Gefahrenzurechnung im Polizeirecht [1 ed.] 9783428517800, 9783428117802


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German Pages 230 [231] Year 2005

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Gefahrenzurechnung im Polizeirecht [1 ed.]
 9783428517800, 9783428117802

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M A R T I N HOLLANDS

Gefahrenzurechnung im Polizeirecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 996

Gefahrenzurechnung im Polizeirecht

Von

Martin Hollands

Duncker & Humblot • Berlin

Die Juristische Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2003 / 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11780-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 2003/04 von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Dezember 2003 berücksichtigt worden. Später veröffentlichte Literatur konnte nur noch vereinzelt eingearbeitet werden. Mein herzlicher Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Professor Jost Pietzcker, der mich in jeder Phase unterstützt hat. Sein Aufsatz zur „Störerbestimmung nach Pflichtwidrigkeit und Risikosphäre" war der Anstoß für diese Arbeit. Besonderen Dank schulde ich auch Herrn Professor Günther Jakobs, der mich zu der Arbeit ermuntert und diese gefördert hat. Weiter danke ich Herrn Professor Christian Hillgruber für die schnelle Anfertigung des Zweitgutachtens sowie Herrn Professor Oliver Lepsius, der so freundlich war, mir das Manuskript seiner Monographie „Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht" noch vor der Veröffentlichung zu überlassen. Die Arbeit ist durch die Graduiertenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen ermöglicht worden. Auch für diese Unterstützung möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken. Herr Guillermo Orce hat die Arbeit mit kritischen Hinweisen begleitet und mir dadurch sehr geholfen. Für die Durchsicht des Manuskripts möchte ich mich bei Herrn Dr. Christian Schneider, Herrn Josef Hofschroer, Herrn Dr. Nicolai Ritter und Frau Sabine Dierkes bedanken. Allen voran aber danke ich meinen Eltern, ohne die alles Weitere nicht möglich gewesen wäre.

Berlin, im Dezember 2004

Martin Hollands

Inhaltsverzeichnis Einleitung Allgemeine Regeln trotz spezieller Regelungen?

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Erster Teil Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

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A. Die zeitliche Dimension: Effektive Sicherheit B. Die soziale Dimension: Öffentliche Sicherheit C. Die praktischen Folgen Zweiter Teil Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren: Abkehr von der klassischen Zweiteilung

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A. Das Synallagma von Freiheit und Verantwortung als gemeinsamer Haftungsgrund 38 I. Kausalität, Freiheit, Verantwortung 38 II. Der Grund der Verhaltenshaftung 41 III. Der Grund der Zustandshaftung 43 B. Der Herrschaftskreis als gemeinsamer Ausgangspunkt 46 C. Ist eine Unterscheidung vorgegeben? 49 I. Die Vorgaben der Verfassung 49 II. Die Vorgaben der Polizeigesetze 52 D. Ist eine Unterscheidung notwendig? 54 I. Herrschaft über Verhalten 56 II. Verursachung durch Sachen 58 E. Ist eine Unterscheidung sinnvoll? 61 I. Die Unmöglichkeit einer Trennung 62 II. Die Irrelevanz einer Trennung 65 Dritter Teil Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung: Abkehr von der Haftung für Herrschaft A. Die Gewalthaberhaftung und ihre Schwächen I. Die Grundregel der Gewalthaberhaftung II. Brüche im System der Gewalthaberhaftung III. Legitimationsprobleme der Gewalthaberhaftung B. Übergang zu einer Haftung nach Risikosphären I. Herrschaft als zentrales Zurechnungsprinzip? II. Herrschaft als ergänzendes Zurechnungsprinzip? III. Gefahrenabwehr, Effektivität, Herrschaft

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Inhaltsverzeichnis

C. Herrschaft ohne Haftung I. Aufgedrängte Gefahrenquellen II. „Vorhaftung" des Rechtsnachfolgers D. Haftung ohne Herrschaft I. Abgedrängte Gefahrenquellen II. Nachhaftung des Rechtsvorgängers Vierter Teil Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung A. Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung I. Arten der Risikoverteilung II. Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung III. Die Unterschiede beider Zurechnungsvarianten IV. Die Gefahrenübernahme B. Verpflichtung und solidarische Aufopferung I. Arten der Verantwortlichkeit II. Störer und Nichtstörer III. Primär- und Sekundärebene C. Nichtstörungs- und Schutzpflichten I. Arten der Verpflichtung II. Negative und positive Pflichten III. Selbstverpflichtung (Versprechen) Fünfter Teil Die Nichtstörungspflicht A. DieriskanteHandlung I. Die Schaffung eines Risikos II. Risikoschaffung bei umfassender Herrschaft III. Risikoschaffung bei partieller Herrschaft IV. Risikoschaffung bei Eingliederung B. Muss dieriskanteHandlung unerlaubt sein? C. Pflichtwidrige Verursachung D. Konkurrenzlose und konkurrierende Verursachung I. Die Realisierung des geschaffenen Risikos II. Konkurrenzlose (unmittelbare) Verursachung III. Konkurrierende (mittelbare) Verursachung E. Fall Varianten der mittelbaren Verursachung I. Typen von Fremdrisiken II. Mitwirkung von Dritten III. Einwirkungen aus der Umwelt IV. Änderung einer Regelung F. Die erweiterte Haftung bei Anpassung I. Stereotypes und angepasstes Handeln II. Fallgruppen, Beispiele

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Inhaltsverzeichnis

G. Die erweiterte Haftung für Sonderrisiken I. Normalriskantesund besondersriskantesHandeln II. Fallgruppen, Beispiele III. Besondere Anfälligkeit des eigenen Machtbereichs IV. Besondere Zugänglichkeit des eigenen Machtbereichs V. Besondere Ausweitung des eigenen Machtbereichs H. Erweiterte Haftung bei Kenntnis oder Absicht? I. Die Relevanz subjektiver Momente II. Der Einsatz von Wissen jenseits der Verursacherhaftung III. Kein Einsatz von Wissen im Fall der normalen Verursacherhaftung IV. Einsatz von Wissen im Fall der erweiterten Verursacherhaftung J. Die erweiterte Haftung aus Rücksichtnahme Anhang Rechtfertigung durch Genehmigung? Thesen Literaturverzeichnis Sachwortregister

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Einleitung

Allgemeine Regeln trotz spezieller Regelungen? Das Thema dieser Arbeit lautet: Nach welchen Regeln werden im Polizeiund Ordnungsrecht Gefahren zugerechnet? Das deckt sich weitgehend - allerdings nicht vollständig1 - mit der Frage, wann jemand im Polizeirecht als Störer und wann er als Nichtstörer behandelt wird. Wenn dabei hier und im Folgenden vom „Polizeirecht" gesprochen wird, meint das nicht nur den engen Bereich der Vollzugspolizei. Vielmehr dient die Rede vom „Polizeirecht" als Kürzel für den gesamten Bereich der Gefahrenabwehr im öffentlichen Recht , also jenem Teil des Rechts, der sich um die Herstellung öffentlicher Sicherheit kümmert. Die Überlegungen dieser Arbeit beschränken sich nicht auf das allgemeine Polizeigesetz, auch nicht auf einen bestimmten Ausschnitt, wie etwa den des Umweltrechts, und schon gar nicht auf ein einziges Spezialgesetz. Es geht allgemein darum, wie im Bereich des Ordnungsrechts Verantwortung für Gefahren verteilt wird. Man muss nicht lange nach Gründen suchen, die dagegen zu sprechen scheinen, das Thema der Zurechnung so allgemein anzugehen. Einer dieser Gründe könnte darin liegen, dass man im Polizeirecht pragmatisch und nicht dogmatisch vorgeht, also nicht nach festen Regeln entscheidet, sondern von Fall zu Fall die jeweils effektivste Lösung wählt. Wer das Polizeirecht so sieht, wird die „großen" dogmatischen Ansätze, den Versuch einer Systematisierung dem Straf-, dem Staats- und vielleicht auch dem Zivilrecht überlassen müssen. Im Bereich der Gefahrenabwehr muss die Dogmatik ebenso pragmatisch bleiben wie das Polizeirecht selbst: statt Regeln und Systematik, Entscheidungen von Fall zu Fall. Der folgende, erste Teil dieser Arbeit wird sich ausführlicher mit diesem Einwand beschäftigen. Dort wird dann zu sehen sein, dass sich die Störerbestimmung im Polizeirecht sehr viel weniger an Effektivität orientiert, als häufig behauptet wird. Das Polizeirecht und die Zurechnung im Polizeirecht folgen durchaus festen Regeln. Soviel sei also vorweggenommen: Die Suche nach Regeln ist auch im Polizeirecht möglich und, das will die Arbeit zeigen, auch ertragreich.

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Eine Form der Gefahrenzurechnung, die sich nicht in das Schema von Störer und Nichtstörer einsortieren lässt, ist etwa die Gefahrtragung. Dazu unten, 4. Teil A.

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Einleitung

Aber es gibt noch einen zweiten Einwand gegen den hier gewählten Ansatz. Und dieser scheint auf den ersten Blick schwerer zu wiegen: Das allgemeine Polizei- und Ordnungsgesetz hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verloren. Vieles von dem, was das allgemeine Gesetz früher zu regeln hatte, findet sich jetzt auf verschiedene Spezialgesetze verteilt. Das allgemeine Polizeigesetz ist nicht mehr das Kernstück des Polizei- und Ordnungsrechts, sondern vor allem dessen Ergänzung, ein erster Vorposten 2, gewissermaßen der „Eisbrecher" 3: Es wird benötigt, wo man auf neue, atypische Fälle stößt, für die das Spezialgesetz noch keinen Lösungsweg vorgibt. Wenn dem aber so ist und das allgemeine Polizeigesetz keine zentrale Rolle mehr spielt, stellt sich natürlich die Frage, ob es überhaupt noch lohnt, nach allgemeinen Regeln zu suchen. Der Anwendungsbereich des allgemeinen Polizeigesetzes ist geschmolzen. Und dem allgemeinen Polizeirecht scheint es - um im Bild zu bleiben - wie einem Eisbrecher zu gehen, der sich langsam in warmes Gewässer bewegt: ihm fehlt die Aufgabe. 4 Muss man sich deshalb in Zukunft ganz darauf konzentrieren, die jeweiligen Spezialgesetze auszulegen? Oder anders gefragt: Kann und soll man sich angesichts der Tatsache, dass das Polizei- und Ordnungsrecht über einzelne Spezialgesetze verstreut ist, wirklich noch an einer allgemeinen Dogmatik des Polizeirechts versuchen, die dann zusammensuchen will, was vielleicht gar nicht mehr zusammengehört? Die These lautet, dass man es kann, und mehr noch, dass man es auch muss. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Überlegungen für eine allgemeine Polizeirechtsdogmatik nicht auf das allgemeine Polizeigesetz beschränkt bleiben. Sie gelten auch für den Bereich der besonderen Polizeigesetze: Polizeirechtsdogmatik und Polizeigesetz, dogmatische Regel und gesetzlich positivierte Regelung , sind zwei verschiedene Dinge. Auch wenn das Polizeirecht auf ganz verschiedene Gesetze (und damit in erster Linie auf verschiedene Gesetzestexte) verteilt ist, bedeutet das nicht, dass sich hierfür nicht übergreifende Regeln finden ließen. Spezielles und allgemeines Polizeigesetz unterscheiden sich zwar durch ein Mehr an Bestimmtheit und Typisierung, nicht aber notwendig durch ein Mehr an materiellen Pflichten. Das Spezialgesetz zeichnet sich gegenüber dem allgemeinen Polizeigesetz durch eine höhere Regelungsdichte aus - ob damit aber auch eine höhere Pflichtendichte und andere Regeln der Zurechnung einhergehen, ist noch nicht gesagt.5 2

Siehe Lepsius, Besitz, S. 11: „Im allgemeinen Polizeirecht werden neue gesellschaftliche und technische Entwicklungen zuerst an rechtlichen Maßstäben gemessen, weil es an der fachspezifischen rechtlichen Regelung noch fehlt." 3 Scheuner, VVDStRL 35 (1977), S. 311 (Diskussionsbeitrag). 4 Siehe Scheunen VVDStRL 35 (1977), S. 311 (Diskussionsbeitrag). 5 Ein Beispiel ist das neue Bundes-Bodenschutzgesetz, mit dem der Gesetzgeber die Frage der Haftung für Altlasten jetzt per Spezialgesetz geregelt hat. Das Bundesverfas-

Einleitung

Man muss deshalb genau trennen zwischen einer zunächst nur formalen Unterteilung verschiedener Gesetze (allgemeines Polizei- und Ordnungsgesetz, Versammlungsgesetz, Immissionsschutzgesetz usf.) und einer materiellen Einteilung verschiedener Zurechnungsprinzipien (etwa: Verursacherhaftung, Gewalthaberhaftung, Gefährdungshaftung). Oft wird es so sein, dass in verschiedenen Polizeigesetzen die gleichen Zurechnungsregeln gelten. Wenn man beispielsweise im Versammlungsrecht danach fragt, ob und wie weit der Veranstalter einer friedlichen Demonstration für gewalttätige Störungen durch Gegendemonstranten haftet; wenn man im Verkehrsrecht überlegt, wann der Halter eines Fahrzeugs dafür geradesteht, dass Dritte dieses entwenden und dann am Straßenrand liegen lassen; wenn man darüber streitet, wann im Abfallrecht der Eigentümer den auf seinem Grundstück von Dritten hinterlassenen Müll entsorgen muss oder schließlich im Bodenschutzrecht die Frage aufwirft, wann der Eigentümer für die Kontamination seines Grund und Bodens durch Dritte einzustehen hat, dann geht es in all diesen Fällen trotz des jeweils verschiedenen spezialgesetzlichen Hintergrunds um strukturell ganz ähnliche Probleme. 6 Immer lautet die Frage, wie weit die Person dafür in Regress genommen werden kann, dass der eigene, für sich ungefährliche Machtbereich durch rechtswidriges Zutun Dritter zur Gefahrenquelle wird. Die Spezialgesetze normieren dann zwar jeweils einen anderen Lebensbereich, ohne dass sich daran zwingend andere materielle Regeln der Haftung anschließen müssten. So regelt, um bei den genannten Beispielen zu bleiben, das Wasserhaushaltsgesetz die Nutzung der Gewässer, das Bodenschutzgesetz die Nutzung des Bodens, das Immissionsschutzgesetz die Nutzung der Luft und so fort. - Sollten die Regeln der Gefahrenzurechnung hier wirklich ganz andere sein, je nachdem, ob sich die Gefahr nun im Wasser, im Boden, in der Luft oder an anderer Stelle verkörpert? Ich meine, dass eine solche Einteilung nicht den Ausschlag geben kann. Und zwar deshalb, weil es sich hier, anders etwa als bei der Trennung von Polizeiund Strafrecht oder der von Polizei- und Zivilrecht, nicht um eine funktionale , sondern um eine ganz äußerliche - phänotypische - Einteilung handelt. Wer versucht, die Zurechnungsprobleme nur mit Blick auf das jeweilige Spezialgesetz zu lösen, läuft Gefahr, ganz ähnliche Zurechnungsfragen auseinander zu reißen und sich die Sicht auf die allgemeinen Regeln zu verstellen. Es ist gerade nicht so, dass die zunehmende Spezialisierung des Polizeirechts eine allgemeine Dogmatik entbehrlich machte. Das Gegenteil ist der Fall: Je mehr das Polizeirecht über verschiedene Spezialgesetze verstreut wird, um so größer sungsgericht hat zu dieser neuen, spezialgesetzlichen Regelung lapidar bemerkt: „Das Bundes-Bodenschutzgesetz hat in Bezug auf die Zustandsverantwortlichkeit für Altlasten in der Sache keine Änderung gebracht." (BVerfGE 102, S. 1 , 3 - Verfassungsmäßigkeit der Gewalthaberhaftung für Altlasten). 6 Siehe dazu auch die Arbeit von Spießhofer, Störer.

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Einleitung

ist das Bedürfnis nach dogmatischen Regeln, mit denen sich die Menge der (spezial)gesetzlichen Regelungen überschaubar machen lässt. Kurz: Mehr Spezialisierung macht eine allgemeine Dogmatik nicht überflüssig f sondern um so erforderlicher. Zur Klarstellung müssen noch drei Dinge ergänzt werden: Erstens soll hier nicht bestritten werden, dass die Spezialgesetze in einigen Fällen die Haftung gegenüber dem allgemeinen Polizeigesetz erweitern und modifizieren können. Es muss ja nicht so sein, dass man die allgemeinen Regeln des Polizeirechts ausschließlich im allgemeinen Polizeigesetz suchen müsste. Möglich ist auch, dass sie in den spezialgesetzlichen Regelungen ihren Niederschlag finden, also gewissermaßen aus der Menge einzelner Regelungen „destilliert" werden müssen. Aber auch dann geht es darum, über die Grenzen der einzelnen Spezialgesetze hinweg allgemeine dogmatische Regeln zu formulieren. Es wäre entschieden zu wenig, sich auf die Feststellung zurückzuziehen, dass der Störerbegriff des Immissionsschutzrechts ein anderer sei als der des Verkehrsrechts und dieser wieder ein anderer als der des Bodenschutzrechts. Wer nach dem jeweils leitenden Haftungsprinzip fragt, wird schnell zu Einteilungen kommen, die mit der gesetzestechnischen Unterscheidung (Boden-, Luft-, Wasserschutz) nicht mehr viel zu tun haben. Die rechtsdogmatischen Unterscheidungen können und müssen quer zu der Trennung von allgemeinem und besonderem Polizeigesetz verlaufen und auch quer zu der Unterscheidung verschiedener Sondergesetze. Es ist daher zumindest irreführend, von dem Störerbegriff des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts und dem Störerbegriff des Abfallrechts, des Immissionsschutzrechts oder des Bodenschutzrechts zu sprechen. Mit dem Gesagten soll zweitens auch nicht behauptet werden, dass Spezialgesetze überflüssig wären und man deshalb alles einer allgemeinen Dogmatik überlassen könnte. Das ist sicherlich nicht so. Schon ein kurzer Blick auf einige Spezialgesetze im Bereich des Umweltrechts genügt, um sich zu vergewissern, dass jeder Verzicht auf spezielle Regelungen illusorisch wäre. Aber das steht dem Gesagten nicht entgegen. Die These ist ja nicht, dass die zunehmende Spezialisierung eine Fehlentwicklung des Rechts wäre. Sie lautet, dass diese Spezialisierung des Gesetzes der Formulierung allgemeiner dogmatischer Regeln nicht im Wege steht. Gesetzliche Regelung und dogmatische Regel liegen auf zwei verschiedenen Ebenen. Gewiss sind beide Ebenen miteinander verbunden: Gemeinsam ergänzen sich beide Sichtweisen - die des Gesetzes und die der Dogmatik - zu dem, was man das Polizeirec/if nennt. Aber ebenso gewiss stehen beide Sichtweisen nicht in Konkurrenz. 7 Jede Sicht hat ihre Berechtigung.

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Dazu Suhr, Entfaltung, S. 23 f: „Da die Dogmatik an das Gesetz nur angeseilt aber nicht starr angebunden ist, gibt es eine Autonomie der Dogmatik, die ausgeschöpft werden kann, aber weder übertrieben noch mißbraucht werden darf."

Einleitung

Deshalb mag der Begriff der Spezialität sinnvoll sein, um die große Menge positiv geregelter Vorschriften zu sortieren. Aus der Perspektive der Rechtsdogmatik aber ist die Rede von Spezialität nicht mehr als ein Kürzel dafür, dass man die richtige Regel noch nicht gefunden hat8 oder dass sich eine Regel nicht benennen lässt, weil der Gesetzgeber hier unsystematisch - eben undogmatisch - zu Werke gegangen ist. Schließlich meine ich auch nicht, dass sich das gesamte Recht restlos auf einige wenige Regeln reduzieren ließe. Das Recht entsteht nicht auf dem Reißbrett. Es folgt nicht immer einem gemeinsamen Plan, sondern wächst Stück für Stück. Der Gesetzgeber, der Spezialgesetz an Spezialgesetz reiht, hat selten die Zeit und bisweilen auch nicht das Interesse, das gesamte Rechtssystem im Blick zu behalten. Deshalb muss jeder Versuch, gemeinsame Regeln in der Menge der positiven Regelungen zu finden, also Systematik in etwas zu bringen, was nicht immer systematisch ist, damit leben, dass am Ende ein ungeklärter Rest stehen bleibt. Allerdings hängt die Qualität eines dogmatischen Modells auch davon ab, wie sehr es gelingt, diesen ungeklärten Rest auf ein Minimum zu reduzieren: Eine Theorie muss gewiss nicht sklavisch jedem Schritt des Gesetzgebers folgen. Eine Theorie aber, die weite Teile einer im Großen und Ganzen akzeptierten Rechtspraxis nicht erklären kann, hat wenig Wert. Es geht also um die richtige Mischung zwischen einer systematisierenden Beschreibung der Rechtspraxis und der - gerade von hier aus begründeten - Kritik an einer unsystematischen Praxis. Was bleibt, sind Einwände, wie sie sich gegen jeden Ansatz richten lassen, der um Verallgemeinerung bemüht ist. Wer das Abstraktionsniveau zu hoch schraubt, läuft Gefahr, Einfaches kompliziert und prätentiös zu formulieren. Wer umgekehrt zu konkret, also zu nah an der positivierten Regelung bleibt, droht sich im Gestrüpp der Kasuistik und Spezialgesetze zu verlieren. Das vor Augen, bemühen sich die folgenden Überlegungen auf der Suche nach praktisch verwertbaren Ergebnissen die für unsere Zwecke richtige Abstraktionshöhe zu finden. Die Arbeit behandelt das Thema in fünf Abschnitten. An erster Stelle wird die Frage gestellt, ob es genuine Polizeipflichten gibt, also eine Form der Zurechnung, die ganz auf die spezielle Funktion des Polizeirechts zugeschnitten ist und mit der Zurechnung in anderen Rechtsgebieten nichts oder nur sehr wenig gemeinsam hat (1. Teil). In einem zweiten Schritt wird dann gezeigt, dass 8 So schreibt Jakobs (Urkundenfälschung, Vorwort) mit Blick auf die im Strafrecht geläufige Trennung von Allgemeinem und Besonderem Teil: „Probleme des Besonderen Teils beruhen entweder auf mangelhafter Entfaltung der allgemeinen Prinzipien, oder sie sind nicht wissenschaftlicher Art." Wie ich meine, muss für die Einteilung von allgemeinem und besonderem Ordnungsrecht Ähnliches gelten.

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Einleitung

die im Polizeirecht bisher für grundlegend gehaltene Einteilung von Verhaltensund Zustandshaftung ohne große Bedeutung für die Zurechnung ist (2. Teil) und dass von den beiden zentralen Zurechnungsprinzipien - der Haftung für Verursachung und der Haftung für Herrschaft - nur das erste haltbar ist (3. Teil). Für die Zurechnung im Polizeirecht ist weder die Trennung von Verhaltens- und Zustandshaftung (Verhaltens- und Sachgefahren) noch die von Verursacher- und Gewalthaberhaftung entscheidend. Vielmehr sind andere Einteilungen maßgeblich. Der vierte Teil nennt die wichtigsten, nämlich: die Unterscheidung von Gefahrenverantwortung und Gefahrtragung, die von echter Störerhaftung und solidarischer Haftung und schließlich die Trennung von Nichtstörungs- und Schutzpflichten (4. Teil). Im fünften Teil soll mit den Nichtstörungspflichten die für das Polizeirecht praktisch wichtigste Haftungsform herausgegriffen und die Regeln der Zurechnung für diesen Bereich genauer benannt werden (5. Teil). Den Abschluss bildet die Frage, ob bei eigentlich gegebener Zurechnung die Genehmigung einen besonderen Rechtfertigungsgrund liefert (Anhang).

Erster Teil

Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht In der Einleitung wurden Gründe genannt, die dafür sprechen, das Thema dieser Arbeit - die Gefahrenzurechnung im Polizeirecht - so allgemein zu formulieren, wie es hier formuliert wird. Immerhin kann man den Gegenstand der folgenden Überlegungen in zwei Richtungen klar begrenzen: Erstens geht es nicht darum, ob überhaupt eine Gefahr vorliegt, sondern nur, wem diese Gefahr zugerechnet wird. Damit kann die bisweilen schwierige Frage übergangen werden, unter welchen Bedingungen das Recht ein Risiko als Gefahr definiert, oder aber als bloße Belästigung1, Restrisiko 2 oder sozialadäquate Beeinträchtigung 3 beiseite schiebt. Für die hier behandelte Frage muss die rechtlich relevante Gefährdung immer schon als vorhanden unterstellt werden. Nicht die Polizeigefahr, sondern die Zurechnung dieser Gefahr - also die Polizeipflicht - ist an dieser Stelle das Thema. Darüber hinaus, und das ist der zweite Punkt, geht es nur um die Zurechnung im Bereich des Polizeirechts, wobei mit Polizeirecht, wie schon erwähnt, der gesamte Bereich des Ordnungsrechts gemeint ist. Nicht behandelt wird an dieser Stelle also etwa die Zurechnung im Bereich des Zivil-, des Straf- oder des Staatsrechts. Gegenstand der Untersuchung sind nur die Polizeipflichten. Hier liegt das erste Problem. Wenn nur die Zurechnung im Polizeirecht interessiert, drängt sich die Frage auf, ob und wieweit es überhaupt so etwas wie eine eigenständige Polizeipflicht gibt, die, losgelöst von den Pflichten anderer Rechtsgebiete, ganz auf die Funktion des Polizeirechts zugeschnitten ist und deshalb auch nur hier Geltung beansprucht. Die Frage lautet: Wie funktional ist die Zurechnung im Polizeirecht? Hat das Polizeirecht ganz eigene Kriterien der Zurechnung, kennt es nur seine eigenen Pflichten, oder bleibt auch das Polizeirecht an die Vorgaben der übrigen Rechtsordnung gebunden? Man muss sich - um den Streit auf zwei Begriffe zu reduzieren - von Anfang an festlegen, ob die Polizeipflichten autonom oder aber akzessorisch zu bestimmen sind, ob die Zurechnung funktionsspezifisch oder aber funktionsunspezifisch ist. Für die eine

1

Drews/Wache/Vogel/Martens, nungsrecht, S. 57. 2 BVerfGE 49, S. 89, 140 ff (Kalkar). 3 Gusy, Polizeirecht, Rn. 105.

Gefahrenabwehr, S. 108; Götz, Polizei- und Ord-

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Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

Sicht, die einer größtmöglichen Autonomie, hat sich Selmer stark gemacht. In seiner Arbeit zum privaten Umwelthaftungsrecht hat er die Auffassung vertreten, dass es sich bei den verschiedenen Rechtsgebieten um gänzlich heterogene Regelungsbereiche handelt, die jeweils ihre eigenen Erwartungen ausbilden und deshalb auch verschiedene Pflichten konstruieren. 4 Eine Anleihe bei Wertungen anderer Rechtsgebiete ist für ihn deshalb von vornherein ausgeschlossen.5 Die Gegenposition hierzu findet sich bei Erichsen. Dieser hat sich mit seiner viel zitierten Rede von der „Systemakzessorietät" des Polizeirechts für eine Anbindung des Polizeirechts an die Regeln und Wertungen anderer Rechtsgebiete ausgesprochen.6 Zunächst wird man sich schnell darauf einigen können, dass die Haftung im Polizeirecht jedenfalls zu einem Teil funktional und damit autonom ist. Die jeweils erfüllte Funktion, das Ziel des jeweiligen Rechtsgebiets bestimmt mit darüber, welche Pflichten entstehen, wie also bestimmte Erfolge zugerechnet werden: Das Strafrecht verteilt Verantwortung anders als das Zivilrecht und dieses wiederum kennt, jedenfalls in einigen Bereichen, andere Pflichten als das Polizeirecht. Polizeipflicht und Störerhaftung sind also auch funktionale Begriffe. Die Frage ist nur: Sind sie ausschließlich funktional? Das würde in dieser Schärfe wohl auch Selmer nicht behaupten.7 Auch er meint, dass das Polizeirecht in engen Grenzen systemakzessorisch sein kann. Beide Sichtweisen - die der Autonomie und die der Akzessorietät des Polizeirechts - haben jeweils einen richtigen Kern; als absolute Forderungen gehen sie beide zu weit. So wenig wie man mit dem Schlagwort von der „Einheit der Rechtsordnung" (die gerade wegen der funktionalen Differenzierung des Rechts zum Problem wird) belegen kann, dass das Polizeirecht seine Rechte und Pflichten mit denen anderer Rechtsgebiete teilt, so wenig kann die Rede von der „ Ausdifferenzierung des Rechts " (die an Grenzen stößt, solange man noch von einem Rechtssystem

4 Selmer, Umwelthaftungsrecht, S. 42; ders., in: Gedächtnisschrift für Martens, S. 483, 485 f, 496 f; ders., JuS 1992, S. 97, 100 f. In diese Richtung auch Papier, Altlasten, S. 27, der meint, dass man die Verantwortlichkeit des Störers „nach genuin polizeirechtlichen Maßstäben" bestimmen müsse. 5 Für eine strikte Trennung der Regelungsbereiche ferner Griesbeck, Polizeipflicht, S. 76 ff. Vgl. Emmerig, BayVBl. 1955, S. 69 f; Höhle, Störungsverbot, S. 94 ff; Hurst, AöR 83 (1958), S. 43, 68; Vieth, Rechtsgrundlagen, S. 94. Speziell im Hinblick auf die zivilrechtliche Gefährdungshaftung Breuer, JuS 1986, S. 359, 363; Frenz, Verursacherprinzip, S. 23 ff; Papier, Altlasten, S. 72; ders., NVwZ 1986, S. 256, 260 f. Siehe auch VGH München, BayVBl. 1996, S. 437 (Pflicht zur Sicherung eines Felsgrundstücks nach Aufgabe des Eigentums). 6 Erichsen, VVDStRL 35 (1977), S. 171, 190. 7 Selmer, JuS 1992, S. 97, 100.20.

Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

ausgeht) widerlegen, dass es zum Teil auch gemeinsame Pflichten gibt. Denn zum einen ist der Begriff der Funktion noch zu abstrakt, um aus ihm einzelne Pflichten abzuleiten (was vice versa auch für die Idee der Einheit des Rechts gilt). Zum anderen - und das ist entscheidend - kann das Polizeirecht, wie zu sehen sein wird, seine Funktion überhaupt nur dann erfüllen, wenn es gleichzeitig beachtet, was das Recht in anderen Bereichen festlegt. Man wird, soviel sei vorweggenommen, die Lösung in der Mitte suchen müssen: Das Polizeirecht ist weder völlig autonom noch völlig akzessorisch. Es ist funktional, aber auch nicht völlig abgekoppelt von dem, was das Recht in anderen Bereichen bestimmt. In diesem Sinne mag man auch von der „ limitierten Akzessorietät" des Polizeirechts sprechen. So allgemein formuliert, ist das Ergebnis allerdings noch kein wirklicher Fortschritt. Man muss präziser angeben, welche Pflichten das Polizeirecht abdeckt, wo also die Störerhaftung eigene Wege geht und wo sie sich auf ausgetretenen Pfaden bewegt. Hierfür kann man nun das Polizeirecht, und vor allem die Polizeipflichten, gedanklich in zwei Bereiche unterteilen: Zum einen in einen funktionsspezifischen Teil, in dem das Polizeirecht seinen eigenen Haftungsmaßstab - die Polizeiwidrigkeit 8 - formuliert. Insoweit ist die Risikoverteilung dann ganz auf die Bedürfnisse der Gefahrenabwehr zentriert. Zum anderen hat die Störerhaftung aber auch ihren funktionsunspezifischen Teil, in dem sich die Haftung an allgemeinen Vorgaben des Rechts - einer allgemeinen Rechtswidrigkeit - orientiert. Hier wird nun an erster Stelle die schon erwähnte Unterscheidung von Gefahren- und Störerbegriff - oder allgemeiner gesagt, die Trennung von Erfolgs- und Handlungsunrecht - wichtig: Der Gefahrenbegriff legt fest, welche Zustände (Erfolge) überhaupt als gefährlich definiert werden und wann die Polizei eingreifen darf oder muss. Im Fall der Gefahr geht es zunächst nur um ein Handeln der Polizei selbst. Daher können die rechtlichen Bedingungen an dieser Stelle

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Dem Begriff der Polizeiwidrigkeit werden dabei verschiedene Bedeutungsgehalte zugeschrieben: (1) Polizeiwidrigkeit meint zunächst einen an den Bedürfnissen des Polizeirechts orientierten Begriff der Rechtswidrigkeit zur Bestimmung der Gefahr. Siehe Peters, VerwArch. 29 (1922), S. 369, 396 ff; Scholz-Forni, VerwArch. 30 (1922), S. 11, 27 f. (2) Daneben bezeichnet die Polizeiwidrigkeit zugleich den besonderen Begriff der Pflichtwidrigkeit zur Bestimmung des Störers. Siehe etwa die Verwendung bei Klaudat, Polizeipflicht, S. 23 f; Gantner, Verursachung, S. 123 ff; Hurst, AöR 83 (1958), S. 43, 68. (3) Bisweilen wird mit Polizeiwidrigkeit auch die bloße Verpflichtbarkeit der Person bezeichnet, die erst mit der konkreten Polizeiverfügung zur echten Verpflichtung wird. So Klaudat, Polizeipflicht, S. 23; Hurst, AöR 83 (1958), S. 43, 65. Eine ähnliche Verwendung des Begriffs findet sich für den Fall der Anscheinsgefahr bei Martensen, DVB1. 1996, S. 286, 289 f.

Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

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noch sehr funktionsspezifisch sein. Anders ist das beim Begriff des Störers. Er bestimmt, ob und wann eine bestimmte Person die Gefahr beseitigen muss. Es geht also um ein Handeln der Person, bei der die Anforderungen ganz verschiedener Rechtsgebiete zusammenlaufen. Man kann auch sagen: In der Person bündeln sich die rechtlichen Erwartungen der verschiedenen Rechtsgebiete. Soll die Person noch in der Lage sein, die Pflichten nebeneinander zu erfüllen, dürfen sich diese nicht zu weit voneinander entfernen. Die Pflichten müssen dann stärker angeglichen werden als in anderen Bereichen. Das heißt nicht, dass die Pflichten identisch sein müssten; es heißt aber sehr wohl, dass sie weniger funktionsspezifisch sein können als die Eingriffsrechte der Polizei. Oder positiv formuliert: Um die Person nicht zu überfordern, muss bei der Bestimmung des Störers (beim Handlungsunrecht) viel engerer Kontakt zu den sonstigen Regeln der Rechtsordnung gehalten werden, als das beim Gefahrenbegriff der Fall ist: 9 Was eine Gefahr ist, muss noch lange keine Straftat (kein strafbarer Erfolg) sein. So ist das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit sicherlich eine Gefahr - aber nur dann strafbar, wenn weitere Umstände hinzukommen wie etwa die Körperverletzung oder der Tod eines anderen (§§ 222, 229 StGB). Dagegen ist die Handlungspflicht der Person in beiden Bereichen ähnlich, wenn nicht sogar identisch: Die Verletzung der objektiven Sorgfalts- bzw. Sicherungspflicht liegt in beiden Fällen darin, dass sich der Fahrer nicht an die vorgeschriebene Geschwindigkeit gehalten hat (§ 3 StVO). Insoweit hat man es nicht mit spezifisch strafrechtlichem oder polizeirechtlichem Unrecht zu tun, sondern schlicht mit der Verletzung einer allgemeinen Sicherungspflicht. Die Kluft zwischen dem Erfolgsunrecht des Straf- und des Polizeirechts, zwischen Straftat und Gefahr, wird so auf der Ebene des Handlungsunrechts deutlich verkleinert. Mit dieser ersten Unterscheidung von Störer und Gefahr bzw. der von Handlungs- und Erfolgsunrecht ist man aber noch nicht am Ziel. Denn wenngleich sich die Handlungspflichten des Polizeirechts den Pflichten anderer Bereiche annähern, bleiben Unterschiede. Um nun genauer zu klären, worin diese Unterscheide liegen, soll das Polizeirecht zunächst in eine zeitliche und eine soziale Dimension „zerlegt" werden: 10 In der zeitlichen Dimension tritt das Ziel des Polizeirechts hervor, effektive Sicherheit für die Zukunft herzustellen. Daraus folgt dann zum einen, dass man die Haftung nicht von der Vorhersehbarkeit abhängig machen kann - das ist der funktionsspezifische Teil der Zurechnung. Es heißt aber entgegen einer verbreiteten Ansicht nicht, dass man die Störerbestim9

Zwischen Gefahr und Störer unterscheiden deshalb zu Recht Schenke/Ruthig VerwArch. 87 (1996), S. 329, 325 f. 10 Die Begriffe stammen aus der Theorie Luhmanns. Er hat diese zunächst für seine rechtssoziologischen Beschreibung des Rechts verwendet (Rechtssoziologie, S. 27 ff, 31 ff) und dann später in eine Theorie der sozialen Systeme eingebaut (Recht, S. 124 ff).

A. Die zeitliche Dimension: Effektive Sicherheit

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mung gänzlich am Gedanken der Effektivität ausrichten müsse (A). Wechselt man von der zeitlichen in die soziale Dimension, muss das Polizeirecht nicht effektive, sondern öffentliche Sicherheit herstellen. Daher können Pflichten aus einem Vertrag zwischen Privaten von vornherein keine Polizeipflichten begründen. Im Übrigen kann aber die Verletzung von gesetzlichen Pflichten sehr wohl zur Gefahrenverantwortlichkeit führen. Hier ist die Zurechnung erneut funktionsunspezifisch (B). Welche praktische Folgen diese Sichtweise hat, wird zum Ende des ersten Teils zu sehen sein (C).

A. Die zeitliche Dimension: Effektive Sicherheit Betrachtet man die zeitliche Dimension, muss sich das Recht immer schon im Voraus darauf festlegen, welche Chancen es zuspricht und mit welchen Risiken es die Person belastet. Es muss jedenfalls zum Teil schon jetzt festlegen, wie es demnächst entscheiden wird, also Rechtssicherheit bzw. Erwartungssicherheit gewährleisten. Das ist eine, wenn nicht die eigentliche Aufgabe des Rechts.11 Das Maß, in dem das Recht sich für die Zukunft festlegt, kann allerdings stark variieren. Ist das Recht retrospektiv, bleibt die Zurechnung sehr regelgeleitet: Die Haftung wird an feste Regeln gebunden; den Ausschlag gibt die Sicht ex ante. Das bringt dem Einzelnen ein hohes Maß an Vertrauenssicherheit, weil man nach festen Vorgaben entscheidet und nach der jeweiligen Lage des Falles neu urteilt. Allerdings muss diese Sicherheit des Vertrauens - das ist die notwendige Kehrseite - mit einem Verlust an Gütersicherheit erkauft werden. Beispiel: Erlaubt der Staat dem Bürger, eine riskante Anlage zu betreiben, so gibt ihm das Recht damit - in bestimmten Grenzen - die Gewissheit, dass der Staat sich an sein gegebenes Versprechen halten muss und dieses nur in Notlagen oder gravierenden Veränderungen brechen darf. Das Risiko späterer Gütergefährdung trägt dann auch die Allgemeinheit. Das Recht kann allerdings auch genau umgekehrt vorgehen und ganz überwiegend prospektiv zurechnen. Es legt sich dann vorab nur in geringem Maß darauf fest, wie es später entscheiden wird. Damit gewinnt die Einzelfallbetrachtung mehr an Gewicht. An die Stelle regelgeleiteter Zurechnung tritt die Abwägung. Man einigt sich vorab nicht mehr auf feste Regeln, sondern nur noch auf einige Prinzipien 12, die dann von Fall zu Fall gegeneinander ausgespielt und anders gewichtet werden. Die Sicht ex ante wird durch die Sicht ex 11

Für Luhmann, Recht, S. 124 ff, liegt in der Gewährleistung von Erwartungssicherheit die eigentliche Funktion des Rechts.

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Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

post ersetzt. Damit ist die Entscheidung offener und zugleich unberechenbarer. Der Vorteil ist effektive Güter Sicherheit, weil dort, wo die Selbstfestlegung sinkt, die Reaktionsmöglichkeiten im Einzelfall zunehmen. Der Nachteil ist, dass dieser Zugewinn an Gütersicherheit entsprechende Abstriche auf der Seite der Vertrauenssicherheit verlangt. In dem genannten Beispiel des Anlagenbetreibers kehrt sich die Bewertung jetzt um: Gestattet der Staat den Betrieb einer Anlage, kann sich der Bürger bei einer erfolgsorientierten Haftung nur in geringem Maß auf diese Zusage verlassen. Er muss befürchten, dass der Staat sein heute gegebenes Versprechen später, unter dem Eindruck geänderter Verhältnisse, widerruft. Mit dieser Unterscheidung von retrospektiver und prospektiver Zurechnung sind zunächst die beiden Grundrichtungen genannt, in die sich die Risikoverteilung bewegen kann. Wo steht nun das Polizeirecht? Die Leistung des Polizeirechts besteht darin, effektive Sicherheit vor zukünftigen Güterschäden zu gewähren. Das Polizeirecht bezweckt Gütersicherheit, sein Blick ist deshalb immer nach vorne gerichtet. Nicht der Ersatz eines schon entstandenen Güterschadens (Restitution - das private und öffentliche Schadensersatzrecht), nicht der Ausgleich eines Normgeltungsschadens (Repression - das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht), sondern die Verhinderung drohender, noch nicht entstandener Schäden (Prävention) ist das Ziel. 13 Das Polizei- und Ordnungsrecht kümmert sich nicht um die Abwicklung misslungener Sicherheit, sondern die Herstellung effektiver Sicherheit. 14 Je effektiver das Polizeirecht diese Sicherheit der Güter gewährleisten kann, um so besser wird es seiner Aufgabe gerecht. 15

12 Zu der Unterscheidung von Prinzip und Regel als zwei Formen unterschiedlicher Festlegung des Rechts siehe Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. 13 Die Unterscheidung der verschiedenen Funktionen (Gefahrenabwehr, Schadensersatz, Demonstration von Normgeltung) ist oft, aber nicht notwendig deckungsgleich mit der üblichen Einteilung der Rechtsgebiete (Polizeirecht, Zivilrecht, Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht). So gibt es auch im Zivilrecht Bereiche, in denen es um Prävention geht (§ 1004 BGB) oder, wie bei den punitive damages, um Strafe (vgl. auch § 661 a BGB, dazu Schneider, BB 2002, S. 1653 ff). Umgekehrt regelt das Strafgesetzbuch präventive Maßnahmen, wie etwa die Maßnahmen der Besserung und Sicherung, die im weiten Sinn zum Polizei- und Ordnungsrecht gehören und deshalb auch nicht an Schuld gebunden sind (siehe Lesch, JA 1994, S. 510). 14 Grundlegend Möstl, Garantie, S. 147 ff, der ebenfalls den Begriff der zeitlichen Dimension verwendet. 15 Besonders deutlich betont das Griesbeck, Polizeipflicht, S. 76 f. Siehe auch DiFabio, Jura 1996, S. 566, 569, der von einem „strukturellen Rechtsprinzip" spricht. Vieth, Rechtsgrundlagen, S. 94, betont die ,JErfolgsbezogenheit" des Polizeirechts. Ferner Kirchhof, DÖV 1976, S. 449, 454; Lindner, Adressatenpflichten, S. 108 ff.

A. Die zeitliche Dimension: Effektive Sicherheit

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Diese Funktion des Polizeirechts scheint es nahe zu legen, die Risiken ganz erfolgsbezogen zu verteilen, also jeweils von Fall zu Fall neu zu bestimmen, wie das Polizeirecht reagiert. Und für den Begriff der Gefahr dürfte das, wie schon eingangs gesagt, auch die richtige Vorgehensweise sein. Hier stellt das Recht seine Entscheidung weitgehend in den Dienst effektiver Sicherheit. Nur wenn sich das Polizeirecht bei der Bestimmung der Gefahr vorab nicht zu sehr bindet, hat es später die Möglichkeit, das im Einzelfall effektivste Mittel zu wählen. Die fehlende Bestimmtheit des Polizeirechts, die Einführung einer Generalklausel mit unbestimmten Rechtsbegriffen, der häufige Rückgriff auf den Topos der Güterabwägung beim Gefahren- und Ermessensbegriff - das alles sind keine Mängel des Gesetzes oder seiner Auslegung, sondern notwendige Bedingungen effektiver Gefahrenbekämpfung: Man hält sich für die Zukunft möglichst viele Handlungschancen offen. Ein allzu gutes Gedächtnis des Polizeirechts, zuviel Festlegung im Voraus würde dabei nur stören. Beispiel: Wenn ein Gebäude mit einem Isoliermittel verkleidet wird, das nach dem derzeitigen Stand von Wissen und Technik als harmlos gilt, sich aber später als hochgradig gesundheitsschädlich herausstellt, wird man nicht zögern, eine Gefahr zu bejahen, obwohl doch die Verwendung zum damaligen Zeitpunkt ganz rechtmäßig und nach dem damaligen Urteil auch ganz ungefährlich war. In diesem Fall entscheidet nur die Beurteilung der Lage nach dem jeweils aktuellen Stand. Wie man zuvor einmal geurteilt hat, spielt keine Rolle. Sobald es aber um die Bestimmung des Störers geht, fällt die Antwort nicht mehr so leicht. Denn in diesem Fall muss die durch den Eingriff gewonnene Gütersicherheit immer mit einem konkreten Freiheitsverlust (und oft auch einem Vermögensverlust) auf der Seite des Haftenden bezahlt werden. Und das macht die Lage komplizierter als beim Gefahrenbegriff. Gleichwohl finden sich in der Literatur Stimmen, welche auch die Haftung des Störers weitgehend an dem Gedanken der Effektivität ausrichten wollen. Störer, so meinen sie, sei derjenige, dem von allen kausal Beteiligten die Beseitigung am ehesten zuzumuten ist. Verantwortung ist damit in erster Linie das Ergebnis einer Abwägung im Einzelfall. Am deutlichsten hat sich in der jüngeren Zeit Muckel für diesen Ansatz ausgesprochen. Er will die Zurechnung im Polizeirecht nur noch an zwei Leitlinien ausrichten: nämlich der Effektivität und der Verhältnismäßigkeit des Mittels. 16 Wie leicht zu sehen ist, führt diese Lösung im Ergebnis zu einer rigorosen Ausweitung der Polizeipflichten. Beispiele: Löst der Prominente durch sein Erscheinen in der Öffentlichkeit Tumulte aus, muss er sich nach dem genannten Ansatz als Störer verantworten, wenn im Einzelfall sein Recht auf freie Fortbewegung gegenüber dem Sicherheitsinteresse der Öffentlichkeit zurücksteht. 16

Muckel, DÖV 1998, S. 18, 23.

Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

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Und wo eine friedliche Versammlung militanten Gegendemonstranten zum willkommenen Anlass für Krawalle wird, müssten eigentlich die Teilnehmer der Versammlung und nicht die Gegendemonstranten als Störer haften, weil ein Versammlungsverbot die befürchtete Konfrontation in aller Regel viel effektiver verhindern kann als das „lästige" und meist weniger erfolgversprechende Vorgehen gegen gewaltbereite Dritte. Zu einer Haftung der friedlichen Demonstranten muss man nach den genannten Leitlinien jedenfalls dann kommen, wenn im konkreten Fall die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit vor dem Recht auf Versammlungsfreiheit rangieren, was bei entsprechender Gefahrenlage durchaus so sein kann. Man kann die Beispiele noch weiter zuspitzen: Verteidigt jemand sein Eigentum in Notwehr gegen den Angreifer, so ist die Verteidigung zwar nach den Regeln des Strafrechts oder des Zivilrechts gerechtfertigt. Doch müsste man den Eigentümer im Polizeirecht, den Leitlinien der Effektivität und Abwägung folgend, als Störer zum Rückzug zwingen, wenn damit die Rettung des konkret überwiegenden Guts (Leib oder Leben gegenüber Eigentum) gesichert wird und eine andere, effektive Lösung im Einzelfall nicht in Frage kommt. Wenn das richtig wäre, müssten die Überlegungen an dieser Stelle abbrechen. Wo Effektivität und Verhältnismäßigkeit den Ausschlag geben, lässt sich zur Bestimmung des Störers nicht viel mehr sagen, als dass die jeweiligen Umstände des Einzelfalles, das „situative Arrangement" 17 der Rechtsgüter über Haftung und Nichthaftung entscheiden. Die bisweilen schwierige Abgrenzung einzelner Verantwortungskreise ist dann nicht nur überflüssig, sondern falsch, weil eine Billigkeitshaftung per Definition keine festen Regeln kennt. Allerdings dürften die genannten Beispiele schon andeuten, dass man allein mit den Leitlinien von Abwägung und Effektivität bei der Störerhaftung nicht zurechtkommt und dass hier Fälle zur Störerhaftung gezählt werden, die eigentlich in den Bereich der Nichtstörerhaftung gehören. 18 Wo man sich bei der Zurechnung nicht an einer Regelverletzung, sondern am Ziel effektiver Gütersicherheit orientiert, gerät aus dem Blick, dass Sicherheit immer zwei Seiten hat: nämlich nicht nur die Sicherheit der Güter, sondern daneben auch die Sicherheit des Vertrauens. Im ersten Fall geht es um die Möglichkeit, auf zukünftige Änderungen flexibel zu reagieren und die Güter möglichst effektiv vor Schaden zu schützen; im zweiten Fall darum, der Person jene Gewissheit zu geben, die für den sinnvollen Einsatz der Güter unerlässlich ist. Beide Seiten bedingen sich gegenseitig: Vertrauenssicherheit ist nichts wert, wenn die hierzu benötigten Güter ständig von zukünftigen Gefahren bedroht sind. Die so erreichte

17

Ladern ARSP 69 (1983), S. 462, 472. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 154 Fn. 375 a, der zu Recht den Verlust an Rechtssicherheit betont. 18

A. Die zeitliche Dimension: Effektive Sicherheit

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Gütersicherheit ist aber ihrerseits wertlos, wenn das Recht beim Einsatz der eigenen Güter keine Planungssicherheit garantiert. Wer also nur Gütersicherheit maximiert und sich dabei nicht um Vertrauensschutz kümmert, der sägt an dem Ast, auf dem er sitzt: Er zerstört die Sicherheit des Vertrauens, welche für den sinnvollen Einsatz jener Güter gebraucht wird, die das Polizeirecht gerade schützen will. Kurz gesagt: Allzu effektive Gütersicherheit bedeutet ineffektive Gütersicherheit. Zu funktionale Zurechnung wirkt dysfunktional. Sie nimmt dem Bürger jene Freiheitsgarantien, die das Polizeirecht eigentlich schützen will. Damit sind dem aus der polizeilichen Sicht verständlichen Wunsch nach effektiven Zurechnungsregeln und praktikablen Zurechnungsformeln enge Grenzen gesetzt. Die Regeln der Zurechnung lassen sich immer nur so praktikabel und einfach formulieren, wie es die Rechtsordnung erlaubt, an die auch das Polizeirecht angeschlossen bleibt. 19 Effektivität oder Pragmatik als solche liefern deshalb noch keinen ausreichenden Anhaltspunkt. 20 Der Rechtsstaat leistet sich „bewußt Fesseln einer effektiven Gefahrenabwehr" 21. Und diese Fesseln binden die Polizei dort am stärksten, wo die gewünschte Sicherheit zur Pflicht einer bestimmten Person gemacht werden soll. Es geht nach alledem um einen Ausgleich zwischen effektiver Gütersicherheit und effektivem Vertrauensschutz. Damit kehren die Überlegungen zu der erwähnten Unterscheidung von funktionsspezifischer und funktionsunspezifischer Zurechnung zurück. Zum einen gibt es mit Blick auf die zeitliche Dimension bestimmte Teile, die in anderen Bereichen benötigt, im Polizeirecht aber nicht gebraucht werden. Daneben bleibt ein gemeinsamer Bereich der Pflichten: (1) Das Polizeirecht kann bei der Störerhaftung keine Rücksicht nehmen auf die Vorhersehbarkeit bestimmter Gefahren. Das gilt zum einen für die subjektive Vorhersehbarkeit, wie sie im Strafrecht geläufig ist, als auch für den stärker objektiven Begriff der Vorhersehbarkeit, wie er für das Verschulden im Rahmen des Schadensersatzrechts verwendet wird. 22 Allgemein gilt: Ob die Entstehung der konkreten Gefahr für die Person ex ante vorhersehbar war, spielt für die Störerhaftung hier und jetzt keine Rolle. Anderenfalls würde der Vertrauensschutz auf Kosten des Güterschutzes übermäßig strapaziert und die Funktion 19

Vgl. Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 193; Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457,464; Vollmuth, Bestimmung, S. 60 ff. 20 Deutlich Lepsius, Besitz, S. 237 ff, 238: „Wer materiell polizeipflichtig ist und wie weit die Verantwortlichkeit in ihrem Rechtsgrund reicht, kann mit Effektivitätskriterien nicht beantwortet werden." - Noch pointierter Brandner, Gefahrenerkennbarkeit, S. 81: „Die postulierte Effektivität der Gefahrenabwehr hat mit der Heranziehung des Verursachers a limine nichts zu tun." 21 Stephan, DVB1. 1998, S. 81, 85. 22 Siehe etwa Larenz, Schuldrecht Allgemeiner Teil, S. 263 ff.

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Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

des Polizeirechts vernachlässigt. Beispiel: Wenn ein Hanggrundstück - für den Eigentümer nicht erkennbar - unterspült wird und dann bei einem Erdrutsch große Mengen von Erdreich auf das Nachbargrundstück getragen werden, die dort Schäden verursachen und Gefahren auslösen, dann haftet der Eigentümer mangels Vorhersehbarkeit möglicherweise nicht auf Schadensersatz (Einzelheiten gehören ins Schadensersatzrecht), wohl aber haftet er als Störer für die Beseitigung der Gefahr. Die Haftung des Polizeirechts ist unabhängig von der Vorhersehbarkeit und damit - das dürfte im Wesentlichen gleichbedeutend sein - auch nicht an ein Verschulden gebunden.23 (2) Im Übrigen bleibt die Störerhaftung an die Vorgaben der Rechtsordnung gebunden. Hier kann auch die polizeiliche Zurechnung nicht jene Garantien durchbrechen, die das Recht der Person an anderer Stelle gibt. Das bedeutet anders gesagt, dass auch die Störerhaftung eine objektive Pflichtverletzung voraussetzt. Das ist dann der funktionsunspezifische Teil der Gefahrenzurechnung im Polizeirecht. Wie dieser Begriff der objektiven Pflichtverletzung genau auszusehen hat, müssen die kommenden Überlegungen zeigen. Jedenfalls - nur darauf kommt es zunächst an - richtet sich die Störerhaftung nicht nach dem Prinzip der Effektivität, das dann durch eine Abwägung von Fall zu Fall lediglich abgeschwächt wird. Die Zurechnung ist auch im Polizeirecht nicht das Ergebnis eines situativen Ausgleichs von Prinzipien (in Form von Rechtsgütern und Interessen), sondern folgt vorab festgelegten Regeln (in Form einer Haftung nach Pflichtwidrigkeit und Risikosphären). 24 Nun könnte man daran denken, die gesuchte Regel gerade durch eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und Interessen zu produzieren. 25 Die Frage 23

Das ist im Grundsatz weitgehend unbestritten. Siehe schon Scholz-Forni, VerwArch 30 (1922), S. 11, 41, 43 ff. Dagegen ist für Brandner, Gefahrenerkennbarkeit, S. 63 ff, die Erkennbarkeit das entscheidende Kriterium der Zurechnung. Allerdings lässt er für die Adäquanz im Polizeirecht schon die Verwirklichung eines handlungstypischen Risikos ausreichen (S. 85 ff). Damit geht es auch für ihn nicht um eine Verschuldenshaftung, sondern eine ganz objektive Zurechnung (S. 71 ff). Auch außerhalb des klassischen Polizeirechts wird überall dort, wo es um Prävention geht, auf eine Schuldzurechnung verzichtet. Das gilt sowohl für das Zivilrecht (§ 1004 BGB) als auch für die im Strafgesetzbuch geregelten Maßnahmen der Besserung und Sicherung. 24 Lindner, Adressatenpflichten, S. 28 ff, unterscheidet in diesem Sinn zwischen der bloßen Zuordnung von Gefahren, die sich vor allem an dem Gedanken der Effektivität orientiert und der Zurechnung von Gefahren, die ein gesteigertes Maß an Verantwortung verlangt. 25 In diesem Sinne für eine Abwägung Kimmel, Eigentum, S. 168 f: Störer ist danach, wer „seinen Pflichten nicht nachkommt oder dessen an sich befugte Rechtsausübung wegen eines Konflikts mit höherrangigen Interessen zurückstehen muss". Ähnlich Beye, Dogmatik, S. 90 ff; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt E Rn. 69 f.

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ist allerdings, ob es möglich ist, durch die Abwägung abstrakter Prinzipien eine konkretere Regel zu produzieren. Dieser Versuch, aus dem Allgemeinen etwas Konkreteres zu gewinnen, also das Unbestimmte bestimmter zu formulieren, kann aber überhaupt nur gelingen, wenn man schon vorab bestimmte - der Abwägung vorausgehende, „abwägungsfeste" - Vorannahmen mit in den Gütervergleich einschleust. Das „Abwägungsgesetz als solches", so schreibt Alexy, liefert „keinen Maßstab, mit dessen Hilfe Fälle definitiv entschieden werden könnten" 26 . Die Abwägung kann also das, wonach gesucht wird - nämlich hinreichend bestimmte Regeln und Wertungen - gerade nicht erzeugen, sondern setzt diese immer schon voraus. 27 Will man Bestimmtheit erreichen, bleibt nichts anderes übrig, als auf feste Regeln und Weitungen zurückzugreifen, die das Recht an anderer Stelle schon bereithält. Dem nähern sich im Ergebnis auch jene Autoren an, welche die Störerhaftung nur auf die Gedanken der Effektivität und Verhältnismäßigkeit stützen: So will auch Muckel bei der Abwägung immer Überlegungen der Rechtmäßigkeit mit einfließen lassen.28 Damit ist man aber wieder bei jenen Wertungsfragen angekommen, denen man gerade entgehen wollte. Der vermeintlich Gewinn eine effektive und damit klare Zurechnung - ist an dieser Stelle schon verspielt. Es geht dann nur noch dem Namen nach um eine Zurechnung nach Effektivität und Verhältnismäßigkeit, in der Sache dagegen um eine Haftung nach Pflichtwidrigkeit und Risikosphäre.

B. Die soziale Dimension: Öffentliche Sicherheit So wie man in der zeitlichen Dimension unterscheiden kann zwischen einer Zurechnung, die sich stärker an der vergangenen Handlung oder aber stärker an zukünftigen Erfolgen ausrichtet, lassen sich auch mit Blick auf die soziale Dimension zwei verschiedene Grundrichtungen trennen: Einmal kann das Recht die zwischen allen Personen hergestellte Gemeinsamkeit (Anerkennung) auf das Nötigste beschränken. Es entstehen dann immer 26

Theorie der Grundrechte, S. 152. Siehe auch Ossenbühl, in: Festschrift für Lerche, S. 151 ff; Schlink, Abwägung, S. 155 ff. 27 Zu Recht gegen eine „Überbewertung des allgemeinen Abwägungsgedankens im Polizeirecht" schon Vieth, Rechtsgrundlagen, S. 88 ff, 92. Zurückhaltung bei der Abwägung fordern allgemein Ossenbühl, in: Festschrift für Lerche, S. 151 ff und Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 111 Rn. 175: „Nicht mehr Abwägung als unbedingt nötig!" 28 In diese Richtung Muckel, DÖV 1998, S. 18,23, wobei dann im Rahmen der Abwägung sogar auch Verschuldenselemente berücksichtigt werden sollen.

Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

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nur solche Pflichten, die inter partes, also kraft eines privaten Vertrages wirken. Das hat den Vorteil größtmöglicher privater Autonomie, muss aber immer mit einem Verlust an gegenseitiger Anerkennung und damit auch gegenseitiger Absicherung erkauft werden. Anders ist das, wenn das Recht Pflichten formuliert, die inter omnes gelten. Hier sind, jedenfalls potenziell, alle Personen und nicht nur bestimmte Parteien verpflichtet. Das nimmt der Person einen Teil ihrer privaten Autonomie, erhöht aber die durch das Recht hergestellte Gemeinsamkeit zwischen den Personen und damit auch das Maß gegenseitiger Absicherung. Die leitende Unterscheidung in der sozialen Dimension ist, anders als zuvor, nicht die von Prävention und Repression (bzw. Restitution), von Regel und Prinzip, sondern die Differenz von öffentlicher und privater Sicherheit. Die Funktion des Polizeirechts liegt nun allein darin, öffentliche Sicherheit herzustellen. Das unterscheidet die staatliche Gefahrenabwehr von anderen Formen privater Absicherung und Versicherung. Die Polizei reagiert grundsätzlich nur bei Rechtsverletzungen, die potenziell alle angehen, deren Schutz also im öffentlichen Interesse liegt. Rechtspositionen, die nur einzelne Privatpersonen und damit nur private Interessen betreffen, kommen erst gar nicht in das Blickfeld des Polizeirechts. Sie werden höchstens reflexartig geschützt - dann greift die Polizei nicht wegen, sondern nur anlässlich der Verletzung privater Interessen ein. 29 Oder der Schutz privater Interessen ist subsidiär - dann geht es um einen Fall der Amtshilfe, in deren Rahmen die Polizei keine originären Polizeipflichten verteidigt, sondern in Eilfällen anstelle der ordentlichen Gerichte die Einhaltung privatrechtlicher Pflichten überwacht (§ 1 Abs. 2 M E PolG). Wie schon zuvor, scheinen aus der besonderen Funktion (Herstellung der öffentlichen Sicherheit) ganz eigene Pflichten zu folgen. Doch gilt auch hier, dass sich die Pflichten des Polizeirechts noch nicht allein aus der Funktion erschließen: So wenig wie - das Ziel effektiver Gütersicherheit vor Augen - die Sicherheit des Vertrauens verloren gehen darf, so wenig kann mit Blick auf das Ziel der öffentlichen Sicherheit der Schutz privater Autonomie beiseite gelassen werden. Die Bereiche des Öffentlichen und des Privaten, die Sphäre der gegenseitigen Anerkennung und der privaten Autonomie, stehen nicht isoliert nebeneinander. Beides bleibt trotz seiner Unterscheidung eng aneinander gebunden. Privates Eigentum entsteht nur im und durch den Staat, genauso wie der Staat nur durch die Unterstützung der Eigentümer entsteht. Und deshalb lassen sich die Pflichten des Polizeirechts nicht ohne Blick auf die private Organisation der Personen festlegen. Das heißt gewiss nicht, dass die Pflichten des Störers und die der Privatrechtsperson identisch wären. Das ist gerade nicht der Fall,

29

Vgl. Martens, DÖV 1976, S. 457, 459.

. Die

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weil sonst jede funktionale Differenzierung verloren ginge. Die Polizeipflichten müssen, wie oft gesagt wird, einen Gemeinwohlbezug haben.30 Und dieser Gemeinwohlbezug wird den privatrechtlichen Pflichten oft fehlen. Es heißt aber, dass sich beide Bereiche nicht voneinander abkoppeln lassen. Das führt zu der schon eingeführten Unterscheidung: Die Störerhaftung umfasst auch hier einen Bereich, in dem die Pflichten funktionsspezifisch formuliert werden, und einen anderen, funktionsunspezifischen Bereich, in dem sich die Polizeipflichten mit denen anderer Rechtsgebiete decken. Danach hat Folgendes zu gelten: (1) Generell außerhalb der Störerhaftung liegen solche Pflichten, die nur kraft Vertrages zwischen Privaten entstehen, also von vornherein immer nur zwischen den Parteien Bestand haben und zur Disposition der Parteien stehen. Insofern ist die Störerhaftung funktionsspezifisch: Den vertraglichen Pflichten fehlt generell jener für das Polizeirecht benötigte Bezug zum öffentlichen Interesse. Anders als bei den kraft Gesetzes entstehenden Pflichten, die von vornherein das Siegel allgemeiner Vernünftigkeit tragen, gibt es beim Vertrag nichts, was garantieren könnte, dass sich private Abrede und öffentliches Interesse decken. Der Vertrag ist nicht mehr als die partiell übereinstimmende Willkür einzelner Privatpersonen. Und sieht man von Extremfällen ab, in denen eine Verpflichtung evident unzulänglich und schon kraft Gesetzes ausgeschlossen ist (§§ 134, 138 BGB), sind die Parteien auch an solche Vereinbarungen gebunden, die aus Sicht der Allgemeinheit ganz unvernünftig erscheinen. Natürlich kann es im Einzelfall so sein, dass vertragliche Absprachen dem öffentlichen Interesse dienen. Doch bleiben diese Überschneidungen zufällig. Und dieses zufällige Zusammenfallen von öffentlichem und privatem Wohl reicht noch nicht aus, um daran den Schutz des Polizeirechts zu binden. Die vertragliche Absprache als solche kann deshalb weder Polizeipflichten begründen noch beschränken. 31 (2) Störer ist nur, wer eine Pflicht verletzt, die über das private Interesse hinausgeht. Diese Voraussetzung erfüllen zum einen die Pflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag oder Versprechen (§54 ff VwVfG). In diesem Fall ist das öffentliche Interesse schon per Definition berührt. 32 Darüber hinaus erfasst

30

Herrman, DÖV 1987, S. 666, 671; Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 11; Schink, VerwArch. 82 (1991), S. 357, 374. 31 Vgl. dazu Franzen, Lehrkommentar, § 20, S. 250; Papier, Altlasten, S. 33. Dementsprechend können vertragliche Absprachen auch keine Legalisierungswirkung entfalten (Kothe, VerwArch. 90 (1999), S. 456,479 f). Vgl. auch PrOVGE 43, S. 383, 384 f: Keine polizeiliche Haftung des Bauunternehmers für Gefahren, welche wegen seiner mangelhaften Werkleistungen von dem Gebäude ausgehen. 32 Zu solchen kraft öffentlich-rechtlichen Vertrages begründeten Pflichten, siehe unten, 4. Teil CIV.

Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

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das Polizeirecht grundsätzlich alle kraft Gesetzes geltenden Pflichten. Denn das Gesetz regelt etwas, das potenziell (nicht aktuell) alle bindet. Die Verletzung einer gesetzlichen Pflicht ist folglich etwas, das potenziell (nicht aktuell) alle angeht, mit anderen Worten, das öffentliche Interesse berührt. Schon die „einfache" Gesetzesverletzung führt daher zur Haftung als Störer, ohne dass es einer weiteren Qualifikation, eines besonderen öffentlichen Interesses bedürfte. Das Polizeirecht überwacht auch solche gesetzlichen Pflichten, die den Umgang mit Individualgütern regeln. Wenn etwa das Gesetz festlegt, wann Eigentum entsteht, wie dieses Eigentum zu sichern ist und vor welchen Eingriffen Dritter es gesichert ist, dann muss sich auch das Polizeirecht an diesen Regeln orientieren. Daraus folgt, dass auch die in anderen Rechtsgebieten fixierten gesetzlichen Pflichten wie etwa die Verkehrssicherungspflichten eines Eigentümers oder die Sorgfaltspflichten im Eltern-Kind-Verhältnis grundsätzlich auch im Polizeirecht gelten. Zwar muss es nicht in jedem Fall so sein, dass die Polizei auf eine Verletzung solcher Pflichten reagiert. Denn es liegt in ihrem Ermessen, ob sie in der jeweiligen Situation einschreitet. Jedenfalls aber - und das ist entscheidend - kann sie gegen die Gesetzesverletzung einschreiten. Jede Verletzung einer kraft Gesetzes begründeten Pflicht kann die Störerhaftung auslösen. Daher kann man diesen Bereich zu dem funktionsunspezifischen Teil der Zurechnung zählen. Wenn also der Eigentümer sein Dach nicht in Stand hält, der Betriebsinhaber sein Grundstück nicht absperrt oder die Eltern ihr Kind mißhandeln, dann handelt es sich dabei um die Verletzung gesetzlicher Pflichten, die genauso zum Zivil- wie zum Polizeirecht zählen und die in beiden Bereichen eine Haftung auslösen können. Zu den Polizeipflichten können dabei übrigens auch solche Pflichten gehören, die zwar anlässlich eines vertraglichen Versprechens, aber kraft Gesetzes entstehen. Gedacht ist dabei an jene Schutzpflichten, die als gesetzliches Begleitschuldverhältnis 33 neben den Vertrag treten (§ 241 Abs. 2 BGB). Diese Nebenpflichten schließen zwar immer an vertragliche oder an quasi- und vorvertragliche Bindungen an. Doch kann die Person in diesem Fall nicht oder nur in engen Grenzen über Umfang und Inhalt der Nebenpflicht disponieren. Denn die Pflichten sichern nicht nur die Durchführung des konkreten Vertrages als solchen, sondern schützen zugleich ganz allgemein die Möglichkeit Verträge zu schließen. Es geht also nicht nur um die Sicherung der besonderen VertragsPflicht - hier fehlt das öffentliche Interesse - , sondern auch um den Schutz des allgemeinen Instituts „Vertrag". Und Letzteres liegt nicht nur im privaten, sondern zugleich im öffentlichen Interesse. Dazu ein Beispiel: Wenn jemand bei geschäftlichen Kontakten die zu beachtenden Wahrheitspflichten missachtet, indem er seinen Vertragspartner täuscht, so muss er dafür nicht nur zivilrecht-

33

Canaris, JZ 1965, S. 475, 479 ff.

C. Die praktischen Folgen

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lieh und auch nicht nur strafrechtlich geradestehen (§ 263 StGB, Eingehungsoder Erfüllungsbetrug), sondern ist zugleich als Störer verpflichtet, weitere Täuschungen zu unterlassen und bestehende Irrtümer aufzuklären. Ein weiteres Beispiel: Wenn der mittellose Mieter seine Miete nicht mehr zahlen kann, ist der Vermieter bei der Kündigung zu besonderer Rücksicht verpflichtet (vgl. § 556 a BGB, Berücksichtigung besonderer Härten). Diese Pflicht zur Rücksichtnahme dauert unter Umständen auch noch an, nachdem er seinem Mieter ordnungsgemäß gekündigt und einen Vollstreckungstitel erwirkt wurde (das ist der Gedanke der culpa post contrahendum). Auch jetzt darf der Vermieter seinen Mieter nicht einfach bei schneidender Kälte auf die Straße setzen. Tut er es doch, ist er als Störer und nicht nur als Notstandsstörer zur Hilfe verpflichtet und muss dem Mieter zumindest kurzfristig und ohne staatliche Entschädigung Obdach gewähren. Grund für die Haftung sind hier jene Schutzpflichten, die sich als gesetzliche Nebenpflichten direkt an das Vertragsverhältnis anschließen.

C. Die praktischen Folgen Damit steht das Ergebnis fest: Die objektiven, gesetzlichen Pflichten, welche man im Zivil- oder im Strafrecht unter dem Begriff des unerlaubten Risikos, der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung, der Verkehrssicherungspflicht oder der Garantenpflicht - die Bezeichnungen sind austauschbar - zusammenfasst, gelten in weiten Teilen auch für das Polizeirecht. Wenn etwa das Recht dem Fahrer eines Wagens vorschreibt, wie er sich im Straßenverkehr bewegen muss, wenn es den Betreiber einer Anlage verpflichtet, seine Emissionen bis zu einem bestimmten Grenzwert herunterzufahren oder wenn es dem Hauseigentümer vorgibt, wie er sein Gebäude absichern muss, um Schäden Dritter zu verhindern, dann geht es in allen Fällen nicht um genuin strafrechtliche, privatrechtliche oder polizeirechtliche Pflichten. Die Beispiele für solche allgemeinen Pflichten ließen sich beliebig erweitern, ohne dass sich am Ergebnis etwas ändern würde. Was das Recht hier regelt, sind Sicherungspflichten, die man vielleicht einem bestimmten Gesetzestext, nicht aber einem bestimmten Rechtsgebiet zuordnen kann. Das Schadensersatz- und das Strafrecht können zwar - im Gegensatz zum Polizeirecht - eine Haftung mit dem Argument ausschließen, dass es nicht zu dem jeweils sanktionierten Erfolg gekommen sei (es fehlt ein Schaden oder der strafrechtliche Verletzungserfolg). Auch kann die Haftung daran scheitern, dass der Fahrer ohne Vorsatz und Schuld gehandelt habe (es fehlt die subjektive Pflichtverletzung). Das Zivil- und vor allem das Strafrecht können also zusätzliche Anforderungen an die Haftung stellen. Auch kennt das Zivilrecht Pflichten, nämlich die Haftung auf Grund eines privaten Vertrags, die von dem Polizei-

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Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

recht gar nicht wahrgenommen werden (es wird keine gesetzliche Pflicht verletzt). Im Übrigen überschneiden sich aber die verschiedenen Rechtsgebiete. Wenn die Polizei im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr diese Regeln durchbrechen und die Zurechnung ausweiten will, dann steht ihr dafür in Notstandslagen die Figur des Nichtstörers zur Verfügung. Das Kriterium der Effektivität passt, wenn überhaupt, nicht zum Störer, sondern zum Notstandsstörer, der aber eben immer nur ein Nicht-Störer ist und deshalb für seinen Einsatz auch immer Entschädigung verlangen kann. Allerdings ist selbst diese solidarische Haftung in Notstandslagen keine Besonderheit des Polizeirechts. Man findet sie auch in den anderen Rechtsgebieten wieder, sei es als Duldungspflicht im Rahmen des aggressiven Notstands (der Eigentümer muss die Zerstörung seines Eigentums zur Rettung Dritter hinnehmen, § 904 BGB), sei es Pflicht zur Mindestsolidarität in Notlagen (§ 323 c StGB) oder sei es als Ersatzanspruch des Nichtstörers für seine Einbußen (Aufopferungsanspruch, Geschäftsführung ohne Auftrag). A l l diese Rechtsinstitute beruhen ganz oder zum Teil auf dem Gedanken der solidarischen Haftung im Notstand. Die Haftung des Nichtstörers ist keine Besonderheit des Polizeirechts, sondern Allgemeingut der Rechtsordnung. Zwar können die Bezeichnungen wechseln (Aufopferung, Sonderopfer, Mindestsolidarität, Notstandshaftung, Nichtstörer), nicht aber die damit bezeichnete Haftungsform. Nach alledem ist die Tendenz für die weiteren Überlegungen schon vorgegeben: Die Polizeipflichten sind weniger eigenständig und weniger auf das Ziel effektiver Sicherheit fixiert, als es auf den ersten Blick scheint. Natürlich waren die Überlegungen bis zu dieser Stelle noch sehr allgemein.34 Ob die hier vertretene These durchzuhalten ist, kann sich endgültig erst dann zeigen, wenn der Begriff der Polizeipflicht im weiteren Verlauf dieser Arbeit Schritt für Schritt konkretisiert wird. Deshalb wird der bis hier erläuterte Gedanke einer limitierten Akzessorietät der Polizeipflicht die gesamte Arbeit durchziehen und an verschiedenen Stellen zum Vorschein kommen. Auf die wichtigsten Punkte sei schon jetzt zum Abschluss dieses ersten Teils hingewiesen: (1) Erstens lässt sich schon jetzt sagen, dass der im Polizeirecht leitende Topos der „Unmittelbarkeit" nichts anderes meint als objektive Pflichtwidrigkeit und die Rede von der unmittelbaren Verursachung nichts anderes bezeichnet als rechtswidrige Verursachung. Nicht, dass mit dem Kriterium der Pflichtwidrigkeit schon eine brauchbare Zurechnungsregel genannt, geschweige denn die Lösung gefunden wäre. Und doch hat es einen entscheidenden Vorteil, von

34 So ein weiterer Einwand Selmers, in: Gedächtnisschrift für Martens, S. 483, 496, Fn. 54.

C. Die praktischen Folgen

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rechtswidriger statt von unmittelbarer Verursachung zu sprechen. Denn auf diese Weise wird klarer, dass es auch bei der Zurechnung des Polizeirechts nicht um faktische Einwirkungsmöglichkeit geht, nicht um räumliche oder zeitliche Nähe zur Gefahrenquelle (Unmittelbarkeit im wörtlichen Sinn), sondern um eine normative „Nähe" zur Gefahr (Unmittelbarkeit im metaphorischen Sinn). Das ist in der Sache weniger umstritten, als es auf den ersten Blick scheint. Sieht man auf die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts - dem „Erfinder" des Unmittelbarkeitskriteriums - wird schnell deutlich, dass man bei der Rede von unmittelbarer Verursachung von Anfang nicht an räumliche oder zeitliche Nähe gedacht hat, sondern immer an rechtliche Zurechnung. 35 Auch in der Literatur entspricht es heute der fast einhelligen Meinung, dass die „unmittelbare Verursachung" weitgehend in dem aufgeht, was Pietzcker als Zurechnung nach Pflichtwidrigkeit und Risikosphären bezeichnet hat. 36 Das Kriterium der Unmittelbarkeit ist hier, wie Ossenbühl schreibt, im Grunde nicht

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PrOVGE 31, S. 409,411 (Haftung eines Mitglieds der Heilsarmee für die durch die Teilnehmer einer Veranstaltung unmittelbar verursachte Ruhestörung), wo das Gericht erst gar nicht auf den Gedanken der Unmittelbarkeit zurückgegriffen und die Haftung des Veranstalters allein deshalb ausgeschlossen hat, weil sonst „an sich vollkommen zulässige Handlungen" untersagt werden müssten. Noch deutlicher PrOVGE 56, S. 366, 367 f (Haftung der Gemeinde für das Aufschütten eines Straßenwalls) und PrOVGE 73, S. 340, 346 (Haftung der Gemeinde für das Anlegen eines Treidelpfades), wo die Haftung mit der Begründung abgelehnt wird, dass die Gemeinde erlaubt gehandelt habe. So argumentiert auch PrOVGE 78, S. 261, 265 f (Haftung der Teilnehmer einer Versammlung für das Tragen schwarz-weiß-roter Fahnen): Das Gericht verneint die Haftung der Teilnehmer, weil das Tragen der Fahnen eine erlaubte Meinungskundgebung sei. Ähnlich wird in PrOVGE 80, S. 176, 189 (Haftung für das Intonieren antisemitischer Texte durch Gäste) darauf abgestellt, dass die Melodie „an sich völlig harmlos und unverfänglich" war und deshalb eine Haftung ausscheidet. PrOVGE 82, S. 343, 357 (Haftung mehrerer Unternehmer für die durch Einleitungen verursachte Verlandung eines Flusses) schließt die Haftung aus, weil der betroffene Unternehmer eine gewerbepolizeiliche Genehmigung hatte. Das OVG Münster, OVGE 14, S. 265, 269 (Haftung des Vermieters für die nach der Kündigung drohende Obdachlosigkeit des Mieters) schließt hier an: Das Gericht geht zunächst von dem Kriterium der Unmittelbarkeit aus, hält aber letztendlich für entscheidend, dass der Vermieter den Räumungstitel erwirken durfte und, wegen der Zweckbindung des Wohnraums, sogar erwirken musste. 36 Friauf, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 76; Götz, Polizeirecht, Rn. 195 ff; Kirchhof, JuS 1975, S. 237, 238; Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 15 f; Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 155 f; Schoch, JuS 1994, S. 932 f; Vollmuth, VerwArch. 68 (1977), S. 45 ff. Dagegen konzentrieren sich die Überlegungen von Wacke (DÖV 1960, S. 93, 94 ff) noch stark auf den Gedanken der raum-zeitlichen Nähe. In diese Richtung neuerdings auch wieder Selmer, JuS 1992, S. 97, 99 ff.

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Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

mehr als ein „semantisch verunglücktes Etikett für die Abgrenzung von Verantwortungssphären" 37. (2) Zweitens kann man die Störerhaftung mit den Wertungen anderer Rechtsgebiete konkretisieren: Wenn etwa das Zivilrecht für bestimmte riskante Handlungen eine Gefährdungshaftung einführt oder wenn es in bestimmten Bereichen besondere Pflichten zur Verkehrssicherung genau ausformuliert, dann kann auch das Polizeirecht daran anschließen.38 Wo das Gesetz beispielsweise für die Teilnahme am Straßenverkehr eine Gefährdungshaftung festlegt und den Fahrer selbst dann noch haften lässt, wenn das Opfer zuvor in krasser Weise unvorsichtig gehandelt hat, dann enthält diese Ausweitung der Pflichten eine Weitung, an der auch das Polizeirecht nicht vorbeigehen kann. Das Recht bestimmt hier, dass bei besonders riskantem Handeln (Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr) auch besondere Sicherungspflichten entstehen können. Das Polizeirecht muss dann nur noch die in dem jeweiligen Tatbestand enthaltene Wertung mit der eigenen Rechtsfolge - nämlich Gefahrenabwehr statt Schadensersatz - ausstatten.39 Dass darin eine „verbrämte Rechtsanalogie"40 liegen soll, vermag ich nicht zu sehen. Wo das Polizeirecht seine Pflichten mit Hilfe anderer Bestimmungen konkretisiert, macht es nichts anderes, als die in der Generalklausel enthaltene Analogieanordnung umzusetzen. Sie ermöglicht es, die Pflichten mit Hilfe von Wertungen zu bestimmen, die das Gesetz an einer anderen Stelle - aber eben nicht anders - geregelt hat. (3) Drittens ist es möglich, die in anderen Gebieten zum Thema der objektiven Zurechnung entwickelten Topoi für das Polizeirecht nutzbar zu machen. Dabei ist zwar Vorsicht geboten, weil man immer genau hinsehen muss, welcher Begriff spezifisch auf die jeweilige Funktion ausgerichtet ist und welcher nicht. Im Prinzip steht dieser Übertragung aber nichts im Weg. Aus diesem Grund finden sich in dieser Arbeit Begriffe wie „erlaubtes Risiko", „Sonderrisiko" oder „Sonderwissen" wieder, die im Zivil- und vor allem im Strafrecht

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Staatshaftungsrecht, 5. Teil III, S. 250. Nipperdey (NJW 1968, S. 1985, 1990 f) bezeichnet die Rede von der Unmittelbarkeit als „Ausdruck dogmatischer Verlegenheit". Gusy (Polizeirecht, Rn. 268) urteilt scharf und knapp: „Die Unmittelbarkeitslehre ist entweder unzutreffend, da widersprüchlich; oder unbrauchbar, da zweckwidrig und unklar." 38 Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 460 rückt die Polizeipflichten in die Nähe der Verkehrssicherungspflichten. Gegen eine generelle Übertragung Schenke, DVB1. 1986, S. 362, 363. 39 Vgl. Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 11, Fn. 44. Es geht nicht darum, die Rechtsfolge, sondern lediglich die Wertung des Tatbestands zu übernehmen. 40 So aber Selmer, Umwelthaftungsrecht, S. 43; ders., JuS 1992, S. 97, 101 mit Blick auf die Übernahme zivilrechtlicher Weitungen in das Polizeirecht.

C. Die praktischen Folgen

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entwickelt worden sind. Das Polizeirecht kann hier von der zum Teil schon sehr ausgefeilten Zurechnungsdogmatik anderer Rechtsgebiete profitieren. (4) Die Kehrseite ist, dass man sich von dem Wunsch verabschieden muss, für das Polizeirecht eine klare und leicht praktikable Zurechnungsformel finden zu können. Die Forderung nach einfachen Regeln41 ist aus der Sicht des Polizeirechts verständlich - zu erfüllen ist sie nicht. Wenn es zutrifft, dass Effektivität auch im Polizeirecht nicht alles ist und wenn die Polizeipflichten zu einem großen Teil an die Weitungen der Rechtsordnung angeschlossen bleiben, wird es nicht gelingen, die Zurechnungsregeln auf eine griffige Formel zu reduzieren. 42 Die Regeln können dann immer nur so einfach sein, wie es das Recht erlaubt, an die auch das Polizeirecht gekoppelt ist. Einfache Regeln haben in einer komplizierten Rechtsordnung keinen Platz. Wo man trotzdem versucht, die Bedingungen der Haftung auf eine einfache Formel zu bringen, ist diese entweder falsch oder aber so allgemein, dass eine Subsumtion nicht einmal im Ansatz möglich ist. (5) Schließlich - und das ist vielleicht die wichtigste Folge - lässt sich die Idee, dass die Störerpflichten akzessorisch sind zu den Sicherungspflichten anderer Rechtsgebiete, nicht vereinbaren mit der im Polizeirecht immer noch befürworteten Gewalthaberhaftung. In der Tat: Wer die Zustandshaftung als Haftung für Herrschaft und nicht als Haftung für eine Pflichtverletzung versteht, der wird - aus seiner Sicht zu Recht - von einer genuin polizeirechtlichen Haftung sprechen können. Denn die Gewalthaberhaftung ist eine Besonderheit des Polizeirechts. Die Herrschaft als solche kann in anderen Bereichen keine Pflichten auslösen.43 Ich denke jedoch, dass diese Gewalthaberhaftung auch im Polizeirecht nicht mehr zu rechtfertigen ist. 44 In den meisten Fällen, die man heute zur Gewalthaberhaftung zählt, geht es nur scheinbar um eine Haftung für Herrschaft, in Wirklichkeit aber um bloße Gefahrtragung - ein Rechtsinstitut, das weder die Störerhaftung begründet noch mit Gewalthaberhaftung etwas zu tun hat und das, wie hier besonders betont werden muss, auch keine Besonderheit des Polizeirechts, sondern ein allgemeines Rechtsprinzip ist. Den Gedan-

41 Diese Forderung stellen, aus ihrer Sicht konsequent, etwa Griesbeck, Polizeipflicht, S. 73, 75 ff; Muckel, DÖV 1998, S. 18, 21. 42 So im Ergebnis auch Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 464. 43 Für das Zivilrecht siehe dazu Stickelbrock, AcP 197 (1997), S. 456 ff, welche die Haftung aus § 1004 BGB vergleicht mit der polizeirechtlichen Störerhaftung. Für das Strafrecht siehe etwa Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 29 Rn. 31: Die als Gewalthaberhaftung verstandene Zustandshaftung kann keine Garantenstellung begründen. 44 Vgl. auch Knoche, Altlasten, S. 278 ff, der zivil- und ordnungsrechtliche Zurechnung im Bereich der Altlastenhaftung einander annähern will.

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Erster Teil: Funktion des Polizeirechts und Polizeipflicht

ken der Gefahrtragung kennt das Strafrecht genauso wie das Zivilrecht. Aber damit wird schon auf die Ergebnisse der beiden folgenden Teile vorgegriffen.

Zweiter Teil

Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren: Abkehr von der klassischen Zweiteilung Die ganz vorherrschende Meinung hält im Kern an der Einteilung von Verhaltensstörer und Zustandsstörer fest. Der Verhaltensstörer haftet für ein Verhalten; der Zustandsstörer für die beherrschten Sachen. An diese erste Einteilung von Verhaltens - und Sachgefahren wird dann die weitere Unterscheidung zweier verschiedener Zurechnungsprinzipien geknüpft: Die Haftung für Verhaltensgefahren (Verhaltenshaftung) wird als Verursacherhaftung, die Haftung für Sachgefahren (Zustandshaftung) als Gewalthaberhafiung gedeutet. Nach diesem Verständnis ist die Einteilung in Verhaltens- und Zustandshaftung also mehr als die Aufzählung verschiedener Typen der Haftung. Beiden Formen der Haftung sollen jeweils zwei grundverschiedene Kategorien von Verantwortlichkeit entsprechen: Der Verhaltensstörer haftet, weil er durch sein Verhalten die Gefahr verursacht hat. Der Zustandsstörer ist verantwortlich, weil er die gefährliche Sache gegenwärtig beherrscht. Das hat einschneidende Folgen. Der Verursacher muss nicht oder nur in engen Grenzen für solche Gefahren einstehen, die Dritte durch ihr pflichtwidriges Handeln auslösen. Bei der Gewalthaberhaftung ist das anders. Der Sachherr haftet selbst dann, wenn Dritte die in seinem Machtbereich realisierte Gefahr pflichtwidrig verursachen. Mit der vorliegenden Arbeit soll dieser Unterscheidung bei der Zurechnung von Verhaltens- und Sachgefahren (Verhaltens- und Zustandshaftung) widersprochen werden. Die These ist, dass die Zweiteilung nicht nur überschätzt wird, sondern mehr noch, dass sie entbehrlich ist. Mit dem Verhaltens- und dem Zustandsstörer zählt das Gesetz verschiedene Phänotypen der Haftung auf, ohne dass daran verschiedene Regeln der Zurechnung anschließen. Der folgende Teil soll diese These untermauern. Er wird an erster Stelle zeigen, dass Verhaltens- und Zustandshaftung auf einem gemeinsamen Gedanken beruhen: dem Synallagma von Freiheit und Verantwortung. Wer Freiheit beansprucht, sei es in Form der Handlungs- oder der Eigentumsfreiheit, muss auch für die dabei entstehenden Gefahren einstehen (A, B). Wenn beide Formen der Haftung einen gemeinsamen Grund haben, liegt es nahe, auch die Grenzen gemeinsam zu bestimmen. Jedenfalls steht das derzeit geltende Recht einem solchen Vorhaben nicht im Weg (C). Darüber hinaus ist eine Unterscheidung von Verhaltens- und Zustandshaftung auch nicht begrifflich notwendig. Denn die für das Gesetz

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Zweiter Teil: Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren

leitende Unterscheidung von Verhaltens- und Sachgefahren ist formal. Sie hat mit der materiellen Unterteilung des Haftungssystems in Verursacher- und Gewalthaberhaftung nichts zu tun. Beim Verhalten ist eine Gewalthaberhaftung genauso denkbar, wie Sachgefahren nach den Regeln der Verursacherhaftung zugerechnet werden können (D). Um Wertungsbrüche zu vermeiden, muss man die formale Unterscheidung nach Verhaltens- und Sachgefahren von der materiellen Trennung der Verursacher- und Gewalthaberhaftung abkoppeln (E). Die Folge ist, dass Verhaltens- und Sachgefahren nach den gleichen Regeln zugerechnet werden, die materielle Trennung von Verhaltens- und Zustandsstörer also weitgehend verschwindet. 1

A. Das Synallagma von Freiheit und Verantwortung als gemeinsamer Haftungsgrund I. Kausalität, Freiheit, Verantwortung Zurechnung meint die Verbindung eines Geschehens mit einem Subjekt, Gefahrenzurechnung im Polizeirecht die Verbindung des gefährlichen Erfolgs (der Gefahr) mit einer Person (dem Störer). Diese Verbindung von Tat und Subjekt - oder konkreter von Gefahr und Störer - hat man oft als kausale Verknüpfung gedacht. Dahinter stand die Vorstellung, mit der Ursache schon den Urheber der Tat identifizieren zu können. Es dürfte leicht einzusehen sein, dass das nicht gelingen kann. Ganz gleich, wo man die Suche beginnt - jede der dabei gefundenen Ursachen ist ihrerseits immer die Wirkung einer anderen, ihr vorausgehenden Ursache. Sie führt nicht zu einem bestimmten Urheber, sondern durch diesen „hindurch" zur nächsten Ursache, diese wiederum zur nächsten und immer so fort. 2 Die isoliert gedachte Beziehung von Ursache und Wirkung wird auf diese Weise zur endlosen Kette verschiedener Ursachen. Allerdings ist auch die Vorstellung einer Kette von Ursachen noch eine starke Vereinfachung, 1

So im Ergebnis wohl schon Otto Mayer, Verwaltungsrecht, S. 221. In der neueren Literatur gehen in diese Richtung: Beye, Dogmatik, S. 44,50; Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt E Rn. 97 f. Siehe auch Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 195 ff, der Verhaltens- und Zustandshaftung gemeinsam abhandelt. Spießhof er, Störer, S. 5 ff, spricht bei Zustands- und Verhaltenshaftung von „strukturell gleichen Problemen". Siehe auch Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457 ff, der zwar noch trennt, aber im Grunde in beiden Fällen ganz ähnliche Kriterien anlegt. Bei der zivilrechtlichen Störerhaftung des § 1004 BGB dürfte die Gleichbehandlung von Verhaltens- und Zustandsstörer der herrschenden Auffassung entsprechen. Siehe Medicus, in: Münchener Kommentar, § 1004 Rn. 32 ff; Picker, in: Festschrift für Gernhuber, S. 315, 344. 2 Kelsen, ARSP 46 (1960), S. 321, 330; ders., Reine Rechtslehre 2, S. 93 f.

A. Das Synallagma von Freiheit und Verantwortung

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und zwar in zweifacher Hinsicht: Erstens setzen an jedem Glied der gedachten Ursachenkette immer neue Kausalstränge an. Es geht also nicht um einen linearen, sondern einen vernetzten Vorgang. Und zweitens lässt sich jedes der Glieder der Ursachenkette in immer weitere, kleinere Glieder aufspalten. Kausalität ist also nicht zu denken als Sequenz vorab bestimmter Elemente, sondern als fließender Wechsel von Zuständen. Wenn man also etwa die Handlung der Person als eine Ursache wahrnimmt, so ist das bereits eine Vereinfachung, mit der man - den Bedürfnissen der rechtlichen Zurechnung folgend - ganz verschiedene Ursachenkomplexe zu einer Zurechnungseinheit, nämlich: der Handlung, zusammenschweißt. Die kausale Erklärung einer Folge beschränkt sich also nie auf einen bestimmten Ausschnitt, sondern läuft bei hinreichend genauer Verfolgung aller Ursachen auf die Rekonstruktion der Wirklichkeit hinaus. Er dürfte auf der Hand liegen, dass man mit einem solchen, völlig wertfreien Begriff der Kausalität nichts erklären kann. Kausalität ist dann nicht mehr als „schematisiertes Nichtwissen". 3 Will man mit Kausalität überhaupt etwas erklären, lassen sich Vereinfachungen und Auslassungen gar nicht vermeiden. Wo man diese Auslassungen macht, ist dann keine Frage der Kausalität, sondern folgt dem Erkenntnisinteresse des jeweiligen Beobachters. Anders als die ganz wertfreie naturale Kausalität ist schon die naturwissenschaftliche Kausalität, erst recht aber die sogenannte juristische Kausalität immer eine Konstruktion 4, und zwar im ersten Fall eine Konstruktion des Wissenschaftssystems, im zweiten Fall eine des Rechtssystems. Wo von naturwissenschaftlicher Kausalität die Rede ist, meint das immer den Versuch, sich jeweils für einen bestimmten Ausschnitt der empirisch-realen Kausalität so weit wie möglich anzunähern. Im Fall rechtlicher Zurechnung ist das anders: Vereinfachungen und Auslassungen sind hier kein Mangel, sondern die eigentliche Leistung des Rechts. Nicht die Rekonstruktion komplexer Kausalität ist das Ziel, sondern deren Reduktion auf einige wenige, nämlich die rechtlich relevanten Ursachen. Das verantwortliche Subjekt als gedachter Anfangspunkt eines Kausalverlaufs und damit zugleich als gedachter Endpunkt der Zurechnung findet sich gerade nicht nach den Regeln der Kausalität. Verantwortung entsteht erst dort, wo das Subjekt aus der „kausalen Geschlossenheit der Natur" 5 herausgenommen wird, was nichts anderes heißt, als dass es als frei behandelt wird. Die Verpflichtung des Subjekts setzt also gerade nicht bei der real vorhandenen „causa" an. Sie beginnt vielmehr mit der Bestimmung einer 3

Luhmann, Zeitschrift für Wissenschaftsforschung 1999, S. 107, 108. Darauf verweist Ladeur, UPR 1995, S. 1,2: „Es ist durchaus wichtig, sich darüber Klarheit zu verschaffen, daß nicht erst die Zurechnung, sondern schon die Konstruktion der Kausalität ein wertendes Selektionsverfahren ist, das die Kandidaten für die eigentliche rechtliche Zurechnung auswählt." 5 Willaschek, Vernunft, S. 101. 4

Zweiter Teil: Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren

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„libera causa". Damit dürfte die „ganze Hoffnungslosigkeit des juristischen Kausalitätsproblems" auf der Hand liegen:6 Nicht Kausalität, sondern gerade das Nicht-kausiert-Sein des Subjekts, mit einem Wort Freiheit , ist die Bedingung der Verantwortung. Diese Beziehung von Freiheit und Verantwortung darf man sich nun nicht als etwas Einseitiges denken. Rechtlich garantierte Freiheit und rechtlich erzeugte Verantwortung können entweder nur gemeinsam nebeneinander oder aber gar nicht bestehen.7 Beides, Freiheit und Verantwortung, stehen sich nicht antinomisch gegenüber, sondern sind synallagmatisch miteinander verknüpft. Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Subjektive Rechte ohne Pflichten, so heißt es bei Lepsius, „können nicht existieren, weil die Pflichtigkeit die notwendige Kehrseite der Berechtigung ist. (...) Die Pflicht korreliert mit dem Recht."8 Anders formuliert: Die Verantwortung ist nicht Schranke der Freiheit, sondern notwendige Bedingung derselben.9 Was die Freiheit beschränkt, bestimmt zugleich ihren Inhalt. 10 Deshalb kann es, wie Dürig formuliert hat, von vornherein nicht zur Freiheit des Einzelnen gehören, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu stören. 11 Die Vorstellung eines schrankenlosen Grundrechts ist ebenso „praktisch unmöglich" wie „theoretisch widersinnig" 12 . Wer rechtlich garantierte Freiheit beansprucht, kann sich rechtlicher Verantwortung nicht entziehen.13 Die Stellung des Bürgers ist „in der Rechtsgemeinschaft notwendig 6

So schon Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 61. Kelsen , Reine Rechtslehre2, S. 130 ff, 139 f. Im Anschluss an diesen und speziell mit Blick auf die Zurechnung im öffentlichen Recht: Lepsius, Besitz, S. 55 f, 63, 107 ff, 366 ff und passim. 8 Lepsius, Besitz, S. 108. 9 Klein, in: v. Mangoldt/Klein, Bonner Grundgesetz2, Band 1, S. 122: Es gibt „keine Schranken der Grundrechtsbestimmungen, sondern nur Begriffe derselben". 10 Vgl. Hangartner, in: Festschrift für H. Huber, S. 377, 382. 11 Dürig, AöR 79 (1953/54), S. 57, 80; siehe auch Fezer, JZ 1990, S. 657, 661: „Freiheit ist nicht ohne Verantwortung denkbar." Ferner Gusy, JZ 1982, S. 657, 661: „Verantwortung ist die jedem Grundrecht immanente Grundpflicht." 12 Bethge, JA 1985, S. 249, 252. - Daneben kann es auf einer rechtstechnischen Ebene durchaus sinnvoll sein, zwischen Schutzbereich und Schranke zu trennen; oder aus rechtstheoretischer Sicht zwischen einem prima facie unbegrenzten und einem definitiven, begrenzten Recht. In letzterem Sinn Alexy, Theorie, S. 253 ff; ders., Rechtstheorie, Beiheft 13, S. 101,111 ff. Das ändert jedoch nichts daran, dass - definitive - Freiheit sich ohne Verantwortung nicht denken lässt. 13 Dieser Verknüpfung hat man in der verfassungsrechtlichen Dogmatik auf verschiedene Weise Rechnung getragen. Einmal wird sie durch die Idee immanenter Grundrechtsschranken aufgefangen {Hesse, Grundzüge, Rn. 310; Kriele , JA 1984, S. 629), zum anderen durch den Vorschlag Dürigs , die Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG auf alle Grundrechte zu übertragen (Dürig, AöR 79 [1953/54], S. 57, 79 ff; ders., in: Maunz/Dürig, Grundgesetzkommentar, Art. 2 Rn. 69). 7

A. Das Synallagma von Freiheit und Verantwortung

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aus Rechten und Pflichten aufgebaut" 14. In der Rechtsperson finden Freiheit und Verantwortung untrennbar zusammen.15 Das beschriebene Synallagma von Freiheit und Verantwortung ist universal. Damit ist gemeint, dass es nicht auf bestimmte äußere Formen oder Phänotypen der Freiheit und somit auch nicht auf bestimmte Formen oder Typen der Verantwortung festgelegt bleibt. Konkreter: Ob jemand für die Folgen seines eigenen Verhaltens einsteht (es geht um das Korrelat von Verhaltensfreiheit und Verhaltensverantwortung) oder für die Folgen seiner Sachen (dann ist das Synallagma von Eigentumsfreiheit und Eigentümerverantwortung angesprochen), spielt bei der Haftungsbegründung keine Rolle. Die ratio der Haftung ist in beiden Fällen die gleiche: Wer Freiheit beansprucht, muss für die dabei entstehenden Gefahren haften. Deshalb braucht man, was den Grund der Haftung angeht, nicht mehr zwischen Verhaltens- und Zustandshaftung zu trennen. Beide Typen der Haftung beruhen auf ein- und demselben Grundgedanken: Im Fall der Verhaltenshaftung ist es die rechtlich garantierte Verfügungsgewalt über das eigene oder fremde Verhalten, welche die Verantwortung der Person bedingt. Bei der Zustandshaftung folgt aus der rechtlich garantierten Verfügungsgewalt über die eigenen oder fremden Sachen die Pflicht zur Sicherung der eigenen Güter. Dazu jetzt genauer:

I I . Der Grund der Verhaltenshaftung Die Verhaltenshaftung wird oft als Verursacher- oder Kausalhaftung charakterisiert. 16 Das mag sinnvoll sein, solange es darum geht, die Haftung von ganz anderen Formen der Zurechnung wie der solidarischen Erfolgshaftung (Nichtstörerhaftung), der Haftung aufgrund besonderer Schutzpflichten oder eben der Gewalthaberhaftung abzusetzen. Davon soll später, im dritten und vierten Teil noch die Rede sein. Die Bezeichnung als Kausalhaftung ist aber irreführend, soweit damit der Haftungsgrund und der leitende Zurechnungsgedanke genannt werden soll. Denn die Haftung beruht, wie soeben gesehen, gerade nicht auf Kausalität, sondern auf Freiheit bzw. dem Synallagma von Verhaltensfreiheit und Verhaltensverantwortung. Anders gesagt: Zurechnung meint keine kausale, sondern eine rechtliche Verknüpfung von Person und Erfolg. Damit soll nicht gesagt werden, dass sich rechtliche Verantwortung von den Regeln der naturwissenschaftlichen Kausalität völlig absetzen ließe. Dem ist 14

Badura, DVB1. 1982, S. 861, 862. Aus rechtsphilosophischer Sicht Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 29 ff. 16 Statt vieler: Friauf in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 73. 15

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Zweiter Teil: Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren

gewiss nicht so. Rechtliche Zurechnung und naturwissenschaftliche Kausalität (oder allgemeiner: Recht und Wissenschaft) bleiben immer aneinander gekoppelt. 11 Unwahres kann in keinem Fall die Grundlage rechtlicher Zurechnung sein. In diesem Sinn mag man die naturwissenschaftliche Kausalität dann auch als „Mindestbedingung" der Zurechnung bezeichnen.18 Der eigentliche Grund rechtlicher Zurechnung ist damit aber nicht genannt: Denn kausal ist zunächst „jeder Sachverhalt und jede Tatsache, die wahr ist" 19 . Ausgeschlossen ist nur das Irreale, das Unwahre. Welche Teile des Realen allerdings für die Zurechnung den Ausschlag geben, entscheidet das Recht dann wieder für sich, unabhängig von dem Begriff der naturwissenschaftlichen Kausalität. Das Recht trifft seine Entscheidungen nicht danach, ob etwas wahr oder unwahr ist, sondern danach, ob etwas rechtmäßig oder aber rechtswidrig ist. Man kann auch sagen: Das Recht bestimmt nicht, was überhaupt kausal (wahr) sein kann, denn insofern ist es an die Vorgaben der Wissenschaft gebunden. Wohl aber sagt es, wann Kausales (Wahres) für die Zurechnung relevant wird, und insofern geht es um eine genuin rechtliche Entscheidung. Beispiel: Wenn die Frage zur Entscheidung steht, ob der Betrieb einer Anlage die umliegenden Felder mit Schadstoffen belastet, so kann das Recht bei der Zurechnung dieses Erfolgs nicht an den Einsichten der Wissenschaft vorbeigehen. Doch ist es frei, nicht erst die (nach dem Stand von Wissen und Technik möglicherweise zweifelhafte) Verursachung der Gefahr, sondern bereits den verursachten konkreten Gefahrenverdacht für die Erfolgszurechnung ausreichen zu lassen. Das Recht mag unter Umständen sogar so weit gehen, die Haftung schon an die abstrakte Gefährlichkeit der Anlage zu knüpfen. Auf Einzelheiten soll es hier nicht ankommen. Jedenfalls sind die kausale und rechtliche Erklärung eines Erfolges, wenngleich gekoppelt, zunächst zwei grundlegend verschiedene Dinge. Ob man diesen Unterschied in der Weise einfängt, dass man hier von naturwissenschaftlicher Kausalität und dort von spezifisch juristischer Kausalität" 20 spricht, ob man zwischen bloßer Kausalität oder Veranlassung auf der einen und Verursachung auf der anderen Seite trennt oder aber ganz allgemein kausale und rechtliche Zurechnung unterscheidet, ist nur eine Frage der Bezeichnung. In jedem Fall geht es um zwei verschiedene Begriffe der Zurechnung. 21 Von der 17 Das dürfte auch gemeint sein, wenn gesagt wird, dass es keine besondere juristische Kausalität geben könne. So Welzel, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 43. Im Anschluss an diesen Klaudat, Polizeipflicht, S. 2. 18 Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt E Rn. 60; Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457,464. 19 Puppe, Erfolgszurechnung, S. 63. 20 Friauf, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 73; Gantner, Verursachung, S. 21; Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 154. 21 Statt vieler Frenz, Verursacherprinzip, S. 23 ff.

A. Das Synallagma von Freiheit und Verantwortung

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Kausalität führt kein Weg zur Verantwortung im Recht und umgekehrt. Damit ist man wieder am Ausgangspunkt angelangt: Nicht Kausalität, sondern Freiheit ist der Grund für Verantwortung.

I I I . Der Grund der Zustandshaftung Für die Zustandshaftung werden im Wesentlichen zwei Gründe genannt: erstens die Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache22 und zweitens das Korrelat von 23 Kosten und Nutzen der Sache . Beide Gedanken werden oft auch gemeinsam als Haftungsgrund genannt.24 So ist etwa das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Zustandshaftung verfahren. Dort heißt es: „Die Zustandsverantwortlichkeit findet in der durch die Sachherrschaft vermittelten Einwirkungsmöglichkeit auf die gefährliche Sache ihren legitimierenden Grund. Der Eigentümer kann überdies aus der Sache Nutzen ziehen. (...) Die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Nutzung und Verwertung des Sacheigentums korrespondiert mit der öffentlich-rechtlichen Pflicht, die sich aus der Sache ergebenden Lasten und die mit der Nutzungsmöglichkeit verbundenen Risiken zu tragen." 25 Es dürfte leicht zu sehen sein, dass sich diese zweispurige Begründung der Zustandshaftung vor allem aus der Sorge erklärt, beide Formen der Zustandshaftung - nämlich die Haftung des rechtlichen und die des tatsächlichen Sachherrn - in einer Formel unterzubringen: 26 Wer die Einwirkungsmöglichkeit betont, will damit vor allem die Pflicht des tatsächlichen Sachherrn begründen, kommt aber in Schwierigkeiten, sobald er die Haftung des rechtlichen Sachherrn erklären muss. Denn letzterer hat sich häufig seiner unmittelbaren Ge-

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Besonderes betont wird der Gedanke der Einwirkungsmöglichkeit bei Griesbeck, Polizeipflicht, S. 79 ff; Sparwasser/Geißler, DVB1. 1995, S. 1317, 1320. Ferner: Gantner,; Verursachung, S. 13; Götz, NVwZ 1984, S. 211, 215; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 256; Wolff, Verwaltungsrecht III, S. 64. 23 Binder, Zustandshaftung, S. 30 ff; Czychowski, DVB1. 1970, S. 379, 384; Friauf in: Festschrift für Wacke, S. 293, 301; Heintzen/Druschel UTR 36 (1996), S. 361, 380 f; Koch, Bodensanierung, S. 48; Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 12; Leisner, UTR 12 (1990), S. 217, 226 ff; Lepsius, Besitz, S. 103 ff, 112 ff; Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457,462. 24 BVerwG DVB1. 1986, S. 360, 361 (Flughafensicherung gegen terroristische Anschläge); BVerwG NVwZ 1991, S. 475 (Haftung des Rechtsnachfolgers für die durch einen Galvanikbetrieb verursachte Bodenverunreinigung); Gantner, Verursachung, S. 208 f; Schoch, JuS 1994, S. 932, 935. Speziell zur Zustandshaftung des Besitzers Heintzen/Druschel UTR 36 (1996), S. 361 ff. 25 BVerfGE 102, S. 1, 17 f, 18 f (Verfassungsmäßigkeit der Gewalthaberhaftung für Altlasten), mit insoweit zustimmender Anmerkung von Lepsius, JZ 2001, S. 22 f. 26 Heintzen/Druschel, UTR 36 (1996), S. 361, 380 f.

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Zweiter Teil: Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren

walt über und damit auch der direkten Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache begeben. Wie hat man etwa die Haftung eines Eigentümers zu beurteilen, der seine Sache an Dritte vermietet oder verpachtet und sich damit tatsächlich wie rechtlich die Möglichkeit abschneidet, selbst auf die Sache zuzugreifen? 27 An diesem Punkt soll der zweite Begründungsansatz weiterhelfen - das Korrelat von Kosten und Nutzen: Auch wenn der Eigentümer gegenwärtig nicht über die Sachsubstanz verfügt, so behält er jedenfalls den Sachnutzen, der ihm etwa in Form von Miet- oder Pachtzinsen zufließt. Dieser fortwirkende Privatnutzen soll den Grund liefern, auf ihn alle mit der Sache verbundenen Kosten abzuwälzen. Allerdings trägt diese Begründung wiederum nur die Haftung des rechtlichen oder sonst nutzungsberechtigten Sachherrn. Dagegen bleibt für die Haftung des tatsächlichen und des nicht nutzungsberechtigten Sachherrn unklar, warum dieser haften soll, obwohl ihm doch die Vorteile der Sache gerade nicht zufließen. Dass beispielsweise der uneigennützige Treuhänder einer Sache keinen Nutzen oder dass der Dieb keine garantierte Nutzungschance hat, ist ebenso klar wie die Zustandshaftung in diesen Fällen unbestritten. 28 Hier scheint es dann wiederum angebracht, auf die Einwirkungsmöglichkeit des tatsächlichen Sachherrn zu verweisen. Denn Verwahrer oder Dieb haben wenngleich nicht die rechtliche Nutzungschance, so doch jedenfalls die Möglichkeit der Einwirkung. Beide Begründungsstränge stützen sich also wechselseitig. Wo eine Erklärung versagt, springt die andere ein. Ist diese Zweiteilung der Haftungsbegründung bei der Zustandshaftung richtig? Oder muss man nicht beide Kriterien in einem einzigen Gedanken, nämlich: dem Synallagma von Verfügungsgewalt und Sicherungspflicht, zusammenfassen? Das ist meines Erachtens ohne Weiteres möglich, wenn man beide Begründungsansätze genauer formuliert. Ich beginne zunächst mit dem für die Haftung des Eigentümers (bzw. des rechtlichen Sachherrn) angeführten Argument, dem Korrelat von Kosten und Nutzen. Im Grunde kommt diese Erklärung der hier gegebenen Begründung ganz nah, weil damit im Kern nichts anderes gemeint ist als das allgemeine Synallagma von Freiheit und Verantwortung. Allerdings ist die Rede von „Kosten" und „Nutzen" in zweifacher Hinsicht missverständlich: Erstens kann „Nutzen" nicht den rein faktischen Vorteil meinen, sondern immer nur die rechtlich garantierte Chance. Entsprechend sind die „Kosten" nicht der tatsächliche Nachteil, sondern nur das rechtlich auferlegte Risiko. 29 So 27 Aus diesem Grund gegen eine Haftung des Eigentümers VGH München BayVBl. 1979, S. 634, 637 (baurechtswidrige Benutzung eines Grundstücks durch den Pächter). Dagegen Konrad, BayVBl. 1980, S. 581 ff. 28 Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt E Rn. 91. 29 Leisner, UTR 12 (1990), S. 217, 227 f.

A. Das Synallagma von Freiheit und Verantwortung

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mag etwa der Betrieb einer industriellen Anlage allen Beteiligten, dem Betreiber, den Arbeitnehmern oder den Konsumenten erhebliche Vor- wie Nachteile bringen. Und doch wird man in erster Linie von dem Betreiber, nicht aber von den Angestellten oder Konsumenten erwarten, die Gefahren hinreichend abzusichern. Rechtliche Verantwortung muss nicht da entstehen, wo faktisch der meiste Nutzen anfällt. 30 Sie entsteht nur dort, wo eine rechtliche Nutzungschance besteht. Entscheidend ist also weniger, dass an irgendeiner Stelle Nutzen anfällt, als vielmehr, dass jemand über einen Bereich verfügt, in den ihm kein anderer hineinreden darf. Hier bedingt dann die Organisationsfreiheit auch die Verantwortung für alle Gefahren, die in diesem Bereich ihren Ursprung haben. Zweitens muss man sich von dem Gedanken lösen, dass mit „Nutzen" oder „Nutzungsrecht" eine wirtschaftlich werthaltige, also Vermögenswerte Rechtspositionen gemeint ist. Die Wirtschaftlichkeit einer Position ist jedenfalls für die Störerhaftung kein maßgebliches Kriterium. Die Person haftet nicht, weil ihre Sache geldwert, sondern weil sie gefährlich ist. Nicht der wirtschaftliche Nutzen einer Sache, sondern die rechtlich zugewiesene Verfügungsmacht über die (gefährliche) Sache gibt den Ausschlag.31 Ob also die jeweilige Rechtsposition generell wirtschaftlichen Nutzen verspricht (Eigentum und Eigenbesitz) oder nicht (Treuhandeigentum und Fremdbesitz); ob die Sache im konkreten Fall großen Ertrag abwirft (die industrielle Großanlage) oder wirtschaftlich wertlos ist (das am Straßenrand liegen gelassene Autowrack), spielt für die Störerhaftung keine Rolle. Gewiss wird mit der Rechtsmacht häufig wirtschaftliche Macht zusammenfallen. Aber auch wo letztere fehlt, endet nicht die Verantwortung. Deshalb trifft es die Sache besser, von Freiheit und Verantwortung, statt von Nutzen und Kosten zu sprechen. Mit dem Gesagten ist der Weg für eine gemeinsame Begründung der Haftung des rechtlichen und tatsächlichen Sachherrn - und damit zugleich für eine gemeinsame Begründung von Verhaltens- und Zustandshaftung - schon zu einem Teil frei geräumt. Um den Weg ganz frei zu machen, muss auch der zweite Begründungsansatz, die Einwirkungsmöglichkeit des Sachherrn, anders oder zumindest genauer formuliert werden. Denn die faktische Einwirkungsmacht als solche kann noch keine rechtliche Einwirkungspflicht auslösen.32 Es gehört

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Insoweit trifft die Kritik von Janssen, MDR 1990, S. 972: Die Verteilung der Lasten kann nicht von der faktischen Verteilung des Nutzens abhängen. 31 So auch Lepsius, Besitz, S. 114 f, 121. Vgl. auch Eickel, NJW 2000, S. 2562, der sich gegen eine „Merkantilisierung" des Polizeirechts wendet. Die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mag ausnahmsweise die Haftung des eigentlich Verantwortlichen begrenzen (das ist der Gedanke einer allgemeinen Opfergrenze oder Zumutbarkeitsschwelle) - begründen kann sie diese aber nicht. 32 Heintzen/Druschel UTR 36 (1996), S. 361, 375 f.

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zu den Allgemeinplätzen des Polizeirechts, dass die Person nicht allein deshalb zum Störer wird, weil sie Inhaber des Gegenmittels ist, also die faktisch beste Einwirkungsmöglichkeit hat. 33 Zwar kann die Polizei unter allen Verantwortlichen den Fähigsten aussuchen. Sie kann umgekehrt aber nicht den Fähigsten schon zum Verantwortlichen machen. Hierzu ist immer mehr erforderlich. Und dieses Mehr an Pflicht, das den Störer vom Nichtstörer trennt, also echte Verantwortung von bloßer Aufopferung unterscheidet, wird man mit dem Gedanken der tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit nicht zu fassen bekommen.34 Es gehört ja gerade zum Begriff des Nicht-Störers, dass er in der konkreten Lage den besten Zugriff auf die Sache hat. 35 Wenn Einwirkungsmöglichkeit ein Argument für die Störerhaftung sein soll, dann kann dies nicht die faktische Einwirkungsmöglichkeit sein, sondern - der Gedanke ist schon bekannt - nur die rechtlich zugewiesene Verfügungsgewalt über die Sache. Die Rechtsperson haftet, weil sie durch das Recht in besonderer Weise mit der Sache verbunden ist. Dabei mag das rechtliche Band zwischen Person und Sache im Fall der tatsächlichen Herrschaft schwächer und anfälliger gegen faktische Veränderungen sein als bei der rechtlichen Herrschaft. Das ändert aber nichts daran, dass in allen Fällen, bei der rechtlichen wie der tatsächlichen Sachherrschaft, die Person über die Sache verfügt und dass die Haftung direkte Folge dieser Verfügungsgewalt ist. Der Grund für die Haftung des Besitzers ist also kein anderer als beim Eigentum: 36 Die Sache ist besonders in die Freiheitssphäre der Person eingegliedert und aus diesem Grund auch besonders in den Verantwortungskreis eingebunden.

B. Der Herrschaftskreis als gemeinsamer Ausgangspunkt Bisher war von dem Grund der Haftung die Rede. Jetzt müssen die Grenzen schrittweise bestimmt werden. Die allgemeine Idee der Verantwortung muss zur Verantwortlichkeit konkretisiert werden. 37 Auf dem Weg dorthin lässt sich eine erste Grundbedingung schnell formulieren. Wenn Freiheit kein leeres Verspre33

So schon Franzen, Lehrkommentar, § 20, S. 252; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 445. 34 Klar Lepsius, Besitz, S. 237 ff. 35 Das betonen zu Recht Heintzen/Druschel UTR 36 (1996), S. 361, 376 f. 36 Eingehend dazu Lepsius, Besitz, S. 103 ff, 112 ff, 250 ff. 37 In dem hier verwendeten Sinn meint Verantwortlichkeit lediglich die zu einer bestimmten, rechtlich durchsetzbaren Pflicht konkretisierte Verantwortung. Beide Begriffe, Verantwortung und Verantwortlichkeit, unterscheiden sich in der hiesigen Verwendung also nur durch ihr verschiedenes Abstraktionsniveau. Demgegenüber wird bisweilen getrennt zwischen Verantwortlichkeit als einem rechtlichen und Verantwortung als einem ethischen Begriff (dazu Lepsius, Besitz, S. 398 f).

B. Der Herrschaftskreis als gemeinsamer Ausgangspunkt

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chen bleiben soll, benötigt die Person zunächst einen gegenständlichen Bereich, der ihr zur alleinigen oder vorrangigen Verwaltung zugewiesen wird. Das Recht muss für die Person also eine „äußere Sphäre der Freiheit" 38 schaffen, einen Bereich vergegenständlichter Freiheit. „Um real frei sein zu können, bedarf die Person (...) eines Fundus' buchstäblich handgreiflicher Ressourcen, die ihr als ihr »Vermögen4 rechtlich zugewiesen und auch tatsächlich verfügbar sind." 39 Für die Seite der Verantwortung gilt das entsprechend: Nur wer über einen real gegenständlichen Bereich zur Verwirklichung seiner Freiheit verfügt, kann auch Pflichten haben und erfüllen. Die ausschließliche oder vorrangige Verwaltung der Güter bezeichnet man üblicherweise als Herrschaft oder Gewalthaberschaft; die Summe der beherrschten Güter zusammengenommen bildet den Herrschafts- oder Lebenskreis der Person. 40 Zu diesem Herrschaftskreis gehört an erster Stelle die Verfügungsmacht über den eigenen Körper und damit zugleich die Disposition über das eigene Verhalten. Für eine liberale Gesellschaft ist dieses „Eigentum am Leib" eine ganz selbstverständliche Vorstellung - so selbstverständlich, dass manche meinen, hier von einer natürlichen, nicht einer rechtlichen Verbindung sprechen zu müssen.41 Schon weniger selbstverständlich ist, dass zum eigenen Herrschaftskreis der Person auch das Verhalten Dritter zählen kann. Das ist immer dann der Fall, wenn Dritte so stark in den eigenen Lebenskreis eingebunden sind, dass die Person über das fremde Verhalten ähnlich wie über das eigene verfügen kann. So ist es etwa beim Verrichtungsherrn (§ 831 BGB), der sich zur Durchführung eigener Angelegenheiten fremder Personen bedient. Der Körper eines anderen wird dann für die eigenen Zwecke eingesetzt und insofern nicht anders als eine „belebte Maschine" behandelt. Die eigenen Körperbewegungen werden durch fremde ersetzt. Eine vergleichbare Herrschaft über fremdes Verhalten findet sich auch dort, wo die Person mit der besonderen Sorge fremder Angelegenheiten betraut ist. Das elterliche Erziehungsrecht ist hier der Grundfall, Betreuung und Pflegschaft sind die ergänzenden Institute. So weit wie die Fürsorge und Gewalt des Aufsichtsberechtigten reicht, wird das fremde Verhalten zugleich zum Teil des eigenen. Der Unterschied zur Haftung für das eigene Verhalten liegt darin, dass der Person ihr eigenes Verhalten ganz gehört, fremdes Verhalten dagegen immer nur partiell zugeschrieben wird. Es gibt also graduelle Unterschiede: Im ersten Fall hat die Person, wie man es auch ausdrücken kann,

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Hegel, Grundlinien, § 41. Pawlik, Verhalten, S. 46. 40 So hat Otto Mayer, Verwaltungsrecht, S. 221, die äußere Sphäre der Freiheit bezeichnet. 41 Dazu sogleich unten, D. 39

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das „Eigentum" am Verhalten, im zweiten Fall dagegen nur den „Besitz" am Verhalten Dritter. Trotz dieser Unterschiede geht es immer um ein- und denselben Vorgang: nämlich die rechtliche Verbindung von Person und Verhalten. Der Person wird eine bestimmtes Verhalten als eigenes zugerechnet, womit gemeint ist, dass die eigene Körperbewegung wie die des Gehilfen zum eigenen Organisationskreis gehört: Das Verhalten des Gehilfen ist, rechtlich gesehen, Handeln des Auftraggebers. Die äußere Sphäre der Person beschränkt sich allerdings nicht auf das biologische Minimum des eigenen Körpers. „Person ist nicht nur Leib" 4 2 , sie muss auch über die sachlichen Entfaltungsmittel verfügen, die ihren Körper umgeben. Deshalb zählt zur Herrschaftssphäre der Person nicht nur die Herrschaft über Verhalten, sondern daneben auch die Gewalt über Sachen. So wie man beim Verhalten zwischen der umfassenden Herrschaft (eigenes Verhalten) und der partiellen Herrschaft (fremdes Verhalten) unterscheidet, trennt man auch bei Sachen zwischen der umfassenden Gewalt über die eigene Sache (Eigentum) und der nur partiellen Gewalt über fremde Sachen (Besitz oder andere Formen der Herrschaft). Daneben sind noch weitere Einteilungen möglich. So kann nicht nur zwischen umfassender und partieller, sondern auch zwischen rechtlicher und tatsächlicher Sachherrschaft unterschieden werden. Im Fall der rechtlichen Herrschaft (Eigentum, dingliche Rechte, Recht zum Besitz) löst das Recht die Gewalthaberschaft weitgehend von faktischen Änderungen, im Fall der tatsächlichen Herrschaft (Besitz, Gewahrsam) lässt es sich stärker durch faktische Veränderungen irritieren. Die einzelnen Spielarten der Sachherrschaft sollen an dieser Stelle nicht interessieren. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nur, dass es in allen Fällen um eine - mehr oder weniger feste - rechtliche Zurechnung von Person und Sache geht.43 Mit ihr wird die Sache zum Teil des eigenen Herrschaftskreises. Die entscheidende Frage ist nun, ob man die Einheit der Herrschaftssphäre in zwei Teile, nämlich einen für Verhaltensgefahren und einen anderen für Sachgefahren aufspalten soll, um dann an jeden der beiden Bereiche andere Zurechnungsmaßstäbe anzulegen. Anders gefragt: Muss sich an die erste Unterscheidung von Verhaltens- und SacAgefahren eine zweite, materielle Einteilung, nämlich die von Verursacher- und Gewalthaberhaftung, anschließen? Oder ha-

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Jakobs in: Gedächtnisschrift für H. Kaufmann, S. 791, 802; ders., Tun und Unterlassen, S. 21. 43 Eingehend Lepsius, Besitz, S. 30 ff, 171 ff, 322 ff: „Sachherrschaftsverhältnisse sind (...) zwar auf die Tatsächlichkeit gerichtet, als solche aber normativer Natur." Deutlich ist das bei den §§ 855, 857, 868 BGB. Aber auch im Fall des normalen Besitzes (§ 854 Abs. 1 BGB)fließen über die Berücksichtigung der Verkehrsanschauung immer normative Elemente ein.

C. Ist eine Unterscheidung vorgegeben?

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ben für Verhaltens- und Sachgefahren grundsätzlich die gleichen Zurechnungsregeln zu gelten? - Ich denke, dass Letzteres der Fall ist. Für die Zurechnung ist nur wichtig, dass die Gefahr im eigenen Herrschaftskreis ihren Ursprung hat. Dazu jetzt genauer.

C. Ist eine Unterscheidung vorgegeben? Am Ende ist es also immer das Synallagma von Verfügungsfreiheit und Folgenverantwortung, welches den Grund für die Haftung des Verhaltens- und des Zustandsstörers liefert. Und dieser gemeinsame Grund legt es nahe, auch die Grenzen der Haftung nach den gleichen Regeln zu bestimmen. Dabei ist die erste Frage, ob sich diesem Ergebnis das geltende Verfassungsrecht (I) oder das geltende Polizeirecht (II) entgegenstellt.

I. Die Vorgaben der Verfassung Man hat immer wieder versucht, die gesetzliche Zweiteilung von Verhaltensund Zustandshaftung an das Verfassungsrecht anzuschließen. Danach soll sich die Unterscheidung von Verhaltensstörer (§ 4 ME PolG) und Zustandsstörer (§ 5 ME PolG) auf Verfassungsebene in der Trennung von Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs.l GG) und Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG) widerspiegeln. Die Handlungsfreiheit ist die Grundlage der Verhaltenshaftung; die Zustandshaftung findet ihren Grund in der Eigentumsfreiheit. Damit soll die Zweiteilung des Haftungssystems schon im Verfassungsrecht angelegt sein. In diesem Sinn schreibt Lepsius: „Schon wegen der verfassungsrechtlichen Verankerung der Zustandsverantwortlichkeit in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG verbietet es sich, dogmatische Fragen der Zustandshaftung unter Rückgriff auf das ganz andere Verantwortlichkeitssystem der Handlungshaftung zu behandeln."44 Hier ist die Position ganz klar: Das Verfassungsrecht soll nicht nur die Trennung von Verhaltens- und Zustandshaftung vorschreiben, sondern auch dazu zwingen, in beiden Bereichen grundlegend verschiedene Maßstäbe anzulegen. Dieser Ansatz kann aus zwei Gründen nicht überzeugen. Erstens wird es kaum gelingen, die gesetzliche Einteilung von Verhaltensund Zustandshaftung mit der verfassungsrechtlichen Trennung von Handlungsund Eigentumsfreiheit zu synchronisieren. Das Verfassungsgesetz lässt sich bei der Typisierung verschiedener Formen der Freiheit {allgemeine Handlungs44

Lepsius, JZ 2001, S. 22, 23; ders., Besitz, S. 249 ff.

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freiheit - Eigentumsfreiheit) von ganz anderen Bedürfnissen und damit auch anderen Kriterien leiten als das Polizeigesetz bei der Einteilung verschiedener Formen der Störerhaftung (Verhaltenshaftung - Zustandshaftung). So wird die allgemeine Handlungsfreiheit nach heute nahezu einhelliger Auffassung als subsidiärer Auffangtatbestand verstanden, was für den Tatbestand der Verhaltenshaftung so nicht zutrifft. Und wenn sich die Eigentumsfreiheit von anderen Grundfreiheiten vor allem dadurch unterscheidet, dass es sich um eine gefestigte 45 und vor allem Vermögenswerte 46 Rechtsposition handeln muss, so sind dies Kriterien, die für die Zustandshaftung kaum eine Rolle spielen. Denn dass eine Rechtsposition kommerzialisierbar ist, mag über ihre Zuordnung zur Eigentumsfreiheit entscheiden, nicht aber über ihre Zuordnung zur Zustandshaftung. Die verfassungsrechtliche Einteilung der Grundfreiheiten und die gesetzliche Einteilung der Störertypen liegen nicht auf einer Linie. Das zeigt sich nirgendwo deutlicher als bei der Haftung des Besitzers. Wer die Zustandshaftung strikt an die Eigentumsfreiheit binden will 4 7 , muss spätestens beim Besitz in Schwierigkeiten kommen. Denn so einig man sich ist, dass der Besitzer wie der Eigentümer als Zustandsstörer haftet, so sehr streitet man darüber, ob sich der Besitzer wie der Eigentümer auf Art. 14 GG berufen kann. 48 Anders gesagt: Die Zustandshaftung des Besitzers ist evident, seine Stellung als verfassungsrechtlicher Eigentümer äußerst umstritten. Wie ist das zu erklären? - Schwer, solange man in der Zustandshaftung das direkte Spiegelbild der Eigentumsfreiheit sehen will und meint, dass von der Synchronisierung beider Einteilungen etwas abhinge. Das Problem, wie man die Haftung des Besitzers bei Art. 14 GG unterbringen kann, ist dann auch oft übergangen worden. Wo es gesehen wird, hat man zum Teil versucht, die Begründung der Zustandshaftung ganz von der Eigentumsfreiheit zu lösen.49 Lepsius, der das Problem 45

BVerfGE 20, S. 31, 34 (zur fehlenden Klagbarkeit des Ehemaklerlohns); BVerfGE 78, S. 205, 211 f (Verfassungsmäßigkeit des Schatzregals). 46 BVerfGE 83, S. 201, 210 f (entschädigungsloser Entzug von Vorkaufsrechten); BVerfGE 89, S. 1, 6 (Mietbesitz als verfassungsrechtliches Eigentum); Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 14 Rn. 6; Papier in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetzkommentar, Art. 14 Rn. 56. 47 So BVerfGE 102, S. 1, 17 (Verfassungsmäßigkeit der Gewalthaberhaftung für Altlasten); BVerfGE 20, S. 351, 356, 361 (entschädigungslose Tötung tollwutverdächtiger Tiere); Erler, Maßnahmen, S. 113; Friauf in: Festschrift für Wacke, S. 293, 297 ff; Leisner, UTR 12 (1990), S. 217, 223 ff. Dagegen Griesbeck, Polizeipflicht, S. 62 ff. 48 Generell bejahend Papier in: Maunz/Dürig /Herzog, Grundgesetzkommentar, Art. 14 Rn. 200. Prinzipiell zustimmend auch Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Art. 14 Rn. 160. - BVerfGE 89, S. 1, 6 f bejaht die Frage für den besonderen Fall des Mietbesitzes. Entsprechend für die Landpacht Frenz, VerwArch. 90 (1990), S. 208, 228 f. 49 Griesbeck, Polizeipflicht, S. 63 f.

C. Ist eine Unterscheidung vorgegeben?

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klar sieht, geht dagegen den umgekehrten Weg: Er schlägt vor, Eigentum und Besitz generell unter dem Oberbegriff der Sachherrschaft dem Schutzbereich des Art. 14 GG zuzuschlagen.50 Mit diesem Versuch, auch den Besitz beim verfassungsrechtlichen Eigentum unterzubringen, hat man das Problem entschärft - aber noch nicht gelöst. Denn auch jetzt bleibt die Frage, wie es zu erklären ist, dass der Besitzer zwar ganz selbstverständlich als Zustandsstörer haften soll, während es einen so großen Begründungsaufwand erfordert, ihm das Recht des Art. 14 GG zu geben. Allein mit der Gedankenlosigkeit der verfassungsrechtlichen Dogmatik dürfte das schwer zu erklären sein. Aber selbst wenn man dieses Problem beiseite lässt, bleibt noch ein zweiter Einwand gegen die oben genannte Ansicht. Und dieser Einwand ist entscheidend: Wenn die Verfassung verschiedene Arten von Freiheit (Eigentumsfreiheit, Berufsfreiheit, Versammlungsfreiheit, allgemeine Handlungsfreiheit usf.) unterscheidet, dann ist das zunächst nur eine Aufzählung verschiedener Phänotypen, also bestimmter äußerer Formen der Freiheit, an die keine qualitative Unterscheidung verschiedener Haftungs- und Zurechnungssysteme anschließt. Ob die Umstände, aus denen sich eine Haftung ergibt, nun thematisch zur Eigentumsfreiheit, zur allgemeinen Handlungsfreiheit oder zu einem anderen Grundrecht wie dem der Berufs- oder Versammlungsfreiheit gehören, ob man den Besitz dem Eigentum zuweist oder nicht, spielt für Grund und Grenzen der Haftung keine Rolle. Vielleicht ließe sich hier noch mit Mühe eine quantitative Unterscheidung rechtfertigen. In diesem Fall müsste man dann sagen, dass die Haftung im Bereich der Eigentumsfreiheit generell milder (oder strenger?) sein soll, als dies bei der allgemeinen Handlungsfreiheit der Fall ist. Kaum einzusehen ist aber, warum derjenige, der etwa im Rahmen seiner Berufs- oder Handlungsfreiheit handelt, nach ganz anderen Regeln, also qualitativ anders haften soll als der Eigentümer. Wieso sollte hier die thematische Zuordnung des Handelns oder des Gefahrentyps in den einen oder anderen Schutzbereich schon über die Qualität der Haftung entscheiden? Beispielhaft: Wer mit seinem Fahrzeug am Straßenverkehr teilnimmt, mag sich auf Art. 14 GG berufen (Nutzung des Eigentums) oder Art. 2 Abs. 2 GG (Fortbewegung), ohne dass einzusehen ist, warum in dem einen oder anderen Fall grundlegend andere Regeln bei der Gefahrenzurechnung gelten müssen. Oder sollten etwa - um ein weiteres Beispiel zu nennen - Grund und Grenzen der Haftung davon abhängen, ob die Gefahr nun von der betriebenen Anlage (Art. 14 GG) oder von dem Betreiben der Anlage (Artt. 2 Abs. 1, 12 GG) herrührt? Was zählt ist, dass überhaupt Freiheit, nicht aber, welcher Typ von Freiheit (Handlungs-, Vereins-, Berufs-, Eigentumsfrei-

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Lepsius, Besitz, S. 254 ff und passim; ders., JZ 2001, S. 22, 23. Nach Lepsius soll die Sachherrschaft den Kern der Eigentumsfreiheit wie der Eigentümerverantwortlichkeit bilden.

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Zweiter Teil: Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren

heit usf.) beansprucht wird. In allen Fällen liefert das Korrelat von Freiheit und Verantwortung den Grund für die Haftung. Für den Eigentümer hat das Verfassungsgesetz diese Verbindung von Freiheit und Verantwortung ausdrücklich in Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG geregelt: Eigentum verpflichtet. Doch handelt es sich dabei nicht um eine Besonderheit des Eigentums, sondern um die Positivierung eines allgemeinen Gedankens: So wie Eigentum den Eigentümer verpflichtet, so verpflichtet die allgemeine Handlungsfreiheit den Handelnden.

I I . Die Vorgaben der Polizeigesetze Wie sieht es jetzt auf der Ebene des einfachen Rechts aus? Hier kann man der Gleichbehandlung von Verhaltens- und Zustandsstörer zunächst mit einem ganz positivistischen Argument entgegentreten, das etwa wie folgt lautet: Wenn das Gesetz zwischen zwei Tatbeständen der Haftung trennt (nämlich Verhaltensund Zustandsstörer), dann muss die Dogmatik auch zwei Begriffe der Zurechnung unterscheiden (nämlich die von Verursacher- und Gewalthaberhaftung). Jedem gesetzlichen Störertyp soll also ein jeweils anderes Zurechnungsprinzip zugeordnet werden. In der Tat scheint die Zweiteilung des Gesetzes zunächst für das Trennungsmodell zu sprechen: Zwei gesetzliche Störertatbestände - zwei dogmatische Störerbegriffe. Zwingend ist das nicht. Wie auch in anderen Fällen kann man in den verschiedenen gesetzlichen Tatbeständen entweder eine typisierende Aufzählung verschiedener Varianten ein- und desselben Prinzips sehen, oder aber die Unterscheidung grundverschiedener Zurechnungskategorien. Die überwiegende Ansicht entscheidet sich für die zweite Lesart, und zwar mit Verweis auf den vermeintlich klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung.51 Dem wird hier widersprochen. Zunächst zu dem vom Gesetz vorgesehenen Grundfall der Verhaltenshaftung (§ 4 Abs. 1 M E PolG) bzw. der Zustandshaftung (§ 5 Abs. 1, 2 M E PolG). Bei der Verhaltenshaftung formuliert das Gesetz: „Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten." Im Fall der Zustandshaftung liest sich das nicht viel anders. Dort heißt es: „Geht von einer Sache eine Gefahr 51

VGH Mannheim, DVB1. 1990, S. 1046, 1047 (Haftung für die Verunreinigung des Bodens mit Chlorkohlenwasserstoffen); VGH Mannheim, NVwZ 1986, S. 325, 326 (Haftung des Rechtsnachfolgers einer chemischen Reinigung für Altlasten); Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 320; Gantner, Verursachung, S. 41; Lepsius, Besitz, S. 223, 248; Pischel, JA 1999, S. 43, 44; Schoch, JuS 1994, S. 1026. Im Grundsatz auch Friauf, in: Festschrift für Wacke, S. 293, 297, der den Wortlaut für eindeutig hält; Koch, Bodensanierung, S. 23, der Beschränkungen als „Korrekturen contra legem" bezeichnet; Papier, Altlasten, S. 49, der von einer gesetzgeberischen Risikozuweisung an den Gewalthaber spricht.

C. Ist eine Unterscheidung vorgegeben?

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aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten oder gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten." Warum im ersten Fall der Begriff des „Verursachens" - wie heute im Ergebnis außer Streit steht - mit weitenden Überlegungen angereichert wird, der Begriff des „Ausgehens" im zweiten Fall dann aber ganz auf die „rohe" naturwissenschaftliche Kausalität beschränkt bleiben soll, erschließt sich jedenfalls nicht aus dem Wortlaut. Auch bei großer sprachlicher Spitzfindigkeit dürfte es schwerfallen, allein der terminologischen Unterscheidung des Gesetzes von „Verursachen" hier und „Ausgehen" dort das entscheidende Argument für die folgenreiche Trennung zweier verschiedener Haftungsmodelle abzuringen. 52 Beide Formulierungen des Gesetzes lassen sich jeweils strikt kausal deuten oder aber stärker normativ. Wenn es schon für den Grundfall der Verhaltens- und Zustandshaftung schwerfällt, der gesetzlichen Regelung die materielle Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung zu entnehmen, gilt das erst recht für die Sonderfälle beider Haftungsformen: Zum einen kennt und regelt auch die Verhaltenshaftung mit der sogenannten Zusatzhaftung für Minderjährige, Betreute und Verrichtungsgehilfen (§ 4 Abs. 2, 3 ME PolG) Fälle, die sich zwanglos als Gewalthaberhaftung deuten ließen. Denn die Person haftet auch hier für die Herrschaft über die ihr anvertrauten oder unterstellten Personen. Der Unterschied zur Zustandshaftung besteht lediglich darin, dass in einem Fall eine Sache und im anderen Fall fremdes Verhalten zu einem Teil des eigenen Herrschaftskreises gemacht wird. Der Gewalthaberschaft bedarf es in beiden Fällen. Spätestens an dieser Stelle lässt sich die Zweiteilung des Gesetzes (Verhaltens- und Sachgefahren) mit der materiellen Unterscheidung (Verursacher- und Gewalthaberhaftung) nicht mehr vollständig synchronisieren. Franzen hat dieses Problem früh gesehen und beklagt, dass der Gesetzgeber die materielle Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung nur unvollständig in das Gesetz eingearbeitet habe.53 Ob es sich dabei wirklich um ein Versehen des Gesetzgebers handelt, sei dahingestellt. Jedenfalls setzt sich diese vermeintliche Achtlosigkeit dann bei der Zustandshaftung geradlinig fort: So 52 Otto Mayer, Verwaltungsrecht, S. 221, benutzt den Begriff des „Ausgehens" sowohl für Verhaltens- wie auch für Sachgefahren. Nach Mayer muss sich jeder als Störer verantworten, von dessen Verhalten oder Sache „die abzuwehrende Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens ausgeht" (Hervorhebung im Original). - Der erst später in den Landesgesetzen verwendete Begriff des „Ausgehens" ist dann auch nicht eingeführt worden, um ihn gegen den des Verursachens abzusetzen. Vielmehr wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass nicht nur für den gefährlichen Zustand der Sache selbst, sondern auch für deren gefährliche Lage im Raum gehaftet wird (siehe Götz, NVwZ 1984, S. 211, 215). 53 Franzen, Lehrkommentar, § 19, S. 243; Gantner, Verursachung, S. 15 f.

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Zweiter Teil: Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren

wie das Gesetz Fälle der Verhaltenshaftung kennt, für die Herrschaft benötigt wird, so regelt es im Rahmen der Zustandshaftung Fälle, bei denen man allein mit dem Kriterium der Herrschaft nicht auskommt: Zum einen kann die Person trotz vorhandener (rechtlicher) Sachherrschaft von der Haftung frei werden, wenn sie die tatsächliche Herrschaft in einer ihr nicht zurechenbaren Weise - ohne oder gegen ihren Willen - verliert (Haftungsausschluss im Fall des Besitzentzugs; § 5 Abs. 2 Satz 2 ME PolG). Entscheidend ist dann nicht, ob jemand (tatsächlicher) Sachherr ist, sondern auf welche Art und Weise er diese Sachherrschaft verloren hat. Zum anderen kann die Person nach der gesetzlichen Regelung auch noch dann haften, wenn sie gegenwärtig keine Sachherrschaft mehr hat. Gedacht ist an die Haftung nach Aufgabe oder Veräußerung des Eigentums (sogenannte Nachhaftung; § 5 Abs. 3 M E PolG, § 6 Abs. 6 BBodSchG). Auch hier knüpft das Gesetz die Verantwortung nicht an Sachherrschaft. Der Eigentümer haftet auch und gerade dann, wenn er die Gewalt über seine Sache verloren hat. Nun kann man die genannten Fälle für die sprichwörtliche Ausnahme halten, welche die Regel - nämlich Verursacherhaftung hier und Gewalthaberhaftung dort - bestätigt. Genauso gut kann man sie aber auch als Beleg dafür nehmen, dass die hinter dem Gesetz stehende Haftungsregel in Wirklichkeit eine andere ist. Das Gesetz jedenfalls legt sich weder in die eine noch die andere Richtung fest. Welchen Weg man einschlägt, muss mit anderen Argumenten belegt werden. Ein Argument ist schon genannt worden: Verhaltens- und Zustandshaftung haben eine gemeinsame ratio. Die zwei folgenden Abschnitte werden diesem ersten Argument weitere hinzufügen.

D. Ist eine Unterscheidung notwendig? Von allen Autoren, die sich mit dem Thema befasst haben, ist es Lepsius, der sich in jüngerer Zeit am deutlichsten gegen eine Gleichstellung von Verhaltensund Zustandshaftung ausgesprochen hat. In seiner Monographie zu „Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht" hat er die materielle Unterscheidung von Verhaltens- und Zustandsstörer noch einmal vehement verteidigt. Er unterscheidet scharf zwischen Gefahren, die auf einem Verhalten (einer Körperbewegung) beruhen und solchen, die von Sachen (einem körperlichen Gegenstand) ausgehen. „Es wäre eine falschverstandene Sehnsucht nach Einheitlichkeit", schreibt Lepsius, „die gesetzliche Differenzierung durch Verursachungstheorien oder

. Ist eine Unterscheidung

o e n ?

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übergeordnete Störerbegriffe als vermeintlich einheitliche Prinzipien über den Haufen zu werfen." 54 Dabei gehen die Überlegungen bei Lepsius weit über den Verweis auf die gesetzliche Zweiteilung hinaus: Grund für die materielle Trennung von Verhaltens- und Zustandshaftung soll sein, dass das normative Element in der Zurechnungskette (also in der Kette „Person - Verhalten - Gefahr" beim Verhaltensstörer und der Sequenz von „Person - Sache - Gefahr" beim Zustandsstörer) jeweils an verschiedener Stelle zu finden ist. Bei der Zustandshaftung, so der Autor, liege das eigentliche Problem bei der Relation „Person - Sache". Hier gehe es immer um eine rechtliche Zuordnung, die man dann üblicherweise mit dem Begriff der Herrschaft kennzeichnet. Dagegen werde die Verbindung „Person-Verhalten" schon faktisch hergestellt, so dass es an dieser Stelle überhaupt keiner rechtlichen Herrschaftsbeziehung mehr bedürfe. Im Fall des Verhaltensstörers lägen die Dinge genau umgekehrt: Jetzt werde die Relation „ Verhalten - Gefahr" zum Problem; ein rechtlicher Zurechnungsschritt, den man üblicherweise mit dem Begriff der Verursachung markiert. Dagegen werde bei der Zustandshaftung die Verbindung „Sache - Gefahr" schon faktisch hergestellt. Mehr als Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinn sei an diesem Punkt nicht mehr nötig. Bei beiden Formen der Haftung seien also das faktische und normative Merkmal jeweils vertauscht. 55 Das Modell von Lepsius ist ohne Zweifel in sich schlüssig. Und wer seine Prämissen akzeptiert, der wird zu einer unterschiedlichen Beurteilung von Verhaltens- und Zustandshaftung kommen müssen. Die Frage ist allerdings, ob man diese Prämissen akzeptieren muss. Und genau das wird hier bestritten. Ich denke, dass man auch beim Verhalten zwanglos von Herrschaft sprechen kann (I), genauso wie eine Verursachung durch Sachen ohne Weiteres denkbar ist (II). Das gilt jedenfalls, wenn man sich von dem - wie es hier der Einfachheit halber genannt sei - stärker „naturalistischen" Modell Lepsius' löst und zu einem stärker normativen Modell übergeht. 56 In diesem Fall verflüchtigen sich die vermeintlich so einschneidenden Unterschiede zwischen Verhaltens- und Sachgefahren.

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Lepsius, Besitz, S. 248, 221 ff, ders., JZ 2001, S. 22 f. Lepsius, Besitz, S. 226. 56 Natürlich ist auch das Modell Lepsius4 in einem weiten Sinn normativ. Es geht lediglich um verschiedene Grade der Normativierung. Um das deutlich zu machen, sei es erlaubt, von einem (stärker) naturalistischen und einem (stärker) normativen Modell zu sprechen. 55

Zweiter Teil: Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren

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I. Herrschaft über Verhalten Blicken wir zunächst noch einmal auf das Modell, für das Lepsius eintritt. Für ihn ist die Rede von Herrschaft nur bei Sachen sinnvoll. Über das Verhalten habe die Person schon faktisch Gewalt, ohne dass es einer rechtlichen Zurechnung bedürfe. Der Begriff der Herrschaft hat aus dieser Sicht notwendig einen gegenständlichen Bezug. Herrschaft meint immer Sachherrschaft Dieser gegenständliche Bezug soll es dann auch sein, welcher dem Eigentum und damit auch der Eigentümerhaftung den spezifischen Charakter gibt. Ohne die Beziehung von „Mensch und Sache" wäre das Eigentum „nur noch ein Recht wie viele andere" 57 und, wie man anfügen muss, die Eigentümerhaftung auch nur eine Haftung wie viele andere. Der Begriff der Sachherrschaft soll das Eigentum vor einem „Gleichlauf zur allgemeinen Handlungsfreiheit" 58 bewahren und, wie wiederum zu ergänzen ist, die Zustandshaftung vor einem Gleichlauf zur Verhaltenshaftung. Herrschaft als rechtliche Verbindung ist dann immer Sachherrschaft; die Verhaltensherrschaft wird dagegen schon faktisch hergestellt. Man kann auch formulieren: Während bei Sachen das Recht Person und Sache verknüpft, sind beim Verhalten Person und Verhalten schon durch die Natur miteinander verbunden. 59 Dem möchte ich widersprechen: Wenn das Korrelat von Freiheit und Verantwortung, also die wechselseitige Verbindung von Rechten und Pflichten den Grund der Haftung bildet 60 , so liegt es nahe, das Haftungssubjekt an erster Stelle über seine Rechte und Pflichten zu definieren. Die Stellung der Person im Recht ist zunächst durch ihre Ansprüche und Pflichten aufgebaut. Man kann auch sagen: Haftungssubjekt ist zunächst nicht der Mensch, dem schon von Natur ein Leib gegeben ist, sondern die Rechtsperson, der vom Recht bestimmte Ansprüche und Pflichten gegeben sind. Nun gehört zu diesen Ansprüchen der Person gewiss und an erster Stelle das Recht, über seinen eigenen Körper und das eigene Verhalten frei zu verfügen. Doch geht es auch bei diesem selbstverständlichsten aller Rechte immer noch um eine rechtliche Zuweisung. Person und Verhalten sind nicht naturwüchsig miteinander verbunden. 61 Es ist das Recht, welches der Person eine leibliche Sphäre als „Eigentum" zuweist. So wie sich die Person ihrer Sachen annehmen muss, um frei zu sein, so muss sie sich auch ihres eigenen Körpers annehmen. Oder anders formuliert: Herrschaft erschöpft sich nicht in Sachherrschaft, also der rechtlich garantierten Gewalt

57 58 59 60 61

Lepsius, Besitz, S. 27. Lepsius, Besitz, S. 47. Lepsius, Besitz, S. 225 f. So im Ausgangspunkt auch Lepsius , Besitz, S. 107 ff, 249 ff. Grundlegend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 43.

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der Person über ihre Sachen (habeas res). Sie meint immer auch Verhaltensherrschaft, also die rechtlich garantierte Gewalt der Person über ihren Leib und ihr Verhalten (habeas corpus). Eigentums- und Verhaltensfreiheit unterscheiden sich nicht durch ihre Gegenständlichkeit, sondern allein durch den Gegenstand der rechtlichen Zuordnung: Dort wird der Person eine Sache und deren Nutzung zugewiesen, hier gibt das Recht der Person die Verfügungsgewalt über eine eigene leibliche Sphäre. Der Zurechnung einer gegenständlichen Sphäre in dem „allgemeinen Sinn als das der Freiheit überhaupt Äußerliche, wozu auch mein Körper, mein Leben gehört" 62 , bedarf es in beiden Fällen. Gegen diese stärker normativierende Sichtweise mag man einwenden, dass damit die Dinge nur verkompliziert werden und man sich zu weit von einem alltäglichen Verständnis absetzt. Ich möchte darauf antworten, dass das Recht und mit ihm das Polizeirecht eine solche Trennung von Person und Verhalten schon längst - und zwar ganz selbstverständlich - praktiziert. Man denke zunächst an die juristische Person. Hier muss die Vorstellung einer naturwüchsigen Verbindung von Person und Verhalten ohnehin scheitern. Denn soweit, woran ja im Ergebnis keiner zweifelt, auch die juristische Person Störer sein kann, muss man das (faktisch) fremde Verhalten rechtlich als eigenes Handeln zurechnen. Die juristische Person haftet für die Herrschaft über das Verhalten ihrer Organwalter. Jedenfalls bei der juristischen Person greift die Argumentation von Lepsius nicht mehr. Sollte man jetzt beginnen, für die juristische Person einen anderen, eigenen Störerbegriff zu entwickeln? Das wäre nicht nur aufwändig, sondern zudem unangemessen, weil für die natürlichen Personen prinzipiell nichts anderes gilt. Auch hier sind Person und Verhalten nicht kraft Natur, sondern durch das Recht miteinander verbunden. Bemerkbar macht sich das immer dort, wo das eigene Verhalten zum Werkzeug einer anderen Person wird: Wenn etwa der Angestellte einer Chemiefabrik auf Weisung seines Vorgesetzten giftige Abfälle in ein Gewässer einleitet, dann bewegt sich zwar der Körper des Verrichtungsgehilfen - es handelt aber allein oder doch in erster Linie die Person des Verrichtungsherrn. Von natürlicher Verbindung ist hier beim Handeln keine Spur. Das Recht geht ganz selbstverständlich von einem normativen Begriff der Handlung aus. Das heißt einmal, dass der Verrichtungsherr für sein Mehr an Herrschaft über das fremde Verhalten verantwortlich gemacht wird. Bei ihm wird die Verantwortung für ein fremdes Verhalten angerechnet, § 4 Abs. 3 ME PolG. Im Gegenzug kann der Verrichtungsgehilfe auch für sein Weniger an Herrschaft ganz oder zu einem Teil entlastet werden. Auch bei der Haftung des Verrichtungsgehilfen nach § 4 Abs. 1 ME PolG wird ein Teil der Verantwortung für das eigene, unmittelbar störende Verhalten abgezogen. Es dürfte leicht zu sehen sein, dass dieses Hin- und Her62

Hegel, Grundlinien, § 40.

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Zweiter Teil: Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren

schieben von Verantwortung, das Abziehen auf der einen und das Anrechnen auf der anderen Seite weit entfernt von irgendwelchen naturgegebenen Verbindungen stattfindet. Nicht die Natur, sondern das Recht entscheidet, wem es die Verhaltensherrschaft gibt. Störer ist nicht der Mensch, dessen Leib sich bewegt, sondern die Person, welcher ein Verhalten als eigenes zugerechnet wird. Genauso wie Gewalthaberschaft über Sachen erforderlich ist, so ist es auch möglich und nötig, dass die Person „Gewalthaber über sich selbst" ist. 63 Lässt man das Problem der Herrschaft über ein bestimmtes Verhalten einmal beiseite, gibt es auch Fälle, in denen jemand für den Zustand seiner Person haftet. Bei Walter Jellinek heißt es dazu: „Als Gewalthaber haftet der einzelne für die Polizeimäßigkeit seiner eigenen Person, der seiner Gewalt unterworfenen Menschen und der seiner Verfügungsmacht unterworfenen Sachen. (...) Ist jemand mit einer ansteckenden Krankheit behaftet oder befindet er sich in unbekleidetem Zustand auf der Straße, so haftet er als Gewalthaber über sich selbst, als polizeiwidrige Person." 64 Man kann dem noch ein weiteres, für die Praxis sehr relevantes Beispiel hinzufügen: die Unzuverlässigkeit einer Person. Wenn etwa dem Gewerbetreibenden wegen seiner Unzuverlässigkeit die weitere Ausübung seines Gewerbes untersagt wird, dann ist das nichts anderes als eine Haftung für den „Zustand" der eigenen Persönlichkeit. Auch in diesem Fall geht es um eine Form der „Zustandshaftung", die allerdings mit Sachgefahren nichts zu tun hat. Die Haftung des unzuverlässigen Betreibers setzt, wie man auch sagen kann, bei dessen Herrschaft über die eigene Persönlichkeit an.

I I . Verursachung durch Sachen Wie sieht es nun im umgekehrten Fall aus? Wenn beim Verhalten die Rede von Herrschaft möglich ist, kann dann im Gegenzug auch bei Sachgefahren von Verursachung gesprochen werden? Ich beginne mit dem Selbstverständlichen: Auch für die Zurechnung von Sachgefahren wird Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinn benötigt. Der Zustand einer Sache muss conditio sine qua non für den Eintritt des gefährlichen Erfolgs sein: Das im Halteverbot geparkte Fahrzeug verursacht die Störung des Straßenverkehrs, das im Boden versickerte Öl verursacht die Gefährdung der Umwelt und so fort. Die Frage ist allerdings, ob Sachen auch in einem weitergehenden rechtlichen Sinn Gefahren verursachen können. Lepsius meint, dass dies ausgeschlossen sei, weil es bei Sachgefahren an einem Subjekt fehle, das die Gefahr intentional

63 64

Walter Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 442. Walter Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 442.

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verursache. 65 Er unterscheidet also zwischen intentionalem Verhalten einerseits, das, von einem Bewusstsein gesteuert, bestimmte Folgen antizipieren kann, und dem „rein mechanischen Verhältnis" von Sache und Gefahr andererseits, bei dem sich die Verbindung von Gegenstand und gefährlicher Folge immer auf die bloße naturwissenschaftliche Kausalität beschränkt. Dort geht es um eine wertende Relation von Verhalten und Erfolg, hier um bloße Kausalität, welche „die Bezeichnung Verursachung nicht verdient" 66 . Dahinter steht die Vorstellung, dass rechtswidrige Verursachung Bewusstsein voraussetzt, die Fähigkeit, den Befehl einer Norm zu verstehen und bestimmte Erfolge gezielt abzuwenden.67 Nur das Verhalten (die Bewegung des Körpers), so der Gedanke, wird von einem Bewusstsein gesteuert, nur das intentionale Verhalten weist über sich hinaus; die bewusstlose Sache ruht in sich selbst. Deshalb kann auch nur das Verhalten mit dem Prädikat „pflichtwidrig" versehen werden. Handlungsunrecht ist damit immer Verhaltensunrecht. Im ersten Fall benötigt man für die Verbindung von Verhalten und Gefahr eine rechtliche Wertung. Im zweiten Fall ist die Beziehung von Sache und Gefahr allein das Ergebnis naturwissenschaftlicher Kausalität. Es ist nicht der Platz, um an dieser Stelle die grundlegende Diskussion aufzugreifen, inwieweit Bewusstsein - also ein bestimmter „Zustand" der Psyche - für die Zurechnung benötigt wird. Die Überlegungen beschränken sich auf die Frage, ob es im Fall der Gefahrenzurechnung plausibel ist, bei der Intentionalität anzusetzen. Und insoweit kommt die Beschreibung der Verursachung als intentionaler Akt jedenfalls für das Polizeirecht überraschend. Denn die Störerhaftung verlangt ja im Regelfall gerade nicht, dass Absicht oder Wissen den gesamten Kausalverlauf bis hin zum gefährlichen Erfolg begleiten. Stattdessen geht es immer um einen objektiven Zusammenhang. Man fragt danach, ob sich in der Gefahr ein typisches Risiko des eigenen Verhaltens realisiert hat. Intentionalität kann also im Fall des Polizeirechts jedenfalls eines nicht meinen: Finalität. Gewiss kann es Randbereiche geben, in denen man streiten kann, ob auch subjektive Momente in die Zurechnung einfließen. Davon soll später noch die Rede sein.68 Im Kern jedenfalls ist man sich aber einig, dass die Verbindung von Verhalten und Gefahr grundsätzlich objektiv ist, also gerade nicht final

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Lepsius, Besitz, S. 227, 223, 234. In diese Richtung gehen auch die Überlegungen von Kirchhof, JuS 1975, S. 378, 379; Vollmuth, VerwArch. 68 (1977), S. 45, 53: Die störende Sache selbst kann nicht Adressat des Normbefehls sein. Vgl. auch Zippelius, NJW 1957, S. 1707 f; ders., AcP 157 (1957/58), S. 390, 395. 66 Lepsius, Besitz, S. 234. 67 Kirchhof, JuS 1975, S. 378, 379; Lepsius, Besitz, S. 227, 223, 234; Vollmuth, VerwArch. 68 (1977), S. 45, 53; Zippelius NJW 1957, S. 1707 f; ders., AcP 157 (1957/58), S. 390, 395. 68 Siehe unten, 5. Teil H.

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und insoweit auch nicht intentional. Zurechenbar sind nicht die gewollten oder gewussten, sondern die objektiv zurechenbaren Folgen des eigenen Verhaltens. Nicht der subjektive Sinn (Intention), sondern der objektive Sinn (Typizität, Gefahrneigung, objektive Bezweckbarkeit, Risikoverwirklichung oder Ähnliches) entscheidet. Der finale Handlungsbegriff mag im Strafrecht seinen Platz haben (aber auch dort ist er umstritten 69 ), im Polizeirecht jedenfalls ist er unangebracht. Von hier aus ist die Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren nicht mehr plausibel. Genauso wie man bei der Verhaltenshaftung die Haftung danach beurteilt, ob sich die typischen Risiken des eigenen Verhaltens in dem gefährlichen Erfolg verwirklichen, so mag man auch für die Zustandshaftung danach entscheiden, ob sich gerade ein typisches Risiko der beherrschten Sache in der Gefahr realisiert hat. Typizität, objektive Bezweckbarkeit, Risikoverwirklichung oder wie immer man diesen objektiven Zusammenhang auch bezeichnen möchte, sind nichts, was sich nur beim Verhalten denken ließe. Wenn überhaupt, benötigt man Intentionalität nur insoweit, als das Verhalten selbst - also gerade nicht die Verursachung - willentlich bzw. willkürlich vollzogen werden muss. Das bedeutet: Bloß reflexartiges (unwillkürliches) oder mit absoluter Gewalt abgenötigtes (unwillentliches) Verhalten führen nicht zur Störerhaftung. Ob das wirklich so ist, soll hier nicht abschließend geklärt werden. Jedenfalls lässt sich auch jetzt die Parallele zu den Sachgefahren schnell finden. So kann man ohne weiteres die Bedingung aufstellen, dass der Sachherr immer nur für solche Sachen haftet, die er willentlich in seinen Herrschaftskreis eingegliedert hat. Genauso wie man beim Verhaltensstörer sagt, dass er in keinem Fall für abgenötigtes, unwillentliches Verhalten haftet, mag man für den Zustandsstörer entsprechend formulieren, dass eine Haftung für aufgedrängte, nicht willentlich in seinen Machtbereich gelangte Sachen ausgeschlossen ist. Larenz hat diese Haftung für beherrschte Sachen dann auch unter dem Stichwort der Zurechnung zum Willensbereich abgehandelt, da die Haftung „auf der Fähigkeit des Willens beruht, sich nicht nur in der Tat, sondern auch in der Herrschaft über Sachen und Sachgesamtheiten zu objektivieren, sich einen Herrschaftskreis (...) zu schaffen" 70. Das heißt: Verhaltens- und Sachgefahren unterscheiden sich nicht durch Intentionalität, sondern allenfalls durch das Intendierte, also nicht durch Existenz eines Willens, sondern durch das Bezugsobjekt des Willens. Dort wird ein Verhalten willentlich vollzogen, hier die Sache willentlich zum Teil des eigenen Machtbereichs gemacht. Die Vorstellung, dass nur Verhalten intentional sei und dass man nur hier von rechtswidriger Verursachung sprechen könne, beruht auf einem naturalistischen Missverständnis.

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Siehe etwa die Kritik amfinalen Handlungsbegriff bei Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Abschnitt 6 Rn. 8 ff. 70 Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 103 f.

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Da Psyche und Körper naturwüchsig miteinander verbunden sind, glaubt man, dass auch die rechtliche Verbindung von Intention und einer Körperbewegung (Verhalten) nur hier und nicht bei Sachen stattfinden könne. Aber es geht nicht Natur, sondern um rechtliche Zurechnung, also um soziale Konstruktionen. Und vor diesem Hintergrund können ein Verhalten und dessen Folgen genauso intendiert sein wie der Zustand einer Sache und dessen Folgen. Selbst wenn man darauf beharren wollte, dass nur Verhalten intentional ist, so ließe sich diese Intentionalität bei Sachgefahren durch eine einfache Umformulierung erreichen. Man kann nämlich alle Fälle der Haftung für Sachgefahren kurzerhand umdeuten in eine Verhaltenshaftung durch Unterlassen. Der Störer haftet dann nicht direkt für die ungesicherte Sache, sondern - über einen Umweg - für die unterlassene Sicherung der Sache.11 Wenn beispielsweise der gefährliche Zustand eines Gebäudes die Anlieger stört, dann kann man den Sachherrn unmittelbar für den gefährlichen Zustand seiner Sache in die Pflicht nehmen (Zustandsstörer), ihn aber genauso gut für das Unterlassen der gebotenen Sicherung zur Verantwortung ziehen (Verhaltensstörer durch Unterlassen). Diese Umformulierung ist natürlich noch kein Argument, aber sie ist auch mehr als nur ein „Trick". Denn in der beliebigen Austauschbarkeit von Verhaltensund Zustandshaftung scheint das oben gezeigte Missverständnis wieder durch. Psychische Operationen können Verhalten genauso steuern, wie sie über den Zustand einer Sache entscheiden. Nun wird gegen den Austausch der Zustandsin eine Verhaltenshaftung durch Unterlassen üblicherweise gesagt, dass die Pflichten des Zustandsstörers noch keine Garantenpflicht begründen, weil sonst die Trennung des Gesetzes verloren ginge. 72 Aber das setzt schon voraus, was es zu belegen gilt: dass nämlich die Pflichten bei Verhaltens- und Sachgefahren grundsätzlich verschieden formuliert werden müssen. Genau das lässt sich aber mit gutem Grund anzweifeln. Jedenfalls ist Intentionalität nichts, was einen solchen Unterschied rechtfertigen könnte.

E. Ist eine Unterscheidung sinnvoll? Die Vorstellung, dass Verhalten Herrschaft voraussetzt und dass umgekehrt Sachen Gefahren im Rechtssinn verursachen, bereitet also jedenfalls in einem stärker normativierenden Modell keine Probleme. Es muss nicht besonders betont werden, dass diese Sicht genauso wenig zwingend ist wie der stärker

71 Beye, Dogmatik, S. 44, 50. Siehe als ein Beispiel OVG Hamburg, DÖV 1983, S. 1016 f (Hamburger Sturmflut). 72 Siehe etwa v. Mutius, Jura 1983, S. 298, 302.

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„naturalistische" Ansatz, für den etwa Lepsius einsteht. Die Frage ist deshalb auch nicht, welches der Modelle „richtig" oder „falsch" ist, sondern nur, mit welchem Modell sich die Regeln der Zurechnung besser auf den Punkt bringen lassen, welches Modell also die Lage angemessener beschreibt. Hier genießt, wie ich denke, das „normative" Modell klar den Vorzug. Und zwar deshalb, weil die Trennung von Verhalten und Sachen bei der Zurechnung - in anderen Bereichen mag anderes gelten - nicht sinnvoll ist. Bereits erwähnt wurde, dass man etwa die Haftung des Verrichtungsherrn für seine Gehilfen oder die der juristischen Person für die Organe (bzw. Organwalter) überhaupt nur dann zufriedenstellend erklären kann, wenn man davon ausgeht, dass die Verbindung von Person und Verhalten genauso das Ergebnis rechtlicher Zurechnung ist wie die Relation von Person und Sache. An dieser Stelle hilft die Trennung von Verhalten und Sachen überhaupt nicht weiter. Zwei weitere und entscheidende Gründe für das hier favorisierte Modell sind aber noch nicht genannt worden: Der erste lautet, dass eine Trennung weitgehend unmöglich ist (I); der zweite, dass eine Unterscheidung, selbst wenn sie möglich sein sollte, irrelevant ist (II).

I. Die Unmöglichkeit einer Trennung Erstens ist eine Trennung in weiten Bereichen unmöglich oder jedenfalls unangemessen, weil in jeder nur im Ansatz technisierten Gesellschaft eigenes Verhalten, der Einsatz von Hilfspersonen und der Einsatz von Sachmitteln zur untrennbaren Einheit verschmelzen. Das sei zunächst an einem Beispiel verdeutlicht: Wenn eine Großanlage durch unerlaubte Emissionen die Gesundheit der Anwohner gefährdet, dann mag man für die Verantwortlichkeit des Betreibers zunächst bei dessen Verhalten ansetzen (Verhaltenshaftung, § 4 Abs. 1 M E PolG). Genau besehen wird es allerdings in den meisten Fällen so sein, dass die Gefahr nicht unmittelbar von dem eigenen Verhalten des Betreibers, sondern dem seiner Angestellten ausgeht. Deshalb muss der Betreiber dann, wenn ihm das gefährliche Handeln seiner Angestellten zuzurechnen ist, für fremdes, aber beherrschtes Verhalten geradestehen (Zusatzhaftung, § 4 Abs. 3 M E PolG). Schließlich mag man aber auch die Anlage selbst als die eigentliche Gefahrenquelle ausmachen. Der Betreiber muss sich dann nicht für sein eigenes oder das Verhalten seiner Angestellten verantworten, sondern als Eigentümer oder Besitzer der gefährlichen Anlage (Zustandshaftung, § 5 Abs. 1, 2 M E PolG). Man hat also die Wahl, ob man den Betreiber der Anlage als Verhaltens-, Zusatz- oder Zustandsstörer verpflichtet. Oft wird das im Ergebnis keinen Unterschied machen. Aber das muss nicht immer so sein. Man stelle sich etwa vor, dass die Anlage erst durch Sabotage Dritter zur Gefahrenquelle wird. Hier ist zwar eine Haftung des Betreibers

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als Gewalthaber gegeben, die Verursacherhaftung dagegen sehr fraglich. Wer meint, dass Verhaltens- und Sachgefahren ganz anderen Regeln unterliegen, muss sich jetzt entscheiden: Geht es um einen Fall der Verhaltenshaftung oder handelt es sich bei dem Betrieb um eine „mit personalen Elementen angereicherte" Besitzkategorie 73, welche den Regeln der Gewalthaberhaftung folgt? Kann man in diesen und ähnlichen Fällen jeweils fragen, ob der Schwerpunkt auf dem Verhalten oder der Sache liegt, oder soll man den Inhaber im Zweifel sogar kumulativ als Verhaltensstörer und als Zustandsstörer heranziehen? Darauf lässt sich nur eine zufriedenstellende Antwort geben; nämlich dass es auf die Abgrenzung von Verhaltens- und Sachgefahren gar nicht ankommt. Ganz gleich, ob das Betreiben der Anlage (also ein Verhalten) oder die betriebene Anlage (also eine Sache) im Blickpunkt steht - die Regeln der Zurechnung müssen in beiden Varianten identisch sein. Der Grund für diese Gleichbehandlung liegt nicht nur darin, dass die Grenzen zwischen Verhaltens- und Sachgefahren oft fließend und nur schwer zu bestimmen sind. 74 Das ist eine Schwierigkeit jeder juristischen Begriffsbildung und noch kein Grund, eine Unterscheidung, so sie denn plausibel ist, aufzugeben. Vielmehr liegt der Grund darin, dass eine Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren nicht mehr sinnvoll ist. Denn mit zunehmender Technisierung wird Verhalten in nahezu allen Bereichen durch Sachmittel unterstützt oder ersetzt. Handeln kann deshalb nicht nur den Vollzug einer Körperbewegung meinen - das wäre vielleicht der richtige Handlungsbegriff für eine vorindustrielle Gesellschaft sondern die ständig wiederholte Sequenz von Körperbewegung und dem Einsatz von Sachmitteln. Der Betrieb einer Anlage, die Teilnahme am Straßenverkehr, die Herstellung von Produkten - in fast allen Bereichen, wo Gefahren entstehen, wird man Verhalten und Sachen nur gemeinsam als Ursache ausmachen können. Sollte man sich dann wirklich abmühen, eine Handlungseinheit, so das überhaupt gelingt, in Verhaltens- und Sachgefahren aufzuspalten und dann auf beide Bereiche unterschiedliche Regeln anzuwenden? Wer das versucht, wird sich dabei wiederfinden, eine Einheit aufzubrechen, deren einzelne Stücke er dann willkürlich dem einen oder anderen Zurechnungssystem zuordnen muss. Die richtige Lösung muss deshalb sein, Verhaltens- wie Sachgefahren nach den gleichen Regeln zu beurteilen. Paradigmatisch ist der zuvor genannte Fall der Betreiberhaftung. Hier finden eigenes Handeln, das Handeln Dritter (der Gehilfen) und der Einsatz von Sachmitteln zusammen, ohne dass noch sinnvoll zu trennen wäre, für welchen Teil der insgesamt gefährlichen Organisation man jeweils haftet. Gewiss, wer strikt zwischen Verhaltens- und Sachgefahren 73

Lepsius, Besitz, S. 3. Scholz-Forni, VerwArch. 30 (1922), S. 11,17 f; Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457,460; Vieth, Rechtsgrundlagen, S. 32. 74

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Zweiter Teil: Zur Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren

trennt, kann in dem Begriff des Betreibers nur einen Fehlgriff sehen. So schreibt Lepsius: „Das Dilemma des Betreiberbegriffs besteht darin, daß er trotz seines auf die Anlage bezogenen, gegenständlichen Zwecks als Handlungsbegriff formuliert ist." 75 Dagegen denke ich: Es ist gerade das Dilemma des Handlungsund Störerbegriffs, dass er trotz der selbstverständlichen Technisierung weiter zwischen Verhalten und Sachen trennen will. Der Fehler liegt deshalb nicht bei dem Begriff des Betriebs bzw. des Betreibers, er muss bei dem gängigen Störerbegriff gesucht werden. Wenn das Gesetz bei der Betreiberhaftung und in anderen Fällen nicht mehr zwischen Verhaltens- und Sachgefahren trennt, so ist das keine Gedankenlosigkeit des Gesetzgebers, sondern der Einsicht geschuldet, dass alle Teile des eigenen Machtbereichs untrennbar verzahnt sind und jede Trennung willkürlich wäre. Diese Verzahnung von Verhalten und Sacheinsatz lässt sich an verschiedenen Stellen beobachten. Sie zeigt sich etwa daran, dass sich beides, Verhalten und der Einsatz von Sachen, oft beliebig gegeneinander austauschen lassen. Es ist dann lediglich eine Frage des technischen Fortschritts und der zufälligen Binnenorganisation, inwieweit Verhalten durch Sachen ersetzt wird. Ob zum Beispiel in einem Betrieb die unerlaubte Ruhestörung der Anlieger von den Arbeitern ausgeht (Verhaltenshaftung) oder die gleiche Arbeit bei gleichem Lärmpegel von Maschinen geleistet wird (Zustandshaftung), mag vielleicht den Unternehmer interessieren, der seinen Betrieb intern organisiert, aber kaum die Polizei, welche gegen Gefahren einschreiten muss, die aus diesem Betrieb nach außen dringen. Oder sollte hier der Haftungsmaßstab wirklich davon abhängen, ob sich der Betreiber aus innerorganisatorischen Gründen dafür entscheidet, Maschinen statt Personen einzusetzen? Wer an der Trennung von Verhaltenshaftung und Zustandshaftung festhält und für jeden Bereich andere Regeln anwendet, wird das tun müssen. Die enge Verbindung von Verhalten und Sachen im eigenen Organisationskreis bringt es auch mit sich, dass man die meisten Verhaltensgefahren ohne weiteres als Sachgefahren umformulieren kann und umgekehrt. Damit droht die Entscheidung über das Zurechnungskriterium (Gewalthaber- oder Verursacherhaftung) jeweils an die zufällige Formulierung gebunden zu werden. Beispiele: Ob der Betrieb einer Anlage (Verhalten) oder die betriebene Anlage (Sache), ob das Beschleunigen eines Fahrzeugs (Verhalten) oder das beschleunigte Fahrzeug selbst (Sache), ob die Herstellung eines fehlerhaften Produkts (Verhalten) oder das hergestellte, fehlerhafte Produkt (Sache) oder ganz allgemein, ob die unterlassene Sicherung der Sache oder die ungesicherte Sache die Gefahr verursacht, dürfte ein Streit um Worte sein, der von der Frage nach der richtigen Haftungsregel tunlichst zu trennen ist. 75

Lepsius, Besitz, S. 349.

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I I . Die Irrelevanz einer Trennung Lässt man einmal die Möglichkeit beiseite, jede Haftung für Sachgefahren als Verhaltenshaftung durch Unterlassen zu formulieren, mögen Fälle übrigbleiben, in denen man noch klar zwischen Verhaltens- und Sachgefahren trennen kann. Wird etwa der morsche Baum oder das baufällige Gebäude zur Gefahrenquelle, kann man sagen, dass hier jeweils nur eine Sache die Gefahr auslöst. Und wenn jemand mit seinem Körper einem anderen den Durchgang versperrt (Beispiel: Sitzblockade), so ist für diese Störung nur das eigene Verhalten - der Zustand des eigenen Körpers - ursächlich. Eine Trennung von Verhalten und Sachen mag also wenigstens in einigen, wenigen Bereichen möglich sein. Hier kommt das zweite Argument gegen eine Unterscheidung von Verhaltens- und Sachgefahren ins Spiel: Selbst wenn eine Trennung von Verhalten und Sachen möglich ist, bleibt sie für die Zurechnung im Polizeirecht irrelevant. Warum sollte sich das Polizeirecht bei der Zurechnung darum kümmern, ob die Gefahr von einem Verhalten oder aber von einer Sache ausgeht, solange jedenfalls feststeht, dass die Gefahr mit dem eigenen Herrschaftskreis in Verbindung gebracht werden kann? Das Polizeirecht interessiert nur, ob der eigene Herrschaftskreis gefährlich oder ungefährlich organisiert wird. Der Rest ist eine Frage der zufälligen Binnenorganisation des Störers. Insoweit kann man sich den Herrschaftskreis als black box denken, bei der man die Frage ausblendet, wie die Gefahr entsteht (durch eigenes Verhalten oder durch eigene Sachen) und nur interessiert, dass der eigene Herrschaftskreis zurechenbar beteiligt ist. 76 Für die Zurechnung von Gefahren oder Störungen muss die Trennung von Verhalten und Sachen immer ganz äußerlich, formal bleiben. 77 Zur Sphäre der Person gehört eben nicht nur der eigene Leib, sondern gehören alle Güter, welche diese Person um sich schart und die ihr besonders zugewiesen sind. Entsprechend ist Handeln im Rechtssinn nicht nur das Verhalten - der Vollzug einer Körperbewegung - , sondern jeder Output des eigenen Machtbereichs, womit alle von dem eigenen Verhalten, dem Verhalten einer Hilfsperson oder aber von den beherrschten Sachen ausgehende Wirkungen erfasst sind. Riskantes Handeln meint folglich nicht nur die Verursachung von Risiken durch Verhalten, sondern generell jeden riskanten Output des eigenen Machtbereichs. 78 Eine Einteilung des Haftungssystems nach Verhaltens- und Sachgefahren ist zwar unschädlich, solange man sich darauf beschränkt, damit verschiedene Er76

Für das Polizeirecht schon Otto Mayer, Verwaltungsrecht, S. 221. Ihm folgend Schneider, JZ 1953, S. 240, 241. 77 So schon Hurst, AöR 83 (1958), S. 43, 74; Vieth, Rechtsgrundlagen, S. 32, 94. 78 Siehe dazu für die strafrechtliche Zurechnung sehr klar Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Abschnitt 29 Rn. 29 ff.

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scheinungsformen ein- und desselben Prinzips aufzuzählen. Sie wird aber zum Problem, wenn man an die formale Trennung von Verhalten und Sachen eine materielle Unterscheidung koppelt, wie die von Verursacher- und Gewalthaberhaftung. Wo das geschieht, wo formale und materielle Einteilungen verknüpft werden, sind Wertungsbrüche schon im System angelegt. Der Streit um die Grenzen der Zustandshaftung ist nicht zuletzt die Folge dieser Verknüpfung von zwei Einteilungen, die nicht zusammenpassen. In der hier befürworteten Gleichbehandlung lässt sich schwerlich eine „falschverstandene Sehnsucht nach Einheitlichkeit" 79 wiederfinden. Denn die These ist ja nicht, dass man im Polizeirecht ohne Unterscheidungen auskommen könnte und schon gar nicht, dass man alle Wertungsprobleme mit einer einfachen Formel lösen könnte. Sie lautet, dass man mit dieser Einteilung (Verhaltensgefahr - Sachgefahr; Verhaltensstörer - Zustandsstörer) nicht zurechtkommen kann. Der Schnitt muss an eine andere Stelle verlegt werden. Die für das Polizeirecht maßgebliche Trennlinie verläuft nicht zwischen Verhaltensund Sachgefahren, sondern - um nur eine Unterscheidung zu nennen80 - quer hierzu, zwischen der normal riskanten und der besonders riskanten Gestaltung des eigenen Herrschaftskreises. Das Polizeirecht wird sich an der Gefahrentendenz einer Handlung orientieren (Ist das Vorgehen besonders riskant?), nicht aber an der äußeren Gestalt einer Handlung (Ist ein Verhalten oder eine Sache beteiligt?). Oder anders formuliert: Nicht das Sachrisiko, sondern das Sonderrisiko, die Schaffung eines besonderen Risikopotenzials muss nach anderen Zurechnungsregeln beurteilt werden. An dieser Stelle mag man einwenden, dass die angedeutete Einteilung in normal riskantes und besonders riskantes Handeln letztendlich auf die Unterscheidung von Verhalten und Sachen hinauslaufe. Daran ist richtig, dass Sonderrisiken häufig dort anzutreffen sind, wo das eigene Verhalten maschinell verstärkt wird und deshalb besondere Risiken erzeugt. Wenn man etwa den Betrieb einer industriellen Anlage, die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr oder das Hantieren oder Lagern von Sprengstoffen als besonders riskant einstuft, so deshalb, weil die verwendeten Maschinen und Stoffe (Sachen) Kräfte freisetzen, die durch einfache Muskelkraft (Verhalten) nie erzeugt werden könnten. Das heißt: Sonderrisiken fallen oft mit Sachgefahren zusammen. Aber das muss nicht so sein. Zum einen gibt es Sachen, die wie etwa das unbebaute Grundstück oder ein genehmigungsfreies Bauwerk nach der Wertung des Gesetzes keine besonderen Risiken begründen. Zum anderen gibt es Verhaltensweisen, die - man denke etwa an Großveranstaltungen - besondere Risiken erzeugen. Die Unterscheidung von Verhalten und Sachen hat also mit der Einteilung von normal ris79 80

So die Kritik bei Lepsius, Besitz, S. 248. Dazu genauer unten, 4. Teil und 5. Teil.

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kantem und besonders riskantem Handeln prinzipiell nichts zu tun. Aber selbst wenn man für den Moment einmal unterstellen wollte, dass beide Einteilungen in eins fielen, Sachgefahren also immer als Sonderrisiken behandelt werden müssten, was wäre dann die Folge? - Jedenfalls keine Gewalthaberhaftung für Sachen. Denn wenn von einer Sache besondere Risiken ausgehen, so wird das Recht hierauf mit einer Gefährdungshaftung reagieren müssen, nicht aber mit einer Gewalthaberhaftung. Damit ist aber schon das nächste Problem angeschnitten, ob und inwieweit die Gewalthaberhaftung noch einen Platz bei der Störerhaftung hat. Das ist das Thema des jetzt folgenden dritten Teils.

Dritter Teil

Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung: Abkehr von der Haftung für Herrschaft Nach dem Gesagten steht eines fest: Die formale Einteilung von Verhaltens- und Zustandshaftung bzw. von Verhaltens- und Sachgefahren verläuft quer zu der materiellen Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung. Die Zurechnung von Verhaltens- und Sachgefahren muss deshalb den gleichen Regeln folgen - welche das sein müssen, wurde bis jetzt noch nicht geklärt. Zur Beantwortung dieser Frage werden im Wesentlichen die beiden schon genannten Zurechnungsmodelle angeboten: die Haftung des Verursachers und die des Gewalthabers. Das erste der beiden Zurechnungsprinzipien - die Haftung für Verursachung - bereitet dabei weniger Probleme. Hier könnte man sich zwar an der Bezeichnung als „Verursacherhaftung" stören, weil es ja gerade nicht um kausale, sondern um rechtliche Zuschreibung geht. Doch würde damit nur ein Streit um Worte eröffnet. In der Sache herrscht weitgehend Einigkeit, dass mit Verursachung ein rechtlicher Zurechnungsschritt bezeichnet wird und gerade keine naturgesetzliche Verbindung. Diese - rechtliche - Verbindung lässt sich dann etwa wie folgt umschreiben: Störer ist, wer ein rechtlich relevantes Risiko schafft, das sich in der Gefahr realisiert. Verursachung meint also, auf eine einfache und geläufige Formel gebracht, Risikoschaffung plus Risikorealisierung. Was sich dahinter verbirgt, welche Wertungen noch einfließen müssen - Adäquanz, Sozialadäquanz, Unmittelbarkeit oder etwas Anderes - , wird später im fünften Teil zu klären sein. Doch sind das Einzelheiten, die zwar nicht zu vernachlässigen sind, die aber das Grundprinzip nicht in Frage stellen. Die eigentlichen Probleme beginnen bei dem zweiten Zurechnungsprinzip: der Haftung für Herrschaft. Die Grundidee der sogenannten Gewalthaberhaftung lautet zunächst wie folgt: Wer die Herrschaft über die eine Sache hat, der trägt auch die Verantwortung für alle an der Sache „hängenden" Gefahren. Dieser einfache Grundgedanke ist in Theorie und Praxis an vielen Stellen beschränkt, durchbrochen oder korrigiert worden. Vor allem der Streit um die Altlastenhaftung des Grundeigentümers oder Grundbesitzers hat die Diskussion über die Grenzen der Gewalthaberhaftung bis zur Einführung des Bodenschutzgesetzes in Gang gehalten. Die Lösungsvorschläge sind zahlreich: Teils hat man Verursachungsanteile berücksichtigt, teils das Wissen oder Wissenmüssen um

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

die Gefahr. Darüber hinaus ist die Haftung in besonderen Härtefällen auf das Maß des Zumutbaren beschränkt und der Verkehrswert des haftenden Grundstücks als feste - oder variable - Grenze des Zumutbaren angesehen worden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Zustandshaftung für Altlasten die meisten dieser Kriterien kurzerhand zusammengefasst und aufeinander abgestimmt.1 An dieser Stelle können und sollen die vielen Ansätze zur Korrektur der Gewalthaberhaftung nicht noch einmal aufgegriffen werden. Nicht nur, weil dies auf eine Wiederholung von Altbekanntem hinausliefe, sondern auch, weil die Überlegungen anders ansetzen: Sie konzentrieren sich weniger auf die Versuche zur Beschränkung des Grundgedankens als auf das Grundprinzip selbst. Die Frage lautet: Handelt es sich bei der Gewalthaberhaftung um ein im Großen und Ganzen richtiges Prinzip, dem man lediglich durch viele Korrekturen im Einzelfall seine Schärfe nehmen muss - oder setzt die Haftung für Herrschaft schon im Ansatz falsch an? Trotz aller Meinungsunterschiede scheint man sich insofern im Kern weitgehend einig zu sein: Die Gewalthaberhaftung wird zwar in ihrer Reinform als zu weitgehend abgelehnt.2 Gleichwohl will man allen Korrekturen zum Trotz aber am Grundprinzip der Gewalthaberhaftung festhalten. 3 Ist das richtig?

1

BVerfGE 102, S. 1, 19 (Verfassungsmäßigkeit der Gewalthaberhaftung für Altlas-

ten). 2

Allerdings nähert sich Lepsius, Besitz, S. 219 ff; ders., JZ 2001, S. 22 f, dem Idealtyp der Gewalthaberhaftung wieder deutlich an. 3 So im Grundsatz BVerfGE 102, S. 1, 19 (Verfassungsmäßigkeit der Gewalthaberhaftung für Altlasten); BVerwG, NJW 1999, S. 231 (Haftung des Eigentümers für Felsabgänge); BVerwGE, 106, S. 43, 45 f (Haftung des Eigentümers für Abfälle, die bei Hochwasser auf sein Grundstück gespült worden sind); BVerwG, DVB1. 1986, S. 360, 361 (Flughafensicherung gegen terroristische Anschläge); OVG Koblenz, DVB1. 1998, S. 103, 104 (Sicherung eines Felsgrundstücks gegen Steinschlag bei heranrückender Bebauung); OVG Münster, NVwZ 1997, S. 507 (Haftung des Rechtsnachfolgers eines Rüstungsunternehmens für Altlasten); OVG Münster, DVB1. 1989, S. 1009, 1010 (Haftung einer Gemeinde für Mineralölabfälle); VGH Mannheim, NVwZ 1986, S. 325 f (Haftung des Rechtsnachfolgers einer chemischen Reinigung für Altlasten); VGH München, NVwZ 1986, S. 942, 944 (Haftung des Rechtsnachfolgers einer chemischen Fabrik für Altlasten); VGH Mannheim, NuR 1985, S. 70, 71 (Haftung des Grundstückseigentümers für rechtswidrige Nutzung durch Dritte); OVG Münster, NJW 1980, S. 956 (Maulkorbpflicht für Hunde); OVG Münster, OVGE 19, S. 101, 104 (Haftung des Grundstückseigentümers für Verunreinigungen nach einem Tanklastunfall); OVG Berlin, DÖV 1954, S. 214 f, 216 f (Sicherung von Kriegsruinen). Siehe ferner in der Literatur statt vieler Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 319 f, 322; Papier, Altlasten, S. 49; Schock. JuS 1994, S. 1026; Spannowski, DVB1. 1994, S. 560, 561.

Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

Ich beginne mit einem Beispiel: Jemand erhält mit der morgendlichen Post einen mit giftigen Sporen manipulierten Brief. Die Gefahr wird rechtzeitig bemerkt, hat aber einen aufwändigen Großeinsatz zur Folge, bei dem erhebliche Kosten anfallen. In diesem Fall ist eine Frage leicht, eine zweite dagegen sehr schwer zu beantworten. Unproblematisch ist die Frage der Herrschaft: Der Empfänger des Briefes übt die Gewalt über die Gefahrenquelle aus. Zwar mag man darüber streiten, ob der Empfänger zivilrechtlicher Eigentümer oder Besitzer geworden ist. Aber auch wenn man beides verneinen will, ist der Empfänger der Post jedenfalls in einem für das Polizeirecht genügenden Sinn 4 tatsächlicher Sachherr des gefährlichen Briefes, den er zusammen mit der anderen Post in seinen Herrschaftskreis eingegliedert hat. Sehr viel weniger klar ist dagegen die Frage der Verantwortung: Richtig ist wohl, dass der Sachherr in dem genannten Beispiel die Last der aus seiner Sicht zufälligen, also von Dritten verursachten Schäden trägt. Diese Schäden mögen etwa dadurch entstehen, dass Teile seiner Einrichtung unbrauchbar oder zerstört werden. Es gilt dann die bekannte Regel casum sentit dominus. Aber damit ist über die Störerhaftung noch nicht entschieden. Denn es ist ja gerade die Frage, ob den Sachherren neben der Gefahrtragung auch die Gefahrenverantwortung trifft, ob er also nicht nur Geschädigter, sondern auch Störer ist. Reicht die bloße Sachherrschaft insoweit tatsächlich aus, um dem Empfänger des Briefes die volle Haftung für die Beseitigung der Gefahr aufzuerlegen? Das muss man meines Erachtens verneinen, und zwar nicht nur für das erwähnte Beispiel, sondern generell. Die Gewalthaberhaftung krankt nicht nur an einzelnen Stellen, sondern setzt schon im Ansatz falsch an. Denn die Herrschaft über eine gefährliche Sache (oder über ein gefährliches Verhalten) als solche erzeugt noch keine Verantwortung. Vielmehr muss an die Stelle der äußeren Verbindung von beherrschter Sache und Gefahrenquelle eine „innere" - stärker normative - Verbindung von Person und Gefahr treten. Der Gedanke einer Haftung für Herrschaft muss abgelöst werden durch eine Haftung nach Risikosphären, und dies nicht nur punktuell, sondern auf der ganzen Linie.

4

Besitzwille wird insoweit nicht für erforderlich gehalten: BVerwGE 67, S. 8, 12 (Haftung für Ablagerungen Dritter auf dem Grundstück); BVerwGE 106, S. 43, 45 f (Haftung des Eigentümers für Abfälle, die bei Hochwasser auf sein Grundstück gespült worden sind).

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

A. Die Gewalthaberhaftung und ihre Schwächen I. Die Grundregel der Gewalthaberhaftung Wie erwähnt, geht die Gewalthaberhaftung zunächst von einer einfachen Grundregel aus: Störer ist derjenige, in dessen Machtbereich sich die Quelle der Gefahr befindet. Das bedeutet: Innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs muss der Inhaber für alle Erfolge (Gefahren) haften, und zwar auch dann, wenn diese aus seiner Sicht ganz zufällig, etwa durch das Zutun Dritter, den Weg in den eigenen Machtbereich finden. Außerhalb des räumlich-gegenständlichen Bereichs wird dagegen für keine Gefahr gehaftet, und zwar auch dann nicht, wenn die Gefahr eine typische Folge der Risiken des eigenen Lebensbereichs ist. Die räumlich-gegenständlichen Grenzen des eigenen Herrschaftsbereichs sind zugleich die Grenzen der Verantwortlichkeit. Herrschaftskreis und Verantwortungskreis fallen in eins. Beispiele: Wenn das Produkt eines Herstellers noch vor seiner Auslieferung zur Gefahr wird, weil unbekannte Dritte es manipuliert haben oder wenn eine Anlage durch den mutwilligen Eingriff von außen Gefahren verursacht, dann muss der Gewalthaber in beiden Fällen für die Beseitigung der Gefahr geradestehen - so jedenfalls die Logik der Gewalthaberhaftung. Umgekehrt wird der Produzent eines fehlerhaften Produkts immer nur bis zum Verlust der eigenen Herrschaft, also etwa bis zur Auslieferung oder Veräußerung seiner Ware haften, die Haftung des Anlagenbetreibers für gefährliche Emissionen endet an den Mauern seines Betriebs, die des Grundstückseigentümers an den Grenzen seines Grundstücks - so die Wertung, wenn man Herrschaft und Haftung in eins setzt, Herrschaftskreis und Verantwortungssphäre also genau an der gleichen Stelle beginnen und enden. Die Folge ist, dass die Zurechnung - jedenfalls in der Theorie - von allen Überlegungen der Verursachung (oder allgemeiner: der Risikoverteilung) gelöst wird. Ob die Gefahrenquelle durch eigenes Zutun, ob sie von fremder Hand oder durch Natureinflüsse in Kontakt mit dem Herrschaftskreis gekommen ist, spielt keine Rolle, und zwar selbst dann nicht, wenn erst rechtswidriges Handeln Dritter oder katastrophale Umwelteinflüsse zur Gefahr führen. 5 Schon seit den frühen Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts findet sich so auch der Satz, dass der Eigentümer seine Sachen von Gefahren freizuhalten habe „ohne Rücksicht darauf, ob er für seine Person dieselben verschuldet hat, oder ob sie auf die Einwirkung eines Dritten oder auf einen Zufall zurückzuführen sind" 6 . Damit wird die Zurechnung des Polizeirechts 5

Statt vieler Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 320. So die wiederholte Formulierung seit PrOVGE 7, S. 348, 351 (Zuschütten eines gesundheitsgefährdenden Gewässers). 6

A. Die Gewalthaberhaftung und ihre Schwächen

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nicht nur vom (subjektiven) Verschulden, sondern auch von der (objektiven) Verursachung gelöst. Hierzu nochmals einige Beispiele: Der unerlaubte Anbau genbehandelten Getreides führt zur Kontamination der umliegenden Felder und zwingt den Nachbarn, sein konventionell angebautes, nunmehr verseuchtes Getreide zu vernichten. 7 Dritte besprühen eine Hauswand mit ausländerfeindlichen Parolen oder hinterlassen auf einem privaten Waldgrundstück Müll. 8 Das eigene Fahrzeug wird von Dritten gestohlen und dann am Straßenrand liegen gelassen. Bei einem Hochwasser werden die von Dritten nachlässig gelagerten Chemikalien und Abfälle auf das eigene Grundstück gespült.9 - Man könnte die Reihe der Beispiele beliebig fortsetzen, ohne dass sich aus Sicht der Gewalthaberhaftung im Ergebnis etwas ändern würde: Sobald sich die Gefahrenquelle an die beherrschte Sache „geheftet" hat, muss der jeweilige Sachherr die Gefahr ohne Rücksicht auf seinen Anteil an der Verursachung beseitigen. Trotz dieser sehr scharfen Trennung von Gewalthaber- und Verursacherhaftung heißt es in der Literatur oft, dass auch bei der Zustandshaftung der Gedanke der „unmittelbaren Verursachung" zum Tragen komme. 10 Allerdings findet sich dann bei den gleichen Autoren regelmäßig auch der Satz, dass der Zustandsstörer gerade auch für solche Gefahren einstehen müsse, die durch höhere Gewalt, Naturkatastrophen oder das (rechtswidrige) Verhalten Dritter entstehen.11 Mit anderen Worten: Im Rahmen der Zustandshaftung sollen auch und gerade solche Gefahren zugerechnet werden können, die - in einem normativen Sinn - nur mittelbar von dem Sachherrn verursacht worden sind. Offensichtlich wird hier der Begriff der Unmittelbarkeit bei Verhaltens- und Zustandshaftung jeweils mit verschiedenen Wertungen gefüllt: Im ersten Fall deutet man den Topos der Unmittelbarkeit weitgehend normativ (Verursachung im Rechtssinn); im zweiten Fall meint Unmittelbarkeit vor allem die räumliche und zeitliche Nähe der eigenen Sache zur Gefahrenquelle (Herrschaft). Die Rede von der Unmittelbarkeit liefert damit im Ergebnis nicht mehr als einen gemeinsamen Namen (Unmittelbarkeit) für zwei verschiedene Begriffe der Zurechnung (Ver7 Vgl. OVG Münster, NVwZ 2001, S. 110 ff (Genehmigungspflicht für das Inverkehrbringen von konventionellem Raps, der sich mit genbehandeltem Raps auf dem Nachbarfeld ausgekreuzt hat), mit Anmerkung Müller-Terpitz, NVwZ 2001, S. 46 ff; Friedrich, NVwZ 2001, S. 1129, 1130. 8 BVerwGE 67, S. 8, 12. Speziell zu diesem Problem Grundmann, „Wilder Müll". 9 Vgl. BVerwGE 106, S. 43,45 f (Haftung des Eigentümers für Abfälle, die bei Hochwasser auf sein Grundstück gespült worden sind). 10 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 318 f; Schock, JuS 1994, S. 932, 937. Vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 268. 11 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 320 f; Schoch, JuS 1994, S. 1026. So grundsätzlich auch Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 271, der sich jedoch mit seinen weiteren Überlegungen zur Risikoverteilung deutlich von einem reinen Gewalthabermodell absetzt (Rn. 271 ff).

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

ursachung hier; Herrschaft dort). In der Sache bleibt es bei der grundsätzlichen Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung. Bisweilen hat man diese Gewalthaberhaftung als Gefährdungshaftung beschrieben. 12 Aber das ist zumindest irreführend. Denn der Gewalthaber muss ja gerade nicht nur für seine besonders riskanten Sachen und auch nicht nur für die damit verbundenen spezifischen Risiken eintreten. Er haftet schlicht für alle Gefahrenquellen, die man - zufällig oder typischerweise - in seinem Machtbereich findet. Die Person steht damit nicht für ein besonderes Gefahrenpotenzial ein, sondern für die Herrschaft als solche. Auch die Beschreibung der Gewalthaberhaftung als Erfolgshaftung trifft nicht den Kern. Denn es ist nicht der Erfolg als solcher, sondern die Herrschaft, welche zur Haftung führt. Die Haftung ist also nicht erfolgs-, sondern herrschaftsbezogen. Will man die Gewalthaberhaftung auf eine Formel bringen, so charakterisiert man sie am besten als eine auf den räumlich-gegenständlichen Machtbereich begrenzte Zufallshaftung. Mit einer Verursacher-, einer Gefährdungs- oder einer reinen Erfolgshaftung ist diese Haftung für Herrschaft nicht zu vergleichen.

I I . Brüche im System der Gewalthaberhaftung Trotz der strikten Trennung von Verursacher- und Herrschaftshaftung kommen auch die Verfechter der Gewalthaberhaftung nicht umhin, beide Haftungssysteme im Bereich der Sachgefahren miteinander zu kombinieren. Der Grundsatz, dass Verhaltensgefahren nur dem Verursacher und Sachgefahren nur dem Gewalthaber zugerechnet werden, wird nicht durchgehalten. Statt dessen werden mit der Verursacher- und der Gewalthaberhaftung zwei grundverschiedene Zurechnungsprinzipien aneinandergefügt. Die vorhersehbare Folge sind Wertungsbrüche, die vor allem an zwei Stellen auftreten: Verursacher- und Gewalthaberhaftung werden einmal dort kombiniert, wo jemand für die typische, aber nicht mehr beherrschte Folge seiner Sache einsteht: Solange sich die gefährliche Sache im eigenen Herrschaftskreis befindet, haftet der Sachherr nach den Regeln der Gewalthaberhaftung, also ohne Rücksicht auf Verursachung. Hat die Sache aber den eigenen Machtbereich verlassen, soll sich die ursprüngliche Gewalthaberhaftung als Verursacherhaf12 Bei Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 103 f, werden Gewalthaber- und Gefährdungshaftung als Fälle der „ Z u r e c h n u n g zum Willensbereich" zusammengefasst. Dagegen zu Recht Lesch, Verbrechensbegriff, S. 132 ff. Zumindest missverständlich ist auch die Charakterisierung der Zustandshaftung als „rigorose Gefährdungshaftung" bei Ossenbühl, VVDStRL 35 (1977), S. 345, 346 (Diskussionsbeitrag); vgl. auch Quaritsch, DVB1. 1959, S. 455,459.

A. Die Gewalthaberhaftung und ihre Schwächen

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tung fortsetzen (Haftung für verursachte Folgegefahren). Beispiel: Wenn das auf einem fremden Grundstück gelagerte Öl aus den Behältern ausläuft und dann im Grundwasser versickert, dann ist damit zwar die Herrschaft über die Gefahrenquelle, nicht aber die Verantwortung des Eigentümers beendet. Dieser haftet auch weiterhin für die von ihm verursachten Folgen.13 Der Zurechnungsmodus wird also von der Gewalthaber- auf die Verursacherhaftung umgestellt, sobald die eigene Herrschaft beendet ist. Ob man dabei sagt, dass der Eigentümer für die typischen Folgen seiner Sache einsteht oder sich für ein Verhalten verantworten muss (nämlich das Unterlassen der gebotenen Sicherung), ist, wie bereits erwähnt 14, ein Streit um Worte. Jedenfalls will man auch bei Sachrisiken die Gewalthaberhaftung durch die Verursacherhaftung erweitern und auf diese Weise beide Prinzipien miteinander kombinieren. Das Erstaunliche daran ist nun - und hier liegt der erste Wertungsbruch - , dass diese Kombination von Gewalthaber und Verursacherhaftung einseitig bleibt: Die Verursacherhaftung soll die Gewalthaberhaftung erweitern, aber nicht beschränken. Das führt zu dem überraschenden Ergebnis, dass bei fehlender Herrschaft die gegebene Verursachung belastet (von der eigenen Anlage gelangen Stoffe auf das Nachbargrundstück), dass aber umgekehrt bei gegebener Herrschaft die fehlende Verursachung nicht entlastet (von dem Nachbargrundstück gelangen Schadstoffe auf das eigene Grundstück). Man akzeptiert also die Konsequenzen der Gewalthaberhaftung immer nur in eine Richtung: nämlich zu Lasten des Bürgers. Warum das so sein soll, wird nicht erklärt. Die Brüche, welche dort entstehen, wo Verursacher- und Gewalthaberhaftung kombiniert werden, treten noch an einer anderen Stelle zu Tage. Gedacht ist an den Fall, dass eine Gefahr erst durch das Zusammenwirken verschiedener Gefahrenquellen verursacht wird, die jeweils in einem anderen Machtbereich liegen (.Haftung für kumulativ verursachte Gefahren). Überlegungen der Verursachung sind an dieser Stelle unumgänglich. Das sei an einem bekannten Beispiel erläutert: Wenn Terroristen in einem Kaufhaus einen Sprengsatz installieren, dann ist der Fall für die Gewalthaberhaftung noch klar. Der Inhaber des Kaufhauses muss als tatsächlicher oder sogar rechtlicher Sachherr (§§ 946 ff BGB) die Gefahr auf seine Kosten beseitigen. Er ist nach den Regeln der Gewalthaberhaftung genauso Störer wie es die Terroristen sind, welche den Anschlag ins Werk setzen. Der Fall bereitet den Vertretern der Gewalthaberhaftung keine Probleme, weil beide der möglichen Gefahrenquellen (Kaufhaus einerseits und Sprengsatz andererseits) sich in der Herrschaft ein- und derselben Person befinden. Schwierig zu lösen wird der Fall aber in der folgenden Variante: Die Terroristen entscheiden sich, den Sprengsatz nicht im Gebäude 13 14

Vgl. OVG Hamburg, DÖV 1983, S. 1016 f (Hamburger Sturmflut). Oben, 2. Teil D.

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

selbst, sondern in einem Auto direkt vor dem belebten Eingang des Kaufhauses zu deponieren. Die Gefahrenlage ist hier zunächst genau die gleiche. Und doch hat sich die Situation aus Sicht der Gewalthaberhaftung grundlegend geändert: Denn der Inhaber des Kaufhauses ist jetzt nicht mehr Sachherr der eigentlichen Gefahrenquelle (des Sprengsatzes), sondern nur Gewalthaber der allenfalls mittelbar gefährlichen Sache (des Kaufhauses). Die Frage ist dann, ob die Gefahr hier nur von dem Sprengsatz selbst ausgeht, oder aber auch von dem Kaufhaus, das nicht nur Käufer, sondern eben auch Terroristen anziehen kann. Das ist der Punkt, an dem wieder die Verursacherhaftung ins Spiel kommt. An die Stelle der äußeren Verbindung von Sache und Gefahrenquelle (Herrschaft) tritt jetzt unvermittelt die Suche nach dem „inneren Zusammenhang"15 zwischen Gefahr und Sache (Risikoverteilung). Nun ließe sich auch hier einwenden, dass es in Wirklichkeit um einen Fall der Verhaltenshaftung durch Unterlassen gehe, der mit der Zustandshaftung nichts zu tun hat. 16 Das kann man so sehen. Doch ist mit der Umformulierung der Zustands- in eine Verhaltenshaftung der entstehende Wertungsbruch nur verdeckt, nicht aber aufgelöst: Er liegt darin, dass die Haftung für ein identisches Risiko (Eröffnung eines öffentlichen Verkehrs) nach ganz verschiedenen Regeln (Gewalthaber- oder Verursacherhaftung) beurteilt werden soll, je nachdem, wo die Gefahrenquelle zufällig zu finden ist. Sollte der Inhaber des Kaufhauses wirklich nach anderen Regeln haften, je nachdem, ob sich die Terroristen nun entschließen, den Sprengsatz in dem Kaufhaus oder vor dessen Toren auf der Straße zu installieren? Hierfür lässt sich, wie ich denke, kein einleuchtender Grund finden. Die maßgebliche Frage lautet nicht: Befindet sich der Sprengsatz innerhalb (dann Gewalthaberhaftung) oder außerhalb des Gebäudes (dann Verursacherhaftung)? Denn das ist, wie gesehen, eine von vielen Zufällen abhängige Entscheidung, die den Sachherrn weder be- noch entlastet. Vielmehr muss man fragen: Gehören terroristische Angriffe noch zu dem vom Betreiber einer öffentlichen Anlage geschaffenen Risiko? Im letzten Fall kann man entweder zu dem Ergebnis kommen, dass die Gefahr terroristischer Anschläge noch zu diesem Risiko zählt, und den Inhaber in beiden Varianten für die Gefahr verantwortlich machen. Oder man entscheidet sich, solche Risiken aus der Risikosphäre des Sachherrn herauszunehmen, weshalb der Inhaber in keinem der beiden Fälle haftet. Ganz gleich, wie man am Ende urteilt, die Lösung muss für beide Varianten gleich ausfallen. Der unvermittelte Wechsel von dem einen zum anderen Zurechnungsprinzip ist jedenfalls kaum plausibel.

15

Schenke , DVB1. 1986, S. 362, 363 f. So Götz, NVwZ 1984, S. 211, 214. Zumeist werden die Fälle aber der Zustandshaftung zugeordnet. So etwa BVerwG, DVB1. 1986, S. 360 f (Flughafensicherung gegen terroristische Anschläge). 16

A. Die Gewalthaberhaftung und ihre Schwächen

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I I I . Legitimationsprobleme der Gewalthaberhaftung Weder das Strafrecht 17 noch das Zivilrecht kennen ein Zurechnungsprinzip, das sich mit der Gewalthaberhaftung vergleichen ließe. Das gilt insbesondere auch für die zivilrechtliche Störerhaftung des § 1004 BGB 1 8 , bei der es ja auch um Gefahrenabwehr geht, mit dem einzigen Unterschied, dass statt der öffentlichen private Güter gestört oder gefährdet werden. Die Gewalthaberhaftung ist, so man sie für richtig hält, eine Eigenart des Polizeirechts. Das unterscheidet sie von der Verursacherhaftung (oder allgemeiner: von der objektiven Zurechnung), die in allen Rechtsgebieten ihren Platz hat und lediglich an einigen Stellen durch Verschulden (oder allgemeiner: durch die subjektive Zurechnung) ergänzt wird. Nun muss diese Sonderstellung der Gewalthaberhaftung noch nicht zwingend gegen diese sprechen. Es könnte ja sein, dass die besondere Funktion des Polizeirechts verlangt, eigene Wege zu gehen.19 Aber selbst wenn man das für den Moment einmal unterstellt, bleibt die Haftung für Herrschaft auch für das Polizeirecht ein schwer zu legitimierendes Haftungsprinzip: Denn die Gewalthaberhaftung verlangt ja bisweilen nichts anderes, als die Verantwortung bei demjenigen zu suchen, dem die gefährliche Sache nur „untergeschoben" wird. Es verhält sich, bildhaft gesprochen, am Ende nicht anders als im Fall der Zeitbombe, die von Hand zu Hand gereicht wird in der Hoffnung, selbst schadlos zu bleiben. Folgt man den Regeln der Gewalthaberhaftung, ist jeweils derjenige verantwortlich, dem die Gefahrenquelle aufgedrängt wird, der also - um im Bild zu bleiben - die Bombe am Ende in seinen Händen hält. Das ist nur schwer einzusehen und führt zu der oft gestellten Frage, ob hier nicht das Opfer zum Störer gemacht wird. Zwar kann durchaus auch das Opfer Störer sein. Wer etwa im Rahmen seines Betriebs das eigene Grundstück mit Chemikalien verseucht, schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch sich selbst, ohne dass dies etwas an seiner Eigenschaft als Störer ändern würde. Im Fall der Gewalthaberhaftung liegen die Dinge aber anders: Denn jetzt muss der Sachherr haften, ohne die Gefahr selbst zurechenbar ausgelöst zu haben. Der Gewalthaber haftet damit wie ein Verursacher, nämlich als Störer, ohne Verursacher zu sein.

17

Zwar wird bei den Garantenpflichten auf Grund der Beherrschung von Sachen bisweilen von einer Gewalthaber- oder sogar einer Zustandshaftung gesprochen (,Stratenwerth, Allgemeiner Teil, § 13 Rn. 43). Doch ist damit gerade nicht eine Gewalthaberhaftung im beschriebenen Sinn gemeint, sondern nur die Haftung für sachtypische Folgen (vgl. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Abschnitt 29 Rn. 31). 18 Stickelbrock, AcP 197 (1997), S. 456, 457. Ferner Medicus, in: Münchener Kommentar, § 1004 Rn. 32 ff. 19 Oben, 1. Teil.

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

Bei dieser Ausgangslage ist es nicht verwunderlich, dass man schnell auf Fälle stößt, in denen die Gewalthaberhaftung mit Legitimationsproblemen zu kämpfen hat. Ich möchte an dieser Stelle zwei Fallgruppen hervorheben, in denen die Probleme der Haftung für Herrschaft besonders deutlich sichtbar werden: In der ersten Gruppe geht es um Fälle, in denen der Sachherr mit den Folgen von Katastrophenlagen konfrontiert wird; die zweiten Gruppe erfasst solche Fälle, bei denen nicht der eigennützige Eigentümer, sondern der treuhänderische Eigentümer oder aber der Besitzer haften sollen. Zur ersten Fallgruppe das folgende Beispiel: Nach einem Zusammenstoß zweier Flugzeuge in großer Höhe stürzen Wrackteile auf die umliegenden Felder. Außerdem wird der Boden durch große Mengen Kerosin verschmutzt. In diesem Fall lässt sich die Frage der Sachherrschaft sehr viel schneller beantworten als die der Störerhaftung. Die betroffenen Grundstückseigentümer sind, jedenfalls im polizeirechtlichen Sinn, tatsächliche Sachherrn der Wrackteile und sogar rechtliche Sachherrn des Kerosins, das sich mit dem Erdboden verbunden hat. Und doch wird man zögern, den Gewalthaber als Störer in die Haftung zu nehmen. Der Grund hierfür dürfte darin zu sehen sein, dass man das Risiko solcher Katastrophen generell nicht dem Sachherrn zuschiebt, Herrschaftskreis und Risikosphäre also auseinanderfallen. Soweit ein Rückgriff bei dem eigentlichen Verursacher nicht in Frage kommt, übernimmt in aller Regel der Staat die Haftung. 20 Die Mitwirkung des Sachherrn beschränkt sich darauf, die Maßnahmen der Beseitigung auf seinem Boden zu dulden - eine Pflicht, die man systematisch am ehesten bei der Nichtstörerhaftung unterbringen kann. Man mag einwenden, dass mit diesem Beispiel eine Extremsituation geschildert werde. In derartigen „Außer-Norm-Situationen" 21 oder Härtefällen könne man, so der Einwand, der Haftung des Störers schon dadurch die Spitze nehmen, dass man die Haftung auf das Zumutbare beschränke 22 oder das Eingriffs-

20

Unten, 4. Teil AIV. VGH Freiburg, NJW 1952, S. 1311 f. 22 So OVG Koblenz, DVB1. 1998, S. 103 (Sicherung eines Felsgrundstücks gegen Steinschlag bei heranrückender Bebauung); VGH München, DVB1. 1986, S. 1283, 1284 (Haftung des Rechtsnachfolgers für die Kontamination des Bodens durch eine Chemiefabrik); VGH München, Bay VB1. 1984, S. 16, 17 (Haftung des Halters für das Falschparken Dritter); OVG Koblenz, DÖV 1954, S. 214, 216 f (Haftung des Eigentümers von Kriegsruinen). Gegen eine Auflösung der Gewalthaberhaftung ferner: Brandt, Altlastenrecht, IV Rn. 71; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 319 ff; Gantner, Verursachung, S. 212; Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 221; Gusy, Polizeirecht, Rn. 282, 289 ff; Kränz, Zustandsverantwortlichkeit, S. 218 ff; Pischel, JA 1999, S. 43, 44 f; Schmidt-Jortzig, DÖV 1991, S. 753, 757; Schoch, JuS 1994, S. 1026 f; Schräder, Altlastensanierung, S. 123 f; Spannowski, DVB1. 1994, S. 560, 562 f. Auf das Kriterium der Zumutbarkeit greifen auch zurück BVerfGE 102, S. 1,19 f (Verfassungsmäßigkeit der 21

A. Die Gewalthaberhaftung und ihre Schwächen

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und Auswahlermessen reduziere. 23 Daran ist sicherlich richtig, dass man bei der Störerhaftung, wie auch überall sonst, ohne den Notanker der Zumutbarkeit nicht auskommt. Dennoch ist damit der eigentliche Gesichtspunkt noch nicht genannt. Denn in dem genannten Beispiel darf man den Sachherrn selbst dann nicht zur Verantwortung ziehen, wenn er vermögend ist und ihm auch sonst eine Haftung im Einzelfall durchaus zuzumuten wäre. Wenn hier eine Störerhaftung ausscheidet, so stehen dahinter mehr als bloße Billigkeitserwägungen. Vielmehr werden bestimmte Risiken generell von den Schultern des Sachherrn genommen, was bedeutet, dass der Sachherr für Katastrophenlagen nicht einstehen muss. Man blickt dann nicht nur auf die besondere Härte des Einzelfalls, also nicht auf die besondere Intensität der Belastung, auf fehlendes Vermögen, auf eine vereinzelt denkbare Existenzbedrohung oder Ähnliches, sondern nimmt eine ganze „Klasse von Risiken" 24 aus der Risikosphäre des Eigentümers heraus.25 Darüber hinaus lassen sich - abseits der geschilderten Katastrophenlagen - andere Fälle denken, in denen die Gewalthaberhaftung keine zufriedenstellende Lösung liefert. Damit ist die zweite Fallgruppe angesprochen. Hierzu denke man sich etwa den Fall, dass ein gemeinnütziger Verein für die Sommermonate ein Grundstück mietet, um dort ein Ferienlager zu veranstalten. Nach kurzer Zeit wird entdeckt, dass der Erdboden des gemieteten Grundstücks mit Chemikalien verseucht ist. Die Behörde hält sich zunächst an den Eigentümer, muss aber feststellen, dass dieser nicht vermögend oder nicht erreichbar ist. Daraufhin verfällt sie auf die Idee, den vermögenden Verein in Anspruch zu nehmen. Kann sie das? Erneut steht außer Zweifel, dass der Verein die (tatsächliche) Sachherrschaft hat. Und wer sich für die Gewalthaberhaftung ausspricht, darf für die Haftung nicht mehr als genau das verlangen. Der Verein ist wie der Verursacher Störer und zur Beseitigung der Gefahr verpflichtet. Für den Eigentümer des Grundstücks mag das vielleicht noch eine mögliche Lösung sein; im Fall des Besitzers aber dürfte eine solch weitgehende Haftung nicht mehr zu rechtfertigen sein. Und doch wird man genau dies annehmen müssen, wenn

Gewalthaberhaftung für Altlasten) und Papier, Altlasten, S. 53, die allerdings im Rahmen der Zumutbarkeit auch Verantwortungsanteile berücksichtigen. 23 Für eine Ermessensreduzierung VGH München, DVB1. 1986, S. 1283, 1285 (Haftung des Rechtsnachfolgers für die Kontamination des Bodens durch eine Chemiefabrik); Müllensiefen, Gefahrenabwehr, S. 175. 24 Ladeur, UPR 1997, S. 1, 3 f. 25 Ob man diese Überlegungen der Risikoverteilung bei der Störerbestimmung unterbringt oder die Frage als Problem des Auswahlermessens behandelt, ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass bestimmte Risiken generell, ohne Rücksicht auf Sachherrschaft, aus dem Verantwortungskreis ausgeschlossen werden.

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

man den Regeln der Gewalthaberhaftung folgt. Denn die Sachherrschaft haben ja beide, der Eigentümer genauso wie der Besitzer. Deutlicher noch als zuvor ist hier zu sehen, dass die Regel - Haftung des tatsächlichen Sachherrn - nicht nur im Einzelfall, sondern generell Probleme bereitet. Und auch hier ist es mit einem Verweis auf die allgemeine Zumutbarkeits- oder Opferschwelle noch nicht getan. Denn was der Gewalthaberhaftung im Fall des Besitzers entgegensteht, ist ja nicht, dass ihn die Haftung im Einzelfall besonders hart trifft, sondern dass die Haftung für fremdverursachte Gefahren im Fall des Besitzers generell höchst fraglich ist. Wer, wie in dem genannten Beispiel, ein Grundstück nur kurzfristig benutzt und auch sonst nicht die gleichen Rechte wie der Eigentümer hat, sollte auch nicht das Risiko dauerhafter Belastungen tragen. In diesem Fall mag zwar die Gefahrenquelle (das Altöl, die Chemikalien, die Abfälle usf.) in seinem Herrschaftskreis zu finden sein; das Risiko solcher Einwirkungen liegt jedoch außerhalb seiner Risikosphäre. Man kann versuchen, dieses Ergebnis in die Sprache des Gewalthabermodells zu übersetzen und sagen, dass eine weitere oder engere Herrschaftsstellung auch eine weitere oder engere Haftung mit sich bringt und deshalb der Besitzer weniger Risiken trägt als der Eigentümer. Das ist eine mögliche Lösung. Nur, wer so argumentiert, der orientiert sich schon gar nicht mehr an der Herrschaft über die Gefahrenquelle, sondern an den verschiedenen Zuweisungsgehalten des jeweiligen Rechts (Eigentum oder Besitz). Er lässt gerade nicht die bloße Gewalt über die Sache entscheiden, sondern urteilt nach den Chancen und Risiken, die das jeweilige Recht der Person zuteilt. Das reine Modell der Gewalthaberhaftung ist damit schon aufgegeben und durch eine Haftung nach Risikosphären ersetzt.

B. Übergang zu einer Haftung nach Risikosphären I. Herrschaft als zentrales Zurechnungsprinzip? Die gezeigten Legitimationsprobleme der Gewalthaberhaftung führen noch einmal zur Frage nach dem eigentlichen Grund der Haftung zurück. Schon zu Beginn des zweiten Teils wurde das Synallagma von Freiheit und Verantwortung, oder konkreter das Korrelat von Nutzen (Chancen) und Kosten (Risiken) als der tragende Grund der Zustandshaftung wie der Störerhaftung überhaupt ausgemacht.26 Dieser Grundgedanke soll nun, so sehen es jedenfalls die Verfechter der Gewalthaberhaftung, nicht nur die Störerhaftung allgemein, sondern gerade auch das Prinzip der Haftung für Herrschaft stützen. Denn der Sachherr 26

Oben, 2. Teil A.

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habe den gegenwärtigen Nutzen der Sache und die damit verbundenen Chancen für die Zukunft und müsse also auch die gegenwärtigen Kosten und Risiken für die Zukunft tragen. Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Verknüpfung von Vor- und Nachteilen unmittelbar plausibel ist. Die Frage ist allerdings - und hier vollzieht sich der entscheidende Bruch - ob dieses Prinzip gerade die Gewalthaberhaftung trägt. Oder anders gefragt: Wird die Zuteilung von Kosten und Nutzen, von Risiken und Chancen wirklich an der jeweiligen Herrschaft festgemacht? Genau das ist höchst zweifelhaft, wie schon das folgende Beispiel zeigt: Wenn ein Tanklaster von der Straße abkommt und bei dem Sturz auf das am Straßenrand gelegene Grundstück gefährliche Stoffe im Boden versickern, dann soll die Beseitigung der Gefahr nicht nur auf Kosten des Spediteurs gehen (Verursacher), sondern auch die Last des Grundeigentümers sein (Gewalthaber). Denn dieser übt - so die geläufige Begründung - die Gewalt über das Grundstück und die dort liegende Gefahrenquelle aus. So wie er den Nutzen der Sache hat, so soll er auch die Kosten tragen. Aber sind in diesem Fall wirklich die Lasten und Vorteile des Eigentümers spiegelbildlich verteilt? Daran kann man mit gutem Grund zweifeln. Denn wenn in einer Abwandlung des Beispiels ein Laster bei einem Unfall statt des schädlichen Öls seine wertvolle Fracht auf dem Grundstück verliert, wird man kaum behaupten, dass damit die Vorteile dem Eigentümer des Grundstücks zustehen und dieser die verlorene Fracht für sich vereinnahmen kann. Das heißt: Der Eigentümer soll zwar die Last der zufällig auf seinem Grundstück liegenden Schadstoffe tragen, nicht aber die Vorteile der ebenso zufällig auf sein Grundstück gelangten wertvollen Güter reklamieren können. An dieser Stelle stimmt die Relation von Kosten und Nutzen nicht mehr. Die Lösung muss deshalb eine andere sein: So wie die Vorteile im letzten Fall nur dem Eigentümer der wertvollen Fracht (bzw. dem Spediteur) gebühren, nicht aber dem Grundstückseigentümer, so sollten auch im ersten Fall die Nachteile nur den Eigentümer der gefährlichen Fracht (bzw. den Spediteur) treffen, nicht aber den Eigentümer des Grundstücks. 27 Nehmen wir als weiteres und vorerst letztes Beispiel den Fall des Finders: Unbestritten ist, dass der Finder die tatsächliche Sachherrschaft erlangt. Und doch wird man nicht sagen können, dass ihm mit dem Fund schon die Vorteile der Sache gebühren. Der Finder darf gerade nicht nach seinem Belieben mit der Sache umgehen. Vor allem aber muss er die Sache und die gezogenen Nutzungen an den eigentlichen Eigentümer zurückgeben, soweit sich dieser ausmachen lässt. Das einzige, was dem Finder zusteht, ist der Finderlohn. Aber

27

Siehe speziell zu diesem Fall schon die Kritik von Friauf, in: Festschrift für Wacke, S. 293, 295 f.

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

dabei handelt es sich, wie leicht zu sehen ist, gerade nicht um die Zuteilung irgendeines Nutzens, der dem Finder aufgrund seiner Sachherrschaft gebührt, sondern schlicht um einen wirtschaftlichen Anreiz, etwas zurückzugeben, was ihm - dem Finder - gerade nicht gebührt: nämlich die Sache und deren Nutzen. Dieses Ergebnis auf der Seite des Nutzens lässt sich wieder auf die Kostenseite übertragen: Wer auf seinem Grundstück statt einer wertvollen eine gefährliche Sache findet, der hat zunächst die Sachherrschaft; ob ihn aber die Lasten der Sache treffen, ist eine andere Frage, die mit seiner Herrschaft nur wenig zu tun hat. Woran liegt es nun, dass die Verteilung von Kosten und Nutzen nicht oder jedenfalls nicht wesentlich von der Herrschaft abhängt? Die Gewalthaberhaftung hat ja zunächst einen richtigen Kern: Verantwortung setzt die freie Verfügung der Person über bestimmte nur ihr zugewiesene Güter - eben Herrschaft - voraus. 28 Das Kriterium der Herrschaft wird also an irgendeiner Stelle für die Zurechnung benötigt. So muss etwa auch im Fall der Verursacherhaftung das relevante Risiko, für das der Störer einsteht, von dem eigenen Herrschaftskreis ausgehen (Risikoschaffung). 29 Und doch scheint Herrschaft weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Kriterium der Haftung zu sein: Eine Haftung ohne gegenwärtige Herrschaft ist genauso denkbar (Verursacherhaftung) wie in vielen Fällen eine Herrschaft ohne Haftung plausibel ist, was die soeben genannten Beispiele schon andeuten dürften. Deshalb nochmals die Frage: Woran liegt es, dass Herrschaft nicht immer mit Verantwortung in eins fällt, dass also Chancen und Risiken nach anderen Kriterien verteilt werden? Eine befriedigende Antwort auf diese Frage muss, wenn sie tragen soll, zunächst sehr abstrakt formuliert werden. Der Grund für das Scheitern des „reinen" Herrschaftsmodells liegt - sehr allgemein gesagt - darin, dass dem Begriff der Herrschaft noch jene soziale Dimension fehlt, die bei der Verteilung von Rechten und Pflichten, von Chancen und Risiken nicht ausgeblendet werden darf. Wo die Verteilung von Lasten nur an den räumlich-gegenständlichen Bereich der eigenen Herrschaftssphäre gebunden wird, bleibt die Möglichkeit des Kontakts zwischen den Personen ausgespart. Die Überschneidung der Herrschaftskreise - Interaktion und Kommunikation - wird dann immer nur als Störfall erlebt, nicht aber als etwas, das notwendig zu dem Begriff der Freiheit wie auch dem der Verantwortlichkeit gehört. Die anderen Personen tauchen dabei nur als irritierende Begleiterscheinung an den Grenzen des eigenen Herrschaftskreises auf. Sie sind nicht mehr als „Anlaß zur Begründung von Freiheitsgrenzen" 30. Eine angemessene Beschreibung dessen, was Freiheit und

28 29 30

Siehe oben, 2. Teil B. Siehe genauer unten, 5. Teil A. Suhr, Der Staat 9 (1970), S. 67, 83.

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was Verantwortung ausmacht, dürfte mit einem solchen Modell nicht gelingen. Denn wo man die Person auf eine aus aller sozialen Bindung gelöste, „isolierte Monade" 31 reduziert, wird eine wesentliche Bedingung übergangen: die gegenseitige Anerkennung der Rechtspersonen. Rechtlich garantierte Freiheit ist nichts, was der Einzelne aus sich heraus produzieren könnte. Sie entsteht und wächst erst durch wechselseitige Anerkennung, also erst im sozialen Kontakt mit dem Anderen, und nimmt erst dort ihre Form an. Der soziale Kontakt ist also keine Beschränkung der Freiheit, sondern überhaupt erst das Medium, in dem Freiheit zu existieren beginnt. In diesem Sinn unterliegt die Freiheit - und zwar jede Form der Freiheit, nicht nur die des Sacheigentums - der Sozialbindung.32 Von hier aus ist es dann auch, wie Stier-Solmo es für das Eigentum formuliert hat, „nicht mehr schwer einzusehen, daß dieses Element des gesellschaftlichen Einflusses unverlierbar ist, daß es das Eigentumsverhältnis durch sein ganzes Dasein begleitet" 33 . Und bei Lepsius heißt es dazu treffend: „Die Beziehung zur Sache ist beim Eigentum nur von sekundärer Bedeutung, da sie nur der näheren Bestimmung der primären, intersubjektiven Beziehung dient." 34 Und weiter: „Das Eigentum ist ein gegenstandsakzessorisches Recht, aber zu einem Recht wird es erst durch Interpersonalst." 35 Wenn dem so ist und Freiheit immer erst zwischen den Personen - interpersonal - entsteht und erst dort Gestalt annimmt, dann kann nicht die gegenständliche Gestalt des eigenen Herrschaftsbereichs, sondern muss die sozial geprägte Gestalt Anfang und Ende der Freiheits- und Verantwortungssphäre bestimmen und damit auch über die Zuteilung von rechtlich garantierten Chancen und rechtlich auferlegten Risiken entscheiden. Die Grenzen der Haftung lassen sich nicht an den räumlichen Grenzen des Herrschaftskreises ablesen. Erst die Beziehungen zwischen den Personen geben dem Recht die Bahnen vor, in denen sich die Zurechnung bewegen muss. Blickt man auf diese verbindende soziale Seite, dann lösen sich die isolierten Herrschaftskreise Schritt für Schritt auf in verschachtelte Relationen.36 Die gegenständlichen Güter, welche die Person in 31

Hagen, ARSP 59 (1973), S. 517, 518. Sehr pointiert Isensee, DÖV 1982, S. 609,614 f: „Grundrechtsfreiheit ist die Pflicht zur Staatshervorbringung". 33 VerwArch. 6 (1898), S. 275, 303. 34 Lepsius, Besitz, S. 20 f. 35 Lepsius, Besitz, S. 23: „Der Begriff des Eigentums suggeriert eine sowohl gegenständliche als auch interpersonelle Wirkung. Nur letztere ist der Regelungsbereich des Eigentumsrechts." (Hervorhebung im Original). 36 Allgemein gegen den Gedanken der Herrschaft Suhr, Der Staat 9 (1977), S. 67, 79; ders., Entfaltung, S. 80 ff. Grundlegend Friauf, in: Festschrift für Wacke, S. 293 ff (zur Zustandshaftung); Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 459 ff (zum Verhaltens- und Zustandsstörer). Ähnlich schon Erichsen, VVDStRL 35 (1977), S. 171, 205; Schneider, JZ 1953, S. 240 f; Wolff, Verwaltungsrecht III, S. 64. - Zur Bedeutung der Risikovertei32

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ihrer Gewalt hält, sind zwar notwendiger Bestandteil der Freiheit, sie liefern das Substrat der Freiheit und der Verantwortung, aber sie sind nicht die Freiheit selbst und erzeugen als solche noch keine Verantwortung. Denn die Rechtsgüter der Person gibt es, wie Welzel es beschrieben hat, überhaupt nur, „wenn und soweit sie in , Funktion 4 sind, d.h. soweit sie im sozialen Leben wirkend und Wirkungen empfangend darin stehen"37. Die Entfaltung der Person, heißt es bei Suhr, darf man sich regelmäßig nicht vorstellen als eine „Aktivität in »Bereichen* und »Räumen4, sondern als Aktivität auf den zwischenmenschlichen Strecken eines Netzwerks der wechselseitigen Entfaltung 4438 . Genau entlang diesen Strecken verlaufen die Linien der Zurechnung. Der soziale Kontakt, die jeweils gewählte Form der Interaktion formt hier die Regeln der Zurechnung. Aus diesem Grund muss an die Stelle der Haftung für den räumlich-gegenständlichen Herrschaftskreis die Haftung für den „sozialen Herrschaftsbereich 4439, den „sozialen Lebensraum 4440 oder - wie Friauf es in diesem Zusammenhang wohl am besten formuliert hat - die Haftung nach Risikosphären treten. „Danach erstreckt sich die Zustandshaftung des Eigentümers nicht auf Gefahren, die sich zwar auf seinem Grundstück realisieren, deren Ursache aber in die Risikosphäre der Allgemeinheit fällt. 4441 Wo die soziale Dimension eröffnet wird, löst sich

lung im Zivilrecht Meder, Schuld, Zufall, Risiko, S. 252 ff; ders., JZ 1993, S. 539 ff und im Strafrecht Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 261 ff. 37 ZStW 58 (1939), S. 491,515. 38 Suhr, Entfaltung, S. 85. 39 Schneider, JZ 1953, S. 240, 241: „Wie also niemand haftet für völlig außergewöhnliche Wirkungen seines Verhaltens, so sollte man auch anerkennen, daß sich die polizeiliche Zustandshaftung ihrem Grundgedanken nach nicht auf Gefahren bezieht, die völlig außerhalb des Risikos liegen, das auch sonst nach allgemeiner Lebenserfahrung mit der Herrschaft über Sachen verbunden zu sein pflegt." Ähnliche Überlegungenfinden sich auch bei Czychowski, DVB1. 1970, S. 379, 384. 40 Suhr, Der Staat 9 (1970), S. 67, 79. 41 Friauf, in: Festschrift für Wacke, S. 293, 303 (Hervorhebung im Original); ders., in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 90 ff. Den Gedanken haben dann aufgegriffen und weitergeführt: Binder, Gefährdungshaftung, S. 78 ff; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt E Rn. 97 ff; Kirchhof, DÖV 1976, S. 449,457; Ossenbühl, DÖV 1976, S. 463, 470; Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 462 f; Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 172. Speziell mit Blick auf das Problem der Altlastenhaftung: Bott, Verantwortlichkeit, S. 190 ff; Breuer, JuS 1986, S. 359, 363; ders., NVwZ 1987, S. 749,756; Frenz, Verw-Arch. 90 (1999), S. 208, 218 ff; Kloepfer, NuR 1987, S. 1, 17; Koch, Bodensanierung, S. 13; Ladeur, UPR 1995, S. 1, 5 f; Müllensiefen, Gefahrenabwehr, S. 175; Nauschütt, Altlasten, S. 149 ff; Oerder, NVwZ 1992, S. 1031, 1036 f; Papier, Altlasten, S. 50 ff; Scheier, ZfW 1984, S. 333, 339 f; Schink, VerwArch. 82 (1991), S. 357, 379 ff; Würtenberger, in: Püttner/Achternberg, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Abschnitt 7 Rn. 358 ff; Ziehm, Störerverantwortlichkeit, S. 61 ff, 69.

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die enge Umklammerung von Verantwortlichkeit und Herrschaft. Die Grenzen zwischen Freiraum und Pflicht müssen dann anders gezogen werden. Sie entfernen sich von dem Prinzip der Herrschaft und orientieren sich an der jeweils gewählten Form der Interaktion, die das Recht unterstützt. Rechtskreis und Lebenskreis, Verantwortungsbereich und Herrschaftsbereich sind jeweils zwei verschiedene Sphären, die sich überschneiden können, aber nicht decken. Nun werden auch die Vertreter eines Herrschaftsmodells nicht leugnen, dass neben Herrschaft immer auch noch eine interpersonale Beziehung treten muss.42 Aber diese Interaktion tritt im Herrschaftsmodell immer nur neben den Gedanken der Herrschaft, sie ist nur das Anhängsel, eine mehr oder weniger störende Begleiterscheinung, jedenfalls aber nichts, was die Zurechnung von Grund auf bestimmt und ihr die prägende Gestalt gibt. Das heißt: Trotz interpersonaler Beziehung bleibt Herrschaft der leitende Zurechnungstopos. Das ist bei dem hier vorgeschlagenen Modell genau umgekehrt: Herrschaft ist jetzt eine erste notwendige Bedingung, aber erst der soziale Kontakt formt die Verteilung der Chancen und Risiken, erst die Interaktion - die Relation zwischen den Personen - bestimmt, wie Zurechnung zu funktionieren hat. Hinter diesem Ansatz steht nicht zuletzt die Überlegung, dass jedenfalls für eine Gesellschaft, die sich wesentlich über den Austausch von Gütern und Dienstleistungen, und nicht über das Haben dieser Güter definiert, das Herrschaftsmodell keine befriedigenden Lösungen anbieten kann. Gewiss lassen sich Gesellschaften vorstellen, die sich vor allem über die Herrschaft der Person zu ihren Gütern definieren, in denen gerade die Sachgewalt den wesentlichen Teil des sozialen Kontakts ausmacht. Das mag etwa für eine weitgehend landwirtschaftlich organisierte Gesellschaft zutreffen, in der das Haben der Güter viel wichtiger ist als ihr Austausch und Selbstversorgung wichtiger als Handel. Wo die Verbindung der Person mit einem Stück Boden, wo der Grundbesitz noch die zentrale gesellschaftliche Institution ist, mag sich dann auch die rechtliche Zurechnung überwiegend an dem Gedanken der Herrschaft ausrichten. 43 Vor diesem Hintergrund dürfte es kein Zufall sein, dass sich die Gewalthaber42

Lepsius, Besitz, S. 20 ff, 26 ff. Eine grundlegende methodische Kritik an dem hier gewählten Weg formuliert Lepsius, JZ 2002, S. 313, 319 ff: Er hält die Frage nach der gesellschaftlichen Adäquanz rechtlicher Begriffsbestimmung für unzulässig, weil dann soziale Praxis und Recht, Sein und Sollen, in unzulässiger Weise vermischt würden. - Es ist nicht möglich, im Rahmen dieser Arbeit darauf eine angemessene Antwort zu geben. Nur soviel: Wenn die Rechte und Pflichten der Person gerade durch Interpersonalität, also immer erst im sozialen Kontakt entstehen, dann wird man die Frage nach der jeweiligen Gestalt dieses sozialen Kontakts - sprich: die Frage nach der jeweiligen Gestalt einer Gesellschaft - bei der Auslegung des Rechts nicht beiseite lassen können. Grundlegend hierzu Pawlik, Verhalten, S. 7 ff, 27 ff. 43

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

haftung vor allem bei der Bodenhaftung bis heute erhalten hat. Allerdings ist die reine Sachherrenhaftung auch in diesem Bereich immer stärkerer Kritik ausgesetzt. Und das mit gutem Grund. Denn das mit dem Gedanken der Herrschaft einhergehende Ausgrenzungsdenken ist, wie Suhr schreibt, im Kontext sozialer Lebensräume nicht mehr ergiebig. 44 Hier mag man allenfalls in Randbereichen mit dem Topos der Gewalthaberschaft noch zurechtkommen - als zentrales dogmatisches Prinzip der Zurechnung muss Herrschaft versagen. 45 Die Verflechtungen des sozialen Kontakts sind zu kompliziert, als dass sich mit dem Begriff der Herrschaft die Verteilung der Pflichten noch angemessen abbilden ließe. Man versuche nur einmal, die Pflichten der Beteiligten in langen Leistungsketten wie etwa im Fall der Produkthaftung oder Abfallentsorgung mit dem Begriff der Herrschaft zu rekonstruieren. 46 Auf Einzelheiten wird sogleich zurückzukommen sein. Im Kern jedenfalls sollten keine Zweifel bestehen, dass sich der größte Teil der Interaktion nicht mehr über den Topos der Herrschaft darstellen lässt. Ein Zurechnungsmodell, welches gleichwohl all seine Bemühungen diesem Gedanken der Herrschaft zuwendet, kann entweder einen Großteil der Fälle nicht zufriedenstellend erklären oder ist, wie der ganze Streit um die „Begrenzung der Zustandshaftung" zeigt, zu ständigen Nachkorrekturen gezwungen.

I I . Herrschaft als ergänzendes Zurechnungsprinzip? Gegen die bis hier vertretene Ansicht mag man verschiedene Einwände vorbringen. Einer der möglichen Kritiken - nämlich dem Einwand zu hoher Abstraktion der bisherigen Begründung - soll dadurch begegnet werden, dass die These in den folgenden Abschnitten weiter konkretisiert wird. Ein zweiter Einwand soll dagegen schon jetzt behandelt werden. Er lautet, dass die Gewalthaberhaftung zwar in einigen Bereichen nicht ausreiche, dass sie aber gleichwohl in weiten Teilen unverzichtbar sei. Die Haftung des Sachherrn müsse allen bisherigen Angriffen zum Trotz, fester Bestandteil des Haftungssystems bleiben: Herrschaft sei zwar nicht das einzige, vielleicht auch nicht das zentrale Kriterium der Haftung, lasse sich aber auch nicht vollständig aus dem Zurech-

44

Der Staat 9 (1970), S. 67, 82. Genau anders urteilt Lepsius (Besitz, S. 15 ff und passim) für den Bereich der Eigentumsfreiheit und der Zustandsverantwortlichkeit. 46 Aus seiner Sicht konsequent fordert Lepsius (Besitz, S. 352 ff, 502 ff) deshalb auf der Grundlage eines sachherrschaftlichen Modells eine Reduzierung der Pflichten im Bereich des Umweltrechts durch Rückbindung der Pflichten an den Gedanken der Sachherrschaft. - Ich möchte hier genau umgekehrt argumentieren: Gerade die Entwicklung im Umweltrecht zeigt, dass man einen Großteil der Probleme über den Gedanken der Gewalthaberschaft nicht mehr zufriedenstellend lösen kann. 45

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nungssystem eliminieren. Nach dieser Ansicht bleibt im Haftungssystem ein ungelöster Rest, der sich weder mit Verursachung noch mit der solidarischen Haftung des Nichtstörers erklären lässt, sondern allein und ausschließlich mit Herrschaft. Dieser Sicht scheint das Gesetz mit dem in § 984 BGB geregelten Schatzfund ein Argument in die Hände zu spielen: Der zufällig auf dem eigenen Grundstück entdeckte Schatz gebührt kraft Gesetzes auch dem Eigentümer. Die Umkehrung liegt auf der Hand: So wie der Eigentümer den zufälligen Nutzen einstreicht, muss er auch zufällige Lasten tragen. Stößt der Eigentümer also auf Altlasten, Chemikalien oder ähnliche „Negativschätze", so ist das sein Risiko. 47 Wer genauer hinsieht, wird aber zweifeln, ob mit dem genannten Beispiel schon eine positive Entsprechung zur Haftung des Gewalthabers gefunden ist. Denn der Fund gebührt nach § 984 BGB nur dem Eigentümer, nicht aber etwa dem Besitzer des Grundstücks, während die Gewalthaberhaftung gerade auch diesen mit in die Haftung nimmt. Und selbst der Eigentümer des Grundstücks kann den Fund nur dann für sich reklamieren, wenn der eigentliche Eigentümer der Fundsache nicht mehr auffindbar ist. Die Zuschreibung des Nutzens ist also, wie man sagen kann, nur subsidiär. Der Gewalthaberhaftung ist dagegen eine solche Form der „subsidiären" Zuschreibung fremd: Der Gewalthaber soll grundsätzlich gleichrangig neben dem Verursacher haften. Man wird deshalb in der Regelung des § 984 BGB eine schwächere Form der Zurechnung sehen müssen, für die auf der Seite der Pflicht eine Entsprechung gesucht werden muss und gerade nicht in der Störerhaftung gefunden werden kann. Denn die angesprochene Form der Zuschreibung führt auf der Nutzenseite nicht zu einem vollen Anspruch und darf somit auf der Kostenseite auch keine volle Verantwortlichkeit auslösen. Wie sogleich im folgenden Abschnitt zu sehen sein wird, liegt diese Entsprechung im Institut der Gefahrtragung, die nicht zur Gefahrenverantwortung führt und sich im Übrigen auch nicht mit der Gewalthaberhaftung deckt. 48 Die Vertreter der Gewalthaberhaftung werden sich damit noch nicht zufrieden geben. Sie werden auf Fälle verweisen, in denen, wie es scheint, die Herrschaft zur Störerhaftung führt. Dazu zwei Beispiele: Wenn ein Hanggrundstück - unvorhersehbar - von einem unterirdischen Wasserlauf unterspült wird und der dadurch zu befürchtende Erdrutsch die Nachbargrundstücke gefährdet, dann muss der Eigentümer oder Besitzer als Störer für die Sicherung der Nachbargrundstücke einstehen. Ähnliches gilt dann, wenn der Eigentümer umweltgefährdende Stoffe in einem Hafentank lagert und der Tank - trotz 47

Leisner, UTR 12 (1990), S. 217,231, der auch den Begriff des „Negativschatzes" in diesem Zusammenhang verwendet. 48 Siehe unten, 4. Teil A.

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

ordnungsgemäßer Wartung - von dem Salzwasser so stark angefressen wird, dass die Chemikalien auszulaufen drohen. Es dürfte Einigkeit bestehen, dass der jeweilige Sachherr anders als zuvor nicht nur die Gefahr des zufälligen Untergangs, sondern die Verantwortlichkeit trägt. Nicht klar ist dagegen die Begründung. Geht es hier um eine Haftung für Verursachung oder für Herrschaft? Gegen die Verursacherhaftung scheint zunächst zu sprechen, dass der Sachherr sich nicht rechtswidrig verhalten hat, es also an einem pflichtwidrigen Verhalten fehlt. Und deshalb mag auf den ersten Blick viel für eine Gewalthaberhaftung sprechen. Man muss die Beispiele aber nur geringfügig abwandeln, um zu sehen, dass die Störerhaftung auch in diesem Fall nicht schon aus der bloßen Beherrschung der Sache folgt: Wenn es etwa im ersten Fall tatsächlich zum Erdrutsch kommt, die Erdmassen sich mit dem Erdreich der anliegenden Grundstücke vermischen und dort zur Gefahr werden oder wenn im zweiten Fall die gelagerten Stoffe ins Wasser gelangen und sich mit diesem vermischen, lässt sich die Haftung nicht mehr mit Herrschaft begründen. In beiden Fällen hat der ursprüngliche Eigentümer sowohl seine rechtliche als auch die tatsächliche Herrschaft verloren, ohne dass man an seiner andauernden Haftung zweifeln würde. Anders gesagt: Die Verantwortung überlebt die Herrschaft. Das dürfte zugleich zeigen, dass diese Verantwortung von Anfang an gar nicht entscheidend auf Herrschaft gestützt war. Dagegen mag man zwar einwenden, dass der Eigentümer zunächst für Herrschaft und nach deren Verlust für Verursachung haftet. Aber dieser Austausch der Haftungsbegründung ist nicht überzeugend, weil es am Ende um die Absicherung ein- und desselben Risikos geht. Hier wäre es wenig plausibel, die Haftung für ein identisches Risiko (etwa das Risiko eines Erdrutsches) zwei verschiedenen Prinzipien zu unterstellen, je nachdem ob es nun zufällig zum Verlust der Sachherrschaft kommt oder nicht. In allen Fällen haftet der Störer nicht für die Herrschaft als solche, sondern dafür, dass sich das von ihm geschaffene Risiko in der Gefahr verwirklicht, kurz, dass er der Verursacher der Gefahr ist. Ob sich dieses Risiko räumlich gesehen auf dem eigenen oder einem fremden Grundstück realisiert, ist zweitrangig. Es geht also am Ende um einen Fall der Verursacherhaftung. Dass die Gefahr hier, wie es scheint, nicht durch ein rechtswidriges Tun oder Unterlassen verursacht worden ist, steht einer Haftung nicht entgegen, und zwar nicht, weil man auf die rechtswidrige Verursachung verzichten könnte, sondern weil der Begriff der Rechtswidrigkeit oft missverständlich verwendet wird. Darauf ist im letzten Teil zurückzukommen. 49 Halten wir vorläufig fest: Die Gewalthaberhaftung kann aus dem Katalog der verwendeten Zurechnungsprinzipien weitgehend, wenn nicht sogar ganz gestrichen werden. Oft handelt es sich bei den vermeintlichen Fällen der 49

Unten, 5. Teil B.

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Gewalthaberhaftung um bloße Gefahrtragung, die strikt von der Gefahrenverantwortlichkeit zu trennen ist. Der folgende Abschnitt wird zeigen, dass sich die Grenzen der „Gewalthaberhaftung" sehr viel plausibler und präziser beschreiben lassen, wenn man anerkennt, dass die vermeintliche Störerhaftung in Wirklichkeit ein Fall bloßer Gefahrtragung ist. Die verbleibenden Fälle der so bezeichneten Gewalthaberhaftung lassen sich dagegen ohne Mühe bei der Verursachung unterbringen, wobei die einzige Schwierigkeit darin besteht, das Kriterium der „unmittelbaren" oder der „rechtswidrigen" Verursachung präziser zu bestimmen. Darüber hinaus wird man allenfalls vereinzelt Überreste der Gewalthaberhaftung im System des Polizeirechts finden. Bei der Gefahrenabwehr mag es bisweilen so sein, dass man den Gewalthaber allein deshalb verantwortlich macht, weil er die Gefahr am einfachsten und schnellsten aus der Welt schaffen kann. Aber dann ist nicht mehr Herrschaft, sondern Effektivität das leitende Kriterium, und dies weniger für die Störerhaftung als vielmehr für die Nichtstörerhaftung. Das ist zum Abschluss dieses Abschnitts noch etwas näher zu erläutern.

I I I . Gefahrenabwehr, Effektivität, Herrschaft Ein Argument für die Gewalthaberhaftung ist bisher zurückgestellt worden und muss nun noch einmal zur Sprache kommen: Oft wird gesagt, dass die Gewalthaberhaftung schon wegen der im Polizeirecht gebotenen Effektivität unerlässlich sei. Dementsprechend wird in der Einwirkungsmöglichkeit des Sachherrn der zweite tragende Grund der Gewalthaberhaftung, neben dem Korrelat von Kosten und Nutzen, gesehen.50 Der Gewalthaber steht der Gefahr häufig am nächsten, weshalb die Ordnungsbehörde ein Interesse haben wird, gerade diesen in die Pflicht zu nehmen. Zwingt also das Gebot effektiver Gefahrenabwehr am Ende doch dazu, zur Haftung für Herrschaft zurückzukehren? Die Frage lässt sich klar verneinen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens kann die bloße Einwirkungsmöglichkeit des Sachherrn noch kein Argument für seine Einwirkungs/?/7ic/ii liefern. Effektivität ist gerade nicht das leitende Kriterium bei der Störerhaftung. Das ist schon im ersten Teil gezeigt worden und braucht nicht erneut ausgeführt zu werden. Daneben gibt es aber noch einen zweiten Grund: Selbst wenn man für den Moment einmal unterstellen wollte, dass allein die Effektivität der Maßnahme den Weg zum richtigen Adressaten wiese, würde das noch nicht zur Gewalthaberhaftung führen. Denn Effektivität und Sachherrschaft decken sich nicht

50

Oben, 2. Teil A III.

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

notwendig. Beide Kriterien sind nicht aufeinander abgestimmt, sie stehen, wie man auch sagen kann, in keinem funktionalen Zusammenhang: Zum einen kann die Gleichsetzung von Effektivität und Sachherrschaft in dieser Allgemeinheit überhaupt nur für den tatsächlichen Sachheim gelten. Dem Eigentümer wird dagegen häufig die Möglichkeit des direkten Zugriffs fehlen. Aber auch dort, wo der Sachherr den tatsächlichen Zugriff auf die Sache hat, ist noch nicht gewährleistet, dass er damit die Gefahr am effektivsten beseitigen kann. Das ist insbesondere dort nicht mehr der Fall, wo man Spezialgerät oder Spezialistenwissen benötigt, um die Gefahr abzuwehren. Hier hat dann nicht der Sachherr, sondern der Spezialist die beste Einwirkungsmöglichkeit. Deutlich zu sehen ist das bei dem prominentesten Beispiel der Zustandshaftung: Werden auf einem Grundstück Altlasten entdeckt oder vermutet, beschränkt sich die Beseitigungspflicht des Sachherrn, so man diesen denn für verantwortlich hält, von vornherein nur darauf, einen Unternehmer zu beauftragen und zu bezahlen. Der eigentliche Streit dreht sich dann im Grunde nur um die Frage des Kostenersatzes. Spätestens hier, auf der Sekundärebene, versagt das Kriterium der Einwirkungsmöglichkeit vollends. Denn auf der Kostenebene fragt man nicht mehr danach, wer die Gefahr faktisch am besten beseitigen kann, sondern wer sie beseitigen muss. Beide Kriterien, Sachherrschaft und Einwirkungsmöglichkeit, können sich also decken, müssen dies aber nicht. Wer nach einem funktionalen Zusammenhang zwischen dem Ziel effektiver Abwehr und einem Zurechnungstyp sucht, der wird sich an der Notstandshaftung orientieren müssen. Hier, beim Nichtstörer und nicht dem Zustandsstörer, ist Effektivität in der Tat das leitende Ziel und die Einwirkungsmöglichkeit des Verpflichteten das Hauptkriterium. Was bleibt, ist der Einwand, dass die genannte Regel - Haftung nach Risikosphären statt nach Herrschaft - für das Polizeirecht zu wenig greifbar ist. Gemessen an dem Topos der Herrschaft ist der Gedanke einer Haftung nach Risikosphären in der Tat weniger anschaulich und fassbar. Und es ist sicherlich ein Vorteil der Gewalthaberhaftung, dass die Grenzen so klar und leicht zu bestimmen sind. Allerdings zeigt sich in der Klarheit dieses Modells zugleich sein entscheidender Mangel. Das Kriterium der Herrschaft ist nicht nur einfach, es ist auch zu einfach: Mit ihm lassen sich die aus Ansprüchen und Pflichten bestehenden Relationen nicht mehr angemessen nachzeichnen. Komplizierte Interaktion lässt sich nicht mit einfachen Zurechnungsregeln bewältigen, weshalb sich in jeder auch nur halbwegs komplexen Gesellschaft die Hoffnung zerstreuen muss, die Regeln der Zurechnung auf einige griffige, praktikable Formeln bringen zu können.51 Die Einfachheit einer Lösung ist kein Garant für ihre Richtigkeit. Fast muss man umgekehrt sagen, dass gerade die vermeintli-

51

Gegen die Forderung, dass die Regeln im Polizeirecht einfach sein müssten, zu Recht auch Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 464.

C. Herrschaft ohne Haftung

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che Trennschärfe eines Zurechnungskriteriums gegen seine Richtigkeit spricht. Wenn dem Begriff der Risikosphäre jene Klarheit fehlt, die das Herrschaftsmodell auszeichnet, so ist dieser Mangel an Anschaulichkeit kein Fehler, sondern seine eigentliche Chance. Das bedeutet natürlich nicht, dass man nicht versuchen müsste, die Regeln der Zurechnung so genau wie möglich zu formulieren. Es ist deshalb die Aufgabe der verbleibenden beiden Teile dieser Arbeit die Risikoverteilung schrittweise zu konkretisieren. Zuvor aber soll noch zum Schluss dieses Abschnitts auf die Folgen der bis hier vertretenen Auffassung hingewiesen werden: Wer von der Herrschaft abrückt, für den kann es eine Herrschaft ohne Haftung genauso geben (C) wie eine Haftung ohne Herrschaft (D). Vor diesem Hintergrund ist etwa auch die sogenannte „Nachhaftung" des ehemaligen Sachherrn grundsätzlich unproblematisch.

C. Herrschaft ohne Haftung Hat man sich darauf geeinigt, dass Herrschaft zwar mit Verantwortung einhergehen kann, diese aber nicht erzeugt, sind Fälle denkbar, in denen jemand Sachherr ist, ohne Störer zu sein. Die Zuweisung der Sachsubstanz und die Zuweisung des spezifischen Sachrisikos sind zwei verschiedene Dinge. 52 Herrschaft und Störerhaftung fallen insbesondere dort auseinander, wo die Verbindung zur Gefahr nur „äußerlich" bleibt, wo keine andere Rechtfertigung als die der Herrschaft gefunden werden kann. Zur besseren Übersicht lassen sich zwei Konstellationen trennen: Im ersten Fall wird die Sache durch einen Eingriff von außen mit einer Gefahr behaftet (die Gefahr „kommt" zum Sachherrn - die Fälle der aufgedrängten Gefahrenquellen); im zweiten Fall wird eine schon gefahrbehaftete Sache in den eigenen Machtbereich gezogen (der Sachherr „kommt" zur Gefahr - es geht dann um das Problem der „ Vorhaftung" des Rechtsnachfolgers).

I. Aufgedrängte Gefahrenquellen Ein Beispiel für die erste Konstellation liefert etwa der Fall, dass Dritte Abfälle oder Gefahrenstoffe auf einem Grundstück hinterlassen. Hier folgt aus der

52

In diese Richtung auch Knoche, Altlasten, S. 304.

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

Herrschaft noch nicht notwendig die Verantwortung. 53 Der Grundeigentümer ist zwar im ersten Fall Besitzer der Abfälle und im zweiten Fall bei der Verbindung oder Vermischung der Stoffe mit dem eigenen Boden auch Eigentümer, ohne damit aber in dem einen oder anderen Fall schon Störer zu sein. Letzteres wird man erst dann bejahen können, wenn das unbefugte Handeln Dritter typischerweise mit der eigenen beherrschten Sache zusammenhängt, also etwa dann, wenn sich auf dem Grundstück eine stillgelegte Deponie befindet, die auch noch nach ihrer Schließung Dritte anlockt. Aus der Herrschaft als solcher folgt jedenfalls noch nicht die Störerhaftung, sondern, wie noch genauer zu sehen sein wird, allenfalls die Gefahrtragung. Das Gesagte gilt einmal für den Fall, dass jemand durch die äußere Verbindung oder Vermischung zum rechtlichen Sachherrn einer aufgedrängten Gefahrenquelle wird (§§ 946-950 BGB). Die §§ 946 ff BGB regeln zwar die Zuordnung der rechtlichen Sachherrschaft, nicht aber die Zurechnung von Gefahren. Wer durch Verbindung oder Vermischung zum Eigentümer der Gefahrenquelle wird, muss darum noch nicht verantwortlich für die Gefahr sein.54 Die herrschende Ansicht sieht das anders. Nach ihr soll die Zustandshaftung mit der Verbindung oder Vermischung stehen und fallen. 55 Das liegt ganz in der Logik des Herrschaftsmodells, kann aber nicht zu stimmigen Ergebnissen führen. Die Bindung der Störerpflicht an die §§ 946 ff BGB ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil das Gesetz in beiden Fällen jeweils einen ganz verschiedenen Konflikt zu lösen hat. Bei der Frage der Verbindung und Vermischung geht es zunächst nur darum, die Sachsubstanz als Einheit zu erhalten, weil eine Trennung wirtschaftlich sinnlos wäre oder faktisch unmöglich ist. 56 Wem dagegen die bis zum Eigentumswechsel realisierten Vorteile gebühren, steht auf einem ganz anderen Blatt und entscheidet sich erst im Rahmen des § 951 BGB, in den dann über das Bereicherungsrecht weitere Wertungen einfließen. Das Gleiche muss auch für die Seite der Kosten gelten: Auch hier regeln die §§ 946 ff BGB zwar die Verteilung der Sachherrschaft, nicht aber die der Sachrisiken. Wer beides miteinander verbindet, wird sich gezwungen sehen, die Zurechnung bisweilen von technischen Zufällen abhängig zu machen. Ein Beispiel: Jemand verpachtet sein Waldgrundstück an Dritte, die auf der gepachteten Fläche 53 Bedenklich ist deshalb die in § 11 KrW-/AbfG vorgesehene umfassende Beseitigungspflicht des Abfallbesitzers. Der Besitzer der von ihm nicht zurechenbar erzeugten Abfälle sollte allenfalls in Höhe seiner eigenen Gefahrtragung haften. Siehe unten, 4. Teil A II, III. 54 So schon Czychowski, DVB1. 1970, S. 379, 384. 55 OVG Hamburg, DÖV 1983, S. 1016 f (Hamburger Sturmflut); Drews/Wache/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 328; Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 186. 56 Quach, in: Münchener Kommentar, § 951, Rn. 1.

C. Herrschaft ohne Haftung

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ohne Absprache mit dem Eigentümer rechtswidrig eine Hütte errichten. Hier ist der Verpächter und Eigentümer des Grundstücks Zustandsstörer, soweit die Hütte durch einen Betonsockel fest mit dem Erdboden verbunden ist (§§ 946, 94 BGB). Dagegen haftet der Verpächter nicht oder allenfalls als mittelbarer Besitzer, wenn die gleiche Laube auf Holzpfeilern steht, die nur in den Boden gerammt sind. Oder: Wer gefährliche Stoffe im Hafenbereich lagert, die dann bei einer Überschwemmung in das Hafenbecken gespült werden, haftet als Sachherr für die Beseitigung, wenn die Stoffe schwer wasserlöslich sind und sich nicht mit dem Wasser vermischen. Lagert er aber wasserlösliche Stoffe, die sich dann bei einer Überschwemmung mit dem Wasser vermischen, so ist seine Sachherrnhaftung im Moment der Vermischung beendet und der ehemalige Eigentümer allenfalls als Verursacher verantwortlich. Die Folge: Wer nicht wasserlösliche Stoffe lagert, haftet auch als Gewalthaber; wer dagegen wasserlösliche, und damit für den Wasserhaushalt möglicherweise um so gefährlichere Stoffe lagert, haftet nur als Verursacher. Das kann nicht überzeugen. Und doch lässt sich dieses Ergebnis nicht vermeiden, solange man an der Formel festhält, dass Herrschaft gleich Haftung ist. Richtigerweise sollte man die Frage der Herrschaft von der ganz anderen Frage trennen, wer welche Risiken übernimmt. Konkret für den Fall des Eigentümers, der Stoffe an einem Gewässer lagert, hat man also die Frage zu stellen, ob dieser das Risiko von Hochwasser und Sturmflut einkalkulieren und für entsprechende Sicherung sorgen muss oder nicht. Das hier vertretene Ergebnis findet sich gelegentlich in der Weise formuliert, dass man für das Polizeirecht einen eigenen Begriff des Eigentums zu bilden habe, der sich nicht immer mit den Bestimmungen des Zivilrechts decke.57 Damit wird aber, wie ich denke, nicht an der richtigen Stelle angesetzt. Denn es geht nicht darum, die polizeirechtliche von der zivilrechtlichen Haftung abzukoppeln 58 , sondern den Begriff der Verantwortlichkeit überhaupt - sei es nun die zivil- oder polizeirechtliche - von dem der Herrschaft zu lösen. Anders gesagt: Das Problem liegt nicht bei der Koppelung von Zivil- und Polizeirecht, sondern bei der Verbindung von Herrschaft und Haftung. Entsprechendes gilt dort, wo es nur zur tatsächlichen Verbindung der Gefahrenquelle mit der Sache kommt. Wo die Sache dem tatsächlichen Sachherrn aufgedrängt wird, folgt aus der Herrschaft als solcher wiederum keine Haftung. Beispiel: Wenn jemand nach einem Unfall das Autowrack auf einem Feld zurücklässt, dann ist zwar der Grundeigentümer tatsächlicher Sachherr der störenden Sache, ohne deshalb schon Störer zu sein. Aus der aufgedrängten Sachherrschaft folgt noch keine Störerhaftung. Denninger schlägt deshalb vor,

57

So Binder, Gefährdungshaftung, S. 83. Zu Recht gegen eine völlige Abkopplung Friauf, VVDStRL 35 (1977), S. 350 (Diskussionsbeitrag). Siehe auch oben, 1. Teil. 58

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

die tatsächliche Sachherrschaft wie im Zivilrecht an die objektiv zurechenbare 59 oder willentliche 60 Eingliederung der Gefahrenquelle in den eigenen Herrschaftskreis zu binden. 61 Damit können Fälle des aufgedrängten Besitzes nicht mehr zur Zustandshaftung führen. Dem möchte ich im Ergebnis zustimmen, doch geht der Vorschlag meines Erachtens noch nicht weit genug. Denn es ist nicht damit getan, die polizeiliche Haftung an die zivilrechtliche Sachherrschaft (den zivilrechtlichen Besitz) zu koppeln, sondern die polizeiliche Haftung ganz von dem Begriff der Herrschaft zu lösen.

I I . „Vorhaftung" des Rechtsnachfolgers Nur scheinbar anders liegen die Dinge in der zweiten Fallkonstellation, der „Vorhaftung" des Rechtsnachfolgers. Im Gegensatz zu dem zuvor beschriebenen Fall geht es nicht darum, dass die Gefahrenquelle an die schon beherrschte Sache „geheftet" wird (Beispiel: Dritte entsorgen Öl auf einem fremden Grundstück), sondern darum, dass die ganze, schon gefahrbehaftete Sache in die eigene Sphäre eingefügt wird (Beispiel: Jemand erwirbt ein Grundstück, auf dem Dritte oder der Rechtsvorgänger zuvor Öl entsorgt haben). Auf den ersten Blick sieht es so aus, als müssten für diese Konstellation andere Regeln gelten. Denn immerhin zieht der Sachherr die gefahrbehaftete Sache (also etwa das Grundstück) in seinen Machtbereich hinein und übernimmt so, wie es scheint, mit der Sache auch alle damit verbundenen Gefahren. So im Ergebnis auch die fast einhellige Auffassung: Nach ihr zieht die Person mit dem Erwerb der Sache eo ipso die Verantwortlichkeit für alle an der Sache haftenden Gefahrenquellen an sich. Der Erwerber kauft also die sprichwörtliche Katze im Sack: Er wird für alle Gefahren voll verantwortlich gemacht, die - typischerweise oder zufällig, erkennbar oder objektiv unerkennbar - mit der Sache verbunden sind. Die Zustandsverantwortlichkeit, so der Gedanke, endet mit dem Verlust des Eigentums und wird beim Erwerber der Sache unmittelbar kraft Gesetzes neu begründet. 62

59

Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, § 13 S. 92 f. BGHZ 101, S. 186, 188 (Fund eines Tausend-Mark-Scheins im Warenhaus). 61 In: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt E Rn. 102 ff. Für eine Übernahme des zivilrechtlichen Besitzbegriffs auch Heintzen/Druschel, UTR 36 (1996), S. 361, 373, 383 ff. 62 Statt vieler: Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 299; Ossenbühl, NJW 1968, S. 1992, 1994; Rau, Jura 2000, S. 37, 40; Schink, VerwArch. 82 (1991), S. 357, 384; Schock, JuS 1994, S. 1026, 1030. 60

D. Haftung ohne Herrschaft

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Die genannte Ansicht ist vor dem Hintergrund der Gewalthaberhaftung konsequent, aber bei der Ablehnung dieses Haftungsprinzips nicht mehr aufrechtzuhalten. Denn die Störerhaftung entsteht anders als die Gefahr des zufälligen Verlustes (Gefahrtragung) noch nicht mit der Übernahme der Sachsubstanz, also etwa mit dem Kauf eines Stück Bodens, sondern erst mit der Übernahme eines Sachrisikos, also etwa mit der Übernahme des Risikos einer Bodenkontamination. Dieses Risiko wird mit dem Kauf nur dann übernommen, wenn die später auftretende Gefahr eine typische Folge der erworbenen Sache ist. Man muss deshalb strikt trennen zwischen dem, was sich physisch im Herrschaftskreis befindet, und dem, was normativ in die Verantwortungssphäre fällt. Beides muss längst nicht immer zusammenfallen: Es ist eben bei weitender Betrachtung etwas ganz anderes, ob jemand ein Grundstück erwirbt, auf dem erkennbar bis dahin eine chemische Anlage, eine Mülldeponie, eine Tankstelle oder eine ähnlich riskante Anlage betrieben wurde (dann haftet der Erwerber für die schon vorhandenen Gefahren), oder ob der Käufer ein Stück „grüne Wiese" erwirbt, auf dem dann ganz unerwartet Schadstoffe entdeckt werden oder - besonders deutlich - bei dem plötzlich aus dem Erdboden schädliche Grubengase austreten. 63 Nur im ersten Fall birgt die Sache das Risiko von Bodenverunreinigungen und nur im ersten Fall erwirbt der Käufer mit der Sachsubstanz auch das Sachrisiko. Im zweiten Fall bleibt es dagegen bei der bloßen Gefahrtragung. 64

D. Haftung ohne Herrschaft Die Tatsache, dass der Gewalthaber immer nur für die typischen Folgen seines Verhaltens und seiner Sachen einstehen muss, hat auch ihre Kehrseite: So wenig wie Verantwortlichkeit durch die äußere Verbindung von Sache und Gefahrenquelle entstehen kann, so wenig kann das Ende dieser - äußeren - Verbindung die einmal entstandene Haftung beenden. Auf den Verlust der Sachsubstanz folgt nicht die Befreiung von einmal zugerechneten Sachrisiken. Wieder lassen sich spiegelbildlich zu den oben genannten Fällen zwei Konstellationen unterscheiden: Im ersten Fall stößt der Sachherr eine aus seinem Machtbereich kommende Gefahrenquelle ab (Haftung für abgedrängte Gefahrenquellen). In der zweiten Variante befreit er sich von der ganzen, mit einer Gefahr behafteten Sache durch Aufgabe des Besitzes, durch Dereliktion oder Veräußerung der Sache (die sogenannte Nachhaftung des Rechtsvorgängers).

63 64

Speziell dazu Frenz/Kummermehr, Dazu oben, 4. Teil A.

DVB1. 2000, S. 451, 457.

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

I. Abgedrängte Gefahrenquellen Zur ersten Fallgruppe: Die Haftung endet nicht schon dadurch, dass der Sachherr die Herrschaft über die aus seinem Machtbereich stammenden Gefahrenquellen verliert. Beispiele: Wenn die auf einem fremden Grundstück lagernden Ölfässer mit der Zeit undicht werden und auslaufendes Öl den Boden verseucht oder gelagerte Abfälle bei starken Regenfällen auf das Nachbargrundstück gespült werden oder wenn sich nach dem unzulässigen Ausstoß von Schadstoffen die schädigenden Partikel mit der Luft vermischen, dann hat der Eigentümer im ersten und letzten Fall die rechtliche Herrschaft und im zweiten Fall die tatsächliche Gewalt eingebüßt, aber in keiner der verschiedenen Varianten seine Störereigenschaft verloren. Nicht Sachherrschaft, sondern die Zuteilung bestimmter Risiken bestimmt die Haftung. Der Störer haftet insoweit „ewig", womit nichts anderes gemeint ist, als dass sich der Störer nicht durch das „Abstoßen" der Gefahrenquelle von seiner Haftung befreien kann. Die Störerhaftung endet erst durch Erfüllung (Beseitigung), mit der befreienden Übernahme durch Dritte 65 oder dann, wenn die Pflicht infolge von Verjährung oder Verwirkung 66 nicht mehr durchsetzbar ist. Denn die durch einen „inneren" Zusammenhang begründete Verantwortung entsteht in der Person, nicht an der Sache und kann deshalb auch nur durch Pflichterfüllung, nicht durch Übergabe der Sache beendet werden.

I I . Nachhaftung des Rechtsvorgängers Diese Folgehaftung des Störers über das Ende seiner Herrschaft hinaus muss für ein Modell, das sich an Risiko- und nicht an Herrschaftssphären orientiert, eine Selbstverständlichkeit sein. Dass diese Haftung des ehemaligen Sachherrn der polizeirechtlichen Dogmatik so viel Kopfzerbrechen bereitet, ist überhaupt nur vor dem Hintergrund des Gewalthabermodells verständlich. Besonders schwer tun sich die Vertreter der Gewalthaberhaftung vor allem dann, wenn nicht nur die isolierte Gefahrenquelle abgestoßen wird (das Öl, die emittierten Schadstoffe), sondern zugleich die ganze Sache abgegeben wird (etwa durch Verkauf des gesamten mit Öl belasteten Grundstücks oder durch Dereliktion der gefährlichen Sache). Damit ist die zweite Fallkonstellation angesprochen: die sogenannte Nachhaftung oder „Ewigkeitshaftung" des Rechtsvorgängers. Hier stellt sich für die Verfechter der Gewalthaberhaftung unweigerlich die Frage,

65

Den Fall behandeln Nolte/Niestedt, JuS 2000, S. 451, 457. Zur Beendigung der Störerhaftung durch Verjährung oder Verwirkung Ossenbühl, NVwZ 1995, S. 547 ff. 66

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wie es möglich sein kann, den ehemaligen Sachherrn nach Übereignung oder Dereliktion seiner gefährlichen Sache noch zur Verantwortung zu ziehen. Das Gesetz jedenfalls hält eine solche Nachhaftung für möglich, und zwar sowohl im Fall der Dereliktion (§ 5 Abs. 3 ME PolG) als auch bei Übereignung der Sache (§ 4 Abs. 6 BBodSchG). Die Versuche, diese Nachhaftung 67 - schon die Bezeichnung zeigt deutlich die Fixierung auf den Gedanken der Sachherrschaft - in das System der Gewalthaberhaftung einzufügen, sind wenig befriedigend: Teilweise hat man versucht, den ehemaligen Eigentümer dadurch in die Störerhaftung zu zwingen, dass man die Auf- oder Weitergabe seines Eigentums kurzerhand für gesetzesoder sittenwidrig und damit nichtig erklärt hat (§§ 134, 138 BGB) 6 8 - eine Lösung, die aus drei Gründen angreifbar ist: Zum einen enthalten die §§ 134, 138 BGB selbst noch keine konkretisierte Pflicht, sondern verweisen als Blankett immer auf eine anderweitig begründete Rechtspflicht, die aber gerade fraglich ist. Damit setzt der Verweis auf die §§ 134, 138 BGB genau das voraus, was er begründen soll: nämlich das Bestehen einer entsprechenden Sicherungspflicht. Zum anderen schießt die Lösung über das Ziel hinaus, weil sie das ganze Rechtsgeschäft (Dereliktion, Übereignung) für hinfällig erklärt, wo doch die Fortdauer der Störerhaftung (trotz wirksamer Beendigung der Sachherrschaft) ausreichen würde. Das Polizeirecht will nicht das Rechtsgeschäft als solches verhindern, sondern allein die Flucht aus der Störerhaftung. 69 Schließlich bleibt unklar, warum die Nachhaftung nur beim Eigentümer, nicht aber bei dem Besitzer greifen soll. Wenn nämlich Eigentümer und Besitzer beide als Gewalthaber

67

Eingehend dazu Kohls, Zustandsverantwortlichkeit. So für die Haftung nach Dereliktion Schmidt- Jortzig, in: Festschrift für Scupin, S. 819, 827 ff; vgl. auch Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 328 (die § 138 BGB in bestimmten Ausnahmefällen anwenden wollen); Scholler/Broß, Grundzüge, S. 207. Für die Haftung nach Veräußerung VGH Mannheim, VB1BW 1998, S. 312, 313 f (Zustandsverantwortung für Altlasten nach Veräußerung des Grundstücks an eine ausländische Kapitalgesellschaft); vgl. Knopp, DVB1.1999, S. 1010,1012 f, der § 4 Abs. 6 BBodSchG für verfassungswidrig, aber einen Missbrauchsschutz im Rahmen der §§ 134, 138 BGB für möglich hält. 69 Einen anderen Vorschlag zur Begründung der Nachhaftung hat zuletzt Grzeszick (NVwZ 2001, S. 721, 726) gemacht. Er meint, dass der ehemalige Eigentümer weiter haftet, weil dieser mit der Übereignung das Risiko einer ineffektiven Zustandshaftung erhöht habe. Ich denke, dass auch dieser Ansatz letztendlich nicht trägt: Die Person, welche allgemein das Risiko einer ineffektiven Gefahrenabwehr erhöht, haftet nur dann als Störer, wenn sie gerade eine Pflicht zur effektiven Gefahrenabwehr hat. Denn es gibt keine allgemeine Pflicht zur effektiven Gefahrenabwehr, die über die Notstandshaftung des Nichtstörers hinausginge. Anders gesagt: Die Haftung für die Behinderung effektiver Gefahrenabwehr setzt die Pflicht zur effektiven Gefahrenabwehr voraus, womit man sich erneut im Kreis dreht. 68

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

haften, muss es beiden verwehrt sein, durch Aufgabe ihrer Sachherrschaft eine Haftung zu umgehen. Konsequent ist die Lösung Lepsius', der jedenfalls bei Übereignung der Sache (für den Fall der Dereliktion muss wohl Entsprechendes gelten) auf die Nachhaftung ganz verzichten will. 7 0 Damit stellt er sich bewusst gegen die gesetzliche Regelung des § 4 Abs. 6 BBodSchG und wohl auch gegen die in meisten Landesgesetzen festgelegte Nachhaftung im Fall der Dereliktion (vgl. § 5 Abs. 3 M E PolG). Auch wenn dieses Ergebnis für sich gesehen folgerichtig ist, fällt es schwer, die Konsequenzen zu akzeptieren. Das gilt zunächst für den Fall der Dereliktion: Es ist kaum einzusehen, warum derjenige, der sich seiner gefährlichen Sache kurzerhand entledigt, auf diese Weise selbst über seine Haftung disponieren können soll. Auch für den Fall der Übereignung einer gefährlichen Sache stößt man auf Probleme. Dazu ein Beispiel: Jemand erwirbt von dem Betreiber das belastete Gelände einer stillgelegten Anlage. Nachdem im Laufe der Jahre nach und nach die Spuren der vergangenen Nutzung des Grundstücks verschwunden sind, verkauft er das Gelände an einen Dritten weiter. - Sollte in diesen und in ähnlich gelagerten Fällen nicht vor allem der ehemalige Eigentümer anstelle des gegenwärtigen Eigentümers für die Gefahr einstehen? Hier ist eine Nachhaftung viel näher liegend als die Haftung des nunmehrigen Gewalthabers. Denn nur der Alteigentümer hat das Risiko der Schadstoffbelastung bei seinem Kauf übernommen, was bei dem späteren Käufer des bereits bebauten Grundstücks sehr fraglich ist. Folgt man den Regeln der Gewalthaberhaftung, muss man aber genau umgekehrt werten: Danach haftet jedenfalls der gegenwärtige Eigentümer und, wenn überhaupt, erst danach der ehemalige Eigentümer - ein wenig plausibles Ergebnis. Auch an anderen Stellen gelangt man mit dem Gewalthabermodell zu unbefriedigenden Lösungen. Dazu ein zweites Beispiel: Jemand veräußert seine mit Schadstoffen belastete Sache an einen Dritten. Im ersten Fall lässt er sich seine Kaufpreisforderung durch einen Eigentumsvorbehalt oder ein anderes dingliches Recht an der Sache sichern. Im zweiten Fall wird die Kaufpreisforderung durch eine Bürgschaft gesichert. Nach den Regeln der Gewalthaberhaftung muss sich der Eigentümer in der ersten Variante weiterhin als rechtlicher Sachherr verantworten, während er in der zweiten Variante nur im Wege der Nachhaftung verpflichtet werden kann. Aber sollte hier die für das Polizeirecht zufällige Frage der jeweiligen Kreditsicherung (dinglich oder persönlich) wirklich über die Störereigenschaft entscheiden? Das Ergebnis ist eigenartig. Und doch wird, wer an der Gewalthaberhaftung festhält, so differenzieren müssen.

70

Lepisus, Besitz, S. 343 f.

D. Haftung ohne Herrschaft

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Die Vertreter der Gewalthaberhaftung stehen also vor einem Dilemma: Entweder müssen sie die Nachhaftung hinnehmen und damit einen Bruch im eigenen System akzeptieren. Oder sie lehnen die Haftung ab und übergehen damit ein praktisch wie auch sachlich gerechtfertigtes Bedürfnis, den ehemaligen Sachherrn nicht aus der Haftung zu entlassen. A m Ende fällt deshalb jeder Versuch, mit der Nachhaftung des ehemaligen Sachherren umzugehen, unbefriedigend aus. Wo das Gesetz die Nachhaftung im Fall der Dereliktion (§ 5 Abs. 3 ME PolG) oder Veräußerung (§ 4 Abs. 6 BBodSchG) ausdrücklich akzeptiert, muss diese „Ewigkeitshaftung" dann als „ordnungsrechtlich spektakulärer" 71 Fremdkörper im Haftungssystem empfunden werden, den man entweder als Störertyp sui generis 72 aus dem Katalog der bekannten Störertypen herausnimmt, oder aber mit Hilfe des Verfassungsrechts zu korrigieren versucht. 73 Dagegen denke ich: Nicht die Nachhaftung, sondern die Gewalthaberhaftung ist der eigentliche Fremdkörper im Haftungssystem. So wie eine „Vörhaftung" des Rechtsnachfolgers für die zufällig mit der Sache verbundenen Gefahren ausgeschlossen ist, so ist eine Nachhaftung des Rechtsvorgängers für die typischerweise mit der Sache verbundenen Gefahren möglich. Wo das Gesetz eine solche Nachhaftung regelt, ist das nicht zu beanstanden.74 Das vermeintliche Problem der Nachhaftung ist in Wirklichkeit ein Problem der Gewalthaberhaftung. Wer sich von der Gewalthaberhaftung entfernt, hat damit auch das Problem der Nachhaftung gelöst. Verantwortlichkeit knüpft nicht an Herrschaft, sondern an die Zuweisung bestimmter - typischer - Risiken. Diese einmal entstandene Verantwortung kann der Störer nicht einfach abstreifen, indem er seine Herrschaft über die Sache auf- oder abgibt.

71

Spieth/Wolfers, NVwZ 1999, S. 355, 356. So auch schon Kobes, NVwZ 1998, S. 786, 790. 72 Grzeszick, NVwZ 2001, S. 721, 723, 725 f. 73 Für eine Reduzierung des § 4 Abs. 6 BBodSchG auf Umgehungsgeschäfte im Wege der verfassungskonformen Auslegung sind Kahl DV 2000, S. 29, 61; Knopp, DVB1. 1999, S. 1010, 1012 f; Spieth/Wolfers, NVwZ 1999, S. 355, 356 f. Für eine Beschränkung der Haftung auf die Höhe des Verkehrswerts spricht sich Müggenborg, NVwZ 2000, S. 50,51 f aus. Auf die Schaffung des Risikos einer nicht effektiven Zustandshaftung beschränken will die Norm Grzeszick, NVwZ 2001, S. 721,728 ff. - Für verfassungsgemäß halten die Vorschrift dagegen zu Recht Frenz, Bundes-Bodenschutzgesetz, § 4 Abs. 6 Rn. 4; Sanden/Schoeneck, Bundes-Bodenschutzgesetz, § 4 Rn. 49; Schink, DÖV 1999, S. 797, 805. 74 Insbesondere ist an der viel kritisierten Regelung des § 4 Abs. 6 BBodSchG im Grundsatz nichts auszusetzen. Wenn man an der Vorschrift etwas zu kritisieren hat, so ist es nicht die Nachhaftung als solche, sondern vielmehr der Versuch, die Risikoverteilung über das Wissen- und Wissenmüssen zu regeln. Gegen das subjektive Kriterium der Bösgläubigkeit zu Recht Kahl DV 2000, S. 29, 69. Hier muss an die Stelle des subjektiven ein objektives Kriterium treten. Dazu genauer im 5. Teil, H.

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Dritter Teil: Zur Trennung von Verursacher- und Gewalthaberhaftung

Letztendlich geht es bei der Nachhaftung um einen Fall der Verursacherhaftung: 15 Der Sachherr haftet für das in seinem Machtbereich geschaffene Risiko, das sich dann an anderer Stelle, in einem anderen Herrschaftskreis, realisiert. 76 Wenn etwa die Haftung des Anlagenbetreibers noch nicht damit endet, dass er die Herrschaft über die emittierten Gefahrenstoffe verliert, dann erlischt die Haftung des Eigentümers auch nicht dadurch, dass er die Herrschaft über seine gefährliche Sache auf- oder an einen Dritten weitergibt. So verstanden setzt die Nachhaftung immer voraus, dass der Sachherr bei der Aufgabe seiner Sachherrschaft schon aus einem anderen Grund verantwortlich ist, sei es, dass er die Gefahr während der Dauer seiner Herrschaft selbst geschaffen hat (Verursachung durch das eigene Verhalten), oder sei es, dass er das Risiko einer solchen Gefahr beim Erwerb der Sache, etwa beim Kauf eines ehemaligen Betriebsgrundstücks, mit übernommen hat (Verursachung durch die eigene, erworbene Sache). In beiden Varianten überlebt die einmal entstandene Störerhaftung die Sachherrschaft. Die Rede von der Nachhaftung meint also nicht mehr, als dass die einmal begründete Haftung nicht mit der Herrschaft endet. Dagegen geht es nicht darum, eine noch nicht begründete Verantwortung mit der Auf- oder Weitergabe der Herrschaft überhaupt erst zu erzeugen: Die Aufgabe der Herrschaft beendet weder die bestehende Haftung noch begründet sie die noch nicht entstandene Haftung. Mit anderen Worten: Die Herrschaft als solche ist ein für die Begründung oder Beendigung der Haftung unbedeutendes Faktum.

75

In diese Richtung VGH München, BayVBl. 1996, S. 437 f (Sicherungspflichten des Eigentümers eines Felsgrundstücks nach Dereliktion). Grundsätzlich zustimmend Trute, DV 1999, S. 73, 80 f. 76 Vgl. Kohls, Zustandsverantwortlichkeit, S. 190 ff. Er meint, dass in den Fällen, wo Alt- und Neueigentümer nicht kollusiv zusammenwirken, die „nachwirkend sachbezogene Garantenstellung" den Grund für die Haftung des Alteigentümers liefert.

ier

Teil

Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung Die bisherigen Überlegungen haben vor allem gezeigt, worauf es nicht ankommt: Nämlich nicht auf die Unterscheidung von Verhaltens- und Zustandshaftung, nicht auf die Trennung von Verhaltens- und Sachgefahren und auch nicht auf eine Haftung für Herrschaft, die dann im Gegensatz zur Verursacherhaftung stünde. Die noch verbleibenden zwei Teile der Arbeit müssen jetzt zeigen, worauf es ankommt, nach welchen Regeln also Risiken im Polizeirecht verteilt werden. Dabei wird der folgende Abschnitt den Anfang machen, indem er zunächst die Grundunterscheidungen des Zurechnungssystems nachzeichnet. Zu diesem Zweck müssen die bis hier verworfenen Grundeinteilungen (Verhaltensstörer - Zustandsstörer; Verhaltensgefahr - Sachgefahr; Verursacherhaftung - Gewalthaberhaftung) durch drei andere Unterscheidungen ersetzt werden: (1) An erster Stelle lassen sich ganz allgemein zwei Arten der Risikoverteilung trennen, nämlich die schlichte Gefahrtragung einerseits und die Gefahrenverantwortlichkeit andererseits. Während es im ersten Fall nur darum geht, den eigenen, privaten Schaden zu tragen, muss im zweiten Fall die Polizeigefahr aus der Welt geschaffen werden - zwei Dinge, die sich überschneiden können, aber längst nicht immer decken müssen (A). (2) Verfolgt man den zweiten Strang - also den der Verantwortlichkeit - weiter, lässt sich dieser erneut aufspalten in die Haftung des Störers und die des Nicht-Störers . Den Störer trifft eine „echte" Pflicht zur Gefahrenbeseitigung, die Gefahr wird ihm als sein Werk zugeschrieben, die Beseitigung dieser Gefahr ist nichts anderes als die Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit. Dagegen handelt der Nichtstörer nur aufgrund einer „unechten" Verpflichtung, der Grund seiner Haftung ist solidarische Aufopferung, die Beseitigung der Gefahr die Erfüllung einer fremden Verbindlichkeit (B). (3) Verfolgt man die Seite der Störerhaftung weiter, lassen sich Nichtstörungs- und Schutzpflichten (negative und positive Pflichten) trennen. Im ersten Fall haftet der Störer für die eigene Verursachung der Gefahr (die sogenannte Verursacherhaftung), im zweiten auf Grund eines besonderen Status4, der ihn in Grenzen auch zum Schutz vor fremdverursachten Gefahren verpflichtet (C). Verfolgt man schließlich von dieser Einteilung die erste Variante - also die Nichtstörungspflichten - weiter, gelangt man zum eigentlichen Kernbereich der

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Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

polizeilichen Störerhaftung und von hier aus zu weiteren Einteilungen, wie der Unterscheidung von unmittelbarer und mittelbarer Verursachung bzw. der Trennung von normal riskantem und besonders riskantem Handeln. Die Behandlung dieser zuletzt genannten Zurechnungsvarianten wird größeren Raum einnehmen und dem letzten Teil dieser Arbeit überlassen bleiben.

A. Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung I. Arten der Risikoverteilung Man wird sich schnell darauf einigen können, dass die Person jedenfalls für die Verhaltens- oder sachtypischen Gefahren einstehen muss. Dabei sei an dieser Stelle zurückgestellt, was genau zu solchen typischen Gefahren zählt. Für eine erste Einteilung soll die Rede von der „typischen" Folge zunächst genügen. Von ihr zu unterscheiden sind solche Gefahren, die sich - aus der Sicht des Betroffenen - zufällig realisieren. Hier fällt die Antwort nicht mehr so leicht: Wie ist etwa die Haftung des Grundeigentümers zu beurteilen, auf dessen Grundstück ein Tanklaster verunglückt und den Boden verseucht? Haftet ferner der Eigentümer eines Waldgrundstücks, wenn Dritte dort unbefugt Abfälle hinterlassen? Und wie steht es um die Haftung des Hauseigentümers in dem Fall, dass Dritte beleidigende Parolen an dessen Hauswand sprühen? Allgemeiner formuliert: Gehören auch die zufällig entstandenen Gefahren in bestimmten, genauer zu bezeichnenden Fällen zu seinem Risiko oder ist eine Haftung hier von vornherein ausgeschlossen? Die Herrschaft allein, soviel wurde bis jetzt gezeigt, ist dabei jedenfalls noch nicht Grund genug für eine Zurechnung. Friauf hat eine Haftung für zufällige Gefahren in seinen grundlegenden Ausführungen zur Zustandshaftung jedenfalls für einen Bereich, nämlich für die Folgen des modernen Massenverkehrs, ausgeschlossen. Er schreibt: „Der Eigentümer, dessen Grundstück durch Einwirkungen des von staatlichen Instanzen zugelassenen oder eröffneten Verkehrs betroffen wird, steht der Gefahr nicht näher als ein beliebiger Dritter. Das Risiko derartiger Gefahren hat er mit dem Erwerb nicht übernommen und brauchte es gerechterweise nicht zu übernehmen." 1 Allerdings meint auch Friauf, dass es Bereiche geben könne, in denen der Gewalthaber für die aus seiner Sicht zufälligen Folgen haftet. So soll der Grundeigentümer in jedem Fall für Naturgewalten einstehen, die 1

In: Festschrift für Wacke, S. 293, 302. In der Tendenz ähnlich: Binder, Gefährdungshaftung, S. 78 ff (Haftung nur für typische Gefahren der Sache); Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt E Rn. 97, 105 ff; Kirchhof, DÖV 1976, S. 449, 457 (Haftung für den Gebrauch des Eigentums); Ladeur, UPR 1995,

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zufällig über ihn hereinbrechen und seine Sache in einen gefährlichen Zustand versetzen.2 Wenn etwa bei einem schweren Hochwasser die Fundamente eines Gebäudes unterspült werden und dieses einzustürzen droht, dann haftet nach der Ansicht Friaufs der Eigentümer als Störer für diese Folgen. Eine etwas andere Lösung hat Papier vorgeschlagen: Er will den Sachherrn für typische - verursachte - Gefahren generell und in vollem Umfang haften lassen. Darüber hinaus könne der Sachherr aber auch für die zufälligen - nicht verursachten - Folgen einstehen. Das soll allerdings nur mit Einschränkungen gelten: Der Eigentümer hafte nicht generell, sondern immer nur nach Lage des Einzelfalls. Entscheidend ist für Papier insoweit, ob „die nach Lage der Dinge privatnützige, wirtschaftlich sinnvolle Verwendung des konkreten Grundeigentums ausgeschlossen oder ganz erheblich beeinträchtigt worden ist" 3 . Oft wird diese abstrakt beschriebene Haftungsgrenze im Verkehrswert der Sache gesehen. Soweit die Kosten der Gefahrenbeseitigung den Wert der gefahrbehafteten Sache übersteigen, soll nur der Verursacher haften. 4 Auf eine kurze Formel gebracht, lautet die Lösung Papiers also: Volle Haftung für verursachte, beschränkte Haftung für zufällige, aber beherrschte Gefahren; keine Haftung für zufällige, nicht beherrschte Gefahren. Das ist im Wesentlichen auch der Weg, den das Bundesverfassungsgericht eingeschlagen hat.5 Die folgenden Überlegungen setzen hier an. Ich denke, dass auch zufällige Folgen grundsätzlich zurechenbar sein können. Allerdings - und darin liegt nun S. 1, 3 f (Haftung für eine Klasse von Gefahren); Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 462 ff (Haftung für bestimmte Risiken); Wolff, Verwaltungsrecht III, S. 64 (Haftung nur, wenn die Sache als solche stört). 2 In: Festschrift für Wacke, S. 293, 302. 3 Papier, Altlasten, S. 52; ders., in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetzkommentar, Art. 14 Rn. 518 ff; ders., DVB1. 1985, S. 873, 878; ders., UTR 1 (1985), S. 59, 75 f; ders., NVwZ 1986, S. 261 f; ders., NWVB1. 1989, S. 322, 326; ders., JZ 1994, S. 810, 816. Dem Gedanken zustimmend und diesen weiterführend: Depenheuer, in: v Mangolt/ Klein/Starck, Art. 14 Rn. 401 ff; Frenz, VerwArch. 90 (1999), S. 208, 218 ff; Oerder, NVwZ 1992, S. 1031,1036 f; Schink, VerwArch. 82 (1991), S. 357,379 ff; Würtenberger, in: Püttner /Achternberg, Besonderes Verwaltungsrecht II, Abschnitt 7 Rn. 358 ff. 4 Frenz, VerwArch. 90 (1999), S. 208, 218 ff; Oerder, NVwZ 1992, S. 1031, 1036 f; Würtenberger, in: Püttner/Achternberg, Besonderes Verwaltungsrecht II, Abschnitt 7 Rn. 358 ff. Siehe auch Sparwasser/Geißler, DVB1. 1995, S. 1317,1320, die meinen, dass die Zustandshaftung schon kraft Gesetzes auf den Verkehrswert beschränkt ist. 5 BVerfGE 102, S. 1, 21 f (Verfassungsmäßigkeit der Gewalthaberhaftung für Altlasten), das entsprechende Überlegungen unter dem Stichwort der „Zumutbarkeit" anstellt. Im Ergebnis ähnlich auch VGH München, DVB1. 1986, S. 1283, 1285 (Haftung des Rechtsnachfolgers für die Kontamination des Bodens durch eine Chemiefabrik), der bei Dritteinwirkung eine Ermessensreduzierung auf null annimmt, weil die Zustandshaftung sonst zur „Solidarhaftung für Dritte" würde.

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ein wesentlicher Unterschied zu der Lösung Papiers und des Bundesverfassungsgerichts - wechselt dann der Modus der Zurechnung: Die Person haftet in diesem Fall nicht als Störer, sondern als Geschädigter; es geht also gar nicht um Gefahrenverantwortlichkeit, sondern nur um Gefahrtragung. Um die Zurechnung typischer und zufälliger Folgen richtig einzuordnen, wird man drei Stufen und damit zugleich drei Arten der Zurechnung unterscheiden müssen: Gefahrenverantwortlichkeit - Gefahrtragung - Gefahrenübernahme. Trotz aller Unterschiede der verschiedenen Zurechnungsvarianten gibt es eine Gemeinsamkeit: Auf keiner der drei Stufen knüpft die Zuteilung der Risiken primär an das Faktum der Herrschaft an. (1) An erster Stelle steht die Haftung für die typischen Folgen des eigenen Verhaltens oder der eigenen Sachen. Den Bürger trifft in diesem Fall eine echte Pflicht zur Beseitigung (Gefahrenverantwortlichkeit). Der Bürger haftet dann als Störer ohne Entschädigungsanspruch. (2) Zweitens können dem Bürger auch zufällige Folgen zugerechnet werden. Die Zurechnung löst dann aber keine Pflicht zur Gefahrenbeseitigung, sondern nur zur Hinnahme des eigenen Schadens aus (Gefahrtragung). Der Gefahrtragende haftet, wenn überhaupt, nur als Nichtstörer. Allerdings muss sich der Nichtstörer in diesem Fall von seinem Entschädigungsanspruch das abziehen lassen, was ohnehin sein eigener Schaden ist. Kurz: Die Person haftet als Nichtstörer mit einem um die Höhe des eigenen Schadens gekürzten Entschädigungsanspruch. (3) Drittens kann die Person ausnahmsweise auch von der Gefahr des zufälligen Untergangs entlastet sein. Hier ist die Person nicht nur von der Gefahrenverantwortlichkeit, sondern auch von der Gefahrtragung befreit; es geht dann eine Form staatlicher „Versicherung" (Gefahrenübernahme). Auch in diesem Fall haftet die Person, so sie nicht aus einem anderen Grund verantwortlich ist, nur als Nichtstörer. Diesmal aber muss sie sich den eigenen Schaden nicht von ihrem Entschädigungsanspruch abziehen lassen, soweit der Staat die Gefahr übernimmt.

I I . Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung Wenn jemand die Früchte seiner Sachen oder seines Verhaltens beansprucht, so sind das typische Vorteile seiner Sache oder seines Verhaltens (seiner Arbeit), die zunächst nur ihm gebühren. Es handelt sich um einen Nutzen, der von der Sache oder dem Verhalten selbst ausgeht, der also, wie man auch sagen kann, durch die Sache oder das Verhalten zurechenbar verursacht worden ist. Die Person hat dann einen vollwertigen, rechtlich garantierten Anspruch darauf,

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den Nutzen für sich zu vereinnahmen. Die Kehrseite dieses Anspruchs ist die Pflicht, typische Risiken abzusichern: So wie im ersten Fall die Verhaltens- oder sachtypischen Vorteile einen rechtlich garantierten Anspruch der Person auslösen, so begründen die Verhaltens- und sachtypischen Nachteile im zweiten Fall eine umfassende Pflicht zur Beseitigung aller Gefahren. Die Person ist dann Garant für die Sicherheit der beteiligten Güter und daher, soweit sie ihre Pflicht verletzt, Störer im Sinne der §§ 4, 5 M E PolG. Das ändert sich, sobald der Modus der Zurechnung wechselt und das Recht von der Gefahrenverantwortlichkeit auf die Gefahrtragung umstellt. Dazu zunächst ein Beispiel: Wenn der Eigentümer bei Erdarbeiten auf einen wertvollen Schatz stößt, dann kann er diesen Fund nach § 984 BGB behalten oder jedenfalls, soweit der Staat sein Schatzregal geltend macht6, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Allerdings handelt es sich bei diesem Fund, wie es das Bundesverfassungsgericht ausgedrückt hat, um nicht mehr als eine „von vielerlei Zufällen abhängige Erwerbschance, die nicht dem grundrechtlich gewährleisteten Bereich des Eigentums zugeordnet werden kann" 7 . Anders gesagt: Es geht nicht um eine rechtlich garantierte, „echte" Chance, nicht um einen Anspruch im eigentlichen Sinn, sondern um eine faktische Erwartung oder genauer: um eine rechtlich sehr viel schwächer gesicherte Aussicht. Das zeigt sich schon daran, dass der Fund dem Grundeigentümer überhaupt nur dann zusteht, wenn der eigentliche Schatzeigentümer nicht mehr zu finden ist. Sucht man auf der Seite der Pflicht nach einem Gegenstück zu diesem - „unechten" - Anspruch, so kann dies nur eine entsprechend abgeschwächte Verpflichtung sein. Beispiel: Wenn der Eigentümer bei Arbeiten auf seinem Grundstück nicht auf einen historischen Fund, sondern auf die Lasten einer weniger entfernten industriellen Vergangenheit stößt, so ist ihm dieser „Negativschatz"8 ebensowenig als sein Werk zuzurechnen. Man hat es statt dessen mit einer schwächeren Form der Risikozurechnung zu tun: der Gefahrtragung. Der Sachherr ist in diesem Fall nicht Garant für die nunmehr entdeckte Gefahr, er trägt nicht die Verantwortung, sondern nur die Gefahr des zufälligen Untergangs. 9 Allerdings hat man gerade diese Gefahrtragung oft als Argument für die Gewalthaberh&ftung und damit letztendlich zur Begründung der Gefahrenverantwortlichkeit ins Feld geführt: Die Gefahrtragung des Eigentümers zeige, dass dieser sich auch für die nicht von ihm verursachten Gefahren verantworten

6

Siehe etwa § 23 Denkmalschutzgesetz Baden-Würtenberg. BVerfGE 78, S. 205, 212 (Verfassungsmäßigkeit des Schatzregals). Ebenso Hönes DÖV 1992, S. 425,429. 8 Leisner, UTR 12 (1990), S. 217, 231. 9 Vgl. VGH München, JZ 1953, S. 238, 240 (Haftung für Kriegsruinen), der insoweit von einem „Gefahrtragungsgrundsatz" spricht. 7

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müsse. Wer den Sachherrn hier als Nichtstörer behandeln wolle, so das Argument, der müsse ihn für seine Aufopferung auch entschädigen.10 Das Polizeirecht mutiere auf diese Weise, wie Lepsius befürchtet, zu einem Leistungsrecht gegen die öffentliche Hand. 11 Daran ist richtig, dass der Bürger dort, wo er nach allgemeinen Regeln die Gefahr des zufälligen Untergangs trägt, keinen Ersatz vom Staat verlangen kann. Den Ausgleich muss der Geschädigte im Innenverhältnis beim eigentlichen Schädiger suchen.12 Ist der Schädiger nicht greifbar oder nicht vermögend, bleibt der Eigentümer auf seinem Schaden sitzen - casum sentit dominus.13 Es kann keinen Unterschied machen, ob der Schaden aus der Sicht des Polizeirechts ganz ungefährlich ist - dann trägt der Eigentümer ohnehin die Gefahr des zufälligen Verlusts - oder ob in dem privaten Schaden zugleich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt. Wenn beispielsweise Dritte eine Hauswand mit harmlosen Graffitis besprühen, trägt der Hauseigentümer den Schaden. Daran sollte sich dadurch nichts ändern, dass Dritte statt harmloser Graffitis beleidigende Parolen an die Wand sprühen und nicht bloß ein Privater geschädigt, sondern zugleich die öffentliche Sicherheit gefährdet wird. Die Tatsache, dass Schaden und Gefahr in eins fallen, ist noch kein Grund, den Eigentümer auf Kosten des Staates zu sanieren. 14 Ist mit der richtigen Feststellung, dass der Bürger bei zufälligen Schäden regelmäßig keinen staatlichen Schadensersatz beanspruchen kann, schon ausgemacht, dass er auch als Störer haftet? Ist also Gefahrtragung gleich Störerhaftung? Ich meine, dass man hier klar trennen muss: Gefahrtragung bedeutet zunächst nur, dass der Eigentümer seinen Schaden selbst zu tragen und keinen Anspruch auf Ausgleich seines Verlusts gegen den Staat hat. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass den gleichen Eigentümer auch eine Pflicht zur Beseitigung der Gefahr trifft. Hier wäre es vorschnell, von dem Fehlen eines Ersatzanspruchs schon auf die Beseitigungspflicht schließen zu wollen, zumal sich Reparation des privaten Schadens und Beseitigung der öffentlichen Gefahr oft nicht decken. Das zeigt sich gerade in den immer wieder besprochenen 10

So vor allem Bott, Verantwortlichkeit, S. 203; Brandt, Altlastenrecht, IV Rn. 71; Leisner, UTR 12 (1990), S. 217, 230; Lepsius, Besitz, S. 252 ff. 11 Lepsius, Besitz, S. 253. 12 Zu den privatrechtlichen Ausgleichsansprüchen des Eigentümers gegen den Schädiger Marburger, UTR 3 (1987), S. 169 ff. 13 Der Gedanke ist häufig in Zusammenhang mit der Zustandshaftung eingebracht worden: Denninger, in: Lisken/Denninger, Abschnitt E Rn. 95; Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457,463; Leisner, UTR 12 (1990), S. 217,230; Lepsius, Besitz, S. 253, ders., JZ 2001, S. 22, 27. - Franzen, Lehrkommentar, § 19, S. 248, sieht in der Gefahrtragung sogar den Grundgedanken der Zustandshaftung. 14 Siehe insbesondere Lepsius, Besitz, S. 253; ders., JZ 2001, S. 22, 27.

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Fällen der Altlastenhaftung: Die Kosten der Sanierung eines kontaminierten Grundstücks (Gefahrenbeseitigung) können weit über den Wert des Eigentums und damit auch die Höhe des eigenen Schadens hinausgehen (Gefahrtragung). Zwischen der Haftung des Störers - „echte" Verpflichtung ohne Ersatzanspruch - und des Nichtstörers - „unechte" Verpflichtung mit Ersatzanspruch - gibt es also noch ein Drittes: die Gefahrtragung. Sie schließt zwar möglicherweise einen Ersatzanspruch des Nichtstörers aus, soweit sich Schaden und Gefahr decken, erzeugt aber gerade keine weitergehende Pflicht zur Beseitigung. Das zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass der Geschädigte grundsätzlich die Wahl hat, wie er mit dem Schaden umgeht: Entweder lernt er, mit dem Verlust zu leben, oder er entscheidet sich, den Schaden auszugleichen. In den meisten Fällen wird es so sein, dass die Reparation im Interesse des Eigentümers liegt und er schon von sich aus für Beseitigung sorgt. Aber das muss nicht so sein. Öffentliches und privates Interesse an der Regulierung eines Schadens müssen längst nicht immer zusammenfallen. Was kümmert es etwa den Eigentümer, wenn sich mehrere Meter unter seinem Grundstück Altlasten befinden, die zwar die Umwelt, nicht aber seine Gesundheit gefährden und auch sonst die Nutzung des Bodens nicht direkt beeinträchtigen? Und auch die ehrverletzende Parole eines Dritten an der eigenen Hauswand mag die Allgemeinheit stören, nicht aber unbedingt den Eigentümer. In diesen und anderen Fällen wird sich der Eigentümer leicht mit dem Schaden abfinden, statt ihn zu beseitigen. Wenn die Polizei den Eigentümer zur Regulierung des Schadens (und damit zur Gefahrenbeseitigung) verpflichten will, dann immer nur als Nichtstörer. Dabei sind zwei Konstellationen zu trennen: Soweit der private Schaden und die öffentliche Gefahr, oder genauer, soweit sich die Kosten des Schadensersatzes und der Gefahrenbeseitigung decken, haftet der Eigentümer als Nichtstörer ohne Entschädigungsanspruch. Mit einer Auflösung der Konnexität von Nichtstörerhaftung und Entschädigungsanspruch hat das nichts zu tun. Denn der Inhalt der Haftung, die dem Nichtstörer hier auferlegt wird, ist gerade nicht die Beseitigung der Gefahr und auch nicht die Verpflichtung zur Kostenübernahme. Die finanziellen Lasten der Wiederherstellung trägt der Geschädigte ohnehin. Sie werden ihm nicht erst durch den staatlich Eingriff (die Nichtstörerhaftung) zugemutet, sondern liegen schon von Anfang an auf der Seite des Gefahrtragenden. Dem Eigentümer wird insoweit kein Sonderopfer abverlangt. Dieser wird vielmehr nur an das erinnert, was er ohnehin schon verloren hat. 15 Der entstandene Verlust gehört gar nicht mehr zu seinen Aktiva, die er gegenüber dem Staat aufopfern könnte. Die Inanspruchnahme des Gefahrtragenden als Nichtstörer bringt in diesem Fall deshalb auch

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Vgl. dazu auch Kokott, DVB1. 1992, S. 749, 755 f.

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nur eine einzige neue Verpflichtung: nämlich die Beschränkung seines Wahlrechts. Dem Sachherrn wird durch die Nichtstörerhaftung vorgeschrieben, wie er die vorhandene Belastung (seinen Schaden) zu verwalten hat. Er hat jetzt nicht mehr die Wahl, ob er seinen Schaden passiv hinnehmen oder aktiv beseitigen will. Vielmehr muss der Geschädigte den Schaden im öffentlichen Interesse beseitigen - eine Pflicht, die nicht auf der eigenen Verursachung, sondern dem Gedanken der Aufopferung beruht und deshalb bei der Haftung des Nichtstörers eingeordnet werden kann. Soweit dagegen die Gefahr über den Schaden hinausgeht, die Kosten der Gefahrenabwehr also die Kosten des Schadensersatzes übersteigen, haftet der Eigentümer - wenn überhaupt - als Nichtstörer mit Ersatzanspruch. Wenn also etwa die Kosten der Sanierung eines Grundstücks den Wert dieser Sache übersteigen, hat der Eigentümer hinsichtlich des Differenzbetrags einen Ausgleichsanspruch. Denn insoweit wird dem Eigentümer ein echtes Sonderopfer auferlegt, für das ihm ein Aufopferungsanspruch zusteht. Ein weiteres Beispiel: Wenn ein sorgfältig gesichertes Fahrzeug gestohlen und dann als Wrack auf einem Feld zurückgelassen wird, hat der Eigentümer für die Bergung des Wagens aufzukommen. Denn insoweit handelt es sich um Aufwendungen, die Gefahrenbeseitigung und Reparation des eigenen Schadens in einem sind. Sie unterliegen der Gefahrtragung des Eigentümers. Für alle darüber hinausgehenden Gefahren - wie etwa die durch auslaufendes Öl entstandene Verschmutzung des Erdbodens - muss der Eigentümer des Wagens nicht, oder nur gegen Entschädigung einstehen, weil dann Schaden und Gefahrenabwehr auseinanderfalten.

I I I . Die Unterschiede beider Zurechnungsvarianten Nun mag man einwenden, dass Gefahrtragung am Ende nur ein anderer Name für die zuvor abgelehnte Gewalthaberhaftung sei und dass durch den Austausch solcher Bezeichnungen in der Sache nichts gewonnen werde. Aber das ist nicht so. Vielmehr geht es bei Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung um zwei grundverschiedene Arten der Zurechnung, die beide mit einer Gewalthaberhaftung nichts zu tun haben. Das zeigt sich an verschiedenen Punkten: (1) Zunächst trifft die Gefahrtragung in erster Linie nur den eigennützigen Eigentümer, erst in zweiter Linie den eigennützigen Besitzer (z. B. Mieter, Pächter) und so gut wie gar nicht den fremdnützigen Sachherrn (z. B. Verwahrer, Treuhänder). Wird die Sache durch Eingriffe Dritter völlig unbrauchbar, ist also etwa ein Grundstück wegen der im Boden liegenden Schadstoffe nicht mehr nutzbar, so bedeutet das zunächst nur für den Eigentümer einen Verlust, nicht aber für den Besitzer, der die Sache - für ihn weitgehend folgenlos

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- zurückgeben kann. Die Gefahrtragung des Besitzers erschöpft sich im Verlust seines Besitzes. Wo die Sache nicht völlig unbrauchbar, sondern in ihrer Nutzbarkeit nur gestört wird, mag dagegen auch der Besitzer neben dem Eigentümer die Gefahr einer solchen Störung tragen: Wird beispielsweise das gemietete Grundstück von Dritten mit Abfällen verschmutzt, dann ist die damit einhergehende Störung des Sachnutzens auch ein Verlust, der zunächst auf den Besitzer zurückfällt. In den meisten Fällen aber bleibt die Gefahrtragung auf der Seite des Eigentümers. Diese bei der Gefahrtragung einleuchtende Differenzierung von Eigentum und Besitz bzw. von eigen- und fremdnütziger Herrschaft ist der Störerhaftung dagegen ganz fremd. Für die spezifischen Risiken einer Sache muss jeder Sachherr - Eigentümer, Besitzer oder sonstiger Berechtigter - einstehen, aber nur der Zuweisungsgehalt des Eigentums erfasst regelmäßig auch die zufälligen Nutzen und Lasten. Hierzu sei noch ein letztes Mal das Beispiel des Schatzfundes aufgegriffen: Den im eigenen Grund und Boden gefundenen Schatz kann nur der Eigentümer, nicht der Besitzer für sich reklamieren (§ 984 BGB). Findet der Besitzer eine wertvolle Sache in fremdem Boden, so kann er die Vorteile allenfalls mit dem Einwand für sich beanspruchen, dass er der Entdecker des Schatzes sei, dass also der Gewinn auch auf seiner Arbeit und damit gerade nicht seiner Herrschaft beruhe. Dieser Gedanke lässt sich wieder von der Seite der Nutzen- auf die der Kostenverteilung spiegeln: Werden auf dem Grundstück Altlasten gefunden, die Dritte dort hinterlassen haben, bleibt der Schaden zunächst nur an dem Eigentümer hängen. Den tatsächlichen Sachherrn kann man allenfalls mit dem Argument verpflichten, dass er der Verursacher der Gefahr, nicht aber, dass er Besitzer der Gefahrenquelle sei. Im Grundsatz gilt also: Gefahrtragender ist nur der Eigentümer 16, als Störer können dagegen Eigentümer wie Besitzer gleichermaßen haften. Was bei der Gewalthaberhaftung nur schwer oder gar nicht zu erklären ist, dass nämlich der tatsächliche Sachherr oder der fremdnützige Sachherr anders haften als der eigennützige Eigentümer (man denke nur an das oben erwähnte Beispiel des Vereins 17), wird im Modus der Gefahrtragung sofort plausibel. (2) Zweitens zielt die Gefahrtragung - anders als die Gewalthaberhaftung - nicht auf Beseitigung einer öffentlichen Gefahr, sondern lediglich auf Hinnahme des eigenen privaten Schadens. Daraus erklären sich auch die ganz anderen Grenzen der Risikoverteilung: Da es nur darum geht, den eigenen Verlust zu tragen, ist das Risiko auf die Höhe des eigenen Schadens begrenzt. Es gibt also keine vorab bestimmbare relative, sondern nur eine absolute Obergrenze: Der 16

Vgl. die Unterscheidung zwischen dem rechtlichen und tatsächlichen Sachherrn bei Sparwasser/Geißler, DVB1. 1995, S. 1317, 1321. 17 Oben, 3. Teil AIII.

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für den Eigentümer denkbar schlimmste Fall ist der des Totalschadens. Mehr als den gesamten Wert der Sache kann er durch den Zufall nicht verlieren. Bei der Störerhaftung wäre eine solche Obergrenze ganz systemwidrig, weil die Haftung auf umfassende Beseitigung der Gefahr geht und es allein Sache des Störers ist, wenn die Kosten den Wert seiner Sache übersteigen. Das heißt: Störerhaftung ist dem Grunde nach auf typische Gefahren beschränkt, der Höhe nach aber prinzipiell unbegrenzt. Die Gefahrtragung erfasst dagegen auch zufällige Folgen, sie ist dem Grunde nach unbegrenzt, geht aber nicht über den eigenen Verlust hinaus. Bis zur Obergrenze des Verkehrswerts ist die Höhe des Schadens und damit der Umfang der Gefahrtragung zufällig. Je höher der jeweilige Verkehrswert, um so höher auch das Verlustrisiko. Kurz: Wer mehr hat, der hat auch mehr zu verlieren. Beispiele: Die Grenze des Verkehrswerts ist bei einem unbebauten Grundstück viel schneller überschritten und der Eigentümer insofern besser gestellt als bei einem Grundstück, das mit einer Villa oder umfangreichen Produktionsanlagen bebaut ist. 18 Und wenn das Grundstück im beplanten Innenbereich liegt und einen erheblich höheren Wert hat als ein entsprechendes Gelände im Außenbereich, so ist bei gleichem Gefahrenpotenzial der Umfang der Gefahrtragung ganz verschieden. 19 Wenn Lepsius daher bemerkt, dass hier die „rechtlich kontingente Wirtschaftlichkeit" zum Maßstab gemacht werde 20 , so ist das richtig - aber kein Einwand, weil es eben nicht um Gefahrenverantwortlichkeit, sondern um schlichte Gefahrtragung geht. Während sich im ersten Fall das Haftungsrisiko mit dem Gefahrenpotenzial der eigenen Sache steigert, wächst im zweiten Fall das Verlustrisiko mit dem wirtschaftlichen Potenzial. Das muss solange irritieren, wie man versucht, die genannten Fälle bei einer vermeintlichen Gewalthaber- und damit der Störerhaftung unterzubringen. Im Modus der Gefahrtragung lässt sich das problemlos erklären. (3) Da der Gefahrtragende zwar zur Hinnahme, aber nicht zur Reparation seines Schadens verpflichtet ist und ihn eine solche Pflicht zur Schadensregulierung, wie gesehen, nur als Nichtstörer treffen kann, ist die „Haftung" des Gefahrtragenden immer subsidiär (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 ME PolG). Dagegen ist die Haftung des Störers primär; er haftet unabhängig davon, ob noch andere Störer bereitstehen. Das ist ein dritter, wichtiger Unterschied. Wenn beispielsweise Dritte ein fremdes Grundstück mit Schadstoffen verschmutzen oder eine Hauswand mit beleidigenden Parolen besprühen und wenn der dritte Schädiger bekannt und auch vermögend ist, dann darf die Polizei nicht mehr die Wahl haben,

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Beispiel nach Eickel NJW 2000, S. 2526. Beispiel nach Lepsius, JZ 2001, S. 21, 25. 20 Lepsius, JZ 2001, S. 21, 25; ders., Besitz, S. 271; kritisch auch Eickel, NJW 2000, S. 2562. 19

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auf wen sie zugreift. Hier ist, wie ich denke, der Vorrang des Verursachers (Störers) vor dem Eigentümer und Gefahrtragenden (allenfalls Nichtstörer) für die Polizei zwingend. Dieses Ergebnis ist oft dadurch zu erzielen versucht worden, dass man das Ermessen der Polizei bei der Störerauswahl auf null reduziert. 21 Das ist ein möglicher Weg zum gewünschten Ergebnis. Es ist aber leichter zu erreichen und letztendlich auch plausibler zu begründen, wenn man akzeptiert, dass der Gewalthaber bestenfalls die Gefahr und nicht die Verantwortung trägt und dass er nur als Nichtstörer verpflichtet werden kann. (4) Viertens gilt: Verantwortlichkeit entsteht in der Person des Störers, nicht nur an den Gegenständen des jeweiligen Sachherrn. Störerhaftung setzt ein „inneres", normatives Band zwischen Person, Sache und Gefahr voraus. Dagegen trifft die Verlustgefahr den Sachherrn auch dann, wenn die Verbindung von Sache und Gefahr äußerlich bleibt. Das hat zwei Folgen, von den die eine schon erwähnt wurde: Da die Verantwortlichkeit in der Person entsteht, erstreckt sich die Haftung folglich auch auf das ganze Vermögen der Person. Anders ist das bei der Gefahrtragung, wo das Verlustrisiko auf die Sache bzw. den Sachwert beschränkt bleibt. Darüber hinaus ist noch eine zweite Folge zu beobachten: Da die Verantwortlichkeit in der Person, nicht an der Sache entsteht, kann die einmal begründete Verantwortlichkeit auch nicht einfach mit der Sachsubstanz an den Nächsten „weitergereicht" werden. Dagegen hängt die Gefahrtragung in der Regel an der Sache und geht dann meistens mit dieser auf den neuen Sachherrn über. 22 Genau besehen kommt es allerdings auch im Fall der Gefahrtragung nicht notwendig auf den Übergang der Herrschaft, sondern den der Gefahr an. Beides, Übergang der Sachherrschaft und Übergang der Gefahr, können in eins fallen, müssen dies aber nicht, wie nicht zuletzt die §§ 447, 644 BGB vorführen: Wenn also etwa der Verkäufer die Sache vor Übereignung an den Käufer absprachegemäß versendet, dann geht die Gefahr noch vor Empfang der Sache, also noch vor der Sachherrschaft auf den Käufer über (§ 447 BGB). Daran zeigt sich, dass auch bei der Gefahrtragung letztendlich nicht die Herrschaft, sondern eine stärker normative Risikoverteilung den Ausschlag gibt. Das leitet zum nächsten Schritt über: Trotz aller Unterschiede gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung: Weder die eine noch die andere Form der Risikoverteilung knüpft primär an Herrschaft an. Sie kann, muss aber nicht mit Herrschaft zusammenfallen. Das zeigt sich zum einen dann, wenn, wie gerade erwähnt, Gefahren- und Herrschafts-

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Siehe etwa VGH München, DVB1. 1986, S. 1283, 1285 (Haftung des Rechtsnachfolgers für die Kontamination des Bodens durch eine Chemiefabrik); BVerwGE 106, S. 43, 50 (Haftung des Eigentümers für Abfälle, die bei Hochwasser auf sein Grundstück gespült werden); Müllensiefen, Gefahrenabwehr, S. 175 ff. 22 Dazu schon oben, 3. Teil C, D.

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Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

Übergang auseinanderfalten. Noch deutlicher wird der Unterschied von Risikoverteilung und Gewalthaberschaft, wo der Staat - trotz bestehender Herrschaft - die Gefahr übernimmt. Damit ist ein weiteres Rechtsinstitut angesprochen, das neben Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung steht: die Gefahrenübernahme durch den Staat.

IV. Die Gefahrenübernahme Bis jetzt wurde unterstellt, dass der Bürger stets die Gefahr des zufälligen Untergangs seiner Güter trägt. Und in aller Regel trifft diese Annahme auch zu. Der Staat ist eben, wie es Dürig formuliert hat, keine allgemeine „Assekuranzanstalt" 23: Staatshaftung ist in erster Linie die Haftung für schuldhaftes oder objektiv zurechenbares Handeln des Staates. Gegen zufällige Schäden müssen sich die Bürger selbst versichern. Hier tritt dann private Absicherung an die Stelle staatlicher Fürsorge. Das allgemeine Risiko zufälliger Verluste wird also in der Regel unterhalb der Ebene des Staates zwischen den privaten Versicherern und Versicherungsnehmern abgefangen. Allerdings gibt es auch Ausnahmen, in denen der Staat einspringt und die Sicherung übernimmt. Das ist - zunächst sehr allgemein formuliert - immer dort der Fall, wo sich das Risiko zufälliger Verluste über privatrechtliche Koordination nicht mehr zufriedenstellend entschärfen lässt. An Stelle der privaten Versicherer nimmt sich der Staat des Problems an und agiert in der Rolle eines „Versicherers". 24 Will der Staat in diesen Fällen gleichwohl auf den „versicherten" Eigentümer zugreifen, kann er diesen nur als Nichtstörer verpflichten und muss ihn für seine Aufwendungen entschädigen. Der oben beschriebene Abzug vom Ersatzanspruch in Höhe der eigenen Gefahrtragung findet dann nicht statt. Da das Problem der Gefahrenübernahme nur indirekt die Frage der Störerbzw. der Nichtstörerhaftung berührt, sollen sich die folgenden Überlegungen auf einen kurzen Überblick beschränken. Im Wesentlichen lassen sich zwei Bereiche nennen, in denen der Staat das Risiko zufälliger Verluste übernimmt, in denen also die Gefahrtragung vom Einzelnen auf die Allgemeinheit übergeht: Einmal geht es um Schäden, die sich überhaupt nur als Folge einer öffentlichen Störung sinnvoll erklären und nicht auf den privaten Schaden isolieren lassen - die Störung des öffentlichen Friedens. Private Versicherung ist hier

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Dürig, JZ 1955, S. 521, 525. Wobei es nicht um eine Versicherung im technischen Sinn geht, bei der die Leistungen durch Beiträge erkauft werden, sondern um eine Absicherung, die durch Steuern finanziert wird. 24

A. Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung

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zwar möglich, wird aber für nicht ausreichend gehalten, weil es in erster Linie um eine öffentliche Störung geht, deren Beseitigung originäre Aufgabe der Polizei ist. Der Staat steht hier für die entstandenen Verluste jedenfalls teilweise ein, und das auch und gerade dann, wenn der Staat selbst seine Schutzpflichten gar nicht verletzt hat. Der Staat übernimmt die Folgen nicht, weil er bzw. seine Organe rechtswidrig oder schuldhaft gehandelt haben (Staatshaftung im engen Sinn), sondern weil er die dem Bürger gegebene „Garantie" - Herstellung von Sicherheit - nicht einlösen konnte. Da es damit im Kern um einen Fall staatlicher Gefahrenabwehr (bzw. der Entschädigung für die gescheiterte Gefahrenabwehr) geht, kann die anderweitige Verpflichtung des Geschädigten25 die Gefahrenübernahme des Staates mindern oder sogar ganz ausschließen.26 Bei der zweiten Konstellation hat man es dagegen mit Schäden zu tun, die sich zwar auf einen individuellen Verlust reduzieren lassen, den Geschädigten aber an den Rand des Ruins bringen - die unzumutbare Existenzgefährdung. Private Versicherung ist hier zwar grundsätzlich erforderlich, aber im Einzelfall nicht erreichbar oder nicht ausreichend. Es geht also um einen Bereich, der eigentlich zur privaten Vorsorge gehört, die der Staat aber in Notlagen subsidiär übernimmt. Der Staat handelt dabei nicht als Polizeistaat, sondern in seiner Eigenschaft als Wohlfahrts- bzw. Sozialstaat. Da die Fallgruppe ins Sozialrecht gehört und vor allem an die eigene Bedürftigkeit anknüpft, schließt die eigene, anderweitige Verantwortlichkeit (insbesondere die eigene Verursachung) des Geschädigten die Übernahme des Staates grundsätzlich nicht aus. Zur ersten Fallgruppe: Der Staat kommt für zufällige Verluste dann auf, wenn sich der jeweilige Schaden nicht einmal annähernd über den privaten Verlust erklären lässt und ganz hinter der öffentlichen Störung zurücktritt. Diese öffentliche Friedensstörung bringt zwar auch die Verletzung privater Güter mit sich, ist aber mehr als nur die Summe individueller Schäden. Dabei lassen sich wiederum zwei Fälle trennen: Zum einen geht es um das rechtswidrige Handeln Dritter, das unmittelbar oder ganz wesentlich Angriff auf die öffentliche Ordnung ist 27 , also etwa Terror, Tumulte und Aufruhr, tätliche Angriffe auf Leib oder Leben 28 , nicht aber schon jedes rechtswidrige oder strafbare Handeln. Aus der Sicht des Staates ist es 25

Diese anderweitige Verantwortlichkeit kann etwa beruhen auf der eigenen Verursachung (Nichtstörungspflicht) oder auf einer besonderen Gefahrenübernahme bestimmter Berufsgruppen (Schutzpflichten, Versprechen). Zur Einteilung der Pflichten sogleich unten, C. 26 Vgl. § 2 Opferentschädigungsgesetz. Kritisch hierzu Rüfner, NJW 1976, S. 1249 f. 27 Ossenbühl Staatshaftungsrecht, S. 376 f. 28 Tumultschädengesetz (RGBl. 19241, S. 381 ff), Opferentschädigungsgesetz (BGBl. 1985, S. 1 ff).

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Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

eben etwas anderes, ob ein Geschäft durch einen Einbruchsdiebstahl geschädigt wird - dann steht der individuelle Schaden im Vordergrund - oder ob das Geschäft bei Ausschreitungen geplündert wird - dann überlagert die Friedensstörung das Geschehen. Und deshalb kommt der Staat dem Ladeninhaber nur im zweiten Fall zur Hilfe, mögen auch die Verluste in beiden Fällen identisch sein. Es kommt also nicht auf den Umfang des Güterschadens an, sondern auf den sozialen Sinn der Verletzungshandlung, wobei die entscheidende Frage lautet: Ist der Schaden im konkreten Fall nur individueller Verlust oder vor allem Folge öffentlicher Friedensstörung? Etwas Ähnliches gilt in Katastrophenlagen, die ebenfalls zu dieser ersten Fallgruppe gezählt werden können. Auch dort geht es um Gefahren, bei denen sich die Störung mit den privaten Verlusten allein noch nicht angemessen erfassen lässt. Im Unterschied zu den vorgenannten Fällen löst zwar nicht das rechtswidrige Handeln Dritter, sondern ein Unglück den Schaden aus. Und doch ist die Wertung ganz ähnlich: Auch jetzt fängt der Staat die zufälligen Schäden erst dann auf, wenn nicht nur die Güter der Privatperson bedroht sind, sondern vor allem auch die öffentliche Sicherheit berührt ist, wenn also das private Unglück zur Katastrophe anwächst. Man steht dann vor Situationen, die wie Tierseuchen, wie eine ganz ortsunübliche Flut, Flugzeugabstürze oder Havarien in der Öffentlichkeit als Katastrophe erlebt werden und nicht als wiederkehrendes Ereignis, gegen das man sich planmäßig schützen kann und muss. Insofern macht es etwa einen Unterschied, ob ein einzelnes Gebäude durch einen Hausbrand zerstört wird (dann muss der Eigentümer selbst Schutz durch private Versicherung suchen), oder aber ob eine so nicht vorhersehbare Flut ganze Landstriche unter Wasser setzt (dann greift der Staat helfend ein). Der individuell erlittene Schaden mag in beiden Fällen gleich oder im ersten Fall sogar noch größer sein. Aber darauf kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass das Geschehen nur im zweiten Fall die Katastrophenschwelle überschreitet. Besonders klar dürfte die Übernahme durch den Staat dort sein, wo die Katastrophe schon statistisch gesehen so selten ist, dass sich nicht genug Interessenten für eine private Versicherung finden, mit deren Hilfe sich das unkalkulierbare Katastrophenrisiko in feste und noch zumutbare Versicherungsbeiträge umwandeln ließe.29 So dürfte man wohl vergeblich nach einer Versicherung suchen, die Landwirten zu noch annehmbaren Konditionen das Risiko von Flugzeugabstürzen auf dem eigenen Grundstück abnimmt. Schwieriger zu entscheiden ist der Fall, wenn es um in ihrer Intensität seltene, aber durchaus noch zu erwartende Schäden geht, wie etwa die Vernichtung der Ernte durch starke Regenfälle. Hier kann man zweifeln, ob bereits die Katastrophenschwelle überschritten ist. Eine genaue Abgrenzung, so sie überhaupt möglich ist, kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. 29

Der Gedankefindet sich bei Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Abschnitt E Rn. 107; Spannowski, DVB1. 1994, S. 560, 563.

A. Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung

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Wo es an einer Katastrophenlage fehlt oder wo diese zweifelhaft ist, kann sich der zweite Gedanke in den Vordergrund schieben: die Existenzgefährdung. Der Staat springt im Einzelfall auch dort ein, wo die Existenz des Bürgers bedroht ist. In diesem Fall wechselt das Motiv der Übernahme: Ging es zuvor darum, dass der Schaden nicht nur einzelne Private, sondern die Allgemeinheit als Ganzes trifft, so ist der Grund für das Einspringen des Staates jetzt darin zu sehen, dass der Schaden zwar nur eine bestimmte Privatperson trifft, dafür aber deren finanzielle Existenz bedroht wird. Damit entscheidet nicht der soziale Sinn eines Geschehens (Störung des öffentlichen Friedens - ja oder nein?), sondern der Umfang des Güterschadens. Dem Bürger werden nicht generell, sondern nur in einzelnen Härtefällen Risiken und Schäden abgenommen. Es geht also vor allem um Überlegungen der Zumutbarkeit. Eine generelle Linie wird sich hier noch weniger als zuvor nachzeichnen lassen, eben weil per Definition von Fall zu Fall entschieden wird und nicht Typen von Risiken (wie Tumult, Terror, tätliche Angriffe, Katastrophen) vom Staat übernommen werden. Häufig wird es auch so sein, dass sich beide Gedanken - öffentliche Friedensstörung und Unzumutbarkeit im Einzelfall - wechselseitig ergänzen. Wenn etwa das Tierseuchengesetz den Eigentümer für die Schlachtung seiner infizierten Tiere entschädigt (§ 66 TierSG), dann dürfte diese Regelung sowohl der Gedanke der öffentlichen Störung wie auch der Gedanke der Existenzsicherung tragen. Auf weitere Einzelheiten soll es auch hier nicht ankommen. Es bleibt festzuhalten, dass der Staat in bestimmten Lagen - trotz bestehender Herrschaft - die Gefahr übernimmt und der Bürger von seiner Gefahrtragung entlastet oder seiner Verantwortlichkeit befreit wird. Damit klärt sich auch ein weiteres Problem der vermeintlichen Gewalthaberhaftung auf: Im vorigen Abschnitt wurden anhand des Beispiels eines Flugzeugabsturzes auf dem eigenen Grundstück die Schwierigkeiten der Zurechnung in solchen Katastrophenlagen vorgeführt. 30 Jetzt lässt sich, wie ich denke, besser sehen, warum die vermeintliche Gewalthaberhaftung an dieser Stelle scheitert und eine Zurechnung unbillig erscheint: In dem beschriebenen Fall scheidet nämlich nicht nur die Verantwortlichkeit des Eigentümers aus, den mit der Gefahr nicht mehr als der Zufall verbindet, sondern auch dessen Gefahrtragung, die der Staat ausnahmsweise übernimmt. Der Sachherr haftet also in solchen und ähnlichen Katastrophenlagen - wenn überhaupt - nur als Nichtstörer für die Gefahrenbeseitigung, wobei sein Aufopferungsanspruch gerade nicht um die Höhe des eigenen Verlustes gekürzt wird, weil und soweit der Staat auch dieses Verlustrisiko von den Schultern des Bürgers nimmt.

30

Oben, 3. Teil AIII.

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Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

B. Verpflichtung und solidarische Aufopferung I. Arten der Verantwortlichkeit Nachdem unter dem Oberbegriff der Risikoverteilung die Fälle der Gefahrtragung von denen der Gefahrenverantwortung getrennt wurden, kann nun die eine Seite dieser Unterscheidung - nämlich die Gefahrtragung - beiseite gelassen werden. Ab jetzt soll es nur noch um die Fälle der Gefahrenverantwortlichkeit gehen, also um jenen Teil der Haftung, der gerade die Zurechnung einer Gefahr (nicht nur die Hinnahme eines Schadens) zum Inhalt hat. An dieser Stelle wird dann eine weitere Einteilung wichtig, die schon durch das Gesetz vorgezeichnet ist: die Trennung von Störer und Nichtstörer. Anders als bei der ebenfalls vom Gesetz vorgegebenen Trennung von Verhaltens- und Zustandsstörer, die, wie gesehen, ohne große Folgen bleibt, markiert die Trennung von Störer und Nichtstörer einen wichtigen Schnitt im System. (1) Die Haftung des Störers (Verhaltens- wie Zustandsstörers) ist die Folge einer „ echten " Verpflichtung zur Gefahrenbeseitigung. Sie geht immer auf eine Pflichtverletzung zurück. Und deshalb handelt der Störer bei der Gefahrenbeseitigung immer in der Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit. Der Verantwortliche führt insoweit sein eigenes Geschäft. (2) Die Haftung des Nichtstörers ist dagegen Ausdruck einer „unechten" Verpflichtung, einer solidarischen Haftung, die nicht auf Pflichtverletzung, sondern auf Aufopferung beruht. Der Nichtstörer ist eigentlich nicht für die Beseitigung verantwortlich, er ist Nicht-Störer, muss aber dennoch zur Beseitigung beitragen. Er führt in diesem Fall ein fremdes Geschäft, nämlich ein Geschäft des Staates bzw. das eines störenden Dritten. (3) Da der Störer immer sein eigenes Geschäft führt, hat er auch die Kosten der Beseitigung zu tragen. Das ist beim Nichtstörer genau umgekehrt. Ihm steht für seine „Fremdgeschäftsführung" ein Ersatzanspruch zu. Zwar finden sich Ansätze, diese Konnexität von Störerhaftung und Kostenpflicht bzw. Nichtstörerhaftung und Ersatzanspruch zu durchbrechen und auch den Störer in einigen Fällen zu entschädigen. Doch geht es dabei vor allem um den Versuch, die missglückte Gewalthaberhaftung an einer anderen - und wie ich denke der falschen - Stelle zu korrigieren.

B. Verpflichtung und solidarische Aufopferung

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I L Störer und Nichtstörer Zunächst kann man fragen, ob es so etwas wie eine allgemeine Grundpflicht des Bürgers zur Beseitigung von Gefahren gibt. 31 Anders formuliert: Ist der Bürger allein auf Grund seiner Stellung als Bürger verpflichtet, eine Gefahr zu beseitigen? Es dürfte schnell zu sehen sein, dass unserem Rechtssystem eine solche allgemeine solidarische Einstandspflicht fremd ist. Sie würde den Einzelnen nicht nur überfordern, sondern auch dazu führen, eine originäre Leistung des Staates - nämlich die Herstellung von Sicherheit - auf den Bürger abzuwälzen. Um den Bürger zur Gefahrenabwehr zu verpflichten, bedarf es jeweils einer besonderen Rechtfertigung, also sehr allgemein gesagt, einer normativ begründeten „Nähe" zur Gefahr, die den Störer aus dem Kreis aller kausal Beteiligten heraushebt. Die Störerhaftung knüpft also nicht an eine allgemeinen Grundpflicht an, die jeden Bürger in jeder Lage zur Beseitigung von Gefahren verpflichten könnte. Störer ist nur, wer eine „besondere" Pflicht hat, wer also etwa Verursacher ist oder sonst besonders zum Schutz angehalten. Auf Einzelheiten ist sogleich im folgenden Abschnitt zurückzukommen. Wenngleich es keine Grundpflicht zur Gefahrenbeseitigung als solcher gibt, hat der Bürger die Grundpflicht, die Institutionen des Staates zu stützen. Konkret muss er den Staat mit den nötigen Ressourcen ausstatten, damit dieser seine Aufgaben (hier: Gefahrenabwehr) erfüllen kann. In der Regel geschieht das durch Steuerzahlung, also durch eine Leistung in Geld 32 , die ganz unabhängig von der Verursachung einer konkreten Gefahr eingefordert wird. Wie hoch man diese Geldleistung des Bürgers zu bemessen hat, ist Sache des Steuerrechts und hat mit Gefahrenabwehr nichts mehr zu tun. Jedenfalls „erkauft" sich der Bürger durch seine Zahlung Sicherheit, die dann zuerst der Staat in seiner Rolle als Polizeistaat herstellen muss. Kurz gesagt: Der Staat sorgt für Sicherheit, der Bürger finanziert die geleistete Sicherheit durch Steuern. Allerdings gibt es Ausnahmen: Auch wenn der Staat im Allgemeinen die nötigen Mittel besitzt, seine Aufgabe zu erfüllen, können ihm diese im Einzelfall fehlen, sei es, weil in gegenwärtigen Notlagen einfach die Zeit fehlt, um auf staatliche Hilfe zu warten, sei es, dass zur Beseitigung eine unvertretbare Mitwirkung des Bürgers nötig wird. In beiden Fällen dieses „Staatsnotstands im

31

In diese Richtung gehen die Überlegungen von Griesbeck, Polizeipflicht, S. 97 ff, der dann konsequenterweise auf der Primärebene nicht mehr zwischen Störer und Nichtstörer unterscheiden will. 32 Das muss allerdings nicht immer so sein. Bestimmte Grundpflichten, wie etwa die Wehrpflicht, sind nicht durch Zahlung von Geld, sondern eigenhändig zu erfüllen (Art. 12 a GG).

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Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

Kleinen" kann der Staat den Bürger - in Grenzen - zur Mithilfe verpflichten. 33 Er nimmt den Bürger dann als Nichtstörer in Beschlag und lässt ihn für jene Sicherheit sorgen, die der Staat auch bei optimaler Ausstattung nicht oder bestenfalls um den Preis totaler Überwachung gewähren könnte. Der Bürger führt dann aber kein eigenes, sondern das fremde Geschäft des Staates.34 Er stellt im Einzelfall jenen Schutz her, den der Staat herzustellen versprochen hat. Insofern geht es auf der Seite des Nichtstörers immer nur um unechte Schutzpflichten 35, um solidarische Zuwendung gegenüber dem Opfer, um eine Fremdgeschäftsführung gegenüber dem Staat, nicht aber die Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit. Das ist dann auch der Grund, warum der Staat den Bürger für seinen Aufwand entschädigen muss. Im Fall der Nichtstörerhaftung tauschen Staat und Bürger also die Rollen. Während im Normalfall der Bürger zahlt (Steuerpflicht) und der Staat Gefahren abwehrt (Schutzpflicht), liegen die Dinge im Notstand genau umgekehrt: Der Bürger sorgt für Sicherheit , der Staat zahlt dem Bürger Entschädigung. Zu den Fällen der Aufopferung gehören einmal die Fälle, in denen dem Staat in einer Notlage kurzfristig die Möglichkeit zur Gefahrenabwehr fehlt (Notstandshaftung). In dieser Variante könnte der Staat die Beseitigung grundsätzlich selbst ausführen. Doch fehlen ihm kurzfristig die Mittel oder die Zeit, dies zu tun. Diese Haftung im Notstand ist der eigentliche und im Gesetz ausdrücklich vorgesehene Fall der Nichtstörerhaftung (§ 6 ME PolG). Zu der Haftung des Nichtstörers gehören aber auch die schon erwähnten Fälle, dass der Staat auf die unvertretbare Mitwirkung seiner Bürger angewiesen ist. Auch dann fehlt dem Staat selbst die Möglichkeit zur Gefahrenabwehr. Ein typisches Beispiel bildet die Duldungspflicht des Eigentümers, der Maßnahmen zur Beseitigung einer Gefahr auf seinem Grundstück hinnehmen muss. Ein weiteres Beispiel sind Mitteilungspflichten. Der Bürger muss dem Staat in bestimmten Fällen das Wissen verschaffen, das dieser für eine erfolgversprechende Gefahrenabwehr benötigt. Praktisch relevant ist das etwa im Umweltrecht. Hier können Unternehmen zur Information und Lieferung von Daten verpflichtet sein, obwohl sie die konkrete Gefahr selbst gar nicht verursacht haben. Die genannten Fälle werden meistens nicht dem Bereich der Nichtstörerhaftung zugeschlagen. Und doch handelt es sich - soweit der Verpflichtete nicht Verursacher ist und auch sonst keine besondere Schutzpflicht hat - um eine Aufopferung des Einzelnen im öffentlichen Interesse, die systematisch am

33

Pawlik, GA 1995, S. 360, 371 (zur strafrechtlichen Haftung nach § 323 c StGB). Pawlik, GA 1995, S. 360, 370 ff. 35 Siehe auch Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 114 Rn. 22: Die allgemeine Hilfspflicht ist keine Grundpflicht. 34

B. Verpflichtung und solidarische Aufopferung

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besten bei der Haftung des Nichtstörers untergebracht ist. In diesem Fall sollte man die Regelung der Nichtstörerhaftung analog anwenden. Die Folge ist, dass der Verpflichtete dort, wo die Erfüllung seiner Pflicht mit erheblichem Aufwand verbunden ist, eine Entschädigung verlangen kann. Beispiel: Wenn die Polizei nach einem Verkehrsunfall zur Bergung der Fahrzeuge ein anliegendes Feldgrundstück betritt und dabei einen Teil der Ernte vernichtet, dann ist der Eigentümer bzw. Pächter zur Duldung der Maßnahmen nur als Nichtstörer und nur gegen einen angemessen Ausgleich verpflichtet.

I I I . Primär- und Sekundärebene Nun wäre zu diesem Haftungsmodell, das strikt zwischen Störer (Haftung für Pflichtwidrigkeit mit Beseitigungs- und Kostenlast) und Nichtstörer (solidarische Haftung mit Beseitigungs-, aber ohne Kostenlast) unterscheidet, eine Alternative vorstellbar. Es ließe sich daran denken, den Bürger - entgegen dem soeben Gesagten - auf der Primärebene immer dann zu verpflichten, wenn er die Gefahr effektiv beseitigen kann, um ihn auf der Sekundärebene für seine Kosten zu entschädigen. Im Ergebnis liefe das darauf hinaus, die Unterscheidung von Störer und Nichtstörer durch die andere Einteilung von Beseitigungspflicht (Leistung in Natur, Primärebene) und Kostenpüicht (Leistung in Geld, Sekundärebene) auszutauschen: Auf der Primärebene, bei der Beseitigung, würde nur das Interesse der Polizei an einer möglichst effektiven Abwehr bedient. Auf der Sekundärebene, bei der Frage der Kostenlast, kämen dann die zuvor übergangenen rechtlichen Garantien des Bürgers und Überlegungen der Pflichtwidrigkeit zum Zuge, und zwar dadurch, dass man dem Bürger seine zuvor genommenen Garantien in Geld „zurückzahlt". In der Tat hat es vor allem mit Blick auf die Zustandshaftung Ansätze gegeben, dieses Modell im Polizeirecht einzuführen. 36 Es hätte immerhin den Vorteil, dass die staatlichen Handlungsmöglichkeiten ausgeweitet werden und zwar - wie es auf den ersten Blick aussieht - ohne dem Bürger viel von seiner Freiheit zu nehmen. Denn dieser wird ja nachher, soweit er sich aufgeopfert hat,

36

Im Ansatz schon Menger, VerwArch. 50 (1959), S. 77, 85 f; Scholler/Broß, DÖV 1976, S. 472,474. Der Vorschlag ist vor allem für die Zustandshaftung gemacht worden: Griesbeck, Polizeipflicht, S. 104 ff, 120 ff; Hohmann, DVB1. 1984, S. 997 ff; ders. y NJW 1989, S. 1254, 1256; Knopp, BB 1989, S. 1425, 1428 f. Vgl. auch Leisner, UTR 12 (1990), S. 217, 223 ff; Schmidt-Salzer, BB 1986, S. 605, 606; Spannowski, DVB1. 1994, S. 560, 565. In eine ähnliche Richtung geht auch der Versuch, das Verursacherprinzip im Umweltrecht allein als Kostenzurechnungsregel zu behandeln. Dazu und dagegen Frenz, Verursacherprinzip, S. 39, 43 f.

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Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

für den kurzfristigen Verlust an Freiheit in Geld entschädigt. Die Möglichkeit, Rechtspositionen in Entschädigungsansprüche zu verwandeln, löst hier, wie es scheint, den Konflikt zwischen optimaler Sicherheit auf der einen und optimaler Freiheit auf der anderen Seite. Funktionieren kann dieses Modell allerdings nur dann, wenn es wirklich gelingt, die auf der Primärebene übergangenen Freiheitspositionen auf der Sekundärebene restlos in eine Geldposition umzuwandeln. Anders ausgedrückt: Die jeweils auf der ersten Ebene genommene Freiheit müsste vollständig kommerzialisierbar sein. Und genau daran dürfte das Modell scheitern. Denn Freiheitspositionen lassen sich nicht vollständig in Geldpositionen auflösen. Ein Modell, das so wie eben beschrieben ansetzt, hat immer den Nachteil, dass „alle nicht-geldwerten Präferenzen keinen Eingang finden, soziales Verhalten auf Gewinnmaximierung reduziert wird und die Prozesse der Präferenzbildung außer Acht bleiben" 37 . Anders formuliert: Wo die Grenzen der Verantwortung überhaupt erst bei der Geldentschädigung in den Blick kommen, wird die Bestandsgarantie der Freiheit 38 weitgehend auf eine Wertgarantie reduziert. 39 Wenn man das verhindern will, dann kann man die genaue Bestimmung der Verantwortungsbereiche nicht auf die Sekundärebene verschieben. 40 Die Frage des pflichtgemäßen Handelns ist zunächst eine Frage der Haftung überhaupt, nicht nur eine der Entschädigung. Und deshalb muss man die Freiheits- und Verantwortungssphären jedenfalls im Normalfall auch schon auf der Primärebene berücksichtigen. Aber selbst wenn man die Frage der Verantwortlichkeit erst auf der Kostenebene stellen wollte 41 , würde auch das in der Sache an der notwendigen Trennung von Störer und Nichtstörer, von „echter" Verpflichtung und solidarischer Aufopferung wenig ändern. Vielmehr wäre die Frage der Zurechnung nur von der Primär- auf die Sekundärebene verlagert. Spätestens hier, auf der Sekundärebene, kommt man dann an der beschriebenen Unterscheidung nicht mehr vorbei.

37

Lepsius, Besitz, S. 380 ff, 382. Die Bestandsgarantie betonen: BVerfGE 24, S. 367, 400 f (Enteignung von Deichgrundstücken); BVerfGE 38, S. 175, 181 (Rückübertragung eines enteigneten, aber nicht zweckentsprechend verwendeten Grundstücks); BVerfGE 58, S. 300, 323 (Nassauskiesung). 39 Siehe Lepsius , JZ 2001, S. 22, 24 f; ders ., JZ 2002, S. 313, 315 f. 40 Schink, DVB1. 1985, S. 161, 170; Seibert , DVB1. 1985, S. 328 f; Selmer, in: Gedächtnisschrift für Martens, S. 483, 491 f. Vgl. schon Quaritsch, DVB1. 1959, S. 455, 458. 41 So in der Tat Griesbeck, Polizeipflicht, S. 91 f, der jedenfalls auf der Primärebene Störer und Notstandsstörer als verschiedene Typen ein- und derselben Pflicht behandelt. 38

C. Nichtstörungs- und Schutzpflichten

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C. Nichtstörungs- und Schutzpflichten I. Arten der Verpflichtung Wenn man die Seite der solidarischen Haftung (Nichtstörerhaftung) beiseite lässt und den Blick auf die Fälle der Störerhaftung verengt, stellt sich als nächste Frage, wann den Bürger eine solche besondere Pflicht zu Beseitigung trifft. Dabei lassen sich zunächst drei verschiedene Arten von Pflichten unterscheiden. (1) Den praktisch wichtigsten Fall bilden die Nichtstörungspflichten (negative Pflichten): Der Störer haftet, weil er durch sein eigenes Handeln (sein Verhalten oder seine Sachen) eine Gefahr für Dritte oder die Allgemeinheit verursacht. In der Gefahr realisiert sich ein Risiko, das der Störer in seinem Machtbereich gesetzt hat. Diese Haftung des Verursachers bildet den eigentlichen Kernbereich der Störerhaftung. (2) Daneben treten die Schutzpflichten (positive Pflichten): Die Person haftet dann nicht für das eigene riskante Handeln bzw. die eigene Verursachung, sondern weil sie auf Grund ihres besonderen Status' verpflichtet ist, die Gefahr von anderen Personen abzuwenden.42 Die Schutzpflichten entstehen regelmäßig in den gesetzlich geformten Sonderbeziehungen, also insbesondere im Verhältnis von Staat und Bürger und dem Eltern-Kind-Verhältnis. Zu den Störerpflichten gehören die Schutzpflichten nur am Rande und sie werden üblicherweise, soweit man sie überhaupt wahrnimmt, zu der Verhaltenshaftung durch Unterlassen gerechnet. (3) Zwischen den positiven und den negativen Pflichten stehen schließlich die Fälle der Selbstverpflichtung. Die Haftung beruht weder auf der eigenen Gefahrenverursachung noch geht sie auf den besonderen Status der Person zurück. Grund ist vielmehr das öffentlich-rechtliche Versprechen des Bürgers, bestimmte Gefahren abzuwenden. Dazu jetzt im Einzelnen.

I I . Negative und positive Pflichten Aus der synallagmatischen Verknüpfung von Freiheit und Verantwortung folgt eine erste allgemeine Verbindlichkeit: Die Person muss für solche Ge42

Die Unterscheidung von positiven und negativen Pflichten ist besonders deutlich im Strafrecht herausgearbeitet worden. Siehe dazu Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 29 Rn. 58 ff; Sánchez-Vera , Pflichtdelikt, S. 67 ff.

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Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

fahren einstehen, die von der eigenen Sphäre der Freiheit ausgehen. Wenn das Recht der Person einen Machtbereich zur vorrangigen Verwaltung zuweist, geschieht das nur Zug um Zug gegen die Verpflichtung, für die Sicherheit dieses Bereichs zu sorgen. Von dem eigenen Organisationskreis dürfen keine gefährlichen Kausalverläufe nach außen dringen. 43 Als Befehl formuliert lautet die allgemeine Nichtstörungspflicht der Person: „Sorge dafür, dass von deinem Herrschaftskreis keine Gefahren für andere ausgehen - neminem laedere!" Der Inhalt dieser Pflicht ist ein negativer: Er erschöpft sich darin, die rechtlich garantierten Güter anderer - seien es Güter Dritter oder Güter der Allgemeinheit - nicht zu gefährden oder zu stören. Im Rahmen der Nichtstörungspflichten haftet die Person deshalb nur für schädigende Verläufe, die ihren Ursprung im eigenen Machtbereich haben und sich gerade als typische Folge der eigenen Organisation darstellen. Deshalb kann man die Nichtstörungspflichten auch als Verursacherhaftung bezeichnen, wobei klar sein sollte, dass die Rede von Verursachung vor allem dazu dient, die negativen Pflichten zum einen von den positiven Pflichten abzugrenzen (die mehr als NichtStörung verlangen) und zum anderen von der reinen Gewalthaberhaftung zu distanzieren (die bloße Herrschaft genügen lässt). Es liegt auf der Hand, dass es in Theorie und Praxis schwer sein kann, diesen Zurechnungszusammenhang herzustellen, der mit dem Kürzel der „Verursachung im Rechtssinn" belegt wird. Davon wird im folgenden Teil ausführlich die Rede sein. Die negativen Pflichten setzen bereits einen Grundbestand an rechtlich garantierten Gütern (Grundfreiheiten) voraus. Die zur Existenz von Freiheit erforderlichen Ressourcen müssen immer schon als vorhanden gedacht werden. Ohne diese unterstellte Freiheit bliebe eine Nichtstörungspflicht sinnlos: Man kann nur das stören, was schon existent ist. Wegen dieser Unterstellung muss der negativen eine positive Verbindlichkeit vorausgehen, nämlich die Pflicht, den über die Nichtstörungspflichten geschützten Bestand an Grundfreiheiten überhaupt erst herzustellen, also jene Institutionen zu erhalten und zu unterstützen, ohne die Freiheit nicht wirklich werden kann. Auch dieser Verbindlichkeit liegt das Synallagma von Freiheit und Verantwortung zu Grunde. Doch geht es diesmal nicht um das Korrelat von Verhaltensfreiheit und Folgenverantwortung, sondern die Verbindung von Grundfreiheiten und Grundpflichten 44. Der Inhalt dieser

43

Jakobs, Zurechnung, S. 19 ff, 21: „Die ursprüngliche Verbindlichkeit4 hat also zum Inhalt, den Preis für Freiheit zu zahlen, nämlich den eigenen Bereich der freien Organisation wie auch immer in für andere Personen gefahrlosem Zustand zu halten." 44 So die im Verfassungsrecht übliche Bezeichnung. Dazu Bethge, JA 1985, S. 249 ff; Götz, VVDStRL 41 (1982), S. 7 ff; Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 114; Isensee, DÖV 1982, S. 609 ff; Klein, Der Staat 14 (1975), S. 153 ff. - Häufig wird bei der Aufzählung der Grundpflichten auch die Sozialbindung des Eigentums miteinbezogen (etwa Götz, VVDStRL 41 (1982), S. 7, 30 f, Quaritsch,

C. Nichtstörungs- und Schutzpflichten

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Grundpflichten ist kein negativer, sondern ein positiver: Die Person muss die Ressourcen zur Ermöglichung von Freiheit beitragen. Der Anknüpfungspunkt dieser Pflicht ist nicht die selbst verursachte Störung, sondern der Status einer Person. Man mag in diesem Zusammenhang von einer Haftung für Unterlassen sprechen. Das ist jedenfalls insoweit richtig, als gerade nicht für eigenes riskantes Handeln gehaftet wird. Trotzdem stiftet die Rede von einer Unterlassenshaftung in diesem Zusammenhang mehr Verwirrung als sie hilft. 45 Denn damit ist nur gesagt, worauf es nicht ankommt - nämlich das eigene riskante Handeln. Was an diese Stelle tritt - nämlich eine besondere, positive Pflicht der Person, die mit Verursachung nichts zu tun hat 46 - bleibt dabei im Dunkeln. Wie erwähnt, werden die Nichtstörungspflichten als die wichtigste Variante der Störerhaftung noch ausführlich im folgenden Abschnitt zur Sprache kommen. Zuvor soll jedoch ein flüchtiger Blick auf die positiven Pflichten die bisherige Übersicht ergänzen: „Echte", das heißt umfassende, nicht subsidiäre Schutzpflichten entstehen nur in solchen Institutionen, deren eigentliche Hauptleistung es ist, fremde Güter zu sichern. Das trifft erstens auf den Staat zu, der sich gegenüber dem Bürger gerade durch sein Versprechen der Sicherheit legitimiert. 47 Allerdings reichen die Ressourcen des Staates nicht aus, um die benötigte Sicherheit in allen Bereichen hinreichend zu garantieren. Hier bedarf es noch einer weiteren

DVB1. 1959, S. 455, 458) und bisweilen auch die materielle Polizeipflicht insgesamt als Grundpflicht bezeichnet (so Griesbeck, Polizeipflicht, S. 97 ff). Fasst man den Begriff so weit, erfasst er letztendlich alle Pflichten, positive wie negative. Dagegen denke ich, dass es gewinnbringender ist, den Begriff der Grundpflicht auf solche Pflichten zu beschränken, die gerade nicht an die eigene Verursachung, sondern an einen Status bzw. eine Sonderverbindung anknüpfen. 45 Dazu, dass die Unterscheidung von negativen und positiven Pflichten mit der von Tun und Unterlassen nichts zu tun hat, siehe Sánchez-Vera , Pflichtdelikt, S. 67 ff. 46 Frenz, Verursacherprinzip, S. 27 f, 127 will dagegen alle Typen der Pflichten unter dem Begriff der Verursachung versammeln. Für die Schutzpflichten (positive Pflichten) formuliert er dann, dass in diesen Fällen nicht die Verursachung bestimme, wann jemand verantwortlich ist, wohl aber die Verantwortung vorgebe, wann jemand etwas verursacht habe. Ob es sinnvoll ist, auf diese Art zwei materiell verschiedene Arten der Haftung (Nichtstörungs- und Schutzpflichten) unter dem gemeinsamen Namen der Verursachung zusammenzufassen, kann man bezweifeln. In beiden Fällen sind Grund und Grenzen der Haftung verschieden. Und das macht eine begriffliche Trennung früher oder später nicht nur empfehlenswert, sondern unausweichlich. 47 Bis heute ist Sicherheit, oder genauer, die durch Sicherheit hergestellte Freiheit der Person, das leitende Legitimationsparadigma des Staates. DiFabio, Jura 1996, S. 566, 567; Isensee, Grundrecht, S. 17 ff; Klein, NJW 1989, S. 1633, 1640; Köck, AöR 121 (1996), S. 1, 13; Link, VVDStRL 48 (1990), S. 7, 27 ff; Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 56, 83.

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Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

Institution. Und das ist die Familie oder genauer: die Beziehung von Eltern und Kind, innerhalb derer zunächst „die Leistungen der Primärsozialisation" erbracht werden müssen.48 In beiden Fällen entstehen auf der Seite des Staates bzw. der Eltern jeweils besondere Schutzpflichten, die weit über das hinausgehen, was die Nichtstörungspflicht abdeckt.49 Zugleich sind die positiven Pflichten aber auch enger: Während die Nichtstörungspflicht potenziell jeden trifft und gegenüber jedermann gilt, bleiben die Schutzpflichten immer auf eine Sonderbeziehung beschränkt. Der Staat hat nur gegenüber seinen Bürgern, die Eltern haben immer nur gegenüber ihren Kindern besondere Schutzpflichten. Damit ist auch die Grenze dieser Pflichten ganz anders zu ziehen als bei der allgemeinen Nichtstörungspflicht. Während dort für Risiken gehaftet wird, die von den eigenen Gütern ausgehen, sind jetzt nur solche Risiken abzuwenden, die den fremden Gütern des Schutzbefohlenen drohen. Die Perspektive hat sich damit grundlegend verschoben, weg von den Risiken des eigenen Machtbereichs hin zu solchen Risiken, die dem fremden, anvertrauten Machtbereich drohen. Blickt man auf die Sonderverbindung von Staat und Bürger, so findet sich auch in dieser Verbindung zunächst eine negative Seite. Der Staat muss unerlaubte Eingriffe in die Freiheit seiner Bürger unterlassen. Es geht dabei um die allgemeine Nichtstörungspflicht des Staates, der ein Abwehrrecht des Bürgers korrespondiert (status negativus). Daneben hat das Verhältnis von Staat und Bürger aber auch eine besondere positive Seite. Denn das Ziel des Staates ist nicht allein NichtStörung, sondern der Schutz seiner Bürger. Und deshalb treffen ihn neben den Abwehrpflichten besondere Schutzpflichten (status positivus). 50 Soweit der Staat in Erfüllung dieser Schutzpflichten handelt, geht es um Handeln der Polizei in einem weiten Sinn. Die Frage nach der Reichweite der Schutzpflichten ist dann zugleich eine Frage nach den Eingriffsrechten und -pflichten der Polizei, also kein Problem des Störers, sondern ein Problem des Gefahrenbegriffs und des Entschließungsermessens - beides Themen, die hier nicht behandelt werden sollen. Für den Begriff des Störers interessieren die Schutzpflichten nur dann, wenn der Staat nicht in Erfüllung dieser Pflichten handelt, sondern wenn ihn die Schutzpflichten nur anlässlich einer anderen Tätigkeit (etwa als Eigentümer) treffen. In diesem Fall kann der Staat als Störer haften und zwar auch und gerade wegen der Verletzung einer besonderen Schutzpflicht. Dazu ein Beispiel: Wenn Dritte beleidigende Parolen an die Wän-

48

Pawlik, Verhalten, S. 136 f. Frenz, Verursacherprinzip, S. 132 f, spricht von „Du-bezogenen Grundpflichten". 50 Zu den Schutzpflichten des Staates BVerfGE 39, S. 1, 42 ff (Straflosigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen); BVerfGE 49, S. 89, 142 (Betriebserlaubnis von Wiederaufbereitungsanlagen); BVerfGE 56, S. 54, 73 ff (Flughafengenehmigung und Schutzpflicht gegenüber den Anliegern); Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410 ff; Pietzcker, in: Festschrift für Dürig, S. 345 ff. 49

C. Nichtstörungs- und Schutzpflichten

125

de eines Universitätsgebäudes sprühen, dann mag man an einer Verletzung der allgemeinen Nichtstörungspflicht mit guten Gründen zweifeln. 51 Weil aber der Staat und keine Privatperson Eigentümer des Gebäudes ist, haftet er jedenfalls aufgrund seiner besonderen Schutzpflicht, welche die allgemeine Nichtstörungspflicht überlagert. 52 Neben dem staatlichen ist der elterliche Schutz die zweite elementare Bedingung garantierter Freiheit. Die besondere Institution der Familie und die besonderen Schutzpflichten im Verhältnis von Eltern und Kind bleiben neben dem staatlichen Schutz so lange unentbehrlich, wie die in der Familie erbrachten Leistungen nicht von staatlicher Seite angemessen ersetzt werden können. Hat der Staat Ersatzinstitutionen wie etwa die der Betreuung geschaffen, entstehen entsprechende Schutzpflichten auf der Seite des Staates oder beim jeweiligen Betreuer, der im Rahmen eines staatlichen Verfahrens mit der Sorge beauftragt wird. Soweit die Sorge in den Händen der Eltern bleibt, korrespondiert dem besonderen Erziehungsrecht eine besondere Schutzpflicht (Art. 6 Abs. 2 GG). 53 Beispiel: Wenn die Eltern zusehen, wie ihr Kind auf einer ungesicherten Anlage spielt, so ist nicht nur der Eigentümer dieser Anlage, sondern sind auch die Eltern verpflichtet, ihr Kind vor Schäden zu schützen. Gleiches gilt etwa auch dann, wenn die Eltern tatenlos zusehen, wie ihr minderjähriges Kind regelmäßig die Schulpflicht verletzt. Hier schließt die Frage an, ob innerhalb der genannten Sonderbeziehungen auch auf der Seite des Geschützten - also beim Bürger, beim Kind oder Betreuten - besondere, positive Pflichten entstehen können. Es dürfte auf der Hand liegen, dass dies im Fall des Kindes und des Betreuten nur ausnahmsweise der Fall ist. Hier wird man allenfalls Pflichten zur Duldung finden, die nicht mehr sind als das Gegenstück zur besonderen Verfügungsgewalt von Eltern und Betreuer. Dagegen können im Verhältnis von Staat und Bürger auch auf der Seite des Bürgers weitergehende Pflichten entstehen, die nicht an Verursachung, sondern allein an den Status des „Bürgers" anknüpfen. Allerdings müssen diese Pflichten des Bürgers deutlich hinter denen des Staates zurückbleiben. Der Bürger kann nicht in dem gleichen Maß wie der Staat zur Sorge für fremde Güter verpflichtet sein. Anderenfalls würde nicht nur die eigentliche Leistung des Staates - nämlich Schutz und damit Entlastung des Bürgers - entwertet, sondern das System der negativen Pflichten durch eine allen Freiraum erstickende solidarische Haftung überlagert. Allgemeine Schutz- oder Grundpflichten des Bürgers können

51

Ossenbühl, DÖV 1976, S. 463, 470. Siehe oben, 3. Teil. Das gilt jedenfalls dann, wenn man den Staat auch im Bereich des nicht-hoheitlichen Handelns an Grundrechte und damit auch die besonderen Schutzpflichten gebunden sieht. 53 Isensee, DÖV 1982, S. 609, 614; Klein, Der Staat 14 (1975), S. 153, 156. 52

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Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

also nur in engen Grenzen bestehen. Wie gesehen, kann es solidarische Hilfspflichten in Notlagen geben. Das deckt sich im Wesentlichen mit der Haftung des Notstands- bzw. Nichtstörers, von der oben schon die Rede war. Auch bei diesen Notstandspflichten handelt es sich um Schutzpflichten, also um positive Verbindlichkeiten. Und insofern ließe sich die Notstandshaftung auch an dieser Stelle einordnen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Haftung im Notstand immer um eine „unechte" Verbindlichkeit erzeugt: Der Nichtstörer steht immer nur subsidiär ein und dies auch nur gegen einen Ersatzanspruch - beides Merkmale, die man bei der Störerhaftung vergeblich sucht.

I I I . Selbstverpflichtung (Versprechen) Zwischen dem allgemeinen Gebot des neminem laedere und den besonderen Pflichten zum Schutz fremder Güter liegt die dritte Variante der Störerhaftung: Die Haftung für das eigene Versprechen (Selbstverpflichtung). Was die Begründung der Haftung angeht, steht sie in der Nähe der Nichtstörungspflicht: Wie die negativen Pflichten, so gründet auch die Haftung für das Versprechen auf der direkten Verbindung von Handlungsfreiheit und Folgenverantwortung. 54 Hier wie dort muss die Person unmittelbar für die Folgen ihres eigenen Handelns geradestehen: Bei der NichtStörung haftet sie für alle von dem eigenen Herrschaftskreis ausgehenden Gefahren, bei der Selbstverpflichtung für die von dem eigenen Geschäftskreis ausgehenden Willenserklärungen. Was den Umfang der jeweils entstehenden Pflichten angeht, können sich aber beide Arten der Störerhaftung - Verursachung und Versprechen - unterscheiden. Während die negative Pflicht dahin geht, andere Güter vor den gefährlichen Folgen des eigenen Handelns zu bewahren, kann das Versprechen auch auf den Schutz fremder Güter zielen. Und insoweit liegt das Versprechen näher bei den positiven Pflichten: Hier wie dort wird besonderer Schutz aufgrund einer besonderen Pflicht geschuldet. Bei den positiven Pflichten ist das die - gesetzliche - Sonderbeziehung von Staat und Bürger, Eltern und Kind oder Betreuer und Betreutem; beim Versprechen tritt an diese Stelle die - vertragliche oder quasivertragliche - Sonderbeziehung zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger. Damit ist auch zugleich der entscheidende Unterschied genannt: Die positiven Pflichten (Grundpflichten) beruhen gerade nicht auf einer vertraglichen Übereinkunft zwischen Staat und Bürger, sondern sind potenziell für alle verbindlich. Sie entstehen kraft Gesetzes, sind gesetzlich vorgeformt und stehen nicht zur Disposition der Adressaten. So haben die Eltern „keine Wahl, ob sie

54

Siehe dazu auch Pawlik, Verhalten, S. 133 f.

C. Nichtstörungs- und Schutzpflichten

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ihr Recht zur Pflege und Erziehung ausnutzen. Sie müssen es" 55 . Das ist anders beim Versprechen, das auf einer Form des öffentlich-rechtlichen Vertrages beruht, der den Parteien mehr Spielraum lässt. Bei der Haftung des Bürgers für das eigene Versprechen lassen sich drei Konstellationen unterscheiden: Im ersten Fall übernimmt der Bürger eine Pflicht gegenüber und für den Staat (Verwaltungshelfer). Der Bürger führt dann ein Geschäft des Staates in dessen Auftrag. So sind etwa das beauftragte Abschleppunternehmen oder die privat geführte Autobahnmeisterei genauso wie Sanierungsunternehmen für Gefahren verantwortlich, die diese zwar nicht verursacht, aber zu beseitigen versprochen haben. Das Handeln des Bürgers gehört dann zwar nicht organisatorisch, aber doch funktional in die Sphäre des Staates. Und deshalb zählt man die Pflichten der Verwaltungshelfer üblicherweise auch nicht zu den Störerpflichten. Vielmehr geht es um interne Umschichtung polizeilicher Aufgaben. Der Sache nach ist allerdings auch dies ein Fall der besonderen Selbstverpflichtung des Bürgers gegenüber dem Staat zur Abwehr von Gefahren. Zum klassischen Bereich der Störerhaftung gehört dagegen die zweite Konstellation: Der Bürger übernimmt eine Polizeipflicht gegenüber dem Staat für einen anderen Störer (Schuldübernahme und -beitritt). Der Versprechende kann dabei kumulativ, neben dem eigentlichen Störer, oder aber für diesen haften. Für das Abfallrecht hat der Gesetzgeber diese Fälle ausdrücklich geregelt (§§ 16-18 KrW-/AbfG). Einen praktisch wichtigen Fall der Selbstverpflichtung regelt auch § 11 VerpackV: Verspricht ein Dritter, bestimmte Verpackungen zurückzunehmen, so ist der Grund dieser Haftung nicht die Verursachung, sondern sein Versprechen. 56 Die hier beschriebene Haftung durch Übernahme ist auch in anderen Bereichen ohne Weiteres denkbar. Ein Beispiel 57 : Jemand erklärt sich gegenüber dem Staat bereit, ein fremdes Grundstück zu sanieren, das mit Chemikalien verschmutzt ist. Hier ist der Dritte weder als Verursacher noch wegen seiner allgemeinen Bürgerpflichten, sondern allein aufgrund seines Versprechens verpflichtet, die Gefahr zu beseitigen. Möglich ist auch, dass die Übernahme einer Polizeipflicht zwar zwischen Privaten, aber zugunsten des Staates erklärt wird (§ 328 Abs. 1 BGB). Wann ein solcher den Staat berechtigender Vertrag vorliegt, ist eine Frage der Auslegung. In vielen Fällen wird es jedoch an einer solchen Drittwirkung fehlen:

55

Isensee, DÖV 1982, S. 609, 614. Dagegen ist die Rücknahmepflicht der Vertreiber und Hersteller (§4 VerpackV) nichts anderes als eine Ausformulierung der allgemeinen Nichtstörungspflicht (Verursacherhaftung). 57 Beispiel bei Nolle/Niestedt, JuS 2000, S. 1071, 1075. 56

128

Vierter Teil: Grundeinteilungen bei der Gefahrenzurechnung

Verpflichtet etwa der verantwortliche Stadionbetreiber einen privaten Sicherungsdienst, beauftragt der Eigentümer eines Grundstücks ein Unternehmen mit der Sanierung seines Erdbodens oder versichert sich der Inhaber einer Anlage gegen mögliche Gefahren, die in seinem Betrieb auftreten können, dann sind weder der Sicherungsdienst noch das Sanierungsunternehmen oder die Versicherung gegenüber dem Staat verpflichtet. Hier ist nur eine interne Absicherung gewollt. Nach außen haftet nur der eigentliche Störer, also vor allem der Verursacher. Die Absprache wirkt weder zugunsten noch zulasten des Versprechenden; sie ist für das Polizeirecht schlicht bedeutungslos. Umgekehrt kann es Fälle geben, in denen es leicht fällt, eine Verpflichtung gegenüber dem Staat zu bejahen. So etwa dann, wenn der Bürger im Rahmen der §§ 16-18 KrW-/AbfG gegenüber dem Verursacher verspricht, die Abfälle zu entsorgen. Wählen die Parteien den im Gesetz vorgezeichneten Weg, dürfte klar sein, dass ihre Absprache für den Staat wirkt. Zwischen beiden Fällen beginnen die Zweifel. So mag man sich fragen, ob der Käufer eines belasteten Grundstücks, der sich einen deutlichen Preisnachlass gewähren lässt, damit auch schon konkludent die Sanierungspflicht gegenüber dem Staat übernommen hat. 58 Im Zweifel ist hier keine Haftung gegenüber dem Staat gewollt (§ 329 BGB). Es bleibt beim privaten Ausgleich. Wer also ein verseuchtes Grundstück zu günstigen Konditionen kauft, will in der Regel nur den Wertverlust - seine Gefahrtragung - kompensieren, nicht aber dem Staat seine Hilfe bei der Sanierung andienen. Das muss nicht heißen, dass der Käufer hier nicht nach den allgemeinen gesetzlichen Regeln haften könnte. Aber es heißt doch, dass sein Versprechen beim Kauf noch nicht Grund genug für eine Haftung ist.

58

Vgl. Breuer, JuS 1986, S. 359, 363; Koch, Bodensanierung, S. 23,48; Sparwasser/ Geißler, DVB1. 1995, S. 1317, 1322.

Fünfter Teil

Die Nichtstörungspflicht Die Nichtstörungspflicht hat zum Inhalt, alle von dem eigenen Machtbereich ausgehenden Gefahren abzusichern oder Störungen zu beseitigen. In diesem Sinne kann man bei den Nichtstörungspflichten auch von einer Verursacherhaftung sprechen: Der Störer wird immer nur verpflichtet, die von ihm selbst geschaffenen Gefahren zu beseitigen. Es liegt auf der Hand, dass damit noch nicht mehr gewonnen ist als eine Abgrenzung zur vermeintlichen Gewalthaberhaftung einerseits (die bei der Herrschaft ansetzt) und den positiven Pflichten andererseits (die bei der besonderen Schutzpflicht ansetzen). Will man den Begriff der Verursachung weiter aufbrechen, bietet es sich an, ihn - dem in anderen Rechtsgebieten geläufigen Schema folgend - in zwei Teile zu zerlegen: der Risikoschaffung und der Risikorealisierung. Der Störer (Verursacher) muss - erstens - in seinem Machtbereich ein Risiko schaffen, das sich - zweitens - in dem Erfolg, also in der Gefahr realisiert. Diese Aufspaltung des Zurechnungsvorgangs ist allerdings zu einem Teil schon zu weitgehend und zu einem anderen Teil noch nicht ausreichend: Zu weitgehend ist sie, weil es sich bei der Zurechnung um einen einheitlichen Wertungsvorgang handelt. Dass dies nicht immer ausreichend beachtet wird, zeigt sich etwa an dem Streit um die Frage, ob das geschaffene Risiko als solches pflichtwidrig sein muss. Nicht ausreichend ist sie, weil beide Begriffe noch zu unbestimmt sind und weiter aufgeschlüsselt werden müssen, um eine brauchbare Regel zu formulieren. Trotzdem liefert die Trennung von Risikoschaffung und Risikorealisierung einen brauchbaren Ansatz. Der fünfte und letzte Teil dieser Arbeit versucht, den Zurechnungszusammenhang entlang dieser Zweiteilung Schritt für Schritt herzustellen: (1) Ausgangspunkt der Zurechnung ist im Fall der Nichtstörungspflichten immer das riskante Handeln des Störers. Dieser kann von vornherein nur für solche Risiken haftbar gemacht werden, die gerade von seinem Herrschaftskreis - seinem Handeln - ausgehen (Risikoschaffung). Das kann dann zum Problem werden, wenn sich die Herrschaftsbereiche verschiedener Personen überschneiden (A). (2) Hat man diesen ersten Schritt vollzogen, stellt sich als nächste Frage, ob die riskante Handlung als solche pflichtwidrig, also das geschaffene Risiko für sich besehen unerlaubt sein muss. Die darauf gegebene Antwort wird lauten, dass nicht das isolierte Handeln, sondern nur der gesamte Zurechnungszusam-

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

menhang mit dem Prädikat „erlaubt/unerlaubt" versehen werden muss. Zur Haftung ist also nicht ein unerlaubtes Handeln, sondern nur die unerlaubte Verursachung erforderlich (B, C). (3) Diese pflichtwidrige Verursachung setzt weiter voraus, dass sich das geschaffene Risiko in der Gefahr verwirklicht (Risikorealisierung). Dabei sind zwei Varianten zu unterscheiden: Im ersten Fall realisiert sich das geschaffene Risiko konkurrenzlos in der Gefahr (unmittelbare Verursachung). Die Störerhaftung ist dann ohne Probleme zu bejahen. Im zweiten Fall wird die Realisierung des Risikos durch konkurrierende Fremdrisiken gestört (mittelbare Verursachung). Die Zurechnung kann dann nur dort gelingen, wo die Person mit ihrem Handeln einen besonderen Grund für eine erweiterte Haftung liefert (D, E). (4) Ein solcher besonderer Grund liegt zum einen darin, dass der Störer sein Handeln im konkreten Fall an die Gefahr anpasst - die erweiterte Haftung für Anpassung (F). Zum anderen haftet die Person auch dann erweitert, wenn ihr Handeln generell besonders riskant ist - die erweiterte Haftung für Sonderrisiken (G). Dagegen führen subjektive Umstände - Kenntnis oder Absicht - nicht zur erweiterten Störerhaftung (H). (5) Für die nur mittelbar verursachten Gefahren muss der Handelnde schließlich auch dort einstehen, wo er gegenüber unzurechnungsfähigen Dritten besondere Rücksicht üben muss. Mit dieser letzten Variante der erweiterten Haftung ist allerdings der Kernbereich der eigentlichen Nichtstörungspflichten schon verlassen. Das zeigt sich vor allem daran, dass die Haftung weniger bei dem eigenen riskanten Handeln und mehr bei der Schutzpflicht gegenüber bestimmten Dritten ansetzt (J).

A. Die riskante Handlung I. Die Schaffung eines Risikos Die Nichtstörungspflichten setzten immer bei dem selbst geschaffenen Risiko an; Ausgangspunkt ist immer die eigene riskante Handlung. Riskantes Handeln und Risikoschaffung bezeichnen den gleichen Sachverhalt. Dabei ist der Begriff der Handlung, wie schon im zweiten Teil gesehen, normativ zu verstehen: Handeln meint nicht nur ein Verhalten, nicht nur den Vollzug einer Körperbewegung, sondern jede „Emission" des eigenen Herrschaftsbereichs. Riskantes Handeln umfasst folglich alle Risiken, die von dem eigenen Herrschaftskreis ausgehen.

A. Die riskante Handlung

131

Das bedeutet zunächst: An welcher Stelle innerhalb der eigenen Sphäre das Risiko entsteht, ist für die Zurechnung unwesentlich, solange nur feststeht, dass es von dem eigenen und nicht einem fremden Machtbereich ausgeht. Der Organisationskreis ist aus der Sicht des Polizeirechts insofern eine „black box", in die nicht weiter hinein gesehen wird. Zwar lassen sich verschiedene Typen der Haftung trennen, je nachdem ob das Risiko nun von dem eigenen Körper, der eigenen Persönlichkeit, dem eigenen Verhalten oder den eigenen Sachen ausgeht. Doch handelt es sich dabei um nicht mehr als eine äußere Einteilung, eine Aufzählungen verschiedener Phänotypen der Haftung, keine Trennung verschiedener Kategorien der Zurechnung. 1 Auch wenn die Einteilung deshalb - was Grund und Grenzen der Haftung angeht - folgenlos bleibt, kann sie doch immerhin den Überblick erleichtern: Danach kann das Risiko zunächst vom Körper einer Person ausgehen, sei es nun der eigene oder der eines beherrschten Dritten (Gehilfe, Organwalter). Das ist etwa dann der Fall, wenn jemand an einer ansteckenden Krankheit leidet. Die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper (Art. 2 Abs. 2 GG) oder einen fremden, aber beherrschten Körper bedingt dann die Haftung für alle von dort ausgehenden Risiken („Zustandshaftung" für den eigenen Körper, siehe etwa §§ 28 ff IfSG). 2 Praktisch wichtiger für das Ordnungsrecht ist der Fall, dass die Gefahr nicht von dem Körper, sondern der Persönlichkeit ausgeht. Angesprochen ist damit die Haftung wegen der eigenen Unzuverlässigkeit oder der eines beherrschten Dritten (Gehilfe, Geschäftsführer). Wenn sich beispielsweise der Gewerbetreibende als unzuverlässig erweist, dann geht die Gefahr von seiner Persönlichkeit und damit der eigenen Sphäre aus. Der Störer muss dann die Gefahr beseitigen, was konkret heißt, dass er sein Gewerbe einstellen muss. Auch jetzt gilt, dass die freie Verfügung über die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG) die Verantwortung für die Verfassung der Persönlichkeit mit sich bringt („Persönlichkeitshaftungsiehe etwa § 35 GewO; § 4 Abs. 1 GastG; § 13 Abs. 1 Nr. 2 PBefG; § 20 Abs. 3 BImSchG; § 7 Abs. 2 Nr. 1 AtomG). 3 Und wenn jemand einen Dritten in seinen Organisationskreis einbindet, dann hat er - in Grenzen - auch für dessen Unzuverlässigkeit einzustehen. So wie der Zustandsstörer für seine eigenen oder die beherrschten Sachen und der Verhaltensstörer für sein eigenes oder das beherrschte Verhalten einsteht, wird hier für den riskanten „Zustand" der eigenen Persönlichkeit gehaftet. Damit sind schon die weiteren Haftungstypen angesprochen, von denen an erster Stelle die Haftung für das eigene Verhalten oder beherrschte Verhalten zu erwähnen ist (Verhaltenshaftung, § 4 ME PolG). Die Person haftet in diesem

1 2 3

Dazu oben, 2. Teil. Vgl. dazu Seewald, NJW 1987, S. 2265 ff. Siehe dazu den Überblick bei Eifert, JuS 2004, S. 565 ff.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

Fall für Risiken, die nicht von der Person als solcher, sondern dem Verhalten ausgehen, also bei dem Vollzug einer Körperbewegung entstehen. Schließlich können die Risiken auch von den eigenen oder beherrschten Sachen ausgehen (Zustandshaftung, § 5 ME PolG). Hat man den Herrschaftsbereich der Person einmal umrissen (Körper, Persönlichkeit, Verhalten, Sachen), muss in einem weiteren Schritt festgestellt werden, dass das Risiko gerade in diesem Bereich geschaffen wurde. Dafür reicht es noch nicht aus, dass sich die Risikoquelle in dem räumlich-gegenständlich begrenzten Machtbereich befindet. Das wäre nur eine Rückkehr zur abgelehnten Gewalthaberhaftung. Vielmehr muss das Risiko auch normativ gesehen von dem eigenen Herrschaftskreis ausgehen. Der Begriff des „Ausgehens" markiert damit schon einen ersten Wertungsschritt: Das Risiko muss gerade in dem eigenen Machtbereich produziert werden. Relativ unproblematisch ist das in den Fällen der umfassenden Herrschaft des Alleineigentümers (II). Schwieriger zu beurteilen sind dagegen die Fälle nur partieller Herrschaft (III) und der Eingliederung (IV), bei denen immer nur ein ideeller Teil einer fremden Organisation zugleich zum eigenen Machtbereich gehört. Mit der Feststellung, dass das Risiko seinen Ursprung im Herrschaftskreis der Person hat und dass es von dort ausgeht, ist eine erste, notwendige Bedingung für die Zurechnung erfüllt. Wo dagegen die zur Gefahr führenden Risiken außerhalb des eigenen Machtbereichs entstehen, scheitert die Zurechnung schon an der ersten Hürde. In diesem Fall kann es nur noch in zwei Varianten zur Störerhaftung kommen: Entweder trifft die Person eine besondere Schutzpflicht (positive Pflicht), womit der Bereich der Nichtstörungspflichten (negative Pflichten) aber schon verlassen ist. Oder die Person liefert gerade durch ihr eigenes, riskantes Handeln einen besonderen Grund, ihr Risiken zuzurechnen, die außerhalb des eigenen Machtbereichs entstehen. Davon wird noch ausführlich die Rede sein (erweiterte Haftung für mittelbar verursachte Gefahren). Mit Blick auf diese letzte Variante müssen dann zwei Fälle genau getrennt werden: Wo die Person das Verhalten oder die Sachen Dritter in den eigenen Organisationskreis einschließt, gehören die fremden Güter - jedenfalls zu einem Teil - von Anfang an zur eigenen Verantwortungssphäre. Die Person haftet für das Verhalten oder die Sachen der eingegliederten Dritten unmittelbar. Beispiel: Der Gehilfe eines Bauunternehmens entsorgt den Bauschutt nicht ordnungsgemäß auf einer Deponie, sondern verwendet diesen als Füllmasse - der Verrichtungsherr haftet für das Handeln seines Gehilfen wie für sein eigenes (originäre Haftung). Geht das Risiko dagegen von einem Verhalten oder einer Sache aus, die fremd und darüber hinaus auch nicht in den eigenen Machtbereich eingefügt worden ist, haftet die Person allenfalls mittelbar. Beispiel: Dritte entsorgen ihren privaten Bauschutt unbefugt auf dem Gelände eines Bauunternehmers. Hier haftet der Bauunternehmer nur dann als Störer, wenn er durch sein Handeln den

A. Die riskante Handlung

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Missbrauch in zurechenbarer Weise „provoziert" hat (abgeleitete Haftung). Im ersten Fall wird also das Handeln des Dritten von vornherein als eigenes Handeln zugerechnet; im zweiten Fall wird das Handeln des Dritten auf Grund des eigenen Handelns zugerechnet. Trotz dieser Unterschiede haben beide Varianten eines gemeinsam: Die Haftung setzt immer bei den Risiken an, die von der eigenen Organisation ausgehen. Dazu jetzt im Einzelnen:

I I . Risikoschaffung bei umfassender Herrschaft Zunächst kann es so sein, dass ein Verhalten oder eine Sache vollständig und ausschließlich zu dem eigenen Machtbereich gehört (umfassende Herrschaft). Hier ist es so, dass in der Regel alle Risiken, die - faktisch gesehen - aus dem räumlich-gegenständlichen Machtbereich nach außen dringen, auch bei normativer Sicht von dem eigenen Herrschaftskreis ausgehen. Beispiel: Wenn die Anlage im alleinigen Eigentum und Besitz der Person ist, wird man in der Regel sagen können, dass alle von der Anlage verursachten Gefahren auch bei wertender Sicht von ihr ausgehen. Etwas anderes gilt nur in zwei Fällen: der Depossedierung und der (Teil-)Enteignung. In der ersten Variante wird die tatsächliche, in der zweiten die rechtliche Herrschaft ganz oder teilweise entzogen und dabei eine Gefahr verursacht. Von einem „Ausgehen" des Risikos kann nicht gesprochen werden, wenn Dritte rechtswidrig in den eigenen Herrschaftskreis eindringen und dort eine Gefahrenquelle hinterlassen oder wenn Dritte die Sache an sich nehmen und in eine gefährliche Lage versetzen (Depossedierung). 4 In diesem Fall mag zwar das Risiko faktisch aus dem räumlich-gegenständlichen Bereich stammen; bei wertender Betrachtung handelt es sich aber zunächst nur um das riskante Handeln Dritter. Dazu zwei Beispiele: Wenn ein Dritter den Betreiber einer Anlage unter Androhung von Gewalt zwingt, Schadstoffe in ein Gewässer einzuleiten, dann hat sich der genötigte Betreiber äußerlich gesehen zwar riskant verhalten - ohne dass er aber bei wertender Sicht riskant gehandelt hat. Denn das Risiko geht nur von dem Verhalten des Dritten aus, der die Herrschaft über das Verhalten eines anderen erzwingt (angemaßte Herrschaft über fremdes Verhalten). Und wenn ein Dritter Schadstoffe auf einem fremden Grundstück entsorgt, dann liegt die Gefahrenquelle räumlich gesehen im Machtbereich des Eigentümers, ohne dass normativ gesehen von dessen Herrschaftskreis ein Risiko ausgeht. Auch in diesem Fall hat zunächst nur der Dritte ein Risiko geschaffen. Der eigentliche Inhaber der Herrschaft ist allenfalls mittelbar beteiligt (angemaßte Herrschaft über fremde Sachen). 4

Hierzu gehören vor allem Fälle der aufgedrängten Gefahren, oben 3. Teil C.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

Das Risiko geht auch dann nicht von dem eigenen Herrschaftskreis aus, wenn der Staat einen Teil des Eigentums „enteignet"5 und das Risiko gerade von diesem enteigneten „Stück" des Eigentums ausgeht (Enteignung). Auch jetzt mag es wiederum so sein, dass das Risiko - faktisch gesehen - aus dem räumlichgegenständlichen Bereich stammt, es aber - normativ gesehen - nicht von der eigenen, sondern einer fremden Organisation ausgeht. So etwa dann, wenn der Staat das Eigentum unter Naturschutz 6 oder Denkmalschutz7 stellt. In diesem Fall wird ein ideeller Teil aus dem Eigentum gelöst und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Geht das Risiko gerade von diesem aufgeopferten Teil aus, gehört es nicht mehr in die Sphäre des Eigentümers, sondern desjenigen, der die Sache enteignet (der Staat) oder desjenigen, der die Sache nutzt (Dritte). Beispiel: Für das unter Naturschutz stehende Felsgrundstück, von dem Steinschlag droht, hat nicht nur der Eigentümer, sondern auch die Naturschutzbehörde Sorge zu tragen. 8 Das gilt jedenfalls dann, wenn die Risiken gerade dadurch entstehen, dass das Grundstück im Interesse des Naturschutzes nicht verändert wird. Untersagt der Staat etwa ein Felsgrundstück mit gefährlichem Überhang zu sprengen und werden dadurch wesentlich aufwändigere Sicherungsmaßnahmen erforderlich, trägt der Staat die Last zusätzlich anfallender Kosten. Hier geht die Gefahr gerade von dem enteigneten Teil des Eigentums aus. Und wenn der Denkmalschutz von dem Eigentümer den Erhalt eines historischen, besonders feuergefährdeten Reetdaches verlangt und aus diesem Grund besondere Kosten für den Brandschutz des Gebäudes anfallen, muss der Eigentümer zunächst nur die normalen Kosten der Instandhaltung und Sicherung tragen. Für den spezifischen Mehraufwand des Denkmalschutzes liegt die Last beim Staat.9 Denn auch jetzt gehen die Risiken von vornherein nicht von dem eigenen Herrschaftskreis aus, sondern von jenem aufgeopferten Teil des Eigentums, den der Staat im Interesse der Allgemeinheit vereinnahmt. Ähnlich zu beurteilen ist schließlich der Fall, dass der Eigentümer eines Waldgrundstücks dieses im Interesse der Allgemeinheit, etwa zum Zweck der Erholung, allgemein zugänglich macht. Auch hier wird ein ideeller Teil aus dem Eigentum „herausgebrochen". Und soweit die Risiken gerade von diesem Teil ausgehen, die Risiken also ge-

5 Ob man in diesem Fall von einer Enteignung im Sinn des Art. 14 Abs. 3 GG sprechen kann, sei dahingestellt. 6 Zum Verhältnis von Eigentum und Naturschutz Leisner, DÖV 1991, S. 781 ff. 7 Zum Verhältnis von Eigentum und Denkmalschutz BVerfGE 100, S. 266 ff (Vereinbarkeit des Denkmalschutzes mit Art. 14 GG) und BGHZ 99, S. 24, 33 ff (Zur Rechtmäßigkeit der Anweisung, ein historisches Gebäude als Museum zu benutzen - BlücherMuseum). 8 Vgl. OVG Münster, OVGE 17, S. 185, 188 ff. 9 Memmesheimer/Upmeier/Schönstein, Denkmalrecht Nordrhein-Westfalen, § 36 Rn. 2.

A. Die riskante Handlung

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rade bei der Nutzung des Grundstücks durch die Allgemeinheit entstehen, trifft den Eigentümer von vornherein keine Verantwortung. 10

I I I . Risikoschaffung bei partieller Herrschaft Möglich ist auch, dass ein Verhalten oder eine Sache nur partiell zu dem eigenen Machtbereich gehört, die Person also immer nur einen ideellen Teil des Verhaltens oder der Sache beherrscht (partielle Herrschaft). Hauptfall ist, dass jemand den Besitz über die Sache eines anderen (Verhältnis von Eigentümer und Besitzer) bzw. den „Besitz" über das Verhalten eines anderen (Verhältnis von Verrichtungsgehilfe und Verrichtungsherr) ausübt. In allen Fällen partieller Herrschaft ist die Frage des „Ausgehens" nicht mehr so leicht zu beurteilen. Hier muss ein zusätzlicher Wertungsschritt eingeschoben werden: Da die eigene Herrschaft immer nur einen Teil der Sache und einen Teil des Verhaltens umfasst, muss das Risiko gerade von diesem beherrschten „Stück" ausgehen. Der Besitzer einer Sache und der „Besitzer" eines Verhaltens (Verrichtungsherr) haftet also nicht für jedes Risiko, das von den Gütern ausgeht, die er mit einem Dritten teilt. Vielmehr steht er für solche Risiken ein, die gerade die Folge seines Nutzungsrechts sind. Das heißt: Der Besitzer einer Sache oder der „Besitzer" eines Verhaltens steht nur für solche Risiken ein, die in Ausübung seines Nutzungsrechts entstehen. Das Risiko geht dann auch von seinem Machtbereich aus. Wird das Risiko nur bei Gelegenheit dieses Nutzungsrechts erzeugt, haftet nur die andere Seite. Für den wichtigsten Fall der partiellen Herrschaft über ein Verhalten ist die genannte Unterscheidung ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen worden (§ 4 Abs. 3 ME PolG). Der Verrichtungsherr haftet nur für solche Risiken, die bei und nicht nur gelegentlich der Verrichtung entstehen: Danach muss sich der Verrichtungsherr jedenfalls für das weisungsgemäße Handeln seiner Helfer verantworten. Die schwierigen Fälle beginnen erst dort, wo der Helfer nicht mehr in dem - wohlverstandenen - Interesse seines Auftraggebers handelt, sondern seinen Spielraum überschreitet. Hier gilt: Der Verrichtungsherr muss sich das fremde Verhalten jedenfalls dann als eigenes Handeln (also als Teil seiner Organisation) zurechnen lassen, wenn es nur um quantitative Abweichungen geht, die verrichtungstypisch sind. Beispiele: Bei Schweißarbeiten bricht ein Feuer aus, das einen umfangreichen Rettungseinsatz zur Folge hat; der verun-

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BVerwGE 67, S. 8, 12 (Haftung für Ablagerungen Dritter auf einem Grundstück); BVerwGE 106, S. 43, 46 (Haftung des Eigentümers für Abfälle, die bei Hochwasser auf sein Grundstück gespült werden).

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

glückte Tanklastzug verliert an der Unfallstelle seine Ladung 11 ; das beauftragte Bauunternehmen stützt eine Mauer nicht fachgemäß ab, wodurch das Gebäude absackt und die Anwohner gefährdet. Je diffuser die Weisung ist, umso weiter wird man das Verhalten des Gehilfen auch als Handeln des Verrichtungsherrn ansehen können. Der Verrichtungsherr hat es also zu einem Teil in der Hand, den Umfang der gemeinsamen Haftung durch genaue Anweisungen abzustecken. Ein Beispiel liefert der Fall, über den das Oberverwaltungsgericht Münster zu entscheiden hatte: Dort hatten Arbeiter eine teerhaltige Flüssigkeit nicht ordnungsgemäß auf einer Deponie entsorgt, sondern auf dem Grundstück eines Kiesgrubenwerks. Das Gericht hat hier zu Recht auch den Geschäftsherrn für verantwortlich gehalten, weil dieser seine Helfer nur ganz vage angewiesen hatte, die Stoffe zu entsorgen. In der Entscheidung heißt es dazu: „Die Klägerin hätte das Risiko (...) nur dadurch entscheidend reduzieren und unter Umständen ganz ausschließen können, daß sie ihren Arbeitern eine ins einzelne gehende Weisung gab (...)." 1 2 Anders gesagt: wer seine Gehilfen ungenau anweist, trägt auch das Risiko ungenauer Ausführung. Krasse Fehlleistungen, die verrichtungsuntypisch sind, gehören dagegen nicht mehr zur Organisation des Verrichtungsherrn: Liefert sich beispielsweise der Gehilfe am Steuer eines Firmenwagens ein Rennen mit anderen Fahrern, ist nur er, nicht der Geschäftsherr für mögliche Folgen haftbar. In den Fällen partieller Sac/iherrschaft ist genauso zu werten: Soweit die Person die Sache nicht als eigene beherrscht, muss sie nur für Risiken einstehen, die in Ausübung des Besitzes entstehen. Das ist unproblematisch, solange die Risiken gerade durch den bestimmungsmäßen Gebrauch der Sache produziert werden. Wer beispielsweise eine Fabrikanlage pachtet und als Pächter den Betrieb fortsetzt, haftet ohne Weiteres für alle Risiken, die schon bei dem normalen Betrieb entstehen, also etwa für die Emissionen der Anlagen. Das Risiko geht dann in erster Linie von der Organisation des Besitzers aus. Darüber hinaus gehören zum Machtbereich des Besitzers solche Risiken, die zwar nicht durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch entstehen, die aber nutzungstypisch sind. Wenn in dem genannten Beispiel der Erdboden durch den Betrieb der Anlage kontaminiert wird, dann ist auch das ein Risiko, welches von dem Machtbereich des Besitzers ausgeht. Schwierig zu beurteilen sind dagegen Fälle, in denen das Risiko zwar sachtypisch ist (weshalb der Eigentümer haftet), aber nicht mehr nutzungstypisch (weshalb der Besitzer nicht haftet). Dazu ein Beispiel: Wenn ein Stadionbetreiber das angrenzende Gelände einer stillgelegten Fabrik als Parkfläche für seine Veranstaltungen anmietet, dann wird man ihn

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OVG Lüneburg, OVGE 19, 101 ff. OVG Münster, DVB1. 1973, S. 924,927 f. Im Ergebnis zustimmend Drews/Wacke/ Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 310. 12

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für die später auf diesem Grundstück entdeckten Altlasten nicht als Störer verantwortlich machen können. In diesem Fall besteht sein Nutzungsrecht in dem Gebrauch des Grundstücks als Parkplatz. Risiken, die neben diesem Gebrauch liegen, die also keine typischen Nutzungsrisiken sind, entstehen nicht in Ausübung, sondern nur gelegentlich seines Besitzes. Für sie trägt nur der Eigentümer des Fabrikgeländes die Verantwortung. Ähnlich zu beurteilen ist der Fall auch in der folgenden Variante: Der Veranstalter mietet eine ehemalige Fabrikhalle samt Grundstück, um dort eine Großraumdisko zu betreiben. Später stellt sich heraus, dass der Boden durch die Fabrikanlage schwer kontaminiert ist. Hier wird man sich fragen müssen, ob der Veranstalter, der die Fabrikhallen nutzt, auch für typischen Folgen dieser Anlage einzustehen hat, wozu eben auch die Belastung des Bodens gehören kann. Doch meine ich, dass auch insoweit das Risiko nur bei Gelegenheit des Besitzes entsteht und damit nicht mehr zur Organisation des Pächters gehört. Denn der Veranstalter hat das Gebäude nicht als Fabrikanlage, sondern als Veranstaltungshalle gemietet. Das Risiko ist insofern vielleicht sachtypisch (Nutzung der Fabrikanlage), weshalb es sicherlich von der Sphäre des Eigentümers ausgeht, aber eben nicht nutzungstypisch (Nutzung als Veranstaltungsgelände), weshalb es nicht aus dem Herrschaftskreis des Besitzers stammt. Der Veranstalter trägt zwar die Gefahr, dass er seine Nutzung nicht fortsetzen kann (Gefahrtragung). Die Verantwortung für die entstehenden Gefahren (Störerhaftung), liegt dagegen nur bei dem Eigentümer bzw. dem ehemaligen Betreiber der Anlage.

IV. Risikoschaffung bei Eingliederung Denkbar und praktisch häufig ist der Fall, dass ein Verhalten oder Sachen in den eigenen Machtbereich eingegliedert werden, ohne die eingegliederten Güter im engeren Sinn zu beherrschen (Eingliederung). 13 Ein Beispiel liefert etwa der Eigentümer, der seine Sache vermietet oder verpachtet: In diesem Fall werden zum einen das Verhalten des Mieters oder Pächters und zum anderen deren eingebrachte Sachen in den Organisationskreis des Eigentümers eingeschlossen. Und obwohl der Eigentümer in diesem Fall die eingebrachten Güter nicht als Besitzer beherrscht, sind sie von ihm zu einem Teil seines Machtbereichs gemacht worden. Genauso ist es bei dem Betrieb einer Gaststätte: Der Betreiber zieht mit den Gästen Dritte in seinen Machtbereich hinein; sie sind Teil des eigenen Machtbereichs (Eingliederung), wenngleich der Betreiber über das fremde Verhalten oder die fremden Sachen weder wie ein Eigentümer (vollwertige Herrschaft) noch wie ein Besitzer (partielle Herrschaft) verfügen kann. 13

Besondere Beachtung schenken dieser Fallgruppe etwa Gantner, Verursachung, S. 15 ff sowie Franzen, Lehrkommentar, § 19, S. 243.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

Wie schon bei der partiellen Herrschaft muss auch jetzt, im Fall der Eingliederung, genau hingesehen werden, ob das Risiko gerade von dem eingegliederten Teil und damit von dem eigenen Machtbereich ausgeht - oder aber nur von dem Handeln Dritter. Damit kommt man im Wesentlichen zu der gleichen Unterscheidung wie zuvor: Zum eigenen Herrschaftsbereich gehören von vornherein solche Risiken, die in Ausübung des dem Dritten eingeräumten Nutzungsrechts entstehen. Risiken, die nur bei Gelegenheit der Ausübung des eingeräumten Nutzungsrechts entstehen, sind dagegen Handeln des Dritten; sie gehen in einem normativen Sinn nicht von dem eigenen Machtbereich aus. Auch jetzt ist die Zurechnung unproblematisch, solange schon der bloße Gebrauch, also das zweckentsprechende Vorgehen, direkt in die Gefahr hineinführt. Dazu ein Beispiel: Stellt der Inhaber einer Tankstelle Münzwaschanlagen auf, die man auch an Sonn- und Feiertagen benutzen kann, so sind nicht nur die Benutzer, sondern ist auch der Inhaber für die rechtswidrige Störung der Ruhe verantwortlich. 14 Die Entscheidung für eine Haftung fällt auch dort leicht, wo die Störungen schon bei normalem Betrieb auftreten. Beispiel: Wer einen Biergarten eröffnet, ist dafür verantwortlich, wenn die Gäste durch lautes Reden oder An- und Abfahren die Ruhe der Nachbarn stören. 15 Ganz Ähnliches gilt für den Grundeigentümer, der gestattet, dass umherziehende Sinti auf seinem Gelände ihr Lager aufschlagen, obwohl in diesem Bereich jede Art von Bebauung unzulässig ist. 16 Zu dem eigenen Herrschaftsbereich gehören auch noch solche Risiken, die durch Gebrauchsüberschreitung (quantitativer Exzess) entstehen. Das ist zum Beispiel dort der Fall, wo die Nutzung nur zeitlich überschritten wird: Wenn etwa die Gäste das Lokal auch nach der Sperrstunde nicht verlassen oder sich vor dem Eingang weiter laut unterhalten, dann ist das eine Gefahr, die auch von dem Machtbereich des Betreibers ausgeht. Ähnlich liegt der Fall, dass Anwohner die von einem privaten Unternehmen aufgestellten Altglaskontainer auch an Feiertagen benutzen oder Dritte eine Mülldeponie auch noch einige Zeit nach ihrer Stillegung zur nunmehr „wilden" Ablagerung von Müll aufsuchen. Die Risiken gehören auch dann zum eigenen Machtbereich, wenn der eigene Verkehr von Dritten intensiver als vorgesehen genutzt wird. So ist es etwa in den Fällen des Exzesslärms 17: Der Wirt ist Störer, wenn Gäste mehr Lärm als üblich verur-

14

OVG Hamburg, GewArch. 1992, S. 76 f. Vgl. BVerwGE 31, S. 15, 19 (Haftung für den Lärm einer Kegelbahn). Siehe auch OVG Berlin, GewArch. 1981, S. 65 ff (Störung durch lautes An- und Abfahren). 16 VGH Mannheim, NuR 1985, S. 71 f. 17 Der Ausdruckt stammt von Jarass, NJW 1981, S. 721, 725, der sich gegen eine Zurechnung solcher Exzesse ausspricht. 15

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sachen.18 Denn solange die Nutzung nur quantitativ überschritten wird, solange die Abweichung in diesem Sinn nutzungstypisch ist, muss sich der Betreiber das fremde Handeln als eigenes zurechnen lassen. Dagegen gehören Risiken, die durch Zweckentfremdung (qualitativer Exzess) entstehen, nicht mehr in den eigenen Verantwortungsbereich. Die Risiken gehen dann nicht vom eigenen Herrschaftskreis, sondern nur von dem Handeln Dritter aus. Zur Abgrenzung von quantitativer und qualitativer Überschreitung das folgende Beispiel: Verpachtet jemand sein Land als Kleingartenkolonie und verletzen die Pächter durch Anpflanzung oder kleine Anbauten die Vorschriften des Baurechts, dann haben die Pächter zwar gegenüber dem Eigentümer ihr Gebrauchsrecht überschritten, nicht aber die gepachtete Sache zweckentfremdet. Ihr Handeln findet noch in Ausübung des eingeräumten Nutzungsrechts statt.19 Das ändert sich aber, sobald die Pächter dazu übergehen, ein ganzes Wohnhaus illegal auf dem Grundstück zu errichten. Denn jetzt wird ein Nutzungsrecht nicht nur quantitativ überschritten, sondern eine ganz andere Nutzung begonnen. Ähnliche Überlegungen greifen auch in dem folgenden Fall ein: Wer sein Grundstück zur Lagerung von gefährlichen Chemikalien verpachtet, haftet auch dann, wenn die Stoffe sorglos gelagert werden und den Erdboden verseuchen.20 Denn insoweit handelt es sich um ein Risiko, das für die im eigenen Machtbereich gestattete Nutzung typisch ist und deshalb auch von dem eigenen Machtbereich ausgeht. Dagegen entsteht die Gefahr nur anlässlich der Nutzung, wenn schon die Lagerung von Chemikalien als solche nicht geduldet war. Ein schwieriger Fall: Jemand verpachtet außerhalb des Sperrbezirks - rechtmäßig - Zimmer an Prostituierte. Kann dem Verpächter in diesem Fall zugerechnet werden, dass die Prostituierten nicht über die erforderliche Arbeits- oder Gewerbeerlaubnis verfügen? Kann man, mit anderen Worten, den Verpächter einer Anlage verpflichten, die jeweils im Pass vermerkte Arbeits- und Gewerbeer18

Gegen eine Haftung Gaisbauer, BayVBl. 1976, S. 452, 456 f; Spießhofer, Störer, S. 235 f. 19 Anders VGH München, BayVBl. 1979, S. 634 f, der eine Haftung des Eigentümers ablehnt, weil diesem wegen der Verpachtung seines Grundstücks die Rechtsmacht fehle, die Gefahr zu beseitigen. Doch muss der Mangel an rechtlicher Einwirkungsmöglichkeit die Verantwortlichkeit so wenig ausschließen, wie die vorhandene Einwirkungsmöglichkeit eine Verantwortlichkeit begründet. Die fehlende Rechtsmacht kann - bei gegebener Haftung - regelmäßig durch eine Duldungsverfügung gegenüber dem Pächter ersetzt werden (.Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 462). Zu Recht die Kritik bei Lange, BayVBl. 1980, S. 407 f und Konrad, BayVBl. 1980, S. 581 ff. 20 BVerwGE 89, S. 138, 144; VGH Mannheim, NuR 1992, S. 425, 428 (Vorinstanz). Siehe dazu aber auch PrOVGE 57, S. 366, 368: Erlaubt jemand einem Dritten den Aushub von Ton auf seinem Grundstück, so soll dieser Eigentümer nicht für Gefahren haften, die der berechtigte Dritte durch seine Abgrabungen in der Nähe einer Böschung verursacht.

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laubnis zu kontrollieren? Ich denke, dass man das bejahen muss.21 Wer seine Räume Dritten zu dem Zweck überlässt, dort ein Gewerbe auszuüben, der muss auch für solche Verstöße mit einstehen, die gerade in Ausübung dieses Gewerbes entstehen.22

B. Muss die riskante Handlung unerlaubt sein? Bevor der erste, notwendige Zurechnungsschritt (die Risikoschaffung) um den zweiten, hinreichenden Schritt (die Risikorealisierung) ergänzt wird, muss zuvor noch eine Überlegung eingeschoben werden. Dabei geht es um die folgende Frage: Muss die riskante Handlung - für sich besehen - rechtswidrig sein, also das geschaffene Risiko als solches unerlaubt sein, um weiter mit der Zurechnung fortfahren zu können? Oder gibt es auch eine Haftung für rechtmäßiges Handeln, also eine Haftung für erlaubte Risiken? Die Frage hat vor allem im Polizeirecht (aber nicht nur dort) die Diskussion um die richtigen Kriterien der Zurechnung immer wieder irritiert. Dazu zunächst zwei Beispiele: Von dem Dach eines Hauses lockern sich bei starkem Wind Ziegel und drohen auf den anliegenden Bürgersteig zu stürzen. Muss sich der Eigentümer des Hauses jetzt für die Gefahr verantworten, obwohl sein Gebäude genehmigt ist und er - wie für den Fall unterstellt werden soll - auch sonst im Vorfeld jede gebotene Maßnahme zur Sicherung getroffen hat? Im Ergebnis wird man an der Verantwortlichkeit des Eigentümers wohl nicht zweifeln, womit sich die Frage aufdrängt, ob man damit eine Haftung für erlaubtes Handeln akzeptiert und das Kriterium der Pflichtwidrigkeit verworfen werden muss. In einem zweiten Beispiel denke man etwa an den Fall, dass der Fahrer eines Kraftwagens während der Fahrt merkt, dass seine Bremsen nicht mehr reagieren. Erneut wird man nicht zögern, den Fahrer als Störer zu verpflichten, und zwar auch dann, wenn Fahrer oder Halter, wie erneut zu unterstellen ist, den Wagen minuziös gewartet haben. Wieder stellt sich die Frage, ob man es mit einer Haftung für erlaubtes Handeln zu tun hat, die dann in Form einer reinen Erfolgs-, einer Gefährdungs- oder einer Gewalthaberhaftung auftreten kann.

21

Im Ergebnis ebenso OVG Lüneburg, NVwZ 1997, S. 622 f; Zeitler, VB1BW 1996 S. 44, 48. Anders der VGH Mannheim, DVB1. 1996, S. 564 f mit der Begründung, dass erstens „eine natürliche Einheit" nicht gegeben und zweitens die Passkontrolle typisch hoheitliche Tätigkeit sei. 22 Das Problem liegt weniger bei der Zurechnung als solcher als vielmehr darin, dass die konkret angeordnete Maßnahme der Gefahrenbeseitigung - die Passkontrolle - eine typisch polizeiliche Maßnahme ist. Siehe auch unten, Fn. 114.

B. Muss dieriskanteHandlung unerlaubt sein?

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Der Streit um die Haftung für erlaubtes Handeln (erlaubte Risiken) ist deshalb schwer in den Griff zu bekommen, weil in ihm verschiedene Fragen zusammenlaufen: Zu einem Teil ist die Diskussion tatsächlich ein Streit um den Umfang der Zurechnung. Es geht dann um das Problem, ob und wann die Haftung für Pflichtwidrigkeit durch eine Haftung für Gefährdung oder Herrschaft ausgetauscht wird. Zum anderen Teil ist die Diskussion aber auch nur ein Streit um Worte, bei dem nicht um den richtigen Begriff, sondern nur die richtige Bezeichnung gestritten wird. Speziell im Polizeirecht - und das ist ein dritter Gesichtspunkt - mischt sich in die Auseinandersetzung auch noch die These, dass es bei der Gefahrenabwehr ohnehin nicht auf Pflichtwidrigkeit, sondern auf Unmittelbarkeit (verstanden als raum-zeitliche Nähe) 23 oder sogar nur auf Effektivität (verstanden als faktische Einwirkungsmöglichkeit) 24 ankomme. Die Frage nach Haftung für erlaubtes Handeln lässt sich nur dann zufriedenstellend beantworten, wenn man die einzelnen Problem abschichtet: Was zunächst die zuletzt erwähnte Meinung betrifft, wonach im Polizeirecht ohnehin nicht Pflichtwidrigkeit, sondern Effektivität bzw. Unmittelbarkeit den Ausschlag geben soll, kann die Antwort an dieser Stelle kurz ausfallen: Schon im ersten Teil dieser Arbeit wurde gezeigt, dass bei der Störerhaftung gerade nicht das Kriterium der Effektivität den Ausschlag gibt. Das Gleiche gilt auch für den Topos der Unmittelbarkeit, zumindest dann, wenn man damit räumliche und zeitliche Nähe zur Gefahrenquelle meint. Räumliche Nähe erzeugt noch keine normative Nähe und die faktische Einwirkungsmöglichkeit löst keine rechtliche Einwirkungspflicht aus. Insofern ist auch im Polizeirecht eine rechtlich hergestellte Verbindung zur Gefahr erforderlich, die mit dem Begriff der Pflichtwidrigkeit am besten gekennzeichnet ist. Aber selbst wenn man diese Auffassung nicht teilt, sollte man doch deutlich sehen, dass das hier besprochene Problem - die Haftung trotz erlaubten Handelns - keine Sonderfrage des Polizeirechts ist. Sie stellt sich auch in anderen Rechtsgebieten und hängt nicht mit der spezifischen Funktion des Polizeirechts zusammen: So steht man etwa im Strafrecht vor der Frage, ob auch erlaubtes Handeln zur Haftung aus Ingerenz, also zur - objektiven - Zurechnung einer Gefahr führen kann. 25 Im Schadensersatzrecht taucht das Problem in der Frage auf, ob auch verkehrsgerechtes Handeln, das einen Schaden unmittelbar verursacht, die - objektive - Zurechnung

23

Wacke, DÖV 1960, S. 93, 94 ff. Vgl. auch Samper, Polizeiaufgabengesetz, Art. 9 Rn. 12 f sowie Selmer, JuS 1992, S. 92, 99 ff, der den Gedanken der Unmittelbarkeit deutlich von dem der Pflichtwidrigkeit distanziert. 24 So weit gehen Griesbeck, Polizeipflicht, S. 76 ff und Muckel, DÖV 1998, S. 18 ff, wobei jedenfalls Letzterer am Ende aber doch Überlegungen der Pflichtwidrigkeit einfließen lässt. 25 Statt vieler: Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band II, § 32 Rn. 155 ff, 159; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 29 Rn. 39.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

dieses Erfolgs rechtfertigen kann. 26 In dem eingangs genannten Beispiel des Hauseigentümers wird man also etwa die Frage stellen und wohl bejahen müssen, ob dieser nicht nur im Polizeirecht als Störer, sondern auch im Strafrecht als Garant für die Sicherung seines Gebäudes haftet. Wer etwa, um ein in der Diskussion genanntes Beispiel zu nennen, ein Kind scherzend in die Luft wirft, der handelt ebenso sicher erlaubt, wie er als Garant dafür einsteht, dass das Kind wieder sicher in seinen Armen landet und er als Schädiger haftet, wenn das Kind zu Schaden kommt. 27 Und wenn bei einer erlaubten Sprengung Steine auf das Nachbargrundstück fliegen, muss der Handelnde die daraus entstehenden Folgegefahren genauso absichern 28, wie er für Schäden aufkommen muss. Mit der Unterscheidung von Polizei-, Straf- und Schadensersatzrecht hat das alles wenig zu tun. Die Zurechnung in den verschiedenen Gebieten unterscheidet sich sicherlich im Bereich der Schuld. Die Frage aber, ob erlaubtes Handeln die objektive Zurechnung eines Erfolgs ermöglicht, stellt sich in allen Bereichen des Rechts, weshalb man die Antwort bei der besonderen Funktion des Polizeirechts vergeblich suchen wird. 29 Damit ist der Streit schon einmal von einer störenden Randfrage befreit. Was bleibt, ist die Kernfrage, ob erlaubtes Handeln (ein erlaubtes Risiko) zur Haftung für einen unerlaubten Erfolg (eine unerlaubte Gefahr) führen kann. Die Frage scheint geradewegs in den bekannten Gegensatz von Handlungsunrecht und Erfolgsunrecht 30 und damit in eine alte Diskussion hineinzuführen, die an dieser Stelle nicht beendet werden kann und, wie ich denke, auch nicht beendet werden muss. Und zwar deshalb, weil die Gegenüberstellung von Handlungsund Erfolgsunrecht zu abstrakt für unsere Zwecke ist und an dieser Stelle nicht weiterführt. Ich möchte der Diskussion aus diesem Grund mit der These „entgehen", dass es für die Zurechnung weder auf die rechtswidrige Handlung noch auf den rechtswidrigen Erfolg ankommt, sondern dass allein die rechtswidrige Verursachung entscheidet.31 Schon in der Zurechnungslehre Hegels heißt es hierzu: „Der Grundsatz: bei der Handlung die Konsequenzen verachten, und der andere: die Handlung aus den Folgen beurteilen und sie zum Maßstabe des-

26

Siehe etwa Huber, in: Festschrift für E.R. Huber, S. 253, 257 ff; Larenz, in: Festschrift für Dölle, S. 169,184 ff; Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil, § 75 II 2; Medicus, Bürgerliches Recht, § 24 Rn. 630, 643. 27 Vgl Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 29 Rn. 39. 28 Beispiel nach Medicus, Bürgerliches Recht, § 24 Rn. 630. 29 Oben, 1. Teil. 30 Speziell mit Blick auf das öffentliche Recht Olivet, Rechtswidrigkeitsbegriff. Grundlegend Zippelius, AcP 157 (1957/58), S. 390 ff. 31 Siehe dazu Schnur, DVB1.1962, S. 1,2: „Demnach sind nicht etwa verbotene Handlungen (im ontischen Sinn) rechtswidrig, sondern die Verursachung bestimmter Erfolge." (Hervorhebung im Original).

B. Muss dieriskanteHandlung unerlaubt sein?

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sen, was recht und gut sei, zu machen - ist beides gleich abstrakter Verstand." 32 Um die Zurechnung zu begründen, muss die Handlung als solche genausowenig rechtswidrig sein, wie schon die Rechtswidrigkeit des Erfolgs ausreicht. Vielmehr muss der gesamte Zurechnungszusammenhang - von der Handlung bis zum Erfolg - mit dem Prädikat „unerlaubt" bzw. „pflichtwidrig" versehen werden können. Es kommt also weder auf das Handlungsunrecht noch auf das Erfolgsunrecht, sondern, wenn man so will, auf das „ Verursachungsunrecht 4 an. Das wird an zwei Stellen deutlich: Erstens kann auch ein Handeln (ein Risiko), das für sich besehen erlaubt (oder sogar ausdrücklich genehmigt33) ist, die Zurechnung einer unerlaubten Gefahr rechtfertigen. Dazu zwei Beispiele: Der Halter eine Wagens, muss - auch wenn er sein Fahrzeug gewissenhaft gewartet hat - für plötzlich auftauchende Gefahren einstehen. Merkt er also, wie in dem genannten Beispiel, dass seine Bremsen nicht reagieren, muss der Fahrer auf diese Gefahr reagieren und den Wagen zum Halten bringen. Und wenn in einem weiteren Beispiel eine Großanlage mit einer Genehmigung betrieben wird, ändert das wenig daran, dass der Betreiber bei technischen Zwischenfällen als Störer die Gefahr aus der Welt schaffen muss, auch wenn er zuvor alle Auflagen genau eingehalten hat. Mit einer erweiterten Haftung für genehmigtes Handeln hat das weniger zu tun als vielmehr damit, dass jede Erlaubnis immer nur relativ wirkt. 34 Die Handlung ist nur im Hinblick auf bestimmte Folgen erlaubt. Dass sie als solche erlaubt ist, entlastet also noch nicht von der Haftung für sämtliche Folgen. Die Vorstellung, dass ein per se erlaubtes Handeln generell nur erlaubte Folgen hervorbringen könnte oder jedenfalls jede weitere Haftung generell ausschlösse, wäre nur ein Missverständnis des im Kern richtigen Satzes „quid suo ius utitur neminem laedit". 35 Ob man dann sagt, dass ein erlaubtes Handeln zu einem unerlaubten Erfolg und damit zur Haftung führt oder - wohl besser - formuliert, dass es gar nicht auf das pflichtwidrige Handeln, sondern die pflichtwidrige Verursachung ankommt, ist nur ein Streit um Worte, keiner um die Reichweite der Zurechnung. Zweitens - und das ist nichts anderes als die Kehrseite des Gesagten - muss auch ein Handeln (ein Risiko), das für sich besehen unerlaubt (oder sogar aus32

Grundlinien, § 118. Zur Haftung bei Genehmigung unten, Anhang. 34 Dazu aus der Sicht des Strafrechts Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 7 Rn. 76, der von der Relativität des Erlaubten spricht. 35 Auf diesen Rechtssatz greifen etwa zurück: PrOVGE 56, S. 366, 367 f (erlaubtes Aufschütten eines Straßendammes, der die Anlieger behindert); PrOVGE 73, S. 340, 346 (erlaubtes Anlegen eines Treidelpfades); OVG Münster, OVGE 14, S. 265, 266 f (Mieterfall); Hurst, AöR 83 (1958), S. 43, 59; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch, Abschnitt E Rn. 64. 33

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

drücklich untersagt) ist, nicht in jedem Fall zu unerlaubten Erfolgen führen. Erneut gilt, dass nicht die Handlung als solche, sondern der ganze Zurechnungszusammenhang rechtswidrig sein muss. Auch dazu einige Beispiele: Wenn der Halter die Bremsen seines Fahrzeugs nicht ordnungsgemäß wartet, muss er deshalb noch nicht dafür einstehen, dass sein Wagen nach einem durch andere Umstände verursachten Auffahrunfall Öl verliert. Wer eine genehmigungsfähige, aber nicht genehmigte Anlage betreibt, ist trotz seines rechtswidrigen Vorgehens kein Störer, wenn die Gefahr - wie etwa bei der Manipulation durch Dritte - auch mit Genehmigung entstanden und der Betreiber dann nicht haftbar gewesen wäre. Und wer ein Gebäude abreißt, ohne zuvor die nötige Erlaubnis eingeholt und für ausreichende Sicherheit gesorgt zu haben, haftet trotz seines rechtswidrigen Vorgehens nicht für Störungen, die entstehen, weil nach dem Abriss die Fassade eines verunstalteten Nachbargebäudes sichtbar wird. Diese und ähnliche Überlegungen werden meistens bei den Stichworten „Schutzzweck der Norm", „Rechtswidrigkeitszusammenhang" oder „rechtmäßiges Alternativverhalten" plaziert. 36 Mit einer besonderen Freistellung von der Haftung für eigentlich verbotenes Handeln hat das genausowenig zu tun wie die eben genannten Beispiele eine erweiterte Haftung für erlaubtes Handeln belegen. Es geht auch jetzt schlicht darum, dass ein Verbot genauso relativ wirkt wie die Erlaubnis, dass also bestimmte Risiken immer nur im Hinblick auf bestimmte Erfolge - Gefahren - verboten sind. Alles andere wäre wiederum ein Missverständnis, das auf den Gedanken des „versari in re illicita" hinausliefe. Ob man in diesem Fall sagt, dass trotz verbotenen Handelns die Zurechnung ausgeschlossen ist, ober - wohl besser - formuliert, dass es nicht auf die verbotene Handlung, sondern die verbotene Verursachung ankommt, ist auch jetzt ein Streit um Worte, der an der Reichweite der Haftung nichts ändert. Was ist mit dem bisher Gesagten gewonnen? Zunächst dürfte deutlicher zu sehen sein, dass es bei der „Haftung für erlaubtes Handeln" weniger um den materiellen Umfang der Haftung geht und mehr um die richtige Formulierung des Problems. Wenn also im eingangs genannten Beispiel der Eigentümer sein Haus sichern muss, obwohl sein Handeln - für sich gesehen - rechtmäßig ist, muss das nicht weiter irritieren. Denn in diesem Fall verdient nicht die Handlung, sondern die Verursachung, also der gesamte Zurechnungszusammenhang, den Vorwurf der Pflichtwidrigkeit. Auf die Anfangs gestellte Frage, ob erlaubtes Handeln zur Haftung führen kann, lässt sich deshalb nur antworten, dass schon die Frage falsch gestellt ist, dass der Vorwurf des Unerlaubten von vornherein nur den ganzen Zurechnungszusammenhang erfasst, nicht die isolierte Handlung.

36 Diese aus dem Straf- und Zivilrecht bekannten Figuren hat vor allem Vollmuth (VerwArch. 68 (1977), S. 45, 56 ff) in das Polizeirecht eingeführt.

C. Pflichtwidrige Verursachung

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Eine ganz andere Frage ist dagegen, ob in bestimmten Fällen die Haftungsregel geändert wird (etwa: Haftung für Herrschaft statt Pflichtwidrigkeit bei Sac/irisiken) oder aber die Haftung ausgeweitet wird (etwa: Haftung für Gefährdung statt Pflichtwidrigkeit bei Sonderrisiken). Beide Fälle mag man unter dem Stichwort der „Haftung für erlaubtes Handeln" zusammenfassen. In der Tat dreht sich der Streit dann nicht nur um Worte, sondern die materielle Reichweite der Haftung. Was die erste Variante angeht, die Haftung für Herrschaft statt Pflichtwidrigkeit, ist dazu schon oben im zweiten und dritten Teil das Nötige gesagt worden: Die Herrschaft also solche führt in keinem Fall, weder bei Verhaltens- noch bei Sachrisiken, zur Störerhaftung. Was die zweite Variante betrifft, die Haftung für Gefährdung statt Pflichtwidrigkeit, ist es durchaus denkbar, dass jemand, der besondere Risiken schafft, auch besondere Verantwortung übernimmt. Aber das ist ein anderes Problem, das mit der Frage nach einer - allgemeinen - Haftung für erlaubtes Handeln wenig zu tun hat und auf das erst weiter unten zurückzukommen ist.

C. Pflichtwidrige Verursachung Verschiebt man den Akzent von der pflichtwidrigen Verursachung (im Gegensatz zum pflichtwidrigen Handeln und zum rechtswidrigen Erfolg) auf die Pflichtwidrigkeit der Verursachung, stellt sich als nächste Frage, was mit dem Begriff der Rechts- bzw. Pflichtwidrigkeit gewonnen ist. Die Rede von der pflichtwidrigen Verursachung bringt zunächst einen einfachen, aber wichtigen Fortschritt: Sie zeigt, dass die Verbindung von Person und Erfolg ein normativer, genuin rechtlicher Zurechnungsschritt ist. Die Zuschreibung einer Gefahr knüpft immer an normative Vorgaben an, und zwar nicht an irgendwelche normative Vorgaben, sondern nur an solche des Rechts. Das haben die Vertreter der sogenannten „Theorie der rechtswidrigen Verursachung" am klarsten formuliert. 37 Allerdings kann es so sein, dass das Recht nicht für jeden Fall eine konkrete Regelung oder allgemeine Wertung positiviert hat. In diesem Fall muss das Recht dann für seine Zurechnung auf andere normative, aber nicht spezifisch rechtliche Vorgaben zugreifen - eine Vorgehensweise, die wiederum mit dem Begriff der Sozialadäquanz am besten auf den Punkt gebracht worden 37

Im Ansatz schon Scholz-Forni, VerwArch. 30 (1922), S. 11, 27 ff. Grundlegend: Schnur, DVB1. 1962, S. 1 ff. Den Gedanken weiter ausformuliert haben Bergmann, Begriff, S. 158 ff, 182 ff; Beye, Dogmatik, S. 80 ff; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch, Abschnitt E Rn. 66; Erichsen, VVDStRL 35 (1977), S. 171, 205 f; Löhnert, Begriff, S. 90 ff. Stärker erfolgsbezogen formulieren die Haftung Klaudat, Polizeipflicht, S. 17 ff; Vollmuth, Bestimmung, S. 165 ff; ders., VerwArch. 68 (1977), S. 45, 51 ff. Stärker handlungsbezogen beschreibt sie Erbel, JuS 1985, S. 257, 262.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

ist. 38 Die Begriffspaare „rechtmäßig / rechtswidrig" und „sozial adäquat/sozial inadäquat" gehören untrennbar zusammen: Im ersten Fall greift das Recht auf positivierte Wertungen zurück, im zweiten Fall besorgt sich das Recht die benötigten Wertungen außerhalb des Rechts, indem es gesellschaftliche Normen in das Recht hineinzieht. Das bedeutet umgekehrt: Die Verbindung von Person und Erfolg ist nichts, was sich mit Hilfe naturalistischer bzw. naturwissenschaftlicher Kriterien auch nur annähernd erschöpfend beschreiben ließe. Dabei ist es gleich, ob man auf Kausalität oder Wahrscheinlichkeit zurückgreift. Das Recht bleibt zwar an naturwissenschaftliche Regeln gekoppelt und insofern mag es möglich sein, die rechtliche Zurechnung ein Stück weit mit solchen Regeln zu erklären. Sehr weit kann man damit aber nicht kommen, weil sich so die rechtlichen Wertungen nicht einfangen lassen. Wer versucht, die Zurechnung vorwiegend mit Kausalitäts- und Wahrscheinlichkeitsregeln zu bewältigen, muss sich bald gezwungen sehen, das naturalistische Kriterium an immer neuen Stellen zurechtzubiegen, bis es schließlich der gewünschten Weitung entspricht. Am Ende bestimmen dann nicht Kausalität und Wahrscheinlichkeit, wie das Recht wertet, sondern die Wertungen des Rechts entscheiden darüber, was bei der Zurechnung als kausal und was als wahrscheinlich festgelegt wird. Anders gesagt: Man sieht die maßgeblichen rechtlichen Wertungen immer nur durch den Schleier einer naturalistischen Semantik. Während das Gesagte für die naturwissenschaftliche Kausalität weitgehend anerkannt ist, gibt es nach wie vor Versuche, über den Begriff der Adäquanz, der Vorhersehbarkeit bzw. der Erkennbarkeit die Regeln der Zurechnung an denen der Wahrscheinlichkeit zu orientieren. 39 Danach soll die Vörhersehbarkeit zwar 38 Der Begriff stammt von Welzel, ZStW 58 (1939), S. 491, 516 ff. Dazu CancioMelia, GA 1995, S. 179, 191. In das Polizeirecht eingeführt hat ihn Hurst, AöR 83 (1958), S. 43, 75 ff. Besonders betont wird dieser Gedanken auch bei Gusy, Polizeirecht, Rn. 269 f. Danach ist Störer, „wer - bei rechtlich nicht geregeltem Handeln - das allgemeine Lebensrisiko in sozial inadäquater Weise steigert". Siehe auch Feldhaus/Schmitt, WiVerw 1984, S. 1, 12, die von „Umweltadäquanz" sprechen. 39 Brandner, Gefahrenerkennbarkeit, S. 62 ff. Als ergänzendes Kriterium greift auf den Gedanken der Vorhersehbarkeit auch Selmer, (in: Gedächtnisschrift für Martens, S. 483, 494 ff) zurück. Ferner Gantner, Verursachung, S. 73 ff; Herrmann, DÖV 1987, S. 666, 673 f; Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 461 Fn. 21. Im Zusammenhang mit der Haftung für Altlasten verweisen auf das Kriterium der Erkennbarkeit: Breuer, JuS 1986, S. 361, 363; Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 10; Koch, Bodensanierung, S. 18; Papier, Altlasten, S. 35 ff. Grundlegend Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 96 ff, der den Adäquanzgedanken als eine Form der „Zurechnung zur Tat" auch auf das Polizeirecht anwendet. Ferner Scholz-Forni, VerwArch. 30 (1922), S. 11, 36 ff. Gegen eine Anwendung des Adäquanzgedankens: Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 312; Kraemer, NJW 1965, S. 183, 186.

C. Pflichtwidrige Verursachung

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kein hinreichendes, wohl aber ein notwendiges Kriterium sein. Das heißt: Nicht alles, was vorhersehbar ist, muss auch zurechenbar sein; aber nur was vorhersehbar ist, kann überhaupt zugerechnet werden. 40 Hieran hat man bemängelt, dass auf diese Weise die Verschuldenshaftung den Weg zurück ins Polizeirecht finde. 41 Aber das ist, wie ich denke, nicht entscheidend, weil man diesem Einwand dadurch entgehen kann, dass der Begriff der Vorhersehbarkeit stark objektiviert wird und alle Elemente persönlicher, subjektiver Vorwerfbarkeit aus ihm gelöscht werden. 42 Das eigentliche Problem des Adäquanzgedankens liegt an einer anderen Stelle: Solange man bei Erkennbarkeit bzw. Vorhersehbarkeit an Wahrscheinlichkeit denkt, ist das Kriterium zwar inhaltlich bestimmt, aber unbrauchbar, weil dann die rechtlichen Wertungen ausgeblendet werden. Rechtliche Zurechnung kann nicht durch Stochastik beschrieben und erst recht nicht durch sie ersetzt werden. Nimmt man dagegen in das Kriterium der Vorhersehbarkeit stärker rechtliche Wertungen auf, ist es zwar brauchbar, aber inhaltlich ganz unbestimmt. Die maßgeblichen rechtlichen Weitungen bleiben dann unbenannt, sie werden von dem Kriterium der Vorhersehbarkeit mehr verdeckt als freigelegt. Die Rede von der vorhersehbaren - adäquaten - Verursachung ist also in jedem Fall unzulänglich. Das zeigt sich an verschiedenen Stellen: Erstens muss der Erfolgt nicht zurechenbar sein, obwohl er vorhersehbar war. 43 Vörhersehbarkeit ist keine hinreichende Bedingung der Haftung. Beispiel: Wer seinem Angestellten kündigt, muss sich auch dann nicht als Störer behandeln lassen, wenn er einigermaßen sicher vorhersehen kann, dass er diesen in die Arbeitslosigkeit entlässt und damit die Zahl der Empfänger staatlicher Hilfen erhöht. Das Gleiche gilt etwa dann, wenn der Eigentümer sein bisher als Parkplatz genutztes Grundstück für die Öffentlichkeit schließt und dabei sicher vorhersehen kann, dass damit die Zahl der Falschparker in der Umgebung ansteigen wird. Und wenn eine Geschäftskette die Einzelhändler durch ihre niedrigen Preise in den Ruin treibt, dann ist das zwar vorhersehbar, aber nicht zurechenbar, solange es an einer Verletzung des Wettbewerbsrechts fehlt. Hier und in anderen Fällen müssen zur Haftung immer weitere Wertungen hinzukommen, die das Urteil der Adäquanz gerade nicht enthält, sondern voraussetzt. Umgekehrt kann die Gefahr zurechenbar sein, obwohl sie nicht vorhersehbar war. Vorhersehbarkeit ist also auch keine notwendige Bedingung der Haftung. Beispiel: Wer eine komplexe industrielle Anlage betreibt, wird es mit einer 40

So vor allem Brandner, Gefahrenerkennbarkeit, S. 62 ff, 80 ff. Schink, DVB1. 1986, S. 161,169; ders., VerwArch. 82 (1991), S. 357, 376 ff; Rothe, ZRP 1987, S. 399, 401. Ähnlich Hurst, AöR 83 (1958), S. 43, 65 ff; Wacke, DÖV 1960, S. 93, 94; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 312; Kraemer, NJW 1965, S. 183, 186 f. 42 So Brandner, Gefahrenerkennbarkeit, S. 74 f; Herrmann, DÖV 1987, S. 666, 673. 43 Schnur, DVB1. 1961, S. 1. Insoweit auch Brandner, Gefahrenerkennbarkeit, S. 78 f. 41

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Vielzahl von Gefahren zu tun haben, deren konkrete Entstehung objektiv nicht vorhersehbar, aber doch zurechenbar ist. Kommt es etwa innerhalb einer Anlage durch eine ganz unglückliche Verkettung von Umständen zu einem Störfall, der ex-ante auch von einem Experten nicht vorherzusehen war, dann haftet der Betreiber gleichwohl als Störer. Denn die für die Erklärung der Gefahr relevanten Umstände stammen allesamt aus dem Organisationskreis des Betreibers. Und das rechtfertigt es, die Zurechnung zu bejahen, obwohl die Vorhersehbarkeit fehlt. An dieser Stelle mag man das Kriterium der Vorhersehbarkeit, wie Brandner vorgeschlagen hat, dadurch zu retten versuchen, dass man schon die „abstrakte Bedrohlichkeit" des eigenen Handelns ausreichen lässt. Es wird dann nicht mehr nach der Erkennbarkeit der Gefahr in seiner konkreten Gestalt, sondern nur nach der abstrakten Vorhersehbarkeit gefragt und darauf gesehen, ob sich ein „handlungstypisches" Risiko realisiert. 44 Das ist ein möglicher Ausweg. Nur wird dann die Zurechnung mit neuen Wertungen angereichert und die Regel der Erkennbarkeit unter der Hand durch andere Haftungsregeln ersetzt: 45 Ausschlaggebend ist dann nicht, dass der Erfolg erkennbar war, sondern - wie noch genauer zu sehen sein wird - dass der Störer konkurrenzlos für den gefährlichen Verlauf verantwortlich ist oder dass er ein besonderes Risiko geschaffen hat. Vor diesem Hintergrund ist es, wie ich denke, vorzugswürdig, die maßgeblichen Kriterien gleich beim Namen zu nennen, statt sie dem Kriterium der Erkennbarkeit unterzuschieben. Die Unzulänglichkeit des Kriteriums zeigt sich schließlich an einer dritten Stelle: Im Rahmen der rechtlichen Zurechnung ist es nämlich möglich, dass von zwei gleich vorhersehbaren Erfolgen der eine zurechenbar ist, während im anderen Fall die Haftung ausgeschlossen wird. Beispiel: Ob jemand eine kommerzielle Großveranstaltung oder eine politische Demonstration ausrichtet, wird, was die Wahrscheinlichkeit von Störung durch Dritte oder Verschmutzung angeht, oft keinen Unterschied machen. Und doch soll die Haftung des kommerziellen Veranstalters viel weiter reichen, als das bei politischen Demonstrationen der Fall ist. 46 Offensichtlich entscheidet auch jetzt nicht die Vorhersehbarkeit, sondern der für die Allgemeinheit erwartete soziale Nutzen. So geht es bei der 44

Brandner, Gefahrenerkennbarkeit, S. 84, 86: „Die durch eine Handlung ausgelösten weiteren Folgen sollen dabei aber nur dann zugerechnet werden, wenn nicht mehr eine eher nur zufällige kausale Verkettung vorliegt, sondern der Erfolg sich als Realisierung der der Handlung innewohnenden Wirkungstendenz erweist, wenn es sich m.a.W. um eine handlungstypische Gefahr handelt." 45 So letztendlich auch Brandner, Gefahrenerkennbarkeit, S. 87. 46 Zu der Unterscheidung zwischen politischen und kommerziellen Veranstaltungen: Papier, Recht, S. 94 f. Siehe auch BVerwGE 35, S. 326, 329 (Haftung bei Verteilung von Werbezetteln für ein Nachtlokal) einerseits und BVerwGE 56, S. 63, 65 (Informationsstände in der Fußgängerzone) andererseits. Ferner BVerwGE 80, S. 158,162 (Verschmutzung der Hofgarten wiese nach einer Großkundgebung).

C. Pflichtwidrige Verursachung

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Versammlung auch um eine öffentliche Meinungsbildung, bei der kommerziellen Veranstaltung dagegen nur um die Maximierung privaten Nutzens. Und diese unterschiedliche Bewertung, nicht aber die Vorhersehbarkeit, gibt bei der Verteilung von Risiken den Ausschlag. Wendet man den Blick von diesem Problem ab, liefert die Rede von rechtsbzw. pflichtwidriger Verursachung noch eine zweite Einsicht: Sie zeigt deutlich, dass auch die Störerhaftung des Polizeirechts eine objektive Pflichtverletzung voraussetzt und damit an die Weitungen anderer Rechtsgebiete gekoppelt bleibt. Das Polizeirecht bildet also nicht seinen ganz eigenen Störerbegriff, sondern hält den Kontakt zu den anderen Bereichen des Rechts.47 Das bedeutet konkret, dass bei der Zurechnung die Kriterien der Effektivität und der Einwirkungsmöglichkeit bestenfalls am Rande eine Rolle spielen. Sie mögen dazu dienen, die Auswahl zwischen den Störern anzuleiten. Soweit es aber darum geht, aus allen kausal Beteiligten überhaupt erst die Verantwortlichen auszuwählen, entscheidet die pflichtwidrige Verursachung, nicht die effektive Möglichkeit zur Beseitigung. Das gilt auch für das Kriterium der Unmittelbarkeit: Solange man diese - ganz wörtlich - als raum-zeitliche Nähe versteht, ist das auch für das Polizeirecht ein unbrauchbares Kriterium. Denn die räumliche Nähe erzeugt noch keine normative Nähe, die so gedeutete Unmittelbarkeit führt deshalb auch nicht zur Verantwortlichkeit. Der kausal an einem Unfall Beteiligte mag der Gefahr räumlich gesehen nahe stehen und er mag auch faktisch die Mittel haben, die Gefahr abzuwenden. Zum Störer macht ihn weder das eine noch das andere. Nur wo die Person eine Pflicht verletzt, wird aus dem Beteiligten ein Störer. Dem entspricht es, dass man den Begriff der Unmittelbarkeit überwiegend nicht im wörtlichen (Unmittelbarkeit als raum-zeitliche Nähe), sondern im metaphorischen Sinn (Unmittelbarkeit als normative Nähe) verwendet. 48 Das Kriterium der Pflichtwidrigkeit sagt also zunächst klar, worauf es nicht ankommt: nämlich nicht auf naturwissenschaftliche Kausalität, nicht auf Wahrscheinlichkeit, nicht auf die hieran angelehnten Kriterien wie Erkennbarkeit, Vorhersehbarkeit oder Adäquanz, nicht auf Effektivität und Einwirkungsmöglichkeit und schließlich auch nicht auf Unmittelbarkeit, solange man darunter nur die räumliche oder zeitliche Nähe zur Gefahrenquelle versteht. Zugleich gibt das Kriterium der Pflichtwidrigkeit - allerdings in sehr allgemeiner Form - an, worauf es ankommt: nämlich auf eine genuin rechtliche Zurechnung. Aber damit ist der Gewinn der sogenannten „Theorie der rechtswidrigen Verursachung" auch schon weitgehend erschöpft. Wenn deshalb in der Literatur auf die Vorhersehbarkeit als ergänzendes Kriterium zurückgegriffen wird, dann hat das einen richtigen Kern: Das Kriterium der Pflichtwidrigkeit ist nicht bestimmt 47 48

Oben, 1. Teil. Oben, 1. Teil Fn. 35.

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genug. Etwas polemisch könnte man auch sagen: Wo das Recht die Pflichten genau positiviert hat, benötigt man keine Theorie der rechtswidrigen Verursachung, weil dann nur an Selbstverständliches erinnert wird. Wo das Recht aber keine speziellen Regelungen bereithält, hilft die Rede von der rechtswidrigen Verursachung nicht weiter, weil sie dann jene Regeln und Weitungen voraussetzt, nach denen man sucht. Das ist so zugespitzt natürlich nicht richtig. Immerhin kann man mit der Rede von der pflichtwidrigen Verursachung - auch dort, wo das Recht eine Pflicht nicht ausdrücklich geregelt hat - auf allgemeine rechtliche Weitungen zurückgreifen, mit denen sich der Begriff konkretisieren lässt. Und genauso kann man mit der Rede von der sozial inadäquaten Verursachung - auch dort, wo rechtliche Bestimmungen ganz fehlen - auf soziale Wertungen zurückgreifen, die dann in rechtliche transformiert werden. Aber auch dann fehlen allgemeine Regeln, welche über die einzelne Norm oder Weitung hinaus möglichst allgemein und zugleich möglichst greifbar vorgeben, wie zugerechnet wird. Um das zu erreichen, muss man den Begriff der pflichtwidrigen Verursachung nicht gleich als unbrauchbar abtun, ihn aber weiter aufschlüsseln. Das geschieht am besten in der Weise, dass man unterscheidet zwischen konkurrenzloser (unmittelbarer) Verursachung einerseits und konkurrierender (mittelbarer) Verursachung andererseits. Die genannte Unterscheidung liefert zwar noch nicht die Lösung, stellt aber die Weichen für die folgenden Regeln der Zurechnung.

D. Konkurrenzlose und konkurrierende Verursachung I. Die Realisierung des geschaffenen Risikos Auf den ersten Zurechnungsschritt - die Schaffung eines Risikos - folgt der zweite Schritt: die Realisierung des geschaffenen Risikos in der Gefahr. Die Handlung muss den Erfolg „verursachen", was nichts anderes heißt, als dass das geschaffene Risiko zur Erklärung der Gefahr benötigt wird. Dabei ist es sinnvoll, verschiedene Varianten zu unterscheiden: (1) Im ersten Fall ist die Gefahr ausschließlich mit den Risiken des eigenen Machtbereichs zu erklären; es hat sich dann nur das selbst geschaffene Risiko in der Gefahr realisiert (konkurrenzlose Realisierung des Risikos bzw. unmittelbare Verursachung der Gefahr). Das ist der Normalfall, bei dem die Zurechnung im Ergebnis und in der Begründung relativ leicht fällt. (2) Im zweiten Fall lässt sich die Gefahr nur mit den Risiken anderer Bereiche - Handeln Dritter und Handeln des Opfers, Eingriffe des Staates und Natur-

D. Konkurrenzlose und konkurrierende Verursachung

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einflüsse - erklären; in der Gefahr haben sich dann mehrere Risiken realisiert (konkurrierende Realisierung des Risikos bzw. mittelbare Verursachung der Gefahr). Das ist der eigentliche Problemfall der Zurechnung, weshalb sich die folgenden Überlegungen nach einem ersten Überblick vor allem dieser zweiten Variante zuwenden werden. (3) Wo die Gefahr weder unmittelbar noch mittelbar verursacht wird, ist die Verletzung der Sicherungspflicht (Nichtstörungspflicht) ausgeschlossen und der Bereich der negativen Pflichten verlassen. In diesem Fall kann jemand allenfalls aufgrund einer besonderen Schutzpflicht (positive Pflicht) oder wegen seines Versprechens (Selbstverpflichtung) zum Störer werden. Im Übrigen bleibt es bei der Haftung als Nichtstörer. Zur Klarstellung seien drei Dinge vorab erwähnt: Erstens ist die Frage der mittelbaren oder unmittelbaren Verursachung keine Frage der Kausalität, sondern eine Frage der rechtlichen Bewertung: „Mittelbare Verursachung" bedeutet nicht, dass andere Umstände kausal beteiligt sind. Denn das ist fast immer so. Bei der Verletzung von Individualgütern ist beispielsweise neben dem Störer immer auch das Opfer kausal in das Geschehen involviert, ohne dass diese kausale Beteiligung die Zurechnung stören würde. Die Rede von der mittelbaren Verursachung meint vielmehr, dass der Zurechnungszusammenhang durch weitere Risiken beeinflusst wird. Zweitens - und das unterscheidet die hier vorgenommene Einteilung von dem geläufigen Kriterium der unmittelbaren Verursachung - ist die Zurechnung einer Gefahr auch bei mittelbarer Verursachung nicht ausgeschlossen, sondern nur erschwert und wird dann an besondere Bedingungen geknüpft. Drittens enthalten die Begriffe der konkurrenzlosen (unmittelbaren) und der konkurrierenden (mittelbaren) Verursachung selbst noch nicht die maßgeblichen Wertungen. Sie markieren aber einen wichtigen Punkt, an dem sich die Regeln der Zurechnung teilen. 49 Welche Regeln das sind, wird jetzt zunächst im Überblick skizziert und dann in den folgenden Abschnitten weiter ausgeführt:

I I . Konkurrenzlose (unmittelbare) Verursachung Der Handelnde ist jedenfalls dann Störer, wenn sich das von ihm geschaffene Risiko konkurrenzlos in der Gefahr realisiert. Das heißt: Die für die Beschreibung einer Gefahr benötigten Informationen lassen sich lückenlos aus dem Herrschaftskreis des Störers besorgen; Risiken, die außerhalb der eigene Sphäre 49 Mit Blick auf die strafrechtliche Zurechnung orientiert etwa Frisch, Verhalten, S. 90 ff, seine Überlegungen an dieser Einteilung. Für das Zivilrecht siehe statt vieler Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil, § 75 II 2.

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liegen - etwa das Handeln Dritter, das Handeln des Opfers, der Eingriff des Staates oder sonstige Umwelteinwirkungen - werden zur Erklärung der Gefahr nicht benötigt. Nun ist leicht zu sehen, dass in vielen Fällen Dritte und in jedem Fall das Opfer selbst kausal beteiligt sind. Aber darauf kommt es nicht an. Solange das Handeln Dritter selbst nicht pflichtwidrig, solange das Vorgehen des beteiligten Opfers selbst nicht obliegenheitswidrig ist oder die Einflüsse aus der Umwelt noch umweltadäquat, sprich ortsüblich sind, werden diese kausalen Beiträge für die Zurechnung nicht benötigt. Dazu ein Beispiel: Wenn jemand bei Arbeiten auf seinem Dach versehentlich Ziegel lostritt, die dann auf den Gehweg stürzen und dort die Passanten behindern, dann lässt sich diese Gefahr (das Hindernis auf dem Gehweg) nur durch das Handeln des Störers (das Lostreten der Ziegel) erklären. Die kausal beteiligten Gestörten, also die Passanten, bewegen sich im Rahmen des Gemeingebrauchs und damit im Bereich des Erlaubten, weshalb ihr Handeln für die Erklärung des Erfolgs nicht benötigt wird. Das Handeln der Dritten verschwindet hinter dem rechtlichen Standard und wird bei der rechtlichen Zurechnung nicht mehr registriert. Das ändert sich aber etwa dann, wenn Dritte unerlaubt das Dach betreten und sich dabei Ziegel lösen, wenn das Opfer sich unerlaubt auf ein Grundstück begibt und dann von Gebäudeteilen verletzt zu werden droht oder wenn sich schließlich bei einem ganz unerwarteten Sturm Teile des Gebäudes lösen. In diesen Fällen ist die Zurechnung zwar nicht ausgeschlossen, aber an zusätzliche Bedingungen gebunden. Jedenfalls kann dann von unmittelbarer Verursachung nicht mehr die Rede sein. Das heißt: Die Risiken des eigenen Machtbereichs müssen - auf der Ebene der unmittelbaren Verursachung - immer verantwortet werden; die Risiken fremder Bereiche nur bis zur Grenze der Pflichtwidrigkeit Dritter, der Obliegenheitsverletzung des Opfers oder der Umweltadäquanz sonstiger Natureinwirkungen. Dazu einige Anmerkungen: Erstens ist die Zurechnung in den Fällen der unmittelbaren Verursachung nicht daran gebunden, ob die Handlung als solche erlaubt oder verboten ist. Auch wenn die Handlung für sich besehen erlaubt ist, schließt das wie gesehen die Zurechnung nicht aus, solange der Störer konkurrenzlos für die Gefahr verantwortlich ist. Wenn es also in einer genehmigten und auch sonst umfassend gewarteten und gesicherten Anlage plötzlich zu einem Störfall kommt, dann muss der Betreiber als Störer drohende Schäden abwenden. Die Gefahr ist dann - trotz erlaubten Handelns - ausschließlich mit den Risiken seines Machtbereichs zu erklären. Mit einer besonderen, polizeirechtlichen Haftung hat das nichts zu tun. Auch jetzt bleibt Pflichtwidrigkeit das entscheidende Kriterium. Denn wie zuvor gesehen, ist zwar nicht die Handlung, wohl aber die Verursachung rechtswidrig. Medicus spricht in diesem Zusammenhang und mit Blick auf die Störerhaftung aus § 1004 BGB davon, dass „das Unrecht des durch eine

D. Konkurrenzlose und konkurrierende Verursachung

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Handlung unmittelbar verursachten Erfolgs auf diese Handlung ausstrahlt" 50. Der Gedanke lässt sich auch auf das Polizeirecht übertragen und wie ich denke noch präziser formulieren: Es geht weniger um irgendeine Form von Unmittelbarkeit als vielmehr um die konkurrenzlose Verantwortung für den gefährlichen Verlauf. Mit dem Gesagten ist zweitens klargestellt, dass es auch nicht um eine reine Erfolgshaftung geht. Der Störer haftet gerade nicht für einen Erfolg, mit dem ihm nichts verbindet, sondern nur für solche Erfolge, die gerade mit den Risiken seines Herrschaftsbereichs zu erklären sind. Drittens hängt die Zurechnung in dieser Fallgruppe auch nicht davon ab, ob die Handlung als solche besonders riskant oder nur normal riskant ist. Die Haftung ist keine Gefährdungshaftung: Der Störer haftet nicht für ein generell riskantes Handeln, nicht für ein Sonderrisiko wie den Waffenbesitz, den Betrieb von Großanlagen oder etwas Ähnliches, sondern schlicht für seine konkurrenzlose Verantwortung. Wer also, um ein einfaches Beispiel zu bilden, sein Fahrrad an eine Hauswand lehnt, muss dann, wenn das Rad nach einem Windstoß auf den Gehweg stürzt, drohende Schädigungen der Passanten verhindern. Das Handeln ist dann weder verboten noch generell besonders riskant. Trotzdem kann die Gefahr dem Handelnden direkt zugerechnet werden, weil das von ihm geschaffene Risiko - und nur dieses - zur Erklärung der Gefahr benötigt wird. Und wer, in dem schon erwähnten Beispiel, ein Kind beim Spielen in die Luft wirft, handelt weder verboten noch generell besonders riskant. Gleichwohl ist er verpflichtet, das Kind wieder sicher zu fangen. Viertens hängt die Zurechnung nicht davon ab, ob die Gefahrenquelle noch beherrscht wird. Die beschriebene Haftung ist keine Gewalthaberhaftung. Nicht Herrschaft, sondern die konkurrenzlose Realisierung des geschaffenen Risikos ist der eigentliche Grund der Haftung. Zwar können Herrschaft und Verantwortung zusammenfallen. Wenn also in dem mehrfach erwähnten Beispiel der Eigentümer eines genehmigten und auch sonst gesicherten Gebäudes merkt, dass Teile des Daches auf den Gehweg zu stürzen drohen, dann fallen Herrschaft und Verantwortung in eins. Aber deshalb ist die Herrschaft noch nicht der Grund für die Haftung, was deutlich wird, sobald man den Fall geringfügig variiert: Wenn nämlich Teile des Daches tatsächlich auf den Gehweg stürzen, dann hat der Sachherr des Hauses unter Umständen die Herrschaft verloren, ohne dass sich dadurch etwas an seiner Verantwortlichkeit ändern würde. Was den Ausschlag gibt ist nicht die Herrschaft, sondern die konkurrenzlose Zuständigkeit für den gefährlichen Verlauf. Wo sich die Gefahr dann faktisch realisiert - innerhalb oder außerhalb der räumlich-gegenständlichen Sphäre, auf dem Dach des ei-

50

Medicus, Bürgerliches Recht, § 24 Rn. 630.

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genen Hauses oder davor auf dem Bürgersteig - ist eine für die Zurechnung irrelevante Begleiterscheinung. Fünftens - das wurde schon oben erwähnt - beschränkt sich die Zurechnung von konkurrenzlos verursachten Gefahren auch nicht nur auf die objektiv vorhersehbaren Folgen. Die sogenannte unmittelbare Verursachung ist keine Adäquanzhaftung. Wenn von einer Anlage plötzlich und selbst für Fachleute nicht vorhersehbar schädliche Emissionen ausgehen, kann sich der Betreiber nicht auf die fehlende Vörhersehbarkeit der Gefahr zurückziehen. Denn in diesem Fall stammen alle für die Gefahr benötigten Informationen aus seinem Organisationskreis. Und das rechtfertigt die Zurechnung der unvorhersehbaren Gefahr. Anders liegt der Fall, wenn aus einem Feldgrundstück plötzlich schädliche Gase an die Luft dringen, die von einer stillgelegten Grube unterhalb des Grundstücks ausgehen. Aber auch jetzt gibt nicht etwa die fehlende Vorhersehbarkeit den Ausschlag. Entscheidend ist, dass die Gefahr in diesem Fall nur über das riskante Handeln eines Dritten, nämlich das Handeln des ehemaligen Grubenbetreibers zu erklären ist. Schließlich lässt sich die Zurechnung in den Fällen der unmittelbaren Verursachung nicht in jedem Fall an bestimmte Typen von Handlungen binden und beschränkt sich auch nicht nur auf typische Folgen einer Handlung. Das entscheidende Kriterium ist an dieser Stelle nicht Typizität einer Handlung oder eines Erfolgs, sondern die alleinige - konkurrenzlose - Verantwortung für den Kausalverlauf. Man muss sich also damit abfinden, dass sich für die Fälle der unmittelbaren Verursachung keine konkreten - das heißt: typisierten - Handlungspflichten formulieren lassen. Das ist kein Mangel an dogmatischer Schärfe, sondern die Konsequenz des zuvor Gesagten. Das Polizeirecht, wie das Recht überhaupt, verbietet nicht nur bestimmte Typen von Handlungen, sondern verlangt zunächst ganz allgemein, alle Störungen zu unterlassen, die alleinige Folge der eigenen Organisation sind. Das heißt: Neben einige, vorab typisierte Handlungspflichten (die es gewiss auch gibt) tritt immer noch das allgemeine, nicht weiter typisierte Störungsverbot. Das Recht regelt zunächst nicht, wie der Bürger seinen Machtbereich zu sichern hat, es gibt zunächst nicht vor, welche Form das Handeln haben soll, sondern verlangt nur, dass konkrete Gefährdungen unterbleiben. Die Sicherheit des eigenen Organisationsbereichs wird dann nicht zentral überwacht, indem man dem Bürger bis in Detail vorgibt, welche Gestalt seine Handlungen haben sollen. Vielmehr werden die Gefahren dezentral verwaltet: Der Staat macht die Einzelheiten zur Angelegenheit seiner Bürger und fragt nur, ob unter dem Strich die nötige Sicherheit gewährleistet ist.

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I I I . Konkurrierende (mittelbare) Verursachung Schwierig wird die Zurechnung der Gefahr, wenn das von dem - potenziellen - Störer geschaffene Risiko in Konkurrenz zu den Risiken anderer Bereiche tritt. Die für die Erklärung der Gefahr benötigten Informationen lassen sich jetzt nicht mehr lückenlos aus dem eigenen Herrschaftskreis entnehmen. Die Gefahr entsteht erst im Zusammenwirken verschiedener Risiken. Zu den Fremdrisiken gehören vor allem das Handeln Dritter, soweit es pflichtwidrig oder besonders riskant ist, das Handeln des Opfers, soweit es obliegenheitswidrig - also selbstgefährdend - ist. Aber auch dann, wenn weder Dritte noch das Opfer, sondern sonstige Einwirkungen aus der Umwelt den Verlauf beeinflussen, kann man von konkurrierender, mittelbarer Verursachung sprechen. Das ist insbesondere dort der Fall, wo die Einwirkungen katastrophal sind, also das Maß des Ortsüblichen, Umweltadäquaten51 übersteigen. In all diesen Fällen stellt sich als erstes die grundsätzliche Frage, ob eine Zurechnung überhaupt möglich ist; oder aber, ob der nur mittelbar Beteiligte von vornherein nicht in „Regress" genommen werden kann. Es gibt drei Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten: Die erste Lösung lautet, dass eine Haftung des mittelbaren Verursachers jedenfalls im Polizeirecht prinzipiell möglich ist; die zweite, dass sie grundsätzlich ausgeschlossen ist; die dritte Lösung schließlich, dass eine Zurechnung nur dort möglich ist, wo ein besonderer Grund die erweiterte Haftung rechtfertigt. Für das erste Modell hat sich vor allem Muckel stark gemacht.52 Er will, wie schon erwähnt, für die Störerhaftung allein Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinn ausreichen lassen; den Rest sollen dann Überlegungen der Verhältnismäßigkeit und Effektivität erledigen. Dahinter steht, wie ebenfalls gesehen, die Vorstellung einer ganz auf Gütersicherheit zentrierten Störerhaftung, die jeden leistungsfähigen Verursacher auch zum Störer machen kann, wenn sich in der konkreten Situation beim Vergleich von geopferter Freiheit und gewonnener Sicherheit am Ende ein positiver Saldo für die Sicherheit ergibt. Welcher von mehreren kausal Beteiligten den rechtlich relevanten Umstand beigesteuert hat, spielt für diese Lösung von vornherein keine Rolle. Dogmatische Hilfsfiguren wie die des Zweckveranlassers und der dahinter stehende Versuch, Verantwortungsbereiche abzugrenzen, müssen bei dieser Sicht als überflüssiger Ballast empfunden werden. 53 Schon oben ist gezeigt worden, dass sich eine solche 51

Der Begriff stammt von Feldhaus /Schmitt, WiVerw 1984, S. 1, 12. DÖV 1998, S. 18 ff. 53 Muckel, DÖV 1998, S. 18, 22 hält die Figur des Zweckveranlassers für überflüssig. Ähnlich Sendler, WiVerw. 1977, S. 94 f, der die Figur des latenten Störers für entbehrlich hält. 52

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Sicht nur schwer durchhalten lässt. Denn wo durch eine Abwägung nach der Lage des konkreten Falles die Verantwortlichkeit jedes Mal von neuem bestimmt wird, überspringt das Polizeirecht die in anderen Bereichen durch das Recht gewählten Garantien. 54 Das zweite Modell geht den umgekehrten Weg. Es beharrt auf strikter Trennung der Verantwortungsbereiche - eine Lösung, die vor allem Erbel vorgeschlagen hat. 55 Er meint, dass dort, wo erst das pflichtwidrige Handeln eines Dritten die harmlose in eine gefährliche Situation verwandelt, nur der Vordermann und unmittelbare Verursacher als Störer hafte. Der Hintermann habe, für sich gesehen, pflichtgemäß gehandelt und sei deswegen nicht zu belangen. Andernfalls, so fürchtet Erbel, würde man die unmittelbar störenden Dritten entgegen ihrer „Selbstverantwortlichkeit in die Rolle »verführter und gesteuerter Marionetten 4 drängen 4456. Selbstverantwortlichkeit bedeutet für den Autor also immer nur alternative Haftung: Entweder haftet der eine oder der andere - beide zusammen können für eine Gefahr nicht in die Pflicht genommen werden. Für Erbel ist eine Teilnahme am fremden Unrecht ausgeschlossen. Auch für ihn liefert die Figur des Zweckveranlassers nicht mehr als eine überflüssige und falsche dogmatische Hilfsfigur 57 , allerdings nicht, weil die Zurechnung in solchen Fällen grundsätzlich gelingt, sondern genau umgekehrt, weil sie regelmäßig scheitert. In der Sache läuft das auf die Einführung eines strikten Regressverbots im Polizeirecht hinaus: Das pflichtwidrige Handeln eines Dritten schneidet den Zurechnungsstrang durch und macht damit jeden weiteren Rückgriff auf andere Personen unmöglich. Meines Erachtens geht auch diese zweite Lösung zu weit. So richtig es ist, verschiedene Verantwortungsbereiche zu trennen und nicht alles der Abwägung im Einzelfall zu überlassen, so wenig ist damit ausgeschlossen, dass es trotz der Trennung verschiedener Verantwortungsbereiche auch Überschneidungen geben kann. Eine solche Überschneidung der Verantwortungsbereiche ist etwa für das Strafrecht ganz selbstverständlich. Wenn dort Beihilfe, Anstiftung oder Mittäterschaft ganz geläufige Zurechnungstypen sind, so doch gerade deshalb, weil das selbstverantwortliche Handeln des einen (nämlich des Täters) noch nicht automatisch die Teilnahme des Hintermanns

54

Im Einzelnen dazu oben, 1. Teil. Erbel JuS 1985, S. 257, 261 ff. In der Tendenz ähnlich auch schon Fleiner, Institutionen, S. 322, der für den Schaufensterfall eine Haftung des Ladeninhabers ablehnt, weil dieser, für sich gesehen, rechtmäßig gehandelt habe. Vgl. auch Pieroth/Schlink/Kniesel Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 27 ff, 29, die bei der Haftung des Zweckveranlassers von einer „Unterstellung aus praktischen Gründen" sprechen, die sich rechtsdogmatisch kaum rechtfertigen lasse. Für das Versammlungsrecht gegen die Figur des Zweckveranlassers Riihl, NVwZ 1988, S. 577, 578. 56 Erbel JuS 1985, S. 257, 263. 57 JuS 1985, S. 357, 262 ff. 55

D. Konkurrenzlose und konkurrierende Verursachung

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(des Gehilfen, Mittäters oder Täters hinter dem Täter) ausschließt. Warum das ausgerechnet im Polizeirecht anders sein sollte, vermag ich nicht einzusehen. Gerade das Polizeirecht kennt Varianten der Beteiligung, was nichts anderes heißt, als den Störer auch dort haftbar zu machen, wo Dritte pflichtwidrig gehandelt haben. Trennung der Verantwortungskreise meint also keine Isolierung. Es kann immer Überschneidungen und damit die Beteiligung an der Pflichtverletzung eines Dritten geben. Dort, wo mehrere Verantwortungsbereiche zusammentreffen, „ist dann mehrfach normativ garantiert, daß ein bestimmter Schadensverlauf ausbleibt, und zwar durch Pflichten bei verschiedenen Personen" 58. Das ist das dritte Modell, mit dem die Pflichtenlage am besten beschrieben sein dürfte. Die Verantwortungssphären sind also weder völlig durchlässig noch strikt voneinander geschieden, die Haftung bei nur mittelbarer Verursachung weder generell möglich noch ausgeschlossen.59 Damit sich Gefahren zurechnen lassen, die jemand nicht allein, sondern nur mittelbar ins Werk gesetzt hat, benötigt man allerdings immer einen besonderen Grund. Und dieser besondere Grund muss - solange man bei Verursacherhaftung bleibt - immer bei dem eigenen riskanten Handeln des Störers gesucht werden. 60 Von hier aus lassen sich, je nach Einteilung, zwei bzw. drei Varianten der erweiterten Haftung unterscheiden: (1) Mittelbar verursachte Gefahren - also vor allem: pflichtwidriges Handeln Dritter, obliegenheitswidriges Handeln des Opfers, katastrophale Umwelteinwirkungen - sind zum einen dann zurechenbar, wenn der Störer sein eigenes, für sich ungefährliches Handeln an die gefährlichen Umstände anpasst. Die leitende Unterscheidung ist in diesem Fall die von stereotypem und angepasstem Handeln - die erweiterte Haftung bei Anpassung (F). Die Konstellation kommt dem nahe, was man üblicherweise unter dem Stichwort des „Zweckveranlassers" behandelt. Man mag deshalb weiterhin von „Zweckveranlassung" statt

58

So Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 7 Rn. 55. Der Gedanke einer erweiterten Haftung bei nur mittelbarer Verursachung ist vor allem von den Vertretern einer Haftung nach Risikosphären in das Polizeirecht eingeführt worden. Siehe besonders Gantner, Verursachung, S. 49 ff, 143 ff und passim; Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 459 ff. Ferner: Gusy, Polizeirecht, Rn. 261 ff; Herrmann, DÖV 1987, S. 666, 670 ff. Ganz ähnliche Überlegungenfinden sich mit Blick auf die Haftung für Anscheinsgefahren bei Kokott, DVB1. 1992, S. 749, 751 ff. 60 Man mag die hier beschriebene Ausweitung der Nichtstörungspflichten zu dem zählen, was in der Literatur als ein Wandel zur kollektiven Risikozurechnung (Ladeur, UPR 1995, S. 1,6; Trute, Vorsorgestrukturen, S. 64 ff) bezeichnet und bisweilen als Entsubjektivierung der Haftung (Lepsius, Besitz, S. 449 ff) beklagt wird. Allerdings wird der Grund für die Zurechnung immer bei der Person selbst, also bei dem eigenen Handeln gesucht. Insoweit geht es nach wie vor um klassische Nichtstörungspflichten, nicht eine neue Form kollektiver Zurechnung. 59

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

von „Anpassung" sprechen. Wichtig ist allein, dass man die entscheidenden Wertungsgesichtspunkte freilegt. Und insofern bringt der Begriff der Anpassung, wie ich denke, die Dinge besser auf den Punkt. (2) Mittelbar verursachte Gefahren sind auch dann zurechenbar, wenn der Störer sein Handeln zwar nicht an die gefährlichen Umstände anpasst, sein Handeln aber generell besonders riskant ist. Die leitende Unterscheidung ist in diesem Fall die von normal riskantem und besonders riskantem Handeln - die erweiterte Haftung für Sonderrisiken (G). Diese Konstellation dürfte den für das Polizeirecht praktisch wichtigsten Fall der erweiterten Haftung markieren. (3) Eine weitergehende Störerhaftung kommt nur dort in Frage, wo die Person besondere Schutzpflichten hat (positive Pflichten) oder wo sie die Beseitigung der Gefahr versprochen hat (Selbstverpflichtung). Auf der Grenze zwischen den positiven und den negativen Pflichten liegt schließlich der Fall der erweiterten Haftung aus Rücksichtnahme. Die Person muss gegenüber bestimmten Dritten auch dann für die nur mittelbar verursachten Folgen einstehen, wenn sie diesen gegenüber besondere Rücksicht üben muss. Die leitende Unterscheidung ist dann die, ob der Dritte zurechnungsfähig oder ob er unzurechnungsfähig ist - die erweiterte Haftung aus Rücksichtnahme (J). Im Übrigen bleibt es bei der Haftung als Nichtstörer.

E. Fallvarianten der mittelbaren Verursachung I. T^pen von Fremdrisiken Mit Blick auf die eingeführte Unterscheidung von unmittelbarer und mittelbarer Verursachung lassen sich verschiedene Typen von Fremdrisiken unterscheiden: Hierzu gehört zum einen die Mitwirkung Dritter, die durch ihr Verhalten oder mit ihren Sachen den Verlauf beeinflussen. Wo nur Individualgüter gefährdet werden, kann der Dritte zugleich auch das Opfer sein. In diesem Fall geht es um einen Sonderfall der Drittbeteiligung. Möglich ist auch, dass die Gefahr durch einen direkten Eingriff des Staates ausgelöst wird - auch das ein Sonderfall der Drittbeteiligung. An die Stelle der Mitwirkung Dritter können auch sonstige Einwirkungen aus der Umwelt treten. Das ist immer dann der Fall, wenn die beteiligten Risiken weder dem potenziellen Störer noch einer anderen Person zugeschrieben werden können. Zu den möglichen Fremdrisiken gehört schließlich auch die Änderung einer Regelung oder Wertung: Ein Handeln, das zuvor als ungefährlich akzeptiert wurde, wird aufgrund geänderter Bewertung jetzt zur Gefahr.

E. Fallvarianten der mittelbaren Verursachung

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Die genannten Fallgruppen - Drittbeteiligung, Umwelteinwirkung, Änderung einer Regelung - sind auf den ersten Blick sehr verschieden. Und doch folgen sie den gleichen, zuvor eingeführten und noch weiter auszuführenden Regeln. Denn es macht aus der Sicht des potenziellen Störers keinen Unterschied, ob sein Handeln durch den Eingriff Dritter, durch Umwelteinwirkungen oder durch eine Regelungsänderung zur Gefahr wird. Entscheidend ist zunächst nur, dass es sich in allen drei Fällen um Risiken handelt, die außerhalb seines eigenen Machtbereichs liegen, also um Fremdrisiken, für die der Störer im Grundsatz keine Verantwortung trägt. Mit der folgenden Übersicht werden deshalb nicht verschiedene Zurechnungskategorien vorgestellt, sondern zunächst nur verschiedene Typen von Kausalverläufen aufgezählt. Von dieser - formellen - Typisierung (Drittbeteiligung, Umwelteinwirkung, Regelungsänderung) sind die - materiellen - Kategorien der erweiterten Zurechnung (Anpassung, Sonderrisiko, Rücksichtnahme) zu unterscheiden. Man kann auch sagen, dass die Einteilungen quer zueinander verlaufen, dass also vor allem die erweiterte Haftung für Anpassung oder die für Sonderrisiken auf jede der folgend genannten Fallgruppen anwendbar ist. 61

I I . Mitwirkung von Dritten Der praktisch wichtigste Fall eines Fremdrisikos ist das Handeln Dritter, wobei, wie erwähnt, auch das Opfer oder der Staat Dritter sein kann. Für die Frage, ob in diesem Fall die Gefahr unmittelbar oder mittelbar verursacht wird, sind folgende Überlegungen maßgeblich: (1) Trotz kausaler Mitwirkung Dritter ist die Gefahr unmittelbar verursacht, solange sich das spezifisch Gefährliche der Situation allein aus den Risiken des eigenen Machtbereichs erklären lässt, die kausal beteiligten Dritten also rechtmäßig handeln bzw. das Opfer nicht obliegenheitswidrig. Beispiele: Wenn bei einer Sitzblockade auf einer verkehrsreichen Straße die eigentliche Störung erst durch die anhaltenden Fahrzeuge und durch die Mitwirkung anderer Personen erreicht wird, dann sind die Fahrer zwar kausal beteiligt, tauchen aber bei rechtlicher Beurteilung der Lage nicht in dem Zurechnungszusammenhang auf. Denn für das Recht ist das Handeln Dritter, soweit es sich innerhalb des rechtlichen Standards bewegt, bei der Zurechnung überhaupt nicht „sichtbar". Und wenn Passanten durch herabfallende Teile eines an der Straße stehenden Gebäudes verletzt zu werden drohen, dann sind zwar die Opfer an dem Verlauf kausal beteiligt, ohne dass dies rechtlich relevant wäre. Hier wie dort bewegen sich die 61

Anders ist das bei der Pflicht zur Rücksichtnahme, die nur gegenüber bestimmten, schutzwürdigen Dritten besteht, unten J.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

kausal beteiligten Dritten innerhalb des rechtlich Erlaubten; ihr Handeln wird, wenngleich kausal, vom Recht bei der Zurechnung gar nicht wahrgenommen, solange es sich im Schatten des rechtlichen Standards bewegt. (2) Die Lage ändert sich, wenn der Dritte aus diesem Schatten heraustritt, also pflichtwidrig vorgeht, und der Erfolg nur über diese pflichtwidrige Verursachung eines Dritten erklärt werden kann. In diesem Fall kann der Dritte bei der rechtlichen Erklärung eines Erfolgs nicht mehr übersehen werden, weshalb das Handeln des „Hintermanns" die Gefahr nur mittelbar verursacht und das von ihm geschaffene Risiko mit dem Risiko eines Dritten konkurriert. Das Problem der Beteiligung pflichtwidrig handelnder Dritter wird üblicherweise unter dem Kürzel des Zweckveranlassers 62 oder der Eigensicherungspflichten 63 behandelt. Beispiele: Wenn sich zu einer Kundgebung gewalttätige Gegendemonstranten angekündigt haben, dann sind für die Gefahr zwar alle Beteiligten gleichermaßen kausal. Die für die Gefahr rechtlich relevanten Umstände - nämlich Störung der öffentlichen Ruhe, Gefährdung von Leib und Leben - stammen aber in erster Linie aus der Sphäre der gewaltbereiten Gegendemonstranten. Für die Opferbeteiligung gilt ganz Entsprechendes: Auch hier wird die Zurechnung zum Problem, wenn die Gefahr nur noch über das obliegenheitswidrige Handeln des Opfers zu erklären ist, also die spezifisch gefährlichen Umstände auch aus dem Machtbereich des Opfers beigesteuert werden. So etwa dann, wenn sich Dritte unerlaubt auf ein Grundstück begeben und dort mit gefährlichen Stoffen in Kontakt kommen, oder wenn verkaufte Medikamente zur Selbstverletzung verwendet werden. Die Schwelle zur Gefahr wird dann erst durch die Selbstgefährdung des Opfers überschritten. 64 Denkbar ist schließlich auch, dass die Gefahr erst durch das rechtswidrige Handeln des Staates entsteht. Auch dazu ein Beispiel: Die Behörde gestattet - unter Verstoß gegen das Bauplanungsrecht - die Wohnbebauung in unmittelbarer Nachbarschaft eines Industriegebiets, wodurch die neuen Anwohner durch übermäßige Imissionen gestört werden. Ein weiteres Beispiel: Die Gemeinde überplant das Gelände einer ehemaligen Mülldeponie. Nachdem das Grundstück mit einem Wohnhaus bebaut ist, treten aus dem Erdboden gesundheitsschädliche Methangase aus.65 Hier wie dort ist der potenzielle Störer nur mittelbar am Geschehen beteiligt; das von ihm er62

W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 444. Speziell zu der Zurechnung von rechtswidrigem Handeln Dritter: Bott, Verantwortlichkeit, S. 211 ff; Widder, Polizeipflicht, S. 67 ff. 63 BVerwG, DVB1. 1986, S. 360 ff (Flughafensicherung), mit Anmerkung Karpen, JZ 1986, S. 898 f und Schenke, DVB1. 1986, S. 362 ff; VGH Mannheim, DVB1. 1983, S. 41, 42 (Vorinstanz), mit Anmerkung Götz, NVwZ 1984, S. 211 ff und Karpen, JZ 1983, S. 105 ff. Allgemein hierzu: Ronellenfitsch, VerwArch. 77 (1986), S. 435 ff; Schiller/ Drettmann, DVB1. 1977, S. 435 ff. 64 Hierzu Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 462. Grundlegend zu dem Problem und den Grenzen erlaubter Selbstgefährdung Hillgruber, Schutz, S. 111. 65 OVG Münster, NVwZ 1997, S. 804 ff; dazu auch Fluck, DVB1. 2002, S. 374 ff.

E. Fallvarianten der mittelbaren Verursachung

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zeugte Risiko konkurriert erneut mit den in anderen Bereichen - hier: in der Sphäre des Staates - erzeugten Risiken.

I I I . Einwirkungen aus der Umwelt Neben dem Handeln Dritter können auch sonstige externe Einflüsse bei der Entstehung der Gefahr beteiligt sein. Dazu zählen zunächst Natureinwirkungen wie Sturm oder Hochwasser, darüber hinaus aber auch Zivilisationseinflüsse wie Krieg, Krankheits- oder Seuchengefahren, kurz alle Einflüsse, die sich nicht mehr als Handeln bestimmter Personen, seien es Dritte oder der Staat, darstellen lassen und deshalb allgemein der Umwelt zugeschlagen werden. (1) Solange es bei der rein kausalen Mitwirkung bleibt, muss darauf bei der Zurechnung keine Rücksicht genommen werden. Der Störer haftet unmittelbar, was heißt, dass er mit solchen Umwelteinwirkungen fertig werden muss, die ortsüblich bzw. umweltadäquat sind und daher noch planvoll vermeidbar. So wie die Person rechtmäßiges Handeln Dritter einkalkulieren muss, so muss sie auch ortsübliche Umwelteinflüsse berücksichtigen. Beispiele: Nach starkem Schneefall lastet auf den Bäumen eines Grundstücks so starkes Gewicht, dass die Äste zu brechen und auf die Straße zu stürzen drohen; ortsübliches Hochwasser spült Abfälle auf ein Ufergrundstück 66; starke Regenfälle schwemmen das Erdreich eines Hanggrundstücks auf die Straße; auf einem Waldgrundstück nistet ein Schwärm Vögel, der die Ruhe der Anwohner stört. 67 Solche und andere übliche Umwelteinwirkungen bleiben in aller Regel ohne Weiteres zurechenbar; sie werden von vornherein nicht als Fälle mittelbarer Verursachung eingestuft. (2) Die Lage ändert sich, sobald bestimmte Folgen nicht mehr als planvoll vermeidbar bewertet werden und der gefährliche Verlauf als Unglück behandelt wird. An diese Stelle schlägt die unmittelbare in mittelbare Verursachung um, was bedeutet, dass die zuvor als irrelevant bewerteten Umweltrisiken sich der Zurechnung in den Weg stellen. Das ist vor allem dort der Fall, wo die Natureinwirkungen über das Maß des Umweltadäquaten hinausgehen und katastrophale Ausmaße annehmen.68 Beispiel: Bei einer ungewöhnlich starken Sturmflut läuft

66 Vgl. BVerwGE 106, S. 43 ff (Haftung des Eigentümers für Abfälle, die bei Hochwasser auf sein Grundstück gespült werden). 67 Vgl. PrOVGE 59, S. 269 ff (Haftung des Grundeigentümers bei einer Krähenplage). 68 Vgl. Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch, Abschnitt E Rn. 105, 107. Ähnlich Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 273. Vgl. auch VGH München, DVB1. 1986, S. 1283, 1285 (Haftung des Rechtsnachfolgers für die Kontamination des Bodens

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

Wasser in einen Tank und spült große Mengen Öl in ein Hafenbecken. 69 In diesen und ähnlichen Fällen ist eine Haftung unter normalen Bedingungen ausgeschlossen und nur zulässig, soweit der Störer mit seinem Handeln einen besonderen Grund für die erweiterte Haftung liefert. Die Person muss sich solche als Unglück oder sogar als Katastrophe definierten Folgen ebenso wenig zurechnen lassen wie das pflichtwidrige Handeln Dritter. Es geht um Folgen, die in dieser Form keiner erwarten konnte, die jenseits des Bereichs der Gefahren liegen, welche die Person einkalkulieren muss. In einigen dieser Fälle kann es, wie gesehen, sogar so sein, dass die Person nicht einmal die Gefahr zufälliger Verschlechterung trägt und der Staat den privaten Schaden reguliert. 70

IV. Änderung einer Regelung Bei der Plan- bzw. der Regelungsänderung steht man vor der Situation, dass eine anfänglich ungefährliche Lage nachträglich neu bewertet und in eine gefährliche umdefiniert wird. Dabei geht es zunächst um den Fall, dass sich eine rechtliche Regelung ändert. Beispiele: Jemand betreibt im Außenbereich erlaubterweise einen Betrieb zur Schweinemast. Im Laufe der Jahre ändert die Behörde ihre Planung und beginnt damit, Wohnbebauung in der Nähe dieser Anlage zuzulassen. Oder: Der Staat genehmigt zunächst den Betrieb einer Tankstelle an einer normal befahrenen Straße. Später wird die Straßenführung so geändert, dass die Straße viel stärker befahren wird und sich an der Einfahrt zur Tankstelle die Unfälle häufen. Ähnlich gelagert ist auch der folgende Fall: Die Stadt erlaubt in einem bestimmten Bereich zeitlich unbegrenztes Parken, erlässt dann aber anlässlich einer Veranstaltung ein Parkverbot an dieser Stelle.71 In allen Fällen stellt sich die Frage, ob der Staat, der durch die geänderte Planung den anfangs rechtmäßig handelnden Bürger „ins Unrecht setzt", allein oder zu einem Teil für die Gefahr verantwortlich ist. Ganz nah bei den Fällen geänderter rechtlicher Bewertung liegt auch der Fall, dass sich zwar nicht die rechtliche Regelung selbst, wohl aber eine bestimmte empirische Erfahrungsregel ändert, auf der die rechtliche Beurteilung

durch eine Chemiefabrik). Anderer Ansicht Friauf, (in: Festschrift für Wacke, S. 293, 302), der Naturein Wirkungen immer zurechnen will. 69 OVG Hamburg, DÖV 1983, S. 1016 f (Hamburger Sturmflut). 70 Oben, 4. Teil AIV. 71 Vgl. VGH Mannheim, NJW 1991, S. 1689 ff.

E. Fallvarianten der mittelbaren Verursachung

163

bestimmter Risiken beruht: 72 Der Stand von Wissen und Technik hat sich geändert und offenbart jetzt vorher nicht erkannte oder doch zumindest für tolerabel gehaltene Gefahren. In diesen Fällen wird üblicherweise gefragt, wer das Risiko solcher ex ante unerkennbarer Gefahren trägt. 73 Beispiele: Bei dem Bau einer Mülldeponie wird der Erboden in einer Weise versiegelt, die nach dem Stand der Technik zunächst für ausreichend gehalten wird, um Verschmutzungen auszuschließen. Später stellt sich heraus, dass die Abdichtung völlig unzulänglich war. Oder: Die Baubehörde verlangt von dem Bauherrn, Asbestplatten einzubauen, deren Verwendung zunächst für unbedenklich gehalten wird. Als sich später herausstellt, dass die verwendeten Stoffe krebserregend sind, ordnet die Behörde die Sanierung des Gebäudes an. 74 Ein weiteres Beispiel: Die Behörde erlaubt den Betrieb einer Industrieanlage unter der Bedingung, Schutzfilter einzubauen. Später wird erkannt, dass diese Filter weitgehend wirkungslos oder sogar schädlich sind und von der Anlage weit mehr Gefahren ausgehen, als nach dem damaligen Stand des Wissens bekannt war. Unter diesen Umständen verlangt die Behörde erneut Umrüstung. Ist der Betreiber hier als Störer verpflichtet, alle Kosten zu tragen? (1) Relativ leicht dürfte die Lösung sein, solange von dem Betreiber nur für die Zukunft bestimmte Nachsicherung verlangt wird. 75 Es geht dann, bei wertender Sicht, um einen Fall konkurrenzloser, unmittelbarer Verursachung. Das gilt zunächst dort, wo sich die rechtliche Regelung geändert hat: Denn es gehört zu den normalen Pflichten des Bürgers, sich für die Zukunft an die geänderte Rechtslage anzupassen. Das Risiko nicht rückwirkender Änderungen liegt weitgehend bei dem Normadressaten. Es ist in einer positiven, also aus veränderli-

72

Papier, (Altlasten, S. 37 ff und ders., DVB1. 1985, S. 873, 877) behandelt die Frage dann auch als Problem der Änderung rechtlicher Regeln, also als ein Problem der Rückwirkung. Gegen diese Parallele Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 9 f; Oerder, NVwZ 1992, S. 1031, 1035; Schink, VerwArch. 82 (1991), S. 357, 377. Eingehend zu dem Problem Martensen, Erlaubnis, S. 74 ff. 73 Für eine Haftung Brandt/Lange, UPR 1987, S. 11, 15; Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 11 ff; Ladeur, UPR 1995, S. 1, 3 f; Martensen, Erlaubnis, S. 59 ff; Oerder, NVwZ 1992, S. 1031, 1035; Pietzcker, JZ 1985, S. 209, 210 ff; Schink, VerwArch. 82 (1998), S. 357, 376 ff, 382; Seibert, DVB1. 1992, S. 664, 670. Anderer Ansicht sind Fluck, VerwArch. 79 (1988), S. 406, 430 f; Kothe, VerwArch. 88 (1997), S. 456, 481 f; Papier, Altlasten, S. 37 ff; ders., DVB1. 1985, S. 873, 876 f. Danach sollen unerkennbare Gefahren im Rahmen der Verhaltenshaftung nicht zurechenbar sein. Bei der Zustandshaftung soll allerdings die Erkennbarkeit ex post entscheiden. Im Ergebnis dürfte auch das in den praktisch wichtigen Fällen (Betreiberhaftung, Altlastenhaftung) regelmäßig auf die Zurechnung der ex ante unerkennbaren Gefahren hinauslaufen. 74 Dazu Pietzcker, JZ 1985, S. 209, 211. 75 Vgl. Fluck, VerwArch. 79 (1988), S. 406,428 („dynamische Grundpflichten"); Seibert, DVB1. 1992, S. 664, 670.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

chen Regelungen bestehenden Rechtsordnung immer schon mitgedacht.76 Das Recht verspricht zwar im Einzelfall Sicherheit, kann aber für die Zukunft seine Regelungen ändern. Und soweit der Gesetzgeber Gesetze oder die Verwaltung ihre Planung ändert, liegt es beim Bürger, für die nötige Nachsicherung zu sorgen. Wenn der Staat also seine Raumplanung ändert oder eine bisher nicht geforderte Schutzmaßnahme nunmehr verlangt oder bestimmte Lebensmittel oder Zusatzstoffe, die er bisher erlaubt hatte, verbietet, dann ist es allein Sache des Bürgers, sich für die Zukunft darauf einzustellen.77 Ähnliches gilt dort, wo die Nachsicherung Folge des geänderten Wissenstandes oder geänderter technischer Möglichkeiten ist. Das allgemeine Risiko, dass wissenschaftliche Erkenntnisse sich als Irrtümer erweisen, liegt auch jetzt beim Bürger. Hinter dieser Risikoverteilung steht die Gewissheit, dass „alles Wissen provisorischer Natur" ist. 78 So wie die rechtliche Regelung, wird auch die Kausalitäts- oder Erfahrungsregel von Anfang an immer als veränderlich gedacht. Jeder muss in seinem Bereich für Aktualisierung sorgen. Es gibt keine staatliche Versicherung gegen die Änderung von Wissen und Technik. (2) Schwierig zu entscheiden sind die Fälle, wenn die Maßnahmen der Behörde in die Vergangenheit reichen, also nicht nur Nachsicherung, sondern rückwirkende Einschnitte abverlangt werden. In diesem Fall wird ungefährliches Handeln rückwirkend zu einem gefährlichen umdefiniert, was nichts anderes heißt, als dass nicht nur die selbst geschaffenen Risiken, sondern auch die Regelungsänderung die Gefahr verursacht. Erneut konkurrieren zwei Risiken miteinander, weshalb auch jetzt von mittelbarer Verursachung gesprochen werden kann. Eine solche Rückwirkung, die sich nicht in Nachsicherung erschöpft, findet man, wo der Staat ein zuvor gestattetes Handeln ganz untersagt, also etwa einen bisher zugelassenen Betrieb verbietet und die Konzession rückwirkend entzieht. Einige dieser Fälle werden unter dem Stichwort des latenten Störers zusammengefasst. 79 Das Risiko solcher rückwirkender Änderung trägt - anders als bei der Nachsicherung - grundsätzlich der Staat und nicht der Bürger. Die Gefahrenschwelle wird nicht schon unmittelbar durch das Handeln des Störers, sondern erst mit der späteren Neubewertung dieses Handelns überschritten.

76

Luhmann, Recht, S. 560, spricht insoweit von dem Eigenrisiko des Rechts. Problematisch ist die Pflicht zur Nachsicherung nur bei kurzfristigen Änderungen. Siehe hierzu VGH Mannheim, NJW 1991, S. 1689 ff (Abschleppen des Fahrzeugs zwei Tage nach Aufstellung eines Verbotsschildes). Die Kostenpflicht des Halters soll zwar grundsätzlich gegeben sein, kann aber im Einzelfall unzumutbar sein. Dazu Nothoff, ZfS 1995, S. 81,82. 78 Siehe DiFabio, Jura 1996, S. 566, 568. 79 OVG Münster, OVGE 11, S. 250 ff (Schweinemäster). Dazu statt vieler Schenke, JuS 1977, S. 789 ff. Grundsätzlich gegen die Figur des latenten Störers Sendler, WiVerw 1977, S. 94, 97. 77

. Die erweiterte Haftung

assn

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Eine Zurechnung der Gefahr wird erst dann möglich, wenn der Störer mit seinem Handeln einen besonderen Grund für die erweiterte Haftung liefert. Welche Gründe das sind, sollen die folgenden vier Abschnitte klären.

F. Die erweiterte Haftung bei Anpassung I. Stereotypes und angepasstes Handeln Wer sich im Rahmen eines rechtlichen Standards bewegt, dem werden auch nur normale Einwirkungen zugerechnet. Das heißt: Es bleibt dann in aller Regel bei der Haftung für die konkurrenzlos - unmittelbar - verursachten Gefahren. Pflichtwidriges Handeln Dritter, katastrophale Umwelteinwirkungen und rückwirkende Regelungsänderungen müssen nicht einkalkuliert werden. Das ändert sich dort, wo die Person den Standard verlässt und ihr Handeln an die unmittelbar gefährlichen Umstände anpasst.80 Der für die Risikozurechnung maßgebliche Schnitt verläuft zwischen dem bloß stereotypen Handeln und dem angepassten Handeln: Wer etwas zum Geschehen beiträgt, das zum sozialen Standard gehört, muss sich das fremde, rechtswidrige Handeln nicht anlasten lassen. Geht die Person aber dazu über, „Maßarbeit" zu leisten, stimmt sie ihr eigenes Handeln so auf die gefährliche Situation ab, dass es nur noch als Teil dieses gefährlichen Geschehens sinnvoll zu erklären ist und für sich selbst genommen, ohne Blick auf die Gefahr, keine sinnvolle Erklärung mehr zulässt, haftet sie für alle Umstände, die auf diese Weise besonders in das eigene Handeln eingeschlossen sind. 81 Wo der eigene Beitrag auf diese Weise zum negati-

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Der Begriff der Anpassung ist in der Beteiligungslehre des Strafrechts entwickelt worden. Siehe Frisch, Verhalten, S. 280 ff, 283 ff; Jakobs, GA 1996, S. 253,260 ff; ders., Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 24 Rn. 15 ff; ders., ZStW 89 (1977), S. 1, 23; Lesch, ZStW 105 (1993), S. 271, 282 ff; ders., JA 2000, S. 73, 77 f; Löwe-Krahl, wistra 1995, S. 201, 205 f; Stratenwerth, Strafrecht, § 12 Rn. 160 ff. Ähnlich, aber stärker subjektive Momente einbeziehend Roxin, in: Festschrift für Miyazawa, S. 501, 513 ff; ders., in: Festschrift für Stree/Wessels, S. 365,378 ff. Vgl. auch Ransiek, wistra 1997, S. 41,46 (Angriff muss auf das Rechtsgut bezogen sein); Schuhmann, Handlungsunrecht, S. 57 ff (Solidarisierung mit fremdem Unrecht). Eine kritische Auseinandersetzung ist zu finden bei Niedermair, ZStW 107 (1995), S. 506 ff. 81 Für das Strafrecht wird formuliert, es müsse ein „eindeutig deliktischer Sinnbezug" gegeben sein: Frisch, Verhalten, S. 283 ff; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 24 Rn. 15; Lesch, ZStW 105 (1993), S. 271, 285; ders., JA 2000, S. 73, 77 f; Ransiek, wistra 1997, S. 41,46; Roxin, in: Festschrift für Miyazawa, S. 501,513 ff; ders., in: Festschrift für Stree/Wessels, S. 365,378 ff. Vgl. auch Schuhmann, Handlungsunrecht, S. 60, der die Tat zurechnen will, wenn „kein anderes vernünftiges Motiv" in Betracht kommt.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

ven Abbild der gefährlichen Situation wird, wo das Handeln - gewissermaßen wie ein Teil eines Puzzles - nur in den Kontext der gefährlichen Situation passt und nur hier sinnvoll erklärbar ist, kann die Person nicht oder nur um den Preis des Selbstwiderspruchs sagen, dass sie die Gefahr nichts angehe. Wenn hier vom Sinn des Handelns die Rede ist, meint das nicht den individuellen Sinn, den der konkrete Störer seinem Handeln beilegt, sondern den objektiven, sozialen Sinn, den das Recht einer bestimmten Handlung zuschreibt. Nicht die böse Absicht entscheidet und auch nicht die Kenntnis von der Gefahr, sondern die Bedeutung, die einer Handlung im sozialen Kontakt von außen zugeschrieben wird. Insofern kann man im Fall der Anpassung von der „objektiven Finalität" des Handelns oder dem „objektiv Bezweckten" sprechen. Über die Bezeichnung mag man streiten 82, jedenfalls aber darf das individuelle Wollen oder Wissen des Subjekts nicht darüber entscheiden, was zur Haftung führt und was nicht. Alles andere würde auf die weitgehende Auflösung abgegrenzter Verantwortungssphären hinauslaufen. Das Problem wird weiter unten noch einmal aufgegriffen. 83 An dieser Stelle geht es nur darum zu zeigen, dass die besondere Haftung für Anpassung mit einer Haftung für Wissen oder Wollen nichts zu tun hat. Beispiele: Ob etwa der Veranstalter einer Demonstration es für möglich hält, sicher weiß oder sogar wünscht, dass es zu gewalttätigen Gegenkundgebungen kommt, ist für seine Haftung gleichgültig. Solange er sich innerhalb des objektiven Standards der „friedlichen Demonstration" bewegt, ist er seiner Absicht zum Trotz kein Störer. Noch deutlicher: Der Straßenbahnfahrer, der sichtbar gewaltbereite Fans zum Fußballstadion bringt, ist kein Störer, mag er auch sicher wissen oder doch zumindest für möglich halten, dass es früher oder später zu Krawallen kommen wird. Hier wirkt der Standard, in dem sich die Person bewegt, wie ein Schild, der jede erweiterte Zurechnung für das Fehlverhalten Dritter abblockt. Das ändert sich erst dann, wenn der soziale Sinn des Handelns wechselt und die stereotype Leistung zur Förderung des gefährlichen Handelns Dritter wird.

I I . Fallgruppen, Beispiele Generelle Regeln, die genauer sind als die hier genannten, werden sich nur schwer benennen lassen. Und zwar deshalb, weil jeweils die konkrete Gestalt, der jeweilige Kontext der Handlung den Ausschlag gibt. Auch lassen sich nicht bestimmte Handlungstypen benennen, weil die Haftung gerade erst in dem Moment einsetzt, wo sich das stereotype Handeln langsam auflöst in ein an die 82 83

Erbel, JuS 1985, S. 257, 263. Unten, H.

. Die erweiterte Haftung

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Situation angepasstes Handeln. Daher müssen sich die Überlegungen darauf beschränken, den Grundgedanken anhand von einigen Beispielen zu verdeutlichen: (1) Der praktisch häufigste Fall ist der, dass jemand sein Handeln an das pflichtwidrige Handeln Dritter anpasst (Teilnahme an der Pflichtverletzung Dritter). Ein Beispiel hierfür liefert der bekannte Schaufensterfall: Wenn sich die Passanten vor einem Schaufenster drängen und so den Verkehr auf der Straße behindern, dann sind zunächst nur die Passanten unmittelbar und ist der Inhaber des Geschäfts allenfalls mittelbar beteiligt. Solange sich dessen Beitrag darin erschöpft, seine Waren im Schaufenster auszulegen, ist er nicht Störer. Denn die Auslage von Waren im Schaufenster ist ein stereotyp erlaubter Vorgang der Geschäftsanbahnung, der für das Gedränge vor dem Schaufenster und die Behinderung des Verkehrs noch keine Verantwortlichkeit begründet. 84 Die Haftung beginnt aber dort, wo das Schaufenster in zunehmendem Maße zum Aktionsraum umfunktioniert wird und andere als die Sachen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollen, kurz, wo das Handeln einen neuen Sinn, nämlich den einer Ausstellung oder Vorführung erhält und sich nicht mehr in der Auslage von Waren erschöpft. Wer also etwa in seinem Schaufenster eine Modenschau veranstaltet oder dort die Übertragung eines nicht frei empfänglichen Fußballspiels anbietet, muss sich das Gedränge vor dem Schaufenster zurechnen lassen.85 Sein Handeln lässt dann keine andere Deutung zu als eben die, eine größere Menschenmenge vor dem eigenen Geschäft versammeln zu „wollen". Um ein ganz ähnliches Problem geht es auch in dem folgenden Fall: Ein Fuhrunternehmer bringt eine Gruppe offensichtlich gewaltbereiter Demonstranten zu ihrem Ziel. Der Fall dürfte klar sein, solange das Handeln des Unternehmers in keiner Weise auf das Handeln der eigentlich verantwortlichen Demonstranten zugeschnitten ist. Ganz deutlich ist das in dem schon genannten Beispiel, in dem die Teilnehmer mit einem Linienbus an ihr Ziel gebracht werden. Hier würde man wohl kaum auf die Idee kommen, Fahrer oder Unternehmer für die entstehenden Gefahren einstehen zu lassen. Dabei ist es unwesentlich, ob das Handeln der Beteiligten das gefährliche Verhalten der Demonstranten wesentlich fördert oder überhaupt erst ermöglicht. 86 Entscheidend ist nicht, ob die

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Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn man die Eröffnung eines Verkehrs in diesem Fall als generellriskantesHandeln ansieht. Dazu unten, GIV. 85 PrOVGE 40, S. 216, 217; 85, S. 270, 271 (Ausstellung mechanischer Figuren im Schaufenster); ebenso Samper, Polizeiaufgabengesetz, Art. 9 Rn. 13. Gegen eine Haftung in diesem Fall Erbel, JuS 1985, S. 257, 263; Fleiner Institutionen, S. 322. 86 Die wesentliche Förderung hält dagegen Zeitler, (DÖV 1997, S. 371, 375) für entscheidend.

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Gefahr wahrscheinliche Folge der Handlung ist, sondern allein der soziale Sinn der Handlung. Und dieser Sinn liegt nur darin, fremde Personen zu befördern, nicht aber gewalttätige Ausschreitungen zu fördern. Umgekehrt haftet der Fahrer dann, wenn das Handeln des Fahrers genau auf das rechtswidrige Handeln der Dritten abgestimmt ist. Auch dazu ein Beispiel: Wenn der Fahrer eines Reisbusses die Demonstranten auf dem Seitenstreifen einer Autobahn absetzt, damit diese dort die Fahrbahn blockieren können, ist er genauso verantwortlich wie die Demonstranten selbst. Das Handeln des Fahrers lässt dann keine andere Erklärung zu, als eben die, Dritte bei ihrem rechtswidrigen Tun zu unterstützen. Zwischen beiden Fällen beginnen die Zweifel: Ist der Fuhrunternehmer Störer, wenn er Demonstranten in einem eigens gecharterten Wagen zu einer verbotenen Versammlung transportiert? Ich denke, dass hier wie schon oben der Zurechnungszusammenhang unterbrochen ist: Es fehlt an einer hinreichenden Anpassung des eigenen Handelns an das rechtswidrige Vorhaben der Dritten. Denn die Handlung des Busunternehmers ist für sich, ohne Blick auf die Gefahr, noch sinnvoll erklärbar. Es geht um eine stereotyp wiederholte Dienstleistung, an die sich noch keine Störerhaftung für das verbotene Vorgehen anderer Personen anschließt. Anders kann man nur dann entscheiden87, wenn Überlegungen der Effektivität im Polizeirecht mehr Raum gegeben wird - eine Möglichkeit, die, wie oben gesehen, keine Alternative ist. Schwierig ist die Zurechnung gewalttätiger Ausschreitungen bei Demonstrationen. Hier gibt es nur einen sehr schmalen Bereich der Haftung für die Beteiligung an der Störung Dritter. 88 Denn mit dem Typ der friedlichen Versammlung stellt das Recht einen Standard zur Verfügung, der in Grenzen die Provokation Dritter ausdrücklich gestattet.89 Solange sich der Teilnehmer einer Versammlung innerhalb dieses Standards bewegt, kann er sich mit Erfolg von der Störung durch Dritte distanzieren, mögen die Ausschreitungen auch subjektiv bezweckt und objektiv sicher vorhersehbar sein. Nahezu jede Versammlung einer radikalen Gruppierung ruft ja Protestkundgebungen auf den Plan, welche die Veranstalter nicht nur sicher vorhersehen, sondern oft als festen Bestandteil

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Für eine Haftung in diesem Fall Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 158 sowie Zeitler, DÖV 1997, S. 371, 374 f, wobei letzterer einräumt, dass damit die Verantwortlichkeit „letztlich aus der Fähigkeit zur Erfolgsverhinderung" folgt. Zweifelhaft ist in diesem Zusammenhang auch der von Zeitler gezogene Vergleich des Busfahrerbeispiels mit dem Verkauf von Waffen, bei dem der Händler ebenfalls dem Missbrauch Dritter vorbeugen muss (S. 375). Denn beim Verkauf von Waffen geht es um generellriskantesHandeln, für das auch generell weiter gehaftet wird. Unten, G. 88 Sehr weitgehend Rühl, NVwZ 1988, S. 577, 578, der die Figur des Zweckveranlassers und damit die Haftung für rechtswidriges Handeln Dritter im Versammlungsrecht ganz ausschließen will. 89 Vgl. Gusy, JZ 2002, S. 105, 113; Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 461.

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einkalkulieren, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Eine Haftung löst das allein noch nicht aus. Wer sich auf geistige Provokation nicht anders als mit Gewalt zu helfen weiß, ist dafür allein zuständig.90 Das ändert sich erst dann, wenn die Versammlungsteilnehmer ihr ganzes Handeln an die fremde Aggression anpassen und ihrerseits die Bereitschaft signalisieren, jederzeit zur gewaltsamen Auseinandersetzung überzugehen. Konkreter: Wenn sich die Teilnehmer einer Demonstration bewaffnen oder vermummen, kann die Polizei nicht nur ein Bewaffnungs- und Vermummungsverbot aussprechen (§§ 5, 17 a VersG), sondern die Teilnehmer unter Umständen auch für den gewalttätigen Verlauf mitverantwortlich machen.91 Die erweiterte Haftung für Anpassung kann auch dort eingreifen, wo das Opfer pflicht- bzw. obliegenheitswidrig handelt. Auch dazu ein Beispiel: Wenn Dritte wiederholt gegen den Willen des Eigentümers eine Abkürzung über dessen Grundstück nehmen und der Eigentümer daraufhin beginnt, auf seinem Gelände eine Fallgrube auszuheben, dann mag das Handeln als solches noch erlaubt sein, weil es dem Eigentümer freisteht, wie er mit seiner Sache verfährt. In dem konkreten Kontext aber kann man dem Handeln nur einen Sinn attestieren: nämlich Dritte zu schädigen. Und das führt dazu, den Eigentümer als Störer zur Sicherung anzuhalten, obwohl die eigentliche Verantwortung auf der Seite des Opfers liegt. Ähnliches gilt etwa auch für den Fall, dass der Eigentümer, nachdem dieser wiederholt das Opfer eines Einbruchsdiebstahls geworden ist, in der Erwartung weiterer Einbrüche giftiges Pflanzenschutzmittel in eine Flasche gießt und in seiner Wohnung einladend plaziert. Auch jetzt mag der Eigentümer erlaubt handeln und die eigentliche Gefahr von den Opfern ausgehen, weil sie es sind, die das fremde Eigentum verletzen. Und doch ist die Selbstgefährdung der erwarteten Einbrecher auch dem Eigentümer zurechenbar, weil seinem Handeln auch jetzt nur der Sinn beigelegt werden kann, Dritte zu schädigen. (2) Die erweiterte Haftung für Anpassung ist darüber hinaus auch bei katastrophalen Umwelteinwirkungen möglich, dürfte aber praktisch so gut wie gar nicht vorkommen. In den allermeisten Fällen wird es bei einer rein solidarischen Verpflichtung und damit der Haftung als Nichtstörer bleiben. Immerhin lassen 90

So schon PrOVGE 78, S. 261, 265 (Tragen schwarz-weiß-roter Fahnen bei Kundgebung trotz drohender Störung durch Dritte zulässig); OVG Bremen, DÖV 1972, S. 101 f (Protestversammlung gegen eine genehmigte NPD-Veranstaltung); VGH München, DVB1. 1979, S. 737, 738 (Flugblattaktion gegen die angeblich einseitige Darstellung des Holocaust); VGH Mannheim, NVwZ 1987, S. 237 f (Störung eines umstrittenen Historikertreffens); VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, S. 602 f (Fernhalten der Gegendemonstranten von einer Veranstaltung der „Republikaner"). Zu der Gefahrenzurechnung bei Versammlungen auch Zeitler, Versammlungsrecht, Rn. 253. 91 Vgl. VG Minden, NVwZ 1988, S. 661, 665 (Vermummungsverbot bei befürchteten Ausschreitungen); zustimmend Zeitler, Versammlungsrecht, Rn. 254 f.

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sich auch für diese Fallvariante Beispiele denken: Wenn etwa nach einer Havarie große Mengen Öl auf dem Meer treiben, dann darf der Eigner eines großen Schiffes, das zur Zeit vor der Küste ankert und eine Barriere gegen das auf die Küste zutreibende Öl bildet, diese Rettungsmöglichkeit nicht ohne plausiblen Grund vereiteln. Hat der Eigner einen plausiblen Grund - etwa den Schutz seines Eigentums kann er nur als Nichtstörer zur Aufopferung verpflichtet werden. Fehlt ein solcher Grund und lässt sich dem Handeln im konkreten Fall kein anderer Sinn abgewinnen als der, Dritte (etwa den havarierten Konkurrenten) weiter zu schädigen, dann haftet auch der zunächst unbeteiligte Schiffseigner als Störer für die Beseitigung der entstehenden Gefahren. (3) Schließlich kann man über den Gedanken der Anpassung auch solche Gefahren zurechnen, die erst durch die rückwirkende Änderung einer Regelung entstehen. Wie gesehen, führt die Änderung einer rechtlichen Regelung oder einer empirischen Regel zunächst dazu, dass die Person zur Nachsicherung für die Zukunft verpflichtet werden kann. Bei rückwirkenden Maßnahmen kann die Person nur als Nichtstörer und nur gegen Entschädigung verpflichtet werden. Das ändert sich, sobald das Handeln derart an eine gesetzliche Regelung angepasst ist, dass ihm wiederum nur ein Sinn zugeschrieben werden kann: nämlich die eigentlich gegebene Haftung zu umgehen. In diesem Fall kann die Person nach einer Neubewertung auch rückwirkend zum Störer werden. Dazu ein Beispiel: Die Stadt erlässt eine Satzung, wonach auf dem Marktplatz provisorische Verkaufsstände aufgestellt werden können. Um den provisorischen Charakter der Stände zu sichern, legt sie fest, dass die Stände nicht fest im Erdboden verankert sein dürfen. Daraufhin erhält ein Gewerbetreibender - zunächst mit Erlaubnis der Stadt - eine Verkaufsstelle, auf der er in der Folge einen geschlossenen, festen Stand errichtet, der aufgrund einer besonderen Konstruktion nur auf dem Pflaster lagert, ohne mit dem Erdboden verbunden zu sein. Daraufhin ändert die Stadt ihre Satzung, indem sie jede Form von festen, geschlossenen Ständen untersagt, und entzieht dem Betreiber rückwirkend die Genehmigung. In diesem Fall ist die Störung, obwohl die Regelung rückwirkend geändert worden ist, auch dem Betreiber zurechenbar, dessen Verhalten (Verwendung einer besonderen Konstruktion) nur den einen Grund hat, die aktuelle Regelung zu umgehen. Freilich wird es in vielen derartiger Fälle möglich sein, das Handeln schon durch eine teleologische Auslegung der alten Regelung zu unterbinden, ohne eine neue rückwirkende Entscheidung zu treffen. Aber auch wo das nicht möglich ist, können dem Bürger in den Fällen der Anpassung (Umgehung) solche Gefahren zugerechnet werden, die erst mit der rückwirkenden Änderung entstehen.

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G. Die erweiterte Haftung für Sonderrisiken I. Normal riskantes und besonders riskantes Handeln Der praktisch häufigere Fall der erweiterten Haftung ist der, dass ein Handeln generell besondere Risiken mit sich bringt und deshalb auch mit besonderen Pflichten verbunden ist. Anders als in der zuvor geschilderten Fallgruppe haftet die Person nicht deshalb verschärft, weil ihre Handlung von einem Standard abweicht und im konkreten Fall genau auf die gefährliche Lage zugeschnitten ist, sondern weil schon der Standard selbst besondere Risiken mit sich bringt. 92 Es geht dann um Fälle, in denen das Recht der Handlung eine „über das Normalmaß erhöhte Gefahrentendenz" bescheinigt.93 Der maßgebliche Schnitt verläuft nicht zwischen stereotypem und angepasstem Handeln, sondern zwischen Handlungen, die nur normal riskant sind und solchen, die als besonders riskant eingestuft werden. Der Grund für die erweiterte Haftung dürfte in diesem Fall auf der Hand liegen: Wer für sich besondere Freiheit beansprucht, wer in seinem Machtbereich mehr Risiken erzeugt als andere, der trägt auch besondere Verantwortung und muss mehr Risiken abdecken als andere. Die „Ausdehnung" der eigenen Freiheitssphäre über das Normalmaß hinaus hat zur Folge, dass auch die Verantwortungssphäre über das Normalmaß hinaus erweitert wird. Im Ergebnis geht es damit um nichts anderes als das Synallagma von Sonderrechten und Sonderpflichten. Woran erkennt man nun, welches Handeln normal und welches Handeln besonders riskant ist? Wann geht die selbst beanspruchte Freiheit über das Normalmaß hinaus und wann bleibt sie dahinter zurück? Zunächst dürfte klar sein, dass es sich hier um eine genuin rechtliche Bestimmung handelt. Das Recht legt fest, was Sonderrechte und was Jedermannrechte sind. Darüber hinaus wird man auch schnell sehen können, dass generell riskantes und generell verbotenes Handeln zwei verschiedene Dinge sind: Der Betrieb einer industriellen Anlage,

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In der Literatur findet sich dieser Gedanke bei verschiedenen Autoren: Gantner, Verursachung, S. 166 ff; Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 12, 14; Lege, VerwArch. 89 (1998), S. 71, 79; Martensen, Erlaubnis, S. 87 f; Schink, VerwArch. 82 (1991), S. 357, 375 f. Vgl. auch schon Quaritsch, DVB1. 1959, S. 455, 459. Im Strafrecht wird der Begriff des Sonderrisikos ausdrücklich von Jakobs (Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 29 Rn. 34, 42 und ders,GA 1996, S. 253, 264) verwendet. 93 So die Formulierung des OVG Lüneburg, OVGE 14, S. 396, 403 (Haftung eines Tankstelleninhabers für die Unfälle an seiner Einfahrt); OVG Münster, NVwZ 1985, S. 355, 356 (Kokereibetrieb); OVG Münster, UPR 1984, S. 279 f (Haftung des ehemaligen Bergwerkbetreibers für Tagebrüche, die durch das Einsacken alter Schächte entstanden sind).

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der Vertrieb von Produkten, das Hantieren mit Gefahrenstoffen, die Teilnahme am Straßenverkehr, die Sondernutzung von öffentlichen Gütern - das alles sind Fälle, in denen einzelne Personen Sonderrechte bzw. Sonderrisiken für sich beanspruchen. Zugleich können es aber auch ganz selbstverständlich erlaubte Handlungen sein. Ebensowenig darf man sich das besonders riskante Handeln als etwas vorstellen, das - statistisch gesehen - nur selten anzutreffen wäre. Im Gegenteil geht es oft um ubiquitäres Handeln. Man hat es gerade nicht mit Risiken zu tun, die nur widerstrebend toleriert und eigentlich verboten werden müssten, sondern um Risiken, die - wie die Teilnahme am Straßenverkehr selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind und in den meisten Fällen auch gar nicht ernsthaft zur Disposition stehen. Schließlich erschöpft sich die Bestimmung des generell riskanten Handelns nicht in einer Prognose der Schadenswahrscheinlichkeit. Die generelle Wahrscheinlichkeit kann zwar eine Rolle spielen, ist aber nicht alles. Bei der Bestimmung des Sonderrisikos wird keine Wahrscheinlichkeitsrechnung aufgemacht, sondern vor allem nach der sozialen Bewertung eines Handlungstyps gefragt. Damit kommt man einer positiven Bestimmung schon näher: Wo sich die Allgemeinheit von einem Handeln Nutzen verspricht, da steigt die Toleranz gegenüber bestimmten Risiken. Wo umgekehrt der erwartete Nutzen für die Allgemeinheit gering ist, sinkt zugleich die Bereitschaft, dem Handelnden Risiken abzunehmen. Das Recht wird dann bestimmte Handlungen schneller als besonders riskant definieren und die Person erweitert haften lassen. Das zeigt etwa der Umgang mit Großveranstaltungen: Solange es um kommerzielle Veranstaltungen und damit um die Maximierung des Eigennutzes geht, hat der Veranstalter für das besondere Potenzial an Risiken auch erweitert einzustehen. Anders aber, wenn die Veranstaltung - wie Völksfeste oder Fußballspiele - jedenfalls auch zum öffentlichen Leben gehört. Hier wird das Recht toleranter gegenüber den Risiken sein und einen Teil der Sicherung auf eigene Kosten übernehmen. 94 Wie hoch die Risikotoleranz ist, hängt außerdem davon ab, welchen Bedarf die Gesellschaft an bestimmten Leistungen hat. Wird eine Leistung dringend benötigt oder sind bestimmte Güter knapp, so ist man auch bereit, Risiken zu übersehen: Die Gefahr wird dann als Restrisiko hingenommen oder aber die Kosten der Beseitigung werden auf die Allgemeinheit verlagert. Ist die Gesellschaft dagegen mit bestimmten Leistungen gesättigt oder muss sie massenhaft wiederholte Handlungen koordinieren, sinkt mit der Sättigung auch die Risikotoleranz. Typische Beispiele sind hier die Teilnahme am Straßenverkehr oder das Inverkehrbringen von Produkten. Das Recht wird diese Handlung schneller als besonders riskant einstufen und die Handelnden stärker in die Verantwortung nehmen. 94

Noch weiter Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457,461, der sich dafür ausspricht, die Kosten der „Freizeitindustrie" zumindest teilweise auf die Allgemeinheit abzuwälzen.

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So allgemein formuliert, ist das noch zu ungenau, um daraus praktikable Ergebnisse zu gewinnen. Doch enthält das Gesetz gerade im Bereich der Sonderrisiken relativ genaue Aussagen darüber, welches Handeln normal riskant und welches gesteigert riskant ist: Das erste und wichtigste Anzeichen liefern die Bestimmungen des besonderen Ordnungsrechts. Hier lässt sich als Regel formulieren: Der Bürger beansprucht immer dann Sonderrechte, wenn er für sein Handeln eine Ausnahmegenehmigung benötigt, deren Erteilung im Ermessen der Behörde liegt. Das Mehr an staatlicher Kontrolle über das Instrument der Genehmigung zeigt, dass auch generell mehr Risiken erwartet werden. 95 Und die Tatsache, dass die Erlaubnis nicht zwingend erteilt werden muss, dass sie nur repressiv, nur als Dispens oder nur nach einer Ermessensentscheidung der Behörde gewährt wird, macht deutlich, dass keine Grundrechte, sondern Sonderrechte beansprucht werden. Der Bürger greift nicht auf das zurück, was zum Grundbestand seiner Rechte gehört, nicht auf das, was im weitesten Sinne sein „Eigentum" ist. Vielmehr erschließt er sich Freiräume, die nicht allen zustehen, die nur im Einzelfall gewährt und nur um den Preis erweiterter Pflichten zugestanden werden. Daneben kann auf die Wertungen der Zivilgesetze zurückgegriffen werden. Als Regel lässt sich formulieren: Besonders riskant sind solche Handlungen, für die das Gesetz eine Gefährdungshaftung einführt. Dass die jeweils verschiedene Funktion beider Rechtsgebiete keine unüberwindbare Hürde ist, wurde schon oben gezeigt. Jetzt stellt sich die konkretere Frage, ob die Gefährdungshaftung für das Polizeirecht brauchbare Wertungen bereithält. Das wird oft verneint 96, weil der direkte Regelungsanlass der Gefährdungshaftung ja zunächst ein ganz anderer ist: Es geht zunächst um eine Pflicht zum Schadensersatz ohne Blick auf das Verschulden, nicht aber wie im Polizeirecht um Schadensabwendung, bei der ohnehin nicht nach Verschulden gefragt wird. Und doch enthalten die zivilrechtlichen Bestimmungen eine über den unmittelbaren Regelungsanlass (Schadensersatz) hinausgehende Wertung. 97 Die ratio der Gefährdungshaftung ist keine andere als die der erweiterten Störerhaftung für Sonderrisiken: Hier wie dort muss die besonders riskante Handlung mit einem besonderen Haftungsrisiko erkauft werden. 98 In beiden Fällen gewährt das Recht „Sonderrechte 95

Dazu auch unten, Anhang. Grundsätzlich ablehnend Breuer, JuS 1986, S. 359, 363; Gantner, Verursachung, S. 168; Papier, Altlasten, S. 32; ders., NVwZ 1986, S. 256, 260 f. 97 Für eine Übertragung der Wertungen Herrmann, DÖV 1987, S. 666, 671 f; Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 11; Koch, Bodensanierung, S. 20; Kokott, DVB1. 1992, S. 749,753; Schink, VerwArch. 82 (1991), S. 357, 375. 98 Deutsch, JuS 1981, S. 317, 318; ders., NJW 1992, S. 73,74; v. Caemmerer, Reform, S. 15 (Haftung für „Wagnisübernahme"); Kötz, AcP 170 (1970), S. 1, 28 ff (Haftung für die „besondere Gefahr"); Koziol, in: Festschrift für Wilburg, S. 173, 178; Larenz/ 96

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nur gegen Sonderpflichten" 99. Und während das öffentliche Recht besonders riskantes Handeln mit einer Erlaubnispflicht belegt, reagiert das Privatrecht häufig mit einer Gefährdungshaftung auf die Schaffung besonderer Risiken. Nicht umsonst hat man für die Gefährdungshaftung oft die Parallele zur Erlaubnispflicht gesucht. „Die Schuldhaftung verbietet, die Gefährdungshaftung erlaubt", heißt es bei Deutsch. 100 Und Larenz schreibt: „Die Belastung mit (...) der Gefährdungshaftung erscheint gewissermaßen als der Preis, um den die Rechtsordnung darauf verzichtet, den Betrieb (...) schlechthin zu untersagen." 101 Ist einmal die Entscheidung über das „Ob" des Sonderrisikos gefallen, ist auch die Entscheidung über die erweiterte Haftung gefallen. Natürlich gibt es auch innerhalb der verschiedenen Sonderrisiken Abstufungen. Der Betrieb eines Atomkraftwerks ist genauso besonders riskantes Handeln wie die Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr. Und doch kann der Haftungsumfang in beiden Fällen erheblich variieren. Mit dem Begriff des Sonderrisikos ist also noch nicht die Lösung für jedes Einzelproblem gefunden, aber eine wichtige Kategorie genannt. Abgesehen von den graduellen Abstufungen sollte man die Haftung auch nicht missverstehen als eine umfassende Zufallshaftung. Der besonders riskant handelnde Störer haftet nur für das spezifische Sonderrisiko erweitert. Wer beispielsweise sein Grundstück in einer für das Gebiet ganz untypischen Weise bebaut und dafür einen Dispens erhält, der schafft mit seiner Sondernutzung ein besonderes Risiko für zukünftige Nutzungskonflikte und muss dafür auch erweitert einstehen. Das heißt aber nicht, dass er etwa auch im Hinblick auf die Beschaffenheit seines Gebäudes besonders riskant handelt. Insofern bleibt es bei der normalen Haftung, es sei denn, dass er auch insofern ein Sonderrisiko setzt, etwa indem er besondere Baustoffe verwendet oder sonst eine gefährliche Anlage auf seinem Gelände betreibt.

I I . Fallgruppen, Beispiele Die erweiterte Haftung für Sonderrisken kann wiederum in allen Fallvarianten der mittelbaren Verursachung eingreifen, also sowohl bei pflichtwidrigen Eingriffen Dritter, bei katastrophalen Umwelteinwirkungen als auch bei rückwirkenden Regelungsänderungen. Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil, § 84 („Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Risiko"). 99 Esser, Grundlagen, S. 97. 100 NJW 1992, S. 73, 74. 101 VersR 1963, S. 593, 597.

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(1) Wer in seinem Bereich besondere Risiken schafft, muss diese zunächst vor der pflichtwidrigen Störung Dritter oder selbstgefährdenden Eingriffen des Opfers sichern. Beispiel: Wer eine Großanlage betreibt, muss sicherstellen, dass Dritte nicht ungehindert auf das Grundstück gelangen und sich selbst oder andere gefährden können. In einigen Fällen hat der Gesetzgeber diese Pflichten ausdrücklich normiert (§ 24 Abs. 2 SprengG; § 42 Abs. 1 WaffG; § 14 Abs. 2 StVO, § 4 Abs.2 Nr. 5, § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG, §§ 19 b, 29 c LuftVG). Man spricht dann üblicherweise von Eigensicherungspflichten. Aber auch wo eine solche besondere Regelung fehlt, wird man entsprechende Pflichten der Generalklausel entnehmen können. Die spezialgesetzlich geregelten Pflichten zur Eigensicherung sind ebensowenig Systembruch wie der Ausdruck eines neuen Störertyps. 102 Es geht schlicht um die Konkretisierung eines allgemeinen Gedankens: Wer besondere Risiken schafft, muss auch besonders für Sicherheit sorgen. Und deshalb muss nicht etwa nur der Halter das riskante Fahrzeug vor dem Zugriff Dritter schützen, wie es das Gesetz ausdrücklich anordnet, sondern auch der Bauherr dafür sorgen, dass die gefährlichen Werkzeuge oder Anlagen auf der Baustelle vor dem Zugriff Dritter sicher sind. Und genauso wie der Besitzer seine Waffen unter Verschluss zu halten hat, müssen Chemikalien oder andere Gefahrenstoffe sicher vor dem unbefugten Zugriff Dritter verwahrt werden. In diesen und ähnlichen Fällen entstehen Pflichten zur Eigensicherung unabhängig davon, ob sie nun per Spezialgesetz fixiert sind oder den allgemeinen Störervorschriften entnommen werden. Unterbleibt eine effektive Sicherung (durch Absperrung, Kennzeichnung, Warnung usf.), haftet der Störer für die Weiterungen. Beispiel: Kippen auf einer Baustelle Dritte nachts mutwillig dort gelagerte Ölfässer um, muss der Eigentümer des Öls das Grundstück sanieren, wenn die Fässer zuvor nicht genügend gesichert waren. 103 Ob er zu diesem Zeitpunkt noch die Sachherrschaft über das Öl hat, spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass er durch die Lagerung von Gefahrenstoffen ein Sonderrisiko gesetzt hat, das ihn zur Sicherung und - im Fall unterbliebener Sicherung - zur Rettung verpflichtet. Zum Problem wird die Eigensicherung allenfalls in Grenzfällen. Diese Grenze ist etwa bei terroristischen Anschlägen erreicht. Man mag sich in der Tat die Frage stellen, ob derart krass rechtswidriges Handeln wie der Anschlag auf die Besucher eines Flughafens noch zu dem gehört, was der Betreiber solcher Anlagen absichern muss. Gleichwohl wird man die Zurechnung, wie ich denke, auch in solchen Grenzfällen noch bejahen können. Auch wenn sich die Angriffe der

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So aber Ronellenfitsch, VerwArch. 77 (1986), S. 435, 439; Schiller/Drettmann, DVB1. 1977, S. 956, 957. 103 Siehe dazu die Entscheidung des VGH Kassel, DÖV 1994, S. 172, der allerdings allein auf die Frage der Sachherrschaft abstellt.

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Dritten primär gegen die Allgemeinheit richten, so nutzen sie doch gerade das besondere Risikopotenzial der Anlage aus. 104 Allerdings sollte man in diesen oder ähnlichen Grenzfällen vom Gesetzgeber verlangen, Klarheit zu schaffen und das Regelbare auch zu regeln, also die Pflicht zur Eigensicherung ausdrücklich festzulegen. 105 Zwingend ist das jedoch nicht. Denn wie schon gesagt, geht es nicht um einen Störertyp sui generis, keine neue Kategorie der Haftung, sondern um einen Fall, in dem das allgemeine Prinzip (erweiterte Haftung für Sonderrisiken) an seine Grenzen geführt wird. (2) Auch wo das eigene Handeln erst zusammen mit katastrophalen Einwirkungen aus der Umwelt zu Gefahr führt, wird bei Sonderrisken erweitert gehaftet. Wer etwa bestimmte Gefahrenstoffe in seinem Machtbereich lagert, kann die Folgen misslungener Sicherung nicht einfach auf die Allgemeinheit abschieben, wenn außergewöhnliche Umwelteinflüsse mit zu der Gefahr beigetragen haben. Denn wenn sich jemand die Freiheit nimmt, besonders riskante Stoffe auf seinem Grundstück zu lagern, hat er zugleich die Pflicht, besondere Sicherung dafür zu treffen. In dem Beispiel, dass eine große Menge Öl in der Nähe eines Hafenbeckens gelagert wird, gehört es deshalb zunächst zur Sorge des Lagerhalters, dass auch bei einer starken Sturmflut kein Öl ins Wasser gelangen kann. Allerdings hat auch diese Haftung ihre Grenzen. Nie Dagewesenes muss nicht einkalkuliert werden. So mag es den Lagerhalter entlasten, wenn sein Öl bei einer Sturmflut von bis dahin nicht gekanntem Ausmaß ins Wasser gespült wird. Hier ist die Grenze der Haftung erreicht. Im Ergebnis läuft das auf den schon von der Gefährdungshaftung her bekannten Haftungsausschluss bei höherer Gewalt hinaus. Erneut überschneiden sich polizeirechtliche und zivilrechtliche Wertungen. Die Haftung endet dort, wo die Katastrophenschwelle deutlich überschritten wird. Dass mit den Begriffen der höheren Gewalt oder der Katastrophe keine scharfen Grenzen gezogen sind, dürfte auf der Hand liegen. Aber in diesem Fall liegt der Grund für die Unschärfe nicht bei der angelegten dogmatischen Regel, sondern darin, dass die Wertungen, auf die sich diese Regel notwendig stützen muss, nie völlig scharf sind: Was als Katastrophe oder höhere Gewalt bewertet wird, kann sich von Mal zu Mal ändern. Und nicht selten wird es so sein, dass einmal erlebte Naturkatastrophen für die Zukunft als einzukalkulierende Risiken behandelt werden. Kommt es dann später unter

104 Im Ergebnis auch VGH Mannheim, DVB1. 1983, S. 41,42 f: Die Terroristen „knüpfen an die Ursächlichkeit an und führen sie zu Ende". Zustimmend Karpen, JZ 1983, S. 102, 103; Götz., NVwZ 1984, S. 211, 214 f. 105 So BVerwG, DVB1. 1986, S. 360, 361 (Flughafensicherung) mit zustimmender Anmerkung Schenke, DVB1. 1986, S. 362, 363 f; im Ergebnis ebenso Ronellenfitsch, VerwArch. 77 (1986), S. 345 ff.

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ähnlichen Umständen zu den gleichen Gefahren, so wird man die Gefahr nicht mehr auf die Allgemeinheit verlagern, sondern sie der Person als ihr alleiniges Versagen zurechnen. (3) Wer besonders riskant handelt, ist schließlich auch nicht vor rückwirkender Sicherung nach einer späteren Regelungsänderung befreit. Das gilt vor allem für Nutzungskonflikte, die durch eine Planänderung entstehen. Wo das Handeln, wie die Rechtsprechung formuliert, eine von Anfang an „erhöhte Gefahrentendenz" aufweist, kann sich der Bürger nicht von aller Verantwortlichkeit freizeichnen, wenn die anfänglich abstrakte - „latente" - Gefahr erst durch die später geänderte staatliche Planung zur konkreten Gefahr wird. Hier ist der Bürger jedenfalls zu einem Teil mit für die Gefahr verantwortlich. Und insoweit muss er als Störer für die Folgen einstehen. Daneben kann und wird in vielen Fällen auch der Staat mitverantwortlich sein. Soweit die Mitverantwortlichkeit des Staates reicht, haftet der Bürger nur als Nichtstörer, also nur gegen Entschädigung. Im Ergebnis wird es daher in vielen Fällen auf eine partielle Störerhaftung und zugleich eine partielle Entschädigung des Bürgers hinauslaufen. Will man die Sonderrisiken über die bis hier nur vereinzelt genannten Beispiele hinaus genauer untergliedern, bietet es sich an, drei Fallgruppen zu unterscheiden: Erstens kann der eigene Machtbereich schon per se so riskant sein, dass er nicht frei zugänglich sein darf und besonders abgeschirmt werden muss (III). Besondere Risiken entstehen zweitens dort, wo der eigene Machtbereich zwar nicht für sich betrachtet besonders riskant ist, die eigenen Güter aber frei zugänglich sind und gerade deshalb besonders gesichert werden müssen. Das ist vor allem dort der Fall, wo ein Verkehr eröffnet wird oder die eigenen Güter in den Verkehr gebracht werden (IV). Drittens entstehen besondere Risiken auch dort, wo die eigenen Güter nicht für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, sondern umgekehrt die öffentlichen Güter für die eigenen privaten Zwecke besonders beansprucht werden. Den Hauptfall bildet hier die Sondernutzung (V). Die Einteilung dient dem besseren Überblick, das Zurechnungsprinzip ist dagegen in allen der drei Varianten.

I I I . Besondere Anfälligkeit des eigenen Machtbereichs Zunächst geht es um Handeln, das schon per se besonders riskant ist und deshalb nicht frei verfügbar sein darf. Hier ist die normale Sicherung nicht mehr ausreichend. Das riskante Verhalten oder die riskanten Sachen müssen dann vor dem Zugriff Dritter oder gegen Umwelteinwirkungen abgeschirmt werden: Das gilt etwa für denjenigen, der Sprengstoffe verwahrt (§ 24 Abs. 2 SprengG), radioaktives Material lagert oder transportiert (§ 4 Abs. 2 Nr. 5, § 6 Abs. 2 Nr. 4

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AtG), mit genbehandelten Produkten hantiert oder in größeren Mengen über feuergefährliche Stoffe, Chemikalien, Baustoffe, Geräte oder ähnliche Gefahrenstoffe verfügt, deren Besitz oder Verwendung der Gesetzgeber mit einer Gefährdungshaftung belegt oder an eine besondere Zulassung gebunden hat. 106 In solchen Fällen muss der Sachherr im Rahmen des Zumutbaren dafür sorgen, dass Dritte nicht in den Besitz der Stoffe gelangen oder falschen Gebrauch davon machen. Beispiele: Wer Ölfässer auf einer Baustelle lagert, muss sich darum kümmern, dass Dritte nicht nachts auf das Grundstück gelangen und die Fässer umkippen. Wer leicht brennbare Stoffe in größerer Menge verwahrt, muss dafür Sorge tragen, dass diese nicht durch Dritte entwendet oder missbraucht werden. Die erweiterten Sicherungspflichten erstrecken sich auch auf Natureinwirkungen, die sich nicht mehr im Rahmen des jeweils Ortsüblichen bewegen: Der Landwirt, der auf seinem Feld umweltgefährdende Pflanzenschutzmittel austrägt, muss im Rahmen des Möglichen dafür sorgen, dass bei ungewöhnlich starken Regenfällen kein Erdreich auf das Nachbargrundstück gespült wird. 107 Das gilt auch für denjenigen, der mit staatlicher Genehmigung genbehandelte Pflanzen anbaut. Hier müssen unter Umständen auch ganz unwahrscheinliche Einwirkungen mit einkalkuliert und abgesichert werden. Darüber hinaus haftet die Person auch dann, wenn die Gefahr erst durch den geänderten Stand von Wissen und Technik offengelegt wird. Beispiel: Der Betreiber lagert auf seinem Betriebsgelände umweltgefährdende Stoffe. Um ein Eindringen dieser Stoffe ins Erdreich zu verhindern, lässt er Betonwannen gießen, die nach dem Stand des Wissens für hinreichend sicher gehalten werden. Später stellt sich heraus, dass die Betonwannen durchlässig sind. 108 Hier hat der Betreiber nicht nur in der Zukunft für Sicherheit zu sorgen (Nachsicherung). Er muss auch die schon entstandenen Gefahren (etwa die Verschmutzung des Erdbodens) beseitigen. Denn wer sich die Freiheit nimmt, mit schon vorab als gefährlich bekannten Stoffen zu hantieren, trägt auch das Risiko, dass eine vermeintlich taugliche Sicherung sich später als untauglich erweist. Per se riskant sind auch größere Bauwerke, industrielle Großbetriebe oder ähnliche Großanlagen. Die Anlagen müssen deshalb regelmäßig nicht nur vor fahrlässigem, sondern auch vorsätzlichem Missbrauch Dritter geschützt werden. So hat der Sachherr zu verhindern, dass Dritte die Anlagen auf seinem Gelände manipulieren (vgl. § 3 Abs. 2 12. BImSchVO). Außerdem hat er durch eine angemessene Sicherung seiner Anlage dafür zu sorgen, dass potenzielle Eindringlinge sich nicht selbst gefährden, Dritte also nicht in Kontakt mit der 106

Evident ist das bei Kernbrennstoffen (§§ 3 ff AtG). Siehe ferner auch §§ 17, 27 SprengG, §§ 3 f ChemG. Die Verwendung gefährlicher Baustoffe wird im Rahmen der Baugenehmigung überwacht (§§ 63 ff BauO NW). 107 Vgl. BGHZ 90, S. 255, 266. 108 Beispiel bei Kothe, VerwArch. 88 (1997), S. 456, 481.

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gefährlichen Anlage kommen. Daneben haftet der Betreiber einer riskanten Anlage auch dort, wo die Gefahr unmittelbar durch staatliches Handeln verursacht wird. In dem Beispiel, dass eine Kommune das Gelände einer stillgelegten Mülldeponie überplant und dadurch die späteren Bewohner des Grundstücks gefährdet werden, haftet neben der Gemeinde auch der ehemalige Betreiber für die entstehenden Gesundheitsgefahren. 109 In welchem Umfang beide Seiten einstehen, ist eine Frage der Störerauswahl, nicht der Störerbestimmung. Einkalkuliert werden müssen unter Umständen auch ortsunübliche Natureinwirkungen. Je anfälliger die eigene Anlage, desto weiter die Sicherungspflicht: Der Bauherr hat sein Gebäude so zu errichten, dass es einem Sturm standhält, aber nicht unbedingt gegen ganz seltene Wirbelstürme abzusichern. Das mag bei dem Eigentümer eines Hochhauses oder einer industriellen Anlage anders sein. Hier muss der jeweilige Gewalthaber unter Umständen nicht nur unübliche, sondern sogar katastrophale Einwirkungen in seine Kalkulation einbeziehen. Ähnliche Überlegungen gelten für andere Einwirkungen, die unter Normalbedingungen als Unglück beurteilt werden. Beispiel: Dass ein Flugzeug über dem eigenen Gebäude niedergeht, kann beim Bau eines normalen Wohnhauses außer Betracht bleiben. Bei dem Bau eines Atomkraftwerks ist das anders zu beurteilen. Hier muss auch gegen derart unwahrscheinliche Risiken Vorsorge getroffen werden. Kein Sonderrisiko ist das unbebaute Grundstück. Der jeweilige Sachherr haftet deshalb grundsätzlich nur für die unmittelbar (konkurrenzlos) von seinem Grundstück ausgehenden Risiken; das Fehlverhalten Dritter muss er nicht absichern. Insoweit bleibt es bei der bloßen Gefahrtragung. 110 Entsorgen also Dritte Müll, Öl oder sonstige Schadstoffe auf einem Grundstück oder verunglückt ein Tanklaster, der von der Straße abgekommen ist, auf einem anliegenden Feld, muss der Eigentümer nicht als Störer für die Sanierung seines Bodens einstehen. Er trägt zwar die Gefahr der zufälligen Verschlechterung seiner Sache, ist aber kein Störer. Zur Störerhaftung kommt es nur dann, wenn das Grundstück wegen seiner besonderen Beschaffenheit mehr als nur ortsübliche Gefahren birgt. Beispiel: Der Eigentümer eines steil abfallenden Felsgrundstücks muss auch solche Passanten schützen oder warnen, die unerlaubt sein Grundstück betreten. Ferner hat er drohende Schäden durch Steinschlag auch dann abzuwenden, wenn die gefährdeten Anlieger die attraktive Hanglage der Grundstü109

Anders Fluck, DVB1. 2002, S. 375, 380: Danach soll der Betreiber zwar für mögliche Umweltgefahren seiner Anlage haften, nicht aber für die durch staatliche Fehlplanung mitverursachten Gesundheitsgefahren. Dagegen meine ich, dass auch insoweit der Gedanke des Sonderrisikos eine weitergehende Haftung trägt: Zu den typischen Risiken der Anlage gehören nicht nur Umweltgefahren, sondern ebenso die von den Gefahrenstoffen ausgehenden Gesundheitsgefahren. 110 Oben, 4. Teil A.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

cke gesucht und die Anwohner sich sehenden Auges in die Gefahr begeben haben. 111 Anders zu beurteilen ist die Lage, wenn die gefährliche Beschaffenheit des Grundstücks überhaupt erst durch den Eingriff Dritter entsteht: Trägt etwa der Nachbar von seinem Grundstück so viel Erdreich ab, dass dadurch auf der Grenze eine steile Böschung entsteht, die abzurutschen droht, so ist es allein die Sache des eingreifenden Dritten und nicht des Grundeigentümers, die Gefahr zu beseitigen.112

IV. Besondere Zugänglichkeit des eigenen Machtbereichs Bei der folgenden Fallgruppe liegt das Sonderrisiko darin, dass die Person ihren Machtbereich ganz oder teilweise für die Öffentlichkeit zugänglich macht. Die eigenen Güter werden besonders in den sozialen Kontakt eingebracht. Dieser besonderen Zugänglichkeit entsprechen besondere Sicherungspflichten. Dabei lassen sich zwei Fälle unterscheiden: Die Eröffnung eines Verkehrs im eigenen Herrschaftsbereich und das In-Verkehr-Bringen bestimmter Teile des eigenen Machtbereichs. Einmal geht es darum, dass innerhalb des eigenen Machtbereichs ein Verkehr eröffnet wird, bei dem besondere Zugangsschranken weitgehend fehlen: Das kann schon dort der Fall sein, wo jemand eine Gaststätte betreibt. Doch ist das eher ein untypischer Fall, der noch auf der Grenze zum normal riskanten Handeln liegt. Dagegen ist der Betrieb von öffentlichen Geschäften oder Anlagen, wie Kaufhäusern, Bahnhöfen, Flughäfen oder einer anderen öffentlichen Einrichtung das typische Beispiel eines Sonderrisikos. Ähnlich liegen die Dinge dort, wo jemand - wie bei Konzerten, Jahrmärkten oder sonstigen Großveranstaltungen - große Menschenmassen versammelt. Auch hier hat der jeweilige Veranstalter besondere Pflichten. Ausgenommen hiervon ist dagegen die friedliche Versammlung, die der Gesetzgeber von der Genehmigungspflicht befreit und auch sonst privilegiert hat. Der Veranstalter einer Demonstration haftet deshalb nur für die von ihm bzw. den Teilnehmern unmittelbar verursach-

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Vgl. VGH München, BayVBl. 1996, S. 437 f; VGH München, BayVBl. 1997, S. 502 f (mit der Besonderheit, dass die Bebauung teilweise rechtswidrig war); OVG Koblenz, DVB1. 1998, S. 103 f (mit der Besonderheit, dass der Eigentümer des Felsgrundstücks die Bebauung durch sein Verhalten gefördert hatte); OVG Münster, OVGE 17, S. 185, 188 (mit der Besonderheit, dass das Grundstück unter Naturschutz gestellt und die Naturschutzbehörde daher mitverantwortlich war). Gegen eine Haftung Köpf er/ Kaltenegger, BayVBl. 1992, S. 260, 263. Gegen diese wiederum Beinhofer/Heimrath, BayVBl. 1992, S. 748 f. 112 Ein ähnlicher Fall war in RGZ 149, S. 205, 213 f zu entscheiden.

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ten Gefahren; rechtswidriges Handeln Dritter (etwa der Gegendemonstranten) muss er auch unter dem Gesichtspunkt des Sonderrisikos nicht übernehmen. Das ist anders bei allen übrigen Veranstaltungen, die vom Recht als Sonderrisiko eingestuft werden. Dementsprechend sind etwa gewalttätige Ausschreitungen im Umfeld einer Großveranstaltung grundsätzlich zurechenbar 113, soweit gerade die besondere Eigendynamik von Massenversammlungen ihren Teil zur Entstehung der Gefahr beiträgt. 114 Bei öffentlichen Einrichtungen muss der Betreiber entsprechend auch das Missbrauchsrisiko abdecken: So haftet etwa der Inhaber eines Kaufhauses oder der Betreiber eines Flughafens für die missbräuchliche Verwendung seiner Sachen durch Dritte. Die Eigensicherung gegen terroristische Anschläge dürfte, wie schon erwähnt, die äußerste Grenze des noch Zurechenbaren markieren. Eine solch weitgehende Haftung wird man aber jedenfalls bei dem Betrieb besonders komplexer und anfälliger Großanlagen erwarten können. 115 In der zweiten Variante geht es um die Situation, dass jemand zwar keinen Verkehr eröffnet, seine Güter aber systematisch in Verkehr bringt. Auch jetzt werden die eigenen Güter besonders in den sozialen Kontakt eingebracht und die Zugangssperren weitgehend aufgehoben. Wer so vorgeht und die Berührungspunkte zu anderen Organisationskreisen erhöht, handelt besonders riskant 113

Lege, VerwArch. 89 (1998), S. 71, 82. Die Haftung ist also nicht auf den räumlichgegenständlichen Bereich beschränkt. Es geht gerade nicht um einen Fall der Gewalthaberhaftung. 114 Prinzipiell für eine Haftung des Veranstalters VGH Mannheim, DÖV 1981, S. 804; VGH Mannheim, DVB1. 1981, S. 778 (Erstattung der Kosten für die Versicherung der am Einsatz beteiligten Beamten) mit zustimmender Anmerkung Röper, DVB1. 1981, S. 780, 781. Im Ergebnis ebenso Lege, VerwArch. 89 (1998), S. 71, 81. Götz (DVB1. 1984, S. 15, 17 und NVwZ 1984, S. 211, 214) hält die Haftung des Veranstalters für eine „bare Selbstverständlichkeit". Für eine Zurechnung auch Broß, DVB1. 1983, S. 377, 380; Wagner, Alternativkommentar, Vor §§ 4-6 Rn. 34. Zurückhaltender Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 461. Gegen die Zurechnung von Ausschreitungen noch VGH Karlsruhe, NJW 1949, S. 919, 920 (Damenringkampf). - Bei Großveranstaltungen kommt zur Frage der Verantwortlichkeit noch ein weiteres Problem hinzu: Ein Großteil der Sicherungspflichten fällt in den Bereich genuin staatlicher Tätigkeit: So mag dem Veranstalter zwar das erhöhte Verkehrsaufkommen zurechenbar sein, ohne dass dieser den Verkehr eigenhändig regeln dürfte. Es geht also um Sicherungspflichten, die der Veranstalter von vornherein nicht eigenhändig erfüllen kann. Das spricht nicht gegen die Zurechnung der Gefahr, doch kann der Störer dann nicht auf der Primärebene (eigenhändige Beseitigung), sondern von vornherein nur auf der Sekundärebene (Kostenersatz für die fremde Beseitigung) in Anspruch genommen werden. Hier passen die Regelungen zur Kostentragung nicht mehr recht. Ob sie analog anzuwenden sind, ist umstritten. Dafür Roßnagel, ZRP 1983, S. 59, 61, 63 f; dagegen Schenke, NJW 1983, S. 1882, 1883; Lege, VerwArch. 89 (1998), S. 71, 87. 115 Für den Fall der Flughafensicherung ist das in den §§ 19 b, 29 c LuftVG geregelt.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

und muss auch in besonderer Weise für Gefahren einstehen. Das gilt erstens für den Bereich der klassischen Produzenten- bzw. Produkthaftung, welche vor allem den Schutz der Konsumenten bezweckt (§ 1 ProdHG) und zweitens für die „neue" Produzentenhaftung, welche dem Umweltschutz dient (§§ 22 ff KrW-/AbfG). Weitgehend unproblematisch ist die Zurechnung solcher Folgen, die durch das erlaubte Handeln der Verbraucher entstehen: Wenn der Hersteller Einwegverpackungen in Umlauf bringt, kann er auch dazu verpflichtet werden, diese von den Verbrauchern zurückzunehmen. Hier handeln die Verbraucher, wenn sie die Verpackungen nach einmaligem Gebrauch entsorgen, genau so, wie es das Produkt „nahelegt". Dass der Produzent in diesem Fall für die Entsorgung einer Sache haftet, die er als „Produkt" auf den Markt gebracht hat und nun als „Abfall" zurücknehmen muss, ist allenfalls ein Problem der Bezeichnung, keines der Zurechnung. Darüber hinaus können aber auch die von Dritten rechtswidrig verursachten Gefahren zugerechnet werden: Wer Medikamente in Umlauf bringt, muss die Gefahr des Missbrauchs so weit wie möglich reduzieren. Und wenn ein Unternehmen Elektrogeräte in den Verkehr bringt, muss es beim Produktdesign den vorsätzlichen Missbrauch der Waren im Rahmen des Möglichen genauso verhindern, wie es bei Warnhinweisen selbst grob fahrlässiges Verhalten der Verwender mit einkalkulieren muss.

V. Besondere Ausweitung des eigenen Machtbereichs Schließlich ist auch die Sondernutzung öffentlicher Güter ein besonders riskantes Handeln, das mit besonderen Pflichten einhergeht. Wer öffentliche Güter verstärkt nutzt, muss auch für die dabei entstehenden Nutzungskonflikte erweitert haften. Hauptfälle sind die Sondernutzung des öffentlichen Straßennetzes sowie die Sondernutzung öffentlicher Güter wie Wasser und Luft. Werden öffentliche Straßen und Wege besonders genutzt, muss der Berechtigte in erhöhtem Maß für mögliche Störungen des Verkehrs eintreten. Wenn beispielsweise der Inhaber einer Tankstelle seinen Betrieb an das öffentliche Straßennetz anbindet und auf diese Weise die öffentlichen Wege für seine Zwecke besonders beansprucht 116, hat er auch besondere Sorge für Gefahren zu tragen, die im Zusammenhang mit der Sondernutzung entstehen. Kommt es etwa im Laufe der Jahre durch die Zunahme des Verkehrs oder durch die Änderung der Straßenführung an der Tankstellenzufahrt vermehrt zu Unfällen, dann ist das dem Betreiber zuzurechnen. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat das anders gesehen und in diesem Fall die Zunahme des Straßenverkehrs nicht

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Vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 StrWG NW.

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zu den Risiken des Inhabers der Tankstelle gezählt. 117 Dagegen meine ich, dass auch der Inhaber für die Gefahr verantwortlich ist: Wer seinen Machtbereich besonders an den öffentlichen Verkehr anschließt und davon profitiert, kann die später entstehende Störung des Straßenverkehrs nicht ausschließlich auf die Allgemeinheit abwälzen, selbst wenn der Staat durch seine Planänderung die Gefahr mit zu verantworten hat. 118 Das ist anders, wenn das Handeln die Schwelle des Gemeingebrauchs nicht überschreitet. Der Bürger beansprucht dann keine Sonderrechte und muss nur für die von ihm unmittelbar verursachten Gefahren einstehen. Beispiel: Behindert die normale Bepflanzung oder Bebauung des eigenen Grundstücks den Verkehr, nachdem der Staat die Straßenführung geändert hat, so ist das eine Störung, mit der die Allgemeinheit, oder genauer: der Träger der Straßenbaulast, fertig werden muss. Hier kann der Staat den Eigentümer nur als Nichtstörer und nur gegen Entschädigung119 zur solidarischen Hilfe verpflichten. 120 Wer Gewässer durch einen direkten Eingriff besonders nutzt (Entnahme von Wasser) oder aber indirekt durch sein Handeln gefährdet (Betrieb einer Anlage), den treffen zugleich erweiterte Sicherungspflichten. Schulbeispiel ist der so genannte „Ahnenbrühefall": Dort waren Rückstände eines Friedhofs im Grundwasser zur Gesundheitsgefahr geworden, nachdem ein Unternehmen in der Nachbarschaft damit begonnen hatte, Trinkwasser aus dem Boden abzuleiten. Das mit der Sache befasste Oberverwaltungsgericht Münster hat in dem Fall eine Haftung des Friedhofsinhabers ausgeschlossen, weil sein Handeln genehmigt sei 121 , er also eine (wasserrechtliche) Genehmigung vorweisen konnte. 122 Doch wird man meines Erachtens anders urteilen müssen. Die Genehmigungspflicht ist das Anzeichen für eine erweiterte Haftung. Wenn das Recht vom Bürger eine Genehmigung verlangt, dann deshalb, weil dieser den Wasserhaushalt durch sein Handeln besonders strapaziert. Das Risiko späterer Nutzungskon-

117 OVG Lüneburg, OVGE 14, S. 396,401 ff mit zustimmender Anmerkung Vogel, JuS 1961, S. 91 ff. und v. Mutius, Jura 1983, S. 298, 306. 118 Wie hier schon Gantner, Verursachung, S. 158 ff, 160; Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 209; Vollmuth, Bestimmung, S. 169 ff. Siehe auch Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 162, der den Betreiber nur gegen Entschädigung haften lassen will. 119 Siehe etwa § 26 StrWG NW. 120 Vgl. OVG Lüneburg, OVGE 17, S. 447, 451 (Anpflanzungsfall); siehe auch PrOVGE 105, S. 265, 269 (Verkehrsbehinderung durch den Ausbau eines Holzschuppens); PrOVGE 106, S. 37, 38 (Verkehrsbehinderung durch ein am Straßenrand stehendes Eckhaus). Zustimmend Franzen, Lehrkommentar, § 20, S. 252 f; Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 209; Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 428. 121 OVG Münster, in: Vogel, Gerichtsentscheidungen, S. 125, 136 ff. 122 So auch Pietzcker, DVB1. 1984, S. 457, 464.

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flikte bleibt deshalb auf der Seite desjenigen, der Sonderrechte ausübt.123 In dem Fall des Friedhofsinhabers war dieser also jedenfalls mitverantwortlich. Das schließt nicht aus, auch den Staat für seine misslungene Planung oder aber den Betreiber des Wasserwerks zu einem Teil für die Gefahr einstehen zu lassen, der ja durch die Entnahme von Wasser ebenfalls den Wasserhaushalt in besonderer Weise nutzt. Eine Anlage, die wegen ihrer Emissionen generell geeignet ist, Luft und Umgebung besonders zu belasten (§ 4 BImSchG), stellt ebenfalls eine Sondernutzung dar. Auch insoweit gilt: Wer von seiner Umwelt die Duldung besonderer Risiken verlangt, muss ihr im Gegenzug gesteigerte Aufmerksamkeit entgegenbringen. Wieder liegt das Hauptproblem bei der staatlichen Mitverantwortlichkeit durch Planänderung. Und auch jetzt ist es - parallel zu den oben besprochenen Fällen - möglich, den Bürger in die Haftung zu nehmen: Die besondere Nutzung wird dem Betreiber von vornherein nur unter dem Vorbehalt der Verträglichkeit mit anderen Nutzungen gewährt. Kommt es durch die geänderte Planung später zu Gefahren, haftet der Bürger für sein Sonderrisiko. So liegen die Dinge etwa in dem bekannten Fall des Schweinemästers: Wer die Umwelt mit seiner Anlage besonderen Imissionen aussetzt, haftet als Störer, wenn die abstrakte - „latente" - Gefahr erst durch staatliche Fehlplanung zur konkreten Gefahr wird. 1 2 4 Das heißt nicht unbedingt, dass der Betreiber in jedem Fall allein verantwortlich ist. Auch der Staat mag einen Teil der Lasten übernehmen. 125 In welchem Umfang der Betreiber haftet, hängt davon ab, wie sehr seine Anlage in dem jeweiligen Planungszusammenhang als Sondernutzung bewertet wird: Hat der Betreiber die störende Anlage in einem eigens ausgewiesenen Industriegebiet (§ 9 BauNVO) angesiedelt, handelte es sich also um eine ortsübliche Nutzung, liegt die Verantwortung überwiegend beim Staat. Der Betreiber kann hier zu Recht darauf vertrauen, dass seine riskante Anlage in absehbarer Zeit

123 Im Ergebnis ebenso Schenke in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 172; Götz , Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 236. 124 OVG Münster, OVGE 11, S. 250 f; vgl. auch BGHZ 45, S. 23, 25 ff (keine Entschädigung, wenn die Anlage nicht genehmigungsbedürftig war). Grundsätzlich zustimmend Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 325; Henning, DVB1. 1968, S. 740, 742 f; Martens, DVB1. 1981, S. 587, 607. Ebenfalls zustimmend mit Verweis auf die Regelungen des BImSchG Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 236. 125 Für eine umfassende Entschädigung: Menger, VerwArch. 50 (1959), S. 77, 85 f (Aufopferung des Betreibers); Reiland, VerwArch. 66 (1975), S. 254, 278 f (Vertrauensschutz durch Baugenehmigung). Für eine Teilentschädigung: Schenke, JuS 1977, S. 789, 794 f; ders., in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 161 f (partielle Billigkeitsentschädigung analog § 21 Abs. 4 BImSchG). Der Gedanke einer Billigkeitsentschädigungfindet sich auch schon bei Kriele, DÖV 1967, S. 531, 536 ff (Entlastung des Betreibers bei besonders intensiver Belastung im Einzelfall).

H. Erweiterte Haftung bei Kenntnis oder Absicht?

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nicht zur konkreten Gefahr wird. Anders zu entscheiden ist in dem Fall, dass die gleiche Anlage im Mischgebiet liegt (§ 6 BauNVO) und der Betrieb der Anlage in diesem Bereich zur Sondernutzung wird. 1 2 6

H. Erweiterte Haftung bei Kenntnis oder Absicht? I. Die Relevanz subjektiver Momente Bisher waren es objektive Kriterien (angepasstes Handeln, besonders riskantes Handeln), welche zur erweiterten Störerhaftung geführt haben. Aber können auch subjektive Umstände - also vor allem Kenntnis und gegebenenfalls auch Absicht - die Zurechnung begründen? Anders gefragt: Können Wissen oder Wollen eine Lücke bei der objektiven Zurechnung schließen und die Verantwortung auch dort erzeugen, wo der Störer die Gefahr nur mittelbar verursacht? Die an dieser Stelle gegebene Antwort lautet: Subjektive Momente liefern in keinem Fall den Grund für eine erweiterte Haftung. 127 Der Einsatz von Sonderwissen kann aber sehr wohl als Folge einer aus anderen Gründen (Anpassung, Sonderrisiko) erweiterten Haftung von dem Störer verlangt werden. Darüber hinaus gehört der Einsatz von Sonderwissen ausschließlich in den Bereich der solidarischen Haftung (Nichtstörerhaftung). Das ist jetzt näher zu erläutern. Zunächst das folgende Beispiel: Der Käufer eines objektiv unerkennbar verseuchten und auch sonst ganz unverdächtigen Grundstücks merkt auf Grund seiner besonderen Sachkunde oder weil er es zufällig von Dritten erfahren hat, dass der Boden des Grundstücks kontaminiert ist. Reicht das zufällig erlangte Sonderwissen schon aus, um ihn als Störer zu behandeln - oder geht es lediglich um einen Fall der Gefahrtragung, wenn der Käufer das Grundstück trotz seiner Kenntnis erwirbt? In einer Abwandlung des Falls erkennt der Käufer - wie zuvor - auf Grund seiner besonderen Sachkunde die Verschmutzung des Grundstücks. Anders als zuvor lässt er sich aber einen deutlichen Nachlass auf den Kaufpreis gewähren. Muss er jetzt für sein besonderes Wissen einstehen und sich als Störer behandeln lassen? Das Beispiel sei noch um eine dritte Variante ergänzt: Der Käufer erkennt erneut, dass das Grundstück kontaminiert ist. Er

Fischereigroßhandlung). Vgl. OVG Münster, JuS 1980, S. 686 ff (mitgeteilt von Brodersen); PrOVGE 51, S. 383, 385 (Störung durch Schornsteinrauch nach geänderter Bebauung der Nachbargrundstücke). 127 Allgemein gegen eine Subjektivierung des Polizeirechts Poscher, Gefahrenabwehr, S. 128 ff und passim. 128 Etwa: Gromitsaris, JuS 1997, S. 49, 52; Schock, JuS 1994, S. 932, 934; ebenso

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

kauft das Grundstück weit unter dem Verkehrswert, den es ohne die Kontamination hätte, und veräußert das Grundstück sodann an einen dritten, ahnungslosen Käufer, der ihm dafür den normalen Verkehrswert zahlt. Ändert sich jetzt etwas an der Bewertung des Falles? Ein anderes Beispiel: An einer Ortsdurchfahrt ist ein Verkehrsschild, das eine Begrenzung der Geschwindigkeit auf Tempo 30 anordnet, bei einem Unfall zerstört und dann für einige Tage entfernt worden. Der in der Nähe wohnende Fahrer A weiß auf Grund seiner Ortskenntnis von der Beschränkung. Muss er sich in diesem Fall an seinem besseren Wissen orientieren oder darf er sich darauf zurückziehen, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung mangels Bekanntgabe nicht wirksam ist und er sich objektiv nicht verkehrswidrig verhält, wenn er die Stelle mit Tempo 50 passiert? Häufig wird gesagt, dass subjektive Elemente dem Polizeirecht fremd seien, weil sie einer effektiven Gefahrenabwehr im Weg stünden.128 Die Funktion des Polizeirechts soll also das Eindringen subjektiver Elemente verhindern. So allgemein formuliert ist das aber nur zum Teil richtig. Zutreffend dürfte zunächst sein, dass subjektive Elemente die objektiv gegebene Störerhaftung nicht beschränken können: Wer einen objektiven Standard, also eine Rechtsregel verletzt, kann sich nicht auf sein fehlendes Wissen berufen. Insoweit zwingt die Funktion des Polizeirechts in der Tat dazu, die Pflichten objektiv zu formulieren: Das Recht der Gefahrenabwehr kennt keine Verschuldenshaftung - so jedenfalls die übliche und auch richtige Annahme. Soviel dürfte deshalb feststehen: Fehlendes Wissen kann im Polizeirecht nicht ewilasten. Aber wie ist es im umgekehrten Fall? Kann besonderes Wissen zusätzlich belasten? Wie leicht zu sehen ist, geht es dabei nicht um ein Problem des Vorsatzes (die Person weiß weniger, als sie nach einem objektiven Standard wissen muss), sondern um den umgekehrten Fall des Sonderwissens (die Person weiß mehr, als sie nach dem objektiven Standard wissen muss). 129 Muss sich hier derjenige, der objektiv pflichtgemäß handelt, wegen seiner besonderen Kenntnis oder seiner besonderen Absicht als Störer verantworten? Das wird teilweise befürwortet. Bei der Verhaltenshaftung wird unter dem Stichwort der - subjektiven - Zweckveranlassung das Wollen oder Wissen oder zumindest das billigende In-Kauf-Nehmen der Gefahr für haftungsbegründend gehalten. Nach dieser Lösung haftet die Person jedenfalls dann als Störer, wenn

auch Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht5, Abschnitt 2 Rn. 157. In ähnliche Richtung geht der verfahrensrechtliche Einwand, dass ein auf Effektivität bedachtes Polizeirecht in der Gefahrensituation nicht den Nachweis führen könne, was der Störer wisse (Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 315). 129 Dazu grundlegend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 96 ff; ders., Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 7 Rn. 49 f, Abschnitt 15 Rn. 15, Abschnitt 29 Rn. 60. 130 Insoweit für eine Berücksichtigung zu Lasten des Haftenden: VGH Mannheim,

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sie pflichtwidrig gehandelt hat, darüber hinaus aber auch, wenn sie bei - objektiv - pflichtgemäßem Handeln das Eintreten der Gefahr beabsichtigt, vorhergesehen oder gebilligt hat. 130 Für die Zustandshaftung finden sich ähnliche Ansätze. So hat das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich festgestellt, dass der Käufer eines kontaminierten Grundstücks jedenfalls dann als Störer haftet, wenn er „das Risiko der entstandenen Gefahr bewusst in Kauf genommen" oder „in fahrlässiger Weise die Augen davor geschlossen hat". 131 Ganz ähnlich liest sich die Regelung des § 4 Abs. 6 BBodSchG, die den umgekehrten Fall normiert: Hier knüpft das Gesetz für die Nachhaftung des ehemaligen Eigentümers ebenfalls an das Wissen um bzw. das Wissenmüssen der die Gefahr begründenden Umstände an. Nun stünde, wie schon erwähnt, das Ziel effektiver Gefahrenabwehr einer Subjektivierung nicht im Weg. Ganz im Gegenteil: Für das Polizeirecht wäre es sogar besonders funktional, wenn es den Wissenden zum Verantwortlichen machen könnte. 132 Und doch muss meines Erachtens auch hier die Antwort lauten, dass weder Kenntnis noch Absicht - also bestimmte „Zustände" der Psyche - zur Störerhaftung führen. Dabei kann man zunächst mit einer sehr abstrakten Begründung beginnen: Der eigentliche Grund für die Irrelevanz psychischer Umstände liegt nicht bei der Funktion des Polizeirechts; er ist in der sozialen Dimension des Rechts zu suchen. Das Recht - und nicht nur das Polizeirecht - muss für den sozialen Kontakt Standards bereitstellen. Das Wissen als solches kann die Zurechnung immer nur soweit beeinflussen, wie der rechtliche bzw. soziale Standard das zulässt. Das Recht entscheidet also zunächst, inwieweit es sich durch bestimmte „Zustände" des Bewusstseins (Wissen oder Wollen) irritieren lässt. Und hier wird es so sein, dass man sich schon in kleinen Gruppen

NVwZ 1987, S. 237, 238 (Störung einer Versammlung durch Gegendemonstranten) - Haftung für das billigendes In-Kauf-Nehmen der Gefahr; VGH Kassel, NVwZ 1992, S. 1111 (Verpachtung von Wohnraum, in dem der Pächter ein Bordell betreibt) - bewusstes und gewolltes Zusammenwirken ausreichend; VGH München, BayVBl. 1993, S. 658 (Störung einer Versammlung durch Gegendemonstranten) und VGH Mannheim, DVB1.1996, S. 504 f (Passkontrolle durch den Bordellwirt) - Haftung für die bezweckten oder zwangsläufigen Folgen. In der Literatur halten eine Erweiterung der Störerhaftung durch subjektive Elemente für möglich: Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 316; Friauf, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 80 b; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 328 f; Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 157 f. 131 BVerfGE 102, S. 1, 22, 23 (Verfassungsmäßigkeit der Gewalthaberhaftung für Altlasten). Zuvor schon ganz ähnlich BVerwG NVwZ 1991, S. 475 (Haftung des Rechtsnachfolgers für die durch einen Galvanikbetrieb verursachten Bodenverunreinigungen). 132 Das betont nunmehr Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt 2 Rn. 157. 133 Dazu eingehend die unveröffentlichte Arbeit von Orce, Faktum.

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und bei einer noch überschaubaren Menge von sozialen Kontakten nicht immer auf das Wissen der anderen einstellen kann. Wenn wechselseitige Verständigung möglich sein soll, dann muss sich die Person im Kontakt mit anderen an objektiven Regeln orientieren. Mit dem Standard wird von individuellen psychischen Zuständen abstrahiert: Der „durchschnittliche Verkehrsteilnehmer", der „sorgfältige Kaufmann" oder der „gewissenhafte Arzt" muss bestimmte Dinge wissen und andere nicht wissen. Was dann der leibhaftige Verkehrsteilnehmer, Kaufmann oder Arzt tatsächlich weiß und was er nicht weiß, ist für das Recht zunächst ohne Belang. In diesem Fall entlastet das fehlende, hinter dem Standard zurückbleibende Wissen so wenig, wie das vorhandene, über den Standard hinausgehende Wissen belastet.

I I . Der Einsatz von Wissen jenseits der Verursacherhaftung Die bisherigen Überlegungen sind noch zu abstrakt, als dass sich mit ihnen belegen ließe, dass Wissen für die Zurechnung schlechthin keine Rolle spielt. Richtig ist, dass nicht das Wissen, sondern der rechtliche Standard über die Haftung entscheidet. Allerdings kann es eben so sein, dass der rechtliche Standard für bestimmte subjektive Momente geöffnet wird: Je nach dem Modus der Zurechnung kann sich das Recht mal mehr und mal weniger durch bestimmte „Zustände" des Bewusstseins irritieren lassen: Auf der einen Seite kann dort, wo es nicht um Prävention, sondern Schadensersatz oder Strafe geht und wo deshalb eine Verschuldenshaftung existiert, das Unwissen der Person in Grenzen entlasten. Das ist etwa dort der Fall, wo fehlendes Wissen bei Strafe und Schadensersatz den Vorsatz ausschließt. Beispiel: Wenn der an einem Unfall Beteiligte die Verletzungen Dritter - aus seiner Sicht unvermeidbar - unterschätzt und sich unbesorgt entfernt, macht er sich wegen seiner Flucht jedenfalls keiner vorsätzlichen Tat schuldig. Allerdings formuliert das Recht mit der Fahrlässigkeit bzw. der Vermeidbarkeit einen objektiven Standard, der letzten Endes über die Haftung entscheidet. Auf der anderen Seite kann dort, wo es um die solidarische Haftung im Notstand geht, durchaus das besondere Wissen die Person in Grenzen belasten. Beispiel: Den zufällig am Unfallort anwesenden Verkehrsteilnehmer, der zugleich Arzt ist, trifft in dieser Notstandslage die allgemeine Pflicht zur solidarischen Hilfe (Nichtstörerhaftung). Im Rahmen dieser Notstandshaftung muss er auch sein besonderes Wissen aktivieren. Allerdings gibt es auch hier einen objektiven Standard, nämlich den der Abwägung und Zumutbarkeit, mit dem das Recht steuert, bis zu welchem Punkt Hilfe verlangt wird und Sonderwissen eingesetzt werden muss. Zwischen beiden Bereichen - der Verschuldenshaftung des Schädigers bzw. des Täters auf der einen Seite (das Unwissen kann entlasten) und der solida-

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rischen Haftung des Nichtstörers auf der anderen Seite (das Wissen kann belasten) - liegt die Haftung für objektiv pflichtwidriges Handeln und damit die Störerhaftung. Hier, wo es weder um Verschulden noch um eine Haftung nach Abwägung geht, orientiert sich die Haftung fast durchgehend an objektiven Standards. Der Raum für die Berücksichtigung von Wissen oder Unwissen ist dann nur sehr gering. Immerhin mag man dort, wo das Recht nur den Kontakt einer sehr begrenzten Zahl von Personen reguliert, dem Wissen und Wollen noch einen relativ großen Raum geben. Das ist vor allem der Fall in vertraglichen oder gesetzlichen Sonderbeziehungen, wobei für das Polizeirecht nur die zweite, gesetzliche Variante interessiert. Wo zwischen zwei Personen eine Nähebeziehung besteht, wo besonderer Schutz geschuldet ist (positive Pflichten), kann es gerade zum rechtlichen Standard gehören, besonderes Wissen einzusetzen. Wenn etwa der Vater, der gleichzeitig Arzt ist, auf Grund seiner Sachkunde vorzeitig merkt, dass sein Kind krank ist, muss er dieses Wissen mit einbringen. Er kann sich nicht darauf berufen, dass er das Wissen in seiner Rolle als Arzt und nur anlässlich seiner Eigenschaft als Vater erlangt hat. Die Schutzpflicht der Eltern ist so umfassend, dass sie sich nicht auf einen einzelnen Lebensbereich isolieren lässt. Hier ist die Person als Ganzes und nicht nur in einer bestimmten Rolle in die Nähebeziehung eingeschlossen. Das heißt: Der rechtliche Standard ist umfassend.133 Vergleichbares gilt für das Verhältnis von Staat und Bürger: Wenn der Beamte außerhalb seines Dienstes zufällig erfährt, dass ein Anschlag oder eine andere Straftat unterhalb der Schwelle des § 138 StGB geplant ist 134 , dann ist er verpflichtet, dieses Wissen zum Schutz der Bürger einzubringen. Auch jetzt kann sich der Beamte nicht darauf zurückziehen, dass er von der Gefahr nicht in seiner Eigenschaft als Beamter erfahren habe und dass von einem „sorgfältigen Beamten" ein solches Wissen nicht verlangt werden könnte.

I I I . Kein Einsatz von Wissen im Fall der normalen Verursacherhaftung Weniger Raum haben subjektive Umstände außerhalb von Sonderbeziehungen, im Bereich der Verursacherhaftung (negative Pflichten). Hier, bei den allgemeinen Nichtstörungspflichten, wo das Recht die Interaktion mit ständig wechselnden Partnern organisiert, kann für die rechtliche Verteilung von Chancen und Risiken kaum noch darauf Rücksicht genommen werden, was die einzelnen Subjekte wissen und was sie nicht wissen. Das Recht bildet objektive

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Es geht also um mehr als die allgemeine Bürgerpflicht aus § 138 StGB. Grundlegend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 96 ff.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

Standards, an denen sich jeder schnell orientieren können muss, ohne dass langes Nachfragen nötig wäre. 135 Diese objektiven Standards bilden zusammengenommen den Verantwortungsbereich der Person. Sie legen vorab fest, was die Person wissen muss und um was sie sich von vornherein nicht zu kümmern braucht. Das heißt: Wo der objektive Standard verfehlt wird, kann das Unwissen nicht entlasten. Und wo er eingehalten wird, kann auch das Wissen um die Gefahr nicht belasten.136 Dazu einige Beispiele: Der Prominente, der sich in die Öffentlichkeit begibt, kann wissen oder doch zumindest billigend in Kauf nehmen, dass er damit Tumulte auslöst. Und doch ist er kein Störer, solange er sich in der Rolle des „normalen Passanten" bewegt. Das ändert sich erst dann, wenn er nicht mehr als normaler Passant, sondern als Prominenter auftritt, etwa indem er anfängt Autogramme zu verteilen. Hier mag man ihm dann auch die Störung durch die Passanten zurechnen. Mit dem Wissen als solchem hat die Haftung aber auch dann nichts zu tun, sondern mit dem vollzogenen Rollenwechsel. Ferner mag der Eigentümer, der seinem mittellosen Mieter die Wohnung kündigt, sicher voraussehen, dass er ihn in die Gefahr der Obdachlosigkeit bringt, ohne dass ihn dieses Wissen schon zum Störer machen würde. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem Veranstalter einer Demonstration, der weiß oder sogar wünscht, dass seine Kundgebung gewalttätige Gegendemonstranten anziehen wird. Solange der Veranstalter bzw. die Teilnehmer sich innerhalb des Standards der „friedlichen Demonstration" bewegen, schadet weder Wissen noch Absicht. Dieser Grundsatz gilt nicht nur im Versammlungsrecht, sondern auch in anderen Bereichen. Wenn eine Geschäftskette, ohne die Regeln des Wettbewerbsrechts zu verletzen, die umliegenden Konkurrenten reihenweise in den Ruin treibt, dann mag gerade das bezweckt oder zumindest sicher vorhergesehen sein - eine Haftung für die Folgen begründet es nicht, solange der Standard des „lauteren Wettbewerbs" eingehalten wird. Die Haftung beginnt erst in dem Moment, wo sich der objektive Sinn des Handelns in dem konkreten Kontext auf die Schädigung des Konkurrenten reduziert, wo also die Schwelle des Dumpings überschritten wird und die Preise so niedrig sind, dass das Unternehmen selbst keinen Gewinn mehr verbuchen kann und als Sinn des Handelns nur noch die Schädigung des Konkurrenten übrig bleibt (erweiterte Haftung für Anpassung). Über die Grenzen kann man im Einzelnen streiten. Jedenfalls kümmert sich das Recht an dieser Stelle nicht um interne Zustände der Psyche, nicht um Wissen oder Wollen, sondern allein um den objektiven Sinn des Handelns.

136

Dazu aus der Sicht des Strafrechts Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 7 Rn. 49 f. 137 BVerfGE 102, S. 1, 21 f.

H. Erweiterte Haftung bei Kenntnis oder Absicht?

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Nun gibt es Fälle, in denen es auf den ersten Blick so scheint, als würde das Wissen über die Haftung entscheiden. Das erste der eingangs genannten Beispiele ist ein solcher Fall: Wie ist es zu beurteilen, wenn jemand ein Grundstück erwirbt und dabei allein auf Grund seiner besonderen Sachkunde erkennt, dass es mit Chemikalien verseucht ist? Nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist hier das Wissen Grund genug, den Erwerber des Grundstücks in die Störerhaftung zu zwingen. Das heißt: Der Käufer soll den Schaden nicht nur bis zum Verkehrswert mittragen (Gefahrtragung), sondern in vollem Umfang für die Gefahr einstehen (Gefahrenverantwortlichkeit). In der Entscheidung heißt es dazu wörtlich: „Eine Kostenbelastung, die den Verkehrswert des sanierten Grundstücks übersteigt, kann allerdings zumutbar sein, wenn der Eigentümer das Risiko der entstandenen Gefahr bewusst in Kauf genommen hat. Ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn der Eigentümer das Grundstück in Kenntnis von Altlasten, die von früheren Eigentümern oder Nutzungsberechtigen verursacht worden sind, erworben hat (...). Denn das freiwillig übernommene Risiko mindert die Schutzwürdigkeit des Eigentümers." 137 Dem kann man meines Erachtens in dieser Form nicht zustimmen. Sicherlich ist es richtig, dass der Käufer mit der Sache die sachtypischen Risiken übernimmt. So lag auch der Fall, den das Verfassungsgericht bei seiner Entscheidung vor Augen hatte: Dort ging es um den Verkauf eines Schießplatzgeländes, das durch Bleischrot und gelöstes Blei stark belastet war. In diesem Fall ist klar: Erwirbt jemand ein Gelände, das ersichtlich auf diese Art und Weise genutzt worden ist, übernimmt er auch das Risiko einer solchen typischen Verschmutzung. Nicht Kenntnis, sondern Typizität ist dann das entscheidende Kriterium. Ganz anders liegt der Fall, wenn jemand ein ganz unverdächtiges „Stück grüne Wiese" erwirbt, das keine Spuren vorheriger Nutzung erkennen lässt. Wenn der Käufer jetzt auf Grund seiner besonderen Sachkunde erkennt, dass der Boden stark belastet ist, führt das allein noch nicht zur Störerhaftung. Abgesehen davon, dass der Beweis solcher rein subjektiven Umstände kaum gelingen wird (das ist die prozessuale Seite des Problems), lässt sich die Zurechnung auch materiell nicht begründen: Die Fähigkeit, die der Erwerber zufällig in anderen Lebensbereichen (etwa im Rahmen seines Berufs) erworben hat, gehören nicht zu dem, was er in der Rolle als Käufer einbringen muss. Auch jetzt gilt, dass bei der Störerhaftung die Trennung von Verantwortungsbereichen nicht überspielt werden kann. Wer das für zu nachsichtig hält, sollte daran denken, dass es in jedem Fall bei der Gefahrtragung bleibt: Der Erwerber muss - unabhängig von seinem Wissen - mit dem Wertverlust leben. Die Verantwortung trägt er dagegen nicht.

138

Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, Abschnitt 7 Rn. 50.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

IV. Einsatz von Wissen im Fall der erweiterten Verursacherhaftung Anders beurteilen mag man den Fall in der Variante, dass der Käufer sich einen deutlichen Preisnachlass gewähren lässt und den Verlust - wie in der zweiten Abwandlung - sogleich an einen dritten Käufer weitergibt. Aber dann ist nicht das Wissen als solches, sondern das nach außen hin manifestierte Handeln entscheidend. Anders gesagt: Die Ausweitung der Zurechnung wird auch jetzt objektiv gesteuert. Wenn man danach fragt, welche objektiven Kriterien dies sind, muss man nach einer Antwort nicht lange suchen. Die maßgeblichen Regeln sind schon in den beiden vorausgehenden Abschnitten genannt worden: Wer für die Anpassung seines Handelns oder für die von ihm erzeugten Sonderrisiken erweitert haftet, muss auch sein eventuell vorhandenes Sonderwissen aktivieren. Anders gesagt: Die besondere Haftung zwingt dazu, das besondere Wissen einzusetzen. Die Zurechnung wird damit in zwei Richtungen erweitert: Zum einen wird die Haftung nach „außen" ausgedehnt. Der Störer muss, wie gesehen, auch solche Fremdrisiken abdecken, die eigentlich außerhalb seiner eigenen Verantwortungssphäre liegen. Zum anderen wird die Haftung aber auch nach „innen" erweitert: Der Störer muss solches Wissen aktivieren, das über den normalen Standard hinausgeht und damit als Söttderwissen eigentlich außerhalb der eigenen Verantwortungssphäre liegt: 138 Im erwähnten Fall der Anpassung (oben F) haftet die Person auch für Fremdrisiken, weil sie ihr eigenes Handeln auf die gefährliche Situation zuschneidet, also der eigene Machtbereich um die „Gefahr herum" organisiert wird. Die erweiterte Haftung greift dann ein, wenn das eigene Handeln ohne die einbezogenen Fremdrisiken nicht mehr sinnvoll zu erklären ist. Spiegelbildlich haftet jemand für sein Sonderwissen, wenn er beginnt, sein Handeln ganz auf dieses Wissen abzustimmen. Die erweiterte Haftung für das Sonderwissen setzt dann ein, wenn das Handeln für sich - ohne das Sonderwissen - nicht mehr sinnvoll zu erklären ist. Ein Beispiel dafür liefert der genannte Fall in der Variante, dass sich der Käufer eines belasteten Grundstücks im Wissen um die Gefahr einen Preisnachlass gewähren lässt, um das Grundstück dann zum vollen Verkehrswert an einen ahnungslosen Dritten zu verkaufen. In dieser Situation stimmt der Käufer das Handeln nach außen erkennbar auf sein besonderes Wissen ab und nutzt es zu seinen Zwecken aus. Anders gesagt: Das Handeln des Käufers ist nur noch über dessen Wissen von der Gefahr zu erklären. Nicht ganz so klar ist der Fall in der Variante, dass sich der Käufer einen Nachlass auf den Kaufpreis gewähren lässt, das Grundstück dann aber für sich behält. Hier wird es - wie immer bei der Anpassung - auf den konkreten Kontext und damit den Einzelfall ankommen: Grundsätzlich gilt aber, dass ein Käufer, der sein Sonderwissen 139

Beispiel bei Gantner, Verursachung, S. 64.

H. Erweiterte Haftung bei Kenntnis oder Absicht?

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beim Kauf in den sozialen Kontakt einbringt und sein Handeln daran anpasst (Preisnachlass), sich von diesem Wissen nicht mehr distanzieren kann. Er übernimmt dann mit der Sache nicht nur das typische, sondern auch das atypische, aber von ihm ausgenutzte Risiko. Auch in den Fällen des Sonderrisikos (oben G) muss Sonderwissen eingebracht werden. Wer seine Umwelt mit besonderen Risiken überzieht, kann sich nicht auf das normale Wissen eines durchschnittlichen Beobachters zurückziehen, sondern muss sein besonderes Wissen aktivieren. Das illustriert das Beispiel des Fahrers, der auf Grund seiner besonderen Ortskenntnis von der vorübergehend nicht ausgeschilderten Geschwindigkeitsbegrenzung weiß: Wer am motorisierten Straßenverkehr teilnimmt, handelt besonders riskant. Er muss sich deshalb mit Blick auf dieses Risiko immer an dem optimalen Wissen orientieren. Das heißt: Sein zufällig vorhandenes Wissen muss selbst dann eingebracht werden, wenn von dem „durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer" ein solches Wissen nicht verlangt werden könnte. Man kann auch sagen: Im Fall der Sonderrisiken gehört es von Anfang an zum Standard des Verkehrsteilnehmers, Sonderwissen einzubringen. So besehen kann man davon sprechen, dass das Wissen die Haftung erweitert. Aber das ist missverständlich. Denn das besondere Wissen selbst ist auch jetzt nicht Grund der erweiterten Haftung, sondern muss gerade erst auf Grund der erweiterten Haftung aktiviert werden. Sieht man von diesen Fällen erweiterter Verantwortlichkeit ab, lassen sich noch einige Situationen denken, in denen das Wissen über die Haftung entscheidet. Doch bewegen sich diese Fälle allesamt auf der Grenze zur Nichtstörerhaftung oder gehören ganz zur solidarischen Haftung. Beispiel: Ein Passant, der aufgrund seiner besonderen Fachkenntnisse zufällig erkennt, dass Straßenarbeiter eine Gasleitung beschädigen, darf an dieser Stelle nicht seine brennende Zigarette wegwerfen. 139 Der Passant muss so gut wie nichts an eigener Freiheit opfern, um die Gütersicherheit für alle Beteiligten erheblich zu erhöhen. Damit schiebt sich der vom Notstand bekannte Gedanke des überwiegenden Interesses in den Vordergrund. Weniger die Verursachung als Überlegungen der Effektivität und Abwägung bestimmen jetzt über die Haftung, womit man im Bereich der Nichtstörerhaftung angekommen ist. Für den Kernbereich der Störerhaftung bleibt es dabei, dass das besondere Wissen aus einem Beteiligten noch keinen Störer macht.

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Oben, 4. Teil C II.

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

J. Die erweiterte Haftung aus Rücksichtnahme Es bleibt ein schmaler Bereich, in dem für das Fehlverhalten Dritter gehaftet wird, ohne dass der Störer sein Handeln an die Gefahr angepasst hat und ohne besonders riskant vorgegangen zu sein. Beispiel: Wenn ein Kind völlig unerwartet auf die Fahrbahn läuft, dann sind die Verkehrsteilnehmer, wie sich von selbst versteht, zum Ausweichen verpflichtet. Weniger selbstverständlich ist dagegen, dass der Fahrer in diesem Fall nicht nur als Notstandsstörer, sondern als Störer haftet, obwohl sich doch zunächst das Opfer selbst gefährdet und der Fahrer regelgerecht handelt. Der besondere Grund für die erweiterte Haftung liegt dann nicht in der Anpassung und auch nicht (nur) in dem geschaffenen Sonderrisiko, sondern in einer besonderen Pflicht zur Rücksichtnahme. Mit der damit angesprochenen Haftung ist schon die Schwelle von den negativen Pflichten (Nichtstörungspflichten, Verursacherhaftung) zu den positiven Pflichten (Schutzpflichten) betreten: Einerseits hat man es nicht mit einem typischen Fall der Nichtstörungspflicht zu tun, weil das eigene riskante Handeln noch nicht Grund genug für die Haftung ist. Der Störer hat die Gefahr nur mittelbar verursacht. Andererseits geht es aber auch nicht um eine vollwertige Schutzpflicht. Diese entsteht nur innerhalb einer Sonderbeziehung, die zwischen den Eltern und ihrem Kind besteht, nicht aber zwischen dem auf die Straße laufenden Kind und einem beliebigen Verkehrsteilnehmer. Damit in diesem Fall die solidarische Haftung des Nichtstörers zur Störerhaftung erstarkt, müssen zwei Dinge zusammenkommen: ein Restanteil an eigener Verursachung und die Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber bestimmten Personen. Dazu im Einzelnen: Echte Schutzpflichten entstehen, wie schon gesehen, nur in bestimmten Sonderbeziehungen: in dem Verhältnis von Staat und Bürger, in der Beziehung von Eltern und Kind oder von Betreuer und Betreutem. 140 Auf das eigene riskante Handeln kommt es hier von vornherein nicht an: Der Staat muss seine Bürger auch vor Gefahren schützen, die er selbst weder unmittelbar noch mittelbar verursacht hat, die Eltern müssen ihr Kind vor drohenden Schäden bewahren, auch wenn die Gefahr von einem Dritten ausgeht, der Betreuer schließlich hat im Rahmen des Zumutbaren von dem Betreuten auch solche Schäden abzuwenden, die ihm von der Hand Dritter drohen. Allerdings ist es möglich, dass die in der Sonderbeziehung konzentrierten Sc/iwizpflichten - in „verdünnter" Form - als Pflichten zur Rücksichtnahme nach außen wirken. Diese abgeschwächten Hilfspflichten treffen also nicht nur

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Für die Frage der Zurechnungsfähigkeit kann man sich dabei an der zivilrechtlichen

J. Die erweiterte Haftung aus Rücksichtnahme

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den besonders Verpflichteten (Staat, Eltern, Betreuer), sondern Jedermann. Der Grund für die Existenz solcher über die Sonderbeziehung hinausragender Hilfspflichten ist, dass der Schutz gegenüber dem Bürger, dem Kind oder dem Betreuten innerhalb der Sonderbeziehung immer lückenhaft bleibt. Diese Lücken ließen sich allenfalls bei totaler staatlicher oder elterlicher Überwachung schließen - eine Alternative, die in der Praxis nicht realisierbar und in der Theorie nicht wünschenswert ist. Für den Fall staatlicher Überwachung dürfte das auf der Hand liegen. Der Staat soll durch seinen Schutz Freiräume schaffen, womit Lücken beim Schutz im System angelegt sind. Für die Beziehung von Eltern und Kind gilt ganz Ähnliches: Wenn der besondere Schutz Minderjähriger auch zuerst Sache der Eltern ist, so wäre dort, wo man ihn zur alleinigen Sache der Eltern machen würde, effektiver Schutz nicht oder nur bei totaler elterlicher Überwachung möglich und das Ziel, Selbständigkeit zu erlernen, verfehlt. Damit diese Lücken bestehen können, damit die innerhalb der Sonderbeziehung zu leistende Sicherung nicht in totaler Überwachung enden muss, ist es nötig, dass auch außerhalb dieser Beziehung Reste von Hilfs- oder Schutzpflichten bestehen bleiben: Verzichtet der Staat darauf, allgegenwärtig zu sein, dann setzt das voraus, dass immer dort, wo kurzfristig keine staatliche Hilfe verfügbar ist, der Bürger zur Hilfe verpflichtet werden kann. Und wenn die Eltern nicht verpflichtet sein sollen, ihr Kind auf Schritt und Tritt zu überwachen, dann setzt das voraus, dass auch Dritte die Unerfahrenheit der Minderjährigen bei ihrem Handeln berücksichtigen müssen. Der Schutz Minderjähriger ist also normativ doppelt gesichert: Einmal und an erster Stelle durch die Eltern, daneben aber auch durch alle Bürger. Das Recht verlangt mit Blick auf den Minderjährigen allen gesteigerte Aufmerksamkeit ab. Für das Verhältnis von Staat und Bürger kann man das ähnlich sehen. Die in der Sonderbeziehung verdichtete Schutzpflicht wird in abgeschwächter Form nach außen weitergegeben und nimmt dann die Form einer Jedermannpflicht an. Nun werden diese allgemeinen Schutzpflichten allerdings im Regelfall in der solidarischen Haftung des Nicht-Störers aufgehen. Und für den am Geschehen gänzlich Unbeteiligten bleibt es auch dabei. Andernfalls würde man die bis zu dieser Stelle nachgezeichneten Grenzen der Verantwortungsbereiche durch eine alles überlagernde solidarische Störerhaftung verwischen. Es gibt aber auch Situationen, in denen sich die Haftung des Nichtstörers zur Störerhaftung verdichtet: Dazu muss es sich bei dem rechtswidrig handelnden Dritten (bzw. dem sich selbst gefährdenden Opfer) erstens um eine Person handeln, die ihren Schutz nicht selbst organisieren kann. Die Hilfspflicht wird nur dann zur Störerpflicht, wenn eine konstitutionell geschwächte Person gefährdet wird. Das ist immer dann der Fall, wenn das Recht die Person vorübergehend oder dauerhaft als

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Fünfter Teil: Die Nichtstörungspflicht

unzurechnungsfähig behandelt.141 Ist die Person dagegen zurechnungsfähig, kann sie, wie dann unterstellt wird, allein für ausreichenden Schutz sorgen. Es bleibt dann generell bei der solidarischen Haftung des Nichtstörers, wenn der Schutz im Einzelfall wider Erwarten nicht geleistet wird. Aber auch die Unzurechnungsfähigkeit führt noch nicht automatisch zur Störerhaftung eines Unbeteiligten. An dieser Stelle muss noch ein zweites Element hinzutreten. Und dieses Element lässt sich der Verursacherhaftung zuordnen: Damit die Nichtstörerhaftung zur Störerhaftung erstarkt, muss ein Restanteil an eigener Verursachung vorhanden sein. Der Störer muss durch sein Handeln - durch sein Verhalten oder seine Sachen - ein Risiko setzten, das zwar für sich genommen die Zurechnung noch nicht rechtfertigt, das den Unbeteiligten aber zu einem Beteiligten (nicht notwendig einem Teilnehmer) macht. Dazu ein Beispiel: Jemand sieht, wie Kinder direkt an der Böschung eines zur Straße hinausgehenden Grundstücks spielen. In diesem Fall sind gewiss die Eltern als Störer zur Hilfe verpflichtet (Störerhaftung). Für den unbeteiligten Passanten muss es dagegen bei der allgemeinen Pflicht zur Mindestsolidarität bleiben (Notstandshaftung). Anders ist das aber dann, wenn der eigene Machtbereich kausal, aber - nach den bisherigen Regeln - nicht unbedingt zurechenbar beteiligt ist: Sieht also, in einer Variante des Beispiels, nicht der Nachbar, sondern der Eigentümer, wie sich die Kinder auf seinem eigenen Grundstück gefährden, so dürfte es zu wenig sein, ihn nur als Nichtstörer zu behandeln. Hier wird der Eigentümer zum Störer, weil sein eigener Machtbereich an der Entstehung der Gefahr beteiligt ist. Diese Beteiligung ist für sich genommen zu schwach, um die Störerhaftung auszulösen. Und wo die Dritten voll zurechnungsfähig sind, bleibt es auch bei der Haftung als Nichtstörer. Tritt aber die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme hinzu, wird aus dem Nichtstörer ein Störer. Genauso ist es in dem eingangs erwähnten Fall, dass ein Kind auf die Fahrbahn läuft. Der gänzlich unbeteiligte Dritte, ist dann wenn er einen Schaden noch abwenden kann, allenfalls als Nichtstörer zum Eingreifen verpflichtet. Seine Verantwortung erschöpft sich darin, die allgemein geschuldete Mindestsolidarität zu erbringen. Anders ist das bei einem Autofahrer, dem das Kind vor seinen Wagen läuft. Er ist als Störer verpflichtet, den drohenden Schaden abzuwenden, und zwar auch dann, wenn er sich selbst regelgerecht verhält. Der Grund für die - erweiterte - Haftung ist seine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem unzurechnungsfähigen Opfer. Allerdings mischt sich in diesem letzten Beispiel noch ein weiterer, schon bekannter Gedanke in die Begründung der Störerhaftung: Wer am motorisier-

Deliktsfähigkeit (§§ 827,828 BGB) bzw. der strafrechtlichen Schuldfähigkeit (§§ 19, 20, 21 StGB) orientieren.

J. Die erweiterte Haftung aus Rücksichtnahme

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ten Straßenverkehr teilnimmt, schafft ein Sonderrisiko und muss dann schon aus diesem Grund erweitert haften. Der Fahrer muss deshalb das rechtswidrige Handeln Dritter oder die Selbstgefährdung des Opfers mit einkalkulieren und bei konkretem Anlass absichern. Das gilt auch dann, wenn der Dritte oder das Opfer, anders als in dem Beispiel, voll zurechnungsfähig ist, also etwa dann, wenn ein erwachsener Passant plötzlich auf die Fahrbahn tritt. An diesem Punkt wird der Unterschied deutlich: Soweit die Störerhaftung nur auf dem Gedanken der Rücksichtnahme - und gerade nicht dem Gedanken der Anpassung oder des Sonderrisikos - beruht, greift sie immer nur gegenüber bestimmten Personen, nämlich gegenüber unzurechnungsfähigen Dritten. Andere Risiken müssen, über die selbst unmittelbar geschaffenen Gefahren hinaus, nicht mehr abgesichert werden. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass man schon mit einem Fuß bei den positiven Pflichten steht und dass der eigentliche Kernbereich der Verursacherhaftung verlassen ist.

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Rechtfertigung durch Genehmigung? Der Überblick über die verschiedenen Varianten der Gefahrenzurechnung ist damit abgeschlossen. Was bleibt, ist die Frage, ob im Fall der staatlichen Genehmigung eines Handelns die bisher beschriebene Risikoverteilung zugunsten des Bürgers modifiziert werden muss. Liefert die staatliche Genehmigung dem Störer eine besondere Rechtfertigung für sein gefährliches Handeln? Anders gefragt: Enthält die Konzession ein Zugeständnis des Staates, das auf eine besondere Gefahrenübernahme durch den Staat und damit - in bestimmtem Umfang - auf eine „Erlaubnis zur Störung" 1 hinausläuft? Zunächst ist klar: Wer ohne Genehmigung handelt oder gegen die Auflagen einer Genehmigung verstößt, ist in jedem Fall Störer. Der Genehmigungspflicht lässt sich also zunächst ein direktes Verbot entnehmen. Es ist verboten, bestimmte Handlungen ohne Erlaubnis vorzunehmen. Wer das Verbot verletzt, haftet für alle Gefahren, die sich aus dieser Verletzung ergeben. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob sich der tatsächlich erteilten Genehmigung zugleich eine indirekte Erlaubnis entnehmen lässt: Kann sich etwa der Betreiber einer Fabrik darauf zurückziehen, dass er eine Konzession besitzt und auch sonst alle Auflagen genau beachtet hat, wenn von der Anlage konkrete Gefahren ausgehen? Die Frage wird üblicherweise unter dem Stichwort der Legalisierungswirkung behandelt.2 Es ist nicht möglich, an dieser Stelle den zahlreichen und differenzierten Lösungsvorschlägen gerecht zu werden. 3 Die Überlegungen beschränken sich deshalb nur auf die eine grundsätzliche Frage, ob die erteilte Genehmigung auch dann von der Haftung freizeichnet, wenn die Person sich nach den allgemeinen, bis zu dieser Stelle genannten Regeln eigentlich als Störer verantworten müsste. Das wird in der Tendenz häufig befürwortet, mit der folgenden Konsequenz: Wer gesteigert riskant handelt und für sein Handeln eine Genehmigung be-

1

So der Titel der Untersuchung von Martensen. Zu dem Begriff der LegalisierungsWirkung Peine , JZ 1990, S. 201 ff. 3 Siehe etwa die Behandlung des Problems bei Fluck, VerwArch. 79 (1988), S. 406 ff; Martensen , Erlaubnis, S. 23 ff. Heute wird üblicherweise nach dem Typ der Genehmigung differenziert: Fluck, VerwArch. 79 (1988), S. 406,432 ff, Kloepfer, NuR 1987, S. 7, 13; Pietzcker, JZ 1985, S. 209 ff; Seibert, DVB1. 1992, S. 664, 670. 2

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nötigt, der soll in bestimmten Grenzen entlastet werden. Wer normal riskant vorgeht und deshalb weder eine Genehmigung braucht noch vorweisen kann, haftet weiter nach den allgemeinen Regeln. Kurz gesagt: Je riskanter das eigene Verhalten, desto geringer die eigene Verantwortlichkeit. 4 Dazu ein Beispiel: Betreibt jemand eine genehmigungsbedürftige Anlage mit Kühltürmen, deren Emission im Winter auf den umliegenden Straßen wider Erwarten die Bildung von Glatteis verursacht 5, müsste der Betreiber nach dieser Ansicht von der Haftung frei bleiben, weil die Gefahr durch den genehmigten Normalbetrieb verursacht wird. Geht die gleiche Gefahr von einer kleineren Anlage aus, für die erst gar keine Genehmigung verlangt wird, soll der Störer dagegen in die Haftung genommen werden. 6 Ein weiteres Beispiel: Der genehmigte Betrieb eines Schweinemästers mit tausend Tieren soll nicht zur Störerhaftung führen und nur gegen Entschädigung untersagt werden können (analog § 21 Abs. 4 BImSchG), wenn die Anlage durch die heranrückende Bebauung mit der Zeit zur Gefahr wird. Anders aber, wenn der Betrieb nur hundert Tiere zählt und daher keiner Genehmigung bedarf. Hier soll der Inhaber als Störer mit der ganzen Kostenlast haften. 7 Diese Prämierung riskanten Handelns wird noch verstärkt, wenn man zusätzlich zwischen präventiven und repressiven Verboten 8 in der Weise unterscheidet, dass beim repressiven Verbot wegen der schärferen Kontrolle auch mehr Risiken auf den Staat übergehen.9 Also: Wer für den Bau eines Hauses eine Genehmigung braucht und besitzt (präventives Verbot), ist nur in Grenzen von der Haftung befreit. Wer dagegen durch seine Sondernutzung den Wasserhaushalt besonders strapaziert oder durch den Besitz einer Waffe besondere Risiken schafft (repressives Verbot), soll durch die Ausnahmebewilligung umfassend geschützt sein. Damit käme man zu folgender Abstufung: Solange das Handeln keiner Genehmigung bedarf, muss der Bürger nach allgemeinen Regeln einstehen; bindet das Recht sein Handeln an eine präventive Erlaubnis, soll er in Grenzen durch die Genehmigung geschützt sein; hält das Recht sein Handeln

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Siehe auch Ladeur, UPR 1995, S. 1, 3, der zur Recht anmerkt, dass die Unterscheidung zwischen genehmigtem und nicht genehmigtem Handeln zu der Merkwürdigkeit führt, dass „Vertrauensschutz (...) dort bestünde, wo die Verwaltung eine Gefahr erkannt, aber z.B. ihr Ausmaß nichtrichtigbewertet hätte, während dort, wo eine Regelung ganz unterblieben ist, weil eine Gefahr gar nicht erst erkannt worden ist, kein Veitrauensschutz bestünde". 5 OVG Münster, OVGE 16, S.289 ff. 6 Martensen, DVB1. 1981, S. 597, 605, 607. 7 So in der Konsequenz Schenke, JuS 1977, S. 789, 795. 8 Grundsätzlich zu der Unterscheidung Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 51 ff; Friauf, JuS 1962, S. 422 ff. 9 So Schräder, Altlastensanierung, S. 186 ff; Nauschütt, Altlasten, S. 186 ff.

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schließlich für sehr riskant und nur ausnahmsweise zulässig, soll dieser Schutz besonders weit reichen. Die Konsequenz: Je riskanter die Person handelt, je weniger tolerabel das Vorgehen dem Recht erscheint, desto mehr Risiken gehen vom Bürger auf den Staat über. Ich halte das nicht für überzeugend. Meines Erachtens muss man genau umgekehrt weiten: Wenn das Gesetz sich entscheidet, bestimmte Handlungen an eine staatliche Genehmigung zu binden, dann macht es das gerade nicht, weil es den Bürger entlasten will, sondern weil es bestimmte Typen von Handlungen generell als riskant einstuft und deshalb die besondere Überwachung anordnet. 10 Das bedeutet: Der Staat wartet nicht mehr an den Grenzen des eigenen Machtbereichs, bis sich eine Gütergefährdung konkret abzeichnet, sondern überprüft schon vorab, wie die Person ihren Machtbereich zu sichern hat. Das allgemeine Verbot konkreter Gefährdung wird jetzt durch bestimmte Verbote abstrakter Gefährdung ergänzt, also die Abwehr durch Vorsorge und vorsorgliche Prüfung (die Genehmigung) erweitert. Mit der Genehmigung wird also keine Verantwortung auf den Staat verlagert , sondern allenfalls die Kontrolle und damit die Verantwortung verdoppelt. Der Staat haftet nicht anstelle des Betreibers, sondern - wenn überhaupt - neben diesem. Danach gilt: Wo der Bürger ohne Genehmigung handelt, ist er in jedem Fall Störer, egal ob eine konkret Gefahr vorliegt oder nicht. Die abstrakte Gefahr - Handeln ohne Genehmigung - ist dann ausreichend, um den Betreiber zum Störer zu machen. Wo der Bürger dagegen mit Genehmigung handelt und sich auch sonst an alle Auflagen hält, ist er nur solange von der Haftung befreit, wie sich keine konkrete Gefahr abzeichnet. Die Genehmigung ist dann nicht mehr als eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für den Moment, mit der die abstrakte Gefahr ausgeschaltet wird. Kommt es aber später - wider Erwarten - zu einer konkreten Gefahr, haftet der Inhaber einer Genehmigung unbesehen seiner Erlaubnis für alle Risiken, die aus seinem eigenen Herrschaftskreis stammen. Das ist besonders deutlich bei Störfällen. 11 Beispiel: Wenn der Betreiber einer Chemiefabrik merkt, dass an seiner defekten Anlage giftige Gase austreten, wird er sich kaum auf seine Genehmigung zurückziehen können. Dass der Fehler für ihn ex ante nicht vorherzusehen war, ändert nichts an der Haftung. Der Betreiber ist hier - konkurrenzlos - für den gefährlichen Verlauf verantwortlich,

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Martensen, Erlaubnis, S. 59 ff, 61 f, 87 f; in der Tendenz auch Pietzcker, JZ 1985, S. 209 ff. 11 Dass der Inhaber der Genehmigung jedenfalls für Störfälle haftet, steht im Ergebnis außer Streit. Siehe Fluck, VerwArch. 79 (1988), S. 406, 427; Feldhaus/Schmitt WiVerw. 1984, S. 1, 11; Papier, UTR 1 (1985), S. 873, 876; ders., NVwZ 1986, S. 256, 258.

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es geht um einen klaren Fall der unmittelbaren Verursachung. 12 Das ist nicht nur bei Störfällen so, sondern gilt für alle, auch die unvorhersehbaren und nicht bedachten Risiken, welche von dem Machtbereich des Genehmigungsinhabers ausgehen.13 Beispiel: Wenn sich wegen der Kühltürme einer Anlage im Winter Glatteis auf den umliegenden Straßen bildet, dann hat der Betreiber dafür gerade zu stehen, ganz gleich, ob er eine Genehmigung besitzt und alle Auflage beachtet. Allenfalls mag man sagen, dass in dem Beispiel auch der Träger der Straßenbaulast für die Sicherheit der Straße einstehen muss (Gedanke der staatlichen Schutzpflicht) oder die Verkehrsteilnehmer mithaften (Gedanke des Sonderrisikos). Das sind mögliche Überlegungen zur Risikoverteilung, die jedoch alle eines gemeinsam haben: Sie knüpfen gerade nicht an die Genehmigung an, sondern an die allgemeinen Regeln und haben mit einer vermeintlichen Gefahrenübernahme durch die Betriebserlaubnis nichts zu tun. Eine weitere Frage ist die, ob der Staat trotz der erteilten Genehmigung nicht nur Nachsicherung verlangen, sondern auch rückwirkende Maßnahmen treffen kann. Vor einer solchen Situation steht man etwa dann, wenn der genehmigte Betrieb später wesentlich beschränkt oder ganz untersagt wird und damit die in der Vergangenheit getroffenen Dispositionen wertlos werden. Über das Ergebnis mag man streiten. Über eines sollten aber, wie ich denke, keine Zweifel bestehen. Auch jetzt entscheidet sich die Haftung nach den allgemeinen Regeln, wie sie im vorigen Teil zu den Fällen der mittelbaren Verursachung skizziert worden sind. Danach gilt: Wer besondere Risiken schafft oder öffentliche Güter besonders beansprucht, kann sich in der Regel nicht oder nur in Grenzfällen auf Vertrauensschutz berufen. 14 Je mehr also eine Genehmigung den Charakter einer Ausnahmegenehmigung, eines Dispenses oder einer nur repressiv erteilten Erlaubnis trägt, um so geringer ist der Bestandsschutz. Die Genehmigungspflicht ist hier eher Indiz für eine erweiterte Haftung als die Genehmigung Anzeichen einer Gefahrenübernahme. Damit steht das Ergebnis fest: Die Genehmigung gibt dem Inhaber keine Erlaubnis zur Störung; sie enthält keine besondere Gefahrenübernahme durch

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Oben, 5. Teil D. BVerwGE 55, S. 118, 120 (Verbot von Kabelabbrennungen im Rahmen eines genehmigten Betriebs). Dazu Brandt/Lange, UPR 87, S. 11, 14; Henning, DVB1. 1986, S. 740, 743; Jarass, DÖV 1978, S. 409; Kloepfer, NuR 87, S. 7, 13 f; Kothe, VerwArch. 88 (1997), S. 456, 478; Kutscheid, NVwZ 1986, S. 622, 624; Ladeur, UPR 1995, S. 1, 3; Martensen, Erlaubnis, S. 63 ff; Seibert, DVB1. 1992, S. 664, 670 f, 671; Selmer, Umwelthaftungsrecht, S. 33. Für eine weitergehende Legalisierung dagegen Fluck, VerwArch. 79 (1988), S. 406, 427 ff; Martens, DVB1. 1981, S. 597, 605; Papier, Altlasten, S. 24 ff, ders., NVwZ 1986, S. 256, 258. Ähnlich auch Breuer, JuS 1986, S. 359, 362. 14 Oben, 5. Teil D III, E. 13

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den Staat. Die Zurechnung folgt den allgemeinen Regeln, wie sie vor allem im vierten und fünften Teil dieser Arbeit skizziert wurden. Wo die Verwaltung ein Handeln genehmigt, geht es nicht um besondere Entlastung, sondern zunächst schlicht um „nachvollziehende Gesetzeskonkretisierung" 15. Nicht Derogation, sondern Konkretisierung und vorsorgliche Kontrolle ist das Ziel der Genehmigung. Gewiss kann es so sein, dass der Staat in einzelnen Fällen dem Bürger die Übernahme bestimmter Gefahren verspricht. So liegen die Dinge etwa dann, wenn das Land in einer strukturschwachen Region einem Großunternehmer zusagt, die Kosten für die nötige Sicherung einer geplanten Anlage mitzutragen. Ähnliches gilt, wenn die Gemeinde den Veranstalter eines prestigeträchtigen Großereignisses von Reinigungs- und Sicherungspflichten befreit. 16 Aber das sind Ausnahmen, welche die Regel bestätigen: Die Genehmigung als solche enthält gerade noch keine Freizeichnung. 17 Der Streit um die „Legalisierungswirkung" ist damit nicht mehr und nicht weniger als ein Streit um die allgemeinen Grenzen der Störerhaftung. Nichts anderes war das Thema dieser Arbeit.

15 16 17

Fluck, VerwArch. 79 (1988), S. 406,421. Ein weiteres Beispiel bei Leisner, UTR 12 (1990), S. 217, 226 f. So auch Frenz, Verursacherprinzip, S. 331.

Thesen 1. Die Grundregeln der Zurechnung verlaufen quer zu der Einteilung der verschiedenen Spezialgesetze. Auch die speziellen (gesetzlichen) Regelungen folgen überwiegend allgemeinen (dogmatischen) Regeln. Das Mehr an speziellen Regelungen macht die Suche nach den allgemeinen Regeln nicht entbehrlich, sondern um so notwendiger (Einleitung). 2. Die Zurechnung im Polizeirecht besteht aus einem funktionsspezifischen und einem funktionsunspezifischen Teil: Anders als im Zivilrecht begründet der privatrechtliche Vertrag keine Polizeipflichten. Und anders als bei Repression (Strafe) und Restitution (Schadensersatz) wird für die Zurechnung im Fall der Prävention kein Verschulden benötigt. Im Übrigen bleibt die Zurechnung an die anderen Rechtsgebiete gekoppelt. Das heißt: Auch die Störerhaftung setzt eine objektive Pflichtverletzung voraus; Effektivität ist in diesem Bereich kein taugliches Kriterium (1. Teil). 3. Die Unterscheidung von Verhaltens- und Zustandsstörer bleibt für die Zurechnung folgenlos. Ob die Gefahr von einem Verhalten (Verhaltenshaftung) oder einer Sache (Zustandshaftung) ausgeht, spielt keine Rolle. Maßgeblich ist allein, dass die Gefahr im eigenen Herrschaftskreis - Verhalten und Sachen eingeschlossen - ihren Ursprung hat (2. Teil). 4. Die Herrschaft über eine Gefahrenquelle begründet noch keine Störerhaftung. Auch im Zurechnungssystem des Polizeirechts hat deshalb die sogenannte Gewalthaberhaftung keinen Platz. Die äußere Nähe (physische Verbindung von eigenem Herrschaftskreis und Gefahrenquelle) erzeugt noch keine normative Nähe (wertende Verbindung von Person und Gefahr). Herrschaft als solche kann - wenn überhaupt - zur Gefahrtragung oder Nichtstörerhaftung führen (3. Teil). 5. An die Stelle der Zweiteilung von Verhaltens- und Zustandshaftung müssen andere Unterscheidungen treten, nämlich: die Trennung von Gefahrenverantwortlichkeit und Gefahrtragung als zwei Modi der Risikoverteilung; die von echter Verpflichtung und solidarischer Aufopferung (Störerhaftung und Nichtstörerhaftung) als zwei Varianten der Verantwortlichkeit; sowie die von Nichtstörungspflichten und Schutzpflichten (negative und positive Pflichten) als zwei Arten der Störerhaftung (4. Teil). 6. Verengt man den Blick auf die Nichtstörungspflichten (Verursacherhaftung), kann man weiter zwischen der konkurrenzlosen (unmittelbaren) Verursachung und der konkurrierenden (mittelbaren) Verursachung trennen. Im

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Thesen

ersten Fall lässt sich die Gefahr ausschließlich mit Risiken erklären, die vom Machtbereich des Störers ausgehen. Im zweiten Fall wird der Zurechnungszusammenhang durch Fremdrisiken gestört. Zu diesen Fremdrisiken zählen: das pflichtwidrige Handeln Dritter, das obliegenheitswidrige Handeln des Opfers, katastrophale Einwirkungen aus der Umwelt sowie die rückwirkende Neubewertung einer Lage (5. TeilA-E). 7. Im Fall der unmittelbaren Verursachung haftet die Person immer als Störer; im Fall der mittelbaren Verursachung nur dann, wenn die Person durch ihr Handeln einen besonderen Grund für die erweiterte Haftung liefert. Im Wesentlichen lassen sich zwei Gründe nennen: Die Zurechnung wird erstens ausgeweitet, wenn die Person ihr Handeln im konkreten Fall an die Gefahr anpasst (erweiterte Haftung bei Anpassung). Die leitende Unterscheidung ist dann die von angepasstem und stereotypem Handeln. Zur erweiterten Haftung kommt es zweitens auch dann, wenn das Handeln der Person generell besonders riskant ist (erweiterte Haftung bei Sonderrisiken). Die leitende Unterscheidung ist dann die von normal riskantem und besonders riskantem Handeln (5. Teil F y G). 8. Subjektive Umstände - Kenntnis oder Absicht - führen im Polizeirecht nicht zur erweiterten Haftung. Allerdings muss bei der aus anderen Gründen erweiterten Haftung (Anpassung, Sonderrisiko) auch das eigene Sonderwissen eingebracht werden (5. Teil H). 9. Die Person haftet für mittelbar verursachte Gefahren auch dort, wo sie gegenüber unzurechnungsfähigen Dritten besondere Rücksicht üben muss. Mit dieser Variante der erweiterten Zurechnung ist schon der Übergang von den negativen Pflichten (NichtStörung, Verursachung) zu den positiven Pflichten (Schutz) eingeleitet (5. Teil J). 10. Die Genehmigung als solche liefert keine Rechtfertigung; sie enthält keine Gefahrenübernahme durch den Staat. Im Gegenteil kann gerade die Genehmigungspflicht Indiz für eine erweiterte Haftung sein (Anhang).

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Erfolgsunrecht oder Handlungsunrecht, in: NJW 1957, S. 1707 f.

Sachwortregister Abfallrecht 13, 127 Absicht 166, 185 ff. Abwägung 21,156, 188 f., 193 Adäquanz. Siehe Vorhersehbarkeit Ahnenbrühefall 183 Alternativverhalten - rechtmäßiges 144 Anpassung 130, 157 ff., 165 ff., 185,190, 192, 194, 197 Arbeits- und Gewerbeerlaubnis 139 Aufopferung 32, 46, 101, 106,108, 116 ff., 170,184, 203 Ausnahmebewilligung 199 Ausnahmegenehmigung 173, 201

Einheit der Rechtsordnung 18 Eltern 121, 124 ff., 194 ff. Enteignung 120, 133 f. Entschädigungsanspruch 104, 107 Erfolgshaftung 41, 74, 153 Erfolgsunrecht 20, 142 f. Erkennbarkeit. Siehe Vorhersehbarkeit Erlaubnis 143 f., 170, f., 198 ff. Eröffnung eines Verkehr 167, 180 Erwartungssicherheit 21 Ewigkeitshaftung 96, 99 Existenzgefährdung 113, 115 Exzess 138, 139 Exzesslärm 138

Berufsfreiheit 51 Besitz 43 ff., 55 ff., 63 f., 109 f. Besitzaufgabe. Siehe Dereliktion Besitzentzug. Siehe Depossedierung Betreiber 63 f., Betreuer 125 f., 141, 194 f., Bezweckbarkeit 60 Bodenschutzrecht 13

Flughafensicherung 43, 70, 76,160, 176, 182 Frieden - öffentlicher 113, 115 Fund 81, 87, 94, 105

Demonstration. Siehe Versammlung Denkmalschutz 134 Depossedierung 133 Dereliktion 95 ff. Dispens. Siehe Ausnahmegenehmigung Drittbeteiligung 158 f. Duldungspflicht 32, 118 Effektivität 21 ff., 89 ff., Eigentum 24, 26, 28, 30, 45 ff., 55 ff., 80, 83, 109, 133 f., 169, 173 Eigentumsfreiheit 37,41, 49, 50 ff., 86 Eigentumsvorbehalt 98 Eingliederung 94, 132, 137 f.

Gebrauchsüberschreitung. Siehe Exzess Gefahr 17,19 f. Gefährdungshaftung 13, 18, 34, 67, 74, 84, 93, 102,153, 171 ff. Gefahrenquelle 71 ff., 92 ff. - abgedrängte Gefahrenquelle 95 - aufgedrängte Gefahrenquelle 91 Gefahrenstoffe 91, 100, 175 f., 178 Gefahrentendenz - erhöhte 171, 177 Gefahrenübernahme 104, 112 f., 198, 201, 204 Gefahrenverantwortung. Siehe Verantwortung Gefahrtragung 11, 16, 35 f., 87, 89, 101 ff. Gemeinwohlbezug 29

228

Sachwortregister

Genehmigung 16, 33,143 f., 170,173, 178, 183,198 ff. Geschäftsführung ohne Auftrag 32 Gewalthaberhaftung 70 ff., 103 ff. Großanlage 45, 62, 143, 175 Großveranstaltung 148, 181 Grundpflichten 117,122 ff., 163 Güterabwägung 23 Gütersicherheit 21 ff., 155,193 Haftung - erweiterte 153 ff., 165 ff., 171 ff. - solidarische 32, 119, 125, 188, 194 Handlung 66, 130 ff. Handlungsfreiheit 49, 50, 51, 52, 56, 126 Handlungsunrecht 19f., 59, 142 f., 165 Herrschaft 46 ff., 55 ff., 70 ff., 133 ff. - partielle 135, 137 - rechtliche 96,133 - tatsächliche 54, 88 - umfassende 133 Herrschaftskreis 47, 60f., 65 f., 71 f., 130 ff. Intentionalität 60 ff. Katastrophe 114, 162, 176 Katastrophenlage 115 Katastrophenschwelle 114,176 Kausalität 38, 39 f., 42 f., 53, 55, 59, 146, 149,151, 155 - juristische Kausalität 39,42 - naturale 39 - naturwissenschaftliche 39,42, 53, 59, 146, 149 Kenntnis 130, 166, 185 ff. Kostenersatz 181 Legalisierungswirkung 29,198, 202 Machtbereich. Siehe Herrschaftskreis Massenveranstaltung. Siehe Großveranstaltung Mindestsolidarität 32, 196

Müll 13, 73,138,179 Nachhaftung 54, 91, 95 ff., 187 Nachsicherung 163 f., 170, 178, 201 Natureinflüsse 72,150 Naturschutz 134, 180 Nebenpflichten, gesetzliche 31 Negativschatz 105 Nichtstörer 11, 32,46, 90,101,104 ff., 116 ff., 169 ff., 177,183,196 Nichtstörungspflicht 113,121 ff., 151, 194 Notstand 32, 118,126, 188, 193 Notstandslage 188 Obliegenheitsverletzung 152 Opfer 34, 77, 118, 151 f., 155,158 f., 169, 194 ff. Organisationskreis. Siehe Herrschaftskreis Person - juristische, natürliche 57 Persönlichkeitshaftung 131 Pflichten, negative. Siehe Nichtstörungspflicht Pflichten, positive. Siehe Schutzpflicht Pflichtwidrigkeit 19, 26 f., 32 f., 119, 140 ff. Polizeigesetz 50 Polizeipflicht 17 ff. Polizeirecht 11 f., 17 ff. Polizeirechtsdogmatik 12 Polizeiwidrigkeit 19 Prävention 22, 26, 28, 188, 203 Primärebene 117,119 f., 181 Prinzip 15, 26 f., 55, 75, 88 Privatnutzen 44 Produkthaftung 86, 182 Rechtfertigung. Siehe Legalisierungswirkung Rechtssicherheit 21, 24 Rechtsvorgänger 94 Regelungsänderung 159, 162, 164, 177

Sachwortregister

Repression 22, 28, 203 Restitution 22, 28,203 Restrisiko 172 Risiko, erlaubtes 34, 142 Risikorealisierung. Siehe Risikoverwirklichung Risikoschaffung 69, 82, 129 ff., Risikosphäre 27, 76, 78, 79, 80, 84, 91 Risikoverteilung 19, 22, 72 ff., 80 ff., 102 ff. Risikoverwirklichung 60 Rücksichtnahme 31, 158 f., 159, 194 ff. Sachgefahren 59 ff. Sachherrschaft 43, 46,48, 51, 54 ff., 71 ff., 91 ff. Schaden 24,31,101, 104 ff. Schadensersatz 22, 26, 31, 34, 106, 173, 188 Schaufensterfall 156,167 Schuldübernahme 127 Schutzpflicht 118,121 ff., 194 Schutzzweck der Norm 144 Schweinemäster 164 Sekundärebene 90, 119 f., 181 Selbstverantwortlichkeit 156 Selbstverpflichtung. Siehe Versprechen Sicherheit 21 ff. Sicherungspflicht 20,44, 97, 151, 179 Sonderbeziehung 124 ff., 194 f. Sondernutzung 172,174, 177,182 ff., 199 Sonderopfer 32, 107 f. Sonderrisiko 34, 67, 171 ff. Sonderwissen 34, 185 ff., 204 Sozialadäquanz 69, 145 Sozialbindung 83, 122 Spezialgesetz 11 ff., 175 Standard 165 ff., 186 ff. Status 101, 121, 123, 125 Störerbegriff 14, 19, 57, 64, 149 Strafrecht 13, 21 ff., 121, 165,186 Straßen und Wege, öffentliche 182 Straßenverkehr 172, 174, 193,197

Systemakzessorietät 18 Tumult 115 Typizität 60, 154, 191 Umweltadäquanz 146,152 Umweltein Wirkung 159 Umweltrecht 86, 118 f. Unglück 114, 161, 162, 179 Unmittelbarkeit 32 ff., 69, 73,141, 149, 153 Verantwortlichkeit 47, 101 ff. Verantwortungskreis 46, 72, 79 Verbot - präventives, repressives 199 Verfügungsgewalt 41,44, 46, 57,125,131 Verhaltensgefahren 37,49, 65, 74 Verhaltenshaftung 37, ff., 121, 131, 163, 186, 203 Verhaltensstörer. Siehe Verhaltenshaftung Verhältnismäßigkeit 23 f., 27, 155 Verkehrssicherung 34 Verkehrswert 70, 103, 110, 186, 191 f. Verrichtungsgehilfe 58,135 Verrichtungsherr 58,132, 135 f. verrichtungstypisch 135 Versammlung 24, 33,149, 168,180, 187 Versammlungsfreiheit 24, 51 Verschulden 25 f., 73, 77, 173,189, 203 Versicherung 112 ff. Versprechen 126 ff. Vertrag 21, 29 f., 127, 203 Verursacherhaftung 73 ff., 129 ff. Verursachung - mittelbare 33, 130, 150 ff. - pflichtwidrige 130, 143, 149, 160 - unmittelbare 33, 130, 150,154 Verwaltungshelfer 127 Vorhaftung 91, 94, 99 Vorhersehbarkeit 20, 25, 26, 146 ff. Wahrscheinlichkeit. Siehe Vorhersehbarkeit

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Wasserhaushaltsgesetz 13 Weisung 58, 136 Wissen. Siehe Kenntnis Zivilrecht 13, 21 ff., 77, 144 Zufallshaftung 74, 174 Zumutbarkeit 78 f., 103, 115, 188 Zurechnung - objektive 26, 142

Sachwortregister

- subjektive 77 Zurechnungsfähigkeit 196 Zurechnungsformel 35 Zusatzhaftung 54, 63 Zustandshaftung 43 ff., 70 ff., 101 ff. Zustandsstörer. Siehe Zustandshaftung Zweckentfremdung. Siehe Exzess Zweckveranlassung 157, 186