemeinden, welche sie tatsächlich anerkennen, weil sie ebenso denken. Hat man anderswo eine abweichende Meinung, wie bei der Osterfrage in Rom, so lehnt man jenen Beschluß ab, und es bleibt unentschieden, wer recht hat. Der Versuch Roms, sich ein überlegenes Urteil zuzuschreiben, wird damals noch von allen Seiten zurückgewiesen 1 . Auch die Synoden des dritten Jahrhunderts tragen diesen Charakter freier Kundgebungen, deren Gewicht um so größer ist, j e mehr Bischöfe an ihnen beteiligt sind, je größer also ihre geographische Basis ist: und die sachliche Richtigkeit und Zweckmäßigkeit ihrer Beschlüsse hat mehreren von ihnen die Anerkennung der ganzen Kirche verschafft. Aber sie sind nicht Instanzen höherer Art, die dem einzelnen Bischof nach geistlichem Recht übergeordnet wären. Jeder Bischof ist und bleibt Inhaber der volEuseb K G 5, 24, 10 f. und besonders Cyprian s. S. 240. 261.

Synoden

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len apostolischen Lehr- und Zuchtgewalt: die Synoden sind nur darum stärker, weil sie die zusammengeballte Macht des Episkopats zur Wirkung zu bringen vermögen. In voller Geltung bleibt der Satz, daß der heilige Geist die Kirche durch den Bischof leitet: und diese Kirche ist eine, aber stellt sich in tausend Gemeinden und Hunderten von Bischöfen dar.

Das Neue Testament Zur Zeit Jesu war es geläufige jüdische Sitte, theologische und religiöse Streitfragen durch Zitierung von Worten gefeierter Lehrer autoritativ zu entscheiden, und der ganze Talmud baut sich auf der Diskussion solcher Rabbinensprüche auf, die emsig gesammelt, auswendig gelernt und als heiliges Vermächtnis von einer Generation zur andern weitergegeben wurden. Eine Sammlung von Lehren göttlicher und menschlicher Weisheit, die aus Worten der ältesten Rabbinen zusammengefügt ist, trägt den Namen „Sprüche der Väter" und steht noch heute in jedem jüdischen Gebetbuch. Von hier aus also kann man es leicht verstehen, wenn es überhaupt einer Erklärung bedarf, daß die Jünger Jesu die Sprüche ihres Meisters in der Erinnerung treu festhielten, sie sammelten und schließlich aufzeichneten, damit auch die zweite Generation und die auswärtigen Gemeinden dieses kostbare Gut jederzeit gegenwärtig haben könnten. Und wie bedeutsam Jesu Worte für die Entscheidung strittiger Fragen waren, können wir sogar direkt an den Briefen des Paulus lernen 1 , obwohl bei diesem postumen Jünger gerade die Bezugnahme auf den historischen Jesus stark in den Hintergrund tritt. Im ganzen ersten und dem größten Teil des zweiten Jahrhunderts begegnet uns immer wieder im christlichen Schrifttum die Formel „der Herr hat gesagt" zur Einführung autoritativer Zitate. Zwei Quellen göttlicher Offenbarung gibt es für die alte Christenheit, „die Schrift", das ist das Alte Testament, und „der Herr" in seinen überlieferten Worten. Die dritte Quelle, der aus ekstatischen Propheten redende Geist, wurde, wie wir ') 1. Kor. 7,10. 9,14. 11, 23. 1. Thess. 4,15. vgl.Handb. zuRöm.12,14.

Herrenworte. Evangelien

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gesehen haben, mit immer steigendem Mißtrauen betrachtet, an den beiden andern Quellen gemessen und schließlich verstopft. Da war es denn eine praktische Notwendigkeit, auch der an zweiter Stelle genannten Tradition eine schriftliche Form zu geben, um sie jederzeit und allerorts zur Verfügung zu haben: so entstanden Aufzeichnungen von Worten Jesu, deren eine uns bereits in Gestalt der auf Matthäus zurückgehenden „Logienquelle" bekannt geworden ist 1 . Aber wie bei den Rabbinen des Talmud manches Wort mit einer Geschichte untrennbar verknüpft ist, so auch bei Jesus, und bei ihm in noch viel höherem Grade: so kamen in die Spruchsammlung mancherlei Erzählungen von Taten und Wundern des Herrn hinein. Die Predigt von Jesus dem Christus brachte den Hörern aber nicht nur Lehren des Meisters: er selbst war ja Gegenstand des Glaubens, und die Erfüllung alttestamentlicher Weissagungen in seinem Leben und Leiden und Sterben erwies ihn auch dem Widerstrebenden als den Messias und Heiland der Welt. So formte sich die Geschichte vom Wirken des Herrn auf Erden, beginnend mit der Taufe und endend mit der Auferstehung, zu einer Einheit, die nun seit 19 Jahrhunderten ihre Wirkung auf die Menschheit tut und immer neue Jüngerscharen für den Meister wirbt. Die älteste und unmittelbar erreichbare Form dieser Geschichte ist das Markusevangelium, das in den Evangelien des Matthäus und Lukas neue, durch Einarbeitung jener Logienquelle und anderen Stoff vermehrte und verbesserte Auflagen erlebt hat. Die beiden ersten Evangelien sind typische Volksbücher ohne literarische Ansprüche; Lukas, der auch noch weitere wertvolle Quellen sich nutzbar gemacht hat, will dagegen für eine höhere Bildungsschicht schreiben: er widmet sein Werk einem durch Rang oder Reichtum hochgestellten 5 Mann namens Theophilos und bemüht sich redlich und nicht ohne Erfolg, wirklich historische Arbeit zu leisten, ohne seinem Werk den Charakter des Volksbuches zu nehmen. In diesen drei Evangelien ist keineswegs alles zusammen»)Bd.1,35. 2 ) Vgl. F.d.MeyerUrsprungu.Anfänged.Christentums l,6f.

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3. Das Neue Testament

geflossen, was an echter Überlieferung über Jesus umlief: aber für uns ist fast alles andere verloren, und wir können nur gelegentlich ein Wort Jesu erhaschen, das auf gute Tradition zurückzugehen scheint. Einiges hat sich hier und da an Handschriften unserer Evangelien angesetzt: so die Perikope von der Ehebrecherin, die viele Handschriften und nach ihnen auch unsere Kirchenbibeln als Joh. 7,53—8,11 haben, während sie allen guten Quellen des Textes fremd ist und dies auch selbst in Stil und Wortwahl bezeugt. Einige Handschriften bringen hinter Matth. 20, 28 eine völlig selbständige Parallele zu Luk. 14,8—10, und an Luk. 6,4 finden wir einen ganz neuen Spruch angehängt: „An demselben Tage sah er einen am Sabbath arbeiten und sprach zu ihm: Mensch, wenn du weißt, was du tust, so bist du selig, wenn du es aber nicht weißt, so bist du verflucht und ein Übertreter des Gesetzes". Andere Worte finden wir hier und da in altchristlichen Schriften zitiert, ohne daß es möglich wäre, sie auf ein bestimmtes Evangelium zurückzuführen: sie können ebenso gut frei umlaufender Tradition entstammen; denn diese starb auch nach Abfassung der Evangelien nicht aus. Ein Mann wie Papias 1 betont noch im zweiten Jahrhundert, daß er von Büchern nicht soviel Nutzen zu haben glaube wie vonderlebendigenüberlieferung. In der Apostelgeschichte 20,35 steht solch ein Wort: „denket an dieWorte desHerrn Jesus, daß er selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen". Wir nennen solche Worte „Agrapha" und haben sie eifrig gesammelt 2 und trotz vortrefflicher Arbeit der Vergangenheit ist noch allerlei daran zu untersuchen. Denn der bereits früher geschilderte 3 Prozeß der Umgestaltung und Neubildung von Jesustraditionen hat nicht stillgestanden, als die Evangelien niedergeschrieben waren, sondern hat unbewußt und dann auch in steigendem Maße bewußt weitere Früchte gezeitigt. Ein Beispiel vom ersten Fall. Der römische Klemens zitiert in seinem Brief 4 : „So hat der Herr Jesus gesagt: >) bei Euseb KG 3, 39, 4. 2 ) A. Resch, Agrapha ( = T U NF 15, Heft 3—4, 1906); E. Klostermann in Kl. Texte II 2 (1911). Vgl. Walter Bauer, Leben Jesu im Zeitalter d. neutest. Apokr. 377—415. 3 ) Bd. 1, 36. 4) 1. Clem. 13, 2.

Herrenworte

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Seid barmherzig, damit ihr Barmherzigkeit erlanget. Vergebet, damit euch vergeben werde. Wir ihr tut, so wird euch getan werden. Wie ihr gebt, so wird euch gegeben werden. Wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden. W i e ihr g ü t i g s e i d , w i r d m a n e u c h g ü t i g b e g e g n e n . Mit welchem Maße ihr messet, damit wird euch gemessen werden."

Man hat vielfach geglaubt, hier eine uralte Quelle vor sich zu haben, etwa ein Zitat aus einem verlorenen Evangelium oder gar einer Spruchsammlung, und hat dabei besonders auf das neue Jesuswort hingewiesen, das im Druck hervorgehoben ist. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Schöpfung des Klemens selbst, der bekannte Worte zusammengestellt und in Vor- und Nachsatz gleichmäßig umstilisiert hat. Hier sind die Quellen: Luk. 6, 36; Matth. 6, 14. 15; Luk. 6, 31= Matth. 7, 12; Luk. 6, 38; Luk.6, 37=Matth. 7, 1—2; Luk. 6, 38=Matth. 7, 2 oder einfacher: Klemens hat einige Srpüche aus Luk. 6, 31—38 mit Matth. 6, 14. 15 verbunden. Und das neue Jesuswort vom „gütig sein"? Es ist von Klemens frei erfunden, um die Siebenzahl der Sprüche voll zu machen, und das wird dadurch bewiesen, daß eben dies im Griechischen ganz seltene Wort für „gütig sein" bei Klemens auch sonst gern gebraucht wird. Hier können wir einmal die Entstehung eines solchen Jesuswortes studieren, wie es ohne Tendenz, halb unbewußt, aus rhetorisch-stilistischen Gründen von einem auf die Formung seiner Worte bedachten Schriftsteller neu gebildet wird. Andere Worte sind aus bestimmten Tendenzen heraus geschaffen und haben deutlich den Zweck, die Autorität Jesu für diese oder jene Lehrmeinung in die Wagschale zu werfen. Wir haben schon bei der Behandlung der judenchristlichen Evangelien 1 solche Umgestaltungen überlieferter Worte oder Neubildungen kennengelernt, und je mehr wir uns dem Bereich der Gnosis nähern, um so stärker wird dieses Streben sichtbar, und um so unbekümmerter schaltet die Willkür theologischer Erfindung. Die meisten Papyrusreste, die mit neuen Bd. 1, 193. 198.

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3. Das Neue Testament

Jesusworten bedeckt sind 1 , entstammen dieser von der Gnosis angeregten oder ihr dienenden Produktionslust, und gerne wird Echtes und Falsches durcheinandergemischt, um den Eindruck historischer Zuverlässigkeit zu verstärken. Von der Erfindung einzelner Worte ging man dann zur Schaffung neuer Evangelien über, die aber durchweg die älteren Evangelien der Synoptiker zum Muster nehmen und als Grundlage verwenden. In gewissem Sinne hat die Freiheit, mit der Johannes sein Evangelium schrieb, zum Betreten dieser Bahn ermuntert. Aber die neuen Evangelisten warfen alle die Bindungen von sich, welche das vierte Evangelium in den Grenzen kirchlicher Sinnesart halten, und konstruieren frei in die Uferlosigkeit einer durch keine geschichtliche Überlieferung oder lehrhafte Autorität gehemmten Spekulation hinein. Das läßt sich schön an dem 1886 gefundenen großen Bruchstück des Petrusevangeliums 2 studieren: aus allen vier Evangelisten sind die Bausteine entlehnt, mit denen die Passionsgeschichte zusammengefügt ist, aber überall sehen wir die Phantasie die Bilder weitertreiben, und bei der Schilderung der Auferstehung erscheint der gnostische Christus als Riese, der bis über die Himmel ragt, geführt von zwei Männern, deren Haupt an die Wolken reicht, und hinter ihm schwebt das wandelnde Kreuz: „und ich hörte eine Stimme aus den Himmeln sagen: Hast du den Entschlafenen gepredigt? und Antwort klang vom Kreuze: Ja!" Auch die in judenchristlichen Kreisen umlaufenden Formen des sogenannten Hebräerevangeliums 3 sind vonähnlicher Phantastikberührtworden.Von denübrigenEvangelien dieser Art, demÄgypterevangelium.dem Thomas- und dem Matthiasevangelium u. a. m. haben wir vereinzelte Nachrichten und Zitate erhalten 4 , die über den gnostischen Charakter dieser Werke keinen Zweifel gestatten. E. Klostermann in Kl. Texte 82 S. 16—21, ebenda II 2 S. 26; H. B. Swete ebenda 31, 4 f. Auch die neuen von J. Bell publizierten Fragments of an unknown Gospel (London 1935) gehören hierhin. 2 ) E. Klostermann Kl. Texte 32, Apokrypha I, deutsch bei Hennecke, 3 Neutest. Apokr. 2 (1924). ) s. Bd. 1, 193. 198. ") E. Klostermann Apokr. II (Kl. Texte 8) u. Hennecke.

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Apokryphe Evangelien

Eine besondere Gattung bilden die Kindheitsevangelien. Schon früh hat sich in der Christenheit der Wunsch geregt, von der Vorgeschichte des Herrn etwas zu erfahren, und da die Historie versagte, trat die Legende an ihren Platz. So entstanden die Geburtsgeschichten, die wir bei Matthäus und Lukas finden, so die Geschichte vom 12jährigen Jesus im Tempel Luk. 2, 41—52. Und wenn man den Unterschied zwischen echter reiner Legende und neugieriger Phantastik studieren will, so braucht man nur von hier aus den Blick auf die späteren Kindheitserzählungen zu werfen, die im zweiten Jahrhundert entstanden sind, aber weiter wuchsen,, neue literarische Gestalt annahmen, und in mancherlei Brechungen bis auf den heutigen Tag in Andachtsbüchern oder in der apokryphen Rumpelkammer ihr Wesen treiben. Da sind die Erzählungen des Thomas 1 , von denen schon vor 200 Irenaeus* etwas weiß, und die uns in mehreren Ausgestaltungen aus späterer Zeit vorliegen. Hier ist das Jesuskind durch eine primitive naturreligiöse Phantasie zu einem mit Mana geladenen Tabu-Männlein geworden. Die Spielkameraden, die es ärgern oder stoßen, fallen tot um, und dasselbe widerfährt einem Schulmeister, der ihm eine ungezogene Antwort mit einer Ohrfeige lohnt. Drei Lehrer versuchen sich an dem Wunderknaben ohne Erfolg: dem ersten, der ihm das Alphabet beibringen will, hält er eine Vorlesung über die allegorische Bedeutung des A, den zweiten tötet er, dem drittenliest er sofort aus der Bibel vor undpredigt dann zumVolke über das Gesetz. Aber er tut auch positive Wunder: Spatzen, die er aus Lehm geknetet hat, läßt er lebendig davonfliegen; als ihm sein Krug zerbrochen ist, trägt er das Wasser in der Schürze heim; demVater reckt er Holzbretter zur gewünschten Länge aus; er heilt Wunden und erweckt Tote und macht schließlich auch alle die wieder lebendig, die er im Ärger totgeflucht hatte, so daß die Geschichte doch befriedigend zu Ende kommt und mit der Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel den Anschluß an die Synoptiker gewinnt. Evangelia apocrypha ed. Tischendorf 2 140—209. A. Meyer bei Hennecke, Neutest. Apokr. 2 96—102. 2) Iren. 1, 20, 1. vgl. auch Epist. apost. 4 (15). L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

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3. Das Neue Testament

W e n n wir bei Matthäus und Lukas schon den Wunsch lebendig sehen, das Geheimnis der menschlichen H e r k u n f t Christi bildhaft zu erfassen, so ist dieses Streben weiterhin tätig gewesen und hat zu immer reicherer Ausmalung der Geschichte Marias geführt. Die Grundelemente finden wir sämtlich in dem sogenannten Protevangelium des Jakobus 1 vereinigt, das etwa im vierten Jahrhundert aus älteren Bestandteilen in die uns vorliegende Gestalt zusammengegossen ist: einzelne Teile sind schon im zweiten und dritten Jahrhundert bekannt. Da ist zunächst die Marienlegende. Die heilige Jungfrau hat Joachim und A n n a zu Eltern: sie ist von ihrer lange unfruchtbaren Mutter auf Engelsverheißung hin geboren und wird G o t t geweiht: so weilt sie vom dritten bis zum zwölften Jahre unter priesterlicher Obhut im Tempel. Dann wird sie von den Priestern auf Grund eines Orakels dem alten und längst verwitweten Zimmermann Joseph, der schon erwachsene Söhne hat, als geweihte Jungfrau anvertraut. Als sie einmal Wasser schöpft, und dann, als sie zu Hause Purpur für den Tempelvorhang spinnt, verkündet ihr ein Engel, daß sie aus Gottes W o r t einen Sohn empfangen wird. Sie besucht, wie bei Lukas, ihre Freundin Elisabeth und bleibt dort drei Monate. Als Joseph nach langer Zeit von seinen Bauarbeiten heimkehrt, entdeckt er ihre Schwangerschaft und wird wie bei Matthäus durch ein Engelsgesicht beruhigt. Gegenüber den Vorwürfen der Priester und Schriftgelehrten reinigt beide das Gottesurteil des Prüfungswassers. D a n n erfolgt in Bethlehem die Geburt des Jesuskindes, und zwar in einer Höhle: dabei wird die physische Jungfräulichkeit der Maria durch zwei Hebammen als auch nach der Geburt unverletzt festgestellt. Es kommen die Magier aus Morgenland und Herodes befiehlt den Kindermord zu Bethlehem. Maria versteckt Jesus in eine Ochsenkrippe, während der kleine Johannes mit seiner Mutter von einem sich öffnenden Berg aufgenommen wird. Da nun aber Herodes gerade auf ihn Verdacht hat und 1 ) Evang. apocr. ed. Tischendorf 2 1—50. Harnack Chronologie, 1, 598—603.

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Kindheitsevangelien. Pilatusakten

ihn nicht finden kann, tötet er seinen Vater Zacharias am Altar im Tempel, wie Matthäus 23, 35 bezeugt ist. Auch an der Passionsgeschichte Jesu hat sich die Phantasie versucht und insbesondere der Person des Pontius Pilatus ihre Teilnahme gezeigt. In steigendem Maße ist die christliche Gemeinde bemüht, ihn von der Blutschuld des ungerechten Urteils zu entlasten und den Juden die alleinige Verantwortung aufzubürden. Bei Matthäus ist es seine Frau, die für Jesu Unschuld ein Zeugnis ablegt und ihren Gatten warnt, der daraufhin auch feierlich seine Hände wäscht und die Verantwortung für den Tod Jesu ablehnt. Das Bild des Pilatus hat sich dann unter dem Gesichtspunkt der Apologetik in dieser Richtung weiter entwickelt, derart daß um 200 Tertullian 1 seine heidnischen Gegner auf einen Bericht verweisen kann, den Pilatus, selber bereits in seinem Gewissen ein Christ, an den Kaiser Tiberius über Christus erstattet habe. Fünfzig Jahre früher hatte schon Justin in ähnlichem Zusammenhang mehrfach 2 die Akten des Pilatus zum Erweis der Richtigkeit seiner Mitteilungen über Jesus zitiert. Das spricht doch dafür, daß beiden Kirchenvätern der erfundene Brief des Pilatus bekannt war, der uns in verschiedenen Fassungen späterer Dokumente 3 erhalten ist und einen kurzen Bericht über den Messiasglauben der Juden, die Wunder Jesu, seine Verwerfung und Kreuzigung durch die Juden, sowie die Grabeswache und Auferstehung enthält und mit den Worten schließt: „das habe ich Deiner Majestät berichtet, damit dich niemand anders belügt und du meinest, den Lügenreden der Juden glauben zu müssen". Da ist der Hauptmann unter dem Kreuz (Mark. 15, 39) weit überboten durch das umfassende und klare Zeugnis seines höchsten Vorgesetzten. Daraus ist dann im Laufe der Zeit eine ganze Pilatusliteratur entstanden 4 , der sich eine Nikodemus- und eine Veronikalegende eingliederte und ein Bericht über Christi Höllenfahrt anschloß. Übrigens ist man auf der Gegenseite auch nicht müßig gewesen und hat chri») Tert. Apolog. 21. 2) Justin Apol. 35, 9. 48, 3; vgl. 38, 7. 3) Be4 quem bei Harnack Chronologie 1, 605. ) Epiphan. hater. 50, 1, 5. Evang. apocr. ed. Tischendorf 2 210—486. 5*

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3. Das Neue Testament

stenfeindliche Pilatusakten fabriziert und in Umlauf gesetzt, von denen wir freilich nur durch die entrüsteten Proteste des Euseb 1 erfahren. Veronika ist der legendäre Name der von Christus geheilten Blutflüssigen (Mark. 5, 25): von ihr weiß schon Euseb 2 , daß sie in ihrer Heimatstadt Caesarea Philippi eine Bronzegruppe gestiftet habe, die jenes Wunder zur Darstellung brachte. Und bereits Irenaeus 3 berichtet von Gnostikern, welche ein „auf Veranlassung des Pilatus" angefertigtes Christusbild verehrten. Da sehen wir die Legende bereits früh an der Schaffung von Christusbildern tätig. Aber die neugierige Sehnsucht nach Porträts des Herrn kommt erst in byzantinischer Zeit zu voller Wirksamkeit und bat in dem Schweißtuch der Veronika in Rom und dem Abgarbild zu Edessa besonders, berühmte Beispiele ihrer Leistungsfähigkeit geschaffen. Alt und vielleicht im 3. Jahrhundert entstanden ist dagegen die Erzählung von dem Briefwechsel zwischen Jesus und König Abgar von Edessa: ihr Kernstück ist ein eigenhändiger Brief Jesu an diesen Herrscher, von dem Euseb 4 einen griechischen Text mitteilt. Es ist begreiflich, daß Abschriften dieses Kleinods viele Jahrhunderte lang im Orient als Schutzmittel gegen alles Böse getragen oder an Häusern und Stadtmauern, Türen und Toren eingemeißelt wurden. Eine aus dem hohen Mittelalter stammende Beschreibung des Aussehens Jesu, der Brief des Lentulus an Kaiser Tiberius 5 , findet samt der danach angefertigten Zeichnung sogar heute noch begeisterte Gläubige. Die Träger der autoritativen Tradition über Jesus waren seine Apostel: so ist es ganz konsequent gedacht, wenn Lukas seinem Evangelium als zweites Buch eine Apostelgeschichte folgen läßt, die davon berichten soll, wie die Jünger das Evangelium in Jerusalem und ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Welt 6 verkündet haben. Wobei die Reden dieser *) Euseb KG 1, 9, 3. 9, 5, 1. 9, 7. 1. 2) Euseb KG 7, 18. 3 ) Irenaeus 1, 25, 6 (1, 210 Harvey). 4 ) Euseb KG 1, 13, 6—10. Aufhauser Kl. Texte 126^, 22—38 5) Aufhauser 2 S. 43. Zum Ganzen E. v. Dobschütz, Christusbilder ( = T U NF. Bd. 3, 1899). «) Apg. 1, 8.

Veronika. Abgar. Die Apostelgeschichte

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Apostel eben auch den Inhalt des Evangeliums anschaulich und autoritativ zur Darstellung bringen. Es ist noch nicht so lange her, daß man den historischen Wert der Apostelgeschichte sehr gering einschätzte und in Nachfolge der Tübinger Kritik dieses Buch als Ergebnis einer tendenziösen Konstruktion betrachtete. Das hat sich inzwischen gründlich geändert, und wir wissen jetzt, daß der Verfasser mit Sorgfalt gesammelt hat, was ihm erreichbar war, und daß er seine Quellen, und seien es auch nur Bruchstücke, mit achtungswerter Treue wiedergibt. Man muß sich nur die Mühe nehmen, diese Reste aus der vom Verfasser geschaffenen Pragmatik herauszulösen. Natürlich sind die großen Reden freie Schöpfungen, in denen der Autor seine Auffassung den Aposteln in den Mund legt. Aber er ist wenig originell, und so geben diese Reden die Durchschnittsmeinung seiner Zeit und Umgebung zuverlässig wieder. Eine Geschichte aller Apostel ist das Buch nicht. Es bringt die Schilderung der jerusalemer Urgeineinde, die schon in verklärtem Schimmer der Vergangenheit hinter dem Autor liegt, und erzählt in diesem Zusammenhang von den ersten Verfolgungen und der durch sie verursachten Ausbreitung der Mission bis nach der Weltstadt Antiochia. Im Vordergrund des Geschehens steht die Gestalt des Petrus, dem gelegentlich Johannes als stummer Begleiter beigegeben wird. Daneben treten als hellenistische Missionare Philippus und Stephanus hervor. Der zweite Teil des Werkes ist der Wirksamkeit des Paulus gewidmet und bringt eine gewaltige Fülle wertvollsten Materials aus guten, wenn auch oft nur fragmentarischen Quellen; von c. 20 ab geht die Erzählung sogar in der Wir-Form weiter, stammt also irgendwie von einem Reisebegleiter des Apostels, doch wohl dem Verfasser des Buches, nämlich dem Arzt Lukas. Um so auffallender bleibt es, daß nirgends eine Spur von Bekanntschaft mit den Paulusbriefen anzutreffen ist. Der Verfasser muß also doch recht früh geschrieben haben, und er muß von der Zuverlässigkeit seiner eigenen Kenntnisse so fest überzeugt gewesen sein, daß er es verschmähte, hier nach weiteren Quellen zu suchen, die ihm

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3. Das Neue Testament

doch sicher leicht erreichbar gewesen wären. Aber bei einem Manne, der dem Apostel so nahe gestanden hat wie Lukas, ist eine solche Haltung leicht denkbar. Dagegen kann der abrupte Schluß und das Fehlen des Martyriums der beiden großen Apostel nur dadurch ausreichend erklärt werden, daß der Verfasser vor Vollendung des Werkes gestorben ist. Ein Geschichtswerk im höheren Sinn ist die Apostelgeschichte trotz allen riedlichen Bemühens nicht geworden: dazu reichte weder das Quellenmaterial noch die Begabung des Verfassers aus. Aber ein gut erzählendes Volksbuch ist uns in ihr beschert, das seine Helden mit traditionellen, aber eben deshalb allezeit sicher wirkenden Mitteln zeichnet. So wie die Gemeindeüberlieferung die Bilder der Apostel erfaßt hatte, werden sie von Lukas übernommen, ausgeführt und zusammengesetzt: so entsteht eine Reihe von Einzelgeschichten, die zuweilen recht lose verknüpft sind und die nicht historische Zusammenhänge darlegen, sondern vor allem die Größe der Apostel zur Anschauung bringen sollen. Aber diese selbst sind voneinander nicht individuell verschieden: der eine denkt und handelt wie der andere, und selbst bei Petrus geht der anfängliche Judaismus nach der Korneliusgeschichte in die Weltoffenheit des Paulus über. Und ihr Weg wird von Wundern begleitet, die schon stark über die zurückhaltenden Wunderberichte der Synoptiker hinausgehen: es ist nicht Zufall, daß hier sich ein weites Feld der Vergleichung mit den Wundertaten hellenistischer Propheten eröffnet 1 . Zweimal stellt der Verfasser denn auch seine Helden solchen heidnischen Magiern gegenüber: Petrus wehrt die Zumutung des samaritanischen Magiers Simon ab (8, 20) und Paulus läßt den Zauberer Barjesus auf Kypros erblinden (13, 11). Die Werke der Apostel sind äußerlich nicht von den Taten wundertätiger Zeitgenossen verschieden; aber sie geschehen im Namen Jesu, und das gibt ihnen ihre besondere Note und im Konfliktsfall die überlegene Kraft. Schließlich müssen in Ephesus sowohl ') R. Reitzenstein, Hellenistische Wundererzählungen S. 53 ff. 121 f.

(1906)

Die Apostelgeschichte.

Petrusakten

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die jüdischen wie die griechischen Zauberer sich vor Paulus beugen (19. 11—20). Und der Leser hat daran nicht nur seine Freude, sondern auch einen eindrucksvollen Beweis für die Wahrheit der apostolischen Verkündigung; der volkstümliche Geschichtenerzähler wird so zum ebenso volkstümlichen Prediger, aus dessen Reden theologische Belehrung dankbar entnommen wird. Mit diesem ersten Werk ist die Schaffung von Volksbüchern über die Taten der Apostel nicht abgeschlossen. Ganz wie bei den Evangelien wirkt der gleiche Trieb weiter und bringt immer neue Erzeugnisse derselben Gattung hervor; nur daß der echte Stoff hier noch schneller als bei den Evangelien ausgegangen ist und die Phantasie für Ersatz sorgen mußte. Überall bemerken wir, daß die lukanische Apostelgeschichte den Ausgangspunkt der Neuschöpfungen bildet: entweder wird sie ergänzt oder sie liefert den mehr oder minder verschwimmenden Rahmen der neuen Geschichten. Von Petrus wußte man im Osten nur noch, daß er nach Rom gekommen und dort gekreuzigt worden sei: im Johannesevangelium ist davon eine deutliche Spur erhalten (21, 18). Da setzen nun die apokryphen Petrusakten 1 ein und füllen die Lücke aus der freien Phantasie eines Orientalen, der Rom nie gesehen hat, aber vom Hörensagen weiß, daß es da ein Forum Julium gibt, worüber eine Sacra Via läuft 2 — was nicht ganz richtig ist —, daß in der Nähe das Städtchen Aricia und etwas weiter entfernt Terracina liegt 3 . Daß man zu Schiffe in Puteoli ankommen 4 und dann zu Lande bis Rom Weiterreisen kann, las er in der Apostelgeschichte (28, 13). Aber von wirklicher Lokalkenntnis und römischer Ortsüberlieferung ist keine Spur zu bemerken. Dafür arbeitet die Erfindungskraft um so energischer. Der in der Apostelgeschichte (8, 9—24) erzählte Konflikt des Petrus mit dem samaritanischen Magier Simon wird weiter ausgesponnen und gibt -die Grundlage der ganzen Erzählung: das hängt wohl damit zusammen, daß Simon in der 45—103.

A c t a Petri = Actus Petri cum Simone bei Lipsius-Bonnet 1, 2 ) Acta Petri 15. 32. 3) Acta Petri 4. 32. 4 ) A c t a Petri 6.

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3. Das N e u e Testament

Geschichte der Gnosis eine merkwürdige Rolle spielt und jedenfalls als Schöpfer gnostischer Systeme angesehen wurde 1 . Hier erscheint er als antichristlicher Prophet in Rom, sobald Paulus seine schon längst geplante 2 Reise nach Spanien angetreten und Rom verlassen hat. Durch ein Traumgesicht wird nun Petrus veranlaßt, schleunigst aus Jerusalem aufzubrechen, um den Feind des Christentums in Rom zu bekämpfen. Und dieser Kampf entfaltet sich nun in Form eines Wunderwettstreites in großem Stil, bei dem zunächst Petrus durchaus der Sieger ist. Simon muß sich von seinem Haushund in langer Rede erbärmlich schelten lassen, und ein sieben Monate altes Kindlein an der Mutterbrust weist ihn aus der Stadt und fordert ihn auf Samstag zum Entscheidungskampf 3 . Daß in diesem Zusammenhang mehrere Blinde geheilt und Tote erweckt werden, ist kaum bemerkenswert: läßt doch Petrus sogar eine am Fenster hängende gedörrte Sardine wieder fröhlich im Wasser umherschwimmen 4 und repariert durch sein Wort eine zertrümmerte Kaiserstatue 5 . Die Konkurrenzleistungen des Simon bleiben dem gegenüber schwach, und als er endlich vor allem Volk triumphierend über der Sacra Via gen Himmel fliegt, stürzt er auf des Petrus Gebet hin herab und bricht das Bein: an den Folgen des Unfalls stirbt er bald danach 6 . Aber Petrus darf sich des Erfolges nicht lange freuen. Seine Predigt von der Notwendigkeit der Keuschheit für das Christenleben veranlaßt eine erhebliche Zahl vornehmer römischer Damen, sich dem ehelichen Verkehr zu entziehen. Die erzürnten Männer stellen dem Petrus nach, der zunächst auf Anraten der Freunde fliehen will, aber vor dem Tor vom Herrn beschämt und zur Umkehr veranlaßt wird. So wird er nun verhaftet, verurteilt und kopfunter gekreuzigt, wobei er eine stark gnostisch gefärbte Rede über die Symbolik des Kreuzes sowie das Oben und Unten hält7. Nach seinem Tode will Nero eine Christenverfolgung beginnen, wird aber durch einen Traum davon abgebracht. 2 !) Pauly - Wissowa, 2. Reihe 3, 180. ) Rom. 15, 24. 28 vgl. 4 5 1. Clem. 5, 7. 3 ) A c t a Petri 9. 12. 15. ) Acta Petri 13. ) Acta 6 7 Petri 11. ) A c t a Petri 32. ) A c t a Petri 38. 39.

Petrusakten. Paulusakten

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Wir merken, daß dem Verfasser die Neronische Verfolgung nur als unglaubwürdiges Gerücht bekannt geworden ist 1 . Die Akten des Paulus bringen nicht nur den in der Apostelgeschichte fehlenden Abschluß einer Wirksamkeit durch das Martyrium, sondern bauen aus einigen Angaben jener Quelle einen Bericht über ausgedehnte Missionswanderungen des Apostels auf, der teils Parallelen, teils Ergänzungen zu der kanonischen Darstellung beschert. Wir haben das ganze Werk nicht im Zusammenhang erhalten, sondern müssen es uns einstweilen aus verschiedenen Einzelüberlieferungen und Bruchstücken wiederherzustellen versuchen 2 . Da treffen wir Paulus zuerst im pisidischen Antiochia (Apg. 13, 14), dann in Ikonium (Ag. 13, 51), wo die Jungfrau Thekla von seiner Predigt mächtig ergriffen wird. Sie weigert nun ihrem Verlobten die Ehe und wird auf dessen Klage hin vom Prokonsul zum Feuertode verurteilt, während Paulus ausgepeitscht wird. Aber ein Regen löscht das Feuer, und sie sucht befreit den Meister wieder auf und folgt ihm, als er nach Antiochia zurückkehrt. Aber auch hier wird sie zur Ehe begehrt und auf ihre Weigerung hin verurteilt: diesmal zum Tierkampf. Da schützt sie eine Löwin mit Aufopferung des eigenen Lebens. In höchster Not tauft sie sich selbst durch einen Sprung in einen Wassergraben und besteht danach noch weitere schlimme Gefahren. Endlich wird sie auch hier freigelassen. Durch Männerkleidung geschützt zieht sie wieder dem Paulus nach, bis sie schließlich in Seleukeia stirbt. Paulus hält sich zunächst in Myra auf und wandert von dort unter mancherlei Abenteuern nach Sidon und Tyrus. In Ephesus gerät er in Händel mit den Goldarbeitern (Apg. 19,24) und muß mit den Tieren kämpfen (1. Kor 15, 32). Indes legt sich ihm gleich ein großer Löwe zu Füßen, in dem der Apostel einen alten Bekannten wiedererkennt: er hat dem Tier einst s. Bd. 1, 200. 2) Acta Pauli et Theclae bei Lipsius-Bonnet 1, 235—269. Mart. Pauli ebenda 104—117. Carl Schmidt Acta Pauli 2. Ausg. 1905 und derselbe in Sitzungsber. Akad. Berlin 1929, 176—183. 1931, 37—40. Rolffs bei Hennecke Neutest. Apokr. 2 192—212.

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in der Wüste auf seinen dringenden Wunsch hin das Evangelium gepredigt und es getauft; nun erweist es sich dankbar. Ein furchtbares Unwetter macht der Vorstellung ein Ende; der Hagel erschlägt die übrigen Bestien und befreit Paulus und den Löwen. In Philippi erhält Paulus einen Brief der Korinther, die durch gnostische Irrlehrer beunruhigt sind und um Festigung ihres Glaubens bitten. Er sendet ihnen eine — aus Bruchstücken echter Paulusbriefe zusammengestoppelte — beruhigende Antwort. Über Milet und Korinth geht die Reise nach Rom, wobei sich die dem Petrus gewordene Erscheinung des zur zweiten Kreuzigung schreitenden Herrn wiederholt. Hier mietet Paulus eine Scheune und predigt, bis schließlich Nero eingreift und so viele Christen verbrennen läßt, daß das Volk genug davon hat. Paulus selbst wird enthauptet, erscheint aber danach dem Nero und droht ihm die Strafe Gottes an: da läßt dieser die noch übrigen Gefangenen frei. Diese Paulusakten sind eifrig gelesen und viel diskutiert worden, und der Briefwechsel mit den Korinthern hat das ganze Mittelalter hindurch im Anhang von Kirchenbibeln gestanden. Die Wundergeschichten sind nicht ganz so grobschlächtig wie in den Petrusakten, und die Legende der Thekla mit ihrem Preis der Jungfräulichkeit und dem Idealbild geistlicher Liebe zum Apostel fand großen Anklang und wurde noch weiter ausgesponnen 1 . Ihr Grab bei Seleukeia wurde ein bedeutender Kultort und hielt ihren Ruhm stets wach 2 . Über den Verfasser dieser Akten haben wir — ein seltener Fall — eine Nachricht. Um 200 teilt Tertullian 3 seinen Lesern mit, dies Buch sei von einem kleinasiatischen Presbyter verfaßt: der habe seine Autorschaft eingestanden und sich mit seiner Liebe zu Paulus entschuldigt, sei aber doch abgesetzt worden. Den amtlichen Stellen der Kirche mußte allerdings schon in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts solche Schriftstellerei mißfallen; in den Gemeinden hat sie aber nichtsdestoweniger großen Erfolg gehabt. ') Acta bei Lipsius-Bonnet 1 S. 271 f. 2 ) Delehaye Origines du culte des martyrs2 161 f. 3) Tert. de baptismo 17.

Paulusakten. Johannesakten

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Man hat diese apokryphen Akten als christliche Romane bezeichnet und tut das mit Recht, wenn man dabei ihren Charakter als Volksbücher nicht vergißt. Sie arbeiten mit denselben Motiven und Effekten, die uns aus der kunstmäßigen Romanliteratur der griechischen Sophisten wohl bekannt sind, und verwenden zugleich Vorstellungen und Bilder aus der Werkstatt jener Tendenzbiographien antiker Propheten und Wundermänner, die wir Aretalogien zu nennen pflegen 1 . Die Mischung freilich ist verschieden. In den Petrusakten wird wesentlich mit Wundergeschichten stärksten Kalibers gearbeitet. Die Paulusakten legen das typische Romanmotiv der Wanderung zu Grunde, binden es aber, so gut es geht, an die Nachrichten der kanonischen Apostelgeschichte. Auch die Erotik, die in den Petrusakten nur leise anklingt, kommt hier viel stärker zur Geltung und tritt aus dem negativen Gebiet der Abwehr in das positive der geistlichen Liebe über. Einen dritten Typ vertreten die Johannesakten 2 . Die Wunder bekommen eine besondere Steigerung: der Apostel läßt sie mehrfach durch andere Personen vornehmen 3 , und eine Giftprobe wird als regelrechtes Experiment an einem Verbrecher vorgenommen. Dieser beweist die Echtheit des Giftes dadurch, daß er daran stirbt. Der Apostel hatte dasselbe Gift vorher ohne Schaden genommen — nun erweckt er den Versuchspatienten nach gelungener Probe wieder zum Leben 4 . Daneben finden wir aber auch die schwankmäßig volkstümliche Geschichte 5 , wie Johannes in einer Herberge sämtliche Wanzen während der Nacht vor die Tür schickt, wo sie gehorsam warten, bis der Morgen anbricht und der Apostel ihnen erlaubt, die gewohnten Ritzen der Bettstelle wieder zu bevölkern. Die zweite Besonderheit der Johannesakten ist ihr stark rhetorischer Charakter, der in den Erzählungen zu Tage *) Darüber vgl. Rosa Söder Die apokryphen Apostelgeschichten und die romanhafte Literatur der Antike (Würzburger Studien zur Altertumswissenschaft, Heft 3) 1932. 2 ) Acta Joh. bei Lipsius-Bon5 net 2 I, 151—216. ) Acta Joh. 24. 47. 83. ") Acta Joh. 9—11. 5 ) Acta Joh. 60—61.

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tritt, vor allem aber in zahlreichen Ansprachen und Predigten des Apostels sich auswirkt. Der Inhalt ist verhältnismäßig einfach gestaltet. Domitian wird durch die Juden gegen die Christen aufgehetzt und verbannt den von ihnen hoch gefeierten Johannes, obwohl er ihn um seiner Tugend und Wunderkraft willen liebgewinnt, nach Patmos. Dort schaut Johannes die Offenbarung, die er aufzeichnet. Unter Trajans Herrschaft wird er frei und reist über Milet nach Ephesus zurück. Hier erweckt er den Strategos Lykomedes und seine Frau zum Leben, heilt alle alten Weiber der Stadt im Theater von ihren Krankheiten und läßt durch sein Gebet Altar und Tempel der Artemis zur Hälfte einstürzen, woraufhin das Volk auch den Rest des Tempels zerstört. Den Gipfelpunkt bildet die Drusianageschichte, die ein typisches Romanmotiv ausbaut. Ein Wüstling dringt in das Grab der aus Herzeleid über seine Nachstellungen gestorbenen Frau, um an der Leiche zu erreichen, was ihm die Lebende versagt hatte. Aber eine Schlange beschützt die Tote, tötet den Helfer des Frevlers und bannt ihn selbst an den Ort. Johannes kommt mit dem Ehemann, erweckt die Toten und bekehrt den Bösewicht; aber der wiedererweckte Helfer bleibt unbußfertig und fährt nun zum Teufel. Darauf folgt ein theologischer Teil, in dem Johannes Aufklärung über die mannigfach wechselnden Erscheinungsformen Jesu und seinen Scheinleib gibt. Er rezitiert in diesem Zusammenhang einen Hymnus 1 , den der Meister vor seiner Gefangennahme im Kreis der ihn umtanzenden und mit Amen antwortenden Apostel gesungen habe, und berichtet dann über eine letzte Offenbarung des Herrn, der in Wahrheit nicht am Kreuze litt, sondern durch das gnostische Mysterium des Lichtkreuzes den Weg zur Erkenntnis des erlösenden Logos und zu einer höheren, übermenschlichen Wesenheit gewiesen hat. Das Ende des Apostels wird wiederum durch lange Reden und Gebete sowie eine Eucharistiefeier eingeleitet: zuletzt legt er sich selbst ins Grab und gibt fröhlich seinen Geist auf. Acta Joh. 94—96.

Johannesakten.

Thomasakten

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Die drei bisher genannten Apostelakten entstammen wohl der Zeit um 200 und knüpfen bewußt an die ältere kirchliche Überlieferung an, wenn sie auch dann mit voller Freiheit ihren Stoff entfalten. Aber die Wünsche des Christenvolkes beschränkten sich nicht auf die Apostel, von denen echtes Wissen vorhanden war, sondern bemächtigten sich auch der übrigen inhaltlosen Namen als willkommener Anhaltspunkte für neue Phantasiegebilde. Die Andreasakten, die uns freilich nur trümmerhaft erhalten sind 1 , wenden die bekannten Methoden der Gestaltung auf einen Apostel an, von dem es historische Kunde überhaupt nicht gab. Die faßbaren Reste zeigen die asketische Stellung zur Ehe und bringen auch Betrachtungen über das Kreuzesmysterium 2 . Der Apostel stirbt in Patrae den Märtyrertod, gleich seinem Bruder Petrus am Kreuz aufgehängt. Das besterhaltene, weil am weitesten verbreitete Beispiel dieser ganz frei schaffenden Volksschriftstellerei bieten uns die Thomasakten. Die sind in der Atmosphäre der ostsyrischen Hauptstadt Edessa entstanden und ursprünglich syrisch geschrieben, dann aber bald ins Griechische frei übersetzt und in beiden Gestalten viel gelesen und daher allerlei Wandlungen unterworfen worden. Die Grundlinie der Geschichte ist die Missionswanderung des Apostels nach Indien: an diesem Faden werden im ersten Teil eine Anzahl Abenteuer hintereinander aufgereiht, die schließlich in die Bekehrungsgeschichte einer hohen Dame Mygdonia ausmünden; durch sie kommt das Christentum an den Hof des Königs Misdaios, und die Schilderung aller dadurch verursachten Verwicklungen füllt den zweiten Teil der Akten, der natürlich mit dem Martyrium des Apostels schließt. Wir finden den üblichen Wunderapparat noch um einige reizvolle Züge bereichert. Ein eifersüchtiger Drache muß das in seinen Gegner gespritzte Gift wieder heraussaugen 3 und ') Acta apost. apocr. ed. Lipsius-Bonnet 2 I, S. 38—45 und 1—37. Hennecke, Neutest. Apokr. 2 96—102. 2) Iren. 1, 20,1. vgl. auchEpist. 3 ) Acta Thom. 30—33.

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3. Das N e u e Testament

stirbt daran. Ein Eselsfüllen bittet den Thomas in längerer Rede aufzusitzen und stellt sich auf die Frage des Apostels hin als Nachkomme des Bileamesels und Verwandten jenes Esels vor, auf dem Christus in Jerusalem einritt 1 . Als es dann seinen Dienst getan hat, stirbt das Tier — ebenso wie der redende Hund in den Petrusakten; das ist ein typischer Zug solcher Tierfabeln 2 . Bald danach erweist sich eine ganze Herde von Wildeseln hilfsbereit und stellt dem Apostel Vorspann für seinen Wagen; der begabteste von ihnen beschwört Dämonen, ermahnt den Thomas zum Wundertun und predigt selbst vor dem Volke®. Auch das aus den Johannesakten bekannte Wunder der Totenerweckung durch eine Mittelsperson finden wir wieder 4 . Wir hören von dem, was ein Toter im Himmel geschaut hat, und eine zum Leben erweckte Frau berichtet von ihrer Wanderung durch die Hölle 5 . Offenbarungen im Traume sind allenthalben beliebte Motive, aber hier wird ein Traum berichtet, der das Schicksal des Königshauses vorbildet und die genaue Wiedergabe eines altindischen Mythos ist 6 . Und bei näherem Zusehn ergibt sich, daß eine Fülle von allegorisierten mythischen Motiven die Erzählungen dieser Akten bestimmen, und daß auch die reichlich vorhandenen Reden durch Elemente einer gnostischen Vorstellungswelt befruchtet werden, die mit Sicherheit auf den syrischen Gnostiker Bardesanes zurückgeführt werden kann und nicht wenig Baumaterial für das manichäische Weltbild geliefert hat. Manche Stücke dürfen geradezu als Einlagen bezeichnet werden. Da hat der Verfasser bereits geformt vorliegende Lieder oder Gebete in seinen Zusammenhang mehr oder weniger geschickt eingefügt 7 : das berühmte Lied von der Perle schildert in mythischem Gewand die Mission Manis und ist demnach erst nach2 ») Acta Thom. 39—40. ) Acta Thom. 41. A c t a Petri 12. Kerenyi, Die griech.-orient. Romanliteratur (1927) S. 255. 3 ) A c t a Thom. 5 68—79. ") s. o. S. 75. Acta Thom. 54 ) Acta Thom. 22. 55—57. 6 ) Acta Thom. 91. G. Bornkamm Mythos und Legende S. 61. In diesem Buche auch mehr über den gnostischen Charakter der Akten. ') A c t a Thomae 6—7 Lied von der Lichtjungfrau, 27. 50 Epiklesen, 108 bis 113 Lied von der Perle (syrisch Z N W 4, 273—309).

Thomasakten. Asketische Haltung

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träglich den Akten einverleibt worden, die sich in manichäischen Kreisen einer dauernden Beliebtheit erfreut haben. Die alte Kirche kennt keine anderen Apostelakten als die bisher behandelten, und diese sind schon früh zu einem einheitlichenKorpus zusammengeschlossen worden,das als Werkeines Leukios Charinos galt und im neunten Jahrhundert noch dem Patriarchen Photios vorgelegen hat 1 . Sie stammen freilich von verschiedenen Verfassern, aber sie sind zeitlich nicht allzuweit voneinander entfernt und auch sämtlich im Osten entstanden. Was sie innerlich zusammenbindet, ist nicht nur das allgemein Romanhafte, die Märchen- und Wunderwelt mit ihren typischen Bildern und immer wiederkehrenden Motiven, sondern auch eine Gleichmäßigkeit in der Auffassung des Christentums. Die von ihren Aposteln verkündete Religion betont vor allen andern Tugenden die Keuschheit und zwar im Sinne einer völligen geschlechtlichen Enthaltsamkeit, die auch die eheliche Gemeinschaft als sündhaft ablehnt. Sogar der Hinweis auf die Möglichkeit des Kindersegens wird mit wahrhaft brutaler Schärfe, ja mit Hohn zurückgewiesen 2 . Diese Haltung ist nicht als romanhafter oder mythischer Zug einer mystischen Himmelserotik zu begreifen, wenn auch zweifellos gelegentlich solche Motive mit hereinspielen, sondern durch eine asketische Auffassung des Christentums bestimmt, die sich im Orient früh ausgebreitet hat und in ihrer schroffen Form von allen Getauften die Ehelosigkeit fordert — das ist in Syrien noch im vierten Jahrhundert das Ideal 3 — oder aber nur den Asketen als Vollchristen gelten läßt — so denken letztlich die Einsiedler und Mönche des ganzen Altertums, und ihre Literatur gibt dieser Ansicht unverkennbaren Ausdruck. Das andere Charakteristikum aller dieser Akten ist die Einwirkung gnostischer Gedanken, die sich in jeder Ge*) Photios cod. 114; dazu Harnack Gesch. d. altchristl. Lit. 1, 116—123. 2 ) Acta Thom. 12. 3 ) Offenb. 14, 4 vgl. Aphrahat Homilie 7, 20 p. 345 Parisot vgl. auch Horn. 6, 3—4 p. 256 ff. Par.; Burkitt Urchristentum im Orient (1907) S. 85, 90 ff.

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3. Das Neue Testament

schichte, jeder Rede, jedem Gebet und jeder Offenbarung kundtun. Insbesondere wird das Christusbild nicht nur ins Wundersame und Übermenschliche, sondern ins zauberhaft Gespenstische umgezeichnet. Christus ist unsichtbar gegenwärtig 1 , zuweilen körperhaft, dann wieder körperlos 2 , er erscheint als Knabe, Mann, Greis 3 , als Doppelgänger des Apostels 4 , eben noch sichtbar, dann plötzlich verschwindend 5 , schließlich sein Wesen in der Gestalt des Lichtkreuzes offenbarend als der göttliche Logos, der zugleich Vater, Sohn und Geist ist und in letzter Wirklichkeit nie am hölzernen Kreuz gehangen hat 6 . Das alles atmet gnostischen Geist. Man hat deshalb früher die meisten dieser Bücher für Erzeugnisse einer außer- und antikirchlichen Gnosis angesehen, die aber in einer mehr oder minder katholisierenden Bearbeitung auf uns gekommen seien: eine Meinung, welche durch das Vorhandensein jüngerer Umarbeitungen gestützt wird, in denen tatsächlich die anstößigen gnostischen Züge weithin beseitigt sind. Aber von den vermuteten gnostischen Urgestalten hat sich trotz der zahlreichen Neufunde der letzten Jahrzehnte nie eine Spur gezeigt, und wir haben inzwischen auch von anderer Seite her gelernt, die Grenze zwischen Kirche und Gnosis nicht scharf zu ziehen. So dürfen wir jetzt in diesen Volksbüchern wertvolle Zeugen für das Eindringen gnostischer Gedanken in die kirchlichen Gemeinden erblikken: gerade derartige Schriften brauchten den phantastischen Aufputz und die geheimnisvolle Sprache eines übermenschlichen Prophetentums, um den Bedürfnissen der Neugierde gerecht zu werden, die über die gewohnte Kirchenspeise hinaus nach verborgener Kunde historischer und theologischer Art verlangte. Da bot sich die Gnosis als unerschöpfliche Quelle ganz von selbst und bescherte in tausend bunten Bildern, wonach das Herz verlangte. Und die Tendenz, die in den apokryphen Evangelien unverhüllt zu Tage trat und die Leser leicht mißtrauisch machen konnte, war hier in der günstigen ») Acta Thom. 34. 154. 155. 165. 2) Acta Joh. 93. 3) Acta Joh. 4 87—92. Acta Petri 21. ) Acta Thom. 11. 152. 153. Acta Pauli 21. 5 ) Acta Thom. 34. 155. «) Acta Joh. 98—101. Acta Petri 38.

Gnosis in der Kirche. Apokalyptik

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Lage, sich spielerisch mit dem Mantel romanhafter Fabulistik zu bedecken. So finden wir in allen diesen Akten gnostische Anschauungen und Lehren, und sie werden mit einer so naiven Selbstverständlichkeit vorgetragen, daß man die Empfänglichkeit der Leser für solche Dinge leicht daraus erschließen kann. Wir sehen hier eines der Mittel, durch welche die Gnosis als Gesamterscheinung in den Gemeinden des zweiten und dritten Jahrhunderts Einfluß gewonnen hat, und zugleich sind die Schriften selbst Beweisstücke dafür, in welchem Umfang sie bereits erfolgreich gewesen ist. Denn höchstens bei den Thomasakten könnte man daran denken, einen gnostischen Sektierer als Verfasser anzunehmen: die andern Akten sind schwerlich von außen in die Kirche hineingetragen, sondern in der Mitte von Gemeinden entstanden, die sich als treue Glieder der katholischen Kirche fühlten. Da wird uns die Gefahr deutlich, von der die alten Väter so beweglich reden. Das Spätjudentum hat, angeregt durch das Danielbuch, die apokalyptische Schriftstellerei weiter ausgebaut und sehr fleißig gepflegt. Die Verfasser schreiben unter irgend einem ehrwürdigen Namen und datieren ihr Werk in eine längst vergangene Zeit. Zuweilen knüpfen sie an persönliche Erlebnisse an und gehen von Gesichten und Offenbarungen aus, die sie schildern und deuten, oder sie lassen einfach die heiligen Autoritäten — Henoch 1 , Moses, Baruch, die Sybille — selbst auftreten und Auskunft geben über alles, was die theologische und politische Wißbegier aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu erfahren wünscht. In der jungen Christenheit war schon in frühester Zeit das Wann und Wie der Aufrichtung des messianischen Reiches Gegenstand sehnsüchtiger Frage, und der ablehnende Bescheid, den der Meister einst den Jüngern gegeben hatte 2 , war keine ausreichende Beruhigung für die Gemeinde. Aber die Vorzeichen des großen Ereignisses, lebendige Bilder der Not auf Erden und der Schrecken am Himmel ließen sich doch wenigstens aus den letzten Herren*) s. Bd. 1, 24—26.

2

) Mark. 13, 32 u. Parall.

L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

6

3. Das Neue Testament

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reden entnehmen, die man in den synoptischen Evangelien 1 aufgezeichnet fand. Hier konnte die Phantasie der Propheten sich entzünden und den Versuch wagen, in die Geheimnisse der Endzeit ahnend vorauszublicken. Die dem johanneischen Kreis entstammende Offenbarung ist unseres Wissens das erste Werk dieser Art: es ist die Schöpfung eines ganz großen Künstlers, der, vom Geist ergriffen, mit leidenschaftlicher Gewalt die Pforten der Ewigkeit aufbricht. Den Stoff liefert ihm die bunte Welt spätjüdischer Jenseitsvorstellung, bereichert durch mythische Bilder altorientalischen und hellenistischen Glaubens: aber er gestaltet ihn neu und gliedert ihn mit siebenfältigem Rhythmus, der immer wieder aufklingend in das gewaltige Finale der letzten Vision ausmündet. Der verbannte Apostel weilt auf Patmos: es ist Sonntag. Da ruft ihn der Herr, er schaut sich um und sieht den Menschensohn in himmlischer Pracht. Er fällt nieder und vernimmt die Worte: „Fürchte dich nicht, ich bin der Erste und der Letzte und halte die Schlüssel des Todes und der Hölle. Nun schreibe, was du sahst und was ist und was nach diesem kommen wird". Der Prophet ist berufen. Und seine erste Tat ist die apostolische Mahnung. Sieben Sendschreiben gehen aus an sieben kleinasiatische Gemeinden, warnend und drohend zumeist, aber doch zweimal von herzlichem Lob erwärmt. Dann ist das Vorspiel beendet. Die Pforte des Himmels tut sich auf, der Seher steigt empor und schaut Gott auf seinem Thron, umgeben von den 24 Ältesten und den Scharen der Engel, die das Dreimalheilig singen. Da liegt das Buch mit sieben Siegeln, auf dem Throne steht das Lamm, und, umbraust von Jubelliedern, öffnet es feierlich ein Siegel nach dem andern. Nun jagen Erde bebt und tyrer schreien die Gläubigen, siebente Siegel

die vier apokalyptischen Reiter in die Welt, die die Sonne verfinstert sich. Die Seelen der Märnach Rache, und die Engel Gottes versiegeln die zur Rettung bestimmt sind. Dann wird das gelöst: sieben Engel erscheinen und blasen auf

') Mark. 13, 5—37 = Matth. 24, 4—36 = Luk. 21, 8—36.

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Die johanneische Apokalypse

sieben Posaunen. Und jedem Schall folgt eine schreckliche Offenbarung. Die siebente Posaune leitet himmlische Gesichte ein. Der Messias wird geboren und vom Drachen verfolgt. Michael wirft das Untier zu Boden, aber schon steigen feindliche Tiere aus der Tiefe und machen sich die Menschheit bis zur Anbetung Untertan: geheimnisvolle Zeichen und Zahlen enthalten den Schlüssel zur Erkenntnis ihres Wesens. Und sieh: schon steht das Lamm, umgeben von seinen Getreuen, triumphierend auf dem Berge Zion, und Engelstimmen verkünden, daß Babylon die Große gefallen ist und alle Götzendiener göttliche Strafen erleiden. Die Sichel schneidet auf Erden Gottes blutige Ernte. Sieben Schalen des Zornes leeren sich über der Erde, und noch einmal zieht das Strafgericht über Babylon vor den Augen des Sehers vorüber. Das himmlische Halleluj a huldigt dem König derKönige undHerrn derHerren, der Teufel wird in das Gefängnis der Tiefe geworfen, und Christus herrscht mit den Seinen auf dieser Erde 1000 Jahre lang. Dann öffnet die Hölle noch einmal ihre Pforten: der Teufel wird frei und stürmt mit allen widergöttlichen Gewalten gegen die heilige Stadt. Aber Feuer fällt vom Himmel und vernichtet die Bösen, derTeufel mit den Seinen wird in den Feuerpfuhl gestürzt zur ewigen Qual, und die Toten stehen auf. Das jüngste Gericht hebt an, und jeglicher wird gerichtet nach seinen Werken. Das ist das Ende. „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde: denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt Jerusalem neu herabsteigen aus dem Himmel von Gott, bereitet wie eine Braut, geschmückt für ihren Mann". Und nun umfängt den Seher alle Pracht und Herrlichkeit des himmlischen Jerusalem, und seine Zunge klingt in seligem Jubel — „und ich, Johannes bin's, der das hört und sieht". Dann fällt er anbetend nieder: der himmlische Klang ist verrauscht, nur abgerissene Worte zittern ihm noch im Ohr. Da schreibt er auf, was ihm offenbart worden ist, und beschwört jeden Abschreiber dieses Prophetenbuches bei seiner Seligkeit, nichts davonzunehmen oder hinzuzutun. Und dann schließt 6*

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3. Das Neue Testament

er mit dem sehnsüchtigen Seufzer: „Ja, ich komme bald, Amen, komm Herr Jesu!" Die neuere Forschung ist mit der alten Kirche darin einig, die Abfassung dieses Buches unter Domitian, und zwar gegen Ende seiner Regierung (t 96) anzusetzen. Der Verfasser benutzt altes Material und fügt es in seinen Rahmen, gleichgültig gegen die Unstimmigkeiten, die für nachprüfende Exegeten dadurch entstehen, weil er der überragenden Gesamtwirkung seiner Komposition sicher sein darf. Unter der beherrschenden Gewalt seines Geistes erglänzt auch das Alte in dem neuen Licht der christlichen Ewigkeitsschau, und diese höhere Perspektive verklärt auch den Haß gegen das im Bilde Babylons erscheinende römische Reich zur prophetischen Gerichtspredigt eines Mannes, der mit den letzten und absoluten Maßstäben mißt. Wir steigen aus der Werkstatt eines schöpferischen Künstlers in das bescheidene Kämmerlein eines kleinen Handwerkers hinunter, wenn wir uns der zweiten Apokalypse des christlichen Altertums zuwenden. Wenig vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts schrieb in Rom Hermas, der Bruder des Bischofs Pius, ein dreigeteiltes Werk, dem man den Titel „der Hirt" gegeben hat. Wie weit wirkliche Erlebnisse des Hermas hier eine literarische Form gefunden haben, ist nicht mit Sicherheit auszumachen: aber die in der ganzen Schrift immer wieder deutlich hervortretende Abhängigkeit von Buchmotiven und das sichtliche Bemühen des Verfassers, den unter seinen Händen stetig, aber formlos wachsenden Stoff durch kleine Mittel zusammenzuhalten, nährt beim Leser die Vermutung, daß er auch da unselbständig ist, wo er von Eigenem zu geben behauptet. Eine Apokalypse ist dieses Buch, weil es von Visionen berichtet und in Erwartung des göttlichen Gerichtes steht. Aber die Visionen sind künstlich am Schreibtisch ausgedachte Allegorien, und die künftigen Plagen samt dem Gericht werden nicht geschaut und geschildert, wie bei Johannes, sondern nur angekündigt, um dem Hauptzweck des Buches zu dienen.

Der Hirt des Hermas. Die Petrusapokalypse

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Es ist nämlich als Ganzes eine Bußpredigt an die Christenheit und verkündet in immer neu eingekleideten Wendungen die Lehre, daß auch der in schwere Sünde gefallene Christ noch einmal — aber wohlgemerkt, nur noch einmal nach der Taufe! — Gelegenheit hat, durch Reue und Buße seine Sünden abzuwaschen: so ist der Gemeinde jetzt noch eine Frist gegeben. Wer die Worte des Propheten zu Herzen nimmt, wird sie benutzen, ehe sie abläuft und das Gericht beginnt, und das Buch mit seinen Bildern und lang ausgesponnenen moralischen Betrachtungen will ihn zu vertiefter Erkenntnis der Sünde und des rechten christlichen Wandels führen. Solche Lehren erteilt zunächst eine ehrwürdige Alte, die als Personifikation der Kirche vorgestellt wird, und ein als Hirte gestalteter Engel, der merkwürdige Ähnlichkeit mit einem Offenbarungsträger hellenistischer Mystik hat 1 . Die Arbeit an der Kirche wird zweimal 8 unter dem Bild eines Turmbaus symbolisiert, auch das Hirtenbild wiederholt sich 3 und wird dann umrahmt von breit ausgesponnenen Baumallegorien 4 . Das Gleichnis von den zwei Städten, von denen doch nur eine die wahre Christenheimat sein kann 5 , gibt gemeinchristliche Anschauung wieder. Dagegen ist die mit Hermas wohl gleichzeitige Petrusapokalypse 6 eine echte Vertreterin ihrer Gattung. Da redet der Herr auf dem ölberg zu seinen Jüngern und teilt ihnen die Vorzeichen seiner Parusie und des Weltendes auf ihre Bitte mit. Er knüpft dabei reichlich an synoptische Worte an, malt aber die dort gegebenen Andeutungen breit aus. Die Schilderung des jüngsten Gerichts mit der Bestrafung der Sünder bildet denUbergang zu einer ausgiebigen Zeichnung der Hölle, wo die verschiedenen Arten der Frevler mit Strafen gepeinigt werden, die ihren irdischen Handlungen entsprechen. Die Gerechten aber gehen in die elysischen Gefilde von Acherusia. Die Jünger bitten darum, einen Gerechten aus jenem Leben 2 ») Vgl. R. Reitzenstein Poimandres (1904). ) Vis. 3. Sim. 9 5 ) Vis. 5 Sim. 6. *) Sim. 2—4. 8 vgl. auch 5. ) Sim. 1. •) Die ganze Uberlieferung zusammengestellt von H. Weinel bei Hennecke Neutest. Apokr. 2 314—327. 3

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3. Das Neue Testament

sehen zu dürfen, und es erscheinen zwei Selige in ihrem leuchtenden Glänze; danach öffnet sich der Himmel, und die ganze Herrlichkeit des Paradieses entschleiert sich den Blicken der Apostel. Freilich, die Phantasie des Verfassers weiß vom Himmel nur wenig zu berichten, während seine Höllenvisionen reich und mannigfaltig aus all den Bildern gestaltet werden, die Orient und Griechenland schon lange zusammengetragen hatten 1 . Dieser Unterschied ist freilich auch bei dem Größten unter den Nachfolgern unseres Verfassers, bei Dante, deutlich zu spüren, aber wer die trockene Himmelsschilderung dieser Petrusschrift mit der johanneischen Seligkeit des himmlischen Jerusalem vergleicht, wird den gewaltigen Abstand in der Höhenlage beider Werke scharf empfinden. Eine Apokalypse in der Form einer Herrenoffenbarung ist auch die neuerdings erst in unsern Gesichtskreis getretene Epistula Apostolorum 2 . Nur ist es da der auferstandene Herr, der die Seinen um sich versammelt und sie über die himmlischen Dinge belehrt: über seinen Abstieg zur Erde, seine Fleischwerdung, sein Verhältnis zum Vater, die Auferstehung der Toten, aber auch über die Zeichen und Leiden der Endzeit, über die Missionsaufgabe der Jünger und die Pflicht zu tapferer Mahnpredigt und treuem Bekenntnis. Durchgehends sehen wir das Bemühen des Verfassers, die neutestamentlichen Grundlagen seiner Ausführungen deutlich zum Bewußtsein zu bringen. Aber was er darüber hinaus aus Eigenem gibt, trägt nicht nur die uns wohlbekannten Züge der allgemeinkirchlichen Meinung, sondern ist auch von gnostischer Denkweise befruchtet. Auf der einen Seite wird freilich die Leiblichkeit des auferstandenen Christus nachdrücklich behauptet, aber andrerseits die Göttlichkeit des Logos mit der des Vaters völlig gleichgesetzt. Der Vater ist in dem Logos mit seiner Gestalt, Macht, Vollkommenheit, Licht, Maß und Stimme®. Und als er zur Erde niederstieg, zog er die Weisheit und Kraft des ») Albrecht Dieterich, Nekyia (1893). 2 ) Carl Schmidt Gespräche Jesu (TU 43) 1919. H. Duensing Epistula apostolorum 1925 (Kl. Texte 152). 3) Epist. apost. 17 (28).

Der Brief der Apostel

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Vaters an und kleidete sich in jedem Himmel in die Gestalt der dort wohnenden Engel, so daß er unerkannt blieb. So ist er denn auch der Jungfrau Maria als Gabriel erschienen und dann in ihren Leib hineingegangen und Fleisch geworden 1 . Auf Erden hat Christus die Heilslehre gepredigt, hat sie sogar in die Unterwelt getragen, und das menschliche Fleisch dadurch, daß er es annahm, zur Unverweslichkeit befähigt 2 . Er hat die Menschen aus der Gewalt der Archonten befreit und führt sie zur himmlischen Ruhe 3 . Das sind im Grunde alles gut katholische Gedanken, aber in Formen gekleidet, die von der Gnosis geschaffen sind. Diese Epistula entstammt dem zweiten Jahrhundert 4 , etwa der Zeit um 140 oder 170 und ist wohl in Ägypten geschrieben. Sie ist das älteste uns bekannte Beispiel einer solchen Offenbarungsschrift, die auf Reden des Auferstandenen zurückgehen will. In der Gnosis ist diese Form eifrig gepflegt worden und hat noch im dritten Jahrhundert so umfangreiche Werke wie das Buch Pistis Sophia erzeugt. Es begreift sich, daß diese Schriftstellerei der Kirche sehr schnell verdächtig geworden ist. Aber sie ist nicht auszurotten gewesen, und die allgemein menschliche Neugier, die hinter den Vorhang des Jenseits zu schauen begehrt, hat im Bunde mit gnostisierendem Spekulationstrieb von einem Jahrhundert zum andern immer neue Apokalypsen erzeugt, denen es an eifrigen Lesern ungeachtet des Widerstandes der Kirche nicht gefehlt hat. Die christliche Briefliteratur ist durch den Apostel Paulus begründet worden. Nicht als ob er je daran gedacht hätte, irgend etwas Literarisches zu schaffen. Seine Briefe sind ihm nie etwas anderes gewesen als Mittel zum Zweck apostolischen Wirkens, und wenn er alles hätte mündlich erledigen können, so würde er keine Zeile geschrieben haben. Wenn er den Kollossern 5 den Rat gibt, sich den Brief an die Laodicener zu beschaffen und diesen im Austausch ihren Brief zukommen zu lassen, so tut er das, weil er auf diese Weise Zeit spart und 3

2 ') Epist. apost. 13—14 (24—25). ) Epist. apost. 21 (32) 4 5 ) Epist. apost. 28 (39). ) Z N W 20,173—176. ) Kol. 4,16.

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3. Das Neue Testament

nicht zweimal dasselbe zu schreiben braucht. Aber weil in diesen Briefen seine überragende Persönlichkeit zu lebendigster Wirkung kam, darum sind sie wirkliche Literaturwerke von höchstem Rang geworden und als solche auch schnell von den Gemeinden erkannt worden. Jener Briefaustausch zwischen Kolossae und Laodicea wird nicht der erste gewesen sein und ist nicht der einzige geblieben. Man hat schon früh begonnen, Briefe des Apostels zu sammeln, in Korinth, in Ephesus, in Philippi 1 , und als gegen Ende des ersten Jahrhunderts sich jemand an die Aufgabe wagte, die sämtlichen Briefe des Paulus zusammenzubringen, waren ihm Abschriften von neun Gemeindebriefen und dem Brief an Philemon erreichbar. Dies ist der Grundstock unseres Briefkorpus. Was jener Sammler nicht mehr bekommen konnte, ist verloren — darunter sind z. B. zwei Briefe an die Korinther, von denen einer vor, der andere hinter unsern l.Kor. gehört. Auch in der alten Kirche hat niemand mehr Kunde von irgend einem Paulusbrief außerhalb unserer Sammlung. Aber diese selbst ist seitdem in der ganzen Kirche verbreitet und fleißig abgeschrieben wor den. Schon Ignatius und Polykarp kennen sie in trajanischer Zeit. Schnell hat sich auch eine bestimmte Reihenfolge der Briefe durchgesetzt, die im Groben auf dem rein äußerlichen Prinzip der Länge beruht. Der längste Brief, also der an die Römer, kommt zuerst, der kürzeste zuletzt; wobei die Briefe an dieselbe Gemeinde zusammenbleiben. Es hat im zweiten Jahrhundert noch ein anderes Prinzip der Anordnung gegeben, bei dem die Korintherbriefe voranstanden 2 , und Marcion hat versucht 3 , sie chronologisch zu stellen. Das schließen wir aus Nachrichten: alle uns erhaltenen Handschriften haben die Sammlung mit dem Römerbrief an der Spitze. In dieser Ursammlung befand sich aber bereits ein unechter Brief, nämlich der an die Epheser. Bald sind die Pastoralbriefe hinzugetreten: schon Polykarp zitiert aus ihnen 4 und ') Vgl. E. v. Dobschütz in Die evangelische Theologie 2 (1927) S. 9. 2 ) Handb. zu Rom.4 Einl. S. 1-^t. 3 ) Bd. 1, 272 f. 4 ) Polyc. epist. 4, 1. 5, 2. 9, 2. 11, 4.

Der Sammlung der Paulusbriefe

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las sie also wohl in seinem Pauluskodex. Sie haben ihren Platz vor dem Philemonbrief gefunden, so daß also nun eine Gruppe von Briefen an Einzelpersonen den Gemeindebriefen folgt. Wohl um die Mitte des zweiten Jahrhunderts hat man dann im Osten irgendwo, vielleicht in Ägypten, den Hebräerbrief für paulinisch erklärt und demgemäß der Sammlung eingegliedert. Seine schwankende Stellung in den Handschriften verrät noch heute, daß er erst später hineingekommen ist: er findet sich bald am Ende des ganzen Korpus, bald am Ende der Gemeindebriefe, bald in ihrer Mitte, vor oder hinter den Korintherbriefen oder zwischen Kolosser- und Galaterbrief. Schon ein Lehrer des alexandrinischen Klemens 1 nennt ihn als Brief des Paulus, zerbricht sich aber auch schon den Kopf über die dadurch erwachsenden Schwierigkeiten. Das kann nicht lange nach 150 gewesen sein. Aber die Abschriften des älteren Pauluskorpus waren damals schon so weit in der ganzenKirche verbreitet, daß diese Erweiterung sich nur in beschränktem Umfang durchsetzen konnte. Im Osten ist es ziemlich geglückt, das Abendland hat den Hebräerbrief als nichtpaulinisch abgelehnt und sich erst infolge der kirchenpolitisch bedingten theologischen Einwirkungen des vierten Jahrhunderts mit ihm befreundet. Die Paulusbriefe sind, wie schon gesagt, das Vorbild aller weiteren altchristlichen Briefliteratur geworden. Weil sie bei allen Gemeinden der Christenheit in Aufnahme kamen, meinte man, sie seien auch zu dem Zweck geschrieben, und ahmte dies Vorbild nach. So entstanden die für die Gesamtkirche bestimmten und nur scheinbar mit Sonderanschriften versehenen Traktate, welche sich als Briefe des Jakobus, Petrus, Judas, Barnabas geben oder, wie der 1. Johannesbrief und der Hebräerbrief, die Briefform wenigstens teilweise aufrecht erhalten. Aber auch wirkliche altchristliche Briefe sind in Nachahmung des paulinischen Vorbildes geschrieben: wir haben den Brief des römischen Klemens und die sieben Schreiben des Ignatius bereits kennengelernt, zu denen das Begleitschreiben ») Euseb KG 6, 14, 4.

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3. Das Neue Testament

des Polykarp hinzugerechnet werden muß. Andere Lehr- und Mahnbriefe kennen wir als Einlagen in größere Werke: so die sieben Sendschreiben der Apokalypse, die Korintherkorrespondenz der Paulusakten 1 , den Briefwechsel zwischen Klemens und Jakobus am Anfang der klementinischen Homilien. Wertlose Fälschungen sind der wohl im vierten Jahrhundert fabrizierte 2 Briefwechsel zwischen Paulus und Seneca sowie der apokryphe Laodicenerbrief 3 , der jenes Kol. 4,16 erwähnte Paulusschreiben ersetzen soll. Von dem phantastischen „Brief der Apostel", der eine Apokalypse enthält, ist bereits 4 die Rede gewesen. Diese ganze reiche Literatur wollte direkt oder indirekt der Gemeinde autoritative Belehrung geben und hat es auch in weitgehender Weise getan. Aber je reicher sich die theologische Spekulation und die freie Schöpferkraft der Phantasie entfalteten, um so stärker wurden die Gegensätze innerhalb dieses Schrifttums und damit auch die Widersprüche der neuen Lehren gegen die altgewohnte Tradition der Gemeinde. Das treibende Element bei der Produktion neuer Schriften war der Geist der Gnosis, und wir haben gesehen, wie stark er in die kirchlichen Kreise hineinwirkte. Demgegenüber mußte die Gemeinde nach einem sicheren Schutz suchen, und sie fand ihn in der Begrenzung der autoritativen Lehre auf das Apostolische. Die Apostel sind die letzten, aber auch die einzigen Autoritäten, so lautete bald der kanonische Grundsatz, in dem die Selbstbesinnung der Kirche auf ihr Wesen sich aussprach. In ältester Zeit und noch bis zur Mitte des zweiten Jahrhunderts wird als höchste Autorität „der Herr" zitiert, und zwar in der Form der Vergangenheit, wie es sich ja von selbst versteht, „der Herr hat gesagt". Woher der Redner oder Schriftsteller das Herrenwort hat, pflegt er nicht mitzuteilen, und es ist im Grunde auch gleichgültig, so lange die Richtigkeit des Zitates keinem Zweifel unterliegt. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß er seine Kenntnis aus den üblichen Quellen schöpft, und wenn er auf eine münd2 *) s. o. S. 74. ) Hieron. vir. inl. 12. Kl. Texte 12. ") o. S. 86.

3

) Ausg. v. Harnack in

Apostolische Autorität

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liehe Tradition zurückgreift, so mindert das seine Glaubwürdigkeit keineswegs. Dieser ideale Zustand konnte nicht aufrecht erhalten werden, als unter gnostischer Einwirkung Jesusworte von fremdem Klang und voll seltsamer Weisheit frei erfunden wurden, als jene neuen Evangelien auftauchten, von denen wir gehört haben. Nicht daß sie neu waren, machte die Gemeinde mißtrauisch — auch Matthäus und Lukas sind einmal ohne Schaden neu gewesen — sondern daß sie neue Lehren und ungewohnte Theologie durch Jesu Mund vortragen ließen. Schon das Johannesevangelium ist in Kleinasien auf Gegner gestoßen, denen seine Logoslehre verdächtig war, und die es wegen seiner Widersprüche zu der Darstellung der synoptischen Evangelien verwarfen 1 : es hat sich doch durchgesetzt. Als aber nun die gnostischen Evangelien und Offenbarungsschriften mit dem gleichen Anspruch auftraten, suchte die Kirche nach einem eindeutigen Kriterium und fand es in der Forderung apostolischer Abfassung. Nur die Apostel sind einwandfreie Künder der Überlieferung vom Herrn, folglich haben nur solche Evangelien Geltung in der Kirche, die von Aposteln verfaßt sind. Dadurch waren die Evangelien des Matthäus und des Johannes autorisiert — und der Widerspruch jener Kleinasiaten gegen das vierte Evangelium ist bezeichnenderweise mit der Behauptung verbunden, es sei nicht von dem Apostel Johannes, sondern von dem Irrlehrer Kerinth geschrieben 2 . Bei Markus und Lukas half man sich mit dem Hinweis darauf, daß beide Männer Apostelschüler seien, und demgemäß der eine die Autorität des Petrus, der andere die des Paulus zur Geltung bringe 3 . Damit waren diese vier Bücher aber in Wahrheit kanonisiert worden. Denn der Hinweis auf ihre apostolische Autorität, der uns zunächst nur als eine Besinnung auf gesunde historische Grundsätze erscheinen will, hatte den tieferen Sinn, daß diese Jesustradition — und nur diese — von dem in der Kirche waltenden heiligen Geist gewirkt und gesichert sei. ») Epiph. haer. 51, 3—4 usf. 2) Epiph. haer. 51, 3, 6. 3) Justin dial. 103, 8. Irenaeus 3, 1, 1. 2. Fragm. Murat,ori 1—34 und Monarchian. Prologe (Kl. Texte l 2 S. 5. 12—16).

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3. Das Neue Testament

Die Apostel waren die einzigen unbedingt legitimierten Geistträger in der Kirche: an ihren Kundgebungen war alles zu messen, was sich sonst noch als Wirkung des Geistes ausgab. So waren also ihre Schriften vom Geist inspiriert und damit von letzter, göttlicher Autorität. Sie traten den Urkunden des alten Bundes ebenbürtig oder, besser gesagt, als notwendige und vollendende Ergänzung zur Seite, sie waren auch „heilige Schrift". Neben das Alte Testament fügt sich ein Neues Testament, das man nun in der gleichen Weise mit den feierlichen Worten „es steht geschrieben" aufruft, die in älterer Zeit nur dem Alten Testament vorbehalten sind. Und wenn man jetzt Herrenworte zitiert, so geschieht es nicht im Präteritum, sondern lieber in der Gegenwartsform „der Herr sagt", denn er spricht nun stets gegenwärtig aus den heiligen Büchern zu seiner Gemeinde. Dieser Prozeß der Kanonisierung der Evangelienschriften ist in seinen Anfängen bei Justin 1 kurz nach 150 deutlich zu beobachten und ist zur Zeit des Irenaeus 2 , also ein Menschenalter später, vollendet. Gelegentlich ist freilich noch Unsicherheit vorhanden. Die Gemeinde von Rhossos in Syrien benutzte das Petrusevangelium3, und der antiochenische Bischof Serapion hatte sich durch den apostolischen Namen zur Anerkennung dieses Gebrauchs bewegen lassen. Das war nach dem Apostolizitätsprinzip richtig gehandelt. Als er aber den Text näher ansah und doketische Irrlehre darin feststellte, verbot er das Buch. Er prüfte also die Echtheit der apostolischen Etikette durch Vergleich mit der Kirchenlehre, und da er entscheidende Abweichungen fand, erklärte er — sachlich zutreffend — den Namen für unecht und die auf ihn sich gründende Autorität für nichtig. Mit den übrigen pseudoapostolischen Evangelien ist die Kirche nicht anders verfahren und ist so zu der allgemein angenommenen Anschauung gelangt, daß es mehr als vier Evangelien nicht gebe und auch nicht geben könne — das hat Irenaeus 4 schon theoretisch und symbolisch begründet. ») Justin dial. 49. 100. 101. 104. 105. 106. 107. 2 ) Irenaeus 3, 11, 8. 2, 22, 3. 2, 30, 2. 3) Euseb KG 6,12, 2—6. 4) Irenaeus' 3, 11, 8.

Der Evangelienkanon

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Aber die Vierzahl der Evangelienschriften hatte auch ihre Nachteile. Es gab doch in Wahrheit für die Kirche nur e i n Evangelium, nur e i n e Botschaft Gottes an die Menschheit: wozu war die auf vier Bücher verteilt? Noch dazu mit so vielen Wiederholungen, aber auch mit Unstimmigkeiten und anscheinenden Widersprüchen der verschiedenen Texte? Der ideale Zustand war doch sicherlich e i n Evangelium in e i n e m Buch. Das war vielleicht in ältester Zeit auch der Fall gewesen, wo der Gebrauch der Synoptiker sich auf verschiedene Gegenden verteilt hatte. Marcion ließ auch nur e i n Evangelienbuch in seiner Kirche gelten. Um 180 haben zwei Männer den Weg betreten, den auch die Kirche bis auf den heutigen Tag benutzt, sobald es sich um volkstümliche Evangelisation durch „biblische Geschichte" handelt; sie haben aus den vier Texten einen einzigen gemacht. Der eine ist Bischof Theophilus von Antiochia gewesen; sein Werk ist spurlos untergegangen 1 . Dagegen hat der andere großen Erfolg gehabt: es war der Schüler Justins, Tatian. Seine Evangelienharmonie „aus vieren", Diatessaron genannt, reiht Perikopen aller vier Evangelisten zu einer fortlaufenden evangelischen Geschichte zusammen, und dies Buch ist in der syrischen Kirche in amtlichen, auch gottesdienstlichen Gebrauch genommen und erst im Laufe des fünften Jahrhunderts 2 durch das Vierevangelienbuch verdrängt worden. Unter der Hand ist Tatians Werk aber auch anderswo noch lange benutzt, und nach Ausweis der vorhandenen Übersetzungen haben Römer so gut wie Germanen aus ihm das Evangelium gelernt; auch eine arabische Bearbeitung ist erhalten. Das Original freilich ist verschollen, und man streitet sogar darum, ob es griechisch oder syrisch verfaßt war: doch ist jüngst ein griechisches Bruchstück am Euphrat ausgegraben worden®. Die Kirche hat jedoch im Ganzen eine solche Verkürzung der Evangelientexte abgelehnt. Der Kampf gegen die Willkür !) Hieron. epist. 121, 6, 15. 2 ) Theodoret haer. fab. 1, 20 (4, 312 3 Schulze) Burkitt Evangelion da-mepharreshe 2, 173 ff. ) Fund in Dura: C. H. Kraeling A Greek Fragment of Tatians Diatessaron (Studies and Documents 3) 1935.

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3. Das Neue Testament

Marcion und der Gnosis hatte ihr den Wert einer, historisch gut fundierten Tradition gezeigt, die nun mit Ehrfucht gehütet wurde: sie war ja doch jetzt als niedergeschriebenes Gotteswort erkannt, und das durfte nicht willkürlich vermindert werden. So blieben die vier Evangelien intakt. Aber es ist doch nützlich festzustellen, daß sich eine talmudistische Kleinkrämerei nach Art der jüdischen Masorethen bei den Christen nicht entwickelt hat. Die Abschreiber haben sich bei allem Respekt vor Gottes Wort auch in den späteren Jahrhunderten nicht hindern lassen, den Text im einzelnen durch harmonisierende Korrekturen oder Herübernahme von Varianten aus andern Handschriften hin und her zu „verbessern", so daß ein ganzer Urwald von gegeneinander stehenden Lesarten, Zusätzen und Auslassungen entstanden ist. Und das gleiche Schicksal hat auch die Handschriften der Übersetzungen des Neuen Testaments betroffen und so die Textkritik dieses heiligen Buches zum schwierigsten Gebiet philologischer Arbeit gemacht. Nur in Syrien sind die Kodizes der amtlichen Bibelübersetzung mit einer weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden, offenbar religiös bedingten, Sorgfalt kopiert worden und dadurch vor Entstellungen bewahrt geblieben. Die Paulusbriefe hat Marcion zuerst dem Evangelium gleichgesetzt 1 in bezug auf göttliche Offenbarungsautorität: dies ergab sich zwingend aus seiner Theologie. Aber auch die Großkirche schätzte ja diese Briefe von Anfang an, und sobald die Apostel in die eben charakterisierte Stellung einzigartiger Offenbarungsträger rückten, mußten auch ihre Briefe als inspirierte Kundgebungen des heiligen Geistes zu dem sich bildenden Neuen Testament gerechnet werden. Das läßt sich an den Zeugnissen der Schriftsteller nachprüfen, die gegen Ende des zweiten Jahrhunderts neben die Evangelien die apostolischen Briefe stellen 2 und sie allmählich dann auch mit der feierlichen Formel als „Schrift" zitieren 5 ; aber dieser Sprach3 2 ) s. Bd. 1, 273. ) Iren. 1, 3, 6 (1, 31 Harvey); Apg als „Schrift" 3 3, 12, 5. 9 (2, 57. 65 Harv.) ) Clemens Strom. 1, 87, 7 f. 7, 84, 2. 3 vgl. 7, 95, 3.

Der Briefkanon

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gebrauch hat sich doch nur langsam durchgesetzt. Den Kern der Sammlung apostolischer Briefe bildet das paulinische Korpus, und Marcion hat keine weiteren Schreiben in seinem Kanon. Auch die alte syrische Kirche beschränkt ihren Briefkanon auf Paulus 1 . Im Laufe des vierten Jahrhunderts tauchen die drei großen katholischen Briefe — Jakobus, 1. Petrus, 1. Johannes — bei syrischen Vätern auf, und die amtliche Kirchenbibel des Syrer, die Peschitto, hat sie um 400 dem Neuen Testament angegliedert. Dieser „Dreibriefkanon" gilt auch im Bereich der antiochenischen Kirche, und die großen Prediger und Theologen, die dieser Kirchenprovinz angehören oder unter ihrem Einfluß stehen, erkennen keine anderen katholischen Briefe an. Im Westen können wir eine Entwicklung verfolgen, die von den beiden schon dem Polykarp von Smyrna um 115 bekannten Briefen, 1. Petrus und 1. Johannes, ausgeht und den Jakobusbrief beiseite läßt. Diese zwei Briefe bilden den Grundstock, an den sich seit dem endenden zweiten Jahrhundert die vier kleineren katholischen Briefe -— 2. Petrus, 2. 3. Johannes, Judas — in allen möglichen Kombinationen anschließen: die erhaltenen lateinischen Kanonverzeichnisse zeigen uns anschaulich die Mannigfaltigkeit der kirchlichen Urteile über diesen Teil des Neuen Testaments. Die alexandrinische Kirche beweist ihre Verbundenheit mit Rom darin, daß auch sie diesen abendländischen Kanon benutzt: Klemens zitiert 1. Petrus, 1. und 2. Johannes, Judasbrief, und er hat diesen Schriften auch einen zusammenhängenden Kommentar in seinen „Hypotyposen" gewidmet 2 . Aber in Alexandria war man weitherzig, und so rechnet er auch den Barnabasbrief zu dieser Gruppe 3 und nennt seinen Verfasser einen Apostel 4 , behandelt sogar den römischen Klemensbrief als apostolisch 5 und zitiert die Didache als heilige Schrift". Dieselbe Auffassung schimmert auch im Schrifttum des im 2) ') W . Bauer, Apostolos der Syrer 34. Clemens Alex. ed. Stahlin 3, 203—215. 3 ) Euseb K G 6, 14, 1. 4 ) Clem. Strom. 2, 31, 2. 2, 35, 5. 6 ) Clem. Strom. 4, 105, 1. «) Clem. Strom. 1, 100, 4.

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3. Das Neue Testament

übrigen kritisch eingestellten Origenes noch gelegentlich durch, und hat sogar in den uns erhaltenen Bibelkodizes des fünften Jahrhunderts ihre Spuren hinterlassen. Sowohl die Sinaitische Handschrift wie der Alexandrinus bringen am Ende des Neuen Testaments einen Anhang: jene hat darin den Barnabasbrief und den Hirten des Hermas, dieser die beiden Klemensbriefe. So stark war das Bedürfnis der ägyptischen Christen, auch diese Schriften in ihrer Bibel zu lesen. Vereinigte man nun jenen abendländischen Briefkanon in seinem ganzen Umfang mit dem Kanon der Antiochener, so entstand ein Kanon von sieben katholischen Briefen, der durch den Jakobusbrief eröffnet wurde; dann folgten 1. 2. Petrus, 1. 2. 3. Johannes, Judas. Die Reihenfolge steht im Osten fest und beweist, daß der alte Dreibriefkanon die Grundlage bildet, während der Westen schwankt und gerne den römischen Apostel Petrus an die Spitze stellt. Dieser Kanon der sieben Briefe begegnet uns um 320 bei Euseb von Cäsarea und hat sich im Laufe des vierten Jahrhunderts weiter ausgebreitet: nach Ägypten und dem Abendlande zuerst, dann auch, im Zusammenhang mit der ägyptischen Kirchenpolitik, im Orient zugleich mit dem Nicaenischen Bekenntnis. Die Apostelgeschichte ist mit einer stillen Selbstverständlichkeit diesem Kanonisierungsprozeß gefolgt: war sie doch die Fortsetzung des Lukasevangeliums und zugleich die notwendige Ergänzung zu den Apostelbriefen. Diese beiden Tatsachen mußten den Mangel apostolischer Verfasserschaft decken und haben es auch mit Erfolg getan. Aber es ist begreiflich, daß dies Buch in der älteren Zeit hinter den übrigen neutestamentlichen Schriften zurücktritt und selten zitiert wird; noch im Anfang des fünften Jahrhunderts ist es sogar in der Hauptstadt Konstantinopel 1 weiten Kreisen der Gemeinde so gut wie unbekannt gewesen. Auch scheint seine Anerkennung um 200 in Afrika noch nicht unbedingt festzustehen 2 , aber im allgemeinen ist es um diese Zeit bereits Bestandteil des Kanons, ') Johannes Chrys. hom. 1, 1 in Act. apost. (9, 1 Montf.) vom Jahre 401. 2) Tertullian de praescr. 22.

Die Apostelgeschichte. Kanon der Apokalypsen

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und sogar die altsyrische Kirche 1 hat es den Paulusbriefen beigesellt. Heiß umstritten ist dagegen der Kanon der Apokalypsen. Diese nehmen als Offenbarungen des Geistes ohne weiteres höchste Autorität für sich in Anspruch. Die johanneische Schrift verflucht ausdrücklich jeden, der ein Wort hinzufügt oder ausstreicht. Aber auch der Hirte des Hermas und die Petrusapokalypse haben energisch Gehör verlangt, und weite Kreise der Kirche haben es ihnen bewilligt. Namentlich Hermas ist im Abendland gegen Ende des zweiten Jahrhunderts viel gelesen und von Rom aus auch nach Ägypten gewandert, wo er sich am längsten gehalten hat. Denn in Rom wurde er in den Hintergrund gedrängt, sobald man den Kanon nach dem apostolischen Prinzip zu begrenzen anfing 2 , und hat seit dem dritten Jahrhundert nur noch als privates Lesebuch vereinzelt Beachtung gefunden, während er in Ägypten bis zum fünften Jahrhundert in hohem Ansehen steht und als wertvoller Anhang zum Neuen Testament geschätzt wird. Die Petrusapokalypse hat ein römischer Kritiker 3 um 200 wegen ihres apostolischen Namens im Kanon belassen, aber er notiert dazu, daß „manche von den Unsern sie nicht in der Kirche verlesen wissen wollen". Sie ist denn auch im Abendland nicht zu Ansehen gelangt, hat aber in Ägypten seit 200, wo Klemens sie in den Hypotyposen kommentierte, Verehrer gefunden, und wird in einzelnen Städten Palästinas sogar noch im fünften Jahrhundert am Karfreitag in den Kirchen verlesen 4 : was um diese Zeit wirklich nur noch eine Seltsamkeit ist. Die johanneische Apokalypse hat sich im zweiten Jahrhundert schnell durchgesetzt. Schon bald nach der Mitte des Jahrhunderts finden wir sie in Rom5, wenig später in Gallien, Afrika und Ägypten, und seitdem ist ihr Ansehn und ihre apostolische Autorität im Abendland und am Nil feststehend. Im J

) Doctrina Addaei p. 46 ed. Phillips. Th. Zahn Gesch. d. neutest. Kanons 1, 1, 373. 2 ) Fragm. Muratori Z. 73—80. 3) Fragm. Muratori Z. 71—73. 4) Sozomenus 7, 19, 9. 5 ) Justin dial. 81, 4. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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3. Das Neue Testament

Orient ist sie naturgemäß auch früh bekannt und respektiert 1 . Aber dieselben Kreise, welche dem vierten Evangelium widerstrebten, lehnten auch die Apokalypse ab und bestritten ihre apostolische Herkunft, und das Mißtrauen gegen alle neue Prophetie, das in dem noch zu schildernden Montanistenkampf stärksten Ausdruck gewann, wirkte sich auch gegen dies Prophetenbuch aus 2 . Im dritten Jahrhundert erhob sich sogar in Ägypten von amtlicher Stelle aus Widerspruch gegen das Offenbarungsbuch: Bischof Dionysios von Alexandria kämpfte um 250 gegen den groben Chiliasmus der am Ende der Dinge ein tausend Jahre währendes Schlaraffenland erhoffte und diese Erwartung durch die Apokalypse c. 20 zu stützen wußte. In einer Streitschrift an den Führer dieser Bewegung, Bischof Nepos von Arsinoe.hat er die Apokalypse einer scharfen Kritik unterzogen und ihr trotz aller Anerkennung ihres geistlichen Charakters die apostolische Verfasserschaft abgesprochen 3 . Das war eine gelehrte und theologisch bedingte Stellungnahme des Bischofs gegen einBuch, das nun einmal in denBibelnseinerKirchestand; und es ist auch weiterhin darin stehen geblieben. Dagegen hat Antiochia und die syrische Kirche die Apokalypse nicht aufgenommen, und denselben Standpunkt finden wir in Palästina 4 und dem inneren Kleinasien 1 . Aber auch hier scheint dasVordringen der ägyptischen Nicaeapolitik gegen Ende des vierten Jahrhunderts den Kanon beeinflußt zu haben und somit der Apokalypse zu Gute gekommen zu sein, jedoch keineswegs mit dem gleichen Erfolg wie bei den 7 katholischen Briefen. Die byzantinische Kirche hat das Buch stets mit großer Zurückhaltung betrachtet und die Zwiespältigkeit des Urteils noch auf dem Konstantinopeler Konzil" von 692 bewußt sanktioniert. *) Presbyter bei Irenaeus 5, 30, 1 vgl. 33, 3 und Papias bei Euseb 3, 39, 12. Theophilus bei Euseb KG 4, 24. Apollonius bei Euseb 5, 18, 14. Melito von Sardes bei Euseb 4, 26, 2. 2) Epiphan. haer. 51, 33 vgl. 3 Irenaeus 3, 11, 9; Caius bei Euseb 3, 28, 2. ) Euseb 7, 25 Dionys. Alex. ed. Feltoe p. 116 ff. 4 ) Hieronymus in Anecdota Maredsolana 3, 2 (1897) S. 5 f. Kyrill Hieros. Catech. 4, 36. 6) Gregor Naz. carm. lib. 1 sect. 1 nr. 12 (2, 260 Ben.) vgl. carm. lib. 2 sect. 2 nr. 8, 289 ff. (2, 1104 Ben.) Amphilochius v. Ikonium bei Zahn Gesch. d. nt. Kanons 2, 1 S. 217. 6) Conc. Trull. can. 2 (6, 1139 Labbe).

Die Apokalypse im Kanon

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A u s der altchristlichen Literatur mußte notwendig ein neutestamentlicher Kanon herauswachsen, sobald man ihre Erzeugnisse als Offenbarungen des heiligen Geistes ansah. Und diese Betrachtungsweise war mit dem urchristlichen Geistbegriff gegeben: unbegrenzt wie die Wirkungen des Geistes waren auch die Möglichkeiten der Produktion neuer Schriften von autoritativem Charakter. Ein immer weiter sich ausdehnendes Neues Testament war um die Mitte des zweiten Jahrhunderts — und auch noch später — im Werden, und die Gnosis war die Werkstatt, in der die vorwärts treibenden Kräfte heimisch waren. Da hat die Kirche die ihr drohende Gefahr erkannt und der Entwicklung Halt geboten. Das Prinzip der Apostolizität legte die entscheidende Grenze in die Vergangenheit und brach die Geltung des freien prophetischen Geistes. Was auf dem Gebiet der Verfassung geschah, fand seine Parallele auf dem des Schrifttums: die Apostel wurden die Bürgen der bischöflichen Autorität sowohl wie der neutestamentlichen Bücher — sie sollten es auch für die Lehrform werden. Dann war das Fundament der katholischen Kirche sicher gegründet.

7*

Glaubensregel und Theologie Die Frömmigkeit der griechischen Mysterien hat Gefallen daran gefunden, rituelle Formeln und geheimnisvoll klingende Sätze zu erfinden, in denen sich das Erleben des Mysten oder eine Grundwahrheit der Religion in einer nur dem Eingeweihten erkennbaren Weise ausdrückten 1 ; das war eine Art liturgische Bekenntnisbildung internen Charakters. Daneben finden wir aber auch in den Volksmassen gelegentlich ein Bekenntnis zur Gottheit in der Form der Akklamation, des immer wiederholten, rhythmisch im Sprechchor erschallenden Zurufs. Die Apostelgeschichte (19,34) schildert uns eine solche Szene mit lebendiger Anschaulichkeit: das Volk von Ephesus protestiert gegen die Missionspredigt des Paulus „und aus allen klang eine einzige Stimme und sie schrieen an die zwei Stunden lang: Groß ist die Artemis der Epheser". So bekennt man aber auch durch Akklamation die Göttlichkeit des in die Stadt einziehendenHerrschers 2 ,so preist man denSarapis'mitderFormel „Es gibt nur e i n e n Zeus Sarapis", so feiert man den Mond oder die Sonne als den „einen Gott im Himmel" 4 . Und solche Massenkundgebung des Volkes wird uns gelegentlich 5 geradezu als ein vom Gottesgeist gewirkter Enthusiasmus bezeichnet. Auch in der Urkirche 6 hören wir von dem in ekstatischer Ergriffenheit gestammelten Bekenntnis „Herr ist Jesus", dem im amtlichen Reichskult das Loyalitätsbekenntnis „Herr ist der Kaiser" entgegenstand 7 . Und wenn dem heidnischen Volk *) Sammlung bei A . Dieterich Mithrasliturgie 213—219 vgl. Firmicus Maternus de errore prof. relig. c. 21—26. 2 ) Athenaeus 5 p. 213 b. E. Peterson Heis Theos 141 ff. vgl. 270 ff. 3 ) O. Weinreich Neue U r kunden zur Sarapis-Religion (1919) 24—30. 4 ) E. Peterson Heis Theos 260, 268. 5 ) Dio Cassius 75, 4, 5—6. 8 ) 1. Kor. 12, 3 vgl. Rom. 10, 9. 7 ) Martyrium Polycarpi 8, 2.

Das älteste Bekenntnis

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der östlichen Städte der Bekenntnisruf zu dem „Einen Zeus Sarapis" ein vertrauter Klang war, so kleidete Paulus den christlichen Gegensatz zum heidnischen Vielgötterglauben in den Spruch 1 „Für uns gibt es nur e i n e n Gott, den Vater, aus dem Alles ist und wir zu ihm, und e i n e n Herrn, Jesus Christus, durch den Alles ist und wir durch ihn". D a s sind bereits wirkliche Anfänge christlicher Bekenntnisbildung, und es sind nicht die einzigen. Bei der Taufe bezeugt der Neuling seinen Glauben vor dem Täufer und vor der Gemeinde, aber auch die Gemeinde selbst bindet ihr Wissen um den Sinn von T o d und Auferstehung des Herrn, ihren Glauben an seine göttliche Herkunft und herrliche Wiederkunft in stilisierte Formeln, die bisweilen hymnischen Klang annehmen. Es ist kein Zufall, daß das vielgebrauchte alttestamentlicheWort für „bekennen" auch den Sinn von „lobpreisen" hat, und das Dankgebet der eucharistischen Feier wurde gerne zum feiernden Bekenntnis der Heilstaten Gottes an seiner Christenheit ausgebaut. Der Ausgangspunkt aller Bekenntnisbildung ist das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias, welches sich darin ausdrückt, daß man ihm diesen Titel — Christus — gibt 2 und ihn dementsprechend „Jesus Christus" nennt. Aber es verlor auf griechischem Boden schnell seine ursprüngliche Kraft und seinen Sinn, und „Christus" ist schon den Lesern der Paulusbriefe kaum mehr als der zweite Eigenname Jesu gewesen. Dafür treten zwei andere Aussagen 3 in den Vordergrund: Jesus ist „der Herr" und der „Sohn Gottes", und an diese Kerne schließen sich schnell weiterführende Zusätze an. Formt man den Satz „Jesus Christus, Gottes Sohn, (ist der) Heiland" so ergeben die Anfangsbuchstaben der fünf Worte dieses Bekenntnisses das griechische Wort „Ichthys", der Fisch: und darum hat man wohl schon früh einen Fisch als bildliches Symbol des christlichen Glaubens gewählt. Die erhaltenen gemalten und gekritzelten Denkmäler reichen nicht über das dritte >) 1. Kor. 8, 6. 2 ) Matth. 27, 17. 22. Joh. 1, 41. Apg. 9, 221. Joh. 5,1. ) „Herr" 1. Kor. 12, 3 Rom. 10, 9 „Solin Gottes" 1. Joh. 4, 15 vgl. 5, 5. 10 Hebr. 4, 14; Apg. 8, 37 als Taufbekenntnis.

3

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4. Glaubensregel und Theologie

Jahrhundert hinauf, aber den Schriftstellern um 200 ist diese Symbolik ganz geläufig1 und demnach wohl altüberliefert. Man hat sie sogar erweitert und die geheimnisvollen Buchstaben mit einem kreuzförmigen T verbunden 2 : dann erhielt man das Bekenntnis zu „Jesus Christus, Gottes Sohn, dem gekreuzigten Heiland". Aber neben dieser geheimnisvollen Symbolik geht von Anfang an die freie Entfaltung der Glaubensaussagen einher. Paulus selbst formuliert am Beginn des Römerbriefs das Evangelium Gottes als die Kunde von „seinem Sohn, der aus dem Geschlecht Davids war dem Fleische nach, und zum Gottessohn in Macht bestellt wurde seinem heiligen Geiste nach, seit seiner Auferstehung von den Toten, Jesus Christus unserm Herrn". Wenn er hier das Geheimnis der Person Jesu unter dem Gesichtspunkt der Davids- und der Gottessohnschaft darstellt, so kleidet er an anderer Stelle das Erlösungswerk in das Schema von der Erniedrigung und Erhöhung: „Jesus Christus, der in göttlicher Gestalt war und es doch nicht für sein Kleinod ansah, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an und ward ein Menschenbild und an Erscheinung wie ein Mensch erfunden, und erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott hoch erhöht und ihm den Namen geschenkt, der über jeden Namen ist, daß in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und jede Zunge bekenne, daß Jesus Christus der Herr ist, zu Ehren Gottes des Vaters". Das sind zwei formulierte Bekenntnisse des Christusglaubens®, das erste mehr lehrhaft gedacht, das zweite einem Hymnus gleich gebildet; und diese beiden Typen treffen wir im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte immer wieder. Der eine wird im Katechumenenunterricht seine Stätte *) Tertullian de bapt. 1, vielleicht auch Clemens Paed. 3, 59, 2, Origenes in Matth, tom. 13, 10 (3, 230 Lom.); Aberkiosinschrift (bei Dölger Ichthys 2, 457. 486—490) mit Akrostichon, vgl. Optatus v. Mileve schism. Donat. 3, 2 (p. 69 Ziwsa). 2 ) Z N W 22, 263 und Oracula Sibyll. 8, 217—250. s ) Rom. 1, 3—4 Phil. 2, 5—11.

Grundformen und Erweiterungen

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gefunden haben, der andere trug liturgischen Charakter und wurde besonders zur Ausgestaltung des eucharistischen Abendmahlsgebetes verwendet, bei dem die versammelte Gemeinde durch den Mund des Priesters Gott für Christi Menschwerdung und Erlösungstat Dank sagte. So ist es nicht unwahrscheinlich, daß wir die zahlreichen und wechselnden Bekenntnisformulierungen der altchristlichen Literatur als Widerhall einer in Lehre und Liturgie lebenden kirchlichen Gewohnheit ansehen und entsprechend verwerten dürfen, einer Gewohnheit, die nicht müde wurde, das Ganze und die Einzelheiten der Christusbotschaft in immer neuen Gestalten zum Ausdruck zu bringen. Paulus selbst fügt zu seinen eben genannten Bekenntnissen noch die Auferstehungstradition der Urgemeinde hinzu, die er unter die Hauptstücke der Christenlehre rechnet und durch eigenes Wissen erweitert 1 , und in dem nachpaulinischen Schrifttum sehen wir das Christusbekenntnis immer reicher werden. Zu den einfachen Aussagen der ersten Zeit treten weitere hinzu: Geburt aus der Jungfrau Maria und dem heiligen Geist 2 , wahrhaftes Menschentum mit Essen und Trinken®, Taufe durch Johannes 4 , Leiden unter Pontius Pilatus 5 , Predigt in der Hölle und Himmelfahrt 8 , Sitzen zur Rechten Gottes 7 , sowie die Wiederkunft und das Gericht über die Lebendigen und die Toten 8 . Wir sehen, wie alle diese Lehrstücke, die uns aus dem Apostolicum wohl bekannt sind, schon um die erste Jahrhundertwende in kirchlichen Formulierungen erscheinen und ihnen Fülle und kräftige Bestimmtheit geben. Aber sie sind rein aus dem Gestaltungsbedürfnis der Gemeinde erwachsen und nicht durch einen besonderen Gegensatz bedingt. Nur wenn Ignatius es unterstreicht, daß Christus wahrhaft geboren, wahrhaft verfolgt, wahrhaft gekreuzigt sei, und hinzufügt, daß er gegessen und getrunken habe, dürfen wir darin mit Sicher0 1. Kor. 15, 3—8. 2 ) Ignat. Eph. 18, 2 Smyrn. 1, 1. 3) Ign. Trall. 9. *) Ign. Eph. 18, 2 Smyrn. 1, 1. s ) Ign. Trall. 9, Magn. 11, Smyrn. 1, 2; vgl. 1. Tim. 6, 13. «) 1. Petr. 3, 19. 22 in dem Bekenntnis 3, 18—22; vgl. 1. Tim. 3, 16. ') 1. Petr. 3, 22. 8) 2. Tim. 4, 1.

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4. Glaubensregel und Theologie

heit eine Zurückweisung doketischer Anschauungen sehen, die von einem wirklichen Menschentum Christi nichts wissen wollten 1 . Wir haben aus der Folgezeit noch weitere Christusbekenntnisse erhalten 2 , die ihren Zusammenhang mit diesen frühesten Aussagen deutlich erkennen lassen. Das bedeutsamste steht in dem ältesten uns erhaltenen Eucharistiegebet, welches die Hippolytische Liturgie als Einleitung den Stiftungsworten des Abendmahls voraufschickt: es zeigt uns für das eigentliche „Christus"bekenntnis einen und wohl den entscheidenden „Sitz im Leben der Kirche" 3 . Gleichzeitig mit diesem Bekenntnis ist aber auch eine zweigliedrige Form entstanden, welche die untrennbare Einheit von Gottes- und Christusglauben zum Ausdruck bringt. Paulus 4 spricht es gegenüber der Vielgötterei des heidnischen Glaubens mit betonter Schärfe aus, was der Christ bekennt: „Ein Gott, der Vater, aus dem Alles ist und wir zu ihm, und Ein Herr Jesus Christus, durch den Alles ist und wir durch ihn". Und solche Doppelformen finden wir nun in der alten Zeit immer wieder, in den Pastoralbriefen, bei Irenaeus und in Märtyrerakten 5 . Das Bekenntnis des Justin vor den Richtern lautet: „Wir verehren den Gott der Christen, den einen, den wir für den uranfänglichen Schöpfer der ganzen Welt, der sichtbaren und unsichtbaren, halten, und den Herrn Jesus Christus, den Knecht Gottes, der von den Propheten vorausgesagt ist als der künftige Prophet des Heils für das Menschengeschlecht und Lehrer edlen Wissens". Und als in Smyrna um 200 ein theologischer Konflikt mit Noetos ausbrach, erklärten die Presbyter der Gemeinde ihren Glauben in folgender Weise 6 : „Auch wir wissen in Wahrheit Einen Gott, wir wissen Christus, wir wissen den Sohn, gelitten, wie er gelitten hat, gestorben, wie er gestorben ist, und auferstanden am dritten Tage, und weiland zur Rechten des Vaters, und kommend zu ») Bd. 1, 262. 2 ) Didascalia 6, 23, 8; Const. Apost. 7, 36, 6; Justin dial. 85. 132. Vgl. Z N W 22 266 f. 3 ) Text S. 123. ") 1. Kor. 8, 6. 5 ) 1. Tim. 6, 13. 2. Tim. 4, 1. Polyc. Phil. 2, Iren. 3, 1, 2. 3, 4, 1. 3, 16, 6. Acta Justini 2, 5. Mart. des hl. Schapur bei Braun Ausgew. Akten Pers. Märtyrer S. 2. 6) Hippolyt, c. Noet. 1.

Bekenntnisformel in zwei oder drei Gliedern

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richten die Lebendigen und die Toten. Und was wir da sagen, das haben wir überkommen". Herrschend geworden ist aber das dreigliedrige Bekenntnis zu Vater, Sohn und Geist. Schon die korinthische Gemeinde des Paulus kennt die Dreiheitsformel, wie der Schlußgruß des zweiten Korintherbriefes beweist, und das Matthäusevangelium verwertet sie liturgisch, wenn es die Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes 1 vorschreibt. Aus dieser Wurzel ist im Lauf der Jahrhunderte die unendliche Fülle der trinitarischen Bekenntnisse erwachsen. Man konnte den Grundstock in zweifacher Weise erweitern: indem man die einzelnen Glieder ausführlicher gestaltete oder indem man neue Glieder anhängte. Beide Wege sind betreten, aber auch beide Arten miteinander verbunden worden. Ende des ersten Jahrhunderts lesen wir beim römischen Klemens 2 : „Haben wir nicht e i n e n Gott und e i n e n Christus und e i n e n Geist der Gnade, der auf uns ausgegossen ist, und e i n e Berufung in Christus?" und im zweiten Jahrhundert sieht ein Schriftsteller 3 in den fünf Broten der wunderbaren Speisung ein Bild des fünffachen christlichen Glaubens „an den Herrscher der ganzen Welt und an Jesum Christum und an den heiligen Geist und an die heilige Kirche und an die Vergebung der Sünden". Da finden wir das Trinitätsbekenntnis durch Anhänge zu einer fünfgliedrigen Formel erweitert. Um die Mitte des Jahrhunderts wird bei Justin mehrfach ein Taufbekenntnis erwähnt 4 , das etwa so gelautet haben mag: „Ich glaube an Gott, den Vater von Allem und Herrn, und an unsern Heiland Jesus Christus, der unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, und an den heiligen Geist, der durch die Propheten geweissagt hat". Hier ist der Dreitakt gewahrt, aber jedes Glied durch zusätzliche Aussagen verstärkt, und diese Weise der Erweiterung ist die für die ganze Symbolentwicklung fruchtbarste geworden. 2 ) 1. Klem. 46, 6. 3 ) Epistula 0 2. Kor. 13, 13. Matth. 28, 19. apostolorum 5 (16). 4 ) Justin Apol. 13, 3. 61 3. 10. 13. Hahn Bibl. d. Symbole 3 S. 4 f. vgl. Z N W 21, 31 f.

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4. Glaubensregel und Theologie

Eine Reihe ausführlicher Bekenntnisse solcher Art finden wir bei Irenaeus 1 gegen Ende des Jahrhunderts, bei Tertullian 2 um 200 und seinem Zeitgenossen Hippolyt von Rom 3 ; hier ist mit Händen zu greifen, wie gerade der zweite Artikel mit besonderer Liebe ausgebaut wird, und zwar durch mehr oder weniger vollständige Herübernahme des alten und ursprünglich selbständig bestehenden 4 Christusbekenntnisses. Das läßt sich in besonders lehrreicherWeise in Rom studieren. Da gab es ein altes, durch Dreigliederung jedes Artikels auf neun Glieder gebrachtes Trinitätsbekenntnis, das von da nach Ägypten gewandert ist und sich dort in zahlreichen Quellen erhalten hat 6 . Es lautet: Ich glaube an G o t t , den Vater, den Allmächtigen; U n d an Jesus Christus, seinen eingebornen Sohn, unsern Herrn, U n d an den hl. Geist, die hl. Kirche, des Fleisches Auferstehung.

In den zweiten Artikel dieser straff gegliederten Formel ist nun ein Christusbekenntnis eingebaut und gleichzeitig der dritte Artikel und das Bekenntnis zur Sündenvergebung erweitert worden. Das Ergebnis ist das sogenannte altrömische Bekenntnis, welches allen Glaubensformeln des Abendlandes und damit auch unserm „Apostolicum" zugrunde liegt: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen; U n d an Christus Jesus, seinen eingebornen Sohn, unsern Herrn, Der geboren ist aus dem HI. Geist und der Jungfrau Maria, Der unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde und begraben, am dritten T a g e auferstand von den Toten, auffuhr in die Himmel, sitzet zur Rechten des Vaters, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die T o t e n ; U n d an den Hl. Geist, die hl. Kirche, die Vergebung der Sünden, des Fleisches Auferstehung.

Die Gliederung der Sätze hebt den christologischen Zusatz deutlich heraus, lehrt aber zugleich noch ein Weiteres: es werden von Christus zwei verschiedene Aussagengruppen gebil>) Hahn Bibl. d. Symb.» S. 6—8. Z N W 22, 272 f. 26, 93 f. 2 ) Hahn Bibl. d. Symb. 3 S. 9—11 vgl. Z N W 21, 25—27. Z N W 26, 76—83. 4 ) s. o. S. 100 ff. 5 ) Sitzungsber. A k a d . Berlin 1919, 112—113 und 269—274. Festgabe für Harnack zum 70. Geburtstag (1921) S. 226 f.

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Symbol in Rom; im Orient

det, die beide mit „Der" anfangen. Die erste nennt die Geburt aus dem Hl. Geist und der Jungfrau, will also augenscheinlich auf Grund von Lukas 1, 35 genauer darlegen, wieso Jesus in der ersten Zeile des Artikels als „der eingeborene Sohn Gottes" bezeichnet werden kann. Die zweite Gruppe vereinigt Aussagen von der Passion bis zur Erhöhung und künftigen Wiederkunft zum Gericht. Sie läßt sich unschwer mit der zweiten Bezeichnung Jesu in der einleitenden Zeile in Zusammenhang bringen: nach Phil. 2, 5—11 ist Jesus um seines im Leiden bewiesenen Gehorsams willen erhöht und mit dem Titel des „Herrn", des himmlischen Kyrios, geschmückt worden. Damit ist der ganze christologische Zusatz als eine biblisch-theologische Erläuterung der alten Vorlage, des einfachen Bekenntnisses zu „Jesus Christus, dem eingeborenen Sohn Gottes, unserm Herrn" erkannt worden 1 . Einen ganz entsprechenden Vorgang können wir in den morgenländischen Kirchen beobachten. Aus den zahlreichen Bekenntnissen des vierten Jahrhunderts läßt sich ein Urtypus herausarbeiten 2 , der etwa so gelautet haben mag: Ich glaube an e i n e n Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren; Und an e i n e n Herrn Jesus Christus, den eingebornen Sohn Gottes, Der aus dem Vater geboren wurde vor allen Äonen, durch den alles geworden ist, Der Mensch wurde, litt und auferstand am dritten Tage, und aufstieg in die Himmel, und kommen wird in Herrlichkeit, zu richten die Lebendigen und die Toten; Und an den Hl. Geist.

Auch dieses Symbol ist durch Einfügung christologischer Aussagen in ein einfacheres Trinitätsbekenntnis entstanden, das aber eine wesentlich andere Vorgeschichte erkennen läßt. Seine Grundlage ist das zweigliedrige Bekenntnis des Paulus 3 zu dem e i n e n Gott, dem Vater, aus dem alles ist und wir zu ihm, und e i n e m Herrn Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn. ') K. Holl Ges. Aufsätze 2,115—122. 8, 6.

2

) Z N W 21,1—24.

3

) 1. Kor.

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4. Glaubensregel und Theologie

Das beweist nicht nur das doppelte e i n im ersten und zweiten Artikel, sondern auch die Formulierung „durch den alles geworden ist" im christologischen Teil, und endlich das Fehlen des e i n in dem wie ein nachträglicher Anhang erscheinenden dritten Artikel. Aus dieser paulinischen Urform hatte sich nun im Orient ein trinitarisches Bekenntnis entwickelt, das etwa so lautete: Ich glaube an e i n e n Gott, den Vater, den Allmächtigen, aus dem alles ist, und an e i n e n Herrn, Jesus Christus, den eingebornen SohnGottes, durch den alles ist, und an den Hl. Geist.

Aus diesem Symbol ist in Rom unter formaler Einwirkung des Taufsymbols durch Streichungen, Zusätze und straffe Gliederung jene neungliedrige Form hervorgegangen, die wir bereits kennen gelernt haben. Im Osten hat man den ersten Artikel stärker in ein deutliches Bekenntnis zum Weltschöpfer umgewandelt, wobei vielleicht traditionelle jüdische Formulierungen 1 eingewirkt haben. Ein Gegensatz gegen gnostische Trennung des höchsten Gottes vom Weltschöpfer ist jedenfalls nicht sicher als Ursache dieser Erweiterung zu erkennen: wohl aber hat sie später im Kampf gegen die Gnosis als Kennzeichen kirchlichen Christentums zu wirken vermocht. Unsicher ist auch, ob im zweiten Artikel die Bezeichnung Christi als des „Eingeborenen" (Monogenes) in polemischer Absicht erfolgt ist. Sie geht auf das Johannesevangelium 2 zurück und wird in der alten Zeit fast nie gebraucht, ist aber bei den Valentinianern 3 die Bezeichnung der von Christus unterschiedenen ersten Emanation des höchsten Götterpaares. Dem könnte das Bekenntnis zu der Identität von Christus und Monogenes entgegengesetzt sein 4 . Beachtenswert bleibt jedenfalls die Tatsache, daß die ältesten Symbole des Abendlandes den Monogenes nicht erwähnen 5 , daß er also nicht der allerfrühesten Schicht der Symbolbildung angehört. *) Vgl. Kol. 1, 16 Psalm 146, 6. Josephus c. Apion. 2, 121. Hermas Mand. 1, 1 und Z N W 21, 8 f. 2 ) Joh. 1, 14. 18. 3, 16. 18. 3) s. Bd. 1, 310. 4 ) Z N W 22, 277 f. 26, 90 f. Iren. 1, 10, 3. Kattenbusch Apostol. Symbol. 2, 581—596. 5) Z N W 21, 11.

Ausbau des zweiten Artikels. Der dritte Artikel

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Die erweiternde Tätigkeit hat nun aber im zweiten Artikel ganz in der gleichen Weise gewirkt wie in Rom: sie hat sich bemüht, die beiden Prädikate „Sohn Gottes" und „Herr" zu erläutern, und ist dazu vermutlich durch das römische Symbol angeregt worden. Aber theologisch geht der Osten andere Wege. Während Rom die Gottessohnschaft in schlichter Anknüpfung an die volkstümlich faßbare Vorstellung von der Jungfrauengeburt deutet, weist der Orient auf die vorweltliche Zeugung hin, die den Sohn von allem zeitlich bedingten Werden abscheidet. Eine direkte Bezugnahme auf den johanneischen Logosbegriff haben erst spätere Symbolformen eingefügt. Dieser Unterschied in der Deutung des Sohnesnamens ist durchgehend und trennt dauernd die Symbole des Ostens von den durch Rom bestimmten westlichen Formen. Die zweite Erweiterung der Vorlage durch Einfügung des Leidens und der Erhöhung ist kürzer gehalten als in Rom und läßt vor allem das Sitzen zur Rechten weg, wodurch die Beziehung auf Phil. 2 und damit die Erläuterung des Herrentitels undeutlich geworden ist. Man sieht, wie das in Rom so scharf hervortretende Motiv dieser beiden Zusätze im Osten nur abgeschwächt und in verallgemeinernder Art wirksam ist. Dafür hat die Folgezeit ein um so üppigeres Wuchern neuer Bildungen aus dieser Wurzel in der morgenländischen Kirche erzeugt, während das Abendland durchweg das römische Bekenntnis und zwar in seiner lateinischen Übersetzung angenommen 1 und verhältnismäßig bescheiden weiterentwickelt hat. Die einfachste Form des dritten Artikels ist uns im Orient noch erhalten. Aber Erweiterungen haben auch da früh angesetzt, teils in der Form, daß der Hl. Geist als der verheißene Paraklet 2 oder als der schon in den Propheten wirksame und auf Christus hinweisende bezeichnet wird 3 , teils durch Zufügung weiterer Glaubenslehren wie Kirche, Sündenvergebung, Auferstehung und ewiges Leben: solche Formen haben wir bereits kennen gelernt 4 . Natürlich ist der Sinn dieser Anglie!) Z N W 21, 4 f. 2) Tertullian adv. Prax. 2. 3) Justin Apol. 13, 3. 61, 13. Irenaeus 1, 10, 1 o. S. 105 vgl. Z N W 26, 93. ") o. S. 105 f.

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4. Glaubensregel und Theologie

derung die Betonung des Glaubens, daß die genannten Dinge der Wirksamkeit des Hl. Geistes zu verdanken sind. Wie das Bischofsamt und der neutestamentliche Kanon, so ist auch das Glaubensbekenntnis aus rein innerkirchlichen Bedürfnissen hervorgegangen: nur ganz vereinzelt kann man den Gegensatz gegen Gnostiker oder andere Irrlehrer als treibendes Motiv für eine Formulierung vermuten. Die allmählich sich erweiternden Formeln stellen nur alttestamentliche Grundlehren und die wichtigsten Lehrbegriffe des Christentums wie Uberschriften für die einzelnen Abschnitte des Katechumenenunterrichts zusammen. Die knappen Stichworte der Glaubensregel verlangen den Kommentar des kirchlichen Lehramtes, und umgekehrt fügt das Bedürfnis der Glaubensunterweisung neue Worte oder Sätze in den Text des Bekenntnisses ein. D a s Bekenntnis ist auch nach dem zweiten Jahrhundert keine starre Formel, sondern ein lebendiger und wandlungsfähiger Ausdruck der kirchlichen Glaubenslehre und hat diesen Charakter — im Osten stärker als im Westen — noch viele Jahrhunderte hindurch bewahrt. Das Trugbild eines alten, fest formulierten Bekenntnisses hat die Forschung lange Zeit irregeführt. In Wirklichkeit gibt es in der ganzen Alten Kirche nicht zwei Schriftsteller, die ein und dasselbe Symbol zitieren, und selbst ein und derselbe Kirchenvater formuliert „seinen Glauben" das eine Mal so und das andre Mal anders: daher die Fülle der Symbolformen, die uns die alten Quellen entgegenbringen 1 , und die sich durch neue Funde noch ständig vermehrt. Das Glaubensbekenntnis ist von Hause aus ein Stück kirchlicher Liturgie und hat an der geistlichen Freiheit des liturgischen Lebens teilgenommen, solange diese bestand 2 — das will sagen bis in das Mittelalter hinein: erst da ist es zur unabänderlich festen Formel erstarrt, die neuem Leben nicht mehr Raum gab. Das Bekenntnis der „Glaubensregel" bedeutete also für die Gemeinde viel mehr, als sein Wortlaut schlechthin besagt: *) Sammlung bei A. Hahn Bibliothek der Symbole u. Glaubensregeln. 3 A. 1897 und Lietzmann Symbole Kl. Texte 17/18. 2 ) Z N W 26, 84 f.

Das Symbol und die Gemeindelehre

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dem getauften Christen klingt bei jedem Satz die kirchliche Deutung mit, die er im Katechumenenunterricht empfangen hat. Und erst wenn man das voll in Rechnung stellt, kann man verstehen, wie sich dies nüchterne und unphilosophische Gebilde als Schutzwehr gegen die blendenden Spekulationen gnostischer Denker hat bewähren können. Irenaeus und Tertullian geben dem Leser einen Begriff davon, was durch eindringliche Erklärung aus der einfachen „Glaubensregel" als „Richtschnur der Wahrheit" herausgeholt werden kann. Sie zeigen aber auch, wie diese Regel samt ihrer Deutung als ein von der Kirche sorgsam gehütetes und weitergegebenes Vermächtnis der Apostel verehrt 1 , ja sogar auf Christus selbst zurückgeführt und als Lehre des hl. Geistes bezeichnet wird, der alle Wahrheit in diesen „christlichen Fahneneid" zusammengefaßt hat 2 . Hätten die Apostel auch nichts schriftlich hinterlassen, d. h. hätten wir auch keinen Kanon des Neuen Testaments, so würde allein diese Tradition genügen, um den Glauben der Kirche sicherzustellen. So urteilt Irenaeus®. Wir dürfen also das Symbol als ein Kompendium der Gemeindetheologie betrachten und daraus ersehen, welche Sätze jener Zeit als die entscheidenden Hauptlehren des Christentums galten. Aus den mancherlei Formulierungen des ersten Artikels entnehmen wir zunächst das Bekenntnis zum strengen Monotheismus,, den man bewußtermaßen mit den Juden gemein hat. Das gleichfalls der Synagoge angehörende Bekenntnis zu Gott als dem Weltschöpfer, wobei gern die unsichtbare Geisterwelt ausdrücklich neben dieser Erdenwelt genannt wird, erwies sich als brauchbares Bollwerk gegen die Lehren Marcions und der Gnostiker, welche den Schöpfer der Welt von dem höchsten Gott getrennt wissen wollten. Aber man folgerte daraus auch die Identität eben dieses Schöpfergottes mit dem Gott des Alten Testaments und lehnte gnostische Spekulationen über das Pleroma ab4, zumal man durch Irenaeus 1, 10, 1. 2. 3, 4, 1. *) Tertull. de praescr. haer. 13 adv. Praxeam 2. 30. ») Iren. 3, 4, 1. 4 ) Iren. 1, 22, 1 vgl. 2, 1, 1. 2, 9, 1.

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4. G l a u b e n s r e g e l und T h e o l o g i e

den zweiten Artikel die vorevangelische Wirksamkeit des Sohnes in den Propheten verbürgt sah 1 . Es ist bezeichnend, daß die beiden ältesten Aussagen des Bekenntnisses über Gott kaum in die Debatte gezogen werden. Seine Allmacht erscheint als selbstverständliche Voraussetzung seiner Schöpfertätigkeit 2 und wird deshalb nicht ausdrücklich behandelt: sie wird einfach ein Hoheitsprädikat 3 . Und wenn Gott als Vater bezeichnet wird, so wird zumeist nicht daran gedacht, daß er Jesus zum Sohn hat, sondern es ist sein Verhältnis zur ganzen Welt ins Auge gefaßt: er ist der Vater des Alls 4 , der wegen seiner Liebe Vater, wegen seiner Macht Herr, wegen seiner Weisheit unser Schöpfer und Bildner heißt 5 . Dieser Vatername des Weltschöpfers war Gemeingut des Christentums, des hellenistischen Judentums 6 und der philosophischen Aufklärungsreligion, die das Wort bis zu dem homerischen „Vater der Götter und Menschen" zurückzuführen erlaubte 7 . Er wurde also im Sinne eines allgemeinen Monotheismus verstanden und hatte für das Bewußtsein der Gemeinden keine Verbindung mehr mit dem jüdischen Volksempfinden, das Gott als den Vater Israels bezeichnete 8 . Man findet es heute mehr als je befremdlich, daß der zweite Artikel von Leben und Lehre Jesu so völlig schweigt und seine ganze Aufmerksamkeit auf Geburt, Tod und Wiederkunft des Herrn richtet. Aber das ist im Sinne der alten Kirche durchaus notwendig. Leben und Lehre des Meisters ist dem Christen Vorbild und Anweisung zum christlichen Leben, und der Katechumenenunterricht macht ihn damit ausreichend bekannt. Aber ihre Autorität und ihren wirklichen Sinn erhalten Taten und Sprüche Jesu doch erst von dem metaphysischen Grund seiner Person und ihrer Stellung im göttlichen Erlösungsplan — der „Heilsökonomie" — aus: dieser muß vor ») Iren 3, 10, 6—11, 1. 3, 12, 9. 2 ) Justin Dial. 16, 4. 38, 2. 3 ) Justin Dial. 83, 4. 96, 3. 142, 2. Irenaeus 2, 6, 2. 4 ) Justin A p o l . 13, 1. 45, 1. 5 61, 3. 10. A p p . 6, 2. 9, 2. ) Irenaeus 5, 17, 1 (2, 369) vgl. 2, 35, 3 6 (1, 387). ) 3. M a k k . 2, 21. 5, 7. Philo oft, vgl. I n d e x Bd. 7, 636 f. 7 ) E p i c t e t 1, 3, 1. 1, 9, 7. 1, 19, 12. 3, 24, 15 f. vgl. Justin ap. 22, 1. ") B o u s s e t J u d e n t u m 3 377 f.

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Gott der Vater. Der Sohn

allem unverrückbar festgelegt sein, dann folgt alles Weitere von selbst. Es wäre ein übler Irrtum, wenn man aus dem Fehlen der genannten Stücke auf eine Minderbewertung der Ethik schließen wollte; schweigt doch die Glaubensregel ebenso von den Sakramenten, deren entscheidende Bedeutung niemand in Abrede stellen wird; aber auch sie empfangen ihre Kraft erst durch die Wesenheit des Herrn. Diese also gilt es in erster Linie festzulegen. So beginnt der zweite Artikel mit dem Bekenntnis, daß der Herr Jesus Christus der Sohn Gottes ist. Der Titel des „Christus" war für die Gemeinde längst Eigenname geworden und nur dem Schriftkundigen aus dem Alten Testament deutbar; der Name „Herr" war auch verblaßt und hatte seine ursprüngliche Kraft eingebüßt. Aber die klare Bildhaftigkeit der Bezeichnung „Sohn Gottes" widerstand der ausgleichenden Gewohnheit und reizte die Spekulation immer aufs neue zu theologischen Konstruktionen. Es scheint, als ob das Geschlechtsregister Jesu bei Lukas 3, 23—38 einen kindlichen Versuch solcher Theologie aufbewahrt hat, wenn es die Ahnenreihe bis auf Adam, den „Sohn Gottes" hinaufführt und Jesus also auf dem Umweg über Adam, der ja sein Prototyp ist, zur Gottessohnschaft verhilft. Weiteste Verbreitung hat dagegen die Lehre von der gottgewirkten Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria gefunden. Matthäus und Lukas tragen sie ihren Lesern vor, Ignatius redet mit Betonung von diesem Geheimnis 1 , und im römischen Taufsymbol ist der Satz „geboren aus dem heiligen Geist und der Jungfrau Maria" die authentische Erklärung des Sohnestitels. Der Gedanke, ein unbegreiflich hohes Menschentum durch göttliche Vaterschaft zu erklären, war der antiken Welt geläufig und auch in der Kaiserzeit noch durchaus im Volke lebendig 2 . Plutarch behauptet, eine Lehre der Ägypter zu kennen, wonach der Geist eines Gottes wohl im Stande sei, einem Weibe zu nahen und in ihr Keime des Werdens zu zeugen®. Ign. ad. Eph. 19, 1. ad Smyrn. 1, 1. 2 ) H. Usener Das Weihnachtsfest 2 71—77. Plut. Numa 4, Quaest. conv. 8,1 p. 718b, vgl. E. Norden, Geburt des Kindes 78. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

8

114

4. Glaubensregel und Theologie

Und daß ein solches von der Gottheit begnadetes Weib eine Jungfrau war, wird in der Regel die natürliche Annahme sein, sobald nicht ausdrücklich eine Ehefrau als Mutter des Wunderkindes genannt wird: wieweit in diese Vorstellungsreihe noch der aus Ägypten und Arabien bezeugte Mythus hineingewirkt hat, daß zur Wintersonnenwende die Göttin Kore (das Mädchen) oder Parthenos (die Jungfrau) den Sonnengott gebiert1, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist der Gedanke der gottgewirkten Geburt von einer Jungfrau der heidnischen Welt jener Tage wohl vertraut. Aber auch dem Judentum ist derartiges nicht fremd. Es findet sich freilich nicht in den Kreisen der palaestinensischen Rabbinen, aber das hellenistische Judentum der Diaspora weiß von wunderbarer Erzeugung durch Gottes direkte Wirkung. Philo2 kündet seinen Lesern ein großes Geheimnis an und berichtet dann von vier Frauen der biblischen Geschichte, daß Gott sie wunderbar befruchtet habe, Sara, Lea, Rebekka und Zippora: und bei der letztgenannten wird ausdrücklich betont, daß „Moses, als er sie zu sich nahm, sie schwanger erfand, aber von keinem Sterblichen" — die Parallele zur Josephsgeschichte Matth. 1, 18 ist nicht zu verkennen. Und von hier aus gewinnen auch die Darlegungen des Paulus Gal. 4, 21—31 ein neues Gesicht und belehren uns, daß auch er für Isaak im Gegensatz zu dem „natürlich" geborenen Ismael eine gottgewirkte, wunderbare Erzeugung annimmt. Er kennt also die gleiche Tradition hellenistischer Rabbinen, die auch den Ausführungen des Philo zugrunde liegt3. Und wenn Philo in diesem Zusammenhang betont, daß Gott nur eine reine Jungfrau seiner Wundergabe würdige, so werden wir dadurch an die oben erwähnten heidnischen Gedanken erinnert. Es sind wirklich Vorstellungen antiker Naturreligion, ver!) Epiphan. Haer. 51, 22, 8—11 (2, 285—287 Holl) vgl. Holl Ges. Aufs. 2, 144—146. 2 ) Philo Cher. 45—50 (1, 181 f.). 3 ) M. Dibelius Jungfrauensohn und Krippenkind (Sitzungsber. Akad. Heidelberg 1931/32 Nr. 4) 27—37. 42—43.

115

Der Sohn Gottes

mutlich ägyptischer Herkunft 1 , die wir in diesem hellenistischen Judentum auf die Bibel angewendet finden. Damit ist uns aber auch sofort deutlich gemacht, wie ein aus solchen Kreisen stammender Christ das Prophetenwort des Jesaia 7,14 verstehen mußte. Er las in seinem griechischen Text: „Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: siehe, die Jungfrau (Parthenos) wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und du wirst seinen Namen Emmanuel heißen". Das war ihm die prophetische Ankündigung der wunderbaren Geburt des Gottessohnes Jesus aus der Jungfrau Maria. Diese Lehre war nicht nur von schlichtester Anschaulichkeit, sie war alttestamentlich begründet und hat sich schnell und mit sieghafter Gewalt durchgesetzt. Die Erzählungen des Matthäus und des Lukas lassen deutlich die Bezugnahme auf den Jesaiaspruch erkennen 2 und bringen dadurch der Gemeinde den Einklang von Weissagung und Erfüllung zum freudigen Bewußtsein. Der Apologet Justin demonstriert das mit sichtlicher Genugtuung seinen heidnischen Lesern und trägt es mit ausführlicher Erörterung aller Schriftprobleme dem Juden Tryphon vor 3 . Neben dieser Lehre von einer physischen Gottessohnschaft Jesu finden wir eine andere Theorie, die man die adoptianische zu nennen pflegt. In ihrer einfachsten Form hat sie ausgesagt, daß der Mensch Jesus durch das Herabkommen des heiligen Geistes bei der Taufe zum Sohne Gottes gemacht und am Ende seines Lebens zum Lohn für sein Wirken auferweckt und zur Rechten Gottes erhöht ist. In ihrer reinen Ausprägung ist uns diese Lehre nicht mehr erhalten: aber der abendländische Text des Lukasevangeliums 4 , der wohl auch wirklich den ursprünglichen Wortlaut wiedergibt, berichtet 3, 22, daß bei der Jordantaufe Jesu eine Stimme vom Himmel erklungen sei: Mein Sohn bist du, ich habe dich heute gezeugt. Das ist unmißverständlich das nach Psalm 2, 7 geformte göttliche Zeugnis für die „Adoption" des Menschen Jesus zum Gottes>) Dibelius 44. Norden 79. 2) ¿Matth. 1, 23. Luk. 1, 31. Apol. 33. Dial. 66—85. 4) Usener, Weihnachtsfcst 2 40—52.

3

) Justin

8*

116

4. Glaubensregel und Theologie

söhn. Bei den Interpolatoren der jüdischen Testamente der zwölf Patriarchen 1 finden wir dieselbe Anschauung deutlich ausgedrückt, während bei dem bekanntesten Vertreter dieser adoptianischen Christologie, dem um 150 schreibenden Römer Hermas 2 , schon eine Verschiebung der ursprünglichen Anlage eingetreten ist. Nach Hermas ist Jesus ein bis zur Sündlosigkeit tugendhafter Mensch, der Gottes Wohlgefallen erregt. Der heilige Gottesgeist vereinigt sich mit ihm, und da nun während seines Wirkens auf Erden Jesus in Reinheit dem Geiste dient und mit ihm zusammen wirkt, belohnt ihn Gott und erhöht ihn auf den himmlischen Thron, wo er mit dem heiligen Geist und den hohen Engeln sein Ratgeber wird. Da ist inhaltlich der alte Adoptianismus beibehalten: daß von der Taufe nicht gesprochen wird, mag Zufall sein. Aber als „Sohn Gottes" wird in diesem Zusammenhang und auch anderswo von Hermas der heilige Geist bezeichnet, also das präexistente göttliche Wesen, das einst die Welt geschaffen hat und auch nach der Auferstehung gesondert von dem erhöhten Jesus seine eigene ursprüngliche Sohneswürde behaup tet. Hier ist also der alte Adoptianismus bereits mit einer anderen, pneumatischen Sohnesvorstellung kombiniert — ähnlich wie Paulus Phil. 2 die eigentlich dem Adoptianismus angehörende und nur für einen Menschen passende Vorstellung einer als Lohn für gehorsame Leistung verliehenen Erhöhung mit der Herabkunft eines präexistenten Gotteswesens verbindet und sie auf dieses überträgt: da haben wir das Umgekehrte vor uns. Herrschend ist in der Kirche die „pneumatische" Christologie geworden, wonach der „Sohn Gottes" ein von Anfang an bei Gott existierendes Geisteswesen ist, das zur vorbestimmten Zeit in Menschengestalt auf Erden erscheint, als Jesus Christus in Palästina wandelt, lehrt und Wunder tut, schließlich nach erlittenem Kreuzestod aufersteht und gen Himmel fährt, um dort seinen ihm gebührenden Platz wieder einzuneh») Testament. Judae 24, 1—2 vgl. Zabulon 9, 8. 6, 4—8. 9, 1, 1. 9,12,1—8.

2

) Hermas Sim. 5,

Adoptianismus. Pneumatische Christologie

117

men. Diese Vorstellung begegnet bei Paulus und in der Logoslehre des Johannes, und ist durch sie die für die Folgezeit maßgebende geworden. Die orientalischen Formen des Taufsymbols haben die Lehre von der Logossohnschaft anstelle der Jungfrauengeburt ausdrücklich betont: nicht in dem Sinne, als ob man die Wundergeburt leugnen wollte, wohl aber, um die Sohnschaft des Logos als das Entscheidende vor allem zu bekennen. Uber die Art der Menschwerdung des Logos ist damit noch nichts ausgesagt. Es konnte sich aus dieser Logoschristologie ein naiver Doketismus entwickeln, der dem auf Erden wandelnden Gotteswesen nur einen Scheinleib zusprach, oder man ließ den Geist in dem zur Adoption bestimmten Menschen Jesus als göttlichen Begleiter wohnen, wie es Hermas tut, oder — und das ist die kirchlich beliebteste Lösung des Problems geworden — man kombinierte die pneumatische Christologie mit der Lehre von der wunderbaren Geburt derart, daß der Gottesgeist oder der Logos in die Jungfrau Maria einging und durch sie wahrhaftiger Mensch wurde. In der Vorstellungswelt der frühen Gemeinden und ihrer Theologen mischen sich alle diese Gedankengänge oder stehen unverbunden nebeneinander: was die moderne Analyse säuberlich scheidet, finden wir im Leben der alten Christenheit eng beisammen und zumeist ohne ein Hervortreten von Gegensätzlichkeiten. Aber mit der Zeit wird sich die Theologie der verborgenen Spannungen bewußt und müht sich um wirksamen Ausgleich: und diese Arbeit bedeutet die Entwicklung des kirchlichen Dogmas. Was in der zweiten Hälfte des zweiten Artikels in Rom und im Osten ausgesagt wird, bildet eine zusammenhängende Reihe: Leiden, Auferstehung, Himmelfahrt und Wiederkunft zum Weltgericht, also das Erlösungsdrama der „Heilsökonomie" in Vergangenheit und Zukunft. Das sind die Taten des Gottessohnes Jesus Christus, in denen sich seine göttliche Erlösermacht offenbart: der erste entscheidende Akt gehört der Geschichte bereits an: es ist die Kreuzigung „unter Pontius Pilatus". Danach hat Jesus den Schauplatz dieser Erde verlas-

118

4. Glaubensregel und Theologie

sen: das Heilswerk tritt in das Licht der Eschatologie und wird im Weltgericht seine Vollendung finden. Und was ist das Ziel dieser Heilsökonomie? Sie wird von der Vorstellung eines Kampfes zwischen Gott und dem Teufel aus begriffen. Jesus hat die Fesseln des Teufels zerrissen, die Hölle niedergetreten und die Menschheit vom Tode befreit 1 und ihr den Weg zur Auferstehung in seiner Nachfolge gewiesen 2 . Und dieser Sieg ist ermöglicht worden durch Überlistung der Gegner, die sich an Jesus vergriffen, ohne zu ahnen, daß sie an diesen Sündlosen kein Anrecht hatten und in ihm einer unüberwindlichen Gotteskraft gegenüberstanden. D a s ist volkstümlich bildhafte Theologie, die mit plastischer Anschaulichkeit gestaltet wurde und in den Gemeinden lebendig gewesen ist. Sie gehört zum ältesten Gut der Lehrtradition und ist von Gnostikern sowohl wie von Denkern der Kirche übernommen und weitergebildet worden 3 . Das den dritten Artikel eröffnende Bekenntnis zu dem in der Gemeinde sich offenbarenden Gottesgeist hat mit der Zeit mannigfach wechselnde theologische Ausdeutung gefunden, je mehr die urchristliche Anschauung vom Geisteswirken gegenüber den geregelten Ordnungen der Kirche zurücktrat. Man setzte den Geist gleich dem in Christus tätigen göttlichen Wesen — wie wir es eben bei Hermas gesehen haben 4 , wie es der Theorie des Adoptianismus, aber auch der Vorstellung von der wunderbaren Erzeugung Jesu entspricht; und man konnte sich dafür auf Paulus, insbesondere auf 2. Kor. 3, 17 berufen. Oder man dachte ihn als selbständiges Gotteswesen neben dem Vater und dem Logos, wie es sich aus der johanneischen Vorstellung vom Parakleten 5 ergab und wie es dem dreigliedrigen Aufbau des Symbols auch entsprach: dann war *) Gebet der Hippolytischen Kirchenordnung (Lietzmann, Messe u. Herrenmahl 42). 2 ) Ignat. Trall. 9. Smyrn. 1, 2. Iren. 1, 10, 1 (1, 91) und Iren, armen. Epideixis 6 (S. 4 Harnack, vgl. Z N W 26, 93). Didascalia syr. 6, 23, 8 bei Funk S. 382. 3 ) Paulus 1. Kor. 2, 7—8. Kol. 2, 15. Ign. Eph. 19, 1; vgl. Justin Apol. 54. 55. Basilides bei Iren. 1, 24, 4 (1, 200). Origenes in Matth. T o m . 16, 8 (4, 27 Lo.) u. ö. 4 ) Vgl. auch 2. Clem. 14, 4. 5 ) Bd. 1, 245.

Der dritte Artikel

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also der Geist eine dritte göttliche Person. Im Zusammenhang des Symbols wird als Funktion des heiligen Geistes teils die lebenspendende Glaubensstärkung der Gemeinde bezeichnet 1 — und das entspricht der johanneischen Lehre und dem ältesten Sinn der Formel — teils seine auf Christus hinweisende Wirksamkeit in den Propheten hervorgehoben 2 . Die übrigen Bestandteile des Artikels sind später und in verschiedenartiger Auswahl hinzugetreten, zuerst wohl die Kirche als Organ und als Ergebnis der Wirksamkeit des Geistes. Bei Hermas erscheint einmal 3 der heilige Geist in der Gestalt einer Greisin, nämlich der Kirche, und der Prediger des 2. Klemensbriefes nennt in Anknüpfung an das Ehegleichnis des Epheserbriefs die Kirche das weibliche Element neben dem männlichen Christus oder auch die Kirche den mit Christus als Geist zur Einheit verbundenen Leib 4 . Daneben wird genannt die Auferstehung des Fleisches im neungliedrigen Symbol von Rom und Ägypten 5 also die eschatologische Wirkung des Geistbesitzes für den einzelnen Gläubigen, eben das, was er in Nachfolge Christi in der Kirche zu gewinnen hofft. Das Symbol der Epistula Apostolorum 6 fügt statt dessen zu der Kirche die Sündenvergebung, natürlich die in der Taufe gewirkte, die im Taufsymbol mit gutem Grund als Gegenstand des Glaubens bekannt werden kann. Das ausgebildete römische Symbol vereinigt alle diese Elemente: darüber hinaus finden wir in alter Zeit keine Zusätze zum dritten Artikel — was uns besonders hinsichtlich des Abendmahls wundernimmt. ') Tertullian praescr. haer. 13 adv. Praxeam 2. Iren. 4, 33, 7 (2, 262). 4. antiochenisches Symbol, 1. Symbol des Epiphanius; vgl. Lietzmann Symbole 6. 19. 31 und Z N W 21, 20 f. 2) Justin Apol. 13, 3. 61, 13. Iren. 1, 10, 1 (1, 90). Epideixis 6 (S. 4 ed. Harnack, Z N W 26, 93). Symbole von Jerusalem, Epiphanius 1. und 2. u. a.; vgl. Z N W 21, 20 f. 3 ) Hermas Sim. 9, 1, 1; vgl. Vis. 3. Dibelius im Handb. Exk. zu Vis. 2, 3, 4. 4 ) 2. Clem. 14; vgl. Eph. 1, 23. 5, 32. 6 ) o. S. 106. 6) o. S. 105.

Der Kultus Das Herz des christlichen Lebens ist der Gottesdienst der Gemeinde. Da ist die Stätte, wo die Kräfte der jenseitigen Welt in die Christenheit einströmen und sie zu dem neuen Volk der Gotteskinder machen, das nicht mehr von dieser Welt ist, sondern schon hier in wundersamer Gemeinschaft mit den himmlischen Bürgern des Gottesreiches lebt. Und das Hauptstück dieses Kultes ist die Feier des Abendmahls. Wir haben die älteste Form dieses Gemeinschaftsmahles in der Urgemeinde kennen gelernt und gesehen, wie Paulus ihm die Bedeutung einer Gedächtnisfeier des Todes Christi zuschreibt 1 . An der Schwelle des zweiten Jahrhunderts tritt uns die älteste formulierte Abendmahlsliturgie in der Kirchenordnung der Didache 2 entgegen. Noch immer ist der heilige Ritus mit einem wirklichen gemeinsamen Essen verbunden, aber seine beiden Akte sind nicht mehr durch den Ablauf der ganzen Mahlzeit voneinander getrennt, sondern am Beginn der Feier zusammengelegt. Erst segnet der Liturg den Kelch, dann das Brot mit kurzen Gebeten, die ihre Herkunft aus dem Formenschatz der griechischen Synagoge deutlich erkennen lassen, aber mit christlich vergeistigtem Inhalt gefüllt sind. Dann erschallt der Ruf: „Es komme die Gnade und es vergehe diese Welt"l „Hosianna dem Sohne Davids" antwortet die Gemeinde. Es folgt die Mahnung: „Wenn einer heilig ist, trete er hinzu, wenn er es nicht ist, so tue er Buße. Maranatha, (Herr komm)". „Amen" respondiert die Gemeinde, und dann treten die Getauften zur Kommunion vor den Liturgen, so weit sie sich heilig, das heißt frei von schwerer Sünde, wissen. Und wer in Streit mit seinem Nächsten lebt, versöhnt sich vorher mit ihm. Dann setzt sich l

) Bd. 1, 55. 124. 153 f. Herrenmahl S. 230—238.

s

) Didache 9—10. 14. Lietzmann, Messe u.

Liturgie der Didache.

Agapen

121

die Gemeinde zu Tisch, und es hebt das gemeinsame Mahl an. Ist es zu Ende, so spricht der Liturg ein längeres Gebet des Dankes für die gespendete geistliche Nahrung und das durch Christus gewirkte ewige Leben: es mündet aus in eine Fürbitte für die jetzt noch in der Welt zerstreute, aber ihrer Vereinigung im Reiche Gottes entgegenharrende Kirche. Kein Wort vom Todesgedächtnis des Herrn, keine Erinnerung an das letzte Mahl des Herrn in der Nacht, da er verraten ward. Diese Liturgie steht noch ganz in der aus der Urzeit erwachsenen Tradition und ist von paulinischem Einfluß unberührt. Aber sie hat nicht mehr lange in der Kirche Bestand gehabt. Zwei Dinge haben die entscheidende Änderung bewirkt. Bald ist die Autorität des Paulus so überragend geworden, daß seine Worte den Sinn und Inhalt der Feier bestimmten. Und die Verbindung des sakramentalen Mahles mit einem Gemeindeessen löste sich. Es wurde aus der doch irgendwie profan erscheinenden Nähe des täglichen Abendessens herausgenommen, auf den Vormittag verlegt und mit dem Wortgottesdienst verbunden. Bei dem Apologeten Justin 1 finden wir um 150 in Rom diese Umgestaltung vollzogen. Die früheren Abendfeiern wurden nicht abgeschafft, aber sie verloren ihre alte Bedeutung und wurden zu halbkultischen Liebesmahlen, feierlichen Formen privater Wohltätigkeit. Wir haben nicht wenige Schilderungen 2 solcher „Agapen". Tertullian beschreibt sie* als beliebte Formen kirchlicher Geselligkeit, in denen bei bescheidenem Essen und Trinken das allgemeine Gespräch durch den Vortrag biblischer Abschnitte, Psalmengesang oder freie Rede abgelöst wird. In Rom 4 sind es um die gleiche Zeit Speisungen bedürftiger Gemeindeglieder in einem wohlbegüterten Haus. Ein Kleriker führt den Vorsitz, betet und bricht das Brot zu Beginn, das hier als „Eulogia" bezeichnet und vom Abendmahlsbrot, der „Eucharistia", unterschieden wird. Dann folgt das gemeinsame Essen. Es kann aber die ganze Feier auch dadurch ersetzt werden, daß der *) Justin apol. 67, 3—5. 2 ) D a s Material bei Lietzmann Messe u. Herrenmahl S. 197—202. 3 ) Tertullian Apolog. 39, 16. 4 ) Didascal. apost. ed. Hauler p. 113 f.

122

5. Der Kultus

Spender den Geladenen Lebensmittelpäckchen in die Hand drückt, die sie dankbar mit nach Hause nehmen. In dieser bescheidenen Form haben die Agapen abseits vom hohen liturgischen Leben der Kirche noch Jahrhunderte lang bestanden. Derselbe Justin, der uns die Vereinigung der beiden Elemente zum sonntäglichen Hauptgottesdienst meldet, gibt uns auch die erste Beschreibung seines Verlaufs: Am Sonntag versammelt sich die Gemeinde und hört erst Lesungen aus den Evangelien, dann aus den Prophetenschriften „so lange die Zeit reicht". Danach folgt eine ermahnende Predigt. So weit geht der erste Teil, der Wortgottesdienst, in dieser sehr summarischen Darstellung — aber auch die Schilderungen der Kirchenordnungen des vierten Jahrhunderts 1 sind nicht ausgiebiger. Da wird etwas mehr gegliedert und vor allem Psalmengesang zwischen den biblischen Lesungen erwähnt, aber sonst hören wir auch nichts weiter. Vor allem wird von keinem liturgischen Gebet in diesem ersten Teil des Gottesdienstes berichtet. Aber so viel ist doch klar, daß wir hier eine Umgestaltung der mit Predigt verbundenen synagogalen Schriftlesungen vor uns haben, von denen uns die Erzählung des Lukasevangeliums 4, 16—30 das anschaulichste Bild gibt. Jesus verliest da am Sabbath den Prophetentext Jesaia 61, 1—2 und predigt darüber. Auch die Apostelgeschichte (13, 14—16) weiß von der Lesung aus Gesetz und Propheten mit nachfolgender Ansprache am Sabbath, und aus der Mischna werden diese Nachrichten dahin ergänzt 2 , daß die Prophetenlektion nur dem Morgengottesdienst des Sabbaths eigen war und auf die Gesetzeslesungen folgte. Aber im übrigen wissen wir von diesem Teil des synagogalen Gottesdienstes so wenig und haben insbesondere von seiner Ausbildung auf hellenistischem Boden so gar keine Kenntnis, daß wir über die eben gemachten dürftigen Andeutungen kaum hinausgehen können. Während an diesem ersten Abschnitt des Gottesdienstes alle Mitglieder der Gemeinde teilnehmen und sogar Fremde zu») Const. apost. 2, 57, 5—9. 8, 5, 11—12. vgl. Elbogen jüd. Gottesdienst 176.

2

) Mischna Megilla 4, 2;

Justin. Hippolyt

123

gelassen werden können 1 , damit sie für das Christentum gewonnen werden, ist der zweite Teil nur für die Getauften bestimmt. Denn nur sie dürfen das imMittelpunkt derFeier stehende Abendmahl genießen. Es hat alsoschoninfrüher Zeitdiemehr oderminder deutlich markierte Entlassung der Katechumenen und Ungläubigen den ersten Teil beschlossen. Ist die Gemeinde der Getauften unter sich, so erhebt sie sich zum allgemeinen Kirchengebet und begrüßtsichdanachmitdemFriedenskuß.Dannbringt man dem Liturgen Brot und einen Becher gemischten Weines, und dieser spricht darüber das „Eucharistiegebet". Die Gemeinde antwortet mit Amen und empfängt dann aus den Händen der Diakonen die Kommunion. Im Zentrum dieses Kultes steht aber nicht eigentlich die Mahlzeit, das Genießen der geweihten Elemente, sondern die Weihehandlung selbst, die durch das Eucharistiegebet vollzogen wird. Wir haben aus der römischen Kirche um 200 den Wortlaut eines solchen Formulars erhalten 8 , aus dem alles Wesentliche mit Deutlichkeit hervorgeht: Bischof: Der Herr sei mit euch! Gemeinde: U n d mit Deinem Geiste! Bischof: Die Herzen empor! Gemeinde: Wir haben sie beim Herren. Bischof: Laßt uns dem Herren danken! Gemeinde: Würdig ist es und recht. Bischof: Wir danken Dir Gott durch Deinen geliebten Knecht Jesus Christus, den Du in den letzten Zeiten entsandt hast uns zum Heiland und Erlöser und Boten Deines Ratschlusses, den von Dir ausgehenden Logos, durch den Du alles geschaffen hast, den Du geruht hast vom Himmel zu entsenden in den Schoß der Jungfrau, und in ihrem Leibe wurde er Fleisch und als Dein Sohn erwiesen, aus dem heiligen Geiste und der Jungfrau geboren. Deinen Willen zu erfüllen und Dir ein heiliges Volk zu bereiten, breitete er seine Hände aus, da er litt, auf daß er vom Leiden löse, die an Dich Glauben gewonnen haben. Und als er sich überlieferte dem freiwilligen Leiden, um den Tod zu lösen und die Bande des Teufels zu zerreißen und die Hölle zu zertreten und die Gerechten zu erleuchten und den Grenzstein aufzurichten und die Auferstehung zu offenbaren, nahm er ein Brot, dankte und sprach: „Nehmet, esset, dies ist mein Leib, der für euch gebrochen wird." Ebenso Const. Apost. 3, 6, 2. 2 ) Hippolyts Kirchenordnung in Didascalia lat. ed. Hauler p. 106 f. Messe u. Herrenmahl S. 174 ff.

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5. Der Kultus auch den Becher und sagte:„Dies ist mein Blut, das für euch vergossen wird. So oft ihr dies tut, begeht ihr mein Gedächtnis." Indem wir also gedenken seines Todes und seiner Auferstehung, bringen wir Dir das Brot und den Becher dar und danken Dir, daß Du uns würdig geachtet hast, vor Dir zu stehen und Dir Priesterdienst zu leisten. Und wir bitten Dich, daß Du herabsendest Deinen heiligen Geist auf das Opfer der Gemeinde. Vereinige sie und gib allen Heiligen, die davon genießen, zur Erfüllung mit heiligem Geiste, zur Stärkung des Glaubens in der Wahrheit, damit wir Dich loben und preisen durch Deinen Knecht Jesus Christus, durch den Dir sei Preis und Ehre in Deiner heiligen Gemeinde jetzt und in alle Ewigkeit, Amen.

Es beginnt mit der „Eucharistia", d. h. dem Dank — aber nicht, wie bei den alten Tischgebeten, für irdische Nahrung, sondern für die Menschwerdung des göttlichen Logos in Jesus, der dies heilige Mahl an der Schwelle seiner Leidenszeit gestiftet hat, wie mit den Worten des Paulus und Matthäus wiedererzählt wird. Die Einsetzungsworte klingen aus in die Mahnung: „so oft ihr dies tut, begeht ihr mein Gedächtnis". Dies nehmen die folgenden Worte auf und bestimmen genauer Tod und Auferstehung des Herrn als Gegenstände solchen Gedenkens. Brot und Wein werden als die Opfergaben bezeichnet, die priesterlich vor Gott dargebracht sind. Und mit ganz antiker, aber auch alttestamentlicher Wendung fleht der Priester den Herrn an, seinen Geist in dieses Opfer hinabfahren zu lassen, damit es den Genießenden zur geistlichen Nahrung diene. Die Abendmahlselemente sind wie das Fleisch des Opfertieres, das nach dem Kultakt festlich von den Spendern und den Priestern verzehrt wird. Dieser Gedanke ist im Gebet derLiturgie ins Geistliche gewendet,aberwievielirdische Realität die Volksfrömmigkeit damit verband, sehen wir aus der Erläuterung Justins, der von der Verwandlung unsres Fleisches und Blutes durch den Genuß dieser durch den Logosanruf gesegneten Nahrung spricht 1 . Es ist die gleiche Vorstellung, die uns um 110 bereits bei Ignatius begegnet ist und schon von Paulus der korinthischen Gemeinde vorgetragen wird 2 . >) Justin apol. 66, 2; vgl. dial. 41, 1—3. 70, 4. 117, 1—5. *) Bd. 1, 125. 253.

Die Eucharistie als Opfer

125

Das Abendmahl ist das kultische Opfer der Christenheit, einmal weil es Eucharistia, Dankgebet, ist, und Gebete das eigentlich christliche Opfer sind 1 ; zweitens weil Brot und Wein — dazu oft auch noch mancherlei andere Gaben — von der Gemeinde zum Liturgen auf den Altar gebracht und dadurch Gott geopfert werden; drittens weil der Liturg die Elemente durch sein Gebet Gott weiht und dieser die Gabe annimmt, seinen heiligen Geist auf und in sie sendet und sie dadurch zur wunderwirkenden Opferspeise für die Gemeinde macht 2 . Auch dies ein Gedanke, dessen Wurzeln sich auf die paulinische Parallelisierung und Kontrastierung des Abendmahls mit jüdischem und heidnischem Opfermahl 3 zurückführen läßt. So ist es in dreifacher Hinsicht verständlich, wenn die Feier des Abendmahls als der christliche Opferakt 4 bezeichnet wird. Das Christentum baut seine Vorstellung vom wahren Israel mit klarem Bewußtsein aus und stellt dem alttestamentlichen Opfer nicht mehr bloß das einmalige Opfer auf Golgatha entgegen, wie es der Hebräerbrief tut,sondern schafft sich einen eigenen und regelmäßig wiederholten Kultakt im eucharistischen Opfer. Wir werden noch sehen, wie später auch die Angleichung an die Vorstellung des Hebräerbriefs vollzogen wird, welche die klassische Opfertheorie der römisch-katholischen Kirche begründet. Im zweiten Jahrhundert sind einstweilen nur die drei soeben genannten Opferbegriffe nachweisbar. Und da zum Opfer ein Priester gehört, werden die liturgischen Vorsteher der Gemeinde mit den alttestamentlichenPriestertiteln bezeichnet. Schon der römische Klemens stellt die Episkopen und Diakonen in Parallele mit Hohempriester, Priester und Leviten; die Didache bezeichnet die Propheten als die christlichenHohenpriester'.Um 200 ist die Gleichung desBischofs mit demHohenpriester, der Presbyter mit den Priestern bezeugt; bald danach werden denn auch die Diakonen den Leviten gleichgesetzt®. ') Justin dial. 117, 2. 2 ) Messe u. Herrenmahl 176—186. 3) 1. Kor. 10,18—21. 4) Didache 14,1. Justin dial. 117,1—2; vgl.l.Clem.40,2. 44.4 und Ign. Eph. 5,2. 6) l.Clem. 40, 5. Did. 13,3. e ) Tertullian de bapt. 17, Hippolyt Elenchos 1 Vorrede 6. Hauler Didascalia lat. p. 104, 10. 14; vgl. 109, 11. Didascalia syr. p. 45, 12—15 Achelis; vgl. p. 40, 25.

126

5. Der Kultus

Dieser Kultakt schließt die Gemeinde immer aufs neue zur geistlichen Einheit zusammen: das zeigt sich auch in der Sitte, den Abwesenden die geweihte Speise ins Haus zu bringen, damit keiner ausgeschlossen sei. Nach der Feier sammelt der Liturg Gaben für die Bedürfnisse der Liebestätigkeit ein, die seiner Verwaltung unterstellt ist. Aber vielfach ist es auch Sitte gewesen, Lebensmittel aller Art und sogar Blumen als Opfer auf denAltar zu legen und sie durch Handauflegung und Gebet des Priesters segnen zu lassen: in Hippolyts Kirchenordnung 1 sind uns entsprechende Gebetsformulare aufbewahrt, und der Mosaikfußboden der ältesten uns erhaltenen Basilika zeigt uns eine solche Gabenbringende OpferprozessionimBilde 2 . Es ist ein und dasselbe Brot, von dem sie alle genießen, ein Wein, den sie alle trinken, und diese Speise ist Gegenbild — „Antitypus" — von Leib und Blut des Herrn und vereinigt somit die Genießenden zum „Körper Christi". Darum muß man aber mit den wundersamen Gaben ehrfürchtig umgehen: kein Ungläubiger darf davon genießen, kein Bröckchen zur Erde fallen, daß es nicht etwa verderbe oder von einem Mäuslein gefressen werde; kein Tropfen darf verschüttet werden: ein fremder Geist könnte es auflecken und dadurch Himmelskräfte gewinnen 3 . In derselben Zeit, welche die Abendmahlsliturgie in feste Formen gießt, hat auch das Einführungssakrament der Taufe seine Ausgestaltung gewonnen. Aus dem einfachen und gelegentlich unvermittelt vollzogenen Akt wird eine planmäßig aufgebaute Reihe feierlicher Handlungen. Zunächst wird die Zeit enger umgrenzt. Um 100 in Bithynien und noch um 200 in Rom war es üblich, daß man die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag für die Tauffeier bestimmte, und zwar darum, weil es die allwöchentliche Wiederkehr der Auferstehungsnacht des Herrn war4. Dann wurde die Grenze noch enger gezogen und ') Didascalia lat. p. 115 f. Hauler. 2 ) Es ist die um 310 erbaute Basilika von Aquileja; vgl. Vorträge d. Bibliothek Warburg 1925/26 S. 59 und Taf. 5. 3 ) Didasc. lat. p. 117 Hauler. 4 ) Plinius epist. 10, 96 und dazu Geschichtl. Studien für A. Hauck (1916) S. 34—38. Hippolyt Kirchenordnung can. 45 f. p. 109 Funk.

Die Taufe

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die Osternacht als das Jahresgedächtnis jener Erlösungsnacht zum Tauftermin ausgewählt: wenn Zeit und Ort nicht ausreichte, konnte die ganze Freudenzeit der fünfzig Tage bis Pfingsten zum Taufen benutzt werden. Das berichtet Tertullian 1 als die um 200 geläufige Sitte der afrikanischen Kirche. Aus dem Orient hören wir um diese Zeit nichts über ähnliche Begrenzungen. Sie mußten sich aber notwendig einstellen, sobald ein ausführliche Belehrung der Taufbegierigen, ein Katechumenenunterricht, nicht mehr in individueller Form, sondern als gemeinsame Unterweisung aller Kandidaten zur feststehenden Sitte wurde. Die Didache bezeichnet noch eine sehr summarische Moralbelehrung als ausreichenden Unterricht; bei Justin ist wohl eine ausführlichere Christenlehre vorausgesetzt, aber von einem regelrechten Lehrgang ist bei ihm kein Wort gesagt. Und das trifft sogar für die Hippolytische Kirchenordnung zu, in der doch die Probezeit des Katechumenats auf volle drei Jahre angesetzt wird: was in dieser Zeit geprüft werden soll, ist der Lebenswandel und die moralische Festigkeit des Bewerbers 2 . Der Taufakt selbst ist um 200 bereits voll ausgebildet und von einer Reihe naturreligiöser Zeremonien umgeben, die in den Mysterienkulten der Umwelt zahlreiche Parallelen haben. Die Vorbereitung des Täuflings erfolgt durch Fasten, das ein bis zwei Tage dauert und von einigen Freunden geteilt wird 3 . Dann wird das Taufwasser durch Austreibung der in ihm hausenden Elementargeister gereinigt und für den heiligen Akt vorbereitet 4 . Daneben bestand aber die Meinung, daß derTäufling selbst die unreinen Dämonen des Heidentums beherberge und erst von ihnen befreit werden müsse, ehe der Geist Christi in ihm Wohnung nehmen könne. Die einfachste Vorstellung *) Tertullian de baptismo 19. 2 ) Didache 1—6; vgl. 7 Anfang. Justin apol. 61, 1. Hippolyt KO c. 42 p. 107 Funk. Orígenes c. Cels. 3, 51. 3 ) Didache 7, 4. Justin apol. 61, 2; vgl. Hippolyt KO 45, 7. 10 p. 109 Funk; vgl. Clemens Alex, excerpt. 84. 4 ) Clemens Alex, excerpt. 82. Cyprian cp. 70,1. Hippolyt KO 46,1 p. 109 Funk. Tertullian de bapt. 4; vgl. Dölger Exorzismus S. 160—167.

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5. Der Kultus

ist die, daß die T a u f e selbst diese Reinigung bewirkt 1 . A b e r im dritten Jahrhundert entwickelt sich ein besonderer Ritus des Exorzismus, durch den die Dämonen aus dem Täufling vorher ausgetrieben werden. D e r Priester legt ihm die Hand auf, bläst ihn an und salbt ihm Stirn, Ohren und N a s e : worauf ein erneutes nächtliches Fasten folgt 2 . In der Morgenfrühe, wenn der Hahn kräht, beginnt die Taufe, zu der „lebendiges", d. h. fließendes Wasser erforderlich ist, eine Vorschrift, die dem allgemeinen antiken Kultbrauch entspricht. Nur im Notfall darf Zisternenwasser benutzt werden 8 . In Rom muß um 200 der Täufling, nachdem er sich entkleidet hat, zunächst dem Satanas und all seinem Dienst und seinen Werken, denen er bisher Untertan war, feierlich absagen und empfängt darauf noch einmal eine Salbung mit exorzisiertem ö l . Dann steigt er in das Wasser, leistet nun dem neuen Herrn den Diensteid, das „Sakramentum", indem er das dreigliedrige Taufbekenntnis spricht, und wird von dem begleitenden Diakon dreimal untergetaucht. E r steigt heraus, empfängt eine Salbung durch den Presbyter und bekleidet sich wieder. Dann zieht man aus dem Taufraum in die Kirche, wo der Bischof den Neugetauften durch Handauflegung, Salbung, Bekreuzigung und Kuß die G a b e des heiligen Geistes übermittelt und ihn in die Gemeinschaft der Kirche Christi aufnimmt 1 . Sofort feiert die Gemeinde mit ihnen das Abendmahl: aber den durch die Taufe Neugeborenen wird außer dem Brot und W e i n auch noch ein Becher mit Milch und Honig gereicht — sie sollen darin einen Vorgeschmack der Himmelsspeise sehen, die im gelobten Lande des Gottesreichs den Verklärten verheißen ist. Dieser Ritus ist uns um 200 aus Ägypten, R o m und Afrika bezeugt und dürfte in gnostischen Kreisen am Nil aus antikem Mysterienbrauch übernommen und von da aus in die Kirche eingedrungen sein 5 . Tertullian de bapt. 9 p. 208, 11 f.; vgl. 5 p. 205, 26 f. Reifferscheid. ) Hippolyt KO 45, 9 f. p. 109 Funk. 5 ) Didache 7, 1—2. Justin apol. 61, 3. Hippolyt KO 46, 2 p. 109 Funk. P. Stengel Griech. Kultusaltertümer 3 S. 162 Anm. 9. 4 ) Hippolyt. KO c. 46 p. 109—112. Tertullian de bapt. 7—8. carnis resurr. 8 p. 36 f. Kroymann. 6 ) Hippolyt KO lat. 2

Die Taufe. Wochenfasttage.

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Passah

Der Kulttag der Woche ist von Anfang an der Sonntag gewesen, und an ihm findet der eucharistische Gottesdienst statt. Daneben sind uns seit alter Zeit die beiden Wochenfasttage des Mittwochs und des Freitags bekannt 1 , an denen man sich in Afrika bis zur „neunten Stunde", also bis 3 Uhr nachmittags, der Speise enthielt, während Eifrige die Nahrungsenthaltung bis zum Abend fortsetzten 2 . Man empfand das Fasten als eine besondere Steigerung der christlichen Lebenshaltung, als „Wachtdienst" und nannte es deshalb im Westen mit dem militärischen Namen Statio 3 . Der Christ stand auf der Wacht, um den wiederkommenden Herrn würdig zu empfangen. Aber pflichtmäßig ist diese Statio nicht überall gewesen. Die römische Gemeinde Hippolyts fastet im allgemeinen noch ganz nach Belieben und weiß von einem bindenden Fastengebot nur am Karfreitag und -samstag 4 . Die Urgemeinde hat bei ihrer gesetzlichen Art selbstverständlich das jüdische Passah und die ihm folgende 50tägige Festzeit bis Pfingsten mitgefeiert 5 , und diese Feste sind nicht nur von ihrer judenchristlichen Nachfolgerin, sondern auch in der Heidenkirche übernommen worden. Das ist an sich nicht wunderbar, wenn wir uns erinnern, in wie engem Zusammenhang auch die „gesetzesfreie" Kirche mit der griechischen Synagoge gestanden hat6, aber bemerkenswert ist, daß diese Sitte keineswegs allgemein war. Bischof Polykarp von Smyrna feierte Mitte des zweiten Jahrhunderts das Passahfest „nach der Sitte der Apostel", mußte aber bei einem Besuch in Rom feststellen, daß es dort unbekannt war, und es gelang ihm nicht, die Römer zu diesem Fest zu bekehren 7 . In Smyrna und p. 111—113 Hauler. Clemens Alex. Paedag. 1, 6, 45. Strom. 7, 75, 2. Tertullian Corona mil. 3. adv. Marc. 1, 14 p. 308, 21 Kroymann. H. Usener Kleine Schriften 4, 404—417. !) s. Bd. 1, 61 f. Didache 8, 1. 2 ) Tertullian de ieiun. 1 p. 275, 3 f. 2 p. 275, 26—28. 10 p. 287, 8 Wissowa. 3 ) Hermas Sim. 5, 1. Tertullian de oratione 19 p. 192, 11 Wissowa; vgl. Svennung Z N W 32, 294—308. Holl Ges. Schriften 2, 213. Emonds in Heilige Überlieferung, Festschrift f. J. Herwegen 1938 S. 27 f. 4 ) Hippolyt KO c. 47, 2 p. 112 c. 55 p. 115 Funk. 5 ) Apg. 2, 1; vgl. Lev. 23, •15—21. «) Bd. 1, 209 ff. 7 ) Irenaeus bei Euseb K G 5, 24, 16. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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5. Der Kultus

dem übrigen Kleinasien wurde Passah „am vierzehnten" gefeiert, d. h. genau an dem gleichen Tage, an dem es auch die Juden begingen, nämlich wenn der Mond vierzehn Tage alt war, oder mit anderen Worten in der Vollmondnacht, und zwar der in den Frühlingsmonat fallenden. Da nun aber im Osten eine große Mannigfaltigkeit an Kalendern herrschte und die Juden sich, wie wir jetzt wissen", den landesüblichen Kalendern anschlössen, so waren die Monatsgrenzen recht verschieden, und dementsprechend wurde Passah auch nicht überall am gleichen Vollmond gefeiert. Das hat weder Juden noch Christen gestört. Aber wenn man nach dem Sinn fragt, den beide Religionsgemeinschaften mit dieser Feier verbanden, so ist die Gegensätzlichkeit schon im Ritus scharf ausgeprägt. Die Juden feiern ein fröhliches Mahl stolzer Erinnerung an den Auszug aus der ägyptischen Knechtschaft, die Christen begehen das Passah durch Fasten. Das werden wir von der Parallele des Freitagsfastens innerhalb der Woche aus zu deuten haben. An das Passah knüpfte sich ja nach der Evangelientradition die Passion Jesu, und in diesem Sinne feiert die Gemeinde den Passahabend in Trauer mit Fasten und Gebet 2 Wenn aber um den Hahnenschrei die Nacht zu weichen beginnt und das Freudenmahl der Juden zu Ende ist, dann endet das christliche Fasten mitsamt der Trauer, und die Gemeinde vereinigt sich beim eucharistischen Liebesmahl mit dem in ihrer Mitte weilenden Herrn 3 . Der Inhalt dieser christlichen Passahfeier ist also das Todesgedächtnis des Herrn, und die spätere Kirche hat diese Weise als „Kreuzespassah" bezeichnet und ihre Vertreter nach dem Festdatum „Quartodezimaner", d. h. Anhänger des „Vierzehnten", genannt. Dieser Praxis stellte sich eine andere entgegen, welche das Jahresgedächtnis des Todes Jesu mit dem Wochengedächtnis gleichen Inhalts zu verbinden strebte und deshalb die Feier der Todesnacht am Sonnabend beginnen ließ und so das Ende des Fastens und den Beginn des eucharistischen Festmahles in die *) E. Schwartz Christi, u. jüd. Ostertafeln (Abh. Gotting. Ges. NF 8, 1905) 121 f. 2) Mark. 2, 20. 3) Epistula apostol. c. 15 (26).

Passah und Ostern

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Morgenfrühe des Sonntags, also in die Stunde der Auferste• hung Christi, rückte: dann feierte man eigentlich die Auferstehung, und das vorausgehende Samstagfasten mit dem Todesgedächtnis erschien mehr als Vorbereitung auf das Fest des Sonntags. Und wer die Analogie der Passionsgeschichte weitertrieb, fing das Fasten bereits "am Freitag an und feierte so den Todestag und den Tag der Grabesruhe Christi durch Trauer, den Auferstehungstag durch Freude. Während also jene kleinasiatische Feier das Passah an die Vollmondnacht band und es demgemäß durch alle Wochentage wandern ließ, schob man jetzt das Fest auf den Sonntag, der auf jene Vollmondnacht des jüdischen Passah folgte. Wir wissen nicht, wann und wo diese Weise aufgekommen ist. Nur daß sie nach der Mitte des zweiten Jahrhunderts weite Verbreitung in der Christenheit gefunden hat, ist uns urkundlich bezeugt. Um diese Zeit gab es nämlich einen ernsthaften Streit um die richtige Art der Passahfeier, und aus Palästina, das mit Ägypten zusammenging, aus dem Pontos, aus Osroene, Korinth, Rom, Gallien wurden Synodalschreiben zugunsten der Sonntagsfeier—die wir jetzt Osterfest nennen — ausgegeben 1 . Bischof Viktor von Rom hat dann die Kleinasiaten aufgefordert, von ihrer „quartodezimanischen" Praxis abzulassen, und ihnen im Weigerungsfalle mit Aufhebung der kirchlichen Gemeinschaft gedroht. Aber der Wortführer der anderen Seite, Bischof Polykrates von Ephesos. wehrte sich energisch 2 unter Hinweis auf die apostolische Tradition Kleinasiens, welche durch die Gräber des Lieblingsjüngers Johannes, des Evangelisten Philippus 3 — er nennt ihn freilich zur Steigerung einen der Zwölf Apostel — und seiner Töchter bezeugt werde; und als weitere Träger der gleichen Uberlieferung ruft er noch eine ganze Reihe bedeutender Kirchenmänner seines Landes an. Aber auch anderswo mißfiel dieses schroffe Vorgehen Roms4, und Irenaeus von Lyon, obwohl er sachlich dem Viktor beipflichtete, schrieb ihm einen Brief von peinlicher Deutlich0 Euseb KG 5, 23, 2 - 4 . 2) Brief des Polykrates bei Euseb KG 5, 24, 2—8. 3 ) Bd. 1, 198. 4) Euseb KG 5, 24, 10. 9*

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5. Der Kultus

keit. Darin wurde kräftig betont, daß auch unter den Freunden des Sonntagspassah im einzelnen noch mancherlei Differenzen . seien, ohne daß dies den Frieden störe, und daß der Gegensatz zwischen Rom und Kleinasien einst, in den Tagen des Polykarp, doch noch viel größer gewesen sei. Damals habe man in Rom überhaupt kein Passah gefeiert und sich doch friedlich verständigt. Warum jetzt nicht, wo es sich nur um eine Abweichung im Tage handle: habe doch erst Bischof Soter, der Vorvorgänger des Viktor, die Osterfeier am Sonntag eingeführt 1 . Wir hören nichts vom Fortgang des Streites, aber die Kleinasiaten haben jedenfalls ihren Brauch nicht aufgegeben. Und wo sich die neue Ostersitte durchsetzte, hat sie zuweilen auch auf die allwöchentliche Fastenpraxis zurückgewirkt und dem schon längst als Fasttag üblichen Freitag auch noch den Sonnabend zugesellt. Die Sitte des Samstagfastens begegnet uns um 200 im Westen als heftig umstrittene Übung 2 : doch hat es 200 Jahre gedauert, bis sie sich in diesem Kirchengebiet endgültig durchsetzte. Der Osten ist etwas später in den gleichen Kampf eingetreten und hat sich umgekehrt entschieden: dort ist das Sabbathfasten seit dem vierten Jahrhundert verboten'. Mit Ostern hängt Pfingsten von Ursprung an zusammen. So hat man denn auch in der Kirche die 50 auf Ostern folgenden Tage als eine Freudenzeit begangen in Erinnerung an die Erscheinungen desAuferstandenen und an die Ausgießung des Heiligen Geistes; vor allem erwartete man in diesen Wochen die verheißende Wiederkunft des gen Himmel gefahrenen Herrn 4 . Weitere Jahresfeste kennt die Kirche dieser Periode noch nicht. Bei den ägyptischen Basilidianern ist im zweiten Jahrhundert ein Fest der Taufe Christi mit vorausgehender Nachtfeier am 10. oder 6. Januar begangen worden 5 . Daraus ist spä') Brief d'es Irenaeus bei Euseb KG 5, 24, 12—17. Dazu Holl Ges. Schriften 2, 214—219. E. Schwartz Z N W 7, 1—22. 2) Tertullian de ieiunio 14 p. 293, 5. 15 p. 293, 19 Wissowa. Hippolyt in Danielem 4, 20, 3 p. 236, 5 Bonwetsch. 3) Holl Ges. Schriften 2, 373—376. 4 ) Tertullian de bapt. 19p. 217, 6—12Wissowa. 5) Clemens Strom. 1,146,1—2.

Erster Osterstreit. Totenkult

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ter das Epiphanienfest der Großkirche entstanden, aber wir finden im dritten Jahrhundert noch keine Spuren dieser Übernahme. Wohl aber haben sich in einzelnen Gemeinden Jahresfeste eingestellt, nämlich die Gedächtnisfeiern ihrer Märtyrer bei der jährlichen Wiederkehr ihres Todestages: im letzten Grunde eine Steigerung des Jahrgedächtnisses, welches jede Familie ihren T o t e n zu widmen gewohnt war. Nicht umsonst finden wir auf zahllosen Grabplatten aller Jahrhunderte das Datum des Todestages angegeben, während das Jahr nur in den allerseltensten Fällen genannt wird. An diesem Tage fand sich die Familie am Grabe ein und gedachte des Entschlafenen in einer irgendwie kultisch geregelten Form: leider sind wir über Einzelheiten in dieser frühen Zeit gar nicht unterrichtet. Eine spätere Anweisung belehrt uns, daß auch die antike Sitte, den dritten, neunten, dreißigsten Tag nach dem Tode durch Gedenkakte zu feiern, bei den Christen bekannt war: sie erwiesen an diesenTagen ihre Anhänglichkeit an den Verstorbenen durch Psalmodieren, Bibellesungen und Gebete, vor allem aber durch Spenden an die Armen, auch wohl durch Erinnerungsmahle 1 , die natürlich als christliche Agapen gefeiert wurden und sich mit diesen allmählich in Wohltätigkeitsveranstaltungen umwandelten 2 . W a r u m der dreißigste meist durch den vierzigsten ersetzt wurde, ist uns nicht ganz durchsichtig und hat vermutlich seinen Grund in örtlichen Verschiedenheiten des zugrunde liegenden antiken Brauches. Aus dem zweiten Jahrhundert ist uns durch Zufall die Schilderung eines solchen Gedächtnisses am dritten Tage erhalten: da gehen die Angehörigen in die G r u f t hinein, um am Grabe „das Brot zu brechen" 3 . Tertullian 4 erwähnt mehrfach als geläufige Sitte, am Jahrestag des T o t e n „für ihn O p f e r darzubringen und für seine Seele zu beten". Da ist aus dem antiken Opfer, das dem Toten gespendet wird, ein christliches *) Const. Apost. 8, 42, 1—5; 44, 1—4. Ambrosius de obitu Theodosii 3 (2, 1198 a Bened.). E. Rohde Psyche 1, 232 ff. 2) Canones Hippol. 33. 3) Acta Johannis 72. 4 ) Tertullian de Corona 3, exhort. cast. 11, monogamia 10.

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5. Der Kultus

Wohltätigkeitsopfer geworden, das man Gott im Namen des Toten darbringt, indem man es bei der Eucharistie auf dem Tisch des Bischofs als dem Altar niederlegt 1 und mit Fürbittgebeten begleitet. Dieser Totenkult steigert sich nun beim Märtyrer wesentlich dadurch, daß er nicht auf den Kreis der Familie und Freunde beschränkt ist, sondern von der ganzen Gemeinde begangen wird. Wie sehr die Gemeinden die Märtyrer als ihre Helden feiern, auf die sie mit Stolz blicken, zeigen uns die Gemeindeschreiben über den Tod des Polykarp und der Lyoner Schar mit lebendigster Deutlichkeit. Bei Polykarp wird uns ausdrücklich versichert, viele hätten gewünscht, den Leichnam zu bergen und „mit seinem heiligen Fleisch Gemeinschaft zu haben", aber der Teufel habe es verhindert und bewirkt, daß es verbrannt worden sei. So sei nur die Asche gesammelt und an einem schicklichen Ort beigesetzt worden, an dem die Gemeinde mit Jauchzen und Freude den Jahrestag seines Martyriums begehen werde 2 . Aber man will an diesem Tage zugleich „der früheren Märtyrer gedenken": das besagt doch klar, daß mit der Einsetzung eines Gemeindefeiertags für Polykarp etwas Neues begründet wird, und daß man bisher das Gedächtnis von Märtyrern noch nicht amtlich von Gemeinde wegen beging. Wir können tatsächlich hier in Smyrna die Einführung des Märtyrerkultes als eines Kirchenfestes urkundlich im Jahr 156 festlegen. Über die römischen Verhältnisse erlaubt uns der erhaltene Märtyrerkalender des Jahres 354 präzise Schlüsse: dies Verzeichnis der offiziellen Gedenktage nennt keine Märtyrer der beiden ersten Jahrhunderte. Die ersten Märtyrer, deren Namen aufgeführt werden, sind die 203 gestorbenen afrikanischen Frauen Perpetua und Felicitas und die römischen Bischöfe Kallist (f 222), Pontian und Hippolyt (f nach 235). Der afrikanische Kalender nennt als älteste Märtyrer die Scillitaner vom Jahre 180, das aus verschiedenen orientalischen Quellen gespeiste syrische Martyrologium gedenkt nicht nur des Polykarp und ') Vgl. Hippolyt KO c. 53.

2

) Mart. Polyc. 17—18.

Märtyrerkult. Katakomben

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der wohl aus der gleichen Zeit stammenden Pergamener Märtyrer Karpus und Genossen, sondern auch des alten antiochenischen Bischofs Ignatius 1 . So scheint doch die kirchliche Feier des Martyriums am Jahrestage im Osten und auch in Afrika erheblich früher zur Sitte geworden zu sein als in Rom, wo sie erst kurz vor der Mitte des dritten Jahrhunderts sich Geltung verschafft — allerdings kennen wir nur die lateinische Tradition und nicht die des griechischen Roms. Der Totenkult ist auch das Gebiet, wo für unser Auge zuerst die Kirche mit der Kunst in ernsthafte Berührung tritt. Die Ausschmückung der uns erhaltenen Grabanlagen liefert uns die ältesten und auf längere Zeit auch die wichtigsten Denkmäler der christlichen Kunstgeschichte: freilich nur spärlich für das zweite und dann allmählich und örtlich sehr verschieden sich mehrend für das dritte Jahrhundert. Im großen und ganzen scheinen sich die Christen überall den Landessitten angepaßt zu haben, wo diese nicht ihren Anschauungen zuwider waren. Noch in den späteren Jahrhunderten ist das leicht festzustellen, und für die früheren besitzt der Rückschluß innere Wahrscheinlichkeit. Aber die im Beginn der Kaiserzeit in Rom und bald auch im übrigen Westen aufkommende Sitte der Leichenverbrennung fand bei ihnen einmütige Ablehnung. So folgten sie in Rom dem Brauch der dort ansässigen Juden und legten unterirdische Grabkammern an, deren Wände mit rechteckigen Vertiefungen (Loculi) als Grabstellen versehen waren. In diese legte man, jüdischer Gewohnheit auch hierin folgend, die in Tücher gehüllten Leichen ohne Sarg und verschloß die Öffnung durch Platten von Ziegeln oder Marmor2. Bald verband man mehrere solcher Kammern, indem man sie an einen wagerechten Stollen anschloß, dessen Wände gleichfalls mit reihenweise übereinanderliegenden Loculi ausgestattet wurden; diese Gänge mehrten sich, wurden unter sich wieder verbunden, und bald entwickelte sich aus einer H. Achelis Die Martyrologien S. 17 f. Texte bei Lietzmann Die ältesten Martyrologien (Kl. Texte 2). 2) Hipp. KO c. 61 gebraucht das griechische Wort Keramos (Horner Statutes of the Apostles p. 327, 19).

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5. Der Kultus

kleinen Anfangsanlage ein immer weiter wucherndes System von kreuz und quer angeordneten Stollen und Kammern, die zuweilen sogar in mehreren Stockwerken übereinander lagen und auf diese Weise nach allen drei Dimensionen erweitert werden konnten. Die Kammern waren die bevorzugten Räume, Hier fanden die Mitglieder vornehmer Familien ihre gemeinsame Ruhestätte, hier setzte man Würdenträger der Gemeinde und bald auch Märtyrer bei. Für solche Persönlichkeiten bevorzugte man die Grabform des sogenannten Arkosols: unter einem in die Wand getieften Halbkreisbogen wird ein sargförmigerRaum ausgearbeitet, welcher die Leiche aufnimmt und dann durch eine wagerechte Platte oben abgeschlossen wird. Jedem Besucher der römischen Katakomben sind diese Grabformen, Gänge und Kammern bekannt und sie begegnen mit mancherlei Varianten überall wieder, wo sich derartige unterirdische Friedhofsanlagen befinden: und das ist fast in allen Ländern der alten Welt der Fall1. In Rom sind uns aber die ältesten datierbaren Anlagen dieser Art erhalten. Hier begegen uns auch die frühesten Beispiele künstlerischer Ausschmückung der Kammern und einzelner Gräber. Da wir in Rom zugleich die analoge Gestaltung der jüdischen Katakomben studieren können, wird uns der Zusammenhang des Bestattungswesens beider Religionsgemeinschaften unmittelbar anschaulich, und andererseits lassen die zahlreichen Denkmäler antiken Totenkultes uns die Anlehnung an römische Kunstübung leicht erkennen. Aus diesen Gründen ist Rom die klassische Stätte christlicher Archäologie geworden und hat durch seine von einem Jahrhundert zum andern ununterbrochen fortschreitende Denkmälerreihe ein eindrucksvolles und in sich geschlossenes Bild christlicher Kunstentwicklung geboten, mit dem kein andrer Ort in Wettbewerb treten kann. Aber dieses Überragen Roms hat eine Verallgemeinerung der hier gewonnenen Erkenntnisse zur notwendigen Folge gehabt, und es ist eine der !) Liste bis 1900 von N . Müller in Hauck Realenc. 3 10, 804—813. Cabrol-Leclercq Diction. d'archeol, ehret. 2, 2441—2447.

Katakombenkunst

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wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der neueren Forschung, das künstlerische Eigenleben der übrigen, insbesondere der östlichen Länder zu erfassen. Die dazu notwendigen Denkmäler wachsen allmählich aus dem Boden oder treten aus dem Dunkel der Vergessenheit ans Licht. Für die ersten Anfänge der Kunst dürften aber die römischen Verhältnisse typisch sein. Sie entsprechen dem, was um 200 der alexandrinische Klemens als seine Lehrmeinung von sich gibt, daß der Christ für seinen Siegelring keine heidnischen Götterbilder oder Symbole des Krieges oder der Erotik verwenden solle, sondern etwa eine Taube, einen Fisch, ein Schiff, eine Lyra, einen Anker oder einen Fischer, also Bilder, denen sich ein christlicher Sinn abgewinnen lasse1. Hier wie sonst zeigt sich Klemens der antiken Kultur nicht feindlich, soweit sie eben seinen Glauben und seine Sittlichkeit nicht gefährdet. Ganz entsprechend ist in den römischen Katakomben überall da, wo es die Mittel erlauben, ganz unbefangen Bildschmuck auf weißer Stuckunterlage zur Verzierung des kahlen Tuffgesteins verwendet worden. Ein Gerüst von Linien täuscht eine Laube aus Rohrstäben oder Holzlatten vor, und von einer Stange zur andern winden sich Blumengerank, bunte Bänder und Kränze. Dazwischen sprießen Wunderblumen aus phantastischen Kelchen, grinsen Masken oder lächeln zierliche Köpfe, hüpfen Delphine graziös über einen Dreizack und gaukeln schillernde Schmetterlinge von Blume zu Blume. Die ganze fröhlicheWelt hellenistischer Dekorationskunst, die wir in Pompeji bewundern, aber auch in den heidnischen Grabkammern der römischen Campagna und Isola sacra wiederfinden, begrüßt uns in den Räumen der christlichen Katakomben. Es fehlen nur, wie es Klemens verlangt und wie es ganz selbstverständlich ist, erotische Darstellungen und heidnische Götterbilder. Aber man ist da nicht überängstlich gewesen: die niedlichen Flügelwesen der alexandrinischen Kunst, die man Eroten oder Amoretten nennt, schweben unbehelligt mit ihren Brüdern, den Vögeln und Schmetterlingen, Clemens Paed. 3, 59, 2.

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5. Der Kultus

zwischen dem bunten Gerank, und selbst Amor und Psyche 1 werden nicht unbedingt aus der Katakombenwelt verbannt. Klemens würde bei diesem Anblick doch die Stirn gerunzelt haben. Aber diese Figuren waren im allgemeinen Bewußtsein längst zu rein dekorativen Elementen geworden: wer hatte noch ein lebendiges Empfinden dafür, daß diese geflügelten Menschlein eigentlich Abbilder abgeschiedener Seelen waren, die dem Toten in der Kammer freundliche Gesellschaft leisten sollten? Unter den traditionellen Elementen hellenistischer Herkunft finden wir seit dem zweiten Jahrhundert das Bild einer schleiergeschmückten Frau, die ihre Hände betend erhebt, und die Gestalt eines Hirten, der ein Lamm auf dem Nacken trägt. Beide sind uns nicht fremd und begegnen in der antiken Formenwelt in mannigfachen Variationen, aber hier an christlicher Stätte heben sie sich bedeutsam aus dem Gewimmel der Ziermotive heraus: sie wollen etwas sagen, sind Symbole. Jeden christlichen Beschauer mußte der Lammträger an das Gleichnis vom „guten Hirten" erinnern, der das verlorene Schaf heimträgt zu der Herde und der kein anderer ist als Christus selbst 2 . Und späte Liturgien haben uns den Gedanken aufbewahrt, der dies Bild in die Gräber malen hieß. „Herr, laß diesen Entschlafenen vom Tode erlöst, von Schuld befreit, dem Vater versöhnt, auf den Schultern des guten Hirten heimgebracht, im Gefolge des ewigen Königs immerwährende Seligkeit im Kreise der Heiligen genießen" heißt es bei den Lateinern 3 ; die Griechen 4 beten noch heute im Totenamt: „das verlorene Schaf bin ich: rufe mich zurück, o Heiland, und rette mich". Katakombenbilder aus dem vierten Jahrhundert bestätigen uns diese Deutung des guten Hirten 5 .Die betenden Frauen begegnen uns gleichfalls immer wieder auf den christlichen Denkmälern des zweiten und dritten Jahrhunderts, bis sie — ganz wie der lammtragende Hirt — nach dem vierten Jahrhundert in den Hintergrund treten. Gelegentlich finden wir den Gestalten die >) Wilpert Malereien d. Katakomben Taf. 52. 2 ) Luk. 15, 4—7. Joh. 10, 11—16. s ) The Gelasian Sacramentary ed. Wilson p. 298 f. 4 ) Griech. Euchologien (Athen 1899) p. 427. s ) Wilpert Malereien Taf. 190. 222. 236.

Symbolik

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Namen derVerstorbenen beigeschrieben und die Figuren selbst von dem bunten Gerank des Paradiesgartens umgeben 1 : das zeigt, daß sie als symbolische Darstellung der vor Gott anbetenden Seligen im Himmelreich verstanden werden sollen. Ähnliche Gestalten finden wir im linken Seitenschiff des rätselhaften Kultraums von Porta Maggiore in Rom. Man wird auch da die Möglichkeit einer symbolischen Bedeutung der betenden Frauen ernstlich zu erwägen haben, zumal die meisten übrigen Darstellungen zu allegorischer Sinngebung aus orphisch-pythagoreischen Gedankengängen heraus auffordern. Vielleicht sind es auch hier die Seelen der Abgeschiedenen 2 ? Dann hätten wir Vorläuferinnen christlicher Figuren aus frühester Kaiserzeit vor uns. Neben diese dem antiken Figurenschatz entlehnten und nur durch symbolische Deutung christianisierten Gestalten tritt nun aber schon im zweiten Jahrhundert eine Reihe biblischer Szenen, die dem Alten Testament entlehnt sind und sämtlich Errettungen aus Todesnot zum Inhalt haben: Isaaks Opferung, Noah in der Arche, Daniel in der Löwengrube, die drei Männer im feurigen Ofen, Susanna. Dazu tritt die Geschichte des Jonas in einem dreiteiligen Zyklus: er wird ins Meer geworfen und vom Walfisch verschlungen, er wird aufs Land ausgespien, er ruht gerettet unter seiner Laube. Auch hier gibt uns die Liturgie des Abend- und des Morgenlandes Aufschluß über den Sinn der Bilder. Noch heute betet der katholische Priester am Bett des Sterbenden unter anderem, Gott möge seine Seele befreien, wie er Noah aus der Sintflut, Isaak vom Opfertod, Daniel aus der Löwengrube, die drei Jünglinge aus dem Feuerofen, Susanna von falscher Anklage befreit habe. Das Gebet geht auf älteste Wurzeln zurück und hat in griechischen wie in orientalischen Formeln seine Parallelen 3 . Seinen ») Wilpert Malereien Taf. 110 f. C. M. Kaufmann Handb. d. altchristl. Epigraphik S. 19. 34. 54. 55. 73. 74. 82. 2) Bendinelli II monumento sotterraneo di Porta Maggiore (Monumenta antichi 31, 1927) p. 747. s ) Rituale Romanum: Commendatio animae; vgl. Ps. Cyprian oratio II (3, 147 Härtel), dazu Scherrnann Oriens christianus 3, 303 bis 323, Baumstark ebenda N. S. 4, 298—305.

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5. D e r Kultus

jüdischen Ursprung bezeugt die Auswahl der Beispiele, und die Mischna hat uns auch wirklich ein Bußgebet zur Fastenzeit aufbewahrt, das den gleichen Typ aufweist 1 . Damit ist die Frage aufgeworfen, ob die Christen vielleicht nicht nur diese Gebete, sondern auch ihre bildliche Darstellung den Juden entlehnt haben. Seit die genauere Kenntnis der Malereien in römischen Judenkatakomben und östlichen Synagogen, vor allem aber die Ausgrabung der Synagoge in der Euphratfestung Dura uns über das Vorhandensein einer jüdischen Bildkunst aufgeklärt haben, dünkt uns eine solche Fragestellung durchaus nicht mehr so abwegig wie noch vor kurzem. Wir stellen fest, daß um 200 die Stadt Apamea in Phrygien unter dem Einfluß der dort vorhandenen jüdischen Kolonie Münzen mit dem Bilde Noahs und der Arche prägte, die mit der christlichen Noahdarstellung engste Verwandtschaft aufweisen 2 . In einer palästinensischen Synagoge, die man ins dritte Jahrhundert setzt, fand sich auf dem Mosaikfußboden das uns bekannte Bild des Daniel zwischen den Löwen3. In Dura treffen wir in derselben Zeit Isaaks Opferung als Wandbild an 4 , und dasselbe begegnet uns in einer palästinensischen Synagoge 5 . Das verstärkt die Wahrscheinlichkeit der Vermutung, daß die christlichen Bilder des alttestamentlichen Rettungszyklus ebenso wie die Gebete der Totenliturgie auf jüdische Vorlagen zurückgehen oder vielmehr ohne erhebliche Änderungen aus der Welt der Synagoge herübergenommen und mit christlicher Sinngebung verwendet sind. Beliebt ist schon in früher Zeit das Bild des Moses, der aus dem Felsen Wasser schlägt: auch dies wohl nach jüdischer Vorlage geformt,wenn auch nicht ebenso sicher demRettungszyklus angehörend. Die Christen mögen dabei an das seelenrettende Taufwasser gedacht haben, und vielleicht ist auch der antike Gedanke an das im Paradies sprudelnde Lebenswasser Mischna Taanith 2, 4. 2) Head Historia Numorum 2 667, CabrolLeclercq Diction. 1, 2515. 3) Revue biblique N. S. 16 (1919), 535 u. 30 (1921), 442. *) Illustrated London News 1933, 23. Juli S. 189 Fig. 10. 5 ) Sukenik The ancient Synagogue of Beth Alpha Taf. 19.

Bilder aus dem Alten und Neuen Testament

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nicht fern gewesen: dem Johannesevangelium 1 ist diese Bildersprache vertraut. Unsicher ist die Bedeutung der Gruppe von Adam und Eva mit Lebensbaum und Schlange, die im 3. Jahrhundert erscheint und sich lange als beliebtes Motiv gehalten hat: ob es nur ein Symbol des Paradieses sein soll, das dem Entschlafenen winkt? Diesem alttestamentlichen Bestand gesellt sich bereits im zweiten Jahrhundert eine Reihe neutestamentlicher Bilder zu, die ebenfalls im Dienst der Erlösungssymbolik stehen und im besonderen die todüberwindende Kraft der Sakramente ins Bewußtsein rufen. Da steht voran die Darstellung der Taufe Christi als des Urbildes der Christentaufe. Aber auch ein Fischer, der mit der Angel einen Fisch aus dem Wasser zieht, kann unter besonderen Bedingungen — nämlich wenn er in der Nähe anderer Sinnbilder steht — als apostolischer „Menschenfischer" gelten; wie denn nach einem Wort des Tertullian die Christen als Fischlein im Wasser geboren werden nach dem Vorbild ihres Meisters, des „Fisches" Jesus Christus 2 . Dieser Christusfisch erscheint an der Wand einer der ältesten römischen Grüfte in San Callisto in Verbindung mit einem Körbchen voll Broten, in deren Mitte ein Glas mit rotem Wein leuchtet: die Abendmahlssymbolik ist nicht zu verkennen. In derselben Zeit ist das Abendmahl auch dargestellt worden unter der Form der Speisung der Fünftausend. Diese biblische Erzählung galt um der Deutung willen, die ihr das Johannesevangelium gibt und die in den Worten 3 gipfelt „Wer mein Fleisch isset und mein Blut trinket, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am jüngsten Tage erwecken", als Urbild des Abendmahls. Die Maler lassen in der Regel sieben Personen als Repräsentanten der Fünftausend auf halbkreisförmigem Polster um eine Tischplatte liegen, auf der sich Brote und die aus den Evangelien 4 bekannten zwei Fische befinden, und helfen dem Verständnis des Beschauers dadurch 0 Joh. 4, 14. 7, 38. 19, 34; vgl. 1. Joh. 5, 6. 2 ) Tertullian baptism. 1; vgl. dazu S. 101. 3 ) Joh. 6, 54. 4 ) Mark. 6, 38 u. Parali. Joh. 6, 9.

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5. Der Kultus

nach, daß sie die am Ende der Mahlzeit gefüllten 12 Körbe mit Brocken 1 vollzählig oder andeutungsweise neben den Tisch gruppieren. In San Sebastiano an der Via Appia ist uns ein anderer und anscheinend älterer Typ erhalten, wenn auch das Bild erst nach 200 gemalt sein mag. Da ist eine größere Anzahl solcher Tischgesellschaften dargestellt, wie es das Evangelium auch schildert 2 , während Jesus mit den Jüngern durch die Reihen schreitend die Brote verteilt; am untern Rande des Bildes sieht man Diener mit den Körben herbeieilen 3 . Sakramentsbeziehung wird man auch in den Darstellungen der Samariterin am Brunnen finden, die auf das Lebenswasser Christi 4 hinweisen soll, sowie in den besonders beliebten Bildern des Gichtbrüchigen, der sein Bett schultert: er beweist ja augenscheinlich, daß des Menschen Sohn Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben 5 , nämlich im Sakrament der Taufe. Schon die wunderbare Speisung enthielt entsprechend der altkirchlichen Abendmahlslehre einen Hinweis auf die Auferstehung: aber die klassische Auferstehungsverheißung der alten Kunst ist die Szene der Auferweckung des Lazarus. Mit dem Zauberstab in der Hand steht Jesus vor einem tempelartigen Grabmonument, in dessen Türe der noch in Binden gehüllte Lazarus erscheint. Alle bisher besprochenen Bilder sind aus der Bibel hervorgeholt worden, um durch ihre symbolische Bedeutung belehrend und erhebend auf den Beschauer zu wirken, und wir haben Grund zu der Annahme, daß schon in der Malerei des hellenistischen Judentums das gleiche Motiv wirksam gewesen ist. Wir müssen aber feststellen, daß auch in dieser frühen Zeit schon neutestamentliche Szenen komponiert werden, die man nur mit Schwierigkeiten in eine der genannten theologischen Reihen einordnen kann, und die man lieber als rein gegenständlich interessierte Darstellungen auffassen wird. Hier wollen die Maler wirklich nur biblische Geschichte erzählen 1) Mark. 6, 43 u. Parali. Joh. 6, 13. 2 ) Mark. 6, 39—40 u. Parali. ) Lietzmann Petrus u. Paulus2 Taf. 9 u. S. 301 f. 4 ) Joh. 4, 14; vgl. o. S. 140. 141. 6 ) Mark. 2, 10 u. Par. 3

Neutestamentliche Bilder

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und überlassen es dem Beschauer, mit welcher religiösen Empfindung er darauf antworten will. Das gilt von dem Wunder der Blindenheilung und der Heilung der Blutflüssigen, die beide wohl durch die Lazaruserweckung angeregt sind und einen Zyklus von Heilungswundern eröffnen, der in den folgenden Jahrhunderten mit Liebe ausgestaltet wird. In eine ganz andere Richtung weist die beliebte Gruppe der Magier aus dem Morgenland, die dem Christuskind und seiner Mutter huldigen. Hier begegnet uns die erste Madonnendarstellung, die aber in der nächsten Folgezeit wohl Variation, aber keine ernstliche Weiterbildung erfahren hat. Bemerkenswert ist nur, daß daneben ein anderer Madonnentypus auftaucht 1 : da steht der Prophet Bileam 2 vor der Mutter, die das göttliche Kind auf dem Schoß hält, und weissagt von dem „Stern, der aus Jakob aufgehen wird" — seine Hand d,eutet auf einen Stern, der zu Häupten der Maria leuchtet. Dies Motiv verschwindet für unser Wissen und wird erst erheblich später wieder aufgenommen. Von der Passionsgeschichte findet sich in dieser Zeit nur eine vereinzelte Spur: ein Bild der Prätextatkatakombe 3 zeigt vielleicht den dornengekrönten Jesus, wie er von zwei Soldaten mit Rohrstäben geschlagen wird. Damit ist im Großen und Ganzen der Kreis der biblischen Szenen erschöpft, die in der christlichen Kunst des zweiten und beginnenden dritten Jahrhunderts geschaffen sind. Deutlich erkennbar ist die lehrhafte Forderung einer symbolischen Bedeutung als erstes Prinzip der Auswahl, aber nicht minder klar tritt das Bestreben nach Lockerung der theologischen Fesseln und freier Darstellung bildhaften Stoffes zutage. Die Maler streben danach, eine biblische Geschichte um ihrer selbst willen zu schildern. Dies Motiv wirkt weiter und erzeugt die Bildserien der nächsten Jahrhunderte. Aber die Symbolik wird nicht beseitigt, sondern nimmt nur andere Formen an, denn sie ist von religiöser Kunst jeder Art schlechthin unabtrennbar. Wir haben gesehen, daß sie schon der jüdischen 3

Wilpert Malereien d. Katakomben Taf. 22. ) Wilpert Malereien d. Katakomben Taf. 18.

2

) Num. 24, 17.

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5. Der Kultus

Kunst eignet. Die Basilika von Porta Maggiore in Rom 1 hat uns zu unserer Überraschung gelehrt, in welch gewaltigem Umfang die allegorische Deutung griechischer Mythen die ganz in antiken Formen lebende Dekoration dieses Kultraumes beseelt. Noch ist es uns nicht bekannt, welche religionsphilosophische Sekte sich in den Anfangsdezennien unserer Zeitrechnung dies prächtige Heim geschaffen hat: mit dem Hinweis auf Orphik und Pytagoreismus ist noch nicht genug gesagt. Aber daß wir für das Verständnis der Bilder zur Allegorie und symbolischen Deutung greifen müssen, ist allseitig anerkannt. Dasselbe gilt für die bald nach 200 entstandene Aureliergruft am Viale Manzoni 2 . Sie ist die künstlerisch ausgeschmückte Grabstätte einer gnostischer Sekte, die allerlei rät. seihafte Szenen ihres Kultes und ihres Mythos an den Wänden abgeschildert hat, Aber es begegnen auch Adam und Eva nebst der Schlange, der gute Hirt mit dem Lamm auf der Schulter, und ein großes Bild scheint die Bergpredigt zu symbolisieren. Auf einem Hügel sitzt ein bärtiger Mann und liest aus einer Rolle vor, während am Hang um ihn und unter ihm Schafe weiden; ein ähnlicher Hirtentyp begegnet uns später im kirchlichen Bilderschatz. Hier sehen wir also auf einem Denkmal, das zwischen den Religionen steht, die gleiche Anwendung der dekorativen Kunst und zum Teil sogar die gleichen Gegenstände in analoger Bedeutung. Und wir lernen aus alledem, daß die junge Kirche die Kunst sich zunächst zwar als halb spielerische Dekoration gefallen läßt, dann aber sie ernsthaft ergreift und im Sinne der Zeit zu einem Ausdruck religiösen Empfindens gestaltet. Das Christentum gewann auf diese Weise in der Kunst ein neues und kräftiges Mittel der Volkserziehung, die Kunst bekam in kritischer Zeit einen neuen Inhalt geschenkt, der sich langsam entfaltete und ihr bis auf den heutigen Tag unerschöpfliches Leben einhaucht. ') G. Bendinelli II Monumento sotterraneo di Porta Maggiore in Roma 1927 (aus MonumentiAntichi Vol.31—1927), Dazu Vorträge d. Bibl. Warburg 1922/23 I S.66—70 und Gnomon 1929 S. 190—195. 2) G. Bendinelli II Monumento sepolcrale degli Aureli 1923 (aus Monumenti Antichi Vol. 28—1922); vgl. S. 30 Fig. 12, S. 51—56 Fig. 20. 21. 22, Taf.9:

Das Christentum und die Welt Der Sand Ägyptens, der unserer Wissenschaft schon so viel Neues und Lehrreiches beschert hat, ist uns noch einige Privatbriefe schuldig, in denen Menschen aus verschiedenen Bildungskreisen ihren Angehörigen die Gründe darlegen, die sie zum Eintritt in die christliche Kirche bewogen haben. Das würden für uns sichere Dokumente zur Prüfung der Frage sein, welchen Anreiz das Christentum auf die Menschen des zweiten und dritten Jahrhunderts ausübte 1 . Denn die Ausbreitung der Kirche in dieser ganzen Frühzeit vollzog sich ohne jeden äußeren Druck oder Massensuggestion durch Summierung von lauter Einzelbekehrungen, die keineswegs alle gleichen Motiven entsprungen sein werden. Einige wenige und dürftige Mitteilungen solcher Bekehrten aus gebildeten Ständen haben wir 2 : aber was uns ganz fehlt und dabei doch als das Wichtigste erscheint, ist die Kenntnis der Stimmungen der niederen Volksschichten, die zu der neuen Religion übertraten und die Zahl ihrer Anhänger so gewaltig anschwellen ließen. So bleibt uns nichts anders übrig als von unserer allgemeinen Kenntnis der geistigen Umwelt aus die Züge im Christentum herauszusuchen, die eine besondere Anziehungskraft ausüben konnten. V o m Judentum war der neue Glaube abgelöst: die Synagogen dienten seinen Missionaren schon längst nicht mehr als Ausgangsstellen ihrer Propaganda, und die Judenschaft war emsig bemüht, der Öffentlichkeit ihren Gegensatz zu den Christen anschaulich zu machen 8 . Aber gerade diese Ablösung hatte wohl auch werbenden Reiz für die Heiden. Ein großer Teil der Dinge, die das Judentum so anziehend gemacht hatten, war in den Besitz der Christen übergegangen: Monotheis*) Ausgezeichnet behandelt das Problem A. D. Nock Conversion (Oxford 1933), bes. 187—271. Vgl. Nock Conversion S. 254 ff. 3 ) Martyr. Polycarpi 12, 2. 13, 1. 17, 2. 18, 1. Mart. Pionii 3, 6. 4, 8. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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6. Das Christentum und die Welt

mus, reine Sittenlehre, uralte heilige Schriften; und die anstößigen Sonderbarkeiten der Speisegebote und Reinheitsvorschriften, der Sabbathheiligung, der Beschneidung waren weggefallen. Die Christen konnten ihre Religion mit noch größerem Recht als die zuverlässigste und reinste Offenbarung vernunftgemäßer Erkenntnis von Gott und Welt hinstellen, und die apologetischen Schriftsteller haben dies auch mit Eifer getan. Das wirkte auf die Gebildeten. Aber man ging weit darüber hinaus; man wies aus den Schriften der Propheten die Erfüllungen im Leben Jesu nach und demonstrierte dem Heiden die Wirklichkeiten der evangelischen Botschaft als gottgewollte Notwendigkeiten. Dadurch brachte man das Element des Geheimnisvollen und Wunderbaren in einer für den Verstand greifbaren Weise in die Verkündigung hinein und stärkte die überzeugende K r a f t der Predigt erheblich. W a s von Jesu Wundertaten berichtet wurde, ließ ihn den Heiden als einen jener gefeierten Großen erscheinen, deren T y p u s uns Apollonius von Tyana ist. Seine Gottessohnschaft leuchtete den in antiker Vorstellungswelt aufgewachsenen Menschen ebenso leicht ein, wie ihnen seine Himmelfahrt und Erhöhung zur Rechten desY^ters als Heroisierung und nach dem Beispiel des Herakles als Aufnahme in denKreis der göttlichen Wesenbegreiflich war 1 . Schwieriger zu erfassen und anstößig war und blieb zunächst sein schmählicher Kreuzestod: aber auch dafür gewann eine Zeit Verständnis, in der so mancher Philosoph die freie Äußerung seiner Überzeugung mit dem Leben hatte büßen müssen. U n d die tapferen Martyrien der Christen zeigten das Weiterleben dieses Geistes bei seinen Schülern einer Welt, die sich gewöhnt hatte, die Todesverachtung starker Geister zu bewundern 2 . Selbst ein Mann wie Kaiser Mark Aurel kann sich gegen den Eindruck des christlichen Märtyrertodes nur dadurch wehren, daß er ihn aus diesem Parallelismus löst und als Ergebnis bloßen Widerspruchsgeistes und theatralische Geste abtut 3 . Aber das Volk dachte nicht so und wurde von solchem *) vgl. Celsus bei Origenes c. Celsum 3, 42. S. 193—197. 3) Mark Aurel 11, 3, 2.

2

) Nock Conversion

Ansatzpunkte für die Mission

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Sterben gepackt. Lukian hat in seiner Verspottung des kynischen Predigers Peregrinus eine ähnliche Taktik befolgt: als der Gegenstand seines Hohns vor den zum olympischen Fest zusammengeströmten Hellenen den Scheiterhaufen besteigt und sich verbrennt, um ihnen ein Beispiel philosophischer Lebensverachtung zu geben, sieht er darin nichts anderes als Eitelkeit und Theaterspiel. Aber er berichtet uns in derselben Schrift auch von einer Lebensepisode des Peregrinus, die unsere höchste Aufmerksamkeit verdient. Der ruhelose Mann ist auch einmal unter die Christen gegangen: und nun charakterisiert Lukian in diesem Zusammenhang die Christen in einer sehr bezeichnenden Weise 1 . Sie sind ihm eine heillose Gesellschaft, die sich einbildet, unsterblich zu sein und ewig zu leben 2 , weshalb sie auch den Tod verachtet und sich ihm vielfach freiwillig hingibt. Zweitens verehren sie jenen gekreuzigten Sophisten und leben nach seinen Gesetzen, die sie „ohne überzeugenden Beweis" annehmen. Diese laufen darauf hinaus, daß sie allen irdischen Besitz gering werten und zum Gemeingut machen — weshalb denn auch ein geschäftstüchtiger Mann bei ihnen schnell reich werden kann. Mit Behagen schildert Lukian, wie Peregrinus als Märtyrer im Gefängnis von allen geehrt, beschenkt, gepflegt, sogar durch Deputationen auswärtiger Gemeinden unterstützt wird und „aus Ruhmsucht" wirklich zu sterben bereit ist. Aber der kluge Statthalter läßt den Narren laufen, der nun seine Rolle bei den Christen weiterspielt, bis er beim Genuß einer verbotenen Nahrung ertappt wird: da wird er von ihnen hinausgeworfen 3 . Selbst aus diesem Zerrbild ist deutlich, was die Umwelt an den Christen anerkannte: sie sterben in ihrem Glauben und für ihren Glauben 4 , sie leben wirklich nach den Geboten ihres Herrn in umfassender Bruderliebe, Sünder entfernen sie aus ihrer Gemeinschaft. Ihre Hoffnung ist Unsterblichkeit in ewigem Leben, und der Stifter ihrer Religion ist ein philosophischer Lehrer, der am Kreuz gestorben ist, aber von ihnen 1, 3.

*) Lukian de morte Peregrini 13. 2) vgl. auch Martyr. Justini 5, 3 ) vgl. S. 44. ") so auch Celsus bei Origenes 2, 45. 1, 2. 8, 54. 10*

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6. Das Christentum und die Welt

göttlich verehrt wird. Man kann schon aus diesen wenigen Angaben herausempfinden, welche Anziehungskraft das Christentum für die Menschen jener Welt gehabt haben muß. Hier war religiöser Glaube so stark, daß er den Tod überwand und das Leben neu gestaltete, verbunden mit geheimnisvoller, uralter'Weisheit und fortwirkender Wunderkraft. Eine ernste Sittlichkeit, die mit den Forderungen der Philosophie übereinstimmte, wurde zur tausendfältig sichtbaren Tatsache. Ein brüderlicher Geist, der keine gesellschaftlichen Schranken kannte, band die Glieder der einzelnen Gemeinden zusammen und linderte Armut und Krankheit, spannte aber auch ein Netz über den ganzen Erdkreis, das Städte und Länder zu einer mächtigen Organisation geistlicher Gemeinschaft und gegenseitiger Hilfeleistung in allen Nöten dieser Welt vereinigte 1 . Der Weg zu dieser Genossenschaft war nicht schwer zu finden, obwohl sie sicher keine öffentlichen Werbungsakte veranstaltet hat: er führte über die persönliche Berührung mit Christen, denen man im täglichen Leben begegnete und die von ihren inneren und äußeren Erfahrungen verheißungsvolle Berichte gaben. Das weckte die Neugier und ließ den Wunsch nach näherer Bekanntschaft mit der seltsamen Religion erwachen. Der Besuch eines Gottesdienstes war, wenigstens für seinen ersten Teil, dem gut eingeführten Fremden nicht verwehrt 2 . Wurde er gewonnen, so meldete er sich als Katechumen bei den „Lehrern" der Gemeinde an. Hier fand nun eine ernsthafte Prüfung statt 8 . Er hatte anzugeben, was ihn zum Ubertritt in das Christentum bewege, und seine christlichen Freunde mußten eine Art Bürgschaft für ihn leisten. Dann wurden seine äußeren Lebensverhältnisse geprüft und ihm als erste Grundforderung die Vermeidung jedes außerehelichen Umgangs vorgelegt. War er Sklave eines christlichen Herrn, so mußte er von diesem zur Aufnahme empfohlen werden, diente er einem Heiden, so wurde ihm um des !) Harnack, Mission 4 S. 170—220. 2 ) Const. Apost. 8, 6, 2; vgl. von Synagogen Tertullian apol. 18, 9. 3) vgl. Origenes c. Cels. 3, 51.

Verbotene Berufe

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guten Rufes der Christen willen treue Arbeit zur Pflicht gemacht. Eine Reihe von Berufen war mit dem Christentum nicht vereinbar und mußte mit der Anmeldung aufgegeben werden. Dazu gehören nicht nur die schmutzigen Gewerbe der Prostitution, sondern auch die anrüchigen Künste des Schauspielers, des Gladiators 1 und des Rennwagenlenkers samt allem, was diesen Berufen nahesteht. Nicht minder gilt natürlich ein Götzenpriester, Astrolog oder sonstiger Wahrsager als unannehmbar. Ein Bildhauer oder Maler muß sich verpflichten, keine Götterbilder anzufertigen, und einem Schulmeister wird empfohlen, seinen Beruf aufzugeben, weil er beim Unterricht genötigt ist, heidnische Mythologie zu behandeln. Aber es ist doch für die Haltung der Kirche gegenüber der antiken Literatur bezeichnend, daß sie an dieser Stelle bereit ist, milde Nachsicht zu üben 2 , wenn nämlich der arme Lehrer keinen andern Weg ehrlichen Verdienstes sieht. Ein Soldat muß die militärisch bedenklicheVerpflichtung auf sich nehmen, nicht zu töten und keinen Eid zu schwören; wer bereits Christ ist, darf überhaupt nicht Soldat werden. Und ganz entsprechend ist es dem Christen verwehrt, das Amt einer staatlichen oder städtischen Obrigkeit zu verwalten: denn damit ist Schwertgewalt und Götzendienst untrennbar verbunden 3 . Es ist sicher nicht leicht gewesen, diese Ablehnung so mannigfacher und zuweilen doch sehr lockenderBerufe überall streng durchzuführen,aberimallgemeinen wird man den Regeln gefolgt sein. Die Gefahr, daß Christen die verpönten Gewerbe nachträglich ergriffen, war gering. Aber sehr schwer ist es der Kirche geworden, bei wachsender Einbürgerung in dieser Welt die Gemeindeglieder vom Besuch der öffentlichen Schauspiele aller Art, der lüsternen sowohl wie der blutigen, fernzuhalten, die nicht nur sittlich bedenklich waren, sondern die Teilnehmer auch immer wieder in neue Verbindung mit heidnischem Wesen brachten: die Lockungen dieser Reizmittel des antiken Lebens sind zu') vgl. auch Tertullian idol. 11 (p. 42, 9 ff. Wissowa). 2 ) s. auch Tertullian idol. 10 (p. 39 f. Wissowa). ' ) Hippolyt KO c. 40—41.

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6. Das Christentum und die Welt

weilen stärker gewesen als das christliche Selbstbewußtsein 1 . Bedenken hat die Kirche auch gegenüber dem Besuch der öffentlichen Bäder gehabt, die aber doch Erholungsstätten für alle Kreise der Bevölkerung waren und zugleich die Mittelpunkte eines zwanglosen geselligen Verkehrs bildeten. So wurden sie denn im allgemeinen freigegeben und nur das gemeinsame Baden beider Geschlechter beanstandet — obwohl auch dies nicht ganz peinlich durchgeführt werden konnte 2 . Im übrigen unterschied sich die Lebenshaltung des Christen äußerlich nicht wesentlich von der eines sittlich gesund empfindenden Zeitgenossen: die Lebens- und Anstandsregeln, welche gegen 200 der alexandrinische Klemens den Christen vorschreibt, entsprechen weithin dem, was wir in stoischen Handbüchern der Moral zu lesen gewohnt sind. Wir finden dieselbe Abneigung gegen alles Unnatürliche in Körperpflege, Kleidung und Lebensführung, die Zurückweisung jedes aufdringlichen Luxus, die Empfehlung gesunder Schlichtheit auf allen Gebieten. Das eigentümlich Christliche kommt nur in Einzelheiten zur Geltung, etwa in der betonten Abneigung gegen das Tragen von Kränzen 3 , oder wenn der Gebrauch von Siegelringen mit heidnischen Bildern verboten wird, wenn die Männer ermahnt werden, Barbierstuben und Bazare zu meiden und das Würfelspiel zu unterlassen. Verpönt ist auch alles schwindelhafte Anpreisen und Schwören im Geschäftsverkehr 4 , ja alles Schwören in heidnischen Formeln überhaupt und selbstverständlich auch das Fluchen 5 . Die Scheu vor dem Aussprechen heidnischer Götternamen kann sich so weit steigern, daß sogar die Rezitation von Homerversen untersagt wird 6 : aber das erscheint doch als eine Engherzigkeit, l

) Minucius Felix Oct. 12, 5. 37, 11—12. Tertullian spectac. 26. Didascalia 13 S. 72, 33 ff. Achelis. Cyprian ad Donatum 7—8. Clemens Paed. 3, 76, 3—77, 4. 2 ) Didascalia 2 S. 6, 32—37. 3 S. 12, 1—15 Achelis. Clemens Paed. 3, 31—33. 46—48. 3) Clemens Paed. 2, 70—73. Tertullian coron. 1 apolog. 42, 6. Minucius Felix 12, 6. 38, 2. Mart. Pionii 18, 4. 4 ) Clemens Paed. 3, 59, 2. 75, 1—2. 79, 1—2. 5 ) Tertullian Apol. 32, idol. 11 (p. 41, 13 Wissowa). Didascalia 21 S. 104, 21. 15 S. 83, 32; vgl. Achelis Christentum i. d. ersten 3 Jh. (1912) 2 S. 426. 6) Didascalia 21 S. 104, 6 Achelis.

Christliche Lebenshaltung

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der die gebildeten Kreise der Christenheit fern stehen, und bei einem Manne wie Klemens sind die Dichter und die Philosophen der Alten in hohen Ehren. Man gewinnt aus unsern Quellen durchaus den Eindruck, daß die Zurückhaltung der Christen von dieser Welt im wesentlichen eine innere war und nach außen keineswegs auffällig zur Schau gestellt wurde. Eine anständige Geselligkeit in der Form eines fröhlichen Mahles ist auch dem Christen unverwehrt und verbindet ihn nicht nur mit den Glaubensgenossen, sondern auch mit der heidnischen „Gesellschaft". Aber es wird erwartet, daß er bei solchen Gelegenheiten durch sein Benehmen der Gemeinde Ehre macht 1 . „Wir sind keine Brahmanen oder indische Fakire und hausen nicht lebensfern in Wäldern", ruft Tertullian 2 mit rhetorischer Entrüstung. „Wir verschmähen keine Gottesgabe, nur daß wir sie mit Sinn und Verstand benutzen. Auch unser Leben in dieser Welt braucht euer Forum, euern Fleischmarkt, eure Bäder, Läden und Werkstätten, die Gasthäuser und Wochenmärkte und was sonst zu eurem Wirtschaftsleben gehört. Wir fahren mit euch zur See, sind Soldaten oder Bauern, wir tauschen mit euch Waren aus, und was wir in Kunst und Handwerk hervorbringen, dient eurem Gebrauch. Aber eure Götterfeste feiern wir nicht mit, Kränze drücken wir nicht aufs Haupt, Schauspiele besuchen wir nicht, und wir kaufen euch keinen Weihrauch ab. Freilich gehen eure Tempelsteuern immer dürftiger ein: wir geben lieber Armen auf der Gasse statt Göttern in die Kasse. Die andern Steuern aber können sich bei den Christen für gewissenhafte Zahlung bedanken, und was in jenem einen Fall abgeht, ersetzt sich dem Staat reichlich, wenn er eure falschen Erklärungen und unehrlichen Schiebungen dagegen rechnet". Das ist eine scharf formulierte und sachlich zutreffende Zeichnung der wirklichen Stellung des Christen zum Wirtschaftsleben, Ein Idealbild ist es nicht. Störungen dieses friedlichen Einvernehmens mit der Umwelt mag es vereinzelt wohl einmal im engeren Kreise der Clemens Paed. 2, 4, 4. 10, 1. 11, 1.

2

) Tertullian apolog. 42.

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6. Das Christentum und die W e l t

Familie gegeben haben, wenn der neue Glaube nur einen Teil ergriffen hatte: wenigstens werden im Zusammenhang mit allgemeinen Warnungen vor Mischehen derartige Andeutungen gemacht 1 . Aber solche Unzuträglichkeiten ergaben sich ebenso, wenn ein Ehegatte der Isis oder einer andern Mysteriengottheit huldigte, und die römische Welt war an Toleranz gewöhnt. Daß ein christlicher Soldat mit seinen Dienstpflichten in Konflikt geriet, ist auch vorgekommen: Tertullian hat anläßlich eines solchen Falles eine Verteidigungsschrift ausgehen lassen 2 ; aber brennend ist dies Problem erst in DiokletianischerZeit geworden. Es waren nicht solche Einzelheiten, aus denen der Gegensatz zu „dieser Welt" erwuchs, sondern umgekehrt: die Einzelfälle waren Auswirkungen der christlichen Gesamthaltung gegenüber dem Imperium Romanum® und das entscheidende Kampfgebiet war die Religion. Wir haben den Kaiserkult als das ideelle Einheitsband kennen gelernt 4 , das die ungeheure Vielheit der Völker zum Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit brachte: wer ihn ablehnte, stellte sich außerhalb der kulturellen Weltgemeinschaft. Nur die Juden hatten sich das Privileg der Duldung für ihre nationale Sonderreligion erworben — und mußten es doch immer wieder in blutigen Leiden verteidigen. Den Christen, die alle nationalen Bindungen von sich wiesen, wurde es versagt und mußte es versagt bleiben. Und an dieser Stelle kam der Gegensatz zwischen der Welt und dem Christentum zum Austrag. Wenn die Juden um ihrer Zurückhaltung und betonten Eigenart willen schon verhaßt waren, so wurden es die Christen noch mehr, und man vermutete bald hinter ihrer Abgeschlossenheit üble Dinge. Erst erschienen sie als jüdische Sekte, mit der sie den Vorwurf des Atheismus gemein hatten. Bald wurden auch die Judenfabeln auf sie übertragen. Es hieß, sie verehrten einen Eselskopf oder ein ähnliches Gebilde 5 und verübten Ritualmorde an kleinen Kindern, um ihr Fleisch zu ') Tertullian uxor. 2, 4; vgl. apol. 3, 4. 2 ) Tertullian de Corona 3 militis. ) s. o. S. 40 f. 4 ) Bd. 1, 173. 5 ) Tertullian apol. 16; vgl. Bd. 1, 79.

Die Christen als Feinde der Menschheit

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verzehren 1 . Und schon recht früh war es verbreitete Überzeugung geworden, daß die Christen bei ihren geheimen „Liebesmahlen" Kinderfleisch genössen und blutschänderische Unzucht trieben. Wer mit übler Phantasie es weiterspann, wenn er hörte, daß die Christen beim Abendmahl das Fleisch und Blut des Menschensohnes 2 genossen, und daß christliche „Brüder" ihre christlichen „Schwestern" heirateten, der konnte am Ende auf solche Gedanken kommen: „thyesteische Mahlzeiten" und „oedipodeische Liebe" nannte die gebildete öffentliche Meinung die kriminellen Produkte solchen Nachdenkens'. Aber auch wer diesen Unsinn nicht mitmachte, war doch überzeugt, daß die Christen Feinde des Menschengeschlechtes seien, einem gefährlichen Aberglauben huldigten 4 , und durch geheime Bindungen den Gesetzen und der Sitte Hohn sprächen 5 . So kann es nicht Wunder nehmen, daß sie gelegentlich Gegenstand aufgepeitschter Volkswut wurden, zumal wenn die Juden mit geschickten Händen den tobenden Haufen die Richtung wiesen" oder gar bei der Folter Geständnisse laut wurden, die jene Greuelkunde bestätigten 7 . Schon Nero hatte diese Stimmung zu seiner Entlastung zu benutzen verstanden 8 , und mehr als ein Jahrhundert später hören wir die Klage eines Christen 9 , daß bei jedem öffentlichen Unheil, Überschwemmung oderDürre, Erdbeben, Pest oderHungersnot die wütendeMenge brüllend den Tod der Christen verlange: vor die Löwen mit ihnen! Man muß diese allgemeine Stimmung in Rechnung stellen, wenn man die seltsame Weise begreifen will, in der sich der unvermeidliche Konflikt über den Kaiserkult gestaltete. Man hat viel über die rechtlichen Voraussetzungen der Christenprozesse nachgeforscht 10 , ohne bisher zu einem völlig klaren Ergebnis zu gelangen: und das ist eigentlich gar nicht A c t a Lugdun. bei Euseb K G 5, 1, 26. ! ) Joh. 6. ») Athenagoras Suppl. 3 A c t a Lugdun. bei Euseb 5, 1, 14. 4 ) Tacitus ann. 15,44. Sueton N e r o 16. 6 ) Celsus bei Origenes 1, 1. 6 ) Mart. Polyc. 12, 2. 13, 1. 17, 2. 18, 1. Tert. Scorp. 10 (p. 168, 12 Wissowa). ' ) Mart. Lugdun. bei Euseb K G 5,1, 14. «) Bd. 1, 200. ») Tertullian apol. 40,1—2; vgl. Cyprian ep. 59, 6. 10 ) A . Alföldi Z u den Christenverfolgungen, Klio 31 (1938), 326 ff.

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6. Das Christentum und die Welt

verwunderlich, denn im Jahre 112 ist es dem jüngeren Plinius, der als kaiserlicher Statthalter die Provinz Bithynien verwaltete, auch nicht besser gegangen. Er schreibt deshalb an den Kaiser Trajan 1 und bittet um Belehrung: er habe noch nie einer regelrechten prozessualen Untersuchung gegen die Christen beigewohnt und wisse deshalb vor allem nicht, ob schon der bloße Nachweis der Zugehörigkeit zum Christentum die Straffälligkeit ergebe, oder ob die Untersuchung auf verbrecherische Handlungen zu richten sei, die mit dieser Zugehörigkeit zusammenhingen. Er habe um dieser Unsicherheit willen einstweilen vom formellen Prozeßverfahren abgesehen und sich bei Personen, die ihm als Christen denunziert wurden, darauf beschränkt, sie zu fragen, ob sie Christen seien. Im Falle der Bejahung habe er sie aufgefordert, davon abzulassen, den beim Tribunal aufgestellten Bildern der Götter und des Kaisers Verehrung zu erweisen und Christus zu verfluchen. Wer das getan und dadurch sich augenscheinlich vom Christentum losgesagt habe, der sei straflos entlassen worden. Wer aber standhaft trotz mehrfacher Ermahnung bei seiner Weigerung geblieben sei, den habe er hinrichten lassen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß ganz abgesehen von seinem Glauben jedenfalls diese Hartnäckigkeit und unbeugsame Widerspenstigkeit bestraft werden müsse. Römische Bürger seien dem Kaisergericht in Rom überwiesen worden. Übrigens habe er doch mehrfach genauere Verhöre über die Besonderheiten des christlichen Kultes angestellt, sogar unter Anwendung der Folter, aber nichts anderes gefunden als einen üblen und maßlosen Aberglauben. Daher habe er auf eine Fortführung dieser Methode verzichtet und wende sich an die Entscheidung des Kaisers. Die Sache sei von Bedeutung wegen der großen Zahl der Christen, die in so unsicherer Rechtslage stünden. Schon habe diese Bewegung nicht nur die Städte ergriffen, sondern überschwemme bereits die Dörfer und das Land, aber noch sei Aussicht, sie einzudämmen und zum Stillstand zu bringen, denn es sei auf der andern Seite auch ein ') Plinius epist. ad Traian. 96. 97.

Plinius und Trajan

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Aufschwung des hergebrachten Tempel- und Opferkults nicht zu verkennen. Trajan antwortet kurz und deutlich, es ließen sich keine allgemeinen, in klare Formen gefaßten Bestimmungen geben. Aufspüren solle man die Christen von Amts wegen nicht. Komme aber Anzeige an die Behörde, so müsse Bestrafung erfolgen, jedoch so, daß jeder, der sein Christentum ableugne und diese Erklärung durch Opfer an „unsere Götter" erhärte, begnadigt werde. Anonyme Anzeigen seien nicht zu berücksichtigen, denn sie lieferten ein höchst übles Beispiel und widersprächen dem Geist der Zeit. Aus diesem Briefwechsel geht klar hervor, daß weder den Amtsräten der bithynischen Präsidialkanzlei noch den Beamten des kaiserlichen Sekretariats in Rom 1 juristisches Material zur Beantwortung der von Plinius gestellten Rechtsfrage vorlag, daß es also solches nicht gab; und zweitens, daß auch Trajan nicht den Wunsch hatte, eine grundsätzliche Entscheidung herbeizuführen, vermutlich weil er unübersehbare Folgen befürchtete. Was aber die altgedienten Kanzleibeamten ihrem Vorgesetzten vermitteln konnten, war die bewährte Verwaltungspraxis, nach der Plinius gehandelt hat: und eben diese wird denn auch vom Kaiser bestätigt, freilich unter betonter Ablehnung anonymer Ankläger. Danach kümmert sich die Behörde gar nicht um Glauben und Handlungen der Christen, sondern fordert von den Verdächtigen die Bekundung ihrer korrekten Staatsgesinnung durch Opfer vor den Bildern der Götter und des Kaisers. Dieser Aufforderung muß jeder Bewohner des römischen Reichsgebiets nachkommen: wer sie ablehnt, wird wegen Verletzung der schuldigen Ehrerbietung gegen die Majestät des Reiches, des Kaisers und ihrer Schirmgötter mit dem Tode bestraft. Und bei dieser Praxis ist es geblieben. Alle Märtyrerakten 2 zeigen uns dasselbe Bild, daß der Richter nicht untersucht, daß weder Anklage noch Ver») W. Weber in Festgabe für Karl Müller 1922 S. 26 ff. 2) Sammlung von Texten: O. v. Gebhardt Acta martyrum selecta 1902 und R. Knopf Ausgewählte Märtyrerakten 3 (v. G. Krüger besorgt) 1929.

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6. Das Christentum und die Welt

teidigung auf Grund allgemeiner Rechtsanschauung oder spezieller Gesetzesparagraphen stattfindet, sondern daß nur die Zugehörigkeit zum Christentum konstatiert wird, woraufhin der Befehl zum Schwören beim Genius des Kaisers und zum Opfern vor den Bildern erfolgt. Dann setzt häufig ein längeres Gespräch ein, in welchem der Richter die Angeklagten zum Opfer zu überreden versucht und sie auf die Folgen ihrer Weigerung hinweist. Die endgültige Ablehnung der Aufforderung löst dann das Todesurteil aus. Immer wieder jammern die christlichen Apologeten darüber, daß der Name Christ genüge, um die Verurteilung zu erzielen. Immer wieder fordern sie zur Untersuchung ihrer Lebensführung auf und weisen die volkstümlichen Greuelmärchen zurück. Immer wieder schildern sie die Sittenreinheit des Gemeindelebens und beteuern ihre Staatstreue und die Aufrichtigkeit ihres Gebets für Kaiser und Reich. Es hat nichts genutzt und konnte nichts nutzen, weil der Staat gerade diese Diskussion ablehnte. Er wünschte keine Religionsprozesse mit theoretischen Auseinandersetzungen, sondern seine Statthalter handelten aus der Vollmacht ihrer Stellung und gingen mit polizeilicher Zwangsgewalt gegen offenkundige Widersetzlichkeit vor, die sie aber in jedem Falle erst amtlich provozierten, um sie bestrafen zu können. Und jederauf diese Weise konstatierte Fall von Opferverweigerung bewies wiederum die Berechtigung der amtlichenAnzweif elung der christlichenStaatsgesinnung. Das ganze Verfahren setzt die Annahme, daß die Christen grundsätzlich Staatsfeinde seien, als keines Beweises bedürftig voraus — und die Äußerungen der Zeitgenossen lassen an der Allgemeingültigkeit dieser Meinung auch wirklich keinen Zweifel aufkommen. Aus dieser Stimmung heraus ergab sich die Einstellung der staatlichen Behörden: sie führen keine „Prozesse", sondern greifen auf dem Verwaltungswege ein. Tertullian redet gelegentlich 1 so, als ob es formulierte Gesetze gegeben habe, welche das Christsein verboten, und in einer Märtyrerakte 2 des Jahres 180 wird von einem Senats') Tertullian apolog. 4, 3—5. 10—11. 37, 2.

2

) Acta Apolonii 13. 23.

Staatliche Grundsätze und Gesetze

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beschluß dieses Inhalts gesprochen. In mehreren Akten beruft sich der richtende Beamte ausdrücklich auf kaiserliche Edikte, welche von den Christen den Opferkult fordern 1 , und die ganze Decianische Verfolgung beruht auf einem derartigen Edikt, dessen Wortlaut in bezug auf den entscheidenden Punkt aus den zahlreich erhaltenen „Libelli" ermittelt werden kann 2 : die des Christentums Verdächtigen müssen eine Bescheinigung auswirken, daß sie „vor der zuständigen Behörde der Verordnung entsprechend Rauch- und Trankopfer dargebracht sowie Opferfleisch genossen haben". Ganz ähnlich werden die Edikte gelautet haben, von denen die früheren Märtyrerakten sprechen. Und als Analogie zu dem vorhin erwähnten Senatsbeschluß können die zahlreichen Gesetze 3 gelten, die in späteren Zeiten der christlich gewordene Staat erlassen hat, und in denen den Manichäern, Arianern oder sonstigen Häretikern die Ausübung ihres Kultes untersagt wird: auch da ist die Staatsfeindlichkeit dieser Sekten als anerkannt vorausgesetzt und jeder Erörterung von vornherein entzogen. Die Gesetze sind lediglich Anweisungen an die Behörden, in welcher Weise sie die Polizeigewalt den Sekten gegenüber handhaben sollen. Aber die beständige Wiederholung derselben Vorschrift in immer neuen Erlassen zeigt, daß die für die innere Politik verantwortlichen Beamten die Ausführung dieser Edikte den jeweiligen zeitlichen und örtlichen Umständen anpaßten und sie häufig ganz unterließen, weil ernsthafte Bedenken entgegenstanden. Genau so wird es mit den Christenedikten der früheren Zeit gewesen sein: derartige Erlasse wurden als politische Richtlinien aufgefaßt, deren Durchführung dem Ermessen der einzelnen Provinzialbehörden unterlag. Es ist e i n e große Linie, die von dem Edikt Trajans zu dem des Decius führt, und sie reicht noch über diese beiden Fixpunkte hüben und drüben hinaus. Unter Caracalla — also um 215—hat der berühmte Jurist Ulpian in seinem Werk über dieProvinzialverwal*) Acta Carpi, Papylae etc. 4. 45. Acta Justini 5, 8. Acta Apolonii 45. Acta Pionii 3, 2; vgl. Acta Maximi 1, 8. Melito bei Euseb KG 4, .26, 5. 10. 2) Vgl. v. Gebhardt Ausgew. Märtyrerakten S. 182 f. ») Z. B. •Cod. Theod. 16, 5, 3. 5, 11 u. a.

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6. D a s Christentum und die Welt

tung die kaiserlichen Edikte gegen die Christen gesammelt und die Strafpraxis in ein System gebracht 1 . Wenn die christlichen Apologeten zwei Edikte,eins des Kaisers Hadrian und ein anderes des Antoninus Pius, imWortlaut zitieren 2 , welche von dieser Linie abweichen, indem sie den Nachweis von Einzelverbrechen der Christen fordern oder sie gar in Schutz nehmen, so zeigt eben dieser Widerspruch zu der durch alle übrigen Zeugen bestätigten einheitlichen Haltung des Staates, daß wir es mit frei erfundenen oder tendenziös korrigierten Texten zu tun haben. Man hat sich früher bemüht, die Haltung der verschiedenen Kaiser zum Christentum 3 zu differenzieren und eine Anzahl besonderer Christenverfolgungen herauszuheben und sogar nach dem Vorbild des Euseb durch Ordnungszahlen zu bezeichnen. Die Voraussetzungen für solche Betrachtungen treffen nicht zu. Sobald es sich nicht um speziell stadtrömische Ereignisse handelt, ist die persönliche Neigung des jeweiligen Herrschers kaum von Einfluß auf den Gang der Dinge: höchstens, daß der Kaiser aus allgemein politischen Erwägungen heraus oder auf Anfrage eines Statthalters ein Christenedikt ausgehen läßt. Die „Christenverfolgungen" sind stets im Umfang begrenzt und ihr Ausbruch ist von örtlichen Bedingungen und dem Charakter des Statthalters abhängig. Domitian hat seinen Vetter Flavius Clemens töten lassen und seine Gattin Flavia Domitilla auf eine Insel verbannt „wegen Atheismus" — und es ist recht wahrscheinlich, daß damit das Christentum gemeint ist 4 . Vielleicht ist auch der wegen revolutionärer Umtriebe hingerichtete Acilius Glabrio seinem Glauben zum Opfer gefallen: die Familie ist jedenfalls schon im zweiten Jahrhundert als christlich nachweisbar 5 . Daß Domitian auch sonst gegen die Christen vorgegangen sei, melden uns die Berichterstatter nur in allgemein gehaltenen Worten 6 . Aber der 2 ) bei Euseb K G 4, 9 und 13. ») Lactantius Instit. 5, 11, 19. ) Sammlung von T e x t e n bei Preuschen, Analecta 2 1909—10. 4 ) D i o Cassius 'epit. 67, 14. Prosopogr. imp. Rom. 2 S. 66 nr. 170, S. 81 nr. 279. 5 ) Sueton Domitian 10. Vgl. Leclercq Dict. 6, 1259—1274. 6 ) Euseb K G 3, 17. Hier. Chron. Olymp. 218, 2—4 und Anm. p. 569 und Dio Cass. epit. 67, 14.

3

Erste Verfolgungen. Lyon und Vienne

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erste Klemensbrief redet um diese Zeit von drohender Verfolgung, und die gleichzeitig entstandene johanneische Offenbarung weiß, daß Rom trunken ist vom Blut der Heiligen und Märtyrer Jesu; der Seher schaut unter dem himmlischen Altar die Seelen der geschlachteten Zeugen 1 . Unter Trajan ist Ignatius von Antiochien nach Rom geschickt und dort hingerichtet worden 2 . Über alle diese frühen Martyrien haben wir keine genauere Kunde. Erst als im Verlauf einer größeren Verfolgung am 22. Februar 156 der achtzigjährige Bischof Polykarp von Smyrna lebendig verbrannt worden war, und die Gemeinde einen ausführlichen Bericht über den Hergang nach Philomelion ins innere Kleinasien geschickt und gleichzeitig als Rundbrief verbreitet hatte, ist die Aufmerksamkeit der Christenheit für solche Urkunden erweckt und ihrer Erhaltung günstig gestimmt worden: war doch Polykarp ein Mann, dessen Name mit der Überlieferung der hochgeschätzten Ignatiusbriefe eng verknüpft war 3 . Im Jahre 177 brach in Lyon und Vienne eine ähnliche durch Volkswut entfesselte Verfolgung aus, und auch diese Gemeinden schrieben darüber einen Brief nach Kleinasien 4 , der mit seinen lebendigen Schilderungen jeden Leser immer wieder aufs tiefste erschüttert. Hier wird wirklich auf die Christen Jagd gemacht: wir sehen die Verwirrung in den Gemeinden, die ersten Folterungen verbreiten Schrecken, einige fallen ab, die Mehrzahl hält sich scheu zurück, heidnische Sklaven sagen aus, was gewünscht wird. Da rast die Wut des Volkes los, das Gefängnis füllt sich mit Bekenn ern, und alle Qualen einer bestialischen Henkersphantasie brechen über die Unglücklichen herein. Auch die ersten Verleugner werden wieder festgenommen und gewinnen im Angesicht des Todes neuen Mut. Blutige Bilder leuchten schreckhaft vor unsern Augen auf. Von Fäusten zerschlagen und Füßen zertrampelt liegt der neunzigjährige Bischof Potheinos im Kerker, bis ihn nach zwei Tagen ein barmherziger Tod erlöst. Mit zerfetztem Leib und 1. Clem. 7, 1. Apoc. 17, 6. 6, 9. vgl. 2, 13. 12, 11. 20, 4. 2 ) Hieron. Chron. Olymp. 221, 4. 3) Bd. 1, 251. 4) Euseb KG 5, 1, 3—3, 3.

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6. Das Christentum und die Welt

zerschmetterten Knochen hängt die Sklavin Blandina zum Fraß für die Tiere am Kreuz: umsonst, die Bestien rühren sie nicht an, und so endet sie auf dem Scheiterhaufen. Mitten in der Arena steht ein rotglühender Sessel, der mit seinen Molochsarmen die Christen packt: gen Himmel steigt der Opferdampf der verbrannten Leiber, und von allen Marterstätten gellt unaufhörlich der Todesruf: ich bin Christ, ich bin Christ! Im Kerker liegen sie in Reihen, hilflos in den Block gespannt und sterben einen stummen T o d : ihre Leichen geben ein gutes Hundefutter. Die jämmerlichen Reste kehrt der Henker zusammen mit den Köpfen der enthaupteten römischen Bürger auf einen Haufen: schließlich lodert die Flamme auf und macht alles zu Asche, die man hohnlachend in die Rhone streut, damit ihnen auch die Hoffnung der Auferstehung zunichte werde. Aber in all dies blutige Grauen fällt leuchtend ein Schein aus einer andern Welt. Den Christen tut sich in ihrer Pein der Himmel auf, Christus steigt von seinem Thron zur Rechten Gottes, wo ihn Stephanus in seiner Todesstunde erblickte, herab und spricht ihnen Trost zu, und über der Seligkeit der Gottesschau verblassen alle irdischen Qualen. Kein Schmerz rührt mehr an die Seelen der Begnadeten: von ihrem verzückten Antlitz strahlt die Herrlichkeit des Herrn zurück, sie lassen die Menschlichkeit hinter sich und sind den Engeln gleich geworden 1 . Waren sie bisher tapfere Bekenner ihres Glaubens, so bringt ihnen der Eintritt in jene Welt die Würde der „Märtyrer", der „Zeugen Gottes", die für die Wahrheit ihres Zeugnisses mit ihrem Leben eingestanden sind — so wie es Christus, „der echte und wahrhaftige Zeuge", als ihr Vorbild tat 2 . Die älteste Kirche legt Wert darauf, den Märtyrertitel nur denjenigen beizulegen, die für Christus den T o d erlitten haben: erst dadurch wird ihr Zeugnis vollkommen. E s ist eine der antiken Welt geläufige und auch im Spätjudentum auftau*) K. Holl Ges. Aufsätze 2, 72 f. Mart. Polyc. 2, 2—4. Euseb K G 5, 1, 51. 55. Acta Carpi 39 u. ö. 2 ) Apoc. 1, 5. 3, 14. Euseb K G 5, 2, 2—3. Mart. Polyc. 1, 2. 17, 3. Ignat. ad Rom. 6, 3.

Der Märtyrer als Enthusiast. Perpetua

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chende Vorstellung, daß der echte Prophet die Wahrheit seines Zeugnisses mit dem Tode besiegelt 1 , daß er aber auch beim Erleiden dieses Todes mit überirdischen Kräften begnadet ist, die den Schmerz der Marter überwinden 2 . So wird es begreiflich, daß auch für die junge Christenheit erst die Vollendung durch den Tod das Zeugnis vollgültig machte, daß auch Jesu Sterben von hier aus einen neuen Sinn gewann, und so die göttliche Offenbarung an die Menschheit durch eine sich dauernd mehrende Schar von „Zeugen" bestätigt wurde, die in ihrer Sterbestunde noch hier auf Erden bereits vom Glauben zum Schauen übergegangen waren 3 . Wir besitzen aus Afrika ein ganz eigenartiges Schriftstück, das uns den im Vollsinn des Wortes „enthusiastischen" Charakter dieser frühen Martyrien eindrucksvoll vor Augen stellt. Im Jahre 203 wird eine den höheren Ständen angehörige junge Frau namens Vibia Perpetua zugleich mit mehreren Sklaven wegen Christentums festgenommen. Sie hat ihre Erlebnisse und Empfindungen aufgezeichnet, und ihr Leidensgefährte Saturus hat das gleiche getan. Zu diesen Blättern hat die Gemeinde eine ausführliche Erzählung des weiteren Verlaufes hinzugefügt und das Ganze als wirksames Zeugnis der auch in der Gegenwart sich in Prophezeiungen, Visionen und Wundertaten offenbarenden Kraft des heiligen Geistes zur kirchlichen Vorlesung bestimmt 4 . Und tatsächlich sind diese Märtyrerakten in Afrika noch jahrhundertelang in den Kirchen verlesen und bei Abfassung anderer Akten nachgeahmt worden. Hier wird uns deutlich, daß die Märtyrer sich bewußt sind, von dem Moment der Einkerkerung an unter der Einwirkung besonderer Gottesgnade zu stehen: sie fordern visionäre Offenbarungen und erhalten das Gewünschte; sie haben Macht, durch ihr Gebet Verstorbene zu erlösen, sie schauen im Traumgesicht den Himmel und halten Zwiesprache mit >) Vgl. Apoc. 11, 7. Matth. 23, 30. 35. 37. 4. Makk. 7,15. 2 ) Ascensio Isaiae 5, 7. 14. 4. Makk. 6, 5—7. 13—14. 9, 21—22. 3) Pauly-Wissowa 14, 4 2044—2052. ) Acta Perpetuae et Felicitatis: Aufzeichnungen der Perpetua c. 3—10, des Saturus c. 11—13. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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6. Das Christentum und die Welt

dem Herrn. Kein Wunder, daß sie auch als autoritäre Friedensstifter dem Bischof ihrer Gemeinde und seinem gelehrten Presbyter den W e g zur Versöhnung zeigen. A n die Stelle der ungebundenen pneumatischen Propheten der Urchristenheit, die im Laufe des zweiten Jahrhunderts dem geordneten Bischofsamt weichen und sich anschicken zu verschwinden, treten j e t z t die Konfessoren als die vom Geist erwählten Heroen, die mit außerordentlicher Vollmacht handeln und der normalen Leitung der Gemeinde gelegentlich nicht unerhebliche Schwierigkeiten machen. Insbesondere nehmen sie das Recht der Lossprechung gefallener Brüder für sich in Anspruch 1 , und daraus sind, wie wir noch sehen werden, kirchliche Konflikte von größerem Ausmaß entstanden. U m dieselbe Zeit, in der wir die brieflichen Berichte über Martyrien vorfinden, sehen wir aber auch bereits den zweiten und für die weitere Entwicklung maßgebenden T y p der Märtyrerakte aufkommen, das Verhörsprotokoll. Aus Rom ist uns der Bericht über das V e r h ö r des Justin (um 165) erhalten, in Pergamon ist zur gleichen Zeit das Martyrium des Karpos und Papylas aufgezeichnet worden, und im Jahre 180 ist in Afrika der lapidare T e x t über die Märtyrer von Scilli entstanden. Diese Protokolle sind keine Wiedergabe amtlicher Aktenstücke, die sich die Gemeinde etwa unter der Hand beschafft hätte, sondern literarische Gebilde, die auf Grund persönlicher Erinnerungen von Augen- und Ohrenzeugen, möglicherweise auch durch Nachschriften unterstützt, das V e r h ö r in der Form eines Protokolls vor dem Leser aufbauen, um durch die urkundliche Fassung den Eindruck der Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Ähnlich sind die Kreise der opponierenden Philosophen verfahren, wenn sie den Freimut ihrer Standesgenossen vor dem Gericht tyrannischer Kaiser schildern: auch sie kleiden ihre Berichte in protokollarische Form, die zwar letzten Endes auf Nachschriften der wirklich gewechselten W o r t e zurückgeht, aber der Stilisierung beträchtlichen Raum gewährt und insbesondere die Reden der Angeklagten zu wirkungs>) Vgl. Euseb KG 5, 2, 5.

Märtyrerakten in Protokollform

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vollen Apologien der guten Sache ausgestaltet 1 . Die Verfasser christlicher Märtyrerprotokolle sind diesem Vorbild gefolgt, und auch bei ihnen sind die Reden der Blutzeugen das ergiebigste Feld für die Betätigung ihrer rhetorischen Neigungen. In steigendem Maße enthalten sie theologische Darlegungen, die den Einfluß der gelehrten Apologetik verraten und sich bis zu eingehend begründeten Nachweisen der Nichtigkeit des Götzendienstes auswachsen, ja sogar in die Hoffnung auf Bekehrung des richtendenBeamten ausmünden 2 . Der schlichte Typ der Frühzeit, wie ihn die Akten des Justin und der Scillitaner darstellen,genügte denAnforderungen desErbauung suchenden Lesers nur kurze Zeit: man kann an den verschiedenen Redaktionen 3 der Scillitanerakten das Wachsen des Stoffes gut beobachten. Diese gelegentlichen Maßregelungen der Christen haben sich ungefähr zwei Jahrhunderte hindurch in den gleichen Bahnen bewegt. Die Erhaltung des uns vorliegenden Materials ist durch so viele Zufälligkeiten bedingt, daß wir die Frage, ob das Auf- und Absteigen von Verfolgungswellen mit Schwankungen der Innen- oder Außenpolitik des Reiches zusammenhängt, im Ganzen nicht beantworten können. Nur so viel läßt sich feststellen, daß in der späteren Antoninenzeit bis auf Septimius Severus 4 die Nachrichten über Verfolgungen sich mehren, zu einer Zeit also, in der die wirtschaftliche und die militärische Krisis des Imperiums deutlich zu werden beginnt. Von Alexander Severus berichtet uns die wenig glaubwürdige Legende 5 allerlei christenfreundliche Züge. Aber der orientalische Synkretismus der syrischen Dynastie konnte allerdings keine große Neigung zu Christenverfolgungen haben, und die das Reich und den schwachen Alexander regierende Kaiserin-Mutter Julia Mamaea hat in einer der schlimmsten Kriegszeiten den berühmtesten Gelehrten der Christen, Ori') U. Wilcken alexandr. Antisemitismus (Abh. sächs. Akad. 27, 1909, Nr. 23 S. 826 ff.), Lietzmann Griech. Papyri 2 (Kl. Texte 14) n. 20. 21. 2 ) Z. B. Acta Apollonii 14—45. Acta Pionii 4. 8. 13—14. s ) J. A. Robinson in Texts and Studies Bd. 1 (1891), Heft 2 S. 112—121. • 4 ) Euseb KG 6, 1. 2, 2. 3,3. 4, 1—5, 7. Hist. Aug. Severus 17. 5 ) Script, bist. Aug. Alexander Severus 22, 4. 29, 2. 43, 6. 49, 6. 11*

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genes, an ihren Hof nach Antiochia befohlen 1 , um sich seines geistvollen Verkehrs erfreuen zu können. Als der thrakische Landsknecht Maximin 235 der orientalischen Dynastie ein blutiges Ende bereitete, war für solche ästhetisch-religiöse Sentimentalität kein Raum mehr. Der neue Kaiser regierte mit brutaler Gewalt und schlug tot, was der alten Zeit anzuhängen verdächtig war. Dazu gehörten anscheinend auch christliche Kleriker. Die beiden römischen Bischöfe verbannte er, und in Palästina gab es eine ausdrücklich gegen die Kirchenhäupter gerichtete Verfolgung, die Orígenes mit einer Mahnrede zur Standhaftigkeit begleitete 1 . In Kappadokien und Pontus waren durch schwere Erdbeben ganze Städte in Trümmer gelegt, und die Volkswut hatte sich wieder auf die lange Zeit hindurch fast vergessene Parole besonnen, die Christen als Sündenböcke vor die Löwen zu fordern: der kappadokische Legat Licinius Serenianus war mit Eifer dem Verlangen nachgekommen 3 . In den Wirren der folgenden Jahre gelangte auch einmal wieder ein echter Orientale auf denThron,der Araber Philippus (244—249). An ihn und seine Gemahlin Otacilia Severa hat Orígenes Briefe geschrieben, und der späteren christlichen Tradition gilt er als Christ 4 . Das hat aber nicht verhindert, daß in Alexandria 249 eine Christenhetze vier Todesopfer forderte, zahllose Christen zur Flucht zwang und wüste Plünderungsszenen über ihre Häuser gehen ließ5. Alle diese Verfolgungen blieben Einzelerscheinungen von rein örtlicher Bedeutung, genau so wie alle ihre Vorgängerinnen. Mit dem Regierungsantritt des Decius änderte sich das Bild entscheidend. Dieser tatkräftige Soldatenkaiser erkannte die Notlage des Reiches in ihrer ganzen Schwere und wußte, daß es der Zusammenfassung aller Kräfte bedurfte, um das *) Euseb KG 6, 21, 3—4. auch Hippolyt hat ihr eine Schrift über die Auferstehung gewidmet, Achelis 1, 2, 251 ff., vgl. S. 252. *) Euseb KG 6, 28. Origenes de martyrio, vgl. c. 7. 33 ed. Koetschau. 3 ) Firmilian v. Caesarea bei Cyprian ep. 75, 10. Origenes in Matth, comm. ser. 39 p. 75, 7 Klostermann. 4 ) Euseb KG 6, 34. 36, 3. vgl. Johannes Chrys. de S. Babyla 6 (2, 544 f. Montf.) Hieronymus Chron. Olymp. 256, 1. 5 ) Dionys. Alex, bei Euseb KG 6, 41, 1—9.

Verfolgungen im 3. Jahrhundert. Decius

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letzte Unheil abzuwenden: und vielleicht hat er auch wirklich den Niedergang des Imperiums mit dem Mangel an schuldiger Götterverehrung in ursächlichen Zusammenhang gebracht. So ordnete er denn schon Ende 249 an, daß an allen Orten des ganzen Reiches sämtliche Einwohner vor besonderen Opferkommissionen ihre ständige Anhänglichkeit an die Götter zu Protokoll erklären und durch einen Opferakt beweisen müßten 1 . Aber dieser Verordnung stand es an der Stirn geschrieben, daß sie eigentlich einen negativen Zweck hatte: es sollten die widerspenstigen Christen im ganzen Reich ermittelt und unschädlich gemacht werden, und man gab sich der Hoffnung hin, durch Drohungen die überwiegende Mehrzahl der Staatsreligion wieder zuzuführen. Wir haben zahlreiche Dokumente dieser religiösen Inquisition aus Ägypten erhalten in Gestalt der auf Papyrus geschriebenen Bescheinigung („Libellus") der örtlichen Opferkommissionen, daß der Inhaber des Papieres das Opfer vollzogen habe. Die an sich schon hoch wahrscheinliche Annahme, daß wirklich alle Einwohner, nicht bloß die verdächtigen Christen, vor der Behörde erscheinen mußten, wird durch diese Urkunden, unter denen sich auch die für eine heidnische Priesterin bestimmte befindet, zur Gewißheit erhoben 2 . Es war eine seltsame Form der Götterhuldigung: ein feierlicher Bittakt des ganzen Volkes für das ernstlich bedrohte Heil von Kaiser und Reich, aber er stellte sich zugleich mit schauerlicher Realität als eine blutige Polizeiaktion dar. Der Wandel der Zeiten spiegelt sich noch deutlicher darin, wenn man die Restaurationsbestrebungen des Augustus 3 zum Vergleich heranzieht. Dem Kaiser Decius wird das Gesetz des Handelns in vollem Umfang von den Gegnern vorgeschrieben. Die Decianische Verfolgung war also tatsächlich eine das ganze Reich umspannende, und ihr Ziel war die Wiedergewinnung der Christen für den Staatskult und damit die Vernichtung der gefährlichen Religion von innen heraus: die gewalt») Wittig bei Pauly-Wissowa 15, 1279—1284. Leclercq Dict. d'arch. 4, 309—339; zum Ganzen vgl. Alföldi, Klio 31 (1938), 323ff. 8 ) Wilcken Chrestomathie n. 125. Pauly-Wissowa 15, 1280 f. ») Bd. 1, 159.

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6. Das Christentum und die Welt

same Beseitigung der Unbeugsamen war nur nebenlaufendes Mittel zum Zweck. Dem entsprach auch die vorsichtige Abstufung der Gewaltmaßregeln, die vor allem Einschüchterung und Ermüdung des Widerstandswillens verfolgten und nur als äußerstes Mittel in besonderen Fällen den T o d vorsahen. Die Wirkung dieses ungeheuren Feldzuges ist denn auch ganz gewaltig gewesen. Daß der Staat zunächst nach dem hohen Klerus griff, um die Kirche führerlos zu machen, war seinem Wunsche angemessen: aber das Ziel wurde nur teilweise erreicht. Bischof Fabian von Rom starb als der erste am 20. Januar 250 den Märtyrertod, ihm folgte am 24. Januar Bischof Babylas von Antiochien, und auch der greise Bischof von Jerusalem, Alexander, ist im Gefängnis zu Caesarea umgekommen 1 . Aber Dionysius von Alexandria wurde von seinen Getreuen den Häschern entrissen und an einen versteckten Ort in Libyen gerettet 3 , und Cyprian von Carthago gelang es gleichfalls, sich zu verbergen: er hat von seiner Zufluchtsstätte aus mit der Gemeinde in brieflicher Verbindung 3 gestanden und dem Klerus Verhaltungsmaßregeln gegeben. Auch von Gregor, dem Bischof von Neocaesarea in Pontus, ist uns eine gelungene Flucht bezeugt 4 . In all diesen führerlos gewordenen Gemeinden blieben Kleriker zurück, welche die jetzt besonders nötige Seelsorge weiter trieben und die gesunden Elemente zusammenhielten 5 . Im Ganzen scheint der staatliche Zwang tatsächlich einen Massenabfall bewirkt zu haben. Der lange Frieden hatte ein Gefühl der Sicherheit und eine starke Hinneigung zu „dieser Welt" erzeugt und bereits ein Gewohnheitschristentum entstehen lassen, welches einer ernsten Belastung nicht standhielt: das wird von Kirchenmännern Afrikas, Ägyptens und Palästinas übereinstimmend 6 betont. In Spanien fielen zwei BiEuseb K G 6, 39, 1—4. Lietzmann Martyrologien S. 3. 8, 29. ) Euseb K G 6, 40. 7, 11, 22—23. 3 ) Cyrian epist. 5—7. 10—19. *) Gregor Nyss. vita S. Gregorii Thaum. (opera 3, 569 ed. Paris 1638). 5 ) Dionys. Alex, bei Euseb K G 7, 11, 24. 6 ) Cyprian de lapsis 5—6. Dionys. Alex, bei Euseb K G 6, 41, 11—13. Origenes hom. in Jer. 4, 3 p. 25 f. Klostermann. 2

Verfolgung des Decius

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schöfe, desgleichen in Afrika, und auch der Bischof Euktemon von Smyrna opferte mit dem Kranz im Haar und schwur das Christentum ab 1 . Wie viele Kirchenhäupter sonst noch versagt haben, wissen wir nicht: niemand hatte ein Interesse, das Andenken daran wach zu halten. Und die Laien strömten scharenweise zur Opferstelle, die Vornehmen und Begüterten voran: galt es doch die Rettung von Leben und Eigentum. Andere flohen aus der Stadt aufs Land, in die Berge, in die Wüste, um dem Opferzwang zu entrinnen. Das bedeutete wohl Preisgabe von Haus und Habe, und nicht wenige sind der N o t der Einöde erlegen oder von räuberischen Horden gefangen und zu Sklaven gemacht worden 2 . Ein beliebtes Mittel der Rettung war die Bestechung: man verschaffte sich eine Opferbescheinigung, ohne das Opfer in Wirklichkeit zu vollziehen: so glaubte man sein Gewissen von der Sünde der Verleugnung rein zu halten. Aber die Kirche erkannte diesen Schleichweg nicht an und behandelte solche „Libellatici" als Abgefallene, wenn auch als geringer belastete 3 . Aber es fehlte nicht an Standhaften, welche alle Bedrückungen, Gefängnis und Folter aushielten und die Märtyrerkrone errangen. Es bleibt erstaunlich, daß wir kaum sichere Märtyrerakten aus der Decianischen Verfolgung besitzen: die Akten des Pionius stehen da in einsamer Größe: nicht einmal der Bericht über das Martyrium des römischen Bischofs Fabian, der Cyprian zugesandt wurde4, ist uns erhalten. So müssen wir uns mit unvollkommenen Mitteilungen begnügen. Die Ruhmesgeschichte zahlreicher ägyptischer Glaubenshelden erzählt Bischof Dionys in seinem Brief an Fabius von Antiochia 5 . Die Akten des Pionius von Smyrna knüpfen mit ihrer anschaulichen Schilderung bewußt an die Tradition des Polykarpmartyriums an und lehren uns auch noch einen mar») Cyprian epist. 59, 10. 65, 1. 67, 1. Mart. Pionii 15, 2. 18, 12—13. ) Cyprian de lapsis 8. 11. 13 Dionys, bei Euseb K G 6, 41, 11—13. 42, 2—4. Gregor Nyssen. vita S. G r e g o r » Thaum. (op. 3, 569 auch bei Preuschen Analecta 2 1, 61). 3 ) Cyprian epist. 55, 14. 30, 3. de lapsis 27. ") Cyprian epist. 9, 1. 5 ) Erhalten bei Euseb K G 6, 41, 1—42, 6. vgl. 7, 11, 20—25. 2

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6. D a s Christentum und die Welt

cionitischen Presbyter Metrodorus als Märtyrer kennen. Über die Verfolgung im Pontus haben wir nur recht allgemeine Angaben 1 , und die Ereignisse in Rom und Carthago sind nur in großen Umrissen und gelegentlichen Einzelheiten aus den Briefen Cyprians zu erschließen 2 . Mehrfach hören wir, daß eingekerkerte Christennicht getötet, sondern endlich losgelassen wurden, und in demBerichtüber die Folterungen des großen Lehrers Orígenes betontEusebius ausdrücklich, daß man sich bemüht habe, ihn nicht zu töten 3 . Das stimmt zu der Gesamttendenz dieser Verfolgung, die auf innere, nicht äußere Vernichtung ausging. Ein Jahr lang hat dieser gewaltige Feldzug gegen das Christentum gedauert: dann war es klar, daß er nicht mit einem Sieg enden konnte. Ende März 251 kehrt Cyprian aus seinem Asyl wieder nach Carthago zurück. Um dieselbe Zeit wurde der verwaiste römische Bischofsstuhl mit Cornelius besetzt, und der an der Gotenfront kämpfende Kaiser konnte es nicht hindern 4 . Als er zu Beginn des Juni in unglücklicher Schlacht den T o d fand, endete die Verfolgung von selbst, und Cyprian konnte von göttlicher Vergeltung reden, die mit dem Frieden die Sicherheit wiedergebracht habe 5 . Wäre die urchristliche Unbedingtheit noch herrschend gewesen, so würde der Staat wenigstens eine gewaltige Verringerung der Christenzahl als Erfolg gebucht haben. Aber auch diesen Vorteil schlug ihm die Kirche aus der Hand, indem sie anerkannte, daß Bekennermut in Todesgefahr eine besondere und deshalb hoch zu preisende Leistung sei, die aber eben darum nicht von jedermann betätigt werden könne. Man entschloß sich, der Schwachheit des Fleisches Rechnung zu tragen und den Gefallenen die Möglichkeit der Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft zu eröffnen, wobei eine billige Berücksichtigung der Schwere des Einzelfalles zugesagt wurde. Diese Haltung blieb, wie wir noch sehen werden, nicht unwidersprobei Gregor N y s s . vita S. Greg. Thaumat. (opera 3, 567). s ) Vgl. Cyprian epist. 22. 40. 3 ) Euseb K G 6, 41, 20. Cyprian epist. 13, 4. 6. 14, 2. 21, 4. 39, 1—2. A c t a Achatii 5, 6. Euseb K G 6, 39, 5. 4 ) Cyprian epist. 55, 6. 8—9. Harnack Chronologie 2, 351. 5 ) Cyprian de lapsis 1. vgl. ad Demetr. 17.

Verfolgungen unter Decius und Valerian

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chen, aber sie setzte sich durch und hatte den Erfolg, daß im allgemeinen bald nach 251 alles wieder so war wie vorher, nur daß die Kirche durch die heroischen Beispiele tapferen Martyriums und den endlich doch errungenen Sieg in ihrem Selbstbewußtsein mächtig gestärkt war. Daran änderten die in der nächsten Folgezeit mehrfach wieder aufflackernden Verfolgungsversuche nichts, die sich sämtlich als schwache Nachahmungen des Decianischen Vorbildes darstellen. Gallus erneuerte das Opferedikt und schickte eine Anzahl Kleriker in die Verbannung, darunter auch den Bischof Cornelius von Rom1, der dann 253 im Exil starb. Ob die neu ausbrechende Pest den Anstoß zu dieser lahmen Aktion gegeben hat, muß dahingestellt bleiben: daß man den Christen auch jetzt noch die Schuld an solchen Katastrophen zuschob, wird uns ausdrücklich bezeugt 2 : war übrigens noch anderthalb Jahrhundert später üblich. Kaiser Valerian war den Christen durchaus wohlgesinnt und duldete sie auch am Hof und in seiner nächsten Umgebung, bis die steigende Not des Reiches ihm das klare Urteil trübte. Als sein bester General Macrianus 3 Maßregeln gegen die Christen verlangte, die durch ihre Gebete die Wirkung seiner magischen Beschwörungen zu verhindern schienen, gab er nach 4 und erließ im Sommer 257 ein Edikt, welches den Christen befahl, wenn sie schon die Staatsreligion nicht annehmen wollten, wenigstens die römischen Zeremonien mitzumachen — die Formulierung sollte wohl ein Entgegenkommen bedeuten. Zusammenkünfte der Gemeinden und insbesondere das Betreten der Katakomben, in denen man bisher in Verfolgungszeiten Unterschlupf gefunden hatte, wurden verboten. Und auch jetzt waren die Kleriker ausdrücklich als die entscheidend wichtigen Personen bezeichnet 5 , auf die sich die Aufmerksamkeit der Behörden zu richten habe. ') Cyprian epist. 60, 1. 61, 3. Euseb KG 7, 1. Catal. Liberianus Chron. min. 1, 75. 2 ) Cyprian ad Demetr. 3. de mortal. 1. 8. 17. s ) Prosopogr. imp. Rom. 2, 95 n. 374. Stein in Pauly-Wissowa 7, 259—262. 4 ) Dionys. Alex, bei Euseb KG 7, 10, 3—4. s ) Acta Cypriani 1, 1. 5—8. vgl. Acta Dionysii bei Euseb KG 7, 11, 7. 10.

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6. Das Christentum und die Welt

Daraufhin wurde Dionys von Alexandria nebst einem seiner Presbyter und drei Diakonen an einen Ort in Libyen deportiert und Cyprian am 30. August 257 zur Verbannung in das nahe Küstenstädtchen Curubis verurteilt. Aber nach einiger Zeit wurde die Regierung strenger. Dionys kam an einen einsamen Ort, der doch näher bei Alexandria lag, so daß er seine heimlichen Gottesdienste fortsetzen konnte. Cyprian aber wurde heimberufen und am 14. September 258 enthauptet. Kurz vorher, am 6. August, war Bischof Xystus von Rom samt vier Diakonen in einer Katakombe überrascht und getötet worden, vier Tage später folgte ihm sein Archidiakon Laurentius im Tode, und jeder Tag brachte neue Opfej 1 . Das Grab eines in dieser Zeit umgekommenen Märtyrers Novatian ist jüngst gefunden worden 2 . Diese Verschärfung war die Auswirkung eines neuen Ediktes, welches strengstes Vorgehen gegen Kleriker und, was sehr bezeichnend ist, gegen christliche Senatoren, Ritter und andere Standespersonen vorschrieb; über kaiserliches Hauspersonal aus dem Sklavenstande sollte Zwangsarbeit verhängt werden 3 . Die Verfolgung hat in Afrika noch eine ganze Reihe Opfer gefordert, über deren Ausgang uns gute Berichte erhalten sind4. Die meisten dieser Märtyrer sind Kleriker aller Grade, aber vereinzelt werden auch Laien hingerichtet. Ein Berichterstatter klagt darüber, daß man absichtlich die festgenommenen Laien von den Klerikern abgesondert habe in der Hoffnung, sie dann leichter zum Abfall bringen zu können 5 . Aus Spanien wird uns der Feuertod des Bischofs Fructuosus von Tarragona und zweier Diakonen gemeldet 6 , und Euseb verzeichnet drei Märtyrer in Palästina, dazu noch eine Angehörige der Marcionitenkirche 7 . Inzwischen loderte an mehr als einer Stelle des Westens Empörung der Heere auf, und im Osten drohten die Perser: Valerian ging ihnen mit halber Kraft entgegen und geriet auf ungeklärte Weise in Gefangenschaft, in der er nach einiger Cyprian, epist. 80, 1. Sieben Diakone nennt Lib. pontif. 25. ) Rivista di archeologia cristiana 10 (1933), 217. 3 ) Cyprian epist. 80,1. 4 ) Acta Montani et Lucii und Acta Mariani et Jacobi. 5) Acta Mariani et Jacobi 10, 2. 6) Acta Fructuosi (Knopf S. 83). 7) Euseb KG 7,12. 2

Toleranzedikt des Gallienus

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Zeit starb. Jetzt griff Macrianus — weniger für sich als für seine Söhne —• nach der Krone und ließ seine Truppen von Edessa nach Illyrien marschieren, wo Ende 261 das Unternehmen zusammenbrach. Dies allein würde es schon erklären, daß Valerians tatkräftiger und bewährter Sohn, Mitregent und Nachfolger Gallienus der von Macrianus angeregten Christenverfolgung ein Ende machte. Er hob sofort die Anordnungen seines Vaters auf und erließ eine Art Toleranzedikt 1 , in welchem den Christen der Gebrauch ihrer gottesdienstlichen Räume einschließlich der Friedhöfe wieder gestattet und Befehl gegeben wurde, sie „nicht zu belästigen". Das war mehr, als irgend ein Kaiser bisher je zugestanden hatte, denn es schloß eine versteckte Anerkennung des Christentums als einer erlaubten Religionsgemeinschaft in sich. Die Zeit der künstlich aufrecht erhaltenen Gleichgültigkeit war vorüber: der Staat mußte jetzt deutlich Nein oder Ja zum Christentum sagen, denn es war eine Großmacht, die in zwei blutigen Verfolgungen noch stärker geworden war als vorher. Die Entscheidung des Gallienus war ein kleinlautes Ja und bedeutete einen Sieg der Christen. Euseb KG 7, 13.

Die Apologeten Wir haben gesehen, daß der Staat sich den Christen gegenüber nicht auf rechtliche Diskussionen einließ, und von literarischer Erörterung des christlichen Problems oder gelehrter Bestreitung ihrer Lehren ist lange Zeit hindurch ebensowenig die Rede. Das Urteil über sie stand in der öffentlichen Meinung so unbedingt fest, daß man sich nicht die Mühe nahm, es näher zu begründen. Ob Tacitus oder Sueton, Plinius oder Fronto, Epiktet oder Mark Aurel, Lukian oder der Arzt Galen sie erwähnen 1 — immer geschieht es nur nebenbei und immer im Tone der Verachtung, an dem auch die Anerkennung ihres Todesmutes nichts ändert. Aber daß es im mündlichen Verkehr mancherlei Auseinandersetzungen gegeben hat, versteht sich von selbst, und es hat sich mit der Zeit eine Summe antichristlicher Gemeinplätze gebildet 2 . Auch die Verfolgungen sind zweifellos nicht ohne rhetorische Begleitfanfaren vor sich gegangen. Mögen die in den Akten überlieferten Reden der Märtyrer vor ihren Richtern auch meistens stilisierte Einlagen sein: es wird nicht selten wirklich eine Wechselrede mit leidenschaftlicher Anklage und nicht minder scharfer Verteidigung die Stelle der bürokratischen Formeln vertreten haben. Und vereinzelt hören wir auch von einem kynischen Philosophen 8 , dem die Bekämpfung christlicher Predigt ein besonderes Anliegen war. Der erste, von dem wir eine regelrechte Streitschrift gegen die Christen kennenlernen, ist Celsus. Er mag in den letzten Jahren Mark Aurels geschrieben haben, ist uns aber im übrigen seinen Lebensumständen nach ebenso unbekannt wie seinem großen Gegner Origenes, dessen Werk J ) Tacitus Ann. 15, 44. Sueton Nero 16. Plinius epist. ad Traian. 96. 97. Fronto bei Minucius Felix Oct. 9,6. 31, 2. Epictet 4, 7, 6. M. Aurel 11, 3. Lucian de morte Peregrini 11—16. Pseudomantis 25. 38. Galen, de puls. diff. 2,4. 3, 3 (8,579.657 ed. Kühn). 2 ) Geffcken Zwei griech. Apologeten 240 f. 3) Crescens in Rom vgl. Justin apol. app. 3 und Tatian 19.

Kritik am Christentum. Celsus

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uns jene Schrift aufbewahrt hat 1 . Celsus hat sich wirklich um Kenntnis des Christentums bemüht, kennt die Bibel und weiß über Kirchenlehre und Beweisgründe der Christen Bescheid, ja er setzt sich bereits mit literarischen Verteidigern des Christentums auseinander. Er zeigt am deutlichsten, welch geschlossener Front von Gegnerschaft die Christen gegenüberstanden. Auch wenn man die bereits früher erwähnten Greuelmärchen beiseite ließ, gab es der Angriffspunkte genug und übergenug. Man sah die Christen nun einmal in der gleichen Linie wie die verachteten Juden und höhnte über die Streitigkeiten zwischen diesen beiden Gruppen, die doch alles Wesentliche, insbesondere den lächerlichen Messiasglauben, gemeinsam hatten und sich eines besonderen Verhältnisses zu Gott rühmten, während sie doch in Wirklichkeit nur als übles Geschmeiß anzusehen seien, einer Schar von Fledermäusen, Ameisen, Fröschen oder Würmern vergleichbar 2 . Ihre gemeinsam anerkannte Autorität ist Moses, der sein Wissen von den Weisen der Vorzeit entlehnt hat und seinem Volk den Glauben an einen Gott zusammen mit Engelkult und Zauberei bescherte®. Und in seine Fußtapfen ist Jesus getreten: denn auch er war ein betrügerischer Zauberer, und seine angeblichen Wunder entsprechen dem, was noch heute die Gaukler auf dem Markte produzieren — freilich ohne sich deswegen als Söhne Gottes auszugeben 4 . Die von Moses berichteten Geschichten der Urzeit und der Patriarchen sind so töricht und schändlich, daß die anständigen Juden und Christen sich ihrer schämen und sie durch allegorische Erklärung unschädlich zu machen versuchen — freilich ohne Erfolg 6 . Es ist ein und derselbe Gott, den Juden und Christen verehren 8 , aber er ist menschlichen Leidenschaften unterworfen, zürnt und droht, und ist schließlich nicht mächtig genug, seinem leidenden Sohn zu helfen oder seinen Tod zu rächen 7 . Er kann auch sein ausWiederherstellung von O. Glöckner Kl. Texte 151. 2 ) Cels. bei Orig. 3, 1. 5. 4, 2. 22. 23. 6, 50. ») Cels. bei Orig. 1, 17—26. 4) Cels. bei Orig. 1, 6. 26. 68. 2, 7. 32. Justin apol. 1, 30. 6 ) Cels. bei Orig. 4, 36—51. vgl. 1, 18. 6 ) Cels. bei Orig. 5, 59. 7 ) Cels. bei Orig. 4, 72. 1, 54. 2, 34.

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7. Die Apologeten

erwähltes Volk Israel nicht davon schützen, daß es in alle Welt zerstreut wird, so wenig er die Christen an allen Orten vor blutiger Verfolgung zu bewahren imstande ist 1 . Immerhin mag man den Juden ihre angestammte Volksreligion zubilligen: verwerflich sind auf jeden Fall die Proselyten, die sich unter Nichtachtung ihrer eigenen Weise ihnen anschließen, und vollends die Christen, die sich von den Juden abgezweigt haben und nun wurzellos und ohne volksmäßige Tradition in der Welt stehen. Sie jagen dem aberwitzigen Trugbild einer Weltreligion nach, die alle Völker von Europa, Asien und Afrika unter einem Gesetz vereinigen soll 2 ! Zwecklos und undenkbar ist ihre Lehre von der Menschwerdung Gottes, die dem unwandelbaren Wesen eine Wandlung zum Minderen zuschreibt 3 . Und von der wunderbaren Geburt des Gottessohnes Jesus aus einer Jungfrau erzählen sie Fabeln, um die Tatsache zu verhüllen, daß ihn eine von dem Soldaten Panthera verführte Ehebrecherin geboren hat. Auch was sonst von seiner Taufe, den Weisen aus dem Morgenland, der Flucht nach Ägypten und seinen Wundern berichtet wird, ist ebenso unglaubwürdig wie seine in verdächtiger Heimlichkeit erfolgte Auferstehung 4 . Vielmehr beweist seine niedere Herkunft und sein schmählicher Tod zur Genüge, daß er kein Gottessohn, sondern ein Betrüger war, der am Kreuz die gebührende Strafe erlitt 5 . Kein Wunder also, daß seine Anhänger von menschlicher Weisheit nichts wissen wollen und sie für Torheit bei Gott erklären, daß sie immer nur Glauben und nochmals Glauben als Vorbedingung des Heils verlangen: ihr Werben gilt ja auch nur den Ungebildeten und Einfältigen. Was sie darüber hinaus an Gutem und Verständigem bringen, haben sie den Griechen entlehnt, freilich auch zumeist verdreht 8 . Ihre gesamte Lebenshaltung ist widerspruchsvoll und sinnlos, und >) Cels. bei Orig. 8, 69. vgl. 39. Justin app. 5, 1. Minuc. Octav. 12, 2. ) Cels. bei Orig. 5, 25. 41. 51. 33. 8, 72. s ) Cels. bei Orig. 4, 3. 14. vgl. 6, 69. 72. 4 ) Cels. bei Orig. 1, 28. 41. 58. 62. 68. 2, 55. 63. 70. «) Cels. bei Orig. 1, 69. 70. 71. 2, 5. 6, 74. «) Cels. bei Orig. 1, 9. 6, 11. 12. 15. 16. 19 vgl. 2, 5.

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Celsus. Die ersten Apologeten. Quadratus

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das Beste wäre schon, wenn sie aus ihrer lebensfeindlichen Haltung die letzte Folgerung zögen und schlechthin aus der Welt gingen, ohne irgendwelche Nachkommenschaft zu hinterlassen, damit eine solche Gesellschaft völlig vom Erdboden verschwände 1 . Das war der geistige Hintergrund der Christenverfolgungen. So empfanden die johlenden Massen, die zur Christenhetze aufriefen und in der Arena ihre gierigen Augen mit Märtyrerblut sättigten; so dachten die gebildeten Kreise, so die hohen Beamten, die auf dem Tribunal ihre Todesurteile fällten. Es war ein kühnes und schwieriges Unterfangen, gegen eine solche feststehende Weltmeinung anzukämpfen, und doch war der Appell an die öffentliche Meinung, die Umstimmung der Gebildeten und in letzter Instanz des Kaisers das einzige Mittel, durch das sich eine Besserung der Lage erhoffen ließ. Und so haben sich denn seit der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts christliche Schriftsteller an diese schwere Aufgabe gewagt. Seit ein sonst unbekannter Quadratus 2 an Kaiser Hadrian eine Verteidigungsschrift für die Christen richtete, sind immer aufs neue wieder Apologien verfaßt und den Herrschern gewidmet worden. Ob jemals eine dieser Flugschriften wirklich das kaiserliche Kabinett erreicht hat oder gar in die Hände des Herrn gelangt ist, muß dahingestellt bleiben und ist wohl mehr als fraglich. Klar ist aber, daß man versucht hat, diese Werke in den Kreisen der Gebildeten zu verbreiten, sie also in die üblichen Kanäle des Buchhandels zu leiten — und da ist der Erfolg augenscheinlich ausgeblieben 3 . Aber wenn auch der nächste Zweck nicht erreicht wurde, so ist doch das ganze Unternehmen von größter Bedeutung für die Entwicklung des Christentums geworden. Denn es trat nun mit vollem Bewußtsein aus der Enge der Weltabgeschlossenheit hervor und breitete seine Schätze vor den Trägern der römischen Reichskultur aus. Und es gab sich alle Mühe ») Cels. bei Orig. 8, 55. Justin app. 4, 1. Minuc. Oct. 9, 1. Tertullian Scapul. 5. 2 ) Euseb KG 4, 3, 1—2. 3) Tertullian test. anim. 1 (p. 135, 10 Wissowa).

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7. Die Apologeten

zu zeigen, daß die neue Religion mit den anerkennenswerten Idealen dieser Kultur, vor allem mit den besten Errungenschaften seiner Philosophie, nicht in unlöslichem Widerspruch stehe, sondern weithin übereinstimme, und letztlich vollende und zur gelebten Wirklichkeit bringe, was dort nur als Anfang und theoretische Konstruktion erscheine. Dabei wurden geschickt die Strömungen verwertet, die, aus pythagoreischen und platonischen Quellen fließend, eine Überwindung des zur Skepsis erstarrten Intellektualismus durch mystische Spekulation bewirkten und dem Neuplatonismus als der abschließenden Philosophie der Antike zustrebten. Die Apologeten wollten mit ihren Schriften in die Weltliteratur eintreten. Es ist kein Wunder, daß ihnen das nicht gleich gelang. Aber sie sind unverdrossen den Weg weitergegangen und haben die Voraussetzungen geschaffen, unter denen kaum ein Jahrhundert später ein Mann wie Origenes als Apologet und Systematiker des Christentums gleichwertig mit dem Neuplatoniker Plotin erscheinen und die höchste Bildung seines Zeitalters in seiner Person darstellen konnte. Die Apologeten haben den letzten und entscheidenden Schritt zur Eroberung der Welt durch das Christentum getan: sie haben den Geist griechischer Wissenschaft für die Botschaft der Kirche gewonnen. Die älteste uns erhaltene Apologie trägt den Namen eines Aristides aus Athen und mag um 140 entstanden sein: sie ist dem Kaiser Antoninus Pius gewidmet. Wir können sie aus einer syrischen Übersetzung, armenischen Resten und griechischen Auszügen leidlich wiederherstellen 1 . Da bringt ein Mann von bescheidenster Bildung eine billige Gelehrsamkeit zusammen, um zu beweisen, daß die alten Kulturvölker der Chaldäer, der Griechen und der Ägypter keine rechte Gotteserkenntnis haben, daß die Juden den Monotheismus und ihre gute Sittenlehre durch Engelkult und allerlei Ritualien verderben, und daß allein die Christen die Wahrheit besitzen und nach ihren Geboten leben. Das alles wird in unbeholfener Sprache mit primi') J. Geffcken Zwei griech. Apologeten S. 3—27. Goodspeed Apologeten S. 3—23.

Aristides

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tiver Disposition vorgetragen und kann einem gebildeten Leser der Zeit wenig Eindruck gemacht haben. Aber sehen wir den Inhalt an. Aristides beginnt mit dem Hinweis darauf, daß der staunende Einblick in die wunderbare Ordnung der Welt ihn Gott als den Beweger des Alls kennen gelehrt habe, und was er weiter in negativen Formeln über Gott sagt, ist in den Hallen der Stoa bekannt und auch bei den Vertretern des philosophischen Judentums zu finden 1 . Aber dann stellt sich der Gegensatz ein: die Christen allein, das „dritte Geschlecht" in der Welt, haben die Wahrheit, die beiden andern Geschlechter, Juden und Heiden gehen irre. Die Heiden fehlen durch Anbetung des Geschaffenen statt des Schöpfers und durch ihren unmoralischen Polytheismus. Hier arbeitet der Verfasser mit Material, das bereits zu gleichem Zweck von der jüdischen Apologetik zusammengestellt war und teils den Predigten alttestamentlicher Propheten, teils den antireligiösen Reden der Skeptiker und Epikuräer entstammt. Aber beide Quellen fließen in der gleichen Richtung, und die ganze Argumentation könnte in der Zeit Ciceros schon fast ebenso gelautet haben. Diese Diskussionen über den Unwert des Polytheismus sind rein akademische Deklamationen, die mit der lebendigen Religiosität der Gegenwart nichts zu tun haben und einen längst verstorbenen Gegner noch einmal totschlagen. Wenn man damit jetzt noch Eindruck machen wollte, mußte man sie etwa in Lukians Manier pikant zubereiten: das Thema an sich war langweilig. Wir bemerken im übrigen, daß von eigentlich Christlichem bisher kein Wort zu spüren ist, und auch die Ablehnung des jüdischen Ritualismus und Engeldienstes erfolgt ohne besondere Begründung. Erst am Ende setzt die positive Empfehlung des Christentums ein. Da wird nicht diskutiert, widerlegt oder bewiesen, sondern einfach erzählt. Die Christen stammen von Jesus Christus: der war als Gottes Sohn vom Himmel herabgekommen und hat von einer Jungfrau Fleisch angenommen. Als Verkünder seiner Lehre wählte er zwölf Jünger aus, die >) Vgl. Geffcken S. 31—41. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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7. Die Apologeten

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nach seinem Tod und seiner Auferstehung in der ganzen Welt die Wahrheit ausbreiteten, daß es nämlich gelte, nur den Weltschöpfer anzubeten und die Gebote Christi zu erfüllen. Weidas tut, wird nach der Auferstehung der Toten ewiges Leben gewinnen. Was dann als das Wesentliche der Gebote Christi mitgeteilt wird, entspricht der Katechismuslehre, die wir aus Didache und Barnabasbrief, Diognetbrief und anderen Apologeten kennen. Der Leser wird mehrfach ermuntert, sich aus den heiligen Schriften selbst zu unterrichten und mit der Versicherung entlassen, daß der Bestand der Welt nur den Gebeten der Christen zu verdanken sei: also möge sich der Heide rechtzeitig bekehren, ehe das Endgericht kommt. Wir haben in diesem Früherzeugnis der Apologetik ihre Elemente gewissermaßen im Rohzustand vor uns: unbearbeitet, unverbunden und ohne geistige Durchdringung werden sie dem Leser vorgesetzt. Kein Wunder, daß sie ihm nicht munden. Nur ein Jahrzehnt später schreibt der Palästinenser Justin in Rom seine Apologie an Antoninus Pius und seinen philosophischen Sohn Mark Aurel. Nach einem weiteren Jahrzehnt läßt er dieser Flugschrift ein breit ausgeführtes Religionsgespräch mit einem Juden namens Tryphon folgen. Ein Meister des Stils und der Stoffanordnung ist auch Justin nicht, aber doch ein redegewandter Mann und als „Philosoph" so gut gebildet wie viele seiner Zeitgenossen. Und daß er mit diesen Eigenschaften Christ geworden ist und im Christentum die echte Philosophie findet, gibt ihm seine wahre Bedeutung und macht ihn zum apologetischen Klassiker. Die traditionelle Polemik gegen den Polytheismus und seine Mythen finden wir auch bei ihm, aus den bekannten Quellen geschöpft. Aber all diese Dinge treten in ein neues Licht, weil Glaube, Mythos und Kult des Heidentums als trügerische Erfindung der Dämonen erscheint. Waren schon bei Paulus 1 die Dämonen Empfänger heidnischer Opfer, so ist hier unter dem Einfluß des neuerwachenden Piatonismus diesen Mittelwesen zwischen Gott und Welt ein breites Wirkungsfeld eingeräumt. 1. Kor. 10, 20 f.

Justin: Dämonenlehre. Weissagungsbeweis

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Dem Plutarch sind sie bereits Vermittler zwischen Göttern und Menschen, und ihre Stimme ist es, die in den Orakeln klingt. Bei Justin gelten sie im gesamten Ablauf der Geschichte als die eigensüchtigen Gegner der göttlichen Wahrheit, als die Schöpfer von Lug und Trug und allerlei Blendwerk, das mit reizendem Gaukelspiel die Sinne der Menschen befriedigen soll. Gott hat durch die Propheten Weissagungen ausgehen lassen: in seltsamen Mythen und Kulten haben die Dämonen im Bunde mit den menschlichen Leidenschaften deren Erfüllung vorgetäuscht, um der echten Offenbarung Gottes ihre Beweiskraft zu nehmen. Aber jetzt ist ihr falsches Spiel entdeckt und die Wahrheit durch Christi Erscheinung klar zutage getreten. Über ein Jahrtausend zuvor sind alle Einzelheiten der Heilsgeschichte, des Lebens und Leidens, der Auferstehung und Himmelfahrt Christi bis hin zur Zerstörung Jerusalems geweissagt: pünktlich sind sie alle zu ihrer Zeit erfüllt, und die Gewißheit dieser Erkenntnis macht uns auch das Eintreffen der noch ausstehenden Prophezeiungen von Christi Wiederkunft und dem Endgericht unzweifelhaft 1 . Das ist ein ganz rationaler Beweis für die Wahrheit des Christentums: er ist von dieser Grundlage aus in die Kirchenlehre und orthodoxe Apologetik übergegangen und wirkt bis auf den heutigen Tag. Und auf diesem Wege beweist Justin noch mehr. Erst diese Erfüllung von Weissagungen gibt uns die Gewähr für die Glaubwürdigkeit der Selbstaussagen Christi, die ihn als erstgeborenen Sohn Gottes erkennen lassen 2 . Was heißt das? Den kurzen Andeutungen der Apologie hat Justin in seinem Dialog genauere Aussagen folgen lassen. Gott ist ihm wie dem Aristides — und ebenso den übrigen Apologeten — die letzte Ursache der Welt und ein überweltliches Wesen, ewig unveränderlich und nur dem Auge der Vernunft erkennbar 3 . Kein Name nennt ihn recht, denn nur von seinen Wirkungen her vermögen wir über ihn preisend zu reden 4 . Kein Kaum, auch nicht die ganze Welt, umfaßt ihn, der vor aller Welt war: 4

Justin apol. 31—53. 2) Justin apol. 53, 2. ) apol. 10,1. 2 app. 6, 1. 2.

3

) Justin dial. 3, 4. 7. 12*

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7. Die Apologeten

unausdenkbar ist die Vorstellung, er könne je die Kluft überschreiten, auf Erden sichtbar werden und zu Menschen reden1. Er ist jenseits aller Wesenheit, wie Plato sagt, und Justin stimmt ihm zu und lobt die Philosophie2. Dieser „unnennbare Vater und Herr des Alls" ließ „am Anfang" und vor allem Geschaffenen eine Kraft aus sich hervorgehen, die wir den „Logos", das „Wort" Gottes nennen, da sie Gottes Botschaft den Menschen gebracht hat 3 . Und nun nutzt Justin den Doppelsinn des Griechischen aus, da ihm „Logos" sowohl „Wort" wie „Vernunft" bedeutet. So wie der Logos eines Menschen als „Vernunft" oder „Gedanke" erst in ihm ist und dann als gesprochenes „Wort" aus ihm hervorgeht, ohne daß der Mensch dadurch eine Verringerung seines inneren Logos, nämlich seiner Vernunft, erleidet, so ist auch Gottes Logos, der von Ewigkeit bei ihm ist — also seine Vernunft — nicht gemindert worden, als er den Logos aus sich hervorgehen ließ. Vielmehr war es, als ob ein Feuer an einem andern sich entzündet, ohne daß dieses dadurch kleiner wird. Diesen Vorgang bezeichnet Justin als die Zeugung des Sohnes Gottes: und da dieser Sohn nunmehr als selbständige Persönlichkeit aus Gott dem Vater herausgetreten ist, dürfen wir von ihm als einem „zweiten Gott" reden, obwohl weder Gottes Wesenheit geteilt, noch sein Ratschluß und Wille von ihm getrennt wurde4. Dieser Logos ist uns nun in den heiligen Schriften faßbar als der Sohn, der vor allem Geschaffenen erzeugt wurde. Zu ihm sprach bei der Weltschöpfung der Vater „lasset uns Menschen machen", er ist die „göttliche Weisheit", die als Beginn der Wege Gottes in den Sprüchen Salomos 8, 22 erscheint5, und „durch ihn" hat Gott die Welt geschaffen und geordnet 6 : so ist er der Mittler zwischen der Unnahbarkeit des Vaters und der Bedürftigkeit der Welt. Er erschien den Menschen zuweilen sichtbar, und das Alte Testament nennt ihn oft den „Engel des Herrn" oder auch „den Herrn", der sich den Got') dial. 127. 2 ) dial. 4, 1 (vgl. Plato repub!. 6 p. 509 b). apol. app. 13, 2. 3 ) dial. 127, 2—4. 128, 1—2. vgl. 61, 1. ") dial. 61, 2. 128, 4. 56, 11. 6 ) Justin dial. 62. 129, 3. 6 ) apol. app. 0, 3.

Justin: Logoslehre

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tesmännern im Wort, im Feuer, in Zeichen und Wundern offenbart, den wenige zu schauen gewürdigt werden1. Er redet durch die Propheten belehrend, mahnend und warnend, aber auch außerhalb des israelitischen Volkes ist seine Wirkung unverkennbar — wie denn schon die stoische Schule von einem in der ganzen Menschheit ausgestreuten „Samen des Logos" spricht. Wer nun diese Samenkörner in seiner Seele hat aufgehen lassen und nach den Weisungen des Logos gelebt hat, den rechnen wir Christen zu den Unsrigen: also Männer wie Heraklit, Sokrates und in jüngster Zeit den Stoiker Musonios. Aber die Welt hat sie ebenso wie uns als Gottesleugner gescholten, und die neidischen Dämonen haben sie dem Haß der Menge preisgegeben und das Todesurteil über sie verhängt 2 . Die letzte und entscheidende Offenbarung geschah aber dadurch, daß der Logos in seiner ganzen Fülle® selbst auf die Erde kam und Mensch wurde, so wie er es durch den Mund der Propheten voraus verkündet hatte. Und zum Zeichen, daß hier eine große Gottestat sich vollziehe, ließ er sich auf wunderbare Weise von einer Jungfrau geboren werden — wie er es viele Jahrhunderte zuvor durch Jesaias (7, 14) geweissagt hatte — und beglaubigte seine Sendung durch Heilungen und Totenerweckungen4. Seine Erscheinung rief nun freilich alle Dämonen auf den Plan: sie stritten wider ihn nach ihren Kräften und brachten ihn ans Kreuz; er aber erstand von den Toten und fuhr auf gen Himmel. Auch das hat der Logos in allen Einzelheiten vorausgesagt 6 . Und wozu das alles? Weil Gott die Menschen zu sich ziehen will. Um ihretwillen hat er ja überhaupt nur die Welt geschaffen, damit sie sich durch würdigen Wandel in allen Tugenden zu ihm emporschwingen und frei von Leid und Vergänglichkeit an seiner Herrschaft teilhaben möchten6. Diesen Weg zu Gott hat der Logos unermüdlich gewiesen und ihn endlich durch sein persönliches Erscheinen der Menschheit !) dial. 61, 1. 128, 1. 2. 2 ) apol. 46, 1—4. app. 8, 1—3. vgl. 10, 4—5. ) apol. app. 8, 3. 10, 1. 4 ) dial. 43, 3—8. 66—71. 84, 1—2. apol. 33, 2. 48. 5 ) apol. 35—38. 45. diai. 86—97. «) apol. 10, 2.

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7. Die Apologeten

am eindringlichsten ans Herz gelegt. Er ist der „neue Gesetzgeber" geworden, aber dies „neue, ewige und endgültige" Gesetz ist das alte und von den Weisen längst erkannte der vernunftgemäßen Tugend 1 , dem die Menschen in voller Freiheit der Willensentscheidung folgen müssen, wenn sie gerettet werden wollen. Die Menschwerdung des Logos hat die Wahrheit in hellstem Licht vor ihnen aufleuchten lassen, und zum Zeichen dessen scheucht der Name des gekreuzigten Jesus Christus auch jetzt noch alle bösen Geister 2 : wer nun noch die Augen verschließt und blind dem Trug der Dämonen erliegt, wird im ewigen Feuer die Folgen gerechterweise tragen müssen3. Xenophons Fabel von Herakles am Scheidewege gilt auch für die Lebensentscheidung gegenüber dem Christentum 4 . Bis hierhin reicht die „christliche Philosophie" des Justin — aber nicht weiter. Dies Christentum ist wirklich eine philosophische Konstruktion aus bekannten Elementen.Der Gottesbegriff ist der Popularphilosophie entlehnt und entspricht selbst in den Ausdrucksformen dem, was wir schon im ersten Jahrhundert bei religiös empfindenden Stoikern hören können 5 . Die Dämonenlehre ist, wie bereits gesagt, dem neuerwachenden Piatonismus zu verdanken" und hat bei Justin nur eine zweckentsprechende Einordnung in die apologetische Linie erfahren: diese Mittelwesen dienen jetzt der Erklärung des heidnischen Kultlebens und werden gleichzeitig nach jüdischen Mustern 7 den Engeln und Teufeln der Bibel gleichgesetzt. Jesus Christus ist schon vom Johannesevangelium als der Logos Gottes bezeichnet worden. Aber während dort diese Gleichung die historische Bedingtheit des Lebens Jesu aufheben und es zu ewiger Gültigkeit verklären soll, ist bei Justin eine fast entgegengesetzte Tendenz zu vermerken. Die Autorität der Lehren Christi soll auf diesem Wege unabweisbar gemacht und der verstandesmäßigen Nachprüfung einleuchtend ») dial. 18, 3. 11, 2. 43, 1. apol. 23, 1—2. 14, 2—16, 14. dial. 23, 1. 30, 1. 93, 1—3. 2 ) dial. 30, 3. 76, 6. 85, 2. 3 ) apol. app. 7, 1—9. 4 ) apol. app. 11, 3—8. 5) s. Bd. 1, 179—183. 6 ) Geffcken Zwei Apologeten 219 f. 7) s. Handb. zu 1. Kor. 10, 20. Uber Philo s. Bd. 1, 92.

Justin: Logos und Dämonen

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gestaltet werden. Und wenn schon Jesus die fleischgewordene göttliche Vernunft war, so muß schließlich alles wahrhaft Vernünftige auf dieser Erde dem Christentum zufallen. Und der Schlußbeweis für die Gleichsetzung Jesu Christi mit dem Logos wird in nüchternstem Rationalismus durch Bezugnahme auf die erfüllten Weissagungen geliefert. Die Folge davon ist der gar nicht wegzudisputierende Eindruck, daß Leben und Tod Jesu nicht mit innerer Notwendigkeit und tieferem Sinn ihren Ablauf genommen haben, sondern aus dem rein äußerlichen Grunde, weil sie einmal so geweissagt worden waren, so und nicht anders Wirklichkeit geworden sind. Von einer „Heilsbedeutung" des Todes oder einem „Werk Jesu" kann nicht die Rede sein, und die „Erlösung" besteht praktisch in der Mitteilung der philosophisch korrekten Gotteserkenntnis und Tugendlehre — die nun jeder nach freier Selbstverantwortung annehmen oder ablehnen kann. Hätten die Menschen den Trug der Dämonen rechtzeitig durchschaut und die von den Propheten und den guten Philosophen gepredigten Lehren des Logos besser beherzigt, so wäre die ganze Jesustragödie nicht nötig gewesen. Die Logoslehre selbst ist aus den uns bekannten Wurzeln erwachsen, die sich in jüdisches und hellenisches Erdreich herabsenken und uns nur in unauflöslicher Verschlingung sichtbar sind. Es finden sich Berührungen mit stoischen und mit platonisierenden Gedankengängen, und auch bei Philo 1 sind lehrreiche Parallelen festzustellen — ohne daß wir zu der Annahme berechtigt wären, Justin habe den Philo je in der Hand gehabt. Aber auf welchen Einzelwegen auch immer diese Lehre in die Werkstatt Justins eingedrungen sein mag, und wie fremdartig sie auch den alten christlichen Vorstellungen gegenüber erscheint: sie ist durch ihn und seine Kampfgenossen in die spekulative Theologie eingeführt und hat sich sofort und für Jahrhunderte siegreich auf den Thron gesetzt. Wenn man nun nach alledem erwartet, daß die Frömmigkeit der Apologeten sich in Moralismus erschöpft und ihr s. Bd. 1, 91 f.

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7. Die Apologeten

Christentum eine philosophische Aufklärungsreligion darstellt, die mit dem philosophierenden Judentum der gebildeten Proselyten gleichgesetzt werden dürfte, so werden wir durchaus enttäuscht. Justin schildert die christliche Sittenlehre nicht, wie es ein Stoiker tun würde und wie z. B. Klemens der Alexandriner es getan hat, als einen Niederschlag vernünftiger Prinzipien, sondern als die Summe der Gebote Jesu, die er nach Stichworten geordnet im Wortlaut aneinanderreiht 1 . Dabei treten Keuschheit, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Geduld, Sanftmut, Wahrheitsliebe betont hervor. Aristides 2 geht von den 10 Geboten aus und bewegt sich sachlich in den gleichen Bahnen, ohne Jesusworte zu zitieren: Sorge für Bestattung der Toten fügt er als besonders wichtige Christenpflicht hinzu. Bei den andern Apologeten 3 treffen wir im wesentlichen das gleiche Bild. Es ist die einfache und nicht durch irgendwelche Theorien umgebogene Gemeindetradition, wie sie uns seit der Didache wohlbekannt ist, die auch bei diesen Männern als Summe der christlichen Lebensregeln angesehen wird. Sie sind der Wirkung dieser Lehren sicher in einer Welt, welche die stoische Ethik zu respektieren gelernt hat. Und sie versäumen nicht, gelegentlich zu betonen 4 , daß die von den Philosophen bloß gepredigten Tugenden bei den Christen wirklich ausgeübt werden, und zwar von den schlichtesten Menschen. Was wir bei der Ethik beobachtet haben, wiederholt sich auf allen andern Gebieten. Justin lebt durchaus in der Lehrtradition der Gemeinde und macht nicht den geringsten Versuch, sie mit seiner „Philosophie" in organische Verbindung zu bringen. Er kann sogar im Anschluß an die Glaubensregel die um jene Zeit schon deutlichere Gestalt gewinnende Trinitätsformel zitieren und vom Glauben an Gott den Schöpfer, an den Sohn Jesus Christus an zweiter und den „prophetischen Geist" an dritter Stelle reden — obwohl doch der Sohn als apol. 15—17. 2 ) Aristides apol. 15, 4—12. s ) Athenagoras suppl. 32—33 resurr. mort. 23. Theophilus ad Autol. 3, 9—15. 4) Justin apol. 16, 8. app. 10, 8. Athenagoras 11. Minucius Felix Octav. 38. Orig. c. Cels. 3, 51. 7, 41. 44.

Justin: Ethik. Gemeindelehren

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Logos mit dem in den Propheten sich offenbarenden Geist seiner Theorie nach identisch ist. Aber die Trinitätslehre ist ihm hier wichtig, ja er fügt noch den Glauben an die Engel hinein, um den Heiden zu beweisen, wie weit die Christen von einem kahlen Monotheismus, den jene Atheismus schelten, entfernt seien. Und Justin ist nicht der Einzige, der das tut1. Daß diese Trinitätslehre sich mit dem Schema seiner Logostheologie stößt, macht ihm keine Sorgen. Gemeindelehre hören wir auch hindurchklingen, wenn Justin von dem „Mysterium des Kreuzes" redet, durch welches Christus die Menschheit für sich erworben habe, und von der Erlösung der Gläubigen durch sein Blut und seinen Tod 2 : oder wenn er die Konsekration der Abendmahlselemente durch Anrufung des Logos beschreibt und von der Wandlung spricht, die beim Genuß dieser geweihten Speise unser Fleisch und Blut ergreift®. Auch die Zukunftserwartung samt der Wiederkunft Christi ist ganz nach der biblischen Tradition gestaltet und umfaßt sowohl Auferstehung des »Fleisches wie die Hoffnung auf das tausendjährige Reich im neuerstandenen Jerusalem4. In der neutestamentlichen Ausdrucksweise bleibt Justin auch, wenn er mit Vorliebe die „Aphtharsia", die Unverweslichkeit, als lockendes Ziel des Christenlebens bezeichnet®. Sein Schüler Tatian redet ähnlich". A b e r Theophilus bringt die hellenistische Anschauung, wenn er als den Lohn des Christen bezeichnet, daß er „Unsterblichkeit erhält und G o t t w i r d " 7 . Danach streben die griechischen Mystagogen auch8. So sehen wir das Christentum Justins in zwei Hälften auseinanderklaffen. Die eine ist eine philosophische Religion, die griechische Vorstellungen und Begriffe in ein loses biblisches Gewand kleidet und am Ende auf die Selbsterlösung des Menschen durch sittliche Entscheidung hinausläuft; die ») Justin apol. 13, 1—4. 6, 1—2. vgl. Athenagoras suppl. 10. 12. 24. Theophil, ad Autol. 2, 15. 2 ) Justin dial. 134, 5. 111, 3. ») Justin apol. 66, 2. 4 ) apol. 18—20. 50. 52, 3. dial. 80, 5. 81, 4. 5 ) Justin apol. 10, 3. 13, 2. 19, 4. 39, 5. 42, 4. 52, 3. dial. 45, 4. Tatian 7, 1. 32, 1. 7 ) Theophilus ad Autol. 2, 27. 8 ) Reitzenstein Hellen. Mysterienreligionen 3 49. 257. 290 f.

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7. Die Apologeten

andere ist der irrationale Gemeindeglaube, in dem sich Jesusworte, Sakramentsmystik und Kirchentum zu einer wirksamen Einheitverbinden. Der jüdisch begründete Moralismus der Frühzeit ist überwunden, die Gnosis liegt abseits, aber auch Paulus und Johannes sind dem Verständnis entrückt. Und die Aufgabe einer Vereinigung der beiden Teile ist noch nicht erfaßt. Die apologetische Schriftstellerei ist auch in den nächsten Jahrzehnten weitergegangen. Justins Schüler Tatian ist Syrer von Geburt und betont den Gegensatz seiner Rasse zu den Griechen immer wieder. Er haßt die griechische Sprache und Kultur, obwohl er die Mätzchen ihrer Rhetorik nicht verschmäht, und scheut sich nicht, die Schmutzkübel albernsten Klatsches über Plato und Aristoteles, Heraklit und Empedokles auszuschütten 1 . Ihm ist das Christentum wohl eine Philosphie, aber eben die Philosophie der Barbaren 2 , die älter ist als alle griechische Weisheit. Hatte Justin für einige platonische Lehren Moses als Quelle bezeichnet 3 , so geht Tatian weiter und erklärt frischweg die „Weisheit der griechischen Sophisten" als ein durch Mißverstand und Eitelkeit entstelltes Plagiat aus alttestamentlicher Quelle 4 . Den Beweis dafür liefert er in sehr grobschlächtiger Weise, indem er seitenlang Geschichtstabellen abschreibt und dadurch nachweist, daß Moses vor dem trojanischen Krieg und der griechischen Heroenzeit lebte 5 . Mit Vorliebe verweilt seine Schrift bei den Dämonen, ihren Eigenschaften und ihrer Wirksamkeit 6 , von der er sich durch Christus erlöst weiß7, während die Logoslehre nur an der durch den Zusammenhang geforderten Stelle und mit einer starken Zurückhaltung gegenüber Justin behandelt wird 8 . Seine Abneigung gegen das „Töten von Tieren, um Fleisch zu essen", tritt schon in dieser Schrift hervor 9 : später haben ihn seine asketischen Neigungen, insbesondere die Verwerfung der Ehe, zum Gegner der Kirche gemacht 10 . Als Verfasser einer Evangelienharmonie haben wir ihn bereits kennen gelernt 11 . ») Tatian 1—3. 2 ) Tatian 1. 12. 29. 31. 35. 3 ) Justin apol. 59—60. ) Tatian 40, 1. 6 ) Tatian 31—41. 6 ) Tatian 9, 1. 12. 14—17. 7 ) Tatian 29, 2. 8 ) Tatian 5, 1—3. 7, 1. 9 ) Tatian 23, 2. 10 ) Euseb K G 4, 29, 1—3. Epiphan. haer. 46, 1, 1—2, 3. " ) S. 93.

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Tatian. Athenagoras

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Auch bei Tatians Zeitgenossen Athenagoras aus Athen spielen die Dämonen eine große Rolle, und die Logoslehre tritt noch mehr zurück: beide Männer wollen augenscheinlich die von Justin in Erwägung gezogenen „Samenkörner des Logos" in der außerbiblischen Welt nicht anerkennen. Aber Athenagoras ist nicht von dem temperamentvollen Haß des Syrers beseelt, sondern spendet den griechischen Weisen anerkennende Worte, freilich nur, um am Ende festzustellen, daß sie alle miteinander in Widerspruch stehen, weil sie den Antrieb zur Forschung ihrer eigenen Seele entnehmen. Dem gegenüber werden die Propheten vom Geiste Gottes getrieben und sind dadurch befähigt, einhellig für die göttliche Wahrheit Zeugnis abzulegen 1 . So stellt er das Christentum zwar als gleichberechtigt neben die Philosophie und fordert von diesem Standpunkt aus Toleranz vom Staate 2 : aber in Wirklichkeit ist das Christentum nicht rational, wie Justin seine Leser glauben machen will, sondern göttliche Offenbarung eigener Art; der Enthusiasmus der prophetischen Ekstase ist kein „menschlicher" Beweis, sondern gibt absolute Wahrheit 3 . Es ist überhaupt bezeichnend, daß die Prophetenschriften auch abgesehen vom Weissagungsbeweis bei den Apologeten ein überragendes Ansehen genießen: Justin, Tatian und Theophilus behaupten, durch ihr Studium bekehrt worden zu sein. Und auch der schwankende Augustin wird noch im vierten Jahrhundert von seinem Beichtiger Ambrosius auf den Propheten Jesaias verwiesen, diesmal freilich ohne Erfolg 4 . Bei Athenagoras wird das Irrationale dieses Hinweises auf die Propheten äußerlich nicht hervorgehoben; das würde seiner Tendenz widersprechen. Er bemüht sich, den wirklichen Gegensatz seiner Religion gegen alle Philosophie zu verbergen und hat sogar die Auferstehung des Fleisches den Griechen in einer besonderen Schrift einleuchtend zu machen versucht: und diese mündet aus in den Satz5, daß es Ziel des Menschen') Athenag. suppl. 7, 1—2. 2 ) Athenag. suppl. 1—2. ®) Athenag. suppl. 9, 1. 4 ) Justin dial. 7, 1—8, 1 Tatian 29. Theoph. 1, 14. Augustin. conf. 9, 5, 13. 5 ) Athenag. res. mort. 25. vgl. 13 und den Hinweis suppl. 31, 3.

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7. Die Apologeten

lebens sei, sich „an der Schau des Schöpfers und seiner Ratschlüsse ohne Aufhören zu erfreuen" — eine Formulierung, in der Bibel und Philosophie zusammenklingen. Der kurz nach 180 schreibende 1 Bischof Theophilus von Antiochia bringt in das uns bisher bekannt gewordene Bild der Apologetik keine neuen Züge: er schreibt ein gefälligeres Griechisch, stellt noch etwas mehr an billiger Gelehrsamkeit zur Schau als seine Vorgänger und kommt nach der Anerkennung vereinzelter Lichtblicke bei heidnischen Schriftstellern doch im Ganzen auf eine runde Ablehnung aller griechischen Weisheit, die aus jungen Quellen stammend mit den uralten Lehren der alttestamentlichen Propheten keinen Vergleich aushalte. Elegant in der Form und flüchtig im Inhalt ist der ohne Verfassernamen überlieferte Brief an Diognet — womit doch wohl der gleichnamige Lehrer Mark Aurels gemeint sein soll. Viel gerühmt ist seine idealisierende Schilderung des Christentums mit ihren spitzen Formulierungen. Darin steht auch d a s Bekenntnis zum Pilgertum auf Erden 2 : „jede Fremde ist ihnen Vaterstadt und jede Vaterstadt Fremde" — man darf nicht „Vaterland" übersetzen, denn dieser Begriff fehlt der damaligen Welt 9 . Aber die Sache meint doch der Römer Caecilius, wenn er in dem graziösen Dialog Octavius seinem christlichen Gegner die Hoheit der altväterlichen Religion und ihre Verbundenheit mit der ruhmvollen Geschichte Roms vor die Seele stellt und für sie Anerkennung fordert 4 . Nur schade, daß er das offene Beknntnis vorausschickt, daß er als philosophischer Skeptiker an diese Dinge auch nicht glaube, sondern sie nur in Ehren halte. Octavius antwortet schneidend®, die römische Geschichte sei eine Summe von Gottlosigkeit, Frevel, Gewalttat und habe nichts mit Göttern zu tun. Er empfindet diese Geschichte nicht als eigenes Schicksal, er so wenig wie die andern Millionen im Reich. Nur wenn es die rhetorische Wir0 Theoph. ad Autol. 3, 27. 2 ) Epist. ad Diognetum 5, 5. 3 ) Lehr4 ) Minucius Felix Octavius 6—7. reich Celsus bei Orig. 8, 73. 74. 6 ) ebd. 25.

Theophilus. Minucius Felix

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kung fordert, redet man patriotisch — und es ist bezeichnend, daß das ganze Religionsgespräch ausgeht von dem Handkuß, den der Patriot Caecilius nicht etwa einem altrömischen Kultbild, sondern einer Serapiskapelle zuwirft. Was im übrigen Caecilius den Christen vorhält und was Octavius seinem Gegner antwortet, bewegt sich in den uns bekannten Geleisen, ist aber gut geformt und eindrucksvoll geordnet, so daß dieser um 200 entstandene Dialog des Minucius Felix die lateinische Apologetik anständig eröffnet.

Kleinasien und der Montanismus Auf dem alten griechischen Kulturboden des westlichen Kleinasiens hat das Christentum am schnellsten Fuß gefaßt und sich von dort an den meerbespülten Rändern entlang nordwärts verbreitet. Auch ins Binnenland ist es eingedrungen, soweit die griechische Zunge klang. Immer ist es von den größeren Städten ausgegangen und hat in den kleinen Orten und schließlich auf dem Lande Anhänger gefunden. Aber im allgemeinen war die Grenze seiner Eroberungen da gesteckt, wo die nationalen Eigentümlichkeiten der zahlreichen kleinasiatischen Völker herrschend waren und ihre seltsamen Sprachen noch lebten: und das ist Jahrhunderte hindurch so geblieben 1 . Das kirchliche Christentum ging den Weg der griechischen Kultur: und der war in Kleinasien weitverzweigt und bequem ausgebaut. Ephesus war der durch Paulus begründete Zentralort der christlichen Mission. V o n da ist die Botschaft ins Lykostal hinaufgetragen worden und in Phrygien eingedrungen, wo sie sich anscheinend schnell verbreitet hat. Ein zweiter Sammelpunkt christlichen Einflusses ist bald Smyrna geworden, Sardes undPergamon kennt schon die johanneische Apokalypse als christliche Städte, und noch im Laufe des zweiten Jahrhunderts finden wir Gemeinden in den Küstenstädten Byzanz, Nikomedia, Amastris, Sinope und in den Hauptstädten der Binnenlandschaften Galatia (Ankyra) und Kappadokien (Caesarea) 2 . Diese kleinasiatische Christenheit war stolz auf ihre Eigenart: nicht nur auf Paulus konnte sie sich berufen, sondern sie war durch den Evangelisten Philippus auch mit Jerusalem verbunden, und der johanneische Kreis hat die Kirche mit dem vierten Evangelium beschenkt, um das sich bald die Legende vom ephesinischen Johannes ») Holl Ges. Aufs. 2, 238—248. Mission 4 2, 732—785.

2)

Zusammenstellung bei Harnack

Das Christentum in Kleinasien. Theologie

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rankte. Es sind starke und mannigfaltige Kräfte gewesen, die sich hier regten, und die Kleinasiaten wußten das und mühten sich, die übrige Christenheit an ihrem Reichtum teilnehmen zu lassen. Wir haben bereits gesehen, wie im Osterstreit das Selbstbewußtsein dieser Kreise hart auf ähnliche Stimmungen in Rom stieß. Die Theologien des Christusproblems nahmen hier ihren Ausgang, als sie den Eroberungszug nach Rom und damit auch dem übrigen Westen antraten. Als erster wird uns ein Gerber aus Byzanz namens Theodotos genannt, der Ende des 2. Jahrhunderts nach der Reichshauptstadt übersiedelte und dort die „dynamistische" Lehre von der Einwohnung des Gottesgeistes ( = Christus) als inspirierender Kraft in dem Menschen Jesus vertrat 1 . Seine Schule baute diese Theologie mit den Hilfsmitteln der Philosophie weiter aus und hat auch nach dem Bruch des Meisters mit der Kirche noch erheblich gewirkt 2 . Wenig später erschien in Rom Noetos aus Smyrna mit der „monarchianischen" Lehre, daß Gott selbst Fleisch geworden sei und in der Gestalt Jesu Christi auf Erden gewandelt habe, gemartert und gestorben sei: der Unsichtbare sei sichtbar, der Ungeborene geboren, der Unsterbliche getötet worden 3 . In diese Paradoxa faßt er das Geheimnis der Person Jesu und hat viele Herzen und Köpfe damit gewonnen. Gleichzeitig mit Theodot ist auch Praxeas aus Kleinasien nach Rom gekommen, hat dort einige Zeit gewirkt und sich dann nach Karthago begeben, wo Tertullian eine leidenschaftliche und, wie er behauptet, siegreiche Abwehr gegen ihn eröffnete 4 . Auch ihm ist die Betonung der göttlichen Einheit das entscheidende Anliegen. „Ich und der Vater sind eins" und „wer mich sieht, der sieht den Vater"; „ich bin im Vater und der Vater in mir": das sind für ihn die entscheidenden Selbstzeugnisse Jesu5. So hat der Vater Geburt und Leiden erfahren: der allmächtige Gott selbst wird als Jesus Christus gepredigt, !) Hippol. Refut. 7, 35. Epiph. haer. 54, 1, 3. 3, 1. 5. vgl. o. S. 131. ) Hipp, bei Euseb KG 5, 28, 8—12. 3) Hippol. Refut. 10, 27, c. Noetum 1 p. 43, 10 Lagarde. 4) Tert. adv. Prax. 1. 5 ) Tert. adv. Prax. 20 Joh. 10, 30. 14, 9. 11.

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8. Kleinasien und der Montanismus

Gott hat sich selbst zu seinem Sohn gemacht, denn „ich bin Gott und ist kein Gott außer mir" spricht der Herr 1 . Es ist die scharf formulierte Absage gegen alle Logosspekulationen, die neben Gott dem Vater einen göttlichen Sohn als eigenes Wesen anerkennen wollen, es ist die Furcht der „Einfältigen" vor Polytheismus, welche zu dieser Ablehnung trinitarischer Ausdeutung der Glaubensregel treibt 2 . Und doch erkannte auch Praxeas die biblische Unterscheidung von Vater und Sohn an, nur daß er das Merkmal nicht in der Sphäre der Gottheit sucht. Für den Sohn bezeichnend ist seine Leiblichkeit, an der sich auch das Leiden vollzieht, so daß die mit dem Vater identische Gottheit nicht eigentlich leidet, sondern an dem Leiden, das den Leib trifft, teilnimmt 3 . So entgeht Praxeas dem Vorwurf, die Gottheit leidensfähig und somit „wandelbar" zu machen, was philosophisch verboten ist. Die betonten Paradoxa Noets sucht Praxeas zu vermeiden und gibt dadurch der Diskussion eine breitere Grundlage. Die unter unsern Augen in Rom und Afrika durchgekämpfte Streitfrage ist vorher schon in Kleinasien Gegenstand theologischer Erörterung gewesen, ohne daß dort eine Entscheidung gefallen wäre. Wir hören nur, daß die Presbyter von Smyrna der Einheitslehre des Noetos die in der Glaubensformel gegebene Zweiheit von Gott und Christus entgegengestellt und ihn exkommuniziert haben 4 . Eine theologische Lösung war das nicht, und der Monarchianismus blieb die volkstümliche Auffassung; wir werden seine Kraft noch in den folgenden Jahrhunderten spüren. Er wächst in immer neuen Formen aus der naiven Frömmigkeit eines sakramentalen Erlösungsglaubens hervor, der in der Menschwerdung der Gottheit die Bürgschaft künftiger Vergottung der Menschheit erblickt und sich mit allen theologischen Formeln abfindet, welche für diesen Grundgedanken Raum lassen. Wird aber der menschgewordene Christus als gesondertes Wesen !) Tert. adv. Brax. 2. 10. 20 vgl. Jes. 45, 5. 2) Tert. adv. ;Frax. 3. ) Tert. adv. Prax. 27. 4 ) Hipp. c. Noet. 1 p. 43 Lagarde, Epiph. haer. 57, 1. 3

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Praxeas. Sakramentstheologie

von Gott unterschieden, so wird dieser Glaube angetastet und ist durch keine Vermittelungsversuche zu retten. Für das naive Denken gibt es nur e i n e n Gott — dieses monotheistische Dogma steht unangreifbar fest — und dieser ist in Christus Mensch geworden. Ein göttlicher Logos neben Gott ist ein zweiter Gott, wie Justin ja auch anerkennt 1 : mit solcher Lehre ist erstens der Monotheismus zerstört, und zweitens die gradlinige Folgerichtigkeit des Vergottungsglaubens zerbrochen, der sich mit keinem Ersatz für Gott zufrieden gibt. So mußte der Monarchianismus sowohl mit der philosophisch orientierten Logoslehre der Apologeten als auch mit den aus der Glaubensregel erwachsenden Trinitätsf ormeln zusammenstoßen und um sein Daseinsrecht kämpfen: die großen Kontroversen des 4. und 5. Jahrhunderts sind hierdurch im letzten Grunde bedingt. Während im Volk die ursprünglichen Anschauungen unverändert Frömmigkeit und Denkweise beherrschen, treten die Führer in die Kampflinie der Theorien ein, welche zum theologischen Ringen und damit zur Dogmengeschichte treibt. Wie stark die Volksfrömmigkeit dieser Kleinasiaten durch den Sakramentsglauben bestimmt ist, lehrt anschaulich die berühmte Inschrift des Aberkios von Hierapolis 2 , einem phrygischen Städtchen zwischen Eumenia und Synnada •— man darf es nicht mit Hierapolis im Lykostal verwechseln. Ob dieser Aberkios Bischof war, ist nicht zu ermitteln, aber seine Identität mit dem Avircius Marcellus, dem eine in jener Gegend um 183 (oder 193?) entstandene antimontanistische Schrift gewidmet ist 3 , darf als recht wahrscheinlich bezeichnet werden. Jedenfalls gehört die Inschrift an das Ende des 2. Jahrhunderts. Aberkios hat als 72jähriger diese Grabschrift selbst verfaßt und erzählt von dem größten Ereignis seines Lebens, einer Romreise, die ihn schließlich über Syrien und Mesopotamien zurück in die Heimat geführt hat. Er redet in poeo. S. 180. 2) Bester Kommentar bei F. J. Dölger Ichthys 2, 454—507. Die heidnische Deutung der Inschrift ist nicht mehr der Erwähnung wert. 3 ) Euseb KG 5, 16, 3. Vgl. Harnack Chronologie 1, 364 bzw. Holl zu Epiphanius Bd. 2, 222. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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8. Kleinasien und der Montanismus

tischen Formen und Phrasen und freut sich an geheimnisvoller Bildlichkeit, für die er beim christlichen Leser Verständnis erwartet 1 . Er weiß sich als Schüler des heiligen Hirten, der ihn die christliche Weisheit gelehrt hat. Der hat ihn nach Rom gesandt — d. h. er ist in Sachen der Kirche dorthin geschickt worden — „um das Kaisertum zu schauen und die goldbeschuhte und goldbekleidete Königin zu sehn". Damit ist die Stadt Rom gemeint. So höflich spricht der loyale Christ der aufgeklärten Antoninenzeit: unter Domitian redete man von der babylonischen Hure auf den Sieben Hügeln 2 . Und dort sieht er das Volk mit leuchtendem Siegel, die christliche Gemeinde: aber auch in Syrien und am Euphrat findet er überall Glaubensgenossen, denn er hat als Reisegefährten Paulus mit auf dem Wagen — in Prosa: eine Handschrift der Paulusbriefe führt er als kostbares Erbauungsbuch mit sich. Der Glaube schreitet ihm voran und rüstet ihm überall das Mahl, nämlich den Fisch von der Quelle, den die heilige Jungfrau gefangen hat, das ist Wein und Brot zum Genuß für die Freunde allerorten. Es ist hier nicht die Stelle, die einzelnen Wendungen des Gedichtes auszudeuten: das Entscheidende ist sicher, nämlich daß dem Verfasser das eucharistische Mahl die weltumspannende Einheit des Christenvolkes bewirkt. Es spendet den Genießenden die göttliche Nahrung des „Fisches von der Quelle", nämlich 3 „Jesus Christus, Gottes Sohn, den Heiland". Mit dem Fisch und dem Hirten sind wir mitten in der uns vertrauten Symbolik der Zeit um 200, und die Abendmahlsbilder der römischen Sakramentskapellen 4 bestätigen, daß Aberkios völlig recht hat, wenn er die Grundbegriffe seines Glaubens bei allen Freunden als dieselben erkennt. Auch Paulus ist ihm eine überall verehrte Größe: aber für seine Frömmigkeit ist das Ausschlaggebende die Gemeinschaft in der Himmelsspeise des Sakraments. Wir werden gut tun, diese Denk- und Empfindungsweise stets im Auge zu behalten: ihre Wurzeln 2

Vers 19 „Jeder Genosse, der das versteht, bete für Aberkios." ) Offenb. 17, 3. 5. 9. 18. 3 ) o. S. 101. 4) o. S. 141.

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Aberkiosinschrift. Die neue Prophetie

treten im Glauben der paulinischen und der johanneischen Gemeinden bereits klar zu Tage und senken sich an manchen Stellen in naturreligiöse Tiefen hinab 1 . Während die Kirche in ihrer Gesamtheit sich innerlich festigte, durch Amt, Kanon und Bekenntnis Sicherungen gegen gnostische Spekulation und enthusiastische Willkür schuf und in ihrer ganzen Lebenshaltung einen Frieden mit der umgebenden Welt anstrebte, blieben die Triebkräfte der Vorzeit in der Einsamkeit kleinasiatischer Bergtäler lebendig und schufen bald nach der Mitte des zweiten Jahrhunderts die Bewegung der „Neuen Prophetie", der man in späteren Zeiten den Ketzernamen des Montanismus gegeben hat. Wir haben gesehen, wie unerwünscht das freie Walten ekstatischer Geistesträger schon von den ersten Zeiten an dem Streben nach kirchlicher Ordnung und lehrhafter Klarheit der Verkündigung entgegentrat, haben auch das Mißtrauen der Gemeinden gegen falsche Propheten und ihre Schwindelmanöver kennen gelernt. Und doch wollte und konnte die Kirche den Geist nicht „dämpfen" und war bereit, ihn anzuerkennen, wenn er sich mit einwandfreier Deutlichkeit offenbarte — nur freilich sahen alle Verantwortlichen solchen Ereignissen mit Beklemmung entgegen und waren stets geneigt, auf alle „Beweise des Geistes und der K r a f t " zugunsten einer gesunden Alltäglichkeit zu verzichten. Bischof und Prophet sind nun einmal ihrem Wesen nach Gegenspieler und müssen es sein; und daran hat sich nichts geändert bis zum heutigen Tage. So hat die katholische Kirche ihren wundervollen Organismus der Hierarchie ausgebildet, der als stets gegenwärtiger Träger und Vermittler des heiligen Geistes in der Vereinigung von Amt und Sakrament wirksam ist — und daneben sind immer aufs neue Geistesträger aus eigenem Recht aufgestanden und haben, allein oder in Bewegungen und Organisationen sich entfaltend, Anerkennung ihrer echten „Geistigkeit" erzwungen. Die eine Linie müßte eigentlich die andere ausschließen — und oft ist es auch dazu gekommen — aber das Bewußtsein der gemeins. Bd. 1, 125. 142. 237. 13*

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8. Kleinasien und der Montanismus

samen Verwurzelung im echten Urchristentum ist im großen und ganzen doch stärker gewesen als die Empfindungen des Gegensatzes der Erscheinungsform. Das erste Auflodern der alten Geistesmächtigkeit erfolgte etwa 156 in einem Dorfe Ardabau an der Grenze von Mysien und Phrvgien 1 : wir können seine Lage nicht feststellen. Da wurde ein Neugetaufter namens Montanus plötzlich vom Geist ergriffen, geriet in Ekstase und zeigte alle Erscheinungen der Glossolalie, die bald in verständliches Reden überging und den Sprecher als Propheten des heiligen Geistes offenbarte. Ihm schlössen sich zwei Frauen, Priska und Maximilla an: auch sie redeten in bewußtlosem Zustand seltsame Dinge und sprachen im Namen des göttlichen Geistes. Zweifel und Glaube rangen bei den Zuhörern miteinander, aber der Glaube siegte, und durch das phrygische Land flog die Kunde von einer neuen und nun endgültig abschließenden Offenbarung Gottes durch diese seine neuen Propheten. Man schrieb ihre Aussprüche nach und sammelte sie als heilige Urkunden, wie man die Worte der alttestamentlichen Propheten, die Reden Jesu und die Briefe seiner Apostel besaß. Wir haben noch einige Zitate aus solchen Spruchbüchern, die uns den ekstatisch-enthusiastischen Charakter dieser Prophetie deutlich erkennen lassen. Wie die Ekstatiker des Celsus 2 , so spricht auch Montanus nicht im eigenen Namen als Mensch, sondern der Gottesgeist ist der Redende 3 : „Siehe, der Mensch ist wie eine Leier und ich schlage sie wie das Plektron. Der Mensch schläft und ich wache. Siehe, der Herr ist's, der den Menschen ihre Herzen nimmt und ihnen ein anderes gibt" oder „Hier ist kein Engel und kein Bote, sondern ich der Herr, Gott Vater, bin gekommen", „ich bin der Herr, Gott der Allmächtige, in einen Menschen eingekehrt". Hier herrscht auch *) Euseb KG 5, 16, 7. Epiph. haer. 48, 1, 2. Zusammenstellung der wichtigsten Quellen bei N. Bonwetsch Texte z. Geschichte d. Montanismus (Kl. Texte 129) 1914. Ausführlicher bei P. de Labriolle Les sources de l'histoire du Montanisme 1913. 2) s. o. S. 44. 3) Epiph. haer. 48, 4, 1. 11, 9. 11, 1.

Montanus

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die monarchianische Theologie noch ganz ungebrochen und naiv, und darum kann die Inspirationsformel auch trinitarisch lauten 1 : „Ich bin der Vater und der Sohn und der Paraklet" — es gibt nur den einen allmächtigen Gott und Vater, der sich in Christus als Sohn offenbart hat und nun als der im Johannesevangelium geweissagte Paraklet 2 durch den Mund des Montanus sich kund tut: drei Namen für das eine Wesen. Dieser Enthusiasmus hat die volle Stärke urchristlichen Erlebens und empfindet die göttliche Einwohnung als unwiderstehliches Uberwältigtwerden des eigenen Menschentums. Die Prophetin Maximilla 3 muß die Weisheit des Herrn verkünden „gezwungen, mit und ohne ihren Willen"; das ist echtes Prophetentum, dem auch die bittere Klage nicht fehlt: „Ich werde verfolgt wie ein Wolf aus dem Schafstall; ich bin kein Wolf: Wort bin ich und Geist und Kraft." Es war nicht eine Wiederbelebung des allgemeinen Enthusiasmus der Urzeit, was sich hier in Phrygien abspielte. Wir hören zunächst nichts von einer ekstatischen Massenerscheinung oder um sich greifender Glossolalie, wie sie gelegentlich immer wieder im Lauf der Kirchengeschichte zu beobachten ist und noch heute in methodistischen Versammlungen aufflackert. Erst nach und nach hat die Bewegung das alte Feuer in einzelnen Gemeinden neu entzündet und neben oder nach den großen Drei auch allerlei kleine Propheten auf den Plan gerufen. Es sind ursprünglich nur drei Personen, die vom Geist ergriffen sind und als Propheten wirken, und sie sind sich ihrer Einzigartigkeit bewußt: „nach mir", sagt Maximilla 4 , „wird kein Prophet mehr kommen, sondern die Endvollendung". Diese Prophetie wollte nicht nachgeahmt, sondern als abschließende Gottesoffenbarung anerkannt werden. Was war ihr Inhalt? In erster Linie die Erwartung des baldigen Weltendes, das durch Kriege und Aufstände angekündigt wird 5 . Die schweren Kriegsnöte Mark Aurels und die ») Didymus de trin. 3, 41, 1. 2 ) s. Bd. 1, 245. 3) Epiph. haer. 48, 13,1. Euseb KG 5,16,17. 4) Epiph. haer. 48, 2, 4. Euseb KG 5,16,18.

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8. Kleinasien und der Montanismus

furchtbaren Pest jähre 1 waren wirklich dazu angetan, als Vorboten der Endzeit zu gelten und die vier apokalyptischen Reiter über der Erde schauen zu lassen 2 . Auch anderswo war um diese Zeit Weltuntergangsstimmung. In der Landschaft Pontus wurde ein Bischof von Traumgesichten heimgesucht, die ihm die Zukunft offenbarten. Er weissagte seiner Gemeinde, das Weltgericht werde binnen Jahresfrist kommen: woraufhin diese ihr Hab und Gut verschleuderte, die Äcker nicht mehr bestellte und in Furcht und Zittern unter tränenreichen Gebeten den jüngsten Tag erwartete. Und in Syrien zog ein Bischof gar mit seiner ganzen Gemeinde einschließlich der Kinder in die Wüste, dem wiederkommenden Christus entgegen: sie verirrten sich und wurden nur durch eine auch nicht gerade freundlich gemeinte Polizeistreife vor dem Hungertode gerettet». So lebten auch die „phrygischen" Propheten in Erwartung des baldigen Weltendes, und die Johannesoffenbarung (21, 1. 10) hatte ihnen das Bild der heiligen Stadt Jerusalem in die Seele geprägt, wie sie aus dem Himmel herniedersteigt auf die erneute Erde. Als Ort dieses künftigen Neuen Jerusalem wird uns Pepuza genannt —• ein Flecken, der zwischen Peltai und Dionysopolis gelegen hat. Hier ist Christus als ein leuchtendes Frauenbild der schlafenden Priska im Traum erschienen 4 , hat ihr „die Weisheit ins Herz gesenkt und ihr offenbart, dieser Ort sei heilig und hierhin werde Jerusalem aus dem Himmel herabkommen". An anderer Stelle wird uns neben Pepuza noch das benachbarte Tymion als Ort der Zukunftserwartung genannt, wohin alle Gläubigen zusammenströmen sollen, um den Herrn zu erwarten. Aber in der Folgezeit hören wir immer nur von Pepuza als heiliger Stätte, und später hat hier auch die Zentralleitung der Montanistenkirche ihren Sitz genommen 6 . Epiphanius hat gehört 6 , daß dort noch bis auf seine Zeit Männer und Frauen den Tempelschlaf übten in der Hoffnung, ») s. o. S. 4 f. 2 ) Matth. 24, 7 u. Parallelen Offenb. 6, 2—8. ») Hippolyt in Danielem 4, 18. 19. 4 ) Epiph. haer. 49, 1, 3. 48, 14, 1. 5 ) Euseb KG 5, 18, 2. Hieron. epist. 41, 3, 2. 8) Epiph. haer. 49, 1, 2. 4.

Eschatologische Stimmung

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daß auch ihnen ebenso wie der Priska Christus erscheinen werde; aber das sind schon Formen des entwickelten Montanismus, die wir uns hüten müssen, in die Frühzeit hineinzuverlegen. Aus dieser klar umrissenen „chiliastischen" Enderwartung heraus zieht die neue Prophetie nun rücksichtslos ihre Folgerungen. Die Ehe ist ein irdisches Band, das die völlige Hingabe an Gott hindert — so hatte schon Paulus in gleicher Lage gelehrt. So verlassen die Prophetinnen ihre Männer, um ganz ihrem Predigtberuf zu leben. Vielleicht haben sie ihr Beispiel zur Nachahmung empfohlen 1 , sicher von neuen Eheschließungen abgeraten, wie es jener pontische Bischof tat 2 . Möglich ist, daß Priska bereits früher asketische Neigungen hatte und mit ihrem Mann in einer „geistlichen Ehe" lebte 3 , ehe sie sich von ihm trennte: denn sie läßt sich von der Gemeinde als Jungfrau bezeichnen und betont in einem Spruch den Wert der Keuschheit für den Empfang von Offenbarungen 4 . Die ältesten Nachrichten lauten jedenfalls ganz bestimmt dahin, daß die Phryger die Ehe überhaupt untersagt hätten: erst bei Tertullian und in noch späterer Zeit wird das Verbot einer zweiten Ehe als ihre Besonderheit angegeben 5 . Daß diese asketische Stimmung der Volksauffassung entgegenkam, zeigen uns die apokryphenApostelakten jener Zeit, unter denen mindestens die Paulusakten kleinasiatischen Ursprungs sind. Da erscheint Ehelosigkeit als Zeichen echten Christentums 8 , und diese Meinung spiegelt sich im ältesten Montanismus wider. Fasten war den alten Christen eine geistliche Übung, durch die sie sich zum Empfang des wiederkommenden Herrn rüsteten: fastend standen sie „auf Wache" (Stationsfasten) 7 . Wenn die neue Prophetie dieParusieerwartung wieder belebte, so war eine Verstärkung des Fastens naheliegende Begleiterscheinung. Wir hören von Fastengesetzen, die über die kirchEuseb KG 5, 18, 2. 2 ) Hippol. in Danielem. 4, 19 p. 234, 17 Bonwetsch. 3) s. Bd. 1, 138. 4) Euseb KG 5, 18, 3 Tertullian exh. castit. 10. s ) vgl. auch Origenes de principiis 2, 7, 3 p. 151,2 Koetschau, in epist. ad Titum 5, 291 Lommatzsch. e ) o. S. 74. 79. 7 ) o. S. 129.

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8. Kleinasien und der Montanismus

liehe Gewohnheit hinausgingen, und Tertullian teilt uns die Regeln seiner Zeit und seines Landes genauer mit. Die allgemein üblichen Stationsfasten am Mittwoch und Freitag werden nicht nur bis zum frühen Nachmittag (3 Uhr), sondern bis zum Abend durchgehalten, dazu treten noch eigene Fasttage und zweimal im Jahr Abstinenzwochen (Xerophagien), in denen man sich aller saftigen Speisen, des Fleisches und Weines enthielt 1 . Diese Dinge wurden genau vorgeschrieben, weil Montanus eine Neigung zum Organisieren hatte, und dadurch fielen sie als Neuerungen den kirchlichen Kreisen noch stärker auf. Organisiert wurde auch das Spenden der Opfergaben innerhalb der Gemeinden, und die Prophetin forderte zur Ablieferung von Gold und Silber und kostbaren Kleidern auf. Es wurden besondere Verwalter zur Betreuung der gesammelten Gelder eingesetzt, und die wandernden Prediger der neuen Prophetie wurden aus der Zentralkasse unterhalten und nicht auf den doch oft sehr unsicheren guten Willen der besuchten Gemeinden angewiesen 2 . Das alles macht den Eindruck eines die ganze Bewegung durchströmenden zielbewußten Willens und hat auch nach dem Tode des Begründers fortgewirkt. Im vierten Jahrhundert finden wir bei der Sekte einen in Pepuza residierenden Patriarchen, unter ihm die „Koinonen", d. h. „Teilhaber, Gesellschafter'", deren Funktionen wir nicht erraten können, und dann an den einzelnen Orten Bischöfe mit Presbytern und Diakonen 3 . Es ist also nicht richtig, wenn man den Montanismus wesentlich als eine Reaktion der urchristlichen Geistesträger gegen das sich entfaltende Amt wertet: er hat die Gemeindeleitung durch die bekannten „Wahlämter" der Episkopen, Presbyter und Diakonen mitgemacht oder jedenfalls später angenommen, ohne darin einenAbfall von seinen Grundsätzen zu sehen. Aber es wurden auch Frauen zu diesen Ämtern zux

) Tertullian ieiun. 1. 2. 10 vgl. Hieron. epist. 41, 3. Hippolyt Elenchus 8, 19, 2. 2 ) Euseb KG 5, 18, 1—4. s ) Hieron. epist. 41, 3 vgl. Cod. Justin. 1, 5, 20, 3.

Organisation. Spätere Entwickelung

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gelassen, nachdem man in Priska und Maximilla den Beweis bekommen hatte, daß auch das weibliche Geschlecht den heiligen Geist empfangen könne: und das war der Kirche anstößig 1 . Epiphanius berichtet noch über eine Prozession von sieben weißgekleideten Jungfrauen, die feierlich mit Lichtern in den Händen die Kirche betreten, um zum Volke prophetische Bußworte zu sprechen 2 . Das wird wieder einer späteren Entwicklung angehören. Die älteste Form der phrygischen Bewegung beschränkte die Prophetie auf die drei bekannten Hauptpersonen: danach sollte keine weitere Prophetie mehr kommen, sondern das Ende anheben, auf welches der Bußruf vorbereitete. Aber die Parusie ließ auch diesmal auf sich warten, die Gegner höhnten weidlich darüber 3 — und nun setzte erst ein weiteres Wirken des Geistes in zahlreichen Männern und Frauen einzelner Gemeinden ein, welche das Erbe der Anfangszeit übernahmen und es der folgenden Generation übermittelten. Jetzt erst wird der Montanismus eine Bewegung, welche den Enthusiasmus in der Breite der urchristlichen Zeit pflegt. In diese Periode gehören die Jungfrauen, von denen Epiphanius berichtet, und die weissagende Schwester zu Karthago 4 . Es ist leicht verständlich, daß ein derartig in der künftigen Welt lebendes Christentum dem Reich dieser Welt mit betonter Ablehnung gegenüberstand: den Verfolgungen entzog sich der echte Christ dieser Gemeinden nicht durch die Flucht, sondern trat ihnen trotzig entgegen, und zuweilen trieb ihn sein Temperament zum Angriff vor. Die Märtyrerakten melden uns mehr als ein Beispiel von freiwilliger Selbsthingabe eines „Phrygiers", und Tertullian 5 bezeugt einen Prophetenspruch von herber Gewalt: „Wünscht euch nicht den Tod auf *) Epiphan. haer. 49, 2, 5 vgl. Firmilian bei Cyprian epist. 75, 10 Gallisches Schreiben bei Labriolle Sources 227, 8. 2 ) Epiphan. haer. 49, 2, 3. 3) Euseb KG 5, 19. Epiphan. haer. 48, 2, 4—7. 4 ) Epiphan. haer. 49, 2, 3. Tertullian de anima 9; vgl. auch Mart. .Polycarpi 4, Mart. Vienne bei Euseb KG 5, 1, 49 vgl. Acta Pionii 11, 2 vgl. Acta Carpi 42—44. 6) Tertullian fuga 9 anima 55.

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8. Kleinasien und der Montanismus

dem Krankenlager, im Kindbett oder am gelinden Fieber, sondern imMartyrium, zurEhre dessen, der für euch gelitten hat." Und die Gläubigen haben es sich wirklich so gewünscht. Die phrygische Prophetie hat sofort bei ihrem Beginn die Gemüter mächtig erregt. Was da vor sich ging, war in der Linie der alten Tradition, ja es konnte durchaus als die Erfüllung der im Johannesevangelium stehenden Verheißung gelten, daß ein Paraklet kommen und die Christenheit in alle Wahrheit leiten werde. Und so wollten jene Propheten ihr Wirken auch angesehen wissen, und sie fanden weithin Glauben damit. Aber in den maßgebenden Kreisen der schon fortgeschrittenen Kirche mußte man bedenklich sein. Wir haben gesehen, welche Schutzmittel man gegen Gnosis und willkürliche Phantastik inzwischen mit Mühe aufgerichtet hatte. Das organisierte und mit apostolischer Würde bekleidete Kirchenamt konnte diese mit höchsten Ansprüchen auftretende Prophetie nicht anerkennen, und der eben erst sich festigende neutestamentliche Kanon apostolischer Schriften durfte die Aufzeichnungen der neuen Propheten nicht neben sich dulden. Aber wie dem Neuen begegnen? Augenscheinlich bot ihre Predigt inhaltlich keinen greifbaren Widerspruch zu Kirchenlehre und Kanon; also war von hier aus die Ablehnung nicht möglich — wie man gegenüber der Gnosis verfahren konnte. So blieb nur der Angriff auf die Personen übrig, das heißt die Anzweiflung der Echtheit des Prophetentums auf Grund der „Prüfung des Geistes" an den Taten seiner Werkzeuge. Das ist denn auch fleißig versucht worden, und wir hören von Kommissionen 1 , die ausgeschickt werden, um die Maximilla als Betrügerin zu entlarven: aber die Anhänger haben diesen Kritikern „den Mund gestopft". Da hat man denn ihren Lebenswandel untersucht und allerlei Vorwürfe gegen sie und schließlich auch gegen ihre Anhänger zusammengetragen, bis hin zu den Geschichten vom Selbstmord des Montanus und der Maximilla und dem Todessturz ihres Gönners Theodotos ») Euseb KG 5, 16, 17. 18, 13.

Die Gegnerschaft der Kirche

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— die unser Berichterstatter selbst nicht glaubt 1 . Später hören wir dann von den Greueln schauerlicher Mysterien, bei denen das Blut eines geschlachtetenKindes eine Rolle spielt 2 . Da sind wir auf dem Boden des üblichen Ketzerklatsches. In die älteste Zeit führt uns dagegen die vom Martyrium ausgehende Kritik. Das eine Mal heißt es: ihr habt keine Märtyrer, also fehlt euch der Geist, den ihr zu besitzen vorgebt. Das andere Mal dagegen wird das Vorhandensein zahlreicher Märtyrer anerkannt, aber auf die Tatsache hingewiesen, daß die eigenen, kirchlich anerkannten Märtyrer den Verkehr mit den phrygischen Märtyrern schon im Gefängnis abgelehnt haben 3 . Da nun aber nach allgemeiner Ansicht Märtyrer im Gefängnis Geistesträger sind, so ist das negative Urteil über die gefangenen Phrygier ein autoritativer Spruch des Geistes, der die ganze Bewegung trifft. Es gab eine erhebliche Schriftstellerei gegen die neue Prophetie: der ausführliche Bericht Eusebs beruht auf mehreren Werken aus dieser Kampfeszeit, und auch Epiphanius hat noch derartige Quellen zur Verfügung. Und dieser Sturm rief zum erstenmal die Leiter der kleinasiatischen Gemeinden zu gemeinsamen Synoden 4 auf, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Malen die Mittel einer wirksamen Abwehr berieten und die Anhänger der Bewegung aus der Kirche ausschlössen. So wurde der Montanismus wider seinen Willen zur Sekte. Aber er breitete sich trotzdem gewaltig aus. In Rom merkte man ihn bald, um 200 griff er nach Afrika über, wo Tertullian sein begeisterter Anwalt wurde; aber auch in dem mit Kleinasien eng verbundenen Südgallien fand er schon in früher Zeit Freunde, und Irenaeus von Lyon 5 redet sehr ernstlich von der Sünde wider den heiligen Geist bei denen, welche die neuen Offenbarungen des Parakleten nicht anerkennen wollen. Die gallischen Gemeinden von Lyon und Vienne haben den Gemeinden von Asia und Phrygia nicht nur den bekannten Be») Euseb KG 5, 16, 13—15. 2) Epiphan. haer. 48, 14, 6 Philastrius haer. 49, 5. 3) Euseb KG 5, 16, 12. 20—22. 4 ) Euiseb KG 5, 16, 10. E ) Iren. 3, 11, 9 (2, 51 Harvey).

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8. Kleinasien und der Montanismus

rieht über die Leiden ihrer Märtyrer übersandt und ihr Urteil in Sachen des Montanismus abgegeben, sondern auch mehrere Schreiben dieser Männer beigelegt, in denen diese Autoritäten sich für den Frieden der Kirchen aussprachen: an Bischof Eleutheros von Rom war in gleichem Sinne geschrieben 1 . Das war offenbar eine durch jene synodalen Verdammnisurteile ausgelöste Vermittlungsaktion. A b e r es kam nicht zu der erstrebten Einigung. Die im Osten zutage getretenen Gegensätze brachen auch im Westen auf; Rom 2 und Karthago wurden die Mittelpunkte weiterer Montanistenkämpfe. Als im Verlauf der decianischen Verfolgung die Meinungen über die Behandlung der Gefallenen auseinandergingen, hielten es die Montanisten mit dem rücksichtslosen Radikalismus und verstärkten dadurch die Feindseligkeit gegenüber der Großkirche. Auch in Kleinasien ging der Kampf weiter, und der Bischof Firmilian von Caesarea berichtet uns nicht nur von einer neuen Prophetin, die im Jahre 236 auftrat, sondern vor allem von einer großen Synode zu Ikonium, welche sogar die Anerkennung der montanistischen Taufe ablehnte 3 . D a n n versagen die Zeugnisse. Man hat die Inschriften Kleinasiens nach den Schicksalen der Montanistengemeinden gefragt, aber die A n t w o r t ist recht dürftig ausgefallen: als wirklich montanistisch können nur wenige Inschriften angesprochen werden 4 . Epiphanius hat um 370 allerlei von noch blühenden Montanistengemeinden in Kleinasien gehört, und Hieronymus bezeugt wenig später die Fortexistenz der Sekte in ihrer alten Hochburg A n k y r a aus eigener Anschauung 5 . Ein Historiker des 5. Jahrhunderts 6 behauptet, daß sie sich zu seiner Zeit nur noch in Phrygien und seiner nächsten Umgebung gehalten haben, sonst aber ausgerottet sind. Die kaiserliche Gesetzgebung seit den Tagen Euseb KG 5, 1, 3. 3, 4. 2 ) Gaius gegen Proklos Euseb 2, 25, 6. 6, 20, 3 u. ö. 8) Firmilian bei Cyprian epist. 75, 10. 19. 4 ) W. Schepelern Der Montanismus und die phrygischen Kulte (1929) S. 81 f., Grégoire Byzantion 8 (1933) 58 ff. Die afrikanischen Inschriften geben ebenfalls nur wenig aus. 6) Epiphan. haer. 48, 14, 2 Hieron. comm. in Gal. lib. 2 praef. vgl. Euseb KG 5, 16, 4. 6) Sozomenos 2, 32, 5.

Ausgang der Bewegung

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Konstantins hat ihre Vernichtung immer aufs neue anbefohlen: der Name der „Phryger" kehrt ständig wieder in den Ketzerlisten der christlichen Staatskultgesetze 1 . Als abgetrennte Sekte sind sie nach kaum zwei Jahrhunderten untergegangen. Aber ihr Anliegen lebt in der Kirche unter andern Formen und Namen weiter: der Glaube an immer neue Offenbarungen des hl. Geistes in begnadeten Männern und Frauen, die leidenschaftliche Verachtung dieser Welt, und die völlige Hingabe an die Erwartung der Wiederkunft des Herrn. 1

) Sozomenos 2, 32, 2: Sammlung der Gesetze bei Labriolle Sources 196—203. 230—235.

G allien Schon früh im zweiten Jahrhundert muß das Christentum in den von alter griechischer Kultur belebten Küstenstrich eingedrungen sein, der von den beiden Hafenstädten Arles und Marseille beherrscht wird. Aber direkte Zeugnisse dafür fehlen uns: erst in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts beginnen die Belege, die sich dann Anfang des vierten häufen 1 . Und doch ist die Sache kaum zu bezweifeln, weil sich um 180 bereits Gemeinden im Rhonetal finden und im Jahre 177 die vorhin 2 geschilderte Christenverfolgung über die Gemeinden zu Vienne und Lyon ergeht. Vienne gehört noch zu der alten römischen Provinz der republikanischen Zeit, Lyon liegt etwa 30 Kilometer nördlich und ist durch Augustus zur Hauptstadt des von Caesar eroberten neuen Galliens gemacht worden: und der hauptstädtische Bischof lenkte auch die Kirche von Vienne 3 und vermutlich auch die kleinen Diasporagemeinden des Rhonetals 4 . Obwohl die von Italienern besiedelte Bürgerkolonie Lyon einen durchaus römischen Charakter hatte, war doch auch die keltische Bevölkerung Galliens und das griechische Element von der Rhonemündung vertreten. Das Christentum ist hier wie in Rom mit griechischer Zunge gepredigt worden, und Griechisch blieb noch lange die Sprache seiner Bildungsschicht. Unter den Märtyrern von 177 finden wir aber bereits zahlreiche lateinische Namen 5 , und Bischof Irenaeus behauptet, daß er fleißig Keltisch sprechen müsse 6 : er sagt leider nicht, ob nur im täglichen Umgang oder auch in der Predigt, etwa bei der Missionswerbung. Aber das letztere scheint doch der Fall zu sein, denn er weist bei Ge2 3 !) Harnack Mission 4 2, 872—880. ) o. S. 159 f. ) o. S. 56. 5 ) Iren. 1, 13, 7 (1, 126). ) Hirschfeld Sitz.-Ber. Akad. Berlin 1895, 386 f. Martyrol. Hieron. zum 2. Juni. 6 ) Iren, praef. (p. 1 , 6 ed. H a r v e y ) : 4

Beziehungen zu Kleinasien

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legenheit auf die Bekehrung der ungebildeten einheimischen Bevölkerung unter Kelten und Germanen hin1. Besonders enge Beziehungen bestanden zwischen der Gemeinde von Lyon und den Kleinasiaten. Es ist doch kaum Zufall, daß unter den Märtyrern nur bei zweien ausdrücklich ihre ausländische Herkunft vermerkt wird, und beide sind aus Kleinasien: Attalos aus Pergamon und der „schon seit vielen Jahren in Gallien ansässige" Arzt Alexander aus Phrygien. Dazu kommt noch der Sklave Pontikos, dessen Heimat durch seinen Namen angezeigt wird 2 . Vor allem aber ist Irenaeus, der später an die Stelle des Märtyrerbischofs Potheinos tritt, aus Smyrna gebürtig, und seine Kindheitserinnerungen verbinden ihn noch mit dem greisen Bischof Polykarp 3 . Diese persönlichen Beziehungen haben naturgemäß auch ihre geistigen Auswirkungen gehabt und den jungen Missionsgemeinden des gallischen Westens die Meinungen und Stimmungen des alten Heimatbodens des hellenistischen Christentums vermittelt. Wir haben bereits gesehen, wie die Bewegung des Montanismus in Gallien einen lebhaften Widerhall fand, und wenn der Lyoneser Märtyerbericht an dem eben erwähnten phrygischen Arzt Alexander seine Begabung mit „apostolischem Charisma" rühmend hervorhebt, so werden wir in ihm einen Träger jenes abgeleiteten montanistischen Prophetentums erkennen dürfen. Und die durchaus positive Einstellung des Irenaeus zu dem Problem der neuen Prophetie zeigt, daß es sich bei ihm nicht um eine Ausnahmeerscheinung handelt, sondern daß sein Auftreten die freudige Billigung der gesamten Gemeinde findet. Selbst die Märtyrer im Gefängnis haben an dem kirchlichen Ringen um Anerkennung des Montanismus aktiv teilgenommen und dem römischen Bischof Eleutheros ihre Meinung nicht verhehlt 4 . Der Montanismus ist das deutlichste Beispiel für die innere Verbindung Galliens mit Kleinasien; aber wer schärfer zusieht, *) Iren. 3, 4, 1 (2, 16) 1, 10, 2 (1, 92 f.). 2 ) Euseb KG 5, 1, 17. 49. 53.. ) Iren, bei Euseb KG 5, 20, 5—6. Iren. 3, 3, 4 (2, 12). ") Euseb KG 5, 3,. 4—4, 2. 3

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9. Gallien

wird auch andere Fäden entdecken, welche das Christentum beider Gegenden zusammenknüpfen. Das gilt insbesondere von der Theologie des bischöflichen Wortführers der Provinz. Irenaeus stammte, wie eben gesagt ist, aus Smyrna und mag gegen 140 geboren sein. Die Verfolgung in Lyon hat er als Presbyter dieser Gemeinde erlebt: er überbringt die Schreiben der Märtyrer in Sachen des Montanismus nach Rom. Nach seiner Rückkehr ist er dann der Nachfolger des seinen Martern erlegenen Bischofs Potheinos geworden 1 , also wohl im Jahre 178. Wir hören dann noch von seinem Auftreten im Osterstreit, wo er als Anwalt der kleinasiatischen Selbständigkeit Rom gegenübertritt 2 — dann schweigen unsere Quellen von seinen Taten und Schicksalen. Um so genauer wissen wir über seine Theologie Bescheid, denn er hat sie uns in zwei Werken dargelegt, die zwar —• ebenso wie alle übrigen Schriften des Irenaeus — im Urtext verloren, aber durch gute Übersetzungen erhalten sind. Das weitaus bedeutendere von beiden ist der „Elenchos", die „Widerlegung und Abwehr der falschen Gnosis" in fünf Büchern. Die ketzerbestreitenden Kirchenväter der nächsten Jahrhunderte haben diese Quelle fleißig ausgeschrieben und uns dadurch zahlreiche Stellen im ursprünglichen Wortlaut aufbewahrt, aber dann hat man sie im griechischen Kirchengebiet vergessen, so daß keine Handschrift des Ganzen erhalten ist. Im Westen ist das Werk mit größerer Beständigkeit geschätzt worden. Man hat es früh, vielleicht schon zu Lebzeiten des Verfassers, ins Lateinische übersetzt und diese Übersetzung immer wieder abgeschrieben, so daß uns noch heute mehr als ein Dutzend Handschriften erhalten sind. Aber auch die Armenier haben eine Ubersetzung angefertigt, von der uns die beiden letzten Bücher vorliegen; und eine armenische Übersetzung muß uns auch den verlorenen Urtext der zweiten Schrift des Irenaeus ersetzen, die dem Euseb 3 noch bekannt war und den Titel trägt „Darlegung der apostolischen ») Euseb KG 5, 4, 1—2. 8.

2

) s. o. S. 131 f.

3

) Euseb KG 5, 26.

Irenaeus: Schriften

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Verkündigung" („Epideixis"). Dies ist eine kurze und ganz in den Bahnen des Hauptwerks gehende Zusammenfassung der christlichen Lehre, vielleicht als Handbuch für katechetische Unterweisung gedacht, die uns keine neuen Gedanken vorlegt, aber an manchen Stellen glückliche Formulierungen bringt. In dem Elenchos des Irenaeus haben wir das älteste Werk kirchlicher Ketzerabwehr erhalten, da das vor ihm verfaßte „Syntagma" des Apologeten Justin verloren ist. Irenaeus widmet sein Buch einem uns sonst nicht bekannten Freunde „und all den Seinen", also wohl einem Bischof und seiner Gemeinde, als Hilfsmittel im Kampf gegen die Häretiker, damit er ihnen antworten, aber auch die Irrenden wieder zur Kirche zurückführen und die Neubekehrten im Glauben bestärken kann 1 . Wir haben also das erste umfangreiche Werk rein innerkirchlichen Schrifttums vor uns. Im ersten Buch werden die Lehren der Valentinianer und daran anschließend die anderer Gnostiker dargestellt. Mit dem zweiten Buch hebt die Widerlegung an, die sich in den folgenden Büchern immer mehr zu einer positiven Darlegung der rechten kirchlichen Lehre entwickelt. Disposition und übersichtliche Gedankenführung fehlen durchaus, und die Breite des Vortrags mit einer Fülle von Wiederholungen macht das Lesen weniger reizvoll, als das Thema verspricht. Und doch ist das Ganze um seines Inhalts willen überaus wichtig und zeigt uns zugleich, auf welcher Bildungsstufe die christlichen Kreise standen, um deren Gewinnung sich die spekulative Gnosis bemühte. Es sind dieselben Leute, welche die Schriften der Apologeten und die Traktate der Gnostiker lesen: und sie gehören einem bildungsfrohen, aber noch ungelenken Mittelstand an, der jetzt die Führung der Christenheit in die Hand nimmt. Ihnen erscheinen die geheimnisvollen Weisheitslehren der Gnostiker, die letztlich aus vertrauten Gesprächen Jesu mit Jüngern seines engsten Kreises stammen und nur für einen kleinen Kreis Auserwählter bestimmt sein wollen, als eine *) Iren. 1 praef., 5 praef. (1, 5. 2, 313). L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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9. G a l l i e n

lockende Speise. Dem gegenüber wehrt Irenaeus mit Leidenschaft all das künstliche Spekulieren und wunderliche Deuten von Bibelworten ab, und nicht selten gelingt ihm ein treffender Schuß gegen die Methodelosigkeit dieser Methode. Er ruft seine Leser zum gesunden Menschenverstand zurück und macht ihnen die ewig grundlegende Wahrheit deutlich, daß Gott unserm Wissen Grenzen gesteckt habe, und daß die Aufgabe der Wissenschaft darin bestehe, das unserem Erkenntnisvermögen freigegebene Gebiet zu erforschen. D a s sind die uns vor Augen liegenden Dinge dieser Welt und darüber hinaus die klaren und deutlichen Aussagen der heiligen Schrift. Wer sich mit freier Phantasie auf die Gleichnisse der Evangelien stürzt und sie willkürlich auslegt, kommt freilich zu blendenden Ergebnissen, die aber bei jedem Forscher wieder anders aussehen und vor dem Licht der Wahrheit verlöschen. Ausgangspunkt müssen die schlichten und eindeutigen Schriftzeugnisse sein. Diese sind zahlreich genug, um einen festen Grund aller christlichen Erkenntnis zu liefern und in die dem Christen nötige Tiefe zu führen 1 . Den gnostischen Spekulanten aber und ihrem hochmütigen Intellektualismus wird das Wort entgegengehalten, daß es besser und nützlicher ist, schlicht und ungelehrt zu sein und durch die Liebe Gott nahe zu kommen, als in gelehrtem Dünkel gotteslästerliche Wege zu gehen 2 ; und dies Wort ist in mannigfachen Abwandlungen immer wieder von Kirchenvätern und Scholastikern aufgenommen worden. Was Gott getan hat, ehe er die Welt schuf, hat er uns verborgen. Uns genügt die aus der Schrift fließende Erkenntnis, d a ß er sie geschaffen hat, und jeder Versuch, jene Frage zu beantworten, führt in törichte und lästerliche Verkehrungen des Gottesbildes 3 . Und ebensowenig vermögen wir die Ursache des Bösen in der WTelt zu erkennen: warum die einen Wesen von Gott abgefallen, die andern treu geblieben sind, hat er uns nicht mitgeteilt, und wir müssen uns darein finden. Wir ») Iren. 2, 27, 1—3 (1, 347 f.). 2, 28, 3 (1, 352 f.).

2

) Iren. 2, 26, 1 (1, 345).

3

) Iren.

Irenaeus: Quellen der Lehre

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können nun einmal Gott nicht analysieren 1 . Dagegen hat uns Gott alles, was uns zu wissen nottut, in die Hand gegeben. Seine Offenbarung liegt vor in der heiligen Schrift, in den Aussagen der Propheten, der Apostel und des Herrn selbst 2 . Der neutestamentliche Kanon des Irenaeus umfaßt außer den vier Evangelien und den Paulusbriefen auch die Apostelgeschichte, die johanneischen Briefe und die Johannesapokalypse, dazu den ersten Petrusbrief und — als einzige Ausnahme vom apostolischen Prinzip — die moderne Prophetenschrift des Hirten des Hermas 3 . Die Summe der Erkenntnis aus diesen Schriften ist zusammengefaßt in der „Glaubensregel", die als Richtschnur der Wahrheit in der ganzen Welt von der Kirche verkündigt wird 4 . Die berühmte Frage Lessings in den Axiomata 8, ob man ohne Bibel Christ sein könne, beantwortet Irenaeus mit einem deutlichen Ja, und Lessing verfehlt nicht, sich auf diesen Zeugen zu berufen. Wenn die Apostel uns nichts schriftlich hinterlassen hätten, so würde die in der Kirche fortgepflanzte Tradition genügen, um die vollständige Wahrheit den Gläubigen zu vermitteln: ringsum in der Welt bekennt man auch bei schriftlosen Völkern die Sätze der Glaubensregel 5 . Der Urquell der christlichen Verkündigung ist die Lehre der Apostel: diese ist in den neutestamentlichen Schriften zu finden, aber auch in der Tradition der Kirche. Irenaeus zitiert oft Mitteilungen der „Alten", die noch mit Aposteln verkehrt haben. Aber der breite Strom der Tradition fließt ihm in der lebendigen Überlieferung, welche durch die Amtsfolge der von den Aposteln eingesetzten Presbyter, d. h. Bischöfe, gehütet wird. Und für die Reinheit der auf diesem Wege fortgepflanztenLehre bürgt das von Gott dem bischöflichenAmtverliehene Charisma der Wahrheit 6 , das ist aber nichts anderes als der in der Kirche wirkende heilige Geist 7 . Als das vornehmste, äl2 ) Iren. 2, 27, 2. 28, 7 (1, 348. 357). >) Iren. 2, 28, 7 (1, 356 f.). ) s. o. S. 92. 94. Iren. 4, 20, 2 (2, 213). Bonwetsch Theol. d. Iren. 40. 4 ) s. o. S. 106 Iren. 1, 10, 1 u. ö. Iren. Epideixis § 6. 5 ) Iren. 3, 4, 1 (2, 15 f.) 5, 20, 1. «) Iren. 4, 26, 2 (2, 236). 7 ) Iren. 3, 24, 1 (2, 131). 3

14*

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9. G a l l i e n

teste und bekannteste Beispiel einer solchen bischöflichen Traditionsreihe führt Irenaeus die von den Aposteln Petrus und Paulus gegründete römische Kirche an: mit ihrer Lehre muß um ihres überragenden Vorrangs willen jede andere Kirche übereinstimmen — weshalb es sich erübrigt, noch weitere Sukzessionsreihen vorzuführen 1 . Dieses „muß" ist natürlich keine Rechtsvorschrift, sondern eine logische Folgerung aus der durch den hl. Geist gewährleisteten Allgemeingültigkeit des Traditionsprinzips. Fragen wir nun die Kirche nach ihrer Lehre über Gott, so erhalten wir die bekannten Aussagen des altkirchlichen Monotheismus sowohl in ihrer biblischen wie in ihrer philosophischen Formulierung: es wird auch auf die angeborene Vernunfterkenntnis des einen Gottes verwiesen 2 . Aber die Ablehnung der gnostischen Emanationstheorien macht den Irenaeus auch gegen die Logostheologie der Apologeten mißtrauisch. Er will von irgendeiner wesenhaften Sonderung des Logos oder Nus vom Vater nichts wissen: Gott ist ganz N u s und ganz Logos und ganz wirkender Geist und ganz Licht, und wer eins davon aus Gott scheidet, der macht ihn zu einem zusammengesetzten Wesen 3 . Irenaeus redet viel vom Logos und wendet diese durch die Apologeten beliebt gewordene biblische Bezeichnung gern an, aber seine Vorstellungsweise ist durch den Monarchianismus seiner Heimat bestimmt, und wenn er von der Menschwerdung des Logos spricht, kommen ihm die beliebten Paradoxa von der Sichtbarwerdung des Unsichtbaren, dem Leiden des Leidlosen und andere mehr auf die Zunge 4 . Bei den Apologeten ist vom hl. Geist nicht viel die Rede, und er scheint zuweilen mit dem Sohn zusammenzufließen 5 : der Logos ist für sie mit der alttestamentliehen Weisheit, der „Sophia", identisch. Irenaeus unterscheidet genau zwischen dem Logos, dem Sohne, und der Sophia, welche der hl. Geist ist 6 : aber beide sind nur Wirkungsformen des einen 2 ) Iren. 2, 6, 1 (1, 263 f.). 3 ) Iren. 2, 28, Iren. 3, 3, 1 (2, 9). 4—5 (1, 354 f.) ' " ) Iren. 3, 16, 6 (2, 87 f.). 5 ) s. o. S. 184 f. 6 ) Iren. 4, 20, 3 (2, 214 f.).

Irenaeus: Gotteslehre.

Erlösung

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Gottes: er nennt sie bezeichnenderweise gelegentlich 1 „die Hände des Vaters", ohne jedoch in diese Frage tiefer einzudringen, die für ihn jenseits des Wißbaren und auch jenseits des für ihn Wissenswerten liegt. Sein Denken geht von den praktischen Fragen des Christenlebens aus. Was bringt die Kirche der Menschheit? Die Erlösung. Warum ist eine Erlösung nötig? Weil die Menschen durch ihr Sündenleben dem Tod anheimfallen und vergehen, während doch ihre Sehnsucht die „Unverweslichkeit" (die Aphtharsia) ist. Aber warum erlöst Gott die Menschen? Nicht, weil er ihrer bedarf, sondern weil er ihnen Gutes erweisen will2. Darum schuf er den Adam, stattete ihn mit Leib und Seele aus und gab ihm den freien Willen, Gutes oder Böses zu tun. So hat er schon im Anfang eine Gottähnlichkeit, die ihn durch gottgefälligen Gebrauch zur Gemeinschaft mit dem Geist Gottes führen und dadurch endlich zum vollkommenen Bilde Gottes machen und mit Aphtharsia bekleiden soll3. Der Sündenfall zerstörte diesen Plan Gottes und gab Adam samt seinen Nachkommen in die Gewalt des Teufels, der nun die Menschheit mit ständigem Erfolg vom Gehorsam gegen Gottes Willen abwendet und sie dem Tod und der Verwesung überliefert. Von einernaturhaftenÜbertragungeinerErbsündigkeit ist freilich bei Irenaeus keine Rede, so wenig wie von einer Minderung der Willensfreiheit. Noch immer konnte derMensch das Gute wollen und sich zu Gott bekehren: die Mahnreden der Propheten wären ja ohne dies ganz unverständlich 4 . Und warum hätte Gott denn sonst das Gesetz gegeben? Er gab zunächst die „natürlichen Gebote", deren Befolgung den Menschen gerecht macht — das meint Irenaeus in vollem Ernst trotz Paulus! — und dem auserwählten, aber ungehorsamen Judenvolk legte er noch zur besonderen Züchtigung durch Knechtschaft das Ritualgesetz auf 5 . Genutzt hat beides nichts. Da entschloß er sich zur Erlösungstat, welche die ge') Iren. 5, 1, 3 (2, 317) 5, 6, 1 (2, 333). -) Iren. 4, 14, 1 (2, 184). ) Iren. 4, 37, 1—4 (2, 285 ff.). 38, 3—4 (296 f.). 5, 12, 2 (351). 4 ) Iren. 4, 37, 2 (2, 286 f.). 5 ) Iren. 4, 13, 1—4 (2, 180—183). 15, 1 (187).

3

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9. G a l l i e n

samte Menschheit zu retten bestimmt ist. Er knüpfte an die in Adam begonnene, aber durch den Sündenfall unterbrochene Entwicklung wieder an und sandte seinen Sohn, den Logos, als lebenspendende Kraft in die Menschheit. Aus der Jungfrau Maria, dem Gegenbild der ungehorsamen Eva, nahm er die Elemente der von Adam stammenden Menschlichkeit an, nämlich Leib und Seele, und schuf durch diese innige Verbindung von Gottheit und Menschheit die Vorbedingung unserer Erlösung 1 . Als zweiter Adam tat Christus, der Gottmensch, nun, was der erste Adam unterlassen hatte: er erfüllte Gottes Gebote als wahrer Mensch und besiegte so in allen Formen des Rechts die sündigen Verführungskünste des Teufels 8 . In seiner Person hat er unser Fleisch und Blut, unsern Leib und unsere Seele mit der erlösenden Kraft der Gottheit vereinigt und zur Unverweslichkeit geführt, wie seine Auferstehung beweist. So geht er den Adam gewiesenen Weg der Entwicklung auf Gottes Ebenbild hin zu Ende. Er wurde Mensch, damit wir Götter würden, das heißt unsterbliche Menschen nach dem Ebenbild Gottes und „Söhne Gottes", die Gott schauen und dadurch das ewige Leben haben®. Dieses in Christus einmalig vollzogene Werk der „Rekapitulation", der Wiederherstellung des alten Gottesplanes zur Seligkeit der Menschen, wird nun in der Kirche durch die Wirkung des hl. Geistes den einzelnen vermittelt. Der sterblichen Menschlichkeit reicht die Kirche in ihren Sakramenten die „Lebensmedizin", welche sie mit der Gottheit aufs innigste verbindet 4 . In der Taufe empfangen unsere Leiber die Vereinigung mit Gott, welche Unverweslichkeit bewirkt, und unsere Seelen nehmen den hl. Geist auf, der ihnen die Lebensund Wirkungskraft der Ewigkeit spendet 5 . Der Mensch hat mit Leib und Seele gesündigt, darum bedürfen beide der erl ) Iren. 3, 18, 1—2 (2, 95). 21, 10 (120). 22, 1—3 (121 ff.). 4, 38,1 2 (2, 292 f.). 5, 1, 2 f. (2, 316). 5, 14, 1—3 (2, 360—362). ) Iren. 3 , 1 8 , 6. 7 3 (2, 100 f.). 5, 21, 1—2 (2, 380—383). ) Iren. 4, 20, 4. 7 (2, 216. 219). 5, 7, 1 ( 2 , 3 3 6 f.). 4, 33, 4 (2,259). 4 , 3 8 , 4 (2, 297). 5 praef. (2, 314). 5 , 3 6 , 5 2 (2, 429). ") Iren. 3, 19, 1 (2, 102 f.). ) Iren. 3. 17, 2 (2, 93).

Irenaeus: Rekapitulation

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lösenden Vergottung, ohne die sie dem Untergang geweiht sind. Die philosophische Lehre von der naturhaften Unsterblichkeit der körperlosen Seele wird scharf abgelehnt: j e d e Unsterblichkeit eines Geschöpfes ist göttliche Gnade, und bei der engen Wechselwirkung von Leib und Seele muß die Aphtharsia auch beide miteinander erfassen 1 . Das zweite Sakrament, welches den Menschen die erlösende Wirkung der Menschwerdung Gottes vermittelt, ist das Abendmahl. Die eucharistischen Elemente Brot und Wein empfangen in der Messe den Logos Gottes und werden zu Fleisch und Blut Christi: wer davon genießt, nährt seinen Leib mit dem Fleisch und Blut des himmlischen Herrn und macht ihn dadurch zu einem Glied an Christi Leib, das nun auch an dem ewigen Leben Christi Anteil hat. Zwar wird auch des Christen Leib nach seinem Tode noch in die Erde gelegt und zerfällt dort, aber zu seiner Zeit wird er durch die ihm verliehene Kraft des göttlichen Logos auferstehen, denn im Abendmahl hat Gott dem Sterblichen die Unsterblichkeit gespendet 2 . Wer nun durch diese Sakramente ein Glied der christlichen Kirche geworden, d. h. mit Christus wunderbar vereinigt ist, dem sind seine früheren Sünden vergeben, und er vermag durch die ihm verliehene Kraft des heiligen Geistes Gott in Christus zu schauen und so am göttlichen Leben Teil zu gewinnen. Und dank dieser neugewonnenen Stärke ist er auch imstande, die „natürlichen" Gebote Gottes, wie sie sich in den 10 Geboten und ihrer Auslegung durch Christus darstellen, in voller und echter Freiheit zu erfüllen. Er ist nun ein „geistlicher Mensch" und folgt freudig seinem Vorbild Christus, seinen Lehren und Taten, in Gedanken, Worten und Werken®. Durch dies Erlösungswerk ist die „Rekapitulation" am „Ende der Zeiten", von der Paulus im Epheserbrief 1, 10 redet, Iren. 2, 34, 1—3 (1, 381—383). 3, 18, 7 (2, 100 f.). 5, 6, 1 (2, 2 333—335). 5, 8, 2 (2, 340). ) Iren. 5, 2, 2—3 (2, 319—323), 4, 18, 5 3 (2, 207 f.). ) Iren. 4, 16, 4 (2, 192). 4, 20, 4—7 (2, 216—219). 5, 1, 1 (2, 314 f.). 5, 8, 2 (2, 340) 5, 9, 2 (2, 342 f.). Epideixis 96.

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9. Gallien

zur Tatsache geworden. Stand am Anfang der Weltgeschichte der Fehlschlag in Adam, so ist nun an ihrem Ende die Wiedergutmachung und die Fortführung des so jäh unterbrochenen Gotteswerkes in Christus erfolgt. Eine erneuerte, gerechte und schon hier auf Erden gottverbundene Menschheit schreitet einer neuen Weltperiode entgegen, die nach Überwindung vieler Nöte und Kämpfe, von denen die Johannesoffenbarung zu erzählen weiß, für das tausendjährige Reich Christi auf Erden, schließlich aber für ein ewiges Leben in einem neuen Himmel und auf einer neuen Erde bestimmt ist. In ihr wird das Ziel erreicht, das Gott Adam bei seiner Erschaffung gesteckt hatte, Ebenbild Gottes zu sein und Gott zu schauen 1 . Während uns die Apologeten theologische Konstruktionen einer spekulativen Philosophie zeigen, in denen die Anschauungen eines Kreises von Gebildeten zum Ausdruck kommen, haben wir hier eine grundsätzlich entgegengesetzte Theologie vor uns.Sie geht von dem Wesen derkirchlichbestimmtenFrömmigkeit aus. Die Christenheit weiß sich als eine zum unbedingten Gehorsam gegen Gottes Willen verpflichtete Gemeinde, die, durch göttliches Wunderwirken von der Herrschaft des Teufels und der Sünde befreit, die Kraft in sich spürt, einen übermenschlichen Lebenswandel in sittlicher Reinheit durchzuführen. Das Ziel dieses neuen Lebens liegt in einem künftigen Reich der Herrlichkeit, das dem einzelnen über Tod und Grab hinaus die Unsterblichkeit und die Vollendung einer durch die Gottesschau gewirkten Seligkeit bescheren wird. Und alles Interesse der Theologen richtet sich auf die Frage, wie es zu dieser Lebensform der Erlösten hat kommen können. Die kirchlichen Sätze und Anschauungen, welche bei den Apologeten unverarbeitet bleiben und nur gelegentlich als Glaubensartikel erwähnt werden 2 , stehen hier im Vordergrund, und das Werk Christi erhält eine klare und einleuchtende Deutung. Die Grundfrage des Anselm von Canterbury, warum Gott Mensch wurde, wird gestellt und beantwortet: damit die Menschen Götter werden könnten, wie es ihrer ursprüngDie Eschatologie ausführlich Iren. 5, 26—36.

2

) s. o. S. 182—185.

Irenaeus und die Gemeindefrömmigkeit

217

liehen Bestimmung entspricht. Das ist die Antwort griechischer Frömmigkeit, und Irenaeus hat diesem Gemeinbewußtsein einen klassischen Ausdruck gegeben. Das Christentum ist die Neuschöpfung des mit freiem Willen begabten Menschengeschlechtes zur Gottähnlichkeit durch das sakramentale Wunder. Auf dieser unverrückbaren und auch da, wo sie nicht in das Gesichtsfeld tritt, stets vorhandenen Grundlage bauen sich die theologischen Systeme und dogmatischen Konstruktionen der folgenden Jahrhunderte auf, von hier aus erhalten die Kämpfe um Trinität und Christologie ihr rechtes Licht. Irenaeus will Biblizist sein, und es ist leicht zu erkennen, daß die Hauptlinien seiner Theologie von Paulus vorgezeichnet sind. Sowohl der Gegensatz von Adam und Christus, wie die Lehre von der gleichlaufenden Überwindung der Sünde in Christus und den Christen finden wir in den Briefen des Apostels 1 , und eine Fülle von Einzelausführungen beruft sich auf paulinische Worte. Aber die für Paulus entscheidende Absolutheit der Gegensätze fehlt. Die Erbsünde samt der Unmöglichkeit eigener menschlicher Gerechtigkeit, also im Grunde die paulinische Rechtfertigungslehre, findet keine Würdigung und kann sie nicht finden. Und die Kreuzestheologie samt der Lehre vom Sühnopfer Christi tritt ebenfalls in den Hintergrund und wird nur gelegentlich ornamental verwendet. Die Menschwerdung Christi, nicht sein Tod, ist die entscheidende F-rlösungstat, und der gerecht machende Glaube ist die Annahme der kirchlichen Botschaft von der Wunderkraft des Sakraments. Die Theologie des Irenaeus arbeitet freilich mit paulinischen Gedanken: aber was sie bringt, ist die Ausführung eines aus solchen Elementen entwickelten Gemeindeglaubens, der in einfacheren Formen schon in den ignatianischen Briefen erkennbar ist 2 . Hinter all diesen Erörterungen der Theologen steht der schlichte Glaube syrischer und kleinasiatischer Gemeinden, die von der Problematik der Sündenvergebung noch nicht s. Bd. 1,117—123.

2

) s. Bd. 1, 253 f. 256. 261 f.

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9. Gallien

berührt sind und ganz in dem naiven Rigorismus der Urkirche lebend die Gemeinde der Heiligen darstellen. Es ist der Ruhmestitel des Irenaeus, daß sein „System" aus dieser wurzelechten Frömmigkeit des Kirchenvolkes herausgewachsen ist. Aber die Gebildeten des Ostens machten höhere Ansprüche philosophischer Art, darum hat ihnen das Werk des Lyoneser Bischofs nicht genügt: das Abendland hat sich dankbarer erwiesen.

Afrika Gleichzeitig mit der gallischen Kirche tritt auch die Kirche Nordafrikas in das Licht der Geschichte; aber während jene nach Irenaeus sofort wieder in ein lange währendes Dunkel zurücksinkt, hat diese ein ständiges Anwachsen ihrer Bedeutung für die Gesamtkirche erfahren. In ihrer Entwicklung von Tertullian über Cyprian bis zu Augustin ist sie die Lehrerin der ganzen abendländischen Christenheit geworden. Afrika ist nicht weniger als Südgallien alter Kolonialboden. Die eingeborenen blonden und blauäugigen Berber sind von den Phöniziern niedergehalten worden, und die vorwiegend städtische Kultur dieser punischen Kolonisten ist dem römischen Schwert zum Opfer gefallen. In der römischen Provinz Afrika leben die beiden unterdrückten Rassen fort, die Punier am stärksten in dem wiederbelebten Karthago, aber auch sonst in den Kleinstädten des Landes. Die Kultur bestimmt Rom und seine Sprache. Griechisch reden und schreiben die gebildeten Kreise noch bis ins 3. Jahrhundert 1 , aber es gilt nicht im täglichen Leben, wie das Latein und das Punische. Die Inschriften geben davon ein deutliches Zeugnis. Die Provinz blühte wirtschaftlich gewaltig auf, Karthago wurde nach Rom die zweite Weltstadt des Westens, und noch heute bezeugen die zahlreichen und prächtigen Römerbauten, die über das ganze Nordafrika verstreut sind, den weiten Umfang des von der städtischen Kultur der Römer erfaßten Gebietes. Das zweite Jahrhundert ist hier ebenso wie im Osten die Zeit des größten Aufschwungs gewesen, und als die geistige Produktionskraft Italiens zu sinken begann, schickte sich Afrika an, die lateinische Literatur von sich aus neu zu befruchten. Das hat freilich nur zu dem „archaistischen" Rhetor Fronto, dem Philologen Sulpicius Apollinaris und seinem ') Griechischer Unterricht: Dessau Inscr. iat. 2937.

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10. Afrika

Schüler Gellius, sowie dem philosophisch-mystischen Romanschreiber Apuleius gelangt 1 , aber es war doch mehr, als Italien zu leisten vermochte, und die Römer gingen bei diesen Männern in die Schule. Erst das Christentum hat den Afrikanern die Kraft gegeben, Weltliteratur hervorzubringen. Wir haben keine Kunde über das Eindringen der neuen Religion in Afrika. Daß sie von Rom aus dorthin gekommen ist, darf man als wahrscheinlich annehmen; die Verbindung zwischen Rom und Karthago ist immer eng gewesen, und man hat in der afrikanischen Kirche das Bewußtsein einer gewissen Abhängigkeit von der Hauptstadt des Reiches 2 . Die ersten Sendboten werden Griechisch gesprochen haben, wie es die römische Gemeinde tat. Wir haben Zeugnisse für den Gebrauch dieser Sprache in christlichen Kreisen 3 Afrikas um 200, und Tertullian hat gelegentlich auch Griechisch geschrieben, so gut wie sein wenig älterer Landsmann Apuleius. Aber das Latein hat sich schnell in der Kirche geltend gemacht, und wir können feststellen, daß gegen Ende des zweiten Jahrhunderts Afrika bereits eine lateinische Bibel besitzt, die nicht nur das Alte, sondern auch das Neue Testament enthält: Tertullian zitiert fleißig aus ihr. Wir müssen es angesichts des trümmerhaften Zustandes der erhaltenen Reste einstweilen noch dahingestellt sein lassen, ob diese Ubersetzung vollständig war und ob sie als ein einheitliches Werk in Afrika entstanden ist. Wahrscheinlich muß diese Frage bei den einzelnen Teilen verschieden beantwortet werden, und wir haben guten Grund zu der Annahme, daß am Ausgang der Antoninenzeit auch in Rom eine lateinische Bibelübersetzung vorhanden war, die sich von ihrer afrikanischen Schwester deutlich unterschied. Und als die Jünger Marcions ihre Propaganda von Rom nach Afrika herübertrugen, brachten sie den neutestamentlichen Kanon ihres Meisters in einer eigenen lateinischen Gestalt mit4. Auf jeden Fall bezeugt die Tatsache einer ») s. o. S. 12. 2 ) Tertullian praescr. 36. 3) Acta Perpetuae 12, 2. 13, 4 vgl. griech. Ubersetzung der A c t a Perpetuae und Acta Scillitanorum. 4 ) H. v. Soden in Festgabe für Jülicher (1927) 273 f. Harnack Chronol. 2, 296.

Kultur. Lateinische Bibel.

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Ausbreitung

lateinischen Bibel Afrikas vor 200 eine sehr erhebliche Verbreitung romanisierter Christen in diesem Lande. Und wirklich ist Latein hier früher als in Rom die Kirchensprache geworden. Daran hat auch der Zuwachs punischer Elemente nichts geändert, den wir im vierten Jahrhundert feststellen können — und der doch wohl schon erheblich früher begonnen hat. Man predigte diesen Leuten in ihrer Sprache 1 , aber man schuf ihnen keine punische Bibel und keine punische Liturgie — so wenig man in Gallien den Kelten das Entsprechende bot. Und die unterworfenen Völker haben sich darein gefunden, während die Orientalen mit der Zeit überall die griechischen Fesseln gesprengt haben. Von berberischen Christen haben wir im dritten Jahrhundert nur vereinzelte Spuren und auch später nur geringe Kunde: sie waren sicherlich am weitesten von städtischer Kultur entfernt. Und die Städte waren hier wie überall die Ausgangspunkte des Christentums. Durch Tertullian erfahren wir, daß es zu seiner Zeit — also um 200 — Christen gab in Karthago und seiner Nachbarstadt Utica, dem kleinen, südlich gelegenen Utnina (heute Odna), in der Hafenstadt Hadrumetum (heute Sousse), in dem Knotenpunkt Thysdrus (El Djem), dessen mächtiges Amphitheater noch immer von der einstigen Bedeutung des Platzes Zeugnis gibt, und dem großen Garnisonort Lambaesis, der militärischen Zentrale der Landschaft Numidien, die jetzt Algerien heißt. Ein paar Orte kommen noch durch andere Zeugnisse hinzu, dann ist unser Wissen um die geographische Verbreitung des Christentums in Afrika um 200 erschöpft 2 . Es ist wenig, aber doch beträchtlich mehr, als wir aus Gallien zur selben Zeit erfahren. Die afrikanische Kirchengeschichte beginnt für uns mit dem Martyrium der Christen von Scilli, einem kleinen Ort Numidiens, dessen Lage wir nicht kennen. Sie werden am 1. August 180 von dem Proconsul in Karthago verurteilt und hingerichtet: zwei von den Namen klingen berberisch und lehTh. Zahn Gesch. d. neutest. Kanons 1, 40—42. Mission 2, 902—904.

2

) Harnack

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10. Afrika

ren uns also schon in so früher Zeit erfolgreiche Mission in der Urbevölkerung kennen. Dann tritt Tertullian auf den Plan, und die große Geschichte öffnet ihre Tore in voller Breite: der Mann ist in Konflikt mit der Kirche geraten und Montanist geworden, hat im schärfsten Kampf gegen den römischen Bischof gestanden — und doch sind seine Schriften aus allen Lebensperioden in alter Zeit fleißig gelesen worden und haben sich in mehreren Handschriften durch das Mittelalter hindurchgerettet: so mächtig hat seine Persönlichkeit gewirkt. Er war aus Karthago gebürtig und Sohn eines zur Dienstleistung bei der Regierung kommandierten Centurio 1 , hat sich als Jurist in Rom einen Namen gemacht und ist dann später nach Karthago zurückgekehrt 2 . Wann und wo er zum Christentum übergetreten ist, wissen wir nicht,nurdaßerfrüherHeidewar.istdurch seine eigenen Worte gesichert 3 . In denDigesten des Corpus juris begegnen ein paar Zitate eines Juristen Tertullian, der um die gleiche Zeit gelebt hat: es ist nicht unmöglich, daß es unser Kirchenvater ist. Hieronymus behauptet, Tertullian sei Presbyter in Karthago gewesen, und das wird auch wohl zutreffen, da seine überragende schriftstellerische Tätigkeit schwerlich im Laienstande geübt worden ist: er selbst nimmt in den erhaltenen Schriften auf seine klerikale Würde niemals Bezug. Sein Geburts- und Todesjahr sind unbekannt und kaum annähernd zu bestimmen, doch geben einige Schriften Hinweise auf ihre Entstehungszeit, die uns erlauben, seine schriftstellerische Tätigkeit etwa durch die Jahre 195—220 zu begrenzen und die Schriften leidlich der Zeit nach zu ordnen. Montanist ist er spätestens 207 geworden 4 . Tertullian ist uns nur als Schriftsteller bekannt: als handelnde Person tritt er uns nie entgegen. Aber seine Schriftstellern ist wirkliche Tat gewesen 5 . Man hat ihn den Schöpfer der lateinischen Kirchensprache genannt, und das trifft zu. Er ist der Erste, der von christ0 Hieron. vir. inl. 53. 2 ) Euseb KG 2, 2, 4 Tert. cult. fem. 1, 7. 4 ) Tert. apol. 18, 4 resurr. 59 (3, 120, 3). ) Harnack Chronol. 2r 6 256—296. ) K. Holl Ges. Aufs. 3, 1—12. 3

Tertullian

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liehen Dingen in einem freien und künstlerisch geformten Latein schreibt, und er schafft sich die religiösen und kirchlichen Bezeichnungen selbst, ohne Vorbild: seine lateinische Bibel war dafür nicht brauchbar, und er bringt das mehr als einmal zum Ausdruck. Und was er geschaffen hat, ist weithin maßgebend geblieben, ist von Cyprian übernommen und weitergeleitet und dann zum selbstverständlichen Gemeingut des Westens geworden. Er gestaltet seine Rede als Künstler, das heißt natürlich dem Geschmack seiner Zeit entsprechend, aber mit starker persönlicher Note 1 . Keine langen Perioden, kurze Sätze und Satzglieder, gern in parallelem Bau bei gegensätzlichem Inhalt, mit Wortspielen und gelegentlich klingendem Reim; gehäufte Fragen, zugespitzte Antworten im Telegrammstil, zuweilen so geschraubt im Ausdruck, daß der Sinn zum Rätsel wird. Aber immer gespannt, immer bewegt, immer geistreich. Gewiß, das ist die „asianische" Manier der griechischen Rhetoren, und aus deren Schule ist sie in Afrika eingeführt. Apuleius braucht dieselbe Weise. Aber bei Tertullian ist ein starker Einschlag vom knappen Stil des Tacitus wirksam und flößt römischen Ernst in die griechische Journalistik, und das aller Regeln und Grenzen spottende Temperament des Mannes bringt das Ganze doch zu einer einheitlichen Wirkung. Es ist das erste Mal, daß ein christlicher Autor auch formell weit über seinen Zeitgenossen steht und in eigener Sprache und Form sich als Meister beweist: man möchte gern wissen, was die heidnischen Leser dazu gesagt haben. Denn für solche schreibt er bewußt: sein Schriftchen vom Pallium, in dem er vor dem karthagischen Publikum seine griechische Philosophentracht rechtfertigt, hat nur Sinn, wenn es in die Hände eben dieses Publikums gelangen konnte. Und man darf bei Tertullian annehmen, daß auch seine apologetischen Schriften nicht bloß von Christen gelesen wurden, wie die seiner Kollegen — und wie er selbst resigniert versichert 2 . Sie boten zu viel, was den literarischen Gaumen reizte, auch inhaltlich. Zunächst einmal Gelehrsamkeit, will sagen eine drängende *) E. Norden Antike Kunstprosa 606—615.

2

) o. S. 175 A. 3.

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10. A f r i k a

Fülle von Beispielen und Belegen aus allen Wissenschaften und der Geschichte aller Zeiten und Völker. Man bekommt in der erwähnten Schrift vom Pallium eine gute Anschauung davon, was der Leser jener Zeit verlangte: da gibt es eine Betrachtung über Tunika undToga im Zusammenhang mit dem Schicksal Karthagos, über den Wechsel als Prinzip der Entwicklung in Natur und Geschichte, über Mode und Körperpflege beider Geschlechter und den Luxus der Verschwender. Natürlich schöpft Tertullian die unglaublich bunte Fülle des Stoffes aus den üblichen Nachschlagebüchern, die damals jeder Schriftsteller auszuschlachten pflegte, aber er putzt alles geschickt auf und mengt es mit den Früchten seiner eigenen scharfen Beobachtungsgabe: da wird es doch reizvoll. Als Gegenbeispiel wirken die mit verlockendem Titel ausgestatteten „Attischen Nächte" des Aulus Gellius, in denen ein trockener Schulmeister und Bibliothekar Auszüge aus selbstgelesenen Schriftstellern, aus allerhand Lexika und dichterischen Blütenlesen vorträgt: auch das ist zeitgenössische Gelehrsamkeit. Was aber jeden Leser vom ersten Augenblick an gefangen nimmt, ist das stürmische Temperament Tertullians. Vom Anfang an weiß man, was er will, und mit blendender Gedankenführung geht er auf sein Ziel los. Alle seine Werke sind Gelegenheitsschriften, alle bekämpfen einen Gegner, und alle enden mit seiner restlosen Vernichtung. Der Gegner hat stets und in vollem Umfang Unrecht: das erhärtet Tertullian Punkt für Punkt in planmäßig aufgebauter Steigerung des Beweisganges und im einzelnen mit packenden Gründen. Philosophie, schulmäßige Logik und nüchterner Alltagsverstand werden zu Hilfe gerufen, wenn sie zur Widerlegung geeignet sind; aber er kann sie auch beiseite stellen und sich auf das geschriebene Bibelwort berufen, wenn dies dem Zwecke besser dient. Er kann die Grundsätze einer gesunden Auslegung nach dem Wortverstand und dem Zusammenhang einleuchtend entwickeln und wirkungsvoll anwenden, aber er kann sie auch völlig verleugnen und mit hemmungslosen Einfällen und spielerischer Allegorie arbeiten, wenn der Gegner nur so abzuwei-

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Tertullian als Schriftsteller

sen ist. Der Zweck bestimmt allmächtig die Mittel, und der Gedanke einer objektiven Sachlichkeit liegt meilenfern. Hier redet ein Advokat, der nur das eine Ziel kennt, den Prozeß zu gewinnen; aber der mit verdoppelter Leidenschaft kämpft, weil es stets sein eigener Prozeß ist, in dem er steht. So hat er gegen Ketzer wie Valentin und Marcion gestritten, so auch den gnostisierenden Maler Hermogenes und Praxeas bekämpft, die persönlich seinen Lebenskreis unsanft berührt haben. Aber schon vorher hat er in einer eigenen Schrift 1 schön juristisch bewiesen, daß man mit Ketzern überhaupt keine sachliche Auseinandersetzung zu führen brauche, da i h n e n die Beweislast obliege. Leidenschaftlich hat er gegen die Praxis der Christenverfolger geschrieben, immer wieder nach echten Rechtsnormen und Gerechtigkeit schreiend. Ja, er bietet sogar ein Gottesgericht an 2 : Holt einen Besessenen vors Tribunal und heißt einen beliebigen Christen ihn beschwören. Sofort wird der böse Geist sich wahrheitsgemäß als Dämon zu erkennen geben. Stellt einen gotterfüllten Enthusiasten hin, der vom Opferdampf die Gottheit der Tanit oder des Eschmun in sich gesogen hat. Und wenn diese Gottheiten nicht auf den Anruf des Christen sich als Dämonen bekennen, so laßt an Ort und Stelle des frechen Christen Blut verströmen! Wie er seinen schlichten Mantel gegen die Mode verteidigt, so wettert er gegen Kleiderluxus, Schminken und Haarkünste der christlichen Damen und gegen den Schauspielbesuch, den manche als erlaubtes Vergnügen den Christen zugestehen wollten. Immer zieht er scharf und rücksichtslos die praktischen Folgerungen der klaren christlichen Grundsätze. So widmet er seiner Frau eine Schrift, in der er sie für den Fall seines Todes zu ständiger Witwenschaft verpflichtet. Eine zweite Ehe ist ihm zwar keine schlechthin verbotene Sache, aber doch ein böses Versagen im Christentum: Sünde ist die zweite Ehe, wenn man sie mit einem Heiden schließt. Bald nach 200 sprang der Montanismus nach Afrika über, *) Tert. de praescr. haer.

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) Tert. apol. 23, 4—6.

L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

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10. A f r i k a

jetzt nur noch gedämpft als enthusiastische Bewegung — die „neue Prophetie" des Parakleten war bereits zum geschriebenen Buch geworden — lebendig aber in der Strenge der altchristlich-eschatologischen Sittlichkeit. Kein Wunder, daßTertullian Montanist wurde und mit schärfster Kritik die weiche Weltförmigkeit der Kirche geißelte, die von dem neuen Geist nichts wissen wollte. Jetzt ist ihm die katholische Kirche die Gegnerin, die er mit denselben Mitteln und demselben haßerfüllten Fanatismus einer neugebackenen Orthodoxie anfällt wie einst die Ketzer. Sieht man näher zu, so sind die Streitpunkte sehr verschieden an Gewicht. Die Montanisten verschärfen die Fastenpraxis, fordern Verschleierung nicht nur der verheirateten Frauen, sondern schon der jungen Mädchen, verbieten die zweite Ehe; sie nehmen im Kampf mit dem Staat eine unnachgiebige Haltung ein und sind unerbittlich hart gegen Gefallene. Tertullian steigert die Schärfe seines Tones nicht nach der Bedeutung der Sache, sondern mit der Dauer des Kampfes, und schließlich schämt er sich nicht, die kirchlichen Agapen, die er einst vor den Heiden so fein gepriesen, mit gemeinem Schmutz zu bewerfen 1 . Milde gegen Gefallene kennt auch er, aber über ihre Gewährung entscheidet der Geistesträger, der Prophet, nicht „die Kirche als Summe von Bischöfen" und am allerwenigsten der im Gefängnis sitzende Märtyrer, von dem der katholische Tertullian das Schönste auszusagen wußte, und den er jetzt verhöhnt und niederträchtig beschimpft 2 . Seine höchste Entrüstung löst eine Entscheidung des römischen Bischofs 8 aus, der amtlich erklärt hatte, auch die Sünde der Unzucht dem Bußfertigen vergeben zu wollen: mit allen Künsten des Beweises aus der Fülle biblischer Stellen, aber auch unter Berufung auf die Autorität des Parakleten kämpft er für die altchristliche Unnachgiebigkeit gegenüber einer Kirche, die Schlimmeres geworden ist als eine Räuberhöhle 4 . !) Tert. apol. 39, 16—21. ieiun. 17 (1, 296, 25 Wissowa) vgl. pudic. 2 ) Tert. ad martyr., pudic. 22 (1, 271). ieiun. 12 22 (1, 271, 14. 17). (1, 290). 3 ) s. S. 253. 4 ) Tert. pudic. 1 (1, 220).

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Tertullian als Montanist. Seine Theologie

Bei diesem so überstark betonten Frontwechsel ist doch die einheitliche gerade Linie nicht zu verkennen. Tertullian weiß sich durch das Christentum sittlich neugeboren: an diesem Punkte erlebt er den Gegensatz gegen seine heidnische Vergangenheit täglich. Hier schlägt auch sein Herz am stärk sten bei der Verteidigung seines Glaubens gegenüber den Verfolgern, und so ist er auch sofort bereit, eine Bewegung aufzunehmen, welche eine Steigerung der Sittenstrenge als göttliche Weisung glaubhaft macht. Darum ist er aber auch stets geneigt, gegnerische Ansichten als Zeichen sittlichen Mangels einzuschätzen und anzuprangern. Ein theologisches System hat er nicht, nur einzelne Meinungen formen sich ihm im Kampf mit den Gegnern. Das Wesen des Christentums ist ihm letzten Endes die Entfaltung der in jeder Menschenseele schlummernden und im volksüblichen Sprichwort zutage tretenden religiösen Grunderkenntnis, daß es nur einen Gott gibt, der zugleich gut und gerecht ist, daß Dämonen in der Welt sind, die uns ü b l e s antun, und daß die Seele nach dem Tod weiterlebt und ein Gericht erwartet, das sie auf ewig straft oder belohnt 1 . Aber er denkt nicht daran, aus diesen Elementen nun die kirchliche Lehre zu entwickeln und ein anschauliches Verständnis der Erlösung durch Christus zu gestalten. Dazu fehlt ihm die Kraft. Er hat sich einmal darangemacht, ein theoretisches Werk „von der Seele" zu schreiben; es ist eine gelehrte und scharfsinnige Monographie geworden und darum für uns anziehend, aber doch ohne Ziel und größeren Zusammenhang: nicht einmal ein rechterGegner tritt auf, so daß eben nur der halbe Tertullian zur Geltung kommt. Darin wird denn auch von Erbsünde gesprochen 2 , aber ohne volle Klarheit und ohne Einsicht in die Konsequenzen. Im Ganzen erscheinen bei ihm die gemeinkirchlichen Lehren ohne tiefere Durchdringung, und der benutzt gern® mit einem Seitenblick auf die Gnostiker die Gelegenheit zu scharfen Ausfällen gegen ein Christentum, das mit der Philosophie !) Tert. test. anim. 1—4 (1, 134 ff.). 3 ) Tert. praescr. 7. (1, 366—369).

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) Tert. de anim. 39—41 15*

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10. Afrika

einen Bund schließen will. Aber vielleicht gerade darum findet er öfter glückliche Formulierungen. Ihm haben die spekulativen Probleme der Griechen den Kopf nicht beschwert, und so hat er, ahnungslos das Ergebnis jahrhundertelanger Kämpfe vorausnehmend, schon von der göttlichen Trinitas gesprochen — er hat das Wort als Ubersetzung von Trias geschaffen — die e i n e r Substanz und e i n e s Wesens und e i n e r Macht sei, und zugleich den Sohn und den heiligen Geist als die zweite und dritte „Person" dieser Dreiheit bezeichnet 1 . Und dabei wird doch die Logoslehre im Sinne der Apologeten gegen Praxeas verfochten und strenge Unterordnung des Sohnes unter den Vater gelehrt 2 . Mit demselben glücklichen Geschick hat er auch die Formel der späteren Orthodoxie für das Verhältnis des Göttlichen und des Menschlichen in Christus gefunden: er ist Gott und Mensch, eine Person, in der zwei Substanzen, die ihre Eigenheiten bewahren, miteinander nicht gemischt, sondern verbunden sind 3 . Er freut sich, diese Formeln vor dem Leser auszubreiten, aber sie sind ihm nicht aus innerer Notwendigkeit erwachsen und haben mit seinem religiösen Leben keine Verbindung. Sie gelten ihm als Kommentar zur Glaubensregel, haben aber keinen organischen Zusammenhang untereinander und mit den übrigen Sätzen der Kirchenlehre. Bei Tertullian ist nur der Wille ein Ganzes, seine Äußerungen bleiben Fragmente. Augustin 4 behauptet, der unstete Mann habe sich später auch mit den Montanisten überworfen und schließlich eine eigene Gemeinde um sich gesammelt: und das klingt bei seinem Charakter recht glaubwürdig. Aber das Wissen über ihn setzt aus, sobald seine Feder schweigt: so schwindet er uns um 220 aus den Augen. Um diese Zeit muß das Christentum in Afrika in mächtigem Aufschwung gewesen sein, denn um 250 sehen wir es über alle Teile der Provinz hin verbreitet und von zahlreichen !) Tert. adv. Prax. 2 (3, 229 f. Kroymann) 6 (234, 22). 11 (244,13. 16). 2 ) Tert. adv. Prax. 9 (3, 239, 24) 14, (250, 24). ») Tert. adv. Prax. 27 (3, 281, 21. 27). 4 ) August, de haeres. 86 (8, 25 b Bened.).

Tertullians Theologie.

Cyprian

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— man hat gegen 200 geschätzt 1 — Bischöfen betreut. Die Kirche wuchs aber nicht nur durch neugewonnene Heiden, auch von den abgespaltenen und ketzerischen Gemeinschaften fanden zahlreiche Mitglieder den Weg zurück 2 . Dadurch entstand die Frage nach der Gültigkeit der in einer Ketzerkirche empfangenen Taufe, und schon Tertullian hatte sie verneinend beantwortet 3 . Der karthagische Bischof Agrippinus — der erste, von dem wir zuverlässig etwas wissen —versammelte eine Synode von 70 Bischöfen, und man beschloß, rückkehrende Ketzer aufs neue zu taufen, da es außerhalb der Kirche keine echte Taufe gebe4. Nach ihm amtierte Donatus, über den wir auch nur eine Zufallsnachricht erhalten haben, nämlich daß er dem Urteil eines in Lambaesis tagenden Konzils von 90 Bischöfen zugestimmt habe: vielleicht hat er es auch geleitet 5 . Und dann erscheint in der Person Cyprians der erste große Bischof der afrikanischen Kirche. Von seiner Jugend wissen wir nichts: nur daß er nicht in christlichem Hause geboren wurde, sondern erst zum Glauben bekehrt werden mußte, sagt er uns selbst 6 . Er hat eine sorgfältige rhetorische Ausbildung genossen und ist offenbar in guten Vermögensverhältnissen herangewachsen, muß also wohl aus einer angesehenen Familie Karthagos stammen: sein Name Caecilius Cyprianus mit dem Beinamen Thascius 7 lehrt uns leider nichts Genaueres. Was ihn zum Christentum hingeführt hat, erzählt er uns in einer kleinen Schrift, die einem Freunde Donatus gewidmet ist. Der Ekel an der Sittenlosigkeit des öffentlichen und privaten Lebens seiner Zeit, in die er sich verstrickt fühlt, an den Auswüchsen des Reichtums und der Korruption der Rechtspflege, an Blutdurst und Grausamkeit hat ihm die Sehnsucht nach einer Befreiung von alledem erstehen lassen, auf deren Erfüllung er lange nicht zu hoffen wagte. Und nun hat er es erlebt, daß die Taufe ihn von dem alten Leben gelöst ') Harnack Mission 4 2, 898. 2 ) Cypr. ep. 73, 3. s ) Tert. bapt. 15. (1, 213 W.). 4 ) Cypr. ep. 71, 4. 73, 3. August, de unico bapt. 22 (p. 21 5 e Petschenig). ) Cypr. ep. 59, 10; vgl. 36, 4. ) Cypr. ep. 7, 1 ad Don. 3, 4. Hier. vir. inl. 67 stammt aus der wertlosen Vita des Pontius. 7) Cypr. ep. 66, tit. 4.

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10. Afrika

und gereinigt, ihn neu geboren und mit der Himmelsgabe des heiligen Geistes ausgerüstet hat, die ihm Kraft zu tugendhaftem Wandel ohne Sünden beschert. Und dankbar klingt sein Gebet, daß Gott ihm seine gnädige Gabe bewahren möge. Ihm ist das Christentum die sittliche Befreiung geworden. Wann er getauft ist und wie lange er dem Klerus als Diakon oder Presbyter angehört hat, wissen wir nicht, da die Angaben der alten Lebensbeschreibung schwerlich Anspruch auf historische Zuverlässigkeit machen können. Aber im Jahre 248 oder Anfang 249 ist er zum „Papst" — so heißen die Bischöfe von Rom, Karthago, Alexandria — von Karthago gewählt worden „durch die Stimme des Volkes und Gottes Urteil", aber zum Mißvergnügen einer kleinen Gruppe älterer und angesehener Presbyter, unter denen wir dem Namen Novatus begegnen 1 : daraus ist ihm viel Leid erwachsen. Noch nicht ein Jahr war er im Amt, da brach die Verfolgung des Decius aus 2 und griff sofort nach den Bischöfen der Hauptstädte. Cyprian gelang es, einen sicheren Zufluchtsort zu finden, der ihn während der ganzen Verfolgung schützte. Aber seine Abwesenheit hinderte ihn nicht, die Oberleitung der Gemeinde in der Hand zu behalten und brieflich die entscheidenden Weisungen zu geben; er empfing auch Besuche und hatte in einem gewissen Tertullus einen Vertrauensmann, der ihm über alles Wichtige nähere Kunde gab. Die Presbyter und Diakonen, welche an der Stelle des ruhmvoll gestorbenen Bischofs Fabian die römische Kirche leiteten und nach Karthago über dies Martyrium berichteten, schrieben freilich zugleich einen Brief, der ihre Verwunderung über die Flucht des karthagischen Seelenhirten deutlich zum Ausdruck brachte. Cyprian hat ihn als so beleidigend empfunden, daß er ihn zurückschickte und anfragte, ob er echt sei3. Dann aber legt er ihnen über seine Tätigkeit Rechenschaft ab, sendet ihnen als Beweis seine Briefe an die karthagische Gemeinde zu und erklärt ihnen, daß er nur aus dem Grunde 3

») Cypr. ep. 43, 1. 3. 4. 14, 1. 52, 2. vgl. 59, 6. 2 ) s. S. 164—168. ) Cypr. ep. 9, 2. Ähnlich macht es Hieronymus ep. 102.

Cyprian in der decianischen Verfolgung

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sich verborgen halte, weil seine Anwesenheit in Karthago auf die Behörden als Provokation wirken-und verstärkte Verfolgungen entfesseln würde 1 . SeinemKlerus überträgt er die Sorge für die Gemeinde, unterläßt aber nicht, auch ihn zur Vorsicht und Vermeidung jedes Aufsehens anzuweisen 2 . Insbesondere ist er um die Betreuung der Eingekerkerten besorgt, schreibt ihnen mehrfach Trost- und Ermunterungsbriefe und weist von seinem Vermögen Geld an. Also hat ihn die infolge seiner Flucht über seine Habe ausgesprochene amtliche Konfiskation doch nicht aller eigenen Mittel beraubt 3 . Aber der Bischof war doch seiner Herde noch nicht so vertraut, daß seine Autorität auch aus der Ferne alles Unheil hätte bannen können, und drohende Traumgesichte von Mißklängen und Auseinanderstreben der Gemeinde quälten ihn in seiner Verborgenheit 4 . Die Frage, welche die Römer in jenem Schreiben schon sorglich berührt hatten, forderte bald auch in Karthago Antwort: Was soll mit den Gefallenen (Lapsi) geschehen? Es waren viel zu viele, um sie einfach mit altkirchlicher Strenge verloren zu geben; die Kirche mußte ihnen Seelsorge widmen und ihnen eine Hoffnung eröffnen. Aber welche? In jenem römischen Schreiben 5 war nur im allgemeinen die Aufgabe bezeichnet, die Gefallenen zur Reue und Buße zu leiten, damit sie nicht verloren gingen, sondern von Gott Verzeihung erlangten: vielleicht würden sie dann bei einer zweiten Verhaftung den Mut zum Bekenntnis finden. Sollten sie aber in Krankheit verfallen, so sei ihnen die Kommunion zu gewähren. Diesen Standpunkt machte sich auch Cyprian zu eigen und präzisierte ihn noch schärfer: Seelsorge soll den Lapsi gewidmet werden, dagegen ist es schlechthin untersagt, irgendeine Entscheidung über die Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft zu fällen, solange die Verfolgung noch währt. Wer damit Eile hat, findet jeden Tag Gelegenheit, vor die Staatsbehörde zu treten und Märtyrer zu werden, also seinen Abfall rückgängig zu machen. Sobald Friede geworden ist, soll dann eine Synode von Cypr. ep. 8. 9. 20, 1—2; vgl. 7. 14, 1. 2 ) ep. 5. 7. 14, 2. 7; vgl. 66, 4. 4 ) ep. 11, 3—4. 5 ) ep. 8, 2—3.

3

) ep.

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Bischöfen und andern Klerikern, aber auch von Konfessoren und bewährten Laien die grundsätzlichen Entscheidungen vorschreiben und die einzelnen Fälle nach ihrer verschiedenen Schwere bewerten 1 . Nur in Todesnot soll einem Schwerkranken, der von einem Märtyrer oder Konfessor empfohlen wird, die Kommunion gewährt werden 2 . Diese klare bischöfliche Vorschrift fand aber nicht allgemeinen Beifall: der Widerstand kam von zwei Seiten. Zunächst nahmen die im Gefängnis leidenden Konfessoren es als ihr gutes und althergebrachtes Recht in Anspruch, aus Vollmacht des in ihnen wirkenden Geistes den Gefallenen Empfehlungsbriefe (Libelli pacis) auszustellen. Für diese Libelli nahmen sie höchste Autorität in Anspruch und verlangten, daß der Bischof und sein Klerus die mit einem solchen Schreiben Bedachten ohne weiteres, vor allem ohne Kirchenbuße oder sonstige Verzögerung, wieder in die kirchliche Gemeinschaft aufnähmen. Es kam noch etwas hinzu. Diese Konfessoren waren trotz ihrer Standhaftigkeit im Kampf gegen die Behörde keineswegs auch in anderen Dingen leuchtende Vorbilder christlichen Lebens, und als sie den Kerker verlassen durften, haben manche von ihnen die wiedergewonnene Freiheit übel mißbraucht. Und jene Libelli wurden nicht immer auf Grund genauer Prüfung des Falles, ja nicht einmal unter der Gewähr persönlicher Bekanntschaft ausgestellt, sondern erfolgten gelegentlich auch in der Form von Blankoanweisungen*. Während nun Cyprian diese Anmaßungen und Ungehörigkeiten höflich, aber fest zurückwies, nahmen seine alten Gegner im Presbyterkollegium die Gelegenheit zur Untergrabung der bischöflichen Autorität wahr und gaben der Forderung der Konfessoren in vollem Umfang nach: sie ließen alle Gefallenen, die einen Empfehlungsbrief von dieser Seite beibrachten, ohne Nachprüfung und ohne weitere Kirchenbuße zur Kommunion zu und legten dem Bischof nahe, dies Verfahren zu billigen 4 . Er blieb standhaft und reizte dadurch die ») ep. 17, 3.19, 2. 20, 3. 30, 5. 31, 6. 43, 3. 2 ) ep. 18.19. 20, 3. ») ep. 13, 4—5. 14, 3. 15, 3—4; de unit. 20. de laps. 20. «) ep. 14, 4. 15,1. 16, 1—3. 17,2.

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Der Streit um die Lapsi

Konfessoren zu immer neuen Anmaßungen: schließlich erteilten diese sämtlichen unter Cyprians Botmäßigkeit stehenden Lapsi einen Generalpardon und forderten den Bischof zur amtlichen Bekanntgabe dieser Tatsache an alle seine Amtsgenossen auf 1 . Cyprian setzte solcher Ungeheuerlichkeit ruhige Ablehnung entgegen. Das steigerte die Leidenschaft der Gegner. Man erklärte seine grundsätzlich abwartende Haltung und seine Forderung einer Prüfung der Einzelfälle für Nichtachtung des Ehrenrechtes der Konfessoren — was es auch wirklich war — und in einigen Städten der Provinz zwang die erregte Menge ihre Bischöfe zur Aufnahme der Gefallenen 2 . Cyprian blieb bei alledem in ständiger Fühlung mit dem römischen Presbyterkollegium, hielt es über seine Maßregeln und schriftlichen Kundgebungen auf dem Laufenden und fand in der Zustimmung der Römer eine wertvolle Rückendeckung®. Eine größere Anzahl karthagischer Konfessoren hatte nach ihrer Befreiung aus dem Gefängnis das Land verlassen und sich nach Rom geflüchtet: es bahnten sich Beziehungen zu den römischen Brüdern an, die dort noch im Gefängnis schmachteten 4 . Aber diese waren den extremen Wünschen der Karthager nicht zugänglich und hielten zur heimischen Kirchenleitung. Sie schrieben auch in diesem Sinne mahnend nach Afrika und erhielten einen warmen Dankesbrief Cyprians, den sie herzlich erwiderten 5 . Aber in Karthago war kein Halten mehr. Die opponierenden Presbyter hatten sich schon so weit von dem Gehorsam gegen Cyprian dispensiert, daß ihr Führer Novatus einen angesehenen Mann namens Felicissimus zum Diakon machte und ihm dadurch die Verwaltung der kirchlichen Unterstützungskasse in die Hände spielte. Cyprians Anweisungen für Geldspenden wurden nicht mehr beachtet, ja die Gemeinschaft mit ihm laut und vernehmlich vor den Ohren der Gemeinde aufgekündigt. Wer Unterstützungen haben wollte, mußte jetzt gegen den Bischof stehen — und viele sind der Parole gefolgt 6 . So sah es in der Gemeinde im Frühjahr ») ep. 23 vgl. 22, 2. 27, 2. 2 ) ep. 27,1—3. s ) ep. 27. 30. 35. 21. 22. 6 ) ep. 30, 4. 28. 31. «) ep. 41. 42. 43. 52, 2.

4

) ep.

234

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251 aus1, und als Cyprian nach Ostern (23. März) zurückkehrte, hatte er zwar Felicissimus und seine Anhänger feierlich exkommuniziert, fand sie aber in ungeschwächter Gegnerschaft auf dem Platze. Zur Klärung der Lage veröffentlichte Cyprian zwei Programmschriften 2 . Die erste handelt „von den Gefallenen" und legt ausführlich seine Meinung über die Verschiedenartigkeit der Fälle dar. Am schwersten belastet sind die, welche ohne äußerste Not geopfert haben, womöglich gar, um ihr Hab und Gut vor Konfiskation zu retten. Diese leichtfertig aufzunehmen ist ein Frevel gegen die klare Vorschrift des Evangeliums, und kein echter Märtyrer kann sich zur Befürwortung eines solchen hergeben. Diese freiwilligen Verleugner müssen die Folgen ihres Abfalls tragen: nur Gott selbst kann ihnen vergeben. Anders steht's mit denen, deren guter Wille durch die Macht der Martern gebrochen wurde: denen wird man Mitleid entgegenbringen und keine zu lange Bußzeit auferlegen. Gefallen sind aber auch die „Libellatici", die sich durch Bestechung ohne wirkliches Opfer eine Opferbescheinigung erkauft haben. Sie haben sich dem christenfeindlichen Gebot des Staates unterworfen und indirekt Christus verleugnet: also müssen auch sie der Buße unterworfen werden: sollten doch eigentlich sogar solche Buße leisten, die nur mit dem Gedanken des Opferns ernstlich umgegangen sind 3 . Damit war zum ersten Male klar ausgesprochen, daß Cyprian die im vollen Sinne des Wortes abtrünnig gewordenen überhaupt nicht wieder aufzunehmen gedachte: sie sollten lebenslänglich im Stande der Büßer bleiben. Nur für die minder Belasteten kam Zulassung zur Kirche in Frage. Und den Friedensbriefen der Konfessoren wurde überhaupt keine praktische Folge gegeben. Die zweite Schrift handelt „von der Einheit der katholischen Kirche" und wendet sich mit leidenschaftlicher Eindringlichkeit gegen jede Trennung und Spaltung. Und in diesem Ringen hat er die klassischen Worte geformt, die seitdem !) Datum: ep. 43, 1. 4. 7 (p. 591, 6. 593, 4. 596, 21 Härtel). 2) Hugo Koch Cvprianische Untersuchungen (Arbeiten z. Kirchengesch. Nr. 4, 1926) 79—131. 3) De lapsis 17. 13. 27 (vgl. ep. 30,3). 28.

Cyprian de lapsis und de unitate

235

durch die Jahrhunderte klingen: „Man kann Gott nicht zum Vater haben, wenn man die Kirche nicht zur Mutter hat". Außerhalb der Kirche gibt es kein Leben, kein Heil. Und diese Kirche ist eine Einheit, ausgedrückt in der Einheit des aus e i n e r apostolischen Wurzel entsprungenen Episkopats. Wer sich vom Bischof trennt, trennt sich von der Kirche, und damit von der Wahrheit und vom Heil. Das ist für einen guten Christen unmöglich. Dieser Satz gilt für jedermann, selbst für Märtyrer und Konfessoren, die auch nicht über die Versuchungen des Teufels erhaben sind und nur eine Stufe, nicht das Endziel des Heils erreicht haben: es gibt da traurige Beispiele von Rückschlägen. Kirchenspaltung ist schwerere Sünde als selbst die Verleugnung, denn sie verneint die Einheit der Kirche, die der bußfertige Lapsus anerkennt 1 . Deutlich zeichnet Cyprian in beiden Schriften seine Stellung innerhalb der kirchlichen Entwicklung. Er führt die von Ignatius vorgezeichnete Linie entschlossen weiter: Kirche und Autorität des monarchischen Bischofs sind eins, und alle Ansprüche charismatischer Heroen, hier also der Märtyrer und Konfessoren, werden ebenso unbedingt abgelehnt wie die Selbständigkeitsgelüste der Glieder des Presbyterkollegiums. Alle Höflichkeit in der Form 2 kann und darf darüber nicht hinwegtäuschen, daß Cyprian in den Presbytern nicht Kollegen, sondern Untergebene sieht. Die immer wieder in Aussicht gestellte Synode fand nun statt, wohl im Mai 251: freilich nicht als eine Zusammenkunft von Klerikern, Konfessoren und Laien, wie es bisher immer geheißen hatte, sondern als normales Konzil der afrikanischen Bischöfe 3 , und es bestätigte nach eindringlicher Erörterung in der Gefallenenfrage die Grundsätze Cyprians. Die Synode trat auch der von Cyprian verfügten Ausschließung des Felicissimus und der opponierenden Presbyter bei, und als nun gar eine römische Synode 4 den karthagischen Beschlüssen beipflichtete, de unitate 4—6. 9. 19—21; vgl. ep. 73, 21. 74,7. 2 ) Lehrreich z. B. ep. 38, 1. 3) Bericht ep. 55, 6. 17—23. 59, 9. 4 ) ep. 55, 6 Euseb KG 6,43,3—4.

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durfte Cyprian sich sagen, daß er alles erreicht hatte, was im Augenblick möglich war. Das war sicherlich eine gewaltige Stärkung seiner Autorität, aber es war nicht der Friede. Im nächsten Jahr versuchte die Opposition zunächst auf der Synode vom 15. Mai 252 einen Vorstoß, der aber schon an der Schwelle abgewiesen wurde, und wählte dann den Presbyter Fortunatus zum Gegenbischof. Die Kirchenspaltung — das „Schisma" — war vollendet. Es fanden sich auch Bischöfe, die den Fortunatus anerkannten — ihre Zahl wird auf 25 angegeben, was Cyprian heftig bestreitet — und in Karthago hatte die schismatische Bischofskirche ja ihre alte Gefolgschaft. Nun schickte Fortunatus eine Gesandtschaft nach Rom, um die Anerkennung des Bischofs Cornelius zu gewinnen 1 . Der war etwa im März 251 nach mehr als zwölfmonatiger Sedisvakanz gewählt worden 2 . Aber auch da war die Stimmung nicht einheitlich gewesen, und bald wurde ihm in der Person des bisherigen Leiters des Presbyterkollegiums 3 , Novatian, ein Gegenbischof gegenübergestellt. Cyprian hatte sich fürerst zurückgehalten, eine vorschnelle Anerkennung des Cornelius verhindert 4 und erst nach Empfang genauerer Kunde den Verkehr mit ihm aufgenommen und durch Ubersendung der Akten des Konzils bestätigen lassen 5 . Cornelius war von dieser Vorsicht wenig erbaut gewesen und hatte das deutlich zum Ausdruck gebracht: so konnte dem Fortunatus der Versuch nicht aussichtslos erscheinen, die Anerkennung des Cornelius zu erreichen. Er schickte Mitte 252 mit anderen seiner Freunde den Felicissimus als seinen Sachwalter nach Rom. Und wirklich wurde Cornelius, der zunächst großen Wert auf den Verkehr mit Cyprian gelegt hatte, mit einem Male unsicher und lieh den Einflüsterungen der karthagischen Boten sein Ohr, die bei einer Ablehnung ihrer Wünsche mit skandalösen Mitteilungen vor der Öffentlichkeit drohten. D a wurde Cyprian ernstlich böse und schrieb ihm einen Brief 6 mit ein*) ep. 59, 10—11. 14—19. 2) Harnack Chronologie 2, 351. ») vgl. Cypr. ep. 55, 5 (p. 627, 7 Härtel). ") ep. 44, 1. 45, 3. 48. H. Koch Cyprianische Untersuchungen 117—131. 6) ep. 48, 3. 55, 6. ep. 59 vgl. § 2. 3. 14.

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Schisma in Karthago

gehender Darlegung aller in Betracht kommenden Punkte. Aber im Anfang macht er dem jüngeren Kollegen klar, daß es um die Hoheit des bischöflichen Amtes geschehen sei, wenn er sich durch terroristische Drohungen einschüchtern lasse: ein Bischof müsse auch Schmähungen vertragen können. Übrigens sei die ganze klagende Gesellschaft von den zuständigen Richtern in Karthago bereits verurteilt und habe in Rom nichts zu suchen. Der Ton dieser Lektion, die er seinem „lieben Bruder" erteilte, zeigt, wie er seine Persönlichkeit einschätzte. Und es hat gewirkt. Um die gleiche Zeit agitierten in Karthago Gesandtschaften des Novatian für dessen Anerkennung. Die erste erschien bald nach der zwiespältigen römischen Wahl 251 und hatte bei Cyprian und seiner Synode kein Glück 1 . Aber es wurde trotzdem im Lande für die Anerkennung Novatians Stimmung gemacht, dessen alle Lapsi von der Buße ausschließender Rigorismus in den Kreisen der alten Montanisten Beifall finden mußte. Jedenfalls ist es gelungen, in Karthago eine Gemeinde zusammenzubringen, die den Novatian als rechtmäßigen römischen Bischof ehrte und von diesem den Presbyter Maximus zum Bischof gesetzt bekam 2 , so daß Karthago jetzt drei Bischöfe hatte: den „milden" Fortunatus, den „strengen" Maximus und den „katholischen" Cyprian. Auch bei diesen Umtrieben hat Cyprians alter Gegner Novatus eine Rolle gespielt: er ist es, der in Rom eine Anzahl Konfessoren vorübergehend auf Novatians Seite bringt und im Spätsommer 251 eine neue Gesandtschaft der Novatianer nach Karthago geleitet®. Uber die Wirkung hören wir nichts Genaueres, da Cyprian nur im Tone der Verachtung von diesen Dingen spricht und von dem ständigen Abbröckeln der gegnerischen Front berichtet 4 . Aber er hat es doch für nötig gehalten, dem Cornelius eine Namenliste des gesamten afrikanischen Episkopates zu schicken, damit er wisse, mit wem er verkehren dürfe 5 . Die Stimme der Gegenseite ist für uns nicht vernehmbar. Wir können nicht sagen, !) ep. 44. *) ep. 59,9.

2

) ep. 44,3. 55,24. 59,9.

s

) ep. 50. 52,2.

4

) ep. 59,15.

238

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wieviel Bischöfe wirklich gegen Cyprian standen, noch weniger, wie weit diese Gegensätze ins Volk gedrungen sind. Daß viel persönliche Leidenschaft mitgespielt hat, läßt sich nicht bezweifeln, aber es ist sicher auch viel Seelenangst und innere Not, viel geistliches Schwärmertum und Fanatismus dabei wirksam gewesen. Und alles zusammen hat die Einheit der afrikanischen Kirche stärker untergraben, als die Briefe Cyprians uns offen erkennen lassen. Alle diese Kämpfe seit den Tagen des Montanismus zeigen uns, daß auf diesem Boden alle Gegensätze sich leidenschaftlich vertiefen und eine innere Unrast erzeugen, aus der schließlich im vierten Jahrhundert der Donatismus erwächst. Einstweilen freilich verstand Cyprian es meisterhaft, seine Stellung zu festigen. Er hatte die Anerkennung seiner Grundsätze durchgesetzt: die aus freiem Willen Gefallenen waren auf Lebenszeit ausgeschlossen. Da zeigten sich im Frühjahr 253 die ersten Vorboten einer neuen durch Kaiser Gallus geplanten Verfolgung: und sofort begriff das Maikonzil die Zeichen der Zeit 1 . Der harte Beschluß wurde aufgehoben und allen Gefallenen, die sich der kirchlichen Zensur unterworfen hatten, die Aufnahme gewährt, um sie für den bevorstehenden Kampf zu stärken. Damit war der sachliche Gegensatz gegen die Felicissimusgruppe am entscheidenden Punkt beseitigt. Die Gefahr ging an Afrika vorüber — in Rom wurde Cornelius verbannt 2 — aber der errungene Vorteil in der Behandlung der Lapsi blieb ein Gewinn für die Kirche. Rom gegenüber hatte Cyprian mit Glück seine Autorität gewahrt, und gegen Cornelius war das nicht schwer gewesen. VonBerührungen mit seinem kaum ein Jahr amtierenden Nachfolger Lucius hören wir nichts. Im Jahre 254 wurde Stephanus römischer Papst: und da gab es einige merkwürdige Auseinandersetzungen. In den spanischen Städten Leon (in Asturien) und Merida (in Estremadura) hatte man die Bischöfe als Libellatici abgesetzt und ihnen nach allen Regeln Nachfolger erwählt. Jetzt meldete sich plötzlich der eine Sünder in Rom, ep. 57.

2

) o. S. 169.

Cyprian und Stephanus von Rom

239

beteuerte vor Stephanus seine und seines Kollegen Unschuld und erreichte eine Erklärung, daß er wieder in sein Amt einzusetzen sei. Da reisten die beiden Nachfolger mit dem nötigen Aktenmaterial nicht nach Rom, sondern nach Karthago und ließen sich dort von Cyprian und seinem Konzil ihre Rechtmäßigkeit bescheinigen. Von dem römischen Urteil hieß es in dem Synodalschreiben nur so nebenbei, Stephanus sei mit dem wahren Tatbestand nicht bekannt gewesen und deshalb getäuscht worden, was man aber nicht ihm(< sondern den listigen Betrügern zur Last legen müsse. Das Urteil wurde mit dem in der ganzen Welt und gerade auch von Cornelius anerkannten Satz begründet, daß ein gefallener Kleriker nach getaner Buße wohl als Laie wieder aufgenommen werden, aber nie wieder zu einer Stellung im Klerus gelangen könne 1 . Noch stärker tritt das Selbstbewußtsein des karthagischen Papstes bei einer andern Sache zutage. Bischof Faustinus von Lyon hatte sich im Namen der gallischen Bischöfe nach Rom und Karthago gewandt mit einer Beschwerde über Marcianus von Arles, der als strenger Novatianer den Gefallenen keine Aussicht auf Wiederaufnahme eröffnen wollte. Stephanus hatte nicht geantwortet, und Faustinus war noch einmal bei Cyprian vorstellig geworden. Da hat sich dieser hingesetzt und dem römischen Kollegen haarklein vorgeschrieben, was er nach Lyon antworten müsse. Marcianus sei abzusetzen und ein Nachfolger zu wählen — und Stephanus möge so freundlich sein, dessen Namen nach Karthago mitzuteilen 2 . Wir wissen nicht, wie die beiden Angelegenheiten ausgelaufen sind, auch nicht, was Stephanus zu der Verkehrsform seines Kollegen gesagt hat: aber bei einer dritten Frage erhalten wir über beides Bescheid. Die Rückkehr reuiger Novatianer zur katholischen Kirchengemeinschaft hatte überall die Frage auftreten lassen, ob man die in der schismatischen Kirche erteilte Taufe anerkennen sollte oder nicht. Die alte Kirchenpraxis war aus guten Gründen für Ablehnung und erneute Taufe der Rückkehren0 ep. 67, 5—6.

*) ep. 68.

240

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den. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen ließ sich aber manches für die Anerkennung der Novatianertaufe sagen: war doch der Unterschied zwischen beiden Kirchen nur ein äußerlicher ohne irgendeine Lehrdifferenz. Cyprian wurde die Frage von einem seinerBischöfevorgelegt, und er beantwortete sie ohne Zögern ablehnend. Er hatte stets die Novatianer und seine übrigen Gegner als außerhalb der Kirche stehend gebrandmarkt und von diesem Standpunkt aus den Kampf gegen sie geführt. Nun klangen seine mächtigen Worte in die Problematik der Gegenwart richtungweisend hinein: außerhalb der Kirche gibt es kein Heil, also auch keine Sakramente. Es ist eine grundsätzliche Unmöglichkeit, die Taufe Draußenstehender anzuerkennen 1 . Einige numidische Bischöfe sind im Zweifel: da läßt Cyprian auf einem Konzil im Jahre 255 diesen Grundsatz feierlich aussprechen 2 . Er bezeichnet es als völlig unbegreiflich, daß einige Kollegen anders urteilten 3 . Und da, der bedeutendste dieser Unbegreiflichen in Rom saß, so schreibt das Konzil an Stephanus und teilt ihm seinen Beschluß mit 4 „in der Erwartung, daß auch er als frommer und wahrheitsliebender Mann billigen werde, was zugleich fromm und wahr sei. Im übrigen wolle man niemandem Gewalt antun oder Vorschriften machen, sintemalen hinsichtlich der Kirchenleitung ein jeder Bischof freie Entscheidung habe und nur Gott für seine Handlungsweise Rechenschaft schuldig sei". Die Antwort des Stephanus war von unerhörter Schärfe: er wies die Afrikaner an, keine Neuerungen gegen die Tradition einzuführen und rückkehrende Häretiker nicht erneut zu taufen, da auch auf der Gegenseite die katholische Taufe anerkannt werde 5 . Das war offene Kampfansage, und Cyprian erwiderte sie mit seiner stärksten Waffe. Er versammelte am 1. September 256 eine außerordentliche Synode in Karthago, die von 87 Bischöfen besucht war. In der einleitenden Rede wies er nur auf seinen Briefwechsel mit einem afrikanischen Kollegen hin und bat die Mitglieder, nun auch ihre Meinung ») ep. 69.

2

) ep. 70.

3

) ep. 71,1.

4

) ep. 72,3.

6

) ep. 74,1.

241

Cyprian und Stephan in Rom

über die Ketzertauffrage zu sagen, „ohne damit ein Urteil über Andersdenkende fällen oder sie gar aus ihrer Gemeinschaft ausschließen zu wollen. Denn keiner von uns setzt sich zum Bischof der Bischöfe 1 oder bringt durch tyrannischen Terror seine Kollegen zu erzwungenem Gehorsam". Es war deutlich, auf wen das ging, auch wenn kein Name genannt und kein Brief verlesen wurde. Wir haben das amtliche Protokoll dieser Synode erhalten 2 : es ist ganz eindrucksvoll, wie da ein Bischof nach dem andern mit kurzer oder längerer Begründung seine Meinung im Sinne Cyprians abgibt und dieser selbst als Letzter abschließt, und es ist kein Zweifel, daß die ganze Kundgebung bis ins einzelste sorgfältig vorbereitet worden war. Inzwischen war die Sache für Stephanus eine Frage derömischen Autorität geworden, und er entschloß sich nun, die Kirchengemeinschaft mit allen Andersdenkenden aufzuheben. Die afrikanische Gesandtschaft, die ihm den Konzilsbeschluß überbringen wollte, wurde nicht nur nicht empfangen, sondern sogar ohne Quartier gelassen: sie sollte am eigenen Leibe spüren, was es hieß, von Rom exkommuniziert zu sein. Und Cyprian wurde nach 2. Kor. 11, 13 als Pseudochristus, Pseudoprophet und betrüglicher Arbeiter gescholten 3 . Aber auch die kleinasiatischen Kirchen wurden von diesem Urteil getroffen, und der kappadokische Bischof Firmilian von Caesarea schrieb einen empörten Brief über diese Anmaßung des Stephanus an Cyprian 4 . Die bei dieser Gelegenheit auflodernden theoretischen Diskussionen über die römische Autorität werden in anderem Zusammenhang zu erörtern sein. Hier genügt die Feststellung, daß zunächst alle Beteiligten in ihrer Kampfstellung blieben und Bischof Dionys von Alexandria vergeblich Vermittlungsversuche machte 5 . Da griff die Politik ein und brachte die Lösung. Kaiser Valerian erließ sein antichristliches Edikt 6 , und Stephanus starb *) Tertullian de pud. 1: episcopus episcoporum; vgl. S. 226. ) Sententiae episcoporum 87 de haer. bapt. 1, 435—461 Härtel; v. So3 ) ep. 75, 25. 4 ) ep. 75, 25. Euseb den Gött. Nachr. 1909, 247—307. KG 7 , 5 , 4 . 5) E u s e b k g 7, 4. 5, 5. «) o. S. 169.

2

I - i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

16

242

10. Afrika

am 2. August 257 den Märtyrertod. Seinem Nachfolger Xystus redete Dionys erneut zu, er möge Frieden machen 1 , und das hatte wohl mehr Aussicht auf Erfolg, denn er war nicht so stark persönlich an sein Wort gebunden wie Stephanus. Aber Genaueres wissen wir nicht. Xystus wurde am 6. August 258 in einer Katakombe erschlagen. Cyprian teilt die Tatsache als Sturmzeichen dem afrikanischen Episkopat mit, aber ohne irgend einen wärmeren Ton, der auf brüderlichen Frieden schließen ließe. Dann trat der Tod an ihn selbst heran, nicht unerwartet: seit Jahren reden seine Briefe von „diesen letzten Zeiten", deren Not in der Bibel geweissagt sei. Er erwartete das Ende. Am 30. August 257 wurde er von dem Prokonsul Paternus nach Curubis (jetzt Kurba) verbannt. Einige Zeit später durfte er zurückkehren, nur mußte er sich ständig in seiner Gartenvilla vor der Stadt aufhalten. Das tat er so lange, bis er hörte, der neuangekommene Prokonsul Galerius Maximus wolle ihn in Utica aburteilen. Da versteckte er sich, weil er nicht in Utica, sondern in Karthago bei seiner Gemeinde sterben wollte: der wundervolle Abschiedsbrief an seinen Klerus 2 spricht das ganz schlicht aus. Wie Cyprian es erwartet hatte, kam der Prokonsul nach Karthago zurück und ließ dann durch zwei Offiziere den widerspenstigen Papst verhaften und nach einem Vorort bringen. Die ganze Gemeinde strömte hinterher und wartete die Nacht hindurch vor der Tür. Am nächsten Tage, dem 14. September 258, erfolgte das Verhör und endigte nach wenigen Worten mit dem Todesurteil. „Und wir wollen mit ihm sterben", rief das Volk und geleitete ihn zum Richtplatz. Hier, auf freiem Felde, legte Cyprian seinen Mantel ab, kniete nieder und betete. Dann zog er sein Oberkleid, die weitärmelige Dalmatica, aus und stand nun im Linnenhemd, den Henker erwartend. Als der gekommen war, hieß er ihm 25 Goldstücke geben, während die Umstehenden Linnenlaken und Taschentücher zum Auffangen des kostbaren Blutes vor ihn >) Euseb KG 7, 5, 4—6. 2) ep. 81.

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Cyprians Märtyrertod

hinwarfen. Zwei Kleriker verbanden ihm die Augen — dann fiel sein Haupt. Der Leichnam wurde beiseite geschafft und in der Nacht mit Kerzen und Fackeln beigesetzt 1 . Der Papst von Afrika war Märtyrer geworden. *) Acta S. Cypriani; vgl. R. Reitzenstein Die Nachrichten über den Tod Cyprians Heidelb. SBer. 1913 Nr. 14.

16*

Rom Die Reichshauptstadt spiegelt während des zweiten Jahrhunderts die Blüte des weiten Imperiums in prachtvollen Bauten wider, die kaiserlichem Willen ihre Entstehung verdanken, und auch im beginnenden dritten Jahrhundert ist trotz aller Gefahren und wirtschaftlichen Krisen keine Verminderung der stadtrömischen Bautätigkeit zu bemerken. Das gewaltige Trajansforum, Hadrians Tempel derVenus und Roma, der Palast des Septimius Severus auf dem Palatin, die Thermen des Caracalla sind dafür heute noch eindrucksvolle Zeugen. Und mochte die Literatur auch versiegen, die bildende Kunst fand Tausende von Auftraggebern und behielt eigene Kraft, auch wenn sie in weitem Umfang handwerksmäßig und grobschlächtig wurde. Die Bevölkerung war und blieb ein buntes Gemisch aus allen Provinzen des Reiches, aber sie nahm auch in der Antoninenzeit nicht mehr zu. Die ständige Verringerung der Geburtsziffern, die Pestjahre und schließlich am wirkungsvollsten das Nachlassen der Zuwanderung aus den Provinzen ließen die Einwohnerzahl der Stadt seit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts immer schneller sinken: wenn sie um 150 noch IV4 Million betrug, so kann man sie um 200 auf eine, um 300 auf eine halbe Million ansetzen 1 . Aber Rom blieb auch so noch die Stadt der Pracht und des Luxus, in der die soziale Frage, will sagen die Aufgabe der Befriedigung der besitzlosen Massen, durch Brotverteilung und Zirkusspiele gelöst wurde. Und in ihr wuchs um die gleiche Zeit das Christentum von unscheinbaren Anfängen zur beherrschenden Macht empor. Wir haben bereits Gelegenheit gehabt, unsere geringe Kenntnis der Frühzeit dieser Gemeinde zu beklagen: nur ihre Herkunft aus der Mission des bekehrten hellenistischen Ju») Kahrstedt bei Friedländer Sittengeschichte 10 4, 21.

Stadt und Gemeinde

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dentums haben wir aus ihrem eigenen Zeugnis erschließen können1. Man hat auf vermeintliche Parallelen in der römischen Judenschaft hingewiesen und aus dieser Quelle Erkenntnisse zu schöpfen gehofft: vergeblich. Die Juden haben in Rom unter Augustus ihren Wohnsitz in Trastevere gehabt, bald danach aber auch an andern Stellen der Stadt Wohnung genommen, je nachdem es neuen Zuwanderern gefiel oder die Zugehörigkeit zu einer größeren Sklavenschaft ihnen die Behausung anwies. Die Inschriften der jüdischen Katakomben lehren uns Gemeinden in der Subura und auf dem Marsfeld kennen. Darüber hinaus werden uns noch elf weitere Bezeichnungen jüdischer Gemeinden genannt, darunter vier, die sich als Sklavengruppen vornehmer Familien bekunden. Wir finden die Toten dieser Gemeinden in leidlich übersichtlicher Ordnung auf eine Anzahl von Friedhöfen vor der Stadt verteilt. Von einer organisatorischen Zusammenfassung des hauptstädtischen Judentums ist keine Rede 2 . Dagegen erscheint die christliche Gemeinde Roms von Anfang an als Einheit. Wenn das auch für die allererste Zeit als eine Selbstverständlichkeit erscheinen mag, so haben doch bald dieselben Gründe, die bei der Judenschaft wirksam waren, auch die Christen in verschiedenen Gruppen über die Stadt hin verteilt: das ist in den Großstädten des Ostens, Antiochia und Ephesus, nicht anders gewesen. Überall bilden sich „Hausgemeinden" solcher Gruppen, die durch gemeinsamen Wohnsitz oder Beruf zusammengeschlossen werden: sogar in Jerusalem 3 war das der Fall. Aber diese kleinen Kreise erscheinen nie als selbständige Einheit, sondern stets als Teil der örtlichen Gesamtgemeinde: und deren Geschlossenheit kommt in der Leitung durch das Kollegium der Presbyter oder Episkopen, bald noch eindrucksvoller in der Führung durch den monarchischen Bischof zum Ausdruck. Diese Entwicklung fehlt im Judentum: sie ist die Folge des christlichen Kirchenbegriffs, der sich in ständigem Streben nach einer auch äußer1 ) s. Bd. 1, 200, 209. 2 ) Frey in Recherches de science religieuse 20 (1930), 295 ff. 21 (1931), 165 f. ») Apg. 2, 46.

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lieh sichtbaren Einheit auswirkt. Rom war dazu bestimmt, die Summe dieser Kräfte in sich zu vereinigen: aber es hat Jahrhunderte gedauert, bis das Ziel erreicht wurde. In Rom hat sich der Ubergang von kollegialer zu monarchischer Leitung der Gemeinde in der Mitte des zweiten Jahrhunderts vollzogen 1 : also in der Zeit, in der nach Überwindung schwerer Krisen die Grundsätze des auf apostolischer Tradition sich gründenden Frühkatholizismus siegreich durchdrangen. Um 140 war Marcion nach Rom gekommen, und es war gelungen, ihn von der Kirche abzutrennen. Zwanzig Jahre später wirkte der Gnostiker Valentin in der Stadt und mußte doch schließlich abziehen, ohne den Sieg gewonnen zu haben2. Der Apologet Justin war um diese Zeit der Theolog der Gemeinde und schrieb gegen die Ketzer3: uns ist sein Werk nicht erhalten, aber die Kirchenmänner der Folgezeit haben es fleißig ausgeschrieben. Bald nach 150 hat der Bischof Polykarp von Smyrna Rom besucht und sich mit Bischof Aniket über kirchliche Fragen verständigt. Aber es gelang ihm nicht, die Römer von der Notwendigkeit der in Kleinasien üblichen Passahfeier zu überzeugen. Aniket verwies darauf, daß seine Vorgänger das Fest nie begangen hätten, und wollte von dieser Tradition nicht weichen. Aber man war in Rom tolerant: die in Rom vorübergehend oder dauernd weilenden kleinasiatischen Christen durften von jeher ungestört ihr Passah begehen und wurden trotzdem als Glieder der römischen Abendmahlsgemeinschaft anerkannt: obwohl man ihre Feier als Judaismus hätte brandmarken und scharf ablehnen können. So hat diese Verschiedenheit im Kult auch keinen Gegensatz zwischen Aniket und Polykarp begründet, und der römisdhe Bischof hat seinen ehrwürdigen Gast an seiner Stelle beim eucharistischen Gottesdienst amtieren lassen4. Doch breitete sich die Osterfeier unaufhaltsam in der Kirche aus, und Anikets Nachfolger Soter führte sie auch in Rom ein, aber nicht in der kleinasiatischen i) s . S. 50 f. *) s. Bd. 1, 266. 309. ») Justin apol. 26, 8. Iren. 4, 6, 2; vgl. 5, 26, 2. 4 ) s. S. 129. Irenaeus bei Euseb KG 5, 24,14—17.

Gnostiker. Osterstreit

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Form, sondern, wie es meist üblich geworden war, als Auferstehungsfest am Sonntag 1 . Daraus erwuchs etwa zwanzig Jahre später doch ein Konflikt, nämlich als ein uns sonst unbekannter Blasius für die „quartodezimanische", also kleinasiatische, Passahfeier in Rom zu werben begann und sie mit biblischen Gründen verteidigte 2 : daß er der Wortführer einer dort ansässigen kleinasiatischen Gruppe war 3 , hat große innere Wahrscheinlichkeit. Jedenfalls wünschte Bischof Viktor von Rom die Frage nun zu einem Abschluß zu bringen. Er berief eine Synode nach Rom und forderte auch von allen übrigen kirchlichen Zentren den Zusammentritt von Synoden zur Entscheidung der Frage4. Wir haben bereits gehört 5 , daß alle anderen der römischen Übung beipflichteten und nur Kleinasien unter Führung des Polykrates von Ephesus bei seiner alten Meinung blieb: was dann Viktor zu einem allgemein gemißbilligten Bruch mit dieser Kirche veranlaßte. Das war in der Form zunächst kein Sieg des Viktor, aber es war sachlich ein Ereignis von größter Bedeutung. Zum erstenmal war die Einheit der katholischen Kirche in einer Summe von Synodalentscheidungen zur Darstellung gekommen, und das Ergebnis dieser Einmütigkeit stimmte mit dem überein, was die römische Kirche für richtig erklärte. Ob Viktor sich dabei auf eigene apostolische Tradition berief, ist aus den dürftigen Quellenangaben nicht ersichtlich: die Palästinenser haben es getan, und die Kleinasiaten führten dagegen ihre Apostel ins Feld6. Aber so oder so war unbestreitbar, daß Rom die ganze Sache angeregt und geleitet hatte und daß es Recht bekam. Das ist Gewinn für die Zukunft geworden. Mit dem Staat lebte man um diese Zeit in leidlichem Frieden. Die Favoritin des Kaisers Commodus, Marcia, war Christin und vermochte sogar, verurteilte Glaubensgenossen aus den Berg2 s. S. 130 f. ) Euseb KG 5, 15 Ps. Tert. adv. omnes haer. 8 (nach Hippolyt vgl. Chron. pasch, p. 12, 21—13, 7). 3) La Piana Harvard Theol. Rev. 1925, 218. *) Polykrates bei Euseb KG 5, 24, 8. 6 ) s. S. 131. e ) Euseb KG 5, 25. 5, 24, 2—3.

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werken Sardiniens zu befreien 1 . Aber in der Gemeinde selbst gab es Unruhe genug. Blasius war nicht der Einzige, der dem Bischof Viktor Schwierigkeiten machte. Euseb nennt mit ihm zusammen einen Presbyter Florinus, der gnostischen Anschauungen huldigte und den Valentinianern nahestand: Irenaeus hat gegen ihn mehrfach geschrieben 2 . Dann traten noch die kleinasiatischen Theologen auf, von denen bereits die Rede gewesen ist 3 , und die vermutlich auch in denselben Kreisen Widerhall fanden, die den Blasius gestützt hatten. Der „Dynamist" Theodot wurde von Viktor exkommuniziert, aber er hatte Anhang, und seine Schüler bildeten eine eigene Gemeinde unter einem Bischof Natalis, der sich dann freilich dem Zephyrin, Viktors Nachfolger, wieder unterwarf 4 . Nimmt man hinzu, daß schon unter Viktors Vorgänger Eleutheros der Montanismus in Rom freundliche Beurteilung fand und daß erst die Einwirkung des Praxeas einen Umschwung in der Gesinnung des Bischofs bewirkte 5 , daß später auch Noetos aus Smyrna ähnlich wie Praxeas den Römern „monarchianische" Theologie predigte", so wird deutlich, daß dieser starke kleinasiatische Einfluß Spannungen hervorrufen konnte, und daß es in gewissem Sinne für das Gemeindeleben eine „kleinasiatische Frage" gab, die bedeutend genug war, um eine Abwehr von der Stärke der Osteraktion Viktors auszulösen. Die Kleinasiaten sind es jedenfalls gewesen, die eine theologische Bewegung in der römischen Kirche hervorgerufen haben. Justin hatte die Logosch ristologie vertreten, Theodot lehrte Adoptianismus, Noet und Praxeas waren Monarchianer: die Gegensätze rührten die Gemeinde auf und zwangen den Bischof endlich, eine Entscheidung zu treffen. Die erste war rein negativ: die bereits erwähnte Exkommunikation des Theodot durch Viktor. Die Begründung erfahren wir nicht, 0 Hipp. Refut. 9, 12, 11. 4 ) Euseb K G 5, 15. 20, 1. Iren, fragm. syr. 28 (2, 457). Baumstark Z N W 1912, 306 ff. 3 ) s. S. 191. 4 ) Hippolyt bei Euseb K G 5, 28, 6. 8—12. 5 ) Tert. adv. Prax. 1 vgl. Euseb 5, 1, 2. 3, 4. 6 ) s. S. 191.

Kleinasien.

Monarchianer

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und es ist wahrscheinlich, daß sie von allem Eingehen auf das wirkliche Problem abgesehen hat und sich auf die Brandmarkung der lästerlich erscheinenden Formulierung beschränkt hat, Christus sei „ein bloßer Mensch" gewesen 1 . Wobei es unsicher bleibt, ob Theodot sich wirklich so ausgedrückt hat oder ob man ihm diese Folgerung aus seinen Lehren in den Mund legte: Analogien aus den theologischen Streitigkeiten späterer Zeit sind leicht zu finden. Die monarchianische Lehre des Noet und seines Schülers Kleomenes erschien lange Zeit unanstößig und galt als der zutreffende Ausdruck der Gemeindefrömmigkeit, bis die Vertreter der Logostheologie ihre Ansprüche anmeldeten. Deren Haupt war in Rom der gelehrte Presbyter Hippolytos, während die Gegenseite in dem Libyer Sabellios2 einen neuen und bedeutenden Vorkämpfer erhielt. Endlich entschloß sich Zephyrin, eine Entscheidung zu fällen, um dem Streit ein Ende zu machen. Er erließ eine amtliche Erklärung 3 : „Ich kenne nur einen Gott, Christus Jesus, und außer ihm keinen anderen: und der ist geboren und hat gelitten." Das war ein Bekenntnis zu dem naiven Modalismus des Gemeindeglaubens, welcher bewußt den theologischen Formulierungen des Noet oder Sabellios aus dem Wege ging und erst recht dem Hippolyt als ungenügend erscheinen mußte: der erhob Widerspruch und mußte sich dafür einen Ditheisten schelten lassen — in gewissem Sinne nicht ohne Grund 4 . Der Kampf ging weiter, und als nach Zephyrins Tode Kallist Bischof wurde, kam es zur Spaltung 8 der Gemeinde. Was den äußeren Anlaß geliefert hat, wissen wir nicht, nur das Ergebnis ist deutlich. Kallist exkommunizierte den Sabellios wegen Irrlehre und erließ selbst eine theologische Kundgebung, welche den von den Monarchianern abgelehnten Logosbegriff aufnahm und ihn mit dem Gott gleichsetzte, der Geist sei, als Vater bezeichnet werde und im Sohne sich mit ») Hipp, bei Euseb K G 5, 28, 6; vgl. Refut. 10, 23, 1. 2 ) s. Cas8 pari Quellen 3, 326. ) Hipp. Refut. 9, 11, 3. Harnack Sitzungsber. 4 Akad. Berlin 1923, 51—57. ) Hipp. Refut. 9, 11, 3. 12, 16; vgl. o. 5 S. 180 u. 193. ) Hipp. Ref. 9, 12, 15—18.

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menschlichem Wesen vereinigt habe. Natürlich fand auch diese Vermittlungstheologie keinen Anklang. Sabellios war ja nun der Krieg erklärt, aber auch Hippolyt blieb in der Opposition. Ob er sich bereits früher von der Gemeinschaft mit Kallist losgesagt hatte oder jetzt erst zugleich mit Sabellios ausschied, wissen wir nicht. Nur daß er es in diesem Zusammenhang tat, ist sicher. Er trennte sich mit dem in seinem Sinne rechtgläubigen Teil der Gemeinde von dem „Häretiker" Kallist und wurde ihr Bischof1. Den Kallist und die Seinen behandelt er als sektiererische Irrlehrer und höhnt über ihre Selbstbezeichnung als katholische Kirche: aber gelegentlich muß er doch zugeben, daß jene in der Majorität sind 8 . Es ist begreiflich, daß Hippolyt sowohl den Zephyrin als den Kallist nicht als gleichwertige Gegner achtet: beide waren Männer der kirchlichen Praxis ohne Verständnis für griechische Spekulationen, die ihnen als zwecklose und die Einheit gefährdende Spielerei erscheinen mußten. Den ersten hat Hippolyt für intellektuell, den andern, mit dem er in schärfstem Konflikt stand, für moralisch minderwertig erklärt. In seinem Ketzerbuch behandelt er auch diese stadtrömischen Kämpfe® und zeichnet darin ein Bild der Entwicklung des aus dem Sklavenstande hervorgegangenen Kallist, das im höchsten Maße abschreckend wirkt. Bankerott, Selbstmordversuch, Störung eines jüdischen Gottesdienstes, Verurteilung zu Zwangsarbeit im Bergwerk, Befreiung durch hohe Protektion sind die entscheidenden Ereignisse seines vorklerikalen Lebens. Dann macht ihn Zephyrin zum Diakon, und durch geschickte Ausnützung der Schwächen seines Bischofs gewinnt er Macht und wird sein Nachfolger. In der glücklich errungenen leitenden Stellung ruiniert er die römische Gemeinde theologisch und moralisch. Es ist kein Zweifel, daß hier der persönliche Haß dem Hippolyt die Feder geführt hat, und daß eine gerechte Beurteilung den Kallist erheblich anders werten muß. >) K. Müller Z N W 1924, 234. 2 ) Hipp. Refut. 9, 12, 19—21. 25; vgl. praef. 6. 3) Hipp. Refut. 9, 6—7. 11—12.

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Hippolyt

Hippolyt lebt in einer andern Welt als sein Gegner. Er ist von Irenaeus beeinflußt, steht aber der griechischen Denkweise viel näher als dieser und setzt die mit Justin beginnende Linie fort. Das zeigt am deutlichsten sein zum größten Teil erhaltenes Hauptwerk, die „Widerlegung aller Ketzereien", die sich nicht auf Gnostiker und verwandte Erscheinungen beschränkt, sondern eine Darstellung und Kritik der antiken Philosophenlehren vorausschickt und auch auf Astrologie und magische Künste eingeht. Der römische Osterstreit hat ihn zur Aufstellung einer Tafel für die Berechnung des Ostersonntags angeregt. Das Entscheidende ist hier der Wunsch, die Kirche in dieser wichtigen kultischen Frage von den Juden unabhängig zu machen und den Frühlingsvollmond samt dem auf ihn folgenden Sonntag nach eigenem Wissen und Können zu berechnen. Hippolyts vom Jahre 222 ausgehender 1 ^ j ä h riger Zyklus ist der erste bekannte Versuch dieser Art und — wissenschaftlich geredet — eine schwache Leistung: aber sie hat den Zeitgenossen Eindruck gemacht und Nachfolge geweckt 1 . Seine Freunde haben sie sogar so hoch geschätzt, daß sie die Tabellen neben einem Verzeichnis seiner sämtlichen Schriften auf die Rückseite seiner Porträtstatue eingraben ließen. Daß man eine solche Statue anfertigte, ist freilich ebenso seltsam, wie daß sie uns erhalten ist. Von größerer Wirkung ist seine Chronik gewesen, eine ebenso wie vermutlich die Ostertafel auf alexandrinische Vorbilder zurückgehende, ziemlich lose Zusammenstellung von Material aus der Bibel und aus gelehrten Quellen, welche im letzten Grunde auf den Nachweis ausgeht, daß gegenwärtig, d. h. im Jahre 234, erst 5738 Jahre seit Erschaffung der Welt verflossen seien2, also bis zu dem im Weltjahr 6000 zu erwartenden jüngsten Tag noch viel Zeit übrig bleibe. Eine solche Erörterung war naheliegend in einer Zeit, wo die Drangsale neuer Verfolgungen den Gedanken an das Weltende in vielen Köpfen wachriefen. Furcht und Hoffnung beleben die Parusieerwartung 3 ) E. Schwartz Ostertafeln S. 29—40. S. 196. 200 f.; vgl. S. 360—367.

2

) Ausgabe von A. Bauer

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damals wie in späteren Zeiten, ja bis in unser Jahrhundert immer wieder. Hippolyt bekämpft solch disziplinloses Denken und setzt ihm gelehrte Schriftdeutung entgegen. Schon um 204 hatte er aus Daniel den Geschichtsverlauf berechnet. Christi Geburt ins Jahr 5500 der Welt gesetzt und den jüngsten Tag auf 6000 datiert 1 . In Alexandria rechnete man ebenso. Die letzten Dinge fesseln überhaupt Hippolyts Aufmerksamkeit: darum hat er das Buch Daniel erklärt und eine Abhandlung über den Antichrist geschrieben. Das Schema von Weissagung und Erfüllung beherrscht sein theologisches Denken, und alle seine Erläuterungen biblischer Bücher wenden die Allegorie unter diesem Gesichtspunkt an. Wir haben viel davon in Bruchstücken und Ubersetzungen erhalten: sie gehören zu unseren ältesten christlichen Bibelkommentaren, aber es sind keine Zeugnisse eines hervorragenden Geistes. Ihr Verfasser stand freilich als Gelehrter zu Rom in hohem Ansehen. Origenes hat bei ihm gehört 2 , und der Kaiserin-Mutter Julia Mamaea durfte er einen Traktat über die Auferstehung 3 widmen. Aber er ist doch nur ein trockener Kompilator von bescheidenem Format und engem Denken: und das erklärt in gewissem Sinne auch sein Verhalten im römischen Kirchenstreit. Das Wertvollste seiner literarischen Hinterlassenschaft ist ein Werk, das kaum Eigenes bietet, nämlich seine Kirchenordnung. Hier gibt er in Form einer Summe von Vorschriften das Bild einer christlichen Gemeinde, wie sie sein soll: und er schreibt das nieder, um im Gegensatz zu den Willkürlichkeiten des Kallist darzulegen, was er unter apostolischer Uberlieferung versteht 4 . Er blickt rückwärts und ist uns dadurch ein wichtiger Zeuge. Aber sein Gegner blickte vorwärts und erfaßte die Bedürfnisse der lebenden Gemeinde. Was Hippolyt ihm mit Entrüstung vorwirft 5 , läßt ihn bei ruhiger Betrachtung als klugen Seelsorger erkennen. Die römische Gemeinde des beginnenden dritten JahrVgl. Bd. 1, 232. 2 ) Hieron. vir. inl. 61; vgl. Photios cod. 121. ) Hipp. Werke ed. Achelis 1, 2, 251. 4) Ed. Schwartz Pseudapost. Kirchenordnungen (Schriften d. wiss. Ges. Straßburg 6) S. 39. 5) Hipp. Refut. 9, 12, 20—26. 3

Hippolyt. Kallist

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hunderts war bereits weit in die Welt hineingewachsen. Der Montanismus hatte sie nicht tief erschüttert, weil er offenbar — anders in Afrika — keinen Ansatzpunkt fand. Der Radikalismus der urchristlichen Sittenstrenge war mit dem Wachsen der Gemeinde stillschweigend gemildert. Daß man auch nach der Taufe noch einmal — allerdings auch nur einmal — Vergebung selbst für Todsünden finden könne, hatte schon Hermas gepredigt. Jetzt proklamierte Kallist grundsätzlich das Recht des Bischofs, Todsündern (es handelt sich um Unzuchtssünder) Vergebung zu gewähren und sie wieder zur Gemeinschaft zuzulassen: selbstverständlich nach abgeleisteter Kirchenbuße. Auch Tertullian hat darüber Ach und Wehe gerufen und von übel angebrachter Nachsicht gegen Ehebrecher gesprochen 1 . Aber es ist klar, daß Kallist vor der Frage stand, ob er durch Milde die Sünder zurückführen und der kirchlichen Seelsorge erhalten oder sie durch Härte ins Heidentum zurückstoßen sollte. Und er hat den ersten Weg gewählt, der für alle Folgezeit richtungweisend geworden ist, weil er allein die Kirche aus der Enge der Weltabgeschiedenheit zur Welteroberung führte. Hippolyt spürte ganz richtig, daß es sich hier um eine grundsätzliche Frage handelte und opponierte: aber die Trag weite der Entscheidung hat Tertullian viel klarer erkannt. Er gibt die Welt verloren und rettet die kleine Schar der Auserwählten, Kallist will die Welt retten und muß sie also erziehen — und das bedingt Kompromisse. Die Kirche steht an der Wegscheide: sie tritt aus dem Zeitalter der Urkirche in das des Katholizismus. Und Kallist sorgt mit kluger Einsicht dafür, daß der Bischof ihre Schritte leitet. Wenn er auf das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen und die Arche Noah mit ihrer bunten Besatzung hinweist, um das Ideal der „Kirche der Heiligen" als unbiblisch abzuweisen, so hat er damit die Urkirche abgelehnt, aber das evangelische Bild des Jesus, der die Sünder aufsucht, in der Kirche wieder lebendig werden lassen. ») Tert. pudic. 1; S. 226.

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Ähnlich ist auch das Ehedekret des Kallist zu beurteilen. Für eine christliche Dame senatorischen Ranges war es aus mehr als einem Grunde nicht leicht, einen Mann ihres Standes zu finden. Die Ehe mit einem Freigelassenen war ihr verboten 1 , die mit einem Sklaven vollends eine juristische Unmöglichkeit: und gerade in diesen Kreisen konnte sie unschwer einem zum Lebensgefährten geeigneten Glaubensgenossen begegnen. In der Praxis kam es auch wirklich nicht selten zu solchen „Gewissensehen": und Kallist hat diese Verbindungen als christliche Ehen kirchlich anerkannt. Die abgetrennte Gemeinde des Hippolyt bestand auch unter den Nachfolgern des Kallist, Urban und Pontian, weiter. Aber im Jahre 235 kam die lange erwartete Verfolgung auch für die römische Gemeinde. Kaiser Maximin 2 verbannte die beiden Bischöfe auf die „Todesinsel" Sardinien, wo sie nicht mehr lange gelebt haben. Pontian legte am 28. September 235 sein Amt nieder, um die Wahl eines Nachfolgers zu ermöglichen. Am 21. November wurde Anteros ordiniert. Hippolyt hat anscheinend auf Einsetzung eines Nachfolgers verzichtet und für sich und seine Gemeinde Frieden mit dem andern Teil gemacht. Papst Fabian hat die Leichen des „Bischofs" Pontian und des als „Presbyter'" wieder anerkannten Hippolyt nach Rom geholt und beigesetzt. Beide sind im Gedächtnis der Kirche als Märtyrer geehrt®, aber Hippolyt als Schriftsteller ist im Abendland völlig vergessen worden. Der Osten hat seine Schriften fleißig benutzt, aber schon nach kurzer Zeit jedes Wissen von seinen persönlichen Schicksalen verloren. Rom gab um die Mitte des Jahrhunderts seine griechische Tradition auf und wurde eine lateinisch redende Gemeinde: was sollte ihr da noch die griechische Gelehrsamkeit Hippolyts? Mit Bischof Fabian setzt plötzlich eine kräftigere Betonung der hohen Stellung des römischen Bischofs durch Äußerlichkeiten ein: und damit beginnt für die Geschichtsforschung 2 ') Corp. iur. Dig. 23, 2, 16 pr. ) s. S. 64. ») Lib. pontif. 19 (p. 24 f. Mommsen) und Catal. Liberianus (ebenda). Depos. episcop. des Chronogr. v. 354 zum 13. Aug. (Kl. Texte 2 S. 4).

Fabian. Die Papstgruft. Die Stadtregionen

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eine seitdem nicht mehr unterbrochene Reihe urkundlicher Quellen zu fließen. Die Tage der Thronbesteigung werden notiert und gefeiert, eine Papstliste mit genauen Daten wird begonnen, eine gemeinsame Gruft für die entschlafenen Träger des hohen Amtes wird in dem Gemeindefriedhof der Kallistkatakombe angelegt, in der als erster der Märtyrerbischof Pontian seine Ruhestatt findet 1 . An der Organisation des Klerus hatte schon Zephyrin gearbeitet und seinen Diakon Kallist dabei herangezogen, ihn auch um die gleiche Zeit mit der Verwaltung der später nach ihm benannten Katakombe betraut 2 , die damals bereits im Gegensatz zu den meisten übrigen, im Privatbesitz befindlichen Friedhöfen Eigentum der Kirchgemeinde gewesen zu sein scheint. Fabian baute diese Anlagen des Kallist weiter aus. Vor allem aber tat er einen bedeutsamen Schritt in der Organisation des Klerus. In derWeltstadt Rom war die Armenfürsorge naturgemäß eine ebenso wichtige wie schwierige Aufgabe der Kirche, und sie wurde so wesentlich Pflicht der Diakonen, daß diesen die an anderen Orten selbstverständlichen liturgischen Funktionen mit der Zeit abgenommen werden mußten. Und während anderswo die Zahl der Diakonen nach dem Bedürfnis des Kirchenwesens beliebig wachsen konnte, blieb es in Rom bei der durch Apg. 6, 5 geheiligten Siebenzahl. Dieses Kollegium unterstand dem Bischof unmittelbar und bildete seine Verwaltungsbehörde 3 , und aus dem Kreis seiner Mitglieder wurde gerne der päpstliche Thron besetzt. Während nun bisher die Betätigung der Diakonen nicht nach Stadtteilen abgegrenzt war, teilte Fabian die Stadt in 7 Bezirke ein und setzte über jeden einen Diakon: und diese kirchlichen „Regionen", die sich übrigens mit den 14 Regionen des Augustus nicht irgendwie deckten, haben bis ins Mittelalter hinein bestanden 4 . Gleichzeitig bestimmte er, daß den 7 Diakonen 7 Männer als Adjutanten beigegeben wurden, die Subdiakone hießen und in ») s. o. S. 51. ') Hipp. Refut. 9, 12, 14. ») Vgl. die Ordinationsanweisung in Hippolyt KO 33, 2—4 (2, 103 Funk). 4) Lib. pontif. 21 nach Catal. Liber. (p. 27 Mommsen). Graffunder „Regiones" bei Pauly-Wissowa 2. Reihe 1, 485 f. Harnack Mission 2, 836—866.

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die jeweils freiwerdenden Stellen einrückten: so blieb die ununterbrochene Gleichmäßigkeit der Amtsführung gewährleistet. Wir haben aus wenig späterer Zeit eine Notiz 1 des Papstes Cornelius über den Bestand des römischen Klerus erhalten, die uns 1 Bischof, 46 Presbyter, 7 Diakone, 7 Subdiakone, 42 Akoluthen, 52 Exorzisten, Lektoren und Ostiarier — und als regelmäßige Unterstützungsempfänger über 1500 Witwen und Leidende nennt. Die Presbyter sind die eigentlichen Pfarrer, die von ihren Kirchen aus den umwohnenden Pfarrbezirk betreuen. Diese Kirchen sind vielfach aus Privatgebäuden erwachsen, die zu gottesdienstlichen Zwecken der Gemeinde überlassen, später auch durch Neubauten ersetzt wurden. Sie werden noch jahrhundertelang mit dem Namen (Titulus) des einstigen Besitzers, also des Stifters bezeichnet und heißen deshalb noch heute „Titelkirchen". Die jetzt planmäßig eingesetzten Ausgrabungen haben diese schon lange vermutete Tatsache außer Zweifel gestellt 2 . Von den gegenwärtig noch vorhandenen 25 Titelkirchen sind 18 vorkonstantinisch: so kann man auf die Vermutung kommen, daß die meisten davon schon in den Tagen des Fabian und Cornelius vorhanden waren, und daß somit 2—3 Presbyter das Pfarramt einer Kirche verwalteten. Wir begegnen nun aber in der Notiz des Cornelius auch sämtlichen „niederen" Klerusämtern (Ordines minores). Von den Subdiakonen haben wir bereits gesprochen. Die Akoluthen sind, wie ihr Name sagt, „Gefolgsleute" des Bischofs, seine „Ordonnanzen", die er zu allen möglichen Geschäften und Botengängen verwendet 3 . Die Exorzisten sind noch ein Rest alten Charismatikertums: nämlich solche Gemeindeglieder, denen die Gabe der Dämonenbeschwörung verliehen ist; Tertullian schreibt sie freilich noch jedem Christen zu4. Die Lektoren verstehen die schwere Kunst, aus den ohne Wort!) Bischof Cornelius bei Euseb KG 6, 43, 11. 2 ) J. P. Kirsch Die römischen Titelkirchen 1918. E. Junyent II titolo di s. d e m e n t e in 3 Roma 1932. ) Cyprian epist. 7 (p. 485, 13). 45, 4 (p. 603, 15). 49, 3 (p. 612, 6). 52, 1 (p. 616, 8). 59, 9 (p. 677, 7). 77, 3 (p. 835, 20). 78, 1 (p. 836 14). 4 ) s. o. S. 225.

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Ordines minores. Die Lapsifrage

trennung und Lesezeichen geschriebenen Kodizes die biblischen Lektionen im Gottesdienst mit melodischer und rhythmischer Korrektheit vorzulesen. Die Ostiarier sind die Küster der Gotteshäuser und sonstiger kirchlicher Gebäude. Diese niederen Ordines finden wir mit den gleichen Bezeichnungen um dieselbe Zeit in Karthago, was wieder den engen Zusammenhang beider Städte und Roms führende Stellung beweist: im Orient erscheinen sie erst erheblich später. Fabians tatkräftiges und für die Zukunft bedeutsames Wirken fand sein Ende in der Verfolgung des Decius: er starb als eins ihrer ersten Opfer am 20. Januar 250. Man ließ den Stuhl unbesetzt, weil die Hand des Verfolgers sofort auch den neuen Papst beseitigt haben würde, und ließ die Gemeinde einstweilen durch die vereinigten Kollegien der Presbyter und der Diakonen leiten: beide führen gemeinsam den schon früher 1 geschilderten Briefwechsel mit Karthago, beide eröffnen ihn durch Übersendung des Berichtes über Fabians Martyrium. Aber nur die Diakonen werden mit der bedenklichen Aufgabe betraut, das Verhalten Cyprians in einem formlosen Brief zu kritisieren 2 . In der Frage der Lapsi sind die Römer mit Cyprian in der Grundanschauung einig, daß nämlich die Rückkehr der Verleugner zur Kirche grundsätzlich möglich ist. Nachdem man in Rom wie in Afrika diese Milde bereits früher gegenüber Fleischessündern betätigt 3 und damit die altkirchliche Unbedingtheit aufgegeben hatte, war eine andere Auffassung in der Not der Gegenwart nicht wohl denkbar. Einig ist man sich auch darin, daß eine Bußzeit den Sündern aufzuerlegen ist und daß dem Bischof, nicht den Konfessoren, die Entscheidung über die Wiederaufnahme zusteht. Und da in Rom der Bischof fehlt, in Karthago abwesend ist, so ergibt sich auch Einigkeit darüber, daß bei währender Verfolgung nur in besonderen Fällen von Todesnot die Kommunion gereicht wird, im allgemeinen aber die Reuigen auf die Zukunft verwiesen 2 ) Cypr. ep. 8, 3 (p. 488, 10 f.) und daz!u ep. 9 tit. ») s. S. 230. und §§ 1 und 2 (p. 489, 6. 12). Vgl. Caspar Gesch. d. Papsttums 1, 62 gegen Harnack Mission 2, 850. 3 ) s. o. S. 253 und Cypr. epist. 55, 20 f.

L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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werden. Das betonte Zusammenarbeiten Cyprians mit Rom erhält von dem federführenden Presbyter Novatian hohes Lob, nicht ohne leises Mitklingen des Bewußtseins römischer Überlegenheit 1 . Die römischen Konfessoren haben aber auch im Gegensatz zu ihren karthagischen Leidensgefährten einen Kampf gegen das reguläre Kirchenamt vermieden und sich den Beschlüssen der einstweiligen Kirchenleitung Roms und den Maßregeln Cyprians zustimmend angeschlossen 2 . So schien die Lage in der Hauptstadt innerlich und äußerlich völlig beruhigend zu sein, als man sich im März 251 entschloß 3 , die aufgeschobene Bischofswahl vorzunehmen. Der führende Mann im römischen Presbyterkollegium war Novatian4. Er hatte sich in dem abgelaufenen kritischen Jahr bewährt und war nicht nur ein gewandter Schriftsteller, sondern auch ein gebildeter Theolog: und er hat den Ruhm, als erster Römer diese beiden Eigenschaften in lateinischer Sprache bewährt zu haben. In der Schrift 5 „von der Trinität" hatte er bereits mit besserem Erfolg als Hippolyt gegen marcionitische und monarchianische Theologie gekämpft, indem er in übersichtlicher Zusammenfassung die Gedanken und Formulierungen Tertullians an der Hand der Glaubensregel demonstrierte. Das sagte dem abendländischen Denken zu und hat auch noch in der Folgezeit seine Wirkung geübt. Für die Gegenwart eröffnete das alles dem Verfasser die Hoffnung, daß man ihn zum Bischof wählen werde —• was in dieser Verfolgungszeit übrigens ebenso ehrenvoll wie lebensgefährlich war. Die Erwartung trog: er wurde ganz wie einst der gelehrte Hippolyt übergangen, und die überwältigende Majorität des Klerus einigte sich auf den Presbyter Cornelius, der in Anwesenheit von 16 Bischöfen konsekriert wurde". Novatian und fünf seiner Freunde im Presbyterkollegium 7 waren empört und verweigerten ihre Zustimmung. >) Cypr. epist. 30 1. 36, 1. 4. 2 ) Cypr. ep. 28. 31. 30, 4. 3) Harnack Chronologie 2, 351. *) Vgl. H. Koch, Pauly-Wissowa 17, 1138 ff. 5 ) Novatian de trinitate ed. Fausset 1909; vgl. besonders cap. 29—31 und 21. 24. Hieron. vir. inl. 70. 6 ) Cypr. epist. 55, 8. 24. 7 ) Cornelius bei Euseb KG 6, 43, 20.

Novatian und Kallist

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Und nun wurde dem persönlichen Gegensatz ein grundsätzlicher Inhalt gegeben, der die Kirche weithin auseinanderriß. Daß gegen beide Männer von der Gegenseite allerlei Klatsch vorgebracht wurde, darf als natürliche Begleiterscheinung einer solchen Spaltung gebucht werden. Dabei ist bedeutsam höchstens die Anklage, daß Cornelius die Wiederaufnahme Gefallener leichtfertig bewilligt habe. In einem Falle zeigt die entschuldigende Verteidigung Cyprians 1 deutlich, daß er eine Konzession machte, um die Masse zu gewinnen, und man kann mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, daß man ihn auch in der Erwartung solchen Entgegenkommens gewählt hat. Dem gegenüber ging Novatian auf die Seite des Radikalismus, verleugnete die bisher vertretenen Richtlinien und lehnte die Wiederaufnahme Gefallener nunmehr überhaupt ab. Damit wurde er der Führer der auch in Rom nicht fehlenden strengen Gruppe und sie wählten ihn — unter Ablehnung des laxen Cornelius — zum Bischof 2 . Und die römischen Konfessoren, die bisher seine mit Cyprian gleichlaufende Politik gestützt hatten, gingen mit. Das war für Cornelius eine böse Gegnerschaft, und wir verstehen, warum Cyprian mit der Anerkennung dieses neuen Kollegen zuerst zögerte 3 . Aber das änderte sich schnell. Der Radikalismus war für Cyprian nicht durchführbar, und die Konfessoren traten bald wieder zu Cornelius über 4 . Dieser versammelte in Rom eine große, von 60 Bischöfen und vielen anderen Klerikern und Laien besuchte Synode, die seiner Bußpraxis beistimmte und den Novatian exkommunizierte 5 . Aber die Strenge des Urteils war auf der anderen Seite auch wieder ein Anreiz für alle, die nicht geneigt waren, von der altkirchlichen Forderung abzuweichen: und Novatian zögerte nicht, unter dieser Parole Anhänger zu werben. In Afrika fand er mehr Beifall, als Cyprian zugeben mag 6 . Im Orient sind ») Cypr. epist. 55, 11. 2 ) Cypr. epist. 44, 1. Euseb K G 6, 43, 1. Cornelius ebd. 6, 43, 7—10. 3 ) s. o. S. 236. 4 ) Cyprian epist. 46. 53. 54. Übertreibend Cornelius bei Euseb K G 6, 43, 6. Vgl. ebd. 6, 46, 5. 5 ) Euseb K G 6, 43, 2. Cyprian epist. 55, 6. 6 ) s. o. S. 237. 17*

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11. Rom

ganze Kirchenprovinzen auf seine Seite getreten, und Fabius von Antiochia bereitete schon eine große Synode vor, die sich in diesem Sinne äußern sollte: nur sein plötzlicher Tod verhinderte, daß es dazu kam. Dionys von Alexandria kämpfte tapfer für Cornelius und schrieb nach allen Seiten Briefe, um eine allgemeine Absage des Ostens zu verhüten: endlich ist ihm das nach schweren Mühen gelungen 1 . Aber Novatianergemeinden haben sich doch weithin im Westen und im Osten gebildet, und noch im 5. Jahrhundert finden wir sie lebendig: in Konstantinopel hatten sie damals drei Kirchen zu eigen, in Rom noch mehr 2 , und zahlreiche Nachrichten melden von ihrem Fortleben in andern Gegenden 3 . Ein deutlicher Beweis für die frühe Gültigkeit des Gesetzes, daß Kirchentrennungen, die nicht sehr bald rückgängig gemacht werden, unheilbar sind und weiterbestehen, auch wenn der ursprüngliche Trennungsgrund wesenlos geworden ist. Wenn man das Schreiben an Bischof Fabius von Antiochia liest, in dem sich Cornelius gegen Novatian verteidigt 4 , so bekommt man keinen günstigen Eindruck von persönlicher Vornehmheit des Briefschreibers — und versteht es, daß Cyprian ihn gelegentlich sehr von oben herab behandelt 5 . Aber sein schnell erfolgender Tod in der durch Gallus verfügten Verbannung wob den Glanz des Martyriums um sein Haupt. In der Kallistkatakombe ist er an besonderer Stätte außerhalb der Papstgruft, also wohl erst in späterer Zeit, beigesetzt: seine Grabschrift ist die erste, die einem Papst in lateinischer Sprache gewidmet worden ist 6 . Sein Nachfolger Lucius war 8 Monate im Amt, dann wurde im Frühjahr 254 Stephanus zum Papst gewählt. Cyprian setzte den Verkehr mit ihm ganz unbefangen in der gleichen Weise fort, die er Cornelius gegenüber gepflegt hatte: er fühlte sich als der ältere und erfahrenere von zwei gleichgestellten Kollegen. Als er aber die Frage 2 !) Euseb KG 6, 4 5 - 4 6 , 5. 7, 5, 1. ) Socrates 2, 38, 26. 7, 9. 11. 4 ) Harnack in Haucks RE 14, 241. ) bei Euseb KG 6, 43, 5—22. 5 ) s. o. S. 237. 6 ) Diehl Inscr. lat. n. 956 a. Cabrol-Leclercq Dict. 3, 2969. Catal. Liber. im Lib. pontif. 22 p. 28. 3

Die Novatianer. Lucius. Stephanus

2öl

der Ketzertaufe ebenso behandeln wollte, kam es zum Bruch, der die grundsätzlich verschiedene Auffassung ihrer Stellung bei beiden Kirchenfürsten scharf zum Ausdruck brachte. Den Gegenstand und Verlauf des Streites haben wir bereits kennen gelernt 1 . Stephanus bestritt der afrikanischen Kirche das Recht, die Frage nach eigenem Ermessen zu entscheiden, und schrieb ihr vor, wie sie sich zu verhalten habe. Die Wiedertaufe rückkehrender Ketzer bezeichnet er als eine traditionswidrige Neuerung — was sachlich zweifellos nicht richtig war, wenn man unter Tradition die allgemeine Praxis der Kirchen verstand. Stephanus meinte damit aber den Brauch der römischen Kirche, den er auf Petrus zurückführte. Und da Christus diesen als ersten Apostel bestellt und für den Fels erklärt habe, auf den er seine Kirche (Matth. 16,18) bauen wolle, müsse sein Primat anerkannt und seine Tradition allenthalben befolgt werden. Der Verwalter dieser petrinischen Autorität sei aber niemand anders als sein Nachfolger, der Bischof von Rom 2 . Folgerichtig dehnte er den Anspruch auf Annahme seiner Entscheidung in der Ketzertauffrage denn auch auf den Osten aus und erregte damit einen heftigen Sturm der Entrüstung. Es gelang Stephanus so wenig wie einst dem Viktor, seinen Anspruch durchzusetzen. Aber was er wollte, war das Gleiche: und diesmal erfahren wir auch die amtliche Begründung, welche mit voller Deutlichkeit die Linie erkennen läßt, die durch die Jahrhunderte hindurch zum Vatikanischen Dogma von 1870 führt. Die Orientalen hielten der römischen Tradition ihre eigene entgegen, die auf Christus und die Apostel zurückgehe 3 , genau so wie es die Kleinasiaten im Osterstreit gemacht hatten. Cyprian allein hat der römischen Begründung eine eigene Theorie entgegengesetzt, in der die Auffassung der frühkatholischen Kirche einen klaren Ausdruck findet. Und diese seine Theorie ist nicht erst im Kampf gegen Stephanus entstanden —• oder gar verändert worden — sondern 2 ' ) s . S. 240 f. ) Cyprian ep. 74, 1. 71, 3. 75, 17. von Caesarea bei Cypr. ep. 75, 19.

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) Firmilian

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ist im Zusammenhang seiner Lehre von der Einheit der Kirche erwachsen und wird in ihren wesentlichen Gedanken schon 251 vorgetragen. Die Kirche ist eine Einheit, die in dem einträchtigen Zusammenwirken der Bischöfe auch anschaulich zum Ausdruck kommt: wie es nur eine einzige Kirche gibt, die in vielen Einzelkirchen sichtbar wird, so gibt es nur ein einziges Bischofsamt, das sich in seinen einzelnen Trägern verkörpert 1 . Und ein Bischof, der sich aus diesem einträchtigen Kreis der Bischöfe löst, scheidet damit aus der Kirche aus, weil er sich von der Einheit trennt. Diese Einheit ist für Cyprian eine geistgewirkte, mystische Wirklichkeit: wäre die Kirche eine irdische Einrichtung, so könnten ja die tausend Bischöfe hundert verschiedene Meinungen haben und alle miteinander im Streit liegen. Es ist das göttliche Wunder, daß sie immer einig sind und Meinungsverschiedenheiten freundschaftlich regeln. Und eben darum ist es klar, daß ein Bischof, der diese Einheit stört, von Gott verlassen ist und den Eingebungen des Bösen folgt, also außerhalb der Kirche tritt. Diese Einheit hat ihren Grund darin, daß die Bischöfe Nachfolger der Apostel sind, die eine einheitliche Schar von Männern gleicher Vollmacht und gleichen Ranges bildeten. Aber damit nicht genug: Christus wollte diese Einheit der kirchlichen Wurzel ganz unzweideutig zum Ausdruck bringen und berief darum e i n e n Apostel, den Petrus, zuerst und erklärte ihn für den Grundstein seines Kirchenbaues. Damit ist dem Petrus kein rechtlicher Vorrang gegeben, alle Apostel sind gleich: aber seine Berufung ist ein Symbol für die Einheit des Grundes, auf dem die Kirche steht, und der das Wesen der Kirche durch alle Zeiten hindurch kennzeichnet 2 . Daraus ergibt sich die dem dritten Jahrhundert noch weithin unbezweifelte Gleichheit der Vollmacht für alle Träger des bischöflichen Amtes, von denen jeder einzelne Nachfolger der 3 ) Cypr. de eccl. unit. 5 (p. 214, 1—7) epist. 55, 24 (p. 642, 12—15). ) Cyprian ep. 45,3 (p. 602, 18—19), de eccl. unit. 4 (p. 212—213). Ausgezeichnet Hugo Koch Cathedra Petri (Beiheft z. Z N W Nr. 11) 1930.

2

Cyprians Kirchenbegriff. Dionysius von Rom

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Apostel ist, und die runde Ablehnung aller Primatsansprüche, von welcher Seite sie auch kommen mögen. Die Abweisung eines „Bischofs der Bischöfe" ist ihnen selbstverständliche Pflicht, und Cyprian hat das mit aller Festigkeit durchgekämpft: die letzten Konsequenzen sind ihm durch den Tod des Stephanus und sein eigenes Martyrium erspart worden. Aber der Primatsanspruch Roms war vernehmlich angemeldet — und was wurde aus Cyprians Theorie, wenn die sichtbare Einheit des Episkopats einmal in weitem Umfang in die Brüche ging? Das vierte Jahrhundert hat darauf Antwort gegeben. Der Ketzertaufstreit schlief ein. Xystus von Rom und Cyprian von Karthago starben zu gleicher Zeit. Wieder mußten die Römer ihren Bischofsstuhl lange leer stehen lassen. Erst am 22. Juli 260 konnte der bisherige Presbyter Dionysius ordiniert werden. Er hatte schon unter Stephanus aktiv an den Verhandlungen über die Ketzertaufe teilgenommen und mit dem alexandrinischen Bischof Dionysius korrespondiert 1 . Jetzt wurde er von dort aus in die Kämpfe hineingezogen, die in Ägypten durch das Vorgehen des dortigen Dionysius entstanden waren, und er durfte in deren Verlauf der römischen Kirche zu einem Erfolg verhelfen, der noch in späterer Zeit Früchte tragen sollte. Diese theologischen Auseinandersetzungen wurden nämlich, was damals noch niemand ahnen konnte, das Vorspiel zu dem großen arianischen Streit, der im Beginn des vierten Jahrhunderts die ganze Kirche erschütterte. Es wird deshalb zweckmäßig sein, auch diese Verhandlungen der beiden Dionyse in jenen Zusammenhang hineinzustellen. ») Euseb KG 7, 5, 6.

Syrien und sein Hinterland Die Großstadt Antiochia ist das militärische und politische Zentrum Syriens; sie hat viele Kaiser und Kronprätendenten in ihren Mauern gesehen und die Schläge der Weltgeschichte meist am eigenen Leibe verspürt. Sie ist auch der Ausgangsort des hellenisierten Christentums gewesen, und die Bedeutung der Stadt hat immer wieder den Einfluß ihrer Christengemeinde gehoben. Was üppige Fruchtbarkeit des Bodens und die Gunst der handelspolitischen Lage der Provinz Syrien an Reichtum spendete, das floß in der Hauptstadt Antiochia zusammen und schuf dort eine bauliche Pracht und einen Luxus der Lebenshaltung, mit denen nicht einmal Alexandria wetteifern konnte. Die oberen Tausend der Fabrikanten und Handelsleute, die Zehntausende der Halbwelt des Schauspiels, des Vergnügens und des Lasters, die unzählbaren Scharen der Arbeiter und Nichtstuer bildeten eine im Grunde doch einheitliche Bevölkerung, die durch maßloses Selbstbewußtsein, unbändige Genußsucht und hemmungslose Spottlust zusammengehalten wurde. Was ihr fehlte, war edler Ernst und schöpferischer Geist. Völkisch war die Stadt ein Gemisch aus der griechisch redenden makedonischen Herrenschicht, die seit den Tagen der seleukidischen Gründung durch Zuwanderung hellenischer und hellenisierter Familien mannigfachster Herkunft buntscheckig geworden war, und der syrisch redenden Volkmasse der Eingeborenen, mit denen dann Sklaven und Proletarier aller Länder sich mischten. Die Juden hielten, wie überall, eng zusammen 1 . Wie aus ihrem Kreis das Christentum sich aussonderte, haben wir gesehen. Wir wissen auch schon von dem Schicksal und der eigenartigen Theologie des Bischofs Ignatius, der unter Tra>) C. H. Kraeling in Journ. Bibl. Lit. 1932, 130—160.

Antiochia

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jan zu Rom den Märtyrertod starb 1 . Aber wie es damals in seiner Gemeinde aussah und welche Strömungen in den folgenden Jahrzehnten die antiochenische Kirche bewegten, das wissen wir nicht. Die bloßen Namen der überlieferten Bischofsliste sagen uns nichts. Nur so viel hören wir, daß für eine Reihe führender Männer innerhalb der gnostischen Bewegung Antiochia Ausgangspunkt gewesen ist, und wir dürfen daraus zum mindesten auf gnostische Konventikel, vielleicht auch auf größere Gemeinden schließen, die mit der katholischen Gruppe rangen und ihre innere Entwicklung zu beeinflussen suchten 2 . In dem benachbarten Rhossos benutzt man in der Kirche ahnungslos das gnostische Petrusevangelium, bis endlich der antiochenische Bischof Serapion nach dem Rechten sieht und das Buch verbietet: aber sein Verhalten bei der ganzen Angelegenheit läßt zugleich erkennen, daß er selbst der Problematik der Zeit auch nicht gewachsen ist 3 . Sein Vorvorgänger Theophilus war Schriftsteller: wir haben ihn schon als Apologeten kennen gelernt und auch seine Evangelienharmonie genannt 4 , die vielleicht als ein katholisches Gegenstück gegen das in Antiochia in Aufnahme kommende Diatessaron Tatians zu werten ist. Er hat auch gegen Marcion und gegen jenen Hermogenes geschrieben, den Hippolyt und der Alexandriner Klemens kennen, und dem Tertullian eine Streitschrift gewidmet hat 5 . Was wir von Theophilus erhalten haben, läßt ihn als einen Mann von bescheidenster Urteilskraft erscheinen: wenn er so reichlich zur Feder griff, so wird ihn die Not seiner Gemeinde zum Streiter gegen die zahlreichen Einflüsse gemacht haben, die damals in der Christenheit Antiochias wirksam waren. Vielleicht ist es richtig gesehen, wenn man neuerdings behauptet hat 8 , die Unsicherheit der inneren Lage sei daran schuld, daß Antiochia nach Ignatius während des ganzen zweiten Jahrhunderts nicht mehr hervortrete: wir vermissen seinen Bischof sogar unter den Teilnehmern der orientalischen x

) Bd. 1, 251—264. 2 ) Walter Bauer Rechtgläubigkeit u. Ketzerei i. ältesten Christentum (1934) 70. 3 ) s. S. 64. 92. Euseb 6, 12. 4 ) s. S. 93. 188. 6 ) s. S. 225 und Hilgenfeld Ketzergeschichte 553—560. 6 ) W. Bauer Rechtgläubigkeit u. Ketzerei 67.

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Kundgebung in der Osterfrage gegen Viktor. Aber bald danach ist jedenfalls diese Schwäche überwunden. Im Jahre 251 ruft der antiochenische Bischof Fabius den ganzen Osten in seine Stadt zusammen, um die Sache Novatians zu stützen, und seitdem sehen wirAntiochia stets im Vordergrund kirchenpolitischer Aktionen. Zwanzig Jahre später ist der Bischof Paulus bereits ein Grandseigneur von mächtigem Einfluß auch in weltlichen Dingen. Es darf nun also nicht wundernehmen, daß wir im zweiten Jahrhundert auch von dem Christentum in der Umgebung Antiochias kaum etwas hören. Die Steigerung der Missionserfolge ist im dritten Jahrhundert deutlich, und um 300 finden wir Bischöfe ziemlich in allen bedeutenden Städten Syriens und weit darüber hinaus auf dem Lande 1 . Dieses um Antiochia sich scharende Christentum ist griechisch an Sprache und Denkungsart. Aber in Syrien, und wohl hier zuerst, beginnt auch ein national gestaltetes Christentum sich zu entfalten: und zwar sehen wir vorerst zwei Ausgangspunkte, Arbela und Edessa. Näher bei Antiochia liegt Edessa: hier hatte sich in den Stürmen der römisch-parthischen Kämpfe ein einheimisches Fürstengeschlecht an der Regierung gehalten, und um 200 finden wir einen Abgar IX. auf dem Thron, der christliche Gelehrte an seinen Hof zieht und von ihnen als ein „heiliger Mann" bezeichnet wird, der „gläubig geworden" sei 2 . Und damals gab es auch ein „Heiligtum der Christengemeinde" in Edessa, von dem wir erfahren, daß es im September 201 durch eine Überschwemmung zerstört worden ist 3 . Man darf diese Nachrichten nicht übertreiben und behaupten, Abgar habe das Christentum in seinem kleinen Reich zur Staatsreligion gemacht. Aber sie sind auch nicht ohne Bedeutung. Das Christentum hat um diese Zeit 4 in Edessa Fuß gefaßt, *) Harnack Mission 2, 672 f. 2 ) Julius Africanus in den Kestoi (bei Syncellus Chronogr. 1, 676, 13 ed. Bonn) Bardesanes p. 607, 11 ed. Nau. Dazu aber W. Bauer Rechtgläubigkeit u. Ketzerei 10. Felix Haase Altchristi. Kirchengeschichte (1925) 85 f. 3) Chron Ed'essenum p.86=146, 5 ed. Hallier. Irrig bezweifelt von Bauer 18, Haase 89. 4 ) Von der Abgarlegende sehe ich ab: vgl. S. 168.

Edessa.

Bardesanes

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und sein richtungweisender Lehrer ist Bardesanes. E r ist aus der Stadt gebürtig, ein vornehmer Mann, der am Hof des Fürsten lebt und auch in weltlichen Künsten wohl bewandert ist: ein Augenzeuge erzählt staunend von seiner Meisterschaft im Bogenschießen 1 . Aber er ist auch der erste Syrer, von dem wir wissen, daß er in seiner Muttersprache wissenschaftliche Abhandlungen geschrieben und Gedichte geformt hat: er ist der Schöpfer der syrischen Literatur, die sich auf dem Christentum aufbaut. Euseb spricht von ihm mit großer Achtung, nennt ihn einen vortrefflichen Mann und rühmt ihn als Kämpfer gegen Marcion und andere Häretiker, weiß auch, daß diese Streitschriften ins Griechische übersetzt sind 2 . Aber die Syrer der Folgezeit schelten ihn heftig und rechnen ihn unter die gnostischen Ketzer: und da steht er bis auf den heutigen Tag. Diese Polemik hat eine Fülle von halb und ganz falschen Nachrichten über ihn verbreitet und sein Bild so entstellt, daß es gründlicher Arbeit bedurft hat, ehe die Grundzüge seines Christentums aus einwandfreien Quellen deutlich zutage treten konnten: aber jetzt sehen wir klar 3 . Außer ein paar griechischen Fragmenten liegt uns der auch von Euseb benutzte „Dialog vom Schicksal" weithin vor: dazu tritt noch das Bruchstück eines Gedichtes über die Weltschöpfung, dessen Lücken sich durch einen guten Prosabericht ergänzen lassen, und aus dem wir entscheidende Aufschlüsse gewinnen. Zunächst ist es nicht überflüssig festzustellen, daß Bardesanes sich keineswegs als Sektenhaupt fühlt, sondern sich ganz unbefangen zur großen, die Welt erfüllenden Christenheit rechnet. „Was sollen wir von uns, dem „neuen Geschlecht" der Christen sagen, das Christus an allen Orten und in allen Landen durch sein Kommen hat erstehen lassen? Die wir alle, wo wir auch sein mögen, nach dem e i n e n Namen Christi Christen genannt werden. A n e i n e m Tage, dem Sonntag, !) s. S. 266 Anm. 2. 2 ) Euseb K G 4, 30. 3 ) Grundlegend H. H. Schaeder in Z K G 1932, 21—74. Ausgabe des Textes von F. Nau in der Patrologia Syriaca 2 (1907), 492—657. Vgl. auch B. Rehm in Philologus 93, 1938, 21&—247.

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kommen wir zusammen, an den bestimmten Tagen fasten wir" — und dann redet er weiter von den Brüdern in Gallien, Parthien, Judaea, Persien und Mesopotamien ohne irgend einen Unterschied zu machen 1 . Diese Einheit der christlichen Sitte, die unter dem Gesetz Christi steht, tritt bei ihm in Gegensatz zu den mannigfachen Gesetzen der Völker, die der menschlichen Freiheit entspringen. Bardesanes leugnet nicht, die Bedeutung des „Schicksals", das im Sternenlauf seine Zeichen hat, beschränkt sie aber auf die körperlichen Dinge und äußeren Lebensumstände: alles sittliche Handeln erfolgt durch die Entscheidung des Willens zum Guten oder zum Bösen. Der Mensch kann sich von allem Schicksalszwang lösen und die Freiheit gewinnen, Gottes guten Geboten zu folgen, die dem Wesen des Menschen entsprechen und von ihm freudig ergriffen werden 2 . Das ist ein sittlicher Optimismus, der vom Griechentum her bestimmt ist und auch der ständigen Haltung der griechischen Kirche entspricht. Erst das Abendland hat in Augustin wieder die paulinische Ablehnung aller menschlichen Leistungsfähigkeit ins christliche Bewußtsein gerufen. Im Dialog des Bardesanes ist das Christentum eine neue, alle völkischen Unterschiede unter sich lassende Lebensordnung, der sich die Menschen von sittlichem Willen freudig unterstellen: das haben die Apologeten nicht anders gemeint, und die Lehre des Bardesanes geht hier durchaus mit der gemeinchristlichen Anschauung, wenn auch über die Anerkennung bestimmter Wirkungen des „Schicksals" die meisten Theologen (nicht die Laien!) pflichtmäßig den Kopf schütteln. Aber ein ernsthafter Gegensatz zur katholischen Kirchenlehre war das nicht, und Eusebs Freude an diesem Dialog ist ganz in der Ordnung. Diese Auffassung vom Ziel der sittlichen Willensfreiheit als einer Lösung des Menschen vom Zwang irdischer Bindungen und als einer Rückkehr zu seinem wahren Wesen hat nun aber eine spekulative Unterlage, die uns aus dem Gedicht von der Weltschöpfung klar wird. Danach waren im Anfang fünf ») Nau § 46 p. 607 f.

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) Nau § 11—12 p. 550—553.

Bardesanes

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Elemente Lichtäther, Feuer, Wind, Wasser und die mit der dunkeln Erde gleichgesetzte Finsternis; durch einen Zufall wurde ihr ursprüngliches Gleichgewicht erschüttert, sie vermischten sich alle miteinander, „und sie begannen einander zu beißen wie reißende T i e r e " . Da sandte Gott seinen Logos herab, beruhigte durch ihn die tobenden Elemente und bannte die Finsternis wieder in die Tiefe. Die vier andern Elemente kehrten auch an ihre ö r t e r zurück: nach dem Kampf erstand als neue Ordnung der Dinge der Kosmos, der nun aber nicht mehr dem ursprünglichen Zustand entspricht, sondern als Restwirkung jenes Kampfes eine Mischung der Elemente darstellt. Insbesondere ist die helle Klarheit der oberen Elemente durch die Überbleibsel der Finsternis, der Materie, getrübt. „Darum eilen die Naturen alle und die Geschöpfe, sich zu reinigen und das zu tilgen, was ihnen beigemischt ist von der Natur des Bösen". Der Sinn der Weltschöpfung und das Ziel der Weltentwicklung ist also die Ausscheidung der noch übriggebliebenen „Finsternis" —• und Finsternis ist, wie wir jetzt merken, das Element des Bösen. Ihre Ausscheidung erfolgt nach den Worten des Dialogs durch einen sittlichen Prozeß, der den Menschen und mit ihm den Kosmos wieder zu seinem lichten und reinen Urzustände zurückführt. Der Mythus ist, wie die uns von den Gnostikern her bekannten Gebilde ähnlicher Art, nur die bildhafte Einkleidung einer spekulativen Weltanschauung. Auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen antwortet Bardesanes, das Böse sei Widerstand gegen Gott und Störung seiner Ordnung, entstanden durch Ursachen, die im Wesen der Welt liegen, jedenfalls außerhalb menschlichen Willens und Verschuldens, aber auch außerhalb des göttlichen Wollens, denn — die Elemente sind nicht von Gott geschaffen, sondern mit ihm gleich ewig. Aber Gott beherrscht sie durch seinen Logos und weist der Menschheit den Weg zur Befreiung vom Bösen durch den dem Gebot des Logos folgenden guten Willen. Das konnte man alles bei geschickter Auslegung im Alten und Neuen Testament bewiesen finden, und Bardesanes hat es dort auch ge-

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funden und sich mit gutem Glauben Christ genannt. Er befreite Gott von dem ständigen Vorwurf, daß der Allmächtige das Böse nicht verhindert habe und demnach dafür verantwortlich sei. Aber er tat das, indem er Gott zum Ordner der Welt degradierte und ihm das Schöpferamt abnahm. Und das konnte ihm die Kirche nicht nachsehen. Dasselbe Problem hatte auch Marcion zu lösen versucht, aber in einer Weise, die dem Vorwurf einer Zweigötterlehre nicht aus dem Wege ging und in der Gesamthaltung eine Ablehnung der Welt bedeutete: die Weltschöpfung wurde rein negativ als Werk des minderwertigen, um nicht zu sagen bösen, Demiurgen eingeschätzt, und die Befreiung von ihr durch strenge Askese war der Weg der Erlösung 1 . Für Bardesanes ist die Weltschöpfung die entscheidende Gottestat, welche die Möglichkeit zur Erlösung schafft: er bejaht die Welt mit ihrem Licht und Glanz und findet in der menschlichen Seele die sittlichen Kräfte, die sie von der Macht der Finsternis befreien. So ist es begreiflich, daß er gegen die Marcioniten geschrieben hat, deren Sendboten also auch damals schon in Edessa tätig waren. Wenn wir uns aber erinnern, daß um 180 der antiochenische Bischof Theophilus gegen den Ketzer Hermogenes geschrieben hat, den wir aus anderen Quellen leidlich kennen, und daß dieser bereits das Problem des Bösen in der Welt durch die Lehre von der Ewigkeit der Materie zu lösen versuchte, so werden wir vielleicht auf eine Quelle der Spekulation des Bardesanes geführt. Hermogenes redet von der Materie als einer ordnungs- und formlosen Masse, die in wilder Bewegung einem brodelnd überschäumenden Kochtopf geglichen habe, bis Gott durch seinen Logos sie beruhigte und den geordneten Kosmos von der ungeordneten Materie trennte 2 . Das klingt an die Lehren des Bardesanes so deutlich an, daß ein Zusammenhang sehr wahrscheinlich ist: und Hermogenes muß in Syrien Einfluß geübt haben, sonst hätte der antiochenische Bischof schwerlich gegen ihn geschrieben. ') Bd. 1 268 ff. 39. 41. 44.

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) Hippol. Refut. 8, 17, 2. Tertull. adv. Hermog.

Bardesanes. Palut

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Aber Hermogenes redet die abstrakte Sprache des Philosophen, Bardesanes gibt den philosophischen Gedanken seiner Theologie als Dichter lebendige Form. So war man also in Antiochia mit der Lehre von der Ewigkeit der Materie schon zusammengestoßen und kannte ihre Gefahren, und es hat große Wahrscheinlichkeit, daß man hier schneller als anderswo die Ketzerhaftigkeit des Bardesanes begriff. Eine um 400 entstandene edessenische Quelle1 behauptet, freilich in legendärer Verbrämung, Bischof Serapion von Antiochia habe einen Mann namensPalüt zumBischof von Edessa geweiht. Das wird zutreffen. Serapion ist antiochenischer Bischof um 200, und wenn er die Bedeutung des Bardesanes richtig erkannte, so mag ihm die Sammlung der Rechtgläubigen in Edessa als wichtige Aufgabe erschienen sein, möglich auch, daß man ihn von dort aus um Hilfe gebeten hat. Er weihte ihnen in der Person des Palüt einen Bischof und sandte ihn an den gefährdeten Ort mit entsprechendem Auftrag. Die Gemeinde wurde gebildet, aber sie war eine kleine Minderheit gegenüber der Masse der Christen, die zu Bardesanes hielten und den Christennamen mit Erfolg für sich in Anspruch nahmen. Umgekehrt wie anderswo galt hier die „katholische" Gemeinde als Sekte und mußte sich nach ihrem Haupt und Gründer „Palutianer" nennen lassen: das ist noch bis hoch ins vierte Jahrhundert so geblieben 2 und gibt uns die Gewähr, daß Palüt wirklich der erste katholische Bischof der Stadt gewesen ist. Unser Material reicht nicht aus, um die Auswirkung der Theologie des Bardesanes auf das Gemeindeleben und die kirchliche Praxis in Kultus und Sitte zu erkennen: von Bedeutung sind seine 150 Hymnen gewesen, deren Zahl dem Psalter nachgebildet ist 3 . Wir hören, daß sein Sohn Harmonios die dichterische Tätigkeit des Vaters eifrig fortgesetzt und seine Metrik unter griechischem Einfluß weitergebildet habe. Und Doctrina Addai ed. Phillips p. 52, 10 = 50. F. C. Burkitt Urchristentum im Orient 10 f. 27. 2 ) Ephraem Syrus übers, v. Rücker (Bibl. d. Kirchenväter Bd. 61) 2, 81 f. (2, 485 f. ed. Rom.). 3) Ephraem 2, 554 ed. Rom.; vgl. 2, 66 ed. Lamy = 2, 181 f. Rücker.

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12. Syrien und sein Hinterland

diese Poesie fand freudige Aufnahme im Volk und verbreitete die Ideen ihres Schöpfers 1 . Aber der Sohn blieb nicht bei der Schlichtheit des Vaters, sondern neigte zu der spielerischen Phantastik der Gnostiker, und so wird auf diesem Wege allerlei gnostisches Gedankengut in die edessenische Gemeinde eingezogen sein. Übrigens ging es um die gleiche Zeit mit der Selbständigkeit des edessenischen Fürstentums zu Ende. Caracalla setzte auf seinem Partherzug 216 Abgar IX. ab und gliederte die Stadt als römische Kolonie der Provinz Mesopotamia ein. Auch außerhalb der Stadt Edessa gab es Christen in der Landschaft Osroene — im Osterstreit sind Briefe aus mehreren Städten dieser Landschaft nach Rom gegangen2 — aber wir finden keine erheblichen Spuren von ihnen in der nächsten Folgezeit. Edessa blieb das Zentrum. Gemeinden in Mesopotamien 3 sind um 250 dem alexandrinischen Dionysios bekannt 4 : für Nisibis ist das Vorhandensein von Christen wahrscheinlich, für Hatra ist es bezeugt 5 , und in der kleinen Grenzfeste Dura hat man jüngst ein Haus mit christlicher Kapelle ausgegraben, das um 230 erbaut sein mag. Und ein ebendort gefundenes Pergamentblatt bezeugt uns, daß als Evangelienbuch Tatians Diatessaron in Gebrauch war, und zwar im griechischen Urtext 6 . Dadurch wird uns urkundlich bestätigt, was uns so viele Zeugnisse der Literatur versichern, daß dies Werk Tatians im syrischen Osten das Evangelium schlechthin war. Aber wir dürfen aus dieser Tatsache auch den Schluß ziehen, daß seine asketischenAnschauungen vom Wesen des Christentums 7 hier weitverbreitet waren. Und tatsächlich haben auch bestimmte Kreise katholischer Syrer noch im 4. Jahrhundert die Ehelosigkeit für die echte Form des Christentums gehalten und die Taufe nur solchen gespendet, die zur Enthaltsamkeit entschlossen waren 8 . Das ist alte Tradition des zweiten Jahr3 ) Sozomenos 3, 16, 5—7; dazu Schaeder ZKG 1932, 57. 61 f. und Nau p. 504 f. *) Euseb KG 5, 23, 4. 3 ) Harnack Mission 2, 678—698. 4 ) Euseb KG 7, 5, 2. 6 ) Bardesanes p. 608, 8 Nau. 6) Excavations at Dura-Europos, Report 5, 238 ff.; Kraeling s. S. 93 Anm. 3. 7) s. S. 186. 8) Burkitt Urchristentum im Orient 86 ff.

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Osroene. Adiabene. Einfluß des Judentums

hunderts, und man kann höchstens darüber streiten, ob Tatian oder Marcion den größeren Anteil an der Ausbreitung dieser Stimmung hat. Aber das Christentum ist auch über den Tigris in die Landschaft Adiabene gebracht worden, hat zunächst in Arbela Wurzel gefaßt und sich dann erstaunlich weit ausgebreitet. Wir besitzen eine Chronik dieser Stadt 1 , die auf Grund älterer Quellen um 550 verfaßt ist und trotz mancherlei Legenden eine ungewöhnlich gute historische Überlieferung auch aus früherer Zeit aufbewahrt hat. Hier wird als Missionar von Arbela derselbe Addai genannt, dessen Name auch in der legendären Urgeschichte der edessenischen Gemeinde auftaucht. Der Name ist jüdisch und eine Verkürzung von Adonija, der „Apostel Addai" also jüdischer Herkunft. Das Judentum war in Arbela besonders einflußreich, und zur Zeit des Claudius ist sogar das Königshaus zum Judentum übergetreten 2 . Die Chronik setzt die Gründung der Christengemeinde in die Zeit Trajans. Man hat die Frage aufgeworfen, ob nicht in diesen Gegenden das Judentum den Anknüpfungspunkt für die christliche Mission geliefert habe, und es ist allerdings eine recht hohe Wahrscheinlichkeit für eine solche Annahme vorhanden 3 . Wir besitzen in den Traktaten des Afrahat ausgiebige Zeugnisse für die Verhältnisse des syrischen Christentums um 340, die uns erlauben, Rückschlüsse auf die früheren Perioden zu machen. Diese Christen leben in engster Berührung mit den Juden, werden von ihnen gescholten und verfolgt, aber sie disputieren auch mit ihnen und verteidigen ihre Lehren mit biblischen Beweisen. Und wenn man dies syrische Christentum ansieht, so hat es charakteristische Züge, die nicht nur seine hohe Altertümlichkeit, sondern auch seine Verbindung mit jüdischer Art erweisen. Von Spekulation und Logostheologie ist ') E. Sachau Die Chronik von Arbela. Abh. Akad. Berlin 1915 Nr. 6, 17 ff. 61 f. mit Karte. Felix Haase Altchristl. Kirchengeschichte 2 (1925) 94—109. ) Josephus A. 20, 17 ff. Schürer Gesch. 3, 169. 3 ) Sachau Chronik v. Arbela 30. 42. Derselbe Zur Ausbreitung des Christentums in Asien (Abh. Akad. Berlin 1919 Nr. 1, 5 f.). L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

18

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keine Rede, die Grunddogmen sind in wenigen Worten zusammenzufassen und gipfeln in dem Bekenntnis 1 zu Gott, dem Welt- und Menschenschöpfer, der Moses das Gesetz gegeben hat, zu Christus und seinem heiligen Geist, der bei der Taufe in den Menschen eingeht und ihm zur Auferstehung verhilft. Aber damit man diesen Geist behält, muß man die christlichen Tugenden üben, unter denen die Askese einen besonderen Platz einnimmt. Dies Christentum ist nicht einfach dem Moralismus der hellenistischen Synagoge gleichzusetzen, wie etwa das des ersten Klemensbriefes, aber es ist in seiner betont gesetzlichen Grundhaltung nur wenig davon verschieden und hat von Paulus zwar reichliche Zitate, aber keinen Hauch seines Geistes aufgenommen: die betonte Askese führt sogar noch weiter vom Judentum ab. Nur die Geistlehre zeigt ein hellenistisches Element und paulinische Konstruktion. Während aber von dem Streben nach der Unsterblichkeit auf griechischem Kulturgebiet die ganze Problematik der Trinitätsspekulation befruchtet wird, kommt hier eine primitive und mit rabbinischer Phantasie aufgebaute Auferstehungslehre heraus, wobei die religiösen Motive sich auf moralischem Gebiet erschöpfen 2 . Afrahat selbst ist in rabbinischer Gelehrsamkeit nicht unbewandert, und auch die syrische Kirchenbibel zeigt in ihrem Text die Abhängigkeit von jüdischer Tradition. Alles das berechtigt zu der Vermutung, daß in diesen östlichen Gebieten das Judentum im zweiten und dritten Jahrhundert eine ähnliche Rolle als Träger der christlichen Mission wider seinen Willen gespielt hat wie das Judentum der Mittelmeerländer im ersten und zweiten Jahrhundert. Aber das Christentum ist nicht durch Jerusalem oder das ausgewanderte Judenchristentum vermittelt worden, sondern hat von Anfang an antiochenische Prägung getragen. Die Verbreitung der Christen ist auch im Osten merkwürdig stark gewesen. Die Chronik von Arbela zählt uns eine Liste von 17 Bischofssitzen auf, die am linken Tigrisufer liegen und Aphraates hom. 1, 19 ed. Parisot p. 44 f. 6, 14 p. 292 ff. Parisot.

2

) Aphraates hom.

Christentum und Judentum in Syrien. Ostsyrien

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im Jahre 225 bei der Errichtung der Sassanidenherrschaft vorhanden waren. Die Reihe beginnt oben im Gebirge in der Nähe des heutigen Diarbekr und steigt bis zum persischen Golf hinab. Dann wird uns ergänzend mitgeteilt, daß Nisibis und Seleukia-Ktesiphon in parthischer Zeit noch keine Bischöfe gehabt hatten „aus Furcht vor den Heiden", daß dieser Mangel aber unter der Perserherrschaft beseitigt sei. Daß es um 220 Christen im Gebiet der Parther, in Medien, Persien, Baktrien gegeben habe, versichert uns Bardesanes 1 , und die Angaben der Chronik von Arbela bestätigen das für das östliche Tigrisufer. Von da aus wird das Christentum nach Osten gewandert sein: eine andere Chronik 2 erzählt ganz glaubwürdig, daß der Perserkönig Schapur nach der Gefangennahme Kaiser Valerians (260) die von diesem verbannten Bischöfe ins Grenzgebiet habe zurückkehren lassen und römische Gefangene in Babylonien, der Susiana und der Persis angesiedelt habe: durch diese sei das Christentum kräftig verbreitet worden. Wenn wir hören, daß bald danach in Rew-Ardaschir, dem Sitz des Erzbischofs der Persis (nördlich des persischen Golfes), zwei Kirchen gebaut wurden, eine für griechisch redende, die andere für syrische Christen, so wird uns dadurch ein kultureller Gegensatz klar, der für die Geschichte der Folgezeit von einschneidender Bedeutung geworden ist. Neben den einheimischen Religionen der Syrer und Iranier breiten sich also im beginnenden 3. Jahrhundert das Judentum und das Christentum weithin nach Osten aus. Das Judentum befindet sich in dem kritischen Stadium einer letzten Auseinandersetzung mit dem Hellenismus. Noch einmal sehen wir diese Großmacht des Abendlandes ihre Kraft eindruckvoll entfalten: die Synagoge von Dura zeigt uns mit ihren prächtig bemalten Wänden, wie weit diese Juden bereit waren, eigene Tradition dem Reiz hellenischer Kultur zu opfern. Und das war in dieser Gegend ein neues Streben: unter dem Bau des Jahres 245 hat sich eine ältere Synagoge gefunden, die in der 2 ') Bard'esanes N a u p. 607 f. ) Chronik von Seert ed. Scher (Patroi. Orient. 4) p. 222. Sachau Sitzungsber. Akad. Berlin 1916, 961 f: 18*

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bunten Dekoration die völkische Sitte noch ängstlich wahrt 1 . Das läßt uns auch in diesen Ländern in einen Kampf zwischen Griechentum und Talmud hineinsehen, dessen Akten der Geschichte verlorengegangen sind und der zur Tragik im Schicksal des Volkes Israel gehört. DerTalmud von Babylon blieb Sieger und gab der Geschichte der Juden diegeistigenRichtlinien.Aber wir begreifen, daß auch das Christentum aus diesemRingen Gewinn hatte und unbefriedigte Seelen an sich zog. Neben dem sich langsam festigenden katholischen Kirchentum blühten Gemeinden derAlarcioniten und die in und außer derKirche wirksamen Kreise der Gnostiker — der Osten war nicht minder von religiösenKräftenaufgewühlt als das Abendland. Und in diesem vielgestaltigen Leben wurde eine neue Weltreligion geboren. Ihr Stifter Mani, ein Jüngling aus dem Blut der iranischen Herrscherfamilie, war in Südbabylonien herangewachsen, wo sich sein Vater einer Täufersekte angeschlossen hatte, die einem asketischen Leben huldigte. Hier müssen auch allerlei gnostische Lehren unter christlichem Namen an den Sohn herangetreten sein und sich mit den Grundgedanken seiner angestammten persischen Religion verbunden haben: denn als er mit 24 Jahre auszog, die Welt zu bekehren, war seine Lehre schon in den Grundzügen fertig. Er reiste zunächst nach Indien und gründete dort eine Gemeinde. Wenn er es nicht schon vorher wußte, hat er jedenfalls hier erfahren, wer Buddha war, und daß derBuddhismus eine große Religion sei: aber Neues hat ihnlndien sichtlich nicht gelehrt 2 . Zur Zeit derThronbesteigung Schapurs I. (241) erschien er wieder in der Heimat und begann, vom König gnädig empfangen, seine entscheidende Missionstätigkeit. Mehr als 30 Jahre hat er imSassanidenreich ungestört wirken und seine Jünger in alle Weltgegenden senden können. Dann traf ihn eines neuen Königs Zorn, und der Haß der Parsenpriester lieferte ihn ans Kreuz: 276 ist er so gestorben 3 . Rostovtzeff in Rom. Quartalschrift 1934, 206. Report VI 332 ff. ) C. Schmidt Sitzungsber. Akad. Berlin 1933, 47 f. Schaeder Urform u. Fortbildungen d. manich. Systems 87 (in Vorträge d. Bibliothek .Warburg 1924/25). 3) Vgl. Schaeder Gnomon 1933, 351 A. 4. Dazu jetzt Manich. Psalmbook p. 17, 26. Homilien p. 60. J

Mani. Seine Mission

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Er hat seine Lehre in einer Reihe von Schriften zusammengefaßt, über die eine verwirrende Fülle von Nachrichten erhalten ist und die neuerdings auch in Bruchstücken aus Höhlen und Schutthaufen aufzutauchen beginnen. Und an die Werke des Meisters hat sich die fortsetzende und erklärende Tätigkeit der Schüler geheftet, die liturgischen Bücher der Gemeinden haben sich weiter entwickelt, und so ist eine Fortbildung der Lehre entstanden, an der sich Generationen moderner Forscher müde gearbeitet haben, bis uns die Entdeckungen der Gegenwart den Schlüssel in die Hände spielten 1 . Früher hat man zuweilen gemeint, Mani als christlichen Ketzer auffassen zu können und ihn unter die Gnostiker eingereiht: und das ist insofern richtig, als seine Lehre die charakteristischen Kennzeichen der Gnosis hat. Wenn man will, kann man den Mani als den geschichtlich bedeutendsten aller Gnostiker bezeichnen. Aber er selbst will mehr sein und ist auch mehr geworden. Er will eine Religionsgemeinschaft gründen, welche zum erstenmal die ganze Welt umspannen soll. Alle bisherigen Religionen sind im Raum beschränkt 2 : „die im Westen verbreiteten (also das Christentum) sind nicht nach dem Osten gelangt, und die im Osten verbreiteten (Parsismus und Buddha) sind nicht nach dem Westen gelangt. Meine Hoffnung aber wird gehen nach dem Westen und wird gehen auch nach dem Osten, und man wird hören die Stimme ihrer Verkündigung in allen Sprachen, und man wird sie verkündigen in allen Städten. Meine Kirche ist überlegen in diesem ersten Punkte den früheren Kirchen". Und dies Programm einer weltweiten Missionstätigkeit ist Wirklichkeit geworden. Der Manichäismus ist bis Nordafrika im Westen und bis China im Osten vorgedrungen und in einer Fülle von Sprachen gepredigt worden. Im Westen hat er freilich bald sein Ende gefunden, aber in Mittelasien hat er etwa ein Jahrtausend gelebt. Und die Rücksicht auf die Eigenart der Völker hat schon den Meister zu entsprechender ') S. vorige lotsky bei Pauly nichaeismus und (1935), 65—85).

Anm. und jetzt die Zusammenfassung von Po- Wissowa Suppl. 6, 240—271. H. H. Schaeder Maspätantike Religion (Zeitschr. f. Missionskunde 50 *) C. Schmidt S. 45.

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Gestaltung der Lehrform veranlaßt: vor den Ohren der Iranier erklingen Namen, die ihnen aus dem Avesta vertraut sind, in hellenistischen Gebieten treten philosophische Begriffe an die Stelle mythischer Bezeichnungen, und vor Christen werden die neutestamentlichen Elemente verstärkt. Er verwirft die früheren Religionen nicht schlechthin, sondern erkennt sie als Vorstufen an und weiß Buddha, Zoroaster und Jesus als gottgesandte Vorläufer zu würdigen. Sich selbst fügt er als den von Jesus geweissagten Parakleten in die dem Christen heilige Reihe der Gottesmänner ein1. Der Ausgangspunkt seines theologischen Denkens ist wie bei Bardesanes das Problem des Bösen in der Welt, aber er löst es nicht in dem vermittelnd-optimistischen Sinne des Syrers, sondern durch das Dogma vom absoluten Bösen, das ewig dem absoluten Guten gegenübersteht: dieser Dualismus ist die Grunderkenntnis, auf der sich alles Weltverstehen aufbauen muß, der sich in dem Gegensatz von Licht und Finsternis, Gott und Materie zum Bewußtsein bringt. Und ganz in den Bahnen der Gnosis fortschreitend lehrt Mani weiter, daß diese Welt das Ergebnis einer Katastrophe ist. Die Finsternis strebte nach dem Licht, und aus dem Ringen beider gegensätzlicher Mächte entstand eine Welt der Mischung, in der wir Lichtsubstanz in den Fesseln der Finsternis gefangen sehen. Auch der Mensch ist ein solches Mischgebilde. Aber Gott bedient sich seiner, um die Erlösung des Lichts zu erreichen. Er sendet seinen Gesandten auf die Erde, der den Menschen zum Bewußtsein seines Wertes bringt und ihn den Weg lehrt, auf dem er seine göttliche Lichtsubstanz freimachen und sie zu ihrem Ursprung zurückführen kann. Dieser Weg ist die Askese, die Loslösung von den materiellen Banden des Reiches der Finsternis: vor allem gilt es, auf die Fortpflanzung zu verzichten, welche immer neue Lichtseelen in neue Körper bannt. Aber auch kein Tier darf man quälen oder töten, keine Pflanze abreißen, auch nicht feste Wohnung an einem Ort dieser Welt nehmen. Wandern muß der „Auserwählte", der vollkommene ebd. S. 56 f.

Die Lehre des Mani

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Jünger des Meisters, und das neue Evangelium predigen: für seine bescheidene, vegetarische Nahrung sorgt der weitere Kreis der Anhänger Manis, die „Katechumenen", die in dieser Welt bleiben und durch ihre „Almosen" den Auserwählten den Weg der Erlösung ermöglichen. Die Katechumenen begnügen sich mit der intellektuellenZustimmung und tätigen Unterstützung des Glaubens, dem die Auserwählten die Wirklichkeit ihrer Lebenshaltung weihen. Die eigene Kultbetätigung der Gemeindeglieder beschränkt sich auf die Leistung vorgeschriebe ner Gebete und Fasten sowie auf das Beichten der Sünden 1 , das als Selbstbesinnung der Seele auf ihr Wesen heilende Kraft hat. Sakramente und Mystik irgendwelcher Art gibt es im Manichäismus nicht, und dadurch scheidet er sich von der hellenistischen Gnosis und auch vom Christentum. Diese in ihren Grundzügen klare und einfache Erlösungslehre wird aber nun in Form eines Mythus vorgetragen, der in seinem komplizierten Aufbau und in der Mannigfaltigkeit seiner von überall her entlehnten Bestandteile alles hinter sich läßt, was die frühere Gnosis hervorgebracht hat. Im Lichtreich herrscht der höchste Gott, der „Vater der Größe", dessen Wesen sich in fünf Denkformen entfaltet: ihm gegenüber steht das Land der Finsternis mit den fünf „dunkeln" Elementen Rauch, Feuer, Wind, Wasser, Finsternis, und im gleichen Fünftakt ist die ganze materielle Welt gegliedert, die in unruhigem Drängen sich in sich selbst bekämpft und erst dann ihre Kräfte zusammenfaßt, als sie von ihrer Grenze aus die Herrlichkeit des Lichtreichs erblickt und es zu erobern beschließt. Gott sendet zur Abwehr seine personifizierten Kräfte, vor allem aber den „Urmenschen" mit den fünf „lichten" Elementen Luft, Wind, Licht, Wasser, Feuer. Im Kampfe gibt der Urmensch die Lichtelemente preis: sie werden von der Finsternis verschlungen und so mit ihr vermischt, daß sie mit den fremden Elementen zu Lebenseinheiten zusammenwachsen und .ihre Heimat vergessen. Auch der Urmensch verfällt zeitweilig *) Bang Manich. Laien - Beichtspiegel im Museon 36 (1923), 137—242.

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dieser Bewußtlosigkeit, wird aber — und in ihm der Nus, die himmlische Vernunft — durch den von oben gesandten „Lebendigen Geist" gerettet. Sodann wird zum Zweck der Erlösung der gefangenen Lichtelemente die Welt geschaffen: ein reich ausgebildeter Mythus schildert das Strafgericht, das der Lebendige Geist an den Dämonen (Archonten) der Finsterniswelt vollzieht, aus deren Haut, Fleisch und Knochen der Kosmos gebaut wird. Aus rein gebliebenen Lichtteilen werden Sonne und Mond geschaffen als die „Lichtschiffe", in denen sich alle weiteren frei werdenden Lichtteile zur Heimkehr ins Reich versammeln sollen. Man kann die Zunahme der einströmenden Lichtmenge allmonatlich an der wachsenden Rundung der Mondscheibe beobachten. Nun steigt der „Dritte Gesandte" hernieder, um das Erlösungswerk zu beginnen, dessen ersten Akt die sexuelle Verführung der Dämonen-Archonten durch reizende Lichtwesen bildet: große Lichtmengen werden dadurch frei und machen die Finsternis um den Rest ihres Raubes besorgt. So schafft sie auf phantastisch wilde Weise das Menschenpaar Adam und Eva, die bestimmt sind, den in ihnen wohnenden Lichtkern durch sexuelle Fortpflanzung immer wieder an das Fleisch, also die finstere Materie zu binden und dadurch weitere Befreiungen unmöglich zu machen. Aber auch dieser Abwehrplan wird zunichte. Jetzt steigt als neue Figur des mythischen Dramas „Jesus der Glanz" zu Adam herab, und lehrt ihn die Lichtart seiner Seele und ihre göttliche Herkunft kennen: damit weckt er in ihm den Widerstand gegen die Fesseln der Materie und die Sehnsucht nach Befreiung. Jesus bringt den „Nus", die göttliche Vernunft, als wirkenden Faktor der Menschheit — etwa das, was die christlichen Apologeten den Logos nennen — und dieser schafft in den Seelen der Menschen die fünf „Glieder der Seele" — d . h. Verstandeskräfte — und die fünf Tugenden Liebe, Glaube, Vollendung, Geduld und Weisheit: das sind die erlösenden Waffen der Seele im Kampf für ihre Befreiung. Aber die Wirkungen des Nus werden mit der Zeit ver-

Der Mythus des Manichäismus

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gessen, und immer neue Boten erscheinen auf Erden, um die Menschen an den rechten Weg zu mahnen: das sind die großen Religionsstifter, die Mani als seine Vorläufer anerkennt, und deren letzter Jesus ist. Jesus kann in dem Zusammenhang dieses Mythos natürlich nur als Prediger des Nus gewürdigt werden, er wird auch vielfach mit dem Urmenschen gleichgesetzt oder als sein Sohn bezeichnet, auch wohl dem Dritten Gesandten beigeordnet oder an seine Stelle gesetzt — aber sein Leiden und sein Tod erscheinen nicht als historische Ereignisse, als echtes Erleben Jesu. Die Passionsgeschichte ist für die Manichäer ein mythisches Bild und Jesus am Kreuz stellt die an die Materie gefesselte Seele dar. Wenn Mani sich in seinen Briefen nach dem Vorbild des Paulus regelmäßig als „Apostel Jesu Christi" bezeichnet, so stellt er sich damit bewußt in die lange Reihe der gottgesandten Boten des Nus als der letzte und abschließende Verkünder der Lichterlösung. Was nun noch kommt, ist das bereits im Neuen Testament vorausgesagte und geschilderte Ende dieser Welt und der Triumph des Lichts über die Finsternis. Wenn man sich die mythischen Züge, die hier nur in ganz groben Umrissen wiedergegeben sind, durch zahllose Einzelheiten und Ausmalungen vermehrt und immer wieder durch den Rhythmus der Fünf und der Zwölf gegliedert denkt, so hat man einen Begriff von der Buntheit des manichäischen Weltbildes, das obenein noch durch eine Fülle von Querlinien, unlogischen Einschüben, Gleichungen und Vertauschungen von Bildern, Namen und Begriffen ins Unübersehbare verwirrt wird. Und während die Grundlinien der neuen Religion durch die Jahrhunderte unverrückt geblieben sind, hat sich schon bei Lebzeiten des Meisters die Phantasie der Schule der mythischen Bilder bemächtigt, sie hier weiter ausgeführt, dort vereinfacht und neue Farben bis zum völligen Verschwinden des Untergrundes aufgetragen. Das ist unseres Wissens eine charakteristische Erscheinung aller gnostischen Schulen gewesen, tritt aber beim Manichäismus besonders deutlich in die Erscheinung und hat nicht wenig dazu beigetragen, die Er-

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12. Syrien und sein Hinterland

kenntnis seiner ursprünglichen Gestalt zu erschweren. Jetzt aber sehen wir, daß schon in Manis eigenem Denken die gaukelnden Gestalten gnostischer Phatasie die Herrschaft üben und ihn von nüchterner Beobachtung und einfacher Erkenntnisweise abziehen. Seine Religion ist aus dem Christentum und der Gnosis erwachsen und knüpft an beides mit vollem Bewußtsein an: aber der griechische Geist verstandesmäßiger Klarheit ist von ihr gewichen, und die mythischen Erlösergestalten haben die Stimme des Predigers von Galiläa verstummen gemacht. Die historische Verwurzelung der Religion ging verloren, übrig geblieben ist allein die unfaßbare Gottheit, deren Funke in der Menschenseele nach Erlösung schreit — und der Mensch, der durch Verneinung dieser Welt sich und Gott erlöst. Einer echten Entwicklung ist diese Religion nicht fähig gewesen: so hat sie im Randgebiet der Weltgeschichte ein Jahrtausend hindurch mumiengleich ihre Form bewahrt und ihren Geist verloren. Das Christentum fügte sich in den lebendigen Strom der abendländischen Geistesgeschichte und wandelte sich mit ihm durch alle Jahrhunderte: aber unverändert klangen zu jeder Zeit in seinen Kirchen die alten schlichten Worte des Evangeliums.

Ägypten Es ist und bleibt eine auffällige Tatsache, daß während der ersten hundert Jahre christlicher Mission, ja noch erheblich darüber hinaus, Ägypten nicht in unsern Gesichtskreis tritt, und daß die spätere Kirchengeschichtsschreibung sich bemühen muß, die Lücke mühsam mit einer erdichteten Bischofsliste von Alexandria und einer den Marcus heranziehenden Gründungslegende zu stopfen. Und doch steht Ägypten in regstem Verkehr mit dem schon stark vom Christentum durchströmten Osten und Rom. Das muß einen besonderen Grund haben, und man hat ihn neuerdings 1 darin finden wollen, daß in ältester Zeit in Ägypten ein Christentum geblüht habe, welches in einer schon der nächsten Periode unerträglichen Weise von der kirchlichen Art abwich, mit andern Worten häretisch war. Davon zu schweigen hatte dann freilich die Geschichtsschreibung der Orthodoxie allen Grund. Es ist wirklich so, daß alle Nachrichten über Christen in Ägypten, die sich auf die ersten drei Viertel des zweiten Jahrhunderts beziehen, Ketzer betreffen. In Hadrianischer Zeit beginnt Basilides, in früher Antoninenzeit Valentin seine Lehrwirksamkeit, und um diese großen Gnostiker schart sich ein Schwärm von Schülern und Gleichstrebenden: auch den Marcioniten Apelles finden wir vorübergehend hier2. Und als ringsum in der Mittelmeerwelt die Gnosis von der Kirche zurückgeschlagen ist, hat sie in Ägypten noch Jahrhunderte lang Nachtriebe gezeitigt, die vor allem in der koptischen Ubersetzungsliteratur, aber auch in griechischer Urform auf Papyrus erhalten sind. Es kommt dazu, daß ein durch und durch gnostisches Erzeugnis® durch !) W. Bauer Rechtgläubigkeit u. Ketzerei 49—64. 2 ) Bd. 1, 279. 301. 309. 3) Klostermann Apokrypha II (Kl. Texte 8)2 S. 12 f.

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13. Ägypten

seinen Namen „Ägypterevangelium" als das in Ägypten schlechthin und zwar im Gegensatz zu unsern vier kanonischen übliche bezeichnet wird — das heißt doch aber, daß „die Ägypter" oder genauer gesagt die ägyptischen Christen Gnostiker sind. Nicht minder gnostisch ist aber auch das in Ägypten umlaufende „Hebräerevangelium", welches von Klemens und Origenes zitiert wird und von dem Text der syrischen Judenchristen 1 wohl zu unterscheiden ist: möglich, daß es in den Kreisen jüdisch-christlicher Gnostiker in Gebrauch war. Alles das stützt die Annahme, daß in Ägypten •— ähnlich wie in Syrien — das Christentum zuerst in gnostischen Formen Fuß faßte, und daß ein katholisches Kirchentum sich hier erst spät und in härterem Kampf gegen die Gnosis durchsetzte: vermutlich hat Rom dabei entscheidende Hilfe geleistet. Möglich, daß auch die merkwürdige Selbständigkeit der alexandrinischen Pfarrgemeinden und die späte Entwicklung des Episkopats 2 damit zusammenhängen. Jedenfalls ist die katholische Kirche für uns erst in der Person und mit der Zeit des Bischofs Demetrius (189—231) faßbar, und ihr erster großer Vertreter ist Klemens der Alexandriner. Der war — aller Wahrscheinlichkeit nach — aus Athen gebürtig, und man gewinnt aus seinen Schriften den Eindruck, daß er ein echter Grieche gewesen ist. Seine Familie hat das römische Bürgerrecht durch einenFlavier bekommen, wie seinvoller Name Titus Flavius Clemens lehrt: man hat an den vonDomitian hingerichteten Consular Flavius Clemens 3 als Patron gedacht 4 . Wie der Apologet Justin 5 so ist auch er Weisheit suchend durch die Welt gezogen und hat Lehrer in Hellas, Unteritalien und dem Orient mit Nutzen gehört: aber die Erfüllung alles Sehnens brachte ihm Pantainos, den er in Ägypten fand 6 . Dieser gehört zu der nicht kleinen Zahl ausgezeichneter Lehrer, deren Gedächtnis nur die dankbare Erinnerung eines überragenden Schülers der Geschichte aufbewahrt hat. Euseb ») Bd. 1, 193. Klostermann Apokrypha II S. 5 f. Nr. 5. 27. ! ) s. o. 3 4 S. 54 f. ) s. S. 158. ) O. Stählin in der vorzüglichen Einleitung zu seiner Übersetzung: Bibl. d. Kirchenväter 2. Reihe Bd. 7 S. 10. 6 6 ) Justin dial. 2. ) Clem. Strom. 1, 11, 1—2.

Klemens und die Katechetenschule zu Alexandria

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weiß darüber hinaus noch das Gerücht zu melden, er sei Stoiker gewesen und habe eine Missionsreise nach Indien gemacht 1 . Die modernen Versuche, seine Vorlesungen aus den Schriften des Klemens herauszuschälen, dürfen als gescheitert gelten 2 . Wir müssen Pantainos zu einer von Klemens öfter zitierten Gruppe von „Presbytern", also zu Männern der älteren Generation, rechnen, die nur mündlich auf ihn gewirkt haben und ihm als verehrungswürdige Träger altchristlicher Überlieferung gelten. Irenaeus weiß sich von einem ganz ähnlichen Kreis von „Presbytern" abhängig. Aber Pantainos war schon darum der Einflußreichste unter ihnen, weil er der Leiter der „alexandrinischen Katechetenschule" war'. Über diese erfahren wir auch erst in späterer Zeit Genaueres: unter Orígenes ist sie ein Zentrum christlicher Wissenschaft und wird von Angehörigen aller Konfessionen und Philosophien besucht, hat auch die Methode des antiken Wissenschaftsbetriebes im Aufbau des Lehrplans angenommen. Man ist geneigt, diese Weite des Gesichtskreises, welche dem Geist der in Alexandria seit der frühen Ptolemäerzeit heimischen griechischen Wissenschaft entspricht, auch schon den Anfängen der christlichen Schule zuzuschreiben und sie mit philosophisch-biblisch gerichteten Strömungen innerhalb der ägyptischen Gnosis zusammenzubringen, welche Fühlung mit dem erstarkenden Katholizismus suchten. Mögen nun die Anfänge gewesen sein, welche sie wollen: Klemens wurde der Nachfolger des Pantainqs und hat der Schule den Stempel seines Wesens aufgedrückt, und der ist klar und eindeutig durch die Formel einer in bewußt katholischem Sinn christlichen Gnosis bezeichnet. Was wir von Lebensschicksalen des Klemens sonst wissen, äst schnell gesagt. Er hat sich zuerst bekannt gemacht unter Kaiser Commodus (180—192)4. Die Verfolgung unter Septimius Severus (202/3) ') Zusammenstellung aller Nachrichten bei Harnack altchristl. Litt. 1, 291—296. 2 ) J. Munck Unters, über Klemens v. Alex. (1933) 173—204. J ) Euseb KG 5, 10, 1. 4. Vgl. Bardy, Rech, scienc. rélig. 1937 (27, 1) 65—90. 4 ) Euseb KG 5, 11, 1, dazu E. Schwartz in Euseb KG Bd. 3, 29. Julius Africanus fr. 52 (Routh reliquiae sacrae2 2, 307).

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13. Ägypten

sprengte die christlichen Lehrer der Stadt auseinander 1 , und im Jahre 211 begegnen wir Klemens wieder als dem Überbringer eines bischöflichen Schreibens vom kappadokischen Caesarea nachAntiochia. Etwa fünf Jahre später wird er als tot beklagt 2 . Ausgiebiger sind die Nachrichten von seiner schriftstellerischen Tätigkeit, die in wünschenswerter Weise unsere Kenntnis über die erhaltenen Werke hinaus erweitern: Euseb gibt in seiner Kirchengeschichte eine Zusammenstellung der ihm bekannten, und der gelehrte Konstantinopeler Photios hat sich (c. 850) die Hauptwerke des Klemens vorlesen lassen und seinem Sekretär in die Feder diktiert, was er daran auszusetzen fand: und das war nicht wenig®. Erhalten sind drei große Werke und ein kleiner Traktat, von anderem nur kurze Nachrichten und Bruchstücke 4 . Die drei Hauptschriften stehen in einem inneren Zusammenhang miteinander, und man darf sie trotz aller gegen diese Bezeichnung vorgebrachten Bedenken getrost eine Trilogie nennen. Die erste will den Leser für das Christentum werben, die zweite in christlicher Lebenshaltung unterrichten, die dritte das Idealbild des in die Tiefen des Wissens eingeweihten vollkommenen Christen zeichnen. Der Plan steht dem Klemens schon früh fest, aber in der Ausführung des dritten Teils ist er schwankend geworden und hat ihn nach mannigfachen Verzögerungen schließlich unvollendet hinterlassen müssen 5 . Klemens steht mitten in dem bewegten geistigen Leben seiner Zeit und schaut die Fülle der Gesichte, die nirgendwo so bunt entfaltet wurde wie in Alexandria. Hier war exakte Wissenschaft zu Hause, und noch lag der Abglanz versinkender Herrlichkeit über ihr. Als Klemens die Stadt betrat, war der Astronom Claudius Ptolemaios, der Schöpfer des über das folgende Jahrtausend hinaus maßgebenden Weltbildes, vor ») s. S. 163 Euseb KG 6, 3, 1. 2) Eiiseb KG 6, 11, 6. 14, 9. Harnack Chronologie 2, 6. 3 ) Euseb KG 6, 13, 1—7. Photios bibl. cod 4 109—111. ) Ausgabe von O. Stählin 1905 bis 1909. Übersetzung des Protr. und Pa'edag. in Bibl. d. Kirchenväter, 2. Reihe Bd. 7. 8 s (1934); ein weiterer Band steht bevor. ) Clem. Paed. 1, 1—2. Strom. 4, 3.

Klemens als Schriftsteller

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kurzem gestorben. Die Philologie wahrte noch ihre Tradition, und Apollonios Dyskolos schrieb über griechische Formenlehre und Syntax. In dem benachbarten Naukratis saß Athenaios und komponierte aus dem Inhalt mehrerer Handbücher und zahlreicher Zettelkästen ein platonisches Gastmahl, wie es Aulus Gellius ähnlich dem Abendland vorsetzte: und das gebildete Publikum ließ sich gerne dazu einladen. Tot waren damals auch schon die großen Gnostiker, aber ihre Schulen lebten und wirkten auf Christen und Heiden. Lebendig war vor allem aber im Kreise philosophisch Suchender Plato, und sein kommender Prophet Ammonios trug noch unentdeckt die Lastsäcke in die Magazine am Hafen. In dieser Welt war Klemens zu Hause: für sie hat er geschrieben und hat auch seine Leser gefunden, denn er besaß ihr Bürgerrecht und brauchte nicht um Anerkennung zu kämpfen, wie etwa Justin und seine apologetischen Gefährten. In Alexandria war die Geschichte des Geistes schneller vorangeschritten als anderswo, und das bedeutete bessere Bahn für das Christentum. Klemens ist Philosoph und Gnostiker, Philosoph am Anfang, Gnostiker am Ende, aber beides als Christ: und er will der Welt beweisen, daß eben in dieser Vereinigung die Lösung ihrer Rätselfragen liegt und zugleich die vollendete Einsicht in die scheinbar so einfachen und grobschlächtigen Lehren der katholischen Kirche erschlossen wird. Und er trägt diese Meinung seinen Lesern vor in der Sprach- und Stilform, die man von einem eleganten Schriftsteller forderte. Er gibt sich Mühe, attisch zu schreiben, braucht, wo es ihm gut scheint, den in der Sprache des Lebens schon sterbenden Optativ und flicht gelegentlich auch schöne Dualformen und andere grammatische Leckerbissen ein. Die Sätze werden rhetorisch wirkungsvoll gebildet, und gleichgebaute Glieder zu zweien, zu dreien oder in längeren Reihen, gern auch mit rhythmischem Gleichklang, erfreuen den Hörer. Dann wieder rollen künstliche Perioden rauschend dahin, erfüllt mit Worten einer pathetischen Sprache. Was die Zeit an Mitteln wirkungsvoller Redekunst liebt, wendet Klemens an, um zu

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13. Ägypten

siegen, und er versäumt auch nicht, ab und zu seine „ungekünstelte" und „nur der Sache dienende" „schlichte Sprache" in Gegensatz zu stellen gegen das „gezierte Turteltaubengirren" des üblichen „sophistischen Ohrenkitzels": auch diese Phrase gehört zum Handwerk 1 . Wie Tertullian im Westen, so ist Klemens im Osten (wo es schwerer war) der erste Christ gewesen, den die literarische Welt als vollwertigen modernen Schriftsteller anerkennen mußte. Klemens war ihr ein Sophist so gut wie Aristides oder Philostrat, und man konnte seine Schriften mit ihrem sonderbaren Inhalt zur Hand nehmen, ohne den guten Geschmack zu verletzen. Da gab es zunächst einen „Protreptikos", eine „Werberede": das war ein beliebter Titel für rednerische Erzeugnisse, welche die Menschen ermuntern wollten, einen bestimmten Entschluß zu fassen, sowohl in der politischen Rhetorik wie im philosophisch-sittlichen Wirkungsgebiet: Aristoteles hatte einen Protreptikos geschrieben, dann auch Epikur und eine ganze Reihe Stoiker, darunter Kleanthes, Chrysipp und Poseidonios. Klemens wählt den gleichen Titel, um dem Leser anzudeuten, daß er für das Christentum gewonnen werden soll, aber hier so gut wie in den andern Schriften vermeidet er mit gutem Grund den trockenen Ton des philosophischen Schulmeisters und redet als eleganter und moderner Sophist: den Ernst des Zuspruchs bringt die Sache schon von selber zum Bewußtsein. Amphion, Arion und Orpheus lassen ihre Zauberlieder klingen, und auf die Leier des Eunomos fliegt die hilfreiche Zikade — aber was bedeuten die alten Weisen? Irrtum und bakchische Raserei, Knechtschaft unter der Dämonen Tyrannei. Jetzt tönt der Wahrheit ewige Weise im neuen Lied des göttlichen Logos „lösend Kummer und Groll und macht des Leides vergessen". Dies reine Lied der Harmonie klingt bis an der Welt Enden und schließt alles fügsam ineinander nach Gottes väterlichem Willen. Leier und Kithara sind seelenlose Instrumente, die der Logos verschmäht. Sein vielstimmiges Instrument ist die große Welt und der Mensch, die kleine Clem. Strom. 1, 22, 4—5. 2, 3, 1 u. ö.

Klemens: Protreptikos

289

Welt, zu dessen geistgewirkter Harmonie er Gott sein Loblied singt. Das ist des neuen Liedes Sinn, daß dieser Logos, der im Anfang war und die Welt geschaffen hat, uns leuchtend erschienen ist als Christus der Heiland und Lehrer rechten Lebens, das zum ewigen Leben führt. Wir spüren in solchen Worten der Einleitung ein christliches Lebensgefühl, wie es uns bisher noch nicht begegnet ist. Nicht die trotzige Kampfstimmung der Apologeten, die Unrecht abwehren und mit bitteren Worten Gerechtigkeit fordern, nicht der fanatische Haß und die advokatorische Schärfe Tertullians, sondern überlegenes Selbstbewußtsein und ruhige Sicherheit formen die Gedanken mit dichterischer Kraft zu einem triumphierenden Hymnus auf Christus als den Bringer der letzten und ewigen Wahrheit. Gleich die ersten Abschnitte des Buches führen den Leser auf die Höhe: vom Logos der Welt soll die Rede sein, und dieser Logos ist als Christus erschienen, in der Bibel geweissagt, vom Täufer Johannes verkündet. Und dann spürt der Leser mit scharfem Unbehagen, wie es bergab geht, wenn Klemens ihn zu den verstummten Orakeln vergessener Götter, zu den Schamlosigkeiten obskurer Mysterien führt. Nun mündet Klemens freilich in den Strom der üblichen Polemik gegen den antiken Götterkult ein, es werden die unvermeidlichen Themata ausgiebig abgehandelt, und die Sibylle tritt als Zeugin der biblischen Wahrheit zur Seite. Die Philosophen werden abgehört und Plato, der hart vor der Tür der letzten Gotteserkenntnis stehen bleibt, muß bekennen, daß die Hebräer seine Lehrmeister gewesen sind. Auch Xenophon, Kleanthes und am eindringlichsten Pythagoras werden als Verkünder einer wahren Gotteslehre aufgerufen. Ihnen folgt die Schar der Dichter in ausgewählten Zitaten, die einer uns auch sonst faßbaren Blumenlese entnommen sind, und dann schließen sich mit eindrucksvoller Selbstverständlichkeit die Propheten des Alten Testaments an, denen die Sibylle beigegeben wird, als könnte es gar nicht anders sein. Dieses absichtliche Verwischen der Grenze zwischen hellenischem und biblischem L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

19

13. Ägypten

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Schrifttum erhebt die Einheitlichkeit der göttlichen Offenbarung in der ganzen Welt zu einer unausgesprochenen Überzeugung, der sich im Folgenden die Lehren der neutestamentlichen Schriften zwanglos anfügen. Und wenn sich dann die tausend Stimmen aus aller Welt mit göttlicher Harmonie zur Einheit zusammenfinden, dann wird es ein einziger, gemeinsamer Gesang, den als Chormeister der Logos leitet, bis er in das Thema der letzten Wahrheit ausklingt, das da lautet „Abba, lieber Vater"! 1 Soweit geht die Darlegung im großen Zug. Nun kommen Bedenken der Angeredeten zu Wort, und eindringliche Ermahnungen häufen Ernst und Spott dawider, um die noch schwankenden Herzen zum heilbringenden Entschluß zu treiben: immer neue Gründe findet die Rede des Seelsorgers, bis sie endlich in lichte Bilder ausmündet. Auf der Tod drohenden Klippe sitzen die Sirenen und singen das verführerische Lied von der Lust der Welt. Bleib im Schiff, das der Logos steuert, und binde dich wie Odysseus an den Mast: dann läufst du sicher in den himmlischen Hafen ein, wirst auf Gottes heiligem Berg die Mysterien des Logos feiern, mit den Gerechten und Engeln den Reigen tanzen um den ungewordenen, unvergänglichen, wahrhaft einzigen Gott. Jesus ruft der Menschheit zu, allen die Vernunft besitzen, Barbaren und Hellenen, dem ganzen Menschengeschlechte, das er schuf nach dem Willen des Vaters: Höret, ihr tausend Stämme, kommt zu mir — und nun folgt ein rhetorisches Finale von auserlesener Kunst: Jesu Rede gewinnt immer mächtigere Klänge, kurze Satzglieder hämmern mit scharfen Akzenten auf den Hörer ein; Unsterblichkeit, Aphtharsia, Gnosis leuchten auf und klingen aus in den Heilandsruf „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!" Es folgt des Klemens Abgesang: erst noch im stürmischen Tempo, dann langsamer werdend nimmt er Christi Mahnung auf und stellt den philosophischen Hörer vor die Wahl „Wahrheit des Logos oder Wahn der Massen?" Zu Gottes Freund Clem. Protr. 88, 3.

Klemens: Protreptikos. Paidagogos

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macht dich der Logos und so wird alles dein, wie alles Gottes ist, denn gemeinsam ist der Freunde Habe. Nun darf es ausgesprochen werden: Allein der Christ ist fromm und reich und hochgeboren, Gottes Ebenbild; wir glauben, daß, wer mit Vernunft gerecht und heilig ward durch Christus Jesus, auch schon in solchem Maß Gott ähnlich ist. Von dieser Gnade kündet des Propheten Wort „Ich sprach: ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten". Das ist das Letzte, was Klemens dem Griechen zu sagen hat: er will ihm den Weg zur Vergottung zeigen; die Erfüllung tiefster Menschensehnsucht ist Christi Verheißung. So schließt der Protreptikos. Das zweite Werk des Klemens knüpft unmittelbar an das erste an und entwickelt zunächst dem Leser den Plan einer Trilogie. Hat der Logos das sittliche Streben eines Menschen gewonnen — und das war das Ziel des Protreptikos — so tritt er nun als Erzieher an ihn heran, um beratend und tröstend seine Seele zu bilden: so ist das Thema des nun beginnenden Werkes Christus als Erzieher (Paidagogos). Einer künftigen Abhandlung soll die Darstellung Christi als des Lehrers (Didaskalos) vorbehalten bleiben, worin von theologischer Lehre und Offenbarung die Rede sein wird. Hatte sich Klemens im ersten Werk wesentlich an die Heiden gewendet und auf ihre Meinungen und Vorurteile Rücksicht genommen, so grenzt er im Paidagogos seine Lehre deutlich von den Theorien der Gnostiker ab, denen zwischen Glauben und Erkenntnis die trennende Kluft liegt. Auf der einen Seite stehen ihnen die Psychiker, die Durchschnittschristen der katholischen Kirche, die mit blindem Glauben vorlieb nehmen und die Bibel wörtlich verstehen, auf der andern die Pneumatiker, denen der Geist dieErkenntnis göttlicher Geheimnisse zeigt, und die durch den Buchstaben des Schriftwortes zum tieferen Sinn durchdringen. Sie, und sie allein, sind die vollkommenen Christen. Davon will Klemens nichts wissen. Wer getauft wurde, ist dadurch vollkommener Christ geworden: erleuchtet, Sohn Gottes, vollendet, unsterblich — wie Christus durch seine Taufe uns das Vorbild gab. Die Taufe versetzt den Christen 19*

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13. Ägypten

mit einem Schlage aus dem Reich der Finsternis in die lichte Helle der Erkenntnis Gottes, die Sünden fallen wie ein dunkler Nebel von ihm ab, und mit des Geistes reinem Auge blickt er himmelwärts, Göttliches zu schauen. Wir alle, die getauft sind, haben die irdischen Begierden abgelegt und sind geistliche Menschen, Pneumatiker, vor dem Herrn. Glaube ist das Wesen des Christenlebens in der Zeit, er nimmt voraus, was künftig sein wird und ist insoweit allumfassend und vollendet — denn was kann höher stehen als das ewige Leben, das der Glaube ergreift, und das doch erst nach der Auferstehung Wirklichkeit wird. Gnosis ist vom Glauben nicht wesensverschieden, sondern ist nur das Bewußtwerden des neuen Lichts1. Wenn man den Paidagogos liest, so ahnt man nicht, was Klemens später aus dem Schlagwort Gnosis zu gewinnen weiß. Wir haben gesehen, wie die Frage nach dem Ursprung des Bösen, der Sünde, die Seelen christlicher Denker immer neu beunruhigt hat. Klemens reduziert mit gelegentlichen Seitenblicken auf gnostische Meinungen das Problem auf die Untersuchung, ob Gerechtigkeit mit Güte, Zorn und Strafe mit freundlicher Verheißung bei Gott vereinbar sei, und hat in seinem Zusammenhang die Lösung vom Standpunkt der göttlichen Erziehung aus leicht zur Hand: er kann sich nicht bloß auf Bibelstellen berufen, sondern hat auch Piatos Gorgias zum Zeugen, und stellt falschen Vorstellungen von Gottes Zorn das Bild des gerechten Gottes entgegen: „Wer die Wahl hat, trägt die Schuld, Gott ist schuldlos" sagt Plato, und Paulus stimmt ihm zu. Im freien Willen des Menschen liegt die Ursache der Sünde 2 — aber in dem Hauch des Gottesgeistes, den der Mensch bei der Schöpfung empfing, liegt der Wert des Menschen, den Gott liebt und der ihn seinen eingebornen Sohn auf die Erde senden hieß3. Da berührt sich Klemens mit der Gnosis, die von dem im Menschen ruhenden und Gott zur Erlösung drängenden Lichtfunken oderPneumakeim zu reden weiß4. Den Menschen, den er aus Staub gebildet, gebiert Gott ») Clem. Paed. 1, 25—31; vgl. 32—52. 2) Clem. Paed. 1, 62—70; vgl. Plato rep. 10 p. 617 e. s ) Clem. Paed. 1, 7—8. 4) s. S. 282 und Bd. 1. 312.

Klemens: Paidagogos

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neu durch Wasser, läßt ihn wachsen durch den Geist, erzieht ihn durch das Wort, leitet ihn durch seine Gebote zur Sohnschaft und zum Heil, damit er den Erdgebornen durch sein Hinzutreten umbilde zum heiligen und himmlischen Menschen und so das Schriftwort erfülle: „Lasset uns einen Menschen machen nach unserm Bild und Gleichnis." Und was Gott da gesagt hat, das ist in Christus vollkommen erfüllt, bei der übrigen Menschheit bleibt es bei dem „Bilde". So wollen wir denn den Willen des Vaters erfüllen, das Wort des LogosPaidagogos hören und das heilbringende Leben unseres Heilandes nachleben. Er gibt uns die Gebote und beschreibt ihre Art, so daß wir sie erfüllen können. Dies Leben ist schlicht und anspruchslos, selbstgenügsam und wandert ohne Sorgenlast der Ewigkeit entgegen. Der Logos lenkt es mit seinen vernunftgemäßen Weisungen. Was der rechten Vernunft zuwider ist, das ist Sünde und wirkt sich aus in Leidenschaften. Gehorsam gegen die Logosvernunft ist das, was wir Christen Glauben nennen, und das führt von selbst zur Erfüllung der von den stoischen Philosophen so genannten „Pflichten". Das Christenleben, zu dem der Paidagogos uns jetzt anweist, ist eine Summe vernunftgemäßer Handlungen, die sich mit den Geboten des Herrn deckt, göttlichen Sätzen, die uns zur geistigen Anleitung in der heiligen Schrift aufgezeichnet sind 1 . Damit ist die Grundlage der christlichen Sittenlehre gegeben: Christus der Logos, das Weltprinzip der Vernunft, hat die Erziehung des jungen Christenvolkes selbst in die Hand genommen. Er hat seine Gebote in der Bibel Alten und Neuen Testaments aufgezeichnet, wirkt ihre Erfüllung im einzelnen Christen durch seinen heiligen Geist, bestimmt aber auch sonst ringsum in der Welt alles pflichtmäßige Handeln, weil „Pflicht" immer der Ausfluß eines vernunftgemäßen, also vom Logos stammenden, Grundsatzes ist. So ist es nicht wunderbar, sondern eine innerliche Notwendigkeit, daß christliche und stoische Ethik zusammenstimmen. Das wird schon in den Schlußkapiteln des ersten ») Clem. Paed. 1, 98—103.

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13. Ägypten

Buches des Paidagogos deutlich und zeigt sich auf Schritt und Tritt in den beiden folgenden Büchern, die nun die praktische Ausführung der Grundsätze bringen. Klemens ist auch darin Schüler der Stoa, daß er Ethik nicht nur in allgemeinen Wendungen entwickelt, sondern auch systematisch die Lebensgebiete durchgeht und an einzelnen Beispielen seine Lehren klarmacht — was wir Kasuistik nennen. So führt denn das Werk mit dem Beginn des zweiten Buches sofort in das tägliche Leben herein. Nacheinander wird gehandelt vom Essen, vom Trinken, von kostbarem Hausrat, von Musik und Tanz und sonstiger Unterhaltung bei Gastmählern, vom Lachen, vom Zotenreißen, vom anständigen Benehmen in Gesellschaft, von Salben und Kränzen, vom Schlaf, vom Geschlechtsverkehr, vom Kleiderluxus, von der Fußbekleidung, von kostbarem Schmuck — das sind die Themata des ersten Buches. Es ist bezeichnend, daß sittliche Mahnung und Anstandsregel hier Hand in Hand geht, biblische Begründungen mit philosophischen Erwägungen und dem typisch stoischen Hinweis auf das Naturgemäße und darum Vernünftige in engster Verbindung stehen. Einfache Nahrung ist gesund, Schwelgerei verdirbt den Magen und macht den Menschen krank. Die Prasserei der reichen Genießer ist verächtlich mit ihrer unersättlichen Jagd nach neuen Leckerbissen. Und wenn ein solches Gelage mit seinen duftenden Braten und leckeren Ragouts gar ein christliches Liebesmahl genannt wird, so ist das eine Lästerung des Logos. Es ist wohl zu unterscheiden zwischen dem Liebesmahl der Agape und jeder anderen geselligen Mahlzeit, die übrigens durchaus gestattet und von Christus selbst gebilligt ist. Wir müssen die Gaben der Nahrung als Herren gebrauchen, aber nicht als Sklaven von ihnen abhängig werden. Sind wir einer Einladung gefolgt, so müssen wir auch von den dargebotenen Speisen nehmen, aber stets mit Maß, ohne Gier und warten, bis die Reihe an uns kommt. Es ist unanständig und unvernünftig, sich aufzurichten und die Nase über die Schüsseln zu halten, um den Duft zu riechen, mit den Händen in den

Klemens: Paidagogos. Vom Reichtum

295

Speisen zu wühlen, mit vollen Backen zu kauen, daß die Kopfadern anschwellen und der Schweiß herunterläuft. Man muß sich auch hüten, seine Hand, das Tischtuch oder den Bart zu beschmutzen, mit vollem Munde zu reden oder zugleich zu essen und zu trinken. Vom Übel sind auch die Speisen, deren Zweck es ist, den Appetit zu reizen: reizvolle Abwechslung kann auch ein einfaches Mahl darbieten. Gut ist der Mittelweg in allen Dingen und nicht zum wenigsten bei der Tafelfrage: die Extreme sind gefährlich, die Mitte ist gut. Mitte ist aber da, wo nichts Notwendiges fehlt. Denn die natürlichen Begierden finden ihre Grenze am genügenden Maß. In dieser Belehrung stimmen Moses und Piaton überein 1 . Das ist nur ein Beispiel, aus dem sich die Art ersehen läßt, wie Klemens seine christliche Ethik schreibt; es zeigt aber zugleich auch, für wen er schreibt. Nicht für den Christen schlechthin, sondern für die Reichen und Gebildeten unter ihnen, denen Luxus der Tafel, der Kleider, des Schmuckes tägliche Verlockungen sind, und die mit Leuten verkehren, denen der Lebensstil der oberen Zehntausend in der reichen Handelsstadt Alexandria eine Selbstverständlichkeit ist. Es sind dieselben Kreise, für die er auch seinen Traktat vom reichen Jüngling geschrieben hat, Kreise, denen das Wort vom Kamel und dem Nadelöhr bitter im Ohre klang, und die zwar dem Herrn nachfolgen wollten, aber so wenig wie der reiche Jüngling Lust hatten, alle ihre Habe zu verkaufen und den Armen zu schenken. Klemens tröstet sie mit der Versicherung, das sei auch nicht wörtlich zu verstehen. Nicht wirkliches Veräußern des Vermögens befiehlt der Herr, sondern das Herz vom Besitz zu lösen und sich von allem Begehren und Sorgen danach zu befreien. Armut allein bringt nicht zu Gott und Verschenken der Habe macht noch keinen Christen. Entscheidend ist die Haltung der Seele. Wer seinen Besitz weggibt, aber ihn nachher schmerzlich entbehrt und sich nach ihm sehnt, hat nur Schaden von seinem Tun. Viel besser ist's, selber genug zu haben, nicht darum sorgen zu müssen und ») Clem. Paed. 2, 1—18.

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13. Ägypten

andern helfen zu können. Wie sollte denn die menschliche; Gesellschaft bestehen, wenn keiner etwas besäße? Reichtum ist bei rechtem Gebrauch ein Helfer zur Gerechtigkeit 1 . Was am Ende des zweiten Jahrhunderts in allen größeren Städten Tatsache war, nämlich das Eindringen des Christentums in die Oberschichten, hat in Alexandria die Theologie auf den Plan gerufen und ihr die Frage nach dem Gesamtverhältnis von Kultur und Christentum gestellt: und Klemens hat nicht gezögert, die Frage in positivem Sinne zu beantworten. Das hatten die Gnostiker vielfach auch getan, aber Klemens ist nicht gesonnen, von den sittlichen Forderungen der Religion irgend etwas abzulassen und damit die Freundschaft der Kultur zu erkaufen. Ebensowenig billigt er den fanatischen Haß gegen diese Welt und die rauhen Formen der Askese, die ihn zuweilen zum Ausdruck bringen. Die stoisch-kynischen Philosophen sind nicht selten auch diesen Weg der Weltablehnung in drastischer Weise gegangen, und Klemens hatte die Beispiele vor Augen. Er bejaht die Welt und die Formen der Gesellschaft als ein Wirkungsfeld der christlichen Nächstenliebe2 und will sie nur als Gegenstand des Begehrens aus der Seele gelöst wissen: und damit trifft er als Christ die gleiche Entscheidung, die wir auch bei den vornehmsten Vertretern der Stoa finden. Der Unterschied ist nur der, daß der kühle Unterton dieser Philosophie einer warmherzigen Liebe und Hilfsbereitschaft im Dienste Gottes weicht: und das ist entscheidend. Auf diesem Wege ist der Gedanke einer Christianisierung der Welt aus den Regionen apokalyptischer Phantasie in den Wirkungsbereich geschichtlicher Kräfte überführt worden. Die beiden ersten Schriften der Trilogie sind Mahnungen, die eine an Heiden, die andere an Christen gerichtet. Die dritte sollte lehrhaften Inhalts sein, von christlicher Wissenschaft und Offenbarung handeln. Klemens hat die Kraft dazu nicht gehabt, dieses Buch zu schreiben. Er hätte da straff disponie*) Clem, quis dives salvetur 11—14. tur 30—35.

2

) Clem, quis dives salve-

Klemens und die Kultur. Die Stromateis

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ren und seine leitenden Gedanken über die Lehren des Christentums in systematischem Zusammenhang und übersichtlicher Darstellung bis ins einzelne vorlegen müssen. Das konnte er nicht, denn er war kein Systematiker. Das zeigt sich schon mit völliger Deutlichkeit in den beiden vorausgegangenen Werken. Feine Ausführung von Einzelheiten, glückliche Formulierungen, überraschende Übergänge, prachtvolles Pathos auf den Höhepunkten mit rhetorischer Meisterschaft zur Wirkung gebracht — das alles steht ihm zur Verfügung. Aber ein umfangreiches Material übersichtlich zusammenfassen und mit logischer Klarheit disponieren kann er nicht. Er freut sich an der Fülle des ihm zufließenden Stoffes, aber er beherrscht ihn nicht. Und darum konnte er den geplanten Didaskalos nicht schreiben. Aber seine Not wird ihm zur Tugend. Denn ihm ist feste Uberzeugung, daß in der heiligen Schrift der Grundsatz durchgeführt sei, die letzten Wahrheiten über göttliche Dinge zu verbergen, und daß es darum auch für den Theologen der Gegenwart Pflicht sei, diesem Beispiel zu folgen und das Beste und Tiefste an Erkenntnis zu verstecken, so daß es nur der unverdrossene Sucher finden kann. Dafür war die Form einer lehrhaften Zusammenfassung, wie sie der Didaskalos hätte bieten müssen, ungeeignet. So wählt er für die nun folgenden umfangreichen Darlegungen die ihm nach seiner Veranlagung auch besser liegende Literaturform des „Stromateus", d. h. des „Teppichs". Der Titel ist einer von den in der zweiten Sophistik beliebten Namen, zu denen auch „die Wiese", „der Musenberg", „die Honigwabe" und die uns schon bekannten „Gastmähler", „Attischen Nächte" und dergleichen gehören. Es wird damit zum Ausdruck gebracht, daß ein bunter und mit den mannigfachsten Reizen ausgestatteter Inhalt in lockerer Form und anmutigem Wechsel dargeboten werden soll. Es wird der leichte und unterhaltende Stil des journalistischen Essays angekündigt, und der Leser soll wissen, daß er vor dem trockenen Ton des pedantischen Gelehrten sicher ist. Das trifft denn auch manchmal zu, aber unter den erhaltenen Bei-

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13. Ägypten

spielen gibt es auch solche, welche auf unsern Geschmack nicht eben reizvoll wirken. Der schriftstellerischen Art des Klemens liegt diese Literaturgattung vorzüglich. Er ist aller Fesseln einer systematischen Disposition ledig, kann seine reiche Belesenheit und seine ernsthafte Denkergabe zur Geltung bringen, wo und wann und wie es ihm beliebt, kommt von einem Thema auf das andere und findet sich dann nach langen Umwegen plötzlich wieder zum Hauptweg seiner Wanderung zurück, bringt einen Leser, der mit dem Stift in der Hand den logischen Zusammenhang seiner Erörterungen aufzuspüren strebt, zur Verzweiflung und eröffnet sich nur dem, der Zeit hat, ihn ganz ausreden zu lassen, und Geduld, das Gelesene immer wieder durchzuprüfen und nach den Samenkörnern, den Goldadern, den Nußkernen, den Kohlenfunken zu suchen, die in der scheinbar so wirren Fülle des Gebotenen klüglich versteckt sind. Klemens will das Auffinden seiner tiefsten Wahrheiten dem Leser schwermachen und Unberufene vom Besuch des heiligen Bezirks abschrecken. Das erklärt er ausdrücklich für seine Pflicht, weil er die Perlen der christlichen Wahrheit nicht vor die Säue werfen darf 1 . Wenn man sich erinnert, daß Gellius2 in der Vorrede zu seinen „Attischen Nächten" gleichfalls feierlich die Unberufenen von dem Eintritt in die Mysterien seines gelehrten Sammelsuriums zurückweist, so merken wir, daß solche Wendungen zum Stil der Literaturform gehören und an sich nicht allzu ernst genommen werden. Aber bei Klemens ist damit theologisch Ernst gemacht. Freilich: in Wirklichkeit hat er keine Geheimnisse versteckt, sondern lediglich die ihm besonders am Herzen liegenden Gedanken theologischer Erkenntnis mit tausend andern Dingen vermischt und dem Leser überlassen, sie sich selbst zu suchen. Diese Grundtendenzen heben sich denn auch bei einer zusammenfassenden Betrachtung deutlich aus der Fülle der Erörterungen heraus. Da ist zunächst seine Verteidigung der >) Strom. 1, 18. 2 0 - 2 1 . 55—56. 2, 3, 3—5. 4, 4, 1—3. 6, 2, 1. 7, 110 bis 111. 2) Gellius Noct. attic. praef. 19—21.

Klemens: Die Stromateis. Christentum und Philosophie

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Philosophie gegen den Vorwurf, sie sei dem Christen nichts nütze und gefährde nur den Glauben. Damit hebt sein Buch gleich an und stellt die These auf, daß die Philosophie ein Gottesgeschenk sei, das den Griechen von der göttlichen Vorsehung gespendet wurde 1 . Es gibt allerdings nur e i n e Wahrheit, das ist die durch Christus erfolgte Offenbarung des göttlichen Logos: und die kann man ohne Philosophie, ja ohne alle Bildung durch den Glauben erfassen. Aber wie ein und dieselbe Münze je nach ihrer Beziehung zur Wirtschaft sowohl als Fährgeld wie als Zins wie als Miete wie als Lohn wie als Kaufpreis wirksam werden kann, so kann die Wahrheit in der Form der Mathematik oder der Musik oder der Philosophie erscheinen. Es werden dann im Einzelfall nicht alle Funktionen der Wahrheit erfaßt, so wenig wie im einzelnen Fall des Beispiels alle Funktionen der Münze, aber so wie es hier stets echte Münze ist, so dort stets echte Wahrheit. Und darum kann die griechische Philosophie dem Christen entscheidende Dienste leisten, wenn er auf vernünftigem Wege zur Erkenntnis des Glaubensinhalts vordringen will. Die Philosophie macht die christliche Wahrheit nicht wahrer, aber sie offenbart die Haltlosigkeit der gegen sie gerichteten sophistischen Angriffe und bildet so eine Schutzmauer für den Weinberg des Herrn. Die im Glauben erfaßte Wahrheit ist das zum Leben nötige Brot: die Philosophie ist die Zukost, die es schmackhafter macht und das Essen zum Genuß werden läßt. Ihre Klarheit hilft bei der Weitergabe der Wahrheit, ihre Dialektik schützt vor dem Einbruch der Häresie 2 . Diese Überzeugung durchzieht stillschweigend oder in immer neuen Wendungen ausgesprochen alle Teile der Stromateis, und so tritt denn auch das praktische Ziel einer Abwehr der Häretiker, und damit sind im wesentlichen die Gnostiker gemeint, deutlich in die Erscheinung. Der Auseinandersetzung mit ihren Ansichten über die Ehe ist sogar ein ganzes Buch, das dritte, gewidmet, und ihre Stellung zum Martyrium wird im folgenden Buch ausführlich bekämpft. ') Strom. 1, 18, 4. 20,2.

*) Strom. 1, 97—100; vgl. 6, 156.

13. Ägypten

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Mit diesen Tendenzen verbinden sich nun zwei andere aufs engste: im Kampf gegen die Gnosis wird das Alte Testament verteidigt, und den Philosophen wird immer wieder die uns wohlbekannte These vorgetragen, daß ihre Weisheit letzten Endes von den Propheten des Alten Testamentes entlehnt sei. Die Deutung der heiligen Bücher erfolgt selbstverständlich nach allegorischer Methode, wie sie von Anfang an in der Kirche eingebürgert war, und Klemens liegen auch ältere Schriftkommentare vor, die er gelegentlich zu Rate zieht: so sind uns in seinen hinterlassenen Papieren reichhaltige Exzerpte zu einzelnen Bibelstellen, darunter auch solche aus einer Erklärung von Psalm 17—19 erhalten 1 , und in den Stromateis spürt man an mehr als einer Stelle die Verwertung überlieferten Materials. Gerade die von ihm bekämpften Gnostiker haben ja die allegorische Exegese mit Vorliebe gepflegt und sie insbesondere auf das Neue Testament ausgedehnt: so muß Klemens sie mit ihren eigenen Waffen schlagen und stellt ihrer unberechenbaren Willkür sein Kriterium für die exegetische Methode entgegen, nämlich den „kirchlichen Kanon" der Ubereinstimmung von Gesetz und Propheten mit dem durch die Erscheinung Christi uns übergebenen Vermächtnis 2 . Daher nähert er sich der gnostischen Praxis durch die Anerkennung der Allegorie auch für das Neue Testament: sie ist durch die Gleichnisse Christi authentisch gerechtfertigt. Und in der evangelischen Erörterung über den Zweck der Gleichnisrede (Matth. 13, 10—17) findet er auch die Bestätigung seiner Lieblingsthese von der Notwendigkeit, die Geheimnisse der christlichen Erkenntnis vor profanen Augen zu verhüllen: und er freut sich des Nachweises, daß auch bei den Kulten der Heiden ebenso wie bei ihren Philosophen dieselbe Geheimhaltung letzten Wissens um das Göttliche gepflegt wird 3 . Von seinen Grundsätzen der Schrifterklärung geben die Stromateis fast auf jeder Seite Zeugnis: alle seine Erörterungen werden nach Kräften mit Bibelworten in Verbindung gebracht, und die Allegorie spielt dabei eine entscheidende Rolle. ») Clem. Eclog. 42—64.

2

) Strom. 6, 125, 3.

3

) Strom. 5, 32—66.

Klemens: Die Stromateis. Hypotyposen

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Klemens hat aber auch ein besonderes Werk exegetischer Art verfaßt, die „Hypotyposen": sie sind dem Photios 1 noch in die Hände gekommen und er hat mit Entrüstung festgestellt, daß außer manchen richtigen auch bedenkliche und geradezu lästerliche Meinungen darin ausgesprochen seien, von denen er einige aufzählt: man kann die meisten der von ihm gerügten Ketzereien gut als Übertreibungen echt klementinischer Spekulation begreifen und wird geneigt sein, das Buch in die Frühzeit des Verfassers anzusetzen. Aber das Werk ist doch um dieser theologischen Mängel willen von der späteren Orthodoxie dem Untergang geweiht worden. Wir haben nur winzige Bruchstücke des Urtextes und eine verkürzte und gereinigte lateinische Ubersetzung der Erklärung zu den katholischen Briefen erhalten 2 . Daraus lernen wir immerhin, daß Klemens fleißig Traditionen der „Presbyter" mitteilt, die vielfach anekdotenhaften Charakter tragen, vor allem aber, daß seine Exegese trotz gelegentlicher Allegorie in der Hauptsache das religiös Entscheidende fein aus dem Text herauszuholen versteht und ihm dabei auch wissenschaftlich gerecht zu werden weiß. Dadurch wird nur bestätigt, was uns auch die Stromateis reichlich bezeugen. Das Hauptanliegen der Stromateis ist aber letztlich doch die Schilderung des wahren Gnostikers — nicht der wahren Gnosis. Er nimmt das Schlagwort der Zeit und der Gegner bereitwillig auf und will auch ein Gnostiker sein und Gnosis lehren, aber eine kirchliche3, an der Bibel ausgerichtete Gnosis. Wir haben schon gesehen, wie er im Paidagogos die wesenhafte Unterscheidung von Psychikern, welche nur Glauben kennen, und Pneumatikern, welche die Erkenntnis besitzen, bekämpft. Den heiligen Geist besitzen alle getauften Christen. Aber es besteht doch ein Unterschied zwischen ihnen, nur daß er nicht durch substanzielle Verschiedenheit verursacht wird, sondern durch den Grad des freiwilligen Strebens nach höherer Vollkommenheit, also durch Ungleichheit der sittlichen Kraft. Der Heide wendet sich dem Christentum zu und gel

) S. 286.

!

) Clem. ed. Stählin 3, 195—215.

3

) Strom. 7, 41, 3.

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13. Ägypten

winnt den Glauben; das ist eine „kurzgefaßte Erkenntnis des Notwendigsten". Der Gläubige aber strebt nach Gnosis, das ist „eine sichere und zuverlässige Darlegung des im Glauben Erfaßten, die sich auf dem Glauben nach Anleitung der Lehre Christi aufbaut und zu einem unbezweifelbaren und vernunftgemäßen Begreifen führt". Diese Gnosis vervollkommnet sich in der Liebe und leitet zur letzten Vollendung in der verheißenen Gottschau, die uns den Engeln gleich macht 1 . Gnosis ist inhaltlich nichts anderes als Gotteserkenntnis und hat bei Klemens gar nichts zu tun mit phantastischen Spekulationen einer Neugierde, die Genaueres über alle Geheimnisse der großen und kleinen Welt erfahren möchte. Gnosis ist vor allem aber auch kein verstandesmäßiges Kenntnisnehmen von theologischen Lehrsätzen oder exegetischen Wahrheiten. Gnosis haben bedeutet eine Lebenshaltung und Gnosis lehren heißt ein Vorbild christlichen Lebens aufstellen. Wenn die Philosophie das Musterbild des „Weisen" als Symbol ihrer Erziehungsarbeit am Menschengeschlecht geschaffen hat, so arbeitet Klemens ein neues Bildungsideal in der Gestalt des christlichen Gnostikers aus Bibel und Philosophie heraus. Gnosis ist nicht ein Stück spekulativer Philosophie, auch nicht magische Mystik, sondern ist Ethik. Der vom bewundernden Anstaunen der Natur zum Glauben an Gott und seine Vorsehung geführte Christ strebt nach tieferem Wissen: und jeder Fortschritt steigert seine Sehnsucht, indem er „den Willen Gottes zu kosten bekommt". Das hebt ihn hinaus über das schlichte Verständnis der einfachen Gläubigen, und er begreift immer besser, was eigentlich die zehn Gebote im letzten Grunde bedeuten 2 . So wird die Gesetzesvorschrift durch Erkenntnis des Evangeliums vollendet 3 . Es gilt eben nicht nur, sich vom Bösen fernzuhalten — das ist eine Selbstverständlichkeit für jedermann — sondern auch, sich von den Motiven freizumachen, die beim schlichten Gläubigen 4 die vorherrschenden sind, der Furcht vor Strafe und der 3

') Strom. 7, 55, 1—7. 57, 1—5. 149, 8. ) Strom. 4, 130, 4. 4 ) Strom. 7, 21, 2. 69, 8.

2

) Strom. 7, 60, 1—4.

Klemens: Die Stromateis. Der wahre Gnostiker

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Hoffnung auf Lohn. Der wahre Gnostiker hat alle Selbstsucht abgelegt und lebt nur in der Liebe zu Gott als dem Schlüssel seiner Erkenntnis. Wenn es möglich wäre, die Gotteserkenntnis zu trennen von der ewigen Seligkeit und den Gnostiker zwischen beiden wählen zu lassen, so würde er die Gotteserkenntnis ohne Zaudern wählen 1 . In dieser letzten Hingabe an Gott erlangt er die Einsicht in die tiefsten Zusammenhänge der Welt und das Wesen des Menschen, seiner Tugenden und Laster, und erfaßt damit die absolute Wahrheit, zu der alle griechische Philosophie nur die Vorschule liefert 2 . Sein Ziel aber ist „Gott gleich werden" (er wendet dies Schlagwort der modernen Platoniker gern an), das heißt die paradiesische Gottähnlichkeit wiedergewinnen oder „Gott werden": das ist aber nach Psalm 82,6 gemeint als ein Gleichwerden mit den Engeln, die Gottes Angesicht schauen, also auch an der Gottschau teilhaben, die der Gnostiker ersehnt 3 . Und mit paulinischer Lehre wird das in Einklang gebracht, wenn wir daneben als Ziel die Angleichung an Christus genannt finden und hören, daß Christus als Gottes Abbild seinen Stempel dem Gnostiker aufdrückt, so daß dieser nun das „dritte Bild Gottes" wird 4 . Der Gnostiker spaltet mit seinem Wissen den Himmel, schreitet durch alle Geisterwesen und Engelscharen hindurch und rührt an Gottes Thron: der Hohepriester Christus führt ihn dahin, und er redet mit Gott 5 . Die mit der fortschreitenden Gnosis zusammenhängende Weltentfremdung braucht nicht unbedingt äußerliche Askese zu sein; nicht einmal die Ehelosigkeit ist notwendige Form der Entsagung, obwohl sie sich nach des Apostels Wort (l.Kor. 7, 38) empfiehlt: entscheidend ist die Abwendung der Seele von dem Sinnlichen und die Hinwendung zum Intelligiblen, das 2 s !) Strom. 4, 135 f. ) Strom. 7, 17, 1—20, 2. ) Strom. 2, 131, 2—133, 3; vgl. Plato Leg. 4 p. 716 d, Theaetet p. 176 a. Strom. 4,149,8. 148, 1. 7, 13, 2—4. 56, 6—57, 1. 4) Strom. 7, 13, 2. 16, 6. 5) Strom. 7, 82, 5. 13, 2.

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heißt zu den geistigen Werten und der göttlichen Wesenheit 1 . Der Gnostiker lebt in steter Gemeinschaft mit Gott, sein Leben ist ein beständiges Gebet, ein immerwährender Feiertag 2 . Und der Abglanz dieser Seligkeit fällt auf die irdischen Brüder zurück in ständiger Güte, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die den Gnostiker zum Helfer in allen leiblichen und geistigen Nöten macht. Im Hause und im Freundeskreis, in der Gemeinde und im Beruf, im Glück und im Leid ist er das Vorbild edler Lebensführung®, und mit paulinischem Klang sagt Klemens 4 von ihm: „der Gnostiker tut unbedingt auch die pflichtmäßigen Werke: aber wer die Werke tut, ist darum noch kein Gnostiker. Die Werke jedoch folgen der Gnosis wie dem Leibe der Schatten". Äußerlich ist der Unterschied zwischen einem Glaubens-Christen und einem christlichen Gnostiker gering und kaum zu merken. Der entscheidende Fortschritt des Gnostikers liegt in seiner inneren Haltung, letztlich in der Überwindung der Selbstsucht durch reine Gottesliebe. Damit hat Klemens den Weg gefunden, der in seinem weiteren Verlauf zu einer auf johanneischen Gedanken aufbauenden Mystik führt: aber er hat ihn nicht betreten. Den Logosbegriff hat er von den Apologeten übernommen, ohne ihn weiter auszugestalten. In den Hypotyposen finden sich Äußerungen, die auf spekulative Formeln hindeuten 5 , aber sie bleiben vereinzelt und ohne Einfluß auf die Gedankenwelt, die uns in den erhaltenen Hauptwerken vor Augen liegt. Da ist der Logos einfach der sich offenbarende Gott, der als Jesus Christus in Menschengestalt erschienen ist, und der schon vor seinem Erdenleben bei Griechen und Barbaren, in den Lehren der Philosophen und im Alten Testament alle Wahrheit gewirkt hat, der das Prinzip der Weltvernunft und zugleich Gegenstand des christlichen Glaubens ist. So wenig wir eine Theorie des Verhältnisses des Logos zum Vater und zum hei2 ') Strom. 4, 146, 2—147, 1. 7, 36. 69, 8—70, 8. ) Strom. 7, 35—40. 49, 3—8. ») Strom. 7, 16, 4. 19, 1. 36. 66, 1. 67, 4. 69—70. 4 ) Hypotyp. zu 1. Joh. 2, 3 p. 212 Stählin. Strom. 7, 82, 7. 6 ) Clem. Hypotyp. p. 210, 5. 211, 15 Stählin.

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Klemens: der wahre Gnostiker. Origenes

ligen Geist erhalten, so wenig werden wir über das Wesen der Menschlichkeit Jesu belehrt: Klemens hat gar nicht das Bedürfnis, sich in diese Probleme zu stürzen, da er Wichtigeres erkannt hat und davon zu reden weiß. Diese Fragen brauchen ihn schon darum nicht zu kümmern, da er keine substanzielle Erlösung durch sakramentale Wandlung der Menschlichkeit kennt. Die Gedankenwelt des Irenaeus steht ihm gänzlich fern, so fern wie die naturreligiöse Frömmigkeit der Massen. Erlösung liegt für ihn auf dem Gebiet des sittlichen Willens, und die wirkende Kraft ist der Logos als Führer und Spender geistiger Gaben. Die Nachwelt ist dem Klemens nicht gerecht geworden, und die Kirche hat ihm für seine überragende Leistung nur spärlichen Dank abgestattet. Es ist sein Schicksal gewesen, daß er nur als Vorläufer eines Größeren erschien, der ihn völlig überschattet hat: und dieser Größere war Origenes, der gewaltigste Lehrer, den die östliche Kirche kennt, den sie zwei Jahrhunderte hindurch leidenschaftlich geliebt und verehrt hat, um ihn dann im dritten zu verketzern. Und diese kirchliche Verurteilung hat auch sein Werk in Trümmer geschlagen und bewirkt, daß von der fast unübersehbaren Menge seiner Schriften nur ein ganz kleinerTeil im Urtext, ein etwas größerer in Übersetzungen auf uns gekommen ist. Die wertvollsten Dokumente für die Kenntnis seiner Persönlichkeit, die Briefe, sind verschwunden, und wir müssen noch dankbar sein, daß wenigstens eine Skizze seines Lebensganges imö.Buch der Kirchengeschichte des Euseb 1 erhalten ist, der die Briefe gesammelt und sie nebst anderen zuverlässigen Quellen mit Liebe ausgeschöpft hat. Danach ist Origenes 185 geboren: er war der älteste Sohn in einer kinderreichen und wahrscheinlich auch wohlhabenden christlichen Familie, genoß eine sorgfältige Erziehung und zeigte schon früh ungewöhnliche Gaben. Als in der Verfolgung des Severus 202 sein Vater Leonidas eingekerkert wurde, faßte auch den kaum erwachsenen Sohn leidenschaftliche Sehnsucht 1) Euseb K G 6, 1—8, 6. 14, 10—19, 19. 23, 1—2. 23, 4—33. 36 f. 39, 5. 7, 1. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

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13. Ägypten

nach dem Martyrium. Die besorgte Mutter versteckte seine Kleider, so daß er das Haus nicht verlassen konnte: so schrieb er wenigstens dem Vater und mahnte ihn zu standhaftem Bekenntnis. Leonidas starb unter dem Schwert den Tod des römischen Bürgers: sein Vermögen verfiel dem Fiskus. Da nahm sich eine vornehme Dame des hochbegabten Jünglings an, und er kam dadurch in ein Haus, in dem sich die religiöse Geistigkeit der Stadt lebendig widerspiegelt. Der Adoptivsohn jener Dame war ein aus Antiochia gebürtiger Gnostiker Paulus, dessen anerkannte Bedeutung zahlreiche Besucher sowohl aus dem gnostischen wie aus dem katholischen Lager anzog. Es ist zweifellos, daß dieser Verkehr nicht ohne Einfluß auf Orígenes gewesen ist: jedenfalls hat er ihm den religiösen Gegensatz zum gnostischen Wesen ins Bewußtsein gerufen. Seine vortreffliche wissenschaftliche Ausbildung verwertete er jetzt zum Erteilen von Unterricht und machte sich dadurch finanziell unabhängig. Und da unter dem Druck der Verfolgung die christliche Katechetenschule sich aufgelöst hatte, begann er jetzt auf Bitten lernbegieriger Heiden auch Unterricht im Christentum zu geben. Er blieb bei dieser Tätigkeit trotz aller Anfeindungen und polizeilicher Bedrohungen und hatte steigenden Erfolg. Die Schule des kaum Achtzehnjährigen wurde vom Bischof amtlich anerkannt und hatte bald solchen Zulauf, daß er nicht mehr imstande war, daneben noch die profanen Wissenschaften zu lehren, die ihm bisher den Lebensunterhalt verschafft hatten. Er gab diese Stunden auf und verkaufte seine liebevoll gesammelte Bibliothek gegen eine laufende Rente von täglich 4 Obolen, d. h. von einem Denar 1 für die Woche. Das war buchstäblich ein Hungerlohn, und Orígenes hat tatsächlich die nächstfolgenden Jahre in strengster Askese gelebt, die er mit letzter Bedürfnislosigkeit in bezug auf Nahrung und Kleidung durchführte und durch Schlafenthaltung verschärfte. Diese „Philosophie" machte tiefen Eindruck und fand Nachahmung, gewann auch gebildete Heiden, welche hier das Ideal des Kynismus mit einem lebendigen Got!) s. o. S. 9 und Wilcken Grundzüge 1, 1, LXVI.

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Die Jugend des Orígenes

tesglauben vereint sahen. Und unser Gewährsmann Euseb 1 erzählt mit berechtigtem Stolz, wie aus dieser strengen Schule des jungen Meisters sechs Märtyrer hervorgegangen sind, die ihren Glauben mit dem Leben bezeugten. Während dieser Periode gesteigerter Askese hat Origenes — in wörtlicher Befolgung von Matth. 19,12 — sich selbst entmannt, was schließlich trotz seiner Bemühungen nicht unbekannt blieb. Bischof Demetrius hat es ihm damals verziehen, aber es nicht vergessen. Euseb behauptet auch, Origenes sei Schüler des Klemens gewesen, der seinerseits den Pantainos in der Leitung der Katechetenschule abgelöst habe. Ob dies Schülerverhältnis wirklich bestanden hat, ist aber keineswegs sicher 2 : Origenes erwähnt den Klemens trotz aller theologischen Berührungspunkte niemals, auch an solchen Stellen nicht, wo wir es erwarten müßten. Gehört mag er ihn haben, aber näher ist er ihm nicht getreten. Dagegen gedenkt er des Pantainos mit Verehrung und nennt den Ammonios Sakkas als seinen Lehrer in der Philosophie 3 . Die berühmte „Katechetenschule" haben wir uns überhaupt nicht als eine organisierte Unterrichtsanstalt mit dotierten Professuren zu denken, sondern als freie Vorlesungen solcher Männer, die sich dazu berufen fühlten und gewillt waren, ohne klingenden Lohn in die Geheimnisse des Christentums einzuführen. Entsprach ihre Wirksamkeit den kirchlichen Wünschen, so wurden sie vom Bischof amtlich anerkannt und empfohlen. Erst Origenes hat so etwas wie eine Organisation begonnen, indem er zur Bewältigung der zudrängenden Schülermenge den Unterricht teilte und seinem Freunde Heraklas die Einleitungskurse überwies 4 . Diesen hatte er in den Vorlesungen des Ammonios kennengelernt, die er beim Eintritt des Origenes schon seit fünf Jahren besuchte. Ammonios, der aus einem Sackträger zum Philosophen geworden war, beherrschte damals mit seiner auf Plato zurückgehenden Lehre die Geister und gründete eine Schule, aus der die 2 ) J. Munck Unters, über Klemens S. 224 f. i) Euseb K G 6, 4. 3 ) Orig. bei Euseb 6, 19, 13 Alex. v. Jerusalem bei Euseb 6, 14, 9. (vgl. 19, 5—6). 4 ) Euseb 6, 15.

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beiden größten Denker der griechischen Spätantike hervorgegangen sind: der Christ Origenes und der Klassiker des Neuplatonismus, Plotin. Origenes ist der erste Christ, von dem uns eine enge persönliche Berührung mit einem namhaften philosophischen Schulhaupt bezeugt wird, und die Philosophen haben das auch nicht vergessen. Porphyrios erzählt, wie er in seiner Jugend mit dem berühmten Origenes, dem Schüler des Ammonios, zusammengetroffen sei, und daß Ammonios sein von den Eltern ererbtes Christentum aufgegeben habe, Origenes jedoch in seiner Lebenshaltung zwar Christ, in seiner Lehre über Gott und die Dinge der Welt aber Grieche geworden sei. Und sein ständiges Studium habe Plato und den neueren Piatonikern und Pythagoreern gegolten 1 . Die Schriften des Origenes bestätigen diese Nachrichten. Sein Studium bei Ammonios ist wirklich von entscheidender Bedeutung für ihn geworden, denn es machte ihn schulmäßig mit den Methoden und der gesamten Weise des Fühlens und Denkens vertraut, die im Anfang des dritten Jahrhunderts als moderne Wissenschaft galt. Wir können uns ein gutes Bild davon machen, wenn wir etwa den glücklich erhaltenen Auszug aus der platonischen Dogmatik des Albinos lesen2, der sich uns in der Form eines nüchternen Kompendiums und schematischer Definitionen des Platoverständnisses der Antoninenzeit vor die Augen stellt. Und nehmen wir die verstreuten Nachrichten über den „neupythagoreischen" Syrer Numenios von Apamea hinzu, so wird uns eine wertvolle Ergänzung nach der religiösen Seite geboten. Dieser Mann hatte sich dem Einfluß jüdischer Religionsphilosophie, vermutlich des Philo in erster Linie, so weit hingegeben, daß er sogar die These von Plato als einem „attisch redenden Moses" aufnehmen und weitergeben konnte. Das haben ihm die Christen gedankt 3 . ») Porphyr, bei Euseb KG 6, 19, 5—8. 2 ) Albinos Eisagoge in Plato opera ed. C. F. Hermann 6, 152—189. Dazu Hai Koch Pronoia u. Paideusis S. 243—268. 3) Clem. Strom. 1, 150, 4. Euseb Praep. ev. 11, 10, 14 (7). Er hat sogar eine Geschichte von Jesus erwähnt Orig. c. Cels. 4, 51 (1, 324, 24).

Orígenes und der mittlere Piatonismus

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Schon bei Plutarch finden wir die meisten charakteristischen Kennzeichen dieses „mittleren Piatonismus": die gesteigerte Erhabenheit Gottes über diese Welt und ihre Körperlichkeit, und im Zusammenhang damit die Neigung zum phantasievollen Ausbau der bereits bei Plato vorhandenen Vorstel lungen von dämonischen Mittelwesen, die eingehende Behandlung des Problems der göttlichen Vorsehung und der Gerechtigkeit Gottes, die Behauptung der Unsterblichkeit und Selbstverantwortlichkeit der Seele, die Lehre von ihrem Anteil am göttlichen Wesen, und gelegentlich auch Spuren eines mystischen Empfindens. Der Ausbau der Ethik erfolgt unter der platonischen Weisung, „Gott nach Kräften ähnlich zu werden". Die allegorische Exegese wird fleißig geübt, um in Worten des Meisters und vor allem in religiösen Mythen und Sprüchen der Dichter und Denker der Vorzeit die eigene philosophische Erkenntnis zu finden. Und bei allem Bestreben nach dem Ausbau einer rein platonischen Tradition nimmt man dochMethoden undLehrsätze der Aristoteliker und derStoiker unbefangen auf, weil man sich mit diesen Schulen verbündet weiß im Kampf gegen die Negationen der Skeptiker und den Atheismus Epikurs. Wir haben die Apologeten bereits im Bann dieser Gedankenreihen gefunden. Klemens steht dank seiner höheren Bildung stark unter ihrer Einwirkung und hat sie durch fleißiges Platostudium vertieft. Aber erst Origenes tritt voll in die schulmäßige Tradition ein nd setzt, sich im Nehmen und Geben ganz in den Besitz des um jeneZeit lebendigen und in steigender Mächtigkeit begriffenen platonischen Erbes 1 . Der Ruhm dieses Mannes als eines alle Wissenschaften meisternden Gelehrten breitete sich weithin aus und zog auch Ketzer und heidnische Philosophen in seinen Wirkungskreis. Von persönlicher Bedeutung für ihn wurde die Bekehrung eines Valentinianers namens Ambrosius. Der war ein reicher Mann und besaß die Mittel, dem begeistert verehrten Origenes eine literarische Tätigkeit ohne wesentliche Veränderung sei') Vgl. Hai Koch Pronoia u. Paideusis (Arbeiten zur Kirchengesch. 22, 1932) S. 163—304.

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ner bisherigen Arbeitsweise zu ermöglichen. Das Bücherschreiben war nämlich für die Gelehrten des alexandrinischen Kreises keineswegs eine aus ihrem Beruf fließende Selbstverständlichkeit: ihnen war der mündliche Vortrag das Gebiet lebendigen Wirkens, und Männer wie Ammonios Sakkas und Plotin haben ebensowenig wie Epiktet eigene Schriften hinterlassen. Das war durch das klassische Vorbild des Sokrates geheiligt, und nur den Nachschriften des Arrian und des Porphyrios ist es zu danken, daß wir über die Lehren des Epiktet und des Plotin genauere Kunde haben. Ambrosius setzte dem Origenes sieben und mehr sich ablösende Stenographen in den Hörsaal und ließ auf diese Weise seine Vorlesungen aufzeichnen und zur buchmäßigen Veröffentlichung bringen 1 . Dadurch ist es ihm tatsächlich gelungen, dem Lebenswerk des Meisters in einer fast unübersehbaren Fülle von Schriften Dauer zu verleihen. Aber ehe wir uns dazu wenden, wollen wir erst die weiteren Daten seines äußeren Lebensganges demEuseb entnehmen. Wir hören, daß er unter Papst Zephyrin für kurze Zeit in Rom gewesen ist und später den kaiserlichen Statthalter von Arabien auf dessen Wunsch besucht hat. Die furchtbaren Metzeleien, die der in seiner Eitelkeit gekränkte Caracalla215 inAlexandria anrichtete, veranlaßten Origenes zum Verlassen der Stadt. Er ging nach Caesarea und hielt dort auf Wunsch des Bischofs der Stadt, Theoktistos, und des JerusalemerBischofsAlexander biblische Vorträge für die Gemeinde. Dies Heraustreten aus der Sphäre der Gelehrsamkeit in den Bereich des kirchlichen Lebens mißfiel aber dem alexandrinischen Oberhirten, und er mahnte ihn dringlich zur baldigen Heimkehr. Origenes gehorchte. Als er fünfzehn Jahre später auf einer Reise nach Griechenland Caesarea berührte, haben ihn seine beiden bischöflichen Freunde dort zum Presbyter geweiht. Eine solche Weihe in fremdem Sprengel war ungewöhnlich, und die Ordination eines Eunuchen verstieß gegen weitverbreitete Anschauungen. Demetrius verweigerte auf einer alexandrinischen Synode die Anerkennung seiner Presbyterwürde und wies ihn aus !) Euseb KGS, 18,1. 23,1—2.

Orígenes in Caesarea. Sein Tod

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der Stadt. Das Lehramt wurde ihm genommen und seinem KollegenHeraklas übertragen, der bald imBistum der Nachfolger des Demetrius wurde. So siedelte Origenes im Jahre 230/231 nach Caesarea über, wo er seine gewohnte Lehrtätigkeit mit unvermindertemErfolgfortsetzteVEristvondaaus noch mehrfach gereist, auch zweimal als theologischer Gutachter nach Arabien berufen worden, wo er in einer Disputation den zumMonarchianismus neigenden Bischof von Bostra, Beryllos, „wieder zu seinen früheren gesundenAnsichten zurückführte". Als die Verfolgung des Decius ausbrach, schlug für denLehrer undLobredner des Martyriums auch die Stunde des eigenen Bekenntnisses. Er ist grausam gefoltert worden und hat in den — uns leider nicht erhaltenen — Briefen aus dem Gefängnis von seinem unbeugsamen Mut standhaft und herzerhebend Zeugnis abgelegt. Man sorgte mit Fleiß, den berühmten Mann nicht zu töten: aber die Kraft des Körpers hat man doch gebrochen, und bald danach, 253/254 ist Origenes im Alter von 69 Jahren zu Tyrus gestorben. Noch lange hat man dort sein Grab gezeigt 2 . Die literarische Hinterlassenschaft des Origenes hat schon früh die bewundernde Fürsorge seiner Freunde erfahren. Von Ambrosius haben wir bereits erzählt. Gegen Ende des Jahrhunderts hat der Presbyter Pamphilus als Lehrer an der Schule von Caesarea von überall her die Schriften des Origenes zusammengebracht und eigenhändig abgeschrieben. Seinem Eifer verdanken wir die bei Euseb und Hieronymus erhaltenen Verzeichnisse der in Caesarea vorhandenen Werke 3 . Durchaus im Vordergrunde stehen die Schrifterklärungen, welche sich über sämtliche Bücher des Alten und Neuen Testamentes erstrekken, teils in der Form groß angelegter wissenschaftlicher Kommentare, teils als Predigten (Homilien) oder vielmehr Bibelstunden vor der Gemeinde von Caesarea — diese sämtlich den letzten 9 Jahren seines Lebens entstammend 4 . Im Urtext sind ») Euseb KG 6, 14, 10. 19, 15—19. 23, 4. 26; vgl. Photios bibl. cod. 118. 2) Euseb KG 6, 33, 1—3. 37. 39, 5. 7, 1 (dazu Schwartz Bd. 3, 38). Photios cod. 118 Hieron. vir. inl. 54, und Holl zu Epiphan. haer. 64, 3, 3. 3 ) Euseb KG 6, 24. 28. 32. Hieron. vir. inl. 75, epist. 33. 34, 1. 4 ) Euseb KG 6, 36, 1.

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uns davon Teile der Kommentare zu Matthäus und zu Johannes sowie Predigten über die Hexe von Endor und Stücke aus Jeremias erhalten: dazu zahllose kleine Bruchstücke zu allen Bibelbüchern in den byzantinischen Sammelwerken, die wir Catenen zu nennen pflegen. Darüber hinaus hat uns die übersetzende, aber leider auch umgestaltende und „reinigende" Tätigkeit des um 400 wirkenden Rufinus zahlreiche alttestamentliehe Predigtreihen und die Kommentare zum Hohenlied und zum Römerbrief in lateinischer Sprache gerettet; von Hieronymus ist uns eine lateinische Übersetzung ausgewählter Homilien zuLukas aufbewahrt. Eine Verteidigung des Christentums gegen die Angriffe des Platonikers Celsus liegt uns in 8 Büchern vollständig vor: das Werk gehört ebenso wie der Matthäuskommentar in die letzte Lebenszeit des Meisters 1 . Der alexandrinischen Periode entstammen die für uns verlorenen 10 Bücher „Stromateis", die er durch den Titel in Parallele zu dem Werk des Klemens stellte, und „in denen er die Lehren der Christen und der Philosophen miteinander verglich und alle Sätze unserer Religion aus Plato, Aristoteles, Numenios und Cornutus bewies" 2 . In ziemlichem Umfang erhalten ist uns dagegen das Hauptwerk dieser früheren Zeit, die 4 Bücher „Grundlehren" (peri Archon). Das Ganze hat Rufin übersetzt und gelegentlich von bedenklichen Aussprüchen gereinigt: aber sein Kritiker Hieronymus hat auf diese Korrekturen den Finger gelegt und über sämtliche beanstandeten Stellen einem Freunde berichtet 3 . So können wir durch Vergleich beider Texte den vom Verfasser gewollten Sinn wiederherstellen. Schließlich sind große Teile des dritten und vierten Buches im Urtext erhalten. Dies Werk ist die erste christliche Dogmatik, der erste kühne Versuch, die Aussagen des Christentums über Gott, Welt und Mensch in einem geschlossenen Lehrgebäude von streng wissenschaftlicher Art zu vereinigen, und es steht innerhalb der Alten Kirche in einsamer Größe. Keiner von den Theologen des Mor») Euseb KG 6, 36, 2. 2 ) Hieron. epist. 70, 4, 3 Euseb KG 6, 24,3. ) Hieron. epist. 124. Vgl. Koetschau in seiner Ausgabe von Orig. de princ. p. LXXXVIII ff. 3

Orígenes' Schriften

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genlandes und keiner aus dem Abendland hat sich wieder an diese gewaltige Aufgabe herangewagt. Ihre wissenschaf tliche Arbeit richtete sich auf Einzelfragen, ihre Zusammenfassungen stiegen nicht überdieHöhenlage eines guten katechetischen Unterrichts hinaus: das gilt auch für Theodorets fünftes Buch der „Häretikerfabeln" und Augustins Schrift von der Christenlehre. Erst die „Erkenntnisquelle" des Johannes von Damaskus will mehr sein und ist auch wirklich mehr: es ist eine systematisch geordnete und umfassendeSammlung der um 750 anerkannten Lehrtraditionen der griechischen Kirche: ein wissenschaftliches Museum, kein in lebendigem Kampf sich entfaltender Organismus. Von kleineren Schriften des Orígenes können wir hier absehen. Aber noch einer Arbeit muß gedacht werden; die seinem organisatorischen Planen entsprang und für das Verständnis seiner Arbeitsweise von allerhöchster Bedeutung ist: seines großen Bibelwerkes. Orígenes hat sich bei seinem Studium des Alten Testaments auch um jüdische Auslegung gekümmert und jüdische Gelehrte um Rat gefragt; hat auch vielleicht einen Versuch gemacht, Hebräisch zu lernen. Aber er ist damit schwerlich weiter als bis zum Buchstabieren gekommen, denn seine Schriften verraten keinerlei eigene Kenntnis auf diesem Gebiet 1 . So blieb ihm eine Unsicherheit, sobald über Wortlaut oder Sinn des Urtextes und sein Verhältnis zur kirchlichen Übersetzung der Septuaginta gestritten wurde, und das war besonders im Disput mit den Juden der Fall. Er fand ein anderes Mittel, um näher an den Urtext heranzukommen und ihm die letzten Geheimnisse göttlicher Offenbarung zu entlocken. Er begann alle vorhandenen griechischen Übersetzungen des Alten Testaments zu sammeln, und es gelang ihm durch unablässiges Suchen, nicht nur die in weiteren Kreisen verbreiteten des Aquila, des Symmachos und des Theodotion zu erwerben, sondern auch noch zwei Psalmenübersetzungen unbe') v. Harnack der kirchengeschichtl. Ertrag d. exeg. Arbeiten des Orig. 1, 22—30 (Texte u. Unters. 42,3). Wutz Onomástica sacra 1, 36 (Texte u. Unters. 41). Euseb KG 6, 16, 1. Orig. epist. ad. Afric. 7 (17, 28 Lo.) in psalt. (11, 352 Lo.) de princ. 1, 3, 4. 4, 3, 14. Hieron. adv. Rufin 1, 13.

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kannter Verfasser aufzuspüren. Und nun wurde ein Riesenwerk unternommen, das eben nur durch die reichen Geldmittel des Ambrosius ausführbar war. In 6 Parallelspalten wurden nebeneinander geschrieben: der hebräische Urtext in hebräischer, also unvokalisierter Schrift, der hebräische Urtext in griechischen Buchstaben zur Festlegung der Aussprache, und dann in je einer Spalte die Übersetzungen des Aquila, des Symmachos, der Septuaginta und des Theodotion. Die Zeilen waren ganz kurz: Im hebräischen Text stand meist nur ein Wort unter dem andern, und entsprechend waren auch die Zeilen der Ubersetzer angeordnet: mit einem Blick konnte man feststellen, wie jeder Übersetzer das hebräische Wort wiedergab. Im Psalter kam zu diesen 6 Kolumnen, welche dem Werk den Namen der „Hexapla", d. h. der sechsfachen Bibel, verschafften, noch weitere Spalten für eine fünfte, sechste und teilweise sogar siebente Ubersetzung. Das Ganze muß ein Riesenwerk von vielen Dutzenden großer Folianten gewesen sein, und es hat schwerlich mehr als ein einziges Exemplar davon gegeben. Nur von einzelnen Teilen hat man Abschriften ausgewählter Kolumnengruppen hergestellt, und es haben sich Reste solcher Handschriften gelegentlich gefunden. Für den allgemeinen wissenschaftlichen Gebrauch hat Origenes aber dadurch gesorgt, daß die Bibliothek zu Caesarea Sonderausgaben des Septuagintatextes verbreitete, die am Rande mit den wichtigsten Ergebnissen der Parallelenvergleichung ausgestattet waren. Die im hebräischen Urtext fehlenden Verse und Worte waren durch einen Strich (Obelos -5-) am Rande bezeichnet. Wenn die Septuaginta dagegen Textteile ausließ, die im Hebräischen vorhanden waren, so fand man diese im Text an ihrer Stelle nach einer andern Ubersetzung eingefügt, aber durch vorgesetzte Sternchen (Asteriskoi Jji) kenntlich gemacht. Sodann waren die wichtigsten Abweichungen des Aquila, Symmachos und Theodotion zu den betreffenden Stellen am Rande beigeschrieben, so daß der Benutzer schnell eine klare Übersicht über den Tatbestand gewinnen konnte. In späterer Zeit haben der schon genannte

Orígenes' Hexapla. Sein Unterricht

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Pamphilus und sein Freund Eusebius sich eifrig um die Verbreitung solcher „hexaplarischen Ausgaben" der Septuaginta bemüht, und unsere Bibliotheken bewahren noch zahlreiche Handschriften, denen solche Exemplare zugrunde liegen 1 . Wir dürfen uns durch die riesenhafte Schriftenmenge des Orígenes nicht darüber täuschen lassen, daß seine eigentliche Lebensarbeit nicht im Schreiben, sondern im mündlichen Unterrichten bestand, daß also seine Bücher nur der Niederschlag dieser lebendigen Lehrtätigkeit sind. Von dieser Erkenntnis muß jede Würdigung seiner Persönlichkeit ausgehen. D a ist es nun ein besonderer Glücksfall, daß wir eine eingehende Schilderung seiner Lehrweise und ihrer methodischen Ausgestaltung in der Abschiedsrede besitzen, die ein dankbarer Schüler, Gregorios, der nachmalige Bischof von Neocaesarea im Pontus, beim Scheiden aus der Schulgemeinde zu Caesarea vor seinen Kameraden und dem Meister gehalten hat 2 . Da schlagen nun freilich die von dankbarer Hingabe und echter Begeisterung aufgepeitschten Wogen der Rhetorik hoch empor, aber sie lassen uns doch die Tatsachen mit aller wünschenswerten Deutlichkeit erkennen. Am Anfang der Unterweisung steht ein regelrechter „Protreptikos" zur Philosophie als der hohen Kunst, die einzig und allein für denkende Wesen wahres Leben bewirken kann, allein auch rechten Gottesdienst ermöglicht. Es ist bezeichnend, daß Gregor bekennt, wie hier schon seine anfangs widerstrebende Seele nicht nur durch die zwingenden Gründe, sondern zugleich durch die herzgewinnende Freundlichkeit des großen Lehrers in unzerreißbare Fesseln geschlagen sei. Dann hebt eine vorbereitende Schulung an, die mit sokratischer Methode die Geistesart und Leistungsfähigkeit jedes einzelnen erforscht und ihn durch ständige Denkzucht für wissenschaftliche Ausbildung geschickt macht. Diese selbst beginnt mit Logik und Dialektik, dann folgt Naturkunde mit Geometrie und Astronomie. Auf ') H. B. Swete An Introduction to the Oíd Testament in Greek 3. ed. und dazu Gotting. Gel. Anzeigen 1902, 329—338. 2 ) Gregorios Thaumaturgos' Dankrede hrsg. v. P. Koetschau (G. Krügers Sammlung 9); dazu A. Brinkmann im Rhein. Museum N. F. 56, 55—-76.

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dieser Grundlage erheben sich dann als Krönung die Gebäude der Ethik und der Theologie. Unter Ethik ist aber keineswegs nur die verstandesmäßige Erörterung sittlicher Probleme zu verstehen, sondern ihr Wesen ist Schulung der Seele zur praktischen Betätigung philosophischer Tugend -— und eben dafür erscheint Origenes als leuchtendes Vorbild, weil seine eigeneLebensführung den Worten seiner Lehre vollkommen entspricht. Das Studium der Theologie beginnt mit ausgedehnter Durchmusterung aller erreichbaren Philosophen und Dichter. Ihre Meinungen über die Gottheit werden dargestellt, miteinander verglichen und auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft, und nur die atheistischen Schriftsteller werden als nutzlos, ja, als schädlich von dieser Uberschau ausgeschlossen. Die letzte Wahrheit aber lehrt er da finden, wo Gott durch seine Propheten in den heiligen Schriften redet. Er ist ihr rechter Aus-' leger, mag er nun dunkle Stellen deuten oder in einfachen Worten tiefen Sinn finden, weil er von demselben Gottesgeist erfüllt ist, der aus den Propheten spricht. So gipfelt alle Weisheit in der aus der Bibel fließenden Erkenntnis Gottes. Das Bild ist mit sichtlicher Treue gezeichnet: dieser Unterricht entspricht in seinem Aufbau den Traditionen der Philosophenschulen der modernen Richtung und schildert die theologische Eigenart des Origenes in einer Weise, die durch seine Schriften bestätigt wird. Aus diesem Ineinanderfließen von Philosophie und Bibel ist das System erwachsen, das uns der in den frühen Mannesjahren stehende Origenes in dem Werk Peri Archon entwickelt, dessen Titel mit seiner wohl beabsichtigten Doppeldeutigkeit „von den Grundlehren" oder „von den Urdingen" übersetzt werden kann. Er legt entscheidenden Wert darauf, alle hier vorgetragenen Lehrsätze aus der heiligen Schrift zu belegen, und das gelingt ihm, weil die von ihm gesuchten Denkformen wirklich zum großen Teil in der spätjüdischen und neutestamentlichen Gedankenwelt vorhanden sind und nur der systematischen Zusammenfassung harren. Aber das Gesamtbild der Weltkonstruktion, in welches er diese biblischen Elemente hineinbaut, entstammt der Philosophie des „mittleren" Piatonismus.

Orígenes' Unterricht und System

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Orígenes leistet hier zum erstenmal das, was seitdem alle schöpferischen Dogmatiker getan haben, nämlich eine der Bildung derZeit entsprechende christliche Weltschau zu schaffen. Das System ist von eindrucksvoller Geschlossenheit und klarer Durchsicht der Linienführung. Seine Grundlagen sind die uns schon seit den Tagen der Apologeten geläufigen Vorstellungen von Gott, dem Logos, der Vorsehung und der Willensfreiheit der Geister: aus deren Zusammenspiel entwickelt sich das ewige Drama der Welten. Gott, die letzte Einheit, der Urquell alles Seienden, ist dem menschlichen Denken schlechthin unfaßbar, unvorstellbar: wir können von ihm außer der Anerkennung seiner Allmacht nur negative oder indirekt gewonnene Aussagen machen.Und da ist die erste und fürOrigeneswichtigstediegut platonische Behauptung seiner Unkörperlichkeit: was sowohl gegenstoische Anschauungen wie gegen grobsinnli che Laienvorstellungen geht 1 . Aber die positive Erkenntnis, daß Gott die letzteUrsache alles Geschaffenen sei, wird in die lebendige Anschauung einer absoluten Güte Gottes verwandelt, der die Kreaturen schafft, weil er ihnen Gutes erweisen will. Und da dieser Wille Gottes zu seinem Wesen gehört und also ewig ist, so muß auch seine Folge, also die geschaffene Welt, ewig sein 2 . Hier wird schon eine Besonderheit der origenistischen Denkweise deutlich, die zum Verständnis seiner Konstruktion unentbehrlich ist. Er weiß, daß der Zeitbegriff auf Gott und Göttliches nicht anwendbar ist, und daß neben der horizontalen Gliederung des Geschehens in zeitlicher Folge eine vertikale steht, die eine Reihe von Ursachen und Wirkungen ohne Zeitbegriff kennt 3 . So ist der Sohn Gottes ewig vom Vater gezeugt, wie der Glanz stets vom Licht erzeugt wird — der Platoniker würde sagen als ewig notwendige Wirkung dessen, der ewig Ursache ist, aber Origenes redet lieber biblisch nach Hebr. 1,3. Er ist deshalb eines Wesens mit dem Vater, weil er aus Gott geboren und nicht aus dem Nichts erschaffen ist 4 . Er de princ. 1, 1, 1—5; vgl. Hai Koch Pronoia u. Paideusis S. 20 f. ) de princ. 4, 4, 8. 1, 2, 10. 1, 4, 3 p. 65 mit Anm. 3) vgl. de princ. 1, 2, 2 p. 29, 14. 4) de princ. 1, 2, 4—7 p. 33 mit Anm. p. 37. 2

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ist aus dem Vater hervorgegangen, ohne dessen Wesenheit zu mindern, wie der Wille aus dem Geist heraustritt: aber er ist eine eigene Persönlichkeit und kann als ein dem Vater untergeordneter „zweiter G o t t " bezeichnet werden 1 . Und dieser Sohn ist der „Mittler" zwischen Gott und Welt. Zunächst ist er das in der Richtung auf die Welt gesehen, denn durch ihn sind alle Dinge geschaffen. Aber er ist es auch bei der umgekehrten Betrachtung, denn nur durch ihn ist den Geschöpfen die Erkenntnis des Vaters möglich: nur soweit von uns der Sohn erkannt wird, haben wir Gotteserkenntnis, die also immer nur eine relative und nie eine absolute sein kann 2 . Während die Vorstellung eines Logos-Sohnes mit dem platonischen Weltbild der Zeit übereinstimmt, ist das Wissen um die dritte göttliche Persönlichkeit, den heiligen Geist, nur aus der Bibel zu gewinnen. D a s betont Origenes und beginnt dann, eine den Aussagen der Schrift angemessene Lehre in sein System einzubauen. Der Geist ist vom Sohne ausgegangen, wie dieser vom Vater, und bildet die dritte Stufe in der Entfaltung der Gottheit. Die Wirksamkeit des Vaters umfaßt alles, die des Sohnes beschränkt sich auf die vernünftigen Wesen, der heilige Geist wirkt nur in den Heiligen. Alle drei Personen aber bilden die eine körperlose Gottheit, der die geschaffene Welt gegenübersteht 3 . E s ist deutlich, wie hier Origenes bewußt der Kirchenlehre einen systematischen Unterbau zu geben bemüht ist, dem doch die organische Zugehörigkeit nicht beschafft werden kann. Dagegen ist eine unmittelbar einleuchtende Folgerung aus der göttlichen Grundeigenschaft der Güte und Wohltätigkeit die Notwendigkeit der Schöpfung einer Welt als des Gegenstandes der göttlichen Liebe. Diese Welt besteht aus einer zwar unausdenkbar großen, aber doch nicht unendlichen Zahl vernünftiger Wesen, die als Kern ihres Daseins den Anteil an der ewigen Natur des göttlichen Lichtes haben und somit im tiefsten Grunde trotz alles Abstandes der Schöpfung vom >) c. Cels. 5, 39. 7, 57. 2 ) de princ. 1, 2. 6—7. 13 p. 35—37. 46 mit Anm. 8 ) de princ. 1, 3, 1. 5. 8 p. 55 mit Anm.

Das System des Orígenes

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Schöpfer mit der Gottheit „einerlei Wesens" (homousioi), also in gewissem Sinne mit Gott verwandt und somit unsterblich sind 1 . In diesem Punkte teilt Origenes die gnostische Meinung vom göttlichen Lichtfunken im Menschen. Diese Wesen haben nun aber sämtlich einen freien Willen, nach dem sie ihre Lebensbahn gestalten können, und dadurch entsteht die bunte Mannigfaltigkeit der Welt mit all ihren Gegensätzen und Entwicklungsstufen. Gottes Vorsehung ist es, die das für uns unübersehbare und unbegreifliche Durcheinander in vollkommener Ordnung und abgewogenem Gleichmaß erhält und unbeschadet der unbedingten Willensfreiheit derEinzelwesen seinen allumfassenden Plan einer Erziehung Aller zur Heimkehr ins Vaterhaus durchführt.Unter diesem Gesichtspunkt kann Origenesvon GottesLogos als der Weltseele sprechen 8 , wie es auch die Philosophen tun. Die Willensfreiheit wird nämlich von sämtlichen Wesen dazu benutzt, sich von Gott abzuwenden und dem Antigöttlichen, also Bösen, das heißt aber® dem „Nichtseienden", zuzustreben. Der geringere oder größere Grad dieses Sündenfalles entscheidet über ihr weiteres Geschick. In ihrer ursprünglichen Schönheit waren sie ihrem Wesen nach göttliche Vernunft, Nus. Jetzt kühlen sie ab und werden „Seelen" — Psyche, die Seele, leitet Origenes ab von psychein, abkühlen 4 . Sie erhalten Körper aus Materie, und je stärker die gottentfremdende Abkühlung fortschreitet, das heißt je mehr der eigene Wille sich gegen Gott stellt, um so massiver wird die Materie, um so widerwärtiger die Gestalt des Körpers. Von den leuchtenden Sphären der himmlischen Sterne durch die ätherischen Gestalten des Geisterreichs zu den Menschen auf Erden in ihren mannigfachen Rassen und tausendfältigen Zuständen, schließlich hinab zu den Dämonen und Teufeln der Unterwelt schauen und ahnen wir die Vielfältigkeit der körperlichen Formen. Und je nach dem Grad der sittlichen Entwicklung der einzelnen Seele führt sie ihr Weg empor zu feine») de princ. 2, 9, 1. 4, 4, 9 p. 362 ff. mit Anm. 2 ) de princ. 2, 1, 3. ) de princ. 2, 9, 2 p. 166, 2 in Joh. 2, 13, 94 p. 69, 6. 4 ) de princ. 2, 8, 3 p. 157 mit Anm.

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ren Gebilden oder bannt sie zur Strafe selbst in tierische Leiber. Unsere Erde ist für erlöste Höllenbewohner ein Himmel, aber den gefallenen Himmelswesen muß sie als Hölle erscheinen. Origenes weiß für diese platonisch-pythagoreische Seelenwanderungslehre eine biblische Begründung zu geben 1 . Aber das Auf- und Absteigen der Seelen ist nicht dem blinden Spiel des Zufalls anheimgegeben, so oft es auch dem irdischen Blick so erscheinen mag, sondern wird von Gottes Vorsehung durchwaltet und dem bestimmten Ziel entgegengeführt. Das kann nicht durch Zwang geschehen, denn die Wesen sind frei. So wählt Gott den Weg der Erziehung durch Belehrung, und da der tiefste Kern aller vernünftigen Wesen göttlich ist, darf er der endlichen Wirkung seines Appells an ihre ursprüngliche sittliche Güte sicher sein. Wo immer Gottes Macht und Vorsehung im Lauf der Welt und den Ordnungen der Natur sichtbar wird, da ruft der Logos die Menschenseele zur Gotteserkenntnis, und weithin sind die Philosophen diesem Rufe gefolgt. Aber alle und selbst ihr Bester, Plato, haben vor der letzten Pforte haltgemacht, keiner hat die Reste des Polytheismus abgeschüttelt und sich zur reinen Gottesverehrung bekannt 2 . Und alle zusammen haben nicht vermocht, die Menschheit von ihren Sünden abzubringen und sie zu tugendhaftem Leben zu bekehren: und darauf kommt es letztlich doch an3. DagegenhatGott dem Volk der Juden eine besondere Offenbarung zuteil werden lassen, indem er es durch Gesetzesvorschriften des Moses und Predigten der Propheten erzog, ihm Glück verheißende Weissagungen vor Augen stellte, gleichzeitig aber in den zum Alten Testament vereinigten Niederschriften dieser Männer einen tieferen Sinn verbarg, der, zuweilen schon vorher geahnt, seit den Tagen der erfüllten Weissagung dem gottsuchenden Forscher aufzuleuchten beginnt 4 . Die Menschwerdung des Logos ist die entscheidende Tat zur Erlösung der seufzenden Kreaturen. Der Sohn Gottes er») de princ. 1, 4, 1 (p. 64 mit Anm.). 1, 7, 1. 1, 8, 4 (p. 102 ff. mit Anm.). 2, 9, 3. 3, 5, 4. 4, 3, 11 (p. 273 ff., p. 339 mit Anm.). 2 ) c. Cels. 6, 3—5. de princ. 4, 1, 1. 3) c. Cels. 3, 60—il. 4) c. Cels. 5, 31. 7, 7. de princ. 4, 3, 9—14.

Das System des Orígenes. Christologie

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schien auf Erden, indem er sich mit einer Menschenseele verband, die im Gegensatz zu allen andern nie in ihrer vollen Hingabe an Gott schwankend geworden war. Diese Seele war das vermittelnde Bindeglied zwischen der Gottheit und der körperlichen Natur der Menschlichkeit, und ihre unwandelbare Gleichrichtung mit dem göttlichen Willen bewirkte die Einheitlichkeit derPerson des Gottmenschen. In dieser Vereinigung mit demLogos wird nun aber dieMenschheit Jesuimmerstärkervergottet, bis nach der Auferstehung die materielle Leiblichkeit verschwindet und die Seele in einer für uns nicht vorstellbaren Weise mit demLogos eins wird.Damit ist derWeg vorgezeichnet,auf dem alle vernünftigen Wesen und insbesondere die Menschen Erlösung finden werden. Die Christen sindMenschen, deren Seelen sich dergleichen reinen Gottesliebe befleißigen wie die Seele ihres Meisters, und die von der gleichen Kraft des Logos erfüllt der in Christus Wirklichkeit gewordenen Entmaterialisierung und Vergottung zustreben: dem einen Christus folgen immer neue Scharen von Christussen von dieser Erde zum Himmel 1 . Es ist klar, daß bei dieser Auffassung dem Kreuzestod Christi eine wirkliche Heilsbedeutung nicht zugeschrieben werden kann, und in der Tat spricht es Origenes auch mehrfach aus, daß für den vollkommenen Christen nur der Erkenntnis spendende Logos gilt. Aber nun macht er sich den von Klemens her wohlbekannten Unterschied zwischen der niederen, aber durchaus anzuerkennenden Stufe des schlichten Gemeindeglaubens und dem Wissen des Fortgeschrittenen zunutze. Die Sünder bedürfen des Arztes, und wer auf dem Standpunkt des bloßen Glaubens verharrt, dem gibt der am Kreuz offenkundig gewordene Sieg über die Dämonen, der Opfertod des Herrn für die Sünden der Welt an unserer Statt und vor allem die Uberlistung des Teufels eine handgreifliche Gewißheit von neugewonnenem Heil und realer Sündenvergebung 2 . So weiß er das historische Geschehen und seine bibde princ. 2, 6, 3 in Matth, comm. ser. 33 p. 61, 7. hom. in Jerem. 15, 6 p. 130, 15 ff. c. Cels. 3, 41 p. 237, 7 ff. de princ. 2, 3, 3 p. 117. 3, 5, 6 p. 277. c. Cels. 6, 79 p. 150. 2 ) c. Cels. 3, 62 p. 256, 8 comm. in Joh. 1, 107. 124 p. 23. 25. Hai Koch Pronoia u. Paideusis 87 f. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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lische Formung in sein System einzufügen, ohne dessen Hauptlinie umbiegen zu lassen. Er hat diese Kunst im Großen und im Kleinen immer aufs neue geübt und auch für die Sakramente Raum zu schaffen gewußt — aber unbeirrbar lenkt sein Weg stets wieder dem Ziel der Vergottung durch den Logos zu. Mag er noch so oft und noch so gründlich Formulierungen der Kirchenlehre, biblische Fragen und philosophische Probleme erörtern, er tut es als Gelehrter mit klarem Verstand, ruhigem Urteil und sachlicher Teilnahme. Aber zutiefst in seiner Seele lodert ein Feuer wie die Sehnsucht eines Menschen, der das Leben in der Alltagsarbeit der Täler zuletzt nicht mehr ertragen kann, und den es unwiderstehlich hinaufzieht in die reine und stille Klarheit vereister Firne, auf denen der Blick die Erde vergißt und nach den Sternen greift. So versinkt dem Denker Origenes diese Erde, diese Zeit, diese Welt. Wer Christus gewonnen hat, löst sich von der Materie und von der Sünde, braucht nicht nach dem Tode die Höllenqualen des in seinem Gewissen brennenden Feuers zu fürchten, sondern ersteht aus dem Grabe mit einem geistlichen Leib von himmlischem Glanz und einer vom Logos entflammten Seele, die nach immer höherer Erkenntnis dürstet. Solchen ist ein „himmlisches Jerusalem" noch auf dieser Erde beschert, eine „Seelenschule", wo sie den Zusammenhang aller irdischen Dinge begreifen werden: da wird sich ihnen das Rätsel des Menschen, seiner Seele, seines Nus lösen, sie werden das Wirken des Geistes verstehen und in die Geheimnisse des mosaischen Gesetzes eindringen. Aber auch die verborgenen Kräfte heilsamer Pflanzen werden ihnen offenbar werden, so offenbar wie die Vollmacht der abgefallenen Engel zur Verführung der Menschen. Was hier auf Erden als Zufall galt, wird als rechte Entscheidung göttlicher Vorsehung erscheinen, und sie werden lernen, wie Gott die Haare auf jedem Menschenhaupt zählt und für die zwei Sperlinge des Evangeliums sorgt, die doch nur einen Groschen kosten. Aber die Seele bleibt nicht hienieden. Sie steigt empor in den Luftraum und erforscht auch dessen Geheimnisse. Dann

Das System des Orígenes. Die letzten Dinge

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tun sich ihr die Himmel auf, und sie schreitet Jesu nach, von Sphäre zu Sphäre. Jetzt eröffnet sich ihrer Einsicht das Wesen der Sterne, ihrer Stellungen, ihrer Bahnen und des himmlischen Gleichgewichtes. Höher geht der Weg in die Regionen des Unsichtbaren: immer mehr vergeistigt sich die Seele und wächst zur vollkommenen Erkenntnis heran, bis sie nicht mehr Seele, sondern ganz Nus und Geist wird und die Welt der vernünftigen Wesenheit „von Angesicht zu Angesicht" schaut. Das ist der von den Philosophen als höchstes Gut geahnte, aber den Christen beschiedene Weg zur Gottähnlichkeit aus dieser Leiblichkeit empor zum reinen Nus, zur „Herrlichkeit der Gottessöhne, da Gott ist Alles in Allen", da die geläuterten Wesen nichts anderes mehr fühlen, wissen und denken als Gott allein1. Es sind nicht nur wenige Auserwählte, die zu diesem höchsten Ziele kommen. Noch ringen die Millionen auf Erden mit Irrtum und Bosheit, noch streiten die Geister der Hölle wider Gott. Aber wie sie alle einst von Gott ausgegangen sind, so können sie letzten Endes auch alle nicht auf ewig von Gott lassen. Immer neu klingt sein Ruf an ihre Ohren, spüren sie seine Führung in ihrem Leben, fühlen sie in Leid und Not seine erziehende Hand, die auch die letzten Wesen in der tiefsten Hölle nicht verläßt. Einer nach dem andern wird ergriffen, läßt sich bekehren, steigt langsam empor, immer mehr schließen sich an, und nach unabsehbaren Zeiträumen kommt der Tag, wo keiner mehr draußen bleibt, wo auch der Fürst der Hölle zu Gott zurückkehrt 2 . Dann ist die „Wiederbringung des Alls" vollendet, der Zweck und Sinn des Weltlaufs erfüllt, der Tod ausgelöscht, und Christus legt in und mit sich Alles Gott zu Füßen, „auf daß Gott sei Alles in Allen". Und noch hält Orígenes nicht inne: über das Grenzenlose dieser Welt und ihre Zeit hinaus sucht sein Auge die Ewigkeit. Dieser Weltablauf vom ersten Sündenfall durch ungeheure Zeiträume bis zur Heimkehr der Verlorenen und der seligen Endvollendung ist doch nur e i n Geschehen unter ») de princ. 2, 10, 4. 11, 3—7. 3, 6, 1. 3. mit Anm.

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) de princ. 1, 6, 3 p. 83 21*

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vielen, e i n e Weltperiode, der andere vorangegangen sind und andere folgen werden. Denn ewig bleibt der Wille der Einzelwesen frei und lockt zu neuem Fall, der dann von selbst die weiteren Folgen auslöst und eine neue Periode des Absinkens in die Materie einleitet. Und ewig bleibt auch Gottes Liebe, die ihn zu barmherzigem Erbarmen und damit zu sorgender und erziehender Fürsorge treibt. Wiederum hebt das Wechselspiel zwischen dem Trotz des Geschöpflichen und dem Werben des Logos an, bis auch dieses Drama zu seinem Abschluß gelangt und Gott wieder alles beisich versammelt, was ewig unverlierbar sein ist 1 . So schaut der Seher Origenes im Lichte der Ewigkeit Gottes die unendliche Reihe seiner Welten. Es ist deutlich, daß dieses „System" uns das Bild einer zur Vollkommenheit gelangenden christlichen Gnosis vor Augen führt, und daß es ebenso wie die Welt des Klemens unter dem Einfluß außerkirchlicher gnostischer Anschauungen steht. Klar ist auch, daß es in weitem Umfang mit dem Material und den Denkformen der zeitgenössischen Philosophie aufgebaut ist. Und dennoch würde man sehr irren, wenn man seinen Schöpfer als einen rein intellektuell veranlagten Philosophen nähme. Reine Verstandesmenschen waren auch die Philosophen jener Tage nur selten, die Gnostiker schon gar nicht, und Origenes fühlt sich als Christ und wertet die Philosophie nur als Mittel zum Zweck. In seiner großen Verteidigungsschrift gegen den Platoniker Celsus bringt er in anschaulicher Weise zum Ausdruck, was er mit der Weltanschauung seines Gegners gemeinsam hat — und das ist nicht wenig2 — und wo die entscheidenden Unterschiede zu finden sind: und auf die kommt es ihm an. Sie sind bestimmt durch seine Bindung an Bibel und Kirchenlehre und die daraus folgende Gesamthaltung in der Lebensführung. Dabei wird freilich der einfache Gemeindeglaube in seiner volkstümlichen Derbheit nicht selten preisgegeben und nur die zur Gnosis entfaltete Auffassung des Christentums 2 de princ. 3, 5, 3—5 p. 273—276 mit Anm. ) A. Miura-Stange Celsus u. Origenes (Beihefte zur Z N W Nr. 4 1926).

Orígenes als Gnostiker und Exeget

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geltend gemacht. Aber das entspricht auch sonst der Meinung des Origenes über das Verhältnis von Glauben und Wissen. Ihm ist die Überlegenheit der durchgeistigten Form seiner Religion so selbstverständlich, daß er nur selten Erörterungen darüber anstellt 1 . Das Wort „Glaube" ist ihm aber keineswegs schlechthin Gegensatz zu Wissen. Er kann auch vom „wirklichen Glauben" reden, der ein Gnadengeschenk Gottes ist, mit sicherem Urteil die Wahrheit ergreift und den vom heiligen Geist in die Bibel gelegten tieferen Sinn versteht 2 . Schon in der Dankrede des Gregor wurde hervorgehoben, daß alle wissenschaftliche Arbeit der Schule in Bibelstudium ausmündete, und das Lebenswerk des Origenes bezeugt durch die Fülle der Kommentare, Homilien und Scholien die Wahrheit dieses Wortes. Auch die Schrift Peri Archon bringt im letzten Buch theoretische Erörterungen über die Notwendigkeit der allegorischen Methode. Wer dem Origenes ins Herz schauen will, muß ihn beim Bibelstudium aufsuchen. Hier und nur hier eröffnet sich dem Christen der Weg zur Erkenntnis, hier spricht der Herr durch seinen heiligen Geist zu dem Geist, der in uns Wohnung genommen hat: und ohne die Offenbarung des Logos ist es schlechterdings unmöglich, zu Gott vorzudringen. Origenes hebt die Hände zum Gebet, wenn er um die rechte Deutung ringt, und fühlt den Kuß vom Munde des Logos, wenn sich ihm ohne weltliche Gelehrsamkeit ein göttliches Geheimnis offenbart 3 . Aber er trifft alle Vorbereitungen nach wissenschaftlichen Grundsätzen, treibt — wie die Anlage der Hexapla zeigt — ernsthafte philologische Arbeit im größten Ausmaß und entwickelt eine sorgfältig durchdachte und auf alexandrinischer Tradition aufbauende Methode der allegorischen Deutung 4 . Sein Kommentar zum Johannesevangelium zeigt, wie sich seine Arbeitsweise gegenüber der gnostischen Kunst des ') W. Völker Das Vollkommenheitsideal des Orig. (Beiträge z. histor. Theol. 7, 1931) S. 77 ff. 2 ) Comm. in Joh. 10, 43, 298—300 p. 221. 20, 32, 284—286 p. 369. 3 ) Comm. in Cant. prol. p. 63, 26 lib. 1 p. 91 f. Vgl. Comm. in Matth. 15, 30 (3, 392 Lo.). 4 ) de princ. 4, 3, 3—9.

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Valentinianers Herakleon bewährt. Sein Werk ist für die Bibelauslegung der ganzen griechischen Kirche vorbildlich geworden, ist ausgeschrieben und nachgeahmt und hat noch Jahrhundert um Jahrhundert gegolten, als seine Dogmatik längst verdammt war. So geben uns denn diese Bibelkommentare Auskunft über manche Seiten seines religiösen Lebens und theologischen Denkens, die in seinem systematischen Hauptwerk zurücktreten: bei der Christologie haben wir das bereits zu beobachten Gelegenheit gehabt. Wir steigen in der Gotteserkenntnis stufenweise empor, aber jede Stufe ist Christus: erst erfassen wir ihn als Menschen, dann als Engel und himmlisches Wesen, erst als Weg, dann als Tür, erst als Herrn und Hirten, dann als König,, erst ist er das Lamm, das unsere Sünde tilgt, dann wird uns sein Fleisch die wahrhaftige Nahrung: aber so und nur so kommen wir zur Erkenntnis des Vaters 1 . Im Hoheliedkommentar hören wir von drei Stufen: auf der ersten üben wir uns im Halten der Gebote und sittlichen Lebensführung, auf der zweiten entsagen wir der Welt und ihrer Eitelkeit, die dritte ist Sehnsucht nach dem Schauen des Unsichtbaren und Ewigen: und dies Sehnen findet Erhörung, wenn Gottes Barmherzigkeit in der Seele die Liebe zur Schönheit des Logos entzündet, der diese Liebe erwidert 2 . Eine ausführliche Beschreibung des Aufstiegs der Erkenntnis begegnet uns in der Erklärung der Wüstenwanderung Israels 3 , und Origenes müht sich im Anschluß an die Deutung der Ortsnamen, hier den Weg der Seele zu Gott vorgezeichnet zu finden, „mag es nun die Reise aus dieser Welt in den künftigen Aeon sein oder ihre Bekehrung von den Irrtümern des Lebens zur Tugend und Gotteserkenntnis". Origenes weiß also, daß die von Gottes Vorsehung geleitete Erziehung des Menschengeschlechtes langsam und schrittweise vor sich geht, und braucht dafür Bilder und gelegentlich auch Worte, die von der späteren Mystik aufgenommen und mit neuem Inhalt gefüllt sind. Man muß sich ') Comm. in Joh. 19, 6, 35—39 p. 305. 2) Comm. in Cant. prol. p. 79, 12 ff. 3) Horn, in Numeri 27, 9 ff. p. 268.

Origenes: der Aufstieg der Seele. Die Sünde

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hüten, Origenes mystisch auszudeuten: ihm ist der Gedanke eines Aufgehens der Seele in Gott so fremd wie der eines Einswerdens Gottes mit einem Geschöpf, und auch Visionen und Ekstase kann man bei richtigem Verständnis der Texte nirgends als Bestandteile seiner Frömmigkeit feststellen 1 . Seine Seele wandert auf einem vom Licht des Logos erhellten Wege zu Gott und trinkt mit offenen Augen den überirdischen Glanz immer neuer Offenbarungen: sie bleibt auch in der seligen Empfindung barmherziger Gottesliebe ein Ich. Der stufenweise Aufstieg seiner Seele zu Gott, von dem er im Hoheliedkommentar redet, ist nicht mit einer technischen Schulung der Meditation verbunden und nicht durch Erzeugung bestimmter Empfindungen geregelt, sondern bildet einfach und klar eine folgerichtige innere Entwicklung ab. Entscheidend ist für ihn, wie schon sein Schüler Gregor tief empfunden hat, die völlige Einheit von Denken und Handeln. Also steht Erziehung zum sittlichen Tun, zur Befolgung der Gebote am Anfang, und immer wieder warnt er, besonders in seinen Predigten, die Hörer vor Selbstsicherheit und ruft sie zum unermüdlichen Kampf gegen die Sünde und die von Dämonen bewirkten Versuchungen. Im Einklang mit den Worten der Bergpredigt stellt er der Durchschnittsmeinung den vertieften Sündenbegriff entgegen, der nach den bösen Gedanken fragt. Es klingt herbe, wenn er den noch immer in Sünden Verharrenden das Recht zur Teilnahme an der „Gemeinschaft der Heiligen", das heißt der wahren Christen, abspricht 2 . Aber er weiß auch, daß vollkommene Gerechtigkeit vor Gott nie zu erreichen ist, und daß die Gerechtigkeit des Menschen stets ein relativer Begriff ist: es fragt sich, woran sie gemessen wird. Und da ist es durchaus möglich und muß gefordert werden, daß der Christ immer dem Heiden überlegen bleibt. Er kann und soll Gottes Gebote befolgen. Dadurch erwirbt er sich kein Verdienst: das ist unbedingte Pflicht 2

) Hai Koch Pronoia u. Paideusis 333—339 gegen W. Völker Vollkommenheitsideal des Orig. 62—144. 2) Horn, in Levit. 4, 4 p. 320. W. Völker Vollkommenheitsideal S. 31 f.

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13. Ägypten

— und auf diesem Gebiet bewegt sich die erste Stufe der religiösen Erziehung. Der Begriff des Verdienstlichen tritt erst da auf, wo mehr geleistet wird, als die Gebote verlangen; nämlich bei der Askese, und da ist ihm das Entscheidende die geschlechtliche Enthaltsamkeit 1 : was er in seiner Jugend darüber hinaus noch geleistet hat, finden wir bei Euseb aufgezeichnet 2 . Erst dem Asketen, der den Weg der Vollkommenheit beschritten hat, öffnet sich der Zugang zur dritten Stufe, dem Leben in gnostischer Erfassung des Logos. Es trifft zu, daß dieser Weg und sein Aufstieg von sittlich ernstem Kampf gegen die Leidenschaften über die Askese zur vollen Erkenntnis nicht aus eigentümlich christlicher Anschauung entspringt, sondern der Zeitanschauung gemäß ist und insbesondere vom Piatonismus gepredigt wurde. Hier haben wir nicht bloß in der Theorie, sondern auch in der praktischen Lebensführung des Orígenes den Einfluß des Ammonios Sakkas. Und wenn wir uns erinnern, daß im ganzen System die Gottferne in der Materialisierung zum Ausdruck kommt, und daß der Aufstieg zugleich eine Lösung von diesem Leibe bedeutet, so wird uns die Gleichung seiner Lehre mit jener Philosophie noch einleuchtender. Und doch will Orígenes auch hier nicht Philosoph, sondern Christ sein und ist sich mit vollem Recht der Übereinstimmung seiner Meinung mit der Bibel bewußt: er braucht keine Allegorie, um die Elemente seiner Lehre bei Paulus und in den Evangelien zu finden, und wenn er die Philosophie benutzt, um diese Elemente zu einer Einheit zusammenzufügen, so ist das sein gutes Recht als eines Mannes der Wissenschaft. Freilich hat er nicht den ganzen Paulus, den ganzen Johannes, das ganze Evangelium. Aber wer ist ihm denn da überlegen? Welcher Theolog bis auf den heutigen Tag kann sich rühmen, alles zu umfassen, was die Quelle des Neuen Testamentes der Welt beschert? Orígenes hat in der Bibel gelebt wie nach ihm vielleicht nur noch Luther. Was er Comm. in Rom. lib. 3, 2—3 (6, 178—182 Lo.) lib. 10, 14 (7, 423 Lo.). Comm. in Matth. 15, 13—14 (3, 352—354 La) c. Cels. 7, 48. 2 ) s. o. S. 307.

Orígenes und die Bibel

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an Erkenntnis gewann, verdankte er diesem Buch. Hier standen die Gebote, die sein sittliches Leben regelten, hier klang die Weisung zum Weg der Vollkommenen, und hier vernahm er die Stimme des Logos, der seinen griechischen Wissensdurst stillte und ihm die künftige Erquickung für seine Seele versprach. Er las in diesem Buch als Philosoph und lernte doch daraus, was höher ist als alle Vernunft, daß der Weg zu G o t t nicht Verdienst ist, sondern Gnade. A l s begnadeter Lehrer ist er diesen W e g den Scharen seiner Schüler mit vorbildlicher Tat länger als fünfzig Jahre vorangeschritten und hat am Ende die Wahrheit seiner Lehre durch den Märtyrertod bezeugt. Und die Spur dieses griechischen Christenlebens leuchtet unvertilgbar dem Kundigen noch heute im Bild seiner Kirche. Das Ringen zwischen Christentum und synkretistischer Gnosis endet auch auf dem Gebiet der Wissenschaft mit einem Sieg der Ecclesia catholica: ihr größter Denker hat ihr die biblische Gnosis geschaffen.

Literatur Die in Bd. I S. 318 f. aufgeführte Liste ist für Bd. 2 um die nachfolgenden Bemerkungen zu ergänzen: Akademieschriften werden abgekürzt zitiert: sie gehören stets der philosophisch-historischen Klasse an, wenn nichts anderes angegeben ist. Apologeten werden zitiert nach Edgar J. Goodspeed, Die ältesten Apologeten 1914: deshalb auch Justins zweite Apologie als App. Bened. hinter einem Zitat meint jeweils die ursprüngliche Benediktinerausgabe. Bernhart, Max, Handbuch zur Münzkunde der römischen Kaiserzeit, 2 Bde. 1926. Bonner Jahrbücher = Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande. Cabrol et Leclercq Dictionnaire d'archéologie chrétienne et de liturgie. Paris 1907 ff. Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. ed. Th. Mommsen in Monumenta Germaniae, Auetores antiquissimi Tom. 9. 11. 13. 1892—98. Concilienakten werden, soweit sie nicht in den Acta Conciliorum Oecumenicorum von Ed. Schwartz ediert sind, nach der Sammlung vonLabbéCossart, Paris 1671 ff., zitiert. Cumont, Franz, Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum, bearbeitet von A. Burckhardt - Brandenburg. 3. Auflage. 1931.

Dessau, Hermann, Inscriptiones Latinae selectae. 3 Bde. 1892 bis 1914. Harnack, Adolf, Chronologie = Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius. Zweiter Teil, die Chronologie 2 Bde. 1897—1904. Hauck, Realenc. = Realencyklopädiefürprotestantische Theologie und Kirche. 3. Aufl. herausgegeben von Albert Hauck. 1896 ff. Hippolyt KO ( = Kirchenordnung), früher Ägyptische Kirchenordnung genannt, wird zitiert nach Didascalia et Constitutiones Apostolorum ed» F. X. Funk 2 (1905) S. 97 bis 119. Der lateinische Text gelegentlich nach E. Hauler, Didascaliae Apostolorum fragmenta Veronensia Latina I, 1900, die orientalischen Texte nach G. Horner The Statutes of the Apostles or Cánones Ecclesiastici. London 1904. Johannes Chrysostomus wird nach der Ausgabe von Montfaueon, Paris 1718 ff., zitiert. Irenaeus Epideixis = Des hl. Irenaeus Schrift zum Erweise der apostolischen Verkündigung, übers, v. Karapet TerMekerttschian und Erwand Ter-Minassiantz, mit Nachwort usw. von A. Harnack. 2. Aufl. 1908.

Literatur Liber pontificalis ed. Th. Mommsen in Mon. Germaniae, Gesta Pontificum Romanorum. Vol.l. 1898. Lipsius-Bonnet: Acta apostolorum apocrypha ed. R. A. Lipsius et M. Bonnet. 2 Bde. 1891—1903. Origenes wird nach d. Berliner Ausgabe zitiert, wenn nicht ausdrücklich Lo(mmatzsch) genannt ist. Prosopographia Imperii Romani ed. Elmar Klebs, Dessau, de Rohden. 3 Bde. 1879—1898. 2. ed. pars 1 ed. Groag et Stein 1933. Tertullian wird nach der Wiener Ausgabe (Bd. 1 ted. Wis-

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sowa, Bd. 3 Kroymann) zitiert, wo diese fehlt, nach Oehler; das Apologeticum nach G. Rauschen, Florilegium patristicum, fasc. 6, 1906. Wissowa, Georg, Religion und Kultus der Römer, 2. Aufl. 1912 (Handbuch d. klass. Altertumswissenschaft V, 4). Z K G = Zeitschrift für Kirchengeschichte. Z N W = Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche. Z. wiss. Theol. = Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, herausg. v. A. Hilgenfeld.

Die griechischen Kirchenväter werden, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes angegeben ist, nach der Ausgabe der Berliner Akademie zitiert.

Register Abendmahl 185. Aberkios 193. Abgar von Edessa, Briefwechsel mit Jesus 68. Abgar IX. von Edessa 266. 272. Abnoba 29. abstrakte Begriffe, Personifikationen 20. 21. Achill 19. Acilius Glabrio 158. Adam und Eva 42. 141. 144, zweiter Adam 214. Addai 273. Adel 8. Adiabene 273. Adoptianismus 115. 118. Ägypten 18. 114. 128. 131. 283—329. Ägypterevangelium 64. 284. ägyptische Götter 30. A f r a h a t 273. Afrika 128. 219—243. Agapen 121. 226. Agrapha 62. Aias 18. Akklamation 100. Akoluthen 256. Albinos 308. Alemannen 5. Alexander von Alexandria 55. Alexander von Jerusalem 166. 310. Alexander aus Phrygien 207. Alexander Severus 28. 163. Alexandria 53. 54. 57. 95. 286. Allegorie 300. 309. 325. 328. Altbachtal zu Trier 30. Ambrosius 187. Ambrosius (Valentinianer) 309. 310. 311. Ammianus Marcellinus 12 Ammonios Sakkas 287. 307. 308. 310. 328.

Amor u. Psvche in der christl. Kunst 138. Amtsantritt des Bischofs, Feier des 51. Andreasakten 77. Anenkletus v. Rom 52. Aniket von Rom 246. Anna 66. Anteros v. Rom 254. Antiochia 53. 264. Antitypus (beim Abendmahl) 126. Antoninus Pius 4. 178. Apamea 140. Apelles 283. Aphtharsia 87. 185. 213. 215. Apokalyptik 40. apokalyptische Schriftstellerei 81. Apokatastasis 323. Apollo 17. 18. Apollonios Dyskolos 287. Apollonius von Tyana 17 f. 146. Apostel 34 u. o. Apostelgeschichte 69. Apostolicum 103. 106. Appian 14. Apuleius 12. 19. 23. 220. Aquila 313. Aquileia 4. 126. Aquila Severa 22. Arabien 2. 3. 114. 310. Arbela 266. 273. 275. Archaismus 12, archaistische Stimmung 16. Archonten 8 7 . Ardabau 196. Ardaschir I. 6. Aretalogien 75. Aristides aus Athen 176 f. 179. Aristides aus Smyrna 14. 17. Aristoteles 186. 312. Aristoteliker 309. Arkosol 136. Armenien 2. 3. 4. 56.

Register Amufis 21. Arrian 14. 310. asianische Rhetorik 223. Askese 296. 328, asketische Auffassung des Christentums 79. Asklepios 15. 17. Assyrien 2. 3. Asteriskos 314. Athanasius 55. 57. Atheismus 152. 158. 309. Athenagoras 187. Athenaios 287. Attalos aus Pergamon 207. Attizismus 12. 287. Auferstehung des Fleisches 119. 187. 274. Auferweckung des Lazarus 142. Augustin 187. 228. 313. Aureliergruft am Viale Manzoni 144. Baal, punischer 27 f. Babylas von Antiochien 166. Babylon 35. 276. Bäder 150. Barbarenstämme als Söldner 10. Bardsanes 78. 267. 270. 271. 278. Barjesus 70. Barkochba 40. Barnabas 95. 96. 178. Baruch 81. Basilides 283. Bassianus 22. Bauern 10. bekennen im Sinn von lobpreisen 101. Bellona Pulvinensis 21. • Berber 219, berberische Christen 221. Bergpredigt, Darstellung der B. in der christl. Kunst 144. Berufe, verbotene 149. Beryllos von Bostra 311. Beschneidung, Verbot der 34. Besitz, Verzicht auf den eigenen 10. Bileam 143. bischöfliche Traditionsreihe 53, 212. Blasius 247.

333

Britannien 1. 3. 4. Buddha 276. 277. 278. Bürgerrecht, römisches 22. 34. Bürgertum 7. 9. Buße 85. Bußpraxis 226. 253. Caracalla 5. 9. 17. 21. 34. 310. Catenen 312. Celsus 43. 44. 172. 196. 312. 324. Chatten 5. Christenverfolgung 72. 157. 159. Christologie 107. 228. 321. Christus als Titel im Bekenntnis 101. Christusbild 80. Claudius 1. Commodus 5. Cornelius von Rom 168 f. 236—239. 256. 258—260. Cornutus 312. Cyprian von Karthago 166—168. 170. 229—243. 25&—263. Dacia 2. 3. 6. Dämonen 179. 186. 225. 280. 309. Daniel 39, in der Löwengrube 139. Decius 6. 164. 230, decianischle Christenverfolgung 157. 311. Demetrius von Alexandria 55. 284. 307. 310. Diakonen 47. 56. 125. 256. Diatessaron 93. 272. Didache 95. 120. 125. 127. 178. Dio Chrisostomus 13. Diodor 38. Diognetbrief 178. 188. Dionysius von Alexandria 57. 98. 166 f. 170. 241. 260. 263. Dionysius von Rom 263. doketische Anschauungen 104, Doketismus 117. Domitian 1. 11. 17. 76. 84. 158. Dougga 27. drei Männer im feurigen Ofen 139. dritte Gesandte, der 280. drittes Geschlecht 41. 177. Drusiana 76. Dura. 4 35. 140. 272. 275. dynamistische Lehre 191.

334

Register

Edessa 77. 266. 270. 272. Ehe 199. 225. Ehebrecherin, Perikope von der 62. Ehedrekret des Kallist 253. Ehegleichnis desEpheserbriefs 119. Ehelosigkeit 199. 272. Ekklesia 41. 329. Ekstase 187. 196. 327. Elagabal 20. 22. Eleutherus von Rom 204. 207. 248. Emesa, Baal von 22, Stein von 20. 22. Empedokles 186. Ephoros 38. Epiktet 13. 16. 172. 310. Epikur 309. Epiphanienfest 133. Episkopen 47. Epistula apostolorum 86. 105. Epona 29. Eroten in der christl. Kunst 137. Eschmun 20. 225. Esel, in den Thomasakten 78. Esus 30. Euktemon v,on Smyrna 167. Eulogia 121. Euseb von Cäsarea 96. 315. Eutychian v. Rom 51. Exorzismus 127. 128. Exorzisten 256.

Galenus 172. Galerius Maximus 242. Gallien 56. 131. Gallienus 6. 171. Gallus 169. 238. 260. Geburt Jesu aus der Jungfrau im Bekenntnis 106 f., Verbreitung der Lehre 113. Geheimoffenbarungen 46. 297. Gellius 220. 224. 287. 298. germanische Götter 29, Grenzprovinzen 29, Heiligtümer 30. Gesetz, neues 182. Gesetze gegen die Christen 156. Gespenstergeschichten 19. Glaubensregel 110 f . 211. Glossolalie 45. 196. 197. Gnosis 47 ff. 63 f. 81, bei Klemens 301, Origenes 324. Gnostiker 110. 111. 128. 265. 306. gnostische Denkweise 86, Gedanken in den Apostelakten 79. Goten 6. Gregor von Neocaesarea 166. 315. Greuel 153. 203. griechische Sprache in Afrika 219. 220, in Gallien 206.

Fabian von Rom 166 f. 254. Fabius von Antiochia 167. 266. Fasten 127. 131. 199. Faustinus von Lyon 239. Felicissimus 233. 234. 235 f. Firmilian von Cäsarea 204. 241. Fisch als Symbol des christl. Glaubens 101. 141, auf Siegelringen 137, bei Aberkios 194. Fischer in der christl. Kunst 141. Flavia Domitilla 158 Flavius Clemens 158. 284. Florinus 248. Fortunatus von Karthago 236.237. Freitag und Mittwoch als Fasttage 129. Fremde. Teilnahme von Fremden am Gottesdienst 122.148. Fronto 12. 16. 172. 219.

Hadrian 3. 7. 13. 18. 33. Hadrianaufstand 34. Harmonius 271. Hatra 272. Hebräerbrief 89. Hebräerevangelium 64. 284. heiliger Geist 318. Heilsökonomie 112. 117. Heilung des Blinden, der Blutflüssigen 143. Helena 19. Henoch 81. Heraklas von Alexandria 55. 307. 311. Herakleon 326. Heraklit 181. 186. Herkules 21. 29. 146. 182. Hermas 84. 96. 97. 116. 117. 211. hermetische Schriften 34.

Fructuosus von Tarragona 170.

Register Hermogenes 225. 265. 270 f. Herodes Atticus 13. 14. 16. Herodot 37. Heroen 18. Herr, Jesus als der H. 101. 107. Herrenworte 90. 92. Hexapla 313 ff. Hieronymus 311. 312. Hippolyt von Rom 106. 134. 249, Hippolytische Kirchenordnung 127, Hippolytische Liturgie 104. Hirte, bei Aberkios 194, Hirtenbild bei Hermas 85, der „gute Hirte" in der christl. Kunst 138. 144. Hölle in der Petrusapokalypse 85, Wanderung durch die 78, Höllenqualen 322. homousios 228. 317. 319. Hymnus in den Johannesakten 76, H. des Bardesanes 271. Ignatius 48. 49. 53. 88. 89. 103. 135. 159. 235. 264. Ikonium 204. Indien 18. 276. indischer Mythus 78. Irenaeus 51 f. 54. 56. 92. 106. 111. 131. 206—218. Isaaks Opferung 139. Isis 20. 21. 23. 30. Islam 6. Israel, geistliches 41. Jabne 35. Jakobus, Protevangelium des 66. Jerusalem 53. Jesaja 115. Joachim 66. Johannes 91, Johannesakten 75. Johannesapokalypse 82, Johannesevangelium 64. Johannes von Damaskus 313. Jonas 139. Juden 152. 245. 264, Judentum 33. 145. 273. 274. 275, jüdische Aufstände 33. Julia Domna 8. 17. 22. Julia Mamaea 163. 252. Julius von Rom 57. Jungfräulichkeit der Maria 66.

335

Juppiter Dolichenus 21. 29. Justin 92. 121. 122. 127. 162. 178. 193. 209. 246, Taufbekenntnis bei J. 105, Geburt aus der Jungfrau 115. Juvenal 11. Kaiserkult 21. 24. 27. 152. Kalender 130. Kallist 134. 249. 253. Kallistkatakombe 51. 255. Kanon 90—99. 211. Kapitol in Ostia 24, in Timgad 26, in Dougga 27. Karpus und Papylas 135. 162. Karthago 57. 219. Katakomben, jüdische 136, Kallistkatakombe 51. 255. Katechetenschule 285. 306. 307. Katechumenen 148, Katechumenenunterricht 102.111.127. katholische Briefe 89. 95. keltische Götter 29, Heiligtümer 30, Sprache in Gallien 206. Kerinth 91. Ketzertaufe 229. 240 f. 261. 263. Keuschheit, Betonung der K. in den Apostelakten 79. Kindheitsevangelien 65. Kirche, Personifikation der 85, bei Hermas 119 Klemens von Alexandria 89. 97. 137. 150. 184. 284—305. 307. 309. Klemens von Rom 52. 89. 96. 125. klementinische Homilien 90. Kleomenes 249. Koinonen 200. Konfessoren 162. 232—237. 258. 259. Konzilien s. Synoden. Kore 114. Korinth 131. Korinther, Briefwechsel mit Paulus in den Paulusakten 74. 90. Kränze 150. Kreta 56. Kreuz im Petrusevangelium 64, Symbolik des 72, Kreuzesmysterium in den Andreasakten 77, Kreuzespassah 130,

336

Register

Kreuzestod Christi bei Origenes 321, Lichtkreuz 80. Kriobolium 25. 32. Kultur 150 f. 296. Kybele (Große Mutter) 20. 25. 28. 31. kynische Philosophen 172.296.306. Kyrill v. Alexandria 57. Lammträger 138. Laodicenerbrief 90. Lapsi 231. 257. lateinische Bibel 220. Laurentius, Archidiakon in Rom 170. lebendiges Wasser bei der Taufe 128 Leib Christi 41. Leichenverbrennung 135. Lektoren 256. Lentulus, Brief des L. an Kaiser Tiberius 68. Leon 238. Leonidas 305. Leptis Magna 21. Leuke, Insel 19. Lessing 211. Leukios Charinos 79. Leviten = Diakonen 125. Libellatici 167. 234. Libelli pacis 232. Liber 21. 27. Libertinismus 46. Licinius Serenianus 164. Lichtschiffe 280. Limes 1. 3. 5. Linus 52. Loculi 135. Löwe, in den Paulusakten 73. Logienquelle 61. Logos 118, Göttlichkeit des L. in der epistula apostolorum 86, Logoslehre des Johannesev. 91. 117, im Bekenntnis 109, bei Justin 180, Tatian 186, Irenaeus 212, Klemens 289, Origenes 318. Lucius von Patrae 19. Lucius von Rom 260. Lukas 61. 91.

Lukian 15. 19. 147. 172. Lyon 54. 134. 159. Macrianus 169. 171. Madonnendarstellung 143. Magier aus dem Morgenland 143. magische Gemmen 34. Makkabäer 39 f. Mani 78. 276—282. Maranatha 120. Marcia 247. Marcianus von Arles 239. Marcion 88. 94 f. 111. 220. 246. 265. 267. 270, Marcionitenkirche 170, marcionitischer Presbyter 167. Maria, Geschiche der 66. Mark Aurel 4. 7. 16. 146. 172. 178. Markomannen 4, Marcomannia 5. Markus 57. 61. 91. Mars 29. Martyrien 146. 159—170. 221. 242. Märtyrer 160. 201. 203. 243. Matronen 30. Matthäus 61. 91. Matthiasevangelium 64. Maximilla 196 f. 202. Maximin 164. 254. Maximus von Karthago 237. Menschensohn 39. Merida 238. Merkur 28. 29. Mesopotamien 2. 3. 5. 6. 268. 272. Metrodorus 168. Milch und Honig 128. Minucius Felix 189. Mischehen 152. Mischna 35. 122. Misdaios 77. Missionare 44. Mithras 25. 28. 29. 30. 32. Mittler 318. Mittwoch und Freitag als Fasttage 129. Monarchianer 248, Monarchianismus 192. 212. 311, monarchianische Lehre 191. monarchischer Episkopat 48.51.54. Monogenes 108. Monotheismus, im erster Artikel

Register 111, naturreligiöser 23, stoischer 17. Montanismus 58. 196—205. 208. 225. 248. Moses 140. 308. Münzen, Götter auf 20, Münzwert 7. 9. Muratorisches Fragment 97. Musonios 181. Mygdonia 77. Mysterien, der Isis 30, Frömmigkeit der griech. M. 100, Taufriten aus Mysterienbrauch 128, Mysterienkulte 30. Mystik 18. 19. 304. 326 f. Natalis von Rom 248. Naturalwirtschaft 10. Nepos von Arsinoe 98. Nero 1. 72. 153. Neuplationismus 176. 308. Neupythagoreismus 144. 308. Nikodemuslegende 67. Nisibis 5. 272. 275. Noah in der Arche 139. Noetos 104. 191. 248. 249. Novatian 170. 236. 237.258—260. Novatus 230. 233. 237. Numenios von Apamea 308. 312. Obelos 314. Obrigkeit, Amt ein. O. m. d. Christentum nicht vereinbar 149. oedipodeische Liebe 153. Opfer, Abendmahl als O. 125, für T o t e 133, Opfergaben 200. Oranten 138. Ordines minores 256. Orest 18. Orient 18, Bekenntnis im O. 108, orientalische Götter 20, Sternglaube 30, Sonnengott 22. Origenes 163. 164. 168. 176. 305—329. Orphik 144. Osroene 131. 272. Osterfrage 58, Osterstreit 191. 208. 251, Ostertafel 251. Ostia 24. Ostiarier 257. Otacilia Severa 164. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

337

Palästina 131. Palmyra 6. 35. Palüt von Edessa 271. Pamphilus 311. 315. Pantainos 284. 307. Pantheos 23. Panthera 174. Papias 62. Papstgruft 255, Papstliste 51. 255. Papyrusreste 63. Paraklet 109. 118. 197. 202. Parthenos 114. Parther 2. 4. Parusie 45. 198. 251. Passah 129. Passionsgeschichte in d. christl. Kunst 143. Paternus 242. Patriarch 34. 200, Testamente der zwölf Patriarchen 116. Paulus und Seneca, apokr. Briefwechsel 90. Paulus von Antiochia 266. Paulus, Gnostiker aus Antiochia 306 Paulusakten 73. Pausanias 14. Pepuza 198. 200. Peregrinus 44. 147. Perpetua 134. 161. Persis 275. Pest 4. 6. 198. Petrusakten 71 f., Petrusapokalypse 85. 97, Petrusevangelium 64. 92. 265. Pfingsten 129. 132. Philippus 131. Philippus Arabs 164. Philo 114. 183. 308. Philosophie u. Christentum 176. 178. 186. 216. 227. 299. 316. 328. Philostrat 17. 19. Phönizien 44. Photios 286. 301. Pilatusakten 67. Pionius 167. Pius 84. Plato 186. 289. 292. 307. 320, Platoniker 303, Piatonismus

3. Aufl.

22

338

Register

178. 182. 328. mittlerer 309. 316. Plinius 11. 154. 172. Plotin 176. 308. 310. Plutarch 13. 17. 113. 179. 309. Pneumatiker 51. 291. 301. Polybius 38. Polykarp 88. 90. 129. 132. 134. 159. 246. Polykrates von Ephesus 131. Pontian von Rom 51. 134. 254. Pontus 56. 131. Porphyrios 308. 310. Porta Maggiore, Kultraum von 139. 144. Potheinos 54. 56. 159. 208. Praxeas 191 f. 225. 248. Presbyter 50. 53. 55. 256, des Irenaeus 211. 285, des Klemens 285. 301, marcionitischer P. 168. Priska (Priskilla) 196. 198. 199. Propheten 44. 45. 187. Proselyten 34. 174. Provinzen 8. Prüfungswasser 66. Psychiker 291. 301. Ptolemaios (Astronom) 286. punische Sprache 221. Pythagoras 289, Pythagoreismus 144, Pthagoreer 308. Quaden 4. 21. Quadratus 175. Quartodezimaner 130. 247. Quintilian 11. Rabbinen 61, Rabbinensprüche 60. Regenwunder 21. Regionen 255. Rekapitulation 214. 215. Religionsprozesse 156. Rhetorik 12. Rhossos 56. 92. 265. Rom 52. 57. 58. 128. 131, röm. Kirche 212. 244—263. Romane, christliche 75. Rosmerta 29. Rufin 312.

Sabazius 25. Sabellios 249. Sakramente 142. 192. 193. 214. 215. 305, Sacramentum 128. Salbung beim Exorzismus 128, bei der Taufe 128. Samariterin 142. San Sebastiano, Katakombe in Rom 142. Sarapis 17. 20. 21. 100. 101. Sarmatia 5. Sassaniden 6. 275. 276. Satanas, feirliche Absage vor der Taufe 128. Saturn 27. Schapur I. 6. 275. 276. Schauspiele 149. 225. Scilli 162. 221, Scillitaner 134. 163. Seelenwanderung 320. Seleukia, Grab der Thekla 74. Seleukia-Ktesiphon 275. Sendschreiben d. Apokalypse 90. Seneca und Paulus, apokr. Briefwechsel 90. Septimius Severus 5. 8. 9. 10. 20. 21. 22. 55. 163. 285. 305. Septuaginta 314. Serapion von Antiochia 56. 92. 265. 271. Sibylle 81. 289. Silvanus 25. 26. Simon Magus 70. 71. Skeptiker 309. Sohn Gottes, Jesu als Sohn Gottes 101. 113. Sokrates 181. 310. Soldaten 8. 10, verbotener Beruf 149. 152. Sonnenkult 22. Sophia 180. 212. Sophistik, zweite 12 f. Soter 51. 132. 246. Spanien 57. 238. Speisung der Fünftausend 141. Sprüche der Väter 60. Staatstempel 20, Staatswesen: Kirche und Welt wie zwei 43. 85. Städte 7, Gleichnis von den zwei St. bei Hermas 85,

Register städtische Ämter 10, Stadtgenien 26. Statio = Fasten 129. 199. Stephanus von Rom 238. 239. 240. 241. 260. 261. 263. Sterbegebete 139. Sternglaube, orientalischer 30.268. Steuerzahlung 9. 151. Stoa 293 f. Stufen in der Gotteserkenntnis 326. Subdiakonen 256. Südgallien 57. Sündenvergebung im Bekenntnis 119. Sueton 11. 172. Sulpicius Apollinaris 219. Susanna 139. Symbolik in der christl. Kunst 143. Symmachos 313. Synagoge 140. Synedrium 35. Syneisakten 199. Synoden 58. 131. 203. 204. 229. 235. 236. 239. 240. 241. 247. 259. 260. 266. 310. Syrien 44. 264—282. Tacitus 11. 12. 172. Talmud 35. 61. 276. Tanit (punische Himmelsgöttin) 20. 22. 27. 225. Tarvos 30. Tatian 93. 185. 186. 265. 272 f. Taufe 127.214. 274. T. Christi 141. Taurobolium 25. 28. 30. 32. Tertullian 52. 106. 141. 151. 191. 222—228. 265. Testamente der zwölf Patriarchen 116. Teufel in der volkstümlichen Christologie 118. 321. Text des Neuen Testaments 94. Thekla 73. 74. Theodoret 313. Theodotion 313 f. Theodotos 191. 248. Theoktistos von Caesarea 310. Theophilos von Antiochia 93. 185. 188. 265.

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Thomasakten 77, Thomasevangelium 64. 65. Thot 21. Thukydides 37. thyesteische Mahlzeiten 153. Tiberias 35. Timgad 26. Titelkirchen 256. Trajan 2. 3. 7. 11. 33. 155. 159. Trinitas 228, Trinität 185. 318. trojanischer Krieg 19. Tryphon 178. Turm, Symbol für die Kirche 85. Tyche 38. Tymion 198. Tyrus 311. Ulpian 157. Unterricht, der mit dem Chritentum nicht vereinbar ist 149. Urban von Rom 254. Urmensch 279. Valentin 47. 246. 283, Valentinianer 108. 309. 326. Valerian 6. 169. 170. 241. Verdienstgedanke 327 f. Vergottung 21. 185.192. 215. 291 f. 321. 322. 323. Veronikalegende 67. 68. Vespasian 2. Viktor von Rom 131. 247. 248. Visionen 161. 327. Visuna 29. Wasser bei der Taufe 128. Weihnachtsfest 22. Weissagungsbeweis 179. 320. Weltgeschichte 37. Willensfreiheit 213. 268. 292. 319. Wochengöttersteine 30. Xenophon 182. Xerophagien 200. Xystus von Rom 170. 242. Zauberpapyri 34. Zephyrin 248. 249. 310. Zeus 17. Zoroaster 278. zweiter Gott 180. 318. 22»

A. v. Z A H N - H A R N A C K

ADOLF V O N HARNACK 2. Auflage, X I I I , 453 Seiten, 1951. Ganzleinen DM 16,80 „Diese Biographie Adolf von H a r n a c k s ist ein k o s t b a r e s Geschenk f ü r jeden, der sieh d e m geistigen Menschen u n d seiner W e l t v e r b u n d e n f ü h l t . Das Bild eines deutschen Gelehrten, der auf G r u n d seiner Lebensleistung höchste akademische u n d s t a a t l i c h e E h r e n e m p f i n g , e r s t e h t von n e u e m m i t seinen inneren u n d ä u ß e r e n K ä m p f e n u n d E r f o l g e n . Aus d e m u n g e m e i n f a r b i g e n Bild m i t seinem S t ü c k Zeitgeschichte heben sich zahlreiche Details heraus, die den Menschen u n d Gelehrten Adolf von H a r n a c k , seine g r o ß e n u n d kleinen Zeitgenossen, seine b e r ü h m t e n F r e u n d e u n d seine hochgebildete Familie lebendig erstehen lassen."

dpa

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Anläßlich des 100. G e b u r t s t a g e s des Verfassers n e u herausgegeben VON A G N E S VON Z A H N - H A R N A C K t und A X E L VON HABNACK O k t a v , V I I I , 216 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 12,80 ,,. . . J e d e r , der lebendigen Anteil a n

der geistes- u n d

sonderlich

theologie-

geschichtlichen Lage in der ersten H ä l f t e unseres J a h r h u n d e r t s n i m m t , wird seinen D a n k f ü r diese Auswahl den Herausgebern wissen. U n d n i c h t zuletzt: hier zuzugreifen l o h n t allein 6chon wegen des ausgewogenen, sachlichen Stils der H a r n a c k s c h e n S p r a c h e . D a ist nichts P h r a s e , da ist jeder Satz g e p r ä g t von der Tiefenschau u n d K l a r h e i t des Geistes." Der S ä e m a n n , Heiligenh. N r . 11, M a i / J u n i 1952

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