Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren und nach dem Polizeirecht: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das deutsche Strafverfahren [1 ed.] 9783428540846, 9783428140848

Bereits seit den 1970er Jahren sind die Eingriffs- und Überwachungsbefugnisse des Staates erheblich ausgeweitet worden,

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German Pages 166 Year 2014

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Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren und nach dem Polizeirecht: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das deutsche Strafverfahren [1 ed.]
 9783428540846, 9783428140848

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Schriften zum Prozessrecht Band 234

Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren und nach dem Polizeirecht Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das deutsche Strafverfahren

Von Sabine Ottow

Duncker & Humblot · Berlin

SABINE OTTOW

Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren und nach dem Polizeirecht

Schriften zum Prozessrecht Band 234

Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren und nach dem Polizeirecht Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das deutsche Strafverfahren

Von Sabine Ottow

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster hat diese Arbeit im Wintersemester 2012/2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Buch Bücher de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-14084-8 (Print) ISBN 978-3-428-54084-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84084-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012/2013 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur konnten bis Februar 2012 berücksichtigt werden. Ganz herzlich danke ich Frau Prof. Dr. Ursula Nelles, die mein Interesse für das Promotionsthema geweckt und diese Arbeit betreut hat, sowie Herrn Prof. Dr. Tido Park für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank gilt meiner Familie, allen voran meiner Mutter Ingelore Ottow sowie meinem Bruder Christian Ottow, die mir stets Rückhalt gegeben und mich unterstützt haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Dezember 2013

Sabine Ottow

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Einleitung

15

Zweites Kapitel Der Anfangsverdacht

19

A. Die begrenzende Funktion des Anfangsverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Die geringen Anforderungen des Anfangsverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 C. Die tatsächliche Definitionsmacht der Polizei über den Anfangsverdacht . . . . . . . . . . 25 D. Grundrechtseingriffe infolge der Annahme eines Anfangsverdachts . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Grundrechtseingriffe, die mit der bloßen Durchführung des Ermittlungsverfahrens einhergehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Grundrechtseingriffe durch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . 36 E. Mögliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 I. Bestehende Überprüfungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Vereinbarkeit mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG? . . . . . . . . . . . 41 III. Die Umsetzung des erforderlichen Rechtsschutzes de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Rechtsbehelf gemäß §§ 23 ff. EGGVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Rechtsbehelf gemäß § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 F. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Drittes Kapitel Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken

53

A. Das Ausforschen mittels GPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

8

Inhaltsverzeichnis

B. Das Mobilfunkgerät als Erkenntnislieferant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Der IMSI-Catcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 II. Die Verkehrsdatenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Die Verkehrsdatenerhebung zum Zwecke der Standortermittlung eines bestimmten Mobilfunkgerätes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Die Funkzellenabfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Verkehrsdatenerhebung und Vorratsdatenspeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 C. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Viertes Kapitel Der Richtervorbehalt

71

A. Die rechtsstaatliche Bedeutung des Richtervorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 B. Die Realität des Richtervorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 C. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Fünftes Kapitel Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

81

A. Die Hintergründe vorbeugender Verbrechensbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 B. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung und Gefahrenabwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 83 C. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung zur Straftatenverhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 D. Die flächendeckende Videoüberwachung öffentlicher Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 E. Die umfänglichen Möglichkeiten der Weiterverwendung der Informationen für Zwecke des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 F. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Sechstes Kapitel Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes

102

A. Mangelnde Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 B. Weitreichende Parallelzuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 C. Unklare Verfahrensherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Inhaltsverzeichnis

9

D. Die umfassenden neuen Eingriffsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 I. Der verdeckte Eingriff in informationstechnische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 II. Die Rasterfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 E. Grundrechtssichernde Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Der unzureichende Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung . . . . . . . . 114 II. Der unzureichende Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen . . . . . . . . 116 III. Die weitreichenden Möglichkeiten der Datenverwendung und ihrer Übermittlung an andere Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 F. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Siebtes Kapitel Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

121

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl (RbEuHb) . . . . . . . . . . 122 1. Das Auslieferungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Die materiellen Auslieferungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 80 IRG . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Die Bewilligungshindernisse des § 83b Abs. 2 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Der Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung (RbEuBa) . . . . . . 132 1. Der Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Verfahren und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Die Verwendung personenbezogener Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Die weitere Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung seit dem Vertrag von Lissabon – Auf dem Weg zu einer Europäischen Ermittlungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Der Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Das Stockholmer Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Vom Grünbuch zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat zum Entwurf für eine Richtlinie über eine Europäische Ermittlungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 B. Die Strafverteidigung in grenzüberschreitenden Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 C. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

10

Inhaltsverzeichnis Achtes Kapitel Fazit und Ausblick

151

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Abkürzungen a.A. ABl. Abs. a.E. AEUV a.F. AG Anm. AO Art. AWG Az. BÄO BayDSG Bay PAG BayVerfGH Bd. BfV BGB BGBl. BGH BKA BKAG BMI BMJ BND BRAK BRAO BRD BR-Drs. BT-Drs. BVerfG BVerfSchG BVerwG bzw. ca. ders. d. h. dies. DÖV DRiZ

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union Absatz am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Amtsgericht Anmerkung Abgabenordnung Artikel Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen Bundesärzteordnung Bayerisches Datenschutzgesetz Bayerisches Polizeiaufgabengesetz Bayerischer Verfassungsgerichtshof Band Bundesamt für Verfassungsschutz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeskriminalamt Bundeskriminalamtgesetz Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesnachrichtendienst Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrepublik Deutschland Drucksache des Deutschen Bundesrates Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsschutzgesetz Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise circa derselbe das heißt dieselbe Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung

12 Drs. DuD EAG EBA EEA EG EGGVG EGKS EGV EJN EMRK EU EuGH EuHbG EUV f. FBI ff. FS GA GASP GBA gem. GG ggf. GMBl. GPS GVG HbgPolDVG HK h.M. HRRS Hs. IMEI IMSI IP IRG i.S.d. IT i.V.m. JAO JR JuS JZ Kfz KJ KK K&R

Abkürzungen Drucksache Datenschutz und Datensicherheit Europäische Atomgemeinschaft Europäische Beweisanordnung Europäische Ermittlungsanordnung Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäisches Justizielles Netz Europäische Menschenrechtskonvention Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäisches Haftbefehlsgesetz Vertrag über die Europäische Union folgende Federal Bureau of Investigation fortlaufend folgende Festschrift oder Festgabe Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinsames Ministerialblatt Global Positioning System Gerichtsverfassungsgesetz Hamburgisches Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei Heidelberger Kommentar herrschende Meinung Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht Halbsatz International Mobile Equipment Identity International Mobile Subscriber Identity Internetprotokoll Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen im Sinne der/des Informationstechnik in Verbindung mit Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen Juristische Rundschau Juristische Schulung JuristenZeitung Kraftfahrzeug Kritische Justiz Karlsruher Kommentar Kommunikation & Recht

Abkürzungen KUP LG LKV LPG LR LVerfG MV MAD ME PolG MMR m.w.N. NdsSOG n.F. NJOZ NJW NK Nr. NRW NStZ NVwZ NWVerfSchG OLG OrgKG OVG OWiG PJZS POG PolG BW PolG NRW RAF Ratsdok. RbEuBa RbEuHb RIEEA-E RiStBV Rn. S. SIM SIS SK SMS sog. SOG MV StGB StPO StPO-E StraFo

13

Kriminologie und Praxis Landgericht Landes- und Kommunalverwaltung Landespressegesetz Löwe/Rosenberg Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Amt für den Militärischen Abschirmdienst Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder MultiMedia und Recht mit weiteren Nachweisen Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Kriminalpolitik Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen Oberlandesgericht Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität Oberverwaltungsgericht Ordnungswidrigkeitengesetz Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Polizeigesetz Baden-Württemberg Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen Rote Armee Fraktion Ratsdokument Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl Entwurf für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Randnummer Seite Subscriber Identity Module Schengener Informationssystem Systematischer Kommentar Short Message Service sogenannte Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafprozessordnung-Entwurf Strafverteidiger Forum

14 StV StVollzG SÜG TH PAG TKG u. a. Urt. usw. u. U. v. VE ME PolG

Abkürzungen

Strafverteidiger Strafvollzugsgesetz Sicherheitsüberprüfungsgesetz Thüringer Polizeiaufgabengesetz Telekommunikationsgesetz unter anderem Urteil und so weiter unter Umständen vom Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche z. B. zum Beispiel ZBR Zeitschrift für Beamtenrecht ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStVBetrVO Verordnung über den Betrieb des zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregisters ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zust. zustimmender

Erstes Kapitel

Einleitung Die Möglichkeiten staatlichen Ausforschens werden fortwährend erweitert – sei es unter dem Deckmantel der Prävention oder offen zu Zwecken der Strafverfolgung. Bereits seit den 70er Jahren hat es eine innenpolitische Aufrüstung ohnegleichen gegeben, zunächst angeheizt durch den Terrorismus der Rote Armee Fraktion (RAF)1, dann durch die Organisierte Kriminalität2, später durch den islamistischen Terrorismus3 und in jüngster Vergangenheit durch den rechtsextremen Terrorismus. 1 Als Reaktion auf den Terrorismus insbesondere der RAF hat der Gesetzgeber u. a. das Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO, des GVG, der BRAO und des StVollzG vom 18. 8. 1976 (BGBl. I 1976, 2181), das den Straftatbestand der Bildung terroristischer Vereinigungen gemäß § 129a StGB einführt und hieran die Überwachung des Schriftverkehrs zwischen einem Inhaftierten und seinem Verteidiger gemäß § 148 Abs. 2 StPO, die Anordnung der Untersuchungshaft ohne Vorliegen eines Haftgrundes gemäß § 112 Abs. 3 StPO und die primäre Ermittlungszuständigkeit des GBA gemäß §§ 120 Abs. 1 Nr. 6, 142a Abs. 1 S. 1 GVG knüpft, das Gesetz zur Änderung der StPO vom 14. 4. 1978 (BGBl. I 1978, 497), das u. a. die Durchsuchung von Gebäuden gemäß § 103 Abs. 1 S. 2 StPO, die Einrichtung von Kontrollstellen gemäß § 111 StPO und die Identitätsfeststellung gemäß §§ 163b, 163c StPO einführt, sowie das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19. 12. 1986 (BGBl. I 1986, 2566), das u. a. die modifizierte Wiedereinführung der Strafbarkeit wegen Anleitung zu Straftaten gemäß § 130a StGB, die Neufassung von § 129a StGB sowie die Erweiterung der Primärzuständigkeit des GBA gemäß §§ 120 Abs. 2, 142a Abs. 1 S. 1 GVG vorsieht, erlassen; vgl. ausführlich Schulte, Terrorismus und Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, S. 90 ff. 2 Durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. 7. 1992 (BGBl. I 1992, 1302) hat der Gesetzgeber u. a. gesetzliche Grundlagen für die Rasterfahndung (vgl. §§ 98a, 98b StPO) und den Einsatz technischer Mittel zu Ermittlungszwecken (vgl. §§ 100c, 100d StPO) geschaffen sowie durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. 5. 1998 (BGBl. I 1998, 845) u. a. in § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO die akustische Wohnraumüberwachung, den sog. Großen Lauschangriff, eingeführt. 3 Als Reaktion auf den islamistischen Terrorismus hat der Gesetzgeber u. a. das Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 9. 1. 2002 (BGBl. I 2002, 361), das etwa die Kompetenzen der Geheimdienste erweitert (vgl. Art. 1 bis 3 Terrorismusbekämpfungsgesetz) und die Beschaffung und Verwertung von Daten in der BRD lebender Personen erleichtert (vgl. Art. 5, 7, 8, 11, 18 Terrorismusbekämpfungsgesetz), das Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder (Gemeinsame-Dateien-Gesetz) vom 22. 12. 2006 (BGBl. I 2006, 3409), das die Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern (vgl. Art. 1 Gemeinsame-Dateien-Gesetz) sowie die Errichtung gemeinsamer Projektdateien von BfV, MAD, BND, den Polizeibehörden des Bundes und der Länder, dem Zollkriminalamt sowie den Landesbehörden für Verfassungsschutz (vgl. Art. 2 bis 4 Gemeinsame-Dateien-Gesetz) ermöglicht, das Gesetz zur Ergänzung

16

1. Kap.: Einleitung

Der Staat kommt, wie es Hirsch4 formuliert, „nicht mit den pflasterknallenden Stiefeln der Macht, sondern auf den leisen Sohlen wohlmeinender Entmündigung“. Er lässt seine Bürger datenmäßig durchrastern, überwacht sie mit Videokameras, belauscht sie in ihren Wohnungen, zwingt sie, sich auf ihren Wegen auszuweisen, und speichert ihre Daten. Von einer übereifrigen Politik der Inneren Sicherheit werden, so macht es den Anschein, Kriminalität und Terrorismus gar als dankbarer Anlass genommen, um (alte) Forderungen nach weiter reichenden Überwachungsmöglichkeiten zu legitimieren.5 So beschwor der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich aus Anlass der Anschläge der Zwickauer Zelle erneut die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung.6 Obschon allseits eingeräumt worden war, dass gravierende Ermittlungspannen der Sicherheitsbehörden ein frühzeitiges Aufspüren der Terroristen vereitelt hatten,7 wird nun einem vermeintlichen Defizit an staatlichen Überwachungsmöglichkeiten die Schuld zugewiesen. Und wieder wird der Ruf nach neuen Eingriffsbefugnissen laut. Dabei ist gemeinsamer Nenner vieler neuer Ausforschungs- und Überwachungsmaßnahmen, wie etwa der Funkzellenabfrage oder der Rasterfahndung, dass sie nicht mehr allein Verdächtige oder, in der Terminologie des Polizeirechts, sog. Störer betreffen, sondern auch und sogar überwiegend in die Grundrechte unbeteiligter Dritter eingreifen.8 Zudem wurden die Voraussetzungen staatlichen Einschreitens unter dem Etikett der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung gravierend abgesenkt. So genügt nach den Polizeigesetzen bereits der diffuse Verdacht einer noch gar nicht geplanten, sondern nur möglichen Tat, um den Bürger auszuspionieren.9 Mit dieser Aufgabenzuweisung verwischen jedoch die Grenzen von Prävention und Repression und

des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 5. 1. 2007 (BGBl. I 2007, 2), das u. a. den Anwendungsbereich der Auskunftsbefugnisse des BfV ausweitet und deren Eingriffsschwellen absenkt (vgl. § 8a BVerfSchG), diese ferner unter spezifizierten Voraussetzungen auch für die übrigen Geheimdienste des Bundes gelten lässt (vgl. § 4a MADG, § 2a BNDG) sowie die Befugnis der Geheimdienste des Bundes zur Ausschreibung von Personen im Schengener Informationssystem (SIS) einführt (vgl. § 17 Abs. 3 BVerfSchG), und das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. 12. 2008 (BGBl. I 2008, 3083), das dem BKA in § 4a BKAG die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus zuweist (vgl. ausführlich Sechstes Kapitel), erlassen. 4 Hirsch, in: Die Zeit v. 3. 3. 2005. 5 Vgl. Hirsch, ZRP 2008, 24 f. 6 Vgl. Hamburger Abendblatt v. 26. 11. 2011. 7 Vgl. nur die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Interview mit der Passauer Neue Presse v. 24. 11. 2011. 8 Vgl. Wolter, in: Rudolphi-FS, S. 733, 737 ff. 9 Vgl. Hohmann-Dennhardt, NJW 2006, 545, 548.

1. Kap.: Einleitung

17

der Bürger droht vom Schutzobjekt zur Erkenntnisquelle zu pervertieren, die umfassend abgeschöpft wird.10 Die Erkenntnisse, die der Staat über den Bürger erlangt, ohne dass dieser hierfür einen irgendwie gearteten Anlass gesetzt hätte, können dann von den Strafverfolgungsbehörden zur Einleitung gegen ihn gerichteter Ermittlungsverfahren fruchtbar gemacht werden. Da die Anforderungen des Anfangsverdachts sehr gering sind, genügen schon vage Erkenntnisse, um zum Beschuldigten zu werden. Dabei drängt sich gerade in Zeiten eines unter dem Banner der Inneren Sicherheit geführten Kampfes gegen das Böse, in denen das Strafrecht als prima ratio neuen Zulauf erfährt, der Eindruck auf, dass die Verdächtigung nicht selten nach Maßgabe politischer Strömungen und behördeninterner Diensthermeneutik erfolgt.11 Gleichwohl hat der Beschuldigte keine Möglichkeit, die Verfahrenseinleitung gerichtlich überprüfen zu lassen. Schließlich dominieren auch auf europäischer Ebene Sicherheitsbestrebungen die Rechtspolitik. Um einer möglichst effektiven Strafverfolgung auf den Weg zu helfen, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Instrumente gegenseitiger Anerkennung, wie der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und der Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung, geschaffen, hinter denen die Durchsetzung von Beschuldigtenrechten zurücksteht. Gemeinsame Mindestverfahrensstandards existieren nicht und auch ein Gegengewicht zu den europäischen Strafverfolgungsinstitutionen in Gestalt einer zentralen europäischen Strafverteidigungsstelle konnte sich bislang nicht etablieren.12 Die Liste der rechtsstaatlichen Defizite ist lang und kann hier nicht abschließend erörtert werden. Diese Arbeit soll aus der Perspektive des Bürgers als dem primären Adressaten des Straf- bzw. Strafverfahrensrechts und des Polizeirechts die vorgenannte Entwicklung, die seine Grundrechte mehr und mehr zu erodieren droht, analysieren. Schlaglichtartig sollen hierfür verschiedene und sich wechselseitig verstärkende Entwicklungsstränge beleuchtet werden, die die rechtsstaatlichen Grenzen der Verbrechensbekämpfung zunehmend aufweichen und ihr Gepräge nachhaltig verändern. Dabei ist zentrale Frage dieser Untersuchung, ob die staatliche Verbrechensbekämpfung ihrer derzeitigen normativen und faktischen Struktur nach noch hinreichend Raum für einen effektiven Grundrechteschutz lässt oder ob sie vielmehr in toto eine grundrechtsfeindliche Ausrichtung angenommen hat und damit rechtsstaatswidrig ist. Im Einzelnen ist zunächst darauf einzugehen, ob das Erfordernis des Anfangsverdachts staatliches Einschreiten zu repressiven Zwecken wirksam begrenzen und damit eine beliebige staatliche Zweckvereinnahmung des Bürgers verhindern kann. Dabei muss auch in den Blick genommen werden, wie es sich auswirkt, dass de facto 10 11 12

Vgl. Hohmann-Dennhardt, NJW 2006, 545, 548. Schulz, StraFo, 295, 298. Vgl. Gleß, StV 2010, 400, 404 ff.

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1. Kap.: Einleitung

in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Polizei das Ermittlungsverfahren verantwortet. Darüber hinaus ist zu untersuchen, welche rechtlichen und tatsächlichen Nachteile mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens für den Betroffenen einhergehen und ob ihr Ausmaß einen Rechtsschutz gegen die Entscheidung der Verfahrenseinleitung erforderlich macht. In einem weiteren Schritt ist zu eruieren, wie umfangreich der Beschuldigte mittlerweile durch neue Ermittlungstechniken ausgeforscht werden kann und ob die Dimension der gesetzlichen Ausforschungsmöglichkeiten die Grenzen rechtsstaatlicher Verbrechensbekämpfung bereits überschritten hat. Exemplarisch sollen hier die Überwachung per GPS und die Nutzung des Mobilfunkgerätes als Erkenntnislieferant der Strafverfolgungsbehörden näher beleuchtet werden. In diesem Zusammenhang ist dann ebenfalls zu untersuchen, ob die rechtsstaatliche Sicherung des Richtervorbehalts, die der Gesetzgeber bei vielen Ermittlungsmaßnahmen auf der Grundlage der StPO vorgesehen hat, tatsächlich effektiv ist. Den Ausführungen zum repressiven Strafverfolgungsrecht schließt sich eine Darstellung des Konzepts der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung an, vermöge dessen der Bürger schon weit im Vorfeld von Anfangsverdacht und konkreter Gefahr durchleuchtet werden kann. Hierbei ist zu analysieren, ob die vom Gesetzgeber vorgesehenen Eingriffshürden staatliches Einschreiten zu vorgeblich präventiven Zwecken effektiv eingrenzen oder ob der Bürger vielmehr beliebig dem Zugriff der Sicherheitsbehörden ausgesetzt ist. Daran anknüpfend ist auch auf die Ausweitung des Konzepts der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung auf das Bundeskriminalamt einzugehen, das im Zuge der Novelle des Bundeskriminalamtgesetzes nun ebenfalls weitreichende Kompetenzen zur Vorfeldaufklärung erhalten hat. Ein abschließender Blick wird auf die Auswirkungen der europäischen Kriminalpolitik auf den von grenzüberschreitender Strafverfolgung betroffenen Bürger geworfen. Hierbei ist insbesondere zu untersuchen, ob die europäische Gesetzgebung auch dessen Rechte im Blick hat oder ob sie vielmehr einseitig Strafverfolgungsinteressen effektuiert. Das Zusammenfügen dieser verschiedenen Einzelaspekte vermittelt dann ein Bild der derzeitigen Struktur staatlicher Verbrechensbekämpfung, das die rechtsstaatlich unabdingbare Notwendigkeit einer grundlegenden Neuausrichtung zu Tage fördern könnte.

Zweites Kapitel

Der Anfangsverdacht Der Anfangsverdacht ist der Schlüssel zu sämtlichen repressiven Eingriffsmaßnahmen. Sein Vorliegen trennt die Verdächtigen von den Unverdächtigen und erlaubt dem Staat, Erstere den Belastungen eines Ermittlungsverfahrens auszusetzen und auf der Basis der StPO in ihre Grundrechte einzugreifen. Umgekehrt soll er sicherstellen, dass „unbescholtene“ Bürger von staatlicher Zweckvereinnahmung verschont bleiben. Auf diese wichtige Funktion des Anfangsverdachts sowie auf seine diesbezügliche Eignung soll nachfolgend näher eingegangen werden. Dabei sind zunächst die tatbestandlichen Voraussetzungen des Anfangsverdachts daraufhin abzuklopfen, ob sie staatliches Einschreiten de facto wirksam begrenzen können. Zudem ist zu untersuchen, wie es sich auswirkt, dass tatsächlich die Polizei über sein Vorliegen entscheidet. In einem weiteren Schritt sind dann die mit der Verfahrenseinleitung für den Beschuldigten einhergehenden Beeinträchtigungen zu beleuchten und es ist zu eruieren, ob diese mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG einen Rechtsschutz gegen die Verfahrenseinleitung erforderlich machen.

A. Die begrenzende Funktion des Anfangsverdachts Dem in § 152 Abs. 2 StPO normierten Anfangsverdacht kommt eine rechtsstaatlich bedeutsame Funktion zu: Sein Vorliegen verpflichtet bzw. berechtigt die Strafverfolgungsbehörden nicht nur zum Einschreiten, er markiert gleichsam auch die Grenze repressiver Ermittlungstätigkeit. Ohne das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten dürften die Strafverfolgungsbehörden nicht einschreiten.1 Insoweit besteht ein repressives Ermittlungsverbot.2 Mit dieser Limitierung strafrechtlicher Ermittlungen soll verhindert werden, dass der Staat ganze Felder des sozialen Lebens seiner Bürger durchleuchtet, nur weil die Möglichkeit besteht, dass dabei Straftaten ans Licht gefördert werden.3 Ohne Anfangsverdacht hat jedem Menschen gegenüber die Redlichkeitsvermutung zu 1

Zu den sog. Vorermittlungen (z. B. durch formlose informatorische Befragung) zwecks Klärung der Frage, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, siehe ausführlich Wölfl, JuS 2001, 478. 2 Lisken, ZRP 1994, 264, 268; Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 39; Rogall, ZStW 1991, 907, 945. 3 LR-Beulke, § 152 Rn. 22 m.w.N.

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

gelten.4 Erst nach dem Überschreiten der Schwelle des Anfangsverdachts dürfen sämtliche Maßnahmen einsetzen, die auf die Strafverfolgung ausgerichtet sind.5 Die begrenzende Funktion des Anfangsverdachts folgt nicht nur aus der prozessualen Norm des § 152 Abs. 2 StPO. Einfachgesetzlich erfährt sie zudem im materiellen Recht mit den Straftatbeständen der Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB) und der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB), deren geschütztes Rechtsgut (unter anderem) in der Sicherheit vor ungerechtfertigten, d. h. nicht durch einen Anfangsverdacht legitimierten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen besteht,6 eine Absicherung. Über diese einfachgesetzliche Absicherung hinaus ist die begrenzende Funktion des Anfangsverdachts nach zutreffender Ansicht Liskens und Roggans aber auch verfassungsrechtlich verankert.7 So wäre es mit dem Schutz der Menschenwürde gemäß Art. 1 GG unvereinbar, einer Person strafbares Tun nur zuzutrauen und sie deswegen staatlichen Ermittlungsmaßnahmen auszusetzen.8 Wie das BVerfG9 konstatierte, ist mit der Menschenwürde der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Die Bürger würden indes zu bloßen Objekten staatlicher Sicherheitsbedürfnisse, wenn sie jederzeit staatlichen strafverfolgenden Ausforschungsmaßnahmen unterworfen werden dürften, ohne dass sie ihrerseits Anlass zu irgendeinem Straftatverdacht gegeben hätten.10 Zudem verbürgt das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG, dass der Staat den Grundrechtsträger nicht beliebig zu staatlicher Zweckverfolgung vereinnahmt.11 Um keine solch beliebige Vereinnahmung darzustellen, bedürfen strafverfolgende Maßnahmen eines Anlasses, der in § 152 Abs. 2 StPO in Gestalt des Anfangsverdachts konkretisiert ist.12 Werden gegen eine Person Ermittlungen aufgenommen, gegen die kein Anfangsverdacht besteht, verletzt dies also deren Grundrechte (namentlich aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG), ohne dass es auf konkrete Beeinträchtigungen ankommt.13

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Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 300, 337; Lisken, NVwZ 1998, 22, 24. Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 39. 6 Vgl. Fischer, § 164 Rn. 2 m.w.N. 7 Lisken, ZRP 1994, 264, 268; ders., NVwZ 1998, 22, 24; Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 39 f. 8 Lisken, NVwZ 1998, 22, 24. 9 BVerfG NJW 1993, 1457, 1458. 10 Lisken, ZRP 1994, 264, 268; Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 40. 11 Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 40. 12 Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 40. 13 Vgl. Hund, KUP, 243, 251. 5

B. Die geringen Anforderungen des Anfangsverdachts

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B. Die geringen Anforderungen des Anfangsverdachts Zwar soll der Anfangsverdacht seiner Funktion nach staatliches Einschreiten begrenzen, fraglich ist allerdings, ob seine Anforderungen auch tatsächlich hierzu geeignet sind. Als solche benennt § 152 Abs. 2 StPO das Vorliegen „zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte“ einer „verfolgbaren Straftat“. Inwieweit diesen Anforderungen eine limitierende Wirkung zukommt, soll nachfolgend näher untersucht werden. Der Bezugspunkt der „verfolgbaren Straftat“ bedingt zunächst, dass der zu beurteilende Geschehensablauf auf rechtlicher Ebene – unterstellt, er habe sich tatsächlich so zugetragen – einem Straftatbestand unterfallen, d. h. eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung darstellen muss.14 Dabei dürfen keine Umstände vorliegen, die der Verfolgbarkeit entgegenstehen; solche Verfahrenshindernisse sind etwa ein fehlender Strafantrag bei absoluten Antragsdelikten15 oder der Strafklageverbrauch. Weiterhin müssen für eine verfolgbare Straftat zum einen „tatsächliche Anhaltspunkte“ vorliegen, zum anderen müssen diese „zureichend“ sein. Die Anforderungen an die „tatsächlichen Anhaltspunkte“ werden in der Literatur vielfach dergestalt umschrieben, dass die Anhaltspunkte in konkreten Tatsachen bestehen müssten; bloße Vermutungen oder kriminalistische Hypothesen reichten hingegen nicht aus.16 Die Voraussetzung einer „konkreten“ Tatsache erscheint allerdings redundant. Wie Haas zutreffend bemerkt, sind Tatsachen immer konkret; abstrakte Tatsachen sind nicht vorstellbar.17 Somit lässt sich die Feststellung darauf reduzieren, dass der Anfangsverdacht auf Tatsachen beruhen muss. Diese Tatsachen müssen ferner noch nicht erwiesen sein; es genügt die bloße Wahrscheinlichkeit (auch geringen Grades), dass sie bestehen, da es gerade Ziel des Einschreitens ist, ihr Bestehen zu überprüfen.18 Ob das Erfordernis, bei den tatsächlichen Anhaltspunkten müsse es sich um Tatsachen und nicht nur um bloße Vermutungen bzw. kriminalistische Hypothesen handeln, die Möglichkeiten staatlichen Einschreitens begrenzt, ist zweifelhaft. Zwar fällt die theoretische Unterscheidung zwischen einer Tatsache und einer bloßen 14

Der Anfangsverdacht kann daher zu verneinen sein, wenn ohne Zweifel ein Rechtfertigungsgrund, wie z. B. Notwehr (§ 32 StGB), vorlag; Meyer-Goßner, § 152 Rn. 4b. Nicht erforderlich ist indes, dass sich der Verdacht bereits gegen eine bestimmte Person richtet; dies folgt etwa aus § 69 Abs. 1 S. 2 StPO, wonach dem Zeugen vor seiner Vernehmung die Person des Beschuldigten zu bezeichnen ist, sofern ein solcher vorhanden ist; Meyer-Goßner, § 152 Rn. 5. 15 Ein solches ist etwa der Hausfriedensbruch (vgl. § 123 Abs. 2 StGB). 16 KK-Schoreit, § 152 Rn. 31; Meyer-Goßner, § 152 Rn. 4. 17 Haas, Vorermittlungen und Anfangsverdacht, S. 14. 18 LR-Beulke, § 152 Rn. 25.

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

Vermutung bzw. kriminalistischen Hypothese leicht. Tatsachen sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die sinnlich wahrnehmbar einem Beweis zugänglich sind.19 Kriminalistische Hypothesen erschöpfen sich hingegen in der aus der Lebens- oder Berufserfahrung gewonnenen Annahme, es könne strafbares Verhalten vorliegen.20 Eine praktische Grenzziehung zwischen einer Tatsache und einer kriminalistischen Hypothese gestaltet sich allerdings schwierig, denn eine kriminalistische Hypothese folgt nicht aus dem Nichts, sie bedarf vielmehr eines Auslösers.21 Dieser wird aber zumeist in einer Tatsache bestehen. So kann etwa der bloß vermutete Tod einer Person durch die Tatsachen genährt sein, dass die in Rede stehende Person seit Wochen nicht die Wohnungstür öffnet und auch keine Anrufe entgegennimmt. Bedenkt man weiter, dass die Tatsacheneigenschaft der verdachtsbegründenden Umstände noch nicht erwiesen sein muss, sondern diesbezüglich schon eine gewisse Wahrscheinlichkeit ausreicht, ist kaum ein Auslöser einer Vermutung bzw. kriminalistischen Hypothese denkbar, der unterhalb dieser Anforderungen liegt.22 Sicher ausgeschlossen sind damit nur solche Vermutungen bzw. kriminalistischen Hypothesen, die ihren Auslöser unmöglich in Tatsachen haben können. Dementsprechend ist dem Tatsachenerfordernis allein keine ausreichende Begrenzung zu entnehmen. Als begrenzendes Merkmal kommt weiterhin das Erfordernis in Betracht, dass die tatsächlichen Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat „zureichend“ sein müssen. Eine Präzisierung dieses Verdachtsgrades wird teilweise durch eine Abgrenzung zu höheren Verdachtsstufen, namentlich dem hinreichenden Tatverdacht (vgl. § 203 StPO), unternommen.23 Wie Eisenberg/Conen24 zutreffend konstatieren, ist ein solcher Definitionsansatz für die Handhabung des § 152 Abs. 2 StPO allerdings irrelevant, denn bei hinreichendem Tatverdacht ist ein Einschreiten erst recht geboten. Ferner wird mit Blick auf das Erfordernis der „zureichenden“ Anhaltspunkte formuliert, es müsse möglich bzw. dürfe nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Anhaltspunkte den Schluss zuließen, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde.25 Dabei bestehe eine solche Möglichkeit bereits dann, wenn auch nur ent19 LK-Hilgendorf, § 185 Rn. 4; Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, § 186 Rn. 3; Lackner/ Kühl, § 186 Rn. 3. 20 Bauer, Moderne Verbrechensbekämpfung, S. 37. 21 Haas, Vorermittlungen und Anfangsverdacht, S. 23. 22 Ausreichend könnte etwa sein, dass jemand beobachtet haben will, wie der eigene Nachbar, dessen Frau verschwunden ist, überstürzt seine Abreise vorzubereiten scheint und dabei einen Koffer nutzt, der so groß ist, dass man darin eine Leiche verstecken könnte; Haas, Vorermittlungen und Anfangsverdacht, S. 14. 23 OLG München NStZ 1985, 549, 550; KK-Schoreit, § 152 Rn. 30; Meyer-Goßner, § 152 Rn. 4. 24 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2243. 25 Vgl. KK-Schoreit, § 152 Rn. 28; Hund, ZRP 1991, 463, 464; Kuhlmann, NStZ 1983, 130, 131.

B. Die geringen Anforderungen des Anfangsverdachts

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fernte Indizien vorliegen.26 Als „zureichend“ beurteilte das OLG Frankfurt a.M.27 die tatsächlichen Anhaltspunkte etwa in folgendem Fall: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. war im Zuge einer Durchsuchung bei einer Privatperson auf rechtswidrig in deren Besitz befindliche bankinterne Unterlagen gestoßen, auf denen die Namen von ca. 1600 Bankkunden vermerkt waren, die Vermögenswerte in Luxemburg angelegt hatten. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. bejahte das Vorliegen eines Anfangsverdachts wegen Steuerhinterziehung gegen die Bankkunden und machte gegenüber dem zuständigen Finanzamt Mitteilung gem. § 116 Abs. 1 S. 1 AO. Das OLG Frankfurt a.M., das über die Rechtmäßigkeit der Mitteilung zu befinden hatte, teilte die Verdachtsbeurteilung der Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M.. Nach den Ausführungen des OLG Frankfurt a.M. sei es allgemein bekannt, dass es im Staat Luxemburg ein gesetzlich verankertes Bankgeheimnis gebe, das die Verschwiegenheitspflicht deutscher Bankangestellter bei weitem übertreffe.28 Es sei weiter allgemein bekannt, dass der Staat Luxemburg im Gegensatz zur BRD keine Zinsabschlagsteuer erhebe, d. h. auf Vermögenswerte, die bei luxemburgischen Banken angelegt sind, keine sog. Quellensteuer entfalle. Ferner sei bekannt, dass nach Einführung der Zinsabschlagsteuer in Deutschland Kapital aus Deutschland in verstärktem Maße gerade im Staat Luxemburg angelegt worden sei. Unter diesen Umständen, so das OLG Frankfurt a.M., habe für die Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. der begründete Anfangsverdacht bestanden, dass zahlreiche Bankkunden ihr Kapital in den Staat Luxemburg transferiert hatten, um der in Deutschland geltenden Besteuerungspflicht zu entgehen.29 In der Literatur stieß diese Entscheidung teilweise auf Kritik. Der Umstand, dass deutsche Steuerpflichtige Vermögenswerte in Luxemburg angelegt hatten, sei nicht ausreichend, um den Verdacht einer Steuerhinterziehung zu begründen.30 Erforderlich seien vielmehr weitere Indizien, wie Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen über unverbuchte Einnahmen durch den Betriebsprüfer oder unrichtige Angaben in der Steuererklärung.31 Eine solche Einschränkung ist zwar begrüßenswert, der gängigen Definition aber nicht zu entnehmen. Soll nämlich bereits die auf Tatsachen fußende, nicht auszuschließende Hypothese einer Straftat ausreichen, ist die Tatsache eines Geldtransfers nach Luxemburg durchaus geeignet, den Anfangsverdacht einer Steuerhinterziehung zu begründen. Der Geldtransfer indiziert zwar nicht zwingend die Annahme einer

26 27 28 29 30 31

Meyer-Goßner, § 152 Rn. 4. OLG Frankfurt a.M. NStZ 1996, 196. OLG Frankfurt a.M. NStZ 1996, 196. OLG Frankfurt a.M. NStZ 1996, 196. Artzt, Vorermittlungen, S. 118 ff. Artzt, Vorermittlungen, S. 118 ff.

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

Steuerhinterziehung, die Möglichkeit einer solchen ist jedoch nicht auszuschließen.32 Das Beispiel verdeutlicht, dass auch die Definitionsbemühungen für das Merkmal „zureichend“ kaum je zu einer Einschränkung führen. Die Aufnahme von Ermittlungen bleibt den Strafverfolgungsbehörden im Grunde nur dann versagt, wenn das angezeigte Geschehen unmöglich der Realität entsprechen kann. Einen Anfangsverdacht nur in den Fällen zu verneinen, in denen sich anhand der tatsächlichen Anhaltspunkte erweisen lässt, dass kein strafbares Verhalten stattgefunden hat, unterläuft jedoch die befugnisbegrenzende Funktion des Tatverdachts.33 Dabei wird ein ausuferndes staatliches Einschreiten noch dadurch begünstigt, dass der Staatsanwaltschaft bei der Einschätzung über das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte nach h.M.34 ein Beurteilungsspielraum zukommen soll. Schließlich vermag auch die teilweise geforderte teleologische Reduktion des § 152 Abs. 2 StPO dahingehend, dass eine spätere Anklageerhebung bei Einschreiten nicht völlig ausgeschlossen sein darf,35 keine ausreichende Begrenzung zu bieten. Das Erfordernis einer Prognose, nach welcher eine spätere Anklageerhebung möglich erscheint, ist zwar sinnvoll, denn Ziel des Ermittlungsverfahrens ist nicht das Bemühen um Aufklärung als Selbstzweck.36 Es dient vielmehr der Prüfung, ob genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht (§ 170 Abs. 1 StPO), so dass es seiner nicht bedarf, wenn schon vor Aufnahme der Ermittlungen feststeht, dass eine Aufklärung, die zu einer Anklageerhebung führen könnte, unmöglich ist. Allerdings sind – insbesondere in Anbetracht der von der modernen Kriminalistik zur Verfügung gestellten Hilfsmittel zur Sachverhaltsaufklärung – kaum Fälle denkbar, bei denen bereits vor Ermittlungsbeginn feststeht, dass eine entsprechende Aufklärung ausgeschlossen ist.37 Vielmehr dürfte sich üblicherweise erst im Laufe der Ermittlungen herausstellen, inwieweit diese eine Aufklärung ermöglichen. Abschließend ist also zu konstatieren, dass die dargestellten Definitionsbemühungen zu der Voraussetzung der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ und dem Merkmal „zureichend“ sowie auch die teilweise geforderte teleologische Reduktion des § 152 Abs. 2 StPO staatliches Einschreiten de facto nicht begrenzen. Die Uferlo32

Haas, Vorermittlungen und Anfangsverdacht, S. 22. Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2243. 34 BVerfG NJW 1984, 1451, 1452; BGH NStZ 1988, 510, 511; KK-Schoreit, § 152 Rn. 28; LR-Beulke, § 152 Rn. 28; Meyer-Goßner, § 152 Rn. 4. Die vorzugswürdige Gegenansicht führt indes an, dass es sich bei dem Verdacht zwar um einen unbestimmten Rechtsbegriff handele, dieser aber ebenso wie der unbestimmte Rechtsbegriff der Polizeigefahr für einen Beurteilungsspielraum keinen Raum lasse; weder Wortlaut noch systematische oder teleologische Besonderheiten legten dies nahe; BVerwG NJW 1991, 581; Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2248 f.; Störmer, ZStW 1996, 494, 516. 35 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2244. 36 Vgl. Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2244. 37 Dölling, Polizeiliche Ermittlungstätigkeit und Legalitätsprinzip, S. 271. 33

C. Tatsächliche Definitionsmacht der Polizei über den Anfangsverdacht

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sigkeit des Anfangsverdachts ist allerdings schon in der vom Gesetzgeber in § 152 Abs. 2 StPO gewählten Formulierung angelegt. Obschon der Gesetzgeber dort objektivierend formuliert, hat er sich einer exakten Definition des erforderlichen Verdachtsgrades bzw. einer Methodik, wie ein solcher Punkt gleichmäßig festzustellen wäre, enthalten; das Kriterium der „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ umschreibt lediglich den Begriff des Verdachts, der aufgrund seiner Unbestimmtheit immer das Ergebnis subjektiver Wahrnehmung und Entscheidungsfindung ist, es konkretisiert ihn aber nicht.38 In Anbetracht der dem Verdachtsbegriff immanenten Subjektivität der Verdachtsbildung erscheint es zwar aussichtslos, eine einschränkende objektivierende Definition des Begriffs zu bilden.39 Wie bei unbestimmten Rechtsbegriffen üblich, könnte allerdings eine durch die Rechtsprechung formulierte Kasuistik das Kriterium der „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ ausfüllen und der verfassungsrechtlich verankerten Begrenzungsfunktion des Anfangsverdachts auch praktisch Geltung verschaffen.40 An einer solchen Kasuistik fehlt es jedoch. Inwieweit ein Rechtsschutz gegen die Verfahrenseinleitung, der eine konturierende Kasuistik hervorbringen würde, de lege lata möglich bzw. mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich ist, soll an späterer Stelle untersucht werden.41

C. Die tatsächliche Definitionsmacht der Polizei über den Anfangsverdacht Neben dem aus der Konturlosigkeit des Anfangsverdachts folgenden Begrenzungsdefizit unterliegt auch der Umstand rechtsstaatlichen Bedenken, dass faktisch nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Polizei eigenverantwortlich über das Vorliegen des Anfangsverdachts bestimmt. Fraglich ist, ob sie hierzu hinreichend befugt und befähigt ist. Nach den Vorgaben der StPO ist die Staatsanwaltschaft zur Leitung des Ermittlungsverfahren berufen, d. h. auch die Verfahrenseinleitung liegt in ihrer originären Kompetenz (§§ 152 Abs. 2, 160 StPO). Für die Polizei ergibt sich lediglich eine nachgeordnete Einleitungsbefugnis aus § 163 Abs. 1 StPO, wobei sie gemäß § 163 Abs. 2 S. 1 StPO dazu verpflichtet ist, den Vorgang unverzüglich der Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, so dass diese die Leitung der Ermittlungen übernehmen kann. Die Staatsanwaltschaft wacht darüber, dass bei den Ermittlungen die Vorgaben der StPO eingehalten und Beweise für eine etwaige Hauptverhandlung in prozessrechtskonformer Weise gewonnen werden. 38 39 40 41

Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2244. Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2244. Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2249. Siehe Zweites Kapitel, E.

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

Die Rechtswirklichkeit ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass die Polizei, von Wirtschaftsstrafsachen abgesehen, in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle die Ermittlungen, beginnend mit ihrer Einleitung, selbstständig durchführt und der Staatsanwaltschaft die entsprechenden Ergebnisse – unter Außerachtlassen des § 163 Abs. 2 S. 1 StPO – erst nach Abschluss der Ermittlungen vorlegt.42 Die erforderliche Kenntnis von mutmaßlichen Straftaten erlangt die Polizei als Adressatin von Strafanzeigen und -anträgen, zu der sie gem. § 158 Abs. 1 S. 1 StPO neben der Staatsanwaltschaft und den Amtsgerichten berufen ist. Rund 80 % aller Ermittlungsverfahren werden aufgrund einer bei der Polizei erstatteten Anzeige oder aufgrund von Erkenntnissen, die die Polizei im Rahmen ihrer Gefahrenabwehraufgabe erlangt hat, eingeleitet.43 Die Staatsanwaltschaft erfährt von laufenden Ermittlungen häufig nur für den Fall, dass die Polizei Zwangsmaßnahmen für erforderlich erachtet, deren Anordnung der Staatsanwaltschaft oder dem Richter vorbehalten ist. Im Übrigen entziehen sich Einleitung und Durchführung der Ermittlungen der Kenntnis der Staatsanwaltschaft, so dass sie das polizeiliche Tätigwerden auch nicht kontrollieren kann. Die tatsächliche Definitionsmacht über das Vorliegen des Anfangsverdachts liegt damit bei der Polizei. Faktisch wacht sie über die Umsetzung des Legalitätsprinzips. Die Gründe für die zu konstatierende tatsächliche Herrschaft der Polizei über das Ermittlungsverfahren liegen zum einen darin, dass die Staatsanwaltschaft ihre Leitungsbefugnis vor dem Hintergrund begrenzter personeller Ressourcen schon rein faktisch nicht zu bewältigen vermag; zum anderen begünstigen Bestrebungen der Polizei, sich aus dem Weisungsverhältnis zur Staatsanwaltschaft zu lösen und die als einheitliche Funktion angesehene Aufgabe der Verbrechensbekämpfung44 insgesamt eigenverantwortlich wahrzunehmen, die derzeitige Situation.45 Diese Rechtswirklichkeit widerspricht indes den eindeutigen Vorgaben der StPO, die der Staatsanwaltschaft die Herrschaft über das Ermittlungsverfahren zuweist. Dabei ist die Befugnisüberschreitung der Polizei nicht zuletzt auch deshalb besonders problematisch, weil Zweifel schon an ihrer rein tatsächlichen Kompetenz zur eigenverantwortlichen Bestimmung der Voraussetzungen des Anfangsverdachts bestehen. Diese Zweifel werden zum einen durch den Umstand genährt, dass bei der polizeilichen Ausbildung anders als bei der juristischen Ausbildung der Besondere Teil des StGB gegenüber dem Allgemeinen Teil deutlich im Vordergrund zu stehen scheint.46 Dies birgt aber z. B. das Risiko, dass bei der polizeilichen Prüfung des 42

Vgl. SK-Wohlers, § 160 Rn. 10; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 106. Vgl. Bräutigam, DRiZ 1992, 214. 44 Zur massiven Ausweitung der polizeilichen Kompetenzen zur nicht der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft unterstehenden vorbeugenden Verbrechensbekämpfung siehe ausführlich Fünftes Kapitel: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung. 45 SK-Wohlers, § 160 Rn. 11 m.w.N. 46 Vgl. Marxen, Straftatsystem und Strafprozess, S. 199. 43

C. Tatsächliche Definitionsmacht der Polizei über den Anfangsverdacht

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Anfangsverdachts die angenommene objektive Tatbestandsmäßigkeit – entgegen den gesetzlichen Vorgaben – die subjektive Tatbestandsmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit der Tat indiziert, d. h. Letztere keine gesonderte Prüfung erfahren. Auch hat die Vermittlung zivilrechtlicher Kenntnisse bei der polizeilichen Ausbildung keinen so hohen Stellenwert wie bei der juristischen Ausbildung, so dass die Prüfung von Delikten, die die Klärung zivilrechtlicher Vorfragen voraussetzen, wie zum Beispiel der Betrug gemäß § 263 StGB, regelmäßig Probleme aufwerfen dürfte.47 Darüber hinaus kann sich der ermittelnde Polizeibeamte zur Präzisierung der Anforderungen des Anfangsverdachts kaum an der juristischen Fachliteratur orientieren, denn die gängigen Definitionsbemühungen laufen, wie zuvor dargestellt,48 leer. Wohl aber stehen ihm zu diesem Zweck interne Dienstanweisungen zur Verfügung, namentlich die von den Polizeipräsidenten herausgegebenen Geschäftsanweisungen über die Entgegennahme von Strafanzeigen.49 Damit ist dem Ausfüllen des Begriffes durch die Polizei indes die Gefahr immanent, dass der Prozess des Verdächtigens entsprechend institutionalisierter polizeilicher Verdachtsstrategien erfolgt und anstelle der StPO behördeninterne Handlungsdirektiven maßgeblich für die Verfahrenseinleitung werden.50 Ferner hat die Untersuchung Döllings51 ergeben, dass sich die Polizei bei ihrer Entscheidung über die Verfahrenseinleitung maßgeblich von dem gesetzesfremden Kriterium der Aufklärungswahrscheinlichkeit beeinflussen lässt. Während die gesetzlichen Anforderungen des § 152 Abs. 2 StPO polizeiliches Einschreiten kaum begrenzen, ist eine ungünstige Aufklärungsprognose hierzu sehr wohl in der Lage.52 Dabei ist die Aufklärungsquote zwar wesentlicher Maßstab für die Erfolgsbeurteilung polizeilicher Ermittlungsarbeit in der Öffentlichkeit und es stellt ein verfahrensökonomisches Gebot dar, die eigenen Ressourcen vorrangig erfolgversprechend einzusetzen; um ein Gebot der StPO handelt es sich hierbei jedoch nicht.53 Die StPO verlangt vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips vielmehr ein einheitliches Einschreiten gegen jeden Verdächtigen; eine ungünstige Erfolgsprognose kann der Aufnahme von Ermittlungen allenfalls ausnahmsweise entgegenstehen.54 Neben der Aufklärungswahrscheinlichkeit können, wie die Untersuchung von Feest/Blankenburg55 belegt, zudem noch weitere, ebenfalls gesetzesfremde Erwägungen für die polizeiliche Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen eine 47

Vgl. Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, S. 77. Siehe Zweites Kapitel, B. 49 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2245. 50 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2245. 51 Dölling, Polizeiliche Ermittlungstätigkeit und Legalitätsprinzip, 1987. 52 Vgl. Dölling, Polizeiliche Ermittlungstätigkeit und Legalitätsprinzip, S. 262. 53 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2246. 54 Namentlich für den Fall, dass eine Aufklärung, die zu einer Anklageerhebung führen könnte, unmöglich ist; vgl. hierzu Zweites Kapitel, B. 55 Feest/Blankenburg, Die Definitionsmacht der Polizei, 1972. 48

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

Rolle spielen. Um zu eruieren, ob die Polizei das Legalitätsprinzip stets streng befolgt, begleitete Feest Polizeibeamten auf ihren Streifenfahrten. Dabei stellte sich heraus, dass die Beamten nur bei einem Teil der strafbaren Handlungen die Ermittlungen aufnahmen, d. h. selektiv und damit entgegen dem Legalitätsprinzip tätig wurden. Konkret benachteilige die Polizei Angehörige der unteren sozialen Schichten, indem sie deren strafbare Verhaltensweisen deutlich häufiger zum Anlass für die Einleitung von Ermittlungen nehme, als Vorfälle mit einer strafbaren Beteiligung von Angehörigen der oberen sozialen Schichten.56 Im Übrigen begünstige auch eine mangelnde Subordination gegenüber den Polizeibeamten bzw. die Missachtung der polizeilichen Definitionsmacht die Aufnahme von Ermittlungen.57 Schließlich ist die polizeiliche Verfolgungspraxis auch von Stereotypisierungen bestimmt, die durch kriminalistische Lehrbücher der Polizei befördert werden. So sei ausweislich der einschlägigen Fachliteratur etwa im Bereich der Betäubungsmitteldelikte Verdacht zu schöpfen aus dem Habitus einer Person (z. B. lange Haare), Benehmen, Äußerlichkeiten (z. B. szenetypischer Gang), Jargon, Alter und kränklichem Aussehen.58 Anhand dieser Kriterien werden dann Tätertypen bestimmt, wie „haschende Gammler, Fixer, Klein-Dealer, Apo-Einbrecher, Rezeptfälscher, Schmuggler und Kuriere“.59 Nach alledem wird deutlich, dass die Polizei ihrer tatsächlichen Definitionsmacht über den Anfangsverdacht nicht gewachsen ist. Sie verfügt zwar im Vergleich zur Staatsanwaltschaft über eine bessere technische sowie größere personelle Ausstattung und ist aufgrund ihrer besseren kriminalistischen Ausbildung, ihrer Datenherrschaft und ihres Wissensvorsprungs im Umgang mit den der Strafverfolgung dienenden EDV-Systemen regelmäßig in der Lage, ein Ermittlungsverfahren zügiger und effektiver zu betreiben, als dies der Staatsanwaltschaft möglich wäre.60 Derartige Effizienzerwägungen können aber nicht den Umstand nivellieren, dass es der Polizei an einer vergleichbaren juristischen Kompetenz mangelt und sie sich bei ihrem Tätigwerden vielfach von gesetzesfremden Erwägungen leiten lässt. Schließlich können Effizienzerwägungen rechtlich ohnehin nur insoweit durchgreifen, als der Gesetzgeber hierfür Raum lässt.61 Die StPO weist die Herrschaft über das Ermittlungsverfahren jedoch explizit allein der Staatsanwaltschaft zu, so dass es für ein tatsächlich von der Polizei verantwortetes Ermittlungsverfahren an einer 56

Feest/Blankenburg, Die Definitionsmacht der Polizei, S. 56 f., 114 ff. Wie Feest/Blankenburg konstatieren, seien die Wahrung und Aufrechterhaltung der eigenen Autorität ein zentrales Anliegen für jeden Streifenpolizisten. Die meisten Beamten reagierten äußerst empfindlich auf jedes Verhalten, das eine Ablehnung oder ein Infragestellen dieser Autorität symbolisieren könnte: Widerreden, mangelnde Ehrerbietung, Bestehen auf den vermeintlichen eigenen Rechten, Bemerkungen über Beschwerderechte oder einen „Polizeistaat“; Feest/Blankenburg, Die Definitionsmacht der Polizei, S. 70 f. 58 Meyer/Wolf/Müller, Kriminalistisches Lehrbuch der Polizei, S. 524. 59 Meyer/Wolf/Müller, Kriminalistisches Lehrbuch der Polizei, S. 524. 60 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2246. 61 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2246. 57

D. Grundrechtseingriffe infolge der Annahme eines Anfangsverdachts

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gesetzlichen Grundlage fehlt.62 Die praktische Reduzierung der Aufgabe der Staatsanwaltschaft auf die Entscheidung über die Anklageerhebung widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen, denn ihre kontrollierende Beteiligung am Ermittlungsverfahren ist unverzichtbarer Ausdruck struktureller Gewaltenteilung, die der Gefahr einer Machtkonzentration bei der Polizei – einem Merkmal totalitärer Staaten – entgegenwirkt.63

D. Grundrechtseingriffe infolge der Annahme eines Anfangsverdachts Dass entgegen der gesetzlichen Konzeption tatsächlich die Polizei über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens entscheidet, ist insbesondere deshalb problematisch, weil sie damit faktisch grundrechtsrelevante Kompetenzen in Anspruch nimmt, ohne hierzu gesetzlich legitimiert zu sein. So erwachsen aus der durch die Verfahrenseinleitung begründeten Beschuldigtenstellung (sog. Inkulpation) zwar einerseits bestimmte Rechte, wie etwa das Recht, einen Verteidiger zu konsultieren (§ 137 Abs. 1 S. 1 StPO), und das Recht, die Aussage zu verweigern (§§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 S. 2 StPO). Andererseits eröffnet die Beschuldigtenstellung die Möglichkeit verschiedener Grundrechtseingriffe. Bei diesen Grundrechtseingriffen ist zu unterscheiden zwischen solchen, die mit der bloßen Durchführung des Ermittlungsverfahrens einhergehen, und solchen, die in Gestalt strafprozessualer Zwangsmaßnahmen hinzutreten können. Auf die Grundrechtseingriffe, die dem Betroffenen mit der Verfahrenseinleitung drohen, soll im Folgenden näher eingegangen werden. In einem weiteren Schritt wird dann zu untersuchen sein, ob der Beschuldigte mit Blick auf die grundrechtsrelevanten Beeinträchtigungen Rechtsschutz gegen die Verfahrenseinleitung in Anspruch nehmen kann bzw. können muss.64

I. Grundrechtseingriffe, die mit der bloßen Durchführung des Ermittlungsverfahrens einhergehen Bereits die bloße Durchführung des Ermittlungsverfahrens ist für den Beschuldigten mit Grundrechtseingriffen verbunden. Angesichts der mit der Verfahrenseinleitung einhergehenden Erhebung und Speicherung seiner persönlichen Daten sieht sich der Beschuldigte nämlich jedenfalls einem Eingriff in sein Recht auf in62 Diese Realität scheint der Gesetzgeber nun partiell legalisieren zu wollen: Statt die Rolle der Staatsanwaltschaft durch personelle und finanzielle Mittel zu stärken, ist eine Erscheinensund Aussagepflicht für Zeugen vor der Polizei geplant; vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Effektivität des Strafverfahrens (BR-Drs. 120/10). Ablehnend Beck, ZRP 2011, 21. 63 Vgl. Hund, KUP, 243, 247 f. 64 Vgl. Zweites Kapitel, E.

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formationelle Selbstbestimmung ausgesetzt. Je nach Fallgestaltung können sich allein aufgrund der Durchführung des Ermittlungsverfahrens noch weitere Eingriffe anschließen. Geben die Strafverfolgungsbehörden etwa im Zuge der Ermittlungen oder im Rahmen einer Pressemitteilung die Identität des Beschuldigten preis, greifen sie in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht ein. Ist der Beschuldigte gehalten, seinen (möglichen) Arbeitgeber über das gegen ihn anhängige Ermittlungsverfahren in Kenntnis zu setzen, kann die Verfahrenseinleitung einen Eingriff in die Berufsfreiheit begründen. All diese Grundrechtseingriffe sollen nachfolgend genauer beleuchtet werden. 1. Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung sichert die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.65 Erhebt und speichert der Staat personenbezogene Daten, greift er in dieses Grundrecht ein. Da ein Ermittlungsverfahren letztlich nichts anderes ist als die fortgesetzte Erhebung und Speicherung von Daten, bedeutet es stets einen Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung.66 Besonders prekär ist dabei die Speicherung der personenbezogenen Daten des Beschuldigten im sog. zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister, das beim Bundesamt für Justiz geführt wird. Regelungen hierzu finden sich im dritten Abschnitt des Achten Buches der StPO (§§ 492 bis 495 StPO), der im Jahre 2004 durch das Gesetz zur effektiveren Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften67 modifiziert wurde. In das zentrale staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind alle Ermittlungsverfahren einzutragen, die sich gegen einen bestimmten, bekannten Täter richten. Zu den gem. § 492 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 5 StPO erforderlichen Angaben zählen neben dem Umstand der Verfahrenseinleitung und der Art der Verfahrenserledigung die Personendaten des Beschuldigten, die zuständige Stelle und das Aktenzeichen, die nähere Bezeichnung der Straftaten (insbesondere die Tatzeiten, die Tatorte und die Höhe etwaiger Schäden) sowie die einschlägigen Straftatbestände.68 Auskunftsberechtigt sind gem. § 492 Abs. 3 S. 2 StPO die Strafverfolgungsbehörden für Zwecke eines Strafverfahrens. Zum Kreis der Auskunftsberechtigten gehören damit neben den Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden die Finanzbehörden sowie die Steuer- und Zollfahndungsdienststellen.69 Im Übrigen erhalten 65

BVerfG NJW 1984, 419. Hund, ZRP 1991, 463, 464. 67 BGBl. I 2004, 2318. 68 Einzelheiten regelt die Verordnung über den Betrieb des zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregisters (ZStVBetrVO). 69 Meyer-Goßner, § 492 Rn. 8. 66

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gem. § 492 Abs. 4 S. 1 StPO auch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Amt für den Militärischen Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst Auskünfte, sofern ihnen ein Auskunftsrecht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden zusteht.70 Auf die Daten des Registers kann jederzeit im Wege eines Online-Abrufverfahrens Zugriff genommen werden (vgl. § 493 StPO). Gemäß § 494 Abs. 2 S. 2 StPO sind die Daten grundsätzlich zwei Jahre nach der Erledigung des Verfahrens zu löschen, wenn der Beschuldigte rechtskräftig freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird. Wird das Verfahren etwa mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO und damit nur vorläufig eingestellt, fallen die entsprechenden Daten indes nicht unter die Zweijahresfrist; sie können für immer gespeichert bleiben.71 Die Eintragung im zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister konserviert also unter Umständen dauerhaft die Tatsache, dass die Strafverfolgungsbehörden die Schwelle des Anfangsverdachts als überschritten ansahen – und zwar insbesondere in den Fällen, in denen der Anfangsverdacht gerade nicht zum hinreichenden Tatverdacht erstarken konnte. Angesichts der Speicherdauer handelt es sich dabei um einen besonders tiefgehenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Schließlich mag man sich vorstellen, dass der Umstand, wiederholt Beschuldigter selbst nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellter Ermittlungsverfahren zu sein, auch geeignet ist, eine präjudizierende Wirkung im Hinblick auf künftige Ermittlungsverfahren zu entfalten. 2. Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sichert die freie Entfaltung des Einzelnen. Angesichts der psychischen Belastungen, die damit einhergehen, dem Damoklesschwert strafrechtlicher Verfolgung unterstellt zu sein, wird teilweise angenommen, dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens stets einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen begründe.72 Jedenfalls liegt ein solcher Eingriff aber vor, sobald das Ermittlungs70 Da die Registerbehörde die Auskunftsberechtigung in solchen Fällen nicht überprüfen kann, beschränkt § 492 Abs. 4 S. 1 StPO die Auskunftserteilung an die Dienste auf die Personendaten des Beschuldigten sowie die zuständige Stelle und das Aktenzeichen; damit ist gewährleistet, dass die Dienste weitere Auskünfte unmittelbar bei den betreffenden Staatsanwaltschaften einholen müssen; KK-Gieg, § 492 Rn. 8. 71 Kritisch hierzu Meyer-Goßner, § 494 Rn. 6. 72 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, S. 213; LK-Erb, § 160 Rn. 67a; SK-Wohlers, § 160 Rn. 100. Teilweise wird vor diesem Hintergrund auch ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Beschuldigten bejaht; so Füßer/Viertel, NStZ 1999, 116, 117 und Heinrich, NStZ 1996, 110, 112; einschränkend für eine den Anforderungen des § 397 Abs. 1 AO genügende Verfahrenseinleitung Bottke, StV 1986, 120, 121 und Nagel, StV 2001, 185, 187.

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verfahren publik wird. Wie bereits dargestellt,73 bewirkt das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Schutz persönlicher Daten. In einer weiteren Gewährleistungsvariante, dem Recht auf Selbstdarstellung, verbürgt es das Recht des Einzelnen, selbst und allein über die Darstellung des persönlichen Lebens- und Charakterbildes zu bestimmen.74 Dies schließt die Befugnis des Einzelnen ein, selbst darüber zu entscheiden, wann und in welchem Umfang er persönliche Lebenssachverhalte auch hinsichtlich vorgeworfener Straftaten offenbaren möchte.75 Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Gesamtheit seiner vorgenannten Ausprägungen liegt vor, sobald das Ermittlungsverfahren öffentlich wird. Ermitteln die Behörden also etwa im sozialen Umfeld des Beschuldigten und geben dabei seine Beschuldigteneigenschaft preis, wie beispielsweise bei Zeugenladungen, die unter Angabe des Namens des Beschuldigten erfolgen (vgl. RiStBV Nr. 64 Abs. 1 S. 276), greifen sie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten ein und dem Beschuldigten droht allein qua seiner Stellung die informelle Sanktionierung.77 Dies gilt in noch größerem Maße, wenn die Ermittlungsbehörden im Rahmen einer Pressemitteilung die gesamte Öffentlichkeit über ein laufendes Ermittlungsverfahren informieren.78 Dabei wird die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützte Reputation des Einzelnen schon durch die Nachricht tangiert, dass die Ermittlungsbehörden überhaupt gegen ihn wegen des Verdachts einer Straftat ermitteln, und der Eingriff wird umso intensiver, je detaillierter die Ermittlungsbehörden sich über das Verfahren äußern.79 Die Ermächtigungsgrundlage für die Informationsweitergabe an die Presse und den damit verbundenen Grundrechtseingriff liefern die Landespressegesetze. Gem. z. B. § 4 Abs. 1 Landespressegesetz (LPG) NRW sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Gem. § 4 Abs. 2 Nr. 3 LPG NRW besteht dieser Anspruch auf Auskunft und folglich auch die hiermit korrespondierende Auskunftspflicht der Behörde indes nicht, soweit ein überwiegendes öffentliches oder ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde.80 Dabei sind Bekanntgaben über anhängige Er73

Vgl. Zweites Kapitel, D. I. 1. BVerfG NJW 1973, 1226, 1227 f. 75 Vgl. BVerfG NJW 1981, 1431; BVerfG NJW 1997, 2307, 2308. 76 Hiernach ist der Name des Beschuldigten anzugeben, „wenn der Zweck der Untersuchung es nicht verbietet, der Gegenstand der Beschuldigung nur dann, wenn dies zur Vorbereitung der Aussage durch den Zeugen erforderlich ist“. 77 Vgl. Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2242. 78 Werden in diesem Zusammenhang Informationen offenbart, die die engere Lebenssphäre des Betroffenen berühren, liegt zudem ein Eingriff in den Schutz der Privatsphäre als weiterer Garantie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor; vgl. Di Fabio, in: Maunz/Düring, Art 2 Rn. 166. 79 Lehr, NStZ 2009, 409, 411. 80 Überschreiten die Strafverfolgungsbehörden ihre Auskunftspflicht, kann der Beschuldigte hiergegen gem. §§ 23 ff. EGGVG vorgehen; OLG Hamm, NStZ 1995, 412; OLG Karlsruhe NJW 1995, 899 m.w.N.; a.A. BVerwG NJW 1989, 412 und BVerwG NJW 1992, 62, 74

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mittlungsverfahren, wie der BGH81 mehrfach betonte, stets besonders sorgfältig abzuwägen, weil das Ermittlungsverfahren schon auf bloßen Verdacht hin eröffnet werde, juristische Laien aber allzu oft geneigt seien, die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens beinahe mit dem Nachweis der zur Last gelegten Tat gleichzusetzen. Gleichwohl ist die Medienarbeit der Strafverfolgungsbehörden über anhängige Ermittlungsverfahren gerade in den letzten Jahren zunehmend offensiver geworden,82 wobei die schutzwürdigen Interessen der Beschuldigten mehr und mehr hintanstehen. Beispielhaft hierfür ist der Fall Benaissa, in dem die Staatsanwaltschaft unmittelbar nach der Festnahme der Beschuldigten wegen des dringenden Tatverdachts der gefährlichen Körperverletzung mitteilte, dass die Beschuldigte an einer HIV-Infektion leide und verschiedene Personen durch ungeschützten Geschlechtsverkehr und unter Verschweigen ihrer Infektion infiziert habe.83 Jedenfalls der Umstand der HIV-Infektion ist jedoch dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung, d. h. der Intimsphäre zuzuordnen. Insoweit verletzt die Veröffentlichung den über Art. 1 Abs. 1 GG „mitdefinierten Grundrechtskern des Art. 2 Abs. 1 GG“84.85 Die Informationsweitergabe der Strafverfolgungsbehörden ist aber vielfach nicht nur sehr umfassend, ihre Darstellung der Sachlage ist mitunter auch vorverurteilend.86 So wurde beispielsweise in einem Ermittlungsverfahren gegen einen Chefarzt der Universitätsklinik Gießen wegen des Verdachts der Körperverletzung mittels illegaler Testreihen an Patienten von Seiten der Strafverfolgungsbehörden geäußert, dass „die Zahl der Patienten“, denen ohne Einwilligung Medikamente verabreicht worden seien, „noch offen sei“.87 Damit wurde der Verdacht, dass der Chefarzt überhaupt illegale Patientenversuche durchgeführt habe, gerade nicht als offen, sondern vielmehr als feststehend dargestellt.88 Überdies ließ sich die zuständige Staatsanwaltschaft nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den betreffenden Chefarzt mangels hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO dazu hinreißen, in einer ausführlichen vierseitiwonach die Abgabe oder Nichtabgabe einer Presseerklärung im Verwaltungsrechtsweg anfechtbar ist. 81 BGH NJW 1994, 1950, 1952; BGH NJW 1959, 35, 36. 82 Vgl. Huff, NJW 2004, 403. 83 Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Darmstadt v. 14. 4. 2009; zitiert nach Spiegel Online v. 15. 4. 2009, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,druck619197,00-html. 84 Di Fabio, in: Maunz/Düring, Art. 2 Rn. 158. 85 So auch Trüg, NJW 2011, 1040, 1042. 86 Die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Unschuldsvermutung gebietet indes eine offene Darstellung der Sachlage; keinesfalls darf der Eindruck erweckt werden, der Betroffene sei der vorgeworfenen Straftaten bereits überführt worden; vgl. BVerfG NJW 2009, 350, 351 zu den Anforderungen an die Medienberichterstattung. 87 Zitiert nach Lehr, NStZ 2009, 409, 410. 88 Lehr, NStZ 2009, 409, 410.

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

gen Pressemitteilung viele Details der Ermittlungen publik zu machen, offenbar um die Verfahrenseinleitung zu rechtfertigen und die erfolgte Einstellung zu relativieren. In der Pressemitteilung hieß es: „Es bleiben einerseits die zum Teil objektiv bestätigten und subjektiv als glaubhaft zu bezeichnenden Angaben des Zeugen über die von ihm geschilderte Praxis und Einzelvorkommnisse, andererseits die dem widersprechenden Erklärungen der beschuldigten Ärzte unvereinbar im Raum. […] Weitere Beweismittel zur Klärung dieser Frage standen im Einzelnen wie auch insgesamt nicht zur Verfügung, so dass nach dem Grundsatz im Zweifel für den/die Beschuldigten zu entscheiden war.“89

Es ist allerdings nicht Aufgabe der Ermittlungsbehörden, in einen öffentlichen Rechtfertigungsdialog über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Ermittlungsmaßnahmen einzutreten; vielmehr müssen die Ermittlungsbehörden sachliche Kritik an ihrem Ermittlungsverhalten grundsätzlich hinnehmen, ohne hierauf öffentlich zu reagieren.90 Als Teil der Hoheitsgewalt fehlt es den Strafverfolgungsbehörden an einer Grundrechtsberechtigung, d. h. sie können sich nicht auf die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG berufen.91 Ihre Öffentlichkeitsarbeit hat lediglich den Auskunftsanspruch der Presse zu bedienen und muss dabei von Ausgewogenheit und rechtsstaatlicher Distanz gekennzeichnet sein. Nicht zuletzt weisen auch die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) darauf hin, dass jede unnötige Bloßstellung des Beschuldigten zu unterbleiben hat (RiStBV Nr. 4a). Berichten die Strafverfolgungsbehörden indes tendenziös, findet dies keine Legitimation in dem Auskunftsanspruch der Presse und stellt damit stets einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten dar. Die häufig schon durch den bloßen Umstand der Verfahrenseinleitung eingetretene Vorverurteilung des Beschuldigten in der Öffentlichkeit wird hierdurch noch manifestiert. Sofern die Ermittlungsbehörden sogar eine Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO rechtswidrig relativieren, bleibt der Betroffene ungeachtet des mangelnden hinreichenden Tatverdachts zeitlebens mit dem Makel behaftet, die vorgeworfene Tat wohl doch begangen zu haben. Die mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Falle ihres Bekanntwerdens einhergehende Rufschädigung kann je nach Stellung des Betroffenen schließlich nicht nur einen immateriellen Schaden, sondern überdies auch einen Vermögensschaden bewirken. Dies zeigt etwa der Fall des Vorstandsvorsitzenden von Gildemeister, Rüdiger Kapitza. Nachdem in der Presse im Januar 2008 über ein 89 Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Gießen v. 11. 7. 2007 – Js 9064/04; zitiert nach Lehr, NStZ 2009, 409, 410. 90 Lehr, NStZ 2009, 409, 414. 91 Als Behörden wird ihnen in § 194 Abs. 3 S. 2 StGB lediglich einfachgesetzlicher Ehrschutz zugebilligt. Auf öffentliche Kritik dürfen sie angesichts der gebotenen rechtsstaatlich distanzierten Aufgabenwahrnehmung nur ausnahmsweise reagieren, namentlich soweit es um die Erhaltung des zur Funktionsfähigkeit der Behörde notwendigen Mindestmaßes an öffentlichem Vertrauen in die eigene Glaubwürdigkeit und Integrität geht; vgl. BVerfG NJW 2011, 511, 512.

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gegen ihn eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Untreue, Steuerhinterziehung, Bestechung und Bestechlichkeit berichtet worden war, verzeichneten die Aktien des Werkzeugmaschinenbauers zwischenzeitlich Kursverluste von mehr als 25 Prozent.92 Auf die hiermit bereits eingetretenen finanziellen Einbußen konnte auch die erst zwei Jahre später erfolgte Einstellung des Verfahrens keinen Einfluss mehr nehmen. 3. Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit Das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) erfasst mit seinem einheitlichen Schutzbereich sowohl die Berufswahl als auch die Berufsausübung.93 Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens hat auf die Berufswahl und -ausübung zwar keine unmittelbaren Auswirkungen, sie kann jedoch mittelbar zu Beeinträchtigungen führen, wenn der Beschuldigte gehalten ist, seinen (möglichen) Arbeitgeber über ein laufendes Ermittlungsverfahren in Kenntnis zu setzen. Sowohl im öffentlichen Dienst als vielfach auch im privatwirtschaftlichen Sektor müssen Bewerber wahrheitsgemäß angeben, ob gegen sie ein Ermittlungsverfahren anhängig ist.94 Bejaht der Bewerber dies und erfährt er aus diesem Grund eine Absage, handelt es sich beamtenrechtlich um eine zulässige Ermessensausübung.95 Bezüglich der Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst sehen viele Ausbildungs- und Prüfungsordnungen sogar explizit vor, dass ein anhängiges Ermittlungsverfahren einer Einstellung entgegenstehen kann.96 Und auch die Entscheidung über einen Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kann ausgesetzt werden, wenn gegen den Bewerber ein Ermittlungsverfahren anhängig ist (vgl. § 10 Abs. 1 BRAO). Gleiches gilt bei Medizinern für einen Antrag auf Erteilung der Approbation (vgl. § 3 Abs. 5 BÄO). Folglich wird dem Betroffenen während der Laufzeit des Ermittlungsverfahrens der Zugang zum öffentlichen Dienst und teilweise auch zu privatwirtschaftlichen Tätigkeiten zumindest wesentlich erschwert. Staatliche Maßnahmen, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Berufswahl zu beeinträchtigen, stellen indes nach ständiger Rechtsprechung97 einen Eingriff in Art. 12 GG bzw. in 92 Zitiert nach Handelsblatt v. 29. 01. 2008; abrufbar unter: http://www.handelsblatt.com/ unternehmen/management/koepfe/bohrende-fragen-an-den-gildemeister-chef/2916002.html. 93 BVerfG NJW 1958, 1035. 94 Nach Scheerbarth/Höffken/Bauschke/Schmidt, Beamtenrecht, S. 277 gehört die Abgabe einer Erklärung über anhängige Ermittlungsverfahren zu den Standards des Bewerbungsverfahrens für eine Stelle im öffentlichen Dienst. 95 Vgl. OVG Hamburg ZBR 1985, 230 betreffend den Fall einer wegen eines laufenden Ermittlungsverfahrens versagten Beförderung. 96 Z.B. für das Land Berlin gemäß § 20 Abs. 3 Nr. 1 JAO Berlin: „Die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst kann versagt werden, solange ein Ermittlungsverfahren oder ein Strafverfahren wegen des Verdachts einer vorsätzlichen Straftat anhängig ist.“ 97 BVerfG NJW 1968, 347; BVerfG NJW 1976, 1309, 1310; BVerwG NJW 1991, 1766, 1767.

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

den für den öffentlichen Dienst spezielleren Art. 33 Abs. 2 GG dar. Angesichts der Erschwernis beim Berufszugang kann ein laufendes Ermittlungsverfahren also einen Eingriff in die Berufsfreiheit begründen. Neben der Erschwernis beim Berufszugang kann ein Ermittlungsverfahren aber auch eine Beeinträchtigung der Ausübung eines bereits ergriffenen Berufes bedeuten. So werden bei bestimmten Berufsgruppen, etwa bei Beschäftigten in den Transport-, Versorgungs- und Verkehrsbetrieben, sogenannte Sicherheitsüberprüfungen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) vorgenommen, um die erforderliche Zuverlässigkeit der Beschäftigten zu gewährleisten. Ein anhängiges Ermittlungsverfahren kann die Zuverlässigkeit in Zweifel ziehen und damit ein die Beschäftigung gefährdendes Sicherheitsrisiko begründen. Überdies hängt auch die Erteilung bestimmter behördlicher Erlaubnisse, wie z. B. der Gewerbeerlaubnis oder der Gaststättenerlaubnis, bzw. ihr Fortbestehen davon ab, ob der Betroffene die erforderliche Zuverlässigkeit aufweist.98 Wird also etwa gegen einen Gastwirt, dessen persönliche Zuverlässigkeit Voraussetzung für den Betrieb seiner Gaststätte ist, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, kann ihm unter Umständen die Erlaubnis entzogen werden, eine Gaststätte zu betreiben. Der Beschuldigte könnte dazu gezwungen sein, die eigene Gaststätte zu schließen und ggf. Angestellte zu entlassen.

II. Grundrechtseingriffe durch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen Zusätzlich zu den Grundrechtseingriffen, die mit der bloßen Durchführung des Ermittlungsverfahrens einhergehen, drohen dem Beschuldigten mit der Aufnahme der Ermittlungen mannigfaltige Grundrechtseingriffe in Gestalt strafprozessualer Zwangsmaßnahmen. Die ursprünglich durch das „Nichtbestehen von Eingriffsermächtigungen geprägte Rechtsposition“99 des Bürgers wird durch die Inkulpation aufgehoben.100 Dabei knüpft das Gros der strafprozessualen Zwangsmaßnahmen in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen bereits an den Verdachtsgrad des § 152 Abs. 2 StPO an. Die weiteren Eingriffsvoraussetzungen sind indes häufig frappierend gering. Beispielsweise bei der Durchsuchung gemäß § 102 StPO, der Beschlagnahme von Beweisgegenständen gemäß § 94 Abs. 2 StPO sowie den körperlichen und erkennungsdienstlichen Untersuchungen gemäß §§ 81a, b, e StPO erschöpfen sich diese zusätzlichen Voraussetzungen darin, dass die Möglichkeit bzw. Vermutung besteht, die Maßnahme werde ihren Zweck erreichen. 98 Vgl. z. B. §§ 33a Abs. 2 Nr. 1, 33c Abs. 2 S. 1 Gewerbeordnung, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Gaststättengesetz. 99 Stern/Sachs, Staatsrecht, S. 126. 100 Vgl. Kölbel, JR 2006, 322, 323.

D. Grundrechtseingriffe infolge der Annahme eines Anfangsverdachts

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Konkret genügt es etwa für eine Durchsuchungsanordnung, dass zu vermuten ist, die Durchsuchung werde zur Auffindung von Beweismitteln führen.101 Für die Beschlagnahme von Beweismitteln ist es ausreichend, dass die Möglichkeit besteht, der betreffende Gegenstand könne zu Untersuchungszwecken verwendet werden.102 Und die Anforderungen an eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten erschöpfen sich darin, dass die Möglichkeit der Feststellung verfahrenserheblicher Tatsachen besteht.103 Da diese Möglichkeiten regelmäßig nicht von vorneherein ausgeschlossen werden können, führen die vorgenannten zusätzlichen Eingriffsvoraussetzungen kaum zu einer Beschränkung staatlichen Einschreitens. Begünstigt wird ein Einschreiten weiterhin dadurch, dass auf Rechtsfolgenseite kein Ermessensspielraum besteht. Die in § 152 Abs. 2 StPO normierte Verpflichtung zum Einschreiten umfasst – bei Vorliegen der entsprechenden weiteren Eingriffsvoraussetzungen – auch die Verpflichtung zum Gebrauch der Zwangsmaßnahmen.104 Zwar bestimmt die StPO, dass die Zwangsmaßnahmen angeordnet werden „dürfen“ (z. B. §§ 81a Abs. 1 S. 1, 100a S. 1, 112 Abs. 1 S. 1 StPO), vorgenommen werden „können“ (z. B. § 102 StPO) oder „zulässig“ (z. B. § 103 Abs. 1 StPO) sind. Die Zweckbezogenheit der Maßnahmen erfordere aber eine unbedingte Zweckbefolgung, weshalb die vorgenannten Formulierungen keine Verhaltensalternativen eröffnen, sondern lediglich die Eingriffsbefugnis zum Ausdruck bringen sollen.105 Schließlich stellt auch der bei manchen Zwangsmaßnahmen vorgesehene Richtervorbehalt kaum eine Eingriffshürde dar. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die Strafverfolgungsbehörden mitunter exzessiv von den ihnen zustehenden Eilkompetenzen Gebrauch machen. Zum anderen bestehen verschiedene strukturelle Defizite, die eine effektive richterliche Kontrolltätigkeit konterkarieren.106 Mit der Annahme des Anfangsverdachts ist also zugleich die wesentliche Voraussetzung für die Anwendung verschiedener Zwangsmaßnahmen erfüllt, wodurch entsprechende Grundrechtseingriffe begünstigt werden. Dies betrifft insbesondere Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG durch die Vornahme von Durchsuchungen gemäß §§ 102, 103 StPO, in das Eigentumsrecht aus Art. 14 GG durch die Beschlagnahme von Beweisgegenständen gemäß § 94 Abs. 2 StPO 101 Vgl. § 102 StPO: Eine Durchsuchung beim Verdächtigen kann vorgenommen werden, wenn „zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde“. 102 Vgl. § 94 Abs. 1 StPO: „Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen.“ Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person, die nicht bereit ist, diese freiwillig herauszugeben, bedarf es der Beschlagnahme (vgl. § 94 Abs. 2 StPO). 103 Vgl. Meyer-Goßner, § 81a Rn. 6. Gem. § 81a Abs. 1 S. 1 StPO darf eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten „zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind“. 104 Schroeder, JZ 1985, 1028, 1033; Meyer-Goßner, § 152 Rn. 3. 105 Schroeder, JZ 1985, 1028, 1033. 106 Siehe hierzu ausführlich Viertes Kapitel: Der Richtervorbehalt.

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

sowie in das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch die Vornahme der körperlichen Untersuchung gemäß § 81a StPO. Damit hat die Zuweisung der Beschuldigteneigenschaft eine erhöhte normative „Eingriffsvulnerabilität“ zur Folge, die die Rechtsstellung des Betroffenen insgesamt schwächt.107

E. Mögliche Rechtsbehelfe In Anbetracht der mit einem Ermittlungsverfahren einhergehenden grundrechtsrelevanten Beeinträchtigungen liegt die Annahme nahe, dass die Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, gerichtlich überprüfbar ist. Auf die bestehenden Überprüfungsmöglichkeiten und deren Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 4 GG soll im Folgenden näher eingegangen werden.

I. Bestehende Überprüfungsmöglichkeiten Eine Möglichkeit, die Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gerichtlich zu überprüfen, sieht die StPO für die Dauer des Ermittlungsverfahrens nicht vor, wenn man von dem Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 StPO absieht. Dieses hat jedoch nicht die durch den Beschuldigten angeregte gerichtliche Überprüfung der Einleitung eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens zum Gegenstand, sondern bietet lediglich dem Verletzten die Möglichkeit, gegen eine unterlassene Verfahrenseinleitung, -fortführung bzw. Anklageerhebung vorzugehen.108 Ein „Einstellungserzwingungsverfahren“109 gibt es nicht. Eine auch nur mittelbare Überprüfungsmöglichkeit der Voraussetzungen des Anfangsverdachts während der Dauer des Ermittlungsverfahrens besteht lediglich für den Fall, dass gegen den Beschuldigten Zwangsmaßnahmen angeordnet werden. Zwingende Voraussetzung sämtlicher repressiver Zwangsmaßnahmen ist das Vorliegen eines Anfangsverdachts. Wird die Maßnahme durch einen Richter angeordnet, findet bereits insoweit eine gerichtliche Prüfung statt. Ordnen hingegen die Strafverfolgungsbehörden eine Zwangsmaßnahme unter Inanspruchnahme ihrer Eilkompetenz an, kommt hiergegen ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. 107

Vgl. Kölbel, JR 2006, 322, 323. Das Klageerzwingungsverfahren ist grundsätzlich auf die Erhebung der öffentlichen Klage gerichtet, vgl. § 172 Abs. 3 S. 1 StPO. Wenn die Staatsanwaltschaft rechtsirrtümlich von der (weiteren) Durchführung von Ermittlungen abgesehen hat, kann das OLG das Klageerzwingungsverfahren indes auch mit der Anordnung beenden, die Ermittlungen (wieder) aufzunehmen, vgl. Meyer-Goßner, § 175 Rn. 2 m.w.N. 109 Die Schaffung eines gerichtlichen Einstellungserzwingungsverfahrens, das aber lediglich eine Kontrolle dahingehend gewährt, ob die Staatsanwaltschaft ihrer Pflicht zur unverzögerten Abschlussverfügung nachkommt, schlägt Rieß, in: Roxin-FS, S. 1319, 1326 ff., vor. 108

E. Mögliche Rechtsbehelfe

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§ 98 Abs. 2 S. 2 StPO (analog) in Betracht.110 Allerdings hilft eine derartige Inzidentprüfung des Anfangsverdachts dem Betroffenen aus zweierlei Gründen wenig. Zum einen enthalten sämtliche Zwangsmaßnahmen zusätzliche Voraussetzungen und/oder erfordern einen höheren Verdachtsgrad, weshalb es bei der gerichtlichen Überprüfung einer Zwangsmaßnahme vielfach nicht auf die Prüfung des Anfangsverdachts ankommt.111 So genügt etwa zur Ablehnung der Untersuchungshaft, dass kein dringender Tatverdacht besteht oder kein Haftgrund vorliegt (vgl. § 112 Abs. 1 S. 1 StPO); auf den Anfangsverdacht muss der Haftrichter dabei nicht eingehen. Bei anderen gerichtlich überprüfbaren Ermittlungsmaßnahmen verhält sich die Sache ähnlich. Ihrer gerichtlichen Anerkennung bzw. Bestätigung ist zwar stets inzident die Bejahung der Berechtigung zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens zu entnehmen, ihre – ohnehin wohl deutlich seltenere – Nichtbestätigung enthält indes meist keine eindeutige Verneinung des Anfangsverdachts.112 Darüber hinaus sind die Strafverfolgungsbehörden rechtlich nicht an der Fortführung des Ermittlungsverfahrens gehindert, wenn die beantragte Maßnahme abgelehnt oder die durchgeführte Maßnahme aufgehoben oder ihre Rechtswidrigkeit festgestellt wird; dies gilt selbst dann, wenn die gerichtliche Entscheidung den Anfangsverdacht ausdrücklich verneint und damit die Grundlage des Ermittlungsverfahrens in Frage stellt.113 Eine zwingende gerichtliche Überprüfung der Verdachtsmomente erfolgt schließlich erst im Zwischenverfahren (§§ 199 bis 211 StPO), wenn das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet. Diese gerichtliche Kontrolle hat allerdings zur Voraussetzung, dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, was nur in der Minderheit aller Ermittlungsverfahren der Fall ist.114 Zudem ist Prüfungsmaßstab im Zwischenverfahren, ob nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ein hinreichender Tatverdacht gegen den nunmehr Angeschuldigten begründet ist (vgl. § 203 StPO). Dementsprechend ist das Gericht nicht gehalten, darauf einzugehen, ob die Strafverfolgungsbehörden zu Recht einen Anfangsverdacht bejaht und dementsprechend rechtmäßig die Ermitt-

110 Gem. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO kann gegen eine Beschlagnahmeanordnung der Strafverfolgungsbehörden die gerichtliche Entscheidung beantragt werden; für eine Überprüfung der übrigen nichtrichterlichen Anordnungen von Zwangsmaßnahmen gilt grundsätzlich § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog. Im Sonderfall der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gibt es für die Betroffenen indes eine abschließende Spezialregelung zur nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen in § 101 Abs. 7 S. 2 StPO. Vgl. ausführlich Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 322 ff. 111 Rieß, in: Geerds-FS, S. 501, 505. 112 Rieß, in: Geerds-FS, S. 501, 505. 113 Rieß, in: Geerds-FS, S. 501, 504 f. 114 Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahre 2009 rund 62 Prozent aller Ermittlungsverfahren eingestellt; vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.6 für 2009.

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lungen aufgenommen haben. Ohnehin gewährt diese Überprüfungsmöglichkeit keinen Rechtsschutz während des laufenden Ermittlungsverfahrens. Da es dem Rechtsschutzsystem der StPO an einer spezifischen Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Entscheidung der Verfahrenseinleitung mangelt, könnte dem Betroffenen eine analoge Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO den Rechtsweg zur Überprüfung der Verfahrenseinleitung noch während der Dauer des Ermittlungsverfahrens eröffnen. Die h.M.115 lehnt jedoch sowohl eine analoge Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO als auch ein Bemühen des Rechtsbehelfes nach § 23 EGGVG zu diesem Zwecke grundsätzlich ab.116 Sie verweist darauf, dass der Beschuldigte in besonderen Fällen immerhin die Möglichkeit habe, Strafanzeige wegen Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB) zu erstatten und ggf. einen Amtshaftungsprozess (§ 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG) anzustrengen.117 Auch bestehe die Möglichkeit einer Gegenvorstellung oder einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Diesen Vorgehensweisen ist allerdings gemein, dass ihnen praktisch kein Erfolg beschieden ist und sie insofern eher als theoretische Spielereien118 bezeichnet werden müssen. Der Tatbestand der Verfolgung Unschuldiger setzt nämlich voraus, dass der Amtsträger wissentlich oder gar absichtlich einen Unschuldigen verfolgt (vgl. § 344 Abs. 1 S. 1 StGB), was nur in absoluten Ausnahmefällen vorkommen dürfte. Die Gegenvorstellung und die Dienstaufsichtsbeschwerde, die Ausprägungen des in Art. 17 GG verankerten Petitionsrechts darstellen und mit denen das dienstliche Verhalten des verantwortlichen Beamten beanstandet werden kann, richten sich indes an die Stelle, die die angegriffene Entscheidung erlassen hat,119 bzw. an den Dienstaufsicht führenden Vorgesetzten des mit dem Verfahren befassten Beamten120 und bewirken mithin keine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung. Eine abweichende Beurteilung der verdachtsbegründenden Umstände durch dieselbe Stelle

115 OLG Karlsruhe NStZ 1994, 142, 143 f.; OLG Karlsruhe NStZ 1982, 434 mit zust. Anm. Rieß; OLG Jena NStZ 2005, 343; SK-Rogall, Vor § 133 Rn. 40; KK-Schoreit, § 23 EGGVG Rn. 32; LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 113; Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 9; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 321. 116 Vgl. hierzu ausführlich Zweites Kapitel, E. II. 117 Vgl. BVerfG NStZ 1984, 228, 229. 118 So ausdrücklich Rieß, in: Roxin-FS, S. 1319, 1323 betreffend eine strafrechtliche Verfolgung des verantwortlichen Staatsanwalts. 119 Da Verfügungen der einzelnen Staatsanwälte gem. § 144 GVG als solche ihres Behördenleiters gelten, ist die Erlassstelle bei Verfügungen der Amtsanwälte und Staatsanwälte am Landgericht deren Leitender Oberstaatsanwalt, bei Verfügungen der Staatsanwälte am Oberlandesgericht ist es der Generalstaatsanwalt. 120 Über die Dienstaufsichtsbeschwerde entscheidet der Generalstaatsanwalt, vgl. § 147 Nr. 3 GVG.

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bzw. den Dienstaufsicht führenden Vorgesetzten ist allerdings sehr unwahrscheinlich.121 Ein Amtshaftungsprozess (§ 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG) ist schließlich ohnehin nicht auf die Einstellung des Verfahrens gerichtet, sondern dient lediglich der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Dabei ist die Entscheidung der Verfahrenseinleitung im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre „Richtigkeit“, sondern allein auf ihre Vertretbarkeit hin zu überprüfen, die nur dann verneint werden darf, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die Einleitung der Ermittlungen gegen den Beschuldigten nicht mehr verständlich ist.122 Das entspricht im Wesentlichen einer Willkürgrenze,123 deren Überschreiten ebenfalls nur in absoluten Ausnahmefällen angenommen werden kann.124 Nach alledem bleibt festzuhalten, dass es für den Beschuldigten nach h.M. keine Möglichkeit geben soll, die gegen ihn erfolgte Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Ziel der Einstellung des Verfahrens gerichtlich überprüfen zu lassen. Dabei legt an sich schon die bloße Existenz der Voraussetzung Anfangsverdacht auch deren Justiziabilität nahe, handelte es sich doch sonst um eine Rechtsbindung der allzu kraftlosen Art.125 Jedenfalls aber erscheint die abgesprochene Justiziabilität in Anbetracht der geschilderten, mit einem Ermittlungsverfahren einhergehenden Beeinträchtigungen bedenklich. Zusätzliche Bedenken ergeben sich noch vor dem Hintergrund, dass sich die Staatsanwaltschaft faktisch aus der Ermittlungstätigkeit zurückgezogen hat und im Regelfall die Polizei das Ermittlungsverfahren verantwortet, obschon ihr die StPO für diesen grundrechtsrelevanten Bereich nur eine untergeordnete Rolle zuweist. Die Vereinbarkeit dieser Rechtswirklichkeit mit der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs. 4 GG muss in Frage gestellt werden.

II. Vereinbarkeit mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG? Die Rechtschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verbürgt, dass jemandem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen 121 So kann etwa eine „geschlossene“ Rechtsauffassung der Behörde Staatsanwaltschaft dem – möglicherweise berechtigten – Begehren des Antragstellers entgegenstehen; Gleiches gilt in Fällen, in denen eine Weisung der Aufsichtsbehörde ergangen ist, da es unwahrscheinlich erscheint, dass diese ihre einmal in der Weisung zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung infolge einer Beschwerde aufgibt; Hüls, Polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungstätigkeit, S. 77. 122 BGH NJW 1989, 96, 97. 123 LR-Schäfer, Vor § 94 Rn. 90. 124 Vgl. Schulz, StraFo 2003, 295, 297, der konstatiert, dass Amtshaftungsansprüche „selbst für einflussreichste Manager kaum zu realisieren sind“. 125 Kölbel, JR 2006, 322, 324.

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steht. Wie bereits dargelegt,126 ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geeignet, in die Rechte des Betroffenen einzugreifen.127 Da die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zur Folge hat, dass personenbezogene Daten des Betroffenen erhoben und gespeichert werden, bringt sie stets einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit sich. Zudem drohen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Berufsfreiheit. Darüber hinaus werden Grundrechtseingriffe in Gestalt strafprozessualer Zwangsmaßnahmen wahrscheinlich, was eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Verdächtigen insgesamt bedeutet. Liegen die Voraussetzungen des Anfangsverdachts nicht vor und wird dennoch ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, fehlt es für all diese Grundrechtseingriffe an einer Ermächtigungsgrundlage, d. h. sie sind rechtswidrig. Demnach ist die Entscheidung der Verfahrenseinleitung geeignet, den Betroffenen i.S.d. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG in seinen Rechten zu verletzen. Im Übrigen verletzt auch die Fortführung eines – obschon rechtmäßig eingeleiteten – Ermittlungsverfahrens trotz Einstellungsreife i.S.d. § 170 Abs. 2 S. 1 StPO128 die Rechte des Beschuldigten. Ein Anspruch des Beschuldigten auf Einstellung des Verfahrens lässt sich zwar nicht unmittelbar aus § 170 Abs. 2 S. 1 StPO ableiten. Allerdings ergibt sich ein solcher aus dem dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) entspringenden und auch in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verankerten Beschleunigungsgebot. Überdies verstieße die Fortführung eines einstellungsreifen Ermittlungsverfahrens gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn bei Einstellungsreife wäre die Belastung durch ein schwebendes Verfahren kein erforderlicher und damit stets ein unverhältnismäßiger Eingriff.129 Folglich bleibt festzuhalten, dass sowohl die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens als auch dessen Fortführung in die Rechte des Beschuldigten eingreifen und diese verletzen können. Damit gebietet es die Rechtsschutzgarantie, dass der Beschuldigte gegen die Verfahrenseinleitung und gegen die Verfahrensfortführung gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann.130 Er darf es nicht unwidersprochen hinnehmen müssen, wenn der Staat seine Grundrechte verletzt. Gleichsam 126

Vgl. Zweites Kapitel, D. I. Vgl. auch BVerfG NJW 1994, 1577, 1590, wo Sommer in seiner abweichenden Meinung schon die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens als grundrechtsrelevant einstuft. 128 Einstellungsreife ist der Zustand, bei dem realistische und mit zumutbarem Aufwand mögliche Ermittlungshandlungen nicht mehr ersichtlich sind; auf die bloße Hoffnung, dass noch verdachtsbegründende oder verdachtsverstärkende Umstände auftreten können, kommt es nicht an; Rieß, in: Roxin-FS, S. 1319, 1322, im Anschluss an Hilger, JR 1985, 93, 94 f. 129 Rieß, in: Roxin-FS, S. 1319, 1326 ff., der vor diesem Hintergrund zur Schaffung eines gerichtlichen Einstellungserzwingungsverfahrens rät. 130 So auch SK-Wohlers, § 160 Rn. 100; LR-Erb, § 160 Rn. 67a; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, S. 213; Kölbel, JR 2006, 322; Nagel, StV 2001, 185, 187 f.; Eisenberg/ Conen, NJW 1998, 2241, 2247; hinsichtlich der Verfahrenseinleitung Schulz, StraFo 2003, 295, 297; hinsichtlich der Fortführung eines einstellungsreifen Verfahrens Füßer/Viertel, NStZ 1999, 116, 117 und Rieß, in: Roxin-FS, S. 1319, 1326 ff. 127

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hätte ein solcher Rechtsbehelf zum Vorteil, dass eine Kasuistik entstünde, die der verfassungsrechtlich verankerten Begrenzungsfunktion des Anfangsverdachts auch praktisch Geltung verschaffte. Die h.M.131 kommt indes zu einem anderen Ergebnis. Obschon allgemein anerkannt ist, dass mit einem Ermittlungsverfahren Beeinträchtigungen für den Beschuldigten einhergehen, verweigert sie ihm grundsätzlich den Zugang zum Gericht. Im Interesse einer funktionierenden Strafrechtspflege seien diese Beeinträchtigungen für einen gewissen Zeitraum als unvermeidbar hinzunehmen. Lediglich ausnahmsweise für den Fall objektiver Willkür müsse der Beschuldigte die Verfahrenseinleitung bzw. -fortführung anfechten können.132 Ein derart verkürzter Rechtsschutz ist jedoch ungenügend, denn er kann praktisch nicht relevant werden. Voraussetzung wäre, „dass das Ermittlungsverfahren aus schlechthin unhaltbaren Erwägungen eingeleitet wurde oder offenbar aus Gründen fortgeführt wird, die unter keinem Gesichtspunkt mehr nachvollziehbar sind, mithin objektiv willkürliches Handeln der Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Beschuldigten in Rede steht“.133 Da die Voraussetzungen des Anfangsverdachts unbestimmt sind und die Entscheidung über die Verfahrenseinleitung keine Begründung134 erfordert, dürfte ein objektiv willkürliches Verhalten der Strafverfolgungsbehörden jedoch nur in absoluten Ausnahmefällen festgestellt werden können.135 Tatsächlich ist ein solcher Fall bislang – soweit ersichtlich – nicht ein einziges Mal vorgekommen. Die Begründungen der vom BVerfG136 als verfassungsrechtlich unbedenklich gebilligten h.M. für den grundsätzlichen Rechtswegausschluss sind vielfältig. Gemein ist ihnen allerdings, dass sie sich mit der eigentlichen Frage, ob den mit einem Ermittlungsverfahren einhergehenden Beeinträchtigungen das Potenzial von Rechtsverletzungen i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG zukommt, nicht (fundiert) auseinandersetzen. So wird etwa argumentiert, dass eine gerichtliche Kontrolle der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung einem strukturellen Grundprinzip des Strafverfahrensrechts widerspreche, wonach solche Maßnahmen und Entscheidungen keiner weiteren und zusätzlichen Kontrolle unterlägen, die das Verfahren in die nächste Stufe versetzen, um dort eine Entscheidung zu ermöglichen.137 Dementsprechend 131 OLG Karlsruhe NStZ 1994, 142, 143 f.; OLG Karlsruhe NStZ 1982, 434 mit zust. Anm. Rieß; OLG Jena NStZ 2005, 343; SK-Rogall, Vor § 133 Rn. 40; KK-Schoreit, § 23 EGGVG Rn. 32; LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 113; Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 9; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 321. 132 BVerfG NStZ 1984, 228, 229. Das BVerfG lässt allerdings offen, welcher Rechtsbehelf für diesen Fall einschlägig sein soll. 133 BVerfG, NStZ 1984, 228, 229. 134 Vgl. KK-Wache, § 160 Rn. 14. 135 Vgl. Nagel, StV 2001, 185, 190. 136 BVerfG NStZ 2004, 447; BVerfG NStZ 1984, 228. 137 Rieß, in: Geerds-FS, S. 501, 510.

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könne der Angeklagte die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht anfechten (vgl. § 210 Abs. 1 StPO), weil dort darüber befunden wird, ob sich der hinreichende Tatverdacht ausreichend verdichten kann.138 Ebenso wie es dem Angeklagten zuzumuten sei, das Ergebnis des Hauptverfahrens abzuwarten, sei es auch dem Beschuldigten zuzumuten, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens abzuwarten. Immerhin streite für beide die Unschuldsvermutung.139 Der Vergleich, den diese Argumentation zieht, kann jedoch nicht überzeugen, da er die qualitativen Unterschiede zwischen den einzelnen Verfahrensstadien außer Acht lässt.140 Während im Falle des Angeklagten bereits ein Gericht festgestellt hat, dass gegen ihn sogar ein hinreichender Tatverdacht besteht, liegt gegen den Beschuldigten keine gerichtliche Bestätigung eines Verdachtsgrades vor; gegen ihn wurde lediglich seitens der Strafverfolgungsbehörden – zumeist der Polizei – das Vorliegen eines Anfangsverdachts angenommen. Dementsprechend verbietet sich der Rückschluss, dem Beschuldigten sei ein Abwarten zuzumuten, nur weil es dem Angeklagten zugemutet wird.141 Auch kann die Unschuldsvermutung nicht herangezogen werden, um den Beschuldigten treffende Nachteile zu legitimieren, da sie gerade zu seinen Gunsten wirken soll und ansonsten in ihrer Funktion pervertiert würde. Weiterhin wird seitens der h.M. hervorgehoben, es handele sich bei der Verfahrenseinleitung um eine unselbstständige Einzelmaßnahme, die noch nicht gestaltend auf die Rechtsverhältnisse des Betroffenen einwirke, sondern ausschließlich die Abschlussverfügung (vgl. § 170 Abs. 1, 2 StPO) vorbereite.142 Aus diesem Grund könne sie nicht isoliert betrachtet, d. h. nicht einer gesonderten gerichtlichen Überprüfung zugänglich gemacht werden.143 Hierbei handele es sich um eine grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, die für das Bußgeldverfahren ihren Niederschlag in § 62 Abs. 1 S. 2 OWiG finde.144 Nach dieser Vorschrift ist gegen solche Anordnungen, Verfügungen und Maßnahmen der Verwaltungsbehörde in Bußgeldverfahren die gerichtliche Entscheidung ausgeschlossen, die nur zur Vorbereitung der Entscheidung getroffen werden, ob ein Bußgeldbescheid erlassen oder das Verfahren eingestellt wird, und die keine selbstständige Bedeutung haben. Neben dem Umstand, dass ein Bußgeldverfahren nicht die geschilderten gravierenden Auswirkungen für den Betroffenen entfaltet, wie sie von einem Ermittlungsverfahren ausgehen, lässt sich gegen dieses Argument vorbringen, dass der Gesetzgeber keine entsprechende Vorschrift in der StPO installiert hat, d. h. ge138 139 140 141 142

201. 143 144

Rieß, in: Geerds-FS, S. 501, 510. Vgl. Rieß, Anm. zu OLG Karlsruhe NStZ 1982, 434, 436. Nagel, StV 2001, 185, 187. Nagel, StV 2001, 185, 187. OLG Karlsruhe NStZ 1982, 434 mit zust. Anm. Rieß; vgl. Rieß/Thym, GA 1981, 189, OLG Karlsruhe NStZ 1982, 434 mit zust. Anm. Rieß. LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 57.

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richtlichen Rechtsschutz dort gerade nicht ausschließen wollte.145 Die Einstufung der Verfahrenseinleitung als unselbstständige Einzelmaßnahme steht einer richterlichen Überprüfung also nicht entgegen. Des Weiteren wird argumentiert, dass eine gerichtliche Kontrolle der strukturellen Funktionsteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht im Ermittlungsverfahren zuwiderliefe.146 Das deutsche Strafprozessrecht weise die Sachverhaltserforschung im Ermittlungsverfahren und insbesondere die Entscheidung über dessen Erfordernisse ausschließlich der Staatsanwaltschaft und nicht dem Richter zu. Diese bewusst herbeigeführte Trennung zwischen Richter und Ankläger, die den Schlüssel zur Überwindung des früheren Inquisitionsverfahrens darstelle, würde durch eine richterliche Kontrolle staatsanwaltschaftlicher Ermittlungstätigkeit unterlaufen.147 Eine solche Kontrolle bedeute die Aufhebung der alleinverantwortlichen Staatsanwaltschaft als einer von den Gerichten unabhängigen Behörde.148 Auch diese Argumentation ist indes nicht überzeugend. Die Möglichkeit einer richterlichen Kontrolle führte lediglich dazu, dass etwaigen Kompetenzüberschreitungen der Staatsanwaltschaft begegnet werden könnte.149 Eine strukturelle Verschiebung, wie sie behauptet wird, bedeutete dies nur dann, wenn man davon ausginge, dass die Staatsanwaltschaft de lege lata keinen überprüfbaren rechtlichen Bindungen unterliegt.150 Die StPO bindet die Staatsanwaltschaft jedoch bei einer Vielzahl von Ermittlungsmaßnahmen an eine richterliche Entscheidung (vgl. nur § 81a Abs. 2 StPO für die körperliche Untersuchung, § 98 Abs. 1 S. 1 StPO für die Beschlagnahme und § 105 Abs. 1 S. 1 StPO für die Durchsuchung). Im Falle des Klageerzwingungsverfahrens (§ 172 StPO) normiert die StPO diese Bindung sogar im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren als Ganzes, indem sie letztendlich dem Gericht die Entscheidung darüber zuweist, ob das Ermittlungsverfahren aufzunehmen, fortzuführen bzw. Anklage zu erheben ist (vgl. § 172 Abs. 2 S. 1 StPO). Demnach bleibt festzuhalten, dass eine richterliche Überprüfung staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen sowohl hinsichtlich einzelner Ermittlungsmaßnahmen als auch hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens als Ganzem dem Rechtsschutzsystem der StPO gerade immanent ist.151 Auch kann die Sorge, die Staatsanwaltschaft könnte ihre Stellung als Herrin des Ermittlungsverfahrens einbüßen, in tatsächlicher Hinsicht nicht überzeugen, da die Staatsanwaltschaft diese Stellung bereits weitgehend zugunsten der Polizei aufgegeben hat.152 145

Vgl. Nagel, StV 2001, 185, 187. Vgl. Rieß, Anm. zu OLG Karlsruhe, NStZ 1982, 434, 435; LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 106; OLG Karlsruhe, NStZ 1994, 142, 143. 147 Rieß, Anm. zu OLG Karlsruhe NStZ 1982, 434, 435. 148 Vgl. LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 106. 149 SK-Wohlers, § 160 Rn. 101. 150 SK-Wohlers, § 160 Rn. 101. 151 Nagel, StV 2001, 185, 189. 152 Vgl. Zweites Kapitel, C. 146

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

Ferner befürchtet die h.M., dass ein Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege beeinträchtigte. Denn gewähre man einen solchen Rechtsschutz, bringe dies die Gefahr mit sich, dass zahlreiche Nebenverfahren entstünden, die das Ermittlungsverfahren verzögerten oder gar lähmten.153 Zudem bestehen mit Blick auf die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege Bedenken gegen die im Zuge einer gerichtlichen Kontrolle notwendige Offenlegung der Verdachtsmomente. Aus diesen Gründen habe der Beschuldigte die Beeinträchtigungen durch das Ermittlungsverfahren während seiner Laufzeit hinzunehmen. Aber auch diese Argumentation trägt nicht. Eine Kollision beider Rechtsgüter – der Rechtsschutzgarantie einerseits und der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege andererseits – könnte im Sinne praktischer Konkordanz dahingehend aufgelöst werden, dass eine entsprechende gerichtliche Überprüfung der Verfahrenseinleitung bzw. -fortführung keinen Suspensiveffekt entfaltete. Bei einer derartigen Ausgestaltung könnten die Strafverfolgungsbehörden während der Dauer der gerichtlichen Überprüfung unbeeinträchtigt weiterermitteln. Überdies erscheinen die Bedenken gegen die Offenlegung der Verdachtsmomente angesichts der geringen Anforderungen des Anfangsverdachts154 unangebracht. Preisgegeben werden müsste nicht das gesamte (vorläufige) Ermittlungsergebnis, sondern nur so viel, dass die Annahme des Anfangsverdachts nachvollzogen werden könnte. Damit würden allein die Fälle grundloser bzw. aus sachfremden Erwägungen heraus angestrengter Ermittlungsverfahren ausgefiltert.155 Schließlich wird argumentiert, dass Art. 19 Abs. 4 GG keinen Anspruch auf sofortigen Rechtsschutz, sondern lediglich auf Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit garantiere.156 Komme es zur Anklage, so werde der Tatverdacht einer gerichtlichen Prüfung zugeführt. Ein Zuwarten auf den Rechtsschutz im Zwischen- bzw. Hauptverfahren sei dem Beschuldigten in aller Regel zuzumuten. Wird das Verfahren indes eingestellt und entfällt aus diesem Grund eine gerichtliche Überprüfung des Tatverdachts, fehle es dem Betroffenen, der unter dem Schutz der Unschuldsvermutung stehe, an einem anzuerkennenden Interesse für die Inanspruchnahme des Rechtsweges.157 Diese Argumentation ist ebenfalls nicht überzeugend, denn der Hinweis auf die für den Beschuldigten streitende Unschuldsvermutung kann die mit einem Ermittlungsverfahren einhergehenden möglicherweise rechtswidrigen Grundrechtseingriffe nicht nivellieren. Den insoweit erforderlichen Rechtsschutz bieten auch das Zwischen- bzw. Hauptverfahren nicht, denn sie gewähren lediglich post festum Rechtsschutz, und dies auch nur einer Minderzahl aller (vormals) Beschuldigten. Das 153 154 155 156 157

OLG Karlsruhe NJW 1976, 1417, 1418. Vgl. hierzu ausführlich Zweites Kapitel, B. SK-Wohlers, § 160 Rn. 102. BVerfG NStZ 1984, 228, 229. BVerfG NStZ 1984, 228, 229.

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verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann aber nur hinreichend beachtet sein, wenn es dem Beschuldigten ermöglicht wird, die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens zu bewirken, dessen faktische Beeinträchtigung von Grundrechten keiner Rechtfertigung mehr zugänglich ist.158 Nach alledem bleibt festzuhalten, dass keines der gegen eine grundsätzliche gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit vorgebrachten Argumente überzeugen kann. Die h.M. verkennt, dass nicht nur den einzelnen Zwangsmaßnahmen der StPO, sondern auch dem Ermittlungsverfahren als solchem eine Grundrechtsrelevanz zukommt, die eine uneingeschränkte159 gerichtliche Kontrolle erforderlich macht. Der von der h.M. nur ausnahmsweise zugestandene Rechtsschutz für den Fall objektiver Willkür hat keine praktische Relevanz und genügt damit nicht dem Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Dessen Beachtung ist aber umso bedeutsamer, als dass die Ermittlungstätigkeit entgegen der gesetzgeberischen Entscheidung in der StPO faktisch durch die Polizei verantwortet wird.

III. Die Umsetzung des erforderlichen Rechtsschutzes de lege lata Um dem Beschuldigten die im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG erforderliche gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit der Verfahrenseinleitung und -fortführung zu eröffnen, kommen de lege lata zwei Rechtsbehelfe in Betracht: der Rechtsschutz gegen Justizverwaltungsakte gemäß §§ 23 ff. EGGVG oder eine analoge Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO. Hierauf soll nachfolgend näher eingegangen werden. 1. Rechtsbehelf gemäß §§ 23 ff. EGGVG Die §§ 23 bis 30 EGGVG konkretisieren den durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt.160 Mit dem Rechtsbehelf nach § 23 EGGVG können Anordnungen, Verfügungen oder sonstige Maßnahmen, die die Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten u. a. auf dem Gebiet der Strafrechtspflege treffen (sog. Justizverwaltungsakte), einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden. Wegen ihrer größeren Sachnähe sind hierfür die ordentlichen Gerichte zuständig.161 Der Antrag gem. § 23 EGGVG kann sowohl die 158

Nagel, StV 2001, 185, 191. Wie Kölbel, JR 2006, 322, 326 zutreffend bemerkt, hat das Absprechen eines Beurteilungsspielraums mit der Folge einer uneingeschränkten richterlichen Verdachtskontrolle zwar eine Strafbewehrung zur Konsequenz, die zwischen der unrichtigen Verfahrenseinleitung (§ 344 StGB) und -nichteinleitung (§ 258a StGB) keinen sanktionslosen Irrtumsbereich ließe, doch ist ihm auch darin zuzustimmen, dass solche Fehler angesichts der marginalen Anforderungen an einen berechtigten Verdacht allemal vermeidbar sind. 160 BGH NJW 1994, 1950, 1951; BVerwG NJW 1975, 893. 161 BVerwG NJW 1975, 893; BVerwG NJW 1976, 305, 306 f. 159

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

Anfechtung einer belastenden Maßnahme zum Gegenstand haben (§ 23 Abs. 1 EGGVG) als auch auf die Verpflichtung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Justizverwaltungsaktes ausgerichtet sein (§ 23 Abs. 2 EGGVG). In ihrer Funktion als Strafverfolgungsbehörde ist die Staatsanwaltschaft unstreitig eine Justizbehörde i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG.162 Nach h.M.163 stellen staatsanwaltschaftliche Maßnahmen, die der Einleitung, Durchführung oder Beendigung des Strafverfahrens dienen, jedoch keine Justizverwaltungsakte i.S.d. Vorschrift dar. Begründet wird dieser Ausschluss mit dem Sinn und Zweck der §§ 23 ff. EGGVG. Dieser besondere Rechtsweg sei geschaffen worden, um die Nachprüfung der spezifisch justizmäßigen Verwaltungsakte der Justizverwaltung den ordentlichen Gerichten zu übertragen, da diese über die für die Nachprüfung erforderlichen zivil- und strafrechtlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügten.164 Dementsprechend unterlägen einer Überprüfung nach den §§ 23 ff. EGGVG allein Verwaltungshandlungen der Justizverwaltung.165 Die auf die Aufklärung und Ahndung von Straftaten gerichteten Betätigungen der Staatsanwaltschaft stellten indes keine Verwaltungshandlungen, sondern strafprozessuale Akte (sog. Prozesshandlungen) dar.166 Diese seien funktionell der Rechtspflege zuzurechnen und nicht der Verwaltung. Gegen die h.M. spricht schon der Wortlaut des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG. Nach der dortigen Legaldefinition handelt es sich bei einem Justizverwaltungsakt um eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten u. a. auf dem Gebiet der Strafrechtspflege. Eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten ist jedes behördliche Vorgehen, das unmittelbar der Regelung einer Einzelangelegenheit dient und geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten zu verletzen.167 Durch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wird der Betroffene zum Beschuldigten und behält diese Stellung während der Verfahrensdauer bei, so dass von einem Ermittlungsverfahren die erforderliche Regelungswirkung ausgeht. Zudem kann ein anhängiges Ermittlungsverfahren den Beschuldigten, wie gezeigt,168 in seinen Rechten verletzen. Damit kommt dem Ermittlungsverfahren der erforderliche Justizverwaltungsaktcharakter zu,169 so dass der Beschuldigte seine auf den Beginn und die Fortführung des Ermittlungsverfahrens gerichteten Anträge nach §§ 23 ff. EGGVG durchsetzen können muss. Daran vermag auch eine Subsumtion staatsanwaltschaftlicher Ermittlungstätigkeit unter den Prozesshandlungsbegriff nichts zu än162

Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 2 m.w.N. OLG Karlsruhe NStZ 1994, 142, 143 f.; OLG Hamm, NStZ 1984, 280; LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 113; Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 9 m.w.N. 164 OLG Karlsruhe, NJW 1976, 1417, 1418. 165 OLG Karlsruhe, NJW 1976, 1417, 1418. 166 OLG Stuttgart, NJW 1977, 2276; OLG Karlsruhe, NJW 1976, 1417, 1418; OLG Hamm, NJW 1973, 1089, 1990. 167 Vgl. Meyer-Goßner, § 23 EGGVG Rn. 6 f. 168 Vgl. Zweites Kapitel, D. I. 169 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2248. 163

E. Mögliche Rechtsbehelfe

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dern, da diese nicht den entscheidenden Eingriffscharakter annulliert.170 Je nach Ausgestaltung können Prozesshandlungen vom Wortlaut des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG erfasst sein.171 Darüber hinaus kann das Bemühen der h.M., Prozesshandlungen dem Anwendungsbereich der §§ 23 ff. EGGVG zu entziehen, gerade auch vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der Vorschriften nicht überzeugen. Da diese geschaffen wurden, um den durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsschutz auf dem Gebiet der Justizverwaltung zu sichern, verbietet sich nämlich, wie Eisenberg/Conen172 zutreffend konstatieren, eine Argumentation, die § 23 EGGVG anhand einer einfachgesetzlichen bzw. rechtswissenschaftlichen Begrifflichkeit wie der der Prozesshandlung auslegt. Maßgeblich für die Interpretation der Vorschriften hat vielmehr der dem einfachen Gesetzgeber entzogene Art. 19 Abs. 4 GG zu sein.173 Dieser erfordert es aber, wie bereits dargelegt,174 dass dem Betroffenen gegen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und gegen dessen Fortführung der Rechtsweg offen steht. Im Übrigen würde mit der Annahme von Prozesshandlungen, die keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegen, ein prozessinterner Raum geschaffen, der mit dem geltenden Recht nicht vereinbar ist und die materiellrechtlichen Wirkungen übersieht, die jede strafprozessuale Maßnahme verursachen kann.175 Die Anwendbarkeit der §§ 23 ff. EGGVG auf die Verfahrenseinleitung und -fortführung wird von der h.M. allerdings noch aus einem weiteren Grund ausgeschlossen. Ihr stehe die Subsidiaritätsklausel des § 23 Abs. 3 EGGVG entgegen, wonach die §§ 23 ff. EGGVG zurücktreten, soweit die ordentlichen Gerichte bereits aufgrund anderer Vorschriften angerufen werden können.176 Zwar hat der Betroffene im Bezug auf die in Rede stehenden Entscheidungen nach h.M. nicht die Möglichkeit, die ordentlichen Gerichte aufgrund anderer Vorschriften anzurufen. Nichtsdestotrotz stehe die Subsidiaritätsklausel einer Anwendbarkeit der §§ 23 ff. EGGVG entgegen, da davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber bewusst auf die anderweitige Normierung eines entsprechenden Rechtsschutzes verzichtet habe. Die Vorschriften der StPO stellten insofern ein abschließendes, den Interessen der am Strafverfahren Beteiligten gerecht werdendes Regelungswerk dar und sperrten damit die Anwendbarkeit der §§ 23 ff. EGGVG.177 Dem kann jedoch schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die h.M. an anderer Stelle anerkennt, dass es planwidrige Regelungslücken in den nach der StPO be170

Nagel, StV 2001, 185, 190. Vgl. Nagel, StV 2001, 185, 190. 172 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2248. 173 Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2248. 174 Vgl. Zweites Kapitel, E. II. 175 Nagel, StV 2001, 185, 190; Keller, GA 1983, 497, 501; vgl. Amelung, Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, S. 14. 176 OLG Hamm, NStZ 1984, 280. 177 OLG Hamm, NStZ 1984, 280; Rieß, Anm. zu OLG Karlsruhe, NStZ 1982, 434, 435. 171

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschuldigten gibt, und daher Analogien bildet. So ist es einhellige Meinung178, dass es einer analogen Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO auch bei anderen Zwangsmaßnahmen bedarf, um den Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG gerecht zu werden. Die StPO kann im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschuldigten also gerade nicht als abschließend bezeichnet werden. Ohnehin muss die Frage, ob § 23 Abs. 3 EGGVG eine Sperrwirkung entfaltet, mit Blick auf die Funktion der einfachgesetzlichen Rechtsschutzregelungen beantwortet werden. Diese sichern, wie das BVerfG179 betont, die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und sind dementsprechend so auszulegen und anzuwenden, dass sie nicht in Widerspruch zu den Grundsätzen effektiven Rechtsschutzes treten. Erfordert Art. 19 Abs. 4 GG also Rechtsschutz gegen die Verfahrenseinleitung und -fortführung und besteht diesbezüglich eine Lücke im Rechtsschutz der StPO, kann § 23 Abs. 3 EGGVG keine Sperrwirkung entfalten, sondern muss verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass Rechtsschutz über die Vorschriften der StPO hinaus zulässig ist.180 Mithin müssen die Verfahreneinleitung und -fortführung einer gerichtlichen Überprüfung nach §§ 23 ff. EGGVG zugänglich sein.181 Dabei besteht der Vorteil dieses Rechtsbehelfs gegenüber einem Rechtsschutz gem. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog darin, dass nicht der Ermittlungsrichter, sondern der Strafsenat für die Entscheidung zuständig ist (vgl. § 25 Abs. 1 S. 1 EGGVG). Ebenso wie beim Klageerzwingungsverfahren, das auf die Verfahrenseinleitung, -fortführung bzw. Anklageerhebung abzielt und das in die Zuständigkeit des Strafsenats fällt (vgl. § 172 Abs. 4 S. 1 StPO), ist auch bei umgekehrter Zielrichtung, d. h. wenn das Ermittlungsverfahren als Ganzes in Frage gestellt wird, die Autorität des Strafsenats verlangt. 2. Rechtsbehelf gemäß § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog Soweit entgegen der hier vertretenen Auffassung die Anwendbarkeit des Rechtsschutzes gegen Justizverwaltungsakte gemäß §§ 23 ff. EGGVG verneint wird, könnte das Rechtsschutzsystem der StPO dem Betroffenen über § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog den Rechtsweg zur Überprüfung der Einleitung und Fortführung eines Ermittlungsverfahrens eröffnen. Obschon eine analoge Anwendung des Rechtsschutzes gem. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO zur Überprüfung einzelner Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft und 178

Vgl. Meyer-Goßner, § 81b Rn. 21 m.w.N. BVerfG, StV 1997, 393; BVerfG, NVwZ 1994, 160. 180 Vgl. Füßer/Viertel, NStZ 1999, 116, 118 f. 181 So auch Kölbel, JR 2006, 322, 325, der zudem einen präventiven Rechtsschutz gegen die drohende Verfahrenseinleitung über die §§ 23 ff. EGGVG realisieren will; Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2248; Nagel, StV 2001, 185, 191; LR-Erb, § 160 Rn. 67c; hinsichtlich der begehrten Abschlussverfügung Füßer/Viertel, NStZ 1999, 116, 118 f. 179

F. Zusammenfassende Würdigung

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ihrer Ermittlungspersonen allgemein anerkannt ist,182 verweigert die h.M. eine analoge Anwendung der Vorschrift zur Überprüfung der Verfahrenseinleitung und der Verfahrensfortführung unter Hinweis darauf, dass es sich bei der StPO um ein abgeschlossenes Überprüfungs- und Kontrollsystem handele.183 Dieser Argumentation kann, wie bereits konstatiert184, nicht zugestimmt werden. Auch von den Vertretern der h.M. wird § 98 Abs. 2 S. 2 StPO im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG als Ausdruck eines allgemeinen, das ganze Strafverfahrensrecht durchziehenden Rechtsgedankens verstanden, der alle Eingriffe der Ermittlungsbehörden, namentlich soweit sie Grundrechte berühren, erfasse.185 Da auch ein von speziellen Ermittlungsmaßnahmen freies Ermittlungsverfahren in die Grundrechte des Betroffenen eingreifen und diese verletzen kann,186 unterfällt es ebenso diesem Rechtsgedanken; es besteht eine vergleichbare Sachlage. Lehnte man eine Anwendbarkeit der §§ 23 ff. EGGVG ab, bestünde zudem eine Regelungslücke, die im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG als planwidrig bezeichnet werden müsste. Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO auf die Verfahrenseinleitung und -fortführung wären damit erfüllt.187

F. Zusammenfassende Würdigung Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, leidet das Ermittlungsverfahren seiner derzeitigen normativen und faktischen Struktur nach unter erheblichen grundrechtsbeeinträchtigenden Defiziten. Im Einzelnen laufen die dargestellten Definitionsbemühungen zum Anfangsverdacht weitgehend leer, d. h. sie konkretisieren nicht hinreichend die Voraussetzungen und damit auch nicht die Grenzen staatlichen Einschreitens. Eine objektivierende Definition, die dies zu leisten vermag, kann angesichts der Tatsache, dass ein Verdacht immer das Produkt subjektiver Wahrnehmung ist, wohl auch nicht gelingen. Die Unbestimmtheit des Anfangsverdachts führt dazu, dass es praktisch kaum Fallgestaltungen gibt, bei denen sein Vorliegen ausgeschlossen werden kann. Damit sieht sich der Bürger aber permanent der Gefahr ausgesetzt, zum Objekt staatlicher Ausforschung zu werden. Weitere rechtsstaatliche Bedenken ergeben sich im Hinblick auf den für die Einleitung von Ermittlungsverfahren faktisch verantwortlichen Entscheidungsträger. Denn die Realität ist entgegen der gesetzlichen Konzeption 182

Vgl. Meyer-Goßner, § 81b Rn. 21 m.w.N. Vgl. OLG Hamm, NStZ 1984, 280; Rieß, Anm. zu OLG Karlsruhe, NStZ 1982, 434, 435; LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 111. 184 Vgl. Zweites Kapitel, E. III. 1. 185 LR-Böttcher, § 23 EGGVG Rn. 88 m.w.N. 186 Vgl. Zweites Kapitel, D. I. 187 Diese Rechtsschutzvariante favorisierend SK-Wohlers, § 160 Rn. 102; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, S. 213. 183

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2. Kap.: Der Anfangsverdacht

dadurch gekennzeichnet, dass die Polizei in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle die Ermittlungen, beginnend mit ihrer Einleitung, selbstständig durchführt und der Staatsanwaltschaft die entsprechenden Ergebnisse – unter Außerachtlassen des § 163 Abs. 2 S. 1 StPO – erst nach Abschluss der Ermittlungen vorlegt. Diese Entwicklung bedeutet indes eine rechtsstaatlich bedenkliche Machtkonzentration bei der Polizei. Schon mit Blick auf Art. 20 Abs. 3 GG, aber vor allem, weil die Einleitung und die Fortführung eines Ermittlungsverfahrens geeignet sind, in die Grundrechte des Betroffenen einzugreifen, darf die Befugnis, hierüber zu entscheiden, nicht contra legem der Polizei überantwortet werden. Darüber hinaus erfordert die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG angesichts der Grundrechtsrelevanz des Ermittlungsverfahrens eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit der Verfahrenseinleitung und -fortführung. Diese sollte dem Betroffenen de lege lata über den Rechtsweg gegen Justizverwaltungsakte gem. §§ 23 ff. EGGVG eröffnet werden. Schließlich würde eine solche Überprüfungsmöglichkeit nicht nur zu einem effektiven Grundrechteschutz verhelfen, sie könnte auch die Effektivität der Strafverfolgung verbessern. Eine durch die Rechtsprechung entwickelte Kasuistik zu den Voraussetzungen des Anfangsverdachts, die dessen Konturen schärft, könnte nämlich dazu beitragen, dass die Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden bestmöglich genutzt, d. h. keine illegitimen und damit unnötigen Ermittlungen geführt werden.188 Gleiches gilt für einen Rechtsschutz gegen einstellungsreife Ermittlungsverfahren, da dieser bewirken dürfte, dass die Ermittlungen zügig vorangetrieben und zu einem Abschluss gebracht werden. Diese Erwägungen machen deutlich, dass, wie von Nagel189 zutreffend formuliert, entgegen der zunehmend feststellbaren Tendenz, durch den Abbau der Beschuldigtenrechte zu einer Verfahrensbeschleunigung zu gelangen, diese auch durch einen Ausbau der Beschuldigtenrechte erzielt werden kann.

188 189

Vgl. Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241, 2249. Nagel, StV 2001, 185, 192.

Drittes Kapitel

Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken Vor der Drohkulisse von Organisierter Kriminalität und zuletzt vornehmlich des internationalen Terrorismus wurden die Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden in den letzten Jahrzehnten erheblich, und zwar vor allem um verdeckte, also ursprünglich geheimdienstliche Ermittlungstechniken erweitert. Beispiele dieser heimlichen Ermittlungsmethoden sind die Rasterfahndung (§§ 98a, 98b StPO), der Datenabgleich (§ 98c StPO), die Telekommunikationsüberwachung (§§ 100a, 100b StPO), die akustische Wohnraumüberwachung (§§ 100c ff. StPO) oder die Netzfahndung (§ 163d StPO). Motor der fortwährenden Kodifizierung neuer heimlicher Ermittlungsmaßnahmen waren die Begehrlichkeiten der Strafverfolgungsbehörden, die durch den technischen Fortschritt geweckt wurden. In nacheilendem Gehorsam legalisierte der Gesetzgeber, was die Strafverfolgungsbehörden forderten und teilweise schon längst eingesetzt hatten.1 Auf diesem Weg entstand ein Automatismus der Schaffung von Rechtsgrundlagen, dessen Tempo im Wesentlichen die Exekutive bestimmte und der zu immer weitergehenden Möglichkeiten der Überwachung führte.2 Verstärkt wurde diese Entwicklung noch dadurch, dass der technische Fortschritt praktisch ständig neue, effektivere und einfachere Überwachungsmethoden ermöglichte.3 Zudem begünstigte auch eine großzügige Auslegung der neugeschaffenen Eingriffsbefugnisse, deren Voraussetzungen vielfach frappierend gering sind, den Einsatz alles technisch Machbaren.4 Vermöge der neuen Ermittlungstechniken sind die Strafverfolgungsbehörden in der Lage, den Betroffenen umfangreich auszuforschen und dabei intensiv in die einschlägigen Grundrechte, allen voran in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie in das Fernmeldegeheimnis, einzugreifen. Gleichzeitig wurden unter der Maxime der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung im Polizeirecht zahlreiche neue Eingriffsbefugnisse normiert, die es den Polizeibehörden erlauben, sogar schon weit im Vorfeld von konkreter Gefahr und Anfangsverdacht 1

Vgl. Paeffgen, in: Zur Theorie und Systematik des Strafprozessrechts, S. 13, 24. Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, 62, 67. 3 Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, 62, 67. 4 So etwa im Falle des Einsatzes von GPS, der auf § 100 h Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO gestützt wird; vgl. ausführlich Drittes Kapitel, A. 2

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3. Kap.: Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken

heimliche Überwachungsmaßnahmen einzusetzen.5 In ihrer Gesamtheit haben die staatlichen Ausforschungsmöglichkeiten ein kaum noch überschaubares Ausmaß angenommen. Zudem ist gemeinsamer Nenner vieler der neuen strafprozessualen Ermittlungsbefugnisse, dass sie häufig nicht mehr allein Verdächtige betreffen, sondern, wie die Beispiele des IMSI-Catchers (§ 100i StPO) und der Funkzellenabfrage (§ 100g Abs. 2 S. 2 StPO) zeigen, auch und sogar überwiegend in die Grundrechte Unverdächtiger eingreifen. Da die neueren Überwachungstechniken von den Bürgern aber kaum bemerkt werden können, sind sie ihnen fast unausweichlich ausgeliefert. Die Möglichkeiten, unerwünschten Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auch das Fernmeldegeheimnis zu entgehen, haben sich infolge des technischen Fortschritts drastisch reduziert. Wie umfangreich der Grundrechtsträger mittels der neueren Ermittlungstechniken ausgeforscht, insbesondere ein aussagekräftiges Bewegungsprofil über ihn erstellt werden kann, und wie die an dem technisch Machbaren orientierten Begehrlichkeiten der Strafverfolgungsbehörden den Gesetzgeber zur Schaffung neuer bzw. die Rechtsprechung zu einer großzügigen Auslegung bestehender Eingriffsbefugnisse animieren, soll nachfolgend beispielhaft anhand der Überwachung per GPS, des Einsatzes eines IMSI-Catchers und der Verkehrsdatenerhebung dargestellt werden.

A. Das Ausforschen mittels GPS GPS (Global Positioning System) ist ein satellitengestütztes Ortungssystem, mit dem der Standort einer Person oder einer Sache bestimmt werden kann. Hierzu muss das Zielobjekt mit einem GPS-Empfänger ausgestattet werden. Um über einen Verdächtigen ein Bewegungsprofil erstellen zu können, wird ein solcher Empfänger üblicherweise an dessen Fahrzeug angebracht. Der Empfänger nimmt in regelmäßigen zeitlichen Abständen Signale auf, die von Satelliten ausgestrahlt werden, und definiert so präzise seine Position im Schnittpunkt von Längen- und Breitengrad. Die Standortinformationen können fortlaufend gespeichert und auf einer virtuellen Landkarte dargestellt werden. Auf diese Weise lassen sich Bewegungsprofile erstellen, die genau dokumentieren, wo sich der Empfänger zu welchem Zeitpunkt befand. Da der Standort des Empfängers allerdings nicht zwingend einen Rückschluss auf den Standort des Verdächtigen zulässt, werden regelmäßig noch andere Observationsmethoden ergänzend eingesetzt werden müssen, die Aufschluss darüber geben, ob die mit dem Empfänger ausgestattete Sache zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich vom Verdächtigen genutzt wurde.6 5 6

Siehe ausführlich hierzu Fünftes Kapitel: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung. Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 148.

A. Das Ausforschen mittels GPS

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Eingriffsgrundlage für eine Observation unter Einsatz von GPS ist § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO.7 Wie das BVerfG8 bestätigte, stellt GPS ein sonstiges für Observationszwecke bestimmtes technisches Mittel im Sinne des § 100c Abs. 1 Nr. 1b StPO a.F., nunmehr § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO, dar. Der Umstand, dass das GPS dem Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Gesetzesberatungen unbekannt war, stehe dem nicht entgegen. Zwar verlange das Bestimmtheitsgebot vom Gesetzgeber, dass er technische Eingriffsinstrumente genau bezeichnet und dadurch sicherstellt, dass der Adressat den Inhalt der Norm jeweils erkennen kann; es erfordere aber keine gesetzlichen Formulierungen, die jede Einbeziehung kriminaltechnischer Neuerungen ausschließen.9 Dem ist insofern zuzustimmen, als dass die Vorschrift für solche technischen Neuerungen offenstehen muss, die in ihrer Eingriffsintensität mit den technischen Observationsmitteln vergleichbar sind, die der Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Installation der Norm vor Augen hatte. Dies war seinerzeit ausweislich der Gesetzesbegründung jedoch ein Peilsender.10 Der erfolgreiche Einsatz eines Peilsenders setzt aber ein ungefähres Wissen um den aktuellen Aufenthaltsort des Verdächtigen voraus und bedingt, dass die Polizeibeamten einen bestimmten Abstand zur Zielperson nicht verlieren. Auf diese erhebliche Begrenzung stößt der Einsatz von GPS nicht.11 Vermöge des satellitengestützten Ortungssystems kann die Position der Zielperson, ist der Empfänger einmal angebracht, jederzeit lückenlos bestimmt werden, ohne dass sich die Beamten in einer bestimmten Nähe zu dieser aufhalten müssten. Dementsprechend ist es dem Verdächtigen auch nahezu unmöglich, aus dem polizeilichen Visier zu geraten bzw. seine Überwachung zu bemerken. Je perfekter aber eine Überwachungstechnik ist, desto weniger Möglichkeiten bleiben den Bürgern, sich vor unerwünschten Eingriffen in ihre Grundrechte zu schützen, und desto mehr sind sie staatlichen Ausforschungen ausgeliefert.12 In dieser Perfektion liegt auch die erhöhte Grundrechtsintensität des Einsatzes von GPS gegenüber dem Einsatz eines herkömmlichen Peilsenders.13 Die Eingriffsvoraussetzungen des § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO sind demgegenüber frappierend gering. Sie erschöpfen sich darin, dass der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung besteht (vgl. § 100h Abs. 1 S. 2 StPO) und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre (§ 100h Abs. 1 S. 1 a.E. StPO).

7

Längerfristige Observationen regelt indes § 163f StPO. BVerfG NJW 2005, 1338. 9 BVerfG NJW 2005, 1338, 1340. 10 Vgl. BT-Drs. 12/989, S. 39. 11 So auch BVerfG NJW 2005, 1338, 1339. 12 Vgl. Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 153 f. 13 Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 153 f. 8

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3. Kap.: Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken

Die vorgenannte Bestimmung der Anlasstat vermag den Einsatz der Maßnahme kaum zu begrenzen, denn sie ist zu unbestimmt. Nach der Definition des Gesetzgebers handelt es sich bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung um eine solche, die mindestens dem mittleren Kriminalitätsbereich zuzurechnen ist, die den Rechtsfrieden empfindlich stört und die geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.14 Dem Rechtsanwender dürfte diese Definition kaum behilflich sein, da es sich letztlich lediglich um eine Aneinanderreihung ebenfalls unbestimmter Begrifflichkeiten handelt. Allenfalls Bagatelldelikte sind hiervon eindeutig ausgeschlossen. Für einen Bereich von Straftaten der mittleren Kriminalität, die nicht zugleich auch den übrigen Anforderungen der vorgenannten Definition genügen, bleibt indes kaum Raum. Mit der Beschränkung auf die bloße Erschwernis läuft schließlich auch die Subsidiaritätsbestimmung weithin leer, denn wenn der Einsatz der Maßnahme erfolgversprechend ist, wird er in der Regel auch leichter als die Benutzung anderer Mittel sein.15 Die extensive Auslegung des § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO höhlt den Bestimmtheitsgrundsatz in seiner das Handeln der Exekutive eingrenzenden Funktion aus16 und lässt die nur mit einer sehr niedrigen Eingriffsschwelle ausgestattete Vorschrift zu einer Befugnis „auf unbestimmten Zuwachs“17 mutieren. Dies zeugt, wie Comes18 konstatiert, von einer Kapitulation von Recht und Gesetz vor dem Faktischen. Die bestehenden Eingriffsbefugnisse gestatten dann letztlich alles, was zu dem Zeitpunkt, zu dem sie als Ermächtigungsgrundlage bemüht werden, technisch möglich ist.19

B. Das Mobilfunkgerät als Erkenntnislieferant Im Mobilfunkzeitalter, in dem sich nahezu jeder im Besitz eines Mobilfunkgerätes befindet, hat die Ausforschung des Mobilfunkverkehrs für die Strafverfolgungsbehörden immens an Bedeutung gewonnen. Für jede Kommunikation via Mobilfunkgerät wird ein Datensatz erzeugt, der die Nummern der verbundenen Anschlüsse, Datum, Uhrzeit und Dauer der Verbindung sowie zusätzlich die Standortdaten des genutzten Mobilfunkgerätes umfasst. Die Erfassung der Standortdaten ist dem Umstand geschuldet, dass sich jedes eingeschaltete Mobilfunkgerät stets in die Funkzelle des geographischen Bereiches einbucht, in dem es sich aktuell befindet. Dementsprechend entstehen je nach Position des Mobilfunkgerätes laufend neue Standortdaten, die schließlich das Erstellen eines genauen Bewegungsprofils 14 15 16 17 18 19

BT-Drs. 13/10791, S. 5. Meyer-Goßner, § 100h Rn. 4. Vgl. Kutscha, LKV 2008, 481, 484. Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 155. Comes, StV 1998, 569, 570. Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 155.

B. Das Mobilfunkgerät als Erkenntnislieferant

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seines Nutzers möglich machen. Gegenüber dem Ausforschen mittels GPS besteht der Vorteil einer derartigen Zweckentfremdung des Mobilfunkgerätes als Peilsender darin, dass es dem Betroffenen in Ermangelung der Installation eines Fremdkörpers wie des GPS-Empfängers unmöglich ist, seine Observation zu bemerken. Die Standortdaten eines eingeschalteten Mobilfunkgerätes können zum einen durch den Einsatz eines IMSI-Catchers ermittelt werden, zum anderen kann auf sie über eine Verkehrsdatenerhebung zugegriffen werden. Überdies erlaubt die Verkehrsdatenerhebung auch eine Abfrage der genauen Kommunikationsumstände, namentlich Datum, Uhrzeit, Dauer und die Nummer des Gesprächspartners. Welche umfangreichen Ausforschungsmöglichkeiten die beiden Maßnahmen bieten, soll nachfolgend näher dargestellt werden.

I. Der IMSI-Catcher Der Einsatz eines sog. IMSI-Catchers ist seit August 2002 durch § 100i Abs. 1 StPO gestattet. Er kann zu zweierlei Zwecken genutzt werden. Einerseits ermöglicht das Gerät den Strafverfolgungsbehörden, die (weltweit nur einmal vergebene) Geräte- oder SIM-Kartennummer, d. h. die IMEI- oder IMSI-Kennung20 eines eingeschalteten Mobilfunkgerätes zwecks Feststellung der Identität seines Nutzers zu ermitteln, sofern sie eine ungefähre Kenntnis vom Standort des Mobilfunkgerätes haben. Die IMSI-Kennung verrät anhand ihrer ersten Ziffern, wer der zuständige Netzbetreiber ist. Bei diesem können die Ermittlungsbehörden dann anhand der weiteren Ziffern die Bestandsdaten des Mobilfunkteilnehmers (u. a. Rufnummer, Name und Anschrift) abfragen. Alternativ ist die Abfrage der Bestandsdaten auch mittels der IMEI-Kennung des Mobilfunkgerätes möglich, etwa wenn das Mobilfunkgerät mit verschiedenen SIM-Karten genutzt wird. Andererseits erlaubt der Einsatz eines IMSI-Catchers bei Kenntnis der IMSI- oder IMEI-Kennung eine exakte Standortermittlung des betreffenden Mobilfunkgerätes. Die technische Funktionsweise des IMSI-Catchers beruht darauf, dass er eine Funkzelle simuliert, so dass sich je nach Sendeleistung in einem Umkreis von wenigen Metern bis zahlreichen Kilometern alle Mobilfunkgeräte statt bei der echten Funkzelle ihres jeweiligen Mobilfunknetzes bei der des IMSI-Catchers einbuchen und dieser ihre Teilnehmerkennung übermitteln. Der IMSI-Catcher greift technisch bedingt also tief in die Grundrechte einer Vielzahl unbeteiligter Dritter ein, deren Aufenthaltsort zwangsläufig mitregistriert wird.21 Insofern ist die Normierung dieser Ermittlungstechnik auch rechtspolitisch bedeutsam, denn sie zeugt davon, dass die 20

IMEI = International Mobile Equipment Identity (Gerätenummer); IMSI = International Mobile Subscriber Identity (Kartennummer). 21 Vgl. BT-Drs. 14/5555, S. 88. Zwar bestimmt § 100i Abs. 2 S. 1 StPO, dass personenbezogene Daten Dritter nur erhoben werden dürfen, wenn dies aus technischen Gründen unvermeidbar ist. Da sich in der imitierten Funkzelle aber nahezu immer auch Dritte befinden dürften, läuft die Einschränkung in der Praxis leer.

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3. Kap.: Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken

Einbeziehung von Unverdächtigen mehr und mehr zum Normalfall strafprozessualer Ermittlungstätigkeit wird.22 Je nach Art des Einsatzes besteht auch die Möglichkeit, dass Unbeteiligte in die Verlegenheit geraten, zu Objekten staatlicher Nachforschungen zu werden bzw. ihren Aufenthalt im Bereich der simulierten Funkzelle erklären zu müssen.23 Das kann etwa der Fall sein, wenn der IMSI-Catcher als Methode zur Feststellung der in einem bestimmten Gebiet befindlichen Mobilfunkgeräte eingesetzt wird.24 Der schlichte Umstand, in einem bestimmten Gebiet ein Mobilfunkgerät bei sich zu führen, ist dann tauglicher Auslöser weiterer staatlicher Beanspruchung. Aufgrund seiner Funktionsweise bedeutet der Einsatz des IMSI-Catchers für von der Maßnahme unweigerlich betroffene (unverdächtige) Dritte aber noch weitere empfindliche Nachteile. Sobald sich nämlich ein Mobilfunkgerät in die von dem IMSI-Catcher simulierte Funkzelle eingebucht hat, können bis zur „Freigabe“ an eine echte Funkzelle mit dem Mobilfunkgerät weder Gespräche empfangen noch Verbindungen aufgebaut werden.25 Von dieser Störung sind unterschiedslos alle Geräte betroffen, die sich im Einzugsbereich des IMSI-Catchers befinden – auch Notrufnummern können von solchen Geräten dann nicht angewählt werden.26 Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG unlängst ausgeführt, dass die Unterbrechung des Mobilfunkverkehrs einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) nicht nur des Verdächtigen, sondern auch in die der ansonsten betroffenen unverdächtigen Mobilfunknutzer begründe.27 Weiterhin stelle die Erhebung und kurzfristige Speicherung der IMEI- und IMSI-Kennungen aller in der simulierten Funkzelle eingeschalteten Mobilfunkgeräte einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) aller von der Maßnahme betroffenen – mehrheitlich unverdächtigen – Mobilfunknutzer dar.28 Zwar kam das BVerfG zu dem Schluss, dass eine mit dem Einsatz des IMSICatchers einhergehende Beeinträchtigung der Grundrechtspositionen unbeteiligter 22

Gercke, in: Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, S. 164. Weitere Maßnahmen, die in großem Maße Unverdächtige einbeziehen, sind etwa die Rasterfahndung (§§ 98a, 98b StPO) und die Netzfahndung (§ 163d StPO). 23 Gercke, in: Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, S. 164; Gundermann, K&R 1998, 48, 55. 24 Gercke, in: Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, S. 164. 25 Fox, DuD 2002, 212, 214 f. 26 Fox, DuD 2002, 212, 215. Das Störungspotential wird vom BMI allerdings anders eingeschätzt als vom IMSI-Catcher-Hersteller Rohde & Schwarz: Während das BMI davon ausgeht, dass etwaige Störungen lediglich während des für die Erfassung einer einzelnen IMSI erforderlichen Zeitraums von ca. 10 Sekunden auftreten könnten, gaben Rohde & Schwarz an, dass während des gesamten Einschaltzeitraums mit einer Dauer von ca. 5 bis 10 Minuten kein Gesprächsaufbau möglich wäre; zitiert nach Fox, DuD 2002, 212, 215. 27 BVerfG NJW 2007, 351, 356. 28 BVerfG NJW 2007, 351, 354.

B. Das Mobilfunkgerät als Erkenntnislieferant

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Dritter angesichts der Bedürfnisse der Strafrechtspflege hinzunehmen sei.29 Es hat den Gesetzgeber allerdings auch dazu ermahnt, sein Bestreben nach einer weiteren Ausdehnung heimlicher Ermittlungsmethoden mit Blick auf die Grundrechtspositionen hiervon betroffener unbeteiligter Dritter kritisch zu reflektieren.30 Von den verfassungsgerichtlichen Ausführungen offensichtlich unbeeindruckt, weitete der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des IMSI-Catchers kurze Zeit später im Zuge der Neuregelung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen31 jedoch erheblich aus. War der Einsatz des Gerätes bis dato nur vorgesehen, um eine Telekommunikationsüberwachung gemäß § 100a StPO vorzubereiten bzw. eine Standortermittlung zwecks Festnahme oder Ergreifung des Täters zu ermöglichen (§ 100i Abs. 1 Nr. 1, 2 StPO a.F.), genügen nunmehr die allgemeinen Ermittlungsziele der Erforschung des Sachverhalts oder der Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten (§ 100i Abs. 1 StPO n.F.). Damit ist es etwa auch zulässig, den IMSICatcher zur Unterstützung von Observationsmaßnahmen nach §§ 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 163 f Abs. 1 StPO, beispielsweise zur Herstellung von Bewegungsprofilen, oder zur Vorbereitung einer Verkehrsdatenerhebung (§ 100g StPO) einzusetzen.32 Zwar muss sich der Tatverdacht nach der Neuregelung stets auf eine Straftat von erheblicher Bedeutung beziehen, dies führt angesichts der Unbestimmtheit der Begrifflichkeit in der Praxis jedoch kaum zu einer Einschränkung des Einsatzes der Maßnahme.33 Schließlich wurde in der Neuregelung die Subsidiaritätsklausel gestrichen, nach der das Erreichen des Ermittlungsziels auf andere Weise unmöglich oder (wesentlich) erschwert sein musste (vgl. § 100i Abs. 2 S. 1, 2 StPO a.F.). Die Notwendigkeit dieser Ausweitung wurde indes nicht dargetan. Stattdessen suggeriert der Gesetzgeber mit dem in der Gesetzesbegründung an erster Stelle genannten Eckpunkt „Harmonisierung und Stärkung des Rechtsschutzes der von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen Betroffenen“34, dass er bei der Novelle vorrangig die Interessen des Grundrechtsträgers im Blick gehabt hätte. Tatsächlich wurden mit der Neuregelung jedoch in erster Linie die verdeckten Ermittlungsbefugnisse erheblich ausgeweitet.35 Die wahre Leitvorstellung des Gesetzgebers offenbart denn auch die weitere Gesetzesbegründung: „Da die gesetzliche Be29

BVerfG NJW 2007, 351, 356. Vgl. BVerfG NJW 2007, 351, 356: „Es stellt sich auch die Frage, ob und in welchem Umfang von einer neuerlichen Ausdehnung heimlicher Ermittlungsmethoden im Hinblick auf Grundrechtspositionen unbeteiligter Dritter Abstand zu nehmen ist.“ 31 Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikation und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 9.11.2007, BGBl. I 2007, 3198. 32 Meyer-Goßner, § 100i Rn. 1. 33 Siehe hierzu Drittes Kapitel, A. Der Verweis in § 100i Abs. 1 StPO auf die in § 100a Abs. 2 StPO aufgelisteten Straftaten ist lediglich exemplarisch und bedeutet daher ebenfalls keine wirksame Einschränkung. 34 BT-Drs. 16/5846, S. 32. 35 Vgl. ausführlich Puschke/Singelnstein, NJW 2008, 113. 30

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3. Kap.: Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken

schränkung der Ermittlungstätigkeit die Wahrheitsforschung, die ein vorrangiges Ziel des Strafverfahrens ist, erheblich beeinträchtigen kann, bedarf mit Blick auf die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die Gerechtigkeit nicht durchgesetzt werden kann, jede solche Beschränkung der sorgfältigen Abwägung und der besonderen Legitimation.“36 Nicht der staatliche Eingriff in Grundrechte soll also in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig sein, sondern seine Beschränkung. Schließlich unterliegt der IMSI-Catcher nicht nur wegen seiner geringen Eingriffsvoraussetzungen, sondern auch im Hinblick auf seine tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten erheblichen Bedenken. Das technische Potenzial des Gerätes erschöpft sich nämlich nicht in der Simulation einer Funkzelle zwecks Erfassung von IMEI- und IMSI-Kennungen. Der IMSI-Catcher kann überdies die von einem bei ihm eingebuchten Mobilfunkgerät abgehenden Gespräche mitschneiden. Dazu gibt sich die vermeintliche Funkzelle, die der IMSI-Catcher simuliert, gegenüber der tatsächlichen Funkzelle, über die der Verbindungsaufbau erfolgen soll, als Mobilfunkgerät aus und leitet die von dem zu überwachenden Mobilfunkgerät ausgehenden Datenpakete an die tatsächliche Funkzelle weiter (und umgekehrt).37 Der IMSI-Catcher realisiert hierbei einen sog. „Man-in-the-middle“-Angriff.38 Damit die Inhaltsdaten des Gespräches, die üblicherweise verschlüsselt sind, belauscht werden können, deaktiviert der IMSI-Catcher zuvor den Verschlüsselungsmodus.39 Auf diese Weise könnten Mobilfunkgespräche – ohne die Einbeziehung des Netzbetreibers und damit faktisch von der Notwendigkeit einer richterlichen Anordnung nach § 100b Abs. 1 S. 1 StPO entbunden – direkt vor Ort abgehört werden. Zwar betonte das BVerfG, dass die Nutzung von IMSI-Catchern in einer Funktion, die das Mithören von Telefongesprächen in Echtzeit ermöglicht, nicht durch § 100i StPO gedeckt sei.40 Tatsächlich kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafverfolgungsbehörden den IMSI-Catcher fernab der Voraussetzungen der §§ 100a, 100b StPO auch zum Abhören nutzen. Wie die Vergangenheit lehrt, bedienten sich die Strafverfolgungsbehörden nämlich schon mehrfach technischer Neuerungen zur Ausforschung des Bürgers, ohne dass sie hierzu gesetzlich legitimiert gewesen wären.41 Auch der IMSI-Catcher soll in seiner herkömmlichen Funktion zur Feststellung von IMEI- und IMSI-Kennungen nach Auskunft des Bundesinnenministeriums schon vor Einführung des § 100i StPO bis November 2001 bereits 35 Mal insbesondere bei Straftaten der Schwerkriminalität eingesetzt worden sein.42 36 37 38 39 40 41 42

BT-Drs. 16/5846, S. 22. Fox, DuD 2002, 212, 214. Fox, DuD 2002, 212, 214. Fox, DuD 2002, 212, 214. BVerfG NJW 2007, 351, 356. Paeffgen, in: Zur Theorie und Systematik des Strafprozessrechts, S. 13, 24. Zitiert nach Fox, DuD 2002, 212.

B. Das Mobilfunkgerät als Erkenntnislieferant

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II. Die Verkehrsdatenerhebung Die Befugnis zur Verkehrsdatenerhebung in § 100g StPO gestattet zum einen die Abfrage der Verkehrsdaten eines bestimmten Mobilfunkgerätes (§ 100g Abs. 1 StPO), die nach dem vormaligen § 113a Telekommunikationsgesetz (TKG) sechs Monate von den Telekommunikationsunternehmen gespeichert werden mussten (sog. Vorratsdatenspeicherung). Darüber hinaus enthält die Vorschrift die Befugnis zur Abfrage der Verkehrsdaten aller in einem bestimmten Bereich während eines bestimmten Zeitraums befindlichen Mobilfunkgeräte (sog. Funkzellenabfrage), vgl. § 100g Abs. 2 StPO. Auf die umfangreichen Ausforschungsmöglichkeiten, die die Verkehrsdatenerhebung den Strafverfolgungsbehörden bietet, soll im Folgenden näher eingegangen werden. Zugleich ist auch anhand dieser Befugnis zu beleuchten, wie eine großzügige Auslegung bestehender Ermächtigungen bzw. deren ständige Ausweitung durch den Gesetzgeber letztlich den Einsatz alles technisch Machbaren legitimiert. 1. Die Verkehrsdatenerhebung zum Zwecke der Standortermittlung eines bestimmten Mobilfunkgerätes Neben der Standortermittlung über den IMSI-Catcher besteht auch die Möglichkeit, den Standort eines Mobilfunkgerätes über eine Abfrage seiner Standortdaten (als Teil der Verkehrsdaten) beim Netzbetreiber zu ermitteln. Rechtlich standen die Strafverfolgungsbehörden vor der Neuregelung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen jedoch vor dem Problem, dass die einschlägige Vorschrift des § 100g Abs. 3 Nr. 1 StPO a.F. ausdrücklich nur die Erhebung solcher Daten gestattete, die „im Falle einer Verbindung“ entstehen. Nach dem eindeutigen Wortlaut war also ein Auskunftsverlangen über die Standortdaten eines im Stand-by-Modus befindlichen Mobilfunkgerätes von der Befugnisnorm nicht gedeckt. In dem Bemühen, einem solchen Auskunftsverlangen dennoch eine rechtliche Grundlage zu geben, bediente sich der Ermittlungsrichter beim BGH eines fragwürdigen Kunstgriffes. Er argumentierte, dass der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) wegen der technischen Entwicklung offen und dynamisch sei.43 Zu der von ihm geschützten Telekommunikation gehörten daher als Minus auch die Positionsmeldungen im Stand-by-Modus befindlicher Mobilfunkgeräte. Da die Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung eine Befugnis zum Eingriff in das Fernmeldegeheimnis darstellte, müsste sich ihre Auslegung, insbesondere hinsichtlich des nunmehr maßgeblichen Begriffes der Telekommunikation, in erster Linie an diesem Grundrecht ausrichten.44 Die Einstufung der Positionsmeldungen im Stand-by-Modus befindlicher Mobilfunkgeräte als Telekommunikation ermöglichte es dem Ermittlungsrichter, eine entsprechende Abfrage beim 43 44

BGH StV 2001, 214, 215. BGH StV 2001, 214, 215.

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3. Kap.: Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken

Netzbetreiber auf die Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation (§§ 100a, 100b Abs. 3 S. 1 StPO a.F.) zu stützen. Diese Entscheidung ist in der Literatur zutreffend auf heftige Kritik gestoßen.45 Eine Auslegung, die von einer zunehmenden Reichweite des Grundrechteschutzes auf eine erweiterte Befugnis zum Eingriff in das Grundrecht schließt, führt den Grundrechteschutz ad absurdum. Sie deutet auf eine „eklatante Verkennung des Zusammenhangs von Grundrecht und Eingriffsermächtigung“46 hin, denn die jeweiligen Bestimmungen stehen einander diametral entgegen: Die Funktion des einen ist es, Rechtspositionen zu schützen, während Letztere Eingriffe in eben diese ermöglicht.47 Überdies handelt es sich bei der Standortdatenerfassung nicht um ein Minus der Telekommunikationsüberwachung, sondern vielmehr um ein Aliud, denn das Mobilfunkgerät wird letztlich von einem Kommunikationsmittel zu einem Peilsender bzw. Bewegungsmelder umfunktioniert.48 Schließlich konstatierte auch das BVerfG anlässlich einer Verfassungsbeschwerde gegen den Einsatz des IMSICatchers, dass die Positionsmeldungen eines im Stand-by-Modus befindlichen Mobilfunkgerätes nicht dem Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG unterfielen.49 Während der Gesetzgeber noch damit befasst war, über eine mögliche Ausweitung der Verkehrsdatenerhebung zu beraten, bedienten sich die Ermittlungsbehörden aber schon einer neuen Ermittlungstechnik, um auch außerhalb von echten Kommunikationsphasen nach Bedarf Standortdaten abfragen zu können. Bei dem sog. Stealth-Ping-Verfahren wurde mittels eines einfachen Computer-Programms bzw. per Mobilfunkgerät eine sog. stille SMS an die Mobilfunknummer eines Verdächtigen gesendet. Für den Besitzer des Mobilfunkgerätes war der Erhalt einer stillen SMS nicht wahrnehmbar. Hierdurch wurde aber, wie bei einer normalen Kommunikation, ein Datensatz mit den Verbindungsdaten beim Netzbetreiber erzeugt, der u. a. auch die Standortdaten des betreffenden Mobilfunkgerätes enthielt. Die so generierten Daten konnten dann von den Ermittlern beim Netzbetreiber abgefragt werden. Um ein genaues und regelmäßiges Bewegungsprofil erstellen zu können, versendeten die Ermittler nicht selten mehrere Hundert stille SMS pro Fall.50 Dabei fehlte es auch für dieses Vorgehen an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zutreffend beschreibt Wolter die staatliche Übersendung stiller SMS daher als „strafprozessuale Absichtsprovokation“, die fast schon den endgültigen Abschied vom liberal-rechtsstaatlichen Strafverfahren bedeute.51 Gleichsam ist die Versendung stiller SMS ein weiteres Beispiel dafür, dass sich die Praxis der Strafverfolgung 45 Demko, NStZ 2004, 57, 62; Gercke, StraFo 2003, 76, 78; ders., in: Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, S. 156 f. 46 Bernsmann/Jansen, Anm. zu LG Aachen StV 1999, 590, 591. 47 Gercke, StraFo 2003, 76, 78. 48 Gercke, StraFo 2003, 76, 78. 49 BVerfG NJW 2007, 351. 50 Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, 62, 63 Fn. 5. 51 Wolter, in: Rudolphi-FS, S. 733, 744.

B. Das Mobilfunkgerät als Erkenntnislieferant

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vorrangig am Stand der Technik und nicht an den bestehenden Eingriffsgrundlagen orientiert.52 Was technisch möglich ist, wird von den Ermittlungsbehörden auch eingesetzt.53 Zudem werden mit der Nutzung aller nach dem jeweiligen Entwicklungsstand zur Verfügung stehenden Ermittlungsmethoden Tatsachen geschaffen, die einen erheblichen Druck – hinsichtlich der Anpassung der Rechtsgrundlagen an die Realität – auf den Gesetzgeber ausüben, der sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen möchte, einer effektiven Strafverfolgung im Wege zu stehen.54 Dem Druck, umfangreich Telekommunikationsdaten – inklusive der Standortdaten im Stand-by-Modus befindlicher Mobilfunkgeräte – erheben zu können, beugte sich der Gesetzgeber schließlich mit der Neuregelung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.55 Die frühere Befugnis zur Abfrage von Telekommunikationsverbindungsdaten (§§ 100g, 100h StPO a.F.) wurde in eine umfassende Datenerhebungsbefugnis (§ 100g StPO n.F.) umgewandelt, unter die über den Verweis auf die Verkehrsdaten i.S.d. § 96 TKG auch die Standortdaten eines Mobilfunkgerätes fallen, die nicht im Falle einer Verbindung entstehen. Dabei ermöglicht § 100g Abs. 1 S. 3 StPO n.F. im Falle des § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO n.F. (Aufklärung einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“) die Echtzeiterhebung von Standortdaten (auch im Stand-byModus befindlicher Geräte) zur Erstellung von Bewegungsprofilen.56 Trotz dieser erheblichen Befugniserweiterung sind die Eingriffsvoraussetzungen im Vergleich zur alten Regelung im Wesentlichen gleich geblieben. Gemäß § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO n.F. kann eine Anordnung weiterhin beim Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung erfolgen, bedingt durch die Vorgaben des BVerfG57 allerdings dahingehend eingeschränkt, dass diese Bedeutung nicht nur abstrakt, sondern auch im Einzelfall gegeben sein muss.58 Daneben kann eine Verkehrsdatenerhebung beim Verdacht einer mittels Telekommunikation begangenen Straftat angeordnet werden. Besteht der Verdacht einer Straftat von erheblicher 52

Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, 62, 67. Deckers, StraFo 2002, 109, demzufolge einzig mangelnde Kapazitäten Eingriffe limitieren könnten. 54 Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, 62, 67. Eine solche Situation zeichnet sich auch im Bereich präventiv-polizeilicher Maßnahmen ab, vgl. Fünftes Kapitel: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung. 55 Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikation und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 9.11.2007, BGBl. I 2007, 3198. 56 Ausweislich der Gesetzesbegründung kann diese Neuregelung die „rechtlich umstrittene“ Übersendung einer stillen SMS im Stealth-Ping-Verfahren entbehrlich machen; vgl. BTDrs. 16/5846, S. 51. 57 BVerfG NJW 2003, 1787, 1791. 58 Zur nur marginalen Begrenzungswirkung der Eingriffsvoraussetzung „Straftat von erheblicher Bedeutung“ siehe Drittes Kapitel, A. Der Verweis in § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO auf die in § 100a Abs. 2 StPO aufgelisteten Straftaten ist lediglich exemplarisch und bedeutet daher ebenfalls keine wirksame Einschränkung. 53

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Bedeutung, ist es indes nicht mehr erforderlich, dass die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre (so noch § 100g Abs. 2 StPO a.F.). Eine ähnliche, etwas restriktivere Subsidiaritätsklausel besteht mit § 100g Abs. 1 S. 2 StPO n.F. nur noch für mittels Telekommunikation begangene Straftaten (§ 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO n.F.). Bei diesen ist eine Verkehrsdatenabfrage nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos wäre und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Sache steht (§ 100g Abs. 1 S. 2 StPO n.F.). Allerdings dürfte die Klausel in der Praxis nur in den seltensten Fällen zu Einschränkungen führen. Zum einen soll durch die Verhältnismäßigkeitsklausel ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich der Bereich der leichten Kriminalität (z. B. eine geringfügige Beleidigung) ausgeschlossen sein.59 Zum anderen dürften bei der Begehung einer Tat mittels Telekommunikation – etwa im Falle des Stalkings (§ 238 StGB) oder des Austausches von Kinderpornographie (§ 184b StGB) – außer den hierbei anfallenden Verkehrsdaten regelmäßig keine weiteren Ermittlungsansätze bestehen.60 2. Die Funkzellenabfrage Der neue § 100g StPO enthält in seinem Abs. 2 auch die Befugnis zur rechtsstaatlich bedenklichen Funkzellenabfrage, deren Voraussetzungen der Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung trotz einer gravierenden Veränderung der tatsächlichen und der technischen Gegebenheiten nicht verschärft hat. Die Funkzellenabfrage gestattet es den Strafverfolgungsbehörden, die Verkehrsdaten aller Mobilfunkteilnehmer zu erheben, die sich in einem bestimmten Zeitraum in einer näher bezeichneten Funkzelle aufhalten oder aufgehalten haben. Die Funkzellenabfrage stellt also einen verdeckten Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG)61 dar und betrifft unterschiedslos alle in einer Funkzelle anwesenden und in der überwältigenden Mehrheit von vorneherein unverdächtigen Mobilfunknutzer. Die Maßnahme gewährt Einblick in die Umstände der Kommunikation von u. U. Abertausenden von Menschen, die selbst keinen Anlass für den staatlichen Eingriff gegeben haben. Dabei erschöpfen sich die Voraussetzungen der Maßnahme darin, dass der Verdacht einer Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere einer in § 100a Abs. 2 StPO bezeichneten Straftat, besteht und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere 59

Vgl. BT-Drs. 16/5846, S. 52. Vgl. Bär, MMR 2008, 215, 219. 61 Der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses umfasst sowohl den Inhalt der Kommunikation als auch die näheren Umstände des Kommunikationsvorganges, wie z. B. Zeitpunkt und Dauer. Die Positionsmeldungen eines im Stand-by-Modus befindlichen Mobilfunkgerätes unterstehen demgegenüber dem Schutz des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung; vgl. BVerfG NJW 2007, 351, 353 f. 60

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Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre (§ 100g Abs. 2 S. 2 StPO). Diese Eingriffsschwelle ist zu unbestimmt und angesichts der Eingriffstiefe der Funkzellenabfrage auch zu niedrig. Wie bereits ausgeführt, kommt der Eingriffsvoraussetzung einer Straftat von erheblicher Bedeutung nur eine marginale Begrenzungswirkung zu.62 Und auch die Subsidiaritätsbestimmung vermag den Einsatz kaum einzuschränken, denn auch sie ist zu unbestimmt. So soll eine wesentliche Erschwerung etwa dann vorliegen, wenn andere Aufklärungsmittel zu einem unvertretbar höheren Arbeitsaufwand führten, der mit der Vernachlässigung anderer Ermittlungsverfahren verbunden wäre.63 Das bedeutet, dass es auf die Darlegung der – überdies mit einem Beurteilungsspielraum ausgestatteten64 – Strafverfolgungsbehörden ankäme, ob bei Nichtanordnung einer Funkzellenabfrage, sofern hierzu überhaupt Alternativen bestehen, eine Vernachlässigung anderer Ermittlungen drohte.65 Es darf bezweifelt werden, dass eine derart dehnbare Eingriffsvoraussetzung in der Praxis tatsächlich einmal dazu führt, dass die Strafverfolgungsbehörden vom Einsatz der Maßnahme absehen. Demgegenüber ist die Eingriffsintensität einer Funkzellenabfrage durchaus mit der eines nur unter deutlich enger gefassten Voraussetzungen zulässigen Zugriffs auf Telekommunikationsinhalte (vgl. §§ 100a, 100b StPO) vergleichbar. Wie das BVerfG betonte, bestimmt sich die Eingriffstiefe nämlich nicht allein nach der Art der Daten, sondern überdies nach ihrer Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit.66 Auch aus Verkehrsdaten können bei umfassender und automatisierter Auswertung bis in die Intimsphäre hineinreichende Rückschlüsse gezogen werden.67 Anhand von Kommunikationspartnern eines Menschen (z. B. Anruf bei einer bestimmten Partei, Telefonat mit einem Facharzt), Daten, Uhrzeit und Ort von Gesprächen lassen sich detaillierte Aussagen über gesellschaftliche und politische Zugehörigkeiten sowie persönliche Vorlieben, Neigungen und Schwächen treffen. Je nach Inanspruchnahme der Telekommunikation können so aussagekräftige Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellt werden. Hinzu kommt, dass die Nutzung des Mobilfunkverkehrs in den letzten Jahren erheblich angestiegen ist und die neueren Mobilfunkgeräte durch ihren fortwährenden Datenverkehr auch ohne aktives Zutun des Besitzers eine Vielzahl von abfragbaren Verkehrsdaten erzeugen. Auch das BVerfG konstatierte unlängst, dass immer mehr Lebensbereiche von modernen Kommunikationsmitteln gestaltet

62 Vgl. Drittes Kapitel, A. Der Verweis auf die in § 100a Abs. 2 StPO aufgelisteten Straftaten ist lediglich exemplarisch und bedeutet daher ebenfalls keine wirksame Einschränkung. 63 Vgl. KK-Nack, § 100a Rn. 35. 64 BGH NJW 1995, 1974, 1975. 65 Vgl. zur gleichlautenden Subsidiaritätsbestimmung in § 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO Roggan, in: Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, S. 112 f. 66 BVerfG NJW 1984, 419, 422. 67 BVerfG NJW 2010, 833, 838.

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würden.68 Damit erhöhe sich nicht nur die Menge der anfallenden Verbindungsdaten, sondern auch deren Aussagegehalt.69 Schließlich wird die Eingriffsintensität der Funkzellenabfrage weiter dadurch vertieft, dass es sich bei ihr um eine heimliche Maßnahme handelt und mit ihr regelmäßig und in immensem Umfang die Kommunikationsdaten von Unverdächtigen erfasst werden. Dabei ist auch von Gewicht, dass unabhängig von einer wie auch immer geregelten Ausgestaltung der Datenverwendung das Risiko der Bürger erheblich steigt, weiteren Ermittlungen – u. U. auch einer rechtswidrigen Verfolgung von Nicht-Anlasstaten70 – ausgesetzt zu werden, ohne selbst Anlass dazu gegeben zu haben.71 Es reicht etwa aus, zu einem ungünstigen Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle gewesen oder von einer bestimmten Person kontaktiert worden zu sein, um zum Gegenstand umfassender Ermittlungen zu werden und unter Erklärungsdruck zu geraten.72 Die Funkzellenabfrage ist bezogen auf einzelne Personen ein Instrument der Verdachtsgenerierung.73 Ein jüngeres Beispiel für die große Streubreite der Maßnahme sowie das ihr innewohnende Missbrauchspotenzial betreffend die Verwendung der abgefragten Daten ist die durch die Dresdner Polizei im Rahmen einer Demonstration gegen Neonazis am 19. Februar 2011 angestrengte Funkzellenabfrage. Bei der Demonstration war es nach Angaben der Polizei zu Übergriffen auf Polizisten gekommen, woraufhin wegen des Vorwurfs eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs (§ 125a StGB) eine Funkzellenabfrage mit dem Ziel angeordnet wurde, herauszufinden, ob sich bestimmte Personen, deren Mobilfunknummern der Polizei bekannt waren, am fraglichen Ort aufhielten. Tatsächlich wurden im Zuge dieser Ermittlungsmaßnahme nach Angaben der taz, die sich auf Informationen der Staatsanwaltschaft Dresden beruft, über einen Zeitraum von mindestens viereinhalb Stunden die Verkehrsdaten sämtlicher Mobilfunknutzer, die sich in der Dresdner Südvorstadt aufhielten, erfasst und gespeichert.74 12.000 Menschen wohnen in dem 68

BVerfG NJW 2006, 976, 980. BVerfG NJW 2006, 976, 980. 70 Gem. § 477 Abs. 2 S. 2 StPO dürfen die aufgrund einer nur beim Verdacht bestimmter Straftaten zulässigen Maßnahme gewonnenen personenbezogenen Daten ohne Einwilligung des Betroffenen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren allein zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung die Maßnahme ebenfalls hätte angeordnet werden dürfen. 71 Eine Verstärkung der Eingriffsintensität durch die erhebliche Steigerung des Risikos, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, betonte auch BVerfG NJW 2010, 833, 838. 72 BVerfG NJW 2010, 833, 838. 73 Vgl. Entschließung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 27. 7. 2011, mit der eine Einschränkung der Voraussetzungen der Funkzellenabfrage gefordert wird; abrufbar unter: www.ldi.nrw.de/mainmenu_Service/submenu_Entschlies sungsarchiv/Inhalt/Entschliessungen_Datenschutz/Inhalt/Entschliessungen_zwischen_den_Kon ferenzen/27072011_Funkzellenabfrage_muss_eingeschr__nkt_werden_/Funkzellenabfrage_ muss_eingeschraenkt_werden_.php. 74 Vgl. taz v. 19. 6. 2011. 69

B. Das Mobilfunkgerät als Erkenntnislieferant

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Gebiet, hinzu kamen an diesem Tag tausende Demonstranten sowie etliche durch § 160a StPO vor heimlicher Ausforschung besonders geschützte Berufsgeheimnisträger, etwa Journalisten, Anwälte und Politiker, von denen den Behörden nun entsprechende Daten vorlagen. Insgesamt wurden hunderttausende Datensätze abgefragt.75 Die im Zuge der Maßnahme erhobenen Daten auch an der Anlasstat unbeteiligter Dritter wurden dann in mehreren Fällen für andere Ermittlungen zweckentfremdet, d. h. sie flossen in Ermittlungsakten ein, die nichts mit der Anlasstat, dem besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs, zu tun hatten.76 Sie wurden vielmehr genutzt, um u. a. Verstöße i.S.d. § 21 Versammlungsgesetz zu ahnden. Bei der Störung von Versammlungen und Aufzügen gem. § 21 Versammlungsgesetz handelt es sich indes um ein Vergehen, das lediglich mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, und es darf bezweifelt werden, dass dieses eine taugliche Anlasstat dargestellt hätte.77 3. Verkehrsdatenerhebung und Vorratsdatenspeicherung Trotz der niedrigen Eingriffsschwelle der Verkehrsdatenerhebung sollte die Vorschrift die Abfrage all der Daten ermöglichen, die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung (§§ 113a, 113b TKG) vorgehalten werden mussten. Die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung war ebenfalls durch das Gesetz zur Neuregelung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen eingeführt worden, das insoweit die Richtlinie 2006/24/EG umsetzte.78 Gem. § 113a TKG waren die Telekommunikationsanbieter verpflichtet, bestimmte Verkehrsdaten eines jeden Kommunikationsaktes zu speichern und für sechs Monate aufzubewahren.79 Über § 100g Abs. 1 S. 1 StPO durften die Strafverfolgungsbehörden auf all diese Daten zugreifen. Mit Urteil vom 2. März 201080 erklärte das BVerfG die Vorratsdatenspeicherung (§§ 113a, 113b TKG) für unvereinbar mit Art. 10 Abs. 1 GG und deshalb für nichtig. Soweit § 100g StPO den Abruf der nach § 113a TKG zu speichernden Daten er75 Als Konsequenz aus dem heftig kritisierten Vorgehen legte der Freistaat Sachsen dem Bundesrat am 6. 9. 2011 einen Gesetzesantrag vor, mit dem eine Verschärfung der Voraussetzungen der Funkzellenabfrage angestrebt wird; BR-Drs. 532/11. 76 Vgl. taz v. 19. 6. 2011. 77 So sind im Straftatenkatalog des § 100a StPO, auf den § 100g StPO exemplarisch verweist, etwa auch der „einfache“ Diebstahl (§ 242 StGB) und der „einfache“ Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) nicht enthalten, die einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe haben. 78 Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 9. 11. 2007, BGBl. I 2007, 3198. 79 Die Standortdaten im Stand-by-Modus befindlicher Mobilfunkgeräte sind von dieser Aufbewahrungspflicht allerdings nicht erfasst (vgl. § 113a TKG). 80 BVerfG NJW 2010, 833.

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3. Kap.: Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken

laubte, erklärte das BVerfG auch § 100g StPO wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG für nichtig.81 Das Gericht bemängelte, dass der Gesetzgeber für die Verwendung der Daten aus der Vorratsdatenspeicherung ähnliche Anforderungen genügen ließ, wie sie für die bisherige Erhebung von Verkehrsdaten galten, die die Dienstanbieter nach Maßgabe ihrer betrieblichen und vertraglichen Erfordernisse in begrenzterem Umfang und für den Einzelnen durch Vertragsgestaltung teilweise vermeidbar gem. § 96 TKG speichern durften. Diese Gleichbehandlung trage dem besonders schweren Eingriff, der in der vorsorglichen anlasslosen und systematischen Datenspeicherung des § 113a TKG liege, nicht hinreichend Rechnung.82 Nach den Ausführungen des Gerichts stelle schon § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO nicht sicher, dass allgemein und auch im Einzelfall nur schwerwiegende Straftaten Anlass für die Erhebung der entsprechenden Daten sein dürfen, sondern lasse – unabhängig von einem abschließenden Katalog – generell Straftaten von erheblicher Bedeutung genügen. Erst recht bleibe § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2 StPO hinter den verfassungsrechtlichen Vorgaben zurück, indem er unabhängig von deren Schwere jede mittels Telekommunikation begangene Straftat nach Maßgabe einer allgemeinen Abwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung als möglichen Auslöser einer Datenabfrage ausreichen lasse.83 Mit dieser Regelung würden die nach § 113a TKG gespeicherten Daten praktisch in Bezug auf alle Straftatbestände nutzbar. Ihre Verwendung, so mahnte das Gericht, verlöre damit angesichts der fortschreitenden Bedeutung der Telekommunikation im Lebensalltag ihren Ausnahmecharakter.84 Nach dem Verdikt des BVerfG kann über § 100g StPO allein auf die Verkehrsdaten des § 96 TKG zugegriffen werden, die die Telekommunikationsunternehmen teilweise nur für kurze Zeit speichern. Bezüglich dieser Verkehrsdaten besteht nämlich keine Speicherpflicht, sondern lediglich eine Speichererlaubnis von bis zu sechs Monaten (vgl. § 97 Abs. 3 S. 2 TKG), wobei für die Abrechnung nicht erforderliche Daten unverzüglich zu löschen sind (vgl. § 97 Abs. 3 S. 3 TKG). Um einer Löschung der Verkehrsdaten zuvorkommen bzw. diese für Zwecke der Strafverfolgung sichern zu können, legte das BMJ am 7. Juni 2011 einen Diskussionsentwurf zu einem Gesetz zur Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften85 vor. Mit der im neuen § 100j Abs. 1 S. 1 StPO-E enthaltenen Sicherungsanordnung sollen die bei den Telekommunikationsanbietern vorhandenen (und während der Laufzeit einer Sicherungsanordnung noch anfallenden) Verkehrsdaten „eingefroren“ werden können (sog. Quick-Freeze), sofern dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten erforderlich ist. Im Gegensatz zu der vom BVerfG für 81 82 83 84 85

BVerfG NJW 2010, 833, 851. BVerfG NJW 2010, 833, 848. BVerfG NJW 2010, 833, 848. BVerfG NJW 2010, 833, 848. Abrufbar unter: http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/images/DiskE_.pdf.

C. Zusammenfassende Würdigung

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verfassungswidrig erklärten anlasslosen Speicherungspflicht des § 113a TKG sieht § 100j Abs. 1 S. 1 StPO-E also die Anordnungsbefugnis für eine anlassbezogene Speicherungspflicht vor. Gem. § 100j Abs. 2 S. 1 StPO-E ist die Anordnung auf höchstens einen Monat zu befristen, wobei sie einmalig um einen Monat verlängert werden kann, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen (vgl. § 100j Abs. 2 S. 2 StPO-E). Anordnungsbefugt sind Staatsanwaltschaft und Polizei. Der Zugriff auf die gesicherten Daten erfolgt gem. § 100g StPO und ist damit nur unter den dort normierten Voraussetzungen zulässig. Freilich hat dieser grundrechtsschonendere, weil nur anlassbezogene Eingriffe vorsehende Gesetzesentwurf in der von Sicherheitsbestrebungen dominierten politischen Landschaft kaum Beifall erfahren. Unionsfraktion86 und Innenministerium lehnten den Vorschlag ab und fordern eine anlasslose Speicherung.87 Dem pflichtete etwa auch die Deutsche Polizeigewerkschaft bei.88 Eine anlasslose Speicherung der Verkehrsdaten aller Bürger bricht jedoch mit dem zentralen rechtsstaatlichen Prinzip der Unschuldsvermutung und stellt überdies einen schwerwiegenden Eingriff in das eine freie und unbeobachtete Kommunikation gewährleistende Fernmeldegeheimnis dar, das konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft ist. Es bleibt nur zu hoffen, dass dieses elementare Grundrecht, das zudem unerlässliche Voraussetzung für die Ausübung anderer Grundrechte, insbesondere das der Meinungs- und das der Pressefreiheit ist, nicht mehr und mehr einer an Prävention und Sicherheit ausgerichteten Politik zum Opfer fällt.

C. Zusammenfassende Würdigung Die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden, den Einzelnen auszuforschen, sind mannigfaltig und unterliegen vielfach nur geringen Eingriffsvoraussetzungen. Die Betroffenheit Unverdächtiger ist dabei zum Normalfall strafprozessualer Ermittlungstätigkeit geworden. Ermittlungsmaßnahmen, die sich unterschiedslos gegen jeden richten, sind aber geeignet, bei allen Bürgern ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.89 86 Der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, formulierte, dass zur Charakterisierung des Gesetzesvorschlages „selbst das Wort Placebo noch übertrieben“ sei; zitiert nach Kölner Stadt-Anzeiger v. 11. 6. 2011. 87 Zitiert nach Hamburger Abendblatt v. 10. 6. 2011. 88 Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, äußerte in diesem Zusammenhang: „Wer die Polizei derart unzureichend ausstatten will, übernimmt Mitverantwortung für die Leiden der Opfer von Kriminalität.“ Zitiert nach heise online v. 10. 6. 2011. 89 Diese Befürchtung äußerte das BVerfG explizit im Hinblick auf die anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten; vgl. BVerfG MMR 2010, 356, 360.

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3. Kap.: Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken

Trotz dieser Folgen beugt sich der Gesetzgeber wieder und wieder den Begehrlichkeiten der Strafverfolgungsbehörden und statuiert immer neue Ermittlungsbefugnisse mit großer Streubreite. Ihr Übriges tut die Rechtsprechung, indem sie bestehende Eingriffsbefugnisse großzügig auslegt. Ungeachtet der weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten fühlen sich die Ermittlungsbehörden aber vielfach nicht an deren Grenzen gebunden, sondern orientieren ihr Handeln im Wesentlichen an dem technisch Möglichen. Insgesamt ist die kontinuierliche Ausweitung der Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden Ausdruck eines verfehlten Sicherheitsstrebens, das vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auch das Fernmeldegeheimnis immer mehr auszuhöhlen sucht. Unter Berufung auf ein angebliches Grundrecht auf Sicherheit, das jedem zustehe und das zu schützen vordringliche Aufgabe der staatlichen Institutionen sei, werden grundrechtlich geschützte Freiheitsrechte relativiert und zur Disposition gestellt, wenn es für eine möglichst umfassende Wahrheitsermittlung bei der Straftatenaufklärung und zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs geboten erscheint.90 Hierüber kann auch die prozedurale Absicherung der neuen Ermittlungsbefugnisse durch einen Richtervorbehalt (vgl. § 100i Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 100b Abs. 1 StPO für den IMSI-Catcher und § 100g Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 100b Abs. 1 StPO für die Verkehrsdatenerhebung) nicht hinwegtäuschen. Eine effektive Sicherung der Grundrechte kann durch ihn nämlich angesichts struktureller Defizite und einer mitunter exzessiven Nutzung der Eilanordnungsbefugnis seitens der Strafverfolgungsbehörden tatsächlich nicht gewährleistet werden.91 Eine konsequente Absicherung der Freiheitsrechte ließe sich vielmehr nur durch eng gefasste materielle Eingriffsschranken verwirklichen, für die Verfahrensregelungen kein tauglicher Ersatz sind.92 Schließlich gilt es daran zu erinnern, dass das Strafverfahrensrecht Seismograph für die Rechtsstaatlichkeit eines Gemeinwesens ist.93 Die beständige Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden zu Lasten der Freiheitsrechte aller Bürger hat diesen Seismographen bereits bedenklich ausschlagen lassen.

90 Humanistische Union in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf zu dem „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ vom 19. 1. 2007, S. 8; abrufbar unter: http://www.humanistische-union.de/fileadmin/hu_upload/doku/inneres/Gesamtreform_ HU-Stellungnahme.pdf. 91 Siehe hierzu ausführlich Viertes Kapitel: Der Richtervorbehalt. 92 Humanistische Union in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf zu dem „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ vom 19. 1. 2007, S. 8. 93 Vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, S. 8.

Viertes Kapitel

Der Richtervorbehalt Die StPO sieht als prozedurale Absicherung von Grundrechtseingriffen bei vielen Ermittlungsmaßnahmen die Anordnungskompetenz eines Richters vor (sog. Richtervorbehalt), wobei sie die Staatsanwaltschaft und zum Teil auch die Polizei ermächtigt, im Falle des Vorliegens von Gefahr im Verzug ohne richterliche Anordnung einzuschreiten (sog. Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden). Im Folgenden soll zunächst die rechtsstaatliche Bedeutung des Richtervorbehalts genauer beleuchtet werden, um sodann zu untersuchen, ob der Richtervorbehalt seiner Bedeutung in der Realität gerecht wird.

A. Die rechtsstaatliche Bedeutung des Richtervorbehalts Der bei vielen grundrechtsbeeinträchtigenden Ermittlungsmaßnahmen vorgesehene Richtervorbehalt soll sicherstellen, dass die Rechte des Beschuldigten bestmöglich gewahrt werden, d. h. er soll fehlenden oder zu spät kommenden Rechtsschutz kompensieren und damit der Gefahr einer Schaffung irreversibler Nachteile vorbeugen.1 Der von einer Zwangsmaßnahme Betroffene ist nämlich in der Regel nicht in der Lage, selbst rechtzeitig Rechtsschutz zu beantragen, da ihm aus ermittlungstaktischen Gründen jedenfalls im Voraus die Kenntnis von der gegen ihn gerichteten Zwangsmaßnahme fehlt. So kann etwa eine Durchsuchung naturgemäß nur dann zum Auffinden von Beweismaterial führen, wenn der Betroffene nicht um ihr Bevorstehen weiß; eine Telefonüberwachung kann lediglich dann zur Sachverhaltsaufklärung beitragen, wenn die Ermittlungsbehörden verdeckt operieren. Sofern der Betroffene überhaupt Kenntnis von der gegen ihn gerichteten Zwangsmaßnahme erlangt,2 verbleibt ihm selbst nur die Möglichkeit, eine nach1

Vgl. Gusy, JZ 1998, 167, 169; SK-Rudolphi, § 98 Rn. 6; Geppert, DRiZ 1992, 405, 409. Obschon § 101 StPO eine grundsätzliche Informationspflicht anordnet, kommen die Behörden dieser nicht hinreichend nach: Die Studien von Albrecht/Dorsch/Krüpe ergaben, dass eine Unterrichtung der Betroffenen im Falle der Telekommunikationsüberwachung nur in 15 % der Fälle, nach Backes/Gusy sogar nur in 2,3 % der Fälle erfolgte, obwohl davon ausgegangen werden musste, dass die Betroffenen in noch weit mehr Fällen keine anderweitige Kenntnis von der Überwachung erlangt hatten; vgl. Albrecht/Dorsch/Krüpe, Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation, S. 276 und Backes/Gusy, Wer kontrolliert die Telefonüberwachung?, S. 71 f. 2

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4. Kap.: Der Richtervorbehalt

trägliche gerichtliche Kontrolle anzustrengen und so ggf. die Illegalität der Maßnahme feststellen zu lassen. Verhindern kann der Betroffene die Maßnahme nicht. Um diesem Rechtsschutzdefizit entgegenzuwirken bzw. einen effektiveren Grundrechteschutz zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber mit dem Richtervorbehalt eine vorbeugende Kontrolle der besonders grundrechtssensiblen Tätigkeit von Staatsanwaltschaft und Polizei installiert. Dass diese Kontrollkompetenz dem Richter zufallen soll, liegt in der richterlichen Unabhängigkeit begründet. Zwar sind Staatsanwaltschaft und Polizei ebenso wie der Richter an Gesetz und Recht gebunden (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG), nur der Richter entscheidet jedoch weisungsfrei als neutrale Instanz über einen ihm vorgelegten Sachverhalt. Demgegenüber sehen sich die Ermittlungsbehörden unter dem psychologischen Druck, einen Täter präsentieren zu müssen, und es ist davon auszugehen, dass dieser Druck sie in der Praxis dazu animiert – entgegen der gesetzgeberischen Vorgabe in § 160 Abs. 2 StPO –, eher be- als entlastendes Material aufzuspüren. In diesem Sinne hat auch das BVerfG konstatiert, dass von den ermittlungsführenden Organen – trotz ihrer Bindung an das Gesetz – keine strikte Neutralität erwartet werden kann.3 Die für einen effektiven Grundrechteschutz erforderliche Neutralität hat nach den Ausführungen des BVerfG nur der Richter: „Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab. Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können.“4

Dabei ist die Prüfungskompetenz des Richters unbeschränkt, d. h. er hat sowohl die gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen als auch die Zweckmäßigkeit der Zwangsmaßnahme zu überprüfen. Hinsichtlich der Anforderungen an einen Durchsuchungsbeschluss hat das BVerfG5 konstatiert, dass den Richter als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden die Pflicht treffe, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. Im Durchsuchungsbeschluss müsse zum Ausdruck kommen, dass der Richter die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat.6 Es sei zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt.7 Weiterhin seien die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, zu berücksichtigen.8 Auch müsse der 3 4 5 6 7 8

BVerfG NJW 2001, 1121, 1122. BVerfG NJW 2001, 1121, 1122. BVerfG NJW 2001, 1121, 1122. BVerfG NJW 2008, 1937. BVerfG NJW 2008, 1937. BVerfG NJW 2007, 1443.

B. Die Realität des Richtervorbehalts

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Durchsuchungsbeschluss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist.9 Dies versetze den Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vorneherein entgegenzutreten.10 Allerdings wirkt das Institut des Richtervorbehalts nicht nur zugunsten eines effektiven Grundrechteschutzes. Der effektivste Grundrechteschutz bestünde nämlich zweifelsohne darin, dass ein Eingriff unterbliebe.11 Durch das Bemühen des Richtervorbehalts ist es dem Gesetzgeber jedoch möglich, weitreichende Eingriffsbefugnisse in die StPO aufzunehmen. Maßnahmen, die andernfalls möglicherweise unzulässig wären, können unter den Kautelen des Richtervorbehalts dennoch vorgenommen werden.12 Und tatsächlich werden die durch einen Richtervorbehalt gesicherten Maßnahmen sogar in stetig steigendem Maße durchgeführt, wie die drastisch gestiegene Zahl von Telekommunikationsüberwachungsanordnungen zeigt.13 Je verbreiteter einzelne Zwangsmaßnahmen und damit Grundrechtseingriffe sind, desto bedeutsamer ist die Garantie ihrer verfassungs- und gesetzmäßigen Durchführung, zu der auch die praktische Umsetzung des Richtervorbehalts in einer seinem Rechtsschutzauftrag und seiner Kontrollfunktion gerecht werdenden Weise zählt. Tatsächlich bestehen jedoch große Diskrepanzen zwischen rechtsstaatlichem Anspruch und der Realität des Richtervorbehalts.

B. Die Realität des Richtervorbehalts Seinem Rechtsschutzauftrag bzw. seiner Kontrollfunktion wird der Richtervorbehalt in der Praxis kaum gerecht. Die Ursachen hierfür, die zum einen in dem teilweise exzessiven Gebrauch der Eilkompetenz durch die Strafverfolgungsbehörden sowie zum anderen in verschiedenen strukturellen Defiziten angelegt sind, sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden. Die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden, die nur für den Fall besteht, dass eine vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Ermitt9

BVerfG NJW 2001, 1121, 1122. BVerfG NJW 2001, 1121, 1122. 11 Gusy, JZ 1998, 167, 169. 12 Gusy, JZ 1998, 167, 169. 13 Die Anzahl der Telekommunikationsüberwachungsanordnungen stieg in einem Jahrzehnt von 1995 bis 2005 um mehr als 600 % auf insgesamt 35.015 neu vorgelegte Überwachungsanordnungen im Jahre 2005; zitiert nach dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit; abrufbar unter: http://www.bfdi.bund.de/DE/Oeffentlichkeitsarbeit/Pressemitteilungen/2006/PM-17 – 06TelefonueberwachungInDieRichtigenBahnenLenken.html. 10

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4. Kap.: Der Richtervorbehalt

lungsmaßnahme gefährden würde,14 trägt dem Umstand Rechnung, dass eine effektive Strafverfolgung mitunter ein sofortiges Handeln erfordert und kein Zuwarten auf eine richterliche Entscheidung duldet. Dabei bestimmen die Ermittlungsbehörden selbst, ob ein ihre Eilkompetenz begründender Sachverhalt vorliegt oder ob es ihnen nur obliegt, einen Antrag zu stellen, über den dann durch den Ermittlungsrichter entschieden wird. Die Ermittlungsbehörden haben es mithin selbst in der Hand, sich einer vorbeugenden Kontrolle durch eine unabhängige und neutrale Instanz auszusetzen oder sich dieser zu begeben. Damit bewirkt die Annahme von Gefahr im Verzug eine beträchtliche Minderung des Schutzes für die durch die jeweilige Maßnahme betroffenen Grundrechte. Während im Falle der richterlichen Anordnung etwa einer Durchsuchung in der Regel zunächst die Polizei, die die Durchführung der Durchsuchung bei der Staatsanwaltschaft anregt, dann die Staatsanwaltschaft, die nach § 162 Abs. 1 S. 1 StPO ihre Anordnung beim Amtsgericht beantragt, und schließlich der Ermittlungsrichter prüft, ob die Voraussetzungen für die Maßnahme vorliegen, beschränkt sich die betreffende Prüfung bei der Annahme von Gefahr im Verzug auf eine solche durch die Polizei, allenfalls zusätzlich durch die Staatsanwaltschaft.15 Zudem mangelt es bei der Durchführung einer Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug an der begrenzenden Wirkung der – in der Regel schriftlichen – richterlichen Durchsuchungsanordnung. Die Kontrolle durch den unabhängigen und neutralen Richter ist dann auf eine repressive Funktion beschränkt, die den bereits geschehenen Eingriff nicht mehr rückgängig machen kann.16 Ungeachtet der hierdurch bewirkten Einbuße an Grundrechteschutz nahmen die Ermittlungsbehörden das Vorliegen eines ihre Eilkompetenz begründenden Sachverhaltes etwa im Bereich von Durchsuchungen in der Vergangenheit auffallend häufig an. Nach Nelles17 wurden Anfang der siebziger Jahre ca. 90 % aller Hausdurchsuchungen in Nordrhein-Westfalen ohne vorherige Einschaltung eines Richters durchgeführt. Damit läuft die Strafverfolgungspraxis klar der gesetzgeberischen Konzeption zuwider: Das gesetzlich vorgesehene Regel-Ausnahme-Verhältnis von richterlicher und ermittlungsbehördlicher Anordnungsbefugnis wird in der Praxis in das Gegenteil verkehrt; die Kontrollfunktion des Richtervorbehalts wird faktisch ausgehebelt. Anlässlich einer Verfassungsbeschwerde gegen eine staatsanwaltschaftlich angeordnete und richterlich bestätigte Durchsuchung mahnte das BVerfG die Strafverfolgungspraxis im Jahre 2001 zur Einhaltung des gesetzlichen Regel-AusnahmeVerhältnisses.18 Das BVerfG betonte in den Leitsätzen seiner Entscheidung, dass der 14

Vgl. BVerfG NJW 1979, 1539, 1540; BVerfG NJW 2001, 1121, 1123. BVerfG NJW 2001, 1121, 1122. 16 BVerfG NJW 2001, 1121, 1123. 17 Nelles, Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen, S. 214 f. Dabei machten fast ausschließlich die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft von ihrer Eilkompetenz Gebrauch. 18 Vgl. BVerfG, NJW 2001, 1121, 1122. 15

B. Die Realität des Richtervorbehalts

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Begriff „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen sei und mit Tatsachen begründet werden müsse, die auf den Einzelfall bezogen sind; reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte fallunabhängige Vermutungen reichten nicht aus. Damit der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam werde könne, seien ferner die für die Organisation der Gerichte und für die Rechtsstellung der dort tätigen Ermittlungsrichter zuständigen Organe der Länder und des Bundes sowie die Gerichte selbst gehalten, die zur Effektuierung der Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen.19 Weiterhin stellte das BVerfG klar, dass den Strafverfolgungsbehörden bei der Prüfung des Merkmals „Gefahr im Verzug“ kein Beurteilungsspielraum zukommt. Zwar handele es sich bei diesem Merkmal um einen unbestimmten Rechtsbegriff; dies allein trage aber nicht den Rückschluss auf einen Beurteilungsspielraum der Exekutive.20 Vielmehr sei auch die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe von Verfassungs wegen grundsätzlich Sache der Gerichte, die die Rechtsanwendung der Behörden insoweit uneingeschränkt nachzuprüfen haben. Jeder Spielraum nichtrichterlicher Organe bei der Feststellung von Gefahr im Verzug würde die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Eilkompetenz erweitern und damit den Grundrechteschutz schwächen.21 Zudem hätte ein solcher Spielraum eine Letztentscheidungsbefugnis der Behörden über die Zuständigkeit des Richters zur Folge, weil sie mit der Annahme von Gefahr im Verzug nicht nur ihre eigene Zuständigkeit selbstständig bejahen, sondern zugleich die Zuständigkeit des Richters verneinen.22 Eine derartige Ermächtigung der Exekutive wäre mit dem Grundgesetz unvereinbar. Damit die verfassungsrechtlich gebotene uneingeschränkte Nachprüfung der Annahme von Gefahr im Verzug tatsächlich vollzogen werden kann, sei es schließlich erforderlich, dass sowohl das Ergebnis als auch die Grundlagen der Entscheidung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Zwangsmaßnahme in den Ermittlungsakten dargelegt werden.23 Als Reaktion auf die Forderung des BVerfG nach organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherstellung der Regelzuständigkeit des Richters auch in der Praxis wurden bei den Amtsgerichten umgehend richterliche Bereitschaftsdienste eingerichtet.24 War vor der Entscheidung üblicherweise allein ein Bereitschaftsstaatsanwalt nach Dienstschluss erreichbar, der über die Durchführung der Maßnahme befand, trat nunmehr ein Bereitschaftsrichter hinzu, den der Bereitschaftsstaatsanwalt zu unterrichten und bei welchem er einen Antrag auf Erlass der begehrten Anordnung zu stellen hatte. Ein richterlicher Bereitschaftsdienst auch während der Nachtzeit blieb 19 20 21 22 23 24

BVerfG NJW 2001, 1121, 1122. BVerfG NJW 2001, 1121, 1123. BVerfG NJW 2001, 1121, 1124. BVerfG NJW 2001, 1121, 1124. BVerfG NJW 2001, 1121. Beichel/Kieninger, NStZ 2003, 10.

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4. Kap.: Der Richtervorbehalt

allerdings die Ausnahme.25 Trotz dieser grundsätzlichen organisatorischen Verbesserungen konnte jedoch keine Stärkung des Richtervorbehalts als präventives Kontroll- und Rechtsschutzelement erzielt werden. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die zu Hause den Bereitschaftsdienst leistenden Richter, denen weder eine Schreibkraft noch die relevanten Akten zur Verfügung stehen, sich angesichts dieser Umstände oftmals nicht in der Lage sehen, den begehrten Beschluss zu erlassen. Vor diesem Hintergrund seien manche Richter, wie Beichel und Kieninger26 konstatieren, sogar dazu übergegangen, den diensthabenden Staatsanwälten eine sofortige Nutzung ihrer Eilkompetenz ohne die Einschaltung eines Richters nahezulegen.27 Sofern den Richtern Akten vorgelegt werden, wird indes beklagt, dass dies nur selektiv erfolge, d. h. dass seitens der Staatsanwaltschaft – und noch mehr seitens der Polizei – „die Karten nicht aufgedeckt“, namentlich polizeiliche Maßnahmen und Entschließungen nicht vollständig dokumentiert würden und belastende Quellenangaben unbelegt blieben.28 Insbesondere im Bereich der Organisierten Kriminalität, der durch den Einsatz Verdeckter Ermittler29 und die Zusammenarbeit mit milieuzugehörigen Vertrauenspersonen30 gekennzeichnet ist, sollen zudem häufig deren ungesicherte und nicht verifizierbare Hinweise die Anordnung von Zwangsmaßnahmen legitimieren. Da die dem Richter seitens der Ermittlungsbehörden übermittelten Informationen zumeist dessen einzige Erkenntnisquelle sind, nimmt der Richter den Sachverhalt ausschließlich „durch die Brille“ der Ermittlungsbeamten wahr, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass er dem Antrag stattgibt.31 Erschwert wird eine effektive Kontrolltätigkeit weiter durch den der Eilbedürftigkeit bzw. dem hohen Arbeitspensum geschuldeten Zeitdruck, unter dem der Richter über den Antrag zu befinden hat, sowie dadurch, dass den Dienst als Ermittlungsrichter nicht nur erfahrene Strafrichter, sondern im rollierenden Verfahren auch Berufsanfänger und Zivilrichter ausüben.32 Es ist offensichtlich, dass gerade diese unerfahrenen Ermittlungsrichter – noch dazu unter Zeitdruck stehend – vollständig auf die Ein25 Nach BVerfG NJW 2004, 1442 ist ein nächtlicher Bereitschaftsdienst des Ermittlungsrichters von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht. 26 Beichel/Kieninger, NStZ 2003, 10. 27 Ob im Falle des „unwilligen“ Richters die Voraussetzungen der Eilkompetenz erfüllt sind, wird in der Literatur kontrovers diskutiert: bejahend Hofmann, NStZ 2003, 230, 232; verneinend Beichel/Kieninger, NStZ 2003, 10, 11, 13 und Krehl, NStZ 2003, 461, 463. 28 Geppert, DRiZ 1992, 405, 410. 29 Verdeckte Ermittler sind Beamte des Polizeidienstes, die unter einer Legende ermitteln; vgl. die Legaldefinition in § 110a Abs. 2 S. 1 StPO. 30 Hierbei handelt es sich um Private, die von der Polizei einen Ermittlungsauftrag erhalten; vgl. ausführlich Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Kapitel F, Rn. 311 ff. 31 Einmahl, NJW 2001, 1393, 1394. 32 Asbrock, ZRP 1998, 17, 19.

B. Die Realität des Richtervorbehalts

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schätzung der häufig überlegenen, weil auf den relevanten Bereich spezialisierten Ermittlungsbeamten angewiesen sind und diese im Grunde nur nachvollziehen. Die Ablehnungsquote bei Anträgen auf Anordnung von Zwangsmaßnahmen ist dementsprechend minimal33 – und das, obwohl die den Richtern vorgelegten Anträge häufig nicht einmal vollständig sind. So hat eine empirische Studie von Backes und Gusy zur Telefonüberwachung34 ergeben, dass lediglich ein Viertel der Anträge zu den gesetzlichen Mindestanforderungen (Katalogtat, Verdacht im Einzelfall, Subsidiarität) überhaupt Stellung nimmt. In den stattgebenden richterlichen Beschlüssen setzte sich dieses Defizit sogar fort: Enthielten die staatsanwaltschaftlichen Antragsbegründungen etwa unzureichende Angaben zum Tatverdacht, wiesen auch die richterlichen Beschlüsse mehrheitlich dieses Defizit auf.35 Fügte die Staatsanwaltschaft ihrem Antrag einen – wie in fast 90 % der Fälle defizitären – Beschlussentwurf bei, wurde dieser durch den Richter in aller Regel ohne Änderungen unterzeichnet.36 Dementsprechend verwundern denn auch die Äußerungen der mit den Ergebnissen der Studie konfrontierten Staatsanwälte nicht, die offen formulierten, dass man von einem Richter jederzeit jeden Beschluss bekommen könne, wenn man den Antrag nur mit einem entsprechenden Beschlussentwurf versehe.37 Schließlich schwächt auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Beweisverwertungsverboten die Kontrollfunktion des Richtervorbehalts, denn nach der Rechtsprechung bleibt die rechtswidrige Inanspruchnahme der ermittlungsbehördlichen Eilkompetenz in aller Regel folgenlos, d. h. sie zieht kein Beweisverwertungsverbot nach sich. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, wonach jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist und dass die Frage nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist.38 Für den Fall eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei der Durchsuchung stellte der BGH darauf ab, ob der Richter bei rechtzeitiger Einschaltung die Durchsuchung hätte anordnen dürfen.39 Hätte er dies gedurft, käme ein Verwertungsverbot für die aufgrund der rechtsfehlerhaften 33 Nach den Untersuchungen von Albrecht/Dorsch/Krüpe lag sie betreffend die Telekommunikationsüberwachung bei nur 0,4 %; Albrecht/Dorsch/Krüpe, Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation, S. 177. 34 Backes/Gusy, Wer kontrolliert die Telefonüberwachung?, 2003. 35 Backes/Gusy, Wer kontrolliert die Telefonüberwachung?, S. 124. 36 Ein bloßes Unterzeichnen des staatsanwaltschaftlichen Entwurfes fand in 60 von 65 Fällen statt; Backes/Gusy, Wer kontrolliert die Telefonüberwachung?, S. 47 f. Das BVerfG hat für den Fall des Durchsuchungsbeschlusses aber mittlerweile ausdrücklich konstatiert, dass in dem Beschluss zum Ausdruck kommen muss, dass der Richter die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat; vgl. BVerfG NJW 2008, 1937. 37 Backes/Gusy, Wer kontrolliert die Telefonüberwachung?, S. 107. 38 BGH NJW 1999, 959, 961; BGH NJW 2007, 2269, 2271. 39 BGH NJW 1989, 1741, 1744; BGH NJW 2007, 2269, 2271.

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4. Kap.: Der Richtervorbehalt

Durchsuchung erlangten Beweise nicht in Betracht, da nur ein unbeachtlicher Formfehler vorläge; eine Ausnahme solle lediglich bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug gelten.40 Dieses Abstellen auf den hypothetischen Ersatzeingriff bedeutet jedoch, dass der Richtervorbehalt insgesamt zur bloßen Formalie degradiert wird. In diese Richtung weist im Hinblick auf den einfachrechtlichen Richtervorbehalt schließlich auch ein jüngerer Nichtannahmebeschluss des BVerfG41, in dem das Gericht formulierte, dass der einfachgesetzliche Richtervorbehalt nicht als rechtsstaatlicher Mindeststandard geboten sei, weshalb bei fehlendem nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienst die Inanspruchnahme der Eilkompetenz des § 81a Abs. 2 StPO kein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehe.42 Tatsächlich hat die unterschiedliche Normierung von Richtervorbehalten im GG und in der StPO jedoch historische Gründe und trifft keine Aussage über deren Gewicht. Geprägt von den Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus hatte der Verfassungsgeber 1949 insbesondere den Missbrauch von Wohnungsdurchsuchungen und freiheitsentziehenden Maßnahmen im Blick, was zur Verankerung entsprechender Richtervorbehalte in Art. 13 Abs. 2 GG und in Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG führte.43 Andere Eingriffsbefugnisse gewannen hingegen erst später an Bedeutung, wie etwa die Blutentnahme gem. §§ 81a, 81c StPO durch den stetigen Anstieg von Straßenverkehrsdelikten.44 Auch war es für den Verfassungsgeber nicht abzusehen, wie sehr moderne Kommunikationsmittel das Leben der Bürger bestimmen und welche umfassenden Ausforschungsmöglichkeiten sich hieraus für den Staat ergeben würden.45 Richtervorbehalte für diese Grundrechtseingriffe, die wie der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit oder in das Fernmeldegeheimnis nicht weniger schwer wiegen als ein Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung, wurden im Laufe der Zeit einfachgesetzlich in der StPO normiert.46 Das Absprechen der rechtsstaatlichen Notwendigkeit dieser einfachgesetzlichen Richtervorbehalte47 und die mangelnden 40

BGH NJW 2007, 2269, 2271 f. BVerfG DÖV 2011, 489. 42 Der Beschluss betraf zwei Verfassungsbeschwerden, von denen eine zum Sachverhalt hatte, dass einem offenbar alkoholisierten Fahrradfahrer nachts in Wuppertal auf Anordnung der Polizei eine Blutprobe entnommen worden war, wobei die Polizei zuvor vergeblich versucht hatte, den staatsanwaltschaftlichen Eildienst zu erreichen; ein gerichtlicher Eildienst existierte in Wuppertal zwischen 21 und 6 Uhr nicht. 43 Ostendorf/Brüning, JuS 2001, 1063, 1065. 44 Vgl. Prechtel, Das Verhältnis der Staatsanwaltschaft zum Ermittlungsrichter, S. 130 f. 45 Vgl. hierzu ausführlich Drittes Kapitel, B. 46 Vgl. Ostendorf/Brüning, JuS 2001, 1063, 1065; Hüls, Polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungstätigkeit, S. 285. 47 Mittlerweile erachtet auch der Bundesrat den einfachgesetzlichen Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO für rechtsstaatlich nicht zwingend notwendig. Er hat dem Bundestag am 15. 12. 2010 einen Gesetzesentwurf übermittelt, der eine Streichung des Richtervorbehalts bei 41

C. Zusammenfassende Würdigung

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Konsequenzen im Falle ihrer Umgehung dürften die rechtswidrige Inanspruchnahme der entsprechenden Eilkompetenzen und damit die Verhinderung effektiven Rechtsschutzes für den Beschuldigten noch weiter begünstigen.

C. Zusammenfassende Würdigung Nach alledem ist festzuhalten, dass der Richtervorbehalt die ihm zugedachte Rechtsschutz- und Kontrollfunktion tatsächlich nicht erfüllt. Der bei vielen Zwangsmaßnahmen angesichts des besonders grundrechtssensiblen Tätigwerdens von Staatsanwaltschaft und Polizei vorgesehene Richtervorbehalt ist allenfalls ein „rechtsstaatliches Trostpflaster“48. Eine kritische Auseinandersetzung des Ermittlungsrichters mit dem Vorbringen der Ermittlungsbehörden findet nicht statt. Der Richtervorbehalt wird von den Richtern selbst oft genug nicht ernst genommen. Zudem erschweren ein hoher Zeitdruck und die mitunter mangelnde Erfahrung der Ermittlungsrichter eine effektive Kontrolltätigkeit. Und selbst eine unkritische Auseinandersetzung des Ermittlungsrichters mit ihrem Ansinnen umgehen die Strafverfolgungsbehörden teilweise durch die exzessive Annahme von Gefahr im Verzug. Zugleich ermöglicht das Institut des Richtervorbehalts dem Gesetzgeber aber die Normierung immer neuer besonders eingriffsintensiver Ermittlungsbefugnisse. Maßnahmen, die ohne das Bemühen des Richtervorbehalts möglicherweise unzulässig wären, können dank seiner Zuhilfenahme dennoch in die StPO implementiert werden. Tatsächlich stehen diese Eingriffsmaßnahmen vor allem im Belieben der Strafverfolgungsbehörden, die über ihre Eilkompetenz umfangreich von ihnen Gebrauch machen. Damit wird der Richtervorbehalt, der gerade den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Grundrechte sichern soll, aber in seiner Funktion pervertiert. Damit der Richtervorbehalt als Kontrollinstrument zum Schutze der Grundrechte tatsächlich wirksam werden kann, sind verschiedene Maßnahmen erforderlich. Zum einen muss ein umfassender richterlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet werden, der sich entsprechend den Vorgaben des BVerfG49 gegebenenfalls auch auf die Nachtzeit erstreckt. Das Gericht führte aus, dass ein nächtlicher richterlicher Bereitschaftsdienst von Verfassungs wegen gefordert sei, wenn hierfür ein praktischer Bedarf bestehe, der über den Einzelfall hinausgeht. Obwohl ein solcher Bedarf vielerorts besteht, vernachlässigen die Länder ihre Verfassungspflicht und vereiteln

Blutprobenentnahmen vorsieht und zur Begründung anführt, dass ein solcher Richtervorbehalt nicht den Erfordernissen einer effektiven Strafverfolgung entspreche; vgl. BT-Dr. 17/4232. 48 Asbrock, ZRP 1998, 17. 49 BVerfG NJW 2004, 1442.

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4. Kap.: Der Richtervorbehalt

so, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam werden kann.50 Darüber hinaus ist mit Satzger51 zu fordern, dass die Tätigkeit des Ermittlungsrichters ausschließlich von hierauf spezialisierten Richtern ausgeübt wird. Gezielte Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Ermittlungsrichter, etwa auf dem Gebiet der Kriminalistik, könnten die Kompetenzen der Richter erhöhen und so dem Ausnutzen eines betreffenden Vorsprungs durch die Strafverfolgungsbehörden vorbeugen.52 Zudem sollten die vom BVerfG53 geforderten Begründungspflichten wieder stärker in das Bewusstsein der Richter gerückt werden, indem der Gesetzgeber rechtsstaatliche Mindeststandards für die Begründung gesetzlich festschreibt.54 Dabei wäre die Begründungslast so auszugestalten, dass die Stattgabe eines Antrages, nicht aber dessen Ablehnung ausführlich und eigenständig zu begründen ist. Damit würde dem eine effektive richterliche Kontrolle erschwerenden „Trägheitseffekt“ entgegengewirkt, der dadurch befördert wird, dass sich aus Sicht des Richters die Stattgabe eines Antrages der Staatanwaltschaft unter Zueigenmachen der Antragsbegründung als die arbeitsökonomischste und damit attraktivste Variante darstellt.55 Allerdings nützt ein noch so effektiv ausgestalteter Richtervorbehalt zum Schutz der Grundrechte wenig, wenn eine rechtswidrige Inanspruchnahme der Eilkompetenz seitens der Strafverfolgungsbehörden ohne Konsequenzen bleibt. Dies birgt die Gefahr, dass die eigenen Befugnisse über die rechtlichen Grenzen hinaus ausgetestet werden. Dementsprechend muss eine rechtswidrige Inanspruchnahme der Eilkompetenz im Regelfall die Unverwertbarkeit der so gewonnenen Beweise nach sich ziehen.

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Ein solches verfassungswidriges Defizit hat etwa das OLG Hamm, NJW 2009, 3109, 3110 f. für den Bereich des Landgerichtsbezirks Bielefeld festgestellt, in dem es im Jahre 2008 an einem nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienst fehlte, obwohl sich im relevanten Zeitraum allein für zwei Polizeibehörden des Bezirks nur an Blutprobenanordnungen 2,58 Fälle pro Nacht ergaben. Als Reaktion auf das Urteil wurde im September 2009 ein nächtlicher richterlicher Bereitschaftsdienst für den Landgerichtsbezirk Bielefeld eingerichtet. 51 Satzger, Gutachten C für den 65. Deutschen Juristentag, S. 120. 52 Vgl. Satzger, Gutachten C für den 65. Deutschen Juristentag. S. 120. 53 BVerfG NJW 2008, 1937. 54 Satzger, Gutachten C für den 65. Deutschen Juristentag, S. 124. 55 Satzger, Gutachten C für den 65. Deutschen Juristentag, S. 125.

Fünftes Kapitel

Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung Bereits seit den 70er Jahren zeichnet sich unter dem Schlagwort der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ eine Entwicklung ab, die die Grenzen des Strafrechts und des Polizeirechts auflöst und, wie es Prantl1 formuliert, beide Materien in ein einheitliches Recht der Inneren Sicherheit überführt, „das nicht mehr unterscheidet zwischen Schuldigen und Unschuldigen, das keine Verdächtigen oder Unverdächtigen mehr kennt, sondern nur noch potenzielle Störer“. Mittels der in den Polizeigesetzen installierten Befugnisse zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung wird der Polizei die Möglichkeit eröffnet, schon im Vorfeld von Anfangsverdacht und konkreter Gefahr sowie rechtlich emanzipiert von der – nur bei repressivem Tätigwerden bestehenden – Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft zu operieren. Dabei kommt es zu einem Überlappen von repressiven und präventiven Eingriffsbefugnissen der Polizei, denn vergleichbare Ermächtigungen – allerdings unter engeren Voraussetzungen – enthält auch die StPO. Wann die Polizei das präventive Terrain verlassen und sich über die Annahme eines Anfangsverdachts dem Regelwerk der StPO unter (theoretischer) Leitung der Staatsanwaltschaft unterstellen möchte, entscheidet sie allein. Für den Bürger bedeutet das Konzept der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, dass die Polizei Informationen über ihn beschaffen darf, ohne dass er hierfür einen irgendwie gearteten Anlass gegeben hätte, die Polizei diese Informationen weiterhin für die Einleitung eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens fruchtbar machen und unter Umständen sogar zur Verwendung als Beweismittel in das Strafverfahren transferieren kann. Auf die Hintergründe und die Umsetzung des Konzepts der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung sowie auf dessen Konsequenzen für den Grundrechtsträger soll im Folgenden näher eingegangen werden. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, ob die Zwecke vorbeugender Verbrechensbekämpfung tatsächlich im Gefahrenabwehrrecht anzusiedeln sind. Exemplarisch soll hierfür wegen ihrer großen praktischen Relevanz die Videoüberwachung öffentlicher Orte einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Abschließend ist dann zu untersuchen, in welchem Umfang die vermöge der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung gewonnenen Daten für repressive Zwecke genutzt werden können.

1

Prantl, Verdächtig, S. 11.

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

A. Die Hintergründe vorbeugender Verbrechensbekämpfung Das Konzept der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung basiert auf der Annahme, dass es für eine effektive Bekämpfung insbesondere der Organisierten Kriminalität und in letzter Zeit vornehmlich des internationalen Terrorismus unerlässlich sei, Ermittlungen anzustellen, die sich nicht auf die Verfolgung einzelner Straftaten beschränken, sondern mittels derer die zugrundeliegenden kriminellen Strukturen erforscht werden können. Die zu diesem Zweck anzustellenden sog. Vorfeldermittlungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Polizei nicht erst auf ein bestimmtes, polizeilich relevantes Geschehen reagiert, sondern schon im Vorfeld der konkreten Gefahr und des Anfangsverdachts ansetzt und „proaktiv“ – vor allem durch die Gewinnung von Informationen – tätig wird.2 Dabei ist die Polizei in erster Linie an verdeckte Ermittlungsmethoden gebunden, namentlich an optische oder akustische Überwachungsmaßnahmen sowie an den Einsatz von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen, die Zielpersonen ausforschen. Kurz gesagt, handelt es sich bei der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung also um eine Vorverlagerung polizeilicher Eingriffe. Vermöge einer offensiven Informationsbeschaffung soll der Verdacht auf Kriminalität erst noch erarbeitet werden. Dabei bestimmt die Polizei den Anlass für die Informationsbeschaffung, wie nachfolgend dargestellt, weitgehend selbst. Angesichts der geschilderten geringen Anforderungen des Anfangsverdachts erscheint allerdings schon die behauptete Notwendigkeit dieser vorverlagerten Informationsbeschaffung äußerst zweifelhaft. Wie bereits festgestellt,3 ist ein Anfangsverdacht schon dann gegeben, wenn nicht erwiesene Tatsachen es als möglich erscheinen lassen, dass eine Straftat begangen wurde – wobei den Strafverfolgungsbehörden bei ihrer Einschätzung noch ein Beurteilungsspielraum zukommt. Auch muss sich der Verdacht noch nicht gegen eine bestimmte Person richten. Berücksichtigt man weiter, welche Verhaltensweisen materiell-rechtlich bereits mit Strafe bedroht und daher ausreichender Bezugspunkt des Anfangsverdachts sind, wird noch deutlicher, dass die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu überwindende Hürde nicht allzu hoch ist.4 So ist bei vielen Vergehen und allen Verbrechen schon der Versuch strafbar (vgl. § 23 Abs. 1 StGB); bei Verbrechen werden über § 30 StGB zudem verschiedene Vorbereitungshandlungen sanktioniert. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Strafbarkeitsgrenze durch bestimmte Deliktsgruppen vorverlegt, namentlich durch abstrakte Gefährdungsdelikte (vgl. §§ 231, 316 StGB), Unternehmenstatbestände (vgl. §§ 81, 82 StGB) und Organisationsdelikte (vgl. §§ 129, 129a StGB). Dabei dürften die Straftatbestände der Bildung krimineller 2 3 4

Roggan, NJW 2009, 257; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 26. Vgl. Zweites Kapitel, B. Vgl. Hund, ZRP 1991, 463, 464.

B. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung und Gefahrenabwehrrecht

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Vereinigungen (§ 129 StGB) und der Bildung terroristischer Vereinigungen (§ 129a StGB) auf den Gebieten der Organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus – deren effektive Bekämpfung fortwährend als Argument für immer weiterreichende Befugnisse zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung dient – nahezu jede relevante Vorfeldtätigkeit abdecken.5

B. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung und Gefahrenabwehrrecht Trotz der zu bezweifelnden Notwendigkeit dieser vorverlagerten Informationsbeschaffung wurden die Rufe nach entsprechenden polizeilichen Befugnissen stetig lauter und der Gesetzgeber legalisierte schließlich, was die Polizeibehörden zuvor schon ohne gesetzliche Grundlage an Eingriffsmaßnahmen eingesetzt hatten.6 Fernab von strafprozessualen Zwängen in Gestalt des Erfordernisses eines Anfangsverdachts und der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft sollte das Gefahrenabwehrrecht als Regelungsstandort derartiger Befugnisse dienen. Denn den Polizeibehörden kommt eine Zwitterstellung zu: Ihnen ist nicht nur die Mitwirkung an der Strafverfolgung übertragen, sie haben zudem die selbstständige, d. h. nicht der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft unterliegende Aufgabe der Gefahrenabwehr. Polizeiliche Maßnahmen, die auf Strafverfolgung ausgerichtet sind, unterliegen den Maßgaben der StPO und sind an das Vorliegen eines Anfangsverdachts gebunden; polizeiliche Maßnahmen, die auf Prävention ausgerichtet sind, erfolgen demgegenüber auf der Grundlage der Polizeigesetze und sind an das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit bzw. Ordnung gebunden. Dieses zweite Standbein polizeilicher Arbeit, die Gefahrenabwehr, wurde also bemüht, um im Vorfeld tätig werden zu können. Die Rechtfertigung für den Regelungsstandort der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung im Gefahrenabwehrrecht liefert ein großzügiges Verständnis der Gefahrenabwehraufgabe, das die vorbeugende Verbrechensbekämpfung als einen Teil der Gefahrenabwehr begreift. Dementsprechend bestimmt etwa das Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) in seinem § 1 Abs. 1: „Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren (Gefahrenabwehr). Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten sowie für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten).“

Die mit der Aufgabe der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung einhergehenden Befugnisse beziehen sich zunächst auf die Erhebung von Daten, etwa durch den 5

Vgl. Hund, ZRP 1991, 463, 464. Ausführlich Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 226 ff.; Paeffgen, StV 1999, 625, 626. 6

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

Einsatz Verdeckter Ermittler, die akustische Wohnraumüberwachung, die sog. Schleierfahndung oder die Videoüberwachung an öffentlich zugänglichen Orten. Zudem enthalten die Polizeigesetze Regelungen zur Verarbeitung und weiteren Verwendung der so gewonnenen Daten. Tatsächlich bedeutet die Installation der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung in den Polizeigesetzen aber keine Konkretisierung der polizeilichen Aufgabenstellung, sondern deren Erweiterung.7 Der in der Aufgabenzuweisung der Polizeigesetze verwandte Begriff der Gefahr meint nämlich eine im Einzelfall bestehende Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit (oder Ordnung) eintreten wird.8 Gefahrenabwehr in diesem Sinne ist also die Abwehr konkreter Gefahren,9 auch konkret bevorstehender Straftaten.10 Bei der in den Polizeigesetzen genannten Straftatenverhütung als Teil der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung geht es indes um die Verhütung zukünftiger Gefahren, namentlich zukünftiger Straftaten.11 Bedeutet diese erste Komponente der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, die Straftatenverhütung, schon eine Vorverlagerung der herkömmlichen Gefahrenabwehraufgabe, hat deren zweite Komponente, die Verfolgungsvorsorge, nichts mehr mit Gefahrenabwehr bzw. Prävention gemein. In diesem Sinne befand auch das BVerfG in einem Urteil zur Telekommunikationsüberwachung nach dem niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NdsSOG), welches die „Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten“ neben der Straftatenverhütung als eigenständigen Zweck normierte (vgl. § 33a Abs. 1 Nrn. 2 und 3 NdsSOG), dass es bei der Verfolgungsvorsorge nicht um die Verhütung von Straftaten gehe.12 Die Ermächtigung zur Verfolgungsvorsorge bezwecke vielmehr die Sicherung von Beweisen zur Verwendung in künftigen Strafverfahren und betreffe damit gegenständlich das repressiv ausgerichtete Strafverfahren.13 Dieser Sachbereich ist indes der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (gerichtliches Verfahren unter Einschluss des Strafverfahrens) zuzuordnen, mit der Folge, dass dem Landesgesetzgeber nur eine Gesetzgebungskompetenz zukommt, solange und soweit der Bundesgesetzgeber von

7

Weßlau spricht insoweit sogar von einem selbstständigen dritten Gebiet polizeilicher Tätigkeit; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 158 ff. 8 Vgl. BVerfG NJW 2006, 1939, 1947. 9 Abstrakte Gefahren, die sich dadurch auszeichnen, dass sie generell für eine bestimmte Sachverhaltsgruppe vorliegen, werden demgegenüber durch Normen oder Verordnungen vorbeugend bekämpft; vgl. Hund, ZRP 1991, 463, 465. 10 Vgl. Roggan, NJW 2009, 257, 258. 11 Roggan, NJW 2009, 257, 258. 12 BVerfG NJW 2005, 2603, 2605 f. 13 BVerfG NJW 2005, 2603, 2605.

B. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung und Gefahrenabwehrrecht

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seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 72 Abs. 1 GG). Das Gericht führte aus, dass der Bundesgesetzgeber jedenfalls für den Bereich der Telekommunikationsüberwachung abschließend von seiner Regelungsbefugnis Gebrauch gemacht habe.14 Die Vorschriften der StPO zur Telekommunikationsüberwachung ließen eine konzeptionelle Entscheidung gegen zusätzliche, in das erweiterte Vorfeld einer Straftat verlagerte Maßnahmen erkennen, wie sie die streitgegenständliche Vorschrift vorsieht, deren Eingriffsvoraussetzungen sich in dem Vorliegen von Tatsachen erschöpfen, die die Annahme rechtfertigen, dass die betreffende Person künftig Straftaten begehen wird.15 Der Bundesgesetzgeber habe die Telekommunikationsüberwachung unter anderem zur Begrenzung der großen Streubreite solcher Maßnahmen vom Vorliegen enger gefasster Kriterien für einen Anfangsverdacht abhängig gemacht. Wären beide Regelungssysteme parallel anwendbar, wäre die Telekommunikationsüberwachung im Vorfeld der Vorbereitung, des Versuchs oder der Ausführung einer Straftat unter geringeren rechtsstaatlichen Anforderungen möglich als dann, wenn der Täter schon konkret zur Rechtsgutverletzung angesetzt hätte. Ein solches Konzept wäre in sich widersprüchlich und die Unterschiede in den tatbestandlichen Voraussetzungen führten zudem insofern zu Unklarheiten, als dass die Polizeibehörden als Behörden der Gefahrenabwehr einerseits und als solche der Strafverfolgung andererseits auf beide Ermächtigungen zurückgreifen dürften. In Ermangelung der Gesetzgebungskompetenz des Landes Niedersachen erklärte das BVerfG die Telekommunikationsüberwachung zum Zwecke der Verfolgungsvorsorge nach dem NdsSOG für verfassungswidrig und damit für nichtig.16 Zwar betrifft das Urteil des BVerfG unmittelbar nur die streitgegenständliche Regelung, allerdings ist davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber auch bei sonstigen zu repressiven Zwecken erfolgenden Überwachungsmaßnahmen derartige Widersprüche und Unklarheiten vermeiden wollte und daher in der StPO in abschließender Weise Regelungen getroffen hat, die entsprechenden polizeirechtlichen Überwachungsmaßnahmen zu repressiven Zwecken im Vorfeld eines Anfangsverdachts keinen Raum lassen. Damit fehlt es den Landesgesetzgebern an der erforderlichen Kompetenz zum Erlass von Regelungen zur Verfolgungsvorsorge. Von den beiden Komponenten der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, der Verfol14

BVerfG NJW 2005, 2603, 2606 f. § 33a NdsSOG sah in Abs. 1 folgende Regelung vor: „Die Polizei kann personenbezogene Daten durch Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation erheben […] 2. über Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden, wenn die Vorsorge für die Verfolgung oder die Verhütung dieser Straftaten auf andere Weise nicht möglich erscheint, sowie 3. über Kontakt- und Begleitpersonen der in Nummer 2 genannten Personen, wenn dies zur Vorsorge für die Verfolgung oder zur Verhütung einer Straftat nach Nummer 2 unerlässlich ist.“ 16 BVerfG NJW 2005, 2603, 2612. 15

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

gungsvorsorge und der Straftatenverhütung, unterfällt allein die Straftatenverhütung der Gesetzgebungskompetenz der Länder.

C. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung zur Straftatenverhütung Wie zuvor festgestellt, haben die Landesgesetzgeber nur die erforderliche Gesetzgebungskompetenz inne, um Regelungen zur Straftatenverhütung, also zu präventiven Zwecken, zu normieren. Es stellt sich aber heraus, dass die vorgeblich vorwiegend der Straftatenverhütung dienenden Befugnisse in den Landespolizeigesetzen tatsächlich in erster Linie repressive Zwecke verfolgen. Dies soll nachfolgend beispielhaft an den Befugnissen des Einsatzes Verdeckter Ermittler sowie der Schleierfahndung dargestellt werden, die überdies insofern rechtsstaatlichen Bedenken ausgesetzt sind, als dass sie die Anforderungen an ein polizeiliches Einschreiten gravierend absenken. Viele Landespolizeigesetze sehen als Maßnahme der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung den Einsatz Verdeckter Ermittler vor.17 Dass es bei dem Einsatz eines Verdeckten Ermittlers aber tatsächlich nicht darum geht, eine bevorstehende Straftat beispielsweise in Gestalt eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verhindern, wird, wie von Hund18 angeführt, deutlich, wenn man sich überlegt, welche Möglichkeiten das Recht der Gefahrenabwehr hierzu eigentlich bietet: Als normale Gefahrabwehrmaßnahme wäre etwa der Erlass einer Polizeiverfügung19 denkbar. Zu einem strafbaren Verhalten – sei es auch in Gestalt einer Vorbereitungshandlung (§ 30 StGB) oder eines Versuchs (§§ 22, 23 StGB) – muss es schon 17

Vgl. § 8c Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder (ME PolG) in der Fassung des Vorentwurfs zur Änderung des ME PolG vom 12. 3. 1986 (VE ME PolG), dem viele Landespolizeigesetze nachgebildet wurden. Gemäß § 8c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VE ME PolG kann die Polizei „personenbezogene Daten […] mit Mitteln nach Absatz 2 nur erheben, soweit dies zur vorbeugenden Bekämpfung a) der in § 100a der Strafprozeßordnung oder der in den §§ 176 bis 181a, 243, 244, 260, 263 bis 265, 266 oder 324 bis 330a des Strafgesetzbuches genannten Straftaten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß eine dieser Straftaten begangen werden soll, oder b) anderer Straftaten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß die Straftat gewerbsmäßig, gewohnheitsmäßig oder von Banden begangen werden soll, erforderlich ist und die Datenerhebung ohne Gefährdung der Aufgabenerfüllung auf andere Weise nicht möglich ist und die Maßnahme nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht.“ Gemäß § 8c Abs. 2 Nr. 3 VE ME PolG ist ein zur Datenerhebung anwendbares Mittel „der Einsatz von Polizeivollzugsbeamten unter einer Legende (verdeckte Ermittler)“. 18 Hund, ZRP 1991, 463, 466. 19 Beispielsweise mit dem von Schröder, ZRP 1991, 152 ironischerweise empfohlenen Inhalt: „Der Betäubungsmittelhandel wird Ihnen untersagt!“

C. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung zur Straftatenverhütung

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kommen, denn nur dann ist die Bestrafung des Täters als effektive Maßnahme zur Kriminalitätsbekämpfung möglich.20 Dabei ist der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers nach den Landespolizeigesetzen schon unter sehr geringen Voraussetzungen möglich, und zwar bereits dann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden sollen, und der Einsatz zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftaten erforderlich ist (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW). Wie bereits im Zusammenhang mit den Anforderungen des Anfangsverdachts erörtert,21 kommt dem Tatsachenerfordernis allein aber keine begrenzende Wirkung zu, da je nach Wertung des ermittelnden Beamten jeder Umstand als Indiz für eine mögliche Straftatbegehung taugen kann. Auch das Kriterium der Straftat von erheblicher Bedeutung taugt nicht zur Begrenzung, da hiermit sicher nur Bagatellkriminalität ausgeschlossen werden kann.22 Der Zweck der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung beschreibt schließlich allein ein polizeiliches Motiv und entbehrt damit jeder Begrenzungswirkung.23 Ergo stellt sich die Vorschrift als dehnbare Regelung dar, die es der Polizei ermöglicht, den Einsatz Verdeckter Ermittler zu vorgeblich präventiven Zwecken nahezu immer zu begründen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Maßnahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung tatsächlich vornehmlich repressiven Zwecken dienen, ist die sog. Schleierfahndung24. Die Schleierfahndung, die seit 1995 zunächst in das Polizeigesetz Bayerns und anschließend in weitere Landespolizeigesetze Einzug gehalten hat,25 wurde als Ausgleich für die infolge des sog. Schengener Abkommens26 weggefallenen Grenzkontrollen eingeführt und ermächtigt die Polizei, zum Zwecke der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität auf Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und anderen Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr) und in öffentlichen Einrichtungen des in-

20

Vgl. Hund, ZRP 1991, 463, 466. Vgl. Zweites Kapitel, B. 22 Vgl. Drittes Kapitel, A. 23 Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 51 f. 24 Der Begriff geht auf die seitens des ehemaligen Bundesinnenministers Manfred Kanther an die Bundesländer gerichtete Bitte zurück, zur wirksamen Bekämpfung insbesondere der international organisierten, grenzüberschreitenden Kriminalität ihre Polizeigesetze in Anlehnung an die bayerische Regelung zur Identitätsfeststellung zu ergänzen und einen „Sicherheitsschleier“ an den Grenzen aufzubauen; Moser v. Filseck, Die Polizei 1997, 70. 25 Z.B. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Bay PAG, § 26 Abs. 1 Nr. 6 PolG BW, § 14 Abs. 1 Nr. 5 TH PAG. 26 Übereinkommen von Schengen vom 14. 6. 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, GMBl. 1986, S. 79 ff. 21

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

ternationalen Verkehrs sowie teilweise zusätzlich im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km27 die Identität einer Person festzustellen. Schon der Begriff der Schleierfahndung verrät indes, dass es dabei um die Fahndung nach bereits straffällig gewordenen Personen und nicht um die Verhütung von zukünftigen Straftaten geht.28 Endgültig augenfällig wird die wahre Intention der Maßnahme, wenn man die zur Schleierfahndung erstellten polizeilichen Statistiken heranzieht, die die „Erfolge“ der Maßnahme an der Zahl der ergriffenen Straftäter messen.29 Der eigentliche Zweck der Maßnahme liegt also in der Ergreifung von Straftätern und damit in der Strafverfolgung. Zugleich ist die Schleierfahndung ein weiteres, besonders eklatantes Beispiel dafür, unter welch geringen tatbestandlichen Voraussetzungen polizeiliche Eingriffe zum Zwecke der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung möglich sind. Die Schleierfahndung ist nämlich weder an ein gefährliches Handeln der kontrollierten Person noch an die Existenz eines gefährlichen Ortes gebunden. Ausschließlich erforderlich ist der behauptete Zweck, grenzüberschreitende Kriminalität bekämpfen zu wollen. Waechter spricht insofern sogar von einer Tatbestandslosigkeit der Schleierfahndung.30 In jedem Fall verfügt die Polizei aber über die alleinige Definitionsmacht der Voraussetzungen der Maßnahme, wodurch sie gleichsam in ihrem Belieben steht.31 Für den Bürger bedeutet die Befugnis zur Schleierfahndung indes, dass er sich jederzeit je nach Dafürhalten der diensthabenden Polizeibeamten ausweisen und gegebenenfalls sogar noch weiteren Eingriffsmaßnahmen unterziehen muss.32 Mit der Befugnis zur eigentlichen Personenkontrolle, also dem Anhalten und der Aufforderung sich auszuweisen, sind nämlich noch weitere Ermächtigungen verbunden. Hierzu gehören die sog. Sistierung, d. h. das Festhalten und Verbringen des Betroffenen auf eine Polizeiwache zum Zwecke der Identitätsfeststellung per erkennungsdienstlicher Behandlung, sowie die Durchsuchung des Betroffenen und der von ihm mitgeführten Sachen.33 Zudem können etwaige Datenabgleiche erforderlich werden.34 27

Vgl. Art 13 Abs. 1 Nr. 5 Bay PAG. Roggan, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67 (3/2000), 70, 72. 29 Vgl. Hüls, Polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungstätigkeit, S. 267. 30 Waechter, DÖV 1999, 138, 142. 31 Vgl. Herrenkind, KJ 2000, 188, 193, der die Antwort eines Polizisten aus dem oberbayerischen Murnau auf die Frage nach den Kriterien für die Auswahl der Bürger, die zur Identitätsfeststellung angehalten werden, wie folgt wiedergibt: „Irgendwo hat ma des im Gefühl, dass ma sagt, den kontrollier ich jetzt.“ 32 Zur Tendenz einer vornehmlichen Kontrolle nicht-deutsch aussehender Personen bzw. zu einer rassistischen Auswahl der Kontrollierten siehe ausführlich Herrnkind, KJ 2000, 188, 199 f.; Kant, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 65 (1/2000), 29. 33 Vgl. Art. 13 Abs. 2 Bay PAG: „Die Polizei kann zur Feststellung der Identität die erforderlichen Maßnahmen treffen. Sie kann den Betroffenen insbesondere anhalten, ihn nach seinen Personalien befragen und verlangen, dass er mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung 28

C. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung zur Straftatenverhütung

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Durch die Schleierfahndung einschließlich der möglichen Folgemaßnahmen sieht sich der Grundrechtsträger also Eingriffen in seine Freizügigkeit (Art. 11 GG), in seine allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ausgesetzt, ohne dass er mit seinem Verhalten einen irgendwie gearteten Anlass für die Kontrolle gegeben hätte.35 Damit bricht die Schleierfahndung mit einem Konstitutionsprinzip der Verfassung: der gegenüber jedermann geltenden Redlichkeitsvermutung.36 Als verdachts- und ereignisunabhängige Kontrolle liegt ihr die Betrachtung zugrunde, dass jeder Reisende ein potenziell Gesuchter ist.37 Die dargestellten Beispiele des Einsatzes Verdeckter Ermittler und der Schleierfahndung illustrieren eindrucksvoll, unter welch geringen Anforderungen polizeiliche Eingriffe nach den Polizeigesetzen der Länder möglich sind, und sie machen den Etikettenschwindel deutlich: Bei der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung geht es tatsächlich nicht um Straftatenverhütung, d. h. Prävention, sondern um Repression. Die betreffenden Befugnisse zur Aufhellung eines vermuteten Dunkelfeldes strafrechtlich relevanter Vorgänge dienen vorrangig der Einleitung bzw. Durchführung möglicher zukünftiger Ermittlungsverfahren38 und damit der Strafverfolgung. Hierfür spricht nicht zuletzt auch der Umstand, dass gerade heimliche Eingriffe, die von dem Betroffenen nicht bemerkt werden – und gegen die er sich mithin auch nicht wehren kann –, offensichtlich ungeeignet sind, um diesen von einer möglichen Tatbegehung abzuhalten.39 Ein im Gegenteil offenes Auftreten der Polizei würde einer tatgeneigten Person das hohe Entdeckungsrisiko verdeutlichen und taugte damit deutlich besser, sie von einem strafbaren Verhalten abzubringen.40

aushändigt. Der Betroffene kann festgehalten werden, wenn die Identität auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Unter den Voraussetzungen von Satz 3 können der Betroffene sowie die von ihm mitgeführten Sachen durchsucht werden.“ Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 Bay PAG: „Die Polizei kann erkennungsdienstliche Maßnahmen vornehmen, wenn eine nach Art. 13 zulässige Identitätsfeststellung auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist.“ 34 Vgl. Art. 43 Bay PAG. 35 Vor diesem Hintergrund erklärte das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern die Befugnis zur Schleierfahndung nach dem SOG MV, die es erlaubte, beliebig auf Durchgangsstraßen Identitätsfeststellungen durchzuführen, für verfassungswidrig. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei demgegenüber die Schleierfahndung im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km, in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs sowie im Bereich des Küstenmeeres; LVerfG MV DÖV 2000, 71. Demgegenüber entschied der Bayerische Verfassungsgerichtshof, dass die Schleierfahndung nach dem Bay PAG mit der Bayerischen Verfassung vereinbar sei; vgl. BayVerfGH NVwZ 2003, 1375. 36 Vgl. Lisken, NVwZ 1998, 22, 24; Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 105. 37 Vgl. Lisken, NVwZ 1998, 22, 24. 38 Vgl. Keller/Griesbaum, NStZ 1990, 416, 418 f. 39 Hund, ZRP 1991, 463, 466. 40 Hund, ZRP 1991, 463, 466.

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

Im Hinblick auf Maßnahmen, die tatsächlich eine repressive Zielrichtung haben, muss aber davon ausgegangen werden, dass der Bundesgesetzgeber in der StPO in abschließender Weise Regelungen getroffen hat und insoweit keine Gesetzgebungskompetenz der Länder besteht, da es andernfalls zu den vom BVerfG41 skizzierten Widersprüchen und Unklarheiten käme. Hinzu kommt, dass repressive Maßnahmen im Vorfeld eines Anfangsverdachts generell gegen das – nach zutreffender Ansicht Liskens und Roggans auch verfassungsrechtlich verankerte – repressive Ermittlungsverbot des § 152 Abs. 2 StPO verstoßen.42 Die Norm konstituiert nicht nur das Legalitätsprinzip, wonach die Strafverfolgungsbehörden zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verpflichtet sind, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten vorliegen, sie markiert zugleich auch die Grenze für ein Einschreiten zu repressiven Zwecken.43 Strafverfolgungsmaßnahmen, die ohne das Vorliegen eines Anfangsverdachts eingeleitet werden, sind per se unzulässig. Ohne Anfangsverdacht hat gegenüber jedermann die Redlichkeitsvermutung zu gelten.44 Erst nach dem Überschreiten der Schwelle des Anfangsverdachts dürfen sämtliche Maßnahmen einsetzen, die auf den Zweck der Strafverfolgung gerichtet sind.45 Trotz dieser eindeutigen Rechtslage ebbt die Flut an immer neuen polizeirechtlichen Befugnissen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung mit tatsächlich strafverfolgender Zielrichtung, die Eingriffe im Vorfeld eines Anfangsverdachts erlauben, nicht ab. Herausragend ist hierbei die Befugnis zur Videoüberwachung öffentlicher Orte, von der die Landespolizeien umfassend Gebrauch gemacht haben, so dass jedenfalls in deutschen Großstädten mittlerweile fast jeder von der Maßnahme betroffen ist. Angesichts ihrer immensen tatsächlichen Dimension soll nachfolgend näher auf die Videoüberwachung eingegangen werden.

D. Die flächendeckende Videoüberwachung öffentlicher Orte Bereits seit Mitte der 90er Jahre haben Polizeibehörden und Landesgesetzgeber eine neue Waffe im Kampf gegen innerstädtische Kriminalitätsbrennpunkte auserkoren: den polizeilichen Einsatz von Videotechnik.46 Entsprechende Ermächtigungsgrundlagen wurden eilig in die Landespolizeigesetze implementiert und seitdem steigt die polizeiliche Kamerapräsenz im innerstädtischen Bereich stetig. In 41

BVerfG NJW 2005, 2603, 2606 f. Lisken, ZRP 1994, 264, 268; ders., NVwZ 1998, 22, 24; Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 39 f. 43 Vgl. ausführlich Zweites Kapitel, A. 44 Lisken, NVwZ 1998, 22, 24; Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 39. 45 Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 39. 46 Zöller, NVwZ 2005, 1235. 42

D. Die flächendeckende Videoüberwachung öffentlicher Orte

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etlichen deutschen Städten, wie z. B. München, Nürnberg, Mönchengladbach, Bielefeld, Leipzig und Hamburg, wurden und werden – unter einem immensen Kostenaufwand47 – Kameras installiert, die große Flächen des öffentlichen Raumes überwachen. Die hierbei angewandte Videotechnik erschöpfte sich zunächst darin, dass von einer Kamera Live-Bilder auf einen Monitor übertragen wurden, ohne die Bildsequenzen jedoch aufzuzeichnen (sog. Kamera-Monitor-Prinzip).48 Bei paralleler Schaltung mehrerer Kameras war es dem den Monitor überwachenden Polizeibeamten so möglich, gleichzeitig einen wesentlich größeren Raum zu kontrollieren, als er dies mittels herkömmlicher Streifengänge hätte tun können.49 Dank des technischen Fortschritts stehen den Polizeibehörden heute umfassende digitale Kamerasysteme zur Verfügung, die über einen PC verwaltet und gesteuert werden können. Die von den Kameras aufgenommenen – auch per Funk übertragbaren – Bilder können gespeichert, in Datennetze wie das Internet eingestellt und weiterverarbeitet werden.50 Mithilfe digitaler Systeme zur Gesichtserkennung, die auf der Grundlage von Biometrietechniken arbeiten, können die im Beobachtungsfeld der Kamera erkennbaren menschlichen Gesichter sogar binnen Sekundenbruchteilen mit Bilddatenbanken abgeglichen und auf diese Weise gesuchte oder verdächtige Personen identifiziert werden.51 Der offene Einsatz dieser modernen Videotechnik ist auf der Grundlage der Landespolizeigesetze an sog. gefährlichen Orten möglich. So bestimmt beispielsweise § 15a Abs. 1 PolG NRW, dass die Polizei einzelne öffentlich zugängliche Orte, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt, mittels Bildübertragung beobachten und die übertragenen Bilder aufzeichnen darf, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden. Gemäß § 15a Abs. 2 PolG NRW dürfen die auf diese Weise gewonnenen Daten grundsätzlich für einen Zeitraum von 14 Tagen gespeichert werden. Auffallend ist auch bei den hier normierten Voraussetzungen, dass sie tatsächlich keine Einschränkung der Eingriffsbefugnis bieten, denn ob ein Ort die vorgenannten Eigenschaften erfüllt, obliegt allein der polizeilichen Definitionsmacht.52 Sie entscheidet über die Grenzen der Freiheit des Bürgers. Die Eingriffsbefugnis zur Vi-

47 Die Kosten für die Installation von zehn schwenk- und neigbaren Videokameras auf der Reeperbahn und angrenzenden Plätzen in Hamburg im Jahre 2006 beliefen sich beispielsweise auf 620.000 Euro; vgl. Hamburger Abendblatt v. 5.4.2006. 48 Leopold, in: Innere Sicherheit als Gefahr, S. 185, 186. 49 Hüls, Polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungstätigkeit, S. 268. 50 Hüls, Polizeiliche und staatsanwaltliche Ermittlungstätigkeit, S. 268. 51 Leopold, in: Innere Sicherheit als Gefahr, S. 185, 187. 52 Vgl. Roggan, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67 (3/2000), 70, 78 f.

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

deoüberwachung enthält, wie Roggan zutreffend konstatiert, eigentlich nur ein Verbot unsinniger Videoüberwachung an „sicheren Orten“.53 Die Personen, die von der Videoüberwachung tatsächlich betroffen sind, müssen indes – ebenso wie bei der Schleierfahndung – mit ihrem Verhalten keinen Anlass für die Maßnahme gesetzt haben. Zum Gegenstand der Videoüberwachung wird verdachtsunabhängig jeder, der sich an bestimmten Orten aufhält. Je nachdem, wie bedeutsam die überwachten Orte für das öffentliche Leben sind, besteht aber kaum eine Möglichkeit, sich der Videoüberwachung zu entziehen, d. h. die Videoüberwachung mutiert mitunter sogar zu einer faktischen „Jedermann-Kontrolle“. Die Gefahr, die von derartigen Maßnahmen für den Bürger ausgeht, liegt auf der Hand: Wer befürchten muss, dass ein bestimmtes Verhalten behördlich registriert wird und dass ihm hierdurch Risiken entstehen könnten, wird möglicherweise von der Ausübung seiner betreffenden Grundrechte Abstand nehmen. Diese Gefahr im Blick steckte das BVerfG schon 1983 mit seinem Urteil zur Volkszählung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ab.54 Das Gericht konstatierte, dass aus dem Gedanken der Selbstbestimmung die Befugnis des Einzelnen folge, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.55 Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung seien eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung, in der die Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß, nicht vereinbar.56 Für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf es daher einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Grundrechtsbeschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die insbesondere auch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entspricht. Es ist offensichtlich, dass die polizeiliche Videoüberwachung einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts darstellt.57 Die allerorts installierten Kameras erfassen die äußere Erscheinung von Bürgern, d. h. das Geschlecht, die Hautfarbe, die Kleidung, sowie individuelle Verhaltensweisen, Interaktionen mit Dritten usw. Dabei kann je nach Dafürhalten der beobachtenden Beamten jede Äußerlichkeit oder 53

Roggan, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 67 (3/2000), 70, 79. BVerfG NJW 1984, 419. 55 BVerfG NJW 1984, 419, 422. 56 BVerfG NJW 1984, 419, 422. 57 Dabei kommt bereits der bloßen Beobachtung mittels Kamera Eingriffscharakter zu, ohne dass es auf eine Bildaufzeichnung ankäme, denn nach den eindeutigen Ausführungen des BVerfG kann es den Bürger bereits in seiner Freiheit hemmen, wenn er unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen notiert und als Informationen gespeichert werden (vgl. BVerfG NJW 1984, 419, 422). Diese Unsicherheit entsteht aber in dem Moment, in dem der Bürger die Kamera bemerkt und damit Kenntnis von der Möglichkeit nimmt, behördlich registriert zu werden; ebenso VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498, 500 m.w.N.; Roggan, NVwZ 2001, 134, 136; a.A. VG Halle, LKV 2000, 164; Müller, Die Polizei 1997, 77, 78; Dolderer, NVwZ 2001, 130, 131. 54

D. Die flächendeckende Videoüberwachung öffentlicher Orte

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Verhaltensweise als polizeilich relevant eingestuft werden und zum Ergreifen weiterer Maßnahmen, wie zunächst etwa der Feststellung und Überprüfung der Personalien, führen. Das BVerfG hat vor diesem Hintergrund unlängst nicht nur bejaht, dass die Videoüberwachung – jedenfalls soweit sie auch eine Aufzeichnung des Bildmaterials beinhaltet – in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der von ihr tatsächlich betroffenen Personen eingreift.58 Aufgrund des Umstandes, dass es sich bei der Videoüberwachung um eine verdachtsunabhängige Maßnahme mit großer Streubreite handelt, bei der zahlreiche Personen in den Wirkungskreis einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und die die Maßnahme durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, hat das Gericht der Maßnahme sogar eine besonders hohe Eingriffsqualität attestiert.59 Das Gewicht der Maßnahme werde weiter durch die Möglichkeiten erhöht, das mittels Videoüberwachung gewonnene Bildmaterial vielfältig auszuwerten, zu bearbeiten und mit anderen Datensätzen zu verknüpfen60 – wodurch sich im Extremfall sogar Verhaltensprofile der im überwachten Raum befindlichen Personen erstellen lassen. Ein solch schwerwiegender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie ihn die Videoüberwachung mit Aufzeichnung bewirkt, ist zwar im Sinne des Allgemeinwohls möglich, muss aber insbesondere den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen. In diesem Zusammenhang ist indes bereits zweifelhaft, ob die Videoüberwachung überhaupt dazu geeignet ist, ihren gesetzlichen Zweck zu erreichen. Als Maßnahme der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung soll die Videoüberwachung an designiert gefährlichen Orten vorgeblich schwerpunktmäßig dazu dienen, Straftaten zu verhüten. Daneben soll die Videoüberwachung zum einen Beweismaterial betreffend die trotz ihres Einsatzes begangenen Straftaten schaffen und damit die Aufklärung von Straftaten ermöglichen bzw. erleichtern sowie darüber hinaus polizeiliche Präsenz demonstrieren und somit die Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung verringern.61 Straftaten, die sich trotz der Videoüberwachung anbahnen, kann die Maßnahme aber zumeist nicht verhindern, da am Überwachungsort regelmäßig kein (ziviler oder uniformierter) Eingriffstrupp stationiert ist, der mit dem vor den Überwachungs58 BVerfG, NVwZ 2007, 688. Der dem Beschluss zugrundeliegende Sachverhalt betraf die Videoüberwachung eines von dem israelischen Künstler Dani Karavan hergestellten Bodenreliefs über den Resten einer ehemaligen Synagoge in der Regensburger Innenstadt, die auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 BayDSG erfolgen sollte, nachdem die Polizeidirektion Regensburg eine Überwachung auf der Grundlage von Art. 32 Abs. 2 Bay PAG abgelehnt hatte. Das Gericht befand, dass die Art. 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 BayDSG als Ermächtigungsgrundlage für eine Videoüberwachung mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials nicht hinreichend bestimmt seien. 59 BVerfG, NVwZ 2007, 688, 691. 60 BVerfG, NVwZ 2007, 688, 691. 61 Vgl. beispielhaft Landtag von Baden Württemberg Drs. 12/5706, S. 7 betreffend die Videoüberwachung auf der Grundlage des § 21 Abs. 2, 3 PolG BW.

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

monitoren befindlichen Beamten in direktem Kontakt steht und daher bei einer bevorstehenden Straftat unmittelbar eingreifen könnte.62 In der Praxis dominiert – schon aus Personal- und Kostengründen – das Modell, dass der Beamte vor den Überwachungsmonitoren nach Feststellung einer sich anbahnenden oder gerade stattfindenden Straftat die Kollegen der allgemeinen Funkstreife erst noch zum überwachten Tatort herbeirufen muss.63 Auch wenn einige Polizeidienststellen gerade die überwachten sowie die unmittelbar angrenzenden Örtlichkeiten in verstärktem Maße bestreifen, um ihre durchschnittlichen Interventionszeiten zu minimieren, kann doch ein erheblicher Teil strafbarer Verhaltensweisen (z. B. schnell abgewickelte Drogendeals) auf diese Weise nicht mehr rechtzeitig verhindert werden.64 Zur Straftatenverhütung durch das Ermöglichen rechtzeitiger polizeilicher Intervention ist die Videoüberwachung also in Anbetracht ihrer tatsächlichen Ausgestaltung vielfach ungeeignet. Nach den Gesetzesbegründungen der Polizeigesetze65 soll die Videoüberwachung allerdings auch insofern zur Verhinderung von Straftaten beitragen, als dass sie potenzielle Straftäter vermöge des durch den Kameraeinsatz vergegenwärtigten erhöhten Risikos der Entdeckung und nachfolgender Strafverfolgung von einer möglichen Tatbegehung abhalten soll (sog. „Prävention durch Repression“66). Verlässliches Datenmaterial, das einen solchen Abschreckungseffekt belegte, existiert jedoch nicht.67 Und schon bei lebensnaher Betrachtung drängt sich die Annahme auf, dass die Videoüberwachung allenfalls die Tatausführung an einem bestimmten Tatort – ausgenommen vielleicht bei solchen Taten, die z. B. im Affekt oder unter Suchtdruck begangen werden – verhindert.68 Der rational abwägende Täter mag zwar unter Umständen von einer Tatbegehung in videoüberwachten Bereichen Abstand nehmen, gerade im Hinblick auf gewerbsmäßig handelnde Täterkreise kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese ihr Treiben gänzlich einstellen; insoweit ist vielmehr anzunehmen, dass die Videoüberwachung bestimmter Orte lediglich zu einer Verlagerung der Kriminalität auf nicht überwachte Orte führt.69 Maßgebliches 62

Fetzer/Zöller, NVwZ 2007, 775, 778. Fetzer/Zöller, NVwZ 2007, 775, 778. 64 Fetzer/Zöller, NVwZ 2007, 775, 778. 65 Vgl. beispielhaft Landtag von Baden Württemberg Drs. 12/5706, S. 7 betreffend die Videoüberwachung auf der Grundlage des § 21 Abs. 2, 3 PolG BW. 66 Roggan, NVwZ 2001, 134, 139. 67 So folgt etwa aus den statistischen Daten, die der Hamburger Senat zum Umfang der Videoüberwachung in Hamburg veröffentlicht hat, dass die registrierte Kriminalität in dem Überwachungsraum Hamburg-St. Pauli/Reeperbahn tatsächlich nicht abgenommen, sondern sogar zugenommen hat; zitiert nach Gericke, in: Grundrechte-Report 2010, S. 44, 45 f. Nach Gericke ließe sich dieser Zuwachs kriminologisch aus einer Verschiebung vom sog. Dunkelfeld ins Hellfeld erklären, d. h. es seien mehr Straftaten festgestellt worden, weil solche vor der Einführung der Videoüberwachung unentdeckt geblieben und nicht zur Anzeige gebracht worden wären. 68 Vgl. Fetzer/Zöller, NVwZ 2007, 775, 778. 69 Fetzer/Zöller, NVwZ 2007, 775, 778. 63

D. Die flächendeckende Videoüberwachung öffentlicher Orte

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Kriterium für eine Einstufung der Videoüberwachung als geeignetes Instrument zur Reduzierung strafbarer Verhaltensweisen kann nach zutreffender Ansicht Fetzers und Zöllers jedoch nur sein, dass sie strafbare Verhaltensweisen insgesamt tatsächlich reduziert und nicht bloß räumlich verlagert.70 Im Übrigen zählt das Konzept der (negativen) Generalprävention, welches hinter der Verhinderung von Straftaten durch eine solche Abschreckung potenzieller Täter steckt, nach heutigem Rechtsverständnis (neben der Vergeltung und der Spezialprävention) zu den zentralen Grundlagen für die Legitimation staatlicher Strafe und entstammt daher nicht dem Gefahrenabwehr-, sondern dem Strafrecht.71 Folglich bleibt festzuhalten, dass die polizeirechtliche Videoüberwachung zur Erfüllung des einzigen von der Gefahrenabwehraufgabe gedeckten Zweckes, namentlich der Straftatenverhütung (durch das Ermöglichen rechtzeitiger polizeilicher Intervention), in Anbetracht ihrer tatsächlichen Ausgestaltung zumeist ungeeignet ist. Damit begründet die Videoüberwachung einen unverhältnismäßigen und mithin rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller von ihr tatsächlich betroffenen Personen. Statt in der Prävention besteht der vorwiegende Nutzen der polizeirechtlichen Videoüberwachung tatsächlich in der Strafverfolgung, und zwar darin, durch eine verbesserte Beweislage die Aufklärung von begangenen Straftaten zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Dies belegt selbst die von verschiedenen deutschen Großstädten angestrengte Auswertung der bei ihnen durchgeführten Videoüberwachung.72 Die Videoüberwachung zu repressiven Zwecken ist indes abschließend in der StPO geregelt (vgl. § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. § 163f StPO)73 und dort – wie alle repressiven Maßnahmen – an das Vorliegen eines Anfangsverdachts geknüpft, welcher in den typischen Fällen der innerstädtischen Videoüberwachung gerade nicht gegeben ist. Die polizeirechtliche Videoüberwachung wird nicht durch zu70

Fetzer/Zöller, NVwZ 2007, 775, 778. Fetzer/Zöller, NVwZ 2007, 775, 778 m.w.N. 72 So sind nach den Angaben des Hamburger Senats zur Videoüberwachung im Bereich Hamburg-St. Pauli/Reeperbahn im Zeitraum vom 30. 3. 2006 bis zum 30. 6. 2008 insgesamt 483 polizeiliche Einsätze gezählt worden, die ohne Videoüberwachung nicht oder zumindest deutlich später durchgeführt worden wären und die möglicherweise zur Gefahrenabwehr beigetragen haben. Demgegenüber wurden in insgesamt 1119 Fällen, also mehr als doppelt so häufig, aufgezeichnete Bilder anlässlich von Ermittlungsverfahren gesichtet und in 504 Fällen letztlich auch als Beweismittel genutzt; zitiert nach Gericke, Grundrechte-Report 2010, S. 44, 46. 73 Demgegenüber hat das BVerwG jüngst entschieden, dass die Regelungen der StPO, namentlich die Befugnisse zur erkennungsdienstlichen Behandlung durch die Aufnahme von Lichtbildern gem. § 81b StPO und zur Observation gem. §§ 100h, 163f StPO, den hamburgischen Gesetzgeber nicht an dem Erlass der in § 8 Abs. 3 HbgPolDVG enthaltenen Regelung über die offene anlasslose Videoüberwachung zur Verfolgungsvorsorge hinderten, da die strafprozessualen Befugnisse nach Einsatzzweck und Voraussetzungen erhebliche Unterschiede zur offenen anlasslosen Videoüberwachung aufwiesen; vgl. BVerwG Urt. v. 25. 1. 2012 – Az.: 6 C 9.11. 71

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

reichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine bestimmte, verfolgbare Straftat ausgelöst, sondern geschieht auf Grund allgemeiner Lageerkenntnisse über besondere innerstädtische Kriminalitätsbrennpunkte.74 Damit unterläuft die polizeirechtliche Videoüberwachung als Maßnahme mit tatsächlich strafverfolgender Zielrichtung die Anforderungen des Anfangsverdachts und verstößt mithin gegen das repressive Ermittlungsverbot des § 152 Abs. 2 StPO. Die Videoüberwachung erlebt allerdings nicht nur auf staatlicher Seite eine Hochkonjunktur. Auch die private Videoüberwachung hat sich in Deutschland rasant ausgeweitet. So wird die Anzahl der im öffentlich zugänglichen Raum eingesetzten Kameras privater bzw. privatrechtlich organisierter Betreiber auf vierhunderttausend bis drei Millionen geschätzt.75 Kaufhäuser, Banken, Tankstellen und Supermärkte sind hierzulande flächendeckend überwachte Örtlichkeiten. Die Deutsche Bahn AG lässt als Bestandteil ihres Sicherheitskonzepts Bahnhöfe je nach Größe mit bis zu hundert Kameras überwachen. Zudem werden Busse und Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs mittlerweile in den meisten Großstädten von Kameras kontrolliert. All diese Überwachungsmaßnahmen sind weder an das Vorliegen einer konkreten Gefahr noch eines Anfangsverdacht gebunden und müssen auch nicht dem Zweck der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung dienen. Dennoch kann die Polizei auf die hierdurch entstehende riesige Datenmenge bei Bedarf zu Zwecken der Strafverfolgung zurückgreifen. Die Anforderungen des Anfangsverdachts werden also nicht nur durch die Vorschriften der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung umgangen, sondern können in diesem Fall auch über den Zugriff auf den voraussetzungslosen privaten Einsatz von Videotechnik unterlaufen werden. Einen Silberstreif am Horizont hinsichtlich der ausufernden verdachtslosen Videoüberwachung begründet allerdings ein Urteil des BVerfG betreffend einen Unterfall der Videoüberwachung, nämlich die polizeirechtliche Kfz-Kennzeichenerfassung durch Kameras zum Zwecke des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand.76 Bei dieser Form der Videoüberwachung werden im Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs verdachtsunabhängig die Kennzeichen vorbeifahrender Fahrzeuge mit einer Kamera optisch erfasst. Mit einer entsprechenden Software wird sodann die Zeichenfolge des Kennzeichens ausgelesen und automatisch mit den polizeilichen Fahndungsdateien abgeglichen. Im Falle einer Übereinstimmung mit dem Fahndungsbestand (sog. Trefferfall), etwa hinsichtlich eines gestohlen gemeldeten Kennzeichens bzw. Fahrzeugs oder eines zur Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeughalters, werden das Kennzeichen sowie weitere Informationen, insbesondere Ort und Zeit der Treffermeldung, abgespeichert und es können polizeiliche Folgemaßnahmen, wie etwa das Anhalten des Fahrzeuges, ergriffen werden.

74 75 76

Zöller, NVwZ 2005, 1235, 1239. Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 11. 3. 2008. BVerfG NJW 2008, 1505.

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Verfassungsrechtlich bedenklich ist die Kfz-Kennzeichenerfassung gleich in zweierlei Hinsicht. Zum einen stellt sie, soweit mit ihrer Hilfe gestohlen gemeldete Kennzeichen bzw. Fahrzeuge oder zur Fahndung ausgeschriebene Fahrzeughalter ermittelt werden sollen, wiederum eine Maßnahme mit strafverfolgender Zielrichtung dar.77 Zum anderen werden in großem Umfang Daten Unverdächtiger mit dem polizeilichen Fahndungsbestand abgeglichen, und zwar auch zur Verfolgung von Bagatellkriminalität, wie z. B. von Kennzeichen-Diebstählen. Sofern zu den betreffenden Fahndungsdateien auch Kennzeichen gezählt werden, von denen der Polizei nur Teile bekannt sind, können dann selbst solche Kennzeichen abgespeichert werden, die tatsächlich keinen Zusammenhang zu einer Straftat aufweisen. Das BVerfG78 hat hierzu ausgeführt, dass die Kennzeichenerfassung in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift, wenn ein erfasstes Kennzeichen auch gespeichert wird. Ab dem Zeitpunkt seiner Speicherung stehe das erfasste Kennzeichen zur Auswertung durch staatliche Stellen zur Verfügung und es beginne die spezifische Persönlichkeitsgefährdung für Verhaltensfreiheit und Privatheit, die den Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auslöse. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werde noch erweitert, wenn zusätzliche Informationen gespeichert werden, wie etwa Daten über den Standort oder die Fahrtrichtung des Fahrzeuges; vertieft werde der Eingriff, wenn die mittels Kennzeichenerfassung gewonnenen Informationen für weitere Zwecke genutzt würden, etwa um Aufschlüsse über das Bewegungsverhalten des Fahrers zu erhalten. Insbesondere durch längerfristig oder weiträumig vorgenommene Kennzeichenerfassungen seien Eingriffe von erheblichem Gewicht möglich. Die Vorschriften der Bundesländer Hessen und Schleswig-Holstein, die die Kennzeichenerfassung schlicht zum Zwecke des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand erlaubten, erklärte das BVerfG für verfassungswidrig und für nichtig.79 Da die betreffenden Vorschriften weder den Anlass noch den Ermittlungszweck benennen, dem die Erhebung und der Abgleich der Daten dienen sollen, genügten sie nicht dem Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit.80 Zudem wahrten die angegriffenen Vorschriften in ihrer unbestimmten Weite nicht den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn sie ermöglichten schwerwiegende Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht, ohne die für derart eingriffsintensive Maßnahmen grundrechtlich geforderten gesetzlichen Eingriffsschwellen hinreichend zu normieren.81 Die Errichtung der Kennzeichenerfassung dürfe nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden, sondern müsse durch konkrete Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken

77 78 79 80 81

Zöller, NVwZ 2005, 1235, 1240 f. BVerfG NJW 2008, 1505. BVerfG NJW 2008, 1505, 1516. BVerfG NJW 2008, 1505, 1509. BVerfG NJW 2008, 1505, 1515.

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

von Rechtsgutsgefährdungen oder -verletzungen bedingt sein. Grundrechtseingreifende Ermittlungen „ins Blaue hinein“ lasse die Verfassung nicht zu. Im Übrigen betonte das Gericht, dass eine automatisierte Kennzeichenerfassung, die unterschiedslos jeden nur deshalb trifft, weil er mit seinem Fahrzeug eine ohne besonderen Anlass oder gar dauerhaft eingerichtete Stelle zur automatisierten Erfassung von Kennzeichen passiert, den Eindruck ständiger Kontrolle vermittele, wobei das sich einstellende Gefühl des Überwachtwerdens zu Einschüchterungseffekten und in der Folge zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten führen könne.82 Es bleibt zu hoffen, dass das BVerfG dem polizeilichen Streben nach immer umfassenderen Befugnissen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, deren Eingriffsvoraussetzungen die Polizei weitgehend selbst bestimmen kann und durch welche beständig vor allem in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird, noch weitere Grenzen setzt.

E. Die umfänglichen Möglichkeiten der Weiterverwendung der Informationen für Zwecke des Strafverfahrens Wie bereits festgestellt, dienen die Befugnisse zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung tatsächlich vorrangig der Strafverfolgung. Die unter Umgehen der Anforderungen eines Anfangsverdachts gewonnenen Informationen können und sollen für die Einleitung von Ermittlungsverfahren fruchtbar gemacht und als Beweismittel im Strafverfahren verwendet werden. Dabei war eine Verwertung der Informationen zu Beweiszwecken im Strafverfahren nach der Rechtsprechung des BGH selbst dann zulässig, wenn die polizeigesetzliche Ermächtigung, auf Grund derer die Informationen gewonnen wurden, der StPO nicht bekannt war. So befand das Gericht im Jahre 1991, dass die Ergebnisse länger dauernder heimlicher Videoüberwachungen auf der Grundlage einer polizeigesetzlichen Ermächtigung im Strafverfahren verwertbar sind, obschon die StPO damals keine entsprechende Eingriffsbefugnis vorsah.83 Mittlerweile begrenzt der durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG84 zum 01. Januar 2008 eingefügte § 161 Abs. 2 S. 1 StPO die Verwendung nach anderen Gesetzen erlangter Daten zu Beweiszwecken im Strafverfahren, sofern die zugrundeliegende Maßnahme nach der StPO nur bei dem Verdacht bestimmter Straftaten zulässig ist. Solche Daten dürfen 82 83 84

BVerfG NJW 2008, 1505, 1516. BGH NStZ 1992, 44. BGBl. I 2007, 3198.

E. Weiterverwendung der Informationen für Zwecke des Strafverfahrens

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ohne die Einwilligung des Betroffenen nur dann zu Beweiszwecken verwendet werden, wenn die Maßnahme auch nach der StPO hätte angeordnet werden können (sog. Gedanke des hypothetischen Ersatzeingriffes).85 Dabei folgt aus einem ErstRecht-Schluss ein Beweisverwendungsverbot für solche Daten, die aufgrund von Maßnahmen nach anderen Gesetzen erlangt worden sind, welche keine Entsprechung in der StPO haben.86 Soll die Verwendung der betreffenden Daten im Strafverfahren indes nicht zu Beweiszwecken, sondern als Ermittlungs- bzw. Spurenansatz erfolgen, greift die genannte Beschränkung nicht.87 Die Daten dürfen also zur Begründung eines Anfangsverdachts herangezogen werden, können Anlass zur Gewinnung neuer Beweismittel sein oder etwa zum Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses sowohl im Verfahren gegen den Beschuldigten als auch in Verfahren gegen Dritte unbeschränkt, d. h. nicht nur zur Verfolgung bestimmter Straftaten, verwendet werden.88 Der Umstand, dass die gewonnenen Daten jedenfalls als Spurenansatz genutzt werden können, eröffnet den Strafverfolgungsbehörden also die Möglichkeit zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und damit zum Ergreifen zahlreicher repressiver Ermittlungsbefugnisse, so dass die Beschränkung des § 161 Abs. 2 S. 1 StPO rein tatsächlich kaum ins Gewicht fällt. Und wie sich herausstellt, wird von der Möglichkeit zur Nutzung der Daten als Spurenansatz auch umfangreich Gebrauch gemacht, denn nicht nur Verteidiger beklagen öffentlich, dass immer mehr Strafverfahren mit einem Vermerk zum Anfangsverdacht beginnen, wonach der folgende Sachverhalt „dienstlich in Erfahrung gebracht worden“ sei, oder dass Ermittlungen ohne jede aktenkundige Tatsachengrundlage eingeleitet werden.89 Schließlich besteht keine Verwendungsbeschränkung für personenbezogene Daten, die durch präventivpolizeiliche oder nachrichtendienstliche Maßnahmen erlangt wurden, die auch nach der StPO keinen Verdacht bestimmter Straftaten voraussetzen würden (z. B. die Videoüberwachung an öffentlichen Orten, vgl. § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO).90 Dies bedeutet, dass sich der Grundrechtsträger durch die Maßnahmen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung nicht nur unabhängig von konkreten Gefahrenlagen Grundrechtseingriffen ausgesetzt sieht, die so gewonnenen Erkenntnisse können auch noch unabhängig von seiner Zustimmung in einem möglichen späteren Strafverfahren wegen gleich welchen Vorwurfs zu Beweis85

Die Beschränkung basiert auf der Erwägung, dass Befugnisse, die vom Vorliegen des Verdachts bestimmter Straftaten abhängig gemacht werden, regelmäßig schwerwiegende Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen erlauben, weshalb die der Erlangung der Daten zugrundeliegende gesetzgeberische Wertung auch für die weitere Verwendung der Daten, durch die der Eingriff noch vertieft werden kann, gelten muss; vgl. KK-Griesbaum, § 161 Rn. 35. 86 KK-Griesbaum, § 161 Rn. 35. 87 KK-Griesbaum, § 161 Rn. 36. 88 KK-Griesbaum, § 161 Rn. 36. 89 Vgl. Nelles, NK 2006, 68, 69. 90 Vgl. HK-Zöller, § 161 Rn. 31.

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5. Kap.: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

zwecken genutzt werden, ohne dass ein Anfangsverdacht die polizeiliche Ermittlungsarbeit je initiiert hätte.

F. Zusammenfassende Würdigung Obschon eine Notwendigkeit polizeilicher Ermittlungseingriffe im Vorfeld eines Anfangsverdachts zur effektiven Bekämpfung von Kriminalität – angesichts der geringen Anforderungen des Anfangsverdachts und der weit vorgezogenen materiell-rechtlichen Strafbarkeitsgrenze – ernstlich bezweifelt werden muss, erhält die Polizei immer neue Befugnisse zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Die Anforderungen an derartige Ermittlungseingriffe sind indes frappierend gering, wie die Beispiele der Videoüberwachung und der Schleierfahndung verdeutlichen, die mit den Eingriffsvoraussetzungen des Bestehens eines „gefährlichen Ortes“ bzw. des Zweckes der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität tatsächlich allein eine entsprechende Einschätzung bzw. ein entsprechendes Motiv der Polizei erfordern. Eingriffsvoraussetzungen, die die Polizei vermöge ihrer kriminalistischen Lageeinschätzung bzw. Motivation selbst herbeiführen kann, bewirken aber keine Begrenzung von Befugnissen, sondern leisten einem beliebigen polizeilichen Vorgehen Vorschub. Auf der anderen Seite sieht sich der Bürger als Adressat derartiger Maßnahmen einer möglichen Vielzahl an Eingriffen ausgesetzt, ohne dass er mit seinem Verhalten einen irgendwie gearteten Anlass hierzu gegeben hätte. Zudem geht es bei der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung tatsächlich nicht um die Verhütung von Straftaten, sondern um antizipierte Strafverfolgung im Vorfeld eines Anfangsverdachts. Dabei unterminieren diese Befugnisse aufgrund ihrer Kombination aus gefahrenabwehrrechtlichem Regelungsstandort und tatsächlich strafverfolgender Zielrichtung nicht nur die Systematik des Gefahrenabwehrrechts und die der StPO; vor allem brechen sie mit dem repressiven Ermittlungsverbot des § 152 Abs. 2 StPO. Danach sind strafverfolgende Maßnahmen im Vorfeld eines Anfangsverdachts per se unzulässig. Dennoch können und sollen die mittels derartiger Maßnahmen gewonnenen Daten für die Einleitung von Ermittlungsverfahren fruchtbar gemacht und auch – soweit nicht durch § 161 Abs. 2 StPO ausgeschlossen – als Beweismittel im Strafverfahren verwendet werden. Nicht zuletzt begegnet das Konzept der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung auch mit Blick auf das Trennungsgebot91 erheblichen Bedenken, denn die Polizei operiert im Vorfeld von konkreter Gefahr und Anfangsverdacht in einem Bereich, in dem gerade die Geheimdienste und Verfassungsschutzbehörden ihre Tätigkeit entfalten. Dabei unterscheiden sich sogar die den Nachrichtendiensten und der Polizei 91 Als Reaktion auf die Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei in der Zeit des Nationalsozialismus schreibt dieses Gebot die Trennung von geheimdienstlicher und polizeilicher Tätigkeit vor; vgl. ausführlich Roggan, Auf legalem Weg in einen Polizeistaat, S. 30 ff.

F. Zusammenfassende Würdigung

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zur Verfügung stehenden Befugnisse nicht mehr, denn mit den zahlreichen Ermächtigungen zur heimlichen Informationsbeschaffung ist die Polizei umfangreich mit klassisch geheimdienstlichen Mitteln ausgestattet worden.92 Schlussendlich ist das Konzept der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung Ausdruck eines rechtspolitischen Paradigmenwechsels von der Freiheit zur Sicherheit. Denn Eingriffsbefugnisse, die sich von dem Begriff des Verdächtigen ebenso lossagen wie von dem des Störers, dokumentieren, dass nach Ansicht des Gesetzgebers, der diese Befugnisse schafft, letztlich jedes Individuum ein potenzielles Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellt, welches es auf Kosten der Freiheitsrechte aller zu minimieren gilt.93 Anders gesagt, wird jedem Bürger die Pflicht auferlegt, die eigene Freiheit ohne jeden Verantwortungsbezug zum Verhalten anderer den staatlichen Organen zur Verfügung zu stellen, damit diese ihre Aufgaben besser oder leichter oder schneller erfüllen können.94 Genau diese Erleichterung war aber mit der Installation der Begriffe des Störers und des Verdächtigen in den Polizeigesetzen und den Verfahrensgesetzen von einstmals nicht gewollt.95 Es ging vielmehr um die Sicherung der Freiheitsrechte vor dem beliebigen Staatszugriff, weil von den Staatsgewalten stets die größere Gefahr für die Entfaltung der menschlichen Freiheiten ausging als von anderen.96 „Behinderungen“ polizeilicher Arbeit in Gestalt machtbegrenzender Eingriffsvoraussetzungen sind dem Rechtsstaat immanent – und in einem gewissen Sinne sogar sein eigentlicher Zweck.97 Sicherheitsbestrebungen, die solche „Effektivitätshindernisse“ zu beseitigen suchen, ebnen demgegenüber den Weg in einen Überwachungs- und Polizeistaat. Angesichts der geschilderten ausufernden Installation verdachtsunabhängiger polizeilicher Befugnisse zur Informationsbeschaffung scheint die derzeitige rechtliche Situation dem vom BVerfG98 als verfassungswidrig bezeichneten Zustand einer Gesellschaftsordnung, in der die Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß, bereits erschreckend nahezukommen.

92 Zu der das Trennungsgebot unterlaufenden Verschmelzung von Datenbeständen der Polizeibehörden und der Nachrichtendienste auf der Grundlage des Anti-Terror-Datei-Gesetzes siehe Roggan/Bergmann, NJW 2007, 876. 93 Vgl. Roggan, NVwZ 2001, 134, 140. 94 Lisken, in: Polizei und Datenschutz, S. 32 ff., 42. 95 Lisken, NVwZ 1998, 22, 24. 96 Lisken, NVwZ 1998, 22, 24. 97 Bäumler, in: Polizei und Datenschutz, S. 1 ff., 3. 98 Vgl. BVerfG NJW 1984, 419, 422.

Sechstes Kapitel

Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes Am 12. November 2008 beschloss der Bundestag die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG), mit der das Bundeskriminalamt (BKA) erstmalig mit originär präventivpolizeilichen Befugnissen ausgestattet wurde. Nachdem zunächst über wesentliche Teile der Neufassung Uneinigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat geherrscht hatte und der Vermittlungsausschuss eingeschaltet werden musste, konnte die – leicht abgeänderte – Neufassung schließlich mit Gesetz vom 25. Dezember 20081 zum 1. Januar 2009 in Kraft treten. Als Kernpunkt der Neufassung wird dem BKA in § 4a BKAG die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus zugewiesen, zu deren Wahrnehmung es die im neu eingefügten Unterabschnitt 3a befindlichen Befugnisse erhält.2 Nachfolgend soll näher untersucht werden, ob mit der Neufassung des BKAG ebenfalls einseitig sicherheitspolitische Interessen umgesetzt werden oder es sich bei dem neugefassten BKAG um ein austariertes Regelungswerk handelt, das auch für einen effektiven Grundrechteschutz hinreichend Sorge trägt. Bevor zu diesem Zweck die neuen Eingriffsbefugnisse einerseits und die grundrechtssichernden Verfahrensvorschriften andererseits in den Blick genommen werden, ist zunächst auf Defizite der Neufassung einzugehen, die die Gesetzgebungskompetenz sowie Fragen der Zuständigkeit und Verfahrensherrschaft des BKA betreffen.

A. Mangelnde Gesetzgebungskompetenz Kritik entzündet sich an der Neufassung bereits mit Blick auf die für die neue Aufgabenzuweisung des § 4a Abs. 1 BKAG erforderliche Gesetzgebungskompetenz. Gemäß § 4a Abs. 1 S. 1 BKAG kann das BKA die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus in Fällen wahrnehmen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt (Nr. 1), die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist (Nr. 2) oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht (Nr. 3). Im Rahmen dieser Aufgabe ist das BKA unter be1 Gesetz zu Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, BGBl. I 2008, 3083. 2 Gegen die Bestimmungen, mit denen dem BKA Befugnisse zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus eingeräumt werden, wurden bereits Verfassungsbeschwerden eingelegt; vgl. Az.: 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09.

A. Mangelnde Gesetzgebungskompetenz

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stimmten Voraussetzungen auch befugt, Straftaten i.S.d. § 129a Abs. 1, 2 StGB („Bildung terroristischer Vereinigungen“) zu verhüten. Dabei stuft das BKAG, ähnlich wie die Polizeigesetze der Länder, die Straftatenverhütung als einen Unterfall der Gefahrenabwehr ein (vgl. § 4a Abs. 1 S. 2 BKAG: „Es kann in diesen Fällen auch Straftaten verhüten […]“). Wie bereits festgestellt,3 begründet die Straftatenverhütung als Bestandteil der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung tatsächlich aber keinen Unterfall, sondern vielmehr eine Erweiterung der Gefahrenabwehraufgabe. Denn der in der Aufgabenzuweisung der Polizeigesetze verwandte Begriff der Gefahr meint eine im Einzelfall bestehende Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit (oder Ordnung) eintreten wird,4 d. h. der Begriff bezieht sich auf eine konkrete Gefahr. Bei der Straftatenverhütung geht es hingegen um die Verhütung zukünftiger Gefahren, namentlich zukünftiger Straftaten.5 Als Bestandteil der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung ist sie dadurch gekennzeichnet, dass die Polizei nicht erst auf ein bestimmtes polizeilich relevantes Geschehen im Sinne einer konkreten Gefahr reagiert, sondern schon im Vorfeld der konkreten Gefahr und des Anfangsverdachts ansetzt und „proaktiv“ – vor allem durch die Gewinnung von Informationen – tätig wird.6 Mit der in § 4a Abs. 1 S. 2 BKAG normierten Kompetenz zur Straftatenverhütung soll nun also auch das BKA Vorfeldaufklärung betreiben; konkreter (terroristischer) Gefahren bedarf es für sein Einschreiten nicht. Als Kompetenzgrundlage für diese Aufgabenzuweisung bemühte der Gesetzgeber Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, der im Jahre 2006 durch die Föderalismusreform7 eingefügt worden war. Danach hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Angesichts der grundsätzlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder für den Bereich der Sicherheit und Ordnung ist Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG restriktiv auszulegen.8 § 4a Abs. 1 S. 1 BKAG, der das BKA zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus beruft, ist mithin eindeutig durch den vorgenannten Kompetenztitel gedeckt. Da die Straftatenverhütung aber bereits im Gefahrenvorfeld einsetzt und daher nicht mit der Gefahrenabwehr gleichzusetzen ist, geht § 4a Abs. 1 S. 2 BKAG, der das BKA auch zur Straftatenverhütung ermächtigt, über die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG vorgeschriebene Gesetzgebungskompetenz zur 3 4 5 6 7 8

Vgl. Fünftes Kapitel, C. Vgl. BVerfG NJW 2006, 1939, 1947. Roggan, NJW 2009, 257, 258. Roggan, NJW 2009, 257; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 26. Vgl. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl. I 2006, 2034. Roggan, NJW 2009, 257, 257 f. m.w.N.

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6. Kap.: Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes

Gefahrenabwehr hinaus. Demnach mangelt es dem Bund hinsichtlich der Straftatenverhütung bereits an der notwendigen Gesetzgebungskompetenz.9

B. Weitreichende Parallelzuständigkeiten Die umfassende Zuständigkeit des BKA für die Aufklärung terroristischer Strukturen führt zu einer Parallelzuständigkeit von BKA und Landespolizeien, der die Gefahr doppelter und damit unverhältnismäßiger Datenerhebungen zulasten der Grundrechtsträger immanent ist.10 So bestimmt § 4a Abs. 2 S. 1 BKAG, dass die Aufgabenwahrnehmung durch das BKA die Zuständigkeit der Landesbehörden auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr nicht berührt. Dies hat zur Folge, dass sowohl das BKA als auch die Länder bei der Abwehr einer Gefahr des internationalen Terrorismus parallel Maßnahmen ergreifen und in diesem Zusammenhang personenbezogene Daten erheben und verarbeiten.11 Dabei sind die in § 4a Abs. 2 S. 2 BKAG fixierte Verpflichtung des BKA, im Falle des eigenen Tätigwerdens zur Abwehr einer Gefahr des internationalen Terrorismus unverzüglich die obersten Landesbehörden und ggf. andere Polizeibehörden des Bundes zu unterrichten, sowie die in § 4a Abs. 2 S. 3 BKAG normierte Benehmensregelung, nach welcher die Aufgabenwahrnehmung im gegenseitigen Benehmen mit den Landesbehörden und ggf. anderen Polizeibehörden des Bundes erfolgt, nicht geeignet, drohenden Mehrfachdatenerhebungen entgegenzuwirken. Denn selbst nach der Gesetzesbegründung zu § 4a Abs. 2 BKAG12 soll das gegenseitige Benehmen keine Zustimmung der Landesbehörden bzw. keinen gemeinsamen Entschluss aller Behörden hinsichtlich der Bewältigung der Gefahrenlage voraussetzen.13 Das gegenseitige Benehmen bedeute lediglich, dass sich die beteiligten Behörden gegenseitig Gelegenheit zur Stellungnahme geben und die Stellungnahme des jeweils anderen in ihre Überlegungen einbeziehen. Zudem bleibt das BKA auch in den Fällen, in denen es im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde feststellt, gemäß § 4a Abs. 2 S. 4 BKAG u. a. weiterhin tätig, wenn eine länderübergreifende Gefahr

9

Roggan, NJW 2009, 257, 257. Roggan, NJW 2009, 257, 258. 11 Schaar, Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, BT-Drs. 16/9588, S. 1; abrufbar unter: http:// home.arcor.de/archivseite/pdf/16_4_460e_schaar.pdf. 12 Vgl. BT-Drs. 16/9588, S. 19. 13 Schaar, Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, BT-Drs. 16/9588, S. 2. 10

C. Unklare Verfahrensherrschaft

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vorliegt; eine solche dürfte indes bei Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus regelmäßig vorliegen.14 Neben der genannten Parallelzuständigkeit von BKA und Landespolizeien für die Bereiche der Gefahrenabwehr und der Straftatenverhütung führt die Beauftragung des BKA mit der Straftatenverhütung, die durch die Vorfeldaufklärung gekennzeichnet ist, zudem zu einer Parallelzuständigkeit mit den ebenfalls auf diesem Terrain tätigen Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder.15 In Ermangelung abgrenzender Zuständigkeitsregelungen kommt es also zu einem multiplen sicherheitsbehördlichen Tätigwerden, dessen Zweckmäßigkeit zu bezweifeln ist und welches unverhältnismäßige und mithin rechtswidrige Doppeltdatenerhebungen zulasten der betroffenen Grundrechtsträger begünstigt.

C. Unklare Verfahrensherrschaft Durch die Neufassung des BKAG ist das BKA umfassend mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus betraut worden: Es nimmt diese Aufgabe nunmehr nicht nur in repressiver Hinsicht (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3a BKAG), sondern auch in präventivpolizeilicher Hinsicht wahr (vgl. § 4a BKAG). Hierbei ist zu beachten, dass der Straftatbestand der Bildung terroristischer Vereinigungen des § 129a StGB, der eine Strafverfolgungstätigkeit des BKA nach § 4 Abs. 1 Nr. 3a BKAG auslöst, die betreffende Strafbarkeit aufgrund der abstrakten Gefährlichkeit einer derartigen Organisation bereits weit in das Vorfeld eigentlicher Straftatbegehung verlagert.16 Dementsprechend dürfte in Fällen, in denen das BKA die Aufgabe der Straftatenverhütung nach § 4a Abs. 1 S. 2 BKAG wahrnimmt, vielfach bereits ein Anfangsverdacht wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB vorliegen, d. h. sich die präventive Aufgabe des BKA mit dessen repressiver Aufgabe überschneiden. Werden beide Kompetenzen des BKA ausgelöst, stellt sich die Frage nach der einschlägigen Verfahrensherrschaft. Während Strafsachen des § 129a StGB die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit dessen Verfahrensherrschaft begründen (vgl. §§ 142 Abs. 1 S. 1, 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG),17 erfolgt die Straftatenverhütung in alleiniger Zuständigkeit des BKA nach dem BKAG. 14

Schaar, Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, BT-Drs. 16/9588, S. 2. 15 Auch der Bundesrat äußerte im Gesetzgebungsverfahren Bedenken hinsichtlich einer Überschneidung mit den Aufgaben des Verfassungsschutzes; vgl. BR-Drs. 404/1/08, S. 4. 16 Vgl. Münchener Kommentar-Miebach/Schäfer, § 129a Rn. 1. 17 Obschon der GBA in einem ständigen Kampf gegen terroristische Vereinigungen steht (als sog. Staatsschutzdelikte wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik im Jahre 2000 insgesamt 79 Fälle registriert), hat die Vorschrift des § 129a StGB in der Justizpraxis nur eine

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6. Kap.: Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes

Das BKAG enthält keine Maßgaben zur einschlägigen Verfahrensherrschaft bei Sachverhalten, die sowohl ein präventives als auch ein repressives Tätigwerden des BKA gestatten; es sieht auch keine Verpflichtung des BKA vor, den Generalbundesanwalt umgehend über Sachverhalte zu informieren, die dessen repressive Zuständigkeit auslösen.18 Die Gesetzesbegründung legt es nach der zutreffenden Ansicht Roggans19 sogar nahe, dass das BKA weitgehend unter dem Etikett der Gefahrenabwehr und damit in Eigenregie tätig wird: „Im Übrigen gilt Folgendes: Ist eine Straftat im Sinne von § 4a Abs. 1 S. 2 beendet und erwächst aus ihr auch sonst keine weitere Gefahr oder kein fortdauernder Schaden für die öffentliche Sicherheit, kommt nur eine Tätigkeit des BKA im Rahmen der Strafverfolgung in Betracht.“20

Zugespitzt bedeutet dies, dass der Generalbundesanwalt solange nicht in die Ermittlungen eingeschaltet wird, bis die betreffende terroristische Vereinigung außer Gefecht gesetzt werden konnte. Eine so weitreichende Emanzipation des BKA von der Verfahrensleitung des Generalbundesanwalts ist mit dem überkommenen Verhältnis von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht vereinbar.21

D. Die umfassenden neuen Eingriffsbefugnisse Der neue Unterabschnitt 3a regelt die einzelnen Eingriffsbefugnisse des BKA zur Wahrnehmung seiner Aufgabe nach § 4a Abs. 1 BKAG, wobei sich die Regelungen weitgehend an dem Bundespolizeigesetz und den Polizeigesetzen der Länder orientieren. Neben zahlreichen Standardbefugnissen, wie etwa der Platzverweisung (§ 20o BKAG), der Sicherstellung (§ 20s BKAG), dem Gewahrsam (§ 20p BKAG) und der Durchsuchung (§§ 20q ff. BKAG), hat das BKA auch diverse Datenerhebungsbefugnisse erhalten, von denen insbesondere der verdeckte Eingriff in informationstechnische Systeme (§ 20k BKAG) und die Rasterfahndung (§ 20j BKAG) verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sind. Obwohl beiden Maßnahmen eine hohe Eingriffsintensität und ein äußerst zweifelhafter Nutzen gemein ist, hat der Gesetzgeber nicht auf eine Ausstattung des BKA mit diesen Befugnissen verzichten wollen. Wie umfangreich der Grundrechtsträger vermöge dieser Eingriffsbefugnisse ausgeforscht werden kann und ob deren gesetzliche Ausgestaltung im BKAG vergeringe Bedeutung (7 Verurteilungen im Jahre 2000); vgl. Kindhäuser/Neumann/PaeffgenOstendorf, § 129b Rn. 4; Münchener Kommentar-Miebach/Schäfer, § 129a Rn. 4. Nach Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Ostendorf, § 129b Rn. 4 würden strafrechtliche Ermittlungen gem. § 129a StGB bewusst zur Ausnutzung zahlreicher strafprozessualer Eingriffsbefugnisse sowie zur Abschreckung anderer potenzieller Täter aufgenommen. 18 Roggan, NJW 2009, 257, 258. 19 Roggan, NJW 2009, 257, 258. 20 BT-Dr. 16/9588, S. 20. 21 Roggan, NJW 2009, 257, 258.

D. Die umfassenden neuen Eingriffsbefugnisse

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fassungsrechtlichen Anforderungen genügt, soll im Folgenden näher untersucht werden.

I. Der verdeckte Eingriff in informationstechnische Systeme Durch die Neufassung des BKAG ist das BKA nunmehr gemäß § 20k BKAG zum verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme, d. h. zur sog. OnlineDurchsuchung befugt. Diese Ermittlungsmethode wurde in der Vergangenheit – teilweise ohne Ermächtigungsgrundlage – bereits von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und einiger Länder sowie dem Bundesnachrichtendienst (BND) eingesetzt.22 Bei der Online-Durchsuchung werden Computer dergestalt manipuliert, dass eine physisch oder via Internetverbindung eingebrachte spezielle Software (sog. Trojaner) auf dem Computer gespeicherte Daten kopiert und während einer Internetverbindung heimlich der überwachenden Stelle übermittelt. Der Trojaner kann auch als sog. Keylogger fortwährend Tastatureingaben unbemerkt mitschreiben und die jeweils aufgerufenen Internet-Aktivitäten, die dabei benutzten Code-Wörter, die Kennungen verwendeter Verschlüsselungssysteme oder steganographische Details unverschlüsselt der überwachenden Stelle übermitteln. Weiterhin kann der Trojaner mit dem Computer verbundene Geräte, z. B. ein Mikrophon oder eine Webcam, ohne Kenntnis des Nutzers aktivieren oder ein über Internet geführtes Telefongespräch vor seiner Verschlüsselung oder nach seiner Entschlüsselung am jeweiligen Endgerät aufzeichnen und übermitteln.23 Das BVerfG hatte die Online-Durchsuchung nach dem Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen (NWVerfSchG) mit Urteil vom 27. Februar 200824 für verfassungswidrig und nichtig erklärt und unter Zuspitzung eines „neuen“ Grundrechts, namentlich auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, welches eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellt, die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Online-Durchsuchung mit präventiver Zielsetzung25 abgesteckt. Nach den Ausführungen des Gerichts findet das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme Anwendung, wenn eine Eingriffsermächtigung „Systeme erfasst, die allein oder in ihren techni22 Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 26. 4. 2007, wonach sich der Einsatz lediglich auf eine Dienstanweisung des früheren Innenministers Otto Schily stützte. 23 Vgl. ausführlich Hirsch, NJOZ 2008, 1907, 1908. 24 BVerfG NJW 2008, 822. 25 Für eine Online-Durchsuchung zu repressiven Zwecken fehlt es, wie der 3. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 31. Januar 2007 feststellte, an einer strafprozessualen Ermächtigungsgrundlage; vgl. BGH NJW 2007, 930.

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6. Kap.: Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes

schen Vernetzungen personenbezogene Daten des Betroffenen in einem Umfang und in einer Vielfalt enthalten können, dass ein Zugriff auf das System es ermöglicht, einen Einblick in wesentliche Teile der Lebensgestaltung einer Person zu gewinnen oder gar ein aussagefähiges Bild der Persönlichkeit zu erhalten“.26 Dabei erfasse der spezifische Grundrechtsschutz nicht nur Personalcomputer, sondern erstrecke sich etwa auch auf Mobiltelefone oder elektronische Terminkalender, die über einen großen Funktionsumfang verfügen und personenbezogene Daten vielfältiger Art erfassen und speichern können. Die Notwendigkeit des postulierten Grundrechts ergibt sich nach der Ansicht des Gerichts aus einer Schutzlücke des bereits im Jahre 1983 aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, welches den Persönlichkeitsgefährdungen, die sich aus der Nutzung moderner informationstechnischer Systeme ergeben, nicht vollständig Rechnung trage.27 So könnten sich Dritte, die auf ein solches System zugreifen, einen potenziell äußerst großen und aussagekräftigen Datenbestand verschaffen, ohne noch auf weitere Datenerhebungs- und Datenverarbeitungsmaßnahmen angewiesen zu sein.28 Ein derartiger Zugriff gehe in seinem Gewicht für die Persönlichkeit des Betroffenen aber über einzelne Datenerhebungen, vor denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schütze, weit hinaus.29 Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme bewahre demgegenüber den persönlichen und privaten Lebensbereich der Grundrechtsträger vor staatlichen Zugriffen im Bereich der Informationstechnik auch insoweit, als auf das informationstechnische System insgesamt und nicht nur auf einzelne Kommunikationsvorgänge oder gespeicherte Daten zugegriffen wird.30 Das BVerfG führte weiter aus, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einer gesetzlichen Regelung, die zum heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme ermächtigt, insoweit Grenzen setze, als besondere Anforderungen an den Eingriffsanlass bestünden. Die Eingriffsermächtigung müsse einen derartigen Zugriff davon abhängig machen, dass „tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut vorliegen“.31 Als überragend wichtige Rechtsgüter benannte das Gericht Leib, Leben und Freiheit der Person sowie 26

BVerfG NJW 2008, 822, 827. BVerfG NJW 2008, 822, 827. 28 BVerfG NJW 2008, 822, 827. 29 Von Teilen der Literatur wird dagegen eingewandt, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sehr wohl auch vor intensiven Persönlichkeitsgefährdungen durch die gezielte Erfassung und Auswertung hochsensibler personenbezogener Daten schütze, die in unterschiedlichen informationstechnischen Systemen gespeichert sind; vgl. Britz, DÖV 2008, 411, 413; Eifert, NVwZ 2008, 521, 521 f.; Lepsius, in: Online-Durchsuchungen, S. 21, 28 ff.; Sachs/Krings, JuS 2008, 481, 483 f. 30 BVerfG NJW 2008, 822, 827. 31 BVerfG NJW 2008, 822, 831. 27

D. Die umfassenden neuen Eingriffsbefugnisse

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solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt.32 Aber auch wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt, kann der Zugriff nach den Ausführungen des BVerfG gerechtfertigt sein, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für das überragend wichtige Rechtsgut hinweisen.33 Diese Tatsachen müssten zum einen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen, zum anderen darauf, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden könne.34 Bei der Neufassung des BKAG war der Bundesgesetzgeber bemüht, diese vom BVerfG gemachten Vorgaben umzusetzen – was sich insbesondere an der fast wortwörtlichen Übernahme der vom BVerfG verwandten Formulierungen zeigt.35 Dabei soll die in § 20k BKAG geregelte Befugnis zur Online-Durchsuchung nach der Gesetzesbegründung den Zugriff auf solche Daten ermöglichen, die noch nicht oder nicht mehr Gegenstand einer laufenden Telekommunikation sind36 oder die überhaupt nicht für eine Telekommunikation vorgesehen sind; nicht ermöglicht werden soll indes der Zugriff auf am Computer angeschlossene Kameras oder Mikrofone.37 Trotz der vom Gesetzgeber angestellten Bemühungen zur Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben bestehen erhebliche rechtsstaatliche Bedenken gegen die Online-Durchsuchung nach dem BKAG. Zweifelhaft erscheint bereits, inwieweit diese tief in die Privatsphäre der Betroffenen eingreifende Maßnahme dazu geeignet ist, ihrem vorgesehenen Zweck zu dienen. So soll das BKA ausweislich der Begründung zu Anlass und Zielsetzung der Neufassung des BKAG mittels der hierin 32

BVerfG NJW 2008, 822, 831. BVerfG NJW 2008, 822, 831. 34 BVerfG NJW 2008, 822, 831. 35 Vgl. § 20k Abs. 1 BKAG, wonach das BKA ein informationstechnisches System infiltrieren darf, wenn „bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefahr vorliegt für 1. Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder 2. solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Eine Maßnahme nach Satz 1 ist auch zulässig, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass ohne Durchführung der Maßnahme in näherer Zukunft ein Schaden eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für eines der in Satz 1 genannten Rechtsgüter hinweisen.“ 36 Die Befugnis zum heimlichen Eingriff in ein informationstechnisches System zum Zwecke der Telekommunikationsüberwachung (sog. Quellen-Telekommunikationsüberwachung), der auf verschlüsselte E-Mails und Internettelefonie abzielt, ist gesondert in § 20l Abs. 2 S. 1 BKAG geregelt. 37 BT-Drs. 16/9588, S. 26. 33

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6. Kap.: Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes

vorgesehenen Eingriffsbefugnisse in die Lage versetzt werden, in Fällen hoher terroristischer Bedrohung, die oftmals ein sehr zeitnahes Handeln erfordern, entsprechend Gefahrabwehrmaßnahmen durchführen zu können.38 Nach Meinung der im Verfahren betreffend die Verfassungsmäßigkeit der Online-Durchsuchung nach dem NWVerfSchG herangezogenen Experten macht der verdeckte Eingriff in informationstechnische Systeme indes in jedem Einzelfall die Entwicklung entsprechender Software erforderlich und ist damit technisch sehr aufwändig, weshalb Schaar als Sachverständiger im Gesetzgebungsverfahren bereits die Geeignetheit der Maßnahme als Mittel zur raschen Begegnung entsprechender Gefahrenlagen in Abrede stellte.39 Neben dem Umstand, dass mittels Online-Durchsuchung nicht zeitnah auf Bedrohungen reagiert werden kann, wird die Eignung der Maßnahme de facto auch dadurch konterkariert, dass sich der potenziell Betroffene – zumal wenn es sich bei ihm tatsächlich um einen versierten Terroristen handelt – effektiver und obendrein leicht handhabbarer technischer Selbstschutzprogramme40 bedienen kann, um jedenfalls einen Zugriff via Internetverbindung wirkungsvoll zu verhindern.41 Nach der Neufassung des BKAG ist ein Zugriff aber nur via Internetverbindung möglich; das Gesetz enthält keine für einen physischen Zugriff erforderliche Befugnis zum (heimlichen) Betreten der Räumlichkeiten, in denen sich das zu infiltrierende System befindet. Weiterhin ist bedenklich, dass angesichts der vom Gesetzgeber gewählten Zugriffsvariante nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gewährleistet werden kann, dass wirklich der einer Zielperson zuzuordnende Rechner und nicht stattdessen der eines völlig Unbeteiligten ausgeforscht wird. So machte die alternative Infiltration vermöge eines physischen Zugriffs zwar das mehrfache Eindringen in die betreffenden, u. U. privaten Räumlichkeiten erforderlich42 und bedeutete damit etwa 38

BT-Drs. 16/9588, S. 14. Vgl. Schaar, Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, BT-Drs. 16/9588, S. 6. 40 Ausführlich hierzu Buermeyer, HRRS 2007, 154, 165 f. 41 Dies äußerten auch die in dem Verfahren betreffend die Verfassungsmäßigkeit der Online-Durchsuchung nach dem NWVerfSchG angehörten sachkundigen Auskunftspersonen; dennoch befand das BVerfG, dass die technischen Schutzmöglichkeiten potenziell Betroffener der Eignung der Befugnis zur Online-Durchsuchung nach dem NWVerfSchG nicht entgegenstünden; vgl. BVerfG NJW 2008, 822, 829. 42 Bei dieser alternativen Infiltration müsste zunächst in die betreffenden Räumlichkeiten eingedrungen werden, um den kompletten Inhalt der Festplatte des fraglichen Rechners auf einen mitnahmefähigen Datenträger zu kopieren. Sodann wäre von der Sicherheitsbehörde ein Programm zu entwickeln, das individuell auf den auszuforschenden Rechner zugeschnitten ist (sog. Remote Forensic Software). Zur Installation der Software würde dann abermals das heimliche Betreten der betreffenden Räumlichkeiten erforderlich; Roggan, Stellungnahme der Humanistischen Union zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BT-Drs. 16/9588), S. 15; abrufbar unter: 39

D. Die umfassenden neuen Eingriffsbefugnisse

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auch ein gesteigertes Entdeckungsrisiko, wohingegen das Entdeckungsrisiko bei der Infiltration via Internetverbindung, soweit diese sorgfältig genug vorbereitet wird, weitgehend minimierbar ist.43 Es kann jedoch nur durch einen physischen Zugriff sichergestellt werden, dass – von tatsächlichen Irrtümern abgesehen – wirklich der Rechner der Zielperson ausgespäht wird. Demgegenüber ist bei der Infiltration via Internetverbindung die Gefahr der Infiltration eines falschen IT-Systems, also des eines Unbeteiligten, schon deshalb besonders groß, weil dynamisch mit dem Internet verbundene Rechner in der Regel nicht über eine konstante IP-Adresse44 verfügen und sich somit nicht hinreichend sicher eindeutig adressieren lassen.45 Ernüchternd ist insoweit auch die Antwort, die BKA-Präsident Ziercke auf die in der mündlichen Verhandlung zum Verfahren betreffend die Verfassungsmäßigkeit der Online-Durchsuchung nach dem NWVerfSchG gestellte Frage geben ließ, woran man erkennen könne, dass man das richtige System infiltriert habe. Laut eines hinzugezogenen Technikers erkenne man „dies daran, wenn man die Daten finde, die man suche“.46 Schließlich kann selbst bei der Infiltration des „richtigen“ Rechners keine sichere Zuordnung von bestimmten Daten zu einer bestimmten Person getroffen werden, da das infiltrierte System ohne das Wissen der Zielperson nicht nur von der ermittelnden Behörde, sondern auch von Dritten ausgespäht und von diesen eventuell mit Daten bespielt bzw. manipuliert worden sein könnte.47

http://www.humanistische-union.de/fileadmin/hu_upload/doku/2008/BKAGE_HU-Stellungnahme.pdf. 43 Vgl. Roggan, NJW 2009, 257, 260. 44 Die Adressierung in Netzwerken wie dem Internet erfolgt durch IP-Adressen (= Internetprotokoll-Adressen), die durch ein spezielles Adressierungsschema festgelegt sind. Jedem Rechner, der die Verbindung zum Internet sucht, wird eine solche Adresse erteilt. 45 Hansen/Pfitzmann, in: Online-Durchsuchungen, S. 131, 139. 46 Zitiert nach Hansen/Pfitzmann, in: Online-Durchsuchungen, S. 131, 139. 47 Diesbezüglich führte das BVerfG allerdings in seinem Urteil zum NWVerfSchG aus, dass ein vor dem Hintergrund der genannten Zuordnungsschwierigkeiten möglicherweise verringerter Beweiswert der Eignung der Online-Durchsuchung mit präventiver Zielsetzung nicht entgegenstehe, weil der Online-Zugriff nach der angegriffenen Norm des NWVerfSchG nicht unmittelbar der Gewinnung revisionsfester Beweise für ein Strafverfahren diene, sondern der Verfassungsschutzbehörde Kenntnisse verschaffen solle, an deren Zuverlässigkeit wegen der andersartigen Aufgabenstellung des Verfassungsschutzes zur Prävention im Vorfeld konkreter Gefahren geringere Anforderungen zu stellen seien als in einem Strafverfahren; vgl. BVerfG NJW 2008, 822, 829.

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6. Kap.: Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes

II. Die Rasterfahndung Mit § 20j BKAG erhält das BKA nunmehr auch die Befugnis zur Rasterfahndung48. Diese Befugnis bleibt in ihren Voraussetzungen jedoch hinter den vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an eine präventive Rasterfahndung zurück. So darf das BKA gemäß § 20j Abs. 1 S. 1, 1. Hs. BKAG die Rasterfahndung durchführen, soweit die Maßnahme „zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhalt im öffentlichen Interesse geboten ist, erforderlich ist […]“. Damit genügt bereits eine abstrakte Gefahr für die genannten Rechtsgüter, um die Maßnahme durchführen zu können. Dies ändert sich auch nicht durch die Regelvermutung des § 20j Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BKAG: „[…] eine solche Gefahr liegt in der Regel auch dann vor, wenn konkrete Vorbereitungshandlungen die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat nach § 4a Abs. 1 S. 1 begangen werden soll“; denn aus den Worten „auch dann“ ergibt sich, dass neben der aufgeführten Konkretisierung auch andere Umstände ausreichen können, um die tatbestandliche Gefahr zu begründen.49 In seiner Grundsatzentscheidung vom 4. April 200650 hatte das BVerfG indes konstatiert, dass die einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bewirkende Rasterfahndung nur dann verhältnismäßig ist, wenn eine „konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter“ besteht.51 Im „Vorfeld der Gefahrenab48

Die Rasterfahndung ist eine besondere Fahndungsmethode unter Nutzung der elektronischen Datenverarbeitung, bei welcher sich die Sicherheitsbehörde von anderen öffentlichen oder privaten Stellen personenbezogene Daten übermitteln lässt, um einen automatisierten Abgleich (Rasterung) mit anderen Daten vorzunehmen. Durch diesen Abgleich soll diejenige Schnittmenge an Personen ermittelt werden, auf die bestimmte, vorab festgelegte und für die weiteren Ermittlungen als bedeutsam angesehene Merkmale zutreffen; vgl. BVerfG NJW 2006, 1939. 49 Kutscha, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BT-Drs. 16/9588), S. 2; abrufbar unter: http://home.arcor.de/archivseite/pdf/16_4_460d_kutscha.pdf. 50 BVerfG NJW 2006, 1939. Das BVerfG hatte über die Verfassungsbeschwerde eines 28jährigen Marokkaners islamischen Glaubens zu entscheiden, der zum Zeitpunkt der Rasterfahndung Student an der Universität Duisburg war und wegen der genannten Eigenschaften in das Visier der Fahnder geriet. Der Beschwerdeführer hatte sich gegen eine auf § 31 Abs. 1 PolG NRW gestützte Rasterfahndung gewandt, die das AG Düsseldorf angeordnet hatte und die alle Einwohnermeldeämter des Landes Nordrhein-Westfalen, das Ausländerzentralregister in Köln und die Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen verpflichtete, Daten von zwischen dem 1. Oktober 1960 und dem 1. Oktober 1983 geborenen Männern zu übermitteln. Das LG Düsseldorf wies die Beschwerde mit Beschluss als unbegründet zurück, wogegen der Beschwerdeführer weitere Beschwerde erhob, welche sodann durch das OLG Düsseldorf zurückgewiesen wurde. Das BVerfG stellte fest, dass die Eingriffsgrundlage des § 31 Abs. 1 PolG NRW verfassungsgemäß ist, ihre Auslegung in den angegriffenen Beschlüssen des OLG, des LG und des AG Düsseldorf die Eingriffsvoraussetzungen jedoch in unzulässiger Weise ausweitet und den Beschwerdeführer daher in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. 51 BVerfG NJW 2006, 1939.

D. Die umfassenden neuen Eingriffsbefugnisse

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wehr“ scheide eine Rasterfahndung hingegen aus, weshalb das Gericht auch die „allgemeine Bedrohungslage“ nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 als nicht ausreichend für die Anordnung einer Rasterfahndung erachtete.52 Folglich ist die in § 20j BKAG vorgesehene Rasterfahndung, deren Einsatz bereits im Vorfeld konkreter Gefahren möglich ist, mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar.53 Ganz unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Befugnis scheint schon die generelle Eignung der Rasterfahndung als Instrument zur Abwehr der Gefahr von Terroranschlägen äußerst fraglich, denn wie auch das BVerfG in der genannten Entscheidung54 feststellte, haben die nach den Anschlägen des 11. September 2001 in ganz Deutschland umfangreich durchgeführten Rasterfahndungen55, soweit ersichtlich, in keinem einzigen Fall dazu geführt, dass „Schläfer“ aufgedeckt worden wären oder gar aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse eine Anklage – etwa wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder Unterstützung einer solchen (vgl. §§ 129a, 129b StGB) – gegen eine der davon erfassten Personen erhoben worden wäre.56 Dies verwundert schon insofern nicht, als es gerade bei „Schläfern“, die sich bekanntlich durch ihre extrem konforme und mithin unauffällige Lebensweise auszeichnen, an aussagekräftigen Besonderheiten mangelt, aufgrund derer ein tatsächlich wirksames Raster erstellt werden könnte. In jedem Fall aber bewirkt die sich vor allem durch ihre Erfolglosigkeit auszeichnende Rasterfahndung Eingriffe in die Grundrechte zahlloser Bürger, die den Rasterkriterien entsprechen, namentlich durch die Datenabgleiche und -speicherung in sog. Schläferdateien.57 Zudem kann die Tatsache einer nach bestimmten Kriterien durchgeführten polizeilichen Rasterfahndung als solche – wenn sie bekannt wird – eine stigmatisierende Wirkung für diejenigen haben, die diese Kriterien erfüllen, und so mittelbar für diese Personen das Risiko erhöhen, im Alltag oder im Berufsleben diskriminiert zu werden.58 Darüber hinaus begründet die Rasterfahndung für diese Personen ein erhöhtes Risiko, Ziel weiterer behördlicher Ermittlungsmaßnahmen zu werden.59 So sind im Verlauf der nach dem 11. September 2001 bundesweit durchgeführten Rasterfahndung etwa in Hamburg 140 ausländische Studenten, die den Rasterkri52

Vgl. BVerfG NJW 2006, 1939. Roggan, Stellungnahme der Humanistischen Union zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BTDrs. 16/9588), S. 19. 54 BVerfG NJW 2006, 1939. 55 Allein in Nordrhein-Westfalen wurden die Datensätze von etwa 5,2 Millionen Bürgern an die Polizei übermittelt; vgl. BVerfG NJW 2006, 1939, 1945. 56 Vgl. Kutscha, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BT-Drs. 16/9588), S. 2 f. 57 Vgl. Kutscha, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BT-Drs. 16/9588), S. 3. 58 BVerfG NJW 2006, 1939, 1943. 59 BVerfG NJW 2006, 1939, 1943. 53

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terien entsprachen, von der Polizei zu „Gesprächen“ vorgeladen worden, zu denen sie bestimmte Dokumente (u. a. Studienbescheinigungen, Mietverträge, BankkontoUnterlagen, Reiseunterlagen) mitzubringen hatten. Zwar betonte ein Sprecher der Hamburger Polizei ausdrücklich, dass die Betroffenen weder beschuldigt noch verdächtigt gewesen seien und sie der Vorladung nicht hätten Folge leisten müssen, er äußerte aber auch, dass die Betroffenen bei Nichtbefolgung der Vorladung auf andere Weise überprüft worden wären und seien.60

E. Grundrechtssichernde Verfahrensvorschriften Angesichts der weitreichenden Eingriffsbefugnisse, die der Gesetzgeber dem BKA mit der Neufassung des BKAG eingeräumt hat, ist es umso dringlicher, dass effektive grundrechtssichernde Verfahrensvorschriften dem mit den Eingriffsbefugnissen einhergehenden erheblichen Verletzungspotenzial entgegenwirken. Dies betrifft insbesondere Vorschriften zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, die der Gesetzgeber in die jeweiligen Eingriffsbefugnisse des Unterabschnitts 3a implementiert hat, sowie Regelungen zum Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen, die sich gesondert in § 20u BKAG finden. Die auf ihre grundrechtssichernde Funktion bezogene Effektivität der Vorschriften soll im Folgenden näher untersucht werden. Zudem ist der Frage nachzugehen, ob die weitere Verwendung der erhobenen Daten sowie deren Übermittlung an andere Behörden durch die Regelung des § 20v BKAG auf ein rechtsstaatlich tolerables Maß eingeschränkt werden.

I. Der unzureichende Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung Anstatt den Kernbereichsschutz einheitlich zu regeln, hat sich der Gesetzgeber bei der Neufassung des BKAG dafür entschieden, nur hinsichtlich bestimmter Eingriffsbefugnisse Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu treffen (vgl. §§ 20h Abs. 5, 20k Abs. 7 und 20l Abs. 6 BKAG) und im Übrigen hierauf zu verzichten. Lediglich bei den Befugnissen, die Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG, das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erlauben, sind entsprechende Schutzregelungen vorgesehen. Dabei verkennt der Gesetzgeber, dass der Kern60 Vgl. BVerfG NJW 2006, 1939, 1943, das auf die Frankfurter Rundschau v. 22. 1. 2002 Bezug nimmt.

E. Grundrechtssichernde Verfahrensvorschriften

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bereich privater Lebensgestaltung vom BVerfG direkt aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet wird61 und daher unabhängig davon zu schützen ist, ob zugleich ein Eingriff in eines der zuvor genannten Grundrechte vorliegt. Heimliche Überwachungsmaßnahmen jedweder Ausprägung haben diesen absolut geschützten Bereich zu wahren. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in ihn nicht rechtfertigen.62 Insbesondere die Eingriffsbefugnisse der längerfristigen Observation und des Einsatzes technischer Mittel zur akustischen und optischen Überwachung außerhalb von Wohnungen (§ 20g Abs. 2 Nr. 1 und 2 BKAG), die typischerweise auch kernbereichsrelevante Sachverhalte erfassen,63 hätten daher mit entsprechenden Regelungen ausgestattet werden müssen. Die vom Gesetzgeber nur punktuell getroffenen Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung genügen teilweise nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang ein zweistufiges Schutzkonzept entwickelt64 : Auf der ersten Stufe hat die gesetzliche Regelung darauf hinzuwirken, dass die Erhebung kernbereichsrelevanter Daten, so weit wie informations- und ermittlungstechnisch möglich, unterbleibt; ausgenommen hiervon sind nur solche kernbereichsrelevanten Daten, die gezielt mit anderen, ermittlungsrelevanten Informationen verwoben wurden, um eine Überwachung zu verhindern. Da sich die Kernbereichsrelevanz der erhobenen Daten in vielen Fällen vor oder bei der Datenerhebung nicht klären lassen wird, ist dann auf einer zweiten Stufe mittels einer Durchsicht durch eine unabhängige Stelle zu gewährleisten, dass keine Verwertung oder Weitergabe kernbereichsrelevanter Informationen stattfindet.65 Während die erste Stufe des Kernbereichsschutzes beim Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen (§ 20h BKAG) vom Gesetzgeber dergestalt wirksam umgesetzt worden ist, dass er für die Anordnung der Maßnahme eine Prognoseentscheidung vorgesehen hat, wonach eine Überwachung unterbleiben muss, wenn anzunehmen ist, dass der Kernbereich verletzt werden würde (vgl. § 20h Abs. 5 S. 1 BKAG), läuft das Erhebungsverbot der ersten Stufe bei dem Verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme (§ 20k BKAG) und bei der Überwachung der Telekommunikation (§ 20l BKAG) leer.66 Diese Maßnahmen sind nämlich nur dann unzulässig, wenn durch sie allein kernbereichsrelevante Erkenntnisse erlangt würden (vgl. §§ 20k Abs. 7 S. 1, 20l Abs. 6 S. 1 BKAG). Da dies praktisch nie der Fall sein

61 62 63 64 65 66

Vgl. BVerfG, NJW 2008, 822, 833. BVerfG, NJW 2008, 822, 833. Baum/Schantz, ZRP 2008, 137, 137 f. BVerfG NJW 2008, 822, 834. BVerfG NJW 2008, 822, 834; BVerfG NJW 2004, 999, 1007 f. Baum/Schantz, ZRP 2008, 137, 138.

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6. Kap.: Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes

wird, können die betreffenden Maßnahmen also umfassend – unter Aushöhlung des Kernbereichsschutzes – angeordnet werden.67

II. Der unzureichende Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen Auch der Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen in § 20u BKAG weist Defizite auf. So hat der Gesetzgeber diesbezüglich auf ein einheitliches Schutzniveau verzichtet und stattdessen die Zeugnisverweigerungsberechtigten des § 53 StPO in zwei Klassen aufgeteilt. Danach zählen lediglich Geistliche, Verteidiger und Abgeordnete zu den absolut geschützten Personen, über die eine Datenerhebung unzulässig ist, sofern hierdurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, bezüglich derer die genannten Personen das Zeugnis verweigern dürften (vgl. § 20u Abs. 1 S. 1 BKAG). Flankiert wird dieses umfassende Erhebungsverbot durch ein den genannten Personen zustehendes Auskunftsverweigerungsrecht sogar für den Fall, dass die Auskunft zur Abwehr einer Gefahr für ein höchstrangiges Rechtsgut erforderlich wäre (vgl. § 20c Abs. 3 S. 3 BKAG). Die übrigen in § 53 StPO genannten Zeugnisverweigerungsberechtigten, also etwa Rechtsanwälte, Ärzte, Therapeuten und Journalisten, unterstehen dagegen nur einem relativen Schutz. Würden durch eine Datenerhebung über diese Personen voraussichtlich Erkenntnisse erlangt, bezüglich derer sie das Zeugnis verweigern dürften, fände dies lediglich im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Würdigung des öffentlichen Interesses an den von diesen Personen wahrgenommenen Aufgaben und des Interesses an der Geheimhaltung der diesen Personen anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen Berücksichtigung (§ 20u Abs. 2 S. 1 BKAG). Soweit hiernach geboten, wäre die Maßnahme zu unterlassen oder, soweit dies nach der Art der Maßnahme möglich ist, zu beschränken (§ 20u Abs. 2 S. 2 BKAG). Bereits die Sinnhaftigkeit dieser Differenzierung muss bezweifelt werden, denn die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Zeugnisverweigerungsberechtigten sind mitunter fließend: Beispielsweise kann die rechtsberatende Tätigkeit eines Rechtsanwalts schnell in die Rolle des Strafverteidigers im Vorfeld eines Ermittlungsverfahrens übergehen (etwa im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts).68 Vor allem aber stellt sich die Frage, wie sich zwischen den nur relativ geschützten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen und Dritten, also beispielsweise zwischen Journalisten und Informanten, die notwendige Vertrauensgrundlage entwickeln soll, wenn die Vertraulichkeit der Informationen unter dem Vorbehalt der Einschätzung 67

Vgl. Schaar, Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, BT-Drs. 16/9588, S. 4. 68 Vgl. Baum/Schantz, ZRP 2008, 137, 139.

E. Grundrechtssichernde Verfahrensvorschriften

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des BKA steht.69 Um einen effektiven Schutz zu gewährleisten, wäre es daher vorzugswürdig gewesen, keine Abstufung der Zeugnisverweigerungsberechtigten vorzunehmen.

III. Die weitreichenden Möglichkeiten der Datenverwendung und ihrer Übermittlung an andere Behörden Die Verwendung und die Übermittlung der durch das BKA in seinem neuen präventiven Aufgabenbereich gewonnenen personenbezogenen Daten sind in § 20v BKAG geregelt, der diesbezüglich weitreichende Möglichkeiten eröffnet. So darf das BKA gemäß § 20v Abs. 4 S. 2 BKAG sämtliche personenbezogenen Daten – gleich aufgrund welcher Befugnis es sie erhoben hat – nicht nur zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus, sondern darüber hinaus auch zur Wahrnehmung des Zeugenschutzes und des Schutzes von Mitgliedern der Verfassungsorgane (§§ 5, 6 BKAG) verwenden. An andere Behörden übermitteln darf das BKA die Daten etwa, soweit dies zur Herbeiführung des gegenseitigen Benehmens erforderlich ist (vgl. § 20v Abs. 5 S. 1 Nr. 1 BKAG). Da der durch die Datenerhebung bewirkte Grundrechtseingriff durch eine weitergehende Verwendung und Übermittlung jedoch ein zusätzliches Gewicht erhält, beziehen sich die Anforderungen der betroffenen Grundrechtsnorm, wie das BVerfG70 feststellt, auch auf jede weitere Verwendung oder Übermittlung der erhobenen Daten. Stellt die Datenerhebung also einen Eingriff in ein Grundrecht dar, das wie das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme qualifizierte Anforderungen an die betreffende Eingriffsbefugnis richtet71, gelten diese Anforderungen auch für die weitere Verwendung und Übermittlung der so erhobenen Daten.72 Da § 20v BKAG weder bezüglich der Datenverwendung noch bezüglich der Datenübermittlung eine entsprechende Einschränkung vorsieht, unterläuft die Norm insoweit die verfassungsrechtlichen Anforderungen.73 Weiteren Bedenken unterliegt § 20v BKAG im Hinblick auf den Empfängerkreis der übermittelbaren Daten, denn die Norm gestattet die Datenübermittlung schlicht an Polizeibehörden sowie an „sonstige öffentliche Stellen“ (vgl. § 20v Abs. 5 S. 1 BKAG). Der Bestimmtheitsgrundsatz erfordert es aber, dass eine Übermittlungsnorm die Empfangsbehörden oder zumindest deren Aufgabenbereich hinreichend

69 70 71 72 73

Baum/Schantz, ZRP 2008, 137, 139. BVerfG NJW 2004, 2213, 2220; BVerfG NJW 2000, 55. Vgl. BVerfG NJW 2008, 822, 830 f. Baum/Schantz, ZRP 2008, 137, 140. Baum/Schantz, ZRP 2008, 137, 140.

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6. Kap.: Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes

präzise kennzeichnet.74 So hat das BVerfG § 41 Abs. 2 AWG für verfassungswidrig erachtet, weil die Vorschrift weder eine bestimmte Empfangsbehörde noch zumindest deren Aufgabenbereich benannte, sondern als Empfängerkreis die „öffentlichen Stellen“ vorsah.75 Auch § 20v Abs. 5 S. 1 BKAG sieht mit den „sonstige[n] öffentliche[n] Stellen“ weder eine bestimmte Empfangsbehörde vor, noch wird eine hinreichende Eingrenzung des möglichen Empfängerkreises über dessen Aufgabenbereich vollzogen, denn die Datenübermittlung ist etwa möglich, soweit dies zur Abwehr einer erheblichen bzw. dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist (vgl. § 20v Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BKAG), d. h. sie könnte an alle Bundesund Landesbehörden sowie an alle kommunalen Behörden der Ordnungsverwaltung erfolgen. Dementsprechend genügt die Norm nicht den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes. Darüber hinaus erscheint bedenklich, dass § 20v BKAG bzw. der gesamte neu eingefügte Unterabschnitt 3a keine auf die neuen Eingriffsbefugnisse abgestimmten Regelungen zur Datenübermittlung an ausländische Behörden bereithält. Vielmehr bestimmt sich die internationale Datenübermittlung nach der schon in der alten Fassung des BKAG enthaltenen Vorschrift des § 14 Abs. 1 BKAG. Hiernach ist eine Datenübermittlung an ausländische Sicherheitsbehörden sowie an zwischen- und überstaatliche Stellen aber u. a. bereits dann zulässig, wenn dies zur Erfüllung einer der dem BKA obliegenden Aufgaben erforderlich ist. Angesichts der zahlreichen neuen Eingriffsbefugnisse rückt diese Vorschrift in einen neuen Regelungszusammenhang und hätte mithin bezüglich der durch die neuen Eingriffsbefugnisse gewonnenen Informationen entsprechender Einschränkungen bedurft, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen.76 Schließlich erscheinen einschränkende Übermittlungsvoraussetzungen auch vor dem Hintergrund der generellen Problematik der Datenübermittlung an ausländische Behörden angezeigt, denn welche Verwendung die Daten im Ausland finden und welche Konsequenzen die Übermittlung für die Betroffenen haben kann, lässt sich nicht abschätzen. Nicht zuletzt die Fälle von Personen u. a. mit deutscher Staatsangehörigkeit, die in den letzten Jahren als Terroristen verdächtigt und deshalb in anderen Ländern festgehalten und vermutlich auch gefoltert wurden, sollten zur Vorsicht bei der Datenübermittlung ermahnen.77

74

BVerfG NJW 2004, 2213, 2220. BVerfG NJW 2004, 2213, 2220. 76 Baum/Schantz, ZRP 2008, 137, 140. 77 Vgl. Kutscha, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BT-Drs. 16/9588), S. 5. 75

F. Zusammenfassende Würdigung

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F. Zusammenfassende Würdigung Die Neufassung des BKAG entspricht in vielerlei Hinsicht nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben; mit ihr werden auf Kosten der Grundrechtsträger einseitig sicherheitspolitische Interessen umgesetzt. Dabei erscheint insbesondere die Einführung der Befugnis zur Online-Durchsuchung, der nach den zutreffenden Ausführungen des BVerfG78 ein beträchtliches Potenzial für die Ausforschung der Persönlichkeit des Betroffenen zukommt, rechtsstaatlich bedenklich. Angesichts der Tatsache, dass Personalcomputer zunehmend zur Entfaltung im höchst persönlichen Bereich genutzt und dementsprechend eine Vielzahl von zum Teil hochsensiblen persönlichen Daten auf ihnen gespeichert werden, bedeutet die Online-Durchsuchung nahezu zwangsläufig einen Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung. Da es aber praktisch nie vorkommen dürfte, dass auf einem Computer allein Daten gespeichert sind, die dem Kernbereich unterfallen, ist die Maßnahme nach den Regelungen des BKAG stets zulässig. Dabei konnte bislang nicht einmal überzeugend dargetan werden, warum diese Maßnahme zur Abwehr der Gefahr von Terroranschlägen tatsächlich unverzichtbar sein soll.79 Zudem dürften sich gerade zielstrebig agierende Terroristen mit der entsprechenden, sogar leicht handhabbaren Abwehrtechnik ausrüsten.80 Die zur Wahrung der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG konsequenteste Lösung wäre es deshalb gewesen, auf diese Überwachungsmethode zu verzichten.81 Die Einführung der Online-Durchsuchung im BKAG ist umso prekärer, als dass sich bereits jetzt abzeichnet, dass das BKAG den Landesgesetzgebern als Vorlage für ihre Polizeigesetze dient.82 Angesichts des dann auch auf Länderebene unzureichend ausgestalteten Kernbereichsschutzes sieht sich der Grundrechtsträger also sowohl

78

BVerfG, NJW 2008, 822, 829. Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme äußerte selbst Hoffmann-Riem, der im Verfahren betreffend die Verfassungsmäßigkeit der Online-Durchsuchung nach dem NWVerfSchG Berichterstatter war, und er beklagte, dass dem BVerfG seitens der verantwortlichen Stellen keine belastbaren Nachweise für die Unverzichtbarkeit der Online-Durchsuchung hätten vorgelegt werden können. Stattdessen hätten allgemeine Beschwörungsformeln herhalten müssen; vgl. Hoffmann-Riem, Süddeutsche Zeitung v. 12. 4. 2008.; kritisch ebenso Kutscha, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BT-Drs. 16/9588), S. 4. 80 Vor diesem Hintergrund formulierte Buermeyer, HRRS 2007, 154, 165 f., dass die Maßnahme nur gegen „virtuelle Eierdiebe“ vom Schlage eines amateurhaft agierenden E-BayBetrügers wirksam angewendet werden könne. 81 Kutscha, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BT-Drs. 16/9588), S. 4 f.; vgl. Sachs/Krings, JuS 2008, 481, 485 f. 82 So haben Bayern und Rheinland-Pfalz die Befugnis zur heimlichen Online-Durchsuchung bereits in ihre Polizeigesetze übernommen; vgl. Art. 34d Bay PAG und § 31c RheinlandPfälzisches POG. 79

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6. Kap.: Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes

seitens des BKA als auch seitens der Polizeibehörden der Länder Eingriffen in den Kernbereich seiner privaten Lebensgestaltung ausgesetzt. Insgesamt kann die Neufassung des BKAG als Ausdruck einer neuen deutschen Sicherheitsarchitektur verstanden werden, die sich durch Zentralisierungsbestrebungen ebenso auszeichnet wie durch die Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen.83 Dabei verändert die umfassende Zuweisung von Gefahrabwehrbefugnissen an das BKA die bewährte Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nachhaltig, ohne dass dies einen nachweisbaren Sicherheitsgewinn bewirkte.84 Angelegt war diese Veränderung bereits in der Föderalismusreform, die dem Bund mit Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG eingeschränkt die Gesetzgebungskompetenz für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus verleiht.85 Tatsächlich nutzte der Bundesgesetzgeber die Neufassung des BKAG auf der Grundlage von Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG aber zur Schaffung einer Polizeibehörde eigener Art86, die weitreichend in Konkurrenz zu den Polizeibehörden der Länder und vermöge der Befugnis zur Straftatenverhütung überdies in Konkurrenz zu den Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder agieren darf. Darüber kann auch die in § 2 Abs. 1 BKAG beschriebene Funktion des BKA als lediglich unterstützende Zentralstelle der Polizeien des Bundes und der Länder bei der Verhütung und Verfolgung von Straftaten mit länderübergreifender, internationaler und erheblicher Bedeutung nicht hinwegtäuschen. Die Ausstattung des BKA mit den zahlreichen neuen Präventivbefugnissen spricht eine andere Sprache. Ebenfalls in diesem Sinne konstatiert Kutscha zutreffend, dass – entgegen den klaren Feststellungen des BVerfG87 zur Vorgängerbehörde, dem Bundesgrenzschutz, der nicht zu einer allgemeinen mit den Landespolizeien konkurrierenden Bundespolizei ausgebaut werden und damit sein Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben verlieren dürfte – das BKA durch die Zuweisung der zahlreichen neuen Eingriffsbefugnisse zu einer Art deutschem FBI umgewandelt wurde, das in Konkurrenz zu den Polizeien der Länder und auch weit im Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen agieren darf.88

83

Roggan, NJW 2009, 257, 262. Baum/Schantz, ZRP 2008, 137. 85 Baum/Schantz, ZRP 2008, 137. 86 Roggan, NJW 2009, 257, 262. 87 BVerfG NVwZ 1998, 495. 88 Kutscha, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BT-Drs. 16/9588), S. 1. 84

Siebtes Kapitel

Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht Die nationalen Strafrechtsordnungen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten werden immer stärker durch die europäische Gesetzgebung beeinflusst. Leitgedanke dieser europäischen Gesetzgebung ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der seinen Niederschlag bereits in einer ganzen Reihe von Rechtsinstrumenten gefunden hat, die die grenzüberschreitende Strafverfolgung erleichtern sollen. Auf die unter dem Leitgedanken der gegenseitigen Anerkennung im Bereich des Strafrechts in Europa vollzogene Entwicklung sowie auf die Situation der Strafverteidigung in grenzüberschreitenden Strafverfahren soll im Folgenden näher eingegangen werden. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, ob sich das dargestellte Problem der einseitigen Effektuierung sicherheitspolitischer Interessen auf nationaler Ebene unter dem Einfluss des europäischen Rechts weiter verschärft oder ob der europäische Gesetzgeber in gleichem Maße die Sicherung von Verfahrensrechten Beschuldigter im Blick hat.

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung Mit dem Vertrag von Amsterdam, in Kraft getreten am 1. Mai 1999, setzte es sich die EU zum Ziel, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen. Erreicht werden sollte dieses Ziel durch eine Intensivierung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Mit den Schlussfolgerungen von Tampere vom 15./16. Oktober 19991 erklärte der Europäische Rat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der ursprünglich als Instrument zur Herstellung des EU-Binnenmarktes entwickelt wurde, zum Eckstein dieser Zusammenarbeit.2 Nach dem Vertrag von Lissabon steht der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung endgültig im Zentrum des künftigen Europäischen Strafverfahrensrechts.3 Der Grundsatz hat zur Folge, dass bestimmte Entscheidungen eines Mitgliedstaates von dem anderen Mitgliedstaat beachtet bzw. durch ihn ausgeführt werden müssen; er wird als Ausdruck der Gleichwertigkeit aller Mitgliedstaaten und des gegenseitigen 1 2 3

Abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/summits/tam_de.htm. Nr. 33 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere. Mansdörfer, HRRS 2010, 11, 22.

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

Vertrauens in die Rechtsordnungen und die Rechtsstaatlichkeit der anderen Mitgliedstaaten verstanden.4 Der erste Rechtsakt, mit dem die EU-Organe den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen umgesetzt haben, war der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl (RbEuHb)5. Ihm folgten schon bald weitere Rechtsakte, wie der Rahmenbeschluss über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der EU6, der Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen7, der Rahmenbeschluss über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister8 und schließlich der Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung (RbEuBa)9. Auf zwei der bedeutendsten EU-Rechtsakte im Bereich grenzüberschreitender Strafverfolgung, den RbEuHb und den RbEuBa, sowie auf die weitere Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im Beweishilferecht seit dem Vertrag von Lissabon soll im Folgenden näher eingegangen werden. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, welche Auswirkungen die fortschreitende Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung für den von grenzüberschreitender Strafverfolgung Betroffenen hat.

I. Der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl (RbEuHb) Mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in Kraft getreten am 7. August 2002, sollte das gesamte bisherige Auslieferungsrecht innerhalb der EU abgeschafft und durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden ersetzt werden. Die Einführung dieses neuen, vereinfachten Systems sollte ausweislich der

4

Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Europarecht, § 42 Rn. 148. Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 190 vom 18. 7. 2002, S. 1 ff. 6 Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. Nr. L 196 vom 2. 8. 2003, S. 45 ff. 7 Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABl. Nr. L 76 vom 22. 3. 2005, S. 16 ff. 8 Rahmenbeschluss 2005/876/JI des Rates vom 21. November 2005 über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister, ABl. Nr. L 322 vom 9. 12. 2005, S. 33 ff. 9 Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, ABl. Nr. L 350 vom 30. 12. 2008, S. 72 ff. 5

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

123

Erwägungen des Rahmenbeschlusses die Komplexität und die Verzögerungsrisiken beseitigen, die dem bisherigen Auslieferungsverfahren innewohnten.10 Das (bisherige) Auslieferungsverfahren der BRD war zweigeteilt in ein Zulässigkeits- und ein Bewilligungsverfahren. Das Zulässigkeitsverfahren diente der justiziellen Überprüfung der Auslieferung und gewährte dem Verfolgten somit präventiven Rechtsschutz; das Bewilligungsverfahren sollte hingegen die Berücksichtigung außen- und allgemeinpolitischer Aspekte des jeweiligen Falles ermöglichen, indem es die Auslieferung zusätzlich von einer Bewilligung der Exekutive abhängig machte.11 Mit dem RbEuHb sollte das im herkömmlichen Rechtsverkehr der Staaten untereinander übliche politische Ermessen, das in der BRD auf der Bewilligungsebene ausgeübt wird, abgeschafft und auf diese Weise eine weitere Verrechtlichung der Beziehungen der Mitgliedstaaten untereinander erreicht werden.12 Anders als im bisherigen Auslieferungsrecht sollte also nicht mehr um Rechtshilfe ersucht, sondern die Entscheidung des einen Mitgliedstaates durch den anderen unmittelbar vollstreckt werden müssen. Dementsprechend werden die am Auslieferungsverfahren beteiligten Mitgliedstaaten in der Terminologie des RbEuHb auch nicht wie im bisherigen Auslieferungsrecht der BRD als ersuchender und ersuchter Staat, sondern als Ausstellungs- und Vollstreckungsstaat bezeichnet.13 Die BRD hat den RbEuHb zunächst mit dem Europäischen Haftbefehlsgesetz vom 21. Juli 2004 (EuHbG 2004)14, in Kraft getreten am 23. August 2004, unter Beibehaltung der Zweistufigkeit des Auslieferungsverfahrens umgesetzt. Nicht einmal ein Jahr später, am 18. Juli 2005, erklärte das BVerfG das EuHbG 2004 jedoch wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 16 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 4 GG für verfassungswidrig und nichtig.15 Der vom Gesetz eingeschlagene Weg zum Erreichen der Ziele des RbEuHb griffe unverhältnismäßig in die Auslieferungsfreiheit deutscher Staatsangehöriger nach Art. 16 Abs. 2 GG ein; obschon der RbEuHb Ausnahmen von der grundsätzlichen Auslieferungspflicht statuierte, die es der BRD ermöglichten, den aus Art. 16 Abs. 2 GG folgenden grundrechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen, habe es der deutsche Gesetzgeber versäumt, die ihm eröffneten Gestaltungsspielräume grundrechtskonform auszuschöpfen.16 Überdies verstieße die fehlende Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, denn die

10

Vgl. Nr. 5 der Erwägungen des RbEuHb. Vgl. BVerfG NJW 2005, 2289, 2295. 12 Vgl. BVerfG NJW 2005, 2289, 2291. 13 Vgl. Art. 2 und 3 des RbEuHb. 14 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, BGBl. I 2004, S. 1748. 15 BVerfG NJW 2005, 2289. 16 BVerfG NJW 2005, 2289, 2293. 11

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

Bewilligungsentscheidung müsse als eine den Eingriff in die Auslieferungsfreiheit konkretisierende Entscheidung gerichtlich überprüfbar sein.17 Die aufgrund des Urteils des BVerfG erforderlich gewordene zweite Befassung des deutschen Gesetzgebers mit dem RbEuHb resultierte in dem Europäischen Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006 (EuHbG 2006)18, in Kraft getreten am 2. August 2006. Die Regelungen zur Rechtshilfe mit den Mitgliedstaaten der EU werden hierdurch – wie auch schon 2004 – in den Achten Teil des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) eingefügt. Inhaltlich hat sich der Gesetzgeber stark an dem EuHbG 2004 orientiert und sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die für verfassungswidrig erklärten Regelungen – teilweise unter wortwörtlicher Übernahme der Formulierungen des BVerfG – zu modifizieren. So hält der Gesetzgeber weiterhin an der Zweistufigkeit des Auslieferungsverfahrens fest, wobei entsprechend den Forderungen des BVerfG nun auch die Bewilligungsentscheidung (eingeschränkt) justiziabel ist. Auf das Auslieferungsrecht nach dem EuHbG 2006 soll im Folgenden näher eingegangen werden. 1. Das Auslieferungsverfahren Zunächst trifft die Bewilligungsbehörde – in der Regel der Generalstaatsanwalt – eine vorläufige Entscheidung darüber, ob ein Bewilligungshindernis i.S.d. § 83b IRG geltend gemacht werden soll. Gem. § 83b Abs. 1 IRG kann die Bewilligung etwa abgelehnt werden, wenn gegen den Verfolgten wegen derselben Tat bereits in der BRD ein Strafverfahren geführt wird (§ 83b Abs. 1a IRG) oder dem Auslieferungsersuchen eines dritten Staates Vorrang eingeräumt werden soll (§ 83b Abs. 1c IRG). Dabei sind sowohl die ablehnende Bewilligungsentscheidung als auch die Entscheidung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, zu begründen (vgl. § 79 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 IRG). Entschließt sich die Bewilligungsbehörde, voraussichtlich keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, wird diese sog. Vorabentscheidung zusammen mit dem Antrag, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden, dem OLG vorgelegt. Im Hinblick auf die Vorabentscheidung wird der Bewilligungsbehörde ein sehr weiter Ermessensspielraum eingeräumt, d. h. die Entscheidung ist inhaltlich nur sehr eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich.19 Gelangt das OLG zu der Auffassung, dass die Bewilligungsbehörde die Vorabentscheidung rechtsfehlerfrei getroffen hat, entscheidet es über die Zulässigkeit der Auslieferung. Erst nachdem das OLG die Zulässigkeit der 17

BVerfG NJW 2005, 2289, 2294. Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, BGBl. I 2006, S. 1721. 19 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfes zum EuHbG 2006, BT-Drs. 16/1024, S. 13, die betont, dass die Bewilligungsentscheidung – auch bei fortschreitender Verrechtlichung der Auslieferungsbeziehungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten – im Kern immer noch eine außenpolitische Entscheidung der Bundesregierung darstelle. 18

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

125

Auslieferung bejaht hat, trifft die Bewilligungsbehörde eine endgültige Entscheidung über die Bewilligung, in die auch über § 83b IRG hinausgehende Erwägungen einfließen.20 Mit der zweiaktigen Ausgestaltung des Bewilligungsverfahrens wollte der Gesetzgeber den Forderungen des BVerfG nach einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Bewilligungsentscheidung Rechnung tragen. Das Ergebnis ist jedoch ein schwerfälliges, mit dem Beschleunigungsziel des RbEuHb nicht zu vereinbarendes Verfahren,21 das angesichts des eingeschränkten gerichtlichen Überprüfungsmaßstabs kaum einen Rechtsschutzgewinn für den Verfolgten herbeiführt. Um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, wäre es vielmehr erforderlich gewesen, die Teile der Bewilligungsentscheidung, die subjektive Rechte des Verfolgten tangieren können,22 als Zulässigkeitsvoraussetzungen auszugestalten und sie damit einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung zugänglich zu machen.23 2. Die materiellen Auslieferungsvoraussetzungen § 79 Abs. 1 S. 1 IRG konstatiert eine grundsätzliche Verpflichtung Deutschlands zur Auslieferung an EU-Mitgliedstaaten, von der nur unter den im Achten Teil des IRG normierten Voraussetzungen abgewichen werden darf.24 Diese Voraussetzungen variieren, je nachdem ob es sich bei dem Verfolgten um einen deutschen Staatsangehörigen oder um einen Ausländer handelt. Während die Vorschriften über die Voraussetzungen und Hindernisse der Zulässigkeit (§§ 81, 83, 83a IRG) sowie über die Bewilligungshindernisse des § 83b Abs. 1 IRG für jede Auslieferung Geltung beanspruchen, enthält die neu gefasste Vorschrift des § 80 IRG zusätzliche Voraussetzungen nur für die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen. Gem. § 83b Abs. 2 IRG können diese zusätzlichen Voraussetzungen allerdings bei der Auslieferung von Ausländern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, auf der Bewilligungsebene Berücksichtigung finden.

20

Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, NStZ 2006, 663, 665. Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, NStZ 2006, 663, 665. 22 Individualschützende Funktion kommt den Bewilligungshindernissen nach § 83b Abs. 1 Nr. 1 und 2 IRG zu; vgl. Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Europarecht, § 42 Rn. 164. 23 Eine solche Ausgestaltung wird in der Begründung des Regierungsentwurfes zum EuHbG 2006 zwar angedacht, aber aufgrund angeblich fehlender Praktikabilität wieder verworfen, vgl. BT-Drs. 16/1024, S. 12. 24 Obwohl § 79 Abs. 1 S. 1 IRG ausdrücklich nur die Ablehnungsgründe des Achten Teils des IRG in Bezug nimmt, können einer Auslieferung auch ein Verstoß gegen den europäischen ordre public (§ 73 S. 2 IRG), ausnahmsweise ein fehlender Tatverdacht (§ 10 Abs. 2 IRG) oder die Verjährung der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Tat nach deutschem Recht (§ 9 Abs. 2 IRG) entgegenstehen. 21

126

7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

a) Die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen Zu den allgemein gültigen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Achten Teils des IRG, die bei jeder Auslieferung erfüllt sein müssen, gehören das Vorliegen ordnungsgemäßer Auslieferungsunterlagen (§ 83a IRG), das Beachten des ne-bis-inidem-Grundsatzes (§ 83 Nr. 1 IRG), die Schuldfähigkeit des Verfolgten zum Tatzeitpunkt (§ 83 Nr. 2 IRG), das Nichtvorliegen eines Abwesenheitsurteils in Unkenntnis des Verfolgten von dem betreffenden Gerichtstermin (§ 83 Nr. 3 IRG) sowie das fehlende Drohen einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne Überprüfung der Vollstreckung nach spätestens 20 Jahren (§ 83 Nr. 4 IRG). Die tradierte Zulässigkeitsvoraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit wurde mit dem EuHbG 2006 – in Umsetzung der Vorgaben des RbEuHb – indes weitgehend abgeschafft. So bestimmt Art. 2 Abs. 2 RbEuHb, dass eine Übergabe des Verfolgten ohne Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Straftat im Ausstellungsstaat mit einer freiheitsentziehenden Sanktion im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und unter den Deliktskatalog des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb fällt. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Regelung in § 81 IRG übernommen und damit die Anwendung des in § 3 IRG verankerten Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit für den Bereich der Auslieferung an EU-Mitgliedstaaten erheblich eingeschränkt. Die Einschränkung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit begegnet beträchtlichen Bedenken, denn der Deliktskatalog des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb25 besteht aus insgesamt 32 vorwiegend gänzlich unbestimmten Delikten bzw. Deliktstypen.26 Ihm unterfallen etwa Terrorismus, Cyberkriminalität sowie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, d. h. kriminologisch bezeichnete Handlungen, die keine 25

Art. 2 Abs. 2 RbEuHb benennt folgende Handlungen: Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung; Terrorismus; Menschenhandel; sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie; illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen; illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen; Korruption; Betrugsdelikte, einschließlich Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften im Sinne des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften; Wäsche von Erträgen aus Straftaten; Geldfälschung, einschließlich der EuroFälschung; Cyberkriminalität; Umweltdelikte, einschließlich des illegalen Handels mit bedrohten Tierarten oder mit bedrohten Pflanzen- und Baumarten; Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt; vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung; illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe; Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme; Rassismus und Fremdenfeindlichkeit; Diebstahl in organisierter Form oder mit Waffen; illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenstände; Betrug; Erpressung und Schutzgelderpressung; Nachahmung und Produktpiraterie; Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit; Fälschung von Zahlungsmitteln; illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsförderern; illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen; Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen; Vergewaltigung; Brandstiftung; Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen; Flugzeugund Schiffsentführung; Sabotage. Zudem kann der Rat gem. Art. 2 Abs. 3 RbEuHb jederzeit beschließen, weitere Delikte in den Katalog aufzunehmen. 26 Vgl. Schünemann, ZRP 2003, 185, 188; Ahlbrecht, StV 2005, 40, 41.

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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konkret abgrenzbaren Straftatbestände darstellen. Welche Verhaltensweisen in einer wachsenden EU der mittlerweile 27 Mitgliedstaaten durch den vagen Katalog de facto pönalisiert worden sind, ist kaum absehbar.27 Darüber hinaus ist bedenklich, dass der Katalog einfache Betrugs- und Geldwäschedelikte beinhaltet, die keinen spezifischen Bezug zu schwerster Kriminalität aufweisen müssen.28 Der dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung geschuldete weitreichende Verzicht auf die beiderseitige Strafbarkeit29 führt dazu, dass die bewusste Entscheidung eines Staates, ein Verhalten nicht zu pönalisieren, unterlaufen wird, wenn das Verhalten in einem anderen Mitgliedstaat unter Strafe gestellt ist und dieser Mitgliedstaat – d. h. der Ausstellungsstaat, auf dessen Beurteilung es allein ankommt – das Verhalten unter den weiten Deliktskatalog des RbEuHb subsumiert.30 Dies ist umso prekärer, als dass unterschiedliche Pönalisierungsentscheidungen gerade in den besonders sensiblen Bereichen bestehen, im Hinblick auf die Katalogtat der vorsätzlichen Tötung etwa auf den Gebieten aktiver Sterbehilfe, Stammzellenforschung, Embryonenschutz und Abtreibung.31 Zugleich führt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auf europäischer Ebene partiell32 zu der von Schünemann33 befürchteten maximalen Punitivität, denn in jedem Mitgliedstaat ist danach vollstreckbar und anzuerkennen, was irgendein Mitgliedstaat in Strafsachen vorsieht.34 b) Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 80 IRG Aber das EuHbG 2006 begegnet nicht nur im Hinblick auf die weitreichende Einschränkung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit rechtsstaatlichen Bedenken. Auch die in § 80 IRG als Zulässigkeitsvoraussetzungen ausgestalteten weiteren Anforderungen nur an die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger unterliegen Zweifeln im Hinblick auf die Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes. 27

Vgl. Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, NStZ 2006, 663, 668. Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Europarecht, § 42 Rn. 168. 29 Die beiderseitige Strafbarkeit bleibt nur dann Zulässigkeitsvoraussetzung, wenn es sich um eine Tat handelt, die keinen maßgeblichen Auslandsbezug aufweist, vgl. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 IRG. 30 Wie Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, § 82 Rn. 13 konstatieren, haben die Oberlandesgerichte aber eine zu begrüßende „Notbremsenpraxis“ entwickelt: Auch wenn der Ausstellungsstaat ein Verhalten als Katalogtat bezeichnet, ist eine Schlüssigkeitsprüfung dahingehend vorzunehmen, ob die Sachdarstellung einen nachvollziehbaren Rückschluss hierauf zulässt; vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 2007, 111. 31 Vgl. Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, NStZ 2006, 663, 668. 32 Namentlich wird das Szenario der Geltung des europaweit punitivsten Strafrechts bei der Verfolgung von Inlandsdistanz- und Auslandstaten virulent, weil hier unterschiedliche nationale Regelungen wechselseitig Anerkennung beanspruchen; vgl. ausführlich Deiters, ZRP 2003, 359, 360 f. 33 Schünemann, ZRP 2003, 185, 187. 34 Dem wäre durch ein vereinheitlichtes Strafanwendungsrecht abzuhelfen; vgl. ausführlich Deiters, ZRP 2003, 359, 361 f.; Gleß, ZStW 2004, 353, 361 f. 28

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

In § 80 IRG unterscheidet der Gesetzgeber zunächst danach, ob die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zum Zwecke der Strafverfolgung (§ 80 Abs. 1 und 2 IRG) oder zum Zwecke der Strafvollstreckung (§ 80 Abs. 3 IRG) erfolgen soll. Letztere ist nur zulässig, wenn der Verfolgte ihr nach Belehrung zu richterlichem Protokoll zustimmt. Verweigert der Verfolgte seine Zustimmung, muss die Strafvollstreckung gem. Art. 4 Nr. 6 RbEuHb auf Verlangen des ersuchenden Staates durch den ersuchten Staat übernommen werden. Bedenklich ist, dass der deutsche Gesetzgeber für diesen Fall gem. § 80 Abs. 4 S. 1, 2. Alt. IRG auf das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit verzichtet. Begeht also ein Deutscher eine nach inländischem Recht straflose Handlung, etwa indem er in einer deutschen Tageszeitung einen ausländischen Politiker karikiert, und steht diese Handlung – für ihn nicht absehbar – in einem anderen Mitgliedstaat unter Strafe, könnte er hierfür in einem deutschen Gefängnis eine Freiheitsstrafe verbüßen müssen. Die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zum Zwecke der Strafverfolgung ist nur unter den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 80 Abs. 1 oder Abs. 2 IRG möglich. Gem. § 80 Abs. 1 S. 1 IRG ist die Auslieferung zulässig, wenn gesichert ist, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Verhängung der freiheitsentziehenden Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in die BRD zurückzuüberstellen, und die Tat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat aufweist. Weist die Tat keinen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat auf, bestimmt § 80 Abs. 2 S. 1 IRG, dass die Auslieferung nur zulässig ist, wenn die Rücküberstellung gesichert ist, die Tat keinen maßgeblichen Bezug zum Inland aufweist, sie auch nach deutschem Recht strafbar wäre und bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen das schutzwürdige Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung nicht überwiegt. Unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zum Zwecke der Strafverfolgung zulässig ist, wird also durch das aus der Feder des BVerfG stammende Kriterium des maßgeblichen Auslandsbezuges determiniert. Auch bei der Legaldefinition dieses Kriteriums hat sich der Gesetzgeber der Formulierungen des BVerfG35 bedient und normiert, dass ein maßgeblicher Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat in der Regel vorliegt, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde und der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist oder wenn es sich um eine schwere Tat mit typisch grenzüberschreitendem Charakter handelt, die zumindest teilweise auch auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde (§ 80 Abs. 1 S. 2 IRG). Demgegenüber liegt ein maßgeblicher Bezug zum Inland, der eine Auslieferung ausschließt, gem. § 80 Abs. 2 S. 2 IRG in der Regel dann vor, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen in der BRD begangen wurde und der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist.36 35

BVerfG NJW 2005, 2289, 2292. Gem. § 80 Abs. 2 S. 3 IRG sind bei der hier vorzunehmenden Abwägung insbesondere der Tatvorwurf, die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafver36

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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Problematisch erscheint, dass das Gros aller Fälle sowohl einen Inlands- als auch einen Auslandsbezug aufweisen dürfte. Dann zwingt das vage Merkmal der Wesentlichkeit den Rechtsanwender zu einer rechtlich schwer fassbaren Abwägung nach dem Schwerpunkt des Geschehens, bei welcher eine differierende Gerichtspraxis zu befürchten ist.37 Ob der Gesetzgeber mit diesem Kriterium dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot genüge getan hat, muss bezweifelt werden.38 Zudem dürfte das Merkmal in der Praxis Anlass zu erbitterten Kämpfen um die Bestimmung des Tatortes geben,39 denn eine von dem Verteidiger des Verfolgten vorgetragene weitere Verlagerung des Geschehens in das Hoheitsgebiet der BRD könnte den maßgeblichen Auslandsbezug entfallen lassen und das Geschehen zu einem § 80 Abs. 2 IRG unterfallenden sog. Mischfall machen, was bedeutete, dass die Auslieferung nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der beiderseitigen Strafbarkeit und einer zu Lasten des Verfolgten ausfallenden Interessenabwägung zulässig wäre. c) Die Bewilligungshindernisse des § 83b Abs. 2 IRG Die nur bei der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger einschlägigen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 80 IRG hat der Gesetzgeber für den Fall der Auslieferung von Ausländern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD haben, in § 83b Abs. 2 IRG als bloße Bewilligungshindernisse ausgestaltet. Wie auch § 80 IRG unterscheidet § 83b Abs. 2 IRG zwischen der Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung und einer solchen zum Zwecke der Strafvollstreckung. Gem. § 83b Abs. 2 a) IRG kann die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland abgelehnt werden, wenn bei einer Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung die Auslieferung eines Deutschen gem. § 80 Abs. 1 und 2 IRG nicht zulässig wäre. Die Bewilligung der Auslieferung eines Ausländers mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland zum Zwecke der Strafvollstreckung kann gem. § 83b Abs. 2 b) IRG abgelehnt werden, wenn der Verfolgte der Auslieferung nach Belehrung zu richterlichem Protokoll nicht zustimmt und sein schutzwürdiges Interesse an der Strafvollstreckung im Inland überwiegt. folgung und die grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen. Liegt wegen der Tat, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens ist, eine Entscheidung einer Staatsanwaltschaft oder eines Gerichts vor, ein deutsches strafrechtliches Verfahren einzustellen oder nicht einzuleiten, so sind diese Entscheidung und ihre Gründe gem. § 80 Abs. 2 S. 4, 1. Hs. IRG in die Abwägung mit einzubeziehen. Entsprechendes gilt gem. § 80 Abs. 2 S. 4, 2. Hs. IRG, wenn ein Gericht das Hauptverfahren eröffnet oder einen Strafbefehl erlassen hat. 37 Böhm, NJW 2006, 2592, 2593. 38 Kritisch auch Hackner/Schomburg/Lagodny/Gleß, NStZ 2006, 663, 667. 39 Ahlbrecht, Eucrim 2006, 39, 43.

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

Die Regelung des § 83b Abs. 2 a) IRG verstößt sowohl gegen den Bestimmtheitsgrundsatz als auch gegen das Diskriminierungsverbot i.S.d. Art. 18 AEUV (exArt. 12 EGV).40 Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum EuHbG 2004 konstatiert, dass eine besondere grundrechtliche Eingriffswirkung dort entsteht, wo der Bürger für nicht ohne weiteres erwartbare Fernwirkungen seines Handelns in Deutschland von anderen Mitgliedstaaten zur Verantwortung gezogen werden soll, wobei sich diese Eingriffswirkung noch verstärkt, wenn die von dem ersuchenden Staat vorgeworfene Handlung nach deutschem Recht straflos ist.41 Eine Kollision mit dem besonderen Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG scheide nur dann von vornherein aus, wenn die verfassungsrechtlich notwendige Unterscheidung zwischen einer vorgeworfenen Straftat mit Inlandsbezug von einer solchen mit Auslandsbezug gewahrt würde.42 Dementsprechend ist die Regelung des § 80 IRG, die eine solche Unterscheidung trifft und bei Taten mit maßgeblichem Inlandsbezug eine Auslieferung untersagt sowie bei Mischfällen die beiderseitige Strafbarkeit zur Zulässigkeitsvoraussetzung macht, nicht ausschließlich aufgrund des allein deutsche Staatsangehörige schützenden Auslieferungsverbotes des Art. 16 GG, sondern auch nach dem allgemein gültigen Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG geboten. Die Ungleichbehandlung von Ausländern und deutschen Staatsangehörigen verstößt insoweit gegen das Grundgesetz. Sofern es sich bei dem Verfolgten um einen EU-Bürger handelt, verstößt die Regelung des § 83b Abs. 2 a) IRG überdies gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV (ex-Art. 12 EGV). Danach ist eine Diskriminierung aus Gründen der Staatszugehörigkeit grundsätzlich verboten. Die Ungleichbehandlung von deutschen Staatsangehörigen und Ausländern bei der Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung beruht indes allein auf dem Kriterium der Staatszugehörigkeit. Eine sachliche europarechtliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich: Sie findet sich weder in Gestalt gemeinschaftsrechtlicher Ausnahmen oder vor dem Hintergrund anerkannter nationaler Interessen noch im RbEuHb selbst.43 Ebenso verstößt auch die Regelung des § 83b Abs. 2 b) IRG gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV (ex-Art. 12 EGV) i.V.m. Art. 21 AEUV (exArt. 18 EGV).44 Während ein deutscher Staatsangehöriger seiner Auslieferung zur Strafvollstreckung zwingend zustimmen muss (vgl. § 80 Abs. 3 IRG), kommt einem verfolgten Ausländer dieses Recht – unabhängig davon, wie lange er schon in Deutschland lebt und wie stark seine familiären und sozialen Bindungen in 40

Ausführlich Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 163 ff., 168. 41 BVerfG NJW 2005, 2289, 2293. 42 BVerfG NJW 2005, 2289, 2294. 43 Reinhardt/Düsterhaus, NVwZ 2006, 432, 433 f.; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, S. 168. 44 Ausführlich Tinkl, ZIS 2010, 320 ff.

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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Deutschland sind – nicht zu. Gem. § 83b Abs. 2 b) IRG ist neben der mangelnden Zustimmung zusätzlich erforderlich, dass das schutzwürdige Interesse des verfolgten Ausländers an der Strafvollstreckung im Inland überwiegt. Zwar kann es europarechtlich gerechtfertigt sein, die Nichtauslieferung eines Ausländers zur Strafvollstreckung von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen, diese Voraussetzungen können aber nur darin bestehen, dass der Verfolgte ein bestimmtes Maß an Integration im Vollstreckungsstaat aufweisen muss, das die Resozialisierungschancen gerade im Vollstreckungsstaat erhöht.45 Die Regelung des § 83b Abs. 2 b) IRG enthält indes keine zuverlässigen Kriterien, die erkennen lassen, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung der EU-Bürger zulassen will, und die sichern könnten, dass keine überhöhten Anforderungen an das Maß der Integration gestellt werden.46 3. Zusammenfassende Würdigung Bei dem EuHbG 2006 hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, die vom BVerfG für verfassungswidrig erklärten Regelungen des EuHbG 2004 in einem Minimalumfang nachzubessern,47 wobei der Gesetzgeber schlicht die vom BVerfG in seinem Nichtigkeitsverdikt verwandten Formulierungen übernommen hat, anstatt klare, anwenderfreundliche Vorschriften zu schaffen. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die Neuregelungen nicht. Die Ausgestaltung des vom BVerfG geforderten Rechtsbehelfs gegen die Bewilligungsentscheidung in § 79 Abs. 2 S. 3 IRG verhilft nicht zu einem effektiven Rechtsschutz, denn die Entscheidung der Bewilligungsbehörde ist nur auf Ermessensfehler hin überprüfbar. Der weitreichende Verzicht auf das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit bürdet es dem EU-Bürger auf, alle nationalen Strafrechtsordnungen zu kennen, und zementiert einen höchsten gemeinsamen Kriminalisierungsstandard in der EU. Die Definitionen einer Tat mit maßgeblichem Auslandsbezug und einer solchen mit maßgeblichem Inlandsbezug sind so vage, dass sie keine zuverlässigen Abgrenzungskriterien bieten. Schließlich verstößt die unterschiedliche Ausgestaltung zusätzlicher Auslieferungsvoraussetzungen als Zulässigkeitsvoraussetzungen in § 80 IRG oder als bloße Bewilligungshindernisse in § 83b Abs. 2 IRG abhängig von der Staatsangehörigkeit des Verfolgten gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot.

45 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. 10. 2009 – C-123/08 (Wolzenburg), Rn. 66 ff., der betont, dass es legitim sei, eine tatsächliche Verbindung zwischen der gesuchten Person und der Gesellschaft zu verlangen, in die sie nach der dortigen Vollstreckung der Strafe reintegriert werden wolle. 46 Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Europarecht, § 42 Rn. 199. 47 Vgl. Kritik der BRAK in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf des EuHbG 2006, S. 6; abrufbar unter: http://www.brak.de/w/files/stellungnahmen/Stn30 – 2005.pdf.

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

II. Der Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung (RbEuBa) Ein weiterer Meilenstein in der Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ist der Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen vom 18. Februar 200848. Der RbEuBa ergänzt den Rahmenbeschluss über die Vollstreckung von Entscheidungen zur Sicherstellung von Vermögensgegenständen und Beweismitteln in der Europäischen Union49, der nur vorläufigen Sicherungszwecken dient, d. h. darauf abzielt, die Vernichtung, Veränderung, Verbringung, Übertragung oder Veräußerung von Beweismitteln zu verhindern. Die endgültige Sicherstellung des Beweismaterials und dessen abschließende Übermittlung von einem Mitgliedstaat in den anderen sollen nun mithilfe der Europäischen Beweisanordnung (EBA) vollzogen werden können. Das bisher in diesem Bereich einschlägige Rechtshilfeinstrumentarium, das in dem Ruf steht, langwierig und ineffizient zu sein, wird mit der strafverfolgerfreundlicheren Neuregelung verzichtbar. Die Frist zur Umsetzung des RbEuBa, die gem. Art. 23 Abs. 1 RbEuBa am 19. Januar 2011 auslief, hat Deutschland nicht eingehalten.50 Auf die Einzelheiten des RbEuBa, der wie der RbEuHb erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist, soll im Folgenden näher eingegangen werden. 1. Der Anwendungsbereich Gem. Art. 4 Abs. 1 RbEuBa kann die EBA nur zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken oder Daten erlassen werden. Vom Anwendungsbereich ausdrücklich ausgeschlossen sind Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen, körperliche Untersuchungen, einschließlich der Entnahme von DNA-Proben und der Abnahme von Fingerabdrücken, Überwachungen in Echtzeit, etwa von Telefonanschlüssen oder Bankkontobewegungen, sowie Ersuchen, die sich auf die Erlangung von auf Vorrat gespeicherten Kommunikationsdaten richten (vgl. Art. 4 Abs. 2 RbEuBa). Wurde eine der vorgenannten Ermittlungsmaßnahmen indes losgelöst von einer EBA durchgeführt und entsprechendes Beweismaterial gewonnen, kann dieses – etwa im 48 Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, ABl. Nr. L 350 vom 30. 12. 2008, S. 72 ff. 49 Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. Nr. L 196 vom 2. 8. 2003, S. 45 ff. 50 Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage zum Thema Europäische Beweisanordnung formuliert, dass sie zunächst die weiteren Entwicklungen im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung auf europäischer Ebene, die auf eine Ersetzung des RbEuBa abzielen, abwarten will, bevor sie einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung des RbEuBa vorlegt, vgl. BT-Drs. 17/1543, S. 2. Zu den weiteren Entwicklungen siehe Siebtes Kapitel, A. III. 3.

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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Falle eines Vernehmungsprotokolls als „Schriftstück“ i.S.d. Art. 4 Abs. 1 RbEuBa – vermöge einer EBA beschlagnahmt werden. Damit ist es zwar nicht möglich, mittels der EBA die vorgenannten Beweismittel erst noch zu generieren, existieren diese Beweismittel aber bereits, kann über die EBA auf sie zugegriffen werden. Gem. Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 5b) RbEuBa kann die EBA nicht nur in Strafverfahren, sondern auch in Verwaltungsverfahren erlassen werden, bei denen die Rechtsmittelinstanz ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht ist. Damit erfasst die EBA auch das deutsche Bußgeldverfahren51 und eröffnet so eine „neue Dimension europäischer Rechtshilfe“52. 2. Verfahren und Form Bei der EBA handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die von der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates, der sog. Anordnungsbehörde, nach dem Recht des Anordnungsstaates erlassen wird. Problematisch ist, dass gemäß der Legaldefinition des Art. 2 c) RbEuBa Anordnungsbehörde nicht nur ein Gericht, sondern je nach Recht des Anordnungsstaates auch ein Staatsanwalt sein kann. Dementsprechend könnte in Deutschland eine Durchsuchung auf der Grundlage einer EBA durchgeführt werden müssen, die im Anordnungsstaat von einem Staatsanwalt erlassen wurde.53 Dies stellte eine klare Umgehung des deutschen Richtervorbehalts dar und wäre mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.54 Zur Ausstellung der EBA hat sich die Anordnungsbehörde eines in der Anlage des RbEuBa wiedergegebenen einheitlichen EBA-Formblattes zu bedienen. Gem. Art. 6 RbEuBa wird dieses Formular von der Anordnungsbehörde ausgefüllt und unterzeichnet; zudem muss die Anordnungsbehörde die inhaltliche Richtigkeit der EBA bestätigen. Die materiellen Voraussetzungen des Erlasses einer EBA, die sich nach dem Recht des Anordnungsstaates richten, erfahren in Art. 7 RbEuBa eine Ergänzung. Gem. Art. 7 S. 1a) RbEuBa muss der Erlass einer EBA stets verhältnismäßig sein. Überdies darf eine EBA nur erlassen werden, wenn das Beweismittel bei fiktiver Verfügbarkeit im Hoheitsgebiet des Anordnungsstaates in einem vergleichbaren Fall nach dessen Recht erlangt werden könnte, auch wenn gegebenenfalls andere prozessuale Maßnahmen Anwendung fänden (vgl. Art. 7 S. 1b) RbEuBa).

51 Für das in Bußgeldverfahren einschlägige Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gelten gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG die Vorschriften der StPO und des GVG über die Revision entsprechend. 52 Ahlbrecht, NStZ 2006, 70, 71. 53 Art. 11 Abs. 5 RbEuBa räumt zwar jedem Mitgliedstaat die Möglichkeit ein, zum Zeitpunkt der Annahme des RbEuBa oder auch später eine Erklärung abzugeben, wonach die Vollstreckung staatsanwaltschaftlich erlassener EBA in seinem Hoheitsgebiet unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Bestätigung im Anordnungsstaat stehen soll. Auf eine solche Erklärung hat Deutschland bei der Annahme des RbEuBa aber verzichtet. 54 Ebenso Gazeas, ZRP 2005, 18, 21; Ahlbrecht, NStZ 2006, 70, 72.

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

Die Voraussetzungen des Erlasses einer EBA werden nur von der Anordnungsbehörde geprüft; der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaates, der sog. Vollstreckungsbehörde, bleibt eine solche Prüfung verwehrt. Gem. Art. 11 RbEuBa erkennt die Vollstreckungsbehörde die EBA ohne weitere Formalitäten an und trifft unverzüglich alle erforderlichen Vollstreckungsmaßnahmen, es sei denn, die Vollstreckungsbehörde beschließt, einen Versagungsgrund i.S.d. Art. 13 RbEuBa oder einen Aufschubgrund i.S.d. Art. 16 RbEuBa geltend zu machen. Dabei erfolgt jede Anwendung von Maßnahmen, die aufgrund der EBA notwendig sind, nach den geltenden Verfahrensvorschriften des Vollstreckungsstaates (vgl. Art. 11 Abs. 2 S. 2 RbEuBa). Allerdings ist die Vollstreckungsbehörde gem. Art. 12 S. 1 RbEuBa gehalten, die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren einzuhalten, sofern in dem RbEuBa nichts anderes bestimmt ist und diese Formvorschriften und Verfahren nicht wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaates entgegenstehen. Bei den von der Vollstreckungsbehörde zu prüfenden Versagungsgründen des Art. 13 RbEuBa handelt es sich um fakultative Versagungsgründe. Dass der Vollstreckungsbehörde bezüglich der Geltendmachung der Versagungsgründe ein Ermessensspielraum eingeräumt wird, erscheint insbesondere im Hinblick auf den Versagungsgrund des Art. 13 Abs. 1a) RbEuBa, nämlich einen durch die Vollstreckung drohenden Verstoß gegen den ne-bis-in-idem-Grundsatz, bedenklich. Demnach könnte sich ein in einem Mitgliedstaat wegen einer bestimmten Tat rechtskräftig abgeurteilter bzw. freigesprochener EU-Bürger Zwangsmaßnahmen ausgesetzt sehen, die der Verfolgung derselben Tat in einem anderen Mitgliedstaat dienen. Damit stellt die Regelung einen eindeutigen Verstoß gegen das in Art. 50 Charta der Grundrechte der EU niedergelegte ausnahmslose Doppelverfolgungsverbot dar. Weiterhin kann ein Versagungsgrund ausnahmsweise in der fehlenden beiderseitigen Strafbarkeit bestehen (vgl. Art. 13 Abs. 1b) RbEuBa). Allerdings bedient sich der RbEuBa des gleichen uferlosen Deliktskataloges wie schon der RbEuHb und ordnet für das Vorliegen einer Katalogtat, die im Anordnungsstaat mit einer freiheitsentziehenden Sanktion im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist, in Art. 14 Abs. 2 RbEuBa an, dass „unter keinen Umständen das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit nachgeprüft werden [darf]“.55 Es stellt sich also heraus, dass das Konstruktionsprinzip des Deliktskataloges, unter den verfolgungseifrige Staatsanwaltschaften nahezu jede Handlung zu subsumieren in der Lage sind, offenbar als beliebig einsetzbares trojanisches Pferd im europäischen Rahmengesetzgebungsverfahren herhält.56

55

Besteht die Vollstreckungsmaßnahme nicht in einer Durchsuchung oder Beschlagnahme, entfällt das Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit sogar unabhängig von der zugrundeliegenden Tat, vgl. Art. 14 Abs. 1 RbEuBa. 56 Ahlbrecht, NStZ 2006, 70, 72.

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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Die von der Vollstreckungsbehörde zu prüfenden Aufschubgründe sind in Art. 16 RbEuBa niedergelegt und werden unterschieden in Aufschubgründe, die die Anerkennung der EBA betreffen (Art. 16 Abs. 1 RbEuBa), und solche, die sich auf die Vollstreckung der EBA beziehen (Art. 16 Abs. 2 RbEuBa). Wie bei den Versagungsgründen wird der Vollstreckungsbehörde auch bei den Aufschubgründen ein Ermessensspielraum eingeräumt. Die Anerkennung einer EBA kann etwa aufgeschoben werden, wenn das EBA-Formblatt nicht vollständig oder offensichtlich unrichtig ausgefüllt wurde (vgl. Art. 16 Abs. 1a) RbEuBa). Ein Grund, die Vollstreckung aufzuschieben, kann z. B. darin bestehen, dass die Vollstreckung eine laufende strafrechtliche Ermittlung oder Verfolgung beeinträchtigen könnte (vgl. Art. 16 Abs. 2a) RbEuBa). 3. Die Verwendung personenbezogener Daten Art. 10 RbEuBa regelt die Verwendung der aufgrund einer EBA übermittelten personenbezogenen Daten durch den Anordnungsstaat. Bedenklich ist, dass die Verwendungszwecke vielfältig sind. So können die erlangten Daten nicht nur für Verfahren, für die eine EBA erlassen werden kann, sondern auch für sonstige justizielle und verwaltungsbehördliche Verfahren, die mit einem EBA-fähigen Verfahren unmittelbar zusammenhängen, oder zur Gefahrenabwehr verwandt werden (vgl. Art. 10 Abs. 1 S. 1 RbEuBa). Dabei ist es dem Vollstreckungsstaat verwehrt, die Verwendung der durch ihn übermittelten Daten im Anordnungsstaat in irgendeiner Form einzuschränken.57 Er kann den Anordnungsstaat lediglich ersuchen, über die Verwendung der Daten Auskunft zu erteilen (vgl. Art. 10 Abs. 2 RbEuBa). Mit der Normierung der mannigfaltigen Zwecke, für die personenbezogene Daten verwandt werden dürfen, weitet der europäische Gesetzgeber den Anwendungsbereich der EBA sozusagen durch die Hintertür massiv aus. Die dem repressiven Strafverfahrensrecht unterfallende EBA kann nun insbesondere auch Früchte für das präventive Polizeirecht tragen. Dabei ist es dem Vollstreckungsstaat als Informationsmittler untersagt, zu überprüfen, ob ein für alle repressiven Ermittlungsmaßnahmen mindestens erforderlicher Anfangsverdacht im Ausgangsverfahren überhaupt vorgelegen hat. Für den Betroffenen ist es schließlich in keiner Weise absehbar, für welche Verfahren bzw. für welche polizeirechtlich-präventiven Aktivitäten seine Daten im Ausland genutzt werden. 4. Rechtsbehelf Gem. Art. 18 Abs. 1 S. 1 RbEuBa treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit alle betroffenen Parteien, einschließlich gutgläubiger Dritter, 57 Auf eine Zustimmung des Vollstreckungsstaates bzw. des Betroffenen kommt es nur an, wenn der Anordnungsstaat die Daten noch über die weitreichenden Zwecke des Art. 10 Abs. 1 S. 1 RbEuBa hinaus nutzen möchte, vgl. Art. 10 Abs. 1 S. 2 RbEuBa.

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

gegen die Anerkennung und Vollstreckung einen Rechtsbehelf einlegen können, um ihre berechtigten Interessen zu wahren. Dem Erfordernis effektiven Rechtschutzes i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG werden die Detailregelungen des Rechtsbehelfes in Art. 18 Abs. 2 und 6 RbEuBa allerdings nicht gerecht. Statt eine übergeordnete Kontrollinstanz zu benennen, die umfassend angerufen werden kann, verweist Art. 18 RbEuBa allein auf die nationalen Rechtswege. Dabei wird ein effektiver Rechtsschutz zunächst dadurch konterkariert, dass die sachlichen Gründe für den Erlass der EBA nicht vor einem Gericht des Vollstreckungsstaates, sondern nur vor einem Gericht des Anordnungsstaates und damit einem ausländischen Gericht angefochten werden können (vgl. Art. 18 Abs. 2 S. 1 RbEuBa).58 Dem Beschuldigten bleibt also eine effektive Kontrolle der Maßnahme im Vollstreckungsstaat verwehrt und er ist auf eine wirksame Überprüfung der Maßnahme im Anordnungsstaat angewiesen.59 Eine solche wird für ihn aber kaum zu erreichen sein, d. h. er wird sich regelmäßig zur Erduldung der Maßnahme gezwungen sehen, da neben dem mangelnden Verständnis der zumeist fremden Rechtsordnung vor allem Sprachschwierigkeiten eine effektive Geltendmachung von Schutzrechten und mitunter gar den Zugang zu einem Rechtsbeistand im Anordnungsstaat erschweren oder gar unmöglich machen dürften.60 Maßnahmen der gegenseitigen Anerkennung, wie der RbEuBa, erleichtern also den grenzüberschreitenden Zugriff auf grundrechtsrelevante Positionen, ohne gleichzeitig die Schutzrechte des Betroffenen entsprechend zu stärken.61 Hinzu kommt, dass der Vollstreckungsstaat nicht dazu verpflichtet ist, die Übermittlung der Sachen, Schriftstücke und Daten auszusetzen, solange über den Rechtsbehelf noch nicht entschieden ist. Die Entscheidung über die Aussetzung der Übermittlung steht vielmehr in seinem Ermessen (vgl. Art. 18 Abs. 6 RbEuBa). Durch den Transfer von Beweismitteln in den Anordnungsstaat werden jedoch Fakten geschaffen, die nach aller Erfahrung auch dann, wenn sich herausstellt, dass die Beweisgewinnung rechtswidrig war, das Verfahrensergebnis präjudizieren.62

58 Lediglich gegen die Anerkennung und Vollstreckung der EBA ist der Rechtsbehelf vor einem Gericht des Vollstreckungsstaates nach den Rechtsvorschriften dieses Staates einzulegen, vgl. Art. 18 Abs. 1 S. 1, 3 RbEuBa. 59 Kritisch hierzu auch Gleß, StV 2004, 679, 682. 60 Stellungnahme der BRAK zur Initiative für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, S. 5; abrufbar unter: http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2011/ja nuar/stellungnahme-der-brak-2011 – 10.pdf. 61 Stellungnahme der BRAK zur Initiative für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, S. 5. 62 Stellungnahme der BRAK zum Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften „Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat“, S. 13; abrufbar unter: http://www.brak.de/w/files/stellungnahmen/Stn2 – 2010.pdf.

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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5. Zusammenfassende Würdigung Wie schon der RbEuHb ist auch der RbEuBa kein Ruhmesblatt der europäischen Rahmengesetzgebung. Zugunsten einer gesteigerten Effizienz und Schnelligkeit der Beweismittelerhebung opfert er die erforderliche richterliche Präventivkontrolle besonders grundrechtssensibler Ermittlungsmaßnahmen wie der Durchsuchung, die nur durch die Normierung eines Richtervorbehalts sichergestellt werden kann. Die von Art. 18 RbEuBa eingeräumte Möglichkeit einer nachträglichen richterlichen Überprüfung genügt nicht dem Erfordernis effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. Darüber hinaus wartet auch der RbEuBa mit einem uferlosen Deliktskatalog auf, der mit der Auflistung gänzlich unbestimmter Verhaltensweisen wie Sabotage, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geradezu die „Karikatur einer rechtsstaatlichen Regelung“63 darstellt. Schließlich ist die Verwendung der mittels einer EBA erlangten personenbezogenen Daten – für den Betroffenen unabsehbar – zu vielfältigen Zwecken möglich. Eines wird ganz offensichtlich: Der RbEuBa zeigt Schlagseite zugunsten der Strafverfolgungsinteressen. Die Etablierung und Durchsetzung von Beschuldigtenrechten stehen hierhinter zurück. Nicht zuletzt wird dies auch durch den Umstand deutlich, dass dem Beschuldigten und seinem Verteidiger die Möglichkeit verwehrt bleibt, wie die Verfolgungsbehörde den Erlass einer EBA beantragen zu können.64

III. Die weitere Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung seit dem Vertrag von Lissabon – Auf dem Weg zu einer Europäischen Ermittlungsanordnung Mit dem Vertrag von Lissabon ist eine neue Ära der Europäisierung eingeleitet worden. Auf seinen Regelungsgehalt sowie auf die weitere Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im Beweishilferecht soll im Folgenden näher eingegangen werden. Dabei ist auch zu untersuchen, ob parallel zur Effektuierung von Strafverfolgungsinteressen durch die fortschreitende Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung eine Stärkung der Rechte des von grenzüberschreitender Strafverfolgung Betroffenen erzielt werden konnte.

63

Gazeas, ZRP 2005, 18, 21. Ein entsprechendes Antragsrecht fordert u. a. die BRAK in ihrer Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften „Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat“, S. 4. 64

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

1. Der Vertrag von Lissabon Der Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, in Kraft getreten am 1. Dezember 2009, ist ein Meilenstein in der Geschichte der EU. Er reformiert den Vertrag über die EU (EUV) und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV); Letzterer trägt nun den Namen „Vertrag über die Arbeitsweise der EU“ (AEUV). Gem. Art. 1 Abs. 3 S. 2, Art. 6 Abs. 1 EUV sind der EUV, der AEUV sowie die Charta der Grundrechte rechtlich gleichrangig. Die EU, die nun eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt (vgl. Art. 47 EUV), tritt der EMRK bei (vgl. Art. 6 Abs. 2 EUV); gem. Art. 6 Abs. 3 EUV sind die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. Damit zeichnet sich der neue EUV dadurch aus, dass er die EU weit über das bisherige Maß hinaus auf die Einhaltung von Grundrechten verpflichtet.65 Weiterhin wird durch den Vertrag von Lissabon das sog. Drei-Säulen-Modell aufgelöst, wonach die EU auf drei Säulen gründet, von denen die erste die Europäischen Gemeinschaften66, die zweite die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die dritte die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) umfasst. Die PJZS wird in den Anwendungsbereich des AEUV überführt, der in seinem Titel V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, Art. 67 ff. AEUV) den gesamten Bereich Justiz und Inneres regelt. Bestimmungen zu der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen finden sich im dortigen Kapitel 4 (Art. 82 ff. AEUV). Ferner hat der Vertrag von Lissabon zu einem erheblichen Kompetenzzuwachs der EU im Bereich der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen geführt.67 So können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegen, soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist (Art. 82 Abs. 2 S. 1 AEUV).68 65

Mansdörfer, HRRS 2010, 11, 14. Hierzu gehörten die Europäische Gemeinschaft (EG), die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) sowie bis 2002 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). 67 Auch im Bereich der Polizeilichen Zusammenarbeit ist es zu einem erheblichen Kompetenzzuwachs gekommen. So soll die Tätigkeit des Europäischen Polizeiamtes (Europol) nicht mehr auf das Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen beschränkt sein. Europol kann nunmehr die Aufgabe übertragen werden, gemeinsam mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen auch Ermittlungen und operative Maßnahmen zu koordinieren, organisieren und durchzuführen (Art. 88 Abs. 2 S. 2b) AEUV); vgl. auch Art. 6 f. des Beschlusses 2009/371/JI des Rates vom 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamtes (Europol), ABl. Nr. L 121 vom 15. 5. 2009, S. 37 ff. 68 Bei den Mindestvorschriften werden die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten berücksichtigt, Art. 82 Abs. 2 S. 2 AEUV. 66

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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Diese Mindestvorschriften betreffen gem. Art. 82 Abs. 2 S. 3 AEUV die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten, die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren, die Rechte der Opfer von Straftaten sowie sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens, die zuvor im Rat durch Beschluss bestimmt worden sind.69 Überdies können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festlegen, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben (Art. 83 Abs. 1 S. 1 AEUV). Derartige Kriminalitätsbereiche reichen von Terrorismus, Menschenhandel, sexueller Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegalem Drogenhandel, illegalem Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln und Computerkriminalität bis hin zu organisierter Kriminalität (vgl. Art. 83 Abs. 1 S. 2 AEUV), wobei die Aufzählung nicht abschließend ist. Vielmehr kann der Rat je nach Entwicklung der Kriminalität durch einstimmigen Beschluss und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments weitere Kriminalitätsbereiche bestimmen (vgl. Art. 83 Abs. 1 S. 3, 4 AEUV). Über die vorgenannte Kompetenz zur Rechtsangleichung hinaus wird der EU eine weite Annexkompetenz eingeräumt, durch Richtlinien Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen auf Gebieten festzulegen, auf denen Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, sofern sich die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der EU auf diesen Gebieten erweist (Art. 83 Abs. 2 S. 1 AEUV). Als Ausgleich für den Kompetenzzuwachs ist die Ausübung einzelner Zuständigkeiten der EU mit einem sog. Notbremse-Mechanismus verknüpft. Danach kann jedes Mitglied des Rates für den Fall, dass der Entwurf einer Richtlinie grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berührt, beantragen, dass der Europäische Rat mit der Sache befasst wird (vgl. Art. 82 Abs. 3 S. 1, Art. 83 Abs. 3 S. 1 AEUV). Endgültig aufhalten kann das Mitglied das Gesetzgebungsverfahren jedoch nicht, denn auch ohne sein Einvernehmen kann eine Verstärkte Zusammenarbeit i.S.d. Art. 20 Abs. 2 EUV auf der Grundlage des betreffenden Richtlinienentwurfs begründet werden, sofern mindestens neun Mitgliedstaaten dies wünschen (vgl. Art. 82 Abs. 3 S. 4, Art. 83 Abs. 3 S. 4 AEUV).70 69

Gem. Art. 82 Abs. 2 S. 4 AEUV hindert der Erlass von Mindestvorschriften die Mitgliedstaaten nicht daran, ein höheres Schutzniveau für den Einzelnen beizubehalten oder einzuführen. 70 Allerdings sind an die im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit erlassenen Rechtsakte nur die an dieser Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten gebunden (Art. 20 Abs. 4 S. 1 EUV).

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

Das BVerfG hat in seinem Lissabon-Urteil71 bereits angemahnt, mit den durch den Vertrag von Lissabon neu begründeten Kompetenzen der EU im Bereich der Strafrechtspflege behutsam umzugehen. Wegen der besonders empfindlichen Berührung der demokratischen Selbstbestimmung durch Straf- und Strafverfahrensnormen seien die vertraglichen Kompetenzgrundlagen für solche Schritte strikt – keinesfalls extensiv – auszulegen und ihre Nutzung bedürfe besonderer Rechtfertigung. Das Strafrecht in seinem Kernbestand diene nicht der Effektuierung einer internationalen Zusammenarbeit, sondern stehe für die besonders sensible demokratische Entscheidung über das rechtsethische Minimum. Dies erkenne der Vertrag von Lissabon ausdrücklich an, wenn er die neu begründeten Kompetenzen der Strafrechtspflege mit einer sog. Notbremse versieht.72 Gleichzeitig mit dem Kompetenzzuwachs der EU im Bereich des Strafrechts werden durch den Vertrag von Lissabon auch die Zuständigkeiten des EuGH entsprechend erweitert. Bestand eine Zuständigkeit des EuGH für Maßnahmen innerhalb der vormals Dritten Säule bis dahin lediglich sehr eingeschränkt – namentlich entschied der EuGH nur auf Vorlage nationaler Gerichte im Zuge von Vorabentscheidungsverfahren über die Auslegung etwa der Bestimmungen eines Rahmenbeschlusses und dabei mitunter auch über die Geltung Europäischer Individualrechte –, können nunmehr Einzelne den EuGH direkt im Wege der Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) zwecks Durchsetzung ihrer Individualrechte aus Art. 6 EUV anrufen. Gem. Art. 263 Abs. 1 S. 1 AEUV überwacht der EuGH die Rechtmäßigkeit der Gesetzgebungsakte sowie der Handlungen des Rates, der Kommission und der Europäischen Zentralbank, soweit es sich nicht um Empfehlungen oder Stellungnahmen handelt, und der Handlungen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates mit Rechtswirkungen gegenüber Dritten. Er überwacht ebenfalls die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der EU mit Rechtswirkungen gegenüber Dritten (vgl. Art. 263 Abs. 1 S. 2 AEUV). Klagebefugt sind zunächst die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission, wobei der Klagegrund in einer gerügten Unzuständigkeit, der Verletzung wesentlicher Formvorschriften, der Verletzung der Verträge oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder in einem Ermessensmissbrauch bestehen kann (vgl. Art. 263 Abs. 2 AEUV). Gem. Art. 263 Abs. 4 AEUV kann nun auch jede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen der Absätze 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben. Diese Zuständigkeitserweiterung ist begrüßenswert, lässt aber erhebliche Rechtsschutzdefizite bestehen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH stellen Handlungen mit Rechtswirkungen gegenüber Dritten, wie sie eine Nichtigkeitsklage 71 72

BVerfG NJW 2009, 2267. BVerfG NJW 2009, 2267, 2288.

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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voraussetzt, nämlich allein solche Maßnahmen dar, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, welche geeignet sind, die Interessen des Betroffenen zu beeinträchtigen, indem sie seine Rechtsstellung in qualifizierter Weise ändern.73 Damit fallen aus der Zuständigkeit des EuGH alle Handlungen heraus, die, wie der ganz überwiegende Teil der im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit relevanten Handlungen – so etwa die Datenverarbeitung und der allgemeine Informationsaustausch über Europäische Behörden wie das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) oder die zentrale Europäische Stelle für justizielle Zusammenarbeit (Eurojust) –, keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten. Angesichts der Tatsache, dass ein effektiver Individualrechtsschutz stets die Gewähr einer effektiven gerichtlichen Durchsetzbarkeit von Individualrechten voraussetzt, ist diese Einschränkung bedauernswert.74 2. Das Stockholmer Programm Im Dezember 2009 hat der Europäische Rat das Stockholmer Programm75 beschlossen und damit eine Agenda für künftige Maßnahmen der EU auch im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen aufgestellt. Das Mehrjahresprogramm für den Zeitraum 2010 bis 2014 baut auf dem Tampere Programm76 (1999) und dem Haager Programm (2004)77 auf und hat die weitere Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zum Gegenstand (Punkt 3.1). Diese soll insbesondere durch die Schaffung eines umfassenden Systems für die Beweiserhebung in Fällen mit grenzüberschreitenden Bezügen vollzogen werden, welches sämtliche bestehenden Rechtsinstrumente in diesem Bereich, u. a. auch den RbEuBa, ersetzt (vgl. Punkt 3.1.1).78 Weiterhin sollen Maßnahmen zur Festigung des gegenseitigen Vertrauens ergriffen werden, um aus den Entwicklungen, die aus der Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung resultieren, vollen Nutzen ziehen zu können (vgl. Punkt 3.2 „Stärkung des gegenseitigen Vertrauens“). Zu diesen Maßnahmen zählen etwa solche zur Verstärkung der Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Justizbediensteten, die Entwicklung von Netzen zwischen ranghohen Beamten der Mitgliedstaaten in den Bereichen Justiz und Inneres, Maßnahmen zur Verbesserung der Evaluierungsmechanismen, Maßnahmen 73

EuGH, Urteil vom 4. 10. 2006 – Rs. T-193/04 (Tillack), Rn. 67 m.w.N. Vgl. ausführlich Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Europarecht, § 42 Rn. 62 ff., 72 ff. 75 Ratsdok. 17024/09; siehe auch Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms vom 20. 4. 2010, KOM (2010) 171 endg. 76 Die Schlussfolgerungen sind abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/summits/ tam_de.htm. 77 Ratsdok. 8922/05. 78 Vgl. das Grünbuch zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat vom 11. 11. 2009, KOM (2009) 624 endg., auf das unter Siebtes Kapitel, A. III. 3. näher eingegangen wird. 74

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

zur Verbesserung der operativen Fähigkeiten von Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Justizbediensteten sowie zur Verbesserung der ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente, die Umsetzung der bereits gefassten Beschlüsse, die Förderung des Austausches bewährter Praktiken, die Unterstützung der Umsetzung der vom Europarat gebilligten Empfehlung zu den europäischen Strafvollzugsvorschriften und Pilotprojekte im Strafvollzug. Darüber hinaus enthält das Stockholmer Programm die Forderung nach der „Schaffung eines Sockels an gemeinsamen Mindestvorschriften“ (Punkt 3.3). Es sei notwendig, die Rechtsvorschriften bis zu einem gewissen Grad einander anzugleichen, damit ein gemeinsames Verständnis der Thematik unter Richtern und Staatsanwälten gefördert und somit unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Unterschiede zwischen den jeweiligen Rechtstraditionen und -ordnungen eine ordnungsgemäße Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung ermöglicht werde. Für kriminelles Verhalten im Bereich besonders schwerer Straftaten mit grenzüberschreitender Dimension i.S.d. Art. 83 Abs. 1 AEUV sollen gemeinsame Straftatbestände und ein gemeinsamer Mindestrahmen für die angedrohte Höchststrafe festgelegt werden. Vorrangig zu berücksichtigen seien hierbei Terrorismus, Menschenhandel, illegaler Drogenhandel, sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern sowie Kinderpornographie und Computerkriminalität.79 Schließlich werden mit dem Stockholmer Programm auch die Beschuldigtenrechte in den Blick genommen (Punkt 2.4). Bei dem Schutz der Rechte von Verdächtigen oder Beschuldigten im Rahmen von Strafverfahren handele es sich um einen Grundwert der EU, der für die Aufrechterhaltung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten und des Vertrauens der Allgemeinheit in die EU von wesentlicher Bedeutung sei. Der Europäische Rat ersucht daher die Kommission, die in dem Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten im Rahmen von Strafverfahren80 vorgesehenen Vorschläge vorzulegen, damit der Fahrplan entsprechend den darin festgesetzten Bedingungen rasch umgesetzt werden kann. Zudem seien weitere Elemente von Mindestverfahrensrechten in Bezug auf Beschuldigte und Verdächtige zu prüfen und es sei zu bewerten, ob andere Themen, beispielsweise die Unschuldsvermutung, angegangen werden müssen, damit eine bessere Zusammenarbeit auf diesem Gebiet gefördert wird.81 79 Vgl. Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates, ABl. Nr. L 101 vom 15. 4. 2011, S. 1 ff.; Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornographie sowie der Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/ 68/JI des Rates, ABl. Nr. L 335 vom 17. 12. 2011, S. 1 ff. 80 Entschließung des Rates vom 30. November 2009 über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren, ABl. Nr. C 295 vom 4. 12. 2009, S. 1 ff. 81 Vgl. schon das Grünbuch der Kommission zu Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union vom 19. 2. 2003, KOM (2003) 75 endg.

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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Auffallend ist, dass sich das Stockholmer Programm im Hinblick auf Maßnahmen zur weiteren Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung bzw. zur Festigung des gegenseitigen Vertrauens wesentlich konkreter und ausführlicher verhält als zu dem gerade einmal vier Sätze umfassenden Kapitel „Die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren“ (Punkt 2.4). Dieses Ungleichgewicht spiegelt die bisherige Entwicklung der Rechtsetzung in den unterschiedlichen Bereichen. Während die in den letzten Jahren im EU-Rahmen geführten Beratungen über einen Katalog gemeinsamer Mindestverfahrensgarantien keine konkreten Ergebnisse erbracht haben – die Vorschläge über einen Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren82 scheiterten sämtlich –83, wurden im Bereich der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit erhebliche Fortschritte in Bezug auf Maßnahmen erzielt, die die Strafverfolgung erleichtern.84 Es bleibt abzuwarten, ob die Stärkung der Rechte des Beschuldigten zukünftig mit der gleichen Verve verfolgt wird wie die Effektuierung von Strafverfolgungsinteressen oder ob es sich bei den betreffenden Ausführungen im Stockholmer Programm nur um ein Lippenbekenntnis handelt. 3. Vom Grünbuch zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat zum Entwurf für eine Richtlinie über eine Europäische Ermittlungsanordnung Im November 2009 veröffentlichte die Europäische Kommission ein Grünbuch zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat85, das die Ersetzung der bestehenden Vorschriften über die Rechtshilfe in Strafsachen und über die EBA durch eine einzige, alle Beweisarten umfassende Regelung auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung zum Gegenstand hat. Der Umstand, dass die grenzübergreifende Beweiserhebung in Strafsachen in der EU bislang in einer Reihe paralleler Rechtsinstrumente geregelt ist, die entweder auf den Grundsatz der Rechtshilfe oder auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gestützt sind, erschwerte nach Ansicht der Kommission die Anwendung der Vorschriften und könnte den Rechtsanwender verunsichern. Zudem stünden die auf dem Grundsatz der Rechtshilfe beruhenden Rechtsinstrumente in dem Ruf, lang82

Ratsdok. 16874/06 und Ratsdok. 10267/07. Eine Verständigung konnte bislang nur in Einzelbereichen erzielt werden, vgl. Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, ABl. Nr. L 280 vom 26. 10. 2011, S. 1 ff. 84 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 10 der Entschließung des Rates vom 30. November 2009 über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren, ABl. Nr. C 295 vom 4. 12. 2009, S. 2. 85 Grünbuch zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat vom 11. 11. 2009, KOM (2009) 624 endg. 83

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

wierig und ineffizient zu sein. Die – wie die EBA – auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gestützten Rechtsinstrumente seien ebenfalls nicht zufriedenstellend, da sie nur für bestimmte Beweisarten gelten und zahlreiche Ablehnungsgründe enthielten. Diese Schwierigkeiten ließen sich nach Ansicht der Kommission am besten dadurch lösen, dass die bestehenden Vorschriften durch eine neue, alle Beweisarten umfassende Regelung ersetzt werden. Diese Regelung solle dann insbesondere auch gemeinsame Normen für die Beweiserhebung festlegen, um so sicherzustellen, dass die in einem Mitgliedstaat erhobenen Beweise in einem anderen Mitgliedstaat verwertbar sind.86 Ohne die Ergebnisse der Konsultation abzuwarten, die die Kommission durch das Grünbuch eingeleitet hatte, legten sieben Mitgliedstaaten87 im April 2010 einen eigenen Entwurf für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RiEEA-E)88 vor. Die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) soll für nahezu sämtliche Ermittlungsmaßnahmen gelten und alle bisherigen Rechtsinstrumente, die die grenzübergreifende Beweiserhebung in der EU regeln, einschließlich des RbEuBa ersetzen.89 Dabei muss der Vollstreckungsstaat die EEA nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung grundsätzlich vollstrecken, d. h. er darf nur unter sehr engen Voraussetzungen hiervon absehen. Auf die einzelnen Regelungen des RiEEA-E soll im Folgenden näher eingegangen werden. In seinem ersten Teil (Kapitel I bis III) enthält der Entwurf allgemeine Vorschriften für die Erlangung von Beweismitteln und trifft in einem zweiten Teil (Kapitel IV) für einige wenige Ermittlungsmaßnahmen, namentlich die zeitweilige Überstellung inhaftierter Personen, die Vernehmung per Videokonferenz oder per Telefonkonferenz, die Erlangung von Auskünften über Bankgeschäfte sowie deren Überwachung, kontrollierte Lieferungen von Betäubungsmitteln sowie Ermittlungsmaßnahmen zur Erhebung von Beweismitteln in Echtzeit, spezifische Bestimmungen.90 Gem. Art. 2 a) i) RiEEA-E kann nicht nur ein Gericht, sondern wie schon bei der EBA auch ein Staatsanwalt als Anordnungsbehörde fungieren. In diesem Zusammenhang wird auf die bereits zur EBA vorgetragenen Einwände verwiesen.91 Auch hinsichtlich der Verfahrensarten, für die eine EEA erlassen werden kann, trifft der 86 Vgl. Grünbuch zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat vom 11. 11. 2009, KOM (2009) 624 endg., S. 6. 87 Hierzu zählen Belgien, Bulgarien, Estland, Spanien, Österreich, Slowenien und Schweden. 88 Ratsdok. 9145/10. 89 Vom Geltungsbereich der EEA ausgenommen sind lediglich die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und die Erhebung von Beweismitteln innerhalb dieser sowie die Telekommunikationsüberwachung nach bestimmten Vorschriften, vgl. Art. 3 Abs. 2 RiEEA-E. 90 Ein dritter Teil (Kapitel V) enthält Schlussbestimmungen. 91 Vgl. Siebtes Kapitel, A. II. 1.

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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Entwurf ähnliche Regelungen wie der RbEuBa, d. h. die EEA kann ebenfalls in deutschen Bußgeldverfahren zur Anwendung kommen (vgl. Art. 4 RiEEA-E). Bedenklich erscheint, dass der Entwurf trotz des umfassenden Charakters der EEA in seinen allgemeinen Vorschriften gänzlich auf den Vorbehalt der beiderseitigen Strafbarkeit verzichtet.92 Angesichts der Tatsache, dass der Erlass einer EEA nicht nur beim Verdacht einer erheblichen Straftat, sondern auch im Bagatellbereich zulässig ist, sowie vor dem Hintergrund der in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlichen Strafrechtssysteme wäre ein solcher, wenn auch eingeschränkter Vorbehalt, zwingend erforderlich.93 Überdies sind die der Vollstreckungsbehörde in Art. 10 RiEEA-E eingeräumten Gründe, die Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA zu versagen, unzureichend. Einen allgemeinen Versagungsgrund, wonach die Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA versagt werden kann, wenn die Maßnahme in einem vergleichbaren nationalen Fall unzulässig wäre, räumt der Entwurf nur für bestimmte Verfahren, die von einer Verwaltungs- oder Justizbehörde eingeleitet wurden, nicht jedoch für Strafverfahren ein. Damit beschwört der Entwurf die Gefahr herauf, dass nationale Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote sowie nationale Verfahrensbestimmungen unterlaufen werden, wodurch ein faires Strafverfahren vereitelt würde.94 Weiterhin sieht der Entwurf vor, dass Sachgründe für den Erlass der EEA nur durch eine Klage vor dem Gericht des Anordnungsstaates angefochten werden können (vgl. Art. 13 S. 2 RiEEA-E). Mit dieser Einschränkung wird die Regelung dem Erfordernis effektiven Rechtschutzes i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG aus den schon im Zusammenhang mit der EBA genannten Gründen95 nicht gerecht. Gemeinsame Normen für die Beweiserhebung, die von der Kommission im Grünbuch als beste Lösung zur Sicherstellung der Verwertbarkeit von erlangten Beweisen befunden wurden96, sieht der RiEEA-E nicht vor. Da aber die Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsregeln in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind, kann die mit dem RiEEA-E vorgeschlagene Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu erheblichen Friktionen führen. Anders als bei der Auslieferungsrechtshilfe, wie sie der RbEuHb regelt, birgt die Beweisrechtshilfe nämlich das Problem, dass es sich dabei um „unfertige“, in einem 92

Der Entwurf räumt es der Vollstreckungsbehörde lediglich ein, auf eine nicht in der EEA vorgesehene Ermittlungsmaßnahme zurückzugreifen, sofern die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme im Vollstreckungsstaat an das Vorliegen einer Katalogtat geknüpft ist und die in der EEA bezeichnete Straftat keine solche Katalogtat darstellt, vgl. Art. 9 Abs. 1b) RiEEA-E. 93 Dies fordert auch der Deutsche Bundestag in seinem Beschluss vom 7. 10. 2011 gem. der Vorlage BT-Drs. 17/3234, S. 5. 94 Vgl. Deutscher Bundestag, Beschluss vom 7. 10. 2011 gem. der Vorlage BT-Drs. 17/ 3234, S. 5. 95 Vgl. Siebtes Kapitel, A. II. 4. 96 Vgl. Grünbuch zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat vom 11. 11. 2009, KOM (2009) 624 endg., S. 6.

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

komplexen Herstellungsprozess befindliche Maßnahmen zur Wahrheitsfindung handelt.97 Während es bei dem Europäischen Haftbefehl nur um die Frage geht, ob eine „fertige“ Maßnahme des Anordnungsstaates von dem Vollstreckungsstaat in der übermittelten („fertigen“) Form anerkannt wird, gibt es bei der Beweisrechtshilfe keine vergleichbare „fertige“ Maßnahme, vielmehr muss diese, z. B. eine antizipierte richterliche Zeugenvernehmung, vom Vollstreckungsstaat erst noch hergestellt werden.98 Dabei ist zu bedenken, dass die nationalen Strafprozessordnungen jeweils ein ausbalanciertes Geflecht an Beweisregelungen enthalten, das die Legitimität von Beweisen mit ganz unterschiedlichen Mitteln in ganz unterschiedlichen Verfahrensabschnitten sicherstellt und so die kollidierenden Interessen einer effektiven Strafverfolgung und der Rechte des Einzelnen in ein Gleichgewicht bringt. Die Problematik des Beweismitteltransfers in eine andere Strafprozessordnung liegt darin, dass das in einer bestimmten (früheren) Verfahrensphase in der Erhebungsrechtsordnung des Vollstreckungsstaates gewonnene Beweismittel in einer späteren Verfahrensphase in der Verwertungsrechtsordnung des Anordnungsstaates verwendet werden soll.99 Durch den Transfer des Beweismittels werden also nicht nur Beweisgewinnung und Beweisverwertung auseinandergerissen, sondern auch die spezifischen verfahrensrechtlichen Vorgaben für die jeweilige Verfahrensphase in der betreffenden Rechtsordnung ignoriert.100 Deutlich wird dies etwa am Beispiel der richterlichen Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren. Manche Rechtsordnungen lassen bei solchen Vernehmungen – anders als die deutsche Strafprozessordnung (vgl. § 168c Abs. 2 StPO) – die Anwesenheit des Verteidigers nicht zu, sondern gewähren sie nur und erst in der Hauptverhandlung. Werden die Protokolle solcher Vernehmungen dann im Anordnungsstaat als Beweismittel verwertet, nämlich verlesen, kann auch dort der Verteidiger dem Zeugen keine Fragen stellen, wodurch das Recht ausgehöhlt wird, dem (Belastungs-)Zeugen Fragen zu stellen (Art. 6 Abs. 3d EMRK).101 Nach alledem verdient der RiEEA-E keine Zustimmung. Ohnehin ist eine Ausdehnung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf die Erhebung nahezu aller Beweisarten zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfrüht. Auch nach Ansicht des Deutschen Bundestages sollten zunächst die nationalen Umsetzungen des RbEuBa abgewartet und die dann einsetzende Praxis der Beweisübermittlung evaluiert

97

Ambos, ZIS 2010, 557, 559; Roger, GA 2010, 27, 31. Ambos, ZIS 2010, 557, 559. 99 Ambos, ZIS 2010, 557, 559. 100 Ambos, ZIS 2010, 557, 559. 101 Stellungnahme der BRAK zum Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur „Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat“, S. 10. 98

A. Die Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung

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werden.102 Nur wenn sich die EBA und damit das Instrument der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Beweisübermittlung trotz fehlender Harmonisierung des Strafprozessrechts und des materiellen Strafrechts als praktikabel erweisen, kann über eine neue und weitergehende Regelung nachgedacht werden.103 Bei diesen Überlegungen sollten dann auch die Ergebnisse der durch das Grünbuch eingeleiteten Konsultationen berücksichtigt werden. Es ist nicht ersichtlich und von den Mitgliedstaaten, die den RiEEA-E verantworten, auch nicht dargetan, warum der Abschluss des Konsultationsprozesses nicht abgewartet werden konnte. Schließlich ist bei allen Erwägungen zu bedenken, dass eine weitere Ausdehnung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf die Erhebung nahezu aller Beweisarten in jedem Fall das Vorliegen gemeinsamer Mindestverfahrensstandards voraussetzt, betreffend u. a. das Recht auf rechtlichen Beistand, das Recht auf Übersetzung und Verdolmetschung sowie das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen.104 Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung bewirkt keine Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, sondern zementiert nationale Unterschiede, indem er die verschiedenen Rechtsvorschriften unangetastet nebeneinander fortbestehen lässt. Somit setzt gegenseitige Anerkennung voraus, dass ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in die unterschiedlichen nationalen Strafrechtssysteme besteht.105 Vertrauen kann es aber nur geben, wenn die Grundsätze über straf- und strafverfahrensrechtliche Normen in den Mitgliedstaaten auf gemeinsamen Rechtsstandards beruhen und daher vergleichbar sind.106 Zwar gibt es in den Mitgliedstaaten bereits heute einen vergleichbaren Schutz durch die Grund- und Menschenrechte, vergleichbare Mindeststandards für Beschuldigte im Strafverfahren sowie für Dritte, die – etwa als Kommunikationspartner eines Beschuldigten – ebenfalls von strafrechtlichen Ermittlungen betroffen sein können, existieren jedoch nicht.107 Zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten variieren die betreffenden Rechte vielmehr erheblich. Eine voreilige Ausdehnung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung noch vor Schaffung solcher gemein-

102

S. 4. 103

Deutscher Bundestag, Beschluss vom 7. 10. 2011 gem. der Vorlage BT-Drs. 17/3234,

Vgl. Deutscher Bundestag, Beschluss vom 7. 10. 2011 gem. der Vorlage BT-Drs. 17/ 3234, S. 4. 104 Vgl. auch Deutscher Bundestag, Beschluss vom 7. 10. 2011 gem. der Vorlage BTDrs. 17/3234, S. 4 f.; Stellungnahme der BRAK zum Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur „Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat“, S. 9 f. 105 Deutscher Bundestag, Beschluss vom 7. 10. 2011 gem. der Vorlage BT-Drs. 17/3234, S. 4. 106 Deutscher Bundestag, Beschluss vom 7. 10. 2011 gem. der Vorlage BT-Drs. 17/3234, S. 4. 107 Deutscher Bundestag, Beschluss vom 7. 10. 2011 gem. der Vorlage BT-Drs. 17/3234, S. 4.

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

samen Mindeststandards würde das bestehende Vertrauen erschüttern und ein Zusammenwachsen der EU auf dem Gebiet des Strafrechts hemmen.

B. Die Strafverteidigung in grenzüberschreitenden Strafverfahren Während sich im Bereich der Strafverfolgung schon eine ganze Reihe europäischer Institutionen herausgebildet hat, namentlich Europol und Eurojust sowie OLAF108,109 und mit dem Vertrag von Lissabon die gesetzlichen Voraussetzungen für die Etablierung einer Europäischen Staatsanwaltschaft geschaffen wurden (vgl. Art. 86 AEUV), mangelt es an dem notwendigen Gegengewicht einer institutionalisierten europäischen Strafverteidigung. Die Leistungen der vorgenannten Institutionen, die u. a. darin bestehen, Informationen bereitzuhalten und Maßnahmen zu koordinieren, stehen der Strafverteidigung nicht offen und eigene Initiativen für institutionalisierte Verteidigungsstellen, wie Eurodefensor110 oder der European Criminal Law Ombudsmann111, konnten sich bislang nicht etablieren; dementsprechend fehlt es der Verteidigung an einer institutionalisierten Zentralstelle zum Austausch bedeutsamer Informationen bzw. zur Koordinierung grenzüberschreitender Strafverteidigung.112 Dieser Missstand korreliert mit der rückständigen Ausgestaltung der Beschuldigtenrechte in der EU. Wie bereits aufgezeigt, steht dem von grenzüberschreitender Strafverfolgung Betroffenen ein effektiver Rechtsschutz gegen Maßnahmen der europäischen Institutionen bzw. gegen Ermittlungsmaßnahmen auf der Grundlage europäischer Rechtsakte nicht zu.113 Gemeinsame Mindestverfahrensstandards existieren nicht und angesichts der gescheiterten jahrelangen Beratungen über den

108

Obschon die Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), ABl. Nr. L 136 vom 31. 5. 1999, S. 1 ff. in Art. 1 Abs. 3 die Aufgaben von OLAF mit „administrative Untersuchungen“ umschreibt, handelt es sich bei den Kontrollen von OLAF im Grunde um strafrechtliche Ermittlungstätigkeit; vgl. ausführlich Gleß, EuZW 1999, 618. 109 Überdies wird die Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung durch den institutionalisierten Austausch sog. Verbindungsrichter und Verbindungsstaatsanwälte sowie durch das 1998 eingerichtete Europäische Justizielle Netz (EJN), ein Netzwerk von Staatsanwälten und Richtern aus ganz Europa, gestärkt. 110 Ausführlich hierzu Nestler, in: Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 166 ff., 169 ff.; Schünemann, StV 2006, 361, 367 f. 111 Ausführlich hierzu Mitchell, in: Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 191 ff., 193 ff. 112 Gleß, StV 2010, 400, 404. 113 Vgl. Siebtes Kapitel, A. I. 1. und A. II. 4.

C. Zusammenfassende Würdigung

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Rahmenbeschluss über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren114 darf bezweifelt werden, dass die nun mit dem Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten im Rahmen von Strafverfahren115 vorgelegten – ohnehin nur punktuellen – Verbesserungsvorschläge allseits Zustimmung erfahren. Dabei sieht sich die Strafverteidigung in Fällen grenzüberschreitender Kriminalität einer ganzen Reihe zusätzlicher Probleme ausgesetzt, für die weder die nationalen Rechtsordnungen noch das europäische Recht zufriedenstellende Lösungen bieten. Hierzu zählt beispielsweise der Umstand, dass die Verteidigung regelmäßig keinen Einblick darein hat, auf welchem Weg in einem grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren gewonnene Beweise in den Akten landen; hierauf Einfluss nehmen, etwa in Gestalt eines Beweisantragsrechtes im Ermittlungsverfahren, kann sie erst recht nicht.116 Braucht der Beschuldigte in mehreren Mitgliedstaaten einen Rechtsanwalt, wird die Verteidigung damit alleingelassen, eine Doppel- oder Mehrfachverteidigung zu organisieren.117 Hinzu treten Sprachbarrieren sowie rein tatsächliche Schwierigkeiten, wenn der Beschuldigte nicht in der Lage ist, eine doppelte bzw. mehrfache Verteidigung notfalls selbst zu finanzieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es dringlicher denn je, den institutionellen Rahmen für eine Strafverteidigung auf Augenhöhe mit der grenzüberschreitenden Strafverfolgung zu schaffen, d. h. eine zentrale Einrichtung für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Verteidigern zu errichten, über die verteidigungsrelevante Informationen ausgetauscht und Verfahren europaweit koordiniert werden können.

C. Zusammenfassende Würdigung Der Vertrag von Lissabon nährt nicht nur durch die verbindliche Statuierung von Individualrechten und die Zuständigkeitserweiterung des EuGH, sondern auch durch die geänderte Zielformulierung des Art. 67 AEUV jedenfalls die Hoffnung auf einen Bewusstseinswandel hin zu einer ausgewogenen Beachtung von Strafverfolgungsinteressen und den Rechten des Einzelnen.118 Anders als noch der Vertrag von Amsterdam, nimmt der Vertrag von Lissabon die Grundrechte des Einzelnen bei dem Bestreben, einen gemeinsamen Rechtsraum zu schaffen, explizit in den Blick119 und hält in Art. 67 Abs. 1 AEUV fest, dass die EU einen Raum der Freiheit, der Si114

Ratsdok. 16874/06 und Ratsdok. 10267/07. Entschließung des Rates vom 30. November 2009 über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren, ABl. Nr. C 295 vom 4. 12. 2009, S. 1 ff. 116 Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Europarecht, § 42 Rn. 206, die darauf hinweisen, dass dieser Missstand allerdings auch auf nationaler Ebene besteht. 117 Vgl. Arnold, HRRS 2008, 10, 12 f. 118 Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Europarecht, § 42 Rn. 152. 119 Nelles/Tinkl/Lauchstädt, in: Europarecht, § 42 Rn. 152. 115

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7. Kap.: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht

cherheit und des Rechts bildet, „in dem die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden“. Gleichsam wurde mit dem Vertrag von Lissabon der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung endgültig in das Zentrum des Europäischen Strafverfahrensrechts gerückt.120 Solange aber in den Mitgliedstaaten gravierende Unterschiede in den Strafrechtsordnungen bestehen, kann die weitere Umsetzung dieses Grundsatzes zu erheblichen Friktionen führen, die sich zu Lasten der von grenzüberschreitender Strafverfolgung Betroffenen auswirken. Auch die BRAK mahnt an, dass es die Unionsbürger sind, auf deren Rücken Maßnahmen der gegenseitigen Anerkennung als flexible Alternative zur immens aufwändigen Harmonisierung von Vorschriften implementiert werden.121 Insgesamt dominieren auf EU-Ebene noch immer Maßnahmen zur Effektuierung von Strafverfolgungsinteressen, hinter denen die Durchsetzung von Beschuldigtenrechten zurücksteht. Gemeinsame Mindestverfahrensstandards existieren nicht und auch ein Gegengewicht zu den europäischen Strafverfolgungsinstitutionen in Gestalt einer zentralen europäischen Strafverteidigungsstelle konnte sich bislang nicht etablieren. Die zahlreichen Instrumente gegenseitiger Anerkennung, wie der RbEuHb oder der RbEuBa, eröffneten den Strafverfolgungsbehörden einen europäischen Vollstreckungsraum, einen entsprechenden europäischen Verteidigungsraum aber sucht man vergebens.122 Damit verschärft sich durch die EU-Kriminalpolitik das schon auf nationaler Ebene bestehende Problem der einseitigen Durchsetzung von Sicherheitsinteressen auf Kosten der Grundrechtsträger. Nach alledem ist zu fordern, dass im europäischen Rechtsraum endlich die notwenigen Maßnahmen ergriffen werden, um für eine Waffengleichheit von Strafverfolgung und Strafverteidigung zu sorgen. Hierzu gehört zum einen die Einrichtung einer zentralen europäischen Strafverteidigungsstelle und zum anderen die Normierung umfassender einheitlicher Verfahrens- und Verteidigungsrechte, die über den gemeinsamen Mindestnenner der Rechte hinausgehen, die in allen nationalen Rechtsordnungen übereinstimmend gewährt werden.123 Insbesondere muss dem Beschuldigten in Verfahren, in denen ein Instrument gegenseitiger Anerkennung Anwendung findet, ein effektiver Rechtsbehelf sowohl im Anordnungsstaat als auch im Vollstreckungsstaat eingeräumt werden, der durch das Anrecht auf eine doppelte Verteidigerbestellung im Anordnungs- und im Vollstreckungsstaat flankiert wird.

120

Mansdörfer, HRRS 2010, 11, 22. Stellungnahme der BRAK zur Initiative für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, S. 4 f. 122 Gleß, StV 2010, 400, 404 f. 123 Ebenso Gleß, StV 2010, 400, 406. 121

Achtes Kapitel

Fazit und Ausblick Die Untersuchung zeigt, dass verschiedene Entwicklungsstränge im Strafprozessrecht und im Polizeirecht, auf nationaler und auf europäischer Ebene die rechtsstaatlichen Grenzen der Verbrechensbekämpfung erodiert und ihr ein Gepräge verliehen haben, dem ein erhebliches Droh- und Willkürpotential anlastet und das die Freiheitsrechte der Bürger massiv beeinträchtigt. Seiner normativen und faktischen Struktur nach hat die staatliche Verbrechensbekämpfung längst eine grundrechtsfeindliche Ausrichtung angenommen und ist damit rechtsstaatswidrig. Wie sich herausstellt, laufen die Sicherungen des Anfangsverdachts leer, d. h. sie können staatliches Einschreiten nicht wirksam begrenzen. Damit sieht sich der Bürger aber permanent der Gefahr ausgesetzt, zum Gegenstand staatlicher Ermittlungen zu werden. Dies ist umso bedenklicher, als dass die Polizei in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle die Ermittlungen, beginnend mit ihrer Einleitung, selbstständig durchführt und der Staatsanwaltschaft die entsprechenden Ergebnisse – unter Außerachtlassen des § 163 Abs. 2 S. 1 StPO – erst nach dem Abschluss der Ermittlungen vorlegt. Faktisch verantwortet die Polizei das Ermittlungsverfahren. Obwohl die Polizei damit contra legem in einem grundrechtsrelevanten Bereich tätig wird, soll der Beschuldigte keine Möglichkeit haben, die Verfahrenseinleitung und -fortführung gerichtlich überprüfen zu lassen.1 Darüber hinaus haben die den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Ausforschung und Überwachung des Bürgers ein bedenkliches Ausmaß erreicht. Es herrscht ein Automatismus der Schaffung von Rechtgrundlagen, dessen Tempo im Wesentlichen von den am technischen Fortschritt orientierten Begehrlichkeiten der Strafverfolgungsbehörden bestimmt wird. Dabei begünstigt eine großzügige Auslegung der neugeschaffenen Eingriffsbefugnisse letztlich den Einsatz alles technisch Machbaren. Die Voraussetzungen dieser Befugnisse sind indes häufig frappierend gering. Zudem ist vielen von ihnen gemein, dass sie auch und sogar überwiegend in die Grundrechte Unverdächtiger eingreifen. Deren Betroffenheit ist mittlerweile mehr und mehr zum Normalfall strafprozessualer Ermittlungstätigkeit geworden. Damit sind die Befugnisse aber geeignet, bei allen Bürgern ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das

1

Vgl. zum Ganzen ausführlich Zweites Kapitel: Der Anfangsverdacht.

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8. Kap.: Fazit und Ausblick

eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.2 Weiterhin ist die rechtsstaatliche Absicherung repressiver Ermittlungseingriffe durch den Richtervorbehalt de facto ineffektiv. Aufgrund eines mitunter exzessiven Gebrauches der Eilkompetenz durch die Strafverfolgungsbehörden läuft der Richtervorbehalt in der Praxis vielfach leer. Soweit indes tatsächlich eine richterliche Entscheidung über die Anordnung von Zwangsmaßnahmen herbeigeführt wird, fehlt es an einer kritischen Auseinandersetzung des Richters mit dem Vorbringen der Ermittlungsbehörden. Der Richtervorbehalt in seiner Kontrollfunktion wird von den Richtern oft genug nicht ernst genommen bzw. kann von ihnen aufgrund hohen Zeitdrucks oder mangelnder Erfahrung nicht hinreichend effektuiert werden. Die Ablehnungsquote bei Anträgen auf Anordnung von Zwangsmaßnahmen ist dementsprechend minimal.3 Ferner hat der Gesetzgeber den Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahrzehnten immer umfangreichere Befugnisse zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung eingeräumt, mit denen der Bürger schon weit im Vorfeld von konkreter Gefahr und Anfangsverdacht ausgeforscht werden kann.4 Im Zuge der Novelle des BKAG wurde das Konzept der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung auch auf das BKA ausgedehnt, das nun ebenfalls über weitreichende Kompetenzen zur Vorfeldaufklärung, darunter die Befugnis zur umstrittenen Online-Durchsuchung, verfügt und damit zu einer Art deutschem FBI umgewandelt worden ist.5 Tatsächlich geht es bei der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung jedoch nicht um die Verhütung von Straftaten, sondern um antizipierte Strafverfolgung im Vorfeld und damit unter Umgehung des Anfangsverdachts. Sie ist Ausdruck eines verfehlten Sicherheitsstrebens, das den Bürger unter Generalverdacht stellt und ihm die Pflicht auferlegt, die eigene Freiheit ohne jeden Verantwortungsbezug zum Verhalten anderer den staatlichen Organen zur Verfügung zu stellen, damit diese ihre Aufgaben besser oder leichter oder schneller erfüllen können.6 Schließlich wird auch die europäische Kriminalpolitik von Sicherheitsbestrebungen dominiert. Unter dem durch den Vertrag von Lissabon endgültig in das Zentrum des Europäischen Strafverfahrensrechts gerückten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung wurde bislang einseitig eine Effizienzsteigerung zu Gunsten der Strafverfolgungsorgane verfolgt, hinter der die Durchsetzung von Beschuldigtenrechten zurücksteht. Zwar ist es positiv zu bewerten, dass mit dem Vertrag von 2 Vgl. zum Ganzen ausführlich Drittes Kapitel: Der ausufernde Einsatz heimlicher Ermittlungstechniken. 3 Vgl. zum Ganzen ausführlich Viertes Kapitel: Der Richtervorbehalt. 4 Vgl. zum Ganzen ausführlich Fünftes Kapitel: Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung. 5 Vgl. zum Ganzen ausführlich Sechstes Kapitel: Die Neufassung des Bundeskriminalamtgesetzes. 6 Vgl. Lisken, in: Polizei und Datenschutz, S. 32 ff., 42.

8. Kap.: Fazit und Ausblick

153

Lissabon u. a. eine verbindliche Statuierung von Individualrechten erfolgt ist. Gemeinsame Mindestverfahrensstandards existieren jedoch weiterhin nicht und auch ein Gegengewicht zu den europäischen Strafverfolgungsinstitutionen in Gestalt einer zentralen europäischen Strafverteidigungsstelle konnte sich bisher nicht etablieren.7 Die zahlreichen Instrumente gegenseitiger Anerkennung, wie der RbEuHb oder der RbEuBa, eröffneten den Strafverfolgungsbehörden einen europäischen Vollstreckungsraum; an dem notwendigen Gegengewicht eines europäischen Verteidigungsraumes fehlt es indes.8 Nach alledem ist es dringend erforderlich, der fortgeschrittenen Zersetzung verfassungsrechtlich garantierter Freiheitsrechte unter der Maxime einer möglichst effektiven Verbrechensbekämpfung entgegenzutreten und ein Gleichgewicht herzustellen zwischen den staatlichen Eingriffsbefugnissen auf der einen Seite und geeigneten Schutzmaßnahmen für die Freiheitsrechte der Bürger auf der anderen Seite. Konkret bedeutet dies im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren, dass der Polizei bei den Ermittlungen keine unbegrenzte Handlungsfreiheit eingeräumt wird, sondern sie hierbei auch tatsächlich entsprechend den Vorgaben der StPO der Leitung und Kontrolle der Staatsanwaltschaft unterliegt. Es ist eine rechtsstaatlich unverzichtbare und aus historischer Erfahrung gewachsene Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die gelegentlich an der Überführung eines mutmaßlichen Täters und an einer rein zweckmäßigen Gestaltung des Verfahrens übermäßig interessierte Polizei anzuleiten und für die Justizförmigkeit des Verfahrens Sorge zu tragen.9 Darüber hinaus sind einem rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahren wirksame Gegenrechte des Beschuldigten kein unliebsamer Ballast. Es gewährt keinen prozessinternen Raum rechtsbehelfsfreier staatlicher Machtausübung. Da mit dem Ermittlungsverfahren Grundrechtsbeeinträchtigungen für den Beschuldigten einhergehen, muss der Beschuldigte hiergegen mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz in Anspruch nehmen können. Weiterhin ist der Gesetzgeber gehalten, populistischen Forderungen nach immer neuen Ausforschungs- und Überwachungsmaßnahmen standzuhalten und eine Gesetzgebung mit Augenmaß zu betreiben. Schon jetzt haben die staatlichen Ausforschungsmöglichkeiten ein kaum noch überschaubares Ausmaß angenommen. Die Legislative ist aber „kein Überbietungswettbewerb und das Grundgesetz kein Steinbruch zur gefälligen Bedienung“.10 Die Sicherheitsbestrebungen, die sowohl die Gesetzgebung im Strafprozessrecht als auch die im Polizeirecht dominieren, haben zu einem bedenklichen Abbau der Voraussetzungen staatlichen Einschreitens und damit auch der Voraussetzungen von Grundrechtseingriffen geführt. Die ge7 Vgl. zum Ganzen ausführlich Siebtes Kapitel: Die Einwirkungen des europäischen Rechts auf das Strafrecht. 8 Gleß, StV 2010, 400, 404 f. 9 Hund, ZRP 1991, 463, 464 m.w.N. 10 Hirsch, in: Die Zeit v. 3. 3. 2005.

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8. Kap.: Fazit und Ausblick

ringen Eingriffsvoraussetzungen stehen in keiner Relation zur gravierenden Eingriffsintensität der Maßnahmen, die insbesondere aus der großen Streubreite, d. h. der regelmäßigen Betroffenheit der Grundrechte einer Vielzahl von Bürgern, folgt. Dieses Ungleichgewicht können auch prozedurale Sicherungen wie der Richtervorbehalt nicht kompensieren. Eine effektive Absicherung der Freiheitsrechte kann nur durch eine zurückhaltende Normierung staatlicher Ausforschungsbefugnisse, die zudem an eng gefasste materielle Eingriffsvoraussetzungen zu koppeln sind, gewährleistet werden. Ferner muss dem tatsächlich stumpfen Schwert des Richtervorbehalts zur verfassungsrechtlich gebotenen Geltung verholfen werden. Hierzu ist zum einen erforderlich, dass ein umfassender richterlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet wird, der sich entsprechend den Vorgaben des BVerfG11 bei Bedarf auch auf die Nachtzeit erstreckt. Zudem sollte die Tätigkeit des Ermittlungsrichters ausschließlich von hierauf spezialisierten Richtern ausgeübt werden. Um die Kompetenzen der Ermittlungsrichter zu erhöhen und dem Ausnutzen eines betreffenden Vorsprungs durch die Strafverfolgungsbehörden vorzubeugen, empfehlen sich gezielte Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Ermittlungsrichter. Außerdem sollten die vom BVerfG12 geforderten Begründungspflichten wieder stärker in das Bewusstsein der Richter gerückt werden, indem der Gesetzgeber rechtsstaatliche Mindeststandards für die Begründung gesetzlich festschreibt. Allerdings nützt ein noch so effektiv ausgestalteter Richtervorbehalt zum Schutz der Grundrechte wenig, wenn die Strafverfolgungsbehörden exzessiv und dabei rechtswidrig von ihrer Eilkompetenz Gebrauch machen können, ohne dass dies Konsequenzen entfaltet. Die rechtswidrige Inanspruchnahme der Eilkompetenz muss vielmehr im Regelfall die Unverwertbarkeit der so gewonnenen Beweise nach sich ziehen. Schließlich ist auch auf europäischer Ebene eine Balance zwischen den Freiheitsrechten der Bürger und den Eingriffsbefugnissen der Strafverfolgungsbehörden herzustellen. Entgegen der bisherigen Tendenz, sich nur auf einen Minimalkonsens über Verfahrensgarantien zugunsten des Beschuldigten zu verständigen und vorrangig unter der Maxime der gegenseitigen Anerkennung die Interessen der Strafverfolgungsbehörden zu effektuieren, bedarf es einer ausgewogenen europäischen Kriminalpolitik, die für die notwendige Waffengleichheit von Strafverfolgung und Strafverteidigung sorgt. Dies erfordert zum einen die Einrichtung einer zentralen europäischen Strafverteidigungsstelle und zum anderen die Normierung umfassender einheitlicher Verfahrens- und Verteidigungsrechte, die über den gemeinsamen Mindestnenner der Rechte hinausgehen, die in allen nationalen Rechtsordnungen übereinstimmend gewährt werden.

11 12

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Sachverzeichnis Allgemeine Handlungsfreiheit 31, 58, 89 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 20, 30 ff., 42, 107 f., 114 Analogie siehe Anwendung, analoge Anfangsverdacht 17 f.,19 ff., 53, 81 ff., 103, 105, 135, 151 f. – Anforderungen 21 ff. – Begrenzungsfunktion 19 f. – Definitionsmacht 25 ff. Anwendung, analoge 40, 47, 50 f. Auslieferungsfreiheit 123 f. Auslieferungsverfahren 124 ff.

Bereitschaftsdienst, richterlicher 75 f., 78 ff., 154 Berufsfreiheit 30, 35 f., 42 Beschuldigtenrechte 17, 52, 137, 142, 148, 150, 152 Bestimmtheitsgebot/-grundsatz 55 f., 117 f., 127, 129 f. Beurteilungsspielraum 24, 47, 65, 75, 82 Bewegungsprofil 54, 56, 59, 62 f., 65 Beweiserhebungs- bzw. Beweisverwertungsverbot 77 f., 115 f., 145

Daten – Abgleich 53, 88, 97, 112 f. – Erhebung 29 f., 61, 64, 68, 83, 86, 97, 104 f., 108, 115 ff. – Speicherung 29 f., 68, 113 – Übermittlung 114, 117 f. – Verwendung 30, 66, 68, 84, 98 f., 114, 117 f.,135, 137 Diskriminierungsverbot 130 f. Drei-Säulen-Modell 138 Durchsuchung 15, 23, 36 f., 45, 71, 73 f., 77 f., 88, 106, 133 f., 137 – Anordnung 37, 74 – Beschluss 72 f., 77, 99

Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden 37 f., 70 f., 73 ff., 152, 154 Einstellungserzwingungsverfahren 38, 42 Ermessensspielraum 37, 124, 134 f. Ermittlungsrichter 50, 61, 74 ff., 79 f., 154 Ermittlungsverbot, repressives 19, 90, 96, 100 Ermittlungsverfahren 17 f., 19 ff., 65, 81 f., 89 f., 95, 98 ff., 116, 146, 149, 151, 153 – Grundrechtseingriffe 29 ff., 36 ff. – Rechtsbehelfe 38 ff. Europäische Ermittlungsanordnung 137 ff. Fernmeldegeheimnis 53 f., 61, 64, 69 f., 78, 114 Freiheitsrechte 70, 101, 151, 153 f. Funkzellenabfrage 16, 54, 61, 64 ff. Gefahr – im Verzug siehe Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden – konkrete 18, 53, 81, 84, 97, 100, 103, 111 ff., 152 Gefahrenabwehr 83 ff., 86, 95, 103 ff., 135 – Aufgabe 26, 83 f., 95, 103 – Maßnahme 86, 110 – Recht 81, 83, 95, 100 Gesetzgebungskompetenz 84 ff., 90, 102 ff., 120 GPS-Überwachung 18, 53 ff., 57 Großer Lauschangriff siehe Wohnraumüberwachung, akustische Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme 107 f., 117 Grundrechteschutz 17, 52, 62, 72 ff., 102 Grundrechtsträger 20, 54, 59, 81, 89, 99, 104 ff., 108, 119, 150 Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit 126 ff., 131, 134, 145

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Sachverzeichnis

Hinreichender Tatverdacht 39, 44 IMSI-Catcher 54, 57 ff., 70 Inkulpation 29, 36 Justizverwaltungsakt 47 f., 50, 52 Kernbereich privater Lebensgestaltung 33, 114 f., 119 f. Kfz-Kennzeichenerfassung 96 ff. Klageerzwingungsverfahren 38, 45, 50 Legalitätsprinzip 26 ff., 90 Meinungsfreiheit 34, 69 Menschenwürdegarantie 20, 115, 119 Mindestverfahrensgarantien/-rechte/-standards 17, 142 f., 147 f., 150, 153

Richtervorbehalt 18, 37, 70, 71 ff., 133, 137, 152, 154 – Funktion 71 ff. – Realität 73 ff. Rückwirkungsverbot 130 Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft 26, 81, 83 Schleierfahndung 84, 86 ff., 92, 100 Standortermittlung 57, 59, 61 f. Stealth-Ping-Verfahren 62 f. Stockholmer Programm 141 ff. Strafrechtspflege 41, 43, 46 ff., 59 f., 140 Straftatenverhütung 84, 86 ff., 94 f., 103 ff., 120 Strafverteidigung 121, 148 f., 150, 154 Subsidiaritätsbestimmung/-klausel 49, 56, 59, 64 f.

Ne-bis-in-idem-Grundsatz 126, 134 Netzfahndung 53, 58 Nichtigkeitsklage 140

Telekommunikationsüberwachung 53, 59, 61 f., 71, 77, 84 f., 109, 115, 144 Terrorismus 15 f., 53, 82 f., 102 ff., 110, 117, 120, 126, 139, 142 Trennungsgebot 100 f.

Online-Durchsuchung siehe Verdeckter Eingriff in informationstechnische Systeme Organisierte Kriminalität 15, 53, 76, 82 f., 87, 139

Unschuldsvermutung 33, 44, 46, 69, 142 Unverletzlichkeit der Wohnung 78, 114

Parallelzuständigkeit 104 f. Peilsender 55, 57, 62 Pressefreiheit 69 Prinzip der gegenseitigen Anerkennung 121 ff., 152, 154 Rahmenbeschluss – über den Europäischen Haftbefehl 17, 122 ff., 132, 134, 137, 145, 150, 153 – über die Europäische Beweisanordnung 17, 122, 132 ff., 141, 144 ff., 150, 153 Rasterfahndung 15 f., 53, 58, 106, 112 ff. Recht auf informationelle Selbstbestimmung 30 ff., 42, 53 f., 58, 64, 70, 89, 92 f., 95, 97 f., 108, 112 Rechtsschutzgarantie 41 ff., 52 Rechtsstaatsprinzip 33, 42 Redlichkeitsvermutung 19, 89 f.

Verdeckte Ermittler 76, 82, 84, 86 f., 89 Verdeckter Eingriff in informationstechnische Systeme 106 ff., 115 Verfahrensherrschaft 102, 105 f. Verfolgungsvorsorge 84 f., 95 Verhältnismäßigkeit – Grundsatz 42, 92 f., 97, 108, 113 – Klausel 64 – Prüfung 68, 116 Verkehrsdatenerhebung 54, 57, 59, 61 ff., 67, 70 Vertrag – von Amsterdam 121, 149 – von Lissabon 121 f., 137 f., 140, 148 ff., 152 Vertrauensperson 76, 82 Videoüberwachung 81, 84, 90 ff., 98 ff. Vorbeugende Verbrechensbekämpfung 16, 18, 53, 81 ff., 103, 152

Sachverzeichnis Vorfeldaufklärung/-ermittlungen 18, 82, 103, 105, 152 Vorratsdatenspeicherung 16, 61, 67 ff. Wohnraumüberwachung, akustische 15, 53, 84

165

Zentrales staatsanwaltschaftliches Verfahrensregister 30 f. Zeugnisverweigerungsberechtigte 114, 116 f.