Gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten der Bekämpfung ritualisierten Gewaltverhaltens im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen [1 ed.] 9783428547913, 9783428147915

Die Arbeit beleuchtet das Phänomen der Zuschauergewalt um den Fußballsport. Hierzu werden zunächst soziologische Erkennt

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German Pages 291 Year 2015

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Gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten der Bekämpfung ritualisierten Gewaltverhaltens im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen [1 ed.]
 9783428547913, 9783428147915

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Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit

Band 4

Gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten der Bekämpfung ritualisierten Gewaltverhaltens im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen Von Fee Niemeier

Duncker & Humblot · Berlin

FEE NIEMEIER

Gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten der Bekämpfung ritualisierten Gewaltverhaltens im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen

Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit Herausgegeben von Dr. Dr. Markus Thiel, Köln

Band 4

Gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten der Bekämpfung ritualisierten Gewaltverhaltens im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen

Von Fee Niemeier

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums des Innern.

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster hat diese Arbeit im Wintersemester 2014/2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2199-3475 ISBN 978-3-428-14791-5 (Print) ISBN 978-3-428-54791-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-84791-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2014/2015 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Juni 2015 berücksichtigt werden. Herzlich danken möchte ich zunächst meinem Betreuer und Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Fabian Wittreck, der mich bei der Anfertigung dieser Arbeit stets unterstützt hat und mir mit wertvollen Ratschlägen zur Seite stand. Durch meine Tätigkeit an seinem Institut für Öffentliches Recht und Politik konnte die Arbeit in einem sehr angenehmen Arbeitsumfeld entstehen, wofür ich allen Kolleginnen und Kollegen dankbar bin. Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth danke ich für die zügige und sorgfältige Erstellung des Zweitgutachtens. Weiter möchte ich dem Bundesministerium des Innern meinen Dank für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses aussprechen. Herrn Prof. Dr. Dr. Markus Thiel danke ich für die Aufnahme in die vorliegende Schriftenreihe. Mein besonderer Dank gilt meiner Familie und meinen Freunden, die mich in jeder Phase des Entstehens dieser Arbeit bestärkt, motiviert und geduldig unterstützt haben. Münster, im Juli 2015

Fee Niemeier

Inhaltsverzeichnis Einleitung 17 A. Das Problem der Zuschauergewalt um den Fußballsport. . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Begrenzung des Gegenstands der Arbeit und Gang der Untersuchung. . . . . 20 Kapitel 1

Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen unter besonderer Einbeziehung soziologischer und psychologischer Erkenntnisse

21

A. Historische und aktuelle Entwicklungengewalttätiger Ausschreitungen um den Fußballsport – Der Weg von „heißer“ zu „kalter“ Gewalt. . . . . . . . . . . 21 I. Gewalttätige Ausschreitungen im mittelalter- und frühneuzeitlichen England. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre. . . . . . . . . . . 23 III. Die 1980er Jahre – Das Aufkommen der Hooligans. . . . . . . . . . . . . . . . 24 IV. Die 1990er Jahre – Die Ultrabewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 V. Entwicklungen bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Die Kategorisierung von Zuschauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Ritualisiertes Gewaltverhalten von Subkulturgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Die Subkultur der Hooligans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Gewaltverhalten und Werte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Gruppenstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Die Subkultur der Ultras. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Werte, Feindbilder und Gewaltverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Gruppenstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Ost-West-Unterschiede im Hinblick auf das Gewaltverhalten von Hooligans und Ultras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 D. Erklärungsmodelle für fußballbezogene Gewaltunter besonderer Einbeziehung sozio- und psychologischer Erkenntnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Monokausale Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Aggressionstheorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Massenpsychologische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Schichtbezogene Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Subkultur-Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 5. Theorie des polizeilichen Aggressors. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

10 Inhaltsverzeichnis II. Multikausale Erklärungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Zivilisationstheoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Sozialisationstheoretischer Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Bewertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Monokausale Erklärungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Aggressionstheorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Massenpsychologische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Schichtbezogene Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 d) Subkultur-Theorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 e) Theorie des polizeilichen Aggressors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Multikausale Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Zivilisationstheoretischer Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Sozialisationstheoretischer Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 IV. Zusammenfassung und Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 E. Bisherige politische Reaktionen auf fußballbezogene Gewalt. . . . . . . . . . . . 59 F. Strategien zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Kapitel 2

Die Verantwortungsbereiche von Polizei- und ­ Ordnungsbehörden sowie Veranstaltern

65

A. Das Nebeneinander von Verbands- und staatlichem Rechtsowie das Kooperationsmodell zwischen Gefahrenabwehrbehörden und Veranstaltern. . . . . . 65 B. Die polizei- und ordnungsbehördlichen Zuständigkeiten zur Gefahrenabwehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Kapitel 3

Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern zur Bekämpfung von Fanausschreitungen 69

A. Darstellung der Maßnahmen im Hinblick auf ihre praktische Anwendung, Grundrechtsbezüge und Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Maßnahmen im Vorfeld einer Fußballveranstaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Informationelle Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Der Einsatz szenekundiger Beamter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Der standardisierte polizeiliche Informationsaustausch im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Funktionsweise und grundrechtliche Bezüge der Datei „Gewalttäter Sport“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 bb) Rechtsgrundlagen der Datenspeicherung und -übermittlung im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“. . . . . . . . . . . . . . . 76 cc) Der Datenabgleich mit der Datei „Gewalttäter Sport“. . . . . . 77 2. Aktionelle Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Inhaltsverzeichnis11 a) Die Gefährderansprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 bb) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Die Meldeauflage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 bb) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 c) Das Aufenthaltsverbot und der Platzverweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 d) Die Ingewahrsamnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II. Maßnahmen am Spieltag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Informationelle Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Die Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Die Identitätsfeststellung und der Abgleich mit der Datei „Gewalttäter Sport“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Die kurzfristige Observation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Die Videobeobachtung und -aufzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Übersichtsaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Nahaufnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 e) Die biometrische Gesichtserkennung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Aktionelle Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Die Durchsuchung von Personen und Sachen sowie die Sicherstellung gefahrträchtiger Gegenstände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Die Ingewahrsamnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 aa) Unterbindungsgewahrsam und Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (1) Inhalt und grundrechtliche Bezüge. . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (2) Rechtsgrundlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Die Abmarschverzögerung von Fanblöcken . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Der sog. Verbringungsgewahrsam. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 d) Die einschließende Begleitung von Fangruppen auf An- und Abreisewegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmengegenüber Zuschauern anhand ausgewählter polizeirechtlicher Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . 123 I. Standardermächtigung versus Generalklausel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Zur grundlegenden Abgrenzung von Standardermächtigung und Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Das Erfordernis einer Standardermächtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

12 Inhaltsverzeichnis a) Die gesetzessystematische Sperrwirkung von Standardermächtigungen gegenüber der Generalklausel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Die Sperrwirkung innerhalb des Anwendungsbereichs einer Standardermächtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (1) Theoretische Überlegungen zum Verhältnis von Standardermächtigung und Generalklausel. . . . . . . . . . . . . . . 126 (a) Zur Logik der Spezialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (b) Der Regelungsbereich der Standardermächtigung. . 128 (c) Der abschließende Charakter der Standardermächtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (aa) Quantitativ abweichende Maßnahmen als Reaktion auf eine typisierte Gefahrensituation . . . 135 (bb) Maßnahmen als Reaktion auf eine atypische Gefahrensituation mit und ohne quantitative Abweichung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (d) Zwischenfazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (2) Anwendung der theoretischen Ergebnisse auf die fraglichen, eventuell auf die Generalklausel zu stützenden Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (a) Zur Gefährderansprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (b) Zur Meldeauflage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (aa) Das Verhältnis zu allgemein-polizeirechtlichen Standardermächtigungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (bb) Das Verhältnis zu Pass- und Personalausweisbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (c) Zum Verbringungsgewahrsam. . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (d) Zum Aufenthaltsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Die Sperrwirkung außerhalb des Anwendungsbereichs einer Standardermächtigung bzw. „Schweretheorie“ . . . . . . . . . . . . 148 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Standardermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 aa) Theoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (1) Das Bestimmtheitsgebot und die Wesentlichkeitsdoktrin des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (a) Das Kriterium der Eingriffsintensität einer Maß­ nahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (b) Das zusätzliche Kriterium der Typik einer Maß­ nahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (2) Das Bestehen qualifizierter Gesetzesvorbehalte und das Zusammenspiel mit dem Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . 157 (3) Das Zitiergebot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Inhaltsverzeichnis13 bb) Anwendung der theoretischen Ergebnisse auf die fraglichen, eventuell auf die Generalklausel zu stützenden Maßnahmen. . 159 (1) Zur Gefährderansprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (2) Zur Meldeauflage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (3) Zum Verbringungsgewahrsam. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (4) Zum Aufenthaltsverbot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Bewertung vorhandener Regelungen sowie Vorstellung eigener Vorschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Die Meldeauflage – Übernahme des § 12a POG RP und eigene Ergänzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Der Verbringungsgewahrsam. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Das Aufenthaltsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 II. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der „klassischen“ Gefahrenabwehr. 170 1. Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Befugnisnormen – ein Aufriss ausgewählter Probleme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Befugnisnormen. . . . . . . . . 173 a) Die abstrakten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Maßnahmen der „klassischen“ Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 aa) Das Tatbestandsmerkmal der konkreten Gefahr. . . . . . . . . . . 173 (1) Der Begriff der konkreten Gefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (2) Schutzgüter der in Rede stehenden Maßnahmen. . . . . . 176 bb) Das Tatbestandsmerkmal des Verdachts einer konkreten Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 cc) Bestimmung des jeweiligen Adressatenkreises. . . . . . . . . . . . 178 dd) Weitere ausgewählte Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen. . . . . . 179 (1) Der datenschutzrechtliche Erforderlichkeitsbegriff, die Grundsätze der Datenerhebung sowie der Zweckbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (2) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Erfüllung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen in typischen Fällen. 182 aa) Gefahrprognose und Feststellung der Störereigenschaft. . . . . 182 (1) Einschlägige Schutzgüter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (2) Anforderungen an die Gefahrprognose, insbesondere der zugrundeliegenden Tatsachenbasis . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Gefahrenabwehr in typischen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (1) Die Identitätsfeststellung nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG. . 187 (2) Die Videobeobachtung und -aufzeichnung bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen. . . . . . . . . . . 189 (3) Die Gefährderansprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (a) Rechtmäßigkeit der Maßnahme auf Grundlage von § 8 Abs. 1  PolG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

14 Inhaltsverzeichnis (b) Rechtspolitisches Erfordernis und Vorschlag einer speziellen Regelung der Gefährderansprache im Be­ reich des Gefahrenvorfeldes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (4) Das Aufenthaltsverbot und die Meldeauflage. . . . . . . . . 193 (5) Der Platzverweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (6) Die Ingewahrsamnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (7) Die Abmarschverzögerung von Fanblöcken. . . . . . . . . . 199 (a) Die Abmarschverzögerung als Unterbindungsgewahrsam. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (b) Die Abmarschverzögerung als Schutzgewahrsam . . 200 (8) Die einschließende Begleitung von Fangruppen. . . . . . . 202 (9) Die Sicherstellung gefährlicher Gegenstände. . . . . . . . . 204 (10) Die Durchsuchung von Personen und Sachen . . . . . . . . 205 III. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung . . . . . . . 207 1. Der Wandel des klassischen Polizeirechts durch die teilweise Abkehr vom Erfordernis der konkreten Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Identifikation der Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung . . . . . . . . . . 211 3. Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Befugnisnormen. . . . . . . 211 a) Die formelle Verfassungsmäßigkeit der Befugnisnormen. . . . . . . . 211 b) Die materielle Verfassungsmäßigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Das problematische Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 bb) Die Verhältnismäßigkeit der Befugnisnormen. . . . . . . . . . . . . 214 (1) Die abgesenkte Eingriffsschwelle der Befugnisnormen. 214 (2) Die weite Streubreite der Befugnisnormen. . . . . . . . . . . 217 (3) Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung von Schutzzweck und Wirkung sowie etwaiger kompensatorischer Elemente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (a) Allgemeine Betrachtung der Maßnahmen der Gefah­ renvorbeugung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (b) Betrachtung der Datenverarbeitungsmaßnahmen im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“ . . . . . . . . . . 220 (4) Zwischenfazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 cc) Die hinreichende Bestimmtheit der Befugnisnormen. . . . . . . 222 4. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Befugnisnormen. . . . . . . . . 225 a) Die abstrakten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Das Tatbestandsmerkmal der abstrakten Gefahr bzw. des rein lagebezogenen abstrakten Gefahrverdachts. . . . . . . . . . . . . . . 225 bb) Bestimmung des Adressatenkreises. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Erfüllung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen in typischen Fällen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 aa) Maßnahmen auf Grundlage der Datenerhebungsgeneral­klausel. 228 bb) Die Befragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

Inhaltsverzeichnis15 cc) Die kurzfristige Observation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 dd) Die Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG . . . . 231 ee) Die Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten, insbesondere im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“. 233 ff) Der Datenabgleich, insbesondere mit der Datei „Gewalttäter Sport“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 C. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Kapitel 4

Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten 237

A. Darstellung der Maßnahmenim Hinblick auf ihre praktische Anwendung, Grundrechtsbezüge und Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. „Fan-Aussperrungen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 II. Der personalisierte Kartenverkauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 III. Spielortverlegung und Spielverbot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 IV. Alkoholausschankverbote und -beschränkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmengegenüber Dritten anhand ausgewählter ordnungsrechtlicher Problemstellungen . . . . . . . . . . . . 243 I. Die abstrakten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Befugnisnormen auf tatbestandlicher Ebene und ihr Vorliegen in typischen Fällen . . . . . 244 1. Das Tatbestandsmerkmal der konkreten Gefahr und die Gefahrprognose in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Die gefahrenabwehrrechtliche Verantwortlichkeit der Adressaten. . . . 247 a) Veranstalter und andere Dritte als Störer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 aa) Die Gefahrzurechnung nach der Theorie der unmittelbaren Verursachung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Veranstalter und andere Dritte als Störer nach dem Kriterium der Gefahrbeherrschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 cc) Veranstalter und andere Dritte als Störer nach dem Kriterium des Risikonutzens (Zweckveranlasser). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Veranstalter und andere Dritte als Notstandpflichtige. . . . . . . . . . . 254 aa) Das Tatbestandsmerkmal der gegenwärtigen und erheblichen Gefahr gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 OBG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Unmöglichkeit bzw. mangelnde Erfolgsaussicht der Inanspruchnahme Verantwortlicher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 cc) Unmöglichkeit der zuverlässigen, behördlichen Gefahrenabwehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 dd) Nichtüberschreiten der Opfergrenze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 II. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in typischen Fällen unter Berücksichtigung des Kooperationsprinzips im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

16 Inhaltsverzeichnis 1. „Fan-Aussperrungen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2. Der personalisierte Kartenverkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Spielortverlegungen und Spielverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4. Alkoholausschankverbote und -beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 C. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

Einleitung A. Das Problem der Zuschauergewalt um den Fußballsport „Es ist Zeit, den Sommerschlaf zu beenden. Hört ihr es nicht? Dieses Raunen in den Ulmen und Eichen. Es ist die neue Fußballsaison mit all ihrer Unschuld und ihren verzückenden Botschaften, die unsere fußballverrückten Löffel zum Schwirren bringt. Die Dritte Liga lässt die Bälle bereits fliegen, am Wochenende folgt die Zweite Liga und der Rest lässt auch nicht mehr lange auf sich warten. Endlich hat das Leben wieder einen tieferen Sinn. Jetzt wird jedes Wochenende ein Fest.“1

Millionen von Fußballfans sehnen jedes Jahr das Ende der Sommerpause herbei und erwarten mit Vorfreude das Auftaktspiel ihres Vereins. Derweil sehen die Einsatzplaner der Sicherheitsbehörden den Beginn der neuen Fußballsaison wohl meist mit anderen Augen. Für sie heißt es in der kommenden Saison, die unschönen Seiten des Fußballs in Gestalt gewalttätiger Zuschauerausschreitungen nach Möglichkeit zu unterbinden. Dabei ist das Phänomen der Zuschauergewalt um den Fußballsport alles andere als neu, es scheint jedoch aktueller als je zuvor. So berichten Me­ dien anlässlich der wöchentlich in verschiedenen Ligen stattfindenden Spielaustragungen mit Großveranstaltungscharakter nunmehr bereits seit mehreren Jahrzehnten nahezu routineartig über gewalttätige Ausschreitungen zwischen rivalisierenden Fangruppen sowie über Randalezüge von Fußballfans in den Städten; dennoch konnten alle dahingehenden Anstrengungen der Sicherheitsbehörden die fußballbezogene Gewalt bisher nicht so weit zurückdrängen, dass ihre Bilder aus den Berichten der Medien verschwunden wären – auch wenn „Schlimmeres“ in Deutschland bislang ver­ hindert werden konnte. Das traurige Resultat der fortwährenden, ritualisierten und meist von Subkulturgruppen ausgelebten Gewaltkultur sind in erster Linie die vielen, teils schwerwiegenden körperlichen Verletzungen der Krawallmacher selbst, der zahllosen zur Bewältigung des Problems eingesetzten Polizistinnen und Polizisten sowie gänzlich unbeteiligter Personen, die in der Fußballsaison 2013 / 14 ihren Höchststand von 1.281 Verletzungsopfern allein in den bei1  Abrufbar unter: http://www.tagesspiegel.de/themen/1-fc-union-berlin/willmannhat-wieder-lust-auf-fussball-das-maerchen-von-den-laengsgestreiften-hemden/6955 898.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015.

18 Einleitung

den Bundesligen2 erreichten (wohlgemerkt beim gleichzeitigen Zuschauerrekord von fast 18,8 Millionen3); ferner schlägt die erhebliche Zerstörung von Eigentumswerten zu Buche. Darüber hinaus steigen die Kosten der stetig erweiterten ressourcenintensiven Sicherheitskonzepte der Gefahrenabwehrbehörden in schwindelerregende Höhen – zu bemerken sei allein die enorme Zahl von 1.944.919 durch die Polizei zur Sicherung von Fußballveranstaltungen in den Saison 2013 / 14 geleisteten Einsatzstunden.4 Und dennoch scheint sich das Sicherheitsgefühl der friedlichen Veranstaltungsbesucher und der Allgemeinheit all der Bemühungen der Sicherheitsbehörden zum Trotz zu verringern.5 Gegebenenfalls durch die pausenlose, teilweise als sensationsheischend bezeichnete, mediale Berichterstattung unterstützt, stellt es sich so dar, als habe sich in der – hinsichtlich des Phänomens fußballbezogener Gewalt ohnehin sehr sensiblen – öffentlichen Wahrnehmung das Bild eingestellt, gewalttätige Fanausschreitungen bzw. ihr Gefahrenpotenzial nähmen stetig zu und würden zu einem immer gravierenderen Problem. Gleichzeitig sinkt das Verständnis für das Verhalten der gewalttätigen Fans in der Bevölkerung. Damit einher gehen länderübergreifende Pläne der Innenministerien für ein verschärftes präventiv-polizeiliches und strafprozessuales Vorgehen gegen gewalttätige Fußballzuschauer und einer zero tolerance-Strategie der Einsatzkräfte.6 Demgegenüber pochen speziell Fanforscher auf eine Verbesserung der Kommunikation zwischen allen Beteiligten – Fans, Vereinen, Verbänden sowie Sicherheitsbehörden – und auf die Ausbildung gewisser gegenseitiger Toleranzen, welche besonders dem Bestehen etwaiger Feindbilder sowie Solidarisierungen zwischen dem Grunde nach friedlichen sowie gewaltbereiten Fans entgegen wirken sollen.7 Welches Konzept man auch bevorzugen mag, fest steht, dass das Problem der Fangewalt um den Fußballsport mit dem bislang primär „zuschauerori2  Vgl. Jahresbericht Fußball Saison 2013 / 14 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, Anlage 1 S. 3, abrufbar unter: ‌‍‌‌https://www.polizei.nrw.de/_68.html ‌, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 3  Angabe des Deutschen Fußball-Bundes, abrufbar unter: http://www.dfb.de//statis tik‌/zuschauerzahlen/, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 4  Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 1), S. 21. 5  Vgl. dazu T. Feltes, Sicherheit bei Großveranstaltungen durch Überwachung der TeilnehmerInnen? Zur aktuellen Diskussion um den Umgang mit Gewalt in und um Fußballstadien, in: Neue Kriminalistik 2013, S. 48 (49, 52). 6  Vgl. etwa http://www.derwesten.de/sport/fussball/vorsitzender-der-innenminister‌fordert-abschaffung-der-stehplaetze-id6691925.html sowie http://www../politik/deutsch land/hooligans-strenger-bestrafen-innenminister-fordern-reformen-a-974443.html, jeweils abgerufen am 20.7.2015. 7  Vgl. die Darstellungen bei F. Friedmann, Polizei und Fans. Ein gestörtes Verhältnis?, 2009, S. 60 ff.



A. Das Problem der Zuschauergewalt um den Fußballsport 19

entierten“ Vorgehen der Behörden keinesfalls als gelöst angesehen werden kann. Die Sicherung von Fußballgroßveranstaltungen erfordert die Aufbietung von immer mehr Polizeikräften, wenngleich sich die Kapazitäten der Einsatzkräfte allmählich zu erschöpfen drohen. So startete das nordrheinwestfälische Innenministerium zu Beginn der Spielzeit 2014 / 15 ein Pilotprojekt, das eine Umverteilung von Polizeikräften von weniger risikoreichen Fußballveranstaltungen hin zur Sicherung von Hochrisikospielen vorsieht. Notwendig sei dies besonders aufgrund des Aufstiegs zweier zusätzlicher nordrhein-westfälischer Vereine in die erste Bundesliga, der zu einem Zuwachs der polizeilich zu begleitenden Veranstaltungen führte, deren ressourcenintensive Sicherung anders nicht mehr zu bewerkstelligen sei.8 In Ansehung der Knappheit der polizeilichen Einsatzkräfte geraten neben den zuvorderst verantwortlichen Fans derzeit vermehrt auch die Veranstalter der gefahrträchtigen Spielaustragungen in den Blick der Sicherheitsbehörden und der Öffentlichkeit. Zunächst ist in der jüngeren Vergangenheit die im Hinblick auf ihre Rechtmäßigkeit bislang nicht geklärte, zunehmende ordnungsbehördliche Praxis zu verzeichnen, ebenfalls sie auf der gefahrenabwehrrechtlichen Primärebene in Anspruch zu nehmen. Eine solche Inanspruchnahme soll trotz der stellenweisen personellen Überlastung der Polizei eine sichere Durchführung der Veranstaltungen gewährleisten. Weiter werden Forderungen nach einer Kostenbeteiligung der Veranstalter an den ressourcenintensiven Polizeieinsätzen immer lauter. Auf diese reagierte jüngst die Bremer Bürgerschaft, die der gebührenrechtlichen Inpflichtnahme von Veranstaltern kommerzieller Großveranstaltungen als erste Landesvertretung gesetzlich den Weg ebnete9, wenn auch die Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit zu klären bleibt10.

8  Vgl. die entsprechende Pressemitteilung des Landesinnenministeriums, abrufbar unter: http://www.mik.nrw.de/presse-mediathek/aktuelle-meldungen/aktuelles-im-detail/ news/nrw-polizei-sorgt-fuer-sicherheit-beim-fussball-innenminister-ralf-jaeger-wirwollen-den-kraefte.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 9  Vgl. das Gesetz zur Änderung des Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes, GBl. der Freien Hansestadt Bremen 2014 Nr. 112, S. 457. 10  Vgl. hierzu B. Schiffbauer, Unhaltbar? Zum Bremer Vorstoß einer Kostentragungspflicht für Polizeieinsätze im Profifußball, in: NVwZ 2014, S. 1282 (1282 ff.); S. Heise, Überwälzungen von Einsatzkosten der Polizei bei Spielaustragungen im Profifußball. Der gebührenrechtliche Ansatz, in: NVwZ 2015, S. 262–268, sowie N. Klein, Fußballveranstaltungen und Polizeikosten – Die Verfassungsmäßigkeit einer kostenrechtlichen lex-Fußball in Bremen, in: DVBl. 2015, S. 275 (275 ff.).

20 Einleitung

B. Begrenzung des Gegenstands der Arbeit und Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich neben den gesellschaftlichen Gegebenheiten ritualisierten Gewaltverhaltens im Rahmen von Fußballgroßveranstaltungen mit den verschiedenartigen Möglichkeiten dessen gefahrenabwehrrechtlicher Bekämpfung. Die Untersuchung erfolgt dabei vorwiegend aus der Perspektive des in Nordrhein-Westfalen geltenden Rechts. Sofern sich nach fremdem Landesrecht besondere Situationen ergeben, wird auszugsweise auch auf die dortige Rechtslage eingegangen. Dabei ist Kapitel 1 den historischen, soziologischen und psychologischen Hintergründen und aktuellen Entwicklungen des Phänomens der Gewalt um den Fußballsport gewidmet und beleuchtet weiter bisherige politische Reaktionen und Bekämpfungsstrategien des Problems. Im Anschluss werden in Kapitel 2 die Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereiche der verschiedenen im Problemfeld fußballbezogener Gewalt anzusiedelnden Akteure, namentlich der privaten Veranstalter sowie der Polizei- und Ordnungsbehörden, gegeneinander abgegrenzt. Sodann wird im Rahmen von Kapitel 3 der Fokus auf die gängigen durch die Polizei gegenüber potenziell gewalttätigen Fans ergriffenen Maßnahmen gelegt. Diese werden zunächst im Hinblick auf ihre Wirkungsweise sowie ihre Grundrechtsbezüge analysiert und infolgedessen auf ihre Rechtmäßigkeit hin untersucht. Dabei wird im Zuge der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen anfangs die aktuelle Gesetzeslage auf einen etwaig bestehenden Regelungsbedarf hin untersucht, um in der Folge für die Fälle, in denen ein solcher ausgemacht werden kann, eigene Regelungsvorschläge vorzustellen. Anschließend werden die Maßnahmen aus der Perspektive des im Falle der Umsetzung der zuvor dargestellten Regelungsvorschläge geltenden Rechts anhand hypothetischer, in der Praxis aber typischer Anwendungsfälle überprüft. Nachfolgend behandelt Kapitel 4 in Parallele zum vorstehenden Kapitel die neuere Tendenz der primär ordnungsbehördlichen Inanspruchnahme von Veranstaltern und anderen Dritten zur Eindämmung fußballbezogenen Gewaltverhaltens und die insofern bestehenden rechtlichen Möglichkeiten. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst. Nicht erörtert wird zum einen jegliche repressive polizeiliche Tätigkeit zur Eindämmung von Zuschauergewalt. Zum anderen beschränken sich die Ausführungen auf den zur Primärebene zu rechnenden Bereich polizei- und ordnungsbehördlichen Handelns, sodass auch auf die anfangs angesprochene Frage einer eventuellen Kostentragungspflicht der Veranstalter im Hinblick auf die Einsätze nicht eingegangen wird.

Kapitel 1

Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen unter besonderer Einbeziehung soziologischer und psychologischer Erkenntnisse In diesem Kapitel soll zunächst ein Überblick über die historischen und aktuellen Entwicklungen des Phänomens fußballbezogener Gewalt vermittelt werden (A.). Sodann werden die von Fanforschern und Polizei verwendeten Modelle zur Kategorisierung von Fußballzuschauern vorgestellt (B.) und die unterschiedlichen gewalttätigen (Fußball-)Subkulturgruppen im Hinblick auf ihre Handlungsmotive und Strukturen gegeneinander abgegrenzt (C.). Im Anschluss erfolgt eine Darstellung der gängigen sozio- und psychologischen Erklärungsansätze für das Gewaltverhalten von Fußballfans (D.), bevor abschließend die bisherigen politischen Reaktionen auf die Gewalt (E.) sowie verschiedene Handlungsstrategien erläutert werden (F.).

A. Historische und aktuelle Entwicklungen gewalttätiger Ausschreitungen um den Fußballsport – Der Weg von „heißer“ zu „kalter“ Gewalt I. Gewalttätige Ausschreitungen im mittelalterund frühneuzeitlichen England Gewalttätige Auseinandersetzungen im Rahmen von Sportveranstaltungen, insbesondere von Fußballspielen, sind kein neues Phänomen. Bereits die in England seit dem 14. Jahrhundert existierenden Vorläufer des heute bekannten Fußballspiels waren so sehr durch gewalttätiges Verhalten im und rund um das Spielgeschehen geprägt, dass sie, wenn auch vergebens, durch zahlreiche königliche Edikte verboten wurden, um den Landfrieden aufrecht zu erhalten.1 Diese ersten Formen des Fußballs waren regional sehr unter1  Sehr anschauliche Darstellungen der volkstümlichen Fußballspiele und der Versuche ihrer Eindämmung finden sich bei N. Elias / E. Dunning, Sport im Zivilisationsprozeß. Studien zur Figurationssoziologie, 1982, S. 85 ff.; E. Dunning, „Volks­fußball“ und Fußballsport, in: W. Hopf (Hrsg.), Fußball. Soziologie und Sozialgeschichte einer

22 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

schiedlich. Verbreitet waren jedoch Varianten, bei denen der Ball treibballähnlich teilweise von gesamten Dorfgemeinschaften über eine große Distanz hinweg beispielweise durch das Stadttor der jeweiligen Nachbargemeinde befördert werden sollte. Mit welchen Mitteln dies zu bewerkstelligen war, unterlag nahezu keinen Einschränkungen. Auch eine in hohem Maße gewalttätige Spielweise gehörte zum alltäglichen Spielgeschehen, sodass selbst schwere Verletzungen an der Tagesordnung waren.2 Ihre Brutalität war dabei ein gemeinsames Charakteristikum der verschiedenen volkstümlichen Fußballspielformen.3 Um diese Gewalttätigkeit richtig einordnen zu können, muss man sich allerdings vor Augen führen, dass das mittelalterliche und frühneuzeitliche England im Allgemeinen durch eine stärkere Gewaltbereitschaft als in heutiger Zeit gekennzeichnet und das Mittel körperlicher Auseinandersetzung noch nicht tabuisiert war. Sportliche Wettkämpfe und im Rahmen dieser von Teilnehmern oder auch von Zuschauern ausgeübte Gewalt boten die Möglichkeit, gesellschaftliche Spannungen und Konflikte, über welche noch nicht in distanzierter Weise durch Gerichte entschieden wurde, zu bewältigen und „alte Rechnungen“ zu begleichen. Gewalt war somit in Wettkampfform institutionalisiert und in dieser Gestalt durch die gesellschaftliche Tradition und zeitweise durch Kirche und Obrigkeit legitimiert.4 Festzuhalten ist damit, dass der im Rahmen von Fußballspielen auftretenden Gewalt im Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit meist ein Konfliktpotenzial zugrunde lag, welches von außen hereingetragen wurde, und die Ursache der Gewalt, ob durch Spieler oder Zuschauer verübt, daher nicht im Fußballspiel selbst lag. Dieses diente vielmehr als Plattform. Dennoch geschah die Gewaltausübung in hoch emotionaler Weise, aus der aufgeheizten Stimmung des Spiels heraus, sodass die hier beschriebene Form der Gewalt als „heiße Gewalt“ charakterisiert werden kann.5 populären Sportart, 3. Aufl. 1998, S. 12 (14 ff.), sowie D. Schulze-Marmeling, Fußball. Zur Geschichte eines globalen Sports, 2000, S. 11 ff. Vgl. weiter K. Weis / P. Backes / B. Gross / D. Jung, Zuschauerausschreitungen und das Bild vom Fußballfan, in: G. Pilz / D. Albrecht / H. Gabler / E. Hahn / D. Peper / J. Sprenger / H. Voigt / M. Volkamer / K. Weis (Hrsg.), Sport und Gewalt, 1982, S. 61 (61 f.). 2  A. Aschenbeck, Fußballfans im Abseits, 1998, S. 10 f.; Schulze-Marmeling, Fußball (Fn. 1), S. 11 ff.; F. Friedmann, Polizei und Fans. Ein gestörtes Verhältnis?, 2009, S.  2 f.; M. Sommerey, Die Jugendkultur der Ultras. Zur Entstehung einer neuen Generation von Fußballfans, 2010, S. 27. 3  Elias / Dunning, Zivilisationsprozeß (Fn. 1), S. 95. 4  Elias / Dunning, Zivilisationsprozeß (Fn. 1), S. 90 ff., 102. 5  Aschenbeck nutzt den Begriff der „heißen Gewalt“ für die besonders in den 1970er Jahren auftretende fußballbezogene Gewalt, die weitgehend vom Spielverlauf abhängig war, vgl. Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 118 ff. Auch wenn die Gewalt des volkstümlichen Fußballs sich zwar häufig nicht unmittelbar aus dem Spielge-



A. Historische und aktuelle Entwicklungen23

II. Vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre Die Gründung des Deutschen Fußball-Bundes 1900 legte den Grundstein für den Aufstieg des Fußballs zum deutschen Volkssport Nummer eins.6 Der in Deutschland übernommene, bis dahin weitgehend reglementierte Sport zeichnete sich durch eine weit weniger brutale Spielweise aus als seine englischen Vorläufer; demgegenüber waren gewalttätige Ausschreitungen auf den Zuschauerrängen nun fester Bestandteil des Fußballgeschehens.7 Zahlreichen Berichten aus den 1920er, 30er und 50er Jahren zufolge übernahmen etwa Zuschauer die Ahndung von Foulspielen auf dem Spielfeld selbst. Weiter führte die insgesamt aufgeheizte Stimmung zu Besorgnis erregenden Schlägereien.8 Ebenso wie seine volkstümlichen englischen Vorgänger hatte der Fußball zu dieser Zeit großen lokalen Bezug. Es traten häufig Vereine aus benachbarten Gemeinden gegeneinander an; die Zuschauer waren meist Ortsansässige, mit der Folge, dass der Konfliktstoff für die Auseinandersetzungen wiederum vorwiegend aus den persönlichen Beziehungen der Beteiligten herrührte. Er wurde somit ebenfalls von außen eingebracht und ergab sich nicht unmittelbar aus dem Spielgeschehen. Dieses bot indessen einen situativen Anreiz für die Gewaltausübung, welche gleichermaßen wie zu den Anfängen des Fußballsports in England „aus der Hitze des Gefechts“ erfolgte, sodass die im Rahmen von Fußballspielen ausgeübte Gewalt auch während dieses Zeitraums als „heiße Gewalt“ qualifiziert werden kann.9 Darüber hinaus verfügten gewalttätige Zuschauerausschreitungen auch zu dieser Zeit über ein gewisses konfliktlösendes Moment. Während der 1970er Jahre vollzog sich mit der Bildung der ersten Fanclubs sodann ein Wandel in der Fanszene sowie der im Rahmen von Fußballveranstaltungen auftretenden Gewalt. Zum größten Teil aus Jugendlichen bestehend, versuchten ihre Mitglieder, die sog. Kuttenfans, sich durch einschehen, sondern aufgrund von bereits vorher bestehendem Konfliktpotenzial ergab, kann jedoch auch diese Form der Gewalt als sehr emotional und damit als „heiß“ charakterisiert werden. 6  Zu den Anfängen des Fußballsports in Deutschland Schulze-Marmeling, Fußball (Fn. 1), S. 63 ff. 7  Weis / Backes / Gross / Jung, Zuschauerausschreitungen (Fn. 1), S. 61; T. König, Fankultur, 2002, S. 79; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 28 f. Zum Prozess der Zivilisierung und Reglementierung des Sports ausführlich Schulze-Marmeling, Fußball (Fn. 1), S. 21 ff., sowie E. Dunning, Die Entstehung des Fußballsports, in: Hopf, Fußball (Fn. 1), S. 42 ff. 8  Weis / Backes / Gross / Jung, Zuschauerausschreitungen (Fn. 1), S. 62. 9  Weis / Backes / Gross / Jung, Zuschauerausschreitungen (Fn. 1), S. 61 f.

24 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

heitliche Kleidung, welche mit Vereinswappen oder ähnlichem bestickt war, den „Kutten“, durch ihre Position in der Stadionkurve und teilweise durch die Ausübung von Gewalt von den anderen Zuschauern abzugrenzen.10 Der lokale Bezug des Fußballs hatte durch die Gründung der Fußball-Bundesliga 1963 und die zunehmende Professionalisierung und Kommerzialisierung des Sports bereits stark abgenommen.11 Die in Clubs organisierten Fans begleiteten ihre Mannschaft vermehrt zu Auswärtsspielen, sodass gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Heim- und Gästefans zunahmen. Das Konfliktpotenzial ergab sich nun weitgehend aus dem Spielgeschehen selbst bzw. aus Rivalitäten und gegenseitigen Provokationen der verschiedenen Fangruppen.12 Es handelte sich wiederum um eine Form von „heißer Gewalt“, die jedoch nicht nur ihren Anlass, sondern meist auch ihre unmittelbare Ursache im Fußball selbst bzw. dem Geschehen im Stadion fand.13 Zu dieser Zeit wurde fußballbezogene Zuschauergewalt, unterstützt durch massenmediale Berichterstattung, zum ersten Mal durch die Öffentlichkeit als Problem wahrgenommen und mit moralischer Entrüstung gestraft.14

III. Die 1980er Jahre – Das Aufkommen der Hooligans Während der 1980er Jahre spaltete sich in Deutschland von jenen fußballzentrierten Fans die Subkultur der Hooligans ab.15 Ohne an dieser Stelle vertieft auf diese Subkulturgruppe eingehen zu wollen, soll kurz das Hauptcharakteristikum des Gewaltverhaltens von Hooligans dargestellt werden. Dabei ist zu beachten, dass es natürlich unterschiedliche Formen des Hooliganismus gibt und sich die verschiedenen Subkulturgruppen in der Praxis stark unterscheiden können. In der Theorie jedoch zeichnen sich Hooligans dadurch aus, dass sie nicht aufgrund außerhalb des Fußballspiels liegenden Konfliktpotenzials bzw. aufgrund eines situativen Anreizes gewalttätig reagieren, sondern zielgerichtet nach Gewalt suchen. Die Gewaltausübung hat 10  König,

Fankultur (Fn. 7), S. 79; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 40 f. Fußballfans (Fn. 2), S. 101 ff.; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2),

11  Aschenbeck,

S.  34 f. 12  König, Fankultur (Fn. 7), S. 79; Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 118. 13  Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 118 ff. 14  H.-J. Schulz / R. Weber, Zuschauerausschreitungen – das Problem der Fans, in: G. Pilz (Hrsg.), Sport und körperliche Gewalt, 1986, S. 55 (55 f.); Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 120; König, Fankultur (Fn. 7), S. 79 f. Eine Darstellung der oft reißerischen Berichterstattung durch die Medien findet sich bei G. Pilz / R. Wismach, Das Bild der Fußballfans in den Medien, in: E. Hahn / G. Pilz / H. Stollenwerk /  K. Weis (Hrsg.), Fanverhalten, Massenmedien und Gewalt im Sport, 1988, S. 221 (221 ff.). Zur Rolle der Medien auch Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 26 ff. 15  König, Fankultur (Fn. 7), S. 82; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 19.



A. Historische und aktuelle Entwicklungen25

für Hooligans einen Selbstzweck, sie erfolgt ritualisiert und häufig unabhängig vom Spielgeschehen.16 Somit gaben die Hooligans der Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen einen anderen Charakter, indem sie sie von einer anlassbezogenen, „heißen“ in eine verselbstständigte, fußballunabhängige, „kalte Gewalt“ umwandelten.17 Natürlich ist auch Hooligangewalt insofern anlassbezogen, als der Fußball häufig als Plattform genutzt wird, sie wird jedoch nicht unmittelbar durch das Spielgeschehen bedingt. Weiter fehlt ihr das in früheren Zeiten bestehende konfliktlösende Moment. Deutschland ist nur eines von vielen Ländern, in denen der Hooliganismus, dessen Wurzeln im England der 1960er Jahre liegen18, während der 1980er Jahre vermehrt Anhänger fand. Ihren bitteren Höhepunkt fand die Bewegung im Vorfeld des UEFA-Cup-Finales zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin am 29.5.1985 im Brüsseler Heysel-Stadion. Englische Fans attackierten einen nur durch einen Zaun abgetrennten Block, der mit friedlichen italienischen Zuschauern besetzt war, welche in Panik gerieten und zu fliehen versuchten. Eine der den Block umgebenden Mauern stürzte ein, wodurch 39 Menschen starben und 376 verletzt wurden.19 Deutsche Hooligans traten vor allem bei Spielen der Nationalmannschaft negativ in Erscheinung, indem sie versuchten, sich durch Ausschreitungen bei Länderspielen einen „Ruf“ zu erarbeiten, wie z. B. bei der Europameisterschaft 1984, als sie zum „Frankreichüberfall“ aufriefen.20

IV. Die 1990er Jahre – Die Ultrabewegung Neben der allgemeinen Verfestigung der Hooligan-Subkultur führten die 1990er Jahre mit dem Aufeinandertreffen ost- und westdeutscher Hooligans in der Saison 1991 / 92 zu einer Erweiterung und Intensivierung derselben.21 Darüber hinaus brachten die 1990er Jahre eine weitere Fußball-Subkultur in 16  Weis / Backes / Gross / Jung, Zuschauerausschreitungen (Fn. 1), S. 62  f.; König, Fankultur (Fn. 7), S. 84, 95; G. Pilz / S. Behn / A. Klose / V. Schwenzer / W. Steffan /  F. Wölki, Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball, 2006, S. 215 f.; A. Böttger, Die Gewalt der Hooligans – eine Folge moderner gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse?, 71. Forschungsbericht des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e. V., 1998, S. 9 ff., abrufbar unter: http://www.kfn.de/versions/ kfn/assets/fb71.pdf, zuletzt abgerufen am 20.7.2015; B. Willms, Hooligans, Medien und Sicherheit bei der Fußballweltmeisterschaft 2006, in: T. Jäger / H. Viehrig (Hrsg.), Sicherheit und Medien, 2009, S. 125 (129 f.). 17  Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 118. 18  König, Fankultur (Fn. 7), S. 69 ff.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 18. 19  König, Fankultur (Fn. 7), S. 74; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 127. 20  König, Fankultur (Fn. 7), S. 87. 21  König, Fankultur (Fn. 7), S. 89 f.

26 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

Deutschland hervor: die sog. Ultras.22 Die Ultras, auf die an dieser Stelle wiederum nur sehr kurz und vereinfacht eingegangen werden soll, wendeten sich zum einen von den in ihren Augen konsumorientierten und zu wenig kritischen „Kuttenfans“ ab, gleichzeitig distanzierten sie sich vom Hooliganismus, indem sie sich für eine Abkehr von der Gewalt aussprachen.23 Dieses Bekenntnis steht leider im Widerspruch zum nicht unerheblichen Anteil gewaltbereiter bzw. -tätiger Ultras.24 Sofern Ultras gewalttätig handeln, tun sie dies jedoch – zumindest in der Theorie – anders als Hooligans nicht aus Lust zur Gewalt, sondern situativ und reaktiv, in großer Abhängigkeit vom Spielgeschehen sowie aufgrund von Provokationen, Rivalitäten oder Ähnlichem, sodass die Ultrabewegung teilweise zu einem erneuten Wandel des Charakters fußballbezogener Gewalt zurück zu einer unselbstständigen, „heißen Gewalt“.25

V. Entwicklungen bis heute Mit ihrem Hinzutreten haben die Ultras das Feld der verschiedenen gewalttätigen Akteure im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen weitgehend vervollständigt. Dennoch scheint das Phänomen gewalttätiger Ausschreitungen weiterhin in stetigem Wandel zu stehen. In dieser Passage sollen die Entwicklungen der Gewalt in der jüngeren Vergangenheit nachvollzogen werden. Es stellen sich vor allem folgende Fragen: Nimmt die Gewalt in quantitativer und / oder qualitativer Hinsicht zu bzw. ab? Verändern sich die grundlegenden Charakteristika fußballbezogener Gewalt? Zur Beantwortung der Frage, wie sich gewalttätige Ausschreitungen zahlenmäßig entwickeln, können die Ergebnisse der jährlichen Berichte der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) einbezogen werden, in denen aus einer längsschnittlichen Perspektive vor allem gewalttätige Ausschreitungen im Rahmen der Spiele der 1. und 2. Bundesliga statistisch erfasst werden.26 Der Jahresbericht Fußball zur Saison 2013 / 14 lässt den 22  R. Blaschke, Im Schatten des Spiels. Rassismus und Randale im Fußball, 2. Aufl. 2008, S. 84. 23  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 127 ff., 213 f.; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 61. 24  Vgl. Jahresbericht Fußball Saison 2013 / 14 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, S. 6 ff., abrufbar unter: https://www.polizei.nrw.de/artikel__68.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 25  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 215 ff. 26  Die Berichte sind abrufbar unter: http://www.polizei-nrw.de/artikel__68.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. Vgl. jedoch die durch Feltes geäußerte Kritik im Hinblick auf die Transparenz dieser Statistiken, T. Feltes, Sicherheit bei Großveranstaltungen durch Überwachung der TeilnehmerInnen? Zur aktuellen Diskussion um



A. Historische und aktuelle Entwicklungen27

Schluss zu, dass sich die Gewalt in quantitativer Hinsicht langfristig verstärkt. So wurden in der Saison 2013 / 14 allein an den Standorten der beiden Bundesligen 7.863 Strafverfahren durch die Polizeien der Länder und die Bundespolizei eingeleitet. Dies übersteigt zwar nicht den bisherigen Höchstwert von 8.143 eingeleiteten Strafverfahren während der Saison 2011 / 2012, liegt jedoch über 44% über dem Durchschnitt der letzten zwölf Jahre. Die Verfahren beruhten beinahe zur Hälfte auf anlasstypischen Gewaltdelikten wie Körperverletzungen (26,3%), Sachbeschädigungen (8,2%), Landfriedensbruch (5,6%), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (5,3%) sowie Straftaten nach § 86a StGB (1,1%).27 Dieser Trend wird zudem durch die Zahl der Verletzungsopfer (ohne Unfallopfer) bei Fußballveranstaltungen an den besagten Standorten demonstriert. Diese erreichte in der Saison 2013 / 14 ihren historischen Höchststand von 1.281 (davon 361 Polizeibeamte, 429 Störer und 415 Unbeteiligte) und liegt damit 99,8% über dem Durchschnitt der letzten zwölf Jahre.28 Ein weiteres Indiz stellt der parallel verlaufende Anstieg der personellen Belastung der Polizeibehörden dar. Während die Polizeien der Länder sowie die Bundespolizei in der Saison 2002 / 03 „nur“ 900.888 Arbeitsstunden bei der unmittelbaren Einsatzbewältigung leisteten, hat sich diese Zahl bis zur Saison 2013 / 14 mehr als verdoppelt und stieg auf 1.944.919 Arbeitsstunden an. Dies entspricht einer hauptamtlichen Verwendung von 1.496 Beamtinnen und Beamten.29 Bei all diesen Zahlen muss zwar berücksichtigt werden, dass auch die Zuschauerzahlen im betrachteten Entwicklungszeitraum von zwölf Jahren um 46% gestiegen sind, die Aussage, dass die Gewalt zahlenmäßig zugenommen hat, kann dadurch jedoch nicht entkräftet werden.30 Zu der Frage, ob sich die Gewalt in qualitativer Hinsicht verändert, d. h. die Szene sich radikalisiert, lassen sich den Berichten der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze keine ausdrücklichen Aussagen entnehmen. Allerdings fällt bei näherer Betrachtung der im Bericht 2013 / 14 aufgeführten Werte auf, dass die meisten Parameter, die Auskunft über die quantitative den Umgang mit Gewalt in und um Fußballstadien, in: Neue Kriminalistik 2013, S. 48 (50). 27  Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 12 ff., Anlage 1 S. 3. 28  Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 11 f., Anlage 1 S. 3. 29  Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 21, Anlage 1 S. 3. 30  Von der Saison 2002 / 03 bis zur Saison 2013 / 14 stiegen die Zuschauerzahlen in den Bundesligen von 12.854.360 auf 18.776.494 an, vgl. die Zuschauerzahlen des Deutschen Fußball-Bundes, abrufbar unter: http://www.dfb.de/bundesliga/statistik‌/ zuschauerzahlen / , zuletzt abgerufen am 20.7.2015. Dennoch zeigt besonders ein von Feltes unternommener Vergleich der Verletztenzahlen bei Spielen der beiden Bundesligen und dem Oktoberfest, dass die Gefahr, ein Opfer von fußballbezogener Gewalt zu werden, auch nicht überschätzt werden sollte, vgl. Feltes, Sicherheit (Fn. 26), S. 50.

28 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

Entwicklung der Gewalt geben können, wie bereits dargelegt, langfristig ansteigen, während dies für die Zahl der durch die Polizeibehörden als gewaltbereit bzw. -suchend eingestuften Fans der Vereine der beiden Bundesligen („Kategorie B- und C-Fans“31) nicht zutrifft. Die Zahl, dieser „Problemfans“ lag in der Saison 2013 / 14 mit 10.542 zwar vergleichsweise hoch, ihren Höchststand erreichte sie jedoch in der Saison 2011 / 2012 mit 11.373, sodass schon deswegen nicht von einer stetigen Steigerung gesprochen werden kann. Zudem unterlag die Anzahl gewaltbereiter und -suchender Fans und somit grundsätzlich auch ihr Gewaltpotenzial während des Betrachtungszeitraums von zwölf Jahren zwar immer wieder Schwankungen, diese sind jedoch weitgehend auf Auf- bzw. Abstiege bestimmter Vereine zurückzuführen32 und können das Bild einer zahlenmäßig in etwa gleichbleibenden Menge nicht trüben.33 Der Umstand, dass die Anzahl der eingeleiteten Strafverfahren und der Verletzungsopfer sowie die personelle Einsatzkraft der Polizeibehörden steigen, obwohl das personelle Gewaltpotenzial der „Problemfans“ nahezu konstant ist, legt den Schluss auf eine Steigerung der Radikalität und Brutalität, d. h. eine Zunahme der Gewalt in qualitativer Hinsicht zumindest nahe.34 Demgegenüber bestehen jedoch auch andere Interpretationsmöglichkeiten. Eine Erklärung für die entgegengesetzte Entwicklung von eingeleiteten Strafverfahren, Opferzahlen sowie personeller Belastung einerseits und des personellen Gewaltpotenzials andererseits ergibt sich aus einer näheren Betrachtung der Interdependenz von Medien, Öffentlichkeit, Polizei und Gewalt. So führt die oft undifferenzierte und sensationsheischende Medienberichterstattung über gewalttätige Ausschreitungen bei Fußballspielen zu der öffentlichen Meinung, die Gewalt im Stadion habe zugenommen, sowie zu einem weit verbreiteten negativen Bild vom „permanent gewalttätigen Fußballfan“.35 Diese Wahrnehmung könnte trotz der konstanten Menge gewaltbereiter und -suchender Fans zu einem Ansteigen der Polizeipräsenz geführt haben, wodurch verübte Gewalttaten besser verfolgt und mehr Strafverfahren eingeleitet werden konnten.36 Möglicherweise wurde dieser Pro31  Zuschauer werden durch die Polizeibehörden in die Kategorien A („friedlich“), B („gewaltbereit / -geneigt“) und C („gewaltsuchend“) eingeteilt, vgl. Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 6. 32  Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 9, Anlage 1 S. 3. 33  Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 3, Anlage 1 S. 3. 34  So auch Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 47. 35  Zur Rolle der Medien H. Gabler / H.-J. Schulz / R. Weber, Zuschaueraggressionen – eine Feldstudie über Fußballfans, in: Pilz et al., Sport (Fn. 1), S. 23 (23 f.); Schulz / Weber, Zuschauerausschreitungen (Fn.  14), S.  55  f.; Pilz / Wismach, Bild (Fn. 14), S. 221 ff.; Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 97, 120 f.; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 131 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 26 ff., 106.



A. Historische und aktuelle Entwicklungen29

zess dadurch verstärkt, dass die verbesserte Ahndung der Gewalt, bedingt durch das erhöhte Polizeiaufkommen, wiederum zu einem Anschwellen der Berichterstattung über fußballbezogenes Gewaltverhalten durch die Medien geführt haben könnte. Somit widerspricht dieser Erklärungsansatz der oben geäußerten These, die Gewalt steige qualitativ an. Weiter spricht sie sich gegen einen quantitativen Anstieg der Gewalt aus, indem sie davon ausgeht, dass die erhöhten Werte im Jahresbericht 2013 / 14 nicht auf einem tatsächlichen zahlenmäßigen Anstieg der Gewalt, sondern auf einer verbesserten Polizeiarbeit beruhen. 36

Dieser Lesart kann entgegen gehalten werden, dass die These einer Radikalisierung der Fanszene von vielen Fanforschern bestätigt wird. In der von Lösel et al. im Jahre 2001 veröffentlichten Studie zum Hooliganismus in Deutschland berichten die zu den einzelnen Standorten befragten Experten immer wieder von einer zunehmenden Brutalisierung, welche sich z. B. in einer sinkenden Hemmschwelle gegenüber dem Einsatz von Waffen ausdrücke.37 Weiter wird gerade den im Zentrum des vorgestellten Ansatzes stehenden Medien vorgeworfen, durch ihre Berichterstattung die Eskalation fußballbezogener Gewalt voranzutreiben, indem eine Erwartungshaltung gegenüber Fußballfans geformt sowie ein etwaiges selbstdarstellerisches Interesse der Gewalttäter befriedigt wird.38 Weiter kann der dargestellte Ansatz das eindeutige Indiz der höheren Opferzahlen für die zahlenmäßige Steigerung der Gewalt nicht ausräumen. Es ist somit neben einer quantitativen auch von einer qualitativen Steigerung der Gewalt im Sinne einer Radikalisierung auszugehen, auch wenn die Möglichkeit einer besseren Erfassung der Gewalt aufgrund des erhöhten Polizeiaufkommens weiterhin besteht. Neben dem bereits beschriebenen kontinuierlichen Prozess der „Verselbstständigung des Randalierens“39 sowie der entgegengesetzten Entwicklung der Gewalt durch das Hinzutreten der Ultras sind weitere Trends hinsichtlich der Merkmale der Gewalt um den Fußballsport beobachtbar. Zum einen wird insbesondere in Bezug auf Hooligans eine Verlagerung der Gewalt aus den Stadien bzw. deren unmittelbarem Umfeld hin zu abgesprochenen Drittorten verzeichnet, um ein Einschreiten der Polizei zu verhindern.40 Dieses Phänomen verdeutlicht den sinkenden Fußballbezug in Teilen der teilweise auch Friedmann, Polizei (Fn. 12), S. 47, 106. Lösel / T. Bliesener / T. Fischer / M. Pabst, Hooliganismus in Deutschland: Ursachen, Entwicklung, Prävention und Intervention, 2001, S. 35, 38, 44, 48, 55, 147. 38  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 148; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 131 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 26 ff. 39  So Weis / Backes / Gross / Jung, Zuschauerausschreitungen (Fn. 1), S. 63. 40  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 147; König, Fankultur (Fn. 7), S. 95 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 24, 107; Jahresbericht Fußball 2013 / 14, (Fn. 24), S. 19 f. 36  So 37  F.

30 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

gewalttätigen Fanszene. Des Weiteren lässt sich häufig die Aussage finden, die Gewalttäter würden jünger und das Einstiegsalter bei gewalttätigen Subkulturgruppen sinke.41 Teilweise wird auch die zunehmende Brutalisierung auf das sinkende Einstiegsalter zurückgeführt, da gerade die jüngeren Täter geringere Hemmschwellen hätten und unberechenbarer seien.42 Die Aussage, dass die Gewalttäter jünger werden, wird durch die Jahresberichte der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze allerdings nicht bestätigt. Diese zeigen unter anderem auf, in welchem Maße unterschiedliche Altersgruppen von freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffen waren. Danach unterlag der Anteil von Personen bis 13 Jahre von 2008 / 09 bis 2013 / 14 großen Schwankungen, war jedoch mit einem Durchschnitt von 0,125% sehr gering. Der Anteil der 14- bis 17-jährigen Personen sank von 10,36% auf 4,3%. Ebenso sank die Rate der 18 bis 20 Jahre alten Personen, während alle älteren Personengruppen zunehmend betroffen waren. Die Gruppe der 21 bis 25 Jährigen bildete den Löwenanteil mit durchschnittlich 33,8%.43 Ob das Alter der Gewalttäter sinkt, kann daher nicht abschließend festgestellt werden, allerdings unterstreichen die Zahlen die insgesamt junge Altersstruktur gewalttätiger Fußballfans, welche mehrheitlich unter 25 Jahre alt sind.44 Eine weitere Entwicklung der Gewalt solle in ihrem Abwandern in niedrigere Spielklassen liegen, bei deren Spielen weniger Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden.45 Auch diese Aussage wird in Anbetracht der konstanten bzw. steigenden Anzahl der „Problemfans“ in den Bundesligen und der 3. Liga sowie dem zumindest bis zur Saison 2011 / 11 zu verzeichnenden Abfallen der Werte in den drei Regionalligen durch den Jahresbericht 2013 / 14 nicht bestätigt.46 Die weiterhin zu vernehmende These, das 41  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 35, 55; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 24, 103; So enthält noch der Jahresbericht Fußball für die Saison 2010 / 11 nicht unerhebliche Angaben über freiheitsentziehende Maßnahmen aufgrund von Fußballgewalt, welche 10–13 Jährige betreffen, vgl. Jahresbericht Fußball Saison 2010 / 11 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, Anlage 4, abrufbar unter: https://www.polizei.nrw.de‌/artikel__68.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 42  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 38, 40, 55, 147; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 24, 103. 43  Vgl. den Jahresbericht Fußball 2010 / 11 (Fn. 41), Anlage 5 S. 1, sowie den Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), Anlage 5 S. 1. 44  Freiheitsentziehende Maßnahmen wurden in der Saison 2013 / 14 zu 59,3% gegenüber Personen bis 25 Jahre ergriffen, vgl. Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), Anlage 5 S. 1. 45  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn.  37), S. 33; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 24, 112 f. Das „Nationale Konzept Sport und Sicherheit“, auf das unter Kap. 1, E. vertieft eingegangen wird, entfaltet in den niedrigeren Spielklassen keine Wirkung. 46  Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), Anlage 1 S. 3 f.



B. Die Kategorisierung von Zuschauern31

Gewaltpotenzial sei in den neuen Bundesländern ungleich höher als in den alten, scheint jedoch zuzutreffen.47

B. Die Kategorisierung von Zuschauern In der Saison 2013 / 14 besuchten ca. 18,4 Millionen Zuschauer die 612 Spiele der beiden Bundesligen.48 Es ist somit naheliegend, dass das Spektrum dieser Zuschauer sehr weit gefächert ist, sodass „der Zuschauer“ bzw. „der Fan“ nicht existiert, aber noch viel mehr, dass nur ein sehr kleiner Anteil dieser riesigen Zuschauerzahl gewalttätig ist. Dabei können Erkenntnisse hinsichtlich der Frage, welche Zuschauergruppen sich an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligen, Rückschlüsse auf die Ursachen des Gewaltverhaltens und eventuell auf wirksame Bekämpfungsstrategien ermöglichen. Um der Masse an Zuschauern Herr zu werden, haben sich in der soziologischen Literatur unterschiedliche Kategorisierungsansätze herausgebildet. Die verschiedenen Ansätze folgen einer ähnlichen Struktur und unterscheiden sich meist nur geringfügig.49 Auf vergleichsweise breite Zustimmung gestoßen ist die von Heitmeyer / Peter vorgenommene Unterteilung in die Kategorien „konsumorientiert“, „fußballzentriert“ und „erlebnisorientiert“, anlehnend an den sozialen Bedeutungsgrad des Fußballs für den jeweiligen Zuschauer sowie dessen Gruppenorientierung.50 Demnach stellt ein Stadionbesuch für den „konsumorientierten Fan“ eine austauschbare Freizeitbeschäftigung dar. Die Darbietung einer guten sportlichen Leistung ist ihm wichtiger als der Sieg einer eventuell favorisierten Mannschaft. Fußball besitzt für diesen Zuschauertypus wenig Relevanz in Bezug auf seine soziale Anerkennung. Auch ist seine Gruppenorientierung schwach ausgeprägt.51 In Ermangelung einer besonderen Vereinsverbundenheit besteht bei einem Fußballspiel nur ein geringer Grad an emotionalem Engagement, sodass „konsumorientierte Fans“ in der Regel nicht gewalttätig handeln. Dem gegenüber stehen die „fußballzentrierten Fans“, welche den Kern der Fanszene bilden.52 Zwar messen auch sie der sportlichen Darbietung 47  Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 111. Eine nähere Darstellung der Unterschiede erfolgt unter Kap. 1, C. III. 48  Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 5. 49  Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 90 f. 50  W. Heitmeyer / J.-I. Peter, Jugendliche Fußballfans. Soziale und politische Orientierungen, Gesellungsformen, Gewalt, 2. Aufl. 1992, S. 31 ff. 51  Heitmeyer / Peter, Fußballfans (Fn.  50), S.  31  ff.; Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 91. 52  Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 91.

32 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

große Bedeutung bei, bezeichnend ist für sie jedoch die absolute Treue zum Verein, auch bei sportlichem Misserfolg. Fußball hat einen großen Gruppenbezug, eine extrem hohe soziale Relevanz und ist „durch nichts zu ersetzen“.53 Hier lässt sich auch im Wortsinne von „Fans“ sprechen, denn, etymologisch von „fanaticus“ (von der Gottheit ergriffen) abstammend, verdeutlicht dieser Begriff die herausragende Stellung des Fußballs im Leben eines „Fans“, der diesen einem Gott gleich verehrt.54 Der Großteil der „fußballzentrierten Fans“ ist als friedlich zu qualifizieren. Aufgrund der extremen Gefühlsbindung an den Verein kann es jedoch insbesondere bei sportlichen Misserfolgen der unterstützten Mannschaft zu gewalttätigem Verhalten kommen. Die dritte Kategorie bildet der „erlebnisorientierte Fan“, für den nicht die sportliche Leistung, sondern die Spannung und das Spektakel eines Stadionbesuchs im Vordergrund stehen. Wird im Spiel keine Spannung aufgebaut, erzeugen „erlebnisorientierte Fans“ diese durch gewalttätiges Verhalten selbst. Der Fußball stellt zwar eine wichtige Plattform dar, er ist jedoch theoretisch austauschbar, sofern andere Lebensbereiche die erwünschte Spannung bereiten können.55 Die Polizeibehörden verwenden anstelle der dreiteiligen soziologischen Kategorisierungsweise die bereits dargestellten Kategorien A („friedlich“), B („gewaltbereit bzw. -geneigt“) und C („gewaltsuchend“). Die in dieser Arbeit zu untersuchenden Fußballsubkulturen können anhand beider Ansätze folgendermaßen kategorisiert werden. Die Subkultur der Hooligans unterfällt zweifellos den Kategorien „erlebnisorientiert“ einerseits sowie der Kategorie C –gewaltsuchend – andererseits. Differenzierter muss eine Zuweisung der Subkultur der Ultras erfolgen. Zwar fällt die Ultrakultur in ihrer Reinform gänzlich in die soziologische Kategorie „fußballzentriert“. Betrachtet man allerdings die polizeilichen Kategorien so ist die Mehrheit der Ultras als Kategorie A-Fans zu beurteilen, Teile dieser Subkultur ordnet die Polizei jedoch ohne Einschränkung den Kategorien B und C zu.56

53  Heitmeyer / Peter,

Fußballfans (Fn. 50), S. 32 f. Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, 5. Aufl. 2007, S. 219. 55  Heitmeyer / Peter, Fußballfans (Fn.  50), S.  32  f.; Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 91 f. 56  Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 6 f. 54  K.-H.



C. Ritualisiertes Gewaltverhalten von Subkulturgruppen33

C. Ritualisiertes Gewaltverhalten von Subkulturgruppen I. Die Subkultur der Hooligans 1. Gewaltverhalten und Werte Eine allgemein anerkannte Definition des Hooliganismus existiert aufgrund der extremen Divergenzen der Szene an ihren unterschiedlichen Standorten nicht.57 Konsens besteht lediglich dahingehend, dass die gemeinsame Grundlage der Hooligan-Subkultur deren ausdrückliches Bekenntnis zu körperlicher Gewalt ist.58 Darauf weist auch die vermutete Abstammung des Wortes „Hooligan“ hin. Der Begriff wird auf eine irische Familie namens „Houlihan“ zurückgeführt, die für ihre wüsten Schlägereien bekannt war.59 Die Gewalt als das prägende Merkmal der Hooliganszene hat, wie bereits dargestellt, einen Selbstzweck. Sie wird nicht instrumentell ausgeübt, um übergeordnete Ziele zu erreichen, sondern spaßeshalber, aus Abenteuerlust und aus einem Stimulationsbedürfnis heraus.60 Bezeichnend ist weiter der starke Gruppenbezug der Gewalt.61 Der Wertekatalog der Hooligans ist geprägt von männlichen Attributen wie Kraft, Mut, Dominanz und Macht.62 Diesen Werten nacheifernd, versuchen sich Szenemitglieder in gewalttätigen Auseinandersetzungen zu beweisen und das Ansehen der eigenen Hooligangruppe durch gewonnene Kämpfe zu steigern.63 Es werden sogar interne Ranglisten geführt, welche den Status der Gruppen im nationalen und internationalen Vergleich, abhängig vom jeweiligen Gewaltpotenzial, widergeben.64 Weiter erfolgt durch media57  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, 58  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst,

Hooliganismus (Fn. 37), S. 146 f. Hooliganismus (Fn. 37), S. 146; König, Fan-

kultur (Fn. 7), S. 95. 59  König, Fankultur (Fn. 7), S. 69; B. Krahm, Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung verfassungsrechtlicher und rechtsvergleichender Aspekte, 2008, S. 26; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 16. 60  Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 9 ff.; Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 62; König, Fankultur (Fn. 7), S. 84, 95; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 19; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 130. 61  Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 53. 62  P. Becker, Haut’se, haut’se, haut’se in ’ne Schnauze – Das Fußballstadion als Ort der Reproduktion sozialer Strukturen, in: Pilz, Sport (Fn. 14), S. 55 (78 ff.); König, Fankultur (Fn. 7), S. 83; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 20; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 129 f. 63  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 62, 122. 64  König, Fankultur (Fn. 7), S. 83; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 19 f.; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 129 f.

34 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

le Berichterstattung eine „Legendenbildung“, die das Geltungsbedürfnis der Hooligans befriedigt und sie in ihrem Verhalten bestärkt.65 Den gewalttätigen Auseinandersetzungen wird häufig über einen Vergleich mit legalen Kampf- und Mannschaftssportarten wie Boxen oder Rugby ein Wettkampfcharakter attestiert, welcher teilweise als Legitimation verstanden wird.66 Zum einen wird vorgebracht, dass Kämpfe nur unter Gleichgesinnten, die sich ebenfalls in gewalttätigen Auseinandersetzungen messen wollen, stattfänden, da die Ausübung von Gewalt nur als spannend empfunden werde, wenn der Gegner sich wehre.67 Zum anderen wird insbesondere im Hinblick auf Drittortauseinandersetzungen, bei denen gegnerische Hooligangruppen planvoll und abseits des polizeilich überwachten Stadionumfelds gegeneinander kämpfen, von Szenemitgliedern das romantische Bild verbreitet, es handle sich um faire, nahezu ritterliche Kämpfe, bei denen ein sog. Ehrenkodex eingehalten werde. Dieser verbietet z. B. den Einsatz von Waffen, den Angriff auf eine zahlenmäßig klar unterlegene Gruppe, strafrechtliche Anzeigen und Kooperationen mit der Polizei sowie Angriffe auf Unbeteiligte.68 Zudem findet sich die Äußerung, man verzichte im Rahmen von Fußballspielen auf Alkohol- und Drogenkonsum, um in optimaler Verfassung für einen Kampf zu sein69, wodurch die Vorstellung legitimer wettkämpferischer Auseinandersetzungen bestärkt wird. Die Realität sieht jedoch weitgehend anders aus. So ist z. B. bei ostdeutschen Hooligans das Bestehen eines Ehrenkodex nicht erkennbar70, und selbst von Seiten der Hooligans wird eingeräumt, dass eine Einhaltung des Kodex insbesondere durch jüngere Szenemitglieder sowie bei spontanen Auseinandersetzungen nicht erfolge.71 Auch der Aussage, Unbeteiligte seien von Hooligan-Auseinandersetzungen nicht betroffen, wird durch Szenemitgliedern widersprochen.72 Des Weiteren werden bei Hooligans häufig ein erhöhter Alkoholkonsum sowie der Konsum von Amphetaminen, Kokain und Tilidin, einem rezeptpflichtigem Medikament mit aufputschender Wirkung, festgestellt, wodurch das Bild vom Hooligan als gewissenhaftem 65  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn.  37), S.  148  f.; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 130 ff. 66  So anklingend bei Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 11; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 130. 67  Darstellend, selbst jedoch kritisch, Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 9  f.; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 130. 68  König, Fankultur (Fn. 7), S. 84; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 20 f. 69  König, Fankultur (Fn. 7), S. 85. 70  König, Fankultur (Fn. 7), S. 89; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 21. 71  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 125 f., 147; König, Fankultur (Fn. 7), S. 84 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 24. 72  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 126.



C. Ritualisiertes Gewaltverhalten von Subkulturgruppen35

(Kampf-)Sportler unter Druck gesetzt wird.73 Insgesamt kann damit die These, es handle sich bei gewalttätigen Auseinandersetzungen unter Hooligans um legitime, kampfsportlerische Wettkämpfe unter Gleichgesinnten, nicht aufrecht erhalten werden. In Anbetracht der Tatsache, dass Hooligangewalt meist nicht als Reaktion auf das Spielgeschehen erfolgt, besonders deutlich gezeigt durch die Praxis der Auseinandersetzung an Drittorten, wird Hooligans häufig fälschlicherweise jegliches Fußballinteresse abgesprochen. Dem ist entgegen zu halten, dass sie in der Regel sogar eine eigene fußballsportliche Vergangenheit aufweisen. Ebenso erfolgt eine hochgradige Identifikation gerade mit Traditionsvereinen.74 Im Unterschied zu Ultras treten Hooligans jedoch auch bei Spielen der Nationalmannschaft in Erscheinung. Um sich mit den ausländischen Hooligans messen zu können, vollziehen sich dabei sogar Solidarisierungen zwischen verfeindeten Hooligangruppen.75 Aufgrund dieses Auftretens bei Länderspielen, bei denen die nationale Identität inländische Feindschaften scheinbar überwiegt, sowie provokanter rechtsextremer Äußerungen und des Tragens nationalsozialistischer Symbole entsteht in der Öffentlichkeit das Bild, die Hooliganszene und die politisch rechte Szene würden sich zu weiten Teilen überlappen.76 Indes verneinen viele Soziologen eine ernsthafte Rechtsradikalität und bescheinigen Hooligans eher politisches Desinteresse. Ihr Verhalten diene lediglich der Provokation und der Erregung von Aufmerksamkeit, spiegele aber nicht die wirkliche politische Orientierung der Szenemitglieder wider.77 Demgegenüber werden rechtsextreme Äußerungen und die Verwendung nationalsozialistischer Symbolik z. B. von Heitmeyer / Peter kritischer eingeschätzt. Der Zusammenschluss sozial orientierungsloser Jugendlicher zu Hooligangruppen erfolge auf der Suche nach der eigenen Identität und vollziehe sich meist anhand „zugewiesener Ungleichheiten“, die keiner Änderung unterliegen, wie etwa Rasse, Hautfarbe oder Staatsangehörigkeit. Der „nationalen Identität“ komme somit eine verstärkte Bedeutung bei der Gruppenbildung zu. Heitmeyer / Peter sehen weiter die Gefahr, dass die zu73  Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 9; Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 58; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 24. 74  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 61, 121. 75  König, Fankultur (Fn. 7), S. 87; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 20. 76  Darstellungen finden sich bei König, Fankultur (Fn.  7), S. 81, sowie bei G.  Dembowski / R. Noack, Am Tatort Stadion – Neonazistische Beschleuniger in Deutschlands Fußballszenen, in: Bündnis Aktiver Fußballfans (Hrsg.), Ballbesitz ist Diebstahl. Fußballfans zwischen Kultur und Kommerz, 2004, S. 106 (106 ff.). 77  So etwa Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 62; König, Fankultur (Fn. 7), S. 81; Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 56 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 19.

36 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

nächst nur mit dem Ziel der Provokation geäußerten politisch extremen Parolen nicht beliebig lange Versprechungen bleiben können und sich insofern in identitätsabstützende Orientierungen umwandeln und in entsprechendem Handeln niederschlagen könnten.78 Dementgegen grenzte sich die große Mehrheit der in der Studie von Lösel et al. befragten Hooligans sowohl von rechtsradikalen, faschistischen als auch von linken Gruppierungen ab, auch wenn bei 40% der Befragten rechte Tendenzen erkannt wurden.79 Kritisch beäugt werden zudem Versuche rechtsextremer Gruppen, aus der Hooliganszene neue Mitglieder zu rekrutieren.80 Festzuhalten bleibt dennoch, dass in der Hooliganszene zwar nicht zu unterschätzende rechte Neigungen zu verzeichnen sind, ihre Überlappung mit der rechten Szene aber sehr viel geringer ausfällt als vermutet.81 2. Gruppenstruktur Übereinstimmungen im Hinblick auf die Struktur der ansonsten sehr divergierenden Hooligangruppierungen ergeben sich in Bezug auf ihren hierarchischen Aufbau. Einheitlich wird von einer geringen Zahl von Anführern, einem harten Kern sowie einer größeren Anzahl an Mitläufern, welche eher unregelmäßig an den Aktionen der Gruppe teilnehmen, berichtet.82 Die Größe der Gruppierungen unterscheidet sich an den verschiedenen Stand­ orten wiederum sehr. So treten bei „Durchschnittsspielen“ des 1. FC Köln sowie der Eintracht Frankfurt, Arminia Bielefeld und Borussia Dortmund die größten Gruppierungen von ca. 100 Personen in Erscheinung.83 Diese Zahlen lassen Rückschlüsse auf den jeweiligen Kern der Gruppen zu, der auf maximal 70 Personen geschätzt wird.84 Die kleinsten, bei „Durchschnittsspielen“ auftretenden Gruppierungen umfassen ca. 5 bis 10 Mitglieder. Bei brisanten Spielen, den „Highlights“, findet häufig eine Verdoppe78  Heitmeyer / Peter, Fußballfans (Fn. 50), S. 42 ff. Betrachtet man die ausführliche Darstellung rechtsextremer Handlungen durch Fußballfans bei Dembowski / Noack, erscheinen die bagatellisierenden Einschätzungen der meisten Soziologen ebenfalls als etwas naiv, vgl. Dembowski / Noack, Tatort (Fn. 76), S. 106 ff. 79  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 120. 80  König, Fankultur (Fn. 7), S. 81 f. 81  Dafür sprechen auch die Statistiken der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze zu rechtsmotivierten Handlungen, vgl. etwa Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 10 f. 82  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 122; Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 55 f. 83  Nach einer Schätzung befragter Experten, vgl. Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 71. 84  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 122.



C. Ritualisiertes Gewaltverhalten von Subkulturgruppen37

lung dieser Zahlen durch das Hinzukommen von Mitläufern und ehemaligen Hooligans sowie durch andere Solidarisierungen statt; bei Hertha BSC Berlin beispielsweise sogar eine Verdreifachung von 70 auf 220 Personen.85 Der Hooliganszene gehören fast ausschließlich Männer an.86 Davon abgesehen ist die personelle Zusammensetzung der Gruppen heterogen. Das Alter ihrer Mitglieder reicht nach der Studie von Lösel et al. von 13 bis über 40 Jahre, das Durchschnittsalter der befragten Hooligans liegt bei 30 Jahren.87 Es hat sich lange die These gehalten, Hooligans seien gut situiert, im Alltag unauffällig und führten eine Art Doppelleben. Dieser Eindruck wurde oftmals durch ihr äußeres Erscheinungsbild unterstützt, da sich Hooligans einerseits durch das Tragen von teurer Kleidung von anderen Fußballfans, insbesondere von der in ihren Augen asozialen „Kuttenszene“ abgrenzen wollen, andererseits die unauffällige Kleidung dem Schutz vor polizeilicher Identifizierung dient.88 Tatsächlich kann eine einheitliche Zuordnung von Hooligans zu einer speziellen sozialen Schicht nicht erfolgen. Lösel et al. beobachteten in ihrer Studie häufig Schwierigkeiten im Hinblick auf den familiären Hintergrund und den beruflichen Werdegang der befragten Hooligans, sodass mehrheitlich auf eine Zugehörigkeit zu niedrigeren sozialen Schichten geschlossen werden kann, wenn auch das Bild vom „Wohlstandshooligan“ manchmal zutreffen mag.89

II. Die Subkultur der Ultras 1. Werte, Feindbilder und Gewaltverhalten Es findet sich immer wieder die Aussage, dass es „die“ Ultraszene ebenso wie „die“ Hooliganszene nicht gäbe; dass jede Gruppierung andere Regeln, Ziele und Vorstellungen habe.90 Dennoch lassen sich einige Gesichtspunkte ausmachen, die auf die meisten Gruppierungen zutreffen. Der gemeinsame Nenner der Ultrabewegung spiegelt sich im Namen der Szene wider. Aus dem Italienischen stammend, weist der Begriff „Ultra“ auf die „extreme“, „übermäßige“ Unterstützung des Vereins, die Identifikation mit selbigem sowie den enormen Stellenwert des Fußballs und der Ultragruppe 85  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst,

Hooliganismus (Fn. 37), S. 71 ff., 122. Hooliganismus (Fn. 37), S. 146. 87  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 35, 97. 88  Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 57 f. 89  Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 15 f.; Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 134, 149 f.; König, Fankultur (Fn. 7), S. 82 f., 95; Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 57 f. 90  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 12, 70. 86  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst,

38 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

im Leben der Szeneanhänger hin.91 Auch die Ultrabewegung selbst findet ihre Wurzeln in den 1960er Jahren in Italien. Ursprünglich steht sie für den Versuch, Stimmung, Atmosphäre und Leidenschaft zurück ins Stadion zu bringen sowie die eigene Mannschaft organisiert und auf bestmögliche Weise zu unterstützen.92 Dies geschieht akustisch und optisch z.  B. durch Sprechchöre und Choreografien, die teils sehr zeit- und kostenintensiv geplant werden.93 Mit solchen Aktionen messen sich gegnerische Ultragruppierungen auf ritualisierte Weise untereinander, wenn die jeweils unterstützten Mannschaften in der Liga aufeinandertreffen. Es gilt die Maßgabe: je kreativer und provokanter, desto besser. Es geht darum, die eigene Gruppe darzustellen sowie den Gegner zu provozieren und lächerlich zu machen. Da das Wertesystem der Ultras ebenso wie das der Hooligans von maskulinen Attributen dominiert wird, nutzen Ultras zur Diffamierung ihrer Gegner Bilder, die diesen Werten ihrer Ansicht nach widersprechen, wie z. B. körperliche Schwäche und Homosexualität.94 Den Gegner bei einer Begegnung zu übertrumpfen wird meist als wichtiger angesehen als ein Sieg der favorisierten Mannschaft auf dem Spielfeld.95 Weiterer Bestandteil der Anfeuerungskultur der Ultras ist das Abbrennen von Pyrotechnik. Obwohl diese Art des Anfeuerns aufgrund der hohen Verbrennungsgefahr und der extremen Rauchentwicklung in den Stadien verboten ist96, bleibt die Faszination der Ultras für das Zünden von bengalischen 91  Vgl. Duden. Fremdwörterbuch, 8. Aufl. 2005, S. 1066. Der Begriff „Ultra“ soll das erste Mal von einer italienischen Zeitung verwendet worden sein, um das Verhalten von Anhängern des AC Turin zu beschreiben, die einen Schiedsrichter aus Wut über die von ihm getroffenen Entscheidungen bis zum Flughafen verfolgt haben sollen, vgl. Blaschke, Schatten (Fn. 22), S. 84. 92  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 12, 162; Blaschke, Schatten (Fn. 22), S. 84; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 13. 93  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 84 f. Eine nähere Darstellung der Choreografien findet sich bei Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 83 ff. 94  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 13, 103; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 95. Sehr anschaulich wird die Funktionsweise der Diffamierung von Gruppen, wenn auch nicht speziell auf Ultras bezogen, beschrieben bei Becker, Reproduktion (Fn. 62), S. 78 ff. 95  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 84; Fried­ mann, Polizei (Fn. 2), S. 15; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 76. 96  Das Mitführen und Abbrennen von Pyrotechnik ist in der Regel durch die Stadionordnung des Hausrechtsinhabers verboten und kann mit einem Stadionverbot geahndet werden, vgl. die Punkte C VII. 1. i), 2. e), IX 2. der Musterstadionordnung des DFB, abrufbar unter: http://www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/24344-6_Anlage_4_ zu_den_.pdf, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. Ferner begründen kommunale Stadionverordnungen in Bezug auf das Mitführen und Abbrennen von Pyrotechnik regelmäßig den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit, vgl. z. B. § 6 I Nr. 4 der



C. Ritualisiertes Gewaltverhalten von Subkulturgruppen39

Feuern und Rauchbomben ungebrochen97. Das Verbot stößt weitgehend auf Unverständnis. Pyrotechnik sei keine Form von Gewalt oder Randale, sondern ein wichtiges Stilmittel, um die so beliebte südländische Atmosphäre zu schaffen, über die in den Anfangsjahren der Ultrabewegung in den Medien noch so positiv berichtet wurde. Hinzu komme, dass Pyrotechnik häufig erst aufgrund des Verbotes zur Gefahr würde, da die Feuerwerkskörper aus Angst vor Bestrafung vermummt und versteckt in der Masse gezündet und sodann weggeworfen würden.98 Um diesen Teil der Fankultur aufrecht zu erhalten, engagieren sich über 50 Ultragruppierungen in der beispiellosen Faninitiative „Pyrotechnik legalisieren! Emotionen respektieren!“. Sie fordern die Schaffung von Rahmenbedingungen für ein legales und kontrolliertes Abrennen von Pyrotechnik und die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Regelung dieses Bereichs durch Fanszene und Vereine.99 Bisher blieb die Initiative erfolglos. Allerdings ist diese Faninitiative Ausdruck eines weiteren wichtigen Aspekts der Ultrakultur; ihrem Charakter als „Demonstrations- und Protest­ kultur“100. Ultras setzen sich allgemein gegen Missstände im Fußball ein und kämpfen für den Erhalt einer traditionellen Fankultur. Dies geschieht einerseits vereinsübergreifend im Hinblick auf den Fußball insgesamt, andererseits auf der Vereinsebene selbst. Zum einen sehen sich Ultras als die einzig „wahren Fans“ und als Gegenpol zum immer weiter verbreiteten „konsumorientierten Fan“.101 In engem Zusammenhang damit steht die Auflehnung gegen die zunehmende Professionalisierung und Kommerzialisierung des Fußballs, welche zur Entfremdung von Spielern und Fans fühStadionverordnung der Stadt Nürnberg vom 20.12.1999, Amtsblatt S. 580, abrufbar unter: http://www.nuernberg.de/imperia/md/stadtrecht/dokumente/3/320/320_723.pdf, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. Sofern Personen durch das Abbrennen von Pyrotechnik verletzt werden, ist dies meist als gefährliche Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 2 StGB zu qualifizieren. Zudem geht die Polizei beim Abbrennen von Pyrotechnik häufig pauschal von einer zumindest versuchten gefährlichen Körperverletzung aus, vgl. http://www.neuepresse.de/Hannover-96/Aktuell/Pyro-im-Stadion-Straf tat-oder-nicht, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 97  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 86. 98  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 81, 86; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 105; vgl. weiter die Ausführungen auf der Homepage der Faninitiative „Pyrotechnik legalisieren! Emotionen respektieren!“, abrufbar unter: http://www.pyrotechnik-legalisieren.de/blog / , zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 99  Vgl. die Homepage der Faninitiative „Pyrotechnik legalisieren! Emotionen respektieren!“ (Fn. 98). 100  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 106; Blaschke, Schatten (Fn. 22), S. 86. 101  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 72; Fried­ mann, Polizei (Fn. 2), S. 14.

40 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

ren, gegen dessen Eventisierung zum massenmedialen Ereignis sowie gegen zu strenge Sicherheitsmaßnahmen, welche die traditionelle Fankultur gefährden.102 Weitgehend darauf aufbauend haben sich in der Ultrakultur neben gegnerischen Ultragruppierungen die folgenden Feindbilder etabliert: die Verbände, die Medien und die Polizei.103 Zum anderen erheben Ultras Anspruch auf mehr Einflussmöglichkeiten in Bezug auf die Vereinspolitik.104 Das Verhältnis von Ultras und Vereinen hat zwei Dimensionen. Auf der einen Seite steht die bedingungslose, fanatische Unterstützung des Vereins nach außen hin, auf der anderen Seite beharren Ultras auf ihrer Unabhängigkeit und stehen den Vereinen hinsichtlich ihrer Politik kritisch gegen102  Ultras kritisieren im Hinblick auf die zunehmende Professionalisierung des Fußballs, dass die Entfernung zwischen Spielern und Fans wachse und die Fans nicht mehr wie früher, als der Fußball noch großen lokalen Bezug hatte, durch die Spieler repräsentiert würden. Die Professionalisierung des Fußballs wurde durch dessen Kommerzialisierung verstärkt. Speziell verurteilen Ultras den ständigen Transfer von Spielern gegen maßlose Ablösegelder, wodurch natürlich gewachsene Mannschaften auseinandergerissen würden und sich die Zusammensetzung einer Mannschaft ständig ändere, vgl. dazu R.  Lindner / H. Breuer, Fußball als Show. Kommerzialisierung, Oligopolisierung und Professionalisierung des Fußballsports, in: Hopf, Fußball (Fn. 1), S. 162 (162 ff.); Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 101 ff.; G. Dembowski, Spieler kommen, Trainer gehen – Fans bleiben, in: Bündnis Aktiver Fußballfans, Ballbesitz (Fn. 76), S. 8 (13 f., 19 ff.); C. Ehlers, Profisport Fußball – Verraten und verkauft, in: Bündnis Aktiver Fußballfans, Ballbesitz (Fn.  76), S.  50  (50 f.); Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S.  12 f., 110 ff.; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 34 f. In Ansehung der Eventisierung des Fußballs rügen Ultras die Zerpflückung von Spieltagen. Indem Spiele teilweise freitags, montags oder am Wochenende abends stattfinden, um mehr Spiele medial verwerten zu können, wird den Fans ein Stadionbesuch insbesondere bei Auswärtsspielen häufig nahezu unmöglich gemacht. Fans setzen sich daher für eine Durchführung der Spieltage am Wochenende und für die einheitliche Anstoßzeit um 15:30 Uhr ein, vgl. Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 106; Blaschke, Schatten (Fn. 22), S. 86; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 48 ff. Ebenso befürchten Ultras, dass die traditionelle Fankultur im Zuge der Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen, namentlich durch die Abschaffung von Stehplatzkurven, die willkürliche Verhängung von Stadionverboten und das Verbot von Pyrotechnik untergeht, vgl. Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 150; Blaschke, Schatten (Fn. 22), S. 86; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 14. 103  Den Verbänden wird das Vorantreiben all der von den Ultras kritisierten Entwicklungen vorgeworfen. Neben der Teilverantwortlichkeit für die Eventisierung des Fußballs wird den Medien eine undifferenzierte Berichterstattung über die Fanszene unterstellt. Der Polizei wird vorwiegend Willkür und überzogenes Handeln zur Last gelegt. Weiter wird sie als bewaffneter Stellvertreter der Institutionen angesehen, von denen sich Ultras unterdrückt fühlen, vgl. Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 14 f., 129 f., 135 ff.; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 70 ff. 104  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 12.



C. Ritualisiertes Gewaltverhalten von Subkulturgruppen41

über.105 Diese verworrene Beziehung zwischen Ultras und Vereinen wird deutlicher, wenn man das Verständnis der Ultras im Hinblick auf ihre eigene Rolle betrachtet. Dieses wird durch eine Aussage auf der Homepage einer Ultragruppierung verdeutlicht, welche lautet: „wir sind die Hauptsache! WIR sind das Spiel und der Verein“106. Es bleibt somit festzuhalten, dass Ultras sich zwar mit ihrem Verein identifizieren, der Grad der Identifikation jedoch begrenzt ist. Demgegenüber erfolgt die Identifikation mit der eigenen Ultragruppe in nahezu absoluter Form, sodass die Zugehörigkeit zur Ultra-Subkultur für ihre Mitglieder enorme identitätsstiftende Bedeutung hat. Schon im Hinblick auf die Zeit, die für die Gruppe aufgewendet wird, wird deutlich, dass das Ultradasein nicht auf das Wochenende bzw. den Spieltag beschränkt ist, mit der Folge, dass Ultras nur eine Identität besitzen.107 Der Stellenwert des Ultradaseins ist so groß, dass andere Bestandteile des sozialen Lebens wie Familie, Freunde und Beruf als Störfaktoren für das Leben als Ultra angesehen werden.108 Indem sich eine so starke Fixiertheit auf dieses Dasein, den Verein, den Fußball und besonders auf die Gruppe ausbildet, entsteht ein Raum für übermäßige Emotionalität. Einher geht damit ein großes Frustrationspotenzial, welches zu Aggressionen und Gewalt führen kann. So wollen Ultras an einem Spieltag meist keine gewalttätigen Bedürfnisse ausleben109, sondern sich lediglich verbal und optisch mit rivalisierenden Gruppen auseinandersetzen.110 Sie befinden sich jedoch häufig in einem Zustand so großer Erregung, dass die wechselseitigen Provokationen unter 105  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 12, 104; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 15. Spannungen ergeben sich insbesondere aus dem Umstand, dass Vereine einerseits moderne Wirtschaftsbetriebe sein müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben, andererseits von Seiten der Fans die Forderung nach unantastbaren Traditionsbeständen laut wird, vgl. Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 75. 106  Zitat von der Homepage einer Ultragruppierung, so gelesen bei Pilz / Behn /  Klose /Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 75. 107  So gaben 57% der von Pilz et  al. befragten Ultras an, dass die Ultras ihr Leben seien. 81,1% gaben an, dass man Ultra die ganze Woche sei, vgl. Pilz / Behn /  Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 72 ff. Zur identitätsstiftenden Bedeutung ebenfalls Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 14. 108  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 74. 109  Nur insgesamt 7,3% der von Pilz et  al. befragten Ultras schätzten sich selbst als gewalttätig oder angriffslustig ein. 37,6% bezeichneten sich als friedfertig und 45% als in bestimmten Situationen tendenziell gewaltbereit, vgl. Pilz / Behn / Klose /  Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 128. Andererseits überlappen sich die Ultra- und die Hooliganszene teilweise. Personen, die grundsätzlich der Ultraszene angehören, jedoch ebenso Gewalt suchen wie Hooligans, werden als „Hooltras“ bezeichnet, vgl. Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 216 f.; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 107 f. 110  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 13.

42 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

den Ultragruppen als auch sportlicher Misserfolg zur Eskalation und damit zu körperlichen Auseinandersetzungen führen können.111 Die Gefahr der Eskalation wird zudem durch den Konsum von Alkohol sowie die massive Präsenz der Polizei als ein „Feind“ der Ultras verschärft. Das Feindbild „Polizei“ wird ferner von vielen Fans geteilt, die nicht als Ultras zu qualifizieren sind, sodass eine starke Polizeipräsenz zu Solidarisierungen zwischen verschiedenen Fangruppen und zu gravierenden Angriffen auf die Polizei führen kann.112 Im Hinblick auf die Gewalt der Ultras ist dabei festzuhalten, dass diese in der Regel emotional und situativ bedingt ist. Weiter ist sie häufig instrumenteller Natur, indem sie als Mittel zum Zweck, etwa zur „Revierverteidigung“, angewendet wird.113 Darüber hinaus scheint Ultragewalt zumindest stückweise auf der Absolutheit der Ansichten der Ultras zu beruhen; sei es im Hinblick auf die unbedingte Unterstützung des Vereins oder auf die vorbehaltslose Definition von Feindbildern, da eine differenzierende Sicht auf die Dinge unmöglich gemacht wird.114 Ultragruppierungen geben sich meist provokative, teils militärisch angehauchte Namen wie „Kohorten“, „Geschwader“, „Commando“ oder „Infer­ no“.115 Soziologen sehen solche Namen ebenso wie die Verwendung linker oder rechter Symbole weniger als politisches Statement, sondern schreiben ihnen vielmehr die Funktion zu, die Gruppenidentität zu stärken, die Gruppe darzustellen sowie andere zu provozieren (sog. bricolage-Effekt).116 Zwar ist die italienische Ultrabewegung auch eine politische (ursprünglich konnte sie als linksgerichtete Protestbewegung gegen die soziale Ungleichheit angesehen werden, auch wenn sich später immer mehr rechtsorientierte Ultra111  Aschenbeck, Fußballfans (Fn.  2), S. 118; Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 215 ff. 112  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 157; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 93 f. 113  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 14. 114  Becker schreibt der Absolutheit der Ansichten von Fans, ausgedrückt in der Stigmatisierung gegnerischer Fans, eine Entlastungsfunktion zu. Demnach werden durch vorgefasste Meinungen die prinzipiell offenen Spielsituationen strukturiert. Ultras verschließen sich vor der Möglichkeit, die Leistung des Gegners anzuerkennen oder Foulspiele und Schiedsrichterentscheidungen richtig einzuordnen, um die Situationskomplexität zu verringern, sodass sie sich ohne die Belastung einer möglicherweise schwierigen Beurteilung der Situation am Geschehen beteiligen können, was sodann der bedingungslosen Unterstützung zu Gute kommt, vgl. Becker, Reproduktion (Fn. 62), S. 78 f. Weiter erleichtert die Ausbildung von Feindbildern die Ausbildung einer Gruppenidentität, vgl. Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 155. 115  Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 93 f. 116  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 119; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 89.



C. Ritualisiertes Gewaltverhalten von Subkulturgruppen43

gruppierungen bildeten117), die meisten deutschen Ultras vertreten jedoch die Auffassung, dass Politik – abgesehen von der Liga- und Vereinspolitik – nicht ins Stadion gehöre.118 In der Realität zeigen sich allerdings auch bei deutschen Ultras deutliche links- oder rechtsorientierte Haltungen, erstere häufiger, letztere weniger und eher zu finden in den neuen Bundesländern.119 2. Gruppenstruktur Ultragruppierungen existieren bei nahezu allen Vereinen der drei Bundesligen sowie bei einer Reihe von Vereinen unterer Spielklassen. An einigen Standorten bestehen sogar mehrere Gruppen nebeneinander.120 Die Gruppen sind teils informell, teils formell und vereinsähnlich organisiert. Dennoch weisen alle Gruppierungen ein hohes Organisationsniveau sowie hierarchische Strukturen auf. Je nach Zugehörigkeitsgrad kann zwischen dem „harten Kern“, d. h. Mitgliedern, die sich fast täglich für die Gruppe engagieren, und somit hierarchisch an der Spitze stehen, den „Ultras im engeren Sinne“, die bei den meisten Spielen und Aktionen anwesend sind, sowie Mitgliedsbeiträge zahlen, und den „ultraorientierten Fans“, welche mit der Ultramentalität sympathisieren und sporadisch an ihren Aktionen teilnehmen, aber weder an deren Organisation beteiligt noch Mitglieder der Gruppen sind, unterschieden werden.121 Die Stärke der einzelnen Gruppen liegt schätzungsweise zwischen 20 und 700, in einzelnen Vereinen je nach Saison sogar bei über 1.000 namentlich geführten Mitgliedern. Pilz et al. schätzten die Anzahl der Ultras im engeren Sinne in den ersten drei Ligen auf ca. 7.000 Personen, wobei die Anzahl der „ultraorientierten Fans“ deutlich höher ausfällt.122 Dabei ist die Ultrasubkultur eine Jugendkultur. Ihre Mitglieder sind in der Regel zwischen 15 und 25 Jahre alt und größtenteils männlich.123 Überwiegend sind Ultras und besonders der „harte Kern“ einem höheren Bildungs- und Sozialmilieu zuzuordnen als es z. B. bei den sog. Kuttenfans und den Hooligans der Fall ist. Auffallend häufig finden sich Gymnasialschüler, Studenten oder Auszubildende mit höherer Schulbildung.124 117  Sommerey,

Jugendkultur (Fn. 2), S. 53 ff.

118  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki,

Wandlungen (Fn. 16), S. 113, 162 ff.; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 53 ff., 97 f. 119  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 115 ff. 120  Blaschke, Schatten (Fn. 22), S. 85; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 13. 121  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 94, 71 f. 122  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 71 f. 123  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 77, 86. 124  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 96 ff.

44 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

III. Ost-West-Unterschiede im Hinblick auf das Gewaltverhalten von Hooligans und Ultras Bei einem Vergleich von ost- und westdeutschen Hooligans und Ultras fällt ein deutliches Übergewicht des Gewaltpotenzials von Gruppierungen aus den neuen Bundesländern auf. So bekennen sich Ultras aus Ostdeutschland häufiger offen zu Gewalt.125 Weiter scheint das Polizeifeindbild in den neuen Bundesländern noch massiver ausgeprägt zu sein als in den alten.126 Auch zeigt sich anhand der größeren Anzahl an Waffenfunden bei ostdeutschen Hooligans in qualitativer Hinsicht ein größeres Gewaltpotenzial.127 Insgesamt ist in Ostdeutschland, wie bereits erläutert, ein „Ehrenkodex“ nicht erkennbar.128 Zudem bekunden sowohl Ultras als auch Hooligans in den neuen Bundesländern politisch rechte Einstellungen, wenn vorhanden, sehr viel deutlicher.129 Gründe für das größere Gewaltpotenzial werden zum einen in der Nähe zu Polen, wo Fans ihre Gewaltbereitschaft sehr viel intensiver ausleben als es allgemein in Deutschland der Fall ist130, zum anderen in den unterschiedlichen Lebenssituationen und Perspektiven junger Menschen in den alten und neuen Bundesländern gesehen.131 Weiter könnte der Umstand, dass viele traditionsreiche Ostvereine in unteren Ligen spielen, in denen die Sicherheitsvorkehrungen geringer ausfallen als in den Bundesligen, eine Erklärung für das erhöhte Gewaltpotenzial bieten, auch wenn die Aussage, dass fußballbezogene Gewalt in niedrigere Spielklassen abwandert, nicht bestätigt werden konnte. Wenngleich jedoch im Hinblick auf das Gewaltpotenzial ein Übergewicht in den neuen Bundesländern erkennbar ist, sollte dies nicht überbewertet werden. Denn in jeder Gruppierung, ob in Ost- oder Westdeutschland, finden sich sowohl mehr als auch weniger gewaltbereite Fans.

125  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, 126  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki,

Wandlungen (Fn. 16), S. 131. Wandlungen (Fn. 16), S. 139;

Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 112. 127  Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 111. Eine anschauliche Darstellung der Entwicklung des Hooliganismus in der DDR erfolgt bei Friedmann, Polizei (Fn. 2), S.  21 ff. 128  König, Fankultur (Fn. 7), S. 89. 129  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 117. 130  Sehr ausführlich zu den extremen Verhältnissen in Polen Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 188 ff. 131  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 131 ff. Zu den unterschiedlichen Lebensbedingungen dies., Wandlungen (Fn. 16), S. 117 ff.



D. Erklärungsmodelle für fußballbezogene Gewalt 45

D. Erklärungsmodelle für fußballbezogene Gewaltunter besonderer Einbeziehung soziound psychologischer Erkenntnisse Seit dem Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit fußballbezogener Gewalt in den 1970er Jahren wurde in ganz unterschiedlichen Zweigen der Wissenschaft eine Vielzahl von Erklärungsansätzen für das Gewaltverhalten von Fußballfans formuliert.132 Im folgenden Abschnitt soll ein Überblick über die bedeutsamsten, meist auf sozio- oder psychologischen Erkenntnissen basierenden Erklärungsmodelle gegeben werden, welche dann anhand empirischer Befunde bewertet werden sollen.

I. Monokausale Erklärungsansätze 1. Aggressionstheorien In den 1970er und 80er Jahren beherrschten zunächst phänomenologische Deutungen das Feld der Erklärungsansätze fußballbezogener Gewalt, welche von der gemeinsamen Grundüberlegung ausgingen, dass gewalttätige Ausschreitungen von Zuschauern vorwiegend durch Aggressionen, in diesem Zusammenhang definiert als „menschliche Verhaltensweisen mit dem Ziel der physischen oder verbalen Verletzung“, bedingt werden.133 So besagt die 1939 von Dollard aufgestellte und von Berkowitz 1974 weiterentwickelte Frustrations-Aggressions-Hypothese, dass erlebte Frustration, im Sinne einer Verhinderung, Unterbrechung oder Störung von zielgerichtetem Verhalten, die Bereitschaft zu aggressivem Handeln erhöhe, welches sodann durch Hinweisreize, welche mit Aggressionen in Verbindung gebracht werden, ausgelöst werde.134 Frustrationspotenzial besteht im Hinblick auf das Phänomen fußballbezogener Gewalt insbesondere bei einer Niederlage der favorisierten Mannschaft sowie bei Fehlentscheidungen des Schiedsrichters.135 Demgegenüber geht die auf der psychoanalytischen Trieblehre von Freud und dem ethologischen Triebmodell von Lorenz basierende Katharsis-These 132  Einen Überblick über die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen des Phänomens verschaffen Gabler / Schulz / Weber, Zuschaueraggressionen (Fn. 35), S. 24 ff. Vertiefende Einblicke zu verschiedenen Forschungsansätzen geben weiter Heit­ meyer / Peter, Fußballfans (Fn. 50), S. 12 ff., sowie Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 8 ff. 133  Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 55. 134  Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 99; König, Fankultur (Fn. 7), S. 98. 135  So auch Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 55.

46 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

davon aus, dass Aggressionen angeboren seien. Jeder Mensch besitze einen Aggressionstrieb, durch den fortwährend Aggressionen aufgestaut würden, welche nach Entladung durch aggressive Verhaltensweisen suchen.136 Diese haben nach Lorenz einen kathartischen Effekt und vermindern die Wahrscheinlichkeit weiterer aggressiver Handlungen. Erforderlich für eine solche mehr oder weniger kontrollierte Entladung sei in der Regel ein Schlüsselreiz, der gerade durch das Erlebnis des Zuschauens bei einer recht aggressiven Sportart wie dem Fußball empfunden werden könne.137 Die These besagt somit, dass Fußballfans durch Gewaltausbrüche in quasi-therapeutischer Weise von Aggressionen befreit würden, und sieht den Sport als eine Art Sicherheitsventil, welches verhindert, dass Sportler und Zuschauer Aggressionen gegen sich selbst oder die Gesellschaft richten.138 Die behavioristische Lerntheorie geht in ihrer Grundannahme anders als die Katharsis-These nicht davon aus, dass Aggressionen angeboren seien, sie würden vielmehr erlernt, zum einen nach dem Ansatz „Lernen am Erfolg“ (Bekräftigungslernen), zum anderen nach dem Schema „Lernen am Modell“ (Beobachtungslernen).139 Nach Ersterem wird aggressives Verhalten wiederholt, wenn aufgrund bisheriger Erfahrungen positive Folgen erwartet werden („interner Reiz“).140 Im Rahmen von Subkulturgruppen können aggressive Handlungen zu einer Erhöhung des Status einer Person in der Gruppe führen, sodass dieses Verhalten nach der Lerntheorie erlernt wird.141 In Parallele dazu können auch ganze Gruppen aggressives Verhalten durch eine Verbesserung ihres Status innerhalb der Szene erlernen, was insbesondere durch die Legendenbildung der Medien unterstützt wird.142 Ein Lernen nach dem zweiten Ansatz erfolgt durch Einflüsse von Vorbildern. So ist nach der Lerntheorie davon auszugehen, dass das Zuschauen bei einem aggressionsgeladenen Fußballspiel zu einem Anstieg von Aggressionen auf den Zuschauerrängen führt („externer Reiz“).143

136  Aschenbeck,

Fußballfans (Fn. 2), S. 98 f. Fankultur (Fn. 7), S. 96 f. 138  Gabler / Schulz / Weber, Zuschaueraggressionen (Fn.  35), S. 25; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 56. 139  Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 56. 140  König, Fankultur (Fn. 7), S. 98 f. 141  Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 100; Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 121, 152; König, Fankultur (Fn. 7), S. 106 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 20, 57. 142  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 148; Willms, Hooligans (Fn. 16), S. 131 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 26 ff. 143  Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 100; König, Fankultur (Fn. 7), S. 98  f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 57. 137  König,



D. Erklärungsmodelle für fußballbezogene Gewalt 47

2. Massenpsychologische Ansätze Gewalttätige Ausschreitungen bei Fußballspielen erfolgen in der Regel durch größere Personengruppen. Dementsprechend sollten auch massenund gruppendynamische Prozesse zur Erklärung des Zuschauerverhaltens einbezogen werden. Der Begründer der Massenpsychologie Le Bon ging davon aus, dass eine Masse nicht nur als ein Zusammenschluss von Individuen gesehen werden könne, sondern dass sie eine Eigendynamik entfalte, welche über den bloßen Zusammenschluss der Einzelpersonen hinausgehe. Es entwickle sich eine „Gemeinschaftsseele“, durch die die Gedanken und Handlungen der Individuen zu einem gewissen Grad gleichgeschaltet würden.144 Darauf aufbauend formulierte Zimbardo 1969 die sog. Deindividuationsannahme, welche besagt, dass ein Individuum als Teil einer Masse in einen Zustand versetzt werde, in dem es das eigene Verhalten weniger kontrollieren kann und Kritikfähigkeit sowie Hemmungen nachlassen, sodass es von Anführern leichter zu lenken sei und die Wahrscheinlichkeit von gewalttätigem Verhalten steige.145 Dies werde zudem begünstigt durch die in der Masse herrschende Anonymität. Bezogen auf das Massenzuschauerereignis Fußball lässt sich daraus ableiten, dass insbesondere in der Masse erlebte negative Erlebnisse wie eine Niederlage oder Schiedsrichterfehlentscheidungen zu Massengewalt führen können.146 3. Schichtbezogene Ansätze In den 1970er Jahren wurden von Taylor und Clarke Erklärungsmodelle für die zunehmende Zuschauergewalt in Großbritannien entwickelt, welche auf der Schichteinstufung der Gewalttäter basieren und auch als „Profes­ sionalisierungs- oder Kommerzialisierungsthese“ bezeichnet werden.147 An den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Großbritannien der 1960er und 70er Jahre beteiligten sich vornehmlich Zuschauer aus der Arbeiterklasse. Zum einen wurde das Gewaltverhalten auf die zu jener Zeit in dieser Klasse herrschende Massenarbeitslosigkeit und den generellen Verfall von Werten nach dem 2. Weltkrieg, zum anderen auf die fortschreitende Kommer­ zialisierung und Professionalisierung des Fußballs zurückgeführt. Auf den Wandel in der Vereinsstruktur reagierten Fans aus der Arbeiterklasse, indem sie sich von den höheren sozialen Schichten angehörenden Zuschauern dis144  König,

Fankultur (Fn. 7), S. 99 f. Polizei (Fn. 2), S. 57 f. 146  König, Fankultur (Fn. 7), S. 99 f., 107; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 57 f. 147  Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 100 ff. Vgl. zur Professionalisierung und Kommerzialisierung weiter Fn. 102. 145  Friedmann,

48 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

tanzierten und eine an männlichen Werten orientierte Fankultur aufbauten, um den ursprünglich als Arbeitersport anzusehenden Fußball zurückzuerlangen.148 Taylor und Clarke sehen den Hooliganismus somit als eine Widerstandsbewegung einer sozial benachteiligten Subkultur innerhalb der Arbeiterklasse gegen die Mittelschicht und den eigenen Kontrollmangel in der Gesellschaft.149 4. Subkultur-Theorien Basierend auf „Gang-Studien“ der Chicagoer-Schule in den 1920er Jahren formulierten Whyte und Cohen in den 1940er und 50er Jahren die „Theorie der delinquenten Subkulturen“ und legten dar, dass in städtischen sozialen Brennpunkten Subkulturen entstehen können, in denen sich – heraus aus einer Ablehnung gegenüber Mittelschichtwerten – eigene Normensysteme entwickeln, die etwa die Begehung von Straftaten mit einer Steigerung des Ansehens innerhalb der jeweiligen Subkultur honorieren.150 Diese Theorien erklären die Entstehung gewalttätiger Subkulturen folglich mit von der Mehrheitsmeinung abweichenden Normensystemen und überschneiden sich teilweise mit den schichtbezogenen Ansätzen und der Lerntheorie. Betrachtet man den von der Mehrheit abweichenden Lebensstil gewalttätiger Hooligans und Ultras sowie Gruppenstrukturen und Wertekataloge, können diese ebenfalls zumindest teilweise als Subkulturen in diesem Sinne qualifiziert werden. 5. Theorie des polizeilichen Aggressors Viele Soziologen sehen in präventiven und repressiven polizeilichen Maßnahmen, deren Verhältnismäßigkeit oftmals in Frage gestellt wird, den Grund für die Hervorrufung bzw. Verstärkung von gewalttätigem Zuschauerverhalten.151 Die Betroffenen würden durch massive Polizeipräsenz provoziert und richteten ihre Aggressionen in solchen Situationen in der Regel gegen die Polizei. Zudem komme es häufig zu Solidarisierungen mit anderen Gruppenmitgliedern und Zuschauergruppen.152 Neidhardt entwickelte 148  C. Critcher, Der Fußballfan, in: Hopf, Fußball (Fn. 1), S. 150 (155 f.); König, Fankultur (Fn. 7), S. 100; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 58. 149  Gabler / Schulz / Weber, Zuschaueraggressionen (Fn. 35), S. 25; Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 46 f. 150  König, Fankultur (Fn. 7), S. 101; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 58. 151  Vgl. Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 12; Dembowski, Spieler (Fn. 102), S. 24 ff.; Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 130; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 60 ff. 152  Eingehend zur Rolle der Polizei auch T. Gehrmann, Fußballrandale. Hooligans in Deutschland, 2. Aufl. 1990, S. 175 ff.



D. Erklärungsmodelle für fußballbezogene Gewalt 49

bereits 1989 ein S-Kurven-Modell zu Gewalt und Gegengewalt, indem er davon ausgeht, dass sich Bürger- und Repressionsgewalt in Form einer S-Kurve gegenseitig bedingen und ein Gleichgewicht beider nur erreichbar ist, wenn auf beiden Seiten Gewalttoleranzen entstehen.153

II. Multikausale Erklärungsansätze 1. Zivilisationstheoretische Ansätze Ansätze zur Erklärung fußballbezogener Gewalt, die an die Zivilisationstheorie von Elias anknüpfen, erklären gewalttätiges Verhalten anhand des historischen Prozesses der Zivilisierung unserer Gesellschaft und der sozialen Tabuisierung von Gewalt.154 In einer zivilisierten Gesellschaft unterliegt der Mensch gewissen Zwängen. Er ist im Konfliktfall gehalten, seine Gefühle zu kontrollieren und das Gewaltmonopol des Staates zu achten, anstatt selbst Gewalt anzuwenden. Dieser Zwang zur Eindämmung des Trieb- und Affekthaushaltes führe besonders bei Jugendlichen zu einem starken Bedürfnis nach Spannungssituationen und zu dem Wunsch, aus dem herrschenden Normensystem auszubrechen und die eigenen Grenzen auszutesten („Sensation-Seeking“).155 Dieses Bedürfnis kann in einer reglementierten Gesellschaft unter anderem durch gewalttätiges Verhalten befriedigt werden. Das Umfeld des Stadions sowie einer Hooligan- oder Ultragruppe bietet Jugendlichen einen sozialen Freiraum, in dem eine Auslebung dieser Bedürfnisse stattfinden kann.156 2. Sozialisationstheoretischer Ansatz Ausgehend von der Individualisierungsthese von Beck entwickelten Heitmeyer und Peter einen weiteren, sehr bedeutsamen Erklärungsansatz für das Gewaltverhalten jugendlicher Fußballfans; die Entwertungsthese.157 Die 153  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki,

Wandlungen (Fn. 16), S. 217 ff. Polizei (Fn. 2), S. 59 f. 155  G. Pilz, Noch mehr Gewalt ins Stadion? Zur Problematik ordnungspolitischer „Lösungen“, in: R. Horak / W. Reiter / K. Stocker (Hrsg.), „Ein Spiel dauert länger als 90 Minuten“. Fußball und Gewalt in Europa, 1988, S. 217 (218 ff.). 156  König, Fankultur (Fn. 7), S. 103; Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 47 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 59 f. Ausführlich zur Übertragung von Elias’ Theorie auf Fußballfans auch E. Dunning / P. Murphy / J. Williams, The Roots of Football Hooliganism. An Historical and Sociological Study, 1988. 157  W. Heitmeyer, Jugendliche Fußballfans, Zwischen sozialer Entwertung und autoritär-nationalistischer Substituierung, in: Horak / Reiter / Stocker, Spiel (Fn. 155), S.  159 (160 ff.); Heitmeyer / Peter, Fußballfans (Fn. 50), S. 21 ff. 154  Friedmann,

50 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

Beck’sche Individualisierungsthese zeigt auf, dass die moderne Gesellschaft durch die Abnahme traditioneller Bindungen wie Ständen, sozialen Klassen und Geschlechterrollen, einen erhöhten Lebensstandard und bessere Bildungschancen, gleichzeitig aber auch durch steigenden Konkurrenzdruck in den letzten Jahrzehnten gekennzeichnet ist. Wenngleich dieser Gesellschaftswandel einem enormen Zuwachs an Freiheiten und Möglichkeiten gleichkomme, bringe er für das Individuum, welches aus seinen sozialen Bezügen herausgelöst werde, auch Orientierungsschwierigkeiten und einen gewissen Grad der Destabilisierung mit sich. Der Mensch gehe in dieser Gesellschaft keinen vorgezeigten, traditionellen Weg mehr, vielmehr entstehe eine von Traditionen und persönlichen Beziehungen abgekoppelte, individualisierte Gesellschaft, die vermehrt zur Desintegration des Einzelnen führe. Beck prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der „Risikogesellschaft“.158 Jugendliche werden im Hinblick auf die Vereinzelung als besonders gefährdet angesehen. Sie müssten den durch die eventuelle Herauslösung aus dem sozialen Herkunftsmilieu schwierigen Integrationsprozess in die Gesellschaft meistern, während sie ein Bewusstsein für die eigene Identität noch nicht ausgebildet hätten.159 Um der Desintegration entgegenzuwirken, spiele der Modus der Selbstintegration im Sinne einer Eingehung freiwilliger Bindungen eine gesteigerte Rolle. So könne der gesellschaftliche Prozess der Individualisierung dazu führen, dass abseits traditioneller sozialer Institutionen neue haltbietende soziokulturelle Institutionen gesucht würden. Bezeichnend für diese Entwicklung sei der Bedeutungszuwachs von Gleichaltrigengruppen mit etwa gleichem Rang und Status („peer groups“), welche Jugendlichen Orientierung beim schwierigen Integrationsprozess in die Gesellschaft und bei der Identitätsbildung bieten könnten.160 Diesen Bedeutungszuwachs greift auch die Entwertungsthese auf und führt die Gedanken der Individualisierungsthese weiter. So gehen Heitmeyer / Peter davon aus, dass sich der Sinn der Jugend als Folge der Individualisierung der Gesellschaft verändert hat. Das klassische Konzept der Jugend, nachdem diese „der Aufschiebung aktueller Bedürfnisse zum Zwecke des Lernens und damit der Vorbereitung auf eine doch im ganzen als sicher dargestellte Zukunft“161 diene, wird insgesamt in Frage gestellt, sodass Ju158  B. Matthesius, Anti-Sozial-Front. Vom Fußballfan zum Hooligan, 1992, S.  11 ff.; Heitmeyer / Peter, Fußballfans (Fn. 50), S. 21 ff.; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 9 ff. Ausführlich U. Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986, S. 121 ff. 159  König, Fankultur (Fn. 7), S. 102. 160  Heitmeyer, Fußballfans (Fn. 157), S. 161 f.; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 11 ff. Ausführlich zum Bedeutungszuwachs von „peer groups“ Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 94 ff. 161  Heitmeyer / Peter, Fußballfans (Fn. 50), S. 28.



D. Erklärungsmodelle für fußballbezogene Gewalt 51

gendliche ihrer aktuellen Lebensphase selbst einen Sinn geben könnten und müssten. Die Jugendphase sei durch eine Fülle von Widersprüchen gekennzeichnet. Sie werde z. B. durch das Hinausschieben finanzieller Selbstständigkeit ausgeweitet, gleichzeitig aber rechtlich verkürzt. Die Schule gewinne an Bedeutung, angestrebte höhere Abschlüsse stellten jedoch keine Garantie für eine entsprechende Berufslaufbahn mehr dar.162 Weiter wird eine Tendenz des Wandels von einer „produktionistischen“ zu einer „konsumistischen“ Sozialisation sowie eine Erschütterung des Bewusstseins der Jugendlichen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Nützlichkeit aufgezeigt, in Folge derer sie versuchten, „sich auf dem Felde von Freizeit und Konsum zu präsentieren, um dort Anerkennung zu erwerben und so Selbstbewußtsein zu entwickeln“163. Dieser Versuch werde unter anderem in den Gleichaltrigengruppen unternommen, denen somit ein sinnstiftendes Moment zukomme, was erst ihren Bedeutungszuwachs erkläre. Die Fußballszene bietet Räume für die Bildung solcher Gleichaltrigengruppen, welche durch die Ausbildung eigener Normensysteme die Identitätsbildung der Mitglieder erleichtern. Diese Normensysteme können wiederum in markanter Weise von den gesellschaftlichen Wertvorstellungen abweichen und z. B. das Gutheißen von Gewalt oder die Verlautbarung politisch extremistischer Parolen umfassen. Denn häufig führt erst ein dementsprechendes und somit von der Mehrheitsmeinung abweichendes Verhalten zu einer von den Jugendlichen erhofften, das Selbstwertgefühl steigernden Fremdwahrnehmung. Weiter steigert das Erlebnis körperlicher Überlegenheit das Selbstbewusstsein.164 Heitmeyer / Peter verbinden diesen Ansatz weiter mit dem Prozess der Kapitalisierung des Fußballs und gehen davon aus, dass dem Bedeutungszugewinn der „peer groups“ ein Bedeutungsverlust der „fußball- und erlebnisorientierten Fans“ aus Sicht der Vereine gegenüber steht. Das Gefühl sozialer Entwertung der Fans durch die Fußballunternehmen steigere wiederum das Bedürfnis nach Fremdwahrnehmung und fördere somit gewalttätiges Verhalten.165

162  Heitmeyer / Peter,

Fußballfans (Fn. 50), S. 25 f. Fußballfans (Fn. 50), S. 28. 164  Heitmeyer, Fußballfans (Fn.  157), S.  168; Heitmeyer / Peter, Fußballfans (Fn. 50), S. 35 ff., 42 ff., 51; Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 96 f.; König, Fankultur (Fn. 7), S. 102 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 59. 165  Heitmeyer / Peter, Fußballfans (Fn. 50), S. 35 ff. 163  Heitmeyer / Peter,

52 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

III. Bewertung 1. Monokausale Erklärungsansätze Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass monokausalen Versuchen zur Erklärung des Phänomens gewalttätigen Verhaltens von Fußballfans aufgrund seiner sozio- und psychologischen Komplexität nur eine geringe Aussagekraft zukommen kann.166 Dennoch sprechen auch die monokausalen Ansätze Risikofaktoren für aggressives Zuschauerverhalten bzw. Korrelate mit diesem an, welche in einer Zusammenschau mit anderen Theorien eine erhellende Erklärungsleistung erbringen könnten. a) Aggressionstheorien Im Hinblick auf die verschiedenen Aggressionstheorien lässt sich zunächst feststellen, dass sich die Frustrations-Aggressions-Hypothese und die Katharsis-These widersprechen. Die logische Folge der ersten ist, dass die Fans einer verlierenden Mannschaft zum einen aggressiver sein müssten als die einer siegreichen und zudem nach der Niederlage aggressiver sein müssten als vor dem Spiel. Demgegenüber besagt die Katharsis-These, dass die Zuschauer nach dem Verfolgen einer aggressionsgeladenen Begegnung auf dem Spielfeld (zumindest teilweise) von Aggressionen befreit sind. Nach den empirischen Befunden von Gabler et al. sowie anderen Forschern, welche nahezu gänzlich zeigen, dass die Aggressivität durch das Beobachten eines aggressiven Wettkampfgeschehens ansteigt, kann an der KatharsisThese nicht länger festgehalten werden.167 Unter die Frustrations-Aggressions-Hypothese lassen sich die meisten von Fans selbst sowie der Polizei intuitiv formulierten Versuche, fußballbezogene Gewalt begreiflich zu machen, einordnen. Sie beruhen auf der naiven Vorstellung, gewaltbereite Fans bauten in ihrem frustrierenden Alltag Aggressionen auf und nutzten den Stadionbesuch als Ventil, um diese abzubauen.168 Speziell von Seiten der Fans stellen sich solche Vorstellungen über die Ursachen der Gewalt insofern als problematisch dar, als sie geeignet sind, diese zu einem gewissen Grad zu rechtfertigen.169 So wurden beispielsweise bei Hooligans ausgeprägte Neutralisierungstendenzen nachgewiesen, welche zu einer Verharmlosung und somit zu einer leichteren Ausübung der Gewalt führen, indem etwa die Verantwortung für das Geauch Gabler / Schulz / Weber, Zuschaueraggressionen (Fn. 35), S. 27. Zuschaueraggressionen (Fn. 35), S. 27, 41 ff. 168  Schulz / Weber, Zuschauerausschreitungen (Fn. 14), S. 57. 169  Schulz / Weber, Zuschauerausschreitungen (Fn. 14), S. 58. 166  So

167  Gabler / Schulz / Weber,



D. Erklärungsmodelle für fußballbezogene Gewalt 53

waltverhalten oder auch dessen Unrecht selbst verneint wird.170 Für die Annahme, dass gewalttätiges Verhalten auf Aggressionen beruht, sprechen die Ergebnisse der Studie von Lösel et al., durch die bei Hooligans stark erhöhte Skalenwerte in den Bereichen Erregbarkeit und Aggressivität im Normalzustand im Vergleich zur Normstichprobe festgestellt wurden.171 Sofern Hooligangewalt jedoch unabhängig vom Spielgeschehen, in einer „kalten“ Form etwa bei abgesprochenen Drittortauseinandersetzungen auftritt172, ist sie nur noch bedingt durch die Frustrations-Aggressions-Hypothese zu erklären, da sowohl eventuelle Frustration als auch die das Gewaltverhalten auslösenden Hinweisreize keinen unmittelbaren Spielbezug mehr haben. Hier zeigt sich die Schwachstelle der Hypothese, welche Aggression nur reaktiv als Folge von Frustration versteht.173 In Bezug auf Gewalt durch Ultras wird die Frustrations-Aggressions-Hypothese durch die Erkenntnisse der Studie von Pilz et al. unterstützt. Demnach erfolgen Gewalthandlungen von Ultras häufig in einem Zustand großer Emotionalität und Frustration, hervorgerufen z. B. durch eine Niederlage der favorisierten Mannschaft, sowie aufgrund von Provokationen durch gegnerische Fans und die Polizei.174 Gleichzeitig weisen Pilz et al. jedoch auf den teilweise instrumentellen Charakter der Ultragewalt als „Mittel zum Zweck“ hin.175 Diese Form der Gewalt kann die Frustrations-Aggressions-Hypothese nicht erklären.176 Die Lerntheorie wird in ihrem Aspekt „Lernen am Erfolg“ durch die Ergebnisse einer qualitativen Studie von Böttger zum Hooliganismus unterstützt.177 Böttger kommt zunächst zu dem Ergebnis, dass in der Kindheit durch Erziehungsberechtigte erlebte, meist als willkürlich empfundene Gewalt häufig zu einem Anstau von Aggressionen bei den von ihm befragten Hooligans geführt hat, welche sich spätestens im Jugendalter in eigenem Gewaltverhalten entluden.178 Weiter richteten sich die ersten gewalttätigen Handlungen häufig gegen die Erziehungsberechtigten selbst, um den bisherigen, als ungerecht empfundenen Zustand zu berichtigen und sich als Person zu behaupten. Durch solche Erfahrungen lernten die Betroffenen, Gewalt 170  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst,

Hooliganismus (Fn. 37), S. 110. Hooliganismus (Fn. 37), S. 108, 150. 172  Zu Drittortauseinandersetzungen näher Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 147; König, Fankultur (Fn. 7), S. 95 f.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 24, 107. 173  Aschenbeck, Fußballfans (Fn. 2), S. 99. 174  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 129 f., 215 f. 175  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 14, 216. 176  Gabler / Schulz / Weber, Zuschaueraggressionen (Fn. 35), S. 27. 177  Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 16 ff. 178  Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 16. 171  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst,

54 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

als Mittel zur Verfolgung eigener Interessen einzusetzen.179 Auch bestätigen viele Studien, dass Gewalt in Fußballsubkulturgruppen häufig zu einer Steigerung des Status in der Gruppe führt und somit, der Lerntheorie folgend, wiederholt wird.180 Die Ergebnisse von Schulz / Weber unterstützen den Ansatz „Lernen am Modell“, indem sie aufzeigten, dass Zuschauer, welche modellhaft körperlich aggressive Handlungen wahrnehmen, anschließend aggressiver sind als Personen, die nicht auf diese Weise beeinflusst wurden.181 Verabredete Drittortauseinandersetzungen oder anderes Gewaltverhalten ohne unmittelbaren Spielbezug können jedoch nicht als bloße Nachahmung aggressiven Verhaltens auf dem Spielfeld angesehen werden. b) Massenpsychologische Ansätze Die Stichhaltigkeit des massenpsychologischen Ansatzes von Zimbardo und die große Bedeutung der Massensituation als erklärendes Moment werden zunächst durch den Umstand, dass gewalttätige Auseinandersetzungen fast gänzlich in größeren Personengruppen geführt werden, indiziert.182 Es ist davon auszugehen, dass die innerhalb der Masse herrschende Anonymität die Hemmschwelle für gewalttätiges Handeln herabsenkt, da straf- und verbandsrechtliche Konsequenzen in geringerem Maße zu befürchten sind.183 Weiter überzeugt die These, Gruppen- oder Massensituationen begünstigten gewalttätiges Verhalten, da sich im Rahmen von Massenveranstaltungen wie Fußballspielen mit der einheitlich auf das Spielgeschehen gerichteten Aufmerksamkeit der Anwesenden, dem gewissen Grad der Uniformierung sowie den verbindenden Fangesängen situative Faktoren ergeben, welche die Deindividuation und damit einhergehend einen Kontrollverlust des Einzelnen fördern.184 Zudem entsteht nur in einer Gruppe der Wunsch, sich selbst gegenüber anderen durch gewalttätiges Verhalten zu beweisen. Ohnehin ist die Fixierung auf die jeweilige Gruppe in den Fußballsubkulturen insgesamt stark ausgeprägt.185 Somit erbringt der massenpsychologische Ansatz besonders in einer Zusammenschau mit der Lerntheorie sowie den Subkulturtheo­ rien und der Entwertungsthese eine nicht zu unterschätzende Erklärungsleis179  Böttger,

Gewalt (Fn. 16), S. 17 f. Hooliganismus (Fn. 37), S. 121, 152; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 57. 181  Schulz / Weber, Zuschauerausschreitungen (Fn. 14), S. 63. 182  König, Fankultur (Fn. 7), S. 99; Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 215. 183  So auch Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 69. 184  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 9. 185  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 152; Pilz / Behn /  Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 76, 215. 180  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst,



D. Erklärungsmodelle für fußballbezogene Gewalt 55

tung für gewalttätiges Zuschauerverhalten, wenngleich diese wiederum insofern beschränkt ist, als sich viele Fans häufig schon vor einem Eintritt in die Szene gewalttätig gezeigt haben.186 c) Schichtbezogene Ansätze Die Aussagen der schichtbezogenen Ansätze von Taylor und Clarke können bei einer Betrachtung der Zuschauergewalt in Deutschland nur sehr vorsichtig Berücksichtigung finden, da sie sich an den speziellen historischen Entwicklungen des Fußballs und seiner Zuschauergemeinde in Großbritannien orientieren.187 Weiter ist fußballbezogene Gewalt in Deutschland kein auf die Arbeiterklasse beschränktes Phänomen.188 Darüber hinaus wird der Aussagewert der Theorien selbst in Frage gestellt, indem die „Annahme der Kontinuität eines kollektiven Bewusstseins innerhalb der Fußballsubkulturen bezweifelt“ wird.189 d) Subkultur-Theorien Die Subkultur-Theorien nehmen ebenso wie die schichtbezogenen Ansätze ausschließlich Bezug auf Angehörige niedrigerer sozialer Schichten. Dennoch geben sie wichtige Hinweise für die Entstehung von Normensystemen in Subkulturgruppen, welche häufig von den gesamtgesellschaftlichen Werten abweichen, indem sie Gewalt billigen oder sogar befürworten. Sie entfalten ihre Erklärungsleistung besonders im Zusammenspiel mit der Entwertungsthese, worauf an späterer Stelle eingegangen wird. e) Theorie des polizeilichen Aggressors Die Theorie des polizeilichen Aggressors greift mit der Frage nach den Auswirkungen polizeilicher Präsenz bzw. polizeilichen Handelns einen gänzlich anderen Aspekt bei der Erklärung gewalttätigen Fanverhaltens auf. Dass sich Zuschauer und insbesondere Ultras schon durch eine als übermä186  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 76, 150; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 68. 187  So auch König, Fankultur (Fn. 7), S. 108; Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 49; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 68. 188  Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 15 f.; Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 134, 149 f.; König, Fankultur (Fn. 7), S. 82 f., 95; Krahm, Maßnahmen (Fn. 59), S. 57 f. 189  So Hortleder nach Gabler / Schulz / Weber, Zuschaueraggressionen (Fn. 35), S. 25.

56 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

ßig empfundene Polizeipräsenz (häufig sowohl im Hinblick auf die Menge der Beamten als auch auf ihre Einsatzkleidung) provoziert fühlen, zeigt etwa die Studie von Pilz et al.190 Wie bereits dargestellt, verkörpert die Polizei eines der gruppenübergreifenden Feindbilder der Ultras. Es besteht die Annahme, dass die Ausbildung eines gemeinsamen Feindbildes in sozialer Hinsicht die Entwicklung von Gruppenidentität und -kohäsion begünstigt und Solidarisierungseffekte erzeugt. Im Hinblick auf den Einzelnen sollen Feindbilder zu einer Reduktion sozialer Komplexität führen und die Kanalisierung von Aggressionen fördern. Weiter ist davon auszugehen, dass Feindbilder die Hemmschwelle für Gewalt absenken, da es von der Gruppe toleriert werde, wenn man diese gegenüber einem „Feind“ ausübe.191 Ein weiteres Indiz für einen Zusammenhang zwischen Zuschaueraggressivität und Polizeipräsenz ergibt sich aus den parallel zu den von der Polizei geleisteten Einsatzstunden ansteigenden Opferzahlen, Freiheitsentziehungen und Strafverfahren von Fußballfans, auch wenn bei dieser Überlegung nicht übersehen werden darf, dass durch eine gesteigerte Polizeipräsenz die Effizienz der Feststellung und Aufklärung von strafbarem Gewaltverhalten erhöht wird.192 Die Aussage, polizeiliches Handeln verursache bzw. verstärke fußballbezogene Gewalt, kann jedoch nicht ohne Weiteres auf Hooligans übertragen werden, denn diese scheinen sich durch starke Polizeipräsenz eher bestätigt als provoziert zu fühlen und verfügen über kein ausgeprägtes Feindbild im Hinblick auf die Polizei.193 Lösel et al. kommen zu dem Ergebnis, dass starke Polizeipräsenz auf Hooligans eine deeskalierende Wirkung hat.194 Allerdings werden Hooligans durch erhöhte Polizeipräsenz vermehrt zu Drittortauseinandersetzungen veranlasst, im Rahmen derer es abseits polizeilicher Kontrollen eventuell zu noch gesteigerter Gewalt kommen kann.195 Somit sprechen viele Indizien dafür, der Polizei in bestimmten Fällen eine gewisse gewaltverstärkende, wenn nicht sogar -verursachende Wirkung zuzuschreiben. Dennoch müssen Ultras und Hooligans diesbezüglich differenziert betrachtet werden. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass unver190  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki,

216 ff.

Wandlungen (Fn. 16), S. 130,

191  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 137 ff., 154 ff. Dazu auch Becker, Reproduktion (Fn. 62), S. 78 f. 192  Jahresbericht Fußball 2013 / 2014 (Fn. 24), Anlage 1 S. 3. Ähnlich auch Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 62. 193  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 216. 194  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 153 ff. 195  G. Pilz, Fußballfans – ein soziales Problem?, in: M. Klein (Hrsg.), Sport und soziale Probleme, S.  139 (162); Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 147; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 19, 61.



D. Erklärungsmodelle für fußballbezogene Gewalt 57

hältnismäßige Vorgehensweisen der Polizei zwar zur Eskalation beitragen können, besonnene Polizeimaßnahmen aber in der Regel eine deeskalierende Wirkung entfalten.196 2. Multikausale Erklärungsansätze a) Zivilisationstheoretischer Ansatz Das Bedürfnis Jugendlicher, aus gesellschaftlichen Zwängen auszubrechen, sowie ihr Wunsch nach Spannungssituationen, auf die der zivilisa­ tionstheoretische Ansatz fußballbezogene Gewalt zurückführt, kann nach Ergebnissen nahezu aller empirischen Studien als eines der Hauptmotive sowohl für Ultra- als auch für Hooligangewalt angesehen werden.197 b) Sozialisationstheoretischer Ansatz Auch die Aussagen der Entwertungsthese können Teilaspekte der Frage, warum gewalttätige (Jugend-)Subkulturen im Bereich Fußball entstehen, beantworten. Tatsächlich fällt beim genaueren Betrachten speziell von Hooliganbiographien die große Anzahl an Fällen mit schwierigen oder gescheiterten Schul- und Berufslaufbahnen auf, was auf dem beschriebenen Phänomen der Individualisierung der Gesellschaft beruhen könnte.198 Auch die These des Bedeutungszuwachses von „peer groups“ wird durch den enormen Stellenwert der Hooligan- bzw. Ultragruppe im Leben der Szenemitglieder unterstützt.199 In einer Zusammenschau mit den Subkulturtheorien und der Lerntheorie sowie den dargestellten quantitativ- und qualitativ-empirischen Studien speziell von Lösel et al., Pilz et al. und Böttger ergibt sich das Bild, dass gerade Jugendliche aus sozial schwächeren Schichten, die im Hinblick auf Schule, Beruf oder Familie problematische Biografien aufweisen und eventuell früh mit Gewalt konfrontiert wurden, zum einen ein starkes Verlangen nach Gruppenzugehörigkeit entwickeln, zum anderen eine Art Ohnmachtsgefühl, ein Einflussdefizit sowie ein Bedürfnis nach Fremdwahrnehauch Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 136. z. B. Gabler / Schulz / Weber, Zuschaueraggressionen (Fn. 35), S. 43  ff.; G. Finn, Football violence: a societal psychological perspective, in: R. Giulianotti /  N. Bonney / M. Hepworth (Hrsg.), Football, Violence and Social Identity, 1994, S. 90 (115 ff.); Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 14; Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 151; Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 73. 198  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 149. 199  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 152; Pilz / Behn /  Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 76, 215. 196  So

197  Vgl.

58 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

mung verspüren, welches sie durch gewalttätiges Handeln zu befriedigen versuchen.200 So zeugen die Ergebnisse der Studie von Pilz et al. von einem enormen Bedürfnis der Selbstdarstellung sowie der Fremdwahrnehmung von Ultras, die sich häufig durch die Vereine bzw. Verbände übergangen und zu wenig wertgeschätzt fühlen, sowie von dem extremen Stellenwert der Ultragruppe für den Einzelnen.201 Lösel et al. bestätigen das beschriebene Bild und zeigen auf, dass die bei der von ihnen untersuchten Gruppe von Hooligans festgestellten sozialen und psychischen Merkmale denen einer typischen Population gravierend delinquenter junger Männer und somit den Risiken für einen Anschluss an aggressive Subkulturen und Banden entsprechen.202 Dennoch darf dieses Bild nicht verallgemeinert werden, denn auch wenn Zuschauergewalt häufig mit den dargestellten Faktoren korreliert, zeigte sich bereits in den Darstellungen der einzelnen Subkulturen und ihrer Gruppenstrukturen, dass gewalttätige Fußballfans auch völlig andere Biografien als die oben beschriebene aufweisen können und sich etwa nicht mehr in der von Heitmeyer und Peter beschriebenen Phase der jugendlichen Identitätsfindung befinden müssen.

IV. Zusammenfassung und Stellungnahme Abschließend lässt sich feststellen, dass alle Theorien, mit Ausnahme der empirisch widerlegten Katharsis-These, Aspekte ansprechen, die für die Verursachung gewalttätigen Verhaltens von Subkulturgruppen verantwortlich sein können. Jedoch können die einzelnen Theorien aggressives Zuschauerverhalten nicht allein erklären. Vielmehr sind eine Zusammenschau der sich teilweise überlappenden Erklärungsansätze sowie gegebenenfalls eine Differenzierung zwischen Hooligans und Ultras im Hinblick auf die speziellen Motive für das jeweilige Gewaltverhalten geboten. Es ergaben sich die folgenden sowohl langfristigen als auch kurzfristigen, personen- sowie umweltbezogenen Risikofaktoren, die häufig mit gewalttätigem Zuschauerverhalten korrelieren und ein solches in bestimmten Konstellationen wahrscheinlich machen. Solche personenbezogenen Faktoren können ein zerrüttetes Elternhaus, Gewalt in der Familie, soziale Desinteg200  Vgl. Böttger, Gewalt (Fn. 16), S. 12 ff.; Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 98  ff., 149  ff.; Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 75 ff., 104, 106 ff. Zu einem ähnlichen Fazit kommen auch Weis / Backes / Gross / Jung, Zuschauerausschreitungen (Fn. 1), S. 93 f., sowie Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 69. 201  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 11 f., 212 ff. 202  Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 149, 152.



E. Bisherige politische Reaktionen auf fußballbezogene Gewalt 59

ration, Frustration, Langeweile, ein hoher Grad an Aggressivität und Erregbarkeit im Normalzustand, ein großes Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit sowie übermäßiger Genuss von Alkohol und anderen Drogen sein. Umweltbezogene Aspekte sind etwa Massensituationen, eine aggressive Grundstimmung beim Fußball und eventuell unverhältnismäßiges polizeiliches Handeln.203 Weiter bestätigt sich das Bild, dass Gewalt dem Fußball nicht immanent ist, dieser jedoch Räume zur Bildung von Subkulturgruppen und eine Plattform zur Auslebung gewalttätiger Bedürfnisse bietet.

E. Bisherige politische Reaktionen auf fußballbezogene Gewalt Nachdem das Phänomen fußballbezogener Gewalt während der 1980er Jahre immer größere Ausmaße angenommen und Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden hatte, folgten in Deutschland Anfang der 1990er Jahre erste politische Reaktionen, welche die Bekämpfung von Zuschauergewalt voran treiben sollten.204 1991 beschloss die Ständige Konferenz der Innen203  Schulz / Weber entwickelten bereits 1979 ein Gefüge verschiedener Bedingungen aggressiver Handlungen von Fußballfans bestehend aus fünf Komplexen, welche sich gegenseitig beeinflussen und je nach Ausprägung Zuschauergewalt fördern können. Die verschiedenen Komplexe sind „überdauernde Verhaltensdispositionen“, etwa motivationspsychologische Gesichtspunkte wie der Wunsch nach sozialer Anerkennung, „aktuelle individuelle Bedingungen“ wie der Einfluss von Alkohol, „sozio-kulturelle Bedingungen“ wie die Darstellung von Gewalt in den Medien, „Bezugsgruppen-Bedingungen“, wie beispielsweise gruppenspezifische Normen und „aktuelle situative Bedingungen“ wie die Wichtigkeit des Spiels und dessen Verlauf, vgl. H.-J. Schulz / R. Weber, Bedingungen aggressiver Handlungen von Fußballzuschauern, in: Sportwissenschaft 9 (1979), S. 290 (290 ff.). 204  Auf europäischer Ebene nahm man sich in Folge der tragischen Ereignisse im Brüsseler Heysel-Stadion 1985 bereits früh dem Problem an. Grundlegend für die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung fußballbezogener Gewalt war das am 19.8.1985 durch den Europarat verabschiedete Europäische Übereinkommen über Gewalttätigkeiten und Fehlverhalten von Zuschauern bei Sportveranstaltungen und insbesondere bei Fußballspielen, abrufbar unter: http://conventions.coe.int/ Treaty/ger/Treaties‌/Html/120.htm, zuletzt abgerufen am 12.11.2014. Auch im Rahmen der Europäischen Union wurden Anstrengungen unternommen, um die internationale Zusammenarbeit bei der Gewährleistung der Sicherheit bei Fußballspielen zu verbessern, welche jedoch meist in Form von unverbindlichen Entschließungen und Empfehlungen ergingen, wie z. B. die Empfehlung des Europäischen Rates vom 22.4.1996 über Leitlinien zur Verhinderung von Störungen der öffentlichen Ordnung bei Fußballspielen und zur Eindämmung dieser Störungen (Amtsblatt C 131 / 1 vom 3.5.1996), die Entschließung des Rates vom 9.6.1997 zur Verhinderung und Eindämmung des Fußballrowdytums durch Erfahrungsaustausch, Stadionverbote und Me­ dienpolitik (Amtsblatt C 193 / 1 vom 24.6.1997) sowie der Entschließung des Rates vom 17.11.2003 über den Erlass von Zugangsverboten zum Austragungsort von Fußballspielen von internationaler Bedeutung durch die Mitgliedstaaten (Amtsblatt

60 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

minister und -senatoren der Länder die Gründung der bereits erwähnten Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, welche u. a. durch fortwährenden Informationsaustausch etwa mit den Landesinformationsstellen Sporteinsätze (LIS), den am Veranstaltungsort zuständigen Polizeibehörden als auch internationalen Partnerdienststellen die Erstellung eines angemessenen Einsatzkonzeptes für eine Spielbegegnung zur Gewährleistung der Sicherheit der Zuschauer ermöglicht.205 Die Innenministerkonferenz leistete weiter einen Beitrag bei der Gründung der bundesweiten Arbeitsgruppe zum Thema „Nationales Konzept Sport und Sicherheit“ (NKSS), welche 1992 ihren gleichnamigen, rechtlich unverbindlichen Ergebnisbericht vorstellte206. Das Konzept soll ein einheitliches, mit allen Beteiligten abgestimmtes Vorgehen gegen Zuschauergewalt sicherstellen und legt den Fokus auf die folgenden Aspekte: die Einrichtung von Fanprojekten auf örtlicher Ebene und einer Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS)207, die Etablierung bundesweit wirC 281 / 1 vom 22.11.2003). Zuletzt wurde ein überarbeitetes Handbuch mit Empfehlungen für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit und Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalttätigkeiten und Störungen im Zusammenhang mit Fußballspielen von internationaler Dimension, die zumindest einen Mitgliedstaat betreffen, erlassen (Anhang der Entschließung des Rates vom 3.6.2010, Amtsblatt C 165 / 1 vom 24.6.2010). Ein verbindlicher Beschluss erging lediglich im Hinblick auf die Einrichtung einer nationalen Fußballinformationsstelle der Polizeien der Mitgliedstaaten (Beschluss des Rates vom 25.4.2002 über die Sicherheit bei Fußballspielen von internationaler Bedeutung, 2002 / 348 / JI, Amtsblatt L 121 / 1 vom 8.5.2002). Ausführlich dargestellt werden die europarechtlichen Maßnahmen bei F.  Deusch, Polizeiliche Gefahrenabwehr bei Sportgroßveranstaltungen. Darstellung anhand des Fußballsports, 2005, S. 113 ff. 205  M. Nolte, Aufgaben und Befugnisse der Polizeibehörden bei Sportgroßveranstaltungen, in: NVwZ 2001, S. 147 (148). Vgl. weiter die Homepage der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, abrufbar unter: http://www.polizei-nrw.de/artikel_ 68.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 206  Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe „Nationales Konzept Sport und Sicherheit“ abrufbar unter: http://www.kos-fanprojekte.info/pdf / nkss-1292.PDF, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. Die Arbeitsgruppe setzte sich aus dem Deutschen Fußball-Bund, dem Deutschen Sportbund, dem Deutschen Städtetag, der Innenministerkonferenz selbst, der Jugendministerkonferenz, der Sportministerkonferenz, dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium für Frauen und Jugend zusammen. 207  Fanprojekte stellen eine besondere Form der Jugend- und Sozialarbeit dar, die durch kultur- und bildungspädagogische Arbeit besonders jugendliche Mitglieder gewalttätiger Fangruppen für ihr Gewaltverhalten sensibilisieren, zur gewaltfreien Konfliktlösung hinführen sowie extremistische Orientierungen abbauen sollen. Weiter soll ein Abgleiten Jugendlicher in die gewalttätige Fanszene von Beginn an verhindert werden. Die Fortschreibung des „Nationalen Konzepts Sport und Sicherheit“ sieht vor, dass Fanprojekte in den Städten der Vereine der ersten drei Ligen sowie in Städten mit Vereinen aus niedrigeren Spielklassen, in denen eine größere Anzahl gewaltbereiter Fans zu beobachten ist, eingerichtet werden. Inzwischen werden 51 Fanszenen durch Fanprojekte betreut, vgl. Ergebnisbericht „Nationales Konzept Sport und Sicherheit“ (Fn. 206), S. 11 f., sowie Nationales Konzept Sport und



F. Strategien zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt61

kender Stadionverbote208, die Formulierung einheitlicher Rahmenrichtlinien für Ordnerdienste, einer Musterstadionordnung sowie baulicher und organisatorischer Sicherheitsstandards und die Institutionalisierung der Zusammenarbeit der beteiligten Stellen. Die Vorgaben des Konzepts werden seit 1994 angewandt. Bisher beschränkt sich die Anwendung jedoch leider auf die Bundes- und Regionalligen.209 Im Dezember 2012 verabschiedete der Nationale Ausschuss Sport und Sicherheit eine Fortschreibung des Sicherheitskonzepts, welche im Kern wiederum die Wichtigkeit einer engen Zusammenarbeit aller Beteiligten betont.210 Neben der Einsetzung der Arbeitsgruppe „Nationales Konzept Sport und Sicherheit“ beschloss die Innenministerkonferenz 1994 die Einrichtung der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ als Bestandteil des polizeilichen Informationssystems gem. § 11 BKAG, in der bundesweit Daten von Personen gespeichert werden, gegen die im Zusammenhang mit fußballbezogener Gewalt strafrechtlich ermittelt wird bzw. bei denen die Annahme besteht, dass sie sich im Kontext von Sportveranstaltungen an Straftaten von erheblicher Bedeutung beteiligen werden.211

F. Strategien zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt Wie bereits im „Nationalen Konzept Sport und Sicherheit“ angelegt, setzen die mit Zuschauergewalt beschäftigten Stellen zu deren Eindämmung auf unterschiedliche Strategien. Während polizeiliche Maßnahmen, ob präventiv oder repressiv, ebenso wie verbandliche Mittel kurzfristig gewalttätige Ausschreitungen verhindern bzw. sanktionieren sollen, setzen Fanprojekte früher an und versuchen, speziell Jugendliche für Gewalt zu sensibilisieren bzw. davor zu bewahren, überhaupt in eine gewalttätige Szene abzurutSicherheit (NKSS), Fortschreibung 2012, S. 3, 7, abrufbar unter: www.lpr.sachsen. de / download / landespraeventionsrat / nkss-20111028.pdf, zuletzt abgerufen am 20.7. 2015. 208  Ein Stadionverbot ist eine auf dem Hausrecht des jeweiligen Vereins, des Deutschen Fußball-Bundes oder des Ligaverbandes basierende privatrechtliche „Sanktion“, welche bei Auffälligkeiten eines Besuchers im Stadion oder auf Reisewegen ausgesprochen wird und in schwerwiegenden Fällen bundesweite Geltung erfahren kann, vgl. die Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten des Deutschen Fußball-Bundes, abrufbar unter: http://www.dfb.de/fileadmin/_ dfbdam/24339-Richtlinien_zur__Behandlung_von_Stadionverboten.pdf, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. Die einem Stadionverbot zugrunde liegenden Informationen erhalten die Hausrechtsinhaber meist von der Polizei, vgl. Ergebnisbericht „Nationales Konzept Sport und Sicherheit“ (Fn. 206), S. 20 f. 209  Nolte, Aufgaben (Fn. 205), S. 148. 210  Nationales Konzept Sport und Sicherheit (NKSS), Fortschreibung 2012 (Fn. 207). 211  Näheres zur Datei „Gewalttäter Sport“ unter Kap. 3, A. I. 1. b).

62 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

schen. Offensichtlich knüpfen sowohl polizeiliche, verbandliche als auch pädagogische Maßnahmen nur bei dem Symptom der Gewalt bzw. ihren akuten Auslösern, nicht jedoch bei den eigentlichen, tief verwurzelten, psychologischen und gesellschaftlichen Ursachen an. Ziel ist es letztlich, „Schlimmeres“ zu verhindern. Die Effektivität der unterschiedlichen Ansätze wird kontrovers diskutiert. Einige sehen keine andere Möglichkeit als ein „hartes Durchgreifen“ der Polizei sowie der Vereine bzw. des Verbandes. Die Gewalt sei in der Fankultur teilweise so tief verankert, dass pädagogische Arbeit keinen Erfolg verspreche.212 Tatsächlich scheinen polizei- und strafrechtliche Maßnahmen neben verbandsrechtlichen Sanktionen wie Stadionverboten bei vielen Gewalttätern die einzigen Mittel zu sein, denen noch ein abschreckender Effekt zukommt. Weis et al. sowie Pilz wenden dagegen ein, zu viel Disziplinierung von Seiten des Staates nehme den Fans die Fähigkeit der Selbstregulierung mit der Folge der Brutalisierung.213 Weiter ist die Kritik zu vernehmen, die Verstärkung der Kontrollen im Stadionbereich habe anstatt zu einer Befriedung nur zu einer Verlagerung der Gewalt geführt.214 Zudem bestehe die Gefahr, dass Feindbilder neu ausgeprägt bzw. verfestigt werden und sich die Fronten verhärten.215 Bisherige Erkenntnisse legen nahe, auf eine Kombination der verschiedenen Ansätze zu bauen. So ist eine funktionierende Fanarbeit von Seiten der unabhängigen Fanprojekte sowie der Vereine unerlässlich, um in einem frühen Stadium auf gewaltbereite Fans einwirken oder gefährdete Fans vor einem Abgleiten in die gewalttätige Szene bewahren zu können sowie den Kontakt zur Fanszene aufrecht zu erhalten und gegebenenfalls zwischen Fans und Polizei zu vermitteln.216 Fraglich ist jedoch, in welchem Ausmaß Fanprojekte sowie Fanbeauftragte der Vereine auch extreme Fans, die den Kern der gewalttätigen Szene bilden, erreichen können.217 Neben der polizeiunabhängigen Fanarbeit wird die Arbeit sog. szenekundiger Beamter als enorm wichtig für die Bekämpfung fußballbezogener Gewalt eingeschätzt. Hierbei handelt es sich um zivile Beamte, die einen engen Kontakt zu gewaltbereiten Fans pflegen und diese auch bei Auswärtsfahrten bedie Darstellung bei Dembowski, Spieler (Fn. 102), S. 25. Zuschauerausschreitungen (Fn. 1), S. 93  f.; Pilz, Gewalt (Fn. 155), S. 222 ff.; ders., Fußballfans (Fn. 195), S. 159 ff. 214  Pilz, Fußballfans (Fn. 195), S. 162. 215  Näher zu den unterschiedlichen Ansätzen König, Fankultur (Fn. 7), S. 112 ff., sowie Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 61 ff. 216  Ausführlich zur Arbeit der Fanprojekte etwa Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S.  109 ff. 217  So auch Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 124 ff. 212  Vgl.

213  Weis / Backes / Gross / Jung,



F. Strategien zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt63

gleiten. Dabei sammeln sie wichtige Informationen für eine exakte Lagebeurteilung und tragen meist ebenfalls zur besseren Verständigung zwischen Fans und Polizei bei, auch wenn einige Fangruppen ihnen mit Misstrauen begegnen. Weiter wirkt sich ihre Anwesenheit abschreckend auf gewaltbereite Fans aus und einer Anonymisierung der Gewalttäter entgegen.218 Trotz der wichtigen Arbeit der szenekundigen Beamten sowie der polizeiunabhängigen Fanbetreuer schätzen Experten allerdings die (sehr kostspielige) massive Polizeipräsenz im und um das Stadion aufgrund ihrer abschreckenden Wirkung als den effektivsten Präventionsansatz ein.219 Es ist jedoch zu bedenken, dass schon die bloße Präsenz der Polizei von vielen Ultras als Provokation empfunden wird und gewalttätiges Handeln sogar fördern kann, auch wenn bereits im Rahmen der Ausführungen zur Theorie des polizeilichen Aggressors erläutert wurde, dass polizeilicher Präsenz wohl meist eine deeskalierende Wirkung zukommt.220 Dennoch sollte gerade gegenüber Ultras eine eher zurückhaltende, auf Transparenz und Kommunikation gerichtete Strategie gewählt werden, auch um das bei Ultras und den mit ihnen sympathisierenden Fans weit verbreitete Feindbild Polizei abzubauen.221 Dieser Leitlinie wird bereits weitgehend entsprochen. So vermeiden die Einsatzkräfte häufig die unmittelbare Präsenz in den Fanblöcken im Stadion und halten sich für Notfälle in abgetrennten Einsatzräumen auf, während nur private Ordnungsdienste im Block anwesend sind.222 Ein weiteres wichtiges Instrument zur Bekämpfung von Zuschauergewalt stellen Stadionverbote dar, welche durch die Vereine oder den Verband verhängt werden. Ihnen kommt eine enorme Abschreckungswirkung zu, da für die meisten aktiven Fußballfans einem Fußballspiel seine Bedeutung gerade aufgrund des Gruppenerlebnisses im Stadion verliehen wird.223 Gleichzeitig sorgen Stadionverbote in der Praxis für großes Konfliktpotenzial zwischen Fans und den Vereinen bzw. dem Deutschen Fußball-Bund, denen eine uneinheitliche und willkürliche Handhabung dieses Instruments unterstellt wird.224 218  Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 39, 126 ff. Nähere Ausführungen zu szenekundigen Beamten finden sich bei Blaschke, Schatten (Fn. 22), S. 71 ff.; Lösel / Bliesener /  Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 67, 153, sowie unter Kap. 3, A. I. 1. a). 219  Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 128; Lösel / Bliesener / Fischer / Pabst, Hooliganismus (Fn. 37), S. 153. 220  Vgl. Kap. 1, D. I. 5. 221  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 16. 222  Vgl. Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 85 ff. 223  Zu dieser Einschätzung kam auch die Arbeitsgruppe „Nationales Konzept Sport und Sicherheit“, vgl. Ergebnisbericht „Nationales Konzept Sport und Sicherheit“ (Fn. 206), S. 20 f. 224  Fans kritisieren nicht das Instrument des Stadionverbots als solches, sie bemängeln jedoch das Fehlen einer Unschuldsvermutung sowie eines einheitlichen

64 Kap. 1: Gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zur effektiven Bekämpfung fußballbezogener Gewalt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen präventiven und repressiven Maßnahmen anzustreben ist, welche sich idealiter an den Eigenheiten und Motiven der jeweiligen Subkulturgruppe orientieren sollten. Zudem wird gefordert, dass den Fans die Möglichkeit der Selbstregulierung erhalten bleibt.225 Darüber hinaus sollte auf eine intensive, wenn möglich institutionalisierte Kommunikation zwischen allen Beteiligten – Fans inbegriffen – hingearbeitet werden, zum einen, um etwaige Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewalt effektiver gestalten zu können, zum anderen, um mehr Transparenz und Akzeptanz zu schaffen sowie Feindbilder abzubauen, auch wenn die Verhandlungsbereitschaft der Fans speziell im Verhältnis zum Deutschen Fußball-Bund seit dem Abbruch der Gespräche zur Legalisierung von Pyrotechnik im Stadion enorm abgenommen hat und der Mangel an offiziellen Vertretern auf Seiten der Fans die Kommunika­tion deutlich erschwert. Letztendlich sind gewisse grundsätzliche Toleranzen auf Seiten der Fans, der Polizei als auch der Vereine und Verbände gegenüber dem jeweiligen Gegenspieler unerlässlich, um ein Eskalieren der angespannten Situation zu verhindern und den sportlichen Aspekt des Fußballs wieder in den Mittelpunkt zu rücken.

Verfahrens bei den unterschiedlichen Vereinen, das etwa in einem Anhörungsrecht sowie der Möglichkeit der Bewährung bestehen könnte, vgl. Blaschke, Schatten (Fn. 22), S. 83 ff.; Friedmann, Polizei (Fn. 2), S. 34 f., 130 ff.; Sommerey, Jugendkultur (Fn. 2), S. 72. Der Bundesgerichtshof befand das Fehlen einer Unschuldsvermutung für rechtmäßig. Demnach können Stadionverbote auch gegen solche Zuschauer wirksam ausgesprochen werden, denen eine konkrete Beteiligung an gewalttätigen Handlungen nicht nachgewiesen werden kann, „deren bisheriges Verhalten jedoch besorgen lässt, dass sie bei künftigen Spielen sicherheitsrelevante Störungen verursachen werden“, vgl. BGH, NJW 2010, 534. Zurzeit sind 2.720 bundesweit wirksamer Stadionverbote in Kraft (Stand: September 2014), vgl. Jahresbericht Fußball 2013 / 14 (Fn. 24), S. 21. 225  Pilz / Behn / Klose / Schwenzer / Steffan / Wölki, Wandlungen (Fn. 16), S. 15 f.

Kapitel 2

Die Verantwortungsbereiche von Polizei- und ­Ordnungsbehörden sowie Veranstaltern Um die gefahrenabwehrrechtlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung fußballbezogener Gewalt näher beleuchten zu können, sollen in diesem Kapitel zunächst die Verantwortungsbereiche der Gefahrenabwehrbehörden gegen die der Veranstalter jener gefahrträchtigen Spielbegegnungen zur Bewältigung etwaiger Gefahren abgegrenzt werden. Weiter werden die Zuständigkeitsbereiche der unterschiedlichen, mit dem Problemfeld dieser Arbeit befassten Stellen – den Polizei- und Ordnungsbehörden – umrissen, bevor in den nächsten Kapiteln deren verschiedenartige hoheitliche Maßnahme zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt erläutert werden.

A. Das Nebeneinander von Verbands- und staatlichem Rechtsowie das Kooperationsmodell zwischen Gefahrenabwehrbehörden und Veranstaltern Die Hauptplattform fußballbezogener Gewalt bilden die privat-rechtlich veranstalteten Austragungen von Fußballspielen, in deren Rahmen es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gegnerischer Fans kommt. Dabei sind Fußballveranstaltungen Gegenstand etlicher verbandsrechtlicher, teils auch die Gewährleistung ihrer Sicherheit betreffender Regelungen. Die Reglementierung durch ein solches Innenrecht beeinträchtigt indes keinesfalls die Geltung der staatlichen Rechtsordnung.1 So verpflichtet der staatliche Schutzauftrag Polizei- und Ordnungsbehörden, die öffentliche Sicherheit (und Ordnung) auch bei privaten Sportveranstaltungen zu gewährleisten (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 PolG, § 1 Abs. 1 OBG). 1  M. Nolte, Aufgaben und Befugnisse der Polizeibehörden bei Sportgroßveranstaltungen, in: NVwZ 2001, S. 147 (148 f.). Ausführlich zu den zwei Säulen des Sportrechts B.  Pfister, Begriff des Sportrechts: Verbandsregelwerk und staatliche Rechtsordnung, in: J. Fritzweiler / ders. / T. Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, 3. Aufl. 2014, Einführung Rn. 6 ff.

66

Kap. 2: Verantwortungsbereiche von Polizei sowie Veranstaltern

Daneben legt das Privatrecht den Veranstaltern entsprechende Verkehrssicherungspflichten gegenüber den Stadionbesuchern auf.2 In der Praxis hat sich zur Aufrechterhaltung der Sicherheit bei Fußballveranstaltungen zwischen den damit kumulativ verantwortlichen Gefahrenabwehrbehörden und den Veranstaltern ein Kooperationsmodell durchgesetzt.3 Ordnungs- und Polizeibehörden arbeiten mit den Vereinen oder Stadionbetreibern meist bereits im Vorfeld einer Spielbegegnung eng zusammen, um ein geeignetes Sicherheitskonzept, möglichst unter Einflechtung der von den Veranstaltern leistbaren privaten Sicherheitsmaßnahmen, für die Bewältigung der Veranstaltung zu entwickeln.4 Am Spieltag selbst erfolgt die Innen- und Außensicherung der Stadien sodann vorwiegend durch private Sicherheitsdienste auf Seiten der Veranstalter, während polizeiliche Einsatzkräfte hier nur hilfsweise tätig werden.5 Außerhalb des Stadiongeländes obliegt es demgegenüber allein den Beamten der Polizei, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.6 Die nachstehenden Ausführungen in den Kapiteln 3 und 4 behandeln allein die auf Gefahrenabwehr gerichtete Tätigkeit der Ordnungs- und Polizeibehörden dieses Modells und blenden damit etwaige Bemühungen der Veranstalter sowie privater Sicherheitskräfte zur Gefahrbeseitigung aus. Des Weiteren beschränkt sich diese Arbeit auf das hoheitliche Handeln der Gefahrenabwehrbehörden. Betrachtungen des behördlichen Handelns gegenüber den Veranstaltern einer gefahrträchtigen Spielbegegnung beziehen sich dabei also nicht auf den soeben angesprochenen Bereich kooperativer Zusammenarbeit von Gefahrenabwehrbehörden und Veranstaltern, sondern betreffen allein Formen der unfreiwilligen Inanspruchnahme letzterer. 2  E. Franz / T. Günther, Fußball-Weltmeisterschaft 2006: Die Welt zu Gast bei Irren? – Nein, bei Freunden! Polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen gegen Hooligans bei Sportgroßveranstaltungen, in: NWVBl. 2006, S. 201 (203); M. Breucker, Sicherheitsmaßnahmen für die Fußballweltmeisterschaft 2006. Prävention durch Polizei und Deutschen Fußball Bund, in: NJW 2006, S. 1233 (1233 f.). 3  Umfassend F. Deusch, Polizeiliche Gefahrenabwehr bei Sportgroßveranstaltungen. Darstellung anhand des Fußballsports, 2005, S. 148 ff. Kritisch hinsichtlich der praktischen Umsetzung T. Feltes, Sicherheit bei Großveranstaltungen durch Überwachung der TeilnehmerInnen? Zur aktuellen Diskussion um den Umgang mit Gewalt in und um Fußballstadien, in: Neue Kriminalistik 2013, S. 48 (59 ff.). 4  Dazu Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 3), S. 154 ff. 5  L. Markert / W. Schmidbauer, Gewalt im Sportstadion. Polizeitaktische Überlegungen zur Problembewältigung, in: Kriminalistik 1994, S. 493 (496 f.); M. Nolte, Sport und Recht, 2004, S. 141 f., sowie ausführlich F. Friedmann, Polizei und Fans. Ein gestörtes Verhältnis?, 2009, S. 30 f. 6  Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 2), S. 202; M. Knape, Sicherheit bei Fußballspielen, in: Schriftenreihe der Deutschen Hochschule der Polizei 2009, Bd. 3–4, S. 19 (24 f.).



B. Polizei- und ordnungsbehördliche Zuständigkeiten zur Gefahrenabwehr67

B. Die polizei- und ordnungsbehördlichen Zuständigkeiten zur Gefahrenabwehr Nachdem der Gegenstandsbereich dieser Arbeit nun enger umgrenzt wurde, sollen die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche der Polizei- und Ordnungsbehörden hinsichtlich der Abwehr der im Rahmen von Fußballveranstaltungen regelmäßig drohenden Gefahren abgesteckt werden. Diesbezüglich ist zunächst zu bemerken, dass die Polizeibehörden gem. § 1 Abs. 1 S. 1 und 3 PolG grundsätzlich nur über eine den ordnungsbehördlichen Zuständigkeiten gegenüber subsidiäre Eilkompetenz zur Gefahrenabwehr verfügen. Zwar sind die Polizeibehörden daher im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer für gefahrträchtig befundenen Fußballveranstaltung für deren Bewältigung unproblematisch sachlich zuständig, der zur Wahrnehmung dieser Eilzuständigkeit erforderliche Dringlichkeitsbzw. Effektivitätsaspekt ist hingehen in Teilen des Problembereichs dieser Arbeit nur schwer begründbar. Zu denken sei etwa an die vielen bereits im weiteren Veranstaltungsvorfeld zu ergreifenden Maßnahmen, wie Meldeauflagen oder Aufenthaltsverbote gegenüber potenziell gewalttätigen Fans.7 Indes steht den Polizeibehörden weiter die originäre Kompetenz zur Verhütung von Straftaten zu, in deren Rahmen der Grundsatz der subsidiären Gefahrenabwehr durch die Polizei ausdrücklich keine Geltung entfaltet (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 PolG). Im Rahmen von Fußballgroßveranstaltungen droht in aller Regel mit hoher Wahrscheinlichkeit die Begehung von Straftaten – nur beispielhaft genannt seien solche nach §§ 86a, 113, 125 ff., 223 ff. sowie 303 StGB8, sodass ein entsprechendes Tätigwerden der Polizeibehörden im Vorfeld einer Spielbegegnung zu deren Verhütung in kompetenzrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden ist.9 Weiter kommt es auf den Grundsatz polizeilicher Subsidiarität im Hinblick auf den Schutz privater Rechte aus § 1 Abs. 2 PolG in Ansehung des sodann bestehenden öffentlichen Interesses an der polizeilichen Gefahrenabwehr nicht an.10 7  So auch M.  Bramow / A.  Wegner, Meldeauflagen und Aufenthaltsverbote im Zusammenhang mit Fußballspielen – eine Rostocker Betrachtung, in: Die Polizei 2010, S. 213 (215 f.). 8  Vgl. Kap. 1, A. V. 9  Vgl. T. Finger, Betretungs- und Aufenthaltsverbote im Recht der Gefahrenabwehr, in: Die Polizei 2005, S. 82 (85 f.); Bramow / Wegner, Meldeauflagen (Fn. 7), S. 216. Dies beweist ferner die Existenz der alleinigen Befugnisnorm für den Erlass von Aufenthaltsverboten im Polizeigesetz (§ 34 Abs. 2), welche frühzeitig zum Einsatz kommen, um Straftaten zu verhüten, und den Ordnungsbehörden gerade nicht zugedacht sind. Vgl. zudem die Ausführungen unter Kap. 3, B. I. 4. a). 10  Nolte, Sport (Fn. 5), S. 131.

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Kap. 2: Verantwortungsbereiche von Polizei sowie Veranstaltern

Auch in der Praxis ergeht der Großteil der behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt – insbesondere gegenüber potenziell gewalttätigen Zuschauern – durch die Polizeibehörden. Die allgemeinen Ordnungsbehörden werden demgegenüber besonders im Vorhinein einer Veranstaltung gegenüber dem jeweiligen Veranstalter bzw. anderen Dritten tätig. Im Folgenden wird somit – dieser überwiegenden behördlichen Praxis entsprechend – das gefahrenabwehrrechtliche Vorgehen gegenüber Fans somit aus dem Blickwinkel des Polizeirechts, das Vorgehen gegenüber Dritten aus dem Blickwinkel des allgemeinen und besonderen Ordnungsrechts (unter Ausschluss des Polizeirechts) untersucht.

Kapitel 3

Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern zur Bekämpfung von Fanausschreitungen In diesem Kapitel sollen die in der Praxis gegenüber Zuschauern ergriffenen, präventiv-polizeilichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Fanausschreitungen untersucht werden. Dabei werden die einzelnen Maßnahmen – unterschieden anhand ihres Einsatzzeitpunktes sowie ihrer Natur als informationell oder aktionell – zunächst vorgestellt, im Hinblick auf ihre Grundrechtsbezüge beleuchtet sowie ihre vermutliche Rechtsgrundlage ermittelt (A.). Im Anschluss werden die Maßnahmen an ausgewählten Fragestellungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft (B.). Nachdem auf die Frage des Erfordernisses der Schaffung einer Spezialermächtigung eingegangen wird, werden für diejenigen Maßnahmen, die nach den erarbeiteten Erkenntnissen einer speziellen Befugnisnorm bedürfen, eigene Regelungsvorschläge vorgestellt, wobei zum Teil bestehende Regelungen aus anderen Ländern als Orientierungspunkt herangezogen werden (B. I.). Sodann erfolgt eine eingehende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen – unterteilt in solche der klassischen Gefahrenabwehr (B. II.) sowie solche der Gefahrenvorbeugung (B. III.) – anhand von hypothetischen und in der Praxis typischen Fällen. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst (B. IV.).

A. Darstellung der Maßnahmen im Hinblick auf ihre praktische Anwendung, Grundrechtsbezüge und Rechtsgrundlagen I. Maßnahmen im Vorfeld einer Fußballveranstaltung Eingegangen wird zunächst auf solche Maßnahmen, deren Einsatzzeitpunkt bereits im weiteren Vorfeld einer als gefahrträchtig einzuschätzenden Fußballveranstaltung liegt. Aufgrund ihres unterschiedlichen dogmatischen Charakters erfolgt die Darstellung unterteilt in informationelle und aktionelle Maßnahmen.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

1. Informationelle Maßnahmen Zur effektiven Abwehr der durch ritualisierte Gewalt im Rahmen von Fußballveranstaltungen drohenden Gefahren sind Informationen über die bei einem bestimmten Event zu erwartende Anzahl potenziell gewalttätiger Fans sowie deren Eigenschaften und Gruppenstrukturen für die Polizei unerlässlich. Um ein auf die entstehende Gefahrensituation zugeschnittenes Einsatzkonzept erarbeiten zu können, wird ein nicht unerheblicher Teil der präventiven Arbeit bereits im Vorfeld eines Fußballereignisses durch verschiedene Maßnahmen im Bereich der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung i. S. v. § 3 Abs. 3, 4 und 5 BDSG geleistet. Diese informationelle Tätigkeit fällt in den Bereich der Gefahrenvorbeugung, genauer der Verhütung von Straftaten (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 PolG), der einer konkreten Gefahr prinzipiell vorgelagert ist und dem Erkennen des Entstehens von Gefahrenquellen dient.1 Über die bessere Vorhersehbarkeit etwaiger Gefahren hinaus dient jegliche informationelle Tätigkeit der Polizei dem bereits früh erklärten „polizeitaktische[n] Grundziel“2: Der Deanonymisierung gewalttätiger Fans. Indem potenzielle Gewalttäter der Anonymität der Masse entzogen und somit dem gescheuten Bereich der persönlichen Verantwortlichkeit zugeführt werden, sinkt – wie die Erfahrung zeigt – die Wahrscheinlichkeit gesetzeswidrigen Verhaltens.3 Um eine mit der Deanonymisierung verbundene Abschreckungswirkung erreichen zu können, erfolgt daher zumindest die datenerhebende Tätigkeit der Polizei im Gefahrenvorfeld meist offen in für den Betroffenen erkennbarer Weise.4 Im Rahmen der informationellen Vorgehensweise der Polizei ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als besondere Ausprägung bzw. Fortentwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, abgeleitet aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG, besonders gefährdet. Es bezweckt „unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten“5 und gipfelt in der weit auszulegenden „Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart“6, d. h. personen1  Vgl. zum Bereich der Gefahrenvorbeugung und dem bereits seit längerer Zeit beobachtbaren Trend der Vorverlagerung der Eingriffsbefugnisse die Ausführungen unter Kap. 3, B. III. 1., insbesondere Fn. 609. 2  L. Markert / W. Schmidbauer, Polizeirechtliche Probleme bei Sportgroßveranstaltungen, in: BayVBl. 1993, S. 517 (518); dies., Gewalt im Sportstadion. Polizeitaktische Überlegungen zur Problembewältigung, in: Kriminalistik 1994, S. 493 (495). 3  Vgl. Markert / Schmidbauer, Gewalt (Fn. 2), S. 495, sowie Kap. 1, D. I. 2. 4  Markert / Schmidbauer, Gewalt (Fn. 2), S. 498. 5  BVerfGE 65, 1 (43); 113, 29 (46).



A. Darstellung der Maßnahmen71

bezogene Daten i. S. v. § 3 Abs. 1 BDSG preisgegeben und verwendet werden. Somit ist die Betroffenheit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzliche Folge jedweder polizeilicher Erhebungs-, Verarbeitungs- oder Nutzungsmaßnahme personenbezogener Daten, mag das in Rede stehende Datum für sich gesehen auch zunächst bedeutungslos erscheinen.7 Im Bereich des Polizeirechts findet die durch das Bundesverfassungsgericht angestrebte besondere Sicherung der informationellen Selbstbestimmung8 Niederschlag in den Grundsätzen der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung, vgl. §§ 9 Abs. 3–6, 22 ff. PolG.9 6

Im hier betrachteten Stadium, dem Vorfeld einer Veranstaltung, sollen im Bereich der informationellen Tätigkeit der Polizei besonders der Einsatz szenekundiger Beamter sowie die Konzeption und rechtliche Bedeutung der Datei „Gewalttäter Sport“ beleuchtet werden. a) Der Einsatz szenekundiger Beamter Den Grundstein der polizeilichen Informationserhebung in Bezug auf die gewaltbereite Fußballfanszene bilden Aufklärungsmaßnahmen, die langfristig durch szenekundige Beamte durchgeführt werden. Diese sollen einen ständigen Kontakt zur ortsansässigen Fanszene knüpfen, um zum einen Erkenntnisse zu ihrer Gruppenstruktur und Gefährlichkeit, speziell die Anzahl der Fans der Kategorien „B“ und „C“, zu gewinnen, zum anderen um zu deanonymisieren und abzuschrecken und darüber hinaus die Kommunikation zwischen Fans und Polizei zu fördern.10 6  BVerfGE 65, 1 (42  f.) sowie bestätigend E 67, 100 (143); 84, 192 (194); P. Kunig, in: I.  v.  Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 6.  Aufl. 2012, Art. 2  Rn. 38; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 2 I Rn. 79. 7  So hat das Bundesverfassungsgericht bereits im sog. Volkszählungsurteil festgestellt, dass es ein „belangloses Datum“ aufgrund der Verknüpfungsmöglichkeiten der automatischen Datenverarbeitung nicht mehr gebe, vgl. BVerfGE 65, 1 (45). Dazu auch Dreier (Fn. 6), Art. 2  I Rn. 81. 8  Vgl. beispielsweise die Betonung des rechtsstaatlichen Gebotes der Normenklarheit im Bereich des Datenschutzrechts, die Anforderungen an Zweckbestimmung und -bindung sowie diejenigen an den Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren in BVerfGE 65, 1 (44 ff.); 100, 313 (359 f., 372); 113, 348 (375 f.) und BVerfG (K), NVwZ 2007, 688 (690 f.). Weiter erläutern dies F. Schoch, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in: Jura 2008, S. 352 (357 f.), sowie C. Gusy, Gefahraufklärung zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, in: JA 2011, S.  641 (642 f.). 9  Näher dazu unter Kap. 3, B. II. 2. a) dd) (1). 10  Dazu E. Franz / T. Günther, Fußball-Weltmeisterschaft 2006: Die Welt zu Gast bei Irren? – Nein, bei Freunden! – Polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Zunächst dienen die erhobenen Daten als Grundlage für das anlässlich jeder Fußballveranstaltung durch die ZIS im Vorhinein zu erstellende und an die beteiligten Akteure zu übermittelnde Lagebild zur Einschätzung der Gefahrensituation.11 Weiter begleiten szenekundige Beamte die als gewaltbereit bzw. gewaltsuchend eingestuften Zuschauer am Spieltag und erleichtern in Zusammenarbeit mit „szeneunkundigen“ Einsatzkräften ein frühzeitiges Erkennen und Unterbinden etwaiger Unruhen.12 In der Erhebung, Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten an die ZIS (vgl. § 3 Abs. 4 S. 2 Nr. 1, 3 BDSG) durch szenekundige Beamte liegen selbstständige Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen.13 Ihre Rechtsgrundlage findet diese informationelle Tätigkeit der Beamten in der Regelung zur Befragung gem. § 9 Abs. 1 S. 1 PolG bzw. in Zusammenschau mit § 9 Abs. 3 S. 2 PolG in der polizeirechtlichen Generalermächtigung zur Datenerhebung14 sowie den Regelungen zur Datenspeicherung und -übermittlung, vgl. §§ 24 Abs. 1, 27 Abs. 1 S. 1 PolG. b) Der standardisierte polizeiliche Informationsaustausch im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“ Die Gefahr fußballbezogener Gewalt ist aufgrund ihrer ständig mobilen Verursacher besonders durch ihre Überörtlichkeit gekennzeichnet. Indem die gewaltbereiten Anhänger eines Vereins ihrer favorisierten Mannschaft zu deren Auswärtsspielen regelmäßig folgen, geraten die heimischen Einsatzkräfte typischerweise nicht nur mit der ihnen bekannten, ortsansässigen, gegen Hooligans bei Sportgroßveranstaltungen, in: NWVBl. 2006, S. 201 (204); B. Steinat, Die Speicherung personenbezogener Daten gewalttätiger Fußballfans – zur Datei „Gewalttäter Sport“, 2012, S. 59 ff. 11  Vgl. die Homepage der ZIS, abrufbar unter: http://www.polizei-nrw.de/ar tikel_68.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015, sowie M.  Nolte, Aufgaben und Befugnisse der Polizeibehörden bei Sportgroßveranstaltungen, in: NVwZ 2001, S. 147 (148). Vgl. weiter die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 1. b). 12  Vgl. B. Krahm, Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung verfassungsrechtlicher und rechtsvergleichender Aspekte, 2008, S. 193. 13  Zur informationellen Selbstbestimmung und Beschränkungen derselben BVerfGE 65, 1 (43 ff.); 78, 77 (84); C. Arzt / J. Eier, Zur Rechtmäßigkeit der Speicherung personenbezogener Daten in „Gewalttäter“-Verbunddateien des Bundeskriminalamts, in: DVBl. 2010, S. 816 (816 f.); J. Kühling / C. Seidel / A. Sivridis, Datenschutzrecht, 2. Aufl. 2011, S. 51 ff., 88 ff.; Kunig (Fn. 6), Art. 2 Rn. 38; D.  Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2012, 7. Kap. Rn. 9 ff. 14  B. Pieroth / B. Schlink / M. Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht mit Versammlungsrecht, 8. Aufl. 2014, § 13 Rn. 9.



A. Darstellung der Maßnahmen73

sondern auch mit einer fremden Fanszene in Kontakt. Demgemäß kommt dem bundesweiten polizeilichen Informationsaustausch, hier umfassend verstanden als Gesamtvorgang der Datenspeicherung und der Übermittlung zwischen Polizeibehörden, zur Gewährleistung einer fundierten Einschätzung der Gefahrenlage eine enorme Bedeutung zu. Mit dem Ziel, der Einsatzplanung für die jeweilige Spielbegegnung eine zuverlässige Datenbasis zugrunde zu legen, wurde der Informationsaustausch seit Anfang der 1990er Jahre intensiviert und standardisiert.15 Einen Großteil der später auszutauschenden Informationen bilden die einsatzrelevanten Daten eines jeden Spieltages, speziell die geschätzte Anzahl der Kategorie „B“- und „C“-Fans, welche in Form von standardisierten Berichten im Vor- sowie im Nachhinein der Veranstaltung durch die beteiligten Polizeibehörden an die ZIS übermittelt werden. Die Berichte werden durch die ZIS ausgewertet, in sog. Lagebildern zusammengefasst und sodann Bestandteil des koordinierten bundesweiten Informationsaustausches zwischen allen Beteiligten bzw. des Austausches mit ausländischen Polizeibehörden.16 Zum Teil bezieht sich der in dieser Form regulierte Informationsaustausch auf Daten ohne individuellen Personenbezug, sodass bezüglich dessen Rechtmäßigkeit grundsätzlich keine Bedenken bestehen.17 Sobald die fraglichen Daten allerdings besagten Personenbezug aufweisen, d. h. einer bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden können (vgl. § 3 Abs. 1 BDSG), liegen in den Maßnahmen der Datenspeicherung, -übermittlung und -nutzung18 selbstständige Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen.19 Im Zusammenhang mit fußballbezogener Gewalt verdient dabei besonders der automatisierte Austausch personenbezogener Daten im Rahmen der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ nähere Beachtung.20

15  Vgl. den Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe „Nationales Konzept Sport und Sicherheit“, S. 46 ff., abrufbar unter: http://www.kos-fanprojekte.info/pdf / nkss-1292. PDF, zuletzt abgerufen am 20.7.2015, sowie Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 148. Siehe ferner die Ausführungen unter Kap. 1, E. 16  Die Berichtspflicht erstreckt sich auf alle Begegnungen der ersten beiden Ligen sowie des DFB-Pokals. Ausführlich zur Vorgehensweise Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 228 ff. 17  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 231; Dreier (Fn. 6), Art. 2 I Rn. 81. 18  Vgl. zu den Begrifflichkeiten § 3 Abs. 2 Nr. 1 und 3 sowie Abs. 5 BDSG. 19  Vgl. Fn. 13. 20  Bezüglich der in dieser Arbeit ausgeklammerten polizeilichen Datenübermittlung außerhalb der Datei „Gewalttäter Sport“ wird auf die Ausführungen von Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 253 ff. verwiesen.

74

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

aa) Funktionsweise und grundrechtliche Bezüge der Datei „Gewalttäter Sport“ Die Datei „Gewalttäter Sport“ ist Bestandteil des bundesweiten polizeilichen Informationsverbundes INPOL (vgl. §  2 Abs.  1, 3 i.  V.  m. §  11 BKAG).21 In ihr können Daten von Personen für die Dauer von fünf Jahren gespeichert werden, gegen die aufgrund von Straftaten im Rahmen von Fußballveranstaltungen22 Ermittlungsverfahren eingeleitet23 oder in diesem Zusammenhang auch lediglich präventiv-polizeiliche Maßnahmen ergriffen worden sind (vgl. § 8 Abs. 1, 2 und 5 BKAG24).25 Die Datei enthält zur21  Vgl. dazu Steinat, Speicherung (Fn. 10), S. 89 ff. Als Verbunddatei wird diese anders als eine Zentraldatei zwar zentral beim BKA, jedoch durch die speicherungsberechtigten Verbundteilnehmer selbst geführt, die sodann für die eigens erhobenen und gespeicherten Daten verantwortlich sind, vgl. § 11 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 BKAG. Dies erläutern Arzt / Eier, Rechtmäßigkeit (Fn. 13), S. 818. 22  Laut ZIS berechtigen folgende Straftaten zu einer Speicherung: Straftaten unter Anwendung von Gewalt gegen Leib oder Leben oder fremde Sachen mit der Folge eines nicht unerheblichen Sachschadens (§§ 211 ff., 303 StGB); Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§  113 StGB); Gefährliche Eingriffe in den Verkehr (§§ 315 ff. StGB); Störung öffentlicher Betriebe (§ 316b StGB); Nötigung (§ 240 StGB); Verstöße gegen das Waffengesetz; Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz; Landfriedensbruch (§§ 125 ff. StGB); Hausfriedensbruch (§§ 123 f. StGB); Gefangenenbefreiung (§ 120 StGB); Raub- und Diebstahlsdelikte; Missbrauch von Notrufeinrichtungen (§ 145 StGB); Handlungen nach § 27 Versammlungsgesetz; Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB); Volksverhetzung (§ 130 StGB); Beleidigung (§ 185 StGB), vgl. Homepage zur Datei „Gewalttäter Sport“, abrufbar unter: http://www.polizei-nrw.de/artikel_4596.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 23  Gem. § 8 Abs. 3 BKAG reicht zur rechtmäßigen Speicherung auch ein Verfahren aus, welches zwar eingestellt wurde, bei dem sich aus der Einstellungsverfügung jedoch nicht ergibt, dass der Betroffene die Tat nicht oder nicht rechtswidrig begangen hat. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte einen Verstoß gegen die durch Art. 6 Abs. 2 EMRK gewährleistete Unschuldsvermutung durch diese Praxis ab, vgl. BVerwGE 137, 113 (119, Rn. 26). 24  Weiterführend Steinat, Speicherung (Fn. 10), S. 137 ff. 25  Nähere Regelungen zu den Erfassungskriterien sowie den zu speichernden Daten sind nicht bekannt. Präzisere Angaben sollte die Errichtungsanordnung der Datei i. S. v. § 34 BKAG enthalten, welche allerdings nicht veröffentlicht wurde, sodass sich die Verfasserin auf die diesbezüglichen Angaben der ZIS stützt, vgl. Homepage zur Datei „Gewalttäter Sport“ (Fn. 22). Aussagen der Bundesregierung zu den Errichtungsanordnungen der „Gewalttäterdateien“ erwecken jedoch den Eindruck, dass auch diese die Erfassungsschwelle nur grob umreißen. So lautete die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur Speicherung personenbezogenen Daten in „Gewalttäterdateien“ (BT-Drs.  14 / 6911): „Eine über die Errichtungsanordnungen hinausgehende präzise Definition einer Schwelle, bei denen eine Einstellung in die Dateien zu erfolgen bzw. unterhalb derer eine Einstellung zu unterbleiben hat, verbietet sich, weil Lebenssachverhalte und Präventionsbedürfnisse



A. Darstellung der Maßnahmen75

zeit ca. 13.000 Datensätze26, bestehend aus Angaben zur Person sowie zu den Ermittlungs- oder Präventivmaßnahmen, welche zur Speicherung geführt haben.27 Diese Informationen sollen als Grundlage für etwaige (aktio­ nelle) gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Fußballveranstaltung, genauer als Grundlage für die erforderliche Gefahrprognose, dienen.28 Die Speicherung erfolgt gem. § 11 Abs. 2 BKAG i. V. m. der Errichtungsanordnung der Datei grundsätzlich durch die Polizeidienststellen der Länder, welche die Daten erhoben haben, sowie gegebenenfalls durch die Bundespolizeidirektion oder die Landesinformationsstellen für Sporteinsätze.29 Handelt es sich wie bei der Datei „Gewalttäter Sport“ um eine Verbunddatei mit automatisiertem Abrufverfahren30, ist mit der Speicherung im Informationssystem auch der erste Schritt zur Datenübermittlung getan. Eine solche liegt vor, sobald die zum Zugriff berechtigten Stellen die Daten abrufen – für die Datei „Gewalttäter Sport“ sind dies alle Polizeibehörden des Bundes und der Länder im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben31. Über die Zulässigkeit entscheidet in diesem Fall anders als bei der „konventionellen“ Datenübermittlung allein die abrufende Behörde (vgl. § 12 Abs. 2 S. 3 BKAG). Darüber hinaus können die gespeicherten Daten durch das BKA bzw. die Polizeidienststellen der Länder neben der Übermittlung an andere öffentliche Stellen als die Verbundteilnehmer32 auch an Dritte übermittelt werden, wie z. B. Vereine, den DFB oder die DFL als Hausrechtsinhaber, um etwa die Aussprache eines Stadionverbotes zu begründen (vgl. § 10 Abs. 3 BKAG, § 29 PolG oder § 16 DSG NW). Unmittelbar zugriffsberechtigt sind nicht-öffentliche Stellen hingegen nicht.33 § 9 Abs. 5 der

sich solcher starren Einordnung grundsätzlich entziehen“, vgl. BT-Drs.  14 / 6990 v. 27.9.2001, S. 3. 26  Stand: Dezember 2013, vgl. Homepage zur Datei „Gewalttäter Sport“ (Fn. 22). 27  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 233. Vgl. zu den grundsätzlich speicherungsfähigen Daten weiter § 8 Abs. 1, 2 BKAG. 28  So BT-Drs. 16 / 13563, S. 10. Zur Frage, ob die alleinige Bezugnahme auf die Eintragung in der Datei zur Begründung einer Gefahr und einer entsprechenden Störereigenschaft ausreicht, vgl. Kap. 3, B. III. 3. b) bb) (3) (b). 29  So die Homepage zur Datei „Gewalttäter Sport“ (Fn. 22). 30  Das automatisierte Abrufverfahren im Rahmen des elektronischen Datenverbundes ermöglicht den Verbundteilnehmern, über eine Internetverbindung unmittelbar auf die gespeicherten Daten zuzugreifen, vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 15 Rn. 58. 31  Vgl. Homepage zur Datei „Gewalttäter Sport“ (Fn. 22). 32  Vgl. §§ 10, 14 BKAG sowie die ausführliche Darstellung bei Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 258 ff. 33  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 256.

76

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

DFB-Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten34 besagt, dass im Gegenzug auch private Sportveranstalter personenbezogene Daten, nämlich die Auferlegung eines Stadionverbotes, an die Polizei übermitteln sollen, welche diese sodann in die Datei „Gewalttäter Sport“ aufnimmt. Die Zulässigkeit einer solchen Übermittlung bestimmt sich nach § 4 Abs. 1 i. V. m. § 28 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BDSG.35 Sowohl in der Speicherung als auch der Übermittlung personenbezogener Daten liegt jeweils ein über die bloße Datenerhebung hinaus gehender Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung.36 Dabei sind die verschiedenen Formen des Datenumgangs im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“ nicht an eine Pflicht zur Benachrichtigung des Betroffenen gekoppelt37, auch wenn gegenüber dem BKA gem. § 12 Abs. 5. BKAG i. V. m. § 19 BDSG ein Auskunftsanspruch besteht. Insbesondere in Anbetracht der mangelnden Benachrichtigungspflicht sowie der der Erfassung häufig nachfolgenden aktionellen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr weist die Aufnahme in die Datei eine nicht zu unterschätzende Eingriffsintensität auf.38 bb) Rechtsgrundlagen der Datenspeicherung und -übermittlung im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“ Nach anfänglichem Streit über das Bestehen einer ausreichenden Rechtsgrundlage für die Speicherung personenbezogener Daten in der Datei sowie deren Übermittlung mittels selbiger und dem damit einhergehenden Streit über die formelle Rechtmäßigkeit ihrer Führung selbst wird ihre Grundlage heute in § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, 2, 4, 5, 6, § 9 BKAG i. V. m. der BKA-DatenVerordnung gesehen.39 Darüber hinaus ist die speichernde, im datenschutz34  Abrufbar unter: http://www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/24339-Richtlinien_zur_ einheit‌_Behandlung_von_Stadionverboten.pdf, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 35  Nachvollziehbare Bedenken gegenüber der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen äußern Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 205. 36  Vgl. Kap. 3, A. I. 1., insbesondere Fn. 13. 37  Zur Kritik bezüglich des Mangels einer Benachrichtigungspflicht vgl. Kap. 3, B. III. 3. b) bb) (3) (b). 38  So auch Arzt / Eier, Rechtmäßigkeit (Fn. 13), S. 819. 39  Diskutiert wurde über die konstitutive oder lediglich deklaratorische Natur und damit die Erforderlichkeit einer Rechtsverordnung zur genaueren Ausgestaltung der Datei gem. § 7 Abs. 6 BKAG als Grundlage für selbige, vgl. ausführlich Arzt / Eier, Rechtmäßigkeit (Fn. 13), S. 819 ff. In Ermangelung einer ausreichenden Rechtsgrundlage befanden u. a. das OVG Lüneburg, NdsVBl. 2009, 135, sowie das VG Hannover, CR 2009, 144 ff. die Datei für rechtswidrig. A. A. VGH Kassel, NJW 2005, 2727 (2732), sowie Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 235 ff. Indes stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 9.6.2010 fest, dass die Datei mittlerweile rechtmäßig sei, da die ebenfalls für konstitutiv befundene Rechtsverordnung am



A. Darstellung der Maßnahmen77

rechtlichen Sinne verantwortliche Stelle an die weiteren Reglementierungen zur Datenspeicherung und -übermittlung, die Polizeibehörden der Länder im Rahmen ihrer präventiven Tätigkeit beispielsweise an die Landespolizeigesetze gebunden (vgl. etwa § 24 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 S. 1 PolG).40 cc) Der Datenabgleich mit der Datei „Gewalttäter Sport“ Gleicht die Polizei ihr vorliegende Daten zu einem potenziell gewalttätigen Fan z. B. nach einer Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 1 PolG mit den in der Datei gespeicherten Daten ab und stützt gegebenenfalls präventive Folgemaßnahmen auf die somit erlangten zusätzlichen Kenntnisse bzw. den alleinigen Umstand der Erfassung des Betroffenen in der Datei41, liegt darin eine Datennutzung, die ebenfalls als Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung anzusehen ist.42 Dabei dient der Begriff der Datennutzung (vgl. § 3 Abs. 5 BDSG) als Auffangbegriff, der die Arten des Umgangs mit Daten erfasst, die nicht als Datenverarbeitung (z. B. Speicherung und Übermittlung) gelten. Der Datenabgleich mit der Datei „Gewalttäter Sport“ richtet sich nach den für die abgleichende Behörde geltenden Regelungen, z. B. nach § 25 Abs. 1 PolG.43 2. Aktionelle Maßnahmen Neben ihrer informationellen Tätigkeit greift die Polizei im Vorfeld einer Fußballveranstaltung auch zu aktionellen, kausalverlaufsrelevanten Maßnahmen, um drohende Gefahren durch gewalttätige Ausschreitungen von Fußballfans schon frühzeitig abzuwehren. Diese sollen im Folgenden vorgestellt sowie auf ihre grundrechtlichen Bezüge und ihre Rechtsgrundlagen hin untersucht werden. 4.6.2010 nachgereicht wurde (Verordnung über die Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes gespeichert werden dürfen, BGBl. I 2010 S. 716), vgl. BVerwGE 137, 113 (116 ff., Rn. 20 f.). Keine Rechtsgrundlage kann mangels außenrechtlicher Wirkung die Errichtungsanordnung für die Datei darstellen, welche gem. § 34 BKAG zudem die Rechtsgrundlage der Datei gerade nennen soll. 40  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 237 f. So ermächtigt die Generalklausel zur Datenspeicherung gem. § 24 Abs. 1 PolG zur Speicherung, Veränderung und Nutzung rechtmäßig erlangter personenbezogener Daten, soweit dies zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. 41  Vgl. zu dieser Praxis VG Schleswig, 23.4.2004, 1 A 219 / 02, BeckRS 2004, 23208; VG Stuttgart, Urteil v. 17.8.2009, 11 K 237 / 09, BeckRS 2009, 38126, sowie Kap. 3, B. II. 2. b) aa) (2). 42  Vgl. Fn. 13 sowie Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 15 Rn. 45 ff. 43  Arzt / Eier, Rechtmäßigkeit (Fn. 13), S. 819.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

a) Die Gefährderansprache aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge Eine mittlerweile etablierte polizeiliche Maßnahme gegenüber potenziell gewalttätigen Fans im Vorfeld einer Veranstaltung stellt die Gefährderansprache dar, welche im Gefüge des „polizeitaktischen Stufenkonzepts“44 gemessen an ihrer Intensität im unteren Bereich anzusiedeln ist. Besteht der Verdacht, eine Person werde in Zukunft im Rahmen einer Fußballveranstaltung an gewalttätigen Ausschreitungen teilnehmen, wird diese auf eine unternommene polizeiliche Beobachtung hingewiesen und zugleich ermahnt, etwaige strafbare Handlungen beim Besuch der betreffenden Fußballveranstaltung zu unterlassen bzw. von dem Besuch gänzlich Abstand zu nehmen.45 Die Maßnahme ist somit ebenso wie der Großteil der datenerhebenden Tätigkeit der Polizei auf Deanonymisierung und Abschreckung gerichtet.46 In Ermangelung einer Regelungswirkung stellt die Gefährderansprache dabei jedoch lediglich einen Realakt dar.47 Neben vermutetermaßen gewaltbereiten Fußballfans werden Gefährderansprachen in der Praxis häufig gegenüber potenziell gefährlichen Versammlungsteilnehmern ergriffen. Während die Bestimmung ihrer grundrechtlichen Bezüge bei letzterer recht unproblematisch erfolgen kann, erweist sie sich in Bezug auf Gefährderansprachen gegenüber Fußballfans als schwieriger. Dabei kann die Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 Abs. 1 GG unter Zugrundelegung des mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht verwendeten engen Versammlungsbegriffs nicht als einschlägig erachtet werden. Demnach muss eine Versammlung die gemeinsame Meinungsbildung und -äußerung 44  F. Rachor, Das Polizeihandeln, in: H. Lisken / E. Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, E Rn. 755. 45  Dazu grundlegend F. Deusch, „Fanorientierte“ Maßnahmen polizeilicher Gefahrenabwehr bei Fußballspielen, in: Die Polizei 2006, S. 145 (145 f.); C. Arzt, Gefährderansprache und Meldeauflage bei Sport-Großereignissen, in: Die Polizei 2006, S. 156 (156 ff.); Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 200 ff.; T. Hebeler, Die Gefährderansprache, in: NVwZ 2011, S. 1364 (1364 ff.); Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 754 ff., sowie A. Kießling, Die dogmatische Einordnung der polizeilichen Gefährderansprache in das allgemeine Polizeirecht – Überlegungen zu einer neuen „Standardmaßnahme“, in: DVBl. 2012, S. 1210 (1210 ff.). Vgl. weiter zum Gefährderanschreiben – allerdings in Bezug auf die Teilnahme an einer Versammlung – OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 ff., sowie OVG Magdeburg, NVwZRR 2012, 720 f. 46  So Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 110 f.; M. Breucker, Sicherheitsmaßnahmen für Fußballspiele, in: Polizeispiegel Januar / Februar 2012, S. 22  (22). 47  So auch Hebeler, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 1365; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 756; Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1211; W.-R. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2013, Rn. 652.



A. Darstellung der Maßnahmen79

bezwecken und zudem öffentliche Angelegenheiten betreffen48, sodass Fußballveranstaltungen nicht als Versammlungen i. S. v. Art. 8 Abs. 1 GG qualifizierbar sind.49 Unabhängig von der später zu untersuchenden Frage des Überschreitens der Eingriffsschwelle ist damit zunächst zu klären, unter welches Grundrecht der Besuch einer Fußballveranstaltung, auf dessen Verzicht durch die Maßnahme nicht selten hingewirkt werden soll, zu fassen ist. In Ansehung der erheblichen Persönlichkeitsrelevanz des Gruppenerlebnisses „Stadion“ für große Teile der Fanszene50 könnte der fragliche Stadionbesuch zumindest für „extreme“ Fans als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt sein. Als Produkt richterlicher Rechtsfortbildung sichert dieses dem Einzelnen einen Bereich der personalen Autonomie und der Privatsphäre.51 Dabei sollen die „Elemente der Persönlichkeit [geschützt werden], die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen“52. Als unbenanntes, kasuistisch geprägtes Grundrecht, welches sich besonders durch seine Entwicklungsoffenheit auszeichnet, um auch Lebensbereiche erfassen zu können, die sich erst im Laufe der Zeit als schutzwürdig erweisen53, könnte dessen Schutz insofern auch besonders persönlichkeitsrelevantes Verhalten umfassen, wie den für einen extremen Fan identitätsstiftenden wöchentlichen Stadionbesuch. Andere vertreten hingegen, dass dieser lediglich vom Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG erfasst sei.54 Wollte man den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anhand der besonderen Persönlichkeitsrelevanz des fraglichen Verhaltens abstecken, entspräche diese Form der Abgrenzung von Handlungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht in etwa der früher (allerdings zur Beschränkung des 48  Vgl. zum engen Versammlungsbegriff BVerfGE 104, 92 (104); BVerfG (K), NJW 2001, 2459 (2460), sowie BVerfG (K), NVwZ 2011, 422 (423). Kritisch demgegenüber O.  Depenheuer, in: T. Maunz / G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 8 (2006), Rn. 49 f.; P. Kunig, in: v. Münch / ders., GGK I (Fn. 6), Art. 8 Rn. 17. 49  So auch M. Breucker, Sicherheitsmaßnahmen für die Fußballweltmeisterschaft 2006. Prävention durch Polizei und Deutschen Fußball Bund, in: NJW 2006, S. 1233 (1236). 50  Vgl. hierzu Kap. 1, C. I. 1. sowie II. 1. 51  Kunig (Fn. 6), Art. 2 Rn. 32; Dreier (Fn. 6), Art. 2 I Rn. 69. 52  BVerfGE 120, 274 (303) sowie bereits in ähnlicher Fassung E 54, 148 (153). 53  C. Starck, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / ders. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 2 Abs. 1 Rn. 17; Dreier (Fn. 6), Art. 2 I Rn. 69. 54  Hebeler, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 1365; Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1211.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Schutzes durch Art. 2 Abs. 1 GG) vertretenen sog. Persönlichkeitskerntheorie, wonach dieser anstelle der heute anerkannten allgemeinen Handlungsfreiheit allein die „geistig-sittliche Persönlichkeitsentfaltung“55 schützen sollte.56 In Ermangelung einer allgemein gültigen Definition des Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung57 wären die Folgen eine weitgehende Subjektivierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie damit einhergehend eine extreme Ausweitung desselben gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit, welche das fragliche Verhalten als Auffanggrundrecht schützen würde, sofern es nicht vom Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechts umfasst wäre. Die Beantwortung der anfänglichen Frage, ob ein Stadionbesuch vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst ist, bedarf damit zum einen der Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Schutzbereich eines Grundrechts subjektiv oder objektiv zu bestimmen ist, und zum anderen einer genaueren Absteckung des Verhältnisses von allgemeinem Persönlichkeitsrecht und allgemeiner Handlungsfreiheit. Hinsichtlich der Frage, wie der Schutzbereich eines Grundrechts bestimmt werden sollte, ist zunächst anzuführen, dass eine objektive Absteckung des Schutzbereiches eines Grundrechts dessen Ausufern entgegenwirken und einen gleichberechtigten Grundrechtsschutz für alle Träger des betroffenen Grundrechts als Bestandteil einer intersubjektiv verbindlichen Rechtsordnung fördern würde.58 Demgegenüber ergaben sich in der Vergangenheit in Bezug auf einzelne Grundrechte Versubjektivierungs- und Individualisierungstendenzen, die sich, wenn auch nicht kritiklos59, aufgrund der Schwierigkeit eines objektiven Umreißens des Schutzbereiches von staatlicher Seite halten. Zu nennen ist hier etwa das instruktive Beispiel der in Bezug auf die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG weitgehend anerkannten Selbstverständnislehre, nach welcher (unter dem Vorbehalt der Plausibilität60) anhand des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaften zu entscheiden ist, welche Handlungen als glaubensgeleitet und damit vom Schutzbereich umfasst anzusehen sind.61 Die Notwendigkeit dieser subjekerläutert Starck (Fn. 53), Art. 2 Abs. 1 Rn. 10. Peters, Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Verfassungsziel, in: D.  Constantopoulos / H. Wehberg (Hrsg.), Gegenwartsprobleme des internationalen Rechtes und der Rechtsphilosophie. Festschrift für Rudolf Laun zu seinem siebzigsten Geburtstag, 1953, S. 669 (673 f.). 57  So Starck (Fn. 53), Art. 2 Abs. 1 Rn. 10; Dreier (Fn. 6), Art. 2 I Rn. 27. 58  M. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 80 f., 227 ff. 59  Vgl. beispielshalber D. Merten, Grundrechtlicher Schutzbereich, in: ders. /  H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, 2009, § 56 Rn. 60. 60  BVerfGE 83, 341 (353). 55  Dies 56  H.



A. Darstellung der Maßnahmen81

tiven Bestimmung des Schutzbereiches ergibt sich aus dem „streng genommen unabweisbaren Befund, daß das, was jeweils von der religiösen oder weltanschaulichen Interpretationen überzogen wird, d. h. für die Gläubigen in religiös-weltanschaulicher Richtung wichtig ist, nur in Abhängigkeit vom jeweiligen Interpretationssystem bestimmt werden kann.“62 Hier zeigen sich Ähnlichkeiten zwischen der subjektiv geprägten Religionsfreiheit und dem eventuell ebenfalls subjektiv zu bestimmenden Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welcher sich auf die Elemente der Persönlichkeit erstrecken soll, denen konstituierende Bedeutung zukommt, wobei es sich jedoch als schwierig erweist, diesen Bereich staatlicherseits, d. h. objektiv, zu definieren.63 Ebenso wie die Religionsfreiheit bezieht sich die Persönlichkeitsbildung und -entfaltung nicht auf eine streng abgrenzbare Tätigkeit, sondern auf die freiheitliche Gestaltung eines potenziell unbeschränkten Lebensbereiches, sodass der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegebenenfalls gleichermaßen für jeden Grundrechtsträger in Abhängigkeit der subjektiven Wichtigkeit eines Verhaltens zu bestimmen ist. 61

Die theoretische Möglichkeit der subjektiven Bestimmung des Schutzbereiches bedeutet jedoch keinesfalls, dass zwangsläufig jedes für den Einzelnen besonders persönlichkeitsrelevante Verhalten vom Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst sein muss. Im Ergebnis würde eine solche Auffassung den Schutzbereich (selbst bei Durchführung einer wie auch immer gearteten Plausibilitätskontrolle) nahezu gänzlich entgrenzen und in der Konsequenz die allgemeine Handlungsfreiheit weitgehend entleeren. Indes erscheint es sinnvoller, die Einschlägigkeit von allgemeinem Persönlichkeitsrecht oder allgemeiner Handlungsfreiheit anstatt anhand der subjektiven Wichtigkeit einer Tätigkeit anhand objektiver Kriterien zu bestimmen. Zur Absteckung beider Schutzbereiche findet sich der überzeugende Ansatz, das allgemeine Persönlichkeitsrecht primär als statusbezogen (Schutz der engeren Persönlichkeitssphäre64 bzw. der inneren, konstituierenden Dimension der Entfaltungsfreiheit65) und demgegenüber die allgemeine Handlungsfreiheit zuvörderst als handlungsbezogen (Schutz des aktiven Elementes der Per61  BVerfGE 104, 337 (345  ff.); Morlok, Selbstverständnis (Fn. 58), S. 78  ff.; C. Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, 2006, S. 506 ff. 62  Morlok, Selbstverständnis (Fn. 58), S. 80. 63  So wird etwa der „soziale Geltungsanspruch als Teil des Persönlichkeitsrechts […] in der vom Träger selbst definierten Form geschützt“, Morlok, Selbstverständnis (Fn. 58), S. 74 f. 64  So Starck (Fn. 53), Art. 2 Abs. 1 Rn. 14. 65  G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung. Eine Rekonstruktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I GG, 2007, S. 18 ff., 67.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

sönlichkeitsentfaltung66 bzw. der äußeren Dimension der Entfaltungsfreiheit67) zu verstehen.68 Dieser Auffassung ist zum einen zu Gute zu halten, dass sie zu einer weitgehend klaren, von subjektiven Empfindsamkeiten abgekoppelten Trennung beider Schutzbereiche führt. Zum anderen trägt sie dem Umstand Rechnung, dass nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern alle Grundrechte dem Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der individuellen Selbstbehauptung – wenn auch nur ausschnittshalber – dienen69, wie es für die allgemeine Handlungsfreiheit schon durch den Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG verdeutlicht wird. Es bleibt jedoch zu bemerken, dass die bloße Zuordnung eines nicht durch ein anderes spezielles Freiheitsrecht geschützten Verhaltens zum Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht als Abwertung desselben missverstanden werden darf. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist kein Grundrecht von minderer Qualität, welches notwendig unter vergleichsweise geringeren Anforderungen eingeschränkt werden kann.70 Vielmehr erfolgt die hier vertretene Abgrenzung der Schutzbereiche von Handlungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht in rein technischer Weise. Ein Befinden über die (auch subjektive) Wichtigkeit des Verhaltens erfolgt erst auf der Rechtfertigungsebene, auf der einzelfallbezogen und in Relation zu anderen Interessen über die divergierenden tatsächlichen Einschränkungsmöglichkeiten des Grundrechts entschieden werden kann. Festzuhalten ist damit, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit primär statusbezogen zu verstehen ist und der Besuch einer Fußballveranstaltung, mag er für den Betroffenen eine noch so identitätsstiftende Bedeutung aufweisen, als reine Handlung in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit oder ein 66  Starck

(Fn. 53), Art. 2 Abs. 1 Rn. 14. Entfaltung (Fn. 65), S. 17, 67. 68  Ähnlich auch BVerfGE 54, 148 (153) wonach „das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG ein Element der ‚freien Entfaltung der Persönlichkeit‘ [enthält], das sich als Recht auf Respektierung des geschützten Bereichs von dem ‚aktiven‘ Element dieser Entfaltung, der allgemeinen Handlungsfreiheit […], abhebt“ [Hervorbehung im Original, F. N.]. Dem folgt Dreier (Fn. 6), Art. 2 I Rn. 22. 69  J. Isensee, Positivität und Überpositivität der Grundrechte, in: D. Merten /  H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, 2006, § 26 Rn. 9. 70  Vgl. Kunig (Fn. 6), Art. 2 Rn. 14. In dieser Hinsicht geht auch die Einschätzung fehl, rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit müssten dem klassischen Eingriffsbegriff entsprechen. So auch Starck (Fn. 53), Art. 2 Abs. 1 Rn. 20, sowie Dreier (Fn. 6), Art. 2 I Rn. 49 f. Dies vertreten hingegen C. Hillgruber, in: D.  Umbach / T. Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Bd. I, 2002, Art. 2 Abs. 1 Rn. 132 ff.; B.  Pieroth / B. Schlink /  T. Kingreen / R. Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 30. Aufl. 2014, Rn. 402 ff. 67  Britz,



A. Darstellung der Maßnahmen83

anderes spezielles Freiheitsrecht fällt, nicht hingegen in den des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Ein anderes einschlägiges Freiheitsrecht kann in der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Fall GG gesehen werden. So stellen große Teile des Verhaltens von Fußballfans im Rahmen von Fußballveranstaltungen wie etwa das Anfeuern der eigenen Mannschaft oder Äußerungen zur Politik der Vereine oder Verbände unzweifelhaft Meinungskundgaben dar.71 Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind zwar „allein die Meinungskundgabe als Mittel des geistigen Meinungskampfes“72 wie Krahm richtigerweise konstatiert, sodass die Anwendung von Gewalt im Rahmen von Fußballveranstaltungen nicht erfasst wird. Die Konsequenz kann jedoch nicht sein, die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung auch durch „extreme“, gewaltbereite oder sogar gewaltsuchende Fans dem Schutz der Meinungsfreiheit gänzlich zu entziehen.73 Die Annahme, die Motivation solcher Fans zum Stadionbesuch ergebe sich überwiegend aus dem Wunsch nach Gewalt oder erschöpfe sich sogar in diesem, geht in Anbetracht der in Kapitel 1. C. herausgearbeiteten soziologischen Befunde in Bezug auf das Interesse auch extremer Fans am Fußball fehl. Auch bei den meisten gewalttätigen Fans steht die verbale Unterstützung der favorisierten Mannschaft im Vordergrund, sodass die Teilnahme an einer Fußballveranstaltung gerade bei „aktiven“ Fans vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Fall GG umfasst ist. Zu untersuchen bleibt, ob die Gefährderansprache den Betroffenen so beeinträchtigt, dass sie – unter Anerkennung eines modernen Eingriffsbegriffs – die Eingriffsschwelle überschreitet und nicht nur als bloße Grundrechtsbelästigung einzustufen ist.74 Als maßgeblich angesehen werden kann diesbezüglich neben der Finalität des polizeilichen Handelns die Intensität des Appells75 und somit die Frage, ob eine Gefährderansprache bei wertender Betrachtung einen solchen Abschreckungseffekt entfaltet, dass der Angesprochene in erheblichem Ausmaß in seiner freien Willensentscheidung

71  So auch Breucker, Sicherheitsmaßnahmen (Fn. 49), S. 1236; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 206. Zum Schutzbereich der Meinungsfreiheit BVerfGE 61, 1 (9); 71, 162 (179); H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GGK I (Fn. 6), Art. 5 I, II Rn. 62; K. Odendahl, in: B. Schmidt-Bleibtreu / H. Hofmann / H.-G. Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 5 Rn. 3. 72  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 206. 73  So hingegen Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 206 f. 74  Vgl. zum modernen Eingriffsbegriff BVerfGE 105, 179 (299 ff.), sowie F.-J. Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier, HGR III (Fn. 59), § 57 Rn. 29 ff. 75  Krahm, Maßnahmen (Fn.  12), S. 208  ff.; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 757.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

im Hinblick auf einen geplanten Stadionbesuch beeinträchtigt wird76. Von einer solchen Einschränkung der Willensentscheidungsfreiheit wird zumindest dann auszugehen sein, wenn der Betroffene als Reaktion auf eine Gefährderansprache, im Rahmen derer mit konkreten polizeirechtlichen oder strafprozessualen Mitteln77, gegebenenfalls sogar schon für den Fall der bloßen Anreise, gedroht wird78, vom Vorhaben des Stadionbesuchs absieht. Allerdings kann zum einen nicht maßgeblich sein, ob der Angesprochene infolge der Maßnahme tatsächlich vom Stadionbesuch Abstand nimmt. Entscheidend ist allein die vom Betroffenen empfundene Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit an sich79, welche auch in erheblichem Maße vorliegen kann, wenn der Einzelne die durch die Ansprache entstandene Hemmschwelle überwindet. Zum anderen kann es auch nicht auf die Unterscheidung ankommen, ob mit konkreten Mitteln und gegebenenfalls sogar für den Fall der bloßen Anreise explizit gedroht und dem Betroffenen unmissverständlich nahegelegt wird, vom Besuch der Veranstaltung abzusehen80, oder eine entsprechende Drohung nur implizit mitschwingt, was auch schon beim bloßen Hinweis auf die Rechtslage der Fall sein kann. Schließlich kann das Gefühl der Einschüchterung beim Angesprochenen schon dadurch ausgelöst werden, dass er aufgrund konkreter Vorkommnisse in der Vergangenheit aus der anonymen Masse der Gesetzesadressaten „herausgepickt“ wird. Im Ergebnis verfügt damit jede Gefährderansprache über das Potenzial eines eingriffsüberschreitenden Abschreckungseffekts und kann somit als faktischer Eingriff qualifiziert werden.81 76  Zu Eingriffen durch Einschüchterung und Abschreckung vgl. BVerfGE 65, 1 (43); 113, 29 (46); 115, 320 (354 f.) sowie die Ausführungen unter Kap. 3, A. II. 1. d) bb). 77  So das OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 (392). 78  Darauf stellt ab Breucker, Sicherheitsmaßnahmen (Fn. 49), S. 1236. 79  So auch Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 157  f.; Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1211. 80  Dies klingt an beim OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 (392) sowie bei Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 757. 81  So im Ergebnis auch Hebeler, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 1365 f., sowie Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1211. Das OVG Lüneburg, Krahm, Rachor und Kugelmann gehen vom grundsätzlichen Vorliegen eines Eingriffs aus; eine Ausnahme bestehe nur für den Fall, dass allein auf die Rechtslage verwiesen wird, vgl. OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 (392); Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 210 f.; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 757; Kugelmann, POR (Fn. 13), 6. Kap. Rn.  106. A. A. M. Breucker, Sicherheit bei der Fußballweltmeisterschaft 2006. Präventive Maßnahmen der Polizei und des Veranstalters, in: SpuRt 2005, S. 133 (133); ders., Sicherheitsmaßnahmen (Fn. 49), S. 1236, sowie Franz / Günther, FußballWeltmeisterschaft (Fn. 10), S. 206, die die Gefährderansprache als bloßen Hinweis auf die Rechtslage verstehen, welcher auf die polizeiliche Aufgabenzuweisungsnorm gestützt werden kann, bzw. die Maßnahme gegebenenfalls als Datenerhebung oder Befragung ansehen.



A. Darstellung der Maßnahmen85

Über den Eingriff in die Meinungsfreiheit hinaus kann in einer Gefährderansprache auch ein Eingriff in das Recht der persönlichen Ehre als weitere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegen, welches den sozialen Geltungsanspruch vor Rufschädigungen schützt.82 Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine Gefährderansprache in stigmatisierender Weise im Beisein Dritter, etwa am Arbeitsplatz, erfolgt.83 Wird diese Stigmatisierung zudem bezweckt, um den sozialen Druck auf den Betroffenen zu erhöhen, sehen Waechter und Krahm die Gefährderansprache weiter als finale Datenübermittlung an Dritte und damit als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung an.84 Durch die bloße Gesprächsführung an sich wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Anbetracht der Tatsache, dass die Beamten in der Regel keine Befragung, sondern eine Belehrung über die rechtliche Situation vornehmen indessen nicht beeinträchtigt.85 Festzuhalten bleibt, dass die Gefährderansprache regelmäßig die Meinungsfreiheit sowie gegebenenfalls das Recht auf Ehre sowie die informationelle Selbstbestimmung in rechtfertigungsbedürftiger Weise tangiert und somit einer ausreichenden Rechtsgrundlage bedarf. Die bloße polizeiliche Aufgabenzuweisungsnorm aus § 1 Abs. 1 PolG erfüllt diese Anforderung nicht.86 bb) Rechtsgrundlage Wie bereits dargestellt, wird der Betroffene mit der Gefährderansprache auf eine bestehende polizeiliche Beobachtung hingewiesen und gleichzeitig ermahnt, die Begehung von Straftaten im Rahmen einer Fußballveranstaltung zu unterlassen. Eine ähnliche, speziell geregelte Maßnahme in Form einer Standardermächtigung könnte in der Befragung gem. § 9 Abs. 1 PolG gesehen werden. Danach ist die Polizei befugt, jede Person zu befragen, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie sachdienliche Angaben machen kann, die für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich sind“ (vgl. § 9 Abs. 1 S. 1 PolG). Eine Befragung 99, 185 (193); 114, 339 (346); Starck (Fn. 53), Art. 2 Abs. 1 Rn. 171. Deusch, Polizeiliche Gefahrenabwehr bei Sportgroßveranstaltungen. Darstellung anhand des Fußballsports, 2005, S. 184 f.; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 206; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 205; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E  Rn. 757 f.; Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1212. Anschaulich zur entstehenden Prangerwirkung K. Waechter, Prävention durch Pranger – die Rückkehr der Stigmata, in: VerwArch. 92 (2001), S. 368 (368 ff.). 84  Waechter, Pranger (Fn. 83), S. 373 ff.; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 203 ff. 85  So auch Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 202 f. 86  A. A., wenn auch mit Einschränkungen, Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 133; ders., Sicherheitsmaßnahmen (Fn. 49), S. 1236; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 206. 82  BVerfGE 83  F.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

kann somit unabhängig vom Vorliegen einer Gefahr und der Störereigenschaft des Befragten erfolgen und dient als Hilfsmaßnahme der Informationsgewinnung, um die Bewerkstelligung einer anderen polizeilichen Aufgabe zu ermöglichen.87 Demgegenüber bezweckt die Gefährderansprache, den Angesprochenen mit dem Mittel der Deanonymisierung und Abschreckung von der Begehung etwaiger Straftaten oder schon vom Besuch der fraglichen Veranstaltung abzuhalten.88 Sofern der Betroffene im Rahmen der Ansprache etwa eventuelle Reisepläne offenbart, führt er einen Informationsgewinn auf Seiten der Polizei herbei, welcher ebenso wie die Befragung weitere polizeiliche Maßnahmen – wie eine Meldeauflage – nach sich ziehen kann. Solange dieser Informationsgewinn allerdings nicht primär bezweckt und durch gezielte Befragung erreicht wird, liegt eine Befragung i. S. v. § 9 Abs. 1 S. 1 PolG nicht vor. In Ermangelung einer Standardermächtigung ist die (einfache) Gefährderansprache damit wie in der Praxis üblich – vorbehaltlich des Nichtbestehens des noch zu prüfenden Erfordernisses einer speziellen Ermächtigung – auf die polizeiliche Generalklausel zu stützen.89 b) Die Meldeauflage aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge Eine im Vergleich zur Gefährderansprache intensivere und im polizeitaktischen Stufenkonzept höher anzusiedelnde Maßnahme stellt die Meldeauflage dar. Verspricht erstere gegenüber einem potenziell gewalttätigen Fan keinen Erfolg, wird diesem häufig durch die Polizei- oder Ordnungsbehörde in Form eines Verwaltungsakts die Pflicht auferlegt, sich am Spieltag oder über einen längeren Zeitraum hinweg, etwa während einer Fußball-Europaoder Weltmeisterschaft, – im Zweifel mehrmals täglich – bei einer näher bestimmten Polizeidienststelle zu melden.90 Ziel ist es, potenzielle Störer am Aufsuchen gefahrträchtiger Orte zu hindern. 87  J. Vahle, in: H. Tegtmeyer / ders., Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, 11. Aufl. 2014, § 9 Rn. 5, 13. 88  Vgl. Fn. 45. 89  Vgl. OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 ff.; OVG Magdeburg, NVwZ-RR 2012, 720 (721) sowie VG Düsseldorf, Urteil v. 21.9.2009 – 18 K 2052 / 09, BeckRS 2010, 07474 zur Möglichkeit der Festsetzung eines Zwangsgeldes bei Zuwiderhandlung. Vgl. ferner Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 146, sowie Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1210. 90  Ausführlich zur Meldeauflage BVerfG (K), Beschluss v. 19.6.2006 – 1 BvQ 17 / 06, BeckRS 2006, 19654; BVerwGE 129, 142 ff.; OVG Lüneburg, NordÖR 2006, 309 f., sowie VG Braunschweig, Beschluss v. 8.6.2006 – 5 B 173 / 06, BeckRS 2006, 24209. Siehe ferner die Darstellungen bei U. Petersen-Thrö / H. Elzermann,



A. Darstellung der Maßnahmen87

In Bezug auf die Frage der Grundrechtsbetroffenheit wird gängigerweise zum einen danach differenziert, ob der Betroffene verpflichtet wird, sich auf einer bestimmten Polizeidienststelle – i. d. R. der an seinem Wohnort befindlichen – zu melden oder ihm freigestellt ist, eine beliebige, „neutrale“ Dienststelle aufzusuchen, um seiner Meldepflicht nachzukommen. Ersteres wird meist als Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit gem. Art. 11 Abs. 1 GG, Letzteres als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG eingeordnet.91 Zum anderen findet sich eine Unterscheidung anhand der Häufigkeit der Meldungen bzw. der Länge des Zeitraums, über den eine Pflicht zur regelmäßigen Meldung festgeschrieben wird. Besteht nur eine einmalige Meldepflicht, liege lediglich ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG vor, während die Pflicht, sich z. B. während eines länger andauernden Turniers über mehrere Tage oder sogar Wochen hinweg, gegebenenfalls mehrmals täglich auf einer Polizeidienststelle zu melden, als Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG zu bewerten sei.92 Zur Beantwortung der Frage, nach welchen Kriterien die Grundrechtsbetroffenheit zu bestimmen ist, ist eine genauere Untersuchung des Schutzbereiches der Freizügigkeit vonnöten. Diese wird als das Recht verstanden, „an jedem Orte innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, auch zu diesem Zweck in das Bundesgebiet einzureisen“93. Die negative Komponente der Freizügigkeit umfasst das Recht, den gewählten Aufenthalts- oder Wohnort nicht verlassen zu müssen.94 Nach einhelliger Auffassung ist eine Aufenthaltsnahme ein im Vergleich zur Wohnsitznahme i. S. d. § 7 Abs. 1 BGB lediglich vorübergehendes Verweilen.95 Umstritten Die Meldeauflage als probates Gefahrenabwehrmittel im Vorfeld von Veranstaltungen, in: KommJur 2006, S. 289 (293 ff.); Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 325 ff.; C. Schucht, Generalklausel und Standardmaßnahme, 2010, S. 307 ff.; ders., Die polizei- und ordnungsrechtliche Meldeauflage: Standortbestimmung und dogmati­ sche Neuausrichtung, in: NVwZ 2011, S. 709 (709 ff.); H. Suhr, in: D.  Rühle / ders., Polizei- und Ordnungsgesetz Rheinland-Pfalz. Kommentar, 5. Aufl. 2012, § 12a und Kugelmann, POR (Fn. 13), 6. Kap. Rn. 110 ff. 91  Vgl. VGH Mannheim, NJW 2000, 3658 (3660), sowie VG Ansbach, Beschluss v. 9.6.2006 – AN 5 S 06.02003, BeckRS 2006, 29711; Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135; ders., Sicherheitsmaßnahmen (Fn. 49), S. 1236, sowie Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 333 f. Mit Einschränkungen C. Gusy, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I (Fn. 53), Art. 11 Rn. 25. 92  BVerwGE 129, 142 (150, Rn.  36); Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 334; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 321 f.; ders., Meldeauflage (Fn. 90), nahezu wortgleich S. 711. 93  BVerfGE 2, 266 (273); 43, 203 (211). 94  Gusy (Fn. 91), Art. 11 Rn. 34; H. D. Jarass, in: ders. / B. Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 13. Aufl. 2014, Art. 11 Rn. 3. 95  Vgl. etwa A. Randelzhofer, in: W. Kahl / C. Waldhoff / C. Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 11 (1981), Rn. 20; B. Pieroth, Das Grund-

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

ist allerdings, ob und falls ja, welche Anforderungen an die Qualität dieses Verweilens bzw. des Ziehens zum Ort des Verweilens96 zu stellen sind, um den grammatisch unbestimmten Schutzbereich zu begrenzen sowie den qualifizierten, eng ausgestalteten Gesetzesvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG legitimieren zu können.97 In der Literatur finden sich zahlreiche Kriterien wie das Verlassen des „alltäglichen Lebenskreises“98, eine gewisse Dauer des Aufenthalts99 oder eine Bedeutung, die „unter zeitlichen, räumlichen und finalen Gesichtspunkten […] auch unter besonderer Berücksichtigung der Persönlichkeitsrelevanz […] den besonderen (über Art. 2 I hinausweisenden) Schutzgehalt des Art. 11 I aktiviert“100, um den vom Schutzbereich der Freizügigkeit erfassten Aufenthalt bzw. das freie Ziehen zu spezifizieren. Mit dem Vorwurf der Willkür all dieser Kriterien erheben sich indessen Gegenstimmen, welche in der Konsequenz den Schutzbereich der Freizügigkeit zum Teil so weit verstehen, dass jeder Ortswechsel im Sinne eines noch so flüchtigen Verweilens umfasst sei.101 recht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG), in: JuS 1985, S. 81 (83); M. Pagenkopf, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 11 Rn. 16; W.  Durner, in: Maunz / Dürig, GGK (Fn. 48), Art. 11 (2012), Rn. 72. 96  Maßgeblich auf das freie Ziehen bzw. den Ortswechsel stellen Pieroth, Freizügigkeit (Fn. 95), S. 83, sowie P. Kunig, in: v. Münch / ders., GGK I (Fn. 6), Art. 11 Rn. 13 ab. Primär an das Verweilen an einem anderen Ort knüpft an H. Rittstieg, in: E.  Denninger / W. Hoffmann-Riem / H.-P. Schneider / E. Stein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 3. Aufl. 2001, Art. 11 (2001), Rn. 29. Vgl. zur Unterscheidung von der „dynamischen“, positiven Komponente und der „statischen“, negativen Komponente der Freizügigkeit Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 196 f. 97  Sehr anschaulich dargestellt bei Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 198 ff. 98  So Randelzhofer (Fn. 95), Art. 11 Rn. 28 f.; Gusy (Fn. 91), Art. 11 Rn. 28; Durner (Fn. 95), Art. 11 Rn. 82. 99  Einen „mehr als flüchtigen Aufenthalt“ fordert Rittstieg (Fn. 96), Art. 11 Rn. 33. Ähnlich Katz, der vom Erfordernis einer Mindestverweildauer ausgeht, A. Katz, Staatsrecht, 18. Aufl. 2010, Rn. 785. Merten sowie Jarass setzen eine Übernachtung voraus, vgl. D.  Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 44; Jarass (Fn. 94), Art. 11 Rn. 2. 100  Kunig (Fn. 96), Art. 11 Rn. 13 f., der die Dauer nur noch als untergeordnetes Indiz auffasst. Ähnlich C. Neuner, Zulässigkeit und Grenzen polizeilicher Verweisungsmaßnahmen, 2003, S. 41; M. Antoni, in: D. Hömig (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Handkommentar, 10. Aufl. 2013, Art. 11 Rn. 4, sowie K. Hailbronner, Freizügigkeit, in: J. Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 152 Rn. 41. 101  H. Alberts, Freizügigkeit als polizeiliches Problem, in: NVwZ 1997, S. 45 (47); I. Pernice, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 11 Rn. 13 f.



A. Darstellung der Maßnahmen89

Zwar kann die Kritik der Willkür der verschiedenen Ansätze zur Abgrenzung der Freizügigkeit von der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden, dennoch erscheint eine gewisse Qualifikation der durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützten Aufenthaltsnahme bzw. der Fortbewegung unerlässlich, um das Grundrecht der Freizügigkeit nicht ausufern zu lassen und die relativ enge Schranke des Absatzes 2 zu begründen.102 Besonders in Anbetracht der großen Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung, die dem Grundrecht der Freizügigkeit vielerorts attestiert wird103, sowie seiner immer wieder betonten Zweckneutralität104 scheint eine Kombinationslösung sinnvoll. Eine solche könnte – wenn auch nicht immer eindeutig – im Einzelfall gerechte Ergebnisse ermöglichen, indem sie die Einschlägigkeit von Art. 11 Abs. 1 GG anhand der Bedeutung des Ortswechsels bzw. des Ziehens im Leben des Betroffenen bemisst, die wiederum Ausdruck in der Persönlichkeitsrelevanz oder der Dauer des Aufenthalts sowie der Weite des Ziehens finden kann.105 Dieser Ansicht kann auch nicht entgegengehalten werden, dass ihr Resultat, die potenzielle Schutzfähigkeit auch recht kurzer Aufenthalte, nicht mit der engen Konzeption der Schrankenklausel des Absatzes 2 vereinbar sei, da die dort geregelten Einschränkungstatbestände keineswegs nur auf längerfristige Bedrohungen ausgelegt sind, wie z. B. der sog. Kriminalvorbehalt zeigt.106 Daran anknüpfend und auf die beiden anfänglich vorgestellten Ansätze bezüglich der Einschätzung der Betroffenheit der Freizügigkeit zurückkommend, sollte eine Meldeauflage dann als Eingriff in die Freizügigkeit eingeordnet werden, wenn ihre Konditionen dem Betroffenen die Unternehmung eines bedeutsamen Ortswechsels, selbst beim Bestehen der Möglich-

102  So auch R. Bösch, Rechtswidrige polizeiliche Verweisungsmaßnahmen, in: Jura 2009, S. 650 (652); Kunig (Fn. 96), Art. 11 Rn. 13. 103  Vgl. Pieroth, Freizügigkeit (Fn. 95), S. 81; Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 47. 104  BVerfGE 3, 308 (312); P. Kunig, Das Grundrecht auf Freizügigkeit, in: Jura 1990, S. 306 (308); W. Hetzer, Zur Bedeutung des Grundrechts auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) für polizeiliche Aufenthaltsverbote, in: JR 2000, S. 1 (3); F. Wollenschläger, in: Dreier, GGK I (Fn. 6), Art. 11 Rn. 26. 105  Ähnlich Kunig, Freizügigkeit (Fn. 104), S. 308; ders. (Fn. 96), Art. 11 Rn. 13; Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 47; Bösch, Verweisungsmaßnahmen (Fn. 102), S. 652; Schucht, Generalklausel (Fn.  90), S.  204  ff.; Pieroth / Schlink / Kingreen /  Poscher, Grundrechte (Fn. 70), Rn. 859. 106  So auch Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 47, der Art. 11 Abs. 1 GG gleichzeitig als „Auffanggrundrecht für selbstbestimmte Ortswahl“ bezeichnet. Im Anschluss weiter Hetzer, Freizügigkeit (Fn. 104), S. 3.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

keit der Meldung auf einer beliebigen, „neutralen“ Dienststelle, erheblich erschweren würden.107 Dabei basiert die teils vorgenommene Einordnung der Meldeauflage als Eingriff in das Recht der Freizügigkeit durch Schrifttum und Rechtsprechung meist auf der Annahme, der Betroffene könne durch eine auf die eine oder andere Weise qualifizierte Meldeauflage an einer fußballunabhängigen Unternehmung wie einer Urlaubsreise gehindert werden.108 Hierbei wird – wohl aufgrund eines engeren Verständnisses des Schutzes durch Art. 11 Abs. 1 GG – verkannt, dass ein im Hinblick auf Persönlichkeitsrelevanz und / oder Dauer bedeutsamer, in den Schutzbereich der Freizügigkeit fallender Ortswechsel ebenso im Besuch einer Fußballveranstaltung selbst bestehen kann, sodass jede Meldeauflage, die bezweckt, einen solchen zu unterbinden, als Zuzugsverbot (zum Stadion) einen potenziellen Eingriff in das positive Recht der Freizügigkeit darstellt.109 Ob einem geplanten Stadionbesuch im konkreten Einzelfall eine solche Bedeutung zukommt, dass der Schutzbereich der Freizügigkeit als eröffnet angesehen werden kann, muss durch eine wertende Betrachtung ermittelt werden. Zumindest wenn es sich um ein weiter entferntes Auswärtsspiel handelt – in der Regel kommen Meldeauflagen bei Auswärtsspielen zur Anwendung110 –, wird dies in Anbetracht der Dauer der Unternehmung und des identitätsstiftenden Charakters des Fußballs im Leben „extremer“ Fans regelmäßig der Fall sein. Anders verhält es sich lediglich in Bezug auf im Ausland stattfindende Fußballspiele, deren Besuch aufgrund der Inlandsbezogenheit der Freizügigkeit nicht durch diese geschützt ist.111 107  Teilweise werden in der Literatur erhöhte Anforderungen an Eingriffe in Art. 11 Abs. 1 GG gestellt, indem beispielsweise ein zielgerichtetes Handels vorausgesetzt wird, vgl. Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 376; Kunig (Fn. 96), Art. 11 Rn. 19. 108  So wohl VG Ansbach, Beschluss v. 9.6.2006 – AN 5 S 06.02003, BeckRS 2006, 29711; Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135; ders., Sicherheitsmaßnahmen (Fn. 49), S. 1236; Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 159; Gusy (Fn. 91), Art. 11 Rn. 25; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 321 f.; ders., Meldeauflage (Fn. 90), S. 711. 109  So im Ergebnis auch Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 333  f. A. A. Kunig, Freizügigkeit (Fn. 104), S. 308. 110  Vgl. T. Siegel, Hooligans im Verwaltungsrecht. Stadionverbote und andere polizeirechtliche Maßnahmen zur Eindämmung von Gewalt in Fußballstadien, in: NJW 2013, S. 1035 (1037). 111  Die Ausreisefreiheit ist nach überwiegender Auffassung nicht durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützt, vgl. BVerfGE 6, 32 (34 ff.); 72, 200 (245); Pieroth, Freizügigkeit (Fn. 95), S. 84; Gusy (Fn. 91), Art. 11 Rn. 40 f. A. A. Pernice (Fn. 101), Art. 11 Rn. 15.



A. Darstellung der Maßnahmen91

Über die Freizügigkeit hinaus sind Meldeauflagen, die darauf gerichtet sind, den Besuch einer Fußballveranstaltung zu verhindern, in Parallele zu dem im Rahmen der Gefährderansprache Gesagten als Eingriff in die Meinungsfreiheit zu bewerten.112 Weiter findet sich die Einordnung als Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung.113 Keine Beeinträchtigung liegt demgegenüber im Hinblick auf die Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG vor. Zu diesem Ergebnis kommt man zum einen mit der teilweise vertretenen Ansicht, die Freiheit der Person umfasse aufgrund ihrer alleinigen Bezugnahme auf einen Zustand anstelle einer Handlung nicht die negative Freiheit, am momentanen Aufenthaltsort zu bleiben und einen bestimmten Ort gänzlich zu meiden.114 Zum anderen gelangt man zu dieser Überzeugung durch eine ohnehin gebotene enge Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, mag man nun das Bestehen einer negativen Schutzkomponente des Grundrechts bejahen oder nicht. Verstanden als körperliche Fortbewegungsfreiheit115 im Sinne des Rechts, grundsätzlich frei und ohne staatliche Zwangseinwirkung oder Drohung einer solchen darüber entscheiden zu können, den momentanen Aufenthaltsort zu verlassen, schützt Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG maßgeblich vor Verhaftungen, Festnahmen o. ä. und somit vor einem Festhalten.116 Ein Festhalten kann zum einen in der zwangsweisen Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit, zum anderen in Imperativen gesehen werden, die einem zwangsweisen Festhal112  Vgl.

die Ausführungen zur Gefährderansprache unter Kap. 3, A. I. 2. a) aa). die Gesetzesbegründung zu § 12a POG RP, LT-Drs. 15 / 4879, sowie Suhr (Fn. 90), § 12a Rn. 1. 114  In Bezug auf Erscheinensgebote wird darüber hinaus maßgeblich darauf abgestellt, ob dem Betroffenen die Wahl des Erscheinungszeitpunktes frei steht. Ist dies der Fall wird zum Teil bereits die Eröffnung des Schutzbereiches verneint, so Starck (Fn. 53), Art. 2 II Rn. 196, sowie Kunig (Fn. 6), Art. 2 Rn. 76. Die Eingriffsqualität verneinen das VG Ansbach, Beschluss v. 9.6.2006 – AN 5 S 06.2003, BeckRS 2006, 29711; J.  Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 134, 137; Schucht, Meldeauflage (Fn. 90), S. 711; D. Murswiek, in: Sachs, GGK (Fn. 95), Art. 2 Rn. 239; H.  D. Jarass, in: ders. / Pieroth, GG (Fn. 94), Art. 2 Rn. 112, 114. A. A. H. Brenneisen, Die Versammlungsfreiheit und ihre Grenzen. Gewahrsam, Aufenthaltsverbot und Meldeauflagen im Vorfeld von Versammlungen, in: Kriminalistik 1999, S. 483 (485); C. Correll, in: Denninger / HoffmannRiem / Schneider / Stein, AK-GG (Fn. 96), Art. 2 Abs. 2  (2001), Rn. 153 f.; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 327 ff.; M. Bramow / A. Wegner, Meldeauflagen und Aufenthaltsverbote im Zusammenhang mit Fußballspielen – eine Rostocker Betrachtung, in: Die Polizei 2010, S. 213 (215); Pieroth / Schlink / Kingreen / Poscher, Grundrechte (Fn. 70), Rn. 445. Zur Abgrenzung von Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 11 Abs. 1 GG siehe Kap. 3, A. I. 2. c) aa). 115  Ein umfassendes Freiheitsrecht wird nahezu einhellig abgelehnt. Vgl. statt vieler Kunig (Fn. 6), Art. 2 Rn. 73. 116  Jarass (Fn. 114), Art. 2 Rn. 114. 113  So

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

ten vorgelagert sind117 bzw. speziell auf eine Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit gerichtet sind118. Ein Erscheinensgebot, dessen Befolgung nicht dazu führen würde, dass der Betroffene an dem dann gegenwärtigen Aufenthaltsort festgehalten würde, oder bei dessen Nichtbefolgung kein als Festhalten einzuordnendes zwanghaftes Verbringen zum angeordneten kurzweiligen Aufenthaltsort drohen würde, und um ein solches handelt es sich bei der Meldeauflage, kann keine Beeinträchtigung der Freiheit der Person darstellen.119 Festzuhalten bleibt damit hinsichtlich der grundrechtlichen Bezüge der Meldeauflage, dass diese – vorbehaltlich der besonderen Bedeutung eines etwaig geplanten Stadionbesuches im Inland – einen Eingriff in die Freizügigkeit sowie darüber hinaus einen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstellt. bb) Rechtsgrundlage In Rheinland-Pfalz existiert mit § 12a POG RP eine spezielle Normierung der Meldeauflage.120 In allen anderen Bundesländern fehlt eine solche, sodass die Meldeauflage zunächst von den dort typisierten Maßnahmen abzugrenzen ist. Ihr Regelungsgehalt umfasst, wie bereits dargestellt, das verbindliche Gebot, sich zu einer Dienststelle hin zu bewegen und sich dort zu melden. Anhand des Inhalts ihrer Regelung kann sie damit zunächst von den im Polizeigesetz typisierten Verweisungsmaßnahmen des Platzverweises (§ 34 Abs. 1 PolG), des Aufenthaltsverbotes (§ 34 Abs. 2 PolG) und der Wohnungsverweisung (§ 34a PolG) abgegrenzt werden, welche, anders als 117  Zu ähnlichen Ergebnissen wird auch die Ansicht kommen, die auf die staatliche Negation des Anspruchs des Einzelnen, über seinen Körper selbst zu verfügen, abstellt. So F. Wittreck, Freiheit der Person, in: Isensee / Kirchhof, HStR VII (Fn. 100), § 151 Rn. 9 f. Für eine grundsätzliche Beschränkung der Reichweite des Grundrechts über das Moment des unmittelbaren Zwangs oder dessen Androhung: BVerfGE 94, 166 (198); 105, 239 (248); U. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GGK (Fn. 48), Art. 2 II (Freiheit der Person – 2009), Rn. 22, 31 f.; Kunig (Fn. 6), Art. 2 Rn. 74, 76; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GGK I (Fn. 6), Art. 2 II Rn. 101 ff.; Jarass (Fn. 114), Art. 2 Rn. 114. 118  Auf die Zweckbestimmung stellen ab M. Sachs, Die Freiheit der Bewegung, in: K.  Stern / ders. / J. Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV / 1, 2006, § 106  S. 1097 f.; Murswiek (Fn. 114), Art. 2 Rn. 233. Kritisch gegenüber der Einbeziehung des Zwecks Di  Fabio (Fn. 117), Art. 2 II Rn. 30, sowie Jarass (Fn. 114), Art. 2 Rn. 114. 119  So im Ergebnis auch das VG Ansbach, Beschluss v. 9.6.2006 – AN 5 S 06.02003, BeckRS 2006, 29711; Sachs, Freiheit (Fn. 118), § 106 S. 1098; Starck (Fn. 53), Art. 2  II  Rn. 196. 120  Daneben kennt die Rechtsordnung Meldeauflagen mit §  27 BtMG oder § 116 I 2 Nr. 1 StPO auch in anderen Bereichen als dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht.



A. Darstellung der Maßnahmen93

die Meldeauflage, darauf gerichtet sind, das Betreten eines Bereichs oder das Verweilen an selbigem zu verbieten.121 Nicht so eindeutig fällt demgegenüber die Abgrenzung zur speziell normierten Vorladung aus (§ 10 Abs. 1 PolG). Diese regelt in Parallele zur Meldeauflage eine Erscheinenspflicht des Betroffenen, sodass beide Maßnahmen in tatsächlicher Hinsicht in gleicher Weise auf diesen einwirken. Wenn auch im Hinblick auf ihren Regelungsgehalt identisch, verfolgen die Maßnahmen jedoch völlig unterschiedliche Zwecke. Während eine Vorladung auf die spätere Informationsgewinnung zur Erfüllung anderer polizeilicher Aufgaben oder die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen gerichtet ist122, bezweckt die Meldeauflage, den Betroffenen am Aufsuchen eines bestimmten anderen Ortes zu hindern. Aufgrund ihrer unterschied­ lichen Regelungswirkung kann die Meldeauflage somit nicht auf eine der typisierten Verweisungsmaßnahmen und aufgrund der divergenten Zweckrichtung nicht auf die Regelung der Vorladung gestützt werden.123 Der Meldeauflage verbleibt somit als Rechtsgrundlage ebenso wie der Gefährderansprache (mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz) allein die Generalklausel124, auf deren Tauglichkeit als solche an späterer Stelle eingegangen wird125.

121  So auch Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 339; Siegel, Hooligans (Fn. 110), S. 1037. 122  C. Keller, in: M. Schütte / F. Braun / ders., Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen. Kommentar für Praxis und Ausbildung, 2012, § 10 Rn. 1 f. 123  So zur Vorladung auch M. Breucker, Transnationale polizeiliche Gewaltprävention. Maßnahmen gegen reisende Hooligans, 2003, S. 204 f.; Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 159; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 206; Schucht, Meldeauflage (Fn.  90), S.  711  f.; Rachor, Polizeihandeln (Fn.  44), E Rn. 773. 124  Ebenso BVerwGE 129, 142 (147 ff., Rn. 31 ff.); VGH Mannheim, NJW 2000, 3658  ff.; OVG Lüneburg, NordÖR 2006, 309  f.; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 340, sowie Schucht, Meldeauflage (Fn. 90), S. 712 f. Vgl. zum Zusammenspiel mit Pass- oder Personalausweisbeschränkungen Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (2) (b) (bb). 125  Vgl. Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (2) (b).

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

c) Das Aufenthaltsverbot und der Platzverweis aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge Bereits im Vorfeld von Fußballveranstaltungen werden weiter Aufenthaltsverbote126 (vgl. § 34 Abs. 2 PolG) sowie Platzverweise127 in Form von Betretungsverboten (vgl. § 34 Abs. 1 S. 1 2. Fall PolG) ausgesprochen, um bereits die Anreise bekannter gewaltbereiter Fans zu gefahrträchtigen Orten zu unterbinden.128 Verbietet die Polizei einer Person zur Abwehr einer Gefahr lediglich vorübergehend129, einen eng umgrenzten Ort zu betreten, handelt es sich um einen Platzverweis. Das Aufenthaltsverbot ist gegenüber der Platzverweisung zeitlich und typischerweise auch räumlich weiter gefasst und kann sowohl mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate andauern als auch ganze Stadtviertel umfassen (vgl. § 34 Abs. 2 S. 3, 5 PolG).130 Die Einhaltung der Verfügungen wird häufig durch flankierende Meldeauflagen sichergestellt.131 Ferner wird auf Verweisungsmaßnahmen zurückgegriffen, wenn etwa eine Meldeauflage zur Zweckerreichung ungeeig126  Dazu ausführlich W. Cremer, Aufenthaltsverbote und offene Drogenszene: Gesetzesvorrang, Parlamentsvorbehalt und grundrechtliche Kompetenzordnung, in: NVwZ 2001, S. 1218 (1218 ff.); T. Finger, Das Aufenthaltsverbot – Die neue Standardmaßnahme des nordrhein-westfälischen Gefahrenabwehrrechts, in: DVP 2004, S. 367 (367); Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 170 ff. 127  Ausführlich zum Platzverweis Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 144  ff.; Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 132 ff. 128  Vgl. etwa VG Stuttgart, VBlBW 2007, 67; VG Karlsruhe, SpuRt 2009, 130; VG Hannover, Beschluss v. 21.7.2011 – 10 B 2096 / 11, BeckRS 2011, 52822 und VG Ansbach, Beschluss v. 11.9.2012 – AN 5 S 12.01535, BeckRS 2012, 57222. 129  In der Regel wird die Grenze der „Kurzfristigkeit“, teilweise anlehnend an die gleichlaufende Definition der Aufenthaltsnahme als Bestandteil der Freizügigkeit gem. Art. 11 Abs. 1 GG, bei 24 Stunden angelegt, vgl. Finger, Aufenthaltsverbot (Fn. 126), S. 367; H. Lang, „Das Opfer bleibt, der Schläger geht“, in: VerwArch. 96 (2005), S. 283 (299). Dagegen gehen Latzel / Lustina von einer zulässigen Maximaldauer von zwei Wochen aus, D.  Latzel / J. Lustina, Aufenthaltsverbote – Eine neue Standardmaßnahme neben der Platzverweisung, in: Die Polizei 1995, S. 131 (134). Abzulehnen ist mit Wuttke die teilweise vertretene Auffassung, ein Platzverweis könne so lange aufrecht erhalten werden, wie die Gefahr andauert, vgl. A. Wuttke, Polizeirechtliche Wohnungsverweise, in: JuS 2005, S. 779 (780). So hingegen G. Berner / G. Köhler / R. Käß, Polizeiaufgabengesetz. Handkommentar, 20. Aufl. 2010, Art. 16 Rn. 3. Vgl. zur Diskussion weiter Kugelmann, POR (Fn. 13), 6. Kap. Rn. 25, sowie Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 132. 130  Bösch, Verweisungsmaßnahmen (Fn. 102), S. 650 f.; Siegel, Hooligans (Fn. 110), S.  1036 f. 131  Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 158; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 772.



A. Darstellung der Maßnahmen95

net ist, da z. B. die Dienststelle am Wohnort des Adressaten zugleich in der Nähe des Stadions liegt.132 Im Rahmen der Frage der Grundrechtsbetroffenheit wird ein Aufenthaltsverbot in Anbetracht seiner zeitlichen und räumlichen Ausdehnung regelmäßig als Eingriff in die Freizügigkeit angesehen. Demgegenüber wird dies bei der Platzverweisung von der überwiegenden Auffassung aufgrund des nur kurzfristigen Charakters abgelehnt.133 In Anknüpfung an das zur Meldeauflage Gesagte, nach dem eine Aufenthaltsnahme je nach ihrer Bedeutung, gemessen an persönlichkeitsrelevanten bzw. zeitlichen Aspekten, als von Art. 11 Abs. 1 GG geschützt anzusehen ist134, kann an dieser allein auf die Dauer der Verweisungsmaßnahme abstellenden Unterscheidung nicht festgehalten werden. Vielmehr ist auch eine Platzverweisung, welche in Form eines Betretungsverbotes im Vorfeld von Fußballveranstaltungen ergeht, als Zuzugsverbot und Eingriff in die positive Gewährleistung der Freizügigkeit zu bewerten, sofern der Stadionbesuch im konkreten Fall als Ortswechsel von besonderer Bedeutung in den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG fällt.135 Dieses Ergebnis wird durch die Überlegung bestätigt, dass Platzverweisung und Meldeauflage zwar unterschiedliche Regelungsgehalte aufweisen, beide Maßnahmen im fraglichen Anwendungsfall, wenn auch in ihrer Wirkungsweise unterschiedlich intensiv, letztlich doch dasselbe bezwecken: Den Betroffenen von gefahrträchtigen Orten und damit zumeist vom unmittelbaren Stadionumfeld fernzuhalten und ihm somit den dortigen Aufenthalt zu verwehren. Folglich sollte die Platzverweisung in Bezug auf die Frage der Grundrechtsbeeinträchtigung gleichlaufend zur Meldeauflage eingeordnet werden. Anderenfalls wäre die Rechtmäßigkeit zweier Maßnahmen, die für den Bürger nahezu dieselbe einschränkende Wirkung entfalten, anhand unterschiedlicher Grundrechtsverbürgungen zu messen. Neben der beim Aufenthaltsverbot regelmäßig, im Falle der bloßen Platzverweisung gegebenenfalls vorliegenden Beeinträchtigung des Rechts auf 132  Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135; ders., Sicherheitsmaßnahmen (Fn. 49), S. 1236. 133  So Brenneisen, Versammlungsfreiheit (Fn. 114), S. 484; Finger, Aufenthaltsverbot (Fn. 126), S. 368 f.; Breucker, Sicherheitsmaßnahmen (Fn. 49), S. 1237; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 435, 442; Kugelmann, POR (Fn. 13), 6. Kap. Rn. 24, 40; Siegel, Hooligans (Fn. 110), S. 1036 f., sowie mit Einschränkungen im Ergebnis Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 205 f.; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 16 Rn. 4. A. A. Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209, die regelmäßig auch beim Aufenthaltsverbot einen Eingriff Art. 11 Abs. 1 GG ablehnen. 134  Vgl. Kap. 3 A. I. 2. b) aa). 135  Trotz ähnlicher Bestimmung des Schutzbereiches von Art. 11 Abs. 1 GG kommt zu einem anderen Ergebnis Bösch, Verweisungsmaßnahmen (Fn. 102), S. 653.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Freizügigkeit sind beide Verweisungsmaßnahmen im hiesigen Anwendungsfeld wiederum als Eingriff in die Meinungsfreiheit zu bewerten.136 Umstritten ist weiter, ob Platzverweise bzw. Aufenthaltsverbote in das Recht der Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG eingreifen. Trotz der wohl einhelligen Auffassung, die Freiheit der Person erfasse allein die körperliche Bewegungsfreiheit137, gehen die Ansichten zur Weite des Schutzbereiches stark auseinander. Nach teilweise vertretener Auffassung ist der Schutzbereich so weit zu verstehen, dass sich aus der körperlichen Bewegungsfreiheit ein vollumfängliches Aufenthaltsrecht ergebe und dem Einzelnen damit das Recht eingeräumt werde, jeden beliebigen Ort aufzusuchen.138 Die Gegenansicht vertritt mit Blick auf den historischen Hintergrund der Art. 2 Abs. 2 S. 2 und Art. 104 GG in überzeugender Weise ein sehr viel engeres Verständnis. Demnach wird das Recht geschützt, frei darüber entscheiden zu können, den momentanen Aufenthaltsort zu verlassen. Eine Beeinträchtigung dieses Rechts wird damit zumindest immer dann anzunehmen sein, wenn der Grundrechtsträger durch körperlichen Zwang in nicht völlig unerheblicher Intensität festgehalten wird.139 Ge- oder Verbote, die sich auf die Bewegungsfreiheit beziehen, sind dann als Beeinträchtigungen des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG einzustufen, wenn der Betroffene bei einem Zuwiderhandeln mit einem Festhalten durch sofortigen unmittelbaren Zwang rechnen muss140 oder sie nach anderer Auffassung auf eine Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit abzielen141. Vor sonstiger staatlicher Einflussnahme auf die Entscheidung, einen gewünschten Ortswechsel vorzunehmen, schützen die Art. 11 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1 GG.142 Platzverweise und Aufenthaltsverbote beschränken nach dem oben Gesagten zwar eine von staatlicher Einwirkung freie Wahl des Aufenthaltsortes, eine zwangsweise Beeinträchtigung der körperlichen Bewegungsfreiheit in 136  Vgl.

die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 2. a) aa). Fn. 115. 138  A. Tiemann, Der Schutzbereich des Art. 2 II 2 GG, in: NVwZ 1987, S. 10 (12 ff.), sowie Pieroth / Schlink / Kingreen / Poscher, Grundrechte (Fn. 70), Rn. 442 ff. Darstellend S. Braun, Freizügigkeit und Platzverweis, 2000, S. 58 m. w. N. 139  So K. Merten, Platzverweise und Aufenthaltsverbote – Ein Beitrag zur rechtlichen Klarstellung, in: Die Polizei 2002, S. 18 (19 f.); Schulze-Fielitz (Fn. 117), Art. 2  II Rn. 99; Jarass (Fn. 114), Art. 2 Rn. 112. Laut BVerfGE 94, 166 (198) umfasst Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG die „gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit […] [, jedoch] von vornherein nicht eine Befugnis, sich unbegrenzt überall aufhalten und überall hinbewegen zu dürfen.“ Vgl. auch die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 2. b) aa). 140  Vgl. Fn. 117. 141  Vgl. Fn. 118. 142  Zum Verhältnis von Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 11 Abs. 1 GG vgl. Kap. 3, A. II. 2. b) aa) (1). 137  Vgl.



A. Darstellung der Maßnahmen97

Form eines Festhaltens erfolgt demgegenüber durch ein bloßes Betretungsoder Zuzugsverbot gerade nicht. Ein Eingriff in das Recht der Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG liegt folglich nicht vor.143 bb) Rechtsgrundlage Die Platzverweisung ist in allen Polizeigesetzen der Länder als Standardmaßnahme normiert. Auch das Aufenthaltsverbot kann mittlerweile in den meisten Bundesländern auf eine spezielle gesetzliche Regelung gestützt werden144, sodass die Diskussion um die Grundlage des Aufenthaltsverbotes weitgehend obsolet geworden ist. In Bayern, als einziges Bundesland ohne entsprechende Standardermächtigung, bleibt sie jedoch von Belang. Hier erfolgt in der Praxis ein umstrittener Rückgriff auf die Generalklausel des Art. 11 Abs. 1, 2 BayPAG, auf dessen Zulässigkeit an späterer Stelle näher eingegangen wird.145 d) Die Ingewahrsamnahme Als ultima ratio der Vorfeldmaßnahmen kommt zur Verhütung gewalttätiger Ausschreitungen von Fußballfans zumindest in der Theorie weiter eine 143  VG Ansbach, Beschluss v. 11.9.2012 – AN 5 S 12.01535, BeckRS 2012, 57222; J. Deger, Platzverweise und Betretungsverbote gegen Mitglieder der Drogenszene und anderer offener Szenen, in: VBlBW 1996, S. 90 (93); Merten, Platzverweise (Fn. 139), S. 20; Bösch, Verweisungsmaßnahmen (Fn. 102), S. 653; Di Fabio (Fn. 117), Art. 2  II Rn. 28; M. Möstl, Standardmaßnahmen des Polizei- und Ordnungsrechts, in: Jura 2011, S. 840 (849); F. Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 2. Kap. Rn. 278. A. A. Latzel / Lustina, Aufenthaltsverbote (Fn. 129), S. 131; Brenneisen, Versammlungsfreiheit (Fn. 114), S. 484; wohl C. Gusy, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 104 Rn. 18; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 435; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 16 Rn. 4. 144  Zur umstrittenen Gesetzgebungskompetenz der Länder für eine Maßnahme, die in das Recht auf Freizügigkeit eingreift, Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 47; Finger, Aufenthaltsverbot (Fn. 126), S. 368; Wuttke, Wohnungsverweise (Fn. 129), S.  781 f.; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 449 m.  w.  N.; Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 136. 145  Dass das Aufenthaltsverbot nicht auf die Regelung der Platzverweisung gestützt werden kann, ist heutzutage weitgehend anerkannt, denn auch wenn die Meinungen über die Bedeutung des vorübergehenden Charakters der Platzverweisung auseinanderfallen mögen (vgl. hierzu Fn. 129), ist ein längerfristiges, teilweise mehrmonatiges Aufenthaltsverbot nach mittlerweile herrschender Meinung nicht mehr von der Rechtsfolge der Platzverweisung gedeckt, vgl. statt vieler Cremer, Aufenthaltsverbote (Fn. 126), S. 1220, sowie H.  Butzer, Flucht in die polizeiliche Generalklausel? – Überlegungen zur Konkurrenz von polizeilichen Befugnisnormen, in: VerwArch. 93 (2002), S. 506 (510).

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Ingewahrsamnahme in Form des Unterbindungsgewahrsams gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG oder zur Durchsetzung eines Platzverweises nach Nr. 3 in Betracht. Da ein Festhalten gewaltbereiter Fans in der Regel jedoch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der fraglichen Fußballveranstaltung erfolgt, wird die Maßnahme der Ingewahrsamnahme entsprechend an späterer Stelle, im Rahmen der Untersuchung der Maßnahmen am Spieltag näher erläutert.146

II. Maßnahmen am Spieltag Auch wenn Vorfeldmaßnahmen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt leisten, verbleibt zur verbesserten Verhinderung gewalttätiger Ausschreitungen durch Fußballfans die Notwendigkeit weiterer gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen, welche am Tage der Veranstaltung selbst – von der Anreise bis zur Abreise der Fans – Anwendung finden. Diese werden im Folgenden – wiederum unterteilt anhand ihres informationellen oder aktionellen Charakters – dargestellt. 1. Informationelle Maßnahmen Auch am Spieltag bedürfen die Einsatzkräfte der Polizei der fortlaufenden Versorgung mit Informationen, um die Entwicklung der akuten Gefahrenlage verlässlich einschätzen und auf aktuelle Geschehnisse angemessen reagieren zu können. Ebenso wie die informationellen Maßnahmen im Vorfeld einer Fußballveranstaltung verfolgen die am Spieltag eingesetzten Mittel neben der Informationsversorgung der Einsatzkräfte das immerwährende polizeitaktische Ziel der Abschreckung potenziell gewalttätiger Fans, indem diese der Anonymität der Masse entrissen werden.147 Darüber hinaus fallen die informationellen Maßnahmen der Polizei auch in dieser fortgeschrittenen Phase der Gefahrenabwehr überwiegend in den Bereich der Gefahrenvorbeugung, selbst wenn die Begründung des Vorliegens einer konkreten Gefahr zum betrachteten Zeitpunkt u. U. möglich wäre bzw. teilweise auch notwendig ist. In Bezug auf die Grundrechtsvereinbarkeit der Maßnahmen bleibt weiterhin das bereits erläuterte Recht der informationellen Selbstbestimmung als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts maßgeblich.148

146  Vgl.

Kap. 3, A. II. 2. b) aa). Fn. 3. 148  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 1., inbesondere Fn. 13. 147  Vgl.



A. Darstellung der Maßnahmen99

a) Die Befragung Neben Befragungen von Personen im Vorfeld einer Veranstaltung, durch die sich szenekundige Beamte ein Bild der allgemeinen Gefahrenlage verschaffen wollen, gewährt dieses Instrument den Einsatzkräften der Polizei auch am Spieltag aktuelle Informationen hinsichtlich des Entstehens oder Vorliegens einer konkreten Gefahr. Sobald die Beamten Anzeichen für ein solches, im hiesigen Kontext für bevorstehende Gewaltanwendungen durch Fußballfans, wahrnehmen, greifen sie zunächst zum Mittel der unmittelbaren Befragung potenzieller Störer bzw. anderer Personen, die vermutetermaßen sachdienliche Angaben machen können. Ziel der Maßnahme ist dabei zuvörderst die Erlangung näherer personen- oder sachbezogener Informa­ tionen zur besseren Einschätzung der Gefahrenlage sowie als eventueller Begleiteffekt, von der Begehung des strafbaren Verhaltens abzuschrecken.149 Als Rechtsgrundlage der Befragung dient § 9 Abs. 1 S. 1 PolG. Eine Abgrenzung zur Gefährderansprache sowie zur Identitätsfeststellung gem. § 12 PolG erfolgt anhand der primären Zweckrichtung der Maßnahme. In Bezug auf die Gefährderansprache ist dies, wie bereits unter Kap. 3, A. I. 2. a) bb) erläutert, die Abschreckung vor strafrechtlich relevantem Verhalten und nicht, wie bei der Befragung, die Informationserhebung.150 Anders als die Identitätsfeststellung verfolgt eine Befragung, auch wenn sie, wie § 9 Abs. 2 S. 1 PolG zeigt, auf die Feststellung der Identität des Befragten gerichtet sein kann, die Erlangung anderer sachdienlicher Informationen, wobei die Kenntnis der Personalien des Betroffenen zusätzlich sachdienlich sein kann.151 Als datenerhebende Maßnahme tangiert auch die Befragung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sofern personenbezogene Daten erfragt werden.152 Die Beurteilungen hinsichtlich ihres Eingriffscharakters gehen jedoch auseinander. Teilweise wird vertreten, jede Konfrontation des Betroffenen durch die Polizei im Rahmen einer Befragung stelle einen Grundrechtseingriff dar. Vertreter dieser Auffassung verweisen auf die entstehende Drucksituation, die dem Befragten den Eindruck vermitteln könne, er habe die Befragung zu dulden, und setzen damit einen subjektivierten

149  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 194 ff. Grundlegend zur Befragung C. Gusy, Polizeiliche Befragung am Beispiel des § 9 NRWPolG, in: NVwZ 1991, S. 614 (614 ff.), sowie R.-G. Müller, Polizeiliche Datenerhebung durch Befragung. Zugleich eine Analyse des § 9 nw. PolG, 1997, S. 19 ff. 150  Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 196. 151  Vahle (Fn. 87), § 9 Rn. 24; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 13 Rn. 2. 152  Vgl. zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Ausführungen unter Kap. 3, A. II. 2. b) aa), inbesondere Fn. 13.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Eingriffsbegriff voraus.153 Dem wird entgegen gehalten, dass es allein auf das tatsächliche Bestehen einer Duldungspflicht und damit auf das Vorliegen einer Auskunftspflicht ankomme.154 Ohne an dieser Stelle näher auf die spürbare Tendenz der Subjektivierung des Eingriffbegriffs eingehen zu wollen155, kommen die verschiedenen Ansichten aufgrund der in der Praxis meist vorliegenden voraussetzungsarmen, wenigstens beschränkten Auskunftspflicht nach § 9 Abs. 2 S. 1 PolG selten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hinsichtlich der zumindest nach der letztgenannten Ansicht maßgeblichen Auskunftspflicht wird zwischen der bereits erwähnten beschränkten Auskunftspflicht bezüglich der Personalien des Betroffenen nach § 9 Abs. 2 S. 1 PolG und der unbeschränkten i. S. d. Satzes 2 unterschieden. Letztere bezieht sich auf alle sachdienlichen Angaben, die der Befragte machen kann, und wird nur durch besondere gesetzliche Handlungspflichten, wie beispielsweise die aus § 323c StGB, ausgelöst.156 Ist der Befragte nach dem oben Gesagten zur Auskunft und damit zur Duldung der Befragung verpflichtet, ist diese sowohl nach den Vertretern eines subjektiven als auch nach denen eines objektiven Eingriffsbegriffs als Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung zu werten. Die Meinungen fallen lediglich dann auseinander, wenn die Befragung rechtswidrig erfolgt und damit nicht einmal eine beschränkte Auskunftspflicht ausgelöst wird157 und somit nach der zweitgenannten Ansicht kein Eingriff vorliegt. Hier ergäbe sich jedoch das paradoxe Ergebnis, dass eine rechtmäßige Maßnahme einen Eingriff darstellen würde, eine in tatsächlicher Hinsicht identische, in rechtlicher Hinsicht hingegen fehlerhafte Maßnahme indes nicht. In Ansehung dieses Wertungswiderspruches sowie des an späterer Stelle zu erörternden überzeugenden Ansatzes eines subjektivierten Eingriffsbegriffs, der u. a. vom Bundesverfassungsgericht zumindest im Wirkbereich der informationellen Selbstbestimmung vertreten wird158, ist damit der erstgenannten Meinung zu folgen. Demnach ist eine Befragung, ob von einer Auskunftspflicht des Betroffenen begleitet oder nicht, immer als Eingriff in die infor-

153  Exemplarisch Gusy, Befragung (Fn. 149), S. 615, der zudem vom Bestehen einer Duldungspflicht aufgrund des bloßen Umstands der Befragung ausgeht. 154  Müller, Befragung (Fn. 149), S. 48; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 197. 155  Vgl. dazu die Ausführungen unter Kap. 3, A. II. 1. d) aa). 156  Kugelmann, POR (Fn. 13), 7. Kap. Rn. 57; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14 Rn. 7. 157  Vahle (Fn. 87), § 9 Rn. 20. 158  Vgl. dazu die Ausführungen unter Kap. 3, A. II. 1. d) aa).



A. Darstellung der Maßnahmen101

mationelle Selbstbestimmung einzuordnen, sofern sie auf die Erlangung personenbezogener Daten gerichtet ist.159 b) Die Identitätsfeststellung und der Abgleich mit der Datei „Gewalttäter Sport“ Zur Verhütung gewalttätiger Auseinandersetzungen im Rahmen von Fußballveranstaltungen führen die Beamten weiter an aus der Vergangenheit bekannten Treffpunkten potenzieller Störer oder an in Stadionnähe, an Bahnhöfen oder sonstigen Sammelstellen eingerichteten Kontrollstellen Identitätsfeststellungen gem. § 12 Abs. 1 PolG durch.160 Zu diesem Zweck halten sie die betroffenen Fans zudem gegebenenfalls an (vgl. § 12 Abs. 2 S. 2 PolG). Neben dem der Maßnahme typischerweise anhaftenden Abschreckungseffekt ermöglicht die Kenntnis der Personalien eines Betroffenen den Beamten z. B. mittels eines Datenabgleichs mit der Datei „Gewalttäter Sport“ gem. § 25 Abs. 1 PolG die Überprüfung, ob dieser bereits im Zusammenhang mit fußballbezogener Gewalt auffällig geworden und beispielsweise von einem Stadionverbot betroffen ist.161 Die Identitätsfeststellung dient damit faktisch meist als Vorbereitungsmaßnahme für eventuell zu ergreifende Folgemaßnahmen, wie Durchsuchungen mit gegebenenfalls anschließender Sicherstellung gefährlicher Gegenstände oder Platzverweisungen. Sowohl die Identitätsfeststellung als auch der darauffolgende Datenabgleich stellen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.162 Das Anhalten zu diesem Zweck ist als Freiheitsbeschränkung zu werten.163 Ihre jeweilige Rechtsgrundlage finden die Maßnahmen in § 12 Abs. 1, 2 S. 2 sowie § 25 Abs. 1 S. 1, 2 PolG. Hinsichtlich der Identitätsfeststellung erscheint zur Verhütung fußballbezogener Gewalt besonders § 12 Abs. 1 Nr. 1 und 2a PolG relevant, wonach die Identität einer Person zum einen festgestellt werden kann, wenn eine konkrete Gefahr droht, zum anderen aber auch, wenn sich die betroffene Person an einem Ort aufhält, an dem nach der vertretbaren Einschätzung der Beamten Straftaten von 159  So im Ergebnis auch Gusy, Befragung (Fn.  149), S.  615, sowie wohl D. Peitsch, Grundrechtswesentlichkeit polizeilicher Informationssammlung und -verarbeitung, in: CR 1989, S. 721 (725). 160  Vgl. VG Aachen, Urteil v. 5.10.2009 – 6 K 1614 / 08, BeckRS 2013, 51364; VG Düsseldorf, Urteil v. 26.2.2013 – 18 K 5684 / 10, BeckRS 2013, 55618; Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 151; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn.  10), S. 208. 161  Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 147; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14 Rn. 24. 162  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 1., besonders Fn. 13. 163  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 7.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder verübt werden. Als solche Orte kommen z. B. „Stammkneipen“ oder andere Sammelpunkte gewaltbereiter bzw. -suchender Fans in Betracht.164 Ob die Eingriffsvoraussetzungen in typischen Fällen erfüllt sind, wird an späterer Stelle untersucht.165 c) Die kurzfristige Observation Elementare Maßnahme der polizeilichen Informationsgewinnung am Spieltag ist weiter die gezielte, auf einen Erkenntnisgewinn gerichtete Beobachtung, d. h. Observation verdächtiger Zuschauer(-gruppen), die, um einen abschreckenden Effekt zu erzielen, in der Regel offen von statten geht.166 Typischerweise bleibt die Maßnahme auf einen recht knappen Zeitraum – etwa die Zurücklegung des Weges zwischen Bahnhof und Stadion oder das Passieren des Eingangsbereichs des Stadiongeländes – beschränkt, sodass sie als kurzfristige Observation i. S. v. § 16a Abs. 4 PolG einzuordnen ist. Anders als der bloßen Polizeipräsenz, welche mangels bewusster und zielgerichteter Wahrnehmung keine Datenerhebung darstellt und auf die polizeiliche Aufgabennorn aus § 1 Abs. 1 S. 1 PolG gestützt werden kann167, kann der offenen Observation, sobald eine gewisse Intensitätsschwelle überschritten wird, ihre Eingriffsqualität in Bezug auf die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr abgesprochen werden.168 Eine Rechtfertigung kann auf Grundlage des § 16a Abs. 4 PolG erfolgen. Mithin kann die Observation – vom Erfordernis einer konkreten Gefahr abgekoppelt – sowohl gegenüber Störern als auch gegenüber anderen Personen erfolgen, sofern sie zum Zwecke der Gefahrenabwehr erforderlich und die polizeiliche Aufgabenerfüllung beim Verzicht auf deren Durchführung gefährdet ist. d) Die Videobeobachtung und -aufzeichnung Als Steigerung der soeben erläuterten kurzfristigen Observation von Zuschauern bzw. Zuschauergruppen hat sich ferner die (offene) Videoüberwa-

Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 151. Kap. 3, B. III. 4. b) cc). 166  Markert / Schmidbauer, Gewalt (Fn. 2), S. 498; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 208. 167  H. Tegtmeyer, in: ders. / Vahle, PolG NRW (Fn. 87), § 15 Rn. 6; F. Braun, in: Schütte / ders. / Keller, PolG NRW (Fn. 122), § 16a  Rn. 3. 168  Vgl. Fn. 13. 164  Vgl. 165  Vgl.



A. Darstellung der Maßnahmen103

chung als hilfreiches Mittel der Informationserhebung vor Ort erwiesen.169 Zusätzlich zur allgemeinen Überwachung des öffentlichen Raumes gem. § 15a Abs. 1 PolG können Videokameras durch die Polizei gem. § 15 Abs. 1 S. 1 PolG, der die Videobeobachtung und -aufzeichnung im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen170 regelt, z. B. an Sammelpunkten auf den An- und Abreisewegen der Zuschauer eingesetzt werden, um das Verhalten der Fans zu beobachten, gegebenenfalls zu dokumentieren und um vor etwaigem Fehlverhalten abzuschrecken.171 Darüber hinaus verpflichtet § 10 Abs. 5 der DFB-Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen172 alle Bundesliga-Vereine, im Innenraum und Umfeld des Stadions Videokameras mit Zoom-Einrichtung und der Möglichkeit zur Identifikation von Personen zu installieren, welche sodann durch die Befehlsstelle der Polizei (sowie der des Ordnungsdienstes) bedient werden sollen. Die Polizei wird damit zwar auf Wunsch des Veranstalters im privaten Bereich tätig, indem dieser jedoch allein die Infrastruktur zur Videoüberwachung bereit stellt, während die Polizei selbstständig über ihre Handhabung entscheidet, ist diese als polizeiliche Maßnahme zu qualifizieren. Sie unterliegt sodann insbesondere den Bestimmungen der Polizeigesetze sowie der StPO, wie auch die meisten Stadionordnungen deklaratorisch festhalten.173 169  Grundlegend zu Maßnahmen der Videoüberwachung C. Gusy, Polizeibefugnisse im Wandel – am Beispiel des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes, in: NWVBl. 2004, S. 1 (1 ff.); A. Henrichs, Staatlicher Einsatz von Videotechnik. Eine Grundrechtsbetrachtung zu Videoüberwachungsmaßnahmen, in: BayVBl. 2005, S.  289 (289 ff.); Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 148 ff., sowie T. Siegel, „Spiel ohne Grenzen?“ – Grundrechtliche Schranken der Videoüberwachung durch öffentliche Stellen und Private, in: VerwArch. 102 (2011), S. 159 (159 ff.). Zur Videoüberwachung von Versammlungen vgl. BVerfG, NVwZ 2009, 441, sowie VG Berlin, NVwZ 2010, 1442. 170  Öffentliche Veranstaltungen bzw. Ansammlungen sind prinzipiell jedermann zugängliche Zusammenkünfte mehrerer Personen, die nicht dem engeren Versammlungsbegriff des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen (vgl. dazu Fn. 48), und damit auch organisierte oder zufällige Zusammentreffen von Stadionbesuchern, vgl. Pieroth /  Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14 Rn. 8 f. 171  Vgl. F. Becker / J. Ambrock, Datenschutz in den Polizeigesetzen, in: JA 2011, S. 561 (564). 172  Abrufbar unter: http://www.kos-fanprojekte.de/fileadmin/user_upload/material// Sicherheit/201002-richtlinien-sicherheit-bundesspielen.pdf, zuletzt abgerufen am 20.7. 2015. 173  Vgl. zur Kooperation T. Feltes, Sicherheit bei Großveranstaltungen durch Überwachung der TeilnehmerInnen? Zur aktuellen Diskussion um den Umgang mit Gewalt in und um Fußballstadien, in: Neue Kriminalistik 2013, S. 48 (55 f., 58), sowie z. B. § 3 Nr. 6 der Stadionordnung des „Signal Iduna Parks“ in Dortmund, abrufbar unter: http://www.bvb.de/Fans/Rechtliches/Stadionordnung, zuletzt abgerufen am 20.7.2015.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Als Bestandteil der datenerhebenden Tätigkeit der Polizei fallen auch Videoüberwachungsmaßnahmen in den geschützten Bereich der informationellen Selbstbestimmung.174 Pauschale Aussagen über die Eingriffsqualität der verschiedenen, unterschiedlich intensiven, unter den Oberbegriff der Videoüberwachung fallenden Maßnahmen erwiesen sich bisher jedoch als problematisch. Zu differenzieren ist zunächst zwischen Übersichts- und Nahaufnahmen, darüber hinaus zwischen bloßen Videobeobachtungen nach dem sog. Kamera-Monitor-Prinzip und Videoaufzeichnungen.175 aa) Übersichtsaufnahmen Übersichtsaufnahmen erstrecken sich auf großflächige Räume und ermöglichen den Einsatzkräften die Beurteilung der aktuellen Gefahrenlage im überwachten Bereich, im Rahmen von Fußballveranstaltungen speziell das Erahnen und Vorbeugen akuter gruppendynamischer Prozesse, welche in gewalttätige Ausschreitungen münden könnten.176 Zumindest auf den ersten Blick bedeutsam für die grundrechtliche Einordnung von Übersichtsaufnahmen ist ihre Kennzeichnung durch einen sehr weiten Bildausschnitt, der, anders als bei Nahaufnahmen, die Identifikation einzelner erfasster Personen zunächst verhindert.177 Weiter ist zwischen der bloßen Beobachtung durch Videotechnik, im Rahmen derer die Geschehnisse im überwachten Raum in der Einsatzzentrale lediglich zeitgleich verfolgt werden können, und der Videoaufzeichnung zu unterscheiden, bei welcher die Aufnahmen gespeichert werden.178 Während die Einordnung der Aufzeichnung von Übersichtsaufnahmen als Eingriff das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Hinweis auf die technische Möglichkeit der nachträglichen Identifizierung einzelner Personen mittlerweile anerkannt ist179, zeigt sich in Bezug auf die Videobe174  Vgl. Kap. 3, A. I. 1. Weiter K. Fischer, Polizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen Raums, in: VBlBW 2002, S. 89 (92). 175  Beide Differenzierungen finden sich auch in einigen Landesdatenschutz-, Versammlungs- und Polizeigesetzen, wie z. B. Art. 21a BayDSG, Art. 9 BayVersG, § 32 Abs. 3 NdsSOG sowie § 27 Abs. 1 POG RP. 176  Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 151; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 148. Vgl. zu gruppendynamischen Prozessen ferner die Ausführungen unter Kap. 1, D. I. 2. 177  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 152. 178  T. Siegel, Grundlagen und Grenzen polizeilicher Videoüberwachung. Bestimmtheit durch Verhältnismäßigkeit?, in: NVwZ 2012, S. 738 (738). 179  Vgl. BVerfG (K), NVwZ 2007, 688 (690); BVerwG, NVwZ 2012, 757 (758 f.). Mit Bezugnahme auf Art. 8 Abs. 1 GG BVerfG, NVwZ 2009, 441 (446); VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498 (500); OVG Bremen, NVwZ 1990, 1188 (1189); Fischer, Videoüberwachung (Fn. 173), S. 92; C. Post, Polizeiliche Videoüberwachung



A. Darstellung der Maßnahmen105

obachtung größerer Räume ein uneinheitliches Meinungsbild. Zum Teil wird das Vorliegen eines Eingriffs mit der Begründung verneint, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleiste keinen Wahrnehmungsschutz.180 Darüber hinaus schützt das Grundrecht die Befugnis zur selbstbestimmten Preisgabe personenbezogener Daten, im datenschutzrechtlichen Sinne zu verstehen als „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person“ (vgl. § 3 Abs. 1 BDSG).181 Mit Hinweis auf die Beschränktheit des Schutzgegenstandes auf personenbezogene Daten wird bezüglich lediglich beobachtender Übersichtsaufnahmen, welche gerade keine Individualisierung zulassen, ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung teilweise bestritten.182 Auch wenn der Einwand, eine als Eingriff zu qualifizierende Überwachungsmaßnahme erfordere einen individuellen Bezug, in Anbetracht des begrenzten Schutzgegenstandes zunächst überzeugend erscheint, verkennt das alleinige Abstellen auf das Vorhandensein der technischen Möglichkeit zur Individualisierung die im Gegensatz zum relativ engen Gegenstand weite Wirkungsweise des Grundrechts. So soll dieses nach der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts auch vor Beeinträchtigungen und Hemmnissen der freien Entfaltung sowie vor „Einschüchterungseffekten“183 schützen, welche darauf basieren, dass der Einzelne „nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind“184. Die Konsequenz dieser Ausweitung des Schutzes auf die Abwehr von Einschüchterungseffekten ist eine subjektive Anreicherung und Vorverlagerung des Eingriffsbegriffs.185 Auf Grundlage der Überlegung, der Betroffene wisse nicht, ob die an Kriminalitätsbrennpunkten. Zugleich eine Untersuchung des § 15 a PolG NW, 2004, S.  218 ff.; Henrichs, Videotechnik (Fn. 169), S. 295 f.; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 154 f. 180  Dazu Henrichs, Videotechnik (Fn. 169), S. 291 f. 181  So bereits BVerfGE 65, 1 (42), in welchem das Gericht auf § 2 Abs. 1 BDSG a. F. Bezug nimmt. 182  So VG Karlsruhe, NVwZ 2002, 117 (118); Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 153 f., der gleichzeitig einen Vergleich zu § 23 Abs. 1 Nr. 2 und 3 KunstUrhG zieht, sowie P. Collin, Die Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten, in: JuS 2006, S. 494 (494). Ebenso zu verstehen Gusy, Polizeibefugnisse (Fn. 169), S.  1 f. 183  So ausdrücklich in BVerfGE 113, 29 (46). 184  BVerfGE 65, 1 (43). 185  Schoch, Selbstbestimmung (Fn. 8), S. 356  f. Anzumerken ist diesbezüglich, dass aus dieser Subjektivierung nicht wie bei einer eventuellen Versubjektivierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein gänzlich ausuferndes, potenzielles „SuperGrundrecht“ entsteht, welches den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit obsolet

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Aufnahmen einer offen sichtbaren Kamera gespeichert werden und somit eine Individualisierung ermöglichen, wodurch auch bloßen Übersichtsaufnahmen ein (sogar erwünschter) Einschüchterungs- und damit verhaltenssteuernder Effekt zukommen kann, erfasst dieser subjektiv geprägte Eingriffsbegriff auch die bloße Bildübertragung von Übersichtsaufnahmen.186 Abstellend auf den im hiesigen Zusammenhang zentralen Aspekt der Verhaltenssteuerung durch Einschüchterung und Abschreckung, kommt damit auch lediglich beobachtenden Überwachungsmaßnahmen aufgrund der zumindest vermeintlich geschmälerten Anonymität eine Eingriffswirkung in Bezug auf die informationelle Selbstbestimmung zu. Darüber hinaus können weitere verhaltensbezogene spezielle Freiheitsrechte betroffen sein.187 Geht man demgegenüber davon aus, dass das Recht der informationellen Selbstbestimmung entgegen der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts keinen verhaltensbezogenen Schutz vor Einschüchterungseffekten entfaltet und zudem ein objektiver Eingriffsbegriff angewendet werden sollte, sind beobachtende Übersichtsaufnahmen indes als in den Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit fallend einzuordnen.188 bb) Nahaufnahmen Bei Nahaufnahmen erfolgt eine Fokussierung der Videoaufnahme auf eine individualisierbare Person. Im Rahmen der Verhinderung fußballbezogener machen könnte. Auch ein entsprechend erweiterter Schutz der informationellen Selbstbestimmung bleibt auf den eigentlichen Schutzgegenstand des personenbezogenen Datums beschränkt und gewinnt durch die Ausweitung auf Einschüchterungseffekte und einen subjektiv geprägten Eingriffsbegriff lediglich eine Schutzdimen­ sion hinzu, welche ansonsten von der gleichermaßen einschränkbaren allgemeinen Handlungsfreiheit erfasst würde. 186  So hat auch das Bundesverfassungsgericht die Eingriffsqualität von Übersichtsaufnahmen in Echtzeitübertragung im Zusammenhang mit Art. 8 Abs. 1 GG bejaht, wenngleich die Intensität im Vergleich zu Videoaufzeichnungen von deutlich geringerem Gewicht sei, vgl. BVerfG, NVwZ 2009, 441 (447). So weiter das VG Berlin, NVwZ 2010, 1442 f.; Fischer, Videoüberwachung (Fn. 173), S. 92; T. Fetzer / M. Zöller, Verfassungswidrige Videoüberwachung, in: NVwZ 2007, S. 775 (777); Siegel, Spiel (Fn. 169), S. 163 f.; ders., Grundlagen (Fn. 178), S. 739; Pieroth /  Schlink / Kingreen / Poscher, Grundrechte (Fn. 70), Rn. 767 f. Sehr ausführliche Kritik äußert demgegenüber Post, Videoüberwachung (Fn. 179), S. 203 ff. Kritisch weiter Henrichs, Videotechnik (Fn. 169), S. 293 f., sowie Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S.  150 ff. 187  So etwa Art. 8 Abs. 1 GG bei der Überwachung von Versammlungen, vgl. BVerfG, NVwZ 2009, 441 (447); VG Berlin, NVwZ 2010, 1442 f. 188  So Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 151. Ebenso wohl auch Gusy, Polizeibefugnisse (Fn. 169), S. 2.



A. Darstellung der Maßnahmen107

Gewalt werden Nahaufnahmen insbesondere eingesetzt, um das Verhalten einzelner, häufig polizeilich bekannter Fans im Stadionblock zu überwachen.189 Im Hinblick auf die Frage der Eingriffsqualität von Nahaufnahmen wird erneut zwischen der Form der Videoaufzeichnung und der bloßen -beobachtung unterschieden. Nach dem zu Übersichtsaufnahmen Gesagten kann eine solche Differenzierung allerdings keine Auswirkungen auf die Frage der Eingriffsqualität an sich, sondern allein auf die Einschätzung der Eingriffsintensität der verschiedenen Formen von Nahaufnahmen haben, wenn, wie bereits dargestellt, schon eine bloß beobachtende Übersichtsaufnahme als Eingriff zu bewerten ist.190 Nicht als Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung sind allein sehr flüchtige Videobeobachtungen individualisierter Personen zu qualifizieren.191 cc) Rechtsgrundlagen Rechtsgrundlagen für Videoüberwachungsmaßnahmen finden sich außerhalb des vorrangigen Versammlungsrechts in den Polizei- und Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder. Neben den bereits angesprochenen §§ 15 f. PolG erklärt § 6b Abs. 1 Nr. 1, 2 BDSG die Videoüberwachung (in Form der bloßen Beobachtung) öffentlich zugänglicher Räume für zulässig, wenn diese zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen (des Bundes) oder zur Wahrnehmung des Hausrechts erforderlich ist. Abs. 3 enthält eine zusätzliche Regelung für die Aufzeichnung der Aufnahmen. Gemäß § 29b DSG NW ist eine Videoüberwachung nur zur Wahrnehmung des Hausrechts zulässig, ein Rückgriff auf die in § 12 Abs. 1 S. 1 DSG NW geregelte Generalklausel zur Datenerhebung hingegen unzulässig.192 Demzufolge ist eine Videoüberwachungsmaßnahme in Form von Übersichts- oder Nahaufnahmen, welche durch eine Landesbehörde ergriffen wird, je nach Zweckrichtung – Gefahrenabwehr oder Wahrnehmung des Hausrechts – auf das jeweilige Polizei- oder Landesdatenschutzgesetz zu stützen.193 Im Folgenden wird jedoch allein die den Problembereich fußballbezogener Gewalt besonders betreffende Videobeobachtung und -aufzeichnung im 189  Krahm,

Maßnahmen (Fn. 12), S. 155. auch VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498 (500). Die Eingriffsqualität von beobachtenden Nahaufnahmen verneinen das VG Karlsruhe, NVwZ 2002, 117 (118), sowie im Anschluss daran Henrichs, Videotechnik (Fn. 169), S. 296. 191  Henrichs, Videotechnik (Fn. 169), S. 296, sowie Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S.  155 f. 192  Vgl. bezüglich Art. 16 f. BayDSG BVerfG (K), NVwZ 2007, 688 (691). Weiter Siegel, Spiel (Fn. 169), S. 173 f. 193  So auch Siegel, Spiel (Fn. 169), S. 175. 190  So

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen (ob inner- oder außerhalb des Stadions) gem. § 15 Abs. 1 S. 1 PolG weitergehend untersucht. e) Die biometrische Gesichtserkennung Die technische Steigerung von Videoüberwachungsmaßnahmen stellen moderne Methoden zur Gesichtserkennung dar, sodass auch im Zusammenhang mit der Bekämpfung fußballbezogener Gewalt erwogen wird, das polizeitaktische Konzept um solche zu ergänzen.194 Mittels biometrischer Erkennungstechnik könnten z. B. Videoaufnahmen im unmittelbaren Eingangsbereich des Stadions simultan ausgewertet und daraufhin untersucht werden, ob ein bekanntermaßen gewalttätiger Fan, dem beispielshalber ein Stadionverbot oder eine Meldepflicht auferlegt wurde, den Bereich zu passieren versucht.195 Bislang sind die entwickelten Techniken allerdings noch nicht so ausgereift, als dass sie Aufnahmen von Menschenströmen zuverlässig auswerten könnten, sodass ein Einsatz zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt nach dem aktuellen Stand der Technik nur in der Form möglich wäre, dass jeder Besucher einzeln gescannt und seine biologischen Charakteristika mit einer bestehenden Datenbank abgeglichen würden. In dem zusätzlichen Einsatz biometrischer Gesichtserkennungstechniken neben der einfachen Videoüberwachung läge ein weiterer, intensiver Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung.196 Problematisch erweist sich das Finden einer Rechtsgrundlage für die bisher – und darauf ist ausdrücklich hinzuweisen – allein in der Theorie existierende Maßnahme der biometrischen Gesichtserkennung. Die Befugnisse zur Videoüberwachung decken diese ebenso wenig ab, wie allgemeine polizeirechtliche Ermächtigungen zum Datenabgleich etwa gem. § 25 Abs. 1 PolG.197 Folglich wäre der Gesetzgeber gefordert, eine entsprechende Rechtsgrundlage für die hier erwogene Maßnahme zu schaffen. Allerdings erscheint es in Anbetracht ihrer enormen Eingriffsintensität fraglich, ob eine verhältnismäßige Regelung überhaupt ergehen könnte.

194  Franz / Günther,

Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 210. Sicherheit (Fn. 173), S. 58. 196  So auch Feltes, Sicherheit (Fn. 173), S. 58. Vgl. zur Bestimmung des Schutzbereiches Kap. 3, A. I. 1. 197  Zu den Problemstellungen einer Rechtsgrundlage für Gesichtserkennungsmaßnahmen Feltes, Sicherheit (Fn. 173), S. 58. Vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik generalklauselartiger Befugnisnormen Kap. 3, B. I. 2. b). 195  Feltes,



A. Darstellung der Maßnahmen109

2. Aktionelle Maßnahmen Neben den soeben dargestellten datenerhebenden und -verarbeitenden Maßnahmen der Polizei im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer vermutetermaßen gefahrträchtigen Sportveranstaltung sollen nun die in diesem Stadium vorgenommenen aktionellen, kausalverlaufsrelevanten Maßnahmen zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt vorgestellt und auf ihre Grundrechtsbezüge hin untersucht werden. a) Die Durchsuchung von Personen und Sachen sowie die Sicherstellung gefahrträchtiger Gegenstände Um die Anwendung von Gewalt unter Zuhilfenahme gefährlicher Gegenstände zu verhindern, greifen die Behörden, neben den diesbezüglichen Sicherungsmaßnahmen der privaten Ordnerdienste, besonders an eingerichteten Kontrollstellen an Bahnhöfen oder Sammelpunkten im unmittelbaren Stadionumfeld häufig zum Mittel der Durchsuchung von Personen und Sachen.198 Auf diese folgt gegebenenfalls eine Sicherstellung von für gefahr­ trächtig befundenen Gegenständen. Findet die Polizei im Rahmen einer Durchsuchung gefährliche Gegenstände beim Betroffenen, führt sie, wenn nicht bereits geschehen, ferner eine Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 oder 2a PolG sowie eventuell einen weiterführenden Datenabgleich z. B. mit der Datei „Gewalttäter Sport“ nach § 25 Abs. 1 PolG durch.199 Über „herkömmliche“ Personendurchsuchungen hinaus wurde in der jüngeren Vergangenheit zudem über Ganzkörperkontrollen, besonders von weiblichen „unverdächtigen Transporteuren“ berichtet, die vermutetermaßen Pyrotechnik ins Stadion zu schmuggeln versuchen.200 Dabei werden die Betroffenen vor dem Betreten des Stadiongeländes in ein Zelt oder einen Container geführt, wo sie sich vollständig bzw. bis auf die Unterwäsche entkleiden sollen, um die Suche nach mitgeführter Pyrotechnik zu ermöglichen, die oftmals in der Unterwäsche versteckt wird.201 Hierbei kann es sich 198  Dazu bereits früh H. Barwisch, Die polizeiliche Personendurchsuchung in der aktuellen Problematik der Beschränkung des Zutritts zu öffentlichen Veranstaltungen und Einrichtungen. Eine Untersuchung nach dem Recht der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen, 1976, S. 39 ff.; Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 151; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 208. 199  Vgl. Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 208. 200  Vgl. zu mit Entkleiden verbundenen polizeilichen Durchsuchungen von Fußballsfans OVG Saarlouis, LKRZ 2008, 102; ferner BVerfG (K), Beschluss v. 4.2.2009 – 2 BvR 455 / 08, BeckRS 2009, 31732, sowie BVerfG (K), NStZ-RR 2013, 324 f. zu solchen von Strafgefangenen bzw. von Untersuchungsinhaftierten. 201  Feltes, Sicherheit (Fn. 173), S. 54.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

sowohl um eine Maßnahme der Veranstalter oder – wie bereits stellenweise vorgekommen – auch der Polizei handeln. Grundrechtlich sind die verschiedenen angesprochenen Maßnahmen der Durchsuchung und Sicherstellung unterschiedlich einzuordnen. Die Durchsuchung von Sachen wird ebenso wie die Sicherstellung eines Gegenstandes einhellig als Eingriff in die Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 Abs. 1 GG gewertet.202 Die Personendurchsuchung ist demgegenüber grundsätzlich als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu qualifizieren. Liegen jedoch besondere Umstände, wie z. B. bei einer Ganzkörperkontrolle, vor, kann auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG betroffen sein.203 Als Rechtsgrundlagen kommen für die Durchsuchung die §§ 39 f. PolG und für die Sicherstellung § 43 PolG in Betracht. Eine Durchsuchung kann weiter gem. § 12 Abs. 2 S. 4 PolG als Begleitmaßnahme zu einer Identitätsfeststellung erfolgen. In diesen Fällen ist ihr Zweck jedoch auf die Feststellung der Identität des Betroffenen beschränkt, sodass auf diese Art der Durchsuchung nicht weiter eingegangen wird. Ferner erscheint das Ausreichen der hier angesprochenen Rechtsgrundlagen zur Rechtfertigung einer Ganzkörperkontrolle äußerst zweifelhaft.204 b) Die Ingewahrsamnahme aa) Unterbindungsgewahrsam und Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises (1) Inhalt und grundrechtliche Bezüge Neben der bereits unter Kap. 3, A. I. 2. c) erläuterten Möglichkeit der Polizei, auf Grundlage von § 34 Abs. 1 S. 1 2. Fall PolG im Vorhinein einer Fußballveranstaltung ein Betretungsverbot auszusprechen, sind Platzverweisungen gegenüber potenziell gewalttätigen Fans durch die Polizei natürlich auch am Spieltag weiterhin möglich. Im Hinblick auf ihre Voraussetzungen sowie ihre grundrechtlichen Bezüge ergeben sich hier jedoch keine Änderungen gegenüber der Vorfeldmaßnahme „Platzverweisung“, sodass auf die obigen Ausführungen verwiesen wird. 202  Schoch (Fn. 143), 2. Kap. Rn. 310; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 18 Rn. 1. 203  Schoch (Fn. 143), 2. Kap. Rn. 310; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 18 Rn. 1. 204  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, B. II. 2. b) bb) (10).



A. Darstellung der Maßnahmen111

Als Steigerungsform zur Ortsverweisung kann die Polizei weiter einen potenziell gewalttätigen Zuschauer gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 und 3 PolG in Präventivgewahrsam nehmen205, wenn z. B. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser etwa trotz eines bestehenden Betretungs- bzw. Aufenthaltsverbotes oder einer Meldeauflage zum Veranstaltungsort reisen wird oder gereist ist und die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung unmittelbar bevorsteht.206 Hierdurch wird mit der Qualität einer Freiheitsentziehung i. S. v. Art. 104 Abs. 2 GG in die Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG eingegriffen.207 Ob mit der Ingewahrsamnahme zusätzlich ein Eingriff in die Freizügigkeit einher geht, sofern dem Festgehaltenen dadurch eine nach Art. 11 Abs. 1 GG geschützte Aufenthaltsnahme unmöglich gemacht werden soll, ist abhängig von der Einschätzung des Verhältnisses beider Grundrechtsverbürgungen. Einige gehen von einem Verhältnis der Idealkonkurrenz zwischen der Freiheit der Person und der Freizügigkeit aus.208 Andere befürworten wiederum eine grundsätzliche Spezialität des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und ordnen die Beeinträchtigungen anderer grundrechtlicher Gewährleistungen wie der Freizügigkeit durch Freiheitsentziehungen als bloße „Ein­ schränkungsreflexe“209 ein. Diese sollen sodann keiner an den Schranken des zusätzlich betroffenen Grundrechts zu messenden Rechtfertigung bedürfen, wenn sie als automatische Folge des Festhaltens zu bewerten sind.210 Dies soll allerdings nicht gelten, wenn die Beeinträchtigung des anderen Grundrechts zwar zwingend mit der Freiheitsentziehung einher geht, diese aber gerade darauf gerichtet ist, ein anderweitig geschütztes Verhalten zu unterbinden.211 Wird also der Besuch einer Fußballveranstaltung, der im konkreten Einzelfall den Schutz des Art. 11 Abs. 1 GG genießt, zielgerichtet 205  EGMR, NVwZ 2014, 43; VG Düsseldorf, Urteil v. 26.2.1013 – 18 K 5684 / 10, BeckRS 2013, 55618. Grundlegend zum Mittel der Ingewahrsamnahme C. Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam unter besonderer Berücksichtigung des Unterbindungsgewahrsams, 1998. 206  Bei einer grundsätzlich auf § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG zu stützenden Durchsetzung eines Platzverweises folgt dies aus einer verfassungskonformen Auslegung, sofern ein zusätzlicher Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG zu bejahen ist. 207  Di Fabio (Fn. 117), Art. 2 II Rn. 83; Schulze-Fielitz (Fn. 117), Art. 2 II Rn. 101. Grundlegend zur Ingewahrsamnahme Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn.  494 ff.; Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 141 ff. Vgl. zu Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 2. b) aa). 208  So Braun, Freizügigkeit (Fn. 138), S. 62 f.; Wittreck (Fn. 117), § 151 Rn. 13; Kunig (Fn. 6), Art. 2 Rn. 74, sowie Schulze-Fielitz (Fn. 117), Art. 2 II Rn. 120. 209  Eingehend Sachs, Freiheit (Fn. 118), § 106 S. 1221 f. 210  Im Ergebnis ebenso Pernice (Fn. 101), Art. 11 Rn. 14, 30; Di Fabio (Fn. 117), Art. 2  II  Rn. 86; Starck (Fn. 53), Art. 2 Rn. 253; Jarass (Fn. 114), Art. 2 Rn. 111. 211  Sachs, Freiheit (Fn. 118), § 106 S. 1159.

112

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

durch eine Ingewahrsamnahme verhindert, liegt in dieser auch nach der zweitgenannten Ansicht ein zusätzlicher Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit, auch wenn der primäre Zweck des Mittels der Ingewahrsamnahme natürlich in der Gefahrenabwehr liegt. (2) Rechtsgrundlage Ihre Rechtsgrundlage findet die Ingewahrsamnahme im hiesigen Zusammenhang in § 35 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 PolG. Weiter gelten die besonderen Bestimmungen der §§ 36 ff. PolG und damit u. a. der Richtervorbehalt. Um dessen Einhaltung im Rahmen von Fußballveranstaltungen auch bei eiligen Maßnahmen vor Ort sicherstellen zu können, sollte ein Richter des jeweils zuständigen Amtsgerichts insbesondere bei Risikospielen, im Rahmen derer gewalttätige Fanausschreitungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, bereits vor Ort sein.212 Darüber hinaus verpflichtet § 10 Abs. 4 der DFB-Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen213 die Bundesligavereine zur Einrichtung von Verwahr- und Festnahmeräumen, die der Polizei zur Verfügung zu stellen sind. bb) Die Abmarschverzögerung von Fanblöcken Neben der Ingewahrsamnahme in traditioneller Form hat sich im Rahmen besonders krawallträchtig einzuschätzender Spielbegegnungen die Praxis etabliert, die Zuschauer eines Fanblocks nach dem Abpfiff des Spiels solange am Verlassen des Blockes zu hindern, bis sich die Anhänger der gegnerischen Mannschaft bereits vom Stadiongelände entfernt haben. Ziel ist es, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen zu vermeiden.214 Die vorrübergehende Abmarschverzögerung von Fanblöcken kann unschwer als Eingriff in die Freiheit der Person eingeordnet werden. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG schützt das Recht, den momentanen Aufenthaltsort frei von staatlichen Zwangseinwirkungen zu verlassen, sodass ein Festhalten durch physischen Zwang etwa mittels errichteter Barrieren zumindest als Freiheitsbeschränkung qualifiziert werden muss.215 Zur genaueren grundrechtlichen Einordnung der Maßnahme ist darüber hinaus zu klären, ob es sich um eine bloße Beschränkung der Freiheit i. e. S. Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 152. Fn. 172. 214  Eingehend M. Geißler / F. Haase / U. Subatzus, Überlegungen zum Problem der Ingewahrsamnahme nach Fußballspielen am Beispiel Hamburg, in: NVwZ 1998, S. 711 (711 ff.). Siehe ferner Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 136. 215  Vgl. dazu die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 2. b) aa). 212  Dazu 213  Vgl.



A. Darstellung der Maßnahmen113

oder eine Entziehung selbiger handelt und somit zur Rechtfertigung Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG Beachtung finden muss. Zur Differenzierung beider Eingriffsstufen werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Teilweise wird zur Abgrenzung der Freiheitsbeschränkung und dem Unterfall der -entziehung allein auf den Erfolg der staatlichen Maßnahme abgestellt, sodass eine Freiheitsentziehung immer dann vorliegen soll, wenn die Bewegungsfreiheit „nach jeder Richtung hin aufgehoben wird“216, der Entzug der Bewegungsfreiheit „umfassend“217 bzw. „allseitig“, der verbliebende Raum damit eng umgrenzt ist218. Andere Stimmen verlangen zusätzlich eine gewisse Mindestdauer des Festhaltens.219 Wo genau die Grenze zur Freiheitsentziehung zu ziehen ist, ist jedoch auch unter den Vertretern der auf die Dauer der Maßnahme abstellenden Auffassung umstritten.220 Mit dem Einwand, die häufig als maßgeblich für die Bestimmung der Anwendbarkeit der Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG angesehene Dauer einer Maßnahme sei ex ante nicht mit einem hinreichenden Maß an Sicherheit bestimmbar221, wird ein weiterer Vorschlag zur Abgrenzung von Freiheitsbeschränkung und -entziehung geäußert. Demnach sei auf die rechtliche Selbstständigkeit der im Rahmen eines Eingriffs in die Freiheit der Person staatlicherseits auferlegten Pflicht, am gegenwärtigen Aufenthaltsort zu verweilen, abzustellen. Ist dies nur eine Nebenpflicht, liege lediglich eine Freiheitsbeschränkung vor.222 Ungereimtheiten ergeben sich allerdings, wenn eine Pflicht zwangsweise durchgesetzt wird. So wird vertreten, die Vornahme etwaiger Zwangsmaßnahmen solle grundsätzlich ebenso beurteilt werden, wie die zugrundeliegende Pflicht. Ist die zugrundeliegende Pflicht jedoch gar nicht als Eingriff in die Freiheit der Person zu qualifizieren,

216  BVerfGE

94, 166 (198); 105, 239 (248). Kunig, in: I. v. Münch / ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 104 Rn. 19. Ausgenommen sein sollen allein sehr flüchtige Maßnahmen wie das kurzfristige Anhalten einer Person. 218  So G. Dürig, in: Maunz / ders., GGK (Fn. 48), Art. 104 (1958), Rn. 5 ff., wobei eine enge Umgrenzung auch dann noch vorliegen soll, wenn der Betroffene sich in einem Gebäude oder Lager frei bewegen kann. 219  H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 104  Rn. 24 ff.; C. Degenhart, in: Sachs, GGK (Fn. 95), Art. 104 Rn. 5a; Jarass (Fn. 114), Art. 2 Rn. 114. 220  Schulze-Fielitz ordnet z. B. den etwa zwischen 20 und 40 Minuten währenden Verbringungsgewahrsam (vgl. Fn. 230) als Freiheitsentziehung ein, Schulze-Fielitz (Fn. 219), Art. 104 Rn. 26. A. A. Degenhart (Fn. 219), Art. 104 Rn. 5a. 221  Gusy, Freiheitsentziehung und Grundgesetz, in: NJW 1992, S. 457 (458 f.); ders. (Fn. 143), Art. 104 Rn. 20. 222  Ausführlich Gusy, Freiheitsentziehung (Fn. 221), S. 459  f.; ders. (Fn. 143), Art. 104 Rn. 19 ff. 217  P.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

bietet die dargestellte Ansicht keine präzise Handhabe.223 Darüber hinaus entspricht es der einhelligen Meinung, dass eine Freiheitsentziehung im Vergleich zur bloßen -beschränkung ein gesteigertes Maß an Intensität aufweist.224 Damit muss es auch die Intensität sein, die als entscheidendes Abgrenzungskriterium heranzuziehen ist. Für den in seiner körperlichen Fortbewegungsfreiheit Betroffenen kommt es bezüglich der Frage, wie intensiv er einen Eingriff empfindet, allerdings nicht darauf an, welchen Zweck – und darauf stellt die Frage nach der Selbstständigkeit der Aufenthaltspflicht letztlich ab – eine Freiheitsbeschränkung verfolgt.225 Sinnvoll erscheint es vielmehr, auf den Erfolg einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme abzustellen, und eine gewisse Mindestdauer zu fordern, um zumindest lediglich flüchtige bis kurzweilige Eingriffe nicht dem zusätz­ lichen Schutz durch Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG zu unterstellen. Dabei sind diese Kriterien jedoch nur als Hilfsmittel zur Bewertung des letztentscheidenden Faktors der Intensität anzusehen, sodass etwaige besondere Begleitumstände bei der Qualifikation einer Maßnahme als Freiheitsentziehung ebenfalls Berücksichtigung finden können. Durch das Festhalten eines Fanblockes wird die körperliche Bewegungsfreiheit unzweifelhaft nach jeder Richtung hin aufgehoben. Dieses Festhalten ist zwar eher kurzfristiger Natur, allerdings kann auch bei einer Dauer von schätzungsweise einer halben Stunde die Intensitätsschwelle einer Freiheitsentziehung als überschritten angesehen werden. Die Abmarschverzögerung von Fanblöcken ist damit gefahrenabwehrrechtlich als Ingewahrsamnahme i. S. d. §§ 35 ff. PolG, genauer als Schutzoder Präventivgewahrsam, einzuordnen.226 Zu klären bleibt die Rechtmäßigkeit der Maßnahme, welche insbesondere aufgrund der Massensituation in Bezug auf die Störereigenschaft fraglich erscheint.227

selbst Gusy (Fn. 143), Art. 104 Rn. 23. Gusy (Fn. 143), Art. 104 Rn. 19. 225  Ausdrücklich sprechen sich auch gegen ein Abstellen auf den Zweck aus: Schulze-Fielitz (Fn. 219), Art. 104 Rn. 25; Degenhart (Fn. 219), Art. 104, Rn. 5; Kunig (Fn. 217), Art. 104 Rn. 19. 226  Ebenso G. Manssen, Sportgroßveranstaltungen als Polizeigroßveranstaltungen, in: SpuRt 1994, S. 169 (172); Geißler / Haase / Subatzus, Überlegungen (Fn. 214), S.  711 ff.; Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 240; ders., Sicherheit (Fn. 81), S. 136; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 210 f. 227  Vgl. dazu Kap. 3, B. II. 2. b) bb) (7). 223  So

224  Vgl.



A. Darstellung der Maßnahmen115

c) Der sog. Verbringungsgewahrsam aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge Weitere Maßnahmen mit gewissen Bezügen zur Ingewahrsamnahme haben sich in der Vergangenheit mit dem sog. Verbringungsgewahrsam und der einschließenden Begleitung von Fangruppen228 entwickelt. Durch den Verbringungs- oder Rückführungsgewahrsam werden gewaltbereite Fans von gefahrträchtigen Orten ferngehalten, indem sie in vom Stadion weiter entfernte Stadtgebiete, bestenfalls mit ungünstiger Verkehrsanbindung, oder beim Rückführungsgewahrsam an ihren Heimatort verbracht werden.229 Angaben über die Dauer des Verbringens belaufen sich auf ca. 20 bis 40 Minuten Fahrzeit.230 Die Maßnahme arbeitet zur Verhinderung der Teilnahme an gewalttätigen Ausschreitungen somit nicht mit einem Festhalten, sondern maßgeblich mit der Herstellung einer gewissen Entfernung zwischen dem Betroffenen und dem Veranstaltungsort.231 Im Vorfeld des Verbringens wird – dem Verhältnismäßigkeitsprinzip geschuldet – gegenüber dem Betroffenen in der Regel ein Platzverweis ausgesprochen.232 Während des Verbringens wird der Betroffene an einem eng umgrenzten, wenn auch sich bewegenden Ort, wie einem Polizeibus, festgehalten, und somit in seiner körperlichen Fortbewegungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG beeinträchtigt. Ob diese allseitige Aufhebung der Bewegungsfreiheit als bloße Freiheitsbeschränkung gem. Art. 104 Abs. 1 GG oder als Freiheitsentziehung gemäß den Absätzen 2 bis 4 zu beurteilen ist, hängt nach den obigen Ausführungen maßgeblich von der Dauer des Festhaltens ab. Auch wenn eine einheitliche Überzeugung über eine genaue zeitliche Grenzziehung noch nicht erreicht werden konnte233 und eine starre zeitliche 228  Vgl.

dazu Kap. 3, A. II. 2. d). Maßnahmen (Fn. 12), S. 369; Siegel, Hooligans (Fn. 110), S. 1038. Vgl. zum Verbringungsgewahrsam ferner BayObLG, NVwZ 1990, 194 ff.; LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537; T. Finger, Der „Verbringungsgewahrsam“ und der Streit um seine rechtliche Grundlage, in: NordÖR 2006, S. 423 (423 ff.), sowie C. Schucht, Der Verbringungsgewahrsam im Polizeirecht – Eine kritische Bestandsaufnahme nach mehr als 30 Jahren Polizeipraxis, in: DÖV 2011, S. 553 (553 ff.). 230  LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 (539); A. Greiner, Über den „Verbringungsgewahrsam“ als unkonventionelle Maßnahme der Gefahrenabwehr, in: Die Polizei 1979, S. 92 (93). 231  So auch Gusy, Polizeibefugnisse (Fn. 169), S. 7; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 423. 232  A.-M. Kappeler, Der Verbringungsgewahrsam im System polizeilicher Eingriffsbefugnisse, in: DÖV 2000, S. 227 (229); Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 423. 233  Vgl. Fn. 220. 229  Krahm,

116

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Grenze zur Absteckung des Anwendungsbereichs des Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG eventuell überhaupt nicht sachdienlich ist234, kann ein etwa 20 bis 40 minütiges Festhalten als recht intensiver Eingriff in die körperliche Fortbewegungsfreiheit gewertet werden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die empfundene Eingriffsintensität des Verbringungsgewahrsams über das an sich schon nicht unerhebliche Festhalten hinaus geht, indem der Betroffene zwangsweise in eine Richtung verbracht wird, in die er sich selbst nie bewegt hätte. Aufgrund des mehr als nur flüchtigen Festhaltens sowie der weiteren intensitätssteigernden Umstände ist der Verbringungsgewahrsam damit als Freiheitsentziehung einzuordnen.235 Indem dem Betroffenen der Aufenthalt an einem bestimmten Ort unmöglich gemacht wird, kommt darüber hinaus ein Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit in Betracht. Das Verhältnis der Freiheit der Person und der Freizügigkeit ist, wie bereits im Rahmen von Platzverweis und Aufenthaltsverbot unter Gliederungspunkt A. I. 2. c) erläutert, umstritten. Bejaht man ein Nebeneinander beider Gewährleistungen zumindest für den Fall, dass eine Freiheitsbeschränkung mit dem Ziel vorgenommen wurde, ein nach Art. 11 Abs. 1 GG geschütztes Verhalten zu verhindern, liegt im Verbringungsgewahrsam von Beginn an auch ein Eingriff in die Freizügigkeit, sofern der Besuch der Fußballveranstaltung als eine durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützte Aufenthaltsnahme anzusehen ist.236 Aber auch wenn man von einer Spezialität des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gegenüber Art. 11 Abs. 1 GG ausgeht, kann zwar im zwangsweisen Akt des Verbringens selbst kein Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG gesehen werden, da auf eine Willensentscheidung bezüglich einer Aufenthaltsnahme durch staatlichen Zwang eingewirkt wird. Zu beachten ist jedoch, dass die freiheitsent234  Schließlich hängt es nicht allein von der Dauer, sondern auch von etwaigen Begleitumständen ab, wie intensiv – und das ist letztlich entscheidend – ein Festhalten empfunden wird. 235  So im Ergebnis auch das LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 (539 f.); Schulze-Fielitz (Fn. 219), Art. 104 Rn. 26; wohl auch Dürig und Kunig, die allein auf den Erfolg des Festhaltens abstellen und lediglich gänzlich flüchtige Einwirkungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 104 Abs. 2–4 GG ausklammern, vgl. Dürig (Fn. 218), Art. 104 Rn. 5 ff.; Kunig (Fn. 217), Art. 104 Rn. 19. Ebenfalls eine Freiheitsentziehung bejahen R. Maaß, Der Verbringungsgewahrsam nach dem geltenden Polizeirecht, in: NVwZ 1985, S. 151 (156); Kappeler, Verbringungsgewahrsam (Fn. 232), S. 231; L.  Hasse / K.  Mordas, Thüringen: Verbringungsgewahrsam. Zur Rechtmäßigkeit einer probaten, aber umstrittenen polizeilichen Maßnahme, in: ThürVBl. 2002, S. 101 (101  ff.); Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 373  f., sowie Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 4. A.  A. Stoermer, Gewahrsam (Fn. 205), S. 128 f.; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 426; Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 556. 236  Vgl. hierzu die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 2. b).



A. Darstellung der Maßnahmen117

ziehende Wirkung der Maßnahme mit dem Absetzen entfällt237, die gegebenenfalls dem Schutz des Art. 11 Abs. 1 GG unterfallende Aufenthaltsnahme am Veranstaltungsort bzw. das Verweilen am ursprünglichen Aufenthaltsort dagegen weiterhin verhindert wird.238 Dies ist schließlich die primär genutzte Wirkungsweise der Maßnahme. Somit kann mit dem Absetzen des bisher Festgehaltenen der Schutzbereich des Rechts auf Freizügigkeit als eröffnet angesehen werden, in welchen durch die Maßnahme des Verbringungsgewahrsams auch in moderner Weise eingegriffen wird.239 Der Einwand, der Verbringungsgewahrsam diene ausschließlich der Beseitigung plötzlich auftretender Gefahren und bezwecke daher nicht, eine aufenthaltsspezifische Fortbewegung zu unterbinden, sodass kein Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG vorliege240, kann hingegen nicht überzeugen. Dies zeigt gerade der in diesem Zusammenhang von Krahm vorgebrachte Vergleich von Platzverweisung und Verbringungsgewahrsam einerseits sowie dem Aufenthaltsverbot andererseits, wobei nur letzterem eine aufenthaltsspezifische Regelungstendenz attestiert wird. Im Rahmen von Fußballveranstaltungen verfolgt die Polizei in allen drei Fällen den gleichen Zweck, eine Gefahr abzuwenden, welche durch den Aufenthalt potenziell gewalttätiger Fußballfans an einem bestimmten Ort geschaffen wird.241 Damit verfügen auch alle Maßnahmen, die final auf dieses Ziel gerichtet sind, über eine aufenthaltsspezifische Regelungstendenz, sofern der gewünschte Stadionbesuch eine durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützte Aufenthaltsnahme darstellt. 237  Hasse / Mordas gehen von einer fortwirkenden Beeinträchtigung der negativen Komponente des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auch für die Zeit nach dem Absetzen aus, vgl. Hasse / Mordas, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 102. Ebenso Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 370. 238  So anklingend bei Kappeler, Verbringungsgewahrsam (Fn. 232), S. 232, die die Maßnahme des Verbringungsgewahrsams ebenfalls nach ihrer grundrechtsbeschränkenden Wirkung aufteilt, neben dem Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG durch das Festhalten jedoch lediglich einen eigenständigen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG sieht. Dem folgt Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 555 f. 239  Zum selben Ergebnis kommen (mit teilweise anderer Begründung) E. Mußmann, Der „Verbringungsgewahrsam“, in: VBlBW 1986, S. 52 (56 f.) und Gusy (Fn. 91), Art. 11  Rn. 34. Ebenso grundsätzlich Hasse / Mordas, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 106 f., die jedoch Art. 11 Abs. 1 GG als von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verdrängt ansehen. A. A. BayVerfGH, NVwZ 1991, 664 (668); Kappeler, Verbringungsgewahrsam (Fn. 232), S. 232; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 375 ff.; Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 555. 240  So Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 376 f., dessen Ausgangspunkt allerdings in einem anderen als dem hier vertretenen Freizügigkeitsverständnis besteht. 241  Vgl. die näheren Erläuterungen zur Vergleichbarkeit der beiden Verweisungsmaßnahmen unter Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (2) (d).

118

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Auch eine Verletzung der Menschenwürde wird in Einzelfällen erwogen. Diese Überlegungen sollten jedoch auf extreme, ausufernde Fälle des Verbringungsgewahrsams beschränkt bleiben und werden an dieser Stelle nicht fortgeführt.242 Festzuhalten bleibt damit, dass der zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt ergriffene Verbringungsgewahrsam regelmäßig in Form einer Freiheitsentziehung in die Freiheit der Person sowie darüber hinaus in die Freizügigkeit eingreift. bb) Rechtsgrundlage Bezüglich der Frage, auf welche Rechtsgrundlage der Verbringungsgewahrsam gestützt werden kann bzw. ob überhaupt eine taugliche Grundlage existiert, werden seit Beginn der Anwendung der Maßnahme in den 1970er Jahren verschiedenste Ansätze vertreten, welche im Folgenden kurz umrissen werden. Wie seine Bezeichnung vermuten lässt, wird der Verbringungsgewahrsam teilweise als Ingewahrsamnahme gem. § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG oder als Minusmaßnahme zu selbiger angesehen.243 Ersterem wird jedoch zu recht entgegen gehalten, dass die Ingewahrsamnahme nicht zu einem längeren Transport bzw. zu einer Ortsveränderung als ihrem Hauptzweck ermächtigt.244 Gegenüber der Einschätzung als Minusmaßnahme ist zu erwidern, dass nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden kann, dass der Verbringungsgewahrsam tatsächlich eine im Vergleich zur Ingewahrsamnahme mildere Maßnahme darstellt, worauf unter Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (2) (c) näher eingegangen wird.245 In der Literatur werden ferner Kombinationslösungen vertreten, nach denen sich der Verbringungsgewahrsam aus einer Ingewahrsamnahme oder einem Platzverweis und einer auf die Generalklausel zu stützenden Verbringung zusammensetze.246 Gegen die Annahme einer 242  Vgl. dazu auch Hasse / Mordas, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 101 f.; Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 555. 243  BayObLG, NVwZ 1990, 194 (196 f.), sowie scheinbar OVG Bremen, NVwZ 1987, 235 (236 f.); ferner R. Leggereit, Der Verbringungsgewahrsam – ein generell rechtswidriges Instrumentarium der Vollzugspolizei?, in: NVwZ 1999, S.  263 (264 f.); Hasse / Mordas, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 132; Pieroth / Schlink/ Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 4. 244  Vgl. LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537  f.; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 425 ff.; Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 558 f. 245  Vgl. LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 (539); H.-D. Oldemeier, Rechtsgrundlagen des Verbringungsgewahrsams, 1999, S. 88 ff.; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 427; Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 558 f.



A. Darstellung der Maßnahmen119

solchen zusammengesetzten Maßnahme wird indes vielseits und überzeugend eingewendet, dass auf diese Weise ein einheitlicher Geschehensablauf künstlich aufgespalten wird.247 Wenn auch auf den ersten Blick einleuchtend, kann der Verbringungsgewahrsam auch nicht als Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Vollstreckung eines Platzverweises eingestuft werden, da in diesem Fall der Akt der Vollstreckung inhaltlich über die Grundverfügung hinaus gehen würde, welche den Betroffenen nur zum Verlassen etwa des Stadionumfelds, nicht aber zum Aufsuchen eines bestimmten anderen Ortes verpflichten kann.248 246

Letztlich vermag allenfalls die polizeiliche Generalklausel aus § 8 Abs. 1 PolG als Rechtsgrundlage des Verbringungsgewahrsams dienen249, wenn auch zu prüfen bleibt, ob sie als solche ausreicht. Unbedenklich im Hinblick auf eine Befugnisnorm wäre darüber hinaus zwar eine Konstruktion, welche die Anwendung unmittelbaren Zwangs zu Vollstreckung eines Aufenthaltsverbotes zum Gegenstand hat, bei der der Betroffene an den Rand des Gebietes verbracht wird, auf welches sich die Verweisungsmaßnahme erstreckt.250 Im Rahmen von Fußballveranstaltungen, bei denen der Verbringungsgewahrsam möglichst auch eine Beteiligung potenzieller Gewalttäter an eventuellen Ausschreitungen nach Veranstaltungsende unterbinden soll, wird eine Verbringung auf Grundlage dieser Konstruktion jedoch meist nicht praktikabel sein. Selbst wenn ein räumlich weit gefasstes Aufenthaltsverbot erginge, wird ein Verbringen an den Rand dieses Bereichs aufgrund der häufig wohl dennoch nicht ausreichenden Ausdehnung desselben ein Fernhalten des Betroffenen von gefahrträchtigen Orten nicht lange genug sicherstellen können.

246  So z. B. V. Götz, Die Entwicklung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts (1994–1997), in: NVwZ 1998, S. 679 (683); Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 328), S. 191 und Schenke, POR (Fn. 292), Rn. 139. 247  Vgl. Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 428, sowie zu weiterer Kritik Gusy, Polizeibefugnisse (Fn. 169), S. 8. 248  Vgl. statt vieler Oldemeier, Rechtsgrundlagen (Fn. 245), S. 38; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 424 f.; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 378 ff. 249  So auch Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 509; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 428; Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 559; Siegel, Hooligans (Fn. 110), S. 1038. 250  So auch zu lesen bei Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 425, sowie bei Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 557.

120

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

d) Die einschließende Begleitung von Fangruppen auf An- und Abreisewegen aa) Inhalt und grundrechtliche Bezüge Gewisse Ähnlichkeiten zum Verbringungsgewahrsam weist die einschließende Begleitung von Fangruppen auf. So werden besonders bei Risikospielen größere Gruppen anreisender Fans, insbesondere die der jeweiligen Gastmannschaft einer Spielbegegnung, häufig bereits bei der Ankunft am Zielbahnhof von einer Hundertschaft empfangen und auf ausgewählten Wegen zum Stadion einschließend begleitet. Gleiches geschieht im Nachhinein des Spiels auf dem Rückweg zum Bahnhof. Ist das Stadion vom Bahnhof aus nicht fußläufig zu erreichen, werden die Zuschauer oftmals in bereitgestellten Bussen in Begleitung der Polizei zum Stadion und zurück transportiert. Diese Begleitung der Fangruppen stellt ein wirksames Mittel zur Verhinderung des unmittelbaren Aufeinandertreffens größerer, potenziell gewalttätiger Fangruppen zweier gegnerischer Mannschaften dar.251 Die grundrechtliche Einordnung dieser Praxis ist umstritten, klärungsbedürftig insbesondere die Frage, ob es sich bei der einschließenden Begleitung durch die Polizei um eine Beschränkung der Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG handelt oder nicht.252 Nicht selten wird eine Charakterisierung der einschließenden Begleitung als Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG mit dem Hinweis verneint, die Betroffenen könnten sich frei bewegen, sie würden dabei lediglich begleitet.253 Sofern ihnen ein Verlassen der begleiteten Gruppe verwehrt werde, handele es sich um ein auf den abseits des eingeschlagenen Weges gelegenen Bereich bezogenes Betretungsverbot, welches allein die allgemeine Handlungsfreiheit tangiere.254 Diese Einschätzung verkennt allerdings in mehrfacher Hinsicht die regelmäßige Art und Weise der Durchführung der Maßnahme in der Realität. Die Beamten der Polizei umschließen in der Regel größere Fangruppen, um sich sodann als Einheit auf einem vorbestimmten Weg in Richtung Stadion zu bewegen. Der Einzelne geht in dieser sich fortbewegenden Masse unter, kann also nur schwerlich einen Richtungswechsel der gesamten Gruppe einleiten. Zudem ist es blauäugig, zu behaupten, die Gruppe 251  Dazu Manssen, Sportgroßveranstaltungen (Fn. 226), S. 171; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209; Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 150. 252  Vgl. zum Schutz durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 2. b) aa). 253  So Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 241; ders., Sicherheit (Fn. 81), S. 135; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209. 254  Breucker, Gewaltprävention (Fn.  123), S. 244; ders., Sicherheit (Fn. 81), S.  135 f.; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209.



A. Darstellung der Maßnahmen121

bestimme ihren Weg selbst255, ist es doch gerade Ziel der Maßnahme, die eingeschlossene Gruppe von gegnerischen Fangruppen fernzuhalten und damit eine ganz bestimmte Richtung einzuschlagen. Darüber hinaus wird dem einzelnen Fan ein Ausscheren aus der Gruppe regelmäßig verwehrt.256 Besonders deutlich zeigt auch die Begleitung der Fans in Bussen, dass sich der Einzelne der Maßnahme grundsätzlich nicht entziehen kann. Damit sind die Betroffenen zwar imstande und sogar gezwungen, sich fortzubewegen, in ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit sind sie aber keineswegs frei, bleibt ihnen doch nur eine einzige Richtung, in die sie sich bewegen können.257 Hier liegt gerade der Unterschied zum bereits angesprochenen Platzverweis in Form eines Bereichsbetretungsverbotes, dessen Adressat sich in jede dem verbotenen Bereich abgewandte Richtung begeben kann. Vergleichbar ist die einschließende Begleitung demgegenüber mit einer zwangsweisen Verbringung. Beide Maßnahmen wirken als Beschränkung der körperlichen Fortbewegungsfreiheit, der maßgebliche Unterschied zwischen ihnen besteht für die Betroffenen allein darin, dass die umschlossenen Fußballfans anders als bei einer Verbringung in die ohnehin gewünschte Richtung geleitet werden. Zu klären bleibt sodann die Natur der Freiheitsbeschränkung, d. h. die Frage der Anwendbarkeit des Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG. Um eine Maßnahme als Freiheitsentziehung zu qualifizieren, wird nach dem bisher Gesagten gefordert, dass eine allseitige Aufhebung der körperlichen Bewegungsfreiheit erfolgt, welche für eine gewisse Dauer aufrecht erhalten wird.258 Durch die einschließende Begleitung von Fangruppen wird die Bewegungsfreiheit streng genommen nicht nach jeder Richtung hin aufgehoben.259 Der Umstand, dass die Fans sich immer noch in eine Richtung bewegen können, kann allerdings nur von Relevanz und eingriffsmildernd zu berücksichtigen sein, da diese, anders als bei einer zwangsweisen Verbringung, der von den 255  So auch Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 429. A.  A. Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135, sowie Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 150. 256  Hierin wird von einigen sodann ein Platzverweis oder Aufenthaltsverbot bezüglich des abseits liegenden Weges gesehen, vgl. Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S.  135 f.; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209. 257  Vgl. zur Bestimmung des Schutzbereiches der Freiheit der Person Kap. 3, A. I. 2. c) aa). Die Wirkung der einschließenden Begleitung geht zudem über ihr freiheitsbeschränkendes Moment hinaus. Indem die eingeschlossenen Fans fortwährend unter Beobachtung stehen, weist die Maßnahme informationelle Aspekte auf und ist gefahrenabwehrrechtlich als kurzfristige Observation gem. § 16a Abs. 4 S. 2 PolG zu deuten, vgl. Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 136; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209. 258  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, A. II. 2. b) bb). 259  So auch Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Fans grob gewünschten Richtung entspricht.260 Darüber hinaus ist die Beeinträchtigung der Freiheit der Person auf den recht kurzen Zeitraum beschränkt, der zur Zurücklegung der zwischen dem jeweiligen Sammelpunkt und dem Stadion bestehenden Entfernung benötigt wird. Insgesamt ist die durch die einschließende Begleitung erfolgende Freiheitsbeschränkung damit nicht als so eingriffsintensiv einzuschätzen, dass sie als Freiheitsentziehung zu qualifizieren ist.261 Über die Freiheitsbeschränkung hinaus kann die einschließende Begleitung regelmäßig als Eingriff in das Recht der persönlichen Ehre als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewertet werden262, indem sie für Außenstehende suggeriert, es handele sich um potenzielle Straftäter.263 bb) Rechtsgrundlage Auf welche Rechtsgrundlage die Maßnahme zu stützen ist, ist umstritten. Teilweise wird die einschließende Begleitung als Ingewahrsamnahme gem. §§ 35 ff. PolG gedeutet264, was keineswegs bedeuten muss, dass die Voraussetzungen selbiger auch erfüllt sind. Andere ziehen die polizeiliche Generalklausel und gegebenenfalls zusätzlich § 34 Abs. 1 PolG heran.265 Zwar kann aufgrund der Betroffenheit des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG eine Ähnlichkeit der einschließenden Begleitung zur Ingewahrsamnahme gem. §§ 35 ff. PolG nicht von der Hand gewiesen werden. Die entsprechenden Regelungen sind jedoch offenkundig auf die Rechtfertigung von Freiheitsentziehungen und damit auf Maßnahmen, welche die körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufheben und für eine gewisse Mindestdauer aufrecht erhalten werden, ausgelegt. Als bloße Freiheitsbeschränkung stellt die einschließende Begleitung damit keine Ingewahrsamnahme im polizeirechtlichen Sinne, sondern wenn überhaupt eine Minusmaßnahme zu einer solchen dar.266 Weiter ist in der einschließenden Begleitung in Anlehnung an das oben Gesagte kei260  Treffend zur grundsätzlichen Irrelevanz der Bewegung unter einschließender Begleitung, wie etwa bei einem „Wanderkessel“, Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S.  417 f. 261  Anders, allerdings ohne Ausführungen zur Abgrenzung von Freiheitsbeschränkungen und -entziehungen, Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 417 f. 262  Vgl. zum Schutz des Rechts der persönlichen Ehre Fn. 82. 263  Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 83), S. 196; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209. 264  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 421 ff. 265  Manssen, Sportgroßveranstaltungen (Fn. 226), S. 171; Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 244; ders., Sicherheit (Fn. 81), S. 135; Franz / Günther, FußballWeltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209. 266  Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen123

ne Verweisungsmaßnahme zu sehen, sodass sie als nicht typisierte Maßnahme auf die Generalklausel zu stützen ist.267

B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen gegenüber Zuschauern anhand ausgewählter polizeirechtlicher Problemstellungen Nach der soeben erfolgten Darstellung der verschiedenen Maßnahmen, welche zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt durch die Polizei gegenüber Zuschauern ergriffen werden, sollen diese nun anhand ausgewählter Probleme auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Dabei wird hinsichtlich der Maßnahmen, zu deren Rechtfertigung nach den obigen Erkenntnissen keine Standardermächtigung ersichtlich ist, die vielmehr auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden müssen, zunächst auf die Frage eingegangen, ob diese eine hinreichende Rechtsgrundlage darstellt (I. 2.). Bezüglich der Maßnahmen, welche nicht über einen Rückgriff auf die Generalklausel zu rechtfertigen sind, wird weiter ein Regelungsvorschlag für eine entsprechend zu schaffende Standardmaßnahme formuliert (I. 4.). Im Anschluss wird die Anwendung der bereits vorgestellten Maßnahmen in typischen Fällen auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft. Dies geschieht zunächst hinsichtlich der Maßnahmen der klassischen Gefahrenabwehr (II.) sowie im Anschluss daran in Bezug auf die Maßnahmen, die der Gefahrenvorbeugung zuzuordnen sind (III.).

I. Standardermächtigung versus Generalklausel Bei einigen der vorgestellten Maßnahmen, namentlich der Gefährderansprache, der Meldeauflage, dem Verbringungsgewahrsam sowie in Bayern dem Aufenthaltsverbot, ist unklar, ob sie über eine ausreichende Rechts267  Auch an dieser Stelle könnte die Frage aufgeworfen werden, ob die polizeiliche Generalklausel als Rechtsgrundlage ausreicht oder die Schaffung einer Standardmaßnahme vonnöten ist. Dies ist jedoch zu verneinen. Von einer gesetzessystematischen Sperrung der Generalklausel ist nicht auszugehen. Auch ergibt sich aufgrund verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte nicht das Erfordernis einer Standardmaßnahme, stellt die einschließende Begleitung doch eine typische, aber in ihrer Eingriffswirkung nicht allzu intensive Maßnahme dar. Hier bietet sich insbesondere ein Vergleich zum Verbringungsgewahrsam an. Auf den ersten Blick sehr ähnlich, zeigt sich beim Verbringungsgewahrsam eine erheblich gesteigerte Eingriffsintensität, da der Betroffene gerade nicht in eine von ihm gewünschte Richtung verbracht wird und die faktischen Auswirkungen des Verbringens zeitlich deutlich länger andauern. Vgl. weiter die näheren Ausführungen zum Erfordernis einer Standardmaßnahme unter Kap. 3, B. I. 2.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

grundlage verfügen.268 Für keine von ihnen kann nach dem bisher Gesagten eine bestehende Standardermächtigung herangezogen werden, sodass in der Praxis auf die polizeiliche Generalklausel zurückgegriffen wird. Im Folgenden wird untersucht, ob dieser Rückgriff zulässig oder die Normierung einer eigenen Standardermächtigung vonnöten ist. 1. Zur grundlegenden Abgrenzung von Standardermächtigung und Generalklausel Das Gefahrenabwehrrecht stellt sich in ganz Deutschland als System mehrerer Ebenen, bestehend aus polizei- und ordnungsbehördlichen Generalklauseln269 sowie Standard- und sondergesetzlichen Eingriffsermächtigungen270 dar. Die verschiedenen Befugnistypen stehen normhierarchisch auf derselben Stufe, können jedoch anhand ihres Spezialitätsgrades gestaffelt werden, sodass sich ein für das Gefahrenabwehrrecht charakteristisches System der Vor- bzw. Nachrangigkeit der Befugnisnormen ergibt.271 Kennzeichnend für die in allen Polizeigesetzen der Länder normierte Generalklausel ist zunächst ihre tatbestandliche Weite, welche durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wie „Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ erreicht wird.272 Ferner zeichnet sie sich durch ihre Offenheit auf der Rechtsfolgenebene aus, indem sie zum Ergreifen der „notwendigen Maßnahmen“ ermächtigt (vgl. § 8 Abs. 1 PolG).273 Die Generalklausel bietet somit ein flexibles Instrument, mit dem – vorbehaltlich 268  Die Frage des Erfordernisses einer Standardmaßnahme stellt sich dem Grunde nach auch bei weiteren Maßnahmen wie der einschließenden Begleitung, vgl. hierzu Fn. 267. In dieser Arbeit soll das Verhältnis von Standardmaßnahmen und Generalklausel im Detail allerdings nur unter Bezugnahme auf die hier ausgewählten Fälle untersucht werden. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich sodann auf andere streitige Fälle übertragen. 269  Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf das Verhältnis der polizeilichen Standardbefugnisse und der Generalklausel. Sie lassen sich jedoch auf das Verhältnis der ordnungsbehördlichen Generalklausel nach § 14 Abs. 1 OBG und die gem. § 24 OBG weitgehend entsprechend geltenden polizeirechtlichen Standardermächtigungen übertragen. In vielen anderen Ländern finden sich polizei- und ordnungsrechtliche Generalklauseln ohnehin in einer Vorschrift, vgl. etwa §  17 Abs. 1 ASOG Bln, § 3 Abs. 1 HbgSOG, § 11 HessSOG, § 13 SOG M-V. 270  Auf sondergesetzliche Befugnisse und ihr Verhältnis zum allgemeinen Polizeiund Ordnungsrecht wird in dieser Arbeit nur punktuell eingegangen. Vgl. jedoch Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 123 ff. 271  Näher dazu unter Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (1) (a). 272  Die 16 Normierungen der Generalklausel unterscheiden sich teilweise im Wortlaut, inhaltlich ergeben sich jedoch nur wenige Unterschiede, vgl. Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 76 f. Zu den fünf unterschiedlichen Regelungsmodellen weiter Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 43 ff., 67 f.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen125

noch zu untersuchender Einschränkungen – auf jede denkbare und damit gegebenenfalls auch nicht vorausseh- und regelbare, atypische, konkrete Gefahr für eines der erfassten Schutzgüter mit jedem erdenklichen, eventuell atypischen Mittel reagiert werden kann.274 Eine Grenzziehung erfolgt zunächst allein durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip275 sowie die Regeln der Verantwortlichkeit (§§ 4 ff. PolG). Diese Ausgestaltung verleiht der Generalklausel ihre „strukturprägende Bedeutung“276 und begründet ihre „Un­ verzichtbarkeit“277 für das Gefahrenabwehrrecht. Das System der Generalermächtigung wird stellenweise durch die Normierung spezieller, standardisierter Befugnisse durchbrochen.278 Standardermächtigungen regeln die Vornahme typisierter Maßnahmen zur Abwehr typisierter Gefahrensachverhalte.279 Sie wirken somit in modifizierender Weise auf die tatbestandlich an der Gefahr-Störer-Dogmatik orientierten und auf der Rechtsfolgenebene offen gehaltenen Generalklausel ein, indem sie die zum Einschreiten erforderlichen Tatbestandsmerkmale entweder verengen oder erweitern sowie in ihrer Rechtsfolge eine Ermächtigung allein zum Ergreifen bestimmter Maßnahmen aussprechen.280 Mit ihrer Modifikationswirkung einher geht die grundsätzliche Verdrängungswirkung der Standardmaßnahmen gegenüber der Generalklausel.281 Stellt man einen strukturellen und funktionellen Vergleich von Generalklausel und Standardermächtigung an, zeigt sich somit auf der einen Seite das weitreichende, nicht näher konkretisierte und damit für eine effektive Gefahrenabwehr so wichtige Instrument der Generalermächtigung.282 Auf der anderen Seite steht hingegen ein sehr viel starreren Grenzen unterliegender, eingeschränkter Befugnistypus, bei dessen Normierung der Gesetz273

273  A. Lambiris, Klassische Standardbefugnisse im Polizeirecht, 2002, S.  39; Schucht, Generalklausel (Fn. 335), S. 67. 274  A. v. Mutius, Die Generalklausel im Polizei- und Ordnungsrecht, in: Jura 1986, S. 649 (650); Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 88. 275  Dies ist in allen Polizeigesetzen gesondert geregelt, vgl. etwa § 2 Abs. 1 PolG. 276  Schoch (Fn. 143), 2. Kap. Rn. 107. 277  v. Mutius, Generalklausel (Fn. 274), S. 650; F. Schoch, Grundfälle zum Polizei- und Ordnungsrecht, in: JuS 1994, S. 478 (479); Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 88; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 7 Rn. 12. 278  Vgl. zur Entwicklung des heute gemischten Systems aus General- und Standardermächtigungen Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 68 ff. 279  Dabei weist Schucht darauf hin, dass die Typisierung nicht gleichbedeutend mit der Typik einer Maßnahme ist, Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 94. 280  Schucht, Generalklausel (Fn.  90), S.  96  ff.; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 840. 281  Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 840. 282  Vgl. zur Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Generalbefugnis v. Mutius, Generalklausel (Fn. 274), S. 650; Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 39 f.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

geber eine Güterabwägung weitgehend vorweggenommen und damit den verfassungsrechtlichen Desideraten der Sicherstellung eines effektiven Grundrechtsschutzes, der Einhaltung des rechtsstaatlichen Gebotes der Bestimmtheit und Rechtsklarheit sowie der Wesentlichkeitslehre Rechnung getragen hat.283 Unterschiedlichen Direktiven folgend, befinden sich die beiden Befugnistypen in einem Spannungsverhältnis, welches es unter Berücksichtigung der jeweils prägenden Interessen, namentlich dem effektiven Rechtsgüterschutz einerseits, einem hohen Niveau des Grundrechtsschutzes und der Rechtsklarheit andererseits, aufzulösen gilt. Im Rahmen des Versuches, das Verhältnis beider Ermächtigungsformen genauer abzustecken, wird auf die nähere Ausgestaltung des bereits angesprochenen einfachrechtlichen Spezialitätsverhältnisses beider sowie auf etwaige verfassungsrechtliche Maßgaben einzugehen sein. 2. Das Erfordernis einer Standardermächtigung Das Erfordernis der speziellen Regelung einer der in Rede stehenden Maßnahmen könnte sich zum einen durch eine einfachrechtliche, gesetzessystematische Sperrwirkung der existierenden Standardmaßnahmen gegenüber der Generalklausel, zum anderen aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ergeben. a) Die gesetzessystematische Sperrwirkung von Standardermächtigungen gegenüber der Generalklausel aa) Die Sperrwirkung innerhalb des Anwendungsbereichs einer Standardermächtigung (1) Theoretische Überlegungen zum Verhältnis von Standardermächtigung und Generalklausel (a) Zur Logik der Spezialität Nach nur kurzer Betrachtung der Regelungsbereiche von Generalklausel und Standardermächtigung zeigt sich das Problem der Normenkonkurrenz.284 Durch ihre Offenheit erfasst die Generalklausel grundsätzlich auch die durch die Standardmaßnahmen geregelten Sachverhalte, knüpft jedoch eine 283  Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 46; C. Krane, Das Verhältnis der polizeirechtlichen Standardbefugnisse zueinander und zur Generalklausel, in: NordÖR 2004, S. 425 (429 f.); Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 840. 284  Siehe zu Normenkonkurrenzen näher Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 513 ff.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen127

potenzielle Rechtsfolge an andere Voraussetzungen.285 Um die damit entstehende Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Frage nach der richtigen Rechtsgrundlage für eine angestrebte Maßnahme abzuwenden, gilt es, das Konkurrenzverhältnis beider Befugnistypen aufzulösen.286 Zeichnet sich ein Konkurrenzverhältnis dadurch aus, dass eine allgemeinere Bestimmung einen Sachverhalt erfasst, der durch eine speziellere Norm abweichend geregelt wird, wird dieses auch als „konsumtive Normenkon­ kurrenz“287 bezeichnet und durch die Annahme eines Anwendungsvorrangs der spezielleren Norm aufgelöst.288 Ein solches nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali zu beurteilendes Spezialitätsverhältnis besteht nach wohl einhelliger Meinung auch zwischen Standardermächtigung und Generalklausel.289 Dies ist überwiegend deklaratorisch in den Polizeigesetzen normiert. So ermächtigt die Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG die Polizei zu den notwendigen Maßnahmen, „soweit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln“. Folglich erfährt eine Standardmaßnahme nach den §§ 9 bis 46 PolG vorrangige Anwendung gegenüber der Generalklausel. Ein Rückgriff auf diese ist innerhalb des Anwendungsbereichs der spezielleren Befugnis gesperrt, um die vom Gesetzgeber im Besonderen getroffene Wertung nicht zu unterlaufen.290 Diese auf den ersten Blick so einfach anmutende Regel gibt ihrem Anwender im Detail jedoch einige Rätsel auf. Die Konkurrenzklausel regelt das Verhältnis von Standardmaßnahme und Generalklausel nicht erschöpfend, indem sie nicht besagt, wie weit der Vorrang der §§ 9 bis 46 PolG reicht. Sie stellt durch die Verwendung des Begriffs „soweit“ lediglich eine Regelvermutung zugunsten der Sperrwirkung der Standardermächtigung Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 44. Rechtsunsicherheit existiert genau genommen nicht bei den Standardmaßnahmen, die im Bereich der Gefahrenvorsorge anzusiedeln sind und in ihrer tatbestandlichen Ausgestaltung nicht vom Erfordernis einer konkreten Gefahr ausgehen. Im Bereich der Gefahrenvorsorge ist die Generalklausel nicht anwendbar, vgl. Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 56. 287  Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 515. 288  Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 515 ff. 289  v. Mutius, Generalklausel (Fn.  274), S.  651  f.; Butzer, Flucht (Fn.  145), S.  527 f.; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 840; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 7 Rn. 11. Von einigen Autoren wird an dieser Stelle wohl gleichbedeutend der Begriff der Subsidiarität verwendet, vgl. etwa Schoch, Grundfälle (Fn. 277), S. 485; Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 44 f.; Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 204. Demgegenüber kritisch Butzer, Flucht (Fn. 145), S.  517 f., sowie E. Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken / ders., Handbuch (Fn. 44), D Rn. 67. 290  Vgl. statt vieler Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 44 f.; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 844. 285  Vgl.

286  Diese

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

gegenüber der Generalklausel auf291 und überlässt es dem Rechtsanwender, im Einzelfall durch Auslegung selbst zu bestimmen, wie das Verhältnis beider Befugnistypen genau ausgestaltet ist. Handelt es sich wie hier nicht um ein Verhältnis logischer Spezialität, im Rahmen dessen die speziellere Norm im Vergleich zur generellen identische Tatbestandsmerkmale zuzüglich eines weiteren Merkmals aufweist292, sondern um eines „normativer Spezialität“, ist der Rechtsanwender damit zunächst gezwungen, zu bestimmen, ob eine potenzielle Maßnahme überhaupt den Anwendungs- oder Regelungsbereich einer speziell geregelten Maßnahme tangiert und damit eine „gleichgerichtete“293 oder „verwandte“294 Maßnahme darstellt, welche das Problem der Normenkonkurrenz im Einzelfall erst aufwirft. Wird dies bejaht und damit die Regelvermutung der Sperrwirkung der Standardermächtigung gegenüber der Generalklausel ausgelöst, ist darüber hinaus zu entscheiden, ob und wie weit die speziellere Regelung der Standardermächtigung nach dem Willen des Gesetzgebers den Sachverhalt tatsächlich abschließend regelt, d. h. methodologisch als „spezieller“ anzusehen ist, und somit die Regelvermutung zugunsten der Sperrwirkung der Standardmaßnahme gegenüber der Generalklausel nicht widerlegt werden kann.295 (b) Der Regelungsbereich der Standardermächtigung Zur Austarierung der Sperrwirkung der Standardermächtigungen gegenüber der Generalklausel muss nach dem bisher Gesagten zum einen der Anwendungs- bzw. Regelungsbereich selbiger, zum anderen die Reichweite ihrer abschließenden Regelungswirkung untersucht werden. Voranzustellen sind die Überlegungen zur Bestimmung des Regelungsbereichs einer Standardermächtigung. Nach diesem richtet sich die Frage, ob eine angestrebte Maßnahme eine zur Standardbefugnis gleichgerichtete Maßnahme darstellt, wodurch die Vermutung der Sperrwirkung ausgelöst 291  Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 528, sowie im Anschluss Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 120. 292  K. Stern, Die Konkurrenzen von Grundrechten des Grundgesetzes, in: ders. /  M. Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III / 2, 1994, § 92 S. 1400; Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 516. 293  Die Begriffe der „gleichgerichteten“ oder „andersgerichteten Maßnahme“ verwendet auch Schucht, wenn auch im Detail anders als hier, worauf an späterer Stelle eingegangen wird, vgl. Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 132. 294  Von „verwandten Maßnahmen“ spricht in diesem Zusammenhang Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 46. 295  Vgl. v. Mutius, Generalklausel (Fn. 274), S. 651 f.; Butzer, Flucht (Fn. 145), S.  526 ff.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen129

wird und auf den sich die Sperrwirkung – vorbehaltlich der Widerlegung der Vermutung – auch „nur“ erstreckt. Der die beschriebene Wirkung entfaltende Regelungsbereich einer Standardermächtigung könnte sich zunächst in der jeweils typisierten Rechtsfolge im Sinne des Regelungsgehalts der von der Norm vorgesehenen Maßnahme erschöpfen – so neben weiteren insbesondere Schucht (1)296. Nach einer anderen Auffassung soll sich der Regelungsbereich aus dem typisierten Sachverhalt in Form der umschriebenen Gefahrensituation und damit letztlich aus der Zweckrichtung der Maßnahme und ihrer Wirkung beim Betroffenen ergeben – so besonders Butzer (2)297. Ein weiterer denkbarer Ansatz zur Erkundung des für die Sperrwirkung relevanten Regelungsbereichs könnte indes auch in einer Zusammenschau von Rechtsfolge und Gefahrensituation bestehen (3). Dass die Rechtsfolge zumindest einen Teil des Regelungsgehalts, wenn nicht sogar den gesamten Regelungsgehalt einer Standardbefugnis ausmacht, auf den sich ihre Sperrwirkung gegenüber der Generalklausel grundsätzlich bezieht, kann nicht bestritten werden.298 Folglich kann auch das nach der zweiten Auffassung vorzunehmende, alleinige Abstellen auf die Gefahrensituation nicht überzeugen und ist abzulehnen. Aus der gesamten Systematik des Polizeigesetzes sowie der Konkurrenzklausel des § 8 Abs. 1 PolG selbst, die sich mit ihrem Wortlaut „Befugnisse der Polizei“ ausdrücklich auf die Rechtsfolgenseite der Standardermächtigungen bezieht299, muss gefolgert werden, dass eine typisierte Rechtsfolge nicht auf Grundlage der eventuell tatbestandlich weiter ausgestalteten Generalklausel, sondern nur unter den besonders geregelten Voraussetzungen der einschlägigen Standardmaßnahme ergehen kann. Durch einen Rückgriff auf die Generalbefugnis würden diese unterlaufen und damit obsolet.300 Gleichzeitig können solche Maßnahmen, die im Hinblick auf ihre Rechtsfolge mit einer der typisierten „nur“ strukturell vergleichbar sind, ebenfalls grundsätzlich nicht auf die Generalklausel gestützt werden.301 Eine so ge296  Ausdrücklich Krane, Verhältnis (Fn. 283), S. 426; weiter Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 139 ff. Ebenfalls wohl in diese Richtung zu verstehen sowohl Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 44 ff. als auch C. Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 313. 297  So Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 525 f., sowie anklingend bei F.-L. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2007, Rn. 157, der an den geregelten „Lebenssachverhalt“ anknüft. 298  Vgl. Fn. 296. 299  Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 139 f.; M. Schütte, in: ders. / Braun / Keller, PolG NRW (Fn. 122), § 8 Rn. 3. 300  Statt vieler v. Mutius, Generalklausel (Fn. 274), S. 652. 301  Vgl. Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 48.

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artete Vergleichbarkeit wird zumindest immer dann vorliegen, wenn eine Maßnahme der anderen immanent ist.302 Fraglich ist indes, ob vom für die Sperrwirkung maßgebenden Regelungsbereich einer Standardmaßnahme zusätzlich zur Rechtsfolge die durch sie typisierte Gefahrensituation, die Zweckrichtung der Maßnahme und die Wirkung beim Betroffenen umfasst sind, so der oben als dritter angeführte Lösungsansatz. Bejaht man dies, könnte auf Grundlage der Generalklausel beim Vorliegen dieser Gefahrensituation – wiederum vorbehaltlich der Widerlegung der Vermutung der Sperrwirkung – zu ihrer Bekämpfung kein anderes Mittel als die von der Standardermächtigung vorgesehene Maßnahme gewählt werden. So dürfte z. B. auf eine Gefahr, welche durch die Anwesenheit einer Person an einem bestimmten Ort geschaffen wird, grundsätzlich nur mit einer der Verweisungsmaßnahmen der §§ 34 f. PolG (bzw. einer Ingewahrsamnahme gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 PolG) reagiert werden, da die umschriebene Gefahrensituation durch diese Standardermächtigungen typisiert wurde. Somit wäre der Erlass einer ihrer Zielsetzung nach eventuell gleichgerichteten Maßnahme wie einer Meldeauflage auf Grundlage der Generalklausel grundsätzlich gesperrt303, der Bereich der Sperrwirkung der Standardermächtigung gegenüber der Generalklausel bei Zugrundelegung des dritten im Vergleich zum ersten Ansatz also erweitert. Hält man sich vor Augen, dass die besondere Normierung der Standardermächtigungen den Maßgaben der Bestimmtheit und Rechtsklarheit sowie denen eines hohen Grundrechtsschutzniveaus (auf Seiten des Eingriffsgutes) folgt, sollte zur Ermittlung der Reichweite der Vermutung der Sperrwirkung einer Standardbefugnis zusätzlich zur Rechtsfolge auf den typisierten Sachverhalt, die Zweckrichtung und die Wirkung der Maßnahme beim Betroffenen abgestellt und damit dem dritten Ansatz gefolgt werden. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung der Standardermächtigungen nicht nur eine Wertung dahingehend vorgenommen, unter welchen Voraussetzungen eine bestimmte Maßnahme ergehen kann, sondern auch, dass auf eine typisierte 302  So Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 132. Darüber hinaus wird vertreten, dass gleiche grundrechtliche Bezüge zweier Maßnahmen ein Indiz für deren strukturelle Vergleichbarkeit darstellen, vgl. Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 49. Ebenso grundsätzlich Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 442  f., der die Sperrwirkung von Standardmaßnahmen in ihrem Anwendungsbereich allerdings bereits dann für unbeachtlich erklärt, wenn die in Rede stehende Maßnahme im Vergleich zur Standardmaßnahme ein weiteres Grundrecht tangiert. Diesem Ansatz ist jedoch deutlich zu widersprechen. Vgl. hierzu weiter Fn. 305. 303  Butzer bezeichnet diese Konstellation als „Aliud-Rechtsfolge“ und geht von einer Sperrwirkung der Standardmaßnahme gegenüber der Generalklausel aus. Handelt es sich um einen „Aliud-Sachverhalt“, mit anderen Worten um eine nicht typisierte Gefahrensituation, besteht nach Butzer schon keine Normenkonkurrenz, vgl. Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 524 ff.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen131

Gefahrensituation in bestimmter Art und Weise reagiert werden soll.304 Bezöge man die Vermutung der Sperrwirkung nur auf die Rechtsfolgenseite der Standardermächtigung, wie vornehmlich von Schucht vertreten, wäre es für die Polizei ein Leichtes, trotz des Vorliegens einer typisierten Gefahrensituation eine im Hinblick auf ihren Regelungsgehalt gänzlich andere, in Bezug auf ihre Zwecksetzung und ihre Wirkung beim Betroffenen im Einzelfall allerdings gleichgerichtete Maßnahme auf Grundlage der Generalklausel zu wählen und somit die eventuell engeren Tatbestandsvoraussetzungen der nach ihrer Zwecksetzung einschlägigen Standardermächtigung zu umgehen. Noch einmal auf das Beispiel der Meldeauflage zurück kommend, könnte die Polizei somit mit dieser einen wohl als intensiver einzuschätzenden Grundrechtseingriff als etwa ein Aufenthaltsverbot auf Grundlage der Generalklausel vornehmen, obwohl der Gesetzgeber für die gleiche Gefahrensituation das tatbestandlich enger ausgestaltete Aufenthaltsverbot geschaffen hat.305 Dieses Ergebnis würde dem Normzweck der Standardermächtigungen zuwider laufen. Festzuhalten bleibt damit, dass sich der für die vermutete Sperrwirkung maßgebliche Regelungsgehalt einer Standardmaßnahme kumulativ aus ihrer Rechtsfolge sowie ihrem typisierten Gefahrensachverhalt ablesen lässt. Bei der Bestimmung, ob eine gleichgerichtete und damit grundsätzlich gesperrte Maßnahme vorliegt, kommt es ferner nicht darauf an, ob es sich um eine typische oder atypische, d. h. seltene bzw. neuartige Maßnahme handelt.306 Auch bei einer nur selten angewendeten oder neuartigen Maßnahme muss nach dem bisher Gesagten eine Sperrwirkung der Standardermächtigung vermutet werden, sofern diese Maßnahme im Hinblick auf Rechtsfolge oder Sachverhalt mit der Standardmaßnahme strukturell vergleichbar ist, da sich die Wertungen des Gesetzgebers gerade nicht nur auf typische Maßnahmen beziehen, sondern auch durch atypische Maßnahmen 304  So im Ergebnis auch Butzer, selbst wenn dieser primär auf die Gefahrensituation abstellt, vgl. Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 524 ff., 536 ff. 305  So Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 440 ff., 458 f., der ein engeres Verständnis der Sperrwirkung vertritt. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass auch die Vertreter der Ansicht, nach der sich der Regelungsbereich und die Sperrwirkung einer Maßnahme in der Rechtsfolge erschöpfen, häufig zu dem hier vertretenen Ergebnis gelangen, indem die grundrechtlichen Bezüge zweier Maßnahmen als Indiz für die strukturelle Vergleichbarkeit auf der Rechtsfolgenseite herangezogen werden, vgl. Fn. 302. In der hier vertretenen Konzeption wird die Grundrechtsbetroffenheit bei der Frage der Sperrwirkung demgegenüber mittelbar über die Sachverhaltsebene einbezogen, die Rechtsfolgenebene demgegenüber technisch auf den Inhalt der Maßnahme begrenzt. 306  In der Literatur wird der Begriff der atypischen Maßnahme, anders als hier, häufig für eine nicht typisierte Maßnahme verwendet, vgl. Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 37; Krane, Verhältnis (Fn. 283), S. 430.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

unterlaufen werden können.307 Dies wird durch die Überlegung bestätigt, dass z. B. auch die Meldeauflage einmal ein erstes Mal ergangen ist und zu diesem Zeitpunkt eine atypische Maßnahme darstellte, diese aber schon damals das Potenzial hatte, die gesetzgeberischen Wertungen der besonders geregelten Verweisungsmaßnahmen zu unterlaufen. Allerdings ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeiten der Widerlegung der Vermutung der Sperrwirkung bei typischen und atypischen Maßnahmen auseinanderfallen und in Bezug auf letztere Rückgriffe auf die Generalklausel eventuell leichter erfolgen können.308 Der hier vertretenen Kombinationslösung, die Vermutung der Sperrwirkung auch auf den Sachverhalt einer Standardermächtigung zu erstrecken, kann auch nicht entgegen gehalten werden, er verhindere einen effektiven Rechtsgüterschutz, indem die Sperrwirkung der Standardmaßnahmen gegen307  So im Ergebnis auch Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 528 ff.; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 719. A. A. Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 447 ff. Schucht begründet diese Auffassung damit, dass (intensivere) atypische Maßnahmen nur dann von der Sperrwirkung einer Standardermächtigung in ihrem Anwendungsbereich erfasst sein könnten, wenn die Standardbefugnisse – und dies sei nicht der Fall – allesamt aufgrund ihrer hohen Eingriffsintensität einer speziellen Normierung zugeführt worden wären. Ein Wertungswiderspruch, der zur Sperrung der Generalklausel führen würde, sei aufgrund der Regelungssystematik überhaupt nur bei typischen Maßnahmen denkbar, da für die besondere Regelung der Standardbefugnisse de lege lata allein ihre Quantität entscheidend gewesen sei. Zwar trifft es zu, dass mit den meisten Standardbefugnissen häufig wiederkehrende und – wie der Platzverweis zeigt – nicht unbedingt eingriffsintensive Maßnahmen geregelt wurden. Die Behauptung, der Gesetzgeber habe sich bei der Normierung der Standardbefugnisse allein an der Typik der Maßnahmen orientiert, kann aber nicht aufrecht gehalten werden. So ist die in einigen Ländern speziell geregelte körperliche Untersuchung z. B. gem. § 15 Abs. 4 HbgSOG wie Schucht selbst einräumt (S. 93 f.) wohl nicht als typische, sondern lediglich als intensive Maßnahme einzuordnen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der speziellen Normierung der Standardbefugnisse – und hier vermischt sich die einfachgesetzliche mit der verfassungsrechtlichen Ebene und muss etwas vorgegriffen werden – verfassungsrechtlichen Direktiven wie dem Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung getragen hat, die nicht nur an die Typik, sondern auch an die Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme anknüpfen, vgl. Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (1). Dies wird auch in der jüngeren Geschichte der polizeilichen Standardermächtigungen deutlich, die sich z. B. durch die Schaffung der informationellen polizeilichen Maßnahmen als Reaktion auf das „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts (Fn. 5) auszeichnet. Die durch die Standardmaßnahmen vorgenommenen Wertungen des Gesetzgebers und die daran anknüpfende Reichweite der Sperrwirkung mit der obigen Begründung auf typische Maßnahmen zu beschränken, kann folglich nicht überzeugen. Die Atypik einer Maßnahme ist damit mangels Regelbarkeit nur bei der Untersuchung der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer Standardbefugnis relevant, vgl. Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (1). 308  Vgl. Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (1) (b).



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über dem flexiblen Instrument der Generalklausel durch ein sehr weites Verständnis gleichgerichteter Maßnahmen zu weit ausgedehnt werde. In diese Richtung argumentiert hingegen Schucht.309 So seien nach dem hier bevorzugten Ansatz mit den Verweisungsmaßnahmen und der Ingewahrsamnahme völlig unterschiedliche Maßnahmen als gleichgerichtet einzuschätzen, da sie alle denselben Gefahrensachverhalt regeln, nämlich eine Gefahrensituation, die durch die Anwesenheit einer Person an einem bestimmten Ort geschaffen wird. Weiter stellt er die Überlegung an, dass bei Vorliegen eines Polizeigesetzes, in dem nur die Platzverweisung als Standardbefugnis normiert wäre, der Rückgriff auf die Generalklausel zum Erlass der anderen in Rede stehenden Maßnahmen durch die Regelung der Platzverweisung grundsätzlich gesperrt wäre, und die Vermutung der Sperrwirkung – an dieser Stelle muss etwas vorgegriffen werden – aufgrund der höheren Intensität der in Rede stehenden Maßnahmen nicht widerlegt werden könnte. Ein solch weites Verständnis des Spezialitätsgrundsatzes, nach dem die Platzverweisung die in ihrer Rechtsfolge tatsächlich gänzlich andersgerichtete Ingewahrsamnahme sperre, sei nicht hinnehmbar. Schuchts Einwand vermag zwar auf den ersten Blick zu überzeugen, er verkennt jedoch bei dem von ihm aufgezeigten Szenario, dass bei Zugrundelegung des hier vertretenen tatsächlich sehr weiten Verständnisses der Sperrwirkung, die Standardermächtigung der Platzverweisung die Ingewahrsamnahme nicht generell sperren würde, sondern nur in den Fällen, in denen auch tatsächlich auf die durch die Platzverweisung typisierte Gefahrensituation reagiert werden soll. Ist dies der Fall, so ist die Sperrung des Mittels der Ingewahrsamnahme allerdings sehr wohl begründbar, da der alleinigen Normierung der Platzverweisung unproblematisch die gesetzgeberische Wertung entnommen werden könnte, dass – zu Gunsten eines hohen Grundrechtsschutzniveaus – zur Abwehr dieser Gefahr, wenn nicht speziell geregelt, keine darüber hinaus gehenden Maßnahmen ergriffen werden sollen. Sollte mit einer Ingewahrsamnahme hingegen auf eine andere Gefahrensituation – etwa die in § 35 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 5 PolG typisierte – reagiert werden, so wäre ein Rückgriff auf die Generalklausel nicht gesperrt, da der Regelungsbereich der Platzverweisung weder im Hinblick auf die Rechtsfolge noch auf den Sachverhalt betroffen wäre und keine gleichgerichtete Maßnahme vorläge. Die von Schucht geäußerte Kritik ist jedoch in der Weise zu berücksichtigen, als dass bei der Beurteilung der Gleichgerichtetheit zweier Maßnahmen Vorsicht geboten ist, um die Vermutung der Sperrwirkung nicht tatsächlich ausufern zu lassen. Gleichzeitig ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Einschätzung, zwei Maßnahmen seien gleichgerichtet, zunächst nur die Regelvermutung der Sperrwirkung folgt, welche weiterhin zugunsten 309  Zum

Folgenden Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 356 f.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

einer effektiven Gefahrenabwehr, allerdings nur unter Begründungszwang310, widerlegt werden kann. Festzuhalten bleibt damit, dass eine angestrebte Maßnahme dann als eine im Verhältnis zu einer Standardmaßnahme gleichgerichtete und damit grundsätzlich gesperrte Maßnahme anzusehen ist, wenn sie mit dieser im Hinblick auf ihre Rechtsfolge, d. h. ihren Regelungsgehalt, identisch oder strukturell vergleichbar ist und / oder ihr im Hinblick auf den betroffenen Sachverhalt im Sinne der mit ihr abzuwendenden Gefahrensituation, ihrer Zweckrichtung und ihrer Wirkung beim Betroffenen entspricht.311 Gleichzeitig steht damit fest, dass eine andersgerichtete Maßnahme im Hinblick auf Sachverhalt und Rechtsfolge nicht von der Sperrwirkung der Standard­ ermächtigungen erfasst ist und somit – vorbehaltlich der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer speziellen Normierung – auf die Generalklausel gestützt werden kann.312 (c) Der abschließende Charakter der Standardermächtigung Wie bereits erläutert, kann die Vermutung der Sperrwirkung einer Standardermächtigung widerlegt werden. Es sind verschiedene Konstellationen denkbar, in denen eine solche Widerlegung in Betracht kommt, ja fraglich ist, ob der Gesetzgeber tatsächlich eine abschließende Regelung erlassen wollte. Nach dem bisher Gesagten greift die Vermutung der Sperrwirkung, wenn eine angestrebte Maßnahme im Vergleich zu einer Standardermächtigung im Hinblick auf Rechtsfolge und / oder Sachverhalt gleichgerichtet ist. Kein Grund zur Annahme einer Widerlegung der Sperrwirkung und eines Nebeneinanders von Standardmaßnahme und Generalklausel besteht, wenn eine angestrebte Maßnahme einer Standardmaßnahme in Bezug auf Rechtsfolge und Gefahrensituation gänzlich entspricht.313 So kann etwa der auch Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 529. teilweise zu findende Abgrenzung nach qualitativen oder quantitativen Unterschieden zweier Maßnahmen kann mit der hier verwendeten Abgrenzung in der Weise in Einklang gebracht werden, dass eine andersgerichtete Maßnahme sich qualitativ (allerdings im Hinblick auf Tatbestand und Rechtsfolge), eine gleichgerichtete sich demgegenüber allein quantitativ von einer weiteren Maßnahme unterscheidet. Vgl. z. B. OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315); Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 50; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 844. Ebenso verhält es sich bei der gängigen Abgrenzung von Aliud- gegenüber Minus- bzw. Maiusmaßnahmen, vgl. Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 524 ff. Kritisch gegenüber der letzten Abgrenzung Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 133 ff. 312  Anders wohl Butzer, der schon das Bestehen einer Normenkonkurrenz verneint, wenn ein Sachverhalts-Aliud vorliegt, vgl. Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 524 ff. 313  Vgl. v. Mutius, Generalklausel (Fn. 274), S. 652; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 139 f. 310  So

311  Die



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen135

Schutzgewahrsam zwingend nur unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG ergehen. Die Generalklausel ist nicht kumulativ anwendbar. Demgegenüber kommt eine Widerlegung der Vermutung immer dann in Betracht, wenn eine Maßnahme als zu einer Standardermächtigung gleichgerichtet einzustufen und entweder auf der Rechtsfolgenebene zwar strukturell vergleichbar ist, jedoch im Hinblick auf ihre Eingriffsintensität und damit quantitativ abweicht und / oder auf der Tatbestandsebene eine andere als die typisierte Gefahrensituation zum Gegenstand hat. Demgemäß ergeben sich die folgenden vier Konstellationen, im Rahmen derer wertend zu beurteilen ist, ob der Gesetzgeber mit der Standardermächtigung eine abschließende Regelung angestrebt hat oder der Rückgriff auf die Generalklausel ausnahmsweise nicht gesperrt ist: (1) Mit einer angestrebten Maßnahme soll auf eine typisierte Gefahrensituation reagiert werden und die Maßnahme stellt einen im Vergleich zur typisierten Maßnahme milderen Grundrechtseingriff dar; (2) die angestrebte Maßnahme stellt einen intensiveren Grundrechtseingriff dar; (3) die angestrebte Maßnahme kann im Hinblick auf die Intensität ihres Grundrechtseingriffs zwischen zwei der fraglichen Maßnahme jeweils strukturell vergleichbaren Standardermächtigungen eingeordnet werden314 oder (4) mit einer im Hinblick auf ihre Rechtsfolge gleichgerichteten Maßnahme soll auf eine andere als die typisierte Gefahrensituation reagiert werden.315 (aa) Quantitativ  abweichende Maßnahmen als Reaktion auf eine typisierte Gefahrensituation Die zu Beginn zu untersuchende Konstellation (1) zeichnet sich dadurch aus, dass eine Maßnahme angestrebt wird, die auf eine typisierte Gefahrensituation reagiert. Dabei ist die vorzunehmende Maßnahme im Hinblick auf ihre Rechtsfolge mit einer durch eine Standardermächtigung vorgesehenen 314  Diese drei Konstellationen werden u. a. von Schucht unterschieden, Generalklausel (Fn. 90), S. 132 ff. 315  Darüber hinaus ist mit den „unselbstständigen Verfügungen“ mittlerweile eine weitere Fallgruppe, bei der die Vermutung der Sperrwirkung widerlegt werden kann, weitgehend anerkannt. Eine solche unselbstständige Verfügung dient der Durchsetzung gesetzlicher Ge- oder Verbotsnormen, welche selbst keine Eingriffsbefugnis liefern (sog. leges imperfectae), und kann nach überwiegender Ansicht auch dann auf die Generalklausel gestützt werden, wenn der Anwendungsbereich einer Standardmaßnahme betroffen ist. Vgl. dazu v. Mutius, Generalklausel (Fn. 274), S. 652, sowie Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 529 ff. Ferner können sich neben den im Folgenden dargestellten Fällen Abweichungen von der grundsätzlichen Sperrwirkung im Bereich der Standardermächtigungen zur Gefahrenvorsorge ergeben, vgl. dazu exemplarisch das Verhältnis von Meldeauflage und Vorladung unter Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (2) (b) (aa).

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Rechtsfolge zwar strukturell vergleichbar, in ihrer Eingriffsintensität aber milder und der intensiveren Standardmaßnahme immanent.316 Gebräuchlich für diese Konstellation ist der Begriff der „Minusmaßnahme“, auch wenn er ursprünglich zur Beschreibung des Verhältnisses von sondergesetzlichen zu allgemein-polizeilichen Befugnisnormen entwickelt wurde.317 Da es sich um eine im Hinblick auf Sachverhalt und Rechtsfolge zu einer bestehenden Standardermächtigung gleichgerichtete Maßnahme handelt, greift hier die Vermutung der Sperrwirkung. Es ist jedoch weitgehend anerkannt, dass zur Vornahme der angestrebten Maßnahme ein Rückgriff auf die Generalklausel erfolgen kann, die gleichgerichtete Standardmaßnahme also nicht als abschließend und spezieller zu bewerten ist.318 Zur Begründung kann zum einen auf die Wertung des Gesetzgebers verwiesen werden, mit welcher zum Ausdruck gebracht wird, dass die typisierte Gefahrensituation grundsätzlich sogar mit einem intensiveren Grundrechtseingriff abgewendet werden darf, sodass über einen Schluss a maiore ad minus auch das Ergreifen einer milderen Maßnahme möglich sein muss. Des Weiteren wäre für den Fall, dass sich die erwogene mildere Maßnahme im Einzelfall zudem als ebenso effektiv erweist, die intensivere Standardmaßnahme mangels Erforderlichkeit sowie gegebenenfalls mangels Angemessenheit unverhältnismäßig. Würde man der Polizei an dieser Stelle den Rückgriff auf die Generalklausel verweigern, wäre diese handlungsunfähig. Eine solche Lösung kann im Hinblick auf die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates und das Desiderat einer effektiven Gefahrenabwehr nicht überzeugen.319 Allerdings müssen zur Vornahme der Maßnahme die eventuell engeren Tatbestandsvoraussetzungen der Spezialermächtigung erfüllt sein, um die gesetzgeberische Wertung nicht zu unterlaufen und einen ausreichenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten.320 Betrachtet man die methodologische Rechtfertigung des Ergreifens von Minusmaßnahmen, wird schnell klar, dass die Vermutung der Sperrwirkung hingegen bei gleichgerichteten Maßnahmen, die einen intensiveren Grundrechtseingriff darstellen (sog. Maius- oder Plus-Maßnahmen; Konstella­ tion 2), nicht widerlegt werden kann. Durch sie würde die durch die Normierung der gleichgerichteten Standardermächtigung vorgenommene gesetzge316  So Gusy, Polizeibefugnisse (Fn. 169), S. 8, sowie im Anschluss Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 427 f. 317  Vgl. dazu das grundlegende Urteil aus dem Versammlungsrecht BVerwGE 64, 55 (58). 318  Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 535 f.; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 449 ff. 319  Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 532 ff. 320  So auch Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 536. Ähnlich Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 450.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen137

berische Wertung umgangen.321 Damit gilt (vorerst) die Regel des abschließenden Charakters milderer (verwandter) Standardmaßnahmen. Fraglich ist indes, wie die dritte Konstellation zu beurteilen ist, in der eine angestrebte Maßnahme in einem System mehrerer, jeweils zur fraglichen Maßnahme gleichgerichteter, quantitativ staffelbarer Befugnisnormen zwischen einer milderen und einer intensiveren Standardbefugnis einzuordnen ist. Gegen eine Widerlegung der vermuteten Sperrwirkung kann die Systematik der besonderen Normierung durch den Gesetzgeber angeführt werden. So wird u. a. dahingehend argumentiert, seiner lückenhaften Reglementierung sei die Wertung zu entnehmen, dass auf Grundlage der Generalklausel niemals eine intensivere als die mildeste der speziell normierten gleichgerichteten Maßnahmen ergehen soll.322 Dieses Ergebnis entspräche der soeben aufgestellten Regel des abschließenden Charakters milderer Standardermächtigungen. Es stellt sich jedoch im Hinblick auf die Maßgabe einer effektiven Gefahrenabwehr als kurzsichtig dar. In einem Szenario, in dem eine Gefahr besteht, die mittels der milderen, speziell normierten Maßnahme nicht effektiv abgewehrt werden kann und sich ein Ergreifen der intensiveren Standardmaßnahme gleichzeitig als unverhältnismäßig erweist, kann die Sperrung der nicht geregelten, im Einzelfall jedoch eventuell einzig verhältnismäßigen und effektiven Maßnahme durch die mildere Standardbefugnis nicht hingenommen werden. Sinnvoller erscheint es, das Spannungsverhältnis zwischen effektiver Gefahrenabwehr und einem angemessenem Grundrechtsschutz durch die Annahme der Sperrwirkung geregelter Standardermächtigungen in der Weise aufzulösen, dass ein Rückgriff auf die Generalklausel zur Rechtfertigung der nicht normierten Maßnahme ermöglicht wird, obwohl eine mildere Spezialermächtigung existiert und weil eine noch intensivere verwandte Maßnahme typisiert wurde. Die Regel des abschließenden Charakters milderer Standardermächtigungen gilt damit nicht absolut.323 Um einem Unterlaufen der Wertungen des Gesetzgebers, wie sie beispielsweise in den §§ 36 ff. PolG verankert sind, vorzubeugen und ein hohes Grundrechtsschutzniveau garantieren zu können, sollen zur Vornahme der Maßnahme jedoch wiederum die Tatbestandsvoraussetzungen der intensiveren Standardermächtigung erfüllt sein müssen. In Bezug auf die erste und dritte Konstellation, im Rahmen derer, wie dargelegt, die Vermutung der Sperrwirkung widerlegt werden kann, ist allerdings bereits an dieser Stelle einzuwenden, dass die Ermöglichung der 321  So auch Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 536; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 458. 322  So Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 548. 323  Potenzial für eine Ausnahme von dieser Regel sieht auch Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 538.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Minus- bzw. Minus- und gleichzeitig Maiusmaßnahmen in Anbetracht verfassungsrechtlicher Direktiven wie dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot sowie gegebenenfalls der Wesentlichkeitslehre eventuell nur für einen Übergangszeitraum erfolgen kann, worauf an späterer Stelle genauer einzugehen sein wird. Gleichzeitig lässt sich in diesem Zusammenhang ein Unterschied der Sperrwirkung milderer Standardermächtigungen in Bezug auf typische und atypische, d. h. neuartige, seltene oder unvorhersehbare gleichgerichtete Maßnahmen konstatieren, da die verfassungsrechtlichen Maßgaben, welche den ausnahmsweise möglichen Rückgriff auf die Generalklausel wiederum zeitlich beschränken und die Normierung einer eigenen Standard­ ermächtigung erforderlich machen könnten, logisch zwingend nur für typische Maßnahmen gelten können.324 (bb) M  aßnahmen als Reaktion auf eine atypische Gefahrensituation mit und ohne quantitative Abweichung Eine Widerlegung der Vermutung der Sperrwirkung könnte darüber hinaus in Betracht kommen, wenn eine angestrebte Maßnahme im Hinblick auf ihre Rechtsfolge als gleichgerichtet zu einer Standardermächtigung anzusehen ist, aber auf einen anderen als den typisierten Sachverhalt reagiert (Konstellation 4). In der Literatur finden sich Stimmen, die zur Durchführung einer Maßnahme, die aufgrund ihrer Rechtsfolge in den Regelungsbereich einer Standardermächtigung fällt und somit gesperrt ist, einen Rückgriff auf die Generalklausel erlauben wollen, sofern eine atypische Gefahrensituation vorliegt.325 Anders gesagt, eine speziell geregelte Maßnahme oder aber eine strukturell vergleichbare, lediglich quantitativ abweichende Maßnahme soll zur Gewährleistung einer effektiven Gefahrenabwehr zur Bekämpfung einer untypischen Gefahr ergriffen werden können, obwohl die besonderen Voraussetzungen der einschlägigen Standardmaßnahme nicht erfüllt sind. Diese Ansicht stellt sich als grober Verstoß gegen das Spezialitätsprinzip dar und ist schlicht abzulehnen.326 Auf die Typik einer Gefahrensituation kommt es damit bei der Frage der möglichen Widerlegung der vermuteten Sperrwirkung und der Bestimmung des abschließenden Charakters der Standardermächtigung nicht an. 324  Vgl.

zu etwaigen verfassungsrechtlichen Einflüssen Kap. 3, B. I. 2. b). Krane, Verhältnis (Fn. 283), S. 430 f.; T. Finger, Betretungs- und Aufenthaltsverbote im Recht der Gefahrenabwehr, in: Die Polizei 2005, S. 82 (83). Im Ergebnis wohl ebenfalls so zu verstehen Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 524 ff. 326  Ebenso Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 444. 325  So



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Das Vorliegen einer atypischen Gefahrensituation kann nach überwiegender Meinung lediglich das grundsätzliche Spezialitätsverhältnis zwischen sondergesetzlichen Ermächtigungen und allgemein-gefahrenabwehrrechtlichen Befugnissen durchbrechen. Demzufolge ist der Rückgriff auf polizeiliche Standardermächtigungen oder die Generalklausel erlaubt, wenn zwar ein Sachverhalt vorliegt, der grundsätzlich sondergesetzlich reglementiert ist, die Gefahr aber nicht aus einem Umstand erwächst, auf den die sondergesetzliche Regelung im Kern gerichtet ist, d. h. eine bereichstypische Gefahr abgewehrt werden soll.327 So zeigt das gängige Beispiel einer Versammlung, die in einem brennenden Haus stattfindet, dass eine an die Versammlungsteilnehmer gerichtete Platzverweisung, welche faktisch der Auflösung der Versammlung gleichkommt, zur Abwehr einer versammlungsuntypischen Gefahr auf Grundlage des § 34 Abs. 1 PolG ergehen kann, obwohl die Versammlung grundsätzlich im VersammlG gefahrenabwehrrechtlich speziell geregelt ist.328 (d) Zwischenfazit Damit bleibt festzuhalten, dass im Hinblick auf eine fragliche Maßnahme eine existierende Standardbefugnis die Vermutung der Sperrung des Rückgriffs auf die Generalklausel auslöst, sofern beide Maßnahmen auf Sachverhalts- und / oder Rechtsfolgenebene strukturell vergleichbar sind. Die Vermutung der Sperrwirkung kann in dem in dieser Arbeit hauptsächlich betroffenen Bereich der allgemein-polizeirechtlichen Befugnisnormen nur widerlegt werden, wenn die fragliche Maßnahme in Bezug auf ihre Rechtsfolge als Minusmaßnahme im Verhältnis zu irgendeiner normierten Standardermächtigung qualifiziert werden kann. Dies gilt auch dann, wenn eine noch mildere Standardmaßnahme normiert ist. Zu bemerken bleibt ferner, dass zur Beantwortung der vorgelagerten Frage, ob hinsichtlich einer Maßnahme die Vermutung der Sperrwirkung einer Spezialbefugnis besteht, sowohl die Sachverhalts- als auch die Rechtsfolgen­ ebene der zu vergleichenden Maßnahmen in den Blick zu nehmen ist. Demgegenüber darf zur Ermittlung einer eventuellen Widerlegung der Sperrwirkungsvermutung allein auf die Rechtsfolgenseite abgestellt werden.

327  Zur Spezialität sondergesetzlicher Regelungen in Bezug auf spezifische Gefahrenlagen Schoch, Grundfälle (Fn. 277), S. 480 f. 328  Vgl. Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 524.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

(2) Anwendung der theoretischen Ergebnisse auf die fraglichen, eventuell auf die Generalklausel zu stützenden Maßnahmen Nach der Klärung der theoretischen Aspekte zum Verhältnis von Standardmaßnahmen und polizeilicher Generalklausel sollen die gewonnenen Erkenntnisse nun auf die in dieser Arbeit relevanten, gegebenenfalls auf die Generalklausel zu stützenden Maßnahmen angewendet werden. (a) Zur Gefährderansprache Eine gleichgerichtete, eventuell Sperrwirkung entfaltende Standardermächtigung ist im Hinblick auf die Gefährderansprache nicht ersichtlich.329 Das Erfordernis einer besonderen Normierung könnte sich hier nur aus verfassungsrechtlichen oder aber aus rechtspolitischen Gesichtspunkten ergeben, da in der eventuellen Ermangelung einer konkreten Gefahr in typischen Anwendungsfällen eine Vorverlagerung der Eingriffsschwelle, d. h. die Schaffung einer Spezialbefugnis im Bereich der Gefahrenvorbeugung notwendig sein könnte. Beide Aspekte werden an späterer Stelle erörtert.330 (b) Zur Meldeauflage (aa) D  as Verhältnis zu allgemein-polizeirechtlichen Standardermächtigungen Gleichgerichtete, sperrende, allgemein-polizeiliche Standardermächtigungen in Bezug auf die Meldeauflage könnten zum einen in der Regelung der Vorladung (§ 10 PolG), zum anderen in den Verweisungsmaßnahmen sowie der Ingewahrsamnahme (§§ 34 ff. PolG) ersichtlich sein. Die Meldeauflage fällt insofern in den Regelungsbereich der Vorladung, als sie dieselbe Rechtsfolge setzt.331 Der Betroffene wird durch beide Maßnahmen verpflichtet, auf einer Polizeidienststelle zu erscheinen, sodass der 329  Auch in Bezug auf die Befragung gem. § 9 Abs. 1 S. 1 PolG ist eine Gleichgerichtetheit beider Maßnahmen, welche eine Sperrwirkung erst vermuten lässt, auf Sachverhalts- und Rechtsfolgenebene nicht erkennbar, vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 2. a) bb). 330  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, B. I. 2. b) bb) (1) sowie II. 2. b) bb) (3) (b). 331  Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 206; Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 159; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 773. Nicht überzeugen kann in dieser Hinsicht eine Unterscheidung anhand der Häufigkeit der Verpflichtung zur Meldung. So hingegen Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 472,



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen141

Rückgriff auf die Generalklausel grundsätzlich durch die Standardbefugnis der Vorladung gesperrt ist. In den Bereich der Gefahrenvorbeugung fallend, stellt die Regelung der Vorladung jedoch geringere tatbestandliche Anforderungen an deren Durchführung als es die Generalklausel an eine eventuelle Meldeauflage täte.332 Damit birgt ein Rückgriff auf die Generalklausel keine Gefahr in der Hinsicht, dass etwaige, mit den tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen getroffene Wertungen des Gesetzgebers unterlaufen werden könnten. Allerdings hat der Gesetzgeber mit § 10 Abs. 1 PolG auch die Zweckrichtung der Standardmaßnahme reglementiert. Demnach kann eine Vorladung nur zur Informationsgewinnung oder zur Durchführung erkennungsdienst­ licher Maßnahmen ergehen. Sofern der Gesetzgeber damit zum Ausdruck bringen wollte, dass eine Erscheinungspflicht nur zu den vorgesehenen Zwecken auferlegt werden kann, würde diese Wertung durch einen Rückgriff auf die Generalklausel missachtet. Hält man sich jedoch vor Augen, dass die in den Bereich der Gefahrenvorbeugung fallende Standardmaßnahme der Vorladung die tatbestandlichen Voraussetzungen der Generalklausel herabsetzt, ja nicht einmal die Notwendigkeit einer konkreten Gefahr besteht, kann das gesetzgeberische Ziel einer Beschränkung der Zweckrichtung der Vorladung eher darin erblickt werden, dass die Maßnahme unter diesen erleichterten Bedingung nicht ausufern sollte, als in einer dahingehenden Wertung, dass eine u. U. völlig anderen Zwecken dienende Erscheinungspflicht bei Vorliegen der engeren Tatbestandsmerkmale der Generalklausel nicht ergehen können sollte. Damit lässt sich der Standardermächtigung nicht die Wertung entnehmen, sie solle im Hinblick auf ihre Rechtsfolge eine abschließende Regelung darstellen.333 Der Rückgriff auf die Generalklausel zum Erlass einer Meldeauflage ist somit nicht durch die Standardermächtigung der Vorladung gesperrt.334 Ebenso kann die Meldeauflage im Verhältnis zu den Verweisungsmaßnahmen und zur Ingewahrsamnahme (insbesondere in den Varianten des § 35 der die Einschlägigkeit der Regelung der Vorladung bei länger andauernden Meldepflichten verneint. 332  Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorladung J. Vahle, in: Tegtmeyer / ders., PolG NRW (Fn. 87), § 10 Rn. 4 ff. 333  Ähnlich Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 205 f. 334  So auch OVG Bremen, NordÖR 2009, 42 (46); Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 134; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 206; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 337 f. A. A. Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 472; ders., Meldeauflage (Fn. 90), S. 712 f., der allerdings zwischen einmaligen und mehrmaligen Meldepflichten differenziert und nur bei ersteren von einer Sperrung ausgeht. Weiter Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 159; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 773.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Abs. 1 Nr. 2 bis 4 PolG) als gleichgerichtet eingeordnet werden.335 Sie alle reagieren zunächst auf denselben Gefahrensachverhalt – eine Gefahrschaffung durch die Anwesenheit einer Person an einem bestimmten Ort – und verfolgen somit den gleichen Zweck, namentlich die betroffene Person von diesem Ort fernzuhalten.336 Ferner weisen die Meldeauflage und die Verweisungsmaßnahmen weitgehend die gleiche Grundrechtsbetroffenheit, Meldeauflage und Ingewahrsamnahme mit der Freizügigkeit einerseits, dem Recht der Freiheit der Person andererseits wenigstens verwandte grundrechtliche Bezüge auf. Schließlich stehen beide Grundrechte im hiesigen Anwendungsfall in einem Spezialitätsverhältnis.337 Darüber hinaus kann zumindest zwischen der Ingewahrsamnahme und der Meldeauflage eine strukturelle Vergleichbarkeit auch auf der Rechtsfolgenebene festgestellt werden.338 Die durch die Meldeauflage auferlegte Pflicht, sich zu einer Dienststelle hinzubewegen und dort für kurze Zeit zu verweilen, ist faktisch von der Ingewahrsamnahme als zwanghaftes Verbringen zur und Festhalten auf der Polizeidienststelle des Betroffenen umfasst. Als zu mehreren Standardermächtigungen gleichgerichtete Maßnahme ist der Rückgriff auf die Generalklausel zum Erlass einer Meldeauflage damit grundsätzlich gesperrt.339 Im Hinblick auf die Intensität ihres Grundrechtseingriffs wird die Meldeauflage zwischen den milderen Verweisungsmaßnahmen340 und der inten335  Zur Gleichgerichtetheit in Bezug auf die Verweisungsmaßnahmen Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 537 f.; Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 206 f.; ders., Sicherheit (Fn. 81), S. 135; Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 159; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 339. In Bezug auf die Ingewahrsamnahme ebenso wohl Brenneisen, Versammlungsfreiheit (Fn. 114), S. 485, sowie Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 538. A. A. Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 342. 336  Vgl. zur Vergleichbarkeit von Platzverweisung und Aufenthaltsverbot Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (2) (d). 337  Vgl. Kap. 3, A. I. 2. c) aa). 338  In der Literatur wird überwiegend die Ansicht vertreten, es handele sich auch bei den Verweisungsmaßnahmen und der Meldeauflage um vergleichbare Rechtsfolgen, so z. B. Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135. Dieses Ergebnis kann über die Indizwirkung gleicher grundrechtlicher Bezüge erreicht werden. Anders hingegen Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 339. Im Rahmen des hiesigen Ansatzes schlägt sich die Vergleichbarkeit oder Identität der grundrechtlichen Bezüge zweier Maßnahmen bereits in der Vergleichbarkeit der anlassgebenden Gefahrensituationen nieder, welche letztlich über die Zweckrichtung der Maßnahmen und ihre Wirkung beim Betroffenen zur Gleichgerichtetheit beider Maßnahmen und zur grundsätzlichen Sperrung der einen durch die andere gelangt. 339  So auch Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 538; Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 159. 340  Brenneisen, Versammlungsfreiheit (Fn. 114), S. 485; Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 538; Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 341.



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siveren Ingewahrsamnahme341 anzusiedeln sein. Der Ingewahrsamnahme immanent, ergibt sich im Hinblick auf die Meldeauflage die unter Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (1) (c) (aa) behandelte Konstellation einer gleichzeitigen Minus- und Maiusmaßnahme (Szenario 3). Die Meldeauflage kann somit nach den obigen Ergebnissen ausnahmsweise auf die Generalklausel gestützt werden, solange die strengeren Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 PolG erfüllt sind.342 (bb) D  as Verhältnis zu Pass- und Personalausweisbeschränkungen Problematisch erweisen sich Meldeauflagen trotz dieses Ergebnisses jedoch im Zusammenspiel mit Pass- oder Personalausweisbeschränkungen gem. §§ 8 i. V. m. 7 Abs. 1 Nr. 1 3. Fall, 2 PassG bzw. § 6 Abs. 7 PAuswG.343 Sofern Meldeauflagen Ausreisebeschränkungen flankieren, kann man nicht umhin kommen, in der Meldeauflage ein Mittel der Sicherstellung und Kontrolle der Befolgung der Ausreisebeschränkung und damit des Vollzugs selbiger zu sehen.344 Das Ziel der Meldeauflage, die Begehung von Straftaten durch Fußballfans im Ausland zu verhindern, ist ebenfalls Grundlage der Pass- bzw. Personalausweisbeschränkung, welches lediglich unter das Tatbestandsmerkmal der „Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland“ (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 3. Fall PassG) gefasst wird. Somit verfolgt die Meldeauflage darüber hinaus allein die Sicherstellung der Einhaltung der Ausreisebeschränkung. Selbst wenn man mit der überwiegenden Meinung von einem grundsätzlichen Nebeneinander der bundesrechtlichen 341  Auch im Rahmen der StPO wird die Meldeauflage gem. § 116 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO gegenüber der Ingewahrsamnahme als Minusmaßnahme eingeordnet, vgl. Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 342, der jedoch selbst das Bestehen einer Normenkonkurrenz verneint. 342  Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Brenneisen, Versammlungsfreiheit (Fn. 114), S. 485, der allerdings die Ingewahrsamnahme als Rechtsgrundlage heranzieht. Zustimmend Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 538. Nach BVerwGE 129, 142 (148 ff., Rn. 34 ff.) kann die Meldeauflage unproblematisch auf die bloße Generalermächtigung gestützt werden. Ebenso VGH Mannheim, NJW 2000, 3658 (3669); OVG Lüneburg, NordÖR 2006, 309 f.; VG Braunschweig, Beschluss v. 8.6.2006 – 5 B 173 / 06, BeckRS 2006, 24209. Zur Unzulässigkeit der Meldeauflage kommen Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 146; Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 159, sowie Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 342. 343  Dazu Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 143 ff., 208 ff. 344  So auch Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 209; ders., Präventivmaßnahmen gegen reisende Hooligans, in: NJW 2004, S. 1631 (1632); Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 314; ders., Meldeauflage (Fn. 90), S. 710 f.; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 769. A. A. BVerwGE 129, 142 (146, Rn. 29).

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Regelungen und dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht ausgeht345, stehen einem Rückgriff auf die Generalklausel zur Verfolgung dieses Zwecks damit abschließende, sondergesetzliche Regelungen entgegen, welche auf Grundlage der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Passwesen (Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG) ergangen sind (vgl. z. B. § 10 PassG, der den Erlass einer vollstreckbaren Ausreiseuntersagung ermög­ licht346).347 Ausreisebeschränkungen flankierende Meldeauflagen verfügen damit über keine ausreichende Rechtsgrundlage. (c) Zum Verbringungsgewahrsam Der Verbringungsgewahrsam kann sowohl im Hinblick auf seine Rechtsfolge als auch auf die anlassgebende Gefahrensituation und die Zweckrichtung als mit der Ingewahrsamnahme gem. § 35 PolG strukturell vergleichbar und damit grundsätzlich gesperrt angesehen werden.348 Beide Maßnahmen dienen der Abwehr einer Gefahr, welche durch die Anwesenheit einer Person an einem bestimmten Ort geschaffen wird349, und umfassen zunächst das für die Ingewahrsamnahme prägende Festhalten an einem eng umgrenzten Ort, auch wenn dieses im Rahmen des Verbringungsgewahrsams nur 345  So BVerwGE 129, 142 (146, Rn. 29); VGH Mannheim, NJW 2000, 3658 (3660); H.  Drumm, Passbeschränkungen und Meldeauflagen gegenüber Hooligans, in: DVP 2002, S. 466 (471); Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 211; ders., Präventivmaßnahmen (Fn. 344), S. 1632; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 337. 346  Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 193 f. 347  So auch Schucht, Generalklausel (Fn.  90), S. 312  ff.; ders., Meldeauflage (Fn. 90), S. 710 f.; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 768 f., sowie grundsätzlich Breucker, Gewaltprävention (Fn. 123), S. 209 ff., der allerdings die Möglichkeit einräumt, dass mit der Meldeauflage auch weitere Zwecke, die nicht vom Gegenstand des Passwesens i. S. v. Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG erfasst sind, verfolgt werden können, und die Meldeauflage damit zulässig wäre. Es ist jedoch noch einmal darauf hinzuweisen, dass die mit Meldeauflagen zu unterbindenden Straftaten zwar nicht von § 7 Abs. 1 Nr. 2 bis 9 PassG, jedoch von Nr. 1 3. Fall erfasst sind. Meldeauflagen gegenüber Fußballfans dienen damit keinen Zwecken, die außerhalb des Regelungsbereichs des PassG liegen. A. A. BVerwGE 129, 142 (146, Rn. 29); VGH Mannheim, NJW 2000, 3658 (3660); Drumm, Passbeschränkungen (Fn. 345), S. 471; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 336 f. 348  So auch LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 (539); Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 525; Hasse / Mordas, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 132. A. A. Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 558. 349  Damit existieren mit den Verweisungsmaßnahmen aufgrund des vergleichbaren Gefahrensachverhalts weitere gleichgerichtete Maßnahmen, vgl. Kappeler, Verbringungsgewahrsam (Fn. 232), S. 228. Ihre Normierung wirkt sich aufgrund der intensiveren, ebenfalls gleichgerichteten Standardmaßnahme der Ingewahrsamnahme nach der hier vertretenen Ansicht jedoch nicht aus.



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einen Nebenzweck darstellt350. Darüber hinaus kennzeichnet den Verbringungsgewahrsam das Verbringen des Betroffenen an einen weiter entfernt gelegenen Ort, während die Ingewahrsamnahme zumindest einen kurzzeitigen Transport zur Polizeidienststelle kennt.351 Damit entfaltet die spezielle Normierung der Ingewahrsamnahme grundsätzlich Sperrwirkung gegenüber der Generalklausel im Hinblick auf den Verbringungsgewahrsam. Umstritten ist, ob der Verbringungsgewahrsam als Minusmaßnahme gegenüber der Ingewahrsamnahme eingestuft werden kann, sodass unter den tatbestandlichen Voraussetzungen der Standardmaßnahme ein Rückgriff auf die Generalklausel trotz struktureller Vergleichbarkeit erfolgen könnte.352 Für eine solche Einschätzung könnte das durch den Verbringungsgewahrsam nach teilweise vertretener Ansicht lediglich vorgenommene kurzzeitige freiheitsbeschränkende Festhalten gegenüber der freiheitsentziehenden Wirkung der Ingewahrsamnahme i. S. d. Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG angeführt werden. Die Qualifizierung als bloße Freiheitsbeschränkung i. e. S. ist jedoch nicht unumstritten.353 Ferner geht zwar die Dauer der Beeinträchtigung der Freiheit der Person durch die Ingewahrsamnahme regelmäßig über die des Verbringungsgewahrsams hinaus, allerdings unterscheidet sich die grundrechtsbeschränkende Wirkung beider Maßnahmen als solche in zeitlicher Hinsicht nicht maßgeblich, da der Verbringungsgewahrsam auch nach dem Absetzen noch in freizügigkeitsbeschränkender Weise fortwirkt.354 Darüber hinaus kann das Zurücklegen des Weges bis zum Ausgangsort dem Betroffenen – wie zum Teil auch bezweckt – Schwierigkeiten bereiten, sodass nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden kann, dass der Verbringungsgewahrsam tatsächlich einen milderen Grundrechtseingriff als die Ingewahrsamnahme darstellt.355 Aber selbst wenn man, in Anbetracht der nicht unerheblichen Argumente, die die Befürworter des Verbringungsgewahrsams zur Begründung der geringeren Eingriffsintensität im Vergleich zur Ingewahrsamnahme vorbrin350  Finger,

„Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 426 f. Verbringungsgewahrsam (Fn. 232), S. 233 f.; Gusy, Polizeibefugnisse (Fn. 169), S. 8. 352  Den Charakter der Minusmaßnahme bejahen T. Köbschall, Der Verbringungsgewahrsam aus rechtlicher Sicht, in: Die Polizei 1997, S. 263 (267); Leggereit, Verbringungsgewahrsam (Fn. 243), S. 264 f., sowie Hasse / Mordas, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 132. A. A. Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 536 f.; Gusy, Polizeibefugnisse (Fn. 169), S. 8; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn.  229), S.  428; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 385 ff. 353  Vgl. Fn. 235. 354  Vgl. LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 (539) sowie Kap. 3, A. II. 2. c) aa). 355  Ähnlich Butzer, Flucht (Fn.  145), S.  536  f., sowie Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 385 ff. 351  Kappeler,

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gen356, zu der Einschätzung kommen sollte, dass mit dem Verbringungsgewahrsam zumindest im Einzelfall ein milderer Grundrechtseingriff einher gehen kann, kann dieser nicht als Minusmaßnahme gewertet werden. Um die Vermutung der Sperrwirkung einer Standardmaßnahme über die Figur der Minusmaßnahme zu widerlegen, muss die mildere Maßnahme der intensiveren Standardermächtigung immanent sein. Könnte eine Maßnahme mit dem bloßen Hinweis ergehen, sie sei milder als eine gleichgerichtete Standardmaßnahme, wenn auch nicht gänzlich von dieser umfasst, würde, wie Gusy und Finger richtigerweise betonen, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Ermächtigungsfunktion zugeschrieben, die diesem aus grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht zukommen kann.357 Der Verbringungsgewahrsam, mag er im Einzelfall auch die mildere Maßnahme darstellen, geht insofern über die Ingewahrsamnahme hinaus, als er regelmäßig ein Verbringen in einer Qualität vorsieht, zu dem die Ingewahrsamnahme nicht ermächtigt, ist dieser also nicht immanent.358 Somit kann der Verbringungsgewahrsam im Verhältnis zur Ingewahrsamnahme nicht als Minusmaßnahme charakterisiert und auf die Generalklausel gestützt werden.359 (d) Zum Aufenthaltsverbot In Bayern stellt sich in Ermangelung einer Standardermächtigung für das Aufenthaltsverbot ebenfalls die Frage nach der Anwendbarkeit der Generalklausel.360 Einer solchen könnte die Standardmaßnahme der Platzverweisung Hasse / Mordas, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 132. Polizeibefugnisse (Fn. 169), S. 8, sowie im Anschluss Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 428. 358  Teilweise wird der Verbringungsgewahrsam in der Konsequenz als AliudMaßnahme oder Aliud-Rechtsfolge zur Ingewahrsamnahme beschrieben, vgl. Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 525; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 428. Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, dass die Gleichgerichtetheit beider Maßnahmen und damit die Sperrwirkung der Ingewahrsamnahme bestritten wird. So hingegen Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 558. 359  So auch LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 (539 f.); VG Bremen, NVwZ 1986, 862 (864); Maaß, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 156 f.; Kappeler, Verbringungsgewahrsam (Fn. 232), S. 233 f.; Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 537; Gusy, Polizeibefugnisse (Fn. 169), S. 8; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn.  229), S.  428. A. A. Stoermer, Gewahrsam (Fn. 205), S. 131; Leggereit, Verbringungsgewahrsam (Fn. 243), S. 264 f.; Hasse / Mordas, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 132; Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 559; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 4, die den Verbringungsgewahrsam schlicht als Ingewahrsamnahme ansehen. 360  Auch wenn sich diese Arbeit primär auf die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen bezieht, können die Probleme des Verhältnisses von polizeilicher Generalklausel 356  Eingehend 357  Gusy,



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gem. Art. 16 BayPAG entgegenstehen. Es ist umstritten, ob Platzverweisung und Aufenthaltsverbot gleichgerichtete Maßnahmen darstellen. Eine strukturelle Vergleichbarkeit im Hinblick auf die zugrundeliegende Gefahrensituation wird teils mit der Begründung verneint, das Aufenthaltsverbot ziele, anders als der Platzverweis, auf die Beseitigung einer Dauergefahr.361 Diese Auffassung beruht jedoch auf einer Vermischung der Tatbestands- und Rechtsfolgenebene des Platzverweises. Art. 16 BayPAG ermächtigt zur vorübergehenden Verweisung oder zum vorrübergehenden Betretungsverbot „zur Abwehr einer Gefahr“, hingegen nicht zur Abwehr einer vorübergehenden Gefahr. Die vorgesehene Kurzfristigkeit des Platzverweises stellt damit lediglich eine Beschränkung auf der Rechtsfolgenebene dar.362 Die anlassgebende Gefahrensituation beider Maßnahmen besteht hingegen in der Anwesenheit einer bestimmten Person an einem bestimmten Ort, sodass eine strukturelle Vergleichbarkeit auf der Sachverhaltsebene vorliegt.363 Darüber hinaus lässt sich eine solche Vergleichbarkeit auch auf der Rechtsfolgenseite feststellen. Das Aufenthaltsverbot untersagt dem Betroffenen ebenso wie das Betretungsverbot nach Art. 16 S. 1 2. Fall BayPAG das Aufsuchen eines gefahrträchtigen Ortes, allerdings über einen über das Maß der Platzverweisung hinausgehenden Zeitraum hinweg.364 Als gleichgerichtete Standardmaßnahme entfaltet die Platzverweisung damit grundsätzlich Sperrwirkung gegenüber der Generalklausel. Aufgrund der höheren Eingriffsintensität des Aufenthaltsverbotes stellt dieses eine Maiusmaßnahme gegenüber der Platzverweisung dar, sodass die Vermutung der Sperrwirkung nicht widerlegt werden kann.365 Die nach dem bisher Gesagten auf den ersten Blick in Betracht kommende Heranziehung und Standardmaßnahmen anhand des Mangels einer entsprechenden Spezialnorm in Bayern sehr gut veranschaulicht werden. 361  So das OVG Bremen, NVwZ 99, 314 (315). Ähnlich Latzel / Lustina, Aufenthaltsverbote (Fn. 129), S. 135; Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 49 f. 362  So auch Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 526. 363  Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 525. 364  Cremer, Aufenthaltsverbote (Fn. 126), S. 1220; Bösch, Verweisungsmaßnahmen (Fn. 102), S. 655 f. 365  Zum selben Ergebnis kommen der VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400 ff.; das VG Frankfurt, NVwZ-RR 2002, 575 f.; W. Hecker, Aufenthaltsverbote im Recht der Gefahrenabwehr, in: NVwZ 1999, S.  261 (262); Cremer, Aufenthaltsverbote (Fn. 126), S. 1220; Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 537; Finger, Aufenthaltsverbote (Fn. 325), S. 83; Bösch, Verweisungsmaßnahmen (Fn. 102), S. 656; Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 134; Gusy, POR (Fn. 296), Rn. 282. Den Rückgriff auf die Generalklausel als zulässig sehen an das OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315); der VGH München, NVwZ 2000, 454 (455); Latzel / Lustina, Aufenthaltsverbote (Fn. 129), S. 136; Deger, Platzverweise (Fn. 143), S. 91; Götz, Entwicklung (Fn. 246), S. 683; Gusy, Polizeibefugnisse (Fn. 169), S. 8; Berner / Köhler / Käß (Fn. 129), Art. 16 Rn. 5;

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der Standardmaßnahme der Ingewahrsamnahme als Plusmaßnahme gegenüber dem Aufenthaltsverbot – vergleichbar zur sich im Rahmen der Meldeauflage stellenden Konstellation366 – ist abzulehnen. Zwar liegen dem Aufenthaltsverbot und der Ingewahrsamnahme gem. Art.  17 Abs.  1 Nr. 3 BayPAG wiederum vergleichbare Gefahrensituationen zugrunde und damit grundsätzlich gleichgerichtete Maßnahmen vor. Soll eine intensivere Standardbefugnis zur Rechtfertigung einer gleichgerichteten Maßnahme herangezogen, letztere also als Minusmaßnahme zur Standardermächtigung qualifiziert werden, ist jedoch nur die Vergleichbarkeit auf der Rechtsfolgen­ ebene relevant. Die Rechtsfolge der potenziellen Minusmaßnahme muss der Maius- oder Plusmaßnahme immanent sein.367 Aufenthaltsverbot und Ingewahrsamnahme sehen mit einem gegebenenfalls mehrere Monate währenden Bereichsbetretungsverbot einerseits und einem – gem. Art. 20 S. 1 Nr. 3 BayPAG spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen andauern dürfenden – Einsperren andererseits gänzlich divergierende Rechtsfolgen vor, sodass das Aufenthaltsverbot nicht wie die Meldeauflage als Minusmaßnahme im Verhältnis zur Ingewahrsamnahme eingestuft werden kann. Die Vermutung der Sperrwirkung der Regelung des Art. 16 BayPAG kann somit nicht widerlegt werden. Der Platzverweis stellt im Hinblick auf etwaige Verweisungsmaßnahmen eine abschließende Regelung dar.368 bb) Die Sperrwirkung außerhalb des Anwendungsbereichs einer Standardermächtigung bzw. „Schweretheorie“ Stellenweise lässt sich die These lesen, bestehende Standardbefugnisse könnten einen Rückgriff auf die Generalklausel zur Rechtfertigung einer Maßnahme auch dann sperren, wenn die in Rede stehende Maßnahme außerhalb des oben umschriebenen Anwendungs- oder Regelungsbereiches der bereits normierten Standardmaßnahmen zu verorten sei.369 Diese teilweise als „Schweretheorie“370 bezeichnete Ansicht basiert auf der Annahme, der Gesetzgeber habe mit der Normierung der Standardmaßnahmen die Wertung vorgenommen, dass Maßnahmen mit vergleichbarer oder höherer Eingriffsintensität ebenfalls nur auf Grundlage einer speziellen Regelung erfolgen Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 844; Knemeyer, POR (Fn. 297), Rn. 213. Mit Einschränkungen Merten, Platzverweise (Fn. 139), S. 21. 366  Vgl. Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (2) (b) (aa). 367  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (1) (c) (aa). 368  Vgl. Fn. 365. 369  Brenneisen, Versammlungsfreiheit (Fn. 114), S. 485. 370  Darstellend C. Gusy, Anmerkung zum Urteil des VGH Baden-Württemberg v. 22.7.2004, in: JZ 2005, S. 355 (355).



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen149

könnten.371 Die Auffassung unterstellt dem Gesetzgeber damit ein planerisches Vorgehen bei der Schaffung von Standardmaßnahmen, welches sich maßgeblich an der Intensität einer Maßnahme orientiert. Richtigerweise ist das für den Gesetzgeber bei der Reglementierung von Standardmaßnahmen regelmäßig primär entscheidende Kriterium allerdings deren Typik.372 Gerade eine wenig eingriffsintensive Standardmaßnahme wie die Platzverweisung gem. § 34 Abs. 1 PolG zeigt die dogmatischen Mängel der „Schweretheorie“ auf, würde diese die Obergrenze der auf die Generalklausel stützbaren Maßnahmen im Hinblick auf ihre Eingriffsintensität doch sehr niedrig ansetzen.373 Die Frage nach der Eingriffsintensität einer Maßnahme und deren Auswirkungen auf das Erfordernis einer Standardermächtigung ist daher mit Ausnahme ihrer Bedeutung im Rahmen der gesetzessystematischen Sperrwirkung der Standardmaßnahmen innerhalb ihres Anwendungsbereichs allein als eine verfassungsrechtliche anzusehen, auf die an späterer Stelle eingegangen wird.374 cc) Zwischenfazit Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Gefährderansprache zumindest aus gesetzessystematischer Sicht unproblematisch auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden kann. Weiter kann auch hinsichtlich der Meldeauflage als Minusmaßnahme zur Ingewahrsamnahme gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 PolG ausnahmsweise ein Rückgriff auf die Generalklausel erfolgen, wobei allerdings die tatbestandlichen Voraussetzungen der eingriffsintensiveren Ingewahrsamnahme gewahrt werden müssen. Über keine ausreichende Rechtsgrundlage verfügt die Meldeauflage hingegen, wenn sie neben einer Pass- oder Personalausweisbeschränkung ergeht. Ebenfalls gesperrt ist ein Rückgriff auf die Generalklausel zur Rechtfertigung eines Verbringungsgewahrsams. Anders als teilweise vertreten, ist dieser nicht als Minusmaßnahme gegenüber der Ingewahrsamnahme anzusehen. Zuletzt kann auch ein Aufenthaltsverbot in Ansehung der Regelung des Platzverweises nicht auf die Generalklausel gestützt werden, was jedoch bei Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 724. Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 82 f.; W. Schmidbauer, in: ders. /  U. Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz und Bayerisches Polizeiorganisationsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2006, Art. 11 Rn. 3; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 844. Vgl. ferner Fn. 307. 373  Vgl. die Ausführungen zur Platzverweisung unter Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (1) (b). 374  So auch Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 45; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 448; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 844. 371  Anklingend 372  Lambiris,

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

allein in Bayern von Relevanz ist, solange eine Standardmaßnahme für das Aufenthaltsverbot dort nicht geschaffen wird. b) Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Standardermächtigung aa) Theoretische Überlegungen Neben der einfachrechtlichen gesetzessystematischen Sperrung könnte ein Rückgriff auf die Generalklausel aufgrund verfassungsrechtlicher Direktiven unzulässig sein.375 In diesem Zusammenhang werden unterschiedlichste verfassungsrechtliche Institute, namentlich der rechtsstaatliche oder grundrechtliche Vorbehalt des Gesetzes, das Gewaltenteilungsprinzip, die Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts, das rechtsstaatliche Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit, das Bestehen qualifizierter Gesetzesvorbehalte sowie das Zitiergebot genannt, um die Notwendigkeit der Normierung spezieller Eingriffsbefugnisse zu begründen.376 Aufgrund der anhaltenden Unklarheiten wird im Folgenden untersucht, ob und wie die genannten Verfassungsvorgaben ein Handeln des Gesetzgebers erfordern. (1) Das Bestimmtheitsgebot und die Wesentlichkeitsdoktrin des Bundesverfassungsgerichts Begonnen sei mit dem Bestimmtheitsgebot und der Wesentlichkeitsdoktrin des Bundesverfassungsgerichts, den wohl am häufigsten in diesem Zusammenhang genannten verfassungsrechtlichen Maßgaben. Das rechtsstaatliche Gebot der ausreichenden Bestimmtheit von Gesetzen fordert den Normgeber auf, ein Gesetz so präzise auszugestalten, dass dem Normadressaten die Möglichkeit eröffnet wird, die für ihn aus der Regelung gegebenenfalls resultierenden rechtlichen Folgen vorauszusehen und sein Handeln dementsprechend zu steuern. Gleichzeitig sollen den Normanwen375  Butzer stellt richtigerweise klar, dass die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Erfordernis derjenigen nach der gesetzessystematischen Sperrwirkung logisch vorgelagert ist, da sie, sofern zu bejahen, mangels Anwendbarkeit der Generalklausel bereits zum Wegfall der Normenkonkurrenz führt, Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 522, Anmerkung 56. In dieser Arbeit werden beide Ansätze indes weitgehend unabhängig voneinander untersucht. 376  Vgl. etwa Cremer, Aufenthaltsverbote (Fn. 126), S. 1221 f.; Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 80 f.; Krane, Verhältnis (Fn. 283), S. 430, Anmerkung Nr. 93; Wuttke, Wohnungsverweise (Fn. 129), S. 782; Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 158; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 118 ff.; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 840.



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dern in Form von Verwaltung und Justiz klare Handlungsvorgaben in Bezug auf die Ausführung der jeweiligen Norm und deren Kontrolle an die Hand gegeben werden.377 Verstanden als Ergänzung oder Intensivierung des Vorbehalts des Gesetzes, der in Reinform lediglich die Frage des „Ob“ einer gesetzlichen Grundlage betrifft378, zielt der Bestimmtheitsgrundsatz damit auf die Frage der verfassungsrechtlich gebotenen Aufgabenverteilung zwischen Rechtssetzer und Rechtsanwender, die durch ein weniger bestimmtes Gesetz ein Übergewicht auf Seiten der Exekutive erfährt.379 Folglich kann dem Bestimmtheitsgebot ein „partielles Delegationsverbot“380 entnommen werden. Dabei ist dieses nicht statisch zu verstehen. Welche Anforderungen an ein Gesetz zu stellen sind, sodass ein hinreichender Bestimmtheitsgrad erreicht ist, ist abhängig von seinem Regelungsgegenstand.381 So kann der Bestimmtheitsgrundsatz nicht etwa als grundsätzlicher Ausschluss der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe oder Generalklauseln verstanden werden.382 Auch wurde den ordnungs- und polizeirechtlichen Generalklauseln, die über die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und die Einräumung von Ermessen mit der effektiven und flexiblen Abwehr teils nicht vorausseh- und regelbarer Gefahren ein Interesse verfolgen, welches den Geboten der Rechtssicherheit und Bestimmtheit zuwiderläuft, bereits ein dem Grunde nach ausreichender Bestimmtheitsgrad bestätigt.383 Dennoch kann ein spezieller, polizeirechtlicher Regelungszusammenhang, in dessen Rahmen eine Abwägung zwischen den soeben angesprochenen gegensätzlichen Interessen ein Übergewicht der Rechtssicherheit und Bestimmtheit ergibt, einen höheren Grad an gesetzlicher Detaillierung erfordern, der zur Nichtanwendbarkeit der Generalklausel zur Rechtfertigung bestimmter Maßnahmen führt. 377  BVerfGE 31, 255 (264), 49, 168 (181); 59, 104 (114); H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 129; B.  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GGK (Fn. 48), Art. 20 VII (2006), Rn. 58. 378  BVerwGE 129, 142 (147 f., Rn. 32). 379  U. Gassner, Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz, in: DÖV 1996, S.  18 (19 ff.) m. w. N., sowie Schulze-Fielitz (Fn. 377), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 131. A. A.  M.  Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, in: JZ 1984, S. 685 (691), der dem Bestimmtheitsgebot gewaltenteilende, materielle Aspekte mit der Begründung abspricht, dass alle Gewalten diesem Folge zu leisten haben. 380  Gassner, Parlamentsvorbehalt (Fn. 379), S. 19. 381  BVerfGE 8, 274 (326); 49, 168 (181); Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S.  81 f.; Schulze-Fielitz (Fn. 377), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 129 ff.; Grzeszick (Fn. 377), Art. 20  VII  Rn. 61. 382  BVerfGE 8, 274 (326); 13, 153 (161); 80, 103 (108); Schulze-Fielitz (Fn. 377), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 133; Grzeszick (Fn. 377), Art. 20 VII Rn. 62. 383  BVerfGE 54, 143 (144 f.); BVerwGE 115, 189 (195 f.); 129, 142 (148, Rn. 33).

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Wenn auch im Einzelnen nicht gänzlich geklärt, herrscht weitgehend Einigkeit über die Richtigkeit der folgenden Kriterien, welche zur Austarierung des erforderlichen Bestimmtheitsgrades herangezogen werden: Die Regelungsfähigkeit des Gegenstandes und dessen Bedeutung im Sinne seiner Grundrechtsrelevanz.384 Somit wird dem den Vorbehalt des Gesetzes intensivierenden Bestimmtheitsgebot die verfassungsrechtliche Forderung entnommen, „daß der Gesetzgeber die entscheidenden Grundlagen des zu regelnden Rechtsbereichs, die den Freiheits- und Gleichheitsbereich des Bürgers wesentlich betreffen, selbst festlegt und dies nicht dem Handeln der Verwaltung überläßt.“385 Die aus dem Vorbehalt des Gesetzes abgeleitete Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts fordert in vergleichbarer Weise, dass der parlamentarische Gesetzgeber „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“386 hat, und bringt folglich eine Ausdehnung des Parlamentsvorbehalts und ebenso wie der Bestimmtheitsgrundsatz ein „partielles Delegationsverbot“ des parlamentarischen Gesetzgebers mit sich.387 Wann genau dabei eine „wesentliche Entscheidung“ vorliegen soll, ist nicht abschließend geklärt. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass zumindest grundrechtsrelevante Themen vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu regeln sind.388 Neben der Frage des „Ob“ einer parlamentsgesetzlichen Regelung bezieht sich die Wesentlichkeitsrechtsprechung auch auf die des „Wie“, d. h. die notwendige Regelungsdichte.389 Indem die Wesentlichkeitsdoktrin aber ebenso wie das Bestimmtheitsgebot zunächst an die grundsätzliche Regelbarkeit und sodann an die Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme anknüpft, um zu bestimmen, welche Anforderungen an die Regelung dieser Maßnahme zu stellen sind, trifft sie in Bezug auf polizeirechtliche Eingriffsbefugnisse keine über das Bestimmtheitsgebot hinausgehenden Aussagen.390 384  BVerfGE 48, 210 (221 f.); 49, 89 (126 f.); 56, 1 (12 f.); 59, 104 (114); Schulze-Fielitz (Fn. 377), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 135; Grzeszick (Fn. 377), Art. 20 VII, Rn. 60. 385  BVerfGE 56, 1 (13). 386  BVerfGE 49, 89 (126); 61, 260 (275). 387  Kritisch Kloepfer, Vorbehalt (Fn. 379), S. 690 ff., sowie Gassner, Parlamentsvorbehalt (Fn. 379), S. 19. 388  Schulze-Fielitz (Fn. 377), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 113; B.  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GGK (Fn. 48), Art. 20 VI (2007), Rn. 107. 389  BVerfGE 49, 89 (126 f.); 58, 257 (268 ff.); 83, 130 (152). Kritisch demgegenüber Kloepfer, Vorbehalt (Fn. 379), S. 691, der anmerkt, dass dem Vorbehalt des Gesetzes inhaltliche Bindungen des parlamentarischen Gesetzgebers nach traditionellem Verständnis nicht zu entnehmen sind.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen153

Nach dem bisher Gesagten gilt somit zur Bestimmung der erforderlichen Regelungsdichte einer in Rede stehenden polizeilichen Maßnahme und damit zur Absteckung der Anwendungsgrenzen der polizeilichen Generalklausel der Grundsatz: Je berechenbarer, d. h. regelbarer, und je belastender die Maßnahme, desto höher die erforderliche Regelungsdichte.391 390

In Rechtsprechung und Literatur finden sich mit Typik und / oder Eingriffsintensität einer potenziell auf die polizeiliche Generalklausel zu stützenden Maßnahme zwei Kriterien, welche bei der Entscheidung über das verfassungsrechtliche Erfordernis einer Standardbefugnis nach Maßgabe des Bestimmtheitsgebotes sowie gegebenenfalls zusätzlich der Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts392 immer wieder herangezogen werden. Beide Kriterien finden sich in dem oben genannten Grundsatz wieder. Klärungsbedürftig bleibt jedoch ihre genaue Anwendung.393

390  So selbst anklingend in BVerfGE 79, 174 (195  f.). Ausdrücklich Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 518), S. 81; Schucht, Generalklausel (Fn. 335), S. 454 f. Die Wesentlichkeitstheorie schlägt sich damit primär in Bereichen nieder, die außerhalb der traditionellen Eingriffsverwaltung liegen und bisher nicht vom am klassischen Begriff des Eingriffs in Freiheit und Eigentum orientierten Vorbehalt des Gesetzes erfasst sind, vgl. Gassner, Parlamentsvorbehalt (Fn. 624), S. 22. Zum immer noch weitgehend ungeklärten Verhältnis von Bestimmtheitsgrundsatz und Wesentlichkeitslehre statt vieler Gassner, Parlamentsvorbehalt (Fn. 624), S. 18 ff. Zu einem abweichenden Ergebnis kommen Butzer, Flucht (Fn. 390), S. 523; Wuttke, Wohnungsverweise (Fn. 374), S. 782, sowie Krahm, Maßnahmen (Fn. 257), S. 118 ff., die allein auf die Wesentlichkeitstheorie abstellen. 391  So auch Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 82. Ob dieser nun allein aus dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot oder zusätzlich aus der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt, bleibt zu klären. 392  Gassner, Parlamentsvorbehalt (Fn. 379), S. 23 ff. spricht sich in Bezug auf das dargestellte Konkurrenzverhältnis beider Rechtsinstitute im hiesigen Anwendungsbereich mit überzeugenden Argumenten gegen die zusätzliche Anwendbarkeit der Wesentlichkeitslehre aus. 393  Bezüglich der Anwendung beider Kriterien zeigt sich ein uneinheitliches Meinungsbild. Maßgeblich auf die Typik einer Maßnahme stellen Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 523; Schmidbauer (Fn. 372), Art. 11 Rn. 3, sowie Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 158 ab. Die Intensität sehen als ausschlaggebend an wohl das BVerwG, E 129, 142 (149  f., Rn. 36), sowie Brenneisen, Versammlungsfreiheit (Fn. 114), S. 485. Eine Kombinationslösung, nach der ein Rückgriff auf die Generalklausel nur bei einer intensiven und typischen Maßnahme entfällt, vertreten scheinbar der VGH Mannheim, NJW 2005, 88 (89); Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 82 ff.; Wuttke, Wohnungsverweise (Fn. 129), S. 782; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 454; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 844 f.; Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 49; Schoch (Fn. 143), 2. Kap, Rn. 99, sowie Siegel, Hooligans (Fn. 110), S. 1028.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

(a) Das Kriterium der Eingriffsintensität einer Maßnahme Nach den bisherigen Ergebnissen kann zunächst festgehalten werden, dass das Kriterium der Eingriffsintensität grundsätzlich Auswirkungen auf die erforderliche Regelungsdichte einer Befugnisnorm hat. Dabei ist längst nicht abschließend geklärt, wo die Intensitätsschwelle zu verorten ist, deren Überschreiten eine spezielle Regelung erforderlich macht, bzw. welche Anforderungen sodann an deren Präzisionsgrad zu stellen sind. Zwar finden sich zahlreiche Klärungsversuche hinsichtlich dieser Frage, diese verlassen jedoch nicht das einzelgrundrechtsbezogene Stadium.394 So werden auf die Generalklausel gestützte Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit und die Eigentumsfreiheit überwiegend als zulässig angesehen, Eingriffe in das Recht auf Leben, die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit, die Freizügigkeit sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung seien hingegen regelmäßig so intensiv, dass sie einer präziser ausgestalteten Grundlage bedürften.395 Bei der Bestimmung der fraglichen Intensitätsschwelle sollte allerdings nicht pauschal auf den vermeintlichen Rang des beschränkten Grundrechts abgestellt, sondern vielmehr das zugrundeliegende Bestimmtheitsgebot (sowie eventuell die Wesentlichkeitslehre) in den Blick genommen werden. So ist die in Rede stehende Intensitätsschwelle in Parallele zum Gebot der hinreichenden Bestimmtheit von Gesetzen ebenfalls nicht statisch zu verstehen, als vielmehr Ergebnis einer Wertungsfrage, deren Beantwortung sich für jede einzelne Maßnahme am Grad ihrer grundrechtsbeschränkenden Wirkung orientieren sollte. Der Umstand, dass einer Maßnahme eine hohe Eingriffsintensität zukommt, begründet allein jedoch nicht die Notwendigkeit der Schaffung einer Standardbefugnis. Das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit (sowie die Wesentlichkeitslehre) gehen davon aus, dass eine präzise Regelung nur dann erforderlich und möglich ist, wenn der Regelungsgegenstand einer solchen überhaupt zugänglich ist. Der Anwendungsbereich der Generalklausel ist damit nicht wie teilweise vertreten auf leichte Grundrechtseingriffe beschränkt.396 Handelt es sich um eine neuartige und in diesem Sinne atypische Maßnahme, kann diese zur Sicherstellung einer effizienten Gefahrenabwehr (zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht) durchaus auf die Generalklausel gestützt werden, möge sie auch einen intensiven Grundrechtseingriff bedeuten.397 Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 521 f. etwa Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 521, Anmerkung Nr. 53; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 457. 396  Dies klingt an bei Brenneisen, Versammlungsfreiheit (Fn. 114), S. 485. 394  Kritisch 395  Vgl.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen155

(b) D  as zusätzliche Kriterium der Typik einer Maßnahme Sofern eine in Rede stehende Maßnahme als typisch zu qualifizieren ist, wobei allein die mangelnde Neuartigkeit, nicht die Häufigkeit der Anwendung einer Maßnahme ihre Typik ausmacht, ist sie einer speziellen Regelung technisch gesehen regelmäßig auch zugänglich. Daraus ergibt sich jedoch nicht zwingend die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, diese tatsächlich einer besonderen Normierung zuzuführen. So ist die grundsätzliche Regelbarkeit eines Sachverhalts zwar die logische Grundvoraussetzung einer speziellen Normierung. Einen über die Generalklausel hinaus gehenden Detaillierungsgrad erfordern Bestimmtheitsgrundsatz (und Wesentlichkeitslehre) jedoch erst mit ansteigender Grundrechtsrelevanz bzw. Eingriffsintensität.398 Erst wenn der Grundrechtseingriff eine gewisse Intensitätsschwelle überschreitet, ist das Interesse des Bürgers an einer vorhersehbareren Rechtslage so stark, dass es den für eine generalklauselartige Regelung sprechenden Normzweck der Gewährleistung einer möglichst flexiblen Gefahrenabwehr überwiegt. Der Gesetzgeber ist sodann gefordert, Eingriffsvoraussetzungen und Rechtsfolge(n) einer Maßnahme möglichst präzise zu regeln, folglich eine Güterabwägung vorwegzunehmen und diese nicht dem Rechtsanwender zu überlassen.399 397

Dass die verfassungsrechtliche Notwendigkeit der Schaffung einer speziellen Befugnisnorm ein kumulatives Vorliegen beider Kriterien – Typik und Intensität – erfordert, zeigt z. B. eine genauere Betrachtung der in den Polizeigesetzen aller Länder geregelten Standardermächtigung der Platzverweisung, vgl. exemplarisch § 34 Abs. 1 PolG. Als typische, aber nicht notwendig eingriffsintensive Maßnahme400 ist sie zwar im Hinblick auf ihre Rechtsfolge (bloß „vorrübergehend“) immer noch auslegungsbedürftig, aber zumindest etwas präziser ausgestaltet als die gänzlich offen gehaltene Ge397  Ebenso Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 518), S. 82  f.; Krane, Verhältnis (Fn. 528), S. 430; Wuttke, Wohnungsverweise (Fn. 374), S. 782; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 388), S. 844. 398  So auch Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 82 ff.; Wuttke, Wohnungsverweise (Fn. 129), S. 782; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 454; Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 49; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 845. A. A. Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 523; Schmidbauer (Fn. 372), Art. 11 Rn. 3; Schoch (Fn. 143), 2. Kap. Rn. 99. Wohl auch Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 428. 399  Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 86. 400  Zwar kann eine Platzverweisung nach der hier vertretenen Auffassung auch einen nicht wenig intensiven Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit darstellen (vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 2. c) aa)), die Mehrzahl der Anwendungsfälle wird jedoch anders liegen. Somit hätte auch der qualifizierte Gesetzesvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG eine Regelung in Form einer Standardermächtigung nicht erfordert, siehe Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (2).

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

neralklausel. Auf der Tatbestandsebene nimmt sie jedoch überhaupt keine Verengung der Eingriffsvoraussetzungen vor. Vielmehr erweitert sie diese sogar nach zumindest teilweise vertretener Ansicht, indem auf das Vorliegen der Störervoraussetzungen nicht abzustellen sei.401 Es drängt sich damit die Frage auf, ob eine spezielle Regelung, die aufgrund ihrer geringen Eingriffsintensität im Vergleich zur Generalermächtigung kaum eine Präzisierung der Maßnahme vornimmt, dem Interesse des Bürgers an einer berechenbaren Gesetzeslage überhaupt zu dienen imstande ist. In der Folge vermag sodann zumindest die Annahme der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer Standardermächtigung, allein mit Hinweis auf die Typik einer Maßnahme, unabhängig von ihrer Eingriffsintensität, nicht zu überzeugen.402 Die Möglichkeit, eine Standardmaßnahme zu schaffen, z. B. um die Eingriffsvoraussetzungen wie bei der Platzverweisung nach teilweise vertretener Ansicht zu erleichtern, bleibt dem Gesetzgeber dabei natürlich unbenommen. (c) Zwischenergebnis Damit ist festzuhalten, dass das Bestimmtheitsgebot und gegebenenfalls zusätzlich die Wesentlichkeitstheorie im Hinblick auf eine in Rede stehende polizeiliche Maßnahme eine spezielle Regelung erfordern, wenn diese typischerweise eine gewisse Intensitätsschwelle überschreitet und es sich um eine typische i. S. einer nicht neuartigen Maßnahme403 handelt. Sofern eine Maßnahme sich gerade erst zu einer solchen typischen Maßnahme gewandelt hat, muss dem Gesetzgeber allerdings eine gewisse Zeitspanne zur 401  Vgl. die Ausführungen von Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn.  14), § 16 Rn. 15 ff., sowie Fn. 495. 402  Kritisch gegenüber der speziellen Regelungsbedürftigkeit der Platzverweisung auch Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 84 f. 403  Auf die Häufigkeit ihrer Anwendung ist demgegenüber nicht abzustellen, auch wenn zu konstatieren ist, dass eine Maßnahme zumindest so häufig angewendet werden oder in anderer Hinsicht in der Praxis Berücksichtigung finden muss, dass der Gesetzgeber sich seines Regelungsauftrags überhaupt bewusst werden kann. Den aus dem Bestimmtheitsgrundsatz (und gegebenenfalls der Wesentlichkeitstheorie) abgeleiteten Maßgaben für eine spezielle Normierung ist nicht zu entnehmen, dass es auf die Häufigkeit der fraglichen Maßnahme ankommt. Eine gewisse Grundrechtsrelevanz kann auch einer nur selten angewendeten Maßnahme zukommen, sodass eine spezielle Regelung (bei Einräumung einer angemessen Übergangsfrist) erforderlich wird, sobald die zusätzliche Voraussetzung der Regelbarkeit erfüllt ist. A. A. Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 461 f., der die Typik einer Maßnahme in der Form voraussetzt, dass „die Maßnahme dem ‚polizeilichen Alltagsbetrieb‘ zuzurechnen ist, d. h. wenn sie so oft eingesetzt wird, dass sich diesbezüglich Standards entwickelt haben, und die Polizeibeamten einen von Routine geprägten Umgang mit ihr üben“.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen157

Neuregelung der Maßnahme eingeräumt werden, ein Rückgriff auf die Generalklausel während dieses Übergangszeitraums zugunsten einer effektiven Gefahrenabwehr also möglich bleiben.404 (2) Das Bestehen qualifizierter Gesetzesvorbehalte und das Zusammenspiel mit dem Bestimmtheitsgrundsatz Nicht selten werden auch qualifizierte Gesetzesvorbehalte zur Begründung der Notwendigkeit der speziellen Normierung einer Eingriffsbefugnis heran gezogen.405 Dabei steht die Ansicht, die Generalklausel könne keine bzw. keine typischen Eingriffe in Grundrechte mit qualifiziertem, materiellem Gesetzesvorbehalt, z. B. in Form einer Zweckbestimmung, wie etwa in Art. 11 Abs. 2 oder Art. 13 Abs. 2, 3, 4 und 7 GG vorgesehen, rechtfertigen, in unmittelbarem Zusammenhang mit den bisher behandelten Rechtsinstituten des Bestimmtheitsgebotes (und, sofern weiterhin heranzuziehen, der Wesentlichkeitslehre), wie auch ihre Vertreter teilweise anmerken.406 Bereits aus dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot kann zur Gewährleistung einer für den Bürger vorhersehbaren Rechtslage das Erfordernis der speziellen Normierung einer Maßnahme abgeleitet werden, wenn diese typischerweise einen Grundrechtseingriff von gewisser Intensität darstellt. Lässt das beeinträchtigte Grundrecht Beschränkungen z. B. nur zur Abwehr bestimmter Gefahren zu, fordert der Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit von Gesetzen, der, wie Schucht treffend darstellt, in diesem Fall „subjektivrechtlich angereichert, ja überlagert“407 wird, unabhängig von der Eingriffsintensität einer Maßnahme408, deren spezielle Normierung. Durch diese müssen die für den jeweiligen Fall beschränkenden Faktoren der qualifizierten Schrankenklausel in das einfache Recht übertragen und so weit wie möglich konkretisiert werden, um dem grundrechtlich angereicherten Interesse des Bürgers an einer berechenbaren Rechtslage Rechnung zu tragen 404  Ebenso Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 461 f., der von einer einjährigen Übergangsphase spricht. Weiter Wuttke, Wohnungsverweise (Fn. 129), S. 782; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 845; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 7 Rn. 20, sowie der VGH Mannheim, NJW 2005, 88 (89) zur Maßnahme der Wohnungsverweisung. 405  Schoch, Grundfälle (Fn.  277), S.  484; Schucht, Generalklausel (Fn.  90), S.  452 ff.; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 849  ff. Anklingend auch bei Pieroth, Freizügigkeit (Fn. 95), S. 87; Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 47; Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 86. 406  Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 452 f. 407  Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 453. 408  Die das Erfordernis einer Spezialbefugnis bereits nach dem objektiv-rechtlichen Bestimmtheitsgebot auslösende, erhebliche Grundrechtsrelevanz wird in einem solchen Fall in der Regel dennoch vorliegen.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

sowie einen ausreichenden Grundrechtsschutz durch eine bereits vorweggenommene Güterabwägung zu gewährleisten.409 Eine über einen gewissen Übergangszeitraum hinausgehende verfassungskonforme Auslegung der Generalklausel durch den Rechtsanwender reicht dazu nicht aus.410 Zu beachten ist, dass auch qualifizierte Gesetzesvorbehalte die spezielle Regelung einer Eingriffsbefugnis nur erfordern können – und hier zeigt sich erneut der untrennbare Zusammenhang mit dem Bestimmtheitsgebot –, wenn die in Rede stehende Maßnahme zunächst als typische, nicht neuartige Maßnahme zu qualifizieren ist und weiter typischerweise, d. h. in den meisten Anwendungsfällen, in den Schutzbereich eines Grundrechts mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt eingreift. Andernfalls mangelt es an der zwingend notwendigen grundsätzlichen Regelbarkeit der Maßnahme sowie ihrer Regelbarkeit in der hier geforderten Form.411 (3) Das Zitiergebot Eine weitere in diesem Zusammenhang zu berücksichtigende Maßgabe enthält das Grundgesetz mit der formellen Grundrechtssicherung des Zitiergebotes gem. Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG. Dieses fordert den Gesetzgeber auf, ein Gesetz, welches Eingriffe in Grundrechtspositionen ermöglicht, ausdrücklich als solches zu kennzeichnen und erfüllt damit zum einen eine Warnfunktion für den Gesetzgeber, zum anderen eine Hinweisfunktion für den Anwender.412 Das Zitiergebot würde die Schaffung einer speziellen Eingriffsbefugnis zur Rechtfertigung der in Rede stehenden Maßnahmen erfordern, wenn diese in Grundrechte eingreifen würden, die nicht in den Zitationsklauseln der Polizeigesetze enthalten sind, und demnach nicht auf die vorhandenen Befugnisse gestützt werden könnten. Unter Beachtung des extrem restriktiven Verständnisses des Bundesverfassungsgerichts vom Geltungsbereichs des Zitiergebotes413 sowie in Ansehung der Einhaltung des 409  Ebenso Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 453; Möstl, Standardmaßnahmen (Fn. 143), S. 850. A. A. wohl Cremer, Aufenthaltsverbote (Fn. 126), S. 1222. 410  So auch Wuttke, Wohnungsverweise (Fn. 129), S. 783; Gusy, Anmerkung (Fn. 370), S. 356; Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 453. 411  Vgl. Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (1) (b), sowie Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S.  452 f. 412  A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S.  190  ff.; A. Wuttke, Polizeirecht und Zitiergebot. Eine Untersuchung polizeirechtlicher Grundrechtsbeschränkungen im Lichte der Zitierklauseln der Landespolizeigesetze, 2004, S. 5; H. Dreier, in: ders., GGK I (Fn. 6), Art. 19 I Rn. 19. 413  Maßgebend sind insbesondere die folgenden Entscheidungen: BVerfGE 28, 36 (46); 28, 55 (62); 28, 282 (289); 33, 52 (77 f.); 35, 185 (188 f.); 61, 82 (113); 64, 72 (79 ff.), im Rahmen derer das Bundesverfassungsgericht unter anderem Beschrän-



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Zitiergebotes durch die Polizeigesetze der Länder in Bezug auf die Grundrechte aus den Art. 2 Abs. 2, 11 und 13 GG414, bleibt für einen Verstoß gegen das Zitiergebot jedoch kein Raum.415 bb) Anwendung der theoretischen Ergebnisse auf die fraglichen, eventuell auf die Generalklausel zu stützenden Maßnahmen Nachdem soeben die bestehenden verfassungsrechtlichen Direktiven zur Schaffung von Standardmaßnahmen vorgestellt wurden, sollen die gewonnenen Erkenntnisse nun wiederum auf die in dieser Arbeit relevanten, gegebenenfalls auf die Generalklausel zu stützenden Maßnahmen angewendet werden. (1) Zur Gefährderansprache Weder Bestimmtheitsgebot bzw. Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts noch das Zitiergebot erfordern nach dem hiesigen Verständnis für die Gefährderansprache eine spezielle Eingriffsbefugnis. Wenn auch die Typik der Maßnahme nicht bestritten werden kann – bereits 2004 erkannte das VG Göttingen die zunehmende Bedeutung des Gefährderanschreibens bzw. der Gefährderansprache416 –, so stellt sie keinen intensiven Grundrechtseingriff dar, wird doch sogar ihre Eingriffsqualität selbst nicht selten bestritten417. Ausgehend von der Annahme, dass der Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel nur beim kumulativen Vorliegen von Typik und Eingriffsintensität als Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot bzw. die Wesentlichkeitsdoktrin zu werten ist, steht einem solchen Rückgriff die Einschätzung der Gefährderansprache als mittlerweile bewährtes Handwerkszeug der Beamten nicht entgegen. Auch ist ein Eingriff in ein Grundrecht, welches einem qualifiziertem Gesetzesvorbehalt im obigen Sinne418 unterworfen ist, nicht ersichtlich. kungen der Grundrechte aus den Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG aus dem Anwendungsbereich des Zitiergebotes ausgeschlossen hat. Kritisch gegenüber dieser restriktiven Auslegung v. Arnauld, Freiheitsrechte (Fn. 412), S.  190 ff., sowie Dreier (Fn. 412), Art. 19  I  Rn. 27 f. 414  Vgl. etwa Art. 74 BayPAG, § 7 PolG NW, § 8 POG RP. 415  Im Ergebnis ähnlich Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 520 f. 416  VG Göttingen, Urteil v. 27.1.2004 – 1 A 1014 / 02, BeckRS 2004, 21546. A. A. wohl Butzer, Flucht (Fn. 145), S. 522 f. 417  Vgl. Fn. 81. 418  Das Erfordernis eines allgemeinen Gesetzes gem. Art. 5 Abs. 2 GG entfaltet bei der hiesigen Fragestellung gerade keine Relevanz.

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Der Gefährderansprache liegt somit mit der Generalklausel eine grundsätzlich taugliche Befugnisnorm zugrunde.419 Allerdings ist nochmals darauf hinzuweisen, dass sich das Erfordernis einer Standardermächtigung eventuell aus rechtspolitischen bzw. rechtspraktischen Gründen ergeben könnte, um die Eingriffsschwelle im Vergleich zur Generalklausel herabzusetzen.420 (2) Zur Meldeauflage Die Meldeauflage ist zunächst als typisch i. S. v. nicht mehr neuartig421 sowie regelmäßig als recht intensiver Eingriff zu qualifizieren, sodass nach dem oben Gesagten schon das Bestimmtheitsgebot (und die Wesentlichkeitstheorie) die Schaffung einer Standardbefugnis erfordern422, welche die Voraussetzungen und die Reichweite der Maßnahme so präzise wie möglich beschreibt und somit gleichzeitig eine Güterabwägung vorwegnimmt. Darüber hinaus greift eine Meldeauflage regelmäßig in das Grundrecht auf Freizügigkeit ein423, welches dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt aus Art. 11 Abs. 2 GG unterliegt, sodass sich auch aus diesem Umstand der Rückgriff auf die Generalklausel verbietet.424 Die Möglichkeit der Einschränkung der Freizügigkeit durch Landesrecht bejahend425, könnte eine landesrechtliche Standardmaßnahme zur Vornahme 419  So im Ergebnis auch das OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 (393), welches die Anwendbarkeit der Generalklausel zumindest voraussetzt. Weiter Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 83), S. 185; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 759; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht. Ein Studienbuch, 15. Aufl. 2013, § 17 Rn. 25; Gusy, POR (Fn. 296), Rn. 316. A.  A. Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 158. Ebenso Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1213 f., die maßgeblich auf die mangelnde Vorhersehbarkeit des polizeilichen Handelns bezogen auf die Gefährderansprache abstellt. 420  Dazu näher unter Kap. 3, B. II. 2. b) bb) (3) (b). 421  Die Meldeauflage ist ebenso wie die Gefährderansprache als Standardinstrument der Gefahrenabwehr anzusehen, welches, wie § 12a POG RP beweist, einer Regelung längst zugänglich ist. 422  Vgl. Fn. 424. A. A. BVerwGE 129, 142 (150, Rn. 36); VGH Mannheim, NJW 2000, 3658 (3660); OVG Lüneburg, NordÖR 2006, 309; VG Braunschweig, Beschluss v. 8.6.2006 – 5 B 173 / 06, BeckRS 2006, 24209; Breucker, Präventivmaßnahmen (Fn. 344), S. 1632; ders., Sicherheitsmaßnahmen (Fn. 49), S. 1236; Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 146; Bramow / Wegner, Meldeauflagen (Fn. 114), S. 217; Siegel, Hooligans (Fn. 110), S. 1038. 423  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, A. I. 2. b) aa). 424  So im Ergebnis auch Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 773; Kugelmann, POR (Fn. 13), 6. Kap. Rn. 116 f.; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 7 Rn. 21; wohl auch Pieroth, Freizügigkeit (Fn. 95), S. 87, sowie Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 47. 425  So auch BVerwGE 129, 142 (145, Rn. 26). Vgl. zu dem dazu geführten Streit statt vieler Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 47; F.  Schoch, Das Grundrecht auf



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen161

einer Meldeauflage auf den Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG gestützt werden.426 Diese Schrankenklausel erlaubt die Schaffung einer Befugnisnorm zur Beschränkung der Freizügigkeit allein zur Verhinderung drohender Straftaten, sodass die zu schaffende Standardmaßnahme einen im Vergleich zur Generalklausel verengten Tatbestand im Hinblick auf das Schutzgut aufweisen müsste, um dem durch den qualifizierten Gesetzesvorbehalt angereicherten Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung zu tragen. Eine verfassungskonforme Auslegung der Generalklausel durch den Rechtsanwender ist nicht ausreichend.427 Es findet sich häufig die Aussage, diese Schrankenklausel sei im Lichte der hochrangigen Bedeutung des Freizügigkeitsrechts restriktiv auszulegen.428 Mit Blick auf das hier vertretene weite Verständnis des Schutzbereiches des Freizügigkeitsrechts sowie den Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 GG ist allerdings zu konstatieren, dass an die Qualität der zu unterbindenden Straftat, wie teilweise im Schrifttum gefordert, keine allzu hohen Anforderungen (z. B. i. S. einer Straftat von erheblicher Bedeutung nach § 8 Abs. 3 PolG) gestellt werden sollten.429 Im Hinblick auf verschiedene denkbare Meldeauflagen, deren Eingriffsintensität aufgrund divergierender Dauer oder sonstiger Konditionen stark auseinanderfallen kann, erscheint eine Begrenzung auf schwerwiegende Straftaten, die gleichzeitig einem angemessenen Rechtsgüterschutz nicht im Wege steht, zudem regelungstechnisch problematisch. Die Vermeidung des Erlasses von Meldeauflagen zur Verhinderung von Bagatelldelikten kann und muss vielmehr durch konsequente Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips sichergestellt werden.430 Darüber hinaus wird in Anbetracht der Wertigkeit des Grundrechts u. a. von Alberts richtigerweise bemerkt, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit mit Hinweis auf den Kriminalvorbehalt nicht zulässig sein sollte, wenn sie lediglich der Verhinderung einer nur sehr entfernt drohenden, nicht allzu wahrscheinlichen Begehung einer Straftat dient.431 Eine als ersFreizügigkeit (Art. 11 GG), in: Jura 2005, S. 34 (37), sowie Durner (Fn. 95), Art. 11 Rn.  128 ff. 426  Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 47. 427  Vgl. Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (2) sowie speziell zur Meldeauflage Schucht, Meldeauflage (Fn. 90), S. 713. 428  Pieroth, Freizügigkeit (Fn. 95), S. 87; Merten, Platzverweise (Fn. 139), S. 23; Pernice (Fn. 101), Art. 11 Rn. 27. 429  Demgegenüber halten Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 48 und Hetzer, Freizügigkeit (Fn. 104), S. 7 einen gewissen Schweregrad bezüglich der drohenden Straftat für erforderlich. 430  So auch Merten sowie Finger bezogen auf Aufenthaltsverbote, Merten, Platzverweise (Fn. 139), S. 23; Finger, Aufenthaltsverbote (Fn. 325), S. 85. 431  So Kunig, Freizügigkeit (Fn. 104), S. 312; Alberts, Freizügigkeit (Fn. 101), S. 48, Pernice (Fn. 101), Art. 11 Rn. 27; Schoch, Freizügigkeit (425), S. 37.

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ter Orientierungspunkt heranzuziehende Regelung findet sich bereits in § 12a POG RP. Wenn auch nicht einfachgesetzlich gesperrt, stehen einem Rückgriff auf die Generalklausel zur Rechtfertigung einer Meldeauflage damit verfassungsrechtliche Gesichtspunkte entgegen, sodass die Meldeauflage mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz über keine ausreichende Rechtsgrundlage verfügt.432 Die einzuräumende Übergangsfrist zur Regelung einer Standardmaßnahme muss in Anbetracht der langjährigen Anwendung der Maßnahme sowie ihrer bereits 2011 erfolgten erstmaligen Normierung durch § 12a POG RP als abgelaufen angesehen werden. (3) Zum Verbringungsgewahrsam Ähnlich zur Meldeauflage verhält sich der Verbringungsgewahrsam. Längst Bestandteil des polizeilichen Standardrepertoires, ist er als typisch, darüber hinaus als intensiver Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen einzuschätzen433, sodass wiederum die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Standardbefugnis bereits aus dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot sowie gegebenenfalls der Wesentlichkeitslehre abgeleitet werden kann. Auch hier ist der Gesetzgeber gefordert, die Tatbestands- und Rechtsfolgen­ ebene der Maßnahme möglichst präzise zu umschreiben, um dem Interesse des Bürgers an einer berechenbaren Rechtslage zu genügen und eine Güterabwägung so weit wie möglich zu antizipieren. Darüber hinaus greift auch der Verbringungsgewahrsam in Grundrechte mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt ein. Nach dem hiesigen Verständnis ist er zunächst regelmäßig als Freiheitsentziehung gem. Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG einzuschätzen434, ferner geht mit dem Absetzen ein Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit einher435. Damit müssten zum einen die Vorgaben des Art. 104 Abs. 2 und 4 GG (vergleichbar zu den näheren Regelungen zur Ingewahrsamnahme in den §§ 36 f. PolG) in einer einfachgesetzlichen speziellen Befugnisnorm Niederschlag finden.436 Zum anderen ist eine spezielle Regelung mit verengten Tatbestandsvoraussetzungen zur einfach-rechtlichen Konkretisierung des Kriminalvorbehalts des Art. 11 Abs. 2 GG erforderlich. Wie bereits bei der Meldeauflage dargelegt, erfordert dieser nicht 432  Vgl. Fn. 424 sowie die Ausführungen zum Regelungsbedarf unter Kap. 3, B. I. 4. a). 433  Vgl. Kap. 3, A. II. 2. c) aa). 434  Vgl. Fn. 235. 435  Vgl. Kap. 3, A. II. 2. c) aa). 436  So speziell zum Verbringungsgewahrsam auch Maaß, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 157.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen163

zwangsläufig eine Begrenzung der Eingriffsbefugnis dahingehend, dass die Gefahr der Begehung einer besonders schwerwiegenden Straftat besteht. Jedoch erschiene es mit Blick auf die im Vergleich zur Meldeauflage deutlich erhöhte Eingriffsintensität des Verbringungsgewahrsams und die Maßgabe einer möglichst weitgehend vorwegzunehmenden Güterabwägung angemessen, eine dementsprechend stärkere Verengung auf Tatbestandsebene gegenüber der Generalklausel vorzunehmen, welche sich z. B. an der der Ingewahrsamnahme gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG orientieren könnte. Festzuhalten ist damit neben der der Gesetzessystematik geschuldeten Sperrung des Rückgriffs auf die Generalklausel das verfassungsrechtliche Erfordernis einer Spezialbefugnis zur Rechtfertigung des Verbringungsgewahrsams.437 Auch in Bezug auf den Verbringungsgewahrsam ist die dem Gesetzgeber einzuräumende Übergangszeit zur Regelung, während derer ein Rückgriff auf die Generalklausel noch erfolgen kann, längt verstrichen. (4) Zum Aufenthaltsverbot Ebenfalls als typisch sowie regelmäßig als eingriffsintensiv einzuschätzen ist das Aufenthaltsverbot. Auch hier fordern Bestimmtheitsgebot (und Wesentlichkeitstheorie) somit die Schaffung einer Spezialermächtigung, welche die Maßnahme möglichst präzise ausgestaltet. Typischerweise geht mit einem Aufenthaltsverbot zudem ein Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG einher438, sodass eine spezielle Befugnisnorm wiederum zusätzlich aufgrund des qualifizierten Gesetzesvorbehalts des Absatzes 2 vonnöten ist, um den eingeschränkten Eingriffsmöglichkeiten und damit der Wertigkeit des Grundrechts auf Freizügigkeit durch eine Verengung des Schutzgutes auf die Verhütung von Straftaten Rechnung zu tragen.439 Es gilt das zur Meldeauflage Gesagte. Ein Rückgriff auf Art. 11 Abs. 1 BayPAG zur Rechtfertigung eines Aufenthaltsverbotes in Bayern ist damit aus gesetzessystematischen sowie verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt.440 437  So im Ergebnis auch das VG Bremen, NVwZ 1986, 862 (864); das LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 (539); Maaß, Verbringungsgewahrsam (Fn. 235), S. 157; Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 428; Kappeler, Verbringungsgewahrsam (Fn. 232), S. 234; Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 387 ff.; Schucht, Verbringungsgewahrsam (Fn. 229), S. 559 f.; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 5. A. A. Stoermer, Gewahrsam (Fn. 205), S. 131; Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 148. Vgl. zum Regelungsbedarf weiter Kap. 3, B. I. 4. 438  Vgl. Kap. 3, A. I. 2. c) aa). 439  Vgl. die Ausführungen zur Meldeauflage unter Kap. 3, B. I. 2. b) bb) (2). 440  So im Ergebnis auch VG Bremen, Urteil v. 29.5.1997 – 2 A 149 / 96, BeckRS 2014, 46588; Hecker, Aufenthaltsverbote (Fn. 365), S. 262; Merten, Platzverweise

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3. Zusammenfassung Festhalten lässt sich damit, dass aufgrund gesetzessystematischer und / oder verfassungsrechtlicher Erwägungen mit Ausnahme der Gefährderansprache keine der in diesem Abschnitt behandelten Maßnahmen mittels eines Rückgriffs auf die polizeiliche Generalklausel zu rechtfertigen ist, sodass es jeweils der Schaffung einer entsprechenden Standardmaßnahme durch den Gesetzgeber bedarf. 4. Bewertung vorhandener Regelungen sowie Vorstellung eigener Vorschläge a) Die Meldeauflage – Übernahme des § 12a  POG  RP und eigene Ergänzung Wie soeben gesehen, ergibt sich aus den verfassungsrechtlichen Instituten des Rechtsstaatsprinzips, gegebenenfalls der Wesentlichkeitslehre sowie des qualifizierten Gesetzesvorbehalts aus Art. 11 Abs. 2 GG die Notwendigkeit einer speziellen Regelung der Meldeauflage. Mit § 12a POG RP wurde bereits im Jahre 2011 eine Spezialermächtigung zur Meldeauflage erlassen. Auf der Suche nach einer tauglichen Regelung für Nordrhein-Westfalen sowie die anderen Länder erfolgt somit zunächst eine genauere Untersuchung der rheinland-pfälzischen Lösung. Sollte dieser Ansatz überzeugen, böte es sich für die anderen Länder an, ihn zu übernehmen. Sofern er weiterer Verbesserung bedarf, könnte er gegebenenfalls als Grundgerüst für einen eigenen Regelungsvorschlag dienen. § 12a POG RP lautet: „Die Polizei kann gegenüber einer Person anordnen, sich an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten bei einer bestimmten Polizeidienststelle zu melden (Meldeauflage), wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person eine Straftat begehen wird und die Meldeauflage zur vorbeugenden Bekämpfung der Straftat erforderlich ist. Die Meldeauflage ist auf höchstens einen Monat zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als denselben Zeitraum ist zulässig, sofern die Voraussetzungen der Anordnung weiterhin vorliegen. Die Verlängerung (Fn. 139), S. 21 f.; Bösch, Verweisungsmaßnahmen (Fn. 102), S. 655 f.; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 446 ff.; Gusy, POR (Fn. 296), Rn. 282; Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 134; sowie mit Einschränkungen Cremer, Aufenthaltsverbote (Fn. 126), S. 1212 f. A. A. OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315); VG Ansbach, Beschluss v. 11.9.2012 – AN 5 S 12.01535, BeckRS 2012, 57222; VGH München NVwZ 2000, 454 (456); VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225 (226); VGH Mannhein, NVwZ 2003, 115 (116); Götz, Entwicklung (Fn. 246), S. 683; Latzel / Lustina, Aufenthaltsverbote (Fn. 129), S. 135.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen165 der Maßnahme bedarf der richterlichen Entscheidung. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Polizeidienststelle ihren Sitz hat. § 21 Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.“441

Die Regelung trägt zunächst dem Umstand Rechnung, dass Meldeauflagen, welche regelmäßig als Eingriff in die Freizügigkeit zu werten sind, im Hinblick auf Art. 11 Abs. 2 GG nur zur Verhinderung der Begehung einer Straftat erfolgen können. Eine Begrenzung auf Straftaten von erheblicher Bedeutung i. S. v. § 8 Abs. 3 PolG o. ä. ist nach dem unter Kap. 3, B. I. 2. b) bb) (2) Gesagten aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht vonnöten und in rechtspraktischer Hinsicht aufgrund der stark divergierenden Ausgestaltungsmöglichkeiten der Meldeauflage auch nicht zweckdienlich. Ferner erscheint die leicht verringerte Eingriffsschwelle der erforderlichen „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“, und damit eines konkreten Gefahrverdachts442, bei Betrachtung der Natur der Meldeauflage sinnvoll. Regelmäßig sind Fälle denkbar, in denen der begründete Verdacht besteht, der Betroffene werde eine Straftat begehen, deren Umstände jedoch noch nicht allzu weit konkretisiert sind. Den Beamten bleibt sodann häufig nur der nachvollziehbare Verdacht, eine Straftat werde etwa während einer bestimmten Zeitspanne, z. B. einer Fußball-Weltmeisterschaft, an einem, wenn überhaupt, nur grob bestimmbaren Ort, wie einer der Spielaustragungsstätten, begangen werden. Parallelen ergeben sich bei einem Vergleich mit dem tatbestandlich ähnlich verfassten Aufenthaltsverbot gem. § 34 Abs. 2 PolG, die die Sinnhaftigkeit der Eingriffsschwelle des Gefahrverdachts durch den rheinland-pfälzischen Gesetzgeber unterstreichen. Auch ein Aufenthaltsverbot richtet sich regelmäßig gegen die Begehung von noch weitgehend unkonkretisierten Straftaten in bestimmten, für Kriminelle besonders reizvollen Gebieten, z. B. gegen den Verkauf von Drogen in Bahnhofsnähe.443 Wäre die drohende Straftat in räumlicher und zeitlicher Hinsicht bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestimmbar, wäre die Person sinnvollerweise sogar in Gewahrsam zu nehmen.444 Die Eingriffsvoraussetzungen der „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“ sind damit auf die Rechtfertigung einer Maßnahme wie der Meldeauflage, die frühzeitig auf solch eine eher unbestimmte Gefahrenlage reagiert, gut zugeschnitten. Gleichzeitig verlangt das Tatbestandsmerkmal des konkreten Gefahrverdachts weiterhin eine auf eine hinreichende Tatsachenbasis gestützte, personenbezogene Gefahrprognose, sodass keine mit der vorbeugenden Gefahren441  GVBl.

2 / 2011, S. 26. zu diesem Tatbestandsmerkmal Kap. 3, B. II. 2. a) aa) (1) sowie bb). 443  Finger, Aufenthaltsverbote (Fn. 325), S. 82; C. Keller, in: Schütte / Braun / ders., PolG NRW (Fn. 122), § 34 Rn. 13. 444  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 16 Rn. 25. 442  Vgl.

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abwehr vergleichbare Vorverlagerung der Eingriffsschwelle445 erfolgt, welche die Verhältnismäßigkeit der Befugnisnorm an sich in ernstzunehmende Zweifel ziehen könnte. Ferner ist im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des § 12a POG RP positiv anzumerken, dass die Auferlegung der Maßnahme zunächst auf einen Monat beschränkt ist (S. 2) und ihre Verlängerung der richterlichen Anordnung bedarf (S. 4). Die Regelung des § 12a POG RP erscheint demnach – mit der sogleich folgenden Einschränkung – als gelungen und sollte den anderen Ländern bei der Reglementierung einer Spezialermächtigung zur Meldeauflage, welche in einem § 34b PolG verortet werden könnte, als Vorbild dienen. Dieses Lobes zum Trotz lässt die Regelung einen Passus vermissen, der das Recht des Betroffenen beschreibt, seiner Meldepflicht auf entsprechenden Antrag hin auch auf einer anderen Polizeidienststelle nachkommen zu können. Die Meldung auf einer bestimmten Polizeidienststelle (regelmäßig der am Wohnort des Betroffenen) wird zur Verhinderung der Begehung einer Straftat, welche bei einer bestimmten Spielbegegnung z. B. nur am Austragungsort zu erwarten ist, häufig nicht erforderlich sein.446 Gleichzeitig würde durch die Einräumung der Möglichkeit, sich auch auf einer anderen Polizeidienststelle zu melden, die Schwere des Eingriffs gesenkt, sodass eine solche nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip geboten ist. Zwar könnte eine entsprechende Modifikation der Meldepflicht – wie bereits häufig gesehen447 – auch ohne die gesetzliche Regelung eines solchen Rechts durch den Rechtsanwender erfolgen, indes würden die Rechtssicherheit und die rechtstatsächliche Nutzung einer solchen Möglichkeit durch die Betroffenen durch die Ergänzung der in sonstiger Hinsicht ohnehin eher offen gehaltenen Regelung um einen entsprechenden Passus gefördert. Somit wird vorgeschlagen, die Regelung um den folgenden Satz 6 zu ergänzen:448 „Dem Verpflichteten ist nach Absprache die Möglichkeit einzuräumen, sich bei einer anderen als der zunächst bestimmten Polizeidienststelle zu melden, wenn dies zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist und den Zweck der Maßnahme nicht gefährdet.“

Des Weiteren ist die Aufnahme eines Verweises (sodann Nr. 4a) in § 35 Abs. 1 PolG in Erwägung zu ziehen, mittels dessen die Befolgung einer bestehenden Meldeauflage über das Instrument der Ingewahrsamnahme si445  Nähere

Ausführungen dazu unter Kap. 3, B. II. 2. a) aa) (1) sowie bb). auch Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 206; Schucht, Meldeauflage (Fn. 90), S. 709. 447  Vgl. z. B. OVG Lüneburg, NordÖR 2006, 309 f. 448  Der bestehende Satz 6 wäre weiter als Satz 7 dem nordrhein-westfälischen PolG anzupassen. 446  So



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen167

chergestellt werden könnte. In Parallele zum oben Gesagten ist jedoch wiederum ein Vergleich zwischen Meldeauflage und Aufenthaltsverbot gem. § 34 Abs. 2 PolG anzustellen, wobei letzteres in § 35 Abs. 1 PolG keinerlei Erwähnung findet. Dieser Umstand könnte durch den Dauercharakter des Aufenthaltsverbotes begründet sein, auch wenn in anderen Ländern eine Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Aufenthaltsverbotes ausdrückliche möglich ist (vgl. u. a. § 14 Abs. 1 Nr. 3 POG RP). Auch der Meldeauflage kann ein solcher Dauercharakter zukommen. Weiter wird dem Betroffenen häufig aufgegeben, sich während eines bestimmten Zeitraumes auf der bestimmten Dienststelle zu melden. Damit wird diesem ein Spielraum bei der Befolgung seiner Meldepflicht eröffnet, der der Möglichkeit der Durchsetzung einer solchen Verpflichtung per Ingewahrsamnahme entgegen steht. Darüber hinaus könnte gegenüber dem Betroffenen einer Meldeauflage, sofern der begründete Verdacht besteht, er werde diese nicht befolgen, sondern sich zum gefahrträchtigen Ort begeben, unproblematisch ein zusätzlicher Platzverweis nach § 34 Abs. 1 PolG ausgesprochen werden, welcher sodann von § 35 Abs. 1 PolG erfasst ist. Die Aufnahme eines Verweises auf die zu schaffende Rechtsgrundlage der Meldeauflage in den § 35 Abs. 1 PolG ist damit abzulehnen.449 Darüber hinaus ist zu erwägen, ob das Instrument der Meldeauflage ebenfalls den Ordnungsbehörden zustehen, d. h. in die Verweisungsnorm des § 24 OBG aufgenommen werden sollte. Da es sich bei Meldeauflagen in der Regel nicht um Eilentscheidungen handelt und die Maßnahme sich auch in der bisherigen Praxis primär als Sache der Ordnungsbehörden etabliert hat450, erschiene für den Fall des Erlasses einer solchen Regelung eine Eingliederung in das ordnungsbehördliche Instrumentarium (zumindest auf den ersten Blick) angemessen. Sollte dies geschehen, wäre zudem der dem Zitiergebot geschuldete § 44 OBG um Art. 11 Abs. 1 GG zu erweitern. Ob der Gesetzgeber neben dem Maßnahmenkatalog der Polizei- auch den der Ordnungsbehörden erweitern würde, ist mit Blick auf die ausdrückliche Ausklammerung des § 34 Abs. 2 PolG aus § 24 OBG hingegen fraglich. Auch vor der Schaffung jener Spezialnorm war es die übliche Praxis, dass Aufenthaltsverbote von den Ordnungsbehörden erlassen wurden, und dennoch hat der Gesetzgeber dieser einen Riegel vorgeschoben.451 Des Weiteren gestaltet sich die ohnehin der Bekämpfung von Straftaten dienende Auferlegung einer Meldeauflage durch die Ordnungsbehörden in der Praxis als umständlich. Zunächst sind die zur Formulierung der Gefahrprognose übli449  Dieses

Ergebnis entspricht auch der Konzeption des POG RP. Bramow / Wegner, Meldeauflagen (Fn. 114), S. 214 ff. 451  Kritisch diesbezüglich H. Tegtmeyer, in: ders. / Vahle, PolG NRW (Fn. 87), § 34 Rn. 12. 450  Vgl.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

cherweise heranzuziehenden Daten in den polizeilichen Dateien gespeichert und müssen an die Ordnungsbehörden erst übermittelt werden. Weiter waren es bisher regelmäßig ohnehin die Polizeibehörden, die die Ordnungsbehörden zum Erlass von Meldeauflagen veranlasst haben.452 Von einer Aufnahme der zu schaffenden Regelung zur Meldeauflage in die Verweisungsnorm des § 24 OBG ist somit abzusehen. Wenn eine Standardmaßnahme zur Meldeauflage im Polizeigesetz geregelt würde, ohne § 24 OBG zu erweitern, würde der bisherigen ordnungsbehördlichen Praxis, Meldeauflagen zu erlassen, damit auch ausdrücklich der juristische Boden entzogen. b) Der Verbringungsgewahrsam Auch der Verbringungsgewahrsam entpuppte sich nach dem oben Gesagten als durch die polizeiliche Generalklausel nicht zu rechtfertigen. Anders als bei der Meldeauflage existiert bezüglich der Maßnahme des Verbringungsgewahrsams keine Spezialnorm in einem der anderen Polizeigesetze, sodass sich die Frage stellt, ob die Maßnahme überhaupt einer noch zu konzipierenden Standardmaßnahme zugeführt werden kann und soll. Die Erstellung einer solchen Spezialermächtigung erweist sich bereits aus regelungstechnischer Sicht als problematisch. Zwar ist eine Norm denkbar, die – in Anlehnung an § 35 PolG – wie folgt lauten könnte: „Die Polizei kann eine Person an einen anderen Ort verbringen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern. Minderjährige Personen und Personen, die sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befinden, dürfen nicht verbracht werden. Die §§ 36 und 37 Abs. 1, 2 S. 1 und 2 gelten entsprechend.“

Eine zufriedenstellende Lösung wäre damit jedoch nicht geschaffen. Zunächst fiele der Anwendungsbereich des Verbringungsgewahrsams deutlich geringer aus als z. B. der der „verwandten“ Ingewahrsamnahme. Da das dem Verbringen folgende Absetzen der betroffenen Person nach den bisherigen Erkenntnissen dieser Arbeit nicht selten als Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit gewertet werden muss453, könnte die Maßnahme gem. Art. 11 Abs. 2 GG allein zur Verhinderung einer Straftat ergriffen werden. Darüber hinaus erschiene das Verbringen eines Minderjährigen oder einer Person, die sich z. B. durch übermäßigen Alkoholgenuss in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befindet, problematisch, sodass der Anwendungsbereich entsprechend zu begrenzen wäre. 452  Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 12a POG RP, LT Drks. 15 / 4879, sowie Suhr (Fn. 90), § 12a Rn. 1. 453  Vgl. Kap. 3, A. II. 2. c) aa).



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen169

Probleme ergeben sich weiter beim Versuch einer genaueren gesetzlichen Umschreibung des zulässigen Verbringens.454 Genannt seien nur zu erwägende Bestimmungen über die zulässige zurückzulegende Strecke – diese müsste je nach Gefahr und sonstiger Gegebenheiten unterschiedlich weit ausfallen – sowie das Vorhandensein einer Möglichkeit, in angemessener Zeit mittels öffentlicher Verkehrsmittel zurück an den Ausgangsort bzw. einen anderen Zielort zu gelangen. Unabhängig von den Schwierigkeiten der gesetzlichen Umschreibung eines sodann zulässigen Verbringens, führt ferner die im Rahmen der Formulierung eines Regelungsvorschlags erneut auffallende Nähe zur Ingewahrsamnahme zu einer negativen Beurteilung der Norm. Der Verbringungsgewahrsam und die Ingewahrsamnahme in den Fällen des § 35 Abs. 1 Nr. 2, 3 (und 4) PolG reagieren auf ein und denselben Gefahrentatbestand, der durch den Aufenthalt einer Person an einem bestimmten Ort begründet wird. Demzufolge ist kein Szenario denkbar, in dem es zur Abwehr dieser Gefahr des Mittels des Verbringungsgewahrsams unbedingt bedürfte, da etwa die Ingewahrsamnahme nicht zum gewünschten Ergebnis führen würde. Darüber hinaus kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbringungsgewahrsam gegenüber der in jedem Fall in gefahrentatbestandlicher Hinsicht einschlägigen Ingewahrsamnahme als die mildere Maßnahme einzuschätzen ist – oftmals wird sogar die gegenteilige Ansicht vertreten, der Verbringungsgewahrsam stelle eine größere Belastung dar455 –, sodass auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht als Maßgabe zur Schaffung dieses weiteren polizeilichen Instruments verstanden werden kann. Dies gilt unbeschadet des eventuellen Empfindens eines Betroffenen im Einzelfall, der Verbringungsgewahrsam sei ein milderer Eingriff. Aufgrund der Komplikationen, die mit dem Versuch der Konstruktion einer Spezialregelung zur Rechtfertigung des Verbringungsgewahrsams einhergehen, der wahrscheinlich schwierigen Handhabbarkeit der entsprechend komplex auszugestaltenden Regelung in der Praxis sowie ihrer mangelnden Notwendigkeit im polizeilichen Maßnahmengefüge, sollte vom Vorhaben der Reglementierung einer Spezialnorm und in der Folge von der Maßnahme des Verbringungsgewahrsams an sich Abstand genommen werden. Der Verbringungsgewahrsam wird in der folgenden Bearbeitung somit nicht mehr berücksichtigt.

454  Dazu 455  Vgl.

auch Finger, „Verbringungsgewahrsam“ (Fn. 229), S. 428. Fn. 355.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

c) Das Aufenthaltsverbot Unproblematisch wäre hingegen der Erlass einer Spezialnorm zur Rechtfertigung von Aufenthaltsverboten in Bayern. Die bereits seit längerer Zeit in den anderen Ländern erprobten Regelungen, welche sich inhaltlich lediglich hinsichtlich ihrer Angaben zur zulässigen Dauer des Verbotes unterscheiden, können allesamt als Vorbilder für die zu erlassende Rechtsgrundlage dienen.456 Im Folgenden werden Aufenthaltsverbote jedoch allein am nordrheinwestfälischen § 34 Abs. 2 PolG gemessen.

II. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der „klassischen“ Gefahrenabwehr Die anfängliche Darstellung der unterschiedlichen Maßnahmen, die zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt gegenüber Zuschauern ergriffen werden, orientierte sich primär an ihrem Einsatzzeitpunkt – im Vorfeld einer Fußballveranstaltung oder am Spieltag selbst; sekundär erfolgte eine Unterteilung anhand des durch die jeweilige Vorgehensweise bestimmten Gegensatzpaares der informationellen gegenüber der aktionellen Tätigkeit der Polizei. Um die teilweise stark divergierenden Maßnahmen nun einer strukturierten, gebündelten Untersuchung ihrer Rechtmäßigkeit zugänglich zu machen, sollen sie erneut gruppiert werden. In Abweichung von der vorherigen Einordnung orientiert sich die folgende Strukturierung nunmehr an den verschiedenartigen Anforderungen, die an die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen gestellt werden, und damit an dogmatischen Gesichtspunkten des Polizeirechts. Unter alleiniger Bezugnahme auf präventive Tätigkeitsfelder der Polizei können einerseits die Maßnahmen der sog. Gefahrenvorbeugung bzw. -vorsorge (vgl. dazu Gliederungspunkt Kap. 3, B. III.), andererseits die der klassischen Gefahrenabwehr457 grundlegend unterschieden werden. Zur Absteckung beider Tätigkeitsfelder ist der zentrale Begriff der Gefahr näher in den Blick zu nehmen. Ob der Gefahr vorgebeugt oder diese abgewehrt wird, der Begriff der Gefahrenvorbeugung als auch der der Gefahrenabwehr i. e. S. ranken sich um ein und dieselbe Gefahr, nämlich eine konkrete.458 Unter einer konkreten Gefahr ist eine Sachlage oder ein Verhalten 456  Vgl. z. B. § 27a Abs. 2 PolG BW, § 29 Abs. 2 ASOG Bln, § 52 Abs. 3 SOG M-V sowie § 34 Abs. 2 PolG NW. 457  So Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 5 Rn. 3 f. 458  Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 4 Rn. 16.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen171

zu verstehen, das im einzelnen Falle „bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird“459. Ohne an dieser Stelle genauer auf die einzelnen Komponenten dieser Definition eingehen zu wollen, kann festgehalten werden, dass, wenn eine bestehende konkrete Gefahr abgewehrt werden soll, die Polizei im Bereich der engeren Gefahrenabwehr handelt. Setzt sie jedoch vorher an, um schon ihrem Entstehen entgegenzuwirken, ist die zu diesem Zweck ergriffene Maßnahme im Bereich der Gefahrenvorbeugung zu verorten. Unterscheidungsmerkmal der Tätigkeitsbereiche der Gefahrenabwehr i. e. S. und der Gefahrenvorbeugung ist folglich die jeweilige Eingriffsschwelle. In diesem Abschnitt sollen zunächst die Maßnahmen der klassischen Gefahrenabwehr bzw. der Gefahrenabwehr i. e. S. auf ihre Rechtmäßigkeit hin untersucht werden, welche tatbestandlich allesamt an das Bestehen einer konkreten Gefahr bzw. des Verdachts einer solchen anknüpfen. Dies sind als informationelle Maßnahmen die Identitätsfeststellung nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG sowie die Videobeobachtung und -aufzeichnung nach § 15 Abs. 1 S. 1 PolG.460 Eine Datenerhebung auf Grundlage der Generalklausel, eine Befragung sowie eine kurzfristige Observation können hingegen auch angewendet werden, um eine lediglich abstrakte Gefahr abzuwehren461, sodass auf diese primär als Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung eingegangen wird.462 Als aktionelle Maßnahmen werden die Gefährderansprache und die einschließende Begleitung jeweils gestützt auf § 8 Abs. 1 PolG, die Meldeauflage (basierend auf der oben vorgeschlagenen, an § 12a POG RP angelehnten Regelung), der Platzverweis und das Aufenthaltsverbot, die Ingewahrsamnahme und die ebenfalls auf § 35 Abs. 1 PolG zu stützende Abmarschverzögerung von Fanblöcken sowie die Durchsuchung und Sicherstellung einer näheren Untersuchung unterzogen. 459  BVerwGE

45, 51 (57). Zuordnung der Videoüberwachung gem. § 15 Abs. 1 S. 1 PolG zur klassischen Gefahrenabwehr mag zunächst überraschen, dient sie doch als informationelle Maßnahme eher der Gefahraufklärung als der Gefahrenabwehr im engeren Sinne. Maßgebend ist jedoch das Eingriffserfordernis des Bestehens einer auf eine bestimmte Veranstaltung oder Ansammlung bezogene konkrete Gefahr bzw. eines konkreten Gefahrverdachts (dazu Pieroth / Schlink / Kniesel, POR [Fn.  14], §  14 Rn. 88 f.). Vgl. jedoch die Kritik an der unsteten Einordnung der informationellen Befugnisse durch den Gesetzgeber von M. Möstl, Die neue dogmatische Gestalt des Polizeirechts – Thesen zur Integration eines modernen informationellen Vorfeldrechts in das klassische rechtsstaatliche Gefahrenabwehrrecht, in: DVBl. 2007, S. 581 (582 f.). Gleiches gilt für die Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG. 461  Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 13 Rn. 14, § 14 Rn. 5, 102. 462  Vgl. Kap. 3, B. III. 4. b) aa), bb), cc). 460  Die

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Dabei sollen kurz einige Problempunkte hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit angesprochen werden (1.) und darauffolgend eine Prüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Anwendung zur Bekämpfung fußballbezogener Gewalt in typischen Fällen erfolgen (2.). 1. Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Befugnisnormen – ein Aufriss ausgewählter Probleme Hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Befugnisnormen stellen sich zwei kompetenzrechtliche Fragen, welche heutzutage jedoch weitgehend geklärt erscheinen. Fraglich erschien bisher zum einen die Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers für solche Befugnisnormen, die, wie etwa § 15 Abs. 1 S. 1 PolG, theoretisch wie praktisch sowohl der Straftatenverhütung als auch der Strafverfolgungsvorsorge zu dienen imstande sind. Während erstere kompetenziell unproblematisch den Ländern zugeordnet werden kann, fällt eine diesbezügliche Einordnung der Vorsorge für die Strafverfolgung schwieriger aus. Der für lange Zeit andauernde Streit scheint nun durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches sich für eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Strafverfolgungsvorsoge aussprach463, beigelegt.464 Als Folge der divergierenden Zuständigkeiten müssen die Grenzen von Straftatenverhütung und Verfolgungsvorsorge genau abgesteckt werden, da – sofern der Bund von seiner Kompetenz abschließend Gebrauch gemacht hat – solche Maßnahmen, die der Strafverfolgungsvorsorge zuzurechnen sind, mit der Kompetenzordnung der Art. 70 ff. GG unvereinbar wären. Hinsichtlich der Videoüberwachung von Veranstaltungen und Ansammlungen ist jedoch davon auszugehen, dass die Datenerhebung primär der Abschreckung sowie der Einschätzung von Gefahrenquellen zur Verhütung von Straftaten dient465, auch wenn eine spätere Zweckänderung zur Straftatenverfolgung unproblematisch möglich ist. Aus kompetenzieller Sicht ist § 15 Abs. 1 S. 1 PolG damit nicht zu beanstanden. Der zweite, zumindest in der Vergangenheit immer wieder aufgeworfene, kompetenzrechtliche Problempunkt besteht in der Frage, ob die Länder über den zugewiesenen Regelungsbereich der Gefahrenabwehr zum Erlass von Befugnisnormen ermächtigt sind, welche in die Freizügigkeit eingreifen, die 463  BVerfGE

113, 348 (369). auch Kap. 3, B. III. 3. a). 465  Vgl. Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 185; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14 Rn. 89 f. 464  Vgl.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen173

laut Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG der ausschließlichen Gesetzgebung durch den Bund unterliegt. Mit dem Einwand, dass das Gefahrenabwehrrecht traditionsgemäß vom Gesetzgebungsbereich der Freizügigkeit nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG ausgenommen sei und die Länder somit sehr wohl zu Eingriffen in die Freizügigkeit befugt seien466, kann der Streit heute weitgehend als geklärt angesehen werden, sodass auch die die Freizügigkeit beschränkenden Maßnahmen in kompetenzieller Hinsicht nicht zu beanstanden sind.467 Weiter wird in dieser Arbeit von der materiellen Verfassungsmäßigkeit der Befugnisnormen der klassischen Gefahrenabwehr ausgegangen468 und diese lediglich in Bezug auf die Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung unter Kap. 3, B. III. 3. b) eingehend beleuchtet. 2. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Befugnisnormen Im folgenden Abschnitt soll nun die Anwendung der Befugnisnormen der klassischen Gefahrenabwehr in typischen Fällen auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Nachdem hierfür die verschiedenen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen zunächst in abstrakter Weise beleuchtet werden [a)], wird sodann erläutert, wann von der Erfüllung jener Voraussetzungen in der Praxis im Tätigkeitsfeld der Eindämmung fußballbezogener Gewalt ausgegangen werden kann [b)]. a) Die abstrakten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Maßnahmen der „klassischen“ Gefahrenabwehr aa) Das Tatbestandsmerkmal der konkreten Gefahr Obwohl allein die polizeiliche Generalklausel gem. § 8 Abs. 1 PolG ausdrücklich vom Bestehen einer „konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ als Eingriffserfordernis spricht, setzen auch die meisten 466  Eingehend Hetzer, Freizügigkeit (Fn.  104), S. 8; Durner (Fn. 95), Art. 11 Rn.  128 ff. 467  Vgl. Fn. 425. 468  Kritikpunkte könnten sich hier in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips allein aus der vergleichsweise geringen Eingriffsvoraussetzung der „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“ ergeben (vgl. §§ 15 Abs. 1 S. 1, 34 Abs. 2 PolG, § 12a POG RP). Kritisch bezüglich des Tatbestandsmerkmals des Gefahrverdachts etwa J. Schwabe, Anmerkung zum Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen v. 10.6.1981 – 4 A 2607 / 79, in: DVBl. 1982, S. 655 (656 f.). Als verfassungsrechtlich unproblematisch wird dieses hingegen richtigerweise erkannt von H.  Pünder, Hamburgs neues Polizeirecht. Änderungen des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, in: NordÖR 2005, S. 292 (294).

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

anderen Maßnahmen der klassischen Gefahrenabwehr eine konkrete Gefahr für das durch sie jeweils geschützte Gut voraus. Verwenden die Eingriffsbefugnisse des Polizeigesetzes den Passus „zur Abwehr einer Gefahr“ (vgl. §§ 12 Abs. 1 Nr. 1, 34 Abs. 1 S. 1, 43 Nr. 1 PolG) bzw. „zum Schutz […] gegen eine Gefahr“ (vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG), ist dies als Festschreibung des primären Tatbestandsmerkmals der konkreten (teilweise qualitativ gesteigerten) Gefahr zu interpretieren. Erweitert wird der Wirkbereich dieses Tatbestandsmerkmals durch die zahlreichen Verweise durch Begleitmaßnahmen, etwa nach den §§ 35 Abs. 1 Nr. 3, 39 Abs. 1 Nr. 1 PolG. Ebenso erfordert § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG eine konkrete, gegenwärtige Gefahr, die durch das Erfordernis der „unmittelbar bevorstehende[n] Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ lediglich enger gefasst wird.469 Weiter können Maßnahmen, deren Tatbestand beispielsweise voraussetzt, dass diese „für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich“ sind (vgl. § 9 Abs. 1 S. 1 bzw. den abgewandelten Wortlaut des § 16a Abs. 4 S. 2 PolG), sich je nach zu erfüllender Aufgabe – Gefahrenabwehr oder -vorbeugung – auf eine konkrete Gefahr beziehen und diese somit voraussetzen.470 (1) Der Begriff der konkreten Gefahr Unter einer konkreten Gefahr wird gemeinhin „eine Sachlage oder ein Verhalten“ verstanden, das im einzelnen Falle „bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird“471. Eine konkrete Gefahr ist damit eine auf eine (zumindest vermeintliche) Tatsachenbasis zu stützende, einzelfallbezogene Prognose in Form eines hinreichend wahrscheinlichen, d. h. auf bewährten Erfahrungssätzen beruhenden, gedachten, nicht unbedingt vollständig konkretisierten472 Kausalverlaufs, an dessen Ende die Schädigung eines geschützten Rechtsgutes steht.473 Dabei besteht eine Komponente des Gefahrbegriffs – bedingt durch das Erfordernis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit – in der absehbaren, zeitlichen Nähe des prog469  C.

Keller, in: Schütte / Braun / ders., PolG NRW (Fn. 122), § 35  Rn. 15. in: Schütte / Braun / ders., PolG NRW (Fn. 122), § 9 Rn. 10; Pieroth /  Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14 Rn. 5, 102. 471  BVerwGE 45, 51 (57). Ähnlich B. Drews / G. Wacke / K. Vogel / W. Martens, Gefahrenabwehr. Allgemeines Polizeirecht (Ordnungsrecht) des Bundes und der Länder, 9. Aufl. 1986, S. 220. Vgl. weiter die Legaldefinition in § 2 Nr. 1a NdsSOG. 472  M. Möstl, Das Bundesverfassungsgericht und das Polizeirecht – Eine Zwischenbilanz aus Anlass des Urteils zur Vorratsdatenspeicherung, in: DVBl. 2010, S. 808 (810). 473  Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 4 Rn. 31. 470  C. Keller,



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nostizierten Schadenseintritts474, welche durch die gesetzlichen Qualifika­ tionen der „gegenwärtige[n] Gefahr“ (vgl. § 43 Nr. 1 PolG) bzw. der „unmittelbar bevorstehende[n] Begehung oder Fortsetzung einer Straftat“ (vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG) gesteigert wird.475 Obwohl die Wahrscheinlichkeitsprognose heute als „notwendiger Bestandteil des Gefahrenbegriffs“476 zählt, gestaltet sich die Fassung des erforderlichen Grades der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts als schwierig. Nicht erforderlich sein kann dessen Sicherheit, gleichzeitig reicht aber auch die lediglich vage Möglichkeit eines Schadens nicht aus.477 So gilt zur Ermittlung des hinreichenden Wahrscheinlichkeitsgrades: Je größer der drohende Schaden, desto geringer fallen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus.478 Nach der anfänglichen Überzeugung, Eingriffsbefugnisse würden nur durch eine objektiv vorliegende Gefahrenlage eröffnet, erfolgte durch die Anerkennung der Anscheinsgefahr sowie des Gefahrverdachts eine teilweise Subjektivierung des Gefahrbegriffs.479 Die in der Praxis der objektiven konkreten Gefahr gleichgestellte Anscheinsgefahr liegt dann vor, wenn aus der ex post-Perspektive zwar keine konkrete Gefahr bestand, ein sorgfältiger Amtswalter von einer solchen im Zeitpunkt des Eingreifens einer Maßnahme jedoch ausgehen durfte.480 Damit genügt für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der konkreten Gefahr, dass vom Vorliegen der erforderlichen Tatsachenbasis aus der Sicht eines sorgfältigen Beamten nur vertretbar ausgegangen werden kann und auf dieser Grundlage die bloß vertretbare Wahrscheinlichkeitsprognose des baldigen Schadenseintritts formuliert wird.481 474  So ausdrücklich BVerfGE 120, 274 (328 f.); M. Pils, Zum Wandel des Gefahrenbegriffs im Polizeirecht – Oder: Wie viele Körner bilden einen Haufen?, in: DÖV 2008, S. 941 (946). Nach Möstl sei hingegen allein zu fordern, dass das schädigende Ereignis „in überschaubarer Zukunft“ zu erwarten sei, Möstl, Bundesverfassungsgericht (Fn. 472), S. 810. 475  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 4 Rn. 19. 476  Pils, Wandel (Fn. 474), S. 945. 477  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 4 Rn. 7. 478  BVerwGE 45, 51 (61); 47, 31 (40); 88, 348 (351). Dazu weiter U. Di Fabio, Gefahr, Vorsorge, Risiko: Die Gefahrenabwehr unter dem Einfluß des Vorsorgeprinzips, in: Jura 1996, S. 566 (568). Kritisch gegenüber dieser Je-desto-Formel A. Leisner, Die polizeiliche Gefahr zwischen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe – Ein Beitrag zur Entscheidungstheorie im modernen Verwaltungsstaat, in: DÖV 2002, S. 326 (326 ff.). 479  Vgl. die historische Darstellung bei Pils, Wandel (Fn. 474), S. 942 ff. 480  Dazu H.-U. Erichsen / R. Wernsmann, Anscheinsgefahr und Anscheinsstörer, in: Jura 1995, S. 219 (219 ff.). 481  Kritisch Schwabe, Anmerkung (Fn. 468), S. 655 ff., sowie Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 4 Rn. 47 ff.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Weiter ermöglicht der Gefahrverdacht, von dessen Zulässigkeit trotz des diesbezüglichen Streits482 aufgrund seiner Notwendigkeit für eine effektive Gefahrenabwehr ausgegangen wird, zumindest Gefahrerforschungseingriffe.483 Voraussetzung ist, dass der sorgfältig handelnde Beamte im Zeitpunkt des Einschreitens zwar Zweifel bezüglich des Bestehens einer (objektiven) Gefahr hegt, diese jedoch nicht in Gänze ausschließen kann (und ein weiteres Abwarten das Risiko des Schadenseintritts steigern könnte).484 Für die spätere Prüfung bleibt jedoch zu bemerken, dass durch die Anerkennung der versubjektivierten Begriffe der Anscheinsgefahr und des Gefahrverdachts die Bedeutung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Untersuchung der Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen zunimmt.485 (2) Schutzgüter der in Rede stehenden Maßnahmen Die konkrete Gefahr bzw. der Gefahrverdacht muss sich auf eines der durch die jeweilige Norm geschützten Rechtsgüter beziehen. Sofern eine Rechtsgrundlage keine besondere Aussage über etwaige Schutzgüter trifft, wie z. B. die §§ 34 Abs. 1 S. 1, 43 Nr. 1 PolG, dient sie ebenso wie die Generalklausel dem Schutz vor Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.486 Gleichermaßen verhält es sich bei Maßnahmen, deren Rechtsgrundlage als Eingriffsvoraussetzung allein die Erforderlichkeit der Maßnahme für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe festlegt (vgl. etwa § 9 Abs. 1 S. 1 PolG), sofern die Maßnahme im Einzelfall sodann der Abwehr einer konkreten Gefahr dient.487 Begleit- und Vorbereitungsmaßnahmen, wie etwa die §§ 35 Abs. 1 Nr. 3, 39 Abs. 1 Nr. 2, 40 Abs. 1 Nr. 3 PolG, dienen dem Schutz desselben Gutes wie die Maßnahme, welche sie begleiten bzw. vorbereiten.488 482  Eine übersichtliche Darstellung der verschiedenen Positionen erfolgt bei Pils, Wandel (Fn. 474), S. 947. 483  T. Darnstädt, Karlsruher Gefahr – Eine kritische Rekonstruktion der polizeirechtlichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Vorratsdaten-Urteil und im Online-Urteil, in: DVBl. 2011, S. 263 (265 ff.); Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 4 Rn. 59. Anderes gilt bei den Maßnahmen, die ausdrücklich nur an das Vorliegen eines Gefahrverdachts anknüpfen, vgl. hierzu Kap. 3, B. II. 2. a) bb). 484  Di Fabio, Gefahr (Fn. 478), S. 568; B. Park, Wandel des klassischen Polizeirechts zum neuen Sicherheitsrecht, 2013, S. 195 ff. 485  So auch die Diagnose von Pils, Wandel (Fn. 474), S. 943. 486  J. Vahle, in: Tegtmeyer / ders., PolG NRW (Fn. 87), § 8 Rn. 2; Tegtmeyer (Fn. 451), § 34 Rn. 2. 487  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 13 Rn. 13. 488  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 18 Rn. 6.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen177

Von der öffentlichen Sicherheit umfasst sind die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, subjektive Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Bestand des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen.489 Das wiederbelebte, jedoch in der Praxis restriktiv angewendete Schutzgut der öffentlichen Ordnung ist demgegenüber in dieser Arbeit nicht von Belang, sodass darauf nicht weiter eingegangen wird. Durch einige der in Rede stehenden Befugnisnormen werden die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verengt, mit der Folge, dass zum Schutz der verbleibenden Rechtsgüter sodann eingriffsintensivere Mittel ergriffen werden dürfen. So ermächtigt § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG zur Ingewahrsamnahme einer Person, um diese vor einer konkreten Gefahr für Leib und Leben zu schützen. Auch § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG dient allein der Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden bzw. bereits teilverwirklichten Straftat- oder Ordnungswidrigkeitbegehung und damit z. B. nur dem Schutz eines Teils der Rechtsordnung sowie regelmäßig dem der Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen. Anzumerken bleibt, dass die gesetzlichen Eingriffsbefugnisse der Polizei nach Maßgabe der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte zwar der Rechtfertigung von Eingriffen in die Grundrechte der Betroffenen dienen, etwaige Eingriffe in aller Regel jedoch in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten des Staates geschehen – wie die polizeilichen Schutzgüter zeigen.490 Prägend für das Polizeirecht sind damit wie wohl für kein anderes Rechtsgebiet mehrpolige Grundrechtsverhältnisse, welche durch den Rechtsanwender zugunsten der einen oder der anderen grundrechtlich geschützten Position aufzulösen sind.491 bb) Das Tatbestandsmerkmal des Verdachts einer konkreten Gefahr Wie soeben gesehen, knüpfen die meisten der in diesem Abschnitt behandelten Maßnahmen an das Bestehen einer konkreten Gefahr an. Gleichzeitig hat die stattgefundene Subjektivierung des Gefahrbegriffs dazu geführt, dass das Tatbestandsmerkmal der konkreten Gefahr bereits bei der vertretbaren Annahme des Vorliegens eines bloßen Gefahrverdachts erfüllt ist, wenn auch die darauffolgende Eingriffsbefugnis nach Maßgabe des Verhältnismä489  K. Waechter, Die Schutzgüter des Polizeirechts, in: NVwZ 1997, S. 729 (733 f.); Gusy, POR (Fn. 296), Rn. 79. 490  Vgl. Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 65 ff.; K. Waechter, Die aktuelle Situation des Polizeirechts, in: JZ 2002, S. 854 (854). 491  Dazu C. Calliess, Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit im Lichte unterschiedlicher Staats- und Verfassungsverständnisse, in: DVBl. 2003, S. 1096 (1102).

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ßigkeitsprinzips regelmäßig auf die Vornahme eines Gefahrerforschungseingriffs reduziert ist. Bezüglich einiger Maßnahmen hat der Gesetzgeber durch die Verwendung des – teilweise leicht abgewandelten – Passus „rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass“ jedoch ausdrücklich den (konkreten) Gefahrverdacht als Eingriffsvoraussetzung festgeschrieben492, sodass schon das Vorliegen eines solchen zur endgültigen Vornahme der betroffenen Maßnahme berechtigt. Dies gilt zum einen für die Videobeobachtung und -aufzeichung im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen gem. § 15 Abs. 1 S. 1 PolG, für das Aufenthaltsverbot gem. § 34 Abs. 2 PolG sowie für die Durchsuchung einer Person bzw. einer Sache als Vorbereitungsmaßnahme einer späteren Sicherstellung gem. § 39 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 40 Abs. 1 Nr. 3 PolG und würde zum anderen für die zu erlassende Regelung zur Meldeauflage gelten.493 Die Videobeobachtung und -aufzeichnung, das Aufenthaltsverbot und die Meldeauflage sollen dabei allerdings allein dem Zweck der Verhütung von Straftaten bzw. im Falle der Videoüberwachung zudem von Ordnungswidrigkeiten dienen. cc) Bestimmung des jeweiligen Adressatenkreises Die in Rede stehenden Maßnahmen der klassischen Gefahrenabwehr richten sich ferner an unterschiedliche Adressatenkreise. Teilweise ist ein Rückgriff auf die §§ 4 ff. PolG erforderlich, sodass der von der Maßnahme Betroffene als (Verhaltens- oder Zustands-)Störer bzw. Notstandspflichtiger qualifiziert werden können muss. So verhält es sich bei der Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG494, der Platzverweisung gem. § 34 Abs. 1 S. 1 PolG495, der Sicherstellung nach § 43 Nr. 1 PolG und der die Sicherstellung vorbereitenden Durchsuchung von Personen und Sachen gem. §§ 39 Abs. 1 Nr. 2, 40 Abs. 1 Nr. 3 PolG496. 492  Kugelmann, POR (Fn. 13), 5. Kap. Rn. 99; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 4 Rn. 52. 493  Vgl. zum Regelungsvorschlag Kap. 3, B. I. 4. a). 494  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14 Rn. 44. 495  So in überzeugender Argumentation B. Schloer, Der Adressat des polizeilichen Platzverweises, in: DÖV 1991, S. 955 (955 ff.); M. Robrecht / U. Petersen-Thrö, Rechtliche Probleme bei der Anwendung der Platzverweisregelung des §  21 Abs. 1 S. 1 SächsPolG unter besonderer Berücksichtigung von „Platzverweiszonen“ und „diffusen“ Störergruppen, in: SächsVBl. 2006, S. 29 (33 f.); Götz, POR (Fn. 419), § 8 Rn. 22. A. A. Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 132a. 496  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 18 Rn. 10, 18, § 19 Rn. 13.



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Dagegen stellen einige Standardbefugnisnormen Spezialregelungen gegenüber den §§ 4 ff. PolG dar, sodass diese keine Anwendung finden. So besagt § 15 Abs. 1 S. 1 PolG, dass die Daten der Teilnehmer der Veranstaltung oder Ansammlung erhoben werden können, wobei Satz 2 darauf schließen lässt, dass sich Satz 1 auf die Teilnehmer bezieht, die auch für die Verursachung der konkreten Gefahr verantwortlich sind, d. h. die vermutetermaßen eine Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit begehen werden.497 Ein Rückgriff auf die §§ 4 ff. PolG ist damit nicht vonnöten. Auch das Aufenthaltsverbot, der Präventivgewahrsam gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG und die Meldeauflage nach der noch zu erlassenden, oben vorgestellten Regelung richten sich allein gegen die Person, die die jeweils befürchtete Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit zu begehen droht.498 Betroffener des Schutzgewahrsams gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG ist – sofern vorhanden – primär der die zu schützende Person gefährdende Störer, in der Praxis wird jedoch regelmäßig der zu Schützende selbst in Gewahrsam genommen werden.499 Weiter sind die Regelungen zu Maßnahmen, nach denen potenziell jedermann in Anspruch genommen werden kann, leges speciales gegenüber den §§ 4 ff. PolG. So kann gem. § 9 Abs. 1 S. 1 PolG ausdrücklich jede Person befragt werden und unterliegt damit zumindest der beschränkten Auskunftspflicht nach Abs. 2 S. 1. Einzige Einschränkung ist das Merkmal, dass „Tatsachen die Annahme rechtfertigen [müssen], dass sie sachdienliche Angaben machen kann“. Auch die Regelung zur kurzfristigen Observation nimmt zwar Bezug auf die §§ 4 f. PolG, erweitert den Kreis der potenziell Betroffenen dann jedoch auf „andere Personen“, sodass es auf die §§ 4 ff. PolG nicht ankommt (vgl. § 16a Abs. 4 S. 2 PolG).500 dd) Weitere ausgewählte Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (1) Der datenschutzrechtliche Erforderlichkeitsbegriff, die Grundsätze der Datenerhebung sowie der Zweckbindung Einige der soeben besprochenen Rechtsgrundlagen setzen für ein Eingreifen voraus, dass die jeweilige Maßnahme „für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Maßnahme erforderlich“ ist (vgl. § 9 Abs. 1 S. 1 PolG 497  So auch Tegtmeyer (Fn. 167), § 15 Rn. 2, sowie Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14 Rn. 88. 498  Vgl. etwa Finger, Aufenthaltsverbot (Fn. 126), S. 372; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 22. 499  Lambiris, Standardbefugnisse (Fn. 273), S. 27; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 22. 500  H. Tegtmeyer, in: ders. / Vahle, PolG NRW (Fn. 87), § 16a  Rn. 15.

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sowie den ähnlichen Wortlaut der §§ 15 Abs. 1 S. 2 und 16a Abs. 4 S. 2 PolG). Dieser spezifisch datenschutzrechtliche Erforderlichkeitsbegriff ist nicht als Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu verstehen, sondern besagt, dass „die Polizei im Hinblick auf eine konkrete Aufgabe einen Erhebungsbedarf haben muss.“501 Weiter gelten für jegliche informatorische Tätigkeit der Polizei die in § 9 Abs. 3 bis 6 PolG geregelten allgemeinen Grundsätze der polizeilichen Datenerhebung, welche den Bestimmungen des DSG NW vorgehen.502 Gemäß Abs. 3 S. 1 ist zulässiger Adressat einer Datenerhebungsmaßnahme grundsätzlich allein die Person, deren Daten erhoben werden sollen. Gemäß Satz 2 ist ausnahmsweise auch eine mittelbare Datenerhebung gestattet, wenn die Erfüllung der polizeilichen Aufgabe ansonsten erheblich erschwert oder gefährdet würde. Abs. 4 regelt weiter den Grundsatz der Offenheit der Datenerhebung. Laut Abs. 5 S. 1 ist eine Datenerhebungsmaßnahme zu unbestimmten Zwecken unzulässig. Einen weiteren Grundsatz für die datenerhebende Tätigkeit enthält § 9 Abs. 6 PolG, der der Polizei im Zusammenhang mit datenerhebenden Maßnahmen eine Pflicht zur Aufklärung des Betroffenen hinsichtlich der Rechtsgrundlage sowie etwaig bestehender Auskunftspflichten auferlegt.503 Ausgelagert in § 16 PolG ist demgegenüber der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, der ausdrücklich nur für Maßnahmen der Datenerhebung mit besonderen Mitteln nach den §§ 16a bis 21 PolG gilt. Findet über die Erhebung personenbezogener Daten hinaus eine Datenverarbeitung im Sinne einer Speicherung, Übermittlung oder weitergehenden Nutzung wie etwa bei einem Datenabgleich statt, gilt, aufbauend auf dem Grundsatz der Zweckbestimmung, ferner der Grundsatz der Zweckbindung, welcher in § 23 Abs. 1 S. 1 PolG geregelt ist. Demnach darf eine Datenverarbeitungsmaßnahme grundsätzlich nur zu dem Zweck erfolgen, zu dem die Daten erhoben wurden.504 Ausnahmsweise kann eine Zweckänderung der Daten erfolgen. Eine solche, gesetzlich geregelte Ausnahme findet sich u. a. in § 24 Abs. 2 S. 1 PolG (i. V. m. § 484 Abs. 4 StPO), nachdem Daten, die zum Zwecke der Strafverfolgung erhoben wurden, zu präventiv-polizeilichen 501  T. Petri, Informationsverarbeitung im Polizei- und Strafverfahrensrecht, in: Lisken / Denninger, Handbuch (Fn. 44), G Rn. 171. Ähnlich Gusy, POR (Fn. 296), Rn. 221. 502  Becker / Ambrock, Datenschutz (Fn. 171), S. 562. 503  Vgl. zu den soeben geschilderten Grundsätzen der Datenerhebung Becker / Ambrock, Datenschutz (Fn. 171), S. 562 f., sowie Kugelmann, POR (Fn. 13), 7. Kap. Rn.  32 ff. 504  Dazu D. Kugelmann, Der polizeiliche Gefahrenbegriff in Gefahr? – Anforderungen an die Voraussetzungen polizeilicher Eingriffsbefugnisse, in: DÖV 2003, S.  781 (788 f.); ders., POR (Fn. 13), 7. Kap. Rn. 38 ff.



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Zwecken genutzt werden dürfen, sofern der Tatverdacht fort- und nach umstrittener Ansicht Wiederholungsgefahr besteht.505 Den soeben erläuterten Instrumenten kommt insgesamt eine Schutzfunktion gegenüber dem von einer datenerhebenden bzw. -verarbeitenden Maßnahme betroffenen Bürger zu, welche bei Beachtung der obigen Grundsätze an Eingriffsintensität verliert.506 (2) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Wie für alle Grundrechtsbeschränkungen gilt ferner der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der in § 2 PolG eine ausdrückliche Regelung erfahren hat. Demnach müssen Maßnahmen mit Eingriffswirkung neben dem Erfordernis, einem legitimen öffentlichen Zweck zu dienen, zur Zweckförderung geeignet, erforderlich und angemessen bzw. verhältnismäßig i. e. S. sein.507 Das Merkmal der Erforderlichkeit wird durch einige Standardmaßnahmen mit dem Hinweis auf die nötige Unerlässlichkeit der Maßnahme (vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 2 und 3 PolG) aufgenommen, welchem jedoch keine über die ohnehin vorausgesetzte Erforderlichkeit hinausgehende Wirkung zukommt.508 Bestandteil rechtmäßiger polizeilicher Eingriffshandlungen ist somit immer auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen. Wie bereits gesehen, sind dies einerseits Grundrechtspositionen des Betroffenen als Eingriffsgut sowie das durch die Maßnahme geschützte Gut andererseits – in der Regel das Grundrecht eines anderen, welches durch eine dem Adressaten zurechenbare Gefahr bedroht wird und der Schutzpflicht des Staates unterliegt. Dabei existieren mit den Standardmaßnahmen Regelungen, mittels derer der Gesetzgeber der Maßgabe des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebotes gefolgt ist und die obige Interessenabwägung häufig durch die Schaffung verengter Eingriffsvoraussetzungen auf der Tatbestandsebene bzw. durch Einschränkungen auf der Rechtsfolgenseite zumindest zum Teil vorweggenommen hat. Dem Rechtsanwender verbleibt jedoch auch hier ein Spielraum, der nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszufüllen ist. In den typischerweise vorliegenden mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen sind dabei die Reichweite der abwehrrechtlichen Position des Betroffenen einerseits gegenüber der Reichweite der staatlichen Schutzpflicht andePieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 15 Rn. 17. zu Benachrichtigungs-, Berichtigungs- und Löschungspflichten Kap. 3, B. III. 3. b) bb) (3) (a) und (b). 507  Statt vieler Schoch (Fn. 143), 2. Kap. Rn. 155 ff. 508  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 24. 505  Vgl. 506  Vgl.

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rerseits zu bestimmen sowie beide Positionen in Ausgleich zu bringen, wobei für erstere das Übermaß-, für letztere das Untermaßverbot maßgebend ist. Die Erfüllung des Geeignetheits- und des Erforderlichkeitsgrundsatzes ist dabei bezüglich beider Positionen anhand des Über- bzw. Untermaßverbotes zunächst gesondert zu prüfen. Sodann werden die zuwiderlaufenden Rechtspositionen unter Einbeziehung öffentlicher Interessen bezüglich des vorliegenden mehrpoligen Grundrechtsverhältnisses einer Gesamtabwägung unterzogen, wobei als Auslegungsmaxime der Grundsatz der praktischen Konkordanz oder das Abwägungsgesetz509 besondere Bedeutung erfahren.510 b) Erfüllung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen in typischen Fällen aa) Gefahrprognose und Feststellung der Störereigenschaft (1) Einschlägige Schutzgüter Die in dieser Arbeit behandelten, im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen ergehenden, grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen der Polizei dienen allesamt einem Ziel: Der Vermeidung befürchteter gewalttätiger Ausschreitungen rivalisierender Fußballanhänger im In- und Ausland, im Rahmen derer regelmäßig zahlreiche Straftaten begangen werden, wie z. B. Körperverletzungen (§§ 223 ff. StGB), Sachbeschädigungen (§ 303 StGB), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB), Landfriedensbruch (§ 125 StGB) sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB).511 Mittels dieser Maßnahmen bezweckt die Polizei damit zum einen den Schutz der Unverletzlichkeit der (Straf-) Rechtsordnung sowie zum anderen den der Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen – beides Bestandteile der polizeilich geschützten öffentlichen Sicherheit.

509  Nach Alexy gilt demnach: „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, umso größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein“, R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Aufl. 1996, S. 146. 510  Insgesamt anschaulich zur Verhältnismäßigkeitsprüfung in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen Calliess, Gewährleistung (Fn. 491), S. 1102 ff. 511  Vgl. Jahresbericht Fußball Saison 2013 / 14 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, S. 14, abrufbar unter: https://www.polizei.nrw.de/artikel_68.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. Die Strafbarkeit nach dem deutschen Strafrecht für im Ausland begangene Taten richtet sich nach § 7 StGB.



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(2) Anforderungen an die Gefahrprognose, insbesondere der zugrundeliegenden Tatsachenbasis Um einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit standzuhalten, müssen die angesprochenen Maßnahmen zunächst der Abwehr einer diesen Schutzgütern drohenden konkreten Gefahr bzw. des Verdachts einer solchen dienen. Die Feststellung des Bestehens einer konkreten Gefahr oder eines Gefahrverdachts erfordert – wie bereits unter Kap. 3, B. II. 2. a) aa) (1) dargestellt – die Prognose eines in der Zukunft liegenden Kausalverlaufs. Der Ablauf des Geschehens sowie der Eintritt eines Schadens an einem geschützten Gut müssen auf Grundlage einer ausreichenden Tatsachenbasis sowie eines gewissen Erfahrungsschatzes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und für den objektiven Betrachter nachvollziehbar vorhergesagt werden können, wobei nach dem oben Gesagten nicht entscheidend ist, ob eine Gefahr ex post tatsächlich vorlag. Die Erstellung einer Gefahrprognose besteht aus zwei Komponenten: Erstens der Ermittlung der vorliegenden Tatsachen und zweitens der auf dieser Basis vorgenommenen Vorhersage der künftigen Entwicklung des Geschehens.512 Im Zuge der den hier in Rede stehenden Maßnahmen zugrundeliegenden Gefahrprognose müssten die handelnden Beamten zu dem vertretbaren Schluss kommen, dass im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Fußballveranstaltung nicht nur allgemein gewalttätige Fanausschreitungen drohen, sondern eine der Fanszene angehörende konkrete Person eine Straftat begehen wird.513 Sofern dies der Fall ist, erübrigt sich eine gesonderte Prüfung der Störereigenschaft der betroffenen Person, die als potenzieller Straftäter immer als Verhaltensstörer gem. § 4 Abs. 1 PolG unmittelbar für die festzustellende Gefahr verantwortlich ist.514 Die Tatsachenbasis für die vorzunehmende Gefahrprognose wird in der Praxis zum einen durch Erkenntnisse bezüglich der fraglichen Fangruppe und deren Bereitschaft zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, zum anderen durch Tatsachen, welche die Person selbst betreffen, gebildet.515 Erstere, auf die Fanszene bezogene Tatsachen, die der Gefahrprognose als Grundlage dienen können, sind z. B. das gewalttätige Verhalten der Gruppe bei vorangegangen Spielen, speziell bei Begegnungen mit der baldigen gegnerischen Bramow / Wegner, Meldeauflagen (Fn. 114), S. 217. VGH Mannheim, DÖV 2001, 218. Anschaulich auch die Ausführungen des VG Arnsberg, Beschluss v. 1.7.2009 – 3 L 345 / 09, BeckRS 2009, 40497. 514  Vgl. auch Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 160. 515  Eine ausführliche, praxisbezogene Darstellung des Vorgehens zur Erstellung einer solchen Prognose findet sich bei Bramow / Wegner, Meldeauflagen (Fn. 114), S.  214, 217 f. 512  Vgl. 513  Vgl.

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Mannschaft, die Einschätzung als „Spiel mit erhöhtem Risiko“ i. S. v. § 32 der DFB-Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen516 oder besondere, auf eine konkrete Spielbegegnung bezogene Erkenntnisse szenekundiger Beamter, die beispielsweise darauf schließen lassen, dass die fragliche Fangruppe Auseinandersetzungen mit den gegnerischen Fans zielgerichtet plant.517 Neben die soeben genannten Tatsachen, die die begründete Annahme zulassen müssen, dass es im Rahmen der fraglichen Fußballveranstaltung zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen wird, müssen weiter personenbezogene Tatsachen treten, die begründen, dass die vorliegende Gefahr gerade auch dem Betroffenen zugerechnet werden kann, d. h. dieser mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erstens zur fraglichen Veranstaltung reisen und zweitens dort an gewalttätigen Ausschreitungen teilnehmen wird.518 Bereits hier zeigt sich die Schwierigkeit einer solchen Gefahrprognose in der Praxis, zumindest wenn diese nicht erst am Spieltag selbst und vor Ort erstellt wird.519 Dennoch kommen als solche personenbezogenen Tatsachen u. a. die im Folgenden dargestellten in Betracht. Wie in der Praxis häufig, kann die Gefahrprognose zunächst auf eine in der Vergangenheit liegende Verurteilung der fraglichen Person wegen der Begehung einer der oben genannten Straftaten im Rahmen einer früheren Fußballveranstaltung gestützt werden.520 Dies gilt zumindest, sofern die begründete Annahme besteht, dass der Betroffene plane, die in Rede stehende Spielbegegnung im Stadion zu verfolgen – etwa weil er als Zugehöriger der Fanszene nach Kenntnis szenekundiger Beamter kein Spiel seiner favorisierten Mannschaft verpasst. Die soziologischen und psychologischen Er516  Fn. 172.

517  Solche Erkenntnisse erlangen szenekundige Beamte beispielsweise durch Aufrufe in einschlägigen Foren etc. Vgl. die Darstellung bei Drumm, Passbeschränkungen (Fn. 345), S. 466. 518  Dabei wird ein Verursachungsbeitrag für eine Gefahr teilweise bereits darin gesehen, dass eine der gewaltbereiten Fan-Szene zugehörige Person diese Zugehörigkeit zum Ausdruck bringt und somit andere Personen, die persönlich Gewalt anwenden, psychologisch unterstützt, vgl. VG Arnsberg, Beschluss v. 1.7.2009 – 3 L 345 / 09, BeckRS 2009, 40497. 519  Eine pauschale Formel wie diejenige, die Nolte in Bezug auf die Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland i. S. v. § 7 Abs. 1 Nr. 1, Var. 2 PassG anwendet, dass vom „Vorliegen dieser Voraussetzung […] bei einer Person ausgegangen [werden kann], die als gewaltbereiter Hooligan bekannt ist und in jüngerer Zeit, d. h. innerhalb der letzten zwölf Monate im Zusammenhang mit Gewalttaten […] aufgefallen war“ (vgl. Nolte, Aufgaben [Fn. 11], S. 150), reicht in ihrer Einfachheit nicht aus. 520  Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 134; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 206; Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1212.



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kenntnisse des Kapitel 1. sprechen gerade bei Straftätern, die aufgrund fußballbezogener Gewaltdelikte verurteilt wurden, bei einer fortwährenden Szenezugehörigkeit regelmäßig für eine vorliegende Wiederholungsgefahr.521 Allerdings ist zum einen zu bemerken, dass eine entsprechende frühere Verurteilung nur für einen beschränkten Zeitraum gefahrbegründende Wirkung entfalten kann. Die Legitimation eines allein auf einer solchen Verurteilung basierenden Schlusses auf ein zukünftiges gefährliches Verhalten nimmt mit fortschreitendem Zeitablauf zwangsläufig ab. Wo hier die zeitliche Grenze zu ziehen ist, ist jedoch allein für den Einzelfall sinnvoll zu bestimmen.522 Zum anderen kann eine vorherige strafrechtliche Verurteilung des Adressaten zwar einen Bestandteil der der Gefahrprognose zugrunde liegenden Tatsachen ausmachen, die Vorverurteilung allein bildet jedoch keine konkrete Gefahr.523 Gleichzeitig stellt sie kein zwingendes Erfordernis für das Vorliegen einer solchen dar.524 Weiter kann ein bestehendes, rechtmäßiges (bundesweites) Stadionverbot als Grundlage der Gefahrprognose dienen, da sich der Betroffene mit dem Betreten des Stadiongeländes grundsätzlich des Hausfriedensbruchs gem. § 123 Abs. 1 StGB schuldig machen und eine Störung der öffentlichen Sicherheit herbeiführen würde.525 Die frühere Aussprache eines – wenn auch 521  Vgl. auch F. Lösel / T. Bliesener / T. Fischer / M. Pabst, Hooliganismus in Deutschland: Ursachen, Entwicklung, Prävention und Intervention, 2001, S. 162 f., die den „Fights“ der Hooligans einen suchtartigen Charakter attestieren und im Zusammenkommen mehrerer der in Kapitel 1 ausgemachten Risikofaktoren für fußballbezogene Gewalttätigkeit eine Begünstigung „persistent dissozialen Verhaltens“ sehen. 522  So erscheint das Abstellen auf zwei mehr als 10 Jahre zurückliegende Verurteilungen im Zusammenhang mit fußballbezogener Gewalt zur Begründung einer konkreten Gefahr – wenn auch neben weiteren herangezogenen Umständen – durch das VG Minden fragwürdig, VG Minden, Urt. v. 29.6.2005 – 11 K 2952 / 04, BeckRS 2005, 27839. Das VG Karlsruhe befand die Teilnahme an mehr als drei Jahre vergangenen Auseinandersetzungen als zeitlich zu lang zurückliegend, um das Bestehen einer Gefahr zu begründen, VG Karlsruhe, SpuRt 2009, 130 (131). Vgl. dazu auch die Wertung durch BT-Drs. 14 / 2726, S. 6 zur Änderung des Pass- und Personalausweisrechts, in der davon ausgegangen wird, dass zur Begründung einer Gefährdungslage i. S. v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 2. Fall PassG ein betroffener Hooligan „in jüngerer Zeit, d. h. innerhalb der letzten zwölf Monate im Zusammenhang mit Gewalttaten […] aufgefallen sein“ muss. 523  Auch das OVG Lüneburg stellt fest, dass neben der Verurteilung beweiskräftige Anhaltspunkte vorliegen müssen, die für eine erneute Begehung vergleichbarer Delikte sprechen, OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 (394). 524  Vgl. BVerfG (K), Beschluss v. 19.6.2006 – 1 BvQ 17 / 06, BeckRS 2006, 19654; OVG Lüneburg, NordÖR 2006, 309 (310); VG Braunschweig, Beschluss v. 8.6.2006, 5 B 173 / 06, BeckRS 2006, 24209; Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 134. 525  Zur Rechtmäßigkeit von Stadionverboten BGH, NJW 2010, 534; M. Breucker, Zulässigkeit von Stadionverboten, in: JR 2005, S. 133 (133 ff.).

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unangefochtenen – Stadionverbotes genügt zur Begründung des Bestehens einer konkreten Gefahr allerdings nicht.526 Zweifelhaft erscheint demgegenüber die polizeiliche Praxis, sich zur Begründung des Bestehens einer konkreten Gefahr der Straftatenbegehung auf frühere oder aktuelle staatsanwaltschaftliche Ermittlungen bezüglich der vermeintlichen Begehung einer Straftat im obigen Sinne, die (noch) nicht zu einer Verurteilung geführt haben, zu beziehen.527 Gegen ihre Zulässigkeit spricht, dass die Polizei ansonsten die sodann gefahrbegründenden Tatsachen selbst schaffen könnte.528 Mit demselben Argument wird auch das alleinige Abstellen der Polizei auf eine Eintragung in der Datei „Gewalttäter Sport“, unabhängig vom Streit um die Rechtmäßigkeit ihrer Errichtung529 bzw. der Rechtmäßigkeit der konkreten Eintragung, weitgehend für unzulässig befunden.530 Es bleibt jedoch darauf hinzuweisen, dass diejenigen Verhaltensweisen des Betroffenen, die zur Aufnahme in die Datei bzw. zu den strafrechtlichen Ermittlungen (oder auch zu präventiv-polizeilichen Maßnahmen wie einer Ingewahrsamnahme) geführt haben, sehr wohl gefahrbegründende Tatsachen darstellen, welche bei der Prognose Berücksichtigung finden können.531 Ebenfalls heranziehbare Tatsachen können Erkenntnisse aus vorangegangen polizeilichen Maßnahmen, wie etwa das wiederholte Auffinden einschlägiger Schutz- und Trutzbekleidung beim Betroffenen im Umfeld von Fußballveranstaltungen, darstellen.532 Weiter wird häufig die – nach Aussagen szenekundiger Beamter bestehende – Zugehörigkeit zu einer erwiesenermaßen gewaltgeneigten Fangruppe zur Begründung der konkreten Gefahr der Straftatenbegehung herange526  So jedoch zumindest anklingend beim VG Ansbach, Beschluss v. 11.9.2012, AN 5 S 12.01535, BeckRS 2012, 57222. 527  Vgl. z. B. das Vorbringen der Behörden in VG Braunschweig, Beschluss v. 8.6.2006, 5 B 173 / 06, BeckRS 2006, 24209. 528  Ebenso Breucker, Sicherheit (Fn.  81), S.  134; Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 159 f.; Bramow / Wegner, Meldeauflagen (Fn. 114), S. 217. 529  Vgl. die Ausführungen in Fn. 39. 530  OVG Bremen, NordÖR 2009, 42 (45); VG Stuttgart, NVwZ-RR 2009, 679 (681) mit Bezugnahme auf die Datei „Gewalttäter links“; Breucker, Präventivmaßnahmen (Fn. 344), S. 1631; ders., Sicherheit (Fn. 81), S. 134; Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 159 f.; Steinat, Speicherung (Fn. 10), S. 112. 531  So auch das BVerfG (K), Beschluss v. 19.6.2006, 1 BvQ 17 / 06, BeckRS 2006, 19654; OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 (394); VG Hannover, Beschluss v. 21.7.2011, 10 B 2096 / 11, BeckRS 2011, 52822, sowie Breucker, Präventivmaßnahmen (Fn. 344), S. 1631 und Bramow / Wegner, Meldeauflagen (Fn. 114), S. 217. 532  Vgl. OVG Bautzen, Beschluss v. 26.5.2010 – 3 A 244 / 09, BeckRS 2010, 50452.



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zogen und diese Praxis durch die Rechtsprechung bestätigt.533 Abermals ist jedoch anzumerken, dass dem Umstand der Zugehörigkeit zur gewaltbereiten Fanszene allein kein gefahrbegründender Charakter zukommt.534 Vielmehr muss eine einzelfallbezogene Gesamtschau der vorliegenden, – nach dem oben Gesagten – heranziehbaren, szene- sowie personenbezogenen Tatsachen erfolgen, auf deren Grundlage sodann der nachvollziehbare Schluss getroffen werden können muss, dass der Betroffene die fragliche Fußballveranstaltung wahrscheinlich besuchen sowie sich in diesem Rahmen an gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligen und ein polizeilich geschütztes Gut schädigen wird. Bezogen auf den erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad dieses Ereignisses ist die dem Gefahrbegriff eigene Dynamik zu berücksichtigen. Demnach sind an den Wahrscheinlichkeitsgrad der Gefahr, die im Zusammenhang mit gewalttätigen Fanausschreitungen regelmäßig für die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit sowie des Lebens (u. a. unbeteiligter Personen) besteht und damit durch eine vergleichsweise große Schadenshöhe gekennzeichnet ist, keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Darüber hinaus ist der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad nach dem oben Gesagten erneut herabzusetzen, sofern eine Maßnahme lediglich an das Bestehen eines konkreten Gefahrverdachts anknüpft. bb) Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Gefahrenabwehr in typischen Fällen (1) Die Identitätsfeststellung nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG erfordert eine Identitätsfeststellung – von den weiteren, der Gefahrenvorbeugung zuzuordnenden Regelungen in § 12 Abs. 1 PolG abgesehen – zunächst das Bestehen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, für deren Entstehung der Betroffene unmittelbar verantwortlich sein muss. Anknüpfend an die obigen Erkenntnisse und bezogen auf den Problemkreis dieser Arbeit, müssen die Beamten der Polizei damit auf Grundlage einer ausreichenden Tatsachenbasis zu der objektiv nachvollziehbaren, hin533  Maßgeblich auf die Szenezugehörigkeit stellen ab etwa der VGH Mannheim, NJW 2000, 3658 (3660); das VG Braunschweig, Beschluss v. 8.6.2006, 5 B 173 / 06, BeckRS 2006, 24209, sowie Bramow / Wegner, Meldeauflagen (Fn. 114), S. 217. 534  So auch das VG Hannover, Beschluss v. 21.7.2011, 10 B 2096 / 11, BeckRS 2011, 52822, sowie Finger, Aufenthaltsverbot (Fn. 126), S. 371; Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1212; Siegel, Hooligans (Fn. 110), S. 1037 und Pieroth / Schlink /  Kniesel, POR (Fn. 14), § 21 Rn. 46.

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reichend wahrscheinlichen Prognose kommen können, dass im Rahmen der fraglichen Fußballveranstaltung gewalttätige Ausschreitungen nicht nur allgemein drohen, sondern sich der Betroffene auch an diesen beteiligen und damit eine Verletzung eines der polizeilich geschützten Güter – primär der Strafrechtsordnung oder der Rechtsgüter des Einzelnen – herbeiführen wird. Dabei können sich die erforderlichen personenbezogenen Tatsachen nur aus einem von außen wahrnehmbaren, auffälligen und verdächtigen Erscheinen des Betroffenen und der ihn eventuell umgebenden Gruppe sowie deren Verhalten ergeben, da die Identität des potenziellen Störers noch nicht festgestellt ist und auf die oben angesprochenen Tatsachen nicht zurückgegriffen werden kann. Dieser Umstand beschränkt den Anwendungsbereich der Identitätsfeststellung nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG. Dennoch ist es denkbar, dass die Polizei aufgrund bloßer Beobachtungen zu der geforderten Prognose kommen und die Identität der fraglichen Person feststellen kann, z. B. wenn die Polizei ein Geschehen verfolgt, welches darauf schließen lässt, dass eine Gruppe von Zuschauern gefährliche Gegenstände wie Pyrotechnik in der Kleidung zu verstecken versucht, um diese ins Stadioninnere zu schmuggeln. In einem solchen Fall wären die Eingriffsvoraussetzungen der Identitätsfeststellung – namentlich der konkreten Gefahr sowie der Störereigenschaft nach den §§ 4 f. PolG – erfüllt. Weiter ergäben sich auf der Rechtsfolgenseite – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – keinerlei Bedenken bezüglich der Verhältnismäßigkeit der Identitätsfeststellung. So stellt die Maßnahme einen wenig intensiven Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen dar. Gleichzeitig ist sie zur Verhütung gewalttätiger Fanausschreitungen, durch welche regelmäßig hochwertige Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, wie das Leben, die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum teilweise unbeteiligter Dritter bedroht oder geschädigt werden, essentiell. Dies zeigt sich insbesondere in Ansehung der Maßnahmen, die die Identitätsfeststellung durch die Nutzbarmachung personenbezogener Informationen erst ermöglicht.535 Werden gem. § 12 Abs. 2 PolG weitere Maßnahmen zur Durchsetzung der Identitätsfeststellung ergriffen, ist die dem Verhältnismäßigkeitsprinzip geschuldete Stufung des Gesetzgebers zu beachten.536 Festzuhalten ist damit, dass sich auch im Rahmen der Bekämpfung fußballbezogener Gewalt Situationen ergeben können, in denen die Polizei auf Grundlage von § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG in gerechtfertigter Weise Identitäts535  Vgl. dazu die Ausführungen unter den folgenden Gliederungspunkten, welche die Maßnahmen betreffen, die eine weitere personenbezogene Gefahrprognose voraussetzen. 536  Vgl. VG Aachen, Urteil v. 5.10.2009 – 6 K 1614 / 08, BeckRS 2013, 51364.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen189

feststellungen durchführen kann. Dennoch bleibt zu bemerken, dass der Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG aufgrund der erforderlichen personenbezogenen Tatsachen, die auf die Verursachung einer Gefahr gerade durch den von der Maßnahme Betroffenen hinweisen müssen, beschränkt ist. Es verbleibt jedoch die Möglichkeit der Identitätsfeststellung auf Grundlage von § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG, auf deren Eingriffsvoraussetzungen unter Kap. 3, B. III. 4. b) dd) eingegangen wird. (2) Die Videobeobachtung und -aufzeichnung bei öffentlichen Veranstaltungen und Ansammlungen Als weitere informationelle Maßnahme, die jedoch ebenso Abs. 1 Nr. 1 PolG zum Bereich der klassischen Gefahrenabwehr ist, ist die Videobeobachtung und -aufzeichnung bei öffentlichen tungen und Ansammlungen gem. § 15 Abs. 1 S. 1 PolG näher in zu nehmen.

wie § 12 zu zählen Veranstalden Blick

Eingriffserfordernis ist hierfür das Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass bei einer öffentlichen Veranstaltung oder Ansammlung Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden. Die handelnden Beamten müssen damit auf Grundlage einer ausreichenden Tatsachenbasis im oben erläuterten Sinne zu dem vertretbaren Schluss kommen können, dass bei der fraglichen Veranstaltung oder Ansammlung die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten – im hiesigen Anwendungsfeld insbesondere im Rahmen gewalttätiger Fanauseinandersetzungen – zumindest durch Teile der beobachteten Personen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohen. Dabei ist der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad der Prognose auch dann erreicht, wenn ein sorgfältig handelnder Beamter zwar die Möglichkeit einer Fehleinschätzung der Tatsachen seinerseits erkennt, das Bestehen einer konkreten Gefahr jedoch nicht gänzlich ausschließen kann.537 Gefordert sind damit ein konkreter Gefahrverdacht sowie die Verdachtsstörereigenschaft zumindest eines Teils der Teilnehmer, wie bereits § 15 Abs. 1 S. 2 PolG klarstellt.538 Bei der Videobeobachtung und -aufzeichnung z. B. eines Blockes „aktiver“ Fußballfans im Stadion werden diese Tatbestandsvoraussetzungen nach den Lageberichten der ZIS häufig erfüllt sein. Darüber hinaus muss sich die Maßnahme im Einzelfall sodann auf der Rechtsfolgenebene als verhältnismäßig erweisen. Nach den obigen Erkenntnissen sind sowohl die bloße Videobeobachtung nach dem Kamera-Monitor537  Vgl.

Kap. 3, B. II. 2. a) bb). POR (Fn. 14), § 14 Rn. 88.

538  Pieroth / Schlink / Kniesel,

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Prinzip als auch die Videoaufzeichnung von Übersichts- und Nahaufnahmen als Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung zu werten.539 Unterschiede ergeben sich allein hinsichtlich der jeweiligen Eingriffsintensität, die durch die Speicherung der Aufnahmen sowie die Identifizierbarkeit der beobachteten Personen ansteigt. Diese Divergenzen sind im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenso zu berücksichtigen wie die Zusammensetzung der beobachteten Menschenmenge im Hinblick auf die Anzahl der Störer sowie Unbeteiligter. Vorbehaltlich etwaiger besonderer Umstände im Einzelfall wird die Videobeobachtung und -aufzeichnung von Personenansammlungen im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen jedoch regelmäßig als verhältnismäßig zu bewerten sein. Weiter sind die oben erläuterten allgemeinen Grundsätze der Datenerhebung sowie darüber hinaus die der Datenverarbeitung zu berücksichtigen, sofern die Aufnahmen gespeichert werden.540 § 15 Abs. 1 S. 3 PolG ordnet die grundsätzliche Löschung der Daten nach spätestens einem Monat an. (3) Die Gefährderansprache (a) Rechtmäßigkeit der Maßnahme auf Grundlage von § 8 Abs. 1  PolG Üblicherweise wird als Rechtsgrundlage für die Gefährderansprache die polizeiliche Generalklausel herangezogen und die Maßnahme damit im Bereich der klassischen Gefahrenabwehr eingeordnet. Somit wird auch an diese, regelmäßig weit im Vorfeld einer Veranstaltung ergehende Maßnahme zunächst die Anforderung gestellt, dass der Betroffene im Zeitpunkt der Anwendung der Maßnahme für das Bestehen einer konkreten Gefahr unmittelbar verantwortlich ist. Sofern die Beamten aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu dem vertretbaren Schluss kommen, dass bei der fraglichen Fußballveranstaltung gewalttätige Fanausschreitungen nicht nur allgemein drohen, sondern auch der Angesprochene wahrscheinlich in diesem Zusammenhang Straftaten begehen wird, sind die Eingriffsvoraussetzungen der konkreten Gefahr und der Störereigenschaft erfüllt. Weiter wird die Maßnahme in einem solchen Fall in der Regel auch verhältnismäßig sein. Die bezweckte Verhütung von Straftaten bzw. von drohenden Verletzungen der Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit sowie des Eigentums ist nicht zu beanstanden und wird 539  Vgl. 540  Vgl.

Kap. 3, A. II. 1. d) aa) und bb). Kap. 3, B. II. 2. a) dd) (1).



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen191

grundsätzlich durch ein geeignetes Mittel verfolgt. Wenn auch bei „eingesessenen“ Hooligans und Ultras nicht hochgradig effektiv, kann die wenig eingriffsintensive Maßnahme der Gefährderansprache weiter als erforderliches und angesichts der bei gewalttätigen Fanausschreitungen drohenden, schweren Gefahren für hochwertige Rechte und Rechtsgüter (teilweise unbeteiligter Dritter) auch als angemessenes Mittel bewertet werden.541 (b) R  echtspolitisches Erfordernis und Vorschlag einer speziellen Regelung der Gefährderansprache im Bereich des Gefahrenvorfeldes In der Praxis begegnen die handelnden Beamten bei der entsprechenden Gefahrprognose, bedingt durch den Vorfeldcharakter der Maßnahme, jedoch einigen Schwierigkeiten. So wird die Erlangung der erforderlichen Tatsachenbasis häufig nicht möglich sein, da z. B. auch szenekundige Beamte nicht unbedingt Kenntnis über der Absicht des Betroffenen haben, die fragliche Veranstaltung zu besuchen oder nicht.542 Darüber hinaus ist es – wie Kießling konstatiert – denkbar, dass sich Unsicherheiten bei der Gefahrprognose nicht nur aus der mangelnden Möglichkeit der Beamten, die Absichten des Betroffenen genau zu ermitteln, ergeben (so beim Szenario des Gefahrverdachts), sondern zudem daraus, dass dieser die Entscheidung, die Spielbegegnung im Stadion zu verfolgen, – wie den Beamten eventuell sogar bekannt ist – so weit im Voraus noch nicht getroffen hat. Ob nun dem objektiven oder subjektiven Gefahrbegriff gefolgt wird, eine konkrete Gefahr läge zumindest bei Kenntnis der Beamten noch nicht vor.543 In Ansehung der im weiteren Vorfeld einer Veranstaltung bei der Prognose einer konkreten Gefahr auftretenden Schwierigkeiten sowie der geringen Eingriffsintensität der Maßnahme stellt sich die Frage, ob die Gefährderansprache, wenn auch aus gesetzessystematischer und verfassungsrechtlicher Sicht nicht vonnöten544, nicht einer speziellen Regelung zugeführt werden könnte und sollte, die sodann dogmatisch im Gefahrenvorfeld, d. h. im Tätigkeitsbereich der Gefahrenvorbeugung anzusiedeln wäre.545 Als Vorlage für eine solche Standardermächtigung könnte § 49b des Österreichischen Sicherheitspolizeigesetzes dienen. Dieser lautet wie folgt: Hebeler, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 1366. auch Arzt, Gefährderansprache (Fn. 45), S. 158; Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1212. 543  Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1213. 544  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, B. I. 2. a) aa) (2) (a) sowie b) bb) (1). 545  Ebenso Kießling, Einordnung (Fn. 45), S. 1214 ff. 541  Vgl. 542  So

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„Menschen, die Verwaltungsübertretungen nach §§ 81 oder 82, nach dem Pyrotechnikgesetz 2010 […], nach Art. III Abs. 1 Z 4 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 […], oder nach § 3 des Abzeichengesetzes 1960 […] in unmittelbarem Zusammenhang mit Sportgroßveranstaltungen begangen haben, und von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie auch in unmittelbarem Zusammenhang mit künftigen Sportgroßveranstaltungen solche Verwaltungsübertretungen begehen werden, können von der Sicherheitsbehörde vorgeladen werden, um über das rechtskonforme Verhalten bei solchen Veranstaltungen nachweislich belehrt zu werden. § 19 AVG gilt.“546

Um sich gesetzessystematisch einzugliedern, sollte eine Regelung der Gefährderansprache in Form einer Erweiterung der Befugnis zur Vorladung aus § 10 PolG um einen Abs. 1a in Betracht gezogen werden, der wie folgt lauten könnte. „(1a) Eine Person, die wegen der Begehung einer Straftat nach den §§ 223, 231, 113, 303, 86a des Strafgesetzbuches in Zusammenhang mit Sportgroßveranstaltungen verurteilt wurde oder gegen die der Verdacht einer solchen besteht oder die in diesem Zusammenhang durch die Verwendung von Pyrotechnik Personen gefährdet hat und von der aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie auch im Zusammenhang mit künftigen Sportgroßveranstaltungen solche Straftaten begehen oder Personen gefährden wird, kann durch die Polizei aufgesucht oder vorgeladen und über das rechtskonforme Verhalten bei solchen Veranstaltungen belehrt werden (Gefährderansprache). Die Belehrung kann schriftlich erfolgen, wenn der Zweck der Maßnahme dadurch gleichermaßen gefördert wird (Gefährderanschreiben). Ein Aufsuchen während der Nachtzeit (§ 104 Abs. 3 der Strafprozessordnung) ist unzulässig.“

Weiter wäre Abs. 3 folgendermaßen zu erweitern: „(3) Leistet eine betroffene Person der Vorladung ohne hinreichenden Grund keine Folge, so kann sie zwangsweise durchgesetzt werden, 1. […] 2. […], 3. zur Durchführung einer Maßnahme nach Absatz 1a.“

Die vorgeschlagene Regelung trägt durch den Verzicht auf das Eingriffserfordernis einer konkreten Gefahr – erforderlich wäre hiernach nur eine abstrakte Gefährdung, welche noch nicht auf eine bestimmte Veranstaltung bezogen sein muss – dem ausgewiesenen Vorfeldcharakter der Gefährderansprache Rechnung. Gleichzeitig wird durch die Bezugnahme auf zurückliegende Normverstöße des Betroffenen sowie das Erfordernis, dass gefährdendes Verhalten in der Zukunft aufgrund bestimmter Tatsachen erneut zu erwarten sein muss, einer ausufernden Normanwendung vorgebeugt. Der Regelung könnte vorgeworfen werden, sie reagiere bloß auf die polizeiliche Praxis, von der Gefährderansprache oftmals trotz des Fehlens der 546  ÖBGBl.

I 13 / 2012.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen193

gem. § 8 Abs. 1 PolG erforderlichen Gefahrenlage rechtswidrig Gebrauch zu machen, und legitimiere diese lediglich zu Ungunsten des betroffenen Grundrechtsträgers. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Schaffung einer speziellen Rechtsgrundlage, die geringere Anforderungen an das Mittel der Gefährderansprache stellt, dessen praktische Anwendung zwar ausweiten und Grundrechtseingriffe durch diese Maßnahme vermehren könnte, gleichzeitig jedoch intensivere Grundrechtseingriffe durch eventuell sogar rechtswidrig angewendete Mittel, wie etwa das der Meldeauflage oder des Aufenthaltsverbotes, zahlenmäßig verringern könnte. So könnten z. B. durch den vermehrten, da leichteren Gebrauch der Gefährderansprache solche Situationen vermieden werden, in denen der Betroffene, auch wenn er sich noch gar nicht entschieden hat, ob er eine gefahrträchtige Veranstaltung besuchen möchte, bereits Adressat einer Meldeauflage ist, indem er im Rahmen der Gefährderansprache zum einen seine Absichten darlegen und in der Folge zum anderen von einer gegebenenfalls geplanten Teilnahme an der fraglichen Veranstaltung Abstand nehmen kann. Weiter spricht die insgesamt geringe Eingriffswirkung der Gefährderansprache, selbst im Falle einer damit einhergehenden Vorladung547, sowie der mit ihr verfolgte Zweck für die Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Regelung. Ferner würde die Schaffung einer entsprechenden Standardmaßnahme die Diskussion um das verfassungsrechtliche Erfordernis einer solchen beenden. (4) Das Aufenthaltsverbot und die Meldeauflage Sowohl ein Aufenthaltsverbot gem. § 34 Abs. 2 PolG als auch eine Meldeauflage nach dem obigen Regelungsvorschlag548 bedürfen auf der Tatbestandsseite „lediglich“ der Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, „dass eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird“ bzw. im Falle der Meldeauflage „dass die Person eine Straftat begehen wird“, und damit des Verdachts der konkreten Gefahr einer Straftatenbegehung oder eines diesbezüglichen Beitrags zu derselben.549

547  Diese wird durch die bestehende Regelung in § 10 Abs. 1 PolG ebenfalls bereits im Gefahrenvorfeld zugelassen. 548  Vgl. Kap. 3, B. I. 4. a). 549  Nicht entscheidend ist im Polizeirecht, ob der Betroffene sich durch sein Handeln auch strafbar machen würde. Es reicht die Erfüllung des objektiven Straftatbestandes, Finger, Aufenthaltsverbot (Fn. 126), S. 372; H.  Tegtmeyer, in: ders. / Vahle, Polizeigesetz PolG NRW (Fn. 87), § 35 Rn. 7.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Somit müssen die handelnden Beamten erneut auf Grundlage einer ausreichenden Tatsachenbasis zu der objektiv nachvollziehbaren Annahme gelangen können, dass sich der Betroffene wahrscheinlich an drohenden gewalttätigen Fanausschreitungen beteiligen und in diesem Zusammenhang Straftaten begehen oder dazu beitragen wird.550 Der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad der Prognose ist aufgrund des bloßen Eingriffserfordernisses des Gefahrverdachts wiederum auch dann erreicht, wenn ein sorgfältig handelnder Beamter zwar Zweifel am Vorliegen einer konkreten Gefahr hegt, diese jedoch nicht ausschließen kann.551 Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen sind der jeweils verfolgte Zweck sowie regelmäßig auch die Eignung des Mittels nicht zu beanstanden. Bezüglich der Erforderlichkeit ist die konkrete Ausgestaltung der Verfügungen im Hinblick auf Geltungszeitraum sowie Häufigkeit, Zeitpunkt und Ort der Meldepflicht bzw. die örtliche Ausdehnung des Aufenthaltsverbotes in den Blick zu nehmen. Dabei ist für das Aufenthaltsverbot als auch für die Meldeauflage zu prüfen, ob nicht die im Einzelfall gegebenenfalls als weniger eingriffsintensiv einzuschätzende, jeweils andere Maßnahme oder eine kurzfristige Platzverweisung – von der Gefährderansprache einmal abgesehen – die Verhütung von Straftaten im Zusammenhang mit der fraglichen Fußballveranstaltung gleich effektiv sicherstellen könnte. Schließlich verfolgen sie alle das Ziel, den Betroffenen vom gefahrträchtigen Veranstaltungsort fernhalten. Ist allerdings dessen Teilnahme an Drittort­ auseinandersetzungen zu befürchten, stellt die Meldeauflage (neben dem Präventivgewahrsam) aufgrund der örtlichen Beschränktheit der Alternativmaßnahmen wohl die einzig sinnvolle Maßnahme dar.552 Findet die fragliche Veranstaltung in der Nähe des Wohnsitzes des Betroffenen statt, erscheinen indes die Maßnahmen nach § 34 PolG aufgrund der sonst womöglich notwendigen mehrfachen Meldung vorzugswürdig.553 Ebenso wird sich die Aussprache eines Aufenthaltsverbotes bei einem mehrere Tage oder sogar Wochen andauernden Turnier anbieten.554 Im Einzelfall kann auch eine Kombination beider Maßnahmetypen erforderlich sein.555 Meldeauflage Suhr (Fn. 90), § 12a Rn. 2. Kap. 3, B. II. 2. a) aa) (1) sowie speziell zum Aufenthaltsverbot Bramow / Wegner, Meldeauflagen (Fn. 114), S. 218. 552  So auch das VG Braunschweig, Beschluss v. 8.6.2006 – 5 B 173 / 06, BeckRS 2006, 24209; VG Ansbach, Beschluss v. 9.6.2006 – AN 5 S 06.02003, BeckRS 2006, 29711, sowie Schucht, Generalklausel (Fn. 90), S. 317 ff. 553  Vgl. Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135. 554  Finger, Aufenthaltsverbot (Fn. 126), S. 372. 555  So auch in BVerfG (K), Beschluss v. 19.6.2006 – 1 BvQ 17 / 06, BeckRS 2006, 19654. 550  Zur

551  Vgl.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen195

Im Rahmen der abzuwägenden Interessen wiegen die durch gewalttätige Fanausschreitungen drohenden Schäden regelmäßig schwerer als die typischerweise mit einem Aufenthaltsverbot und einer Meldeauflage einhergehenden Beschränkungen der Freizügigkeit sowie der Meinungsfreiheit auf Seiten des Betroffenen, wobei jeweils die bereits angesprochene konkrete Ausgestaltung der Verfügungen zu berücksichtigen ist.556 Des Weiteren sind die besonderen Vorgaben der Regelungen zu wahren. Zu beachten sind insbesondere die Maximaldauer von einem bzw. drei Monaten (vgl. Satz 2 der Regelung zur Meldeauflage bzw. § 34 Abs. 2 S. 4 PolG), der Richtervorbehalt bei einer Verlängerung der Meldeauflage (Satz 4) sowie die jeweils vorzunehmende Einschränkung der Maßnahme, um dem Betroffenen die Wahrnehmung berechtigter Interessen zu ermöglichen. In Bezug auf das Aufenthaltsverbot sind die besonderen Anforderungen an dessen Bestimmtheit zu wahren.557 Unter Einhaltung der soeben dargestellten Anforderungen auf Tatbestands- und Rechtsfertigungsebene, wäre der Erlass eines Aufenthaltsverbotes bzw. einer Meldeauflage auf Grundlage der noch zu schaffenden Regelung – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – damit rechtmäßig. Hinsichtlich der Gefahrprognose ergeben sich aufgrund des Vorfeldcharakters beider Maßnahmen in der Praxis dem Grunde nach jedoch ähnliche Probleme wie bei der Gefährderansprache. Eine weitreichende Tatsachenbasis bezüglich der Absichten des Betroffenen zu erlangen, gestaltet sich im weiteren Vorfeld der Veranstaltung als diffizil. Anders als bei der Gefährderansprache (auf Grundlage des § 8 Abs. 1 PolG) genügt im Bereich der hiesigen Maßnahmen allerdings der bloße Verdacht einer konkreten Gefahr. An die Wahrscheinlichkeit der Gefahrprognose sowie die zugrundeliegende Tatsachenbasis sind damit vergleichsweise geringere Anforderungen zu stellen, obgleich das Erfordernis des Gefahrverdachts für ein polizeiliches Eingreifen weiterhin zu erfüllen ist. Der rechtspolitische Schluss, Aufenthaltsverbot und Meldeauflage aufgrund der – wenn auch in Relation zur Gefährderansprache geringeren – Probleme bei der Gefahrprognose dogmatisch ins Gefahrenvorfeld umzusiedeln, bietet sich indes angesichts der jeweils erheblich höheren Eingriffsintensität nicht an.

556  Vgl. BVerfG (K), Beschluss v. 19.6.2006 – 1 BvQ 17 / 06, BeckRS 2006, 19654, sowie Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 135. 557  Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209.

196

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

(5) Der Platzverweis Ob im Vorfeld einer Veranstaltung oder am Spieltag selbst, für die rechtmäßige Aussprache eines Platzverweises gem. § 34 Abs. 1 S. 1 PolG bedarf es einer konkreten Gefahr, deren Schaffung dem Verwiesenen zurechenbar sein muss.558 Sofern die Beamten wiederum auf Grundlage einer ausreichenden Tatsachenbasis zu der durch den objektiven Betrachter nachvollziehbaren Prognose kommen, dass der Betroffene im Zusammenhang mit einer Fußballveranstaltung wahrscheinlich ein polizeilich geschütztes Gut schädigen, auf das hiesige Problemfeld bezogen also im Rahmen gewalttätiger Ausschreitungen Straftaten begehen wird, ist das Erfordernis einer konkreten Gefahr erfüllt.559 Weiter wäre der Betroffene in diesem Fall auch als Verhaltensstörer gem. § 4 Abs. 1 PolG anzusehen. Entgegen beobachtbarer, anders lautender Tendenzen in der Rechtsprechung kann die Verantwortlichkeit einer Person für die Schaffung einer Gefahr jedoch nicht mit dem Hinweis darauf begründet werden, sie würde durch ihre bloße Anwesenheit an sog. hot spots einer gefahrgeneigten Szene, an denen sich unter die szenezugehörigen Störer andere Szenemitglieder sowie Unbeteiligte mischen, die Gefahr verstärken, indem die Szene personell erweitern oder den Störern die Möglichkeit eröffnen würde, in der Menge zu verschwinden.560 Wird an einem Ort eine Gefahr durch einen Dritten begründet, kann die Anwesenheit an diesem allein nicht als unmittelbarer Verursachungsbeitrag gewertet werden, der zur Störereigenschaft führt.561 In Bezug auf ihre Zulässigkeit fragwürdig ist in dieser Hinsicht auch die Annahme, ein Szeneangehöriger verursache bereits durch seine bloße Anwesenheit und seine zum Ausdruck gebrachte Zugehörigkeit eine Gefahr, da er solche Personen, die persönlich Gewalt anwenden, psychologisch unterstütze.562 558  Zum

Erfordernis der Störereigenschaft siehe Fn. 495. VG Aachen, Urteil v. 5.10.2009 – 6 K 1614 / 08, BeckRS 2013,

559  Anschaulich

51364. 560  So hingegen, allerdings bezogen auf die Drogenszene, VG Sigmaringen, VBlBW 1995, 289 (291). In diese Richtung geht auch Punkt 16.2 der Vollzugsbekanntmachung zum BayPAG vom 28.8.1978 (GVBl. S. 561) der wie folgt lautet: „Ist eine Menschenmenge von einem Ort zu verweisen oder ist ihr das Betreten eines Ortes zu verbieten, weil einzelne Personen in der Menschenmenge durch ihr Verhalten eine konkrete Gefahr verursachen, so sind auch die anderen Personen in der Menschenmenge im Sinn des Art. 7 verantwortlich, weil sie durch ihre Gegenwart die Gefahr verstärken.“ Weiter Deger, Platzverweise (Fn. 143), S. 93. 561  Robrecht / Petersen-Thrö, Probleme (Fn. 495), S. 34 ff. 562  So das VG Arnsberg, Beschluss v. 1.7.2009 – 3 L 345 / 09, BeckRS 2009, 40497.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen197

Sind die Eingriffsvoraussetzungen der Gefahr und der Störereigenschaft hingegen erfüllt, wird die Platzverweisung ferner regelmäßig auch als verhältnismäßiges Mittel anzusehen sein können. Erneut sind der verfolgte Zweck sowie grundsätzlich auch die Eignung der Maßnahme nicht in Zweifel zu ziehen. Von ihrer Erforderlichkeit kann in der Regel mit dem Hinweis auf die im Verhältnis zur Meldeauflage und zum Aufenthaltsverbot mildere Eingriffswirkung des Platzverweises ausgegangen werden. Im Rahmen der Interessenabwägung überwiegen sodann – vorbehaltlich etwaiger besonderer Einzelfallumstände – die durch Ausschreitungen bedingten, erwarteten Schäden gegenüber den auf Seiten des Betroffenen erfolgenden Grundrechtsbeschränkungen (selbst bei Berücksichtigung eines möglichen Eingriffs in die Freizügigkeit). Die Aussprache eines Platzverweises zur Verhütung von Straftaten im Zusammenhang mit gewalttätigen Ausschreitungen bei Fußballspielen wird demnach in der Regel rechtlich nicht zu beanstanden sein. Hinsichtlich der Probleme, die sich wiederum bei der Gefahrprognose für ein im weiteren Vorfeld der Veranstaltung ergehendes Betretungsverbot ergeben, wird auf das zur Meldeauflage und zum Aufenthaltsverbot Gesagte verwiesen.563 (6) Die Ingewahrsamnahme Auch eine Ingewahrsamnahme kann, wie der Platzverweis, zumindest in der Theorie bereits im Vorfeld einer Veranstaltung erfolgen (zu denken wäre an ein Festhalten des Betroffenen an seinem Heimatort, bevor dieser sich auf den Weg zu einem Auswärtsspiel macht) oder auch im unmittelbaren Zusammenhang mit der fraglichen Veranstaltung, wenn sich die Hinweise auf eine in diesem Rahmen geplante Begehung einer Straftat bereits weiter verdichtet haben. Als „herkömmliche Ingewahrsamnahme“ – in Abgrenzung zur Abmarschverzögerung von Fanblöcken – kommen zuvörderst der sog. Unterbindungsgewahrsam sowie eine Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 und 3 PolG in Betracht. Die Rechtmäßigkeit einer Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises richtet sich auf der Tatbestandsebene nach § 34 Abs. 1 PolG, sodass auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird.564 Auf der Rechtsfolgenebene sind die verstärkte Eingriffsintensität der Maßnahme im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie die besonderen Regelungen der §§ 36–38 PolG zu berücksichtigen, auf die in Kürze eingegangen wird. 563  Vgl.

Kap. 3, B. II. 2. b) bb) (4). (Fn. 469), § 35 Rn. 17.

564  Keller

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Eine Person kann weiter gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG festgehalten werden, „um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern“.565 Die vorausgesetzte Unmittelbarkeit der Straftat- bzw. Ordnungswidrigkeitbegehung ist gleichbedeutend mit einer gegenwärtigen Gefahr, die als in zeitlicher Hinsicht gesteigerte konkrete Gefahr vorliegt, wenn mit dem Eintreten des befürchteten Schadens jederzeit gerechnet werden muss.566 Aufgrund des verlangten erhöhten Gefahrengrades ist somit erforderlich, dass die handelnden Beamten im Problemkreis fußballbezogener Gewalt auf Grundlage einer hinreichenden Tatsachenbasis vertretbar davon ausgehen dürfen, dass ein strafbares (bzw. ordnungswidriges) Verhalten des Betroffenen unmittelbar bevorsteht. Das Erfordernis der besonderen zeitlichen Nähe des drohenden Schadens­ eintritts spricht für die grundsätzliche Unzulässigkeit des Unterbindungsgewahrsams im Vorfeld einer Veranstaltung. Fälle einer rechtmäßigen Ingewahrsamnahme, z.  B. durch ein Aufgreifen des Betroffenen an dessen Wohnsitz, sind nur denkbar, wenn nach den Umständen von dessen bevorstehender Straftatbegehung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn er eine solche in einschlägigen Foren in glaubwürdiger Weise angekündigt hätte und eine Meldeauflage keinen Erfolg verspräche.567 Im näheren zeitlichen Zusammenhang mit einer Fußballveranstaltung können sich die durch die Polizei gewonnen Informationen indes leichter zu einem Bild zusammenfügen, nach dem die Einsatzkräfte vom unmittelbaren Bevorstehen der Begehung einer Straftat im obigen Sinne ausgehen können und die Tatbestandsvoraussetzungen des Unterbindungsgewahrsams damit vorliegen.568 Dass die Ingewahrsamnahme zur Verhinderung der Straftatenbegehung (oder zur Durchsetzung eines Platzverweises) unerlässlich sein muss, ergibt sich bereits aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit, sodass diesem Merkmal keine weiterreichende Bedeutung zukommt.569 Das Festhalten der betroffenen Person muss sich darüber hinaus als verhältnismäßige Maßnahme erweisen. Dabei kann der Grundsatz der Erforder565  Anschaulich zu den diesbezüglichen Einflüssen der EMRK J.  Hoffmann, Koventionskonformität des Präventivgewahrsams, in: NVwZ 2015, S. 720 (720 ff.). 566  Vahle (Fn. 486), § 8 Rn. 13; Tegtmeyer (Fn. 549), § 35 Rn. 7. 567  Vgl. Vahle (Fn. 486), § 8 Rn. 13. So im Ergebnis auch Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 148. 568  So etwa, wenn sich ein als gewaltbereit bekannter Hooligan beim Versuch, sich einer polizeilichen Überwachung zu entziehen, aus einer Fangruppe löst, um sodann eine gewalttätige Auseinandersetzung mit einer anderen Hooligangruppe zu verabreden, vgl. EGMR, NVwZ 2014, 43 (48). 569  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 24.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen199

lichkeit polizeilichen Einschreitens im Vorhinein einer Ingewahrsamnahme zur Unterbindung von Straftaten (oder Ordnungswidrigkeiten) die Aussprache eines Platzverweises verlangen.570 Im Rahmen der anzustellenden Güterabwägung muss die intensive Eingriffswirkung der Ingewahrsamnahme berücksichtigt werden. Gleichzeitig ist allerdings zu bemerken, dass der Gesetzgeber mit der speziellen Reglementierung der Ingewahrsamnahme die verfassungsrechtlich gebotene Güterabwägung bereits teilweise vorweggenommen hat. Sind also die engen Voraussetzungen des Unterbindungsgewahrsams erfüllt bzw. hat der Festzuhaltende, wie von § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG gefordert, einem zuvor ausgesprochenen, rechtmäßigen Platzverweis zuwider gehandelt, kann die hohe Eingriffsintensität der Ingewahrsamnahme an sich nicht zur Unangemessenheit der Maßnahme führen. Vielmehr sind bezogen auf den Einzelfall die mit der Straftatbegehung drohenden Schäden gegen die Interessen des Betroffenen abzuwägen. In der Regel werden dabei die durch gewalttätige Ausschreitungen drohenden Schädigungen des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit sowie des Eigentums – häufig unbeteiligter Dritter – die meist nur kurzweilige Freiheitsentziehung überwiegen. Zu beachten sind ferner die besonderen Regelungen der §§ 36 bis 38 PolG. Insbesondere ist der Richtervorbehalt nach § 36 Abs. 1 PolG einzuhalten, was jedoch zumindest im Rahmen von Hochrisikospielen durch die vorsorgliche Anwesenheit eines Richters sichergestellt werden kann.571 (7) Die Abmarschverzögerung von Fanblöcken Das kurzweilige Festhalten ganzer Fanblöcke, um einen zeitlich gestaffelten Abmarsch rivalisierender Fans zu ermöglichen, könnte einerseits als Unterbindungsgewahrsam nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG, andererseits als Schutzgewahrsam nach Nr. 1 gerechtfertigt sein. (a) Die Abmarschverzögerung als Unterbindungsgewahrsam Wie bereits oben erläutert, erfordert § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG, dass ein Festhalten der betroffenen Person unerlässlich ist, um eine unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat durch die festgehaltene Person zu verhindern.572 Von der geforderten unmittelbaren Gefahr einmal abgesehen, werden die Beamten bei einer so großen Personengruppe wie einem ganzen Fanblock, der sich überwiegend aus friedlichen Fans zusammensetzt, eine 570  Keller

(Fn. 469), § 35 Rn. 14. Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 152. 572  Vgl. OVG Bremen, NVwZ 2001, 221; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17  Rn. 22. 571  Vgl.

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auf die Einzelperson bezogene, überzeugende Gefahrprognose nicht formulieren können. Die Figur des Anscheinsstörers kann hier nicht greifen, da nicht alle Personen im Block für das Entstehen einer Anscheinsgefahr verantwortlich sind oder aber den Anschein erwecken, eine Gefahr verursacht zu haben.573 Weiter ist eine Zurechnung der eventuellen Störereigenschaft von Teilen des Blockes auf die anderen Festgehaltenen allein auf Grundlage ihrer Anwesenheit im fraglichen Block nicht möglich.574 Eine solche würde zudem die besonderen tatbestandlichen Anforderungen an die Verursachung der Gefahr, die zumindest der Teilnahme im strafrechtlichen Sinne entsprechen muss, unterlaufen.575 Ebensowenig weiterhelfen kann ferner mangels Anwendbarkeit eine eventuelle Notstandspflicht gem. § 6 Abs. 1 PolG.576 Die Abmarschverzögerung eines Fanblockes stellt damit keinen rechtmäßigen Unterbindungsgewahrsam dar.577 (b) Die Abmarschverzögerung als Schutzgewahrsam Die Abmarschverzögerung könnte hingegen als Schutzgewahrsam einzuordnen sein, im Rahmen dessen die obigen Probleme der Gefahrverursachung nicht auftreten.578 Gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG kann eine Person in Gewahrsam genommen werden, wenn dies „zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist“. Notwendige Eingriffsvoraussetzung ist damit wiederum eine konkrete Gefahr für eines der Schutzgüter. Nicht von Belang ist, ob der Gefährdete seine Gefährdung selbst verursacht hat oder nicht. Auch sind die Regelungen zur Störereigenschaft nicht anzuwenden.579 573  Zum Begriff des Anscheinsstörers Erichsen / Wernsmann, Anscheinsgefahr (Fn. 480), S. 221. Vgl. zur Frage der Anwendbarkeit auch das unter Kap. 3, B. II. 2. b) bb) (8) zur einschließenden Begleitung Gesagte. 574  Die sich ergebende Situation ist in dieser Hinsicht vergleichbar mit einer nur zum Teil gewalttätigen Versammlung, bei der anerkanntermaßen die Unfriedlichkeit einiger Versammlungsteilnehmer nicht die gesamte Versammlung als unfriedlich qualifiziert, vgl. BVerfGE 69, 315 (361). A. A. wohl J. Lege, Polizeieinsätze bei Fußball-Bundesligaspielen. Zugleich ein Beitrag zum Begriff der Gefahrverursachung, in: VerwArch. 89 (1998), S. 71 (75 f.). 575  Vgl. Robrecht / Petersen-Thrö, Probleme (Fn. 495), S. 34 ff. 576  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 22. A. A. Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 136. 577  Ebenso Geißler / Haase / Subatzus, Überlegungen (Fn. 214), S. 712. 578  So auch Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 153; Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 136; Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 151. 579  Geißler / Haase / Subatzus, Überlegungen (Fn.  214), S. 712; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 210; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 17 Rn. 22.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen201

Damit erlaubt § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG das Festhalten eines Fanblockes, wenn es auf Grundlage einer hinreichenden Tatsachenbasis wahrscheinlich erscheint, dass die festgehaltenen, friedlichen oder auch gewaltbereiten Personen bei einem sonst wahrscheinlich zu erwartenden Aufeinandertreffen mit Fans eines gegnerischen Blockes an Leib oder Leben geschädigt würden. Zumindest bei einem besonders „krawallträchtigen“ Spiel zwischen rivalisierenden Clubs, bei dem gewalttätige Ausschreitungen mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen, wird diese Tatbestandsvoraussetzung des Schutzgewahrsams damit regelmäßig erfüllt sein.580 Weiter ist anerkannt, dass der Schutzgewahrsam auch ohne oder gegen den Willen des Betroffenen angewendet werden kann.581 Probleme bereitet diese pauschale Aussage jedoch hinsichtlich der Überlegung, dass sich gewaltbereite Fans, wenn sie die Nähe der gegnerischen Anhänger suchen, bewusst in Gefahr begeben. Sofern „lediglich“ eine nicht lebensgefährliche Verletzung des Körpers drohen würde (vgl. § 228 StGB), fiele dies also in den Bereich einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, welche sich dem Verantwortungsbereich der Polizei entzöge.582 Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass die Anzahl der friedlichen Fans im festgehaltenen Block diejenige der gewaltsuchenden in der Regel bei weitem überwiegen wird, erstere bei einem Aufeinandertreffen mit gegnerischen Anhängern aber ebenso gefährdet würden.583 Darüber hinaus steht keinesfalls fest, dass die Fans, die sich dem Anschein nach bewusst in Gefahr begeben, das Ausmaß der bevorstehenden Auseinandersetzungen und damit des Risikos überschauen können, geschweige denn, dass es bei einwilligungsfähigen Körperverletzungen bleibt. Der Einwand der die polizeiliche Verantwortlichkeit ausschließenden eigenverantwortlichen Selbstgefährdung kann somit zurückgewiesen werden.584 Sollte dem nicht gefolgt werden, könnten angesichts der häufig von gewalttätigen Auseinandersetzungen betroffenen Dritten bezüglich der gewaltsuchenden Fans die Voraussetzungen eines Unterbindungsgewahrsams erfüllt sein. In Anbetracht der durch Fanausschreitungen drohenden, hochgradigen Gefahren für Leib und Leben wird das kurzweilige Festhalten eines Fanblockes regelmäßig auch als verhältnismäßige Maßnahme anzusehen sein. Zu erwägen wäre, ob nicht an deren Stelle eine einschließende Begleitung der Manssen, Sportgroßveranstaltungen (Fn. 226), S. 172. (Fn. 549), § 35 Rn. 3. 582  So auch Geißler / Haase / Subatzus, Überlegungen (Fn. 214), S. 712. Dazu weiter Keller (Fn. 469), § 35 Rn. 11. 583  Vgl. auch Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 151. 584  A. A. Geißler / Haase / Subatzus, Überlegungen (Fn.  214), S. 712  f., die die Schaffung einer weiteren Spezialvorschrift proklamieren. 580  Vgl.

581  Tegtmeyer

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rivalisierenden Fangruppen als mildere Maßnahme in Betracht kommt. Dagegen ist indes einzuwenden, dass eine eingeschlossene Gruppe irgendwohin – in der Regel zum nächstgelegenen Bahnhof – begleitet werden muss, ansonsten wäre die Maßnahme ebenfalls als ein Festhalten zu qualifizieren, welches lediglich außerhalb des Stadions erfolgen würde. Es böte sich jedoch nicht an, beide Fangruppen zu einem bestimmten Ziel zu begleiten. Vielmehr erscheint es sinnvoll, eine der beiden Gruppen solange im Stadion festzuhalten, bis die andere Gruppe sich in Richtung Bahnhof entfernt oder aber zerstreut hat, falls es sich um Anhänger der Heimmannschaft handelt. Einzuhalten sind ferner die bereits oben erläuterten besonderen Regelungen der §§ 36 bis 38 PolG. (8) Die einschließende Begleitung von Fangruppen Die einschließende Begleitung von Fangruppen auf An- und Abreisewegen könnte ihre Rechtsgrundlage in der polizeilichen Generalklausel aus § 8 Abs. 1 PolG finden.585 Erforderlich ist damit wiederum eine konkrete Gefahr, für deren Vorliegen die eingeschlossenen Fans unmittelbar verantwortlich sein müssten. Zumindest für bestimmte Personen der eingeschlossenen Gruppe kann es den Beamten möglich sein, anhand der vorliegenden Tatsachen das Bestehen einer durch diese verursachten konkreten Gefahr zu begründen. Probleme ergeben sich aber ebenso wie bei der Abmarschverzögerung aufgrund der Menge der eingeschlossenen Personen. Dass die gesamte Gruppe als gewaltbereit und damit gefahrverursachend i. S. d. § 4 Abs. 1 PolG zu qualifizieren sein soll, ist mehr als fragwürdig. Zur Lösung dieses Problems werden verschiedene Ansätze vertreten. Teilweise werden alle eingeschlossenen Personen zumindest als Anscheinsstörer angesehen.586 Anscheinsstörer ist in Parallele zur Anscheinsgefahr derjenige, der zwar ex post nicht für eine (objektiv oder auch nur subjektiv bestehende) Gefahr verantwortlich ist, von dessen Störereigenschaft ein sorgfältig handelnder Beamter zum Eingriffszeitpunkt jedoch in vertretbarer Weise ausgehen durfte.587 In Bezug auf eine größere Fangruppe können die 585  Der stellenweise zu vernehmende Einwand, die polizeiliche Generalklausel vermöge keine Beschränkungen der Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zu rechtfertigen, wird mit Hinweis auf das unter Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (1) (a) Gesagte abgelehnt. 586  So Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209. 587  Erichsen / Wernsmann, Anscheinsgefahr (Fn. 480), S. 221. Ein engeres Verständnis der Figur des Anscheinsstörers vertritt Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 83), S. 194 f. und kommt damit ebenfalls zum hier vertretenen Ergebnis.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen203

Einsatzkräfte jedoch keinesfalls nachvollziehbar – wenn auch irrig – davon ausgehen, dass tatsächlich alle eingeschlossenen Personen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, sich in naher Zukunft an gewalttätigen Ausschreitungen zu beteiligen. Erkenntnisse zur Fanszene zeigen immer wieder, wie auch in Kapitel 1 erläutert, dass nur ein Bruchteil der aktiven Fans als gewaltbereit oder gewaltsuchend eingeschätzt werden kann. Die Beamten wissen damit um den Umstand, dass regelmäßig nur von einem kleinen Teil der eingeschlossenen Gruppe eine konkrete Gefahr ausgeht, sodass der Teil der friedlichen Fans nicht als Anscheinsstörer angesehen werden kann.588 Das Szenario gleicht vielmehr dem des (Verursachungs-) Verdachtsstörers.589 Die Beamten wissen bzw. gehen in vertretbarer Weise davon aus, dass durch Teile der Gruppe eine konkrete Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut droht, die Person des Störers können sie zum fraglichen Zeitpunkt jedoch nicht genau ausmachen. Die Eigenschaft einer Person als (Verursachungs-)verdachtsstörer macht diese jedoch grundsätzlich nur zum rechtmäßigen Adressaten für etwaige Störererforschungsmaßnahmen, sodass eine endgültige Inanspruchnahme, wie sie durch die einschließende Begleitung erfolgen würde, nicht möglich ist. Weiter wird erwogen, die friedlichen Personen in der eingeschlossenen Gruppe gem. § 6 PolG als Notstandspflichtige in Anspruch zu nehmen.590 Dafür müsste ein Vorgehen gegen diese zunächst zur Abwehr einer gegenwärtigen, erheblichen Gefahr erforderlich sein (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 PolG). Die Gegenwärtigkeit einer Gefahr besteht in der besonderen Nähe des erwarteten Schadenseintritts, der unmittelbar bevorstehen bzw. zu jeder Zeit drohen muss591, während das Merkmal der Erheblichkeit die besondere Wichtigkeit des gefährdeten Schutzgutes bezeichnet, sodass die vorausgesetzte Gefahr in zweifacher Hinsicht qualifiziert ist.592 Trotz dieser hohen Eingriffsvoraussetzung, sind im Bereich der Bekämpfung fußballbezogener Gewalt, wie bereits oben gesehen, Situationen denkbar, in denen die Beamten in vertretbarer Weise vom Vorliegen einer gegenwärtigen sowie erheblichen Gefahr ausgehen dürfen. Dies wäre z. B. der Fall, wenn Mitglieder der eingeschlossenen Fangruppe Übergriffe auf eine rivalisierende Gruppe bereits auf einschlägigen Homepages angekündigt haben, die Beamten jedoch nicht wissen, welche und wie viele Mitglieder der Gruppe genau für

im Ergebnis auch Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 149 f. dazu Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 4 Rn. 54 ff. 590  Breucker, Sicherheit (Fn. 81), S. 136; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209; Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 315. 591  Vgl. die Ausführungen zur Ingewahrsamnahme unter Kap. 3, B. II. 2. b) bb) (7). 592  Vahle (Fn. 486), § 8 Rn. 14. 588  So

589  Vgl.

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diese Ankündigung verantwortlich sind. In einem solchen Fall wären regelmäßig auch die weiteren Anforderungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 PolG erfüllt.593 Des Weiteren wäre die einschließende Begleitung – vorbehaltlich besonderer Umstände im Einzelfall – auch als verhältnismäßig einzuschätzen.594 Die Maßnahme ist geeignet, ein unmittelbares Aufeinandertreffen und damit gewalttätige Auseinandersetzungen gegnerischer Fangruppen zu verhindern. Bereits auf Tatbestandsebene besteht im Rahmen der Prüfung der Notstandspflicht bereits die Voraussetzung der Alternativlosigkeit der Maßnahme. Um diese zu gewährleisten, ist die Polizei jedoch gehalten, soweit wie möglich, besonders im Vorhinein einer Fußballveranstaltung, allein störerbezogene Maßnahmen wie Meldeauflage und Aufenthaltsverbote einzusetzen. Angesichts der nur kurzweiligen Einschließung, der drohenden erheblichen Gefahr für hochrangige polizeiliche Schutzgüter sowie des Umstands, dass die Maßnahme auch den Schutz der eingeschlossenen Personen bezweckt, ist sie regelmäßig auch als angemessen zu beurteilen. Allerdings sind die Belastungen der Maßnahme möglichst gering zu halten, sodass den Betroffenen – wie in der Praxis oft verwehrt595 – zumindest Toilettengänge sowie die Beschaffung von Trinkwasser zu gewähren sind. (9) Die Sicherstellung gefährlicher Gegenstände Gem. § 43 Nr. 1 PolG kann eine Sache sichergestellt werden, wenn dies der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr dient. Voraussetzung ist damit, dass die Verletzung eines polizeilich geschützten Gutes durch die Sache oder mittels ihrer Verwendung durch den Gewahrsamsinhaber unmittelbar bevorsteht.596 In der Praxis ergeben sich Probleme bei der Gefahrprognose besonders in Bezug auf die geforderte Gegenwärtigkeit der Gefahr sowie bei Gegenständen, die zwar objektiv nicht als gefährlich einzuschätzen sind, zweckentfremdet jedoch eine Gefahr darstellen können, wie beispielsweise Fahnen593  Zum selben Ergebnis kommen Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 83), S. 194  f.; ders., Maßnahmen (Fn.  45), S.  150; Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 209. Zur Unzulässigkeit der Inanspruchnahme der friedlichen Fans gelangt hingegen Manssen, Sportgroßveranstaltungen (Fn. 226), S. 171. 594  So im Ergebnis auch Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 153. 595  Vgl. die anklagenden Worte des Bündnisses „ProFans“ unter: http://www. profans.de/repression, zuletzt abgerufen am 20.7.2015 sowie http://www.spiegel.de/ sport/fussball/polizei-bei-fussballspielen-wem-nuetzt-der-vorstoss-von-ralf-jaeger-a984583.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 596  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 19 Rn. 7.



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stangen und Trommelstöcke, wenn sie als Schlagwerkzeuge verwendet werden, oder Pressluftfanfaren, die angezündet als Flammenwerfer missbraucht werden können.597 Um auch solche, nicht als technische Waffen i. S. v. § 1 Abs. 2 WaffG anzusehenden Gegenstände als gefahrträchtig qualifizieren zu können, benötigen die Beamten damit Informationen zur Person des Betroffenen, die z. B. nach Feststellung der Identität durch einen Abgleich mit der Datei „Gewalttäter Sport“ erlangt werden können und eventuell Rückschlüsse auf eine gefährliche Verwendungsabsicht zulassen.598 Können die Beamten auf Grundlage solcher Informationen davon ausgehen, dass die betroffene Person wahrscheinlich unmittelbar davor steht, mittels eines in ihrem Besitz befindlichen Gegenstandes eine Störung herbeizuführen, liegen die Eingriffsvoraussetzungen der gegenwärtigen Gefahr sowie der (Verhaltens-)Störereigenschaft vor. Eine daraufhin erfolgende Sicherstellung des Gegenstandes wäre sodann in der Regel auch als verhältnismäßige Maßnahme zu bewerten. Während andere geeignete, mildere Mittel nicht ersichtlich sind, überwiegt das verfolgte Interesse der Verhütung gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fangruppen unter Zuhilfenahme von Waffen oder gefährlichen Gegenständen die wenig intensive, lediglich kurzfristige Beeinträchtigung der Eigentumsfreiheit des betroffenen, gefahrverursachenden Fans.599 (10) Die Durchsuchung von Personen und Sachen Als Begleitmaßnahme u. a. zur Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 2 S. 4 PolG und zur Ingewahrsamnahme nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 40 Abs. 1 Nr. 1 PolG richtet sich die Durchsuchung von Personen und Sachen nach den Regelungen der Maßnahmen, deren Begleitung sie dient.600 Weiter kann eine Durchsuchung sowohl von Sachen als auch von Personen im Bereich der klassischen Gefahrenabwehr gem. § 39 Abs. 1 Nr. 2, § 40 Abs. 1 Nr. 3 PolG durchgeführt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person eine Sache mit sich führt, die sichergestellt werden darf. Die Durchsuchung dient in diesem Fall der Gefahrerforschung.601 Voraussetzung für eine Durchsuchung zur Vorbereitung 597  Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn. 10), S. 208; Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 147. 598  Vgl. Franz / Günther, Fußball-Weltmeisterschaft (Fn.  10), S. 208; Deusch, Maßnahmen (Fn. 45), S. 147 f.; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 682. 599  Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere der Herausgabeanspruch des Betroffenen aus § 46 Abs. 1 S. 1 PolG. 600  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 18 Rn. 6. 601  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 18 Rn. 9.

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einer Sicherstellung – im hiesigen Anwendungsfeld wie oben gesehen gem. § 43 Nr. 1 PolG – ist damit der Verdacht einer konkreten Gefahr, für dessen Schaffung der Betroffene unmittelbar verantwortlich sein muss. Die im Rahmen einer Fußballveranstaltung eingesetzten Beamten müssen auf Grundlage personenbezogener Tatsachen zu dem vertretbaren Schluss kommen, die zu durchsuchende Person befinde sich wahrscheinlich im Besitz einer Waffe oder eines Gegenstandes, den sie voraussichtlich auch in gefährlicher Weise einsetzen möchte, wobei an den Wahrscheinlichkeitsgrad der Prognose aufgrund der abgeschwächten Eingriffsschwelle des Gefahrverdachts keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind.602 Dabei sind Massendurchsuchungen, wie bereits Schwabe mit dem Hinweis auf die bei einer Kontrolle eines jeden Einzelnen nur noch vorliegende Möglichkeit des Auffindens eines verdächtigen Gegenstandes anstelle der Wahrscheinlichkeit eines solchen, unzulässig, sodass die polizeiliche Praxis der Durchsuchung von Personen und Sachen im Vorhinein gefahrträchtiger Sportveranstaltungen nicht zu einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausufern darf.603 Wird aufgrund vorangeganger Erfahrungen hingegen vermutet, dass beispielsweise sicherstellungsfähige Pyrotechnik durch „unverdächtige Transporteure“ ins Stadion geschmuggelt werden soll, soll es indessen möglich sein, auch „unverdächtige“ Personen zu durchsuchen, die in ein bestimmtes Muster fallen, da es sich gerade um eine Maßnahme zur Gefahrerforschung handele.604 Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Gefahrverdachts sowie der (Verdachts-)Störereigenschaft gem. §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 PolG vor, muss sich die Durchsuchung weiter auf der Rechtsfolgenseite als rechtmäßig darstellen. Vom Begriff der Durchsuchung – in diesem Fall der Person gem. § 39 Abs. 1 PolG – gedeckt ist „das Suchen nach verborgenen Gegenständen in der Kleidung oder am Körper […] [der] Person […] [, welches] auf das Betrachten oder Ertasten der Körperoberfläche und der ohne weiteres zugänglichen Körperhöhlen wie Mund, Nase und Ohren“605 beschränkt ist. Die bereits oben angesprochenen Ganzkörperkontrollen sind, zumindest wenn sie über das Abtasten des bekleideten Genitalbereichs hinausgehen, nicht mehr als von den Vorschriften zur Personendurchsuchung umfasst anzusehen.606 Eher können sie im Bereich der körperlichen Untersuchung 602  Vgl.

die Ausführungen unter Kap. 3, B. II. 2. a) aa) (1) sowie bb). Anmerkung (Fn. 468), S. 657. 604  So das OVG Saarlouis, LKRZ 2008, 102 (105). 605  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 18 Rn. 2. 606  So zu verstehen auch das VG Regensburg, BayVBl. 1999, 347 (348 f.). A. A. OVG Saarlouis, LKRZ 2008, 102 (103 f.), wonach ein Freilegen des Intimbereichs von der Personendurchsuchung gedeckt und ausnahmsweise zulässig sei. 603  Schwabe,



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nach § 81a StPO eingeordnet werden, auch wenn ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht mit ihnen einhergeht.607 Selbst wenn man jedoch in § 39 Abs. 1 Nr. 2 PolG eine Rechtsgrundlage für Personendurchsuchungen sehen wollte, die auch ein vollständiges Entkleiden beinhalten, wird sich die pauschale Anwendung einer solchen Maßnahme gegenüber einem unverdächtigen, weiblichen Fan zur Auffindung von Pyrotechnik, sofern dieser während des Verlaufs der Durchsuchung keine ungewöhnlichen Reaktionen aufweist, meist als unverhältnismäßig erweisen, da davon auszugehen ist, dass groß angelegte Durchsuchungen gerade von unverdächtigen Personen größtenteils Nichtstörer treffen werden.608 Mit Ausnahme der Ganzkörperkontrollen ergeben sich in Bezug auf „herkömmliche“ Durchsuchungen der Person bzw. von Sachen jedoch regelmäßig keine Bedenken bezüglich ihrer Verhältnismäßigkeit. Insbesondere ist die grundsätzlich geringe Eingriffswirkung in die allgemeine Handlungsfreiheit sowie die Eigentumsfreiheit der Maßnahme als auch ihr Charakter als Gefahrerforschungseingriff positiv zu berücksichtigen. Des Weiteren findet die Maßgabe des § 39 Abs. 3 PolG im Rahmen von Fußballveranstaltung grundsätzlich Beachtung.

III. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung Nach der soeben erfolgten Untersuchung der der klassischen Gefahrenabwehr zuzuordnenden Maßnahmen soll der Fokus nun auf diejenigen der Gefahrenvorbeugung gelegt werden. 1. Der Wandel des klassischen Polizeirechts durch die teilweise Abkehr vom Erfordernis der konkreten Gefahr Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich das Polizeirecht durch die stetige Ausweitung des Tätigkeitsbereichs der Gefahrenvorbeugung stark gewandelt. Im Rahmen der staatlichen Bemühungen, nicht erst schon bestehende konkrete Gefahren abzuwehren, sondern diese bereits an ihrem Entstehen zu hindern, wurde die Eingriffsschwelle polizeilicher Maßnahmen 607  Feltes,

Sicherheit (Fn. 173), S. 54. auch das OVG Saarlouis, LKRZ 2008, 102 (105 f.). Ebenfalls zur behördlichen Zurückhaltung beim Einsatz des Mittels der Nacktdurchsuchung im Bereich des Strafvollzugs bzw. der Untersuchungshaft auffordernd BVerfG (K), Beschluss v. 4.2.2009 – 2 BvR 455 / 08, BeckRS 2009, 31732, sowie BVerfG (K), NStZ-RR 2013, 324 f. 608  So

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durch den Gesetzgeber zum Teil vorverlegt bzw. die schon vorher zum polizeilichen Alltag gehörende Datenerhebung und -verarbeitung (im Gefahrenvorfeld) verrechtlicht.609 So wurden zusätzlich zu den älteren Vorfeldbefugnissen im Bereich der informationellen Tätigkeit der Polizei zahlreiche neue Eingriffsbefugnisse geschaffen, die gerade nicht an das Bestehen einer konkreten Gefahr anknüpfen, sondern im Gefahrenvorfeld zu verorten sind.610 Anknüpfungspunkt dieser Maßnahmen ist damit eine abstrakte Gefahr oder ein abstrakter Gefahrverdacht611, d. h. „ein abstrakter Sachverhalt […], der es nach allgemeiner Lebenserfahrung und Erkenntnis fachkundiger Stellen als möglich erscheinen lässt, sich zu einer (künftigen) konkreten Gefahrensituation zu entwickeln.“612 Aufgrund der stellenweisen Durchbrechung oder – mit kritischeren Worten – der Erosion613 der traditionellen, an den Begriffen der konkreten Gefahr sowie des Störers orientierten Polizeirechtsdogmatik hat die Reglementierung dieser informationellen Vorfeldmaßnahmen – zumindest begrifflich – zum Entstehen eines weiteren Tätigkeitsbereichs der Polizei geführt614, der gelegentlich mit dem Schlagwort des „dritten Pfeilers der inneren Sicherheit“615 betitelt wird. Auf den Punkt gebracht wird diese Entwicklung durch Möstl, der konstatiert, „dass das Polizeirecht nicht ein einheitlicher dogmatischer Block ist, sondern [nunmehr] aus zwei grundverschiedenen, allein durch das Opportunitäts- und das Verhältnismäßigkeitsprinzip ver609  Eingehend W. Hoffmann-Riem, Abbau von Rechtsstaatlichkeit durch Neubau des Polizeirechts?, in: JZ 1978, S. 335 (335 ff.); Waechter, Situation (Fn. 490), S.  854 ff.; Kugelmann, Gefahrenbegriff (Fn. 504), S. 781 f.; Möstl, Gestalt (Fn. 460), S.  581 ff.; C. Trurnit, Polizeiliche Datenverarbeitung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten?, in: VBlBW 2011, S. 458 (458 ff.); S. Kral, Die polizeilichen Vorfeldbefugnisse als Herausforderung für Dogmatik und Gesetzgebung des Polizeirechts, 2012, S. 24 ff.; T.  Mann / S. Fontana, Entwicklungslinien des Polizeirechts im 21. Jahrhundert, in: JA 2013, S. 734 (734 ff.), sowie zu den diesbezüglichen Entwicklungen im BKAG F.  Roggan, Das neue BKA-Gesetz – Zur weiteren Zentralisierung der deutschen Sicherheitsarchitektur, in: NJW 2009, S. 257 (257 ff.). 610  Gleichzeitig – so kritisiert Möstl – versuchen sich auch die informationellen Vorfeldbefugnisse teilweise an die „alte Dogmatik“ zu klammern, indem z. B. an „gefährliche Orte“ o. ä. angeknüpft wird, sodass eine saubere Vorfelddogmatik noch nicht entstehen konnte, vgl. Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 582 f. 611  Vgl. Möstl, Gestalt (Fn.  460), S. 587  f.; Gusy, Gefahraufklärung (Fn. 8), S. 644. 612  Park, Wandel (Fn. 484), S. 189. 613  Di Fabio, Gefahr (Fn. 478), S. 568; Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 582. 614  Zur teilweisen Abkehr vom Begriff der konkreten Gefahr O. Müller, Der Abschied von der konkreten Gefahr als polizeirechtliche Eingriffsbefugnis, in: StV 1995, S. 602 (602 ff.); Kugelmann, Gefahrenbegriff (Fn. 504), S. 781 ff. 615  So R. Pitschas, Polizeirecht im kooperativen Staat, in: DÖV 2002, S. 221 (221).



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klammerten, Befugnisschichten besteht: aus Befugnissen zur in Kausalverläufe eingreifenden Gefahrbeseitigung einerseits und (vorgelagert) Befugnissen rein informationeller Gefahraufklärung andererseits.“616 Dabei sei jedoch die Gefahraufklärung nicht als Erosion klassischer Gefahrbeseitigung, sondern als deren Vorbereitung und Ergänzung zu verstehen.617 Dennoch werden die Befugnisse der Gefahrenvorbeugung bzw. -aufklärung aufgrund ihres neuartigen Charakters skeptisch beäugt618, da sie durch die Abkehr vom Erfordernis der konkreten Gefahr einer anderen Funktionslogik als die klassische Gefahrenabwehr folgen – der Logik des agierenden Präventionsstaates gegenüber der des reagierenden Rechtsstaates.619 So finden sich zahlreiche Aussagen, dass die an das Volkszählungsurteil anknüpfende Verrechtlichung informationeller Maßnahmen „nicht per se einen rechtsstaatlichen Fortschritt […] [darstellt, sondern] die Forderung nach einem bereichsspezifischen Datenschutz im Gegenteil gerade […] die Ausweitung polizeilicher Eingriffsbefugnisse indirekt unterstützt, so dass insgesamt von einem Rückschritt aus Sicht der Freiheitsrechte gesprochen werden kann.“620 Und tatsächlich, indem die vorbeugende Tätigkeit der Polizei begriffslogisch der Verdichtung einer abstrakten, allgemeinen Gefahr621 zur konkreten Gefahr vorgelagert ist, ist sie zwingend durch ihren aktiven und operativen Charakter gekennzeichnet.622 Dieses Charakteristikum bildet den Hauptkritikpunkt der zunehmenden Verlagerung der Eingriffsschwelle ins Vorfeld der konkreten Gefahr.623 Denn während die Kopplung der klassischen Gefahrenabwehr an das Bestehen einer solchen gleichzeitig eine Begrenzung des reaktiven polizeilichen Vorgehens mit sich bringt624, „verlangt die Funktionslogik des Präventionsstaates für die Bereiche der inneren und äußeren 616  Möstl,

Gestalt (Fn. 460), S. 584. Gestalt (Fn. 460), S. 585. 618  Bereits früh Hoffmann-Riem, Abbau (Fn. 609), S. 335 ff. Weiter Calliess, Gewährleistung (Fn. 491), S. 1100 ff. Dietlein zieht in dieser Hinsicht den vorsichtigen Vergleich zur nachrichtendienstlichen Tätigkeit, vgl. J. Dietlein, Polizei- und Ordnungsrecht, in: ders. / M.  Burgi / J. Hellermann, Öffentliches Recht in NordrheinWestfalen, 5. Aufl. 2014, § 3 Rn. 9. 619  Anschaulich K. Weber, Die Sicherung rechtsstaatlicher Standards im modernen Polizeirecht, 2011, S. 23 f.; Denninger, Polizeiaufgaben (Fn. 289), D Rn. 5 ff. Vgl. weiter Park, Wandel (Fn. 484), S. 203 ff. 620  Arzt / Eier, Rechtmäßigkeit (Fn. 13), S. 817. 621  Zum Begriff der allgemeinen Gefahr W. Schmidbauer, in: ders. / Steiner, Bay PAG (Fn. 372), Art. 8 Rn. 8. 622  Denninger, Polizeiaufgaben (Fn. 289), D Rn. 7. 623  Darstellend Kniesel, Polizeigesetze (Fn. 636), S. 377 f. 624  Vgl. Kugelmann, Gefahrenbegriff (Fn. 504), S. 782 f.; Park, Wandel (Fn. 484), S.  181 ff. 617  Möstl,

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Sicherheit eine prinzipiell unbegrenzte, nie endende Aktivität des Staates zur Risikominimierung.“625 Zog der Opferschutz im klassischen Gefahrenabwehrrecht noch grundsätzlich lediglich eine Freiheitsbeschränkung für den Gefahrverursacher nach sich, weiten die Schutzanstrengungen der Gefahrenvorbeugung die freiheitsbeeinträchtigenden Wirkungen potenziell auf Jedermann aus.626 Gesetzlichen Ausdruck fand die stückweise Verschiebung der polizeilichen Tätigkeit weg von der traditionellen Gefahrenabwehr zunächst im 1986 ergangenen Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder.627 Dieser ergänzte die Aufgabenstellung der Polizei begrifflich um die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“628, d. h. die Verhütung von Straftaten und die Vorsorge ihrer Verfolgung629, als Reaktion auf das sog. Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts.630 Das Tätigkeitsfeld der vorbeugenden Straftatenbekämpfung, genauer die in dieser Arbeit interessierende Verhütung von Straftaten, unter der das Bundesverfassungsgericht „Maßnahmen [versteht], die drohende Rechtsgutverletzungen von vornherein und in einem Stadium verhindern sollen, in dem es noch nicht zu strafwürdigem Unrecht gekommen ist“631, fand auch in der Folgezeit in die Aufgabenbestimmungen der Polizeigesetze Einzug (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 PolG) sowie Ausdruck in etlichen, diesem Bereich zuzuordnenden Eingriffsbefugnissen, die auf das Bestehen einer konkreten Gefahr verzichten. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Verhütung von Straftaten nicht als neuartiges, eigenständiges Aufgabenfeld der Polizei missverstanden werden sollte. Zwar wird zunehmend mehr Gewicht auf das informationelle Handeln im Gefahrenvorfeld zur Verhütung von Straftaten gelegt. Dieses dient jedoch der Vorbereitung der damit verknüpften und althergebrachten Aufgabe der Gefahrenabwehr, wie auch § 1 Abs. 1 S. 2 PolG mit den Worten „im Rahmen dieser Aufgabe“ klarstellt.632 625  Denninger, Polizeiaufgaben (Fn. 289), D Rn. 6. Ebenso kritisch Park, Wandel (Fn. 484), S. 168. 626  Vgl. Waechter, Situation (Fn. 490), S. 854. 627  Der MEPolG unter Einbeziehung des Vorentwurfs zur Änderung von 1986 findet sich abgedruckt bei Knemeyer, POR (Fn. 297), Rn. 549. 628  Pitschas sieht in der Aufgabe der Prävention in diesem Sinne neben der Gefahrenabwehr i. e. S. und der Strafverfolgung einen „dritten Pfeiler der inneren Sicherheit“, vgl. R.  Pitschas, Öffentliche Sicherheit durch Kriminalprävention, in: ders. (Hrsg.), Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“, 2002, S. 13. 629  Zur kompetenzrechtlichen Problematik vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, B. III. 3. a). 630  BVerfGE 65, 1 ff. 631  BVerfGE 113, 348 (369).



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen211

2. Identifikation der Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung Inhalt der gefahrenvorbeugenden Tätigkeit, genauer der Verhütung von Straftaten, ist die datenerhebende und -verarbeitende Tätigkeit der Polizei (vgl. § 1 Abs. 5 S. 2 PolG), im Rahmen derer bekannte „Gefahrenquellen“ beobachtet und das Entstehen einer Gefahr frühzeitig erkannt werden sollen.633 Auch im Kontext fußballbezogener Gewalt sollen die Maßnahmen der Informationserhebung, -verarbeitung und -nutzung – ob im Vorfeld der Veranstaltung oder am Spieltag eingesetzt – der Gewährleistung eines ausreichenden Informationsbestandes der Polizei zur effizienten Verhütung von (noch nicht im Einzelnen konkretisierten) Straftaten und damit der Gefahraufklärung bzw. der Abwehr der abstrakten Gefahr der Straftatenbegehung dienen. 632

Damit sollen als Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung an dieser Stelle die Datenerhebung, -speicherung und -übermittlung einschließlich der Befragung durch szenekundige Beamte gem. §§ 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 2, 24 Abs. 1, 27 Abs. 1 S. 1 PolG, die Datenspeicherung, Übermittlung und Nutzung im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“ nach § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, 2, 4, 5, 6, § 9 BKAG i. V. m. der BKA-Daten-Verordnung sowie § 24 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 S. 1 PolG, der Datenabgleich gem. § 25 Abs. 1 PolG, die kurzfristige Observation gem. § 16a Abs. 4 S. 2 PolG und die Identitätsfeststellung nach § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG untersucht werden, welche allesamt nicht an das Bestehen einer konkreten Gefahr anknüpfen. Die Untersuchung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen umfasst sowohl die Verfassungsmäßigkeit der jeweils heranzuziehenden Rechtsgrundlage als auch deren Anwendung zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt in typischen Fällen. 3. Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Befugnisnormen a) Die formelle Verfassungsmäßigkeit der Befugnisnormen Hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen der vorbeugenden Gefahrenabwehr war es lange Zeit umstritten, wem die Regelungskompetenz dieses Tätigkeitsbereichs zukommen soll.634 Das Bun632  Vgl. Möstl, Gestalt (Fn.  705), S. 585; Mann / Fontana, Entwicklungslinien (Fn. 854), S. 734. 633  Götz, Entwicklung (Fn.  246), S.  679; Rachor, Polizeihandeln (Fn.  44), E Rn. 152; Park, Wandel (Fn. 484), S. 229 f., 233. 634  Vgl. zum diesbezüglichen Streit statt vieler Fischer, Videoüberwachung (Fn. 174), S. 90 f.; Siegel, Spiel (Fn. 169), S. 168 ff.; K. Waechter, Konsequenzen aus

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desverfassungsgericht urteilte mittlerweile mehrfach, dass diesbezüglich zwischen den Bestandteilen der Straftatenverhütung sowie der Vorbereitung auf die künftige Gefahrenabwehr einerseits und der Strafverfolgungsvorsorge andererseits zu trennen sei, wobei letztere unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG falle und demnach konkurrierend vom Bund geregelt werde.635 Erstere fielen in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Andere wollen hingegen auch die „präventive Beweismittelgewinnung“ aufgrund ihres abschreckenden Charakters als Ländersache verstanden wissen.636 Welcher Ansicht auch gefolgt wird, festzuhalten bleibt, dass Maßnahmen, die vordergründig der Straftatenverhütung (auch durch Abschreckung) dienen, in die Regelungskompetenz der Länder fallen.637 Dem steht auch eine potenzielle spätere Verwendung der erlangten Daten zu repressiven Zwecken nicht entgegen (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 PolG), solange die Datenerhebung ursprünglich der Prävention diente.638 So verhält es sich grundsätzlich auch bei den in dieser Arbeit zu untersuchenden Vorfeldmaßnahmen, sodass von der formellen Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Befugnisnormen auszugehen ist. Sind einzelne Befugnisse, wie z. B. die Datenerhebungsgeneralklausel, sehr weit gefasst, kann diesem Umstand durch verfassungskonforme Auslegung dahingehend, dass die zu erhebenden Daten präventiven Zwecken zu dienen haben, abgeholfen werden. Des Weiteren haben sich die bereits angesprochenen Streitigkeiten bezüglich der formellen Rechtmäßigkeit der Einrichtung der Datei „Gewalttäter Sport“ erledigt.639

dem Abhörurteil des Bundesverfassungsgerichts zum Niedersächsischen SOG, in: NordÖR 2005, S. 393 (394 f.); Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 5 Rn. 5 ff. 635  So BVerfGE 113, 348 (369). Schwierig zu beantworten bleibt jedoch auch nach dieser Auffassung die Frage, ob der Bundesgesetzgeber von dieser Kompetenz bereits abschließend Gebrauch gemacht hat und welche Folgen diese Rechtsprechung für die Praxis birgt; vgl. hierzu Trurnit, Datenverarbeitung (Fn. 609), S. 461 ff. 636  So scheinbar Waechter, Konsequenzen (Fn. 634), S. 394. Anklingend auch bei M. Kniesel, Neue Polizeigesetze contra StPO? Zum Regelungsstandort der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und zur Verfassungsmäßigkeit polizeilicher Vorfeldaktivitäten, in: ZRP 1987, S. 377 (378 ff.). 637  U. Stephan, Zur Verfassungsmäßigkeit der präventiven Telefonüberwachung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds.SOG. Anmerkungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27.7.2005 – Az. 1 BvR 668 / 04, in: VBlBW 2005, S. 410 (411). 638  Möstl, Bundesverfassungsgericht (Fn. 472), S. 815. 639  Vgl. Fn. 39.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen213

b) Die materielle Verfassungsmäßigkeit aa) Das problematische Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit Weitaus schwerwiegendere Probleme bereitet jedoch die Frage nach der materiellen Verfassungsmäßigkeit der hier in Rede stehenden Maßnahmen. Wie bereits angeklungen, haben die Aufnahme der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bzw. der Straftatenverhütung in den Aufgabenkatalog der Polizei (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 PolG sowie § 2 Abs. 1 BKAG) und die damit einhergehende teilweise Verlagerung der Eingriffsbefugnisse ins Vorfeld der konkreten Gefahr eine alte Diskussion wieder aufleben lassen – die um das Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit.640 Allein im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht sprechen etliche neu geschaffene, im Gefahrenvorfeld anzusiedelnde Maßnahmen – vom Großen Lauschangriff über die Rasterfahndung und Online-Durchsuchung bis zur automatischen Kennzeichenerfassung und Vorratsdatenspeicherung641, um nur einige wenige zu nennen – für die Hinwendung zum besagten Präventionsstaat, für ein Aufsteigen der Sorge für die innere (und äußere) Sicherheit auf der Leiter der Staatsaufgaben.642 Derweil ist dem Anstieg der (Vor-)Sorge für die Sicherheit und dem wachsenden Präventionsstaat, der anstelle der Abwehr konkreter Gefahren laut Denninger einem durch „Grenzen- und Maßstabslosigkeit“643 gekennzeichneten Sicherheitszweck dient, die erhöhte Bedrohung individueller Freiheit immanent.644 Auch das Bundesverfassungsgericht hat diese gesehen und einige der oben genannten Instrumente für unzulässig erklärt sowie gleichzeitig die Messlatte für die vorbeugende Gefahrenabwehr angehoben.645 Als Konsequenz des Bedeutungsverlustes der konkreten Gefahr kommt dem Polizeirecht im Bereich der Gefahrenvorbeugung neben der Verfolgung des Ideals der Sicherheit die rechtsstaatliche, freiheitssichernde Funktion der Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse in höherem Maße zu, als dies im 640  Vgl. ausführlich Park, Wandel (Fn. 484), S. 38 ff. Anschaulich auch Calliess, Gewährleistung (Fn. 491), S. 1096 ff. 641  BVerfGE 109, 279 (Großer Lauschangriff); 115, 320 (Rasterfahndung); 120, 274 (Online-Durchsuchung); 120, 378 (automatisierte Kennzeichenerfassung) und 125, 260 (Vorratsdatenspeicherung). 642  Vgl. Götz, Entwicklung (Fn. 246), S. 679; Möstl, Bundesverfassungsgericht (Fn. 472), S. 808. 643  Denninger, Polizeiaufgaben (Fn. 289), D Rn. 7. 644  Vgl. Waechter, Situation (Fn. 490), S. 854 f. 645  Mit Hinweis auf die mangelnde Bestimmtheit der entsprechenden Normen geschah dies z. Β. bezüglich der automatisierten Kennzeichenerfassung, vgl. BVerfGE 129, 378 (407 ff.), sowie in Bezug auf die Online-Durchsuchung, vgl. BVerfGE 120, 274 (315 ff.).

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Bereich der klassischen Gefahrenabwehr gilt. Eine solche soll, soweit wie möglich, durch präzise gesetzgeberische Gestaltung der Befugnisse oder die Schaffung anderer, z.  B. verfahrensrechtlicher Kompensation, hilfsweise durch strikte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Vollzugsebene sichergestellt werden.646 Im Rahmen der Überprüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit der Befugnisnormen, auf welche die vorbeugenden Maßnahmen zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt gestützt werden, ist dementsprechend besonderes Augenmerk zum einen auf die Verhältnismäßigkeit sowie zum anderen auf die hinreichende Bestimmtheit der Normen zu legen. bb) Die Verhältnismäßigkeit der Befugnisnormen (1) Die abgesenkte Eingriffsschwelle der Befugnisnormen Wie bereits angesprochen, sind für die Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung die durch den Verzicht auf das Eingriffserfordernis der konkreten Gefahr bedingte verminderte Eingriffsschwelle sowie die damit einhergehende Unanwendbarkeit der klassischen Störerdogmatik charakteristisch.647 Die Maßnahmen der Gefahraufklärung weisen somit notwendig eine weitere Streubreite als diejenigen der klassischen Gefahrenabwehr auf, welche Personen grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen der §§ 4 ff. PolG adressieren. Die verschiedenen Vorfeldbefugnisse erlauben der Polizei ein datenerhebendes bzw. -verarbeitendes und damit gefahraufklärendes Tätigwerden allesamt bereits beim Vorliegen einer abstrakten Gefahr bzw. eines abstrakten Gefahrverdachts.648 Von einer oder einem solchen wird ausgegangen, wenn Verdachtsmomente darauf schließen lassen, dass die Entwicklung des im einzelnen noch nicht absehbaren Kausalverlaufs zu einer konkreten Gefahr für ein polizeilich geschütztes Gut nach der allgemeinen Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen möglich bzw. hinreichend wahrscheinlich erscheint.649 646  Vgl. Götz, Entwicklung (Fn. 246), S. 679. Vgl. dazu auch H.-H. Trute, Grenzen des präventionsorientierten Polizeirechts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Die Verwaltung 42 (2009), S. 85 (85 ff.), sowie Park, Wandel (Fn. 484), S. 169. 647  Hoffmann-Riem, Abbau (Fn. 609), S. 336 f. 648  So Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 587. 649  W. Schmidbauer, in: ders. / Steiner, Bay PAG (Fn. 143), Art. 2  Rn. 8 ff.; Park, Wandel (Fn. 484), S. 189 ff.; Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 70. Näheres zum Begriff der abstrakten Gefahr unter Kap. 3, B. III. 4. a) aa).



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen215

Hinsichtlich der informationellen Vorfeldbefugnisse der Polizei kann zwischen zwei Gruppen von Maßnahmen differenziert werden, die sich anhand ihrer Eingriffsschwelle unterscheiden lassen. Die Anwendung der Maßnahmen der ersten Gruppe, der sog. einzelfallbezogenen Aufklärungsbefugnisse650, erfordert aufgrund der erhöhten Eingriffsintensität einen „personenbezogenen abstrakten Gefahrverdacht“651, d. h. Anhaltspunkte, die einen Gefahrverursachungsverdacht bereits auf bestimmte Personen lenken, die sodann auch von der Maßnahme betroffen sind (vgl. z. B. die längerfristige Observation gem. § 16a Abs. 1 Nr. 2 PolG). Demgegenüber stehen die sog. anlassunabhängigen Aufklärungsbefugnisse, welche einen „rein lagebezogen abstrakten Gefahrverdacht“ voraussetzen.652 Dabei müssen zwar allgemeine Lageerkenntnisse auf eine drohende Straftatbegehung hinweisen, der Verdacht der Gefahrverursachung muss sich jedoch noch nicht auf eine konkrete Person bzw. einen bestimmten Personenkreis beziehen. Damit gibt nicht das Verhalten der betroffenen Person Anlass zum Ergreifen einer Maßnahme, vielmehr deutet z. B. die Beschaffenheit eines Ortes auf das erhöhte Gefahrenpotenzial an selbigem hin, welches sodann ein Eingreifen rechtfertigen soll (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder § 15a Abs. 1 S. 1 PolG).653 Somit sind die lagebezogenen Aufklärungsbefugnisse im Vergleich zu den einzelfallbezogenen durch ihre weitere Streubreite gekennzeichnet, wodurch sie gerade dazu dienen, aus einem größeren Personenkreis diejenigen Personen herauszufiltern, die individuell verdächtig sein könnten654, und um in einem weiteren Schritt etwaige Maßnahmen, deren Ergreifen einen konkreten Personenbezug erfordert, zu ermöglichen. Die in dieser Arbeit in Rede stehenden Vorfeldbefugnisse der Polizei sind insgesamt als anlassunabhängig bzw. rein lagebezogen zu qualifizieren. So erfordern die datenerhebende Tätigkeit auf Grundlage der Datenerhebungsgeneralklausel gem. § 9 Abs. 3 S. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 1 PolG ebenso wie die reine Befragung nach § 9 Abs. 1 S. 1 PolG und die kurzfristige Observation gem. § 16a Abs. 4 S. 2 PolG auf der Tatbestandsebene (mit teilweise leicht abgewandeltem Wortlaut) lediglich, dass die fragliche Datenerhebung für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich ist. Immanent ist dieser Forderung – wie auch in § 9 Abs. 1 S. 1 PolG reglementiert –, dass zumindest erwartet werden können muss, dass die zu erheben650  Gusy,

Gefahraufklärung (Fn. 8), S. 643. Gestalt (Fn. 460), S. 587 f. 652  Gusy, Gefahraufklärung (Fn. 8), S. 643. 653  Gusy, Gefahraufklärung (Fn. 8), S. 644. 654  Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 588. 651  Möstl,

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

den Daten für die Aufgabenerfüllung sachdienlich sein könnten.655 Ähnlich verhält es sich mit den Befugnissen der polizeilichen Datenverarbeitung. So kann die Polizei personenbezogene Daten z. B. in der Datei „Gewalttäter Sport“ gem. § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, 2, 4, 5, 6, § 9 BKAG i. V. m. der BKADaten-Verordnung sowie §§ 24 Abs. 1, 27 Abs. 1 S. 1 PolG speichern und übermitteln, „soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist.“ Ebenso kann ein Datenabgleich mit der Datei gem. § 25 Abs. 1 S. 2 PolG erfolgen, wenn Anhaltspunkte bestehen, die einen solchen für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich erscheinen lassen. Die Identitätsfeststellung auf Grundlage von § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG und daran angelehnt die Durchsuchung nach den §§ 39 Abs. 1 Nr. 4, 40 Abs. 1 Nr. 4 PolG stellen allein auf den Aufenthalt des Betroffenen an einem Ort mit erhöhter Gefahrneigung ab, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen müssen, dass dort Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder verübt werden. Durch das Erfordernis der abstrakten Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten weist § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG allerdings zumindest im Vergleich zu den anderen hier behandelten Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung eine erhöhte Eingriffsschwelle auf. In Ansehung der gesetzlichen Bestimmungen wird dennoch ihr durch die allgemein geringe Eingriffsschwelle der Maßnahmen sowie durch den potenziell nahezu unbeschränkten Adressatenkreis bedingter freiheitsbedrohender Charakter augenscheinlich. Als Folge drängt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen auf. Von dieser ist auszugehen, wenn der Gesetzgeber seinen in dieser Frage bestehenden Gestaltungsspielraum in der Weise ausgeschöpft hat, dass die widerstreitenden Interessen im mehrpoligen Verhältnis der Grundrechte des Betroffenen und des Geschützten insgesamt angemessen in Ausgleich gebracht wurden, wobei hinsichtlich des Eingriffsgutes das Übermaßverbot, in Bezug auf das geschützte Gut das Untermaßverbot maßgeblich ist.656 Im Rahmen einer mehrpoligen Verhältnismäßigkeitsprüfung sind damit die geringe Eingriffsschwelle der Befugnisnormen, ihre Eingriffsintensität sowie die Schutzwirkung für das durch sie geschützte Rechtsgut gegeneinander abzuwägen.657 Calliess formuliert hinsichtlich der Frage der Verhältnismäßigkeit von Eingriffsbefugnissen im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit zudem zwei Faustregeln. Erstens: „Je geringer der Bezug der staatlichen Maßnahme zur physischen Sicherheit des Bürgers […] ist, desto höher sind die Anforderungen an ihre Rechtfertigung unter freiheitlichen Gesichtspunkten.“658 Und zweitens: „Je 655  Möstl,

Gestalt (Fn. 460), S. 586. Gewährleistung (Fn. 491), S. 1102 f. 657  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, B. II. 2. a) dd) (2). 658  Calliess, Gewährleistung (Fn. 491), S. 1104. 656  Calliess,



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen217

mittelbarer der Bezug der staatlichen Maßnahme zur physischen Sicherheit der Bürger ist, desto höher sind die Anforderungen an ihre Rechtfertigung.“659 (2) Die weite Streubreite der Befugnisnormen Die niedrige Eingriffsschwelle der Befugnisnormen ist damit zunächst in Relation zur Eingriffsintensität der Maßnahmen zu stellen. Letztere könnte einerseits als eher gering angesehen werden, da den Maßnahmen (mit Ausnahme der Regelungen zur Durchsuchung) regelmäßig nicht bereits aufgrund der Form der Informationsgewinnung Grundrechtsrelevanz zukommt, wie es beispielsweise bei der längerfristigen Observation gem. § 16a Abs. 1 PolG typischerweise der Fall ist. Vielmehr ergibt sich die Eingriffswirkung der fraglichen Maßnahmen in die informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich allein aus dem Umstand der Erhebung eines personenbezogenen Datums an sich.660 Auch die vom Bundesverfassungsgericht in Bezug auf datenerhebende oder -verarbeitende Tätigkeiten geschaffenen besonderen Ausformungen des Übermaßverbotes, wie die Unantastbarkeit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung661 sowie das Verbot, ein umfassendes Bewegungsbild des Betroffenen zu erstellen662, werden durch die Maßnahmen typischerweise nicht betroffen. Allerdings wird eine erhöhte Eingriffsintensität auch dann angenommen, wenn eine Maßnahme anlassunabhängig, d. h. ohne die Setzung eines dem Betroffenen individuell zurechenbaren Anlasses ergriffen werden kann.663 Demnach spräche die große Streubreite der Maßnahmen, die potenziell jeden betreffen können, von dem bzw. über den sachdienliche Angaben zu erwarten sind und der sich, sofern erforderlich, an einem Ort mit erhöhter Gefahrneigung aufhält, für deren gesteigerte Eingriffsintensität. Möstl weist zwar richtigerweise darauf hin, dass die „Abstempelungswirkung“ einer Maßnahme umso geringer ist, je verdachtsloser diese ergriffen werden kann und Nichtstörer im Bereich der Gefahrenvorbeugung keineswegs als Störer behandelt werden664, dies ändert jedoch nichts an der Einschätzung, dass das anlasslose Eingreifen in ein Grundrecht, welches der Bürger nicht durch schlichtweg legales Verhalten unterbinden kann, bereits durch den Umstand

659  Calliess,

Gewährleistung (Fn. 491), S. 1104. dieser Differenzierung Gusy, Gefahraufklärung (Fn. 8), S. 642. 661  BVerfGE 109, 279 (313). 662  BVerfGE 112, 304 (309, 319), 120, 378 (424). 663  BVerfGE 115, 320 (354); BVerfG, NJW 2010, 833 (838). 664  Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 588. 660  Zu

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

der Anlassunabhängigkeit selbst in seiner Intensität ansteigt.665 Des Weiteren erlangen zumindest die Maßnahmen der Datenerhebung, sofern sie offen durchgeführt werden, regelmäßig eine einschüchternde Wirkung, durch die ihre Eingriffsintensität wiederum ansteigt.666 (3) Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung von Schutzzweck und Wirkung sowie etwaiger kompensatorischer Elemente (a) A  llgemeine Betrachtung der Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung Obgleich die Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung, wie soeben gesehen, eine im Vergleich zur klassischen Gefahrenabwehr weit herabgesetzte Eingriffsschwelle aufweisen und auch ihre Eingriffswirkung nicht als unerheblich angesehen werden kann, spricht ihr Schutzzweck in Gestalt der Verhütung von (teilweise erheblichen) Straftaten, welche u. a. die physische Sicherheit der Bürger bedrohen, sowie ihre diesbezügliche Wirksamkeit für die Verhältnismäßigkeit der Normen. Die Verfolgung dieses in Ansehung grundrechtlicher Schutzpflichten unverzichtbaren Ziels kann allein dann gelingen, wenn die Polizei über eine ausreichende Informationsbasis verfügt, auf deren Grundlage kausalverlaufsrelevante, der tatsächlichen Gefahrbeseitigung dienende Präventivmaßnahmen erst ermöglicht werden. Dabei setzt der konkrete Gefahrbegriff notwendig voraus, „dass im Vorfeld der Gefahrbeseitigung auch diejenigen Informationen erhoben werden können, die sodann die Gefahrprognose tragen.“667 Dies erfordert wiederum eine Vorverlagerung der Eingriffsschwelle zur Informationserhebung, mit der Folge, dass die bloß abstrakte Gefahr der Straftatbegehung für ein Ergreifen rein lagebezogener, nicht übermäßig eingriffsintensiver, insbesondere nicht kausalverlaufsrelevanter sowie in nicht allzu weiter Ferne zur physischen Sicherheit des Bürgers stehenden Maßnahmen der Gefahraufklärung dem Grunde nach ausreichen muss.668 665  Calliess spricht in dieser Hinsicht von einer „generelle[n] Beweislastumkehr“ im Bürger-Staat-Verhältnis, „in der das Risiko zur Normalität wird und die Nichtgefährlichkeit zur Ausnahme, die der Bürger für seine Person beweisen muss“ [Hervorhebung im Original, F. N.], vgl. Calliess, Gewährleistung (Fn. 491), S. 1100. 666  BVerfGE 115, 320 (354  f.); 120, 378 (402). Zum Vorstehenden insgesamt Gusy, Gefahraufklärung (Fn. 8), S. 642 f. 667  Möstl, Bundesverfassungsgericht (Fn. 472), S. 810. 668  Vgl. die Ausführungen des SächsVerfGH, JZ 1996, 957 (959 f.), des BayVerfGH, DVBl. 2003, 861 (863 ff.), sowie die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gefahrenvorbeugung im Rahmen der Entscheidungen zur Telekommu-



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen219

Dennoch kann die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in Anbetracht ihrer geringen Eingriffsschwelle sowie der weiten Streubreite lediglich dann gewährleistet werden, wenn ausufernde Grundrechtseingriffe vermieden werden. Während eine präzisere Ausgestaltung der Eingriffsvoraussetzungen der Flexibilität der Maßnahmen abträglich wäre, kann dies jedoch durch Bestimmungen zum Verfahren oder durch die Einräumung von Anschlussrechten der Betroffenen erfolgen.669 Neben den bereits unter Gliederungspunkt II. 2. a) dd) (1) erörterten allgemeinen Grundsätzen zur Datener­hebung sowie dem Grundsatz der Zweckbindung erfahren diesbezüglich insbesondere Auskunftsrechte bzw. Benachrichtigungspflichten sowie Löschungsund Berichtigungsansprüche des Betroffenen besondere Bedeutung.670 Erstere werden verfassungsrechtlich teils unmittelbar aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung671, teils aus der Rechtsweggarantie gem. Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet672 und wurden einfach-gesetzlich beispielsweise in § 18 LDSG und §§ 19 f. BDSG konkretisiert673. Letztere sind in den Polizeigesetzen selbst geregelt (vgl. z. B. § 32 PolG). All diese Instrumente schmälern die Eingriffswirkung datenerhebender sowie -verarbeitender Polizeimaßnahmen und tragen dem Gebot rechtsstaatlicher Eingrenzung der informationellen Vorfeldtätigkeit der Polizei Rechnung. In Ansehung dieser auf der Vollzugsebene zu berücksichtigenden datenschutzrechtlichen Mechanismen kann also – vorbehaltlich der sogleich erfolgenden Einschränkung – von der Verhältnismäßigkeit der hier in Rede stehenden Befugnisnormen ausgegangen werden.674 Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass die Bestimmungen zur Datenerhebung und -verarbeitung verhältnismäßig sind, wobei jedoch trotz der soeben erläuterten weitgehenden Kompensation der abgesenkten Eingriffsschwelle sowie der weiten Streubreite der Maßnahmen eine strikt am nikationsüberwachung (BVerfGE 113, 348 [377 ff.]) und zur Online-Durchsuchung (BVerfGE 120, 274 [328 ff.]). Vgl. ferner Götz, Entwicklung (Fn. 246), S. 679; Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 586 f.; ders., Bundesverfassungsgericht (Fn. 472), S. 810. 669  Kugelmann, Gefahrenbegriff (Fn. 504), S. 787. 670  Hierzu insgesamt Kugelmann, Gefahrenbegriff (Fn. 504), S. 788. 671  So K. Globig, Der Auskunftsanspruch des Betroffenen als Grundrecht, in: H.-W. Arndt / F.-L. Knemeyer / D. Kugelmann / W. Meng / M. Schweitzer (Hrsg.), Völkerrecht und deutsches Recht. Festschrift für Walter Rudolf zum 70. Geburtstag, 2001, S. 441 (445 f.); dem folgt Kugelmann, Gefahrenbegriff (Fn. 504), S. 788. Vgl. weiter Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 238. 672  BVerwGE 84, 375 (378); 89, 14 (18); H. Bäumler, Der Auskunftsanspruch des Bürgers gegenüber den Nachrichtendiensten, in: NVwZ 1988, S. 199 (199 f.). Kritisch Globig, Auskunftsanspruch (Fn. 671), S. 451 f. 673  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 15 Rn. 79. 674  Kugelmann, Gefahrenbegriff (Fn.  504), S. 787  ff.; Gusy, Gefahraufklärung (Fn. 8), S. 646.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

Verhältnismäßigkeitsgebot orientierte Anwendung auf der Vollzugsebene unentbehrlich bleibt.675 Hier ist insbesondere auf eine Begrenzung des Kreises der Pflichtigen hinzuwirken.676 Darüber hinaus könnte aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gefordert werden, dass es sich bei den drohenden Straftaten nicht lediglich um Bagatelldelikte handeln darf.677

(b) B  etrachtung der Datenverarbeitungsmaßnahmen im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“ Problematischer erscheinen in dieser Hinsicht allerdings die Möglichkeiten der Datenverarbeitung im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“. Kritik wurde diesbezüglich zunächst im Hinblick auf das Fehlen einer ausdrücklich geregelten Benachrichtigungspflicht geübt.678 So steigt die Eingriffswirkung einer in der Datei erfolgenden Datenspeicherung an, wenn der Betroffene von dieser keine Kenntnis erlangt und somit etwaige Rechtsschutzmöglichkeiten sowie Folgeansprüche, z. B. auf Berichtigung, Löschung oder Sperrung seiner Daten gem. § 32 BKAG679, nicht wahrnehmen kann.680 In Ansehung der immensen potenziellen Folgen der Erfassung einer Person in der Datei wird der Mangel der Benachrichtigungspflicht teilweise als mit der Rechtsweggarantie gem. Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar erachtet.681 Dem wird entgegen gehalten, dass ein Eingriff in die Rechtsweggarantie nur dann vorliege, wenn die gerichtliche Überprüfung eines Exekutivakts ausgeschlossen oder unzumutbar erschwert werde.682 Eine solche unangemessene Erschwerung könnte jedoch – wie Krahm einwirft – durch das Recht des Betroffenen, sich über seine Erfassung in der Datei zu informieren, ausgeschlossen sein. Der Mangel einer Benachrichtigungspflicht würde sodann durch das diesbezüglich bestehende 675  Kugelmann,

Gefahrenbegriff (Fn. 504), S. 787. hierzu die Ausführungen unter Kap. 3, B. III. 4. a) bb). 677  Einige Datenerhebungsbefugnisse verlangen dies ausdrücklich, vgl. z. B. § 16a Abs. 1 Nr. 2  PolG. 678  Statt vieler Arzt / Eier, Rechtmäßigkeit (Fn. 13), S. 823 f. 679  Ernstzunehmende Kritik wird zudem gegenüber der engen Ausgestaltung des Löschungsanspruches nach § 32 Abs. 2 S. 1 BKAG geäußert, vgl. hierzu I. Spiecker / T. Kehr, Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.06.2010 – Datei Gewalttäter Sport, in: DVBl. 2011, S. 930 (933 ff.). 680  Vgl. Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 244; Arzt / Eier, Rechtmäßigkeit (Fn. 13), S.  823 f. 681  So Arzt / Eier, Rechtmäßigkeit (Fn. 13), S. 823 f. 682  So BVerfGE 40, 272 (274 f.); 69, 381 (385 f.); Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 245; H.  D.  Jarass, in: ders. / Pieroth, GG (Fn. 94), Art. 19 Rn. 50. 676  Vgl.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen221

Auskunftsrecht des Betroffenen gem. § 12 Abs. 5 BKAG i.  V.  m. § 19 BDSG kompensiert.683 Allerdings räumt auch Krahm ein, dass der fragliche Auskunftsanspruch, dessen Geltendmachung schließlich zumindest den persönlich zu hegenden Verdacht einer Eintragung voraussetzt, in der Praxis nur selten verfolgt wird. Damit können ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten derjenigen Betroffenen, die von ihrer Eintragung in der Datei – besonders aufgrund der Fülle eventuell anlassgebender Polizeimaßnahmen – nichts ahnen, nicht sicher gestellt werden.684 In Ansehung der beträchtlichen Folgen einer Aufnahme in die Datei sowie der vergleichsweise geringen Anzahl gespeicherter Personen, welche eine Benachrichtigung auch in organisatorischer Hinsicht gangbar erscheinen lässt, muss somit der geschilderten Kritik in Bezug auf die mangelhaften Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Speicherung in der Datei gefolgt und die Reglementierung einer Benachrichtigungspflicht für notwendig befunden werden.685 Weitere Kritik erfährt die Datei „Gewalttäter Sport“ hinsichtlich ihrer Errichtungsanordnung, welche neben strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und Verurteilungen auch präventiv-polizeiliche Maßnahmen als Anlass für eine Speicherung in der Datei festschreibt.686 Dies sei angesichts der weitreichenden langfristigen Folgen der Speicherung unverhältnismäßig.687 Dem wird jedoch zu recht entgegen gehalten, dass es nicht auf die Natur des anlassgebenden staatlichen Akts ankommen kann, sondern allein das individuelle Verhalten des Betroffenen den Schluss zulassen muss, dass dieser auch in Zukunft im Zusammenhang mit Sportgroßveranstaltungen ein gefährliches Verhalten an den Tag legen wird.688 Bedenkt man, dass eine polizeiliche Präventivmaßnahme dazu führen kann, dass eine Straftat gerade nicht begangen und ein Schadenseintritt damit verhindert wird, kann dies nicht die pauschale Aussage nach sich ziehen, dass eine Präventivmaßnahme keinen Anlass für die Aufnahme in der Datei darstellen kann. Schließlich negiert der Nichteintritt des Schadens nicht die Gefährlichkeit des maßgeblichen Verhaltens. Dennoch bleibt zu bedenken, dass das zur Speicherung 683  Krahm,

Maßnahmen (Fn. 12), S. 244 f. Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 246 f. 685  So im Ergebnis auch Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 247 ff., der zur Orientierung auf die Parallelvorschrift des Art. 24a Abs. 10 S. 2 des schweizerischen Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit verweist. 686  Vgl. die Angaben der ZIS auf der Homepage zur Datei „Gewalttäter Sport“ (Fn. 22). 687  15. Datenschutzbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Nordrhein-Westfalen, S. 73, abrufbar unter: https://www.ldi.nrw.de/mainmenu_Service‌/ submenu_Berichte / Inhalt / 15_DSB / 15_., zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 688  Vgl. Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 241 f. 684  Vgl.

222

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

führende individuelle Verhalten eine gewisse Intensität aufweisen muss, obgleich im Einzelfall zu prüfen bleibt, ob von dem Betroffenen die geforderte abstrakte Gefährlichkeit ausgeht.689 Damit ergibt sich hier eine Ausnahme von der oben geschilderten, für die in dieser Arbeit behandelten Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung grundsätzlich typischen reinen Lagebezogenheit bzw. „Anlassunabhängigkeit“. Insgesamt sind die in der Errichtungsanordnung aufgeführten Anlässe für eine Speicherung jedoch allesamt so eng mit den typischerweise im Rahmen von Sportveranstaltungen begangenen Straftaten verknüpft690, dass deren Kenntnis für die erfolgreiche Bekämpfung besonders fußballbezogener Gewalt grundsätzlich als erforderlich einzuschätzen ist. Ferner erscheint die in der Errichtungsanordnung geregelte fünfjährige Speicherungsfrist für in der Datei gespeicherte Daten im Vergleich zu in anderen Polizeigesetzen vorgesehenen Speicherungs- und Prüffristen nicht unverhältnismäßig (vgl. z. B. die Zehn-Jahresfrist nach § 24 Abs. 2 S. 3 PolG).691 Vorbehaltlich des Erfordernisses der Regelung einer Benachrichtigungspflicht, kann die Datei „Gewalttäter Sport“ nach dem anfänglichen Streit über ihre formelle Rechtmäßigkeit damit auch in materieller Hinsicht als rechtmäßig erachtet werden. (4) Zwischenfazit Festzuhalten bleibt, dass die Befugnisnormen der hier in Rede stehenden Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung – vorbehaltlich der Regelungsbedürftigkeit der Rechtschutzmöglichkeiten im Bereich der Datei „Gewalttäter Sport“ – verhältnismäßig sind. cc) Die hinreichende Bestimmtheit der Befugnisnormen Neben dem Verhältnismäßigkeitsprinzip müssen die Regelungen der Gefahrenvorbeugung auch den Anforderungen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebotes entsprechen. Wie bereits unter Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (1) dargelegt, trägt das Gebot der ausreichenden Bestimmtheit von Gesetzen dem Gesetzgeber auf, ein Gesetz so präzise auszugestalten, dass der Normadressat dessen Rechtsfolgen voraussehen und sein Handeln dementsprechend ausrichten kann. Ferner soll es den Normanwendern ermöglicht werden, aus auch Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 242 f. Maßnahmen (Fn. 12), S. 239 f. 691  Vgl. Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 243 f. 689  So

690  Krahm,



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen223

diesem klare Handlungsvorgaben abzuleiten. Besonders wenn der Gesetzgeber die Eingriffsschwelle für informationelles Polizeihandeln dergestalt absenkt, dass dieses bereits im Vorfeld einer konkreten Gefahr ermöglicht wird, hat er sicherzustellen, dass der Eingriffstatbestand so bestimmt ist, dass „niemand befürchten muß, ohne hinreichende und damit für ihn vorhersehbare Anhaltspunkte und Verdachtsumstände in das Visier der Sicherheitsorgane zu geraten.“692 Dabei fordert das Bestimmtheitsgebot jedoch „lediglich“ einen hinreichenden Grad an Bestimmtheit, welcher je nach Regelungsfähigkeit und Grundrechtsrelevanz des Regelungsgegenstandes variiert.693 Die hier in Rede stehenden Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung werden insgesamt durch einen wenig präzisen Tatbestand charakterisiert, welcher mit den Maßgaben des Bestimmtheitsprinzips unvereinbar sein könnte. Eine Konkretisierung der Befugnisnormen kann dabei auch über eine Heranziehung der Aufgabennorm nicht erfolgen, da diese mit der Verhütung von Straftaten ebenfalls sehr weit gefasst ist.694 Betrachtet man die Befugnisnormen der Gefahrenvorbeugung jedoch unter Berücksichtigung der für den erforderlichen Bestimmtheitsgrad maßgeblichen Kriterien, so spricht bereits ihr grundlegender Zweck – die frühzeitige Identifikation und Beobachtung von Gefahrenquellen – aufgrund der unzähligen denkbaren Gefahren und der daraus folgenden geringen Regelbarkeit der Maßnahmen der Datenerhebung und -verarbeitung gegen das Erfordernis eines hohen Detaillierungsgrades. Um besagten Zweck erfolgreich verfolgen zu können, müssen die Maßnahmen – ebenso wie die polizeiliche Generalklausel aus § 8 Abs. 1 PolG – ausreichend flexibel sein.695 Gleichzeitig handelt es sich bei den in dieser Arbeit behandelten informationellen Maßnahmen der Polizei um solche, die besonders unter Beachtung der oben erläuterten kompensatorischen Elemente regelmäßig eine eher als geringfügig einzuschätzende Eingriffswirkung aufweisen.696 So muss sich die beobachtbare Tendenz des Bundesverfassungsgerichts, die Bestimmtheitsanforderungen im Bereich der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten – zumindest in Bezug auf schwerwiegende Informationseingriffe mit besonderen Mitteln wie z. B. die Telekommunikationsüberwachung – höher 692  SächsVerfGH,

JZ 1996, 957 (961). insgesamt die Ausführungen unter Kap. 3, B. I. 2. b) aa) (1). 694  Kugelmann, Gefahrenbegriff (Fn.  504), S.  787; Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E  Rn. 150. 695  So auch Kugelmann, Gefahrenbegriff (Fn. 504), S. 787; Waechter, Konsequenzen (Fn. 634), S. 393 f.; Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 586; ders., Bundesverfassungsgericht (Fn. 472), S. 813. 696  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, B. III. 3. b) bb) (3) (a). 693  Vgl.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

zu schrauben697, nicht auf die gesamte vorbeugende Gefahrenabwehr auswirken.698 Während das Bundesverfassungsgericht fordert, dass der Grad der Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit einer Maßnahme im Vorfeldbereich ungefähr dem einer Maßnahme zur Abwehr einer konkreten Gefahr entsprechen muss699 und demnach die Annahme der künftigen Straftatenbegehung unabhängig von der bewährten „Je-desto-Formel“ den Bestimmtheitsanforderungen nicht (mehr) standhielte700, widerspricht beispielsweise Möstl diesem Befund. Er konstatiert zu recht, dass das bei Vorfeldmaßnahmen im Vergleich zur klassischen Gefahrenabwehr vermeintlich höhere Risiko von Fehlprognosen701 nicht zwingend durch erhöhte Bestimmtheitsanforderungen, welche eine bessere Vorhersehbarkeit sicherstellen sollen, kompensiert werden könne und müsse. Da es sich bei Vorfeldmaßnahmen nun einmal nicht um in einen Kausalverlauf eingreifende, sondern eine Gefahrensituation nur erforschende Maßnahmen handele, sei zum einen die erforderliche Prognose, welche nur die Notwendigkeit der weiteren Ausforschung betreffe, zwar eine andere, nicht jedoch unbedingt eine riskantere.702 Zum anderen bleibt die Eingriffswirkung aufgrund des lediglich ausforschenden Charakters der Maßnahmen tendenziell hinter denen der klassischen Gefahrenabwehr zurück. Weiter räumt auch das Bundesverfassungsgericht im fraglichen Urteil ein, dass eine Angleichung des Bestimmtheitsgrades von Vorfeldbestimmungen an den Standard der klassischen Gefahrenabwehr schwierig zu bewerkstelligen wäre und man sich im Vorfeldbereich mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit zufrieden geben müsse, wobei allerdings die Anforderungen an die befürchtete Schadenshöhe anstiegen.703 Festzuhalten bleibt damit, dass die vom Bundesverfassungsgericht formulierten höheren Bestimmtheitsanforderungen zuvörderst für informationelle Maßnahmen gelten, denen schon aufgrund ihrer besonderen Form der Informationsgewinnung eine erhöhte Eingriffswirkung (auch in weitere Grundrechte) zukommt, wie beispielsweise die der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zugrundeliegenden Telekommunikationsüberwachung.704 697  Vgl. BVerfGE 110, 33 (53 ff.); 113, 348 (375 ff.) zur Telekommunikationsüberwachung und die diesbezügliche Besprechung von Waechter, Konsequenzen (Fn. 634), S. 393 ff. Vgl. weiter BVerfGE 115, 320 (365 f.) zur Rasterfahndung sowie 120, 274 (315 ff.) zur Online-Durchsuchung. 698  Kritisch bezüglich dieser Rechtssprechungspraxis Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 586; ders., Bundesverfassungsgericht (Fn. 472), S. 813 f. Anklingend auch bei Waechter, Konsequenzen (Fn. 634), S. 393 ff. 699  BVerfGE 113, 348 (378). 700  Waechter, Konsequenzen (Fn. 634), S. 396. 701  So BVerfGE 113, 348 (378), sowie Trurnit, Datenverarbeitung (Fn. 609), S. 463. 702  Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 586. 703  BVerfGE 113, 348 (386 f.). 704  Vgl. Waechter, Konsequenzen (Fn. 634), S. 396.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen225

In Ansehung der schwierigen Regelbarkeit der hiesigen Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung, ihrer vergleichsweise geringen Grundrechtsrelevanz sowie der möglichen Kompensation durch strikte Anwendung der „Je-destoFormel“ und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist damit von der Vereinbarkeit der Befugnisnormen mit dem Bestimmtheitsgebot auszugehen. 4. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Befugnisnormen a) Die abstrakten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung Zusätzlich zu den folgenden Ausführungen wird auf die Ausführungen zu den allgemeinen Grundsätzen der Datenerhebung, zum Grundsatz der Zweckbindung bereits erhobener personenbezogener Daten sowie zum Verhältnismäßigkeitsprinzip unter Kap. 3, B. II. 2. a) dd) verwiesen, welche auch in Bezug auf die datenerhebende und -verarbeitende Tätigkeit der Polizei im Gefahrenvorfeld Geltung entfalten. aa) Das Tatbestandsmerkmal der abstrakten Gefahr bzw. des rein lagebezogenen abstrakten Gefahrverdachts Wie sich bereits aus den vorstehenden Erläuterungen ergeben hat, reagieren die in diesem Abschnitt behandelten Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung allesamt auf eine abstrakte Gefahr oder aber – nach Möstl – auf einen lagebezogenen abstrakten Gefahrverdacht.705 Traditionell zwar als Eingriffsvoraussetzung für eine abstrakt-generelle, ordnungsbehördliche Verordnung bekannt, können Behörden zur Abwehr einer abstrakten Gefahr nunmehr auch individualbezogene Maßnahmen ergreifen. Dabei setzt der Begriff der abstrakten Gefahr in Parallele zu dem der konkreten eine auf Grundlage einer ausreichenden Tatsachenbasis verfasste Prognose des zukünftigen Geschehens voraus.706 Es wird ebenso wie nach dem konkreten Gefahrbegriff eine Sachlage oder ein Verhalten in den Blick genommen, welches bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen könnte. Allerdings werden die besagte Sachlage oder das Verhalten im Vergleich zur konkreten Gefahr aus einer anderen Perspektive betrachtet.707 Während zur Begründung einer konkreten Gefahr eine im Einzelfall bestehende Situation 705  Möstl,

Gestalt (Fn. 460), S. 587 f. Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 156. 707  Park, Wandel (Fn. 484), S. 189 f. 706  Rachor,

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

wahrscheinlich zur befürchteten Schutzgutverletzung führen muss, zeichnen Befugnisnormen, die zwar im Ergebnis individuell-konkrete polizeiliche Maßnahmen ermöglichen, aber „lediglich“ eine abstrakte Gefahr voraussetzen, das Bild einer abstrakt gefährlichen Situation, die „es nach allgemeiner Lebenserfahrung und Erkenntnis fachkundiger Stellen als möglich erscheinen lässt, sich zu einer (künftigen) konkreten Gefahrensituation zu entwickeln.“708 Dabei verbleibt der Gefahrprognose ihr dynamischer Charakter, sodass auch hier der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad je nach Schwere der drohenden Schutzgutsverletzung variiert.709 Verändert ist neben der Perspektive der Gefahrbeurteilung aufgrund des mangelnden Einzelfallbezugs jedoch die erforderliche zeitliche Nähe der erwarteten Schutzgutsverletzung, welche durch die Gesetze nicht näher spezifiziert wird und tendenziell weiter in die Zukunft rücken kann.710 Darüber hinaus wird mit der Vorverlagerung der Gefahrprognose deren erforderliche Tatsachengrundlage schwächer, mit der Folge, dass bereits bloße Anhaltspunkte einer Bedrohung ausreichen.711 Zusammenfassend ist damit zur Begründung einer abstrakten Gefahr eine auf stichhaltigen Anhaltspunkten formulierte Prognose erforderlich, nach der sich eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens nach bewährten Erfahrungssätzen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer konkreten Gefahr entwickeln wird. Eine auf dieser Grundlage zu ergreifende Maßnahme der Gefahrenvorbeugung dient der Gefahraufklärung und damit mittelbar der Prognose des Bestehens einer konkreten Gefahr. Im Bereich der informationellen Maßnahmen zur Gefahrenvorbeugung, welche auf die Verhütung von Straftaten gerichtet sind, muss sich diese Gefahrprognose auf eine drohende Straftatenbegehung beziehen. Das Schutzgut der Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung ist damit auf den strafrechtlichen Ausschnitt der öffentlichen Sicherheit beschränkt.712 Ebenso wie der konkrete Gefahrverdacht in Bezug auf eine konkrete Gefahr zeichnet sich der abstrakte Gefahrverdacht gegenüber der abstrakten Gefahr in der Theorie durch Zweifel des Prognoseerstellers bezüglich des tatsächlichen Bestehens einer Gefahr aus. Das Vorliegen einer solchen kann jedoch wiederum nicht in Gänze ausgeschlossen werden, weshalb ein Tätigwerden – zumindest zur Gefahrerforschung – notwendig erscheint. Eine 708  Park,

Wandel (Fn. 484), S. 189. 45, 51 (61); 47, 31 (40); 88, 348 (351); Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E  Rn. 162. 710  Rachor, Polizeihandeln (Fn. 44), E Rn. 162. 711  Park, Wandel (Fn. 484), S. 268. 712  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14 Rn. 29. 709  BVerwGE



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen227

Gefahrprognose im Bereich des Gefahrenvorfeldes ist jedoch insgesamt in einem solchen Ausmaß von Unsicherheiten geprägt, dass die gedankliche Grenze zwischen Gefahr und Gefahrverdacht weitgehend verschwimmt. Da zudem nicht nur der abstrakte Gefahrverdacht, sondern auch das Bestehen einer abstrakten Gefahr im Tätigkeitsfeld der vorbeugenden Gefahrenabwehr allein Maßnahmen der Gefahraufklärung rechtfertigen kann, kann eine Unterscheidung beider Begriffe mangels unterschiedlicher Rechtsfolgen unterbleiben. bb) Bestimmung des Adressatenkreises Ebenfalls bereits unter Kap. 3, B. III. 3. b) bb) (2) angesprochen wurde die weite Streubreite der Maßnahmen der Gefahrenvorbeugung. Insbesondere die hiesigen Maßnahmen, welche auf eine rein lagebezogene abstrakte Gefahr reagieren, weisen einen potenziell unbeschränkten Kreis von Pflichtigen auf. Um ein Ausufern zu verhindern, wurde versucht, eine Beschränkung des hypothetischen Adressatenkreises auf der Vollzugsebene zu erreichen. Das Bundesverfassungsgericht forderte diesbezüglich prinzipiell eine Nähebeziehung des Betroffenen zur drohenden Gefahr713. Im Bereich der anlassunabhängigen Aufklärungsbefugnisse, die gerade keinen bereits auf eine konkrete Person bezogenen abstrakten Gefahrverdacht erfordern, erscheint dieses Merkmal allerdings kaum handhabbar. Indes folgt bereits aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit, dass Datenerhebungsmaßnahmen nur gegenüber solchen Personen anzuwenden sind, bei denen bzw. über die sachdienliche Informationen zur Gefahrbeseitigung zu erwarten sind.714 Damit tritt neben die Prognose der abstrakten Gefahr eine weitere Prognose, die sich auf die Person des Betroffenen bezieht. Anders als bei der Frage der Störereigenschaft nach §§ 4 f. PolG und der Prognose einer personenbezogenen abstrakten Gefahr ist hier jedoch nicht erforderlich, dass gerade dem Betroffenen eine erhöhte Gefahrneigung prognostiziert wird, sondern lediglich, dass seine Inanspruchnahme das Erlangen sachdienlicher Informationen zur Gefahraufklärung und gegebenenfalls -abwehr erwarten lässt. Denn schließlich sollen die lagebezogenen, d. h. anlassunabhängigen Gefahraufklärungsmaßnahmen gerade dazu dienen, durch weiter 713  Vgl. BVerfGE 115, 320 (362 f.) zur Rasterfahndung sowie C. Gusy, Telekommunikationsüberwachung nach Polizeirecht?, in: NdsVBl. 2006, S. 65 (70). Kritisch Möstl, Gestalt (Fn. 460), S. 588. 714  H.  Bäumler, Neues schleswig-holsteinisches Polizeirecht, in: NVwZ 1992, S. 638 (639); Möstl, Gestalt (Fn.  460), S.  586; Becker / Ambrock, Datenschutz (Fn. 171), S. 563.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

gestreute Kontrollen potenzielle individuell Verdächtige aus einem größeren Personenkreis herauszufiltern.715 Festzuhalten bleibt damit, dass eine Begrenzung des Kreises potenziell Betroffener über die Prognose der Sachdienlichkeit aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip selbst abgeleitet werden kann und muss. b) Erfüllung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen in typischen Fällen aa) Maßnahmen auf Grundlage der Datenerhebungsgeneralklausel Die Erhebung personenbezogener Daten ist auf Grundlage der Datenerhebungsgeneralklausel, die sich aus einer Zusammenschau von § 9 Abs. 3 S. 2 mit § 9 Abs. 1 S. 1 PolG ergibt, zulässig, wenn sie für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich ist. In formeller Hinsicht ergibt sich, zusätzlich zu dem unter Kap. 3, B. III. 3. b) bb) (3) (a) Gesagten, die behördliche Pflicht, die zu befragende Person – ob nun Betroffener oder Dritter – grundsätzlich über die Rechtsgrundlage der Maßnahme sowie eine bestehende Auskunftspflicht bzw. die bei Maßnahmen nach der Generalklausel bestehende Freiwilligkeit der Auskunft aufzuklären (vgl. § 9 Abs. 4 PolG). Zu bemerken ist allerdings, dass aus einem Verstoß gegen diese Aufklärungspflichten zwar die Rechtswidrigkeit der Maßnahme, hingegen kein Verwertungsverbot bezüglich der erhobenen Daten folgt.716 Materiell muss auf der Tatbestandsebene von der Notwendigkeit der Datenerhebung für die Aufgabenwahrnehmung ausgegangen werden dürfen. Im Bereich der vorbeugenden Gefahrenabwehr, welche auf die Verhütung von Straftaten gerichtet ist, muss damit zumindest eine abstrakte Gefahr der Begehung einer Straftat drohen, die mittels der Maßnahme erforscht werden soll.717 Die Beamten müssen somit im Bereich fußballbezogener Gewalt auf Grundlage belastbarer Anhaltspunkte in vertretbarer Weise die Prognose formulieren können, dass im Zusammenhang mit einer Sportveranstaltung die Begehung von Straftaten droht und sich die bestehende Situation zu einer konkreten Gefahr verdichten könnte. Die Prognose solch einer abstrakten Gefahr kann sich sowohl auf eine zukünftige, noch nicht konkret 715  Möstl,

Gestalt (Fn. 460), S. 588. POR (Fn. 47), Rn. 215 ff.; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14),

716  Schenke,

§ 13 Rn. 11 f. 717  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 13 Rn. 13 f.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen229

bestimmbare Fußballveranstaltung als auch auf eine gerade stattfindende beziehen. Weiter muss nicht der konkrete Kausalverlauf von der Prognose umfasst sein, sodass Erkenntnisse bezüglich der genau zu erwartenden Straftat sowie zum potenziellen Täter nicht erforderlich sind. Es reicht die schemenhafte Vorhersage des zu erwartenden Geschehensablaufs, an dessen Ende die mögliche Begehung einer zumindest „szenetypischen“ Straftat steht, wobei der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadensantritts je nach Schwere der befürchteten Straftat variiert.718 Damit ist es den szenekundigen Beamten besonders im weiteren Vorfeld einer Veranstaltung möglich, Datenerhebungsmaßnahmen zur genaueren „Auskundschaftung“ der Fanszene zu ergreifen, sofern z. B. die Teilnahme einiger Mitglieder an gewalttätigen Fanausschreitungen in der Vergangenheit darauf schließen lässt, dass mit einer solchen auch in der Zukunft gerechnet werden muss. Da die Datenerhebung gerade dazu dient, potenzielle Störer aus einem großen Kreis von Pflichtigen herauszufiltern, können Daten – vorbehaltlich der Verhältnismäßigkeit – auch über die (szeneangehörigen) Personen erhoben werden, deren Verhalten bisher keinen konkreten Anlass zu einer solchen Maßnahme gegeben hat. Wie jedes staatliche Eingriffshandeln, muss auch die Datenerhebung dem Verhältnismäßigkeitsgebot standhalten. Besondere Bedeutung erfährt in dieser Hinsicht der Grundsatz der Erforderlichkeit, nach dem der ansonsten ausufernde Kreis der Pflichtigen auf Personen zu beschränken ist, über die sachdienliche Angaben zur Gefahraufklärung und gegebenenfalls -abwehr zu erwarten sind.719 Des Weiteren kann aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip die Erkenntnis gewonnen werden, dass Datenerhebungsmaßnahmen zur Verhütung von Straftaten nicht ergriffen werden können, wenn die befürchteten Straftaten lediglich Bagatellcharakter haben.720 Eine weitere Abwägung kann allein bei Kenntnis der Umstände des Einzelfalls erfolgen, wobei die – in Ermangelung einer Auskunftspflicht721 – regelmäßig wenig intensive Eingriffswirkung der Maßnahme meist zum Ergebnis der Verhältnismäßigkeit führen wird. Hinzuweisen bleibt ferner auf die Geltung der allgemeinen Grundsätze zur Datenerhebung, insbesondere auf den direkt in § 9 Abs. 3 PolG normierten Unmittelbarkeitsgrundsatz, der die vorrangige Befragung des Betroffenen anordnet.

718  Vgl.

Kap. 3, B. III. 4. a) aa). Kap. 3, B. III. 4. a) bb). 720  Eine strikte Begrenzung auf „besonders schwerwiegende“ Straftaten oder solche „von erheblicher Bedeutung“ ist jedoch nicht zu fordern. Anders zu verstehen Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 13 Rn. 13. 721  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 13 Rn. 9a. 719  Vgl.

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

bb) Die Befragung Die Befragung einer Person ist gem. § 9 Abs. 1 S. 1 PolG zulässig, sofern „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie sachdienliche Angaben machen kann, die für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich sind.“ Zur Durchsetzung der Maßnahme darf der Befragte angehalten werden (Satz 2). Hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der Befragung gilt das zur Datenerhebung nach der Generalklausel Gesagte. Als Bestandteil der soeben behandelten Generalklausel weist die Befugnis zur Befragung zudem dieselben Tatbestandsvoraussetzungen wie diese auf. Somit müssen die Beamten wiederum aufgrund belastbarer Tatsachen zu dem nachvollziehbaren Schluss kommen, dass im Zusammenhang mit einer noch nicht notwendigerweise konkretisierten Fußballveranstaltung die abstrakte Gefahr der Straftatenbegehung droht. Nicht erforderlich ist, dass diese unmittelbar durch ein Verhalten des Betroffenen verursacht wurde. Tendenziell werden die Beamten jedoch – in Ansehung des Unmittelbarkeits- sowie des Erforderlichkeitsgrundsatzes – solche Personen befragen, die in ihren Augen als potenzielle Straftäter anzusehen sind, um z. B. im Vorhinein eines eventuellen Erlasses einer Meldeauflage oder eines Aufenthaltsverbotes die Absichten des Betroffenen hinsichtlich eines Spielbesuches zu erfragen. Eine solche Befragung müsste sich ferner als verhältnismäßig darstellen. Wiederum kann weitestgehend auf die Ausführungen zur Datenerhebungsgeneralklausel verwiesen werden. Zu bemerken ist jedoch, dass im Gegensatz zu einer Maßnahme auf Grundlage der Generalklausel zur Datenerhebung mit einer auf die Standardmaßnahme des § 9 Abs. 1 S. 1 PolG gestützten Befragung einerseits zumindest eine beschränkte Auskunftspflicht sowie andererseits ein Anhalterecht korrespondieren (vgl. § 9 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 1 PolG). Dessen ungeachtet wird die Eingriffsintensität einer Befragung regelmäßig weiterhin als wenig intensiv und – sofern die Eingriffsvoraussetzungen erfüllt sind – als rechtmäßig einzuordnen sein. cc) Die kurzfristige Observation Gemäß § 16a Abs. 4 S. 2 PolG kann die Polizei personenbezogene Daten mittels einer kurzfristigen Observation erheben, wenn dies zur Gefahrenabwehr erforderlich ist. Dem letzten Halbsatz, nachdem die Erfüllung der polizeilichen Aufgabe ohne die Maßnahme gefährdet werden muss, kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Ebenso wenig von Belang ist zumindest im Bereich der Gefahrenvorbeugung die Bezugnahme auf die in den §§ 4 und 5 PolG genannten Personen, da der Adressatenkreis sodann auf andere Personen erweitert wird.



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen231

Somit macht § 16a Abs. 4 S. 2 PolG eine solche Observation von denselben Eingriffsvoraussetzungen abhängig wie eine Befragung oder eine Datenerhebung auf Grundlage der Generalklausel. Den Beamten der Polizei müssen folglich stichhaltige Anhaltspunkte vorliegen, die die vertretbare Prognose erlauben, dass im Rahmen einer künftigen oder gerade stattfindenden Fußballveranstaltung die Begehung von Straftaten zu befürchten ist. Dürfen die Beamten vom Bestehen einer solchen abstrakten Gefahr ausgehen, ergeben sich in Parallele zur Datenerhebung auf Grundlage der Generalklausel sowie zur Befragung regelmäßig keine Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, welche der Polizei keine über die Generalklausel hinausgehenden Befugnisse einräumt.722 Besondere Bedeutung erfährt allein der Grundsatz der Offenheit der Datenerhebung gem. § 9 Abs. 4 PolG. dd) Die Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG Neben der bereits unter Kap. 3, B. II. 2. b) bb) (1) erörterten Möglichkeit der Identitätsfeststellung zur Abwehr einer konkreten Gefahr nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG ermöglicht Nr. 2a eine solche an einem Ort, „von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben“. Im Bereich der Eindämmung fußballbezogener Gewalt kommen solche Identitätsfeststellungen entweder im weiteren Vorfeld einer noch unbestimmten Veranstaltung oder auch am Spieltag selbst jeweils z. B. in der Nähe von „Stammkneipen“, Gruppenräumen oder anderen Sammelpunkten von aus der Vergangenheit bekannten gewaltbereiten bzw. -suchenden Fans in Betracht.723 Diese Orte müssten als „gefährliche Orte“ qualifiziert werden können, an denen vermutetermaßen Straftaten von erheblicher Bedeutung geplant oder begangen werden. Der Begriff der Straftaten von erheblicher Bedeutung wird durch § 8 Abs. 3 PolG legal definiert. Die dortige Aufzählung ist allerdings nicht abschließend, wie der Wortlaut durch die Verwendung des Begriffs „insbesondere“ zeigt. Das Bundesverfassungsgericht versteht unter Straftaten von erheblicher Bedeutung solche, die „mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein [müssen], das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen“724. Sofern damit das vergangene VerhalPieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14 Rn. 102. Nolte, Aufgaben (Fn. 11), S. 151. 724  BVerfGE 103, 21 (34). 722  Vgl. 723  Vgl.

232

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

ten auffällig gewordener Fans den vertretbaren Schluss zulässt, dass an den oben benannten Orten beispielweise gewalttätige Auseinandersetzungen mit oder Übergriffe auf gegnerische(n) Fans725 und damit zumindest teils erhebliche Straftaten nach den §§ 223 ff., 231 StGB geplant oder vorbereitet werden, ist von einem Ort i. S. d. § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG auszugehen. Die Identitätsfeststellung kann eine Person betreffen, die sich am fraglichen Ort „aufhält“. Gelegentlich wird aus dem Wortlaut geschlossen, dass ein kurzfristiges Passieren des Ortes nicht ausreiche, sondern ein Aufhalten nur dann vorliege, wenn die betroffene Person an diesem zumindest kurz verweilt.726 Um eine Begrenzung des Kreises der Pflichtigen herbeizuführen, erscheint es – in Orientierung am Erforderlichkeitsgrundsatz – jedoch überzeugender, ein Ergreifen der Maßnahme gegenüber solchen Personen auszuschließen, von denen eine Gefahr augenscheinlich nicht ausgeht727 und die Kenntnis ihrer Identität damit nicht als sachdienliche Information einzuschätzen ist. Somit erfordert eine Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG eine Prognose bezüglich des Vorliegens einer abstrakten Gefahr an einem bestimmten Ort sowie eine Einschätzung, ob die zu identifizierende Person eine Nähebeziehung zu jener aufweist, wobei letzteres auf eine Negativkontrolle hinausläuft, nach der nur offensichtlich ungefährliche Personen ausgeschlossen werden. Kommen die Einsatzkräfte auf Grundlage hinreichender Tatsachen zu einer solchen, nachvollziehbaren Prognose, ist eine erfolgende Identitätsfeststellung weiter am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. In Parallele zum hinsichtlich der Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG Gesagten728 ergeben sich diesbezüglich – vorbehaltlich besonderer Umstände im Einzelfall – dem Grunde nach keine Bedenken. Wenn auch die Eingriffswirkung einer Identitätsfeststellung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG gegenüber einer solchen, die auf eine konkrete Gefahr reagiert, aufgrund ihrer „Anlassunabhängigkeit“ höher einzuschätzen ist, stellt die Maßnahme dennoch einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung von grundsätzlich geringer Intensität dar. Des Weiteren ist sie für die bezweckte Verhütung 725  Gedacht sei hier z. B. an den erschreckenden Überfall auf einen Gladbacher Fanbus durch gewalttätige Fans des 1. FC Köln auf der A3 am 4.3.2012, vgl. den Bericht unter http://www.dw.de/fu%C3%9Fball-funktion%C3%A4re-schlagen-alarm/ a-15792778, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 726  OVG Hamburg, NVwZ-RR 2003, 276  f.; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 14  Rn. 45. 727  Vgl. Schenke, POR (Fn. 47), Rn. 228, sowie die Ausführungen unter Kap. 3, B. III. 4. a) bb). 728  Vgl. Kap. 3, B. II. 2. b) bb) (1).



B. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen233

der Begehung von Straftaten essentiell, da durch die Erlangung der Kenntnis der Identität eines potenziellen Straftäters der tatsächlichen Gefahrenabwehr dienende Folgemaßnahmen, wie etwa eine Personendurchsuchung, ermöglicht werden. Neben der die Durchsetzung der Identitätsfeststellung betreffende Stufung des Gesetzgebers nach § 12 Abs. 2 PolG sind allerdings die allgemeinen Grundsätze der Datenerhebung zu beachten.729 ee) Die Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten, insbesondere im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“ Die polizeiliche Generalklausel zur Datenverarbeitung gem. § 24 Abs. 1 PolG erlaubt die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten, soweit eine solche zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist und die Daten rechtmäßig erlangt wurden. § 27 Abs. 1 S. 1 PolG besagt Entsprechendes bezüglich der Übermittlung personenbezogener Daten zwischen Polizeibehörden. Die Datenverarbeitungsbefugnisse sind über die Zweckbindung der erhobenen Daten an die Befugnisse der Datenerhebung gekoppelt.730 Folglich kann eine Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten, die zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt, d. h. zur Verhütung von Straftaten, mittels der obigen Maßnahmen in rechtmäßiger Weise erhoben wurden, grundsätzlich auch weiterhin nur zur Verhütung von Straftaten erfolgen. Erforderlich für eine solche Datenspeicherung oder -übermittlung ist somit eine fortbestehende abstrakte Gefahr der Straftatenbegehung im Zusammenhang mit Sportgroßveranstaltungen731, deren Vorliegen in der oben erläuterten Weise festzustellen ist. Die Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten erfolgt im Zusammenhang mit fußballbezogener Gewalt meist im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“. Wird nach dem oben Gesagten von der formellen und – mit Einschränkungen – auch von der materiellen Rechtmäßigkeit der Errichtung der Datei ausgegangen, kann eine solche Datenverarbeitung auf Grundlage der § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, 2, 4, 5, 6, § 9 BKAG i. V. m. der BKA-Daten-Verordnung i. V. m. §§ 24 Abs. 1, 27 Abs. 1 S. 1 PolG vorgenommen werden.732 Speicherungsfähig sind Daten von Personen, die im Zusammenhang mit einer in der Errichtungsanordnung aufgeführten Straftat 729  Vgl.

Kap. 3, B. II. 2. a) dd) (1). Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 15 Rn. 12. 731  Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 15 Rn. 19. 732  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 233, 237 ff. 730  Vgl.

234

Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

i. S. v. § 8 Abs. 1, 2 BKAG beschuldigt oder verurteilt wurden733, sowie von Personen, gegen die zur Verhinderung der Begehung entsprechender Straftaten polizeiliche Maßnahmen ergriffen wurden und bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, sie werden anlassbezogene Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen (vgl. § 8 Abs. 5 BKAG).734 Ausnahmsweise müssen die zur Speicherung führenden Umstände damit den Schluss auf das Vorliegen einer personenbezogenen abstrakten Gefahr zulassen. Darüber hinaus müssen die zu verarbeitenden Daten wiederum rechtmäßig erlangt worden sein.735 Weiter ist hinsichtlich der häufig in der Datei gespeicherten Daten, welche im Rahmen eines strafrechtlichen Verfahrens erhoben wurden, insbesondere auf die diesbezüglich bestehende Möglichkeit der Zweckänderung gem. § 24 Abs. 2 S. 1 PolG hinzuweisen.736 Auf der Rechtsfolgenebene muss sich auch die Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten, welche jeweils als erneuter Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung zu werten ist, als verhältnismäßig erweisen. Positiv zu berücksichtigen ist diesbezüglich die grundsätzlich bestehende Bindung an den Zweck der Datenerhebung, welcher auf die Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen sowie der Begehung sonstiger szenetypischer Straftaten begrenzt ist.737 Gleichzeitig sind jedoch die weitreichenden Folgen einer Erfassung in der Datei für den Betroffenen zu beachten, auf deren Grundlage häufig präventive Folgemaßnahmen erlassen werden, welche damit die Eingriffsintensität der Datenverarbeitungsmaßnahme verstärken.738 Somit ist im konkreten Einzelfall gesondert zu prüfen, ob die potenziell zur Speicherung führenden Anlässe gewichtig genug sind, um eine fortbestehende Gefährlichkeit der Person zu begründen und die Erfassung in der Datei zu rechtfertigen. Kann dies bejaht werden, ist eine Datenverarbeitung im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“, vorbehaltlich der Notwendigkeit der Reglementierung einer Benachrichtigungspflicht, regelmäßig als verhältnismäßig anzusehen.

733  Steinat, Speicherung (Fn. 10), S. 137  ff. Steinat weist zudem richtigerweise darauf hin, dass auch für den Fall der Speicherung der Daten einer beschuldigten oder verurteilten Person eine Prognose zur andauernden Gefährlichkeit der Person ergehen muss, vgl. S. 148 f. 734  Ausführlich Steinat, Speicherung (Fn. 10), S. 143 ff. 735  Krahm, Maßnahmen (Fn. 12), S. 238. 736  Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 14), § 15 Rn. 24 ff. 737  Steinat, Speicherung (Fn. 10), S. 160. 738  Vgl., allerdings in Bezug auf Kontrollstellen, Gusy, Gefahraufklärung (Fn. 8), S. 645.



C. Zusammenfassung235

ff) Der Datenabgleich, insbesondere mit der Datei „Gewalttäter Sport“ Als Form der Datennutzung kann die Polizei einen Datenabgleich im Bereich der Gefahrenvorbeugung gem. § 25 Abs. 1 S. 2 PolG vornehmen, „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies zur Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich ist“. Meist erfolgt ein solcher im Anschluss an eine Identitätsfeststellung mit der Datei „Gewalttäter Sport“. Auf der Tatbestandsebene gelten damit für den Datenabgleich dieselben Voraussetzungen wie für Maßnahmen auf Grundlage der Datenerhebungsgeneralklausel sowie für Befragungen und kurzfristige Observationen. Erforderlich ist somit wiederum die rein lageabhängige abstrakte Gefahr der Straftatenbegehung im Zusammenhang mit einer gerade stattfindenden oder zukünftigen Sportveranstaltung, deren Prognose sich nach dem oben Gesagten richtet. Auf der Rechtsfolgenebene muss sich die Maßnahme des Datenabgleichs wiederum als verhältnismäßig erweisen. Hinzuweisen ist dabei besonders auf die Geltung des Grundsatzes der Zweckbindung der abzugleichenden personenbezogenen Daten.

C. Zusammenfassung Festhalten lässt sich für dieses Kapitel, dass die datenerhebenden und -verarbeitenden Maßnahmen zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt, durch welche die Polizei die für ihr weiteres Handeln so wichtige Informationsbasis schafft, zum Großteil nicht zu beanstanden sind. Trotz des freiheitsbedrohenden Charakters insbesondere derjenigen informationellen Befugnisse, die dogmatisch der Gefahrenvorbeugung zuzuordnen sind, konnte zunächst die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Befugnisnormen festgestellt werden. Weiter kann auch in der Praxis regelmäßig von der Rechtmäßigkeit ihrer Anwendung ausgegangen werden, sofern die obigen Vorgaben Berücksichtigung finden. Hinsichtlich der informationellen Tätigkeit der Polizei besteht aus grundrechtlicher und rechtsstaatlicher Sicht in Bezug auf die Datenspeicherung im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“ Nachholbedarf, als die Normierung einer behördlichen Benachrichtigungspflicht angezeigt ist. Demgegenüber verfügt die zurzeit allein in der Theorie bestehende biometrische Gesichtserkennung über keine ausreichende Rechtsgrundlage. Im Bereich der aktionellen Maßnahmen zur Bekämpfung ritualisierter Gewalt im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen zeigten sich im Hin-

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Kap. 3: Polizeiliche Maßnahmen gegenüber Zuschauern

blick auf das Vorhandensein einer tauglichen Rechtsgrundlage aus gesetzessystematischer und / oder verfassungsrechtlicher Sicht Mängel bezüglich der Meldeauflage, des Aufenthaltsverbotes in Bayern sowie des Verbringungsgewahrsams. Während für die ersten beiden die Schaffung einer entsprechenden Standardbefugnis unproblematisch möglich erscheint, ist von der Maßnahme des Verbringungsgewahrsams mangels Rechtmäßigkeit als auch praktischer Notwendigkeit hingegen Abstand zu nehmen. In rechtspraktischer Hinsicht erwies sich zudem für die Gefährderansprache die Schaffung einer im Vergleich zur Generalklausel voraussetzungsärmeren speziellen Befugnisnorm als sinnvoll. Unter Zugrundelegung der nach den Erkenntnissen dieses Kapitels noch zu erlassenden Rechtsgrundlagen stellten sich die aktionellen Maßnahmen der Polizei im Bereich fußballbezogener Gewalt sodann, vorbehaltlich der oben aufgeführten zu berücksichtigenden Aspekte, weitestgehend als rechtmäßig dar. Als generell unzulässig erwies sich allein die polizeiliche Praxis, besonders an weiblichen, unverdächtigen Fans mit einem vollständigen Entkleiden verbundene Personendurchsuchungen durchzuführen.

Kapitel 4

Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten Im folgenden Kapitel sollen die gefahrenabwehrrechtlichen Möglichkeiten der Bekämpfung fußballbezogener Gewalt durch ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber den Veranstaltern eines Spieles, beispielsweise gegenüber dem gastgebenden Verein oder, falls nicht identisch, gegenüber dem Stadionbetreiber, sowie gegenüber anderen Dritten untersucht werden. Die einzelnen Maßnahmen werden ebenso wie die gegenüber Zuschauern zur Anwendung kommenden Mittel zunächst vorgestellt, ihre Grundrechtsbezüge erörtert und ihre Rechtsgrundlage ermittelt (A.). Sodann wird wiederum anhand ausgewählter gefahrenabwehrrechtlicher Fragestellungen die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen in der Praxis überprüft (B.). Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst (C.). Eingegangen wird dabei allein auf solche Maßnahmen, die auf die prognostizierte Gefährlichkeit einer konkreten Spielaustragung aufgrund befürchteter Fanausschreitungen reagieren. Ausgeklammert sind folglich etwa bau- oder gewerberechtliche Auflagen, die durch den Großveranstaltungscharakter der Austragung an sich begründet werden und keinen unmittelbaren Bezug zu der dem Fußball eigenen (Gewalt-)Kultur aufweisen. Des Weiteren wird diejenige Inanspruchnahme der Veranstalter, die für die Durchführung der bereits behandelten Maßnahmen gegenüber Zuschauern unerlässlich ist und damit auch als in den Bereich der Kooperation von Veranstaltern und Gefahrenabwehrbehörden fallend angesehen werden kann, nicht näher ausgeführt. Voranzustellen bleibt ferner, dass die beschriebene Art der Inanspruchnahme der Veranstalter und anderer Dritter eine vergleichsweise kurze Geschichte aufweist und sich bisher als weitaus weniger verzweigt darstellt als die beobachtete vielgestaltige Vorgehensweise gegenüber Zuschauern. Die hiesige Darstellung bezieht sich damit nur zum Teil auf Maßnahmen, die in Deutschland bereits in der Praxis Anwendung gefunden haben. Teilweise werden Maßnahmen beleuchtet, die bislang allein in der Theorie erwogen oder in anderen Ländern erprobt worden sind.

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

A. Darstellung der Maßnahmenim Hinblick auf ihre praktische Anwendung, Grundrechtsbezüge und Rechtsgrundlagen I. „Fan-Aussperrungen“ In der jüngeren Vergangenheit sind als Form der Inanspruchnahme von Vereinen zur Bekämpfung fußballbezogener Gewalt verschiedene Varianten von „Fan-Aussperrungen“1 bekannt geworden. Laut DFL-Statuten ist der Heimverein einer Spielbegegnung verpflichtet, dem Gastverein auf Wunsch 10% des gesamten Eintrittskartenvolumens zur Verfügung zu stellen.2 Entgegen dieser sportrechtlichen Regelung haben die Ordnungsbehörden die Abgabe von Karten an den Gastverein bei Risikospielen bereits in einigen Fällen zahlenmäßig limitiert oder – als Steigerungsform – ein gänzliches Abgabeverbot von Eintrittskarten an Gästefans ausgesprochen und diese somit „ausgesperrt“.3 Die Maßnahme soll ein Aufeinandertreffen rivalisierender Fangruppen vermeiden, einerseits im Stadion, wo gegnerische Fans trotz Blocktrennung immer wieder aneinander geraten4, andererseits im Stadionumfeld oder am Austragungsort insgesamt, indem für die Anhänger der Gastmannschaft bereits die Anreise zu diesem ihren Reiz verlieren soll. In der Vergangenheit konnte zwar beobachtet werden, dass auch die Gewissheit, die Begegnung nicht im Stadion verfolgen zu können, bei einigen gewaltsuchenden Fans nicht zu einem Absehen von der Anreise zum Spielort führte5, die Aussprache eines Kartenabgabeverbotes bzw. einer Limitierung verspricht jedoch zumindest in der Regel eine Reduzierung rivalisierender Fans am Austragungsort.6 1  Vgl. A. Behnsen, Fan-Aussperrungen nach dem Polizei- und Ordnungsrecht, in: NordÖR 2013, S. 1 (1 ff.). 2  Abschnitt III § 3 Nr. 4 der Spielordnung des Liga-Fußballverbands e. V., abrufbar unter: http://www.bundesliga.de/media/native/dokument/spielordnung_spol_ 2012-12-13_stand.pdf, zuletzt abgerufen am 8.10.2014. 3  Vgl. OVG Hamburg, NJW 2012, 1975; VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156; Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 1; T. Barczak, Polizeiliche Vorfeldmaßnahmen gegen Fußballhooligans und gewaltbereite Ultragruppierungen, in: Jura 2014, S. 888 (900 f.). 4  So etwa bei den Ausschreitungen beim Südwestderby des 1. FC Kaiserslautern gegen den Karlsruher SC am 4.10.2014, dazu http://www.spiegel.de/sport/ fussball/ausschreitungen-nach-dem-spiel-kaiserslautern-gegen-karlsruhe-a-995435. html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 5  Vgl. die Darstellung bei Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 6. 6  So auch das VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156. Kritisch T. Feltes, Sicherheit bei Großveranstaltungen durch Überwa-



A. Darstellung der Maßnahmen239

Bisher nicht Bestandteil der behördlichen Praxis ist die Anordnung von sog. Geisterspielen. Solche Spielbegegnungen, die gänzlich ohne Zuschauer im Stadion ausgetragen werden, sind zwar bekannt, bis heute handelt es sich dabei jedoch um durch gewalttätiges Fanverhalten bedingte Verbandssanktionen.7 Dennoch erscheint auch die Vornahme einer solchen Anordnung durch die Ordnungsbehörden zumindest denkbar. Sofern als Kapitalgesellschaften bzw. als eingetragene Vereine i.  S. d. §§ 21 ff. BGB mit satzungsmäßigem Zweck der Gewinnerzielung organisiert, sind die Vereine Träger der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.8 Diese schützt u. a. die Freiheit der Berufsausübung i. S. d. „Wie“, sodass die Limitierung der Kartenabgabe an Gästefans bzw. deren gänzliches Verbot sowie die bisher rein hypothetische Maßnahme der Anordnung eines Geisterspiels als Eingriffe in die Berufsfreiheit der Vereine zu werten sind.9 Genießen die Betroffenen den Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG aufgrund mangelnder Gewinnerzielungsabsicht nicht, stellen die Vertragsabschlussverbote dennoch Eingriffe in die durch Art. 2 Abs. 1 GG als lex generalis gewährleistete wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und die in diesem Rahmen weiter geschützte Vertragsfreiheit dar.10 Neben der Berufsfreiheit bzw. der Vertragsfreiheit kann durch Fan-Aussperrungen ferner die Eigentumsfreiheit des Stadioneigentümers in Gestalt des Vereins betroffen sein, welche auch die Nutzung des Stadions als Großveranstaltungsstätte und damit die Austragung eines Spiels im Beisein von Fans schützt.11 Dies ist zumindest bei der Anordnung eines Gei­ s­ terspiels anzunehmen. Steht das Stadion hingegen im Eigentum der Kommune oder eines Dritten, ist das Grundrecht der Eigentumsfreiheit in ersterem Falle mangels Grundrechtsberechtigung12, in letzterem mangels wirtchung der TeilnehmerInnen? Zur aktuellen Diskussion um den Umgang mit Gewalt in und um Fußballstadien, in: Neue Kriminalistik 2013, S. 48 (54 f.). 7  Dazu näher W.-D. Walker, Verschuldensunabhängige Verbandssanktionen gegen Sportvereine für Zuschauerausschreitungen, in: NJW 2014, S. 119 (119 ff.). 8  F.  Deusch, Polizeiliche Gefahrenabwehr bei Sportgroßveranstaltungen. Darstellung anhand des Fußballsports, 2005, S. 70 ff.; J. Kämmerer, in: I. v. Münch /  P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 12 Rn. 12. Die zweite Variante, die Organisationsform des wirtschaftlichen Vereins gem. § 22 BGB, findet sich unter den Bundesligisten nach Deusch aus steuerlichen und rechtspraktischen Gründen jedoch grundsätzlich nicht. 9  Zu Berufsausübungsregelungen J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 12 Rn. 69 f. 10  BVerfGE 95, 267 (303); H. Dreier, in: ders., GGK I (Fn. 9), Art. 2 I Rn. 35. 11  Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 75 f. Allgemein zum Schutz des Eigentumnutzungsrechts BVerfGE 30, 292 (334 f.); 83, 201 (208). 12  BVerfGE 61, 82 (100 ff.); B.-O. Bryde, in: v. Münch / Kunig, GGK I (Fn. 8), Art. 14 Rn. 9.

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

schaftlicher Beeinträchtigung durch eine entsprechende Verfügung nicht betroffen.13 Ihre Rechtsgrundlage sollen die Maßnahmen in der ordnungsbehördlichen Generalklausel finden.14

II. Der personalisierte Kartenverkauf Eine weitere, in Deutschland noch vergleichsweise wenig verbreitete, z. B. in Italien hingegen längst etablierte Maßnahme stellt die ordnungsbehördliche Verfügung gegenüber Vereinen dar, Eintrittskarten nur noch personalisiert – ausgestellt auf den Namen sowie gegebenenfalls die Personalausweisnummer des Inhabers – zu verkaufen und an den Stadioneingängen Ausweiskontrollen durchzuführen.15 Die Personalisierung von Eintrittskarten ist zum einen dazu geeignet, bekanntermaßen gewaltbereite Fans herauszufiltern sowie eine Deanonymisierung bisher unbekannter gewaltgeneigter Zuschauer herbeizuführen und somit abzuschrecken. Darüber hinaus könnten mit ihrer Hilfe sowie mittels Videoüberwachung und Informationen zur Sitzplatzvergabe, wie in Italien, Personen, die im Stadion Gewalt ausüben, leichter identifiziert, strafrechtlich verfolgt sowie mit einem Stadionverbot belegt werden.16 Diesen Prä13  Einem mit dem Verein nicht identischen privatrechtlichen Stadioneigentümer stünde ein miet- bzw. pachtvertraglicher Vergütungsanspruch wohl auch bei einem Geisterspiel zu. 14  OVG Hamburg, NJW 2012, 1976; Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 2, sowie T.  Siegel, Hooligans im Verwaltungsrecht. Stadionverbote und andere polizeirechtliche Maßnahmen zur Eindämmung von Gewalt in Fußballstadien, in: NJW 2013, S. 1035 (1038). 15  In Deutschland wurden personalisierte Tickets (mit dem zusätzlichen Einsatz von RFID-Technologie) bereits 2006 durch die FIFA bzw. den DFB im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft verwendet (vgl. die kritischen Ausführungen von P.  Schaar, Datenschutz im Spannungsfeld von Privatsphärenschutz, Sicherheit und Informationsfreiheit, in: RDV 2006, S. 1 [3 ff.]). Hoheitlich angeordnet wurde die Personalisierung in der Folge beispielsweise durch die hamburgischen Ordnungsbehörden in Bezug auf die Begegnung zwischen dem FC St. Pauli und dem F. C. Hansa Rostock vom 28.3.2010, woraufhin letzterer die Tickets aus Protest gar nicht zum Erwerb frei gab, vgl. die Ausführungen des VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156. 16  In Italien erließ das Innenministerium mit dem sog. Decreto Pisanu eine Verordnung, welche den personalisierten Ticketverkauf für einen bestimmten Sitzplatz im Stadion sowie die Speicherung personenbezogener Daten der Zuschauer für alle Spiele der Profiligen festschreibt, vgl. Decreto vom 6.6.2005, Modalita’ per l’emissione, distribuzione e vendita die titoli di accesso agli impianti sportivi di capienza superiore alle diecimila unita’, in occasione di competizione sportive rugiardanti il gioco del calcio, Gazetta Ufficiale n. 150 del 30 / 6 / 2005, abrufbar unter



A. Darstellung der Maßnahmen241

ventionschancen stehen jedoch datenschutzrechtliche Probleme auf Seiten der durch die Maßnahme verpflichteten Vereine gegenüber. So wird eingewendet, dass beispielsweise die Abfrage personenbezogener Daten wie der Personalausweisnummer durch die Vereine zur Erreichung des Vertragszwecks – der Gewährleistung eines sicheren Stadionbesuches – nicht erforderlich sei, da Personalausweisnummern z. B. in den Gewalttäter-Dateien nicht enthalten sind.17 Aus dem Umstand der somit mangelnden Nutzbarkeit der Daten für einen entsprechenden Abgleich mit der Datei „Gewalttäter Sport“, folgt, dass schon ihre Erhebung dem in § 3a BDSG festgeschriebenen Grundsatz der Datensparsamkeit widersprechen würde. Die im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 erfolgte weitreichende Datenerhebung und -speicherung durch den DFB wurde durch die Rechtsprechung indes für zulässig erachtet.18 Die adressierten Vereine werden durch die Auflage, welche ebenso wie Kartenabgabeverbote und Limitierungen allein auf die Generalklausel gestützt werden können, erneut in ihrer Berufsfreiheit bzw. Vertragsfreiheit beschränkt.19

III. Spielortverlegung und Spielverbot In Deutschland bisher nur entfernt erwogen werden weiter Spielortverlegungen und Spielverbote20, welche die ultimae rationes der gegenüber Veranstaltern zu ergreifenden Maßnahmen zur Unterbindung von Fanausschreitungen darstellen dürften. In Italien wurde allerdings auch vom Instrument der Spielabsage bereits vereinzelt Gebrauch gemacht.21 http://www.sicurezza‌online.it/leggi/legspo/legspo20002009/doc/legspo20002009din/ din20‌acc.htm, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. Eine bloße Übertragung dieses Systems auf die deutschen Bundesligen wird allerdings bereits aufgrund der fortbestehenden Stehplatzkultur in deutschen Stadien erschwert. 17  Vgl. die Darstellungen in LG Frankfurt, MMR 2006, 769 ff. 18  Vgl. LG Frankfurt, MMR 2006, 769 mit weiteren Anmerkungen. 19  Vgl. dazu die Ausführungen unter Kap. 4, A. I. 20  Vgl. Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 165  ff.; M. Knape, Sicherheit bei Fußballspielen, in: Schriftenreihe der Deutschen Hochschule der Polizei 2009, Bd. 3–4, Sport und Gewalt, S. 19 (20). 21  So wurde etwa die für den 30.3.2008 geplante Begegnung zwischen Juventus Turin und dem FC Parma abgesagt, nachdem ein Turiner Fan-Bus auf einem Rastplatz von Anhängern des FC Parma angegriffen wurde und ein Parma-Fan durch den sodann davon rasenden Bus tödlich überfahren wurde. Die Polizei befürchtete für die folgende Spielbegegnung massive Auseinandersetungen und sagte das Spiel ab, vgl. J. Ziegler, Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen – sind italienische Verhältnisse auch in Deutschland denkbar?, in: Schriftenreihe der Deutschen Hochschule der Polizei 2009, Bd. 3–4, Sport und Gewalt, S. 59 (91).

242

Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

Beide Maßnahmen betreffen die Berufsfreiheit, hilfsweise die allgemeine Handlungsfreiheit22 der adressierten Vereine.23 Darüber hinaus beschneiden sie den gastgebenden Verein in seinem durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Nutzungsrecht am in dessen Eigentum stehenden Stadion.24 Einzige ersichtliche Rechtsgrundlage wäre für beide Maßnahmen wiederum die ordnungsrechtliche Generalklausel.

IV. Alkoholausschankverbote und -beschränkungen Neben den soeben behandelten Maßnahmen, welche die Teilnahme an der Veranstaltung bzw. deren Austragung selbst betreffen, werden von den zuständigen Ordnungsbehörden im Zusammenhang mit Risikospielen regelmäßig ferner Alkoholausschankverbote sowie -beschränkungen im und / oder um das Stadion erlassen.25 Handelt es sich dabei um reine Ausschankverbote, sind die Adressaten nicht wie bei den in der Vergangenheit viel diskutierten Alkoholkonsumverboten im öffentlichen Raum durch ordnungsbehördliche Verordnungen die Konsumenten26, sondern allein Vereine, Stadionbetreiber sowie eventuell Gaststätten- und Kioskinhaber in Stadionnähe oder auf Anreisewegen.27 Ebenso wie Alkoholverbotsverordnungen sollen die Ausschankverbote den Alkoholkonsum reduzieren, von dem angenommen wird, dass er die Gewaltbereitschaft erhöhe.28 Während erstere allerdings abstrakt-generelle Wirkung entfalten, sind die hier behandelten Ausschank- bzw. Veräußerungsverbote grundsätzlich individuell-konkrete Verfügungen, die auf eine bestimmte Spielbegegnung und beispielsweise eine bestimmte Gaststätte bezogen sind, wobei zu bemerken ist, dass sie damit allein Personen adres22  Dies gilt für den Fall, dass diese mangels Gewinnserzielungsabsicht nicht durch die Berufsfreiheit berechtigt sind. 23  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 4, A. I. 24  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 4, A. I. 25  Nicht selten sehen die Vereine allerdings auch aus eigenen Stücken vom Verkauf ab, vgl. Siegel, Hooligans (Fn. 14), S. 1038. 26  Dazu ausführlich W. Hecker, Zur neuen Debatte über Alkoholkonsumverbote im öffentlichen Raum, in: NVwZ 2009, S. 1016 (1016 ff.); M. Winkelmüller / S. Misera, Alkoholverbote in Fußgängerzonen: Anmerkungen zum Urteil des VGH Mannheim vom 28.7.2009, in: LKV 2010, S. 259 (259 ff.). 27  Vgl. VGH Mannheim, NJW 2005, 238; VG Stuttgart, GewArch. 49 (2003), 430; VG Stuttgart, Beschluss v. 25.6.2008 – 4 K 2475 / 08, BeckRS 2008, 39367; VG Düsseldorf, KommJur 2010, 198. 28  So auch das VG Düsseldorf, KommJur 2010, 198 (199). Kritisch VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101 ff.; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2010, 55 (56 f.), sowie Hecker, Alkoholkonsumverbote (Fn. 26), S. 1016 ff.



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen243

sieren, die nicht durch den eigenen Alkoholkonsum zum vermeintlichen Entstehen einer Gefahr beitragen. In der Praxis können Ausschankverbote allerdings auch in Form von flächendeckenden Allgemeinverfügungen gem. § 35 S. 2 VwVfG ergehen und sodann mit einem Alkoholkonsumverbot gekoppelt werden.29 In einem solchen Falle rückt die Verfügung genereller Konsum- und Verkaufsverbote jedoch in die Nähe der im Hinblick auf Bestimmtheit sowie Gefahrprognose und Verhältnismäßigkeit hochproblematischen Alkoholverbotsverordnungen.30 Ebenso wie die vorstehend erläuterten Maßnahmen beschneiden Verbote oder Beschränkungen des Alkoholausschanks grundsätzlich die Berufsfreiheit der betroffenen Gaststättenbetreiber etc.31 Weiter werden potenzielle Konsumenten in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit beeinträchtigt. Als Rechtsgrundlage für Ausschankverbote dient § 19 GastG, demgemäß der gewerbsmäßige Ausschank alkoholischer Getränke zur Abwehr einer konkreten Gefahr vorübergehend verboten werden kann.32 Wird der Verkauf hingegen beispielsweise auf die Ausgabe von Getränken mit einem maximalen Alkoholgehalt von 3% (Leichtbier) beschränkt, handelt es sich dabei um eine Auflage gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG.33 Aus der Existenz dieser speziellen Rechtsgrundlagen im Gaststättenrecht ergibt sich zudem die alleinige Zuständigkeit der Ordnungsbehörden für die Aussprache von Ausschankverboten und -beschränkungen. Wird ein Ausschankverbot ferner mit einem Konsumverbot in Form einer Allgemeinverfügung verbunden, ist ein solches auf die ordnungsbehördliche Generalklausel gem. § 14 Abs. 1 OBG zu stützen.

B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmengegenüber Dritten anhand ausgewählter ordnungsrechtlicher Problemstellungen Nach der soeben erfolgten Vorstellung der gegenüber Dritten in Betracht kommenden Maßnahmen soll nun ihre praktische Anwendung auf ihre Rechtmäßigkeit hin untersucht werden. Dabei wird davon ausgegangen, 29  Vgl. VG Düsseldorf, KommJur 2010, 198, sowie Nationales Konzept Sport und Sicherheit (NKSS), Fortschreibung 2012, S. 20 f., abrufbar unter: www.lpr.sach sen.de / download / landespraeventionsrat / nkss-20111028.pdf, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 30  Vgl. VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101  ff.; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2010, 55 (56 f.), sowie die kritischen Anmerkungen von K. Ruder zum Beschluss des VG Düsseldorf, KommJur 2010, 198 (200). 31  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 4, A. I. 32  Siegel, Hooligans (Fn. 14), S. 1038. 33  Vgl. VGH Mannheim, NJW 2005, 238.

244

Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

dass auch diejenigen Maßnahmen, die nach dem vorstehend Gesagten auf die ordnungsrechtliche Generalklausel zu stützen sind, mit dieser über eine ausreichende Rechtsgrundlage verfügen.34

I. Die abstrakten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Befugnisnormen auf tatbestandlicher Ebene und ihr Vorliegen in typischen Fällen 1. Das Tatbestandsmerkmal der konkreten Gefahr und die Gefahrprognose in der Praxis Um der Überprüfung der Rechtmäßigkeit standzuhalten, müssen die Maßnahmen zunächst der Abwehr einer konkreten Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut dienen (vgl. § 14 Abs. 1 OBG sowie § 19 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG). Wie bereits unter Kap. 3, B. II. 2. a) aa) (1) dargestellt, ist unter einer konkreten Gefahr eine auf eine zumindest vermeintliche Tatsachenbasis zu stützende, einzelfallbezogene, hinreichend wahrscheinliche Prognose des Geschehensablaufs zu verstehen, bei dessen ungehindertem Verlauf ein geschütztes Rechtsgut geschädigt werden wird. Dabei gilt zur Ermittlung des erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrades: Je größer der drohende Schaden, desto geringer fallen die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus.35 Die den hiesigen Maßnahmen zugrunde liegenden Befugnisnormen dienen größtenteils dem Schutz der öffentlichen Sicherheit (und Ordnung).36 Sie sichern damit umfassend die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, subjektive Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Bestand des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen37, wobei in Bezug auf den in dieser Arbeit behandelten Problembereich überwiegend der strafrechtliche Ausschnitt der Rechtsordnung (besonders §§ 223 ff., 303, 113, 125 und 86a StGB) sowie der Schutz von Individualrechtsgütern von Relevanz ist, welche durch die zu verhindernden Fanausschreitungen bedroht werden.38 34  Zu den gesetzessystematischen und verfassungsrechtlichen Anforderungen an Befugnisnormen der Gefahrenabwehr vgl. Kap. 3, B. I. 35  BVerwGE 45, 51 (61); 47, 31 (40); 88, 348 (351); U. Di Fabio, Gefahr, Vorsorge, Risiko: Die Gefahrenabwehr unter dem Einfluß des Vorsorgeprinzips, in: Jura 1996, S. 566 (568). 36  Demgegenüber dient § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG u. a. dem Schutz vor Gefahren für die Allgemeinheit. Insbesondere bei einem Risikospiel wird das Bestehen solcher jedoch ebenfalls zu bejahen sein. 37  K. Waechter, Die Schutzgüter des Polizeirechts, in: NVwZ 1997, S. 729 (733 f.).



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen245

Die Prognose einer konkreten Gefahr für eines dieser Schutzgüter erfordert zum einen die genaue Ermittlung der als Basis dienenden Tatsachenlage sowie zum anderen die anhand dieser zu formulierende, aus ex antePerspektive für den objektiven Betrachter nachvollziehbare Vorhersage des erwarteten Geschehens, an dessen Ende die Verletzung eines geschützten Rechtsgutes steht.39 Im Rahmen der Erwägung, ob eine der vorgestellten Maßnahmen gegenüber einem Verein, einem Gaststättenbetreiber etc. erlassen werden kann, müssen die handelnden Beamten folglich anhand der ermittelten Tatsachenlage zu dem vertretbaren Schluss kommen, dass im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Fußballveranstaltung gewalttätige Fanausschreitungen allgemein drohen. Nicht zwingend sind hingegen „konkrete Prognosen über die Verhaltensweisen individualisierbarer Einzelpersonen oder kleinerer Gruppen“40; schließlich befasst sich die Gefahrprognose allein mit der Gefährlichkeit der Veranstaltung als Plattform für gewalttätige Auseinandersetzungen selbst. In Anbetracht dieses Umstandes ist zunächst in Bezug auf die Maßnahme des Alkoholausschankverbotes anzumerken, dass es auf der Ebene der Gefahrprognose folglich irrelevant ist, ob – wie so oft in Bezug auf Alkoholverbotsverordnungen bestritten41 – ein Wirkungszusammenhang zwischen dem Genuss von Alkohol und einer erhöhten Gewaltgeneigtheit erwiesen ist oder nicht. Anknüpfungspunkt der Gefahrprognose im Problembereich dieser Arbeit ist die Gefährlichkeit von Fanausschreitungen im Rahmen von Fußballveranstaltungen, nicht hingegen die Gefährlichkeit des Alkoholkonsums bzw. -ausschanks. Die Kritik des nicht abschließend erwiesenen Kausalzusammenhangs kann demnach lediglich bei der Frage der Störereigenschaft des Ausschenkenden sowie der der Geeignetheit eines entsprechenden Verbotes Berücksichtigung finden, solange nicht die Gefährlichkeit des Ausschanks an sich, z. B. aufgrund eines Verstoßes gegen das Jugendschutzoder das Gaststättengesetz, in Rede steht. Des Weiteren folgt aus der Tatsache, dass die Gefahrprognose zur Begründung von Maßnahmen gegenüber Dritten unabhängig von der Gefährlichkeit konkreter Einzelpersonen formuliert werden kann, dass es im Vergleich zur Prognose für die Rechtfertigung der oben behandelten Maßnahmen gegenüber Zuschauern weniger Begründungsaufwandes bedarf.42 38

38  Vgl.

auch die Ausführungen unter Kap. 3, B. II. 2. b) aa) (1). M. Bramow / A. Wegner, Meldeauflagen und Aufenthaltsverbote im Zusammenhang mit Fußballspielen – eine Rostocker Betrachtung, in: Die Polizei 2010, S. 213 (217). 40  VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156. 41  Vgl. Fn. 28. 42  Sofern die Maßnahmen nicht an anderer Stelle – wie beispielsweise der Störereigenschaft der Adressaten – scheitern, birgt der Umstand der weniger aufwän39  Vgl.

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

Als Grundlage für die hier vorzunehmende Gefahrprognose dienen zunächst allgemeine Erkenntnisse bezüglich der bei einer bestimmten Veranstaltung aufeinandertreffenden Fanszenen und deren grundsätzlicher Bereitschaft zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Darüber hinaus können das Bestehen von Fan-Feindschaften und das Verhalten der beiderseitigen Anhänger gerade bei Begegnungen der betroffenen Vereine in der Vergangenheit zur Einschätzung des anstehenden Spiels als Risikospiel herangezogen werden, in dessen Rahmen mit großer Wahrscheinlichkeit erhebliche Ausschreitungen stattfinden werden.43 Berücksichtigung findet diesbezüglich besonders die bei zurückliegenden Spielen erfolgte Mobilisierung gewalttätiger Fans in quantitativer Hinsicht, die Höhe der Verletztenzahlen, das Ob und Wie des Einsatzes von Waffen und gefährlichen Werkzeugen wie Pflastersteinen, Feuerwerkskörpern, Glasflaschen etc., der Umstand, dass sich die gewalttätige Aktivität bislang auf das unmittelbare Stadionumfeld beschränkte und damit polizeilich leichter zu kontrollieren war oder nicht, und ferner, in welchem Ausmaß vorgefallene Auseinandersetzungen zuvor organisiert wurden oder spontan erfolgten.44 Neben all diese Faktoren können auf die konkrete Veranstaltung bezogene Erkenntnisse szenekundiger Beamter (z. B. in Bezug auf verabredete Drittortauseinandersetzungen) treten, welche die Gefahrprognose erleichtern. Führen die nach dem Vorstehenden zu berücksichtigen Faktoren bei verständiger Würdigung zu dem objektiv vertretbaren Schluss, dass es im Rahmen der fraglichen Veranstaltung wahrscheinlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gegnerischer Fans kommen wird, liegt eine konkrete Gefahr vor. In Ansehung der meist beträchtlichen Schäden an Rechtsgütern wie der körperlichen Unversehrtheit, des Lebens und des Eigentums teilweise unbeteiligter Personen, die Zuschauerausschreitungen zu verursachen drohen, sind an den zu fordernden Wahrscheinlichkeitsgrad keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Auch etwaige beispielsweise durch Vereine freiwillig zu ergreifende Maßnahmen, wie diejenigen in § 32 der DFBdigen Gefahrprognose bei Maßnahmen gegenüber Dritten damit die Gefahr, dass Ordnungsbehörden diesen aus Gründen der Arbeitserleichterung in der Praxis den Vorzug geben. Vgl. zum Verbot der Erleichterung polizeilicher Arbeit als besonderer Aspekt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes F. Rachor, Das Polizeihandeln, in: H. Lisken / E. Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 5.  Aufl. 2012, E Rn. 185. 43  Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 2. Vgl. auch § 32 der DFB-Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen, abrufbar unter: http://www.dfb. de/fileadmin/_dfbdam/24341-1_Richtlinien_zur_Verbesserung_der_Sicherheit_bei_Bun desspielen.pdf, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 44  Vgl. die ausführlichen Darlegungen des VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156.



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen247

Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen45 im Hinblick auf Risikospiele genannten, werden an der Prognose im Regelfall nichts ändern. Darüber hinausgehende Möglichkeiten zur Abwendung einer ordnungsrechtlichen Inanspruchnahme sind den Vereinen aufgrund ihrer umfassenden verbandsrechtlichen Bindungen grundsätzlich nicht eröffnet.46 2. Die gefahrenabwehrrechtliche Verantwortlichkeit der Adressaten Problematischer als das Erfordernis des Vorliegens einer konkreten Gefahr erweist sich die Begründung der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Adressaten als Störer oder auch als Notstandspflichtige im gefahrenabwehrrechtlichen Sinne. a) Veranstalter und andere Dritte als Störer aa) Die Gefahrzurechnung nach der Theorie der unmittelbaren Verursachung Störer und damit gefahrenabwehrrechtlich in Anspruch zu Nehmender ist prinzipiell derjenige, der eine Gefahr „verursacht“ (vgl. die allgemeine Regel der Kausalhaftung aus § 17 Abs. 1 OBG). Da für das Entstehen einer jeden Gefahr allerdings etliche Vorkommnisse kausal i. S. d. conditio sine  qua  non-Formel und damit potenzielle Ursachen der Gefahr auch im gefahrenabwehrrechtlichen Sinne sind, ist die Person des Störers anhand dieser weiten gesetzlichen Umschreibung als Gefahrverursacher allein nicht sinnvoll auszumachen.47 In der Konsequenz wurde der weite Begriff der Verursachung durch Rechtsprechung und Literatur teleologisch reduziert, mit der Folge, dass nach der heute herrschenden Theorie der unmittelbaren Verursachung die Schaffung der Gefahr der Person zuzurechnen ist, die denjenigen Verursachungsbeitrag in einer gegebenenfalls viele Glieder umfassenden Kausalkette setzt, der als unmittelbare Überschreitung der „Gefahrenschwelle“ und somit als der „wesentliche“ Beitrag zur Gefahrverursachung angesehen 45  Vgl.

Fn. 43. Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156. 47  So bezeichnet Selmer die gesetzliche Lösung der Verantwortlichkeitsfrage als „enttäuschendes Ergebnis“, durch welches die Frage „bei Lichte besehen nicht beanwortet, sondern erst gestellt“ wird, vgl. P. Selmer, Der Begriff der Verursachung im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, in: JuS 1992, S. 97 (97). 46  VG

248

Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

werden kann.48 Dabei machen die unbestimmten Begriffe der Gefahrenschwelle sowie der Wesentlichkeit das Erfordernis einer wertenden Betrachtung der einzelnen Glieder der zur Gefahrentstehung führenden Kette von (Mit-)Verursachungsbeiträgen augenscheinlich.49 Regelmäßig wird allerdings nur der zeitlich letzte Beitrag als gefahrenabwehrrechtlich relevante, unmittelbare Verursachung gewertet.50 Im allgemeinen und besonderen Gefahrenabwehrrecht sind neben der grundlegenden Bestimmung, dass derjenige für eine Gefahr verantwortlich und damit Störer ist, der diese verursacht, zudem konkrete Tatbestände zur Gefahrzurechnung verankert. Aus diesen lassen sich wiederum generelle Zurechnungskriterien ableiten, welche gegebenenfalls Orientierungshilfe bei der Frage leisten können, ob ein Verursachungsbeitrag, auch wenn dieser eventuell nicht als zeitlich letzter gesetzt wurde, die Gefahrenschwelle überschreitet. Zu erörtern sind in dieser Hinsicht das Kriterium der Gefahrbeherrschung und das des Risikonutzens.51 Ersteres ist u. a. aus den §§ 17 und 18 OBG sowie den nahezu gleichlautenden §§ 4 und 5 PolG herauszulesen. Wie bereits erwähnt, enthalten die allgemeinen Störerregeln zunächst die weite Bestimmung, dass derjenige ordnungsrechtlich in Anspruch zu nehmen ist, der die Gefahr verursacht (§ 17 Abs. 1 OBG und § 4 Abs. 1 PolG). Darüber hinaus ist ausdrücklich geregelt, dass verantwortlich ist, wer durch das Verhalten eines „Beherrschten“, etwa in Gestalt eines Verrichtungsgehilfen oder Minderjährigen, oder durch eine in seinem Eigentum oder Besitz befindliche und durch ihn zu kontrollierende Sache eine Gefahr schafft (sog. Zusatzverantwortlichkeit52). In Zusammenschau mit diesen Regelungen können die anfangs angesprochenen Bestimmungen aus § 17 Abs. 1 OBG und § 4 Abs. 1 PolG somit in der Weise interpretiert werden, dass eine Gefahr grundsätzlich von dem als verursacht gilt, der diese durch eigens zu beherrschendes Verhalten unmittelbar schafft.53 Des Weiteren ist das allgemeine Prinzip erkennbar, dass eine Gefahr demjenigen zugerechnet wird, der diese rechtlich zu beherr48  J. Lege, Polizeieinsätze bei Fußball-Bundesligaspielen. Zugleich ein Beitrag zum Begriff der Gefahrverursachung, in: VerwArch. 89 (1998), S. 71 (78); F. Schoch, Der Zweckveranlasser im Gefahrenabwehrrecht, in Jura 2009, S. 360 (361). 49  Vgl. OVG Münster, NVwZ 1985, 355 (356); F. Schoch, Grundfälle zum Poli­ zei- und Ordnungsrecht, in: JuS 1994, S. 932 (932). 50  Vgl. Selmer, Verursachung (Fn. 47), S. 98 f.; Schoch, Grundfälle (Fn.  49), S. 932. 51  Lege, Polizeieinsätze (Fn. 48), S. 78 ff. 52  R. Poscher, Die gefahrenabwehrrechtliche Verantwortlichkeit. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der rechtswidrigen Verursachung, in: Jura 2007, S. 801 (801). 53  Vgl. J. Vahle, in: H. Tegtmeyer / ders., Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, 11. Aufl. 2014, § 4 Rn. 14; M.  Schütte, in: ders. / F. Braun / C. Keller, Polizeigesetz



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen249

schen hat.54 Ferner lässt der Umstand der expliziten Regelung der Zusatzverantwortlichkeit im Hinblick auf durch beherrschte Personen geschaffene Gefahren darauf schließen, dass außerhalb dieser grundsätzlich nicht für das unmittelbar gefahrschaffende Verhalten anderer, insbesondere unbeherrschter Personen gehaftet werden muss. Dieses eigenverantwortliche Handeln Dritter ist damit prinzipiell als Unterbrechung des Kausalverlaufs anzusehen, wodurch die Gefahrschaffung dem mittelbaren Verursacher nicht zuzurechnen ist.55 Das zweite Kriterium beschreibt die Zurechnung aufgrund der Nutzung eines nicht gänzlich beherrschbaren, aber erlaubten und regelmäßig genehmigungspflichtigen Risikos. Durch den Gedanken des Vorteilsausgleichs motiviert, ist es im Bereich des besonderen Ordnungsrechts in kodifizierter Weise anzutreffen. Derjenige, der ein Risiko (wirtschaftlich) nutzt, kann demnach trotz der anerkanntermaßen mangelnden Kontrollierbarkeit desselben Verantwortlicher im ordnungsrechtlichen Sinne sein (vgl. etwa § 7c Abs. 1 AtomG oder § 6 GenTG).56 Die meisten gesetzlichen Fälle der Verantwortlichkeit aufgrund Risikonutzens knüpfen dabei an die Nutzung von Sachen an. Vereinzelt finden sich aber auch besondere gefahrenabwehrrechtliche Bestimmungen, die die Verantwortlichkeit einer Person für eine Gefahr regeln, für deren Entstehung andere Personen, die keinesfalls unter der Herrschaft ersterer stehen, den zeitlich letzten Verursachungsbeitrag gesetzt haben (vgl. §§ 5 Nr. 3 und 19 Abs. 3 VersG).57 Diese stellen damit eine Ausnahme von der oben geschilderten Regel dar, nach der die Schaffung einer Gefahr durch nicht beherrschte Personen nicht anderweitig zugerechnet wird. In die Kategorie der „Verantwortlichkeit kraft riskanten Nutzens unbeherrschter Personen“ fällt denklogisch auch die berühmte richterrechtliche Figur des sog. Zweckveranlassers58, deren Zulässigkeit in Ansehung ihrer mangelnden gesetzlichen Regelung allerdings zu überprüfen bleibt.59 Dass Nordrhein-Westfalen. Kommentar für Praxis und Ausbildung, 2012, § 4 Rn. 4; E.  Denninger, Gefahrenabwehr, in: Lisken / ders., Handbuch (Fn. 42), D Rn. 75. 54  Lege, Polizeieinsätze (Fn. 48), S. 79. 55  So auch Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 142 ff., der postuliert, dass die „rechtmäßige Ausübung freiheitlicher Grundrechte bei Sportgroßveranstaltungen durch Sportler, Veranstalter und Zuschauer […] nicht in der Hand gewaltbereiter Hooligans liegen“ könne, was indes durch eine Zurechnung der Gefahrschaffung zum Veranstalter geschehen würde. 56  Lege, Polizeieinsätze (Fn. 48), S. 79. 57  Lege, Polizeieinsätze (Fn. 48), S. 79. 58  Lege, Polizeieinsätze (Fn. 48), S. 79. 59  Vgl. Kap. 4, B. I. 2. a) cc).

250

Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

die stellenweise Normierung der Verantwortlichkeit aufgrund Risikonutzens ein verallgemeinerbares Kriterium darstellt, welches sodann etwa bei der Bestimmung der Reichweite des Verursachungsbegriffs aus § 17 Abs. 1 OBG nutzbar gemacht werden könnte, erscheint zumindest fraglich. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle jedoch, dass die Adressaten der in Rede stehenden Maßnahmen nach dem vorstehend Gesagten dann als Störer zu qualifizieren sind, wenn sie einen kausalen Verursachungsbeitrag für die Entstehung der Gefahr von Fan-Ausschreitungen im Rahmen einer bestimmten Fußballveranstaltung schaffen und dieser Beitrag anhand des Kriteriums der Gefahrbeherrschung bzw. des Risikonutzens – sofern verallgemeinerbar – als Überschreitung der Gefahrenschwelle gewertet werden kann. bb) Veranstalter und andere Dritte als Störer nach dem Kriterium der Gefahrbeherrschung Veranstalter von Fußballveranstaltungen in Gestalt von Vereinen oder Stadionbetreibern sowie andere Dritte können nach dem Prinzip der Gefahrbeherrschung nicht im gefahrenabwehrrechtlichen Sinne für etwaige Fan­ ausschreitungen verantwortlich gemacht werden. Ihr eigens zu beherrschendes Verhalten überschreitet an sich nicht die Gefahrenschwelle und verursacht die Gefahr damit nicht unmittelbar i. S. v. § 17 Abs. 1 OBG.60 Auch sind die unmittelbar gefahrschaffenden gewalttätigen Fans nicht „Beherrschte“ im obigen Sinne, sodass ihre Verursachung den Veranstaltern nicht gem. § 17 Abs. 2 und 3 OBG zuzurechnen ist. cc) Veranstalter und andere Dritte als Störer nach dem Kriterium des Risikonutzens (Zweckveranlasser) Indessen bleibt zu überprüfen, ob Veranstalter und andere Dritte gem. § 17 Abs. 1 OBG unter Berücksichtigung des Kriteriums der Verantwortlichkeit aufgrund Risikonutzens als Gefahrverursacher zu qualifizieren sind. Die bereits angesprochene Figur des Zweckveranlassers ermöglicht es den Ordnungsbehörden, eine Gefahr, die unmittelbar durch das Verhalten „unbeherrschter“ Personen geschaffen wird, demjenigen zuzurechnen, der aus dem gefahrschaffenden Verhalten der anderen einen (meist wirtschaftlichen) Nutzen zieht und dieses – nach umstrittener Ansicht – beabsichtigt.61 auch Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 2. zur Figur des Zweckveranlassers PrOVGE 40, 216; 80, 176; 85, 270; VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156; 60  So

61  Ausführlich



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen251

Dieses Zurechnungsmodell folgt damit ebenso wie die zuvor erörterten Haftungstatbestände im besonderen Ordnungsrecht der Logik der Verantwortlichkeit kraft Risikonutzens.62 Aus der Tatsache, dass eine Person ein risikobehaftetes, nicht gänzlich kontrollierbares Verhalten anderer Personen provoziert und für ihre Zwecke nutzt, soll – im Wege des Vorteilsausgleichs – auch ihre Verantwortlichkeit für eine in unmittelbarer Weise fremdgeschaffene Gefahr folgen. Vorbehaltlich ihrer Zulässigkeit könnten die Veranstalter eines Risikospiels über die Figur des Zweckveranlassers als Störer in Anspruch genommen werden, zumindest wenn man das notwendige Beabsichtigen des unmittelbar gefahrschaffenden Fremdverhaltens objektiv versteht63 oder von diesem Erfordernis gänzlich absieht.64 So bietet erst das Ausrichten der Veranstaltung, wenn auch als solches nicht verboten, eine Plattform für gewalttätige Fanausschreitungen. Gleichzeitig ist es der Veranstalter der einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem entstehenden Zuschauerandrang zieht und diesen zumindest prinzipiell bezweckt.65 Während einige die Störereigenschaft sodann jedoch mit Verweis auf das vom Veranstalter nicht erwünschte Verhalten der Randalierer, welches in der Praxis regelmäßig zu erheblichen Verbandssanktionen führt66, am Erfordernis des – in diesem Fall subjektiv verstandenen – Beabsichtigens scheitern lassen67, bestreitet Lege die Notwendigkeit eines solchen. Der Gefahrverursachungsbeitrag des Zweckveranlassers reiche wie bei jedem anderen Störer für die Begründung der Störereigenschaft aus; schließlich könne nicht gelten, dass eine Gefahr Schoch, Zweckveranlasser (Fn. 48), S. 361, S.-C. Lenski, Flashmobs, Smartmobs, Raids – Sicherheitsrechtliche Antworten auf neue Formen der Kollektivität, in: Verw­Arch. 103 (2012), S. 539 (553 ff.), sowie Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 2. Das Erfordernis des Beabsichtigens wird dabei unterschiedlich ausgelegt, mit der Folge, dass darunter teils ein subjektives Bezwecken verstanden wird (so etwa Selmer, Verursachung [Fn. 47], S. 99 f.), teils aber auch als ausreichend angesehen wird, wenn das gefahrschaffende Verhalten „zwangsläufige Folge“ der in Rede stehenden Handlung ist (vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1995, 663; VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156, sowie F. Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: ders. [Hrsg.], Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 2. Kap. Rn. 189 f.). 62  Vgl. Fn. 58. 63  Vgl. Fn. 61. 64  So beispielshalber Lege, Polizeieinsätze (Fn. 48), S. 82. 65  So auch VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156. 66  Vgl. dazu Walker, Verbandssanktionen (Fn. 7), S. 119 ff. 67  T. Würtenberger, Risiken des Sports – polizei- und ordnungsrechtliche Fragen, in: ders. (Hrsg.), Risikosportarten, Heidelberg, 1991, S. 31 (38 f.); Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 2 f.; W.-R. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2013, Rn. 246.

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

nur dann als verursacht gilt, wenn ihre Schaffung auch beabsichtigt wurde.68 Zu demselben Ergebnis gelangen diejenigen, die ein Beabsichtigen – sodann im objektiven Sinne – auch dann bejahen, wenn die unmittelbare Gefahrschaffung „zwangsläufige Folge“ der vermeintlich mittelbaren Gefahrverursachung ist.69 Folgte man einem der beiden letztgenannten Ansätze und ginge von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Zurechnungsmodells aus, wäre die Zweckveranlassereigenschaft des Veranstalters eines Risikospiels zu bejahen sowie etwaige weiter erhobene Einwände zurückzuweisen.70 So verkennt etwa die Auffassung, eine Inanspruchnahme des Veranstalters sei den Ordnungsbehörden aufgrund der Tatsache verwehrt, dass dieser bloß von seinen wirtschaftlichen Grundrechten Gebrauch mache71, dass die Grundrechte lediglich unter Vorbehalt gewährleistet werden und das Ordnungsrecht in dieser Hinsicht eine Grundrechtsschranke darstellen kann. Der Veranstalter müsste, um nicht Störer zu sein, also in rechtmäßiger Weise seine Grundrechte gebrauchen, wobei wiederum die Nutzung nur dann rechtmäßig wäre, wenn mit ihr keine zurechenbare Gefahrschaffung einherginge. Der Einwand unterliegt damit augenscheinlich einem Zirkelschluss.72 Dennoch können Veranstalter risikobehafteter Fußballspiele bzw. Gaststättenbetreiber etc. nicht als Zweckveranlasser in Anspruch genommen werden, da dieses Modell der Gefahrzurechnung schlicht abzulehnen ist.73 68  Lege,

Polizeieinsätze (Fn. 48), S. 82. hielt das VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156, die Inanspruchnahme eines Fußballsvereins als Zweckveranlasser grundsätzlich für möglich. Zustimmend H. Beutel, Zur Verantwortlichkeit von Fußballvereinen für durch Fan-Verhalten verursachte Gefahren, in: Die Polizei 2014, S. 117 (118), der Beschränkungen der Inanspruchnahme von Vereinen auf der flexibleren Rechtsfolgenebene vorzieht. Ebenso V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 15. Aufl. 2013, § 9 Rn. 31. 70  Vgl. ausführlich Lege, Polizeieinsätze (Fn. 48), S. 84 ff. 71  W.-R. Schenke, Erstattung der Kosten von Polizeieinsätzen, in: NJW 1983, S. 1882 (1883); ders., POR (Fn. 67), Rn. 246; Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 3. 72  Vgl. VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156; Lege, Polizeieinsätze (Fn. 48), S. 82 f.; Schoch, Zweckveranlasser (Fn. 48), S. 364. Die zirkuläre Argumentationsweise stößt damit auf dieselbe Kritik wie die Kausalitätslehre der rechtswidrigen Verursachung, vgl. Schoch, Grundfälle (Fn. 49), S. 933. 73  Ebenso G. Erbel, Forum: Zur Polizeipflichtigkeit des sog. „Zweckveranlassers“, in: JuS 1985, S. 257 (261 ff.); D. Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2012, 8. Kap. Rn. 45; B.  Pieroth / B. Schlink / M. Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht mit Versammlungsrecht, 8. Aufl. 2014, § 9 Rn. 29, sowie im Ergebnis U. Rühl, Die Polizeipflichtigkeit von Versammlungen bei Störungen durch Dritte und bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit bei Gegendemonstrationen, in: NVwZ 69  So



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen253

Anders als die besondere Risikohaftung, beispielsweise nach dem Atomoder dem Gentechnikgesetz, ist eine Gefahrzurechnung aufgrund von „Zweckveranlassung“ nicht gesetzlich geregelt. Sie könnte folglich allein als spezielle Form der Störerhaftung aus § 17 Abs. 1 OBG bzw. § 4 Abs. 1 PolG Geltung beanspruchen, wenn sich aus der nur stellenweise geregelten Verantwortlichkeit kraft Risikonutzens ein verallgemeinerbares Zurechnungskriterium ableiten ließe.74 Der Verursachungsbegriff der allgemeinen Störerregelungen könnte in diesem Falle so ausgelegt werden, dass er auch die mittelbare Schaffung einer Gefahr umfasst, sofern die besonderen Umstände der Nutzenziehung und gegebenenfalls der Beabsichtigung der Gefahrverursachung hinzutreten. Ein solcher Schluss von den vereinzelten Regelungen der Verantwortlichkeit kraft Risikonutzens im besonderen Ordnungsrecht auf ein allgemeines Prinzip der Zurechnung von Gefahren, welche durch eigenverantwortlich handelnde Dritte geschaffen werden, verbietet sich jedoch. Die gesetzlichen Reglementierungen der Haftung aufgrund von Risikonutzung betreffen grundsätzlich erlaubte, aber riskante und auch bei größter Anstrengung nicht gänzlich zu kontrollierende Techniken und ihre Nutzung und stellen auch im besonderen Ordnungsrecht eine Ausnahme dar, sodass ihr Gedanke nicht verallgemeinerbar ist. Des Weiteren können die im Gefahrenabwehrrecht enthaltenen allgemeinen Störerregelungen, welche die Zurechnung von durch andere unmittelbar geschaffene Gefahren regeln (§ 17 Abs. 2 und 3 OBG bzw. § 4 Abs. 2 und 3 PolG), als abschließend angesehen werden. Die daneben zudem bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Nichtstörern (§ 19 OBG sowie § 6 PolG) lassen darauf schließen, dass der Gesetzgeber sogar über die expliziten Störerregeln hinaus die Notwendigkeit der weiterreichenden Inanspruchnahme von nicht oder nicht unmittelbar gefahrverursachenden Personen gesehen hat, diese jedoch allein unter den entsprechend engen Voraussetzungen der Notstandspflicht erfolgen soll. Die Bestimmungen zur Notstandsverantwortlichkeit sind grundsätzlich auf dieselben Konstellationen wie die Figur des Zweckveranlassers zugeschnitten, mögen ihre Voraussetzungen auch nicht erfüllt sein. Die Anerkennung der Figur des Zweckveranlassers würde daher eine unzulässige, womöglich durch die Vermeidung von 1988, S. 577 (577 f.) und Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 143. Kritisch weiter C. Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 336. Verteidigend Schoch, Zweckveranlasser (Fn. 48), S. 360 ff. In einem anderen Beitrag geht dieser wiederum zwar von der Zulässigkeit des Zurechnungsmodells aus, fordert für die Störereigenschaft eines Veranstalters in Ansehung dessen Grundrechtsschutzes sodann aber wenig konsequent eine Aktualisierung der Grundrechtsschranken durch eine besondere gesetzliche Normierung der Pflichtigkeit, Schoch, Grundfälle (Fn. 49), S. 934. 74  Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen unter Kap. 4, B. I. 2. a) aa).

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

Ersatzansprüchen des Inanspruchgenommenen oder andere Praktikabilitätserwägungen motivierte75 Umgehung dieser Regelungen darstellen76, mit der Folge, dass der zwar weite Begriff der Gefahrverursachung i. S. v. § 17 Abs. 1 OBG nicht in der Weise ausgelegt werden kann, dass auch die mittelbare Verursachung in Form der „Zweckveranlassung“ umfasst ist.77 Eine Inanspruchnahme der Veranstalter von Risikospielen über das Zurechnungsmodell des Zweckveranlassers entbehrt damit jeder gesetzlichen Grundlage und stellt einen Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes dar.78 b) Veranstalter und andere Dritte als Notstandpflichtige Nach den obigen Ergebnissen können Veranstalter und andere Dritte, wie Gaststätten- und Kioskinhaber, nicht als Störer und damit allein als Nichtstörer nach Maßgabe der engen Notstandsregelungen Adressaten der in Rede stehenden Maßnahmen sein. Dabei setzt § 19 Abs. 1 OBG voraus, dass bei der fraglichen Veranstaltung eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr droht, welche weder durch ein Vorgehen gegen die gewalttätigen Fans als Störer noch durch eigene behördliche Mittel wirksam abgewehrt werden kann, und gleichzeitig eine Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen die Opfergrenze nicht überschreitet. aa) Das Tatbestandsmerkmal der gegenwärtigen und erheblichen Gefahr gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 OBG Die Nichtstörerregelungen qualifizieren die notwendige, bereits durch die jeweilige Generalklausel bzw. § 19 GastG geforderte und oben erläuterte konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Dabei setzen sie zum einen eine in zeitlicher Hinsicht gesteigerte Gefahr voraus, bei der die schädigende Einwirkung nach allgemeiner Ansicht entweder bereits begonnen hat, der 75  So auch Gusy, POR (Fn. 73), Rn. 336. Die Vermeidung etwaiger Ersatzansprüche zieht ausdrücklich als einen Aspekt der Rechtfertigung heran Poscher, Verantwortlichkeit (Fn. 52), S. 807. 76  Vgl. Kugelmann, POR (Fn. 73), 8. Kap. Rn. 45. 77  Davon zu trennen ist allerdings die Frage der sportrechtlichen Zurechnung der Fankrawalle zum betroffenen Verein durch den Verband. 78  Zur Unzulässigkeit der Figur des Zweckveranlassers kommt man ebenso, wenn man diese nicht als Auslegungsvariante von § 17 Abs. 1 OBG bzw. § 4 Abs. 1 PolG, sondern als Analogie verstehen will. In Ansehung der obigen Gründe kann das Vorliegen der Analogievoraussetzungen der planwidrigen Regelungslücke sowie der vergleichbaren Interessenlage nicht bejaht werden.



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen255

befürchtete Schadenseintritt unmittelbar bevorsteht oder aber in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist79; zum anderen muss der Schaden einem besonders bedeutsamen Rechtsgut drohen.80 Dass im Zuge von Zuschauerausschreitungen Schädigungen von bedeutenden Rechtsgütern zu befürchten sind, kann in Ansehung der enormen Ausmaße, die die gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit teilweise angenommen haben, nicht ernstlich bestritten werden.81 Darüber hinaus können die bei bisherigen Begegnungen rivalisierender Vereine gemachten Erfahrungen den Schluss zulassen, dass auch bei einem noch bevorstehenden Aufeinandertreffen selbiger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit enorme Ausschreitungen eintreten werden.82 Die hier in Rede stehenden Formen der ordnungsbehördlichen Inanspruchnahme Dritter erfolgen jedoch regelmäßig nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der für gefahrträchtig befundenen Veranstaltung, sondern im weiteren Vorfeld, sodass das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr zum entsprechenden Einsatzzeitpunkt zumindest angezweifelt werden kann. Weiter wird der Begriff der gegenwärtigen bzw. der gleichbedeutenden unmittelbar bevorstehenden Gefahr83 im Gefahrenabwehrrecht regelmäßig in solchen Regelungszusammenhängen verwendet, in denen ein behördliches Eingreifen typischerweise sofort erfolgen muss (vgl. etwa §§ 34a, 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG), was für eine enge Auslegung des Merkmals spricht.84 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass im Hinblick auf die im Zusammenhang mit risikobehafteten Fußballveranstaltungen drohenden Gefahren der Zeitpunkt ihrer befürchteten Realisierung bereits im weiteren zeitlichen Vorfeld genau feststeht. Zudem werden diese durch ein behördliches Eingreifen unmittelbar vor bzw. während des Verlaufs der Veranstaltungen meist nicht mehr zuverlässig zu bekämpfen sein. Die Problematik der zwar nicht unmittelbar bevor-, aber zeitlich feststehenden wahrscheinlichen Realisierung einer Gefahr, deren Abwehr vermutetermaßen nur durch frühzeitiges Tätigwerden der Behörden zu bewerkstelligen ist, wurde durch den 79  J. Vahle, in: Tegtmeyer / ders., PolG NRW (Fn. 53), § 8 Rn. 13; M. Schütte, in: ders. / F. Braun / C. Keller, PolG NRW (Fn. 53), § 1 Rn. 10. Vgl. weiter § 2 Nr. 1b Nds.SOG. 80  Vahle (Fn. 79), § 8 Rn. 14; Schütte (Fn. 79), § 1 Rn. 11. 81  So auch Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 167. 82  Vgl. VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156. 83  Vgl. C. Keller, in: M. Schütte / F. Braun / ders., PolG NRW (Fn. 53), § 35 Rn. 15. 84  Vgl. OVG Hamburg, NJW 2012, 1975 (1976).

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

Gesetzgeber im Bereich des Versammlungsrechts gesehen und in § 15 Abs. 1 VersG geregelt. Demnach kann die Versammlungsbehörde eine Versammlung verbieten oder von Auflagen abhängig machen, „wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung […] unmittelbar gefährdet ist.“ Der Gedanke dieser Regelung könnte insofern auf das allgemeine (Polizei- und) Ordnungsrecht übertragen werden, als dass der Begriff der gegenwärtigen Gefahr i. S. v. § 19 Abs. 1 Nr. 1 OBG in einem dem Versammlungsrecht so ähnlichen Problemfeld wie der Sicherung von (Sport-)Großveranstaltungen weiter auszulegen sein könnte als oben beschrieben. So kann der Begriff der gegenwärtigen Gefahr auch so verstanden werden, dass ihr Vorliegen bereits dann zu bejahen ist, wenn eine Gefahr zwar erst bei Durchführung einer (Groß-)Veranstaltung droht, ihr Entstehen aber bereits gegenwärtig mit höchster Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann und ihre Bekämpfung bei unveränderter Durchführung der Veranstaltung bzw. einem alleinigen Eingreifen in deren unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang auch unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Mittel nicht mehr sichergestellt wäre. Für diese Lösung sprechen neben dem Interesse der effektiven Gefahrenabwehr auch etwaige Rechtsschutzinteressen des Betroffenen, dem durch eine ansonsten gezwungenermaßen sehr kurzfristig erfolgende gefahrenabwehrrechtliche Inanspruchnahme das Ersuchen um vorläufigen Rechtsschutz deutlich erschwert oder sogar gänzlich verwehrt würde.85 Kommen die Behörden nach Maßgabe des unter Kap. 4, B. I. 1. Gesagten somit zu der Prognose, dass im Rahmen einer bestimmten, wenn auch noch weiter in der Zukunft liegenden Spielbegegnung höchstwahrscheinlich erhebliche Zuschauerausschreitungen drohen und es sich damit um ein Risikospiel i. S. v. § 32 der DFB-Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen86 handelt, kann vom Vorliegen einer gegenwärtigen und erheblichen Gefahr i. S. d. Notstandsregelungen ausgegangen werden.87 bb) Unmöglichkeit bzw. mangelnde Erfolgsaussicht der Inanspruchnahme Verantwortlicher Aus § 19 Abs. 1 Nr. 2 OBG folgt der Grundsatz der vorrangigen Inanspruchnahme von Störern gegenüber Nichtstörern.88 Die Gefahrenabwehrbe85  Vgl.

zum Vorstehenden OVG Hamburg, NJW 2012, 1975 (1976 f.). Fn. 43. 87  Kritisch Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 4. 88  F. Schoch, Die Notstandspflicht im Polizei- und Ordnungsrecht, in: Jura 2007, S. 676 (679). 86  Vgl.



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen257

hörden folgen dieser Maßgabe in der Praxis, indem sie mittels der zahlreichen oben dargestellten, unmittelbar gegenüber potenziell gewalttätigen Zuschauern angewendeten Maßnahmen versuchen, der Bedrohung durch Fanausschreitungen Herr zu werden.89 Auch weisen die bisherigen Erfahrungen darauf hin, dass diese „zuschauerorientierten“ Mittel in der Vergangenheit zumindest dem Grunde nach genügt haben, um etwa die Entstehung solcher „bürgerkriegsähnlicher Zustände“, wie sie teilweise in Italien und Polen im Rahmen von Fußballveranstaltungen zu beobachten sind, zu vermeiden.90 Allerdings wurden im Laufe dieser Arbeit bereits einige praktische sowie rechtliche Probleme bei der Anwendung jener Maßnahmen erörtert, welche die zuverlässige Gefahrbeseitigung durch allein zuschauerorientierte Mittel erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Exemplarisch sei noch einmal auf die rechtspraktische Problematik der Erstellung einer auf die Einzelperson bezogenen Gefahrprognose91, weiter auf den Mangel einer ausreichenden Rechtsgrundlage einiger in der Praxis angewendeter Maßnahmen hingewiesen92. Können die handelnden Beamten in Ansehung dieser Unzulänglichkeiten in Bezug auf eine bestimmte Fußballveranstaltung damit in vertretbarer Weise eine Gefahrprognose formulieren, nach der sich die fragliche Begegnung als Risikospiel darstellt, und kommen sie weiter zu dem objektiv nachvollziehbaren Schluss, dass aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls der Einsatz zuschauerorientierter Maßnahmen nicht möglich oder zur zuverlässigen Gefahrbeseitigung nicht ausreichend sein wird, können sie – vorbehaltlich der weiter zu erfüllenden Voraussetzungen – auf Vereine und andere Nichtstörer zurückgreifen.93 89  Vgl.

die Darstellungen unter Kap. 3, A. auch Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 5. 91  Vgl. die Ausführungen unter Kap. 3, B. II. 2. b) aa) (2). 92  Vgl. die Ausführungen unter Gliederungspunkt Kap. 3, B. I. 2. sowie zum grundsätzlich schwierigen Vorgehen gegen die Störer die sehr ausführlichen Darlegungen der Problematik durch das VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156. 93  Es stellt sich allerdings die Frage, ob und wie es zu berücksichtigen ist, dass die Probleme bei der Inanspruchnahme der Störer, zumindest soweit sie den Mangel einer ausreichenden Rechtsgrundlage betreffen, selbst geschaffen sind, indem der Gesetzgeber es über Jahre hinweg versäumt hat, entsprechende Grundlagen zu erlassen. So erschiene es unbillig, die legislativen Versäumnisse in der Weise „auszubügeln“, dass diesen über das Erfordernis der Unmöglichkeit des Vorgehens gegen Störer sogar eine legitimierende Wirkung hinsichtlich der Inanspruchnahme von Nichtstörern zukäme. Allerdings ist zu bedenken, dass die gesetzlichen Lücken in der Praxis völlig unberücksichtigt bleiben, die handelnden Beamten also auch in rechtswidriger Weise, da nicht speziell geregelt, von den fraglichen Maßnahmen 90  So

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

So ist den deutschen Behörden zumindest das Ergreifen von Vorfeldmaßnahmen gegenüber ausländischen Fans aufgrund der fehlenden Vertrautheit mit der Szene einerseits sowie mangelnder Eingriffsbefugnisse im Ausland andererseits grundsätzlich verwehrt.94 Auch sind etwaige Möglichkeiten des „mittelbaren Vorgehens“ durch ein kooperatives Zusammenwirken mit ausländischen Behörden regelmäßig wohl nicht als so wirkungsvoll einzuschätzen, dass sie die bestehenden Mängel kompensieren könnten. Des Weiteren stellen sich Probleme bei der Adressierung der unmittelbar gefahrschaffenden gewalttätigen Fans, wenn diese beispielsweise aufgrund ihrer bloßen Personenstärke – eventuell aufgrund einer gerade in Ansehung der Begegnung mit dem jeweiligen „Erzrivalen“ stattgefundenen besonders starken Mobilisierung gewaltbereiter Zuschauer – nicht im Einzelnen individualisierbar sind. cc) Unmöglichkeit der zuverlässigen, behördlichen Gefahrenabwehr Ferner dürfen Nichtstörer gem. § 19 Abs. 1 Nr. 3 OBG allein dann gefahrenabwehrrechtlich in Anspruch genommen werden, wenn den Ordnungsbehörden die Abwehr der Gefahr durch eigene (auch polizeiliche) Mittel nicht möglich ist. Bei der Ermittlung des Vorliegens einer solchen Unmöglichkeit der behördeneigenen Abwehr der durch Fanausschreitungen hervorgerufenen Gefahren ist wiederum zu beachten, dass die behördlichen Mittel zur Inanspruchnahme von Störern in der Vergangenheit zumindest ausgereicht haben, um „Schlimmeres“ zu verhindern.95 Insofern verbietet sich die pauschale Annahme, die Gefahrenabwehrbehörden verfügten nicht über genügend eigene Mittel, um die drohenden Gefahren zu bekämpfen.96 Allerdings ließen die Ergebnisse der soziologischen Untersuchung des Gewaltphänomens um den Fußballsport unter Kap. 1, A. V. den Schluss zu, dass sich die Zuschauergewalt in quantitativer sowie qualitativer Hinsicht gegenüber Störern Gebrauch machen, und selbst dieses Vorgehen zur zuverlässigen Gefahrabwendung bei Risikospielen, im Rahmen derer die Inanspruchnahme von Nichtstörern überhaupt erst erwogen wird, nicht ausreicht. Darüber hinaus lässt der Wortlaut der Eingriffsvoraussetzung aus § 19 Abs. 1 Nr. 2 OBG keinen Raum für Billigkeitserwägungen, sodass der Aspekt der „selbstverschuldeten Unmöglichkeit“ des Vorgehens gegen etwaige Störer, wenn überhaupt, bei der Frage des Nichtüberschreitens der Opfergrenze gem. § 19 Abs. 1 Nr. 4 OBG oder auf der Rechtsfolgen­ ebene im Rahmen einer Gesamtabwägung Berücksichtigung finden sollte. 94  Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 167. 95  Vgl. Fn. 90. 96  Ebenso Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 5.



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen259

verstärkt. Die Ordnungs- und Polizeibehörden werden somit vor neue Herausforderungen gestellt, welche sie mit den verfügbaren Mitteln zumindest an besonderen Problempunkten gegebenenfalls nicht mehr wirksam bekämpfen können. Es stellt sich folglich die Frage, ob die handelnden Behörden diesen neuen Herausforderungen beispielsweise durch eine zahlenmäßige Aufstockung der polizeilichen Einsatzkräfte begegnen können und müssen, anstatt auf Veranstalter sowie gegebenenfalls andere Dritte zurückzugreifen. Dies ist im Grundsatz zu bejahen. So sollen praktische und fiskalische Aspekte bei der Ermittlung der Grenze zur Unmöglichkeit der Gefahrenabwehr durch eigene Mittel nach herrschender Meinung keine Rolle spielen.97 Der Einsatz aller verfügbaren eigenen sowie im Wege der Amts- und Vollzugshilfe heranziehbaren auswärtigen Kräfte sei – ohne Rücksicht auf die Kosten – der Inanspruchnahme Dritter gegenüber prioritär, letztere damit ultima ratio. Und tatsächlich findet in der Praxis keine Sportgroßveranstaltung statt, ohne dass die örtlich zuständige Polizeibehörde personell durch auswärtige Beamte verstärkt wird.98 Unabhängig von durch etwaige Praktikabilitätserwägungen motivierten Unmutsäußerungen bezüglich der damit sehr weiten Wahrnehmungsverantwortung der Gefahrenabwehrbehörden bestehen indes Zweifel an der Zumutbarkeit der ressourcenintensiven Gefahrenabwehr für die betroffenen Einsatzkräfte.99 So gehen mit der ständigen Bekämpfung gewalttätiger Fanausschreitungen bereits routinemäßig zahllose körperliche Verletzungen von Polizistinnen und Polizisten einher100, welche die Frage nach einer Zumutbarkeitsgrenze auf Seiten des Staates aufkommen lassen. Denn auch wenn Polizeibeamte durch ihre Berufswahl in besonderem Maße dazu verpflichtet sind, sich Gefahren auszusetzen, ist auch ihre körperliche Unversehrtheit ein gefahrenabwehrrechtlich zu schützendes Gut. Ferner treffen den Staat als Dienstherr bezüglich seiner Beamten Fürsorgepflichten101, sodass in einem Falle, bei dem trotz einer zu erwägenden Aufstockung der Einsatzkräfte Schädigungen der Polizeibeamten in besonderem Ausmaße 97  Schoch, Notstandspflicht (Fn. 88), S. 680; ders. (Fn. 61), 2. Kap. Rn. 245; Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 4 ff.; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 73), § 9 Rn. 78. 98  Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 168. 99  Vgl. VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156, sowie Knape, Sicherheit (Fn. 20), S. 23. 100  Vgl. Jahresbericht Fußball Saison 2013 / 14 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, S. 11, abrufbar unter: https://www.polizei.nrw.de/artikel_68.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 101  Vgl. nur § 78 BBG sowie § 45 BeamtStG.

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

drohen – beispielsweise aufgrund eines entsprechenden Feindbildes auf Seiten der gewalttätigen Fans102 –, nach einer Abwägung der jeweiligen Interessen von einer solchen abgesehen und die Inanspruchnahme von Nichtstörern als alternativlos gewertet werden könnte.103 So rechtfertigt „allein das Interesse an einem ungeschmälerten Ablauf einer kommerziellen Sportveranstaltung […] es nicht, dass […] eine große Anzahl von Polizisten einer erheblichen Gefahr zum Teil schwerer Verletzungen ausgesetzt“104 wird. Abgesehen von der eventuellen Unzumutbarkeit der Gefahrenabwehr durch eigene Mittel existieren weiter schlicht faktische Grenzen der behördlichen Leistungsfähigkeit; insbesondere sind die vor Ort einsatzfähigen Beamten zahlenmäßig beschränkt und mittlerweile zumindest stellenweise nicht mehr aufstockbar. So ist es denkbar, dass für eine bestimmte Spielbegegnung, bei der mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Ausschreitungen zu erwarten sind, trotz der Nutzung jeglicher logistisch realisierbarer Amtsund Vollzugshilfe, nicht genug Einsatzkräfte verfügbar sind, um eine sichere Durchführung der Veranstaltung gewährleisten zu können – beispielsweise wenn mehrere ressourcenintensive Einsätze zugleich bewerkstelligt werden müssen.105 Eine solche kritische Situation hat sich laut Aussagen des Landesinnenministeriums in der Saison 2014 / 2015 in Nordrhein-Westfalen eingestellt. Insbesondere aufgrund des Aufstiegs zweier nordrhein-westfälischer Vereine in die erste Bundesliga müssen mehr einsatzintensive Veranstaltungen polizeilich begleitet werden als zuvor.106 Da die Behörden so viele Einsatzkräfte, wie sie für eine Wahrnehmung des Schutzauftrags auf dem bisherigen Niveau benötigt würden, nicht mehr aufbringen können, sind die Einsatzplaner in einem Pilotprojekt dazu übergegangen, die Polizeikräfte bei weni102  Vgl.

Kap. 1, C. II. 1. Möglichkeit sieht auch das VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156 und verweist auf eine in der Literatur verbreitete Meinung, nach der die Inanspruchnahme von Nichtstörern auch dann zulässig sein soll, wenn zwischen dem bei einem anderweitigen behördlichen Einschreiten entstehenden, schweren Schaden einerseits und den nur geringen Belastungen des Nichtstörers andererseits ein grobes Missverhältnis besteht (sog. unechter Notstand). Vgl. dazu auch Schenke, POR (Fn. 67), Rn. 316; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR (Fn. 73), § 9 Rn. 80 f. 104  VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156. 105  Vgl. BVerfG (K), NVwZ 2006, 1049 (1050); W. Hoffmann-Riem, Neuere Rechtsprechung des BVerfG zur Versammlungsfreiheit, in: NVwZ 2002, S. 257 (264); Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 168 f.; Schoch, Notstandspflicht (Fn. 88), S. 679. 106  So werden in Nordrhein-Westfalen in der Saison 2014 / 2015 mit 231 Spielen in den ersten drei Ligen 21 Spiele mehr ausgetragen als in der Vorsaison. 103  Diese



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen261

ger risikoreichen Spielen zu reduzieren und Schwerpunkte bei der Sicherung von Hochrisikospielen zu setzen.107 Dies steht in Einklang mit dem behördlichen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Einteilung der vorhandenen Ressourcen sowie der damit einhergehenden Festlegung des jeweiligen Schutzniveaus.108 Sind die Behörden jedoch personell in solcher Bedrängnis, dass sie ihren Schutzauftrag im Hinblick auf eine bestimmte Veranstaltung aufgrund anderer Verpflichtungen nicht mehr ausreichend erfüllen können, kann bei entsprechender Darlegung der Umstände durch die Behörden auch von einer Unmöglichkeit der zuverlässigen Gefahrenabwehr durch eigene Mittel ausgegangen werden und somit eine Inanspruchnahme von Veranstaltern sowie anderen Dritten erfolgen.109 dd) Nichtüberschreiten der Opfergrenze Weiter verbietet § 19 Abs. 1 Nr. 4 OBG als besonderer Ausdruck des Übermaßverbots eine Inanspruchnahme von Nichtstörern, wenn dies zu einer erheblichen Gefährdung selbiger oder einer Verletzung höherwertiger Pflichten führen würde und aus diesem Grund unzumutbar wäre. Zur Ermittlung einer eventuellen Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze bedarf es einer Abwägung zwischen den durch Zuschauerausschreitungen bedrohten Rechtsgütern einerseits und den Interessen des Nichtstörers, die durch dessen Inanspruchnahme gefährdet würden, andererseits.110 Dabei stehen erstere – etwa die körperliche Unversehrtheit und das Leben u. a. unbeteiligter Personen – in der Regel allein den wirtschaftlichen sowie sportlichen, durch Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 bzw. 2 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Veranstalter oder anderer Dritter gegenüber. Stellt man somit eine Abwägung zwischen den Schutzinteressen des Staates bzw. der Allgemeinheit mit den Interessen eines gegebenenfalls in Anspruch zu nehmenden Veranstalters an, ist davon auszugehen, dass diese in 107  Vgl. die Pressemitteilung des Landesinnenministeriums, abrufbar unter: http:// www.mik.nrw.de/presse-mediathek/aktuelle-meldungen/aktuelles-im-detail/news‌/ nrw-polizei-sorgt-fuer-sicherheit-beim-fussball-innenminister-ralf-jaeger-wir-wollenden-kraefte.html, zuletzt abgerufen am 20.7.2015. 108  Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 169. 109  Vgl. OVG Hamburg, NJW 2012, 1975 (1976 ff.); VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156, sowie Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 169. Vgl. weiter in Bezug auf die notstandsmäßige Inanspruchnahme von Versammlungen BVerfG (K), NJW 2001, 1411 (1412 f.), sowie Hoffmann-Riem, Versammlungsfreiheit (Fn. 105), S. 262 f. 110  Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 169; J. Vahle, in: Tegtmeyer / ders., PolG NRW (Fn. 53), § 6 Rn. 6.

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der Regel ein Übergewicht auf Seiten der Schutzgüter ergeben wird. Zwar darf der kommerzielle Charakter der Veranstaltung nicht zu dem Schluss führen, diese sei nicht schutzwürdig111, die wirtschaftlichen Interessen des Veranstalters können die Gefährdungen der zentralen Schutzgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit jedoch regelmäßig nicht aufwiegen.112 Des Weiteren kann nicht ernstlich bestritten werden, dass der Umstand der wirtschaftlichen Nutzung des für die Gefahrschaffung kausalen Zuschauerandrangs durch den Veranstalter in eine solche Wertung zumindest mit einzubeziehen ist. So stellt die wirtschaftliche Betätigung zwar eine erlaubte (allerdings einschränkbare) Grundrechtsausübung dar, es kann aber nicht von einem Überschreiten der Opfergrenze gesprochen werden, wenn ein Veranstalter, der von der entsprechenden Veranstaltung profitiert, – bei Erfüllung der restlichen engen Eingriffsvoraussetzungen des § 19 Abs. 1 OBG – für die Abwehr der in diesem Rahmen entstehenden, wenn auch nicht im gefahrenabwehrrechtlichen Sinne verursachten, Gefahren in Anspruch genommen wird.113 Auch hinsichtlich der regelmäßig von der Gefahrverursachung noch weiter entfernten Dritten wie Gaststätten- oder Kioskinhabern ergibt sich kein anderes Bild. In der Regel profitieren auch sie vom starken Zuschauerandrang einer Veranstaltung, indem sie alkoholische Getränke in größerem Umfang verkaufen können, sodass ihre Inanspruchnahme legitim erscheint. Darüber hinaus überwiegen die durch Fanausschreitungen gefährdeten Rechtsgüter typischerweise auch ihre wirtschaftlichen Interessen.114 c) Zusammenfassung Festzuhalten ist damit, dass Veranstalter und andere Dritte allein als Nichtstörer zur Abwehr der im Zusammenhang mit Fußballgroßveranstaltungen entstehenden Gefahren in Anspruch genommen werden können. 111  So ausdrücklich OVG Hamburg, NJW 2012, 1975 (1978), sowie weiter Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 5. 112  Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 169. 113  Dabei läuft die Einbeziehung der wirtschaftlichen Nutzenziehung durch den Nichtstörer in die Interessenabwägung nicht auf eine mittelbare Anerkennung der Figur des Zweckveranlassers hinaus. Schließlich wird nicht von einem kausalen, aber mittelbaren Verursachungsbeitrag auf die Störereigenschaft geschlossen. Vielmehr wird anhand der engen Voraussetzungen des § 19 OBG überprüft, ob es in Ansehung der unzulänglichen Gefahrbeseitigungsmöglichkeiten auf Seiten der Behörden ausnahmsweise gerechtfertigt ist, den Veranstalter als Nichtstörer in Anspruch zu nehmen. Die Einbeziehung der Nutzenziehung durch den Veranstalter einer gefahrträchtigen Fußballveranstaltung als Argument gegen den Ausschluss über § 19 Abs. 1 Nr. 4 OBG erscheint dabei nur interessengerecht. 114  Vgl. die Ausführungen des VG Düsseldorf, KommJur 2010, 198 (199).



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen263

Dabei muss eine Adressierung von Vereinen, Stadionbetreibern etc. in Ansehung der gegenüber den Eingriffsvoraussetzungen der Befugnisnormen aus § 14 Abs. 1 OBG sowie § 19 GastG gesteigerten Eingriffsschwelle des § 19 Abs. 1 OBG allerdings grundsätzlich der Bewältigung von Risikospielen vorbehalten bleiben. Des Weiteren tragen die handelnden Behörden die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Unmöglichkeit der zuverlässigen Gefahrenabwehr durch die vorrangige Inanspruchnahme etwaiger Störer sowie generell durch eigene Mittel.

II. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in typischen Fällen unter Berücksichtigung des Kooperationsprinzips im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht Die nach den obigen Erläuterungen grundsätzlich mögliche Inanspruchnahme der Adressaten als Nichtstörer muss sich im einzelnen Falle als ermessensfehlerfrei, insbesondere als verhältnismäßig erweisen (vgl. §§ 15 f. OBG). Diesbezüglich ist voranzustellen, dass die engen tatbestandlichen Voraussetzungen der Nichtstörerregelungen große Teile der Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit bzw. Ermessensfehlerfreiheit der Maßnahmen vorwegnehmen. So sind beispielsweise die Möglichkeiten der Adressatenauswahl durch die bereits im Vorhinein festzustellende Alternativlosigkeit der Inanspruchnahme eines Nichtstörers beschränkt. Zu treffen bliebe eine solche lediglich, sofern die Gefahr durch mehrere Notstandspflichtige beseitigt werden könnte. Des Weiteren sind die Ordnungsbehörden in Ansehung des vorrangigen Vorgehens gegen die Störer gehalten, die Gefahr primär durch zuschauerorientierte Maßnahmen einzudämmen und die hier in Rede stehenden Maßnahmen in der Regel allein additiv in den Fällen anzuwenden, in denen die behördeneigene Gefahrenabwehr keinen Erfolg verspricht. Weiter ist im Rahmen der Interessenabwägung als Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung bezüglich der gefahrenabwehrrechtlichen Adressierung der Veranstalter das zwischen diesen und den handelnden Behörden bestehende und zu fördernde sowie bereits unter Kap. 2, A. erläuterte Kooperationsverhältnis einzubeziehen. So sind die vielschichtigen, bei der Bewältigung gefahrträchtiger Sportgroßveranstaltungen kollidierenden Interessen der Beteiligten vorzugsweise durch ein kooperatives Zusammenwirken der Akteure in Ausgleich zu bringen115; schließlich resultieren die staatlichen 115  Vertiefend zum Kooperationsprinzip Deusch, Gefahrenabwehr (Fn.  8), S. 152 f., der dabei den Appell des Bundesverfassungsgerichts aus dem Brokdorf-

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

Schutzpflichten im Hinblick auf die grundrechtlichen Interessen des Veranstalters in dem Erfordernis, ein möglichst schonendes Sicherheitskonzept zu entwickeln, welches neben dem Schutz der öffentlichen Sicherheit nach Möglichkeit auch eine ungestörte Durchführung der Veranstaltung gewährleistet.116 Dabei haben die Sicherheitsbehörden beim Versuch, „eine insgesamt friedliche Veranstaltung zu schaffen und die entschlossenen Gewalttäter zu isolieren [,] […] die Bereitschaft des Veranstalters zu einer konstruktiven Zusammenarbeit gegen gewaltsame Ausschreitungen zu begünstigen. Je erfolgreicher und enger die vorangegangene Zusammenarbeit war, desto mehr sind die hieraus entstandenen Erfahrungswerte zu berücksichtigen.“117 Die Gefahrenabwehrbehörden unterliegen somit der Pflicht zur Kooperation mit den Veranstaltern, welche sie als besondere Ausformung des Übermaßverbotes dazu zwingt, bei der Ausübung des Auswahlermessens bezüglich der Mittel zunächst solche der kooperativen Gefahrbeseitigung auszuschöpfen, bevor eine gefahrenabwehrrechtliche Inpflichtnahme erfolgt; sei es weil etwaige, in Absprache mit den Sicherheitsbehörden durch den Veranstalter zu treffende Maßnahmen keinen Erfolg versprechen oder dieser zur Mithilfe bei der Gefahrenabwehr – die auf Seiten des Veranstalters ohne gesetzliche Regelung lediglich eine Obliegenheit, keine Rechtspflicht darstellt118 – nicht bereit ist.119 In der Konsequenz führt das Kooperationsprinzip im Gefahrenabwehrrecht damit insbesondere bei komplexen Interessenlagen zu einer ansteigenden Eingriffsschwelle im Hinblick auf das Vorgehen gegenüber kooperativen Störern oder Nichtstörern.120

Beschluss, welcher Veranstalter von Versammlungen und Sicherheitsbehörden zur Kooperation aufruft, um die Durchführung gewaltloser Versammlungen sicherzustellen (BVerfGE 69, 315 [354 ff.]), auf das allgemeine Polizeirecht überträgt. 116  Vgl. die ausführliche Darstellung von Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 148 ff. Das Bundesverfassungsgericht wählte demgegenüber einen anderen Ansatz zur Begründung des Kooperationsprinzips und verstand dieses als Bestandteil der „den Grundrechtsschutz effektuierende[n] Organisations- und Verfahrensgestaltung“, schloss den Begründungsansatz grundrechtlicher Schutzpflichten dabei jedoch nicht aus, BVerfGE 69, 315 (355). 117  Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 154. 118  Vgl. BVerfGE 69, 315 (357). 119  Deusch, Gefahrenabwehr (Fn.  8), S. 154. Mit Bezug auf Versammlungen BVerfGE 69, 315 (356), sowie M. Kniesel, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Entwicklungen des Versammlungsrechts seit 1996, in: NJW 2000, S. 2857 (2863). 120  Vgl. BVerfGE 69, 315 (357); Deusch, Gefahrenabwehr (Fn. 8), S. 154.



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen265

1. „Fan-Aussperrungen“ Sind die engen tatbestandlichen Voraussetzungen der Befugnisnormen der §§ 14 Abs. 1 i. V. m. 19 Abs. 1 OBG erfüllt, werden sich Fan-Aussperrungen – zumindest von Gästefans – nach dem vorstehend Gesagten regelmäßig auch auf der Rechtsfolgenebene als rechtmäßig erweisen, sofern alle ersichtlichen Möglichkeiten der kooperativen Gefahrbeseitigung ausgeschöpft wurden. Zwar ist die Eignung der Maßnahme aufgrund der Tatsache, dass gewaltbereite Anhänger des jeweiligen Gastvereins einer Spielbegegnung auch ohne Eintrittskarten zum Austragungsort reisen können, beschränkt, dennoch wird sie im Regelfall zu einer zahlenmäßigen Reduktion rivalisierender Fans am Spielort und somit von Auseinandersetzungen führen.121 Gegenteiliges wäre allein dann anzunehmen, wenn sich in der Vergangenheit etwa gezeigt hätte, dass eine solche Maßnahme gerade eine vermehrte Anreise gewalttätiger Fans provozieren würde. Weiter muss in Ansehung der verschiedenen Intensitätsstufen denkbarer Fan-Aussperrungen – von der bloßen Verringerung des Gästekartenkontingents über die Aussprache eines gänzlichen Verbots der Kartenabgabe an den Gastverein bis hin zur Anordnung eines Geisterspiels – eine zur Bekämpfung der Gefahr erforderliche und angemessene Maßnahme getroffen werden. Bezüglich letzterer ist allerdings bereits an dieser Stelle anzumerken, dass die bisher rein hypothetische hoheitliche Anordnung eines Geisterspiels für die Zweckerreichung – der Vermeidung von Auseinandersetzungen rivalisierender Fanlager – nicht notwendig, wenn nicht sogar hinderlich erscheint. So müsste es den Einsatzkräften doch leichter fallen, besonders Drittortauseinandersetzungen zu verhindern, wenn die Anhängerschaft des Heimvereins die Spielbegegnung – nach der milderen Maßnahme der bloßen Aussperrung der Gästefans – im Stadion allein verfolgt und somit für die Dauer der Veranstaltung wirkungsvoll von etwaig angereisten Gästefans getrennt ist. Die Vornahme einer nach den obigen Gesichtspunkten auf die Gefahrensituation abgestimmten Fan-Aussperrung dürfte sich sodann – vorbehaltlich etwaiger besonderer Umstände des Einzelfalls – regelmäßig auch als verhältnismäßig im engeren Sinne darstellen. So überwiegen die durch Fanausschreitungen bedrohten Schutzgüter nach dem unter Kap. 4 B. I. 2. b) dd) Gesagten regelmäßig die bloß kommerziellen sowie sportlichen Interessen des Veranstalters, wobei zu bemerken ist, dass dem Veranstalter bei einer 121  So auch VG Hamburg, Beschluss v. 2.4.2012 – 15 E 756 / 12, BeckRS 2012, 55156. Zweifel äußert diesbezüglich Behnsen, Fan-Aussperrungen (Fn. 1), S. 6.

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

allein auf das Gästekartenkontingent bezogenen Maßnahme der anderweitige Verkauf der betroffenen Eintrittskarten weiterhin möglich ist. Es ist jedoch noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Maßnahme der Fan-Aussperrung trotz ihrer grundsätzlichen Möglichkeit ihren Ausnahmecharakter nicht verlieren darf und die Behörden primär auf die eigene Gefahrenabwehr durch ein Vorgehen gegen die Gewalttäter selbst sowie auf das Mittel der Kooperation setzen müssen. 2. Der personalisierte Kartenverkauf Ähnlich wie bei Fan-Aussperrungen verhält es sich bei der Auflage der Ordnungsbehörden, Eintrittskarten ausschließlich personalisiert zu verkaufen. So ist die Maßnahme geeignet, gewaltbereite Zuschauer zu deanonymisieren und vom Besuch der Veranstaltung abzuschrecken. Auch erscheint der vergleichsweise wenig intensive Eingriff in die zwar grundrechtlich geschützten, wirtschaftlichen und sportlichen Interessen des Veranstalters in Ansehung der hochwertigen Schutzgüter des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit sowie des Eigentums, deren Verletzung durch Fanausschreitungen droht, verhältnismäßig. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass von der Maßnahme neben den verpflichteten Veranstaltern – wenn auch nur mittelbar – zusätzlich die friedlichen Zuschauer negativ in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen sind. Gleichzeitig dient die Maßnahme, welche erhebliche Präventionschancen birgt, jedoch nicht zuletzt dem Schutz gerade dieser Zuschauer, die auch als Unbeteiligte nicht selten von den Ausschreitungen gewalttätiger Fans betroffen sind. Die Verpflichtung des Veranstalters, die Eintrittskarten personalisiert zu verkaufen, kann damit, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen der Befugnisnormen erfüllt sowie alle ersichtlichen kooperativen Maßnahmen ausgeschöpft sind, typischerweise für rechtmäßig erachtet werden. 3. Spielortverlegungen und Spielverbot Auch die hoheitliche Vornahme einer Spielortverlegung oder die Aussprache eines Spielverbotes sind bei Erfüllung der oben erläuterten tatbestandlichen Voraussetzungen grundsätzlich möglich. In Ansehung der extremen Eingriffsintensität beider Maßnahmen erscheint ihre Rechtfertigung auf der Rechtsfolgenebene allerdings fraglich. So sind vorrangig – neben der ohnehin prioritären Inanspruchnahme der Gewalttäter selbst – alle anderen hier angesprochenen kooperativen und hoheitlichen Mittel zu ergrei-



B. Die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Maßnahmen267

fen, um die im Rahmen von Fußballgroßveranstaltungen drohenden Gefahren abzuwehren. Allein wenn die gefahrenabwehrrechtliche Bewältigung der Veranstaltung auch bei Ausschöpfung aller verfügbaren Mittel nicht bewerkstelligt werden kann, kann auf die in Deutschland bisher allein in der Theorie existierenden Instrumente der Spielortverlegung sowie des Spielverbots zurückgegriffen werden. 4. Alkoholausschankverbote und -beschränkungen Die Aussprache von Alkoholausschankverboten bzw. entsprechenden Beschränkungen auf Getränke mit geringem Alkoholgehalt im Rahmen von Fußballveranstaltungen bezwecken die Unterbindung des übermäßigen Alkoholkonsums durch im alkoholisierten Zustand potenziell in erhöhtem Maße gewaltgeneigte Zuschauer. In der Vergangenheit wurden in Bezug auf Alkoholverbotsverordnungen Zweifel hinsichtlich ihrer Geeignetheit zur Eindämmung gewalttätigen Verhaltens geäußert, da nicht abschließend geklärt sei, ob tatsächlich ein Wirkungszusammenhang zwischen dem Konsum von Alkohol und einer gesteigerten Aggressivität und Gewaltgeneigtheit bestehe. So widerspreche die Annahme, dass Alkoholkonsum generell zu Aggressivität führe, schon der allgemeinen Lebenserfahrung. Vielmehr hänge „es von den äußeren Umständen, den individuellen Gegebenheiten und Befindlichkeiten sowie den situativen Einflüssen ab, welche Wirkungen der Alkoholgenuss beim Einzelnen zeigt.“122 Auch die kriminologische Forschung stellt eine kausale Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Gewaltdelinquenz in Frage und hält das Bestehen eines bloßen Schein-Zusammenhangs für möglich.123 Allerdings gehen zum Teil auch die gegenüber Alkoholverbotsverordnungen kritischen Stimmen davon aus, dass gefahrschaffendes Verhalten durch Alkoholgenuss zumindest begünstigt werde.124 Des Weiteren bestreiten die mit der Zulässigkeit von Alkoholverbotsverordnungen befassten Gerichte allein die abstrakte Gefährlichkeit des Alkoholkonsums an sich, welche zur Rechtfertigung von Alkoholverbotsverordnungen durch die Ordnungsbehörden in der Vergangenheit herangezogen wurde.125 Wie bereits unter Kap. 4, B. I. 1. dargestellt, steht das Vorliegen einer unmittelbar durch den Aus122  VGH Mannheim, NVwZ-RR 2010, 55 (57). Vgl. auch die kritischen Anmerkungen von Hecker, Alkoholkonsumverbote (Fn. 26), S. 1016 f. 123  H.-D. Schwind, Kriminologie, 22. Aufl. 2013, § 26 Rn. 30 f. 124  So etwa der VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101 (104). 125  VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101 (102 ff.); VGH Mannheim, NVwZ-RR 2010, 55 (56 ff.).

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

schank oder den Konsum alkoholischer Getränke geschaffenen, konkreten Gefahr bei der rechtlichen Überprüfung einzelfallbezogener Alkoholausschankverbote oder -beschränkungen hingegen gar nicht zur Debatte. Da diese allein im Zusammenhang mit konkreten Fußballveranstaltungen, bei denen Fanausschreitung mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen, ergehen, stellen vielmehr die fraglichen Veranstaltungen selbst die Gefahr dar. Dass die Unsicherheiten im Hinblick auf einen hinreichend nachgewiesenen, generellen Kausalzusammenhang zwischen dem Genuss alkoholischer Getränke und einer gesteigerten Gewaltgeneigtheit – nach Ansicht der erkennenden Gerichte – der Begründung einer Gefahrschaffung durch das Konsumieren von Alkohol als solches entgegen stehen, muss sodann nicht gleichbedeutend mit der Ungeeignetheit eines einzelfallbezogenen Ausschankverbotes bzw. einer Beschränkung zur Abwehr fußballbezogener Gefahren sein. So können die Ordnungsbehörden aus entsprechenden in der Vergangenheit mit der betroffenen Fanszene gemachten Erfahrungen sehr wohl den vertretbaren Schluss ziehen, dass ein erhöhter Alkoholkonsum der Zuschauer zur Enthemmung führen und die Teilnahme an Fanausschreitungen begünstigen wird.126 Auch kann in einem solchen Falle der Umstand des eventuell immensen Vorkonsums mitgebrachter alkoholischer Getränke durch die Fans während der Anreise nicht zur Ungeeignetheit der Maßnahme führen, da diese zumindest ein probates Mittel ist, die Aufrechterhaltung einer starken Alkoholisierung durch fortlaufenden Alkoholkonsum zu unterbinden.127 Damit kann die Maßnahme des Alkoholausschankverbotes bzw. der Beschränkung im Hinblick auf den Alkoholgehalt auszugebender Getränke – beim Vorliegen entsprechender Erfahrungswerte, die im konkreten Einzelfall auf einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Genuss von Alkohol und der Bereitschaft zur Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen zumindest hinweisen – auch als geeignet angesehen werden. Hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit und Angemessenheit muss zudem eine der Gefahrenlage entsprechend ausgestaltete Maßnahme gewählt werden. So wird sich beispielsweise die Aussprache eines konkret-individuellen Ausschankverbotes gegenüber einer bestimmten, bekanntermaßen von gewaltbereiten Zuschauern im Rahmen von Fußballveranstaltungen aufgesuchten Gaststätte, in deren unmittelbarem Umfeld es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen den alkoholisierten Gästen und anderen Zuschauern gekommen ist, regelmäßig als verhältnismäßig erweisen; die grundrechtlich 126  Vgl. VGH Mannheim, NJW 2005, 238 f., sowie VG Düsseldorf, KommJur 2010, 198. 127  Vgl. Winkelmüller / Misera, Alkoholverbote (Fn. 26), S. 263.



C. Zusammenfassung269

geschützten Interessen des Gastwirts (sowie der betroffenen Zuschauer) werden die gefahrenabwehrrechtlich zu schützenden Rechtsgütern also in der Regel nicht aufwiegen.128 Ebenso verhält es sich bei der behördlichen Anordnung gegenüber dem Veranstalter eines nach den obigen Kriterien als solches zu wertenden Risikospiels, im Stadion nur Leichtbier auszuschenken. Problematischer stellen sich demgegenüber umfassende Alkoholausschank- und -verkaufsverbote in Form von Allgemeinverfügungen dar, welche den Ausschank bzw. den Verkauf alkoholischer Getränke in einem abgesteckten Bereich für einen bestimmten Zeitraum konkret-generell verbieten. Eine solche „Tabuisierung“ jeglichen Alkohols – wenn auch zeitlich und räumlich beschränkt – dürfte aufgrund ihrer Streubreite gänzlich Unbeteiligte regelmäßig über die Maßen in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG belasten und damit als unzulässig zu werten sein.129 Beschränken sich die Ordnungsbehörden jedoch darauf, das Mittel des Alkoholausschankverbotes bzw. entsprechende Beschränkungen allein in konkret-individueller Weise und nur bei Risikospielen anzuwenden, bei denen nach den bisherigen Erfahrungen in vertretbarer Weise davon ausgegangen werden kann, dass der übermäßige Alkoholkonsum Fanausschreitungen begünstigen wird, wird dieses regelmäßig nicht zu beanstanden sein.

C. Zusammenfassung Für dieses Kapitel lässt sich festhalten, dass Maßnahmen zur Eindämmung fußballbezogener Gewalt gegenüber Vereinen, Stadionbetreibern und anderen Dritten allein auf Grundlage der gefahrenabwehrrechtlichen Nichtstörerregelungen in Betracht kommen. Sofern die engen Eingriffsvoraussetzungen dieser im Einzelfall erfüllt sind, wird sich die praktische Anwendung des Großteils der in diesem Kapitel behandelten, für die Einsatzbehörden bei Hochrisikospielen im Zweifelsfall unverzichtbaren Maßnahmen regelmäßig auch auf der Rechtsfolgenebene als verhältnismäßig erweisen. In Bezug auf ihre Verhältnismäßigkeit problematisch zeigten sich indes die Anordnung eines Geisterspiels sowie eines Alkoholausschank- sowie gegebenenfalls Konsumverbotes per Allgemeinverfügung. 128  Vgl. VGH Mannheim, NJW 2005, 238 f., sowie – auf eine Allgemeinverfügung bezogen – VG Düsseldorf, KommJur 2010, 198 f. 129  Vgl. die kritischen Anmerkungen von Ruder zum Beschluss des VG Düsseldorf, KommJur 2010, 198 (200).

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Kap. 4: Ordnungsbehördliche Maßnahmen gegenüber Dritten

Des Weiteren sind die bisher rein hypothetischen Maßnahmen der Spielortverlegung und des Spielverbots, wenn auch theoretisch zulässig, der Bewältigung absoluter Ausnahmesituationen vorbehalten. Abschließend bleibt noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Inanspruchnahme von Nichtstörern trotz ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit ein sparsam anzuwendendes Instrument bleiben muss, welches seinen Ausnahmecharakter nicht durch übermäßigen Einsatz verlieren darf. So verbietet sich die pauschale Annahme, die kommerziellen Interessen von Veranstaltern, Gaststättenbetreibern etc. seien kaum schutzwürdig oder die Behörden verfügten nicht mehr über genügend Mittel, um der Gefahren Herr zu werden.

Zusammenfassung Abschließend sollen die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst werden. Zu den gesellschaftlichen Hintergründen fußballbezogener Gewalt: 1. Gewalt im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen ist ein historisch gewachsenes Phänomen, welches mit der Zeit seinen Charakter von einer „heißen Gewalt“, die aus der Hitze des Gefechts entstand, hin zur kalkulierten „kalten Gewalt“ der Hooligans veränderte und sich mit dem Aufkommen der Ultras wieder zurückentwickelte. 2. Die im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen steigenden Zahlen im Hinblick auf Verletzungsopfer, eingeleitete Strafverfahren sowie polizeiliche Einsatzstunden lassen auf ein quantitatives Anwachsen der Gewalt schließen. Die zur selben Zeit konstanten Störerzahlen legen zudem eine qualitative Steigerung nahe. 3. Die für die Hooliganszene prägende Gewalt hat einen Selbstzweck. Sie wird aus Abenteuerlust sowie einem Stimulationsbedürfnis heraus ausgeübt. Demgegenüber ist die Gewalt der Ultras durch ihren instrumentellen, emotionalen und situativen Charakter gekennzeichnet. 4. Die populären soziologischen und psychologischen Erklärungsansätze für fußballbezogene Gewalt können allein in ihrer Zusammenschau Hinweise auf die unter Fußballanhängern verbreitete Gewaltdelinquenz liefern. 5. Als mit gewalttätigem Zuschauerverhalten korrelierende personen- und umweltbezogene Risikofaktoren konnten ausgemacht werden: ein zerrüttetes sowie gegebenenfalls gewalttätiges familiäres Umfeld, soziale Desintegration, Frustration, Langeweile, ein hoher Grad an Aggressivität und Erregbarkeit im Normalzustand, ein großes Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit, Alkohol- sowie anderer Drogenmissbrauch, Massensituationen, eine aggressive Grundstimmung im Stadion und ein für unverhältnismäßig befundenes Polizeihandeln. Zu den behandelten informationellen zuschauerorientierten Maßnahmen der Polizei: 6. Jegliche in dieser Arbeit behandelte Datenerhebungs- und Verarbeitungsmaßnahmen der Polizei sind als Eingriffe in die informationelle Selbst-

272 Zusammenfassung



bestimmung des Betroffenen zu werten. Erfolgen sie auf Grundlage der Datenerhebungs- bzw. Datenverarbeitungsgeneralklauseln aus § 9 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 3 S. 2 PolG bzw. § 24 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 S. 1 PolG oder aber in Form einer Befragung gem. § 9 Abs. 1 S. 1 PolG im Veranstaltungsvorfeld durch szenekundige Beamte oder aber am Spieltag selbst, sind sie in Ansehung der im Bereich der Gefahrenvorsorge vorherrschenden niedrigen Eingriffsvoraussetzungen – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – rechtlich typischerweise nicht zu beanstanden.

 7. Die Datenspeicherung und -übermittlung im Rahmen der Datei „Gewalttäter Sport“ verfügt mit § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, 2, 4, 5, 6, § 9 BKAG i. V. m. der BKA-Daten-Verordnung sowie §§ 24 Abs. 1, 27 Abs. 1 S. 1 PolG nunmehr über eine ausreichende Rechtsgrundlage. Ein Datenabgleich mit der Datei kann auf Grundlage von § 25 Abs. 1 PolG geschehen. Allerdings stellt sich der Rechtschutz der Betroffenen im Hinblick auf die mangelnde Regelung einer behördlichen Benachrichtigungspflicht für den Fall der Aufnahme in die Datei als mangelhaft dar. Vorbehaltlich einer entsprechenden Nachbesserung kann die Datenverarbeitung mittels der Datei „Gewalttäter Sport“ beim Vorliegen der tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen jedoch regelmäßig als verhältnismäßig gewertet werden.   8. Identitätsfeststellungen können im Rahmen gefahrträchtiger Fußballveranstaltungen besonders auf Grundlage von § 12 Abs. 1 Nr. 1 und 2a PolG erfolgen. Während § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG dem Bereich der Gefahrenvorsorge zuzurechnen und eine darauf basierende Identitätsfeststellung damit nur von geringen Eingriffsvoraussetzungen abhängig ist, bedarf es zur Vornahme einer solchen auf Grundlage von § 12 Abs. 1 Nr. 1 PolG der Prognose einer konkreten Gefahr. Sofern die jeweiligen tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen erfüllt sind, wird die Maßnahme, vorbehaltlich etwaiger besonderer Umstände im Einzelfall, in der Regel auch als verhältnismäßig zu qualifizieren sein.   9. Die Maßnahme der kurzfristigen Observation eines potenziell gewalttätigen Fans gem. § 16a Abs. 4 PolG ist ebenfalls dem Bereich der Gefahrenvorsorge zuzuordnen. Sie kann damit bereits beim Vorliegen einer abstrakten Gefahr ergriffen werden und wird in der Praxis regelmäßig rechtlich nicht zu beanstanden sein. 10. Sowohl Videobeobachtungen als auch Videoaufzeichnungen in Form von Nah- sowie Übersichtsaufnahmen können ebenfalls als Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen gewertet werden. Alle Formen der Videoüberwachung verfügen im Problembereich fußballbezogener Gewalt insbesonders mit § 15 Abs. 1 S. 1 PolG über eine

Zusammenfassung273

gesetzliche Grundlage und stellen sich beim Vorliegen der tatbestand­ lichen Voraussetzungen grundsätzlich als rechtmäßig dar. 11. Unzulässig ist mangels rechtlicher Grundlage die bislang rein hypothetische Maßnahme der biometrischen Gesichtserkennung. Zu den behandelten aktionellen zuschauerorientierten Maßnahmen der Polizei: 12. Die Durchführung einer Gefährderansprache gegenüber einem potenziell gewaltbereiten Fußballfan stellt regelmäßig einen Eingriff in die Meinungsfreiheit und, sofern im Beisein Dritter erfolgend, eine Beeinträchtigung des Rechts der persönlichen Ehre dar. Die Maßnahme verfügt mit der polizeilichen Generalklausel aus § 8 Abs. 1 PolG dem Grunde nach über eine ausreichende Rechtsgrundlage. Aus rechtspraktischer Sicht wäre es jedoch ratsam, eine spezielle Befugnisnorm im Bereich des Rechts der Gefahrenvorsorge zu schaffen. Sodann wäre die Vornahme einer Gefährderansprache beim Vorliegen der entsprechend geringen Eingriffsvoraussetzungen – vorbehaltlich besonderer Umstände im Einzelfall – regelmäßig auch als verhältnismäßig anzusehen. 13. Das Aussprechen einer Meldeauflage gegenüber einem Fußballfan ist als Eingriff in die Freizügigkeit zu werten, sofern durch diese eine durch Art. 11 Abs. 1 GG geschützte Aufenthaltsnahme, welche auch in einem für den Betroffenen bedeutsamen Besuch einer Fußballveranstaltung bestehen kann, unterbunden wird. Ebenso liegt regelmäßig ein Eingriff in das Recht auf Meinungsfreiheit vor. Mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz verfügt kein weiteres Bundesland über eine Standardbefugnis für die Meldeauflage und damit über keine ausreichende Rechtsgrundlage. Der Gesetzgeber ist insofern aufgefordert, eine entsprechende Regelung zu erlassen. 14. Aufenthaltsverbote stellen grundsätzlich, Platzverweise unter denselben Voraussetzungen wie die Meldeauflage Eingriffe in das Recht der Freizügigkeit dar. Während in Bayern eine aus gesetzessystematischer und verfassungsrechtlicher Sicht notwendige Standardmaßnahme zur Aussprache eines Aufenthaltsverbotes fehlt, ist die praktische Anwendung der Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen auf Grundlage von § 34 PolG sowie entsprechenden Regelungen in den anderen Ländern, vorbehaltlich der Erfüllung der Eingriffsvoraussetzungen sowie besonderer Umstände im Einzelfall, typischerweise rechtlich nicht zu beanstanden. 15. Eine Ingewahrsamnahme kommt im Problembereich fußballbezogener Gewalt insbesondere am Spieltag selbst als Unterbindungsgewahrsam gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG in Betracht. Dabei sind die engen tatbe-

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standlichen Voraussetzungen der Befugnisnorm, die Bestimmungen der §§ 36 bis 38 PolG sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einzuhalten. 16. Die Abmarschverzögerung von Fanblöcken ist ebenfalls als Freiheitsentziehung und damit als Ingewahrsamnahme i. S. v. § 35 PolG zu werten. Dabei scheidet zwar die Vornahme eines Unterbindungsgewahrsams gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG in Ermangelung der Verantwortlichkeit aller Adressaten aus, die Maßnahme kann jedoch als Schutzgewahrsam nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG gerechtfertigt sein. Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der betroffenen Fans im Hinblick auf die von Zuschauerausschreitungen ausgehenden Gefahren ist abzulehnen. 17. Die Maßnahme des Verbringungsgewahrsams ist als Eingriff in die Freiheit der Person sowie zumindest nach dem Absetzen am Verbringungsort regelmäßig als Eingriff in die Freizügigkeit zu werten. Mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage sowie praktischer Notwendigkeit sollte von diesem Instrument in der Praxis Abstand genommen werden. 18. Die einschließende Begleitung von Fangruppen stellt einen Eingriff in die Freiheit der Person in Form einer Freiheitsbeschränkung dar, welche auf die polizeiliche Generalklausel gem. § 8 Abs. 1 PolG gestützt werden kann. Vorbehaltlich des Vorliegens der Eingriffsvoraussetzungen dieser und der Nichtstörerregelungen im Hinblick auf den friedlichen Teil der eingeschlossenen Fans sowie einer angemessenen Behandlung der Betroffenen während der Aufrechterhaltung der Maßnahme, wird diese im Regelfall als gerechtfertigt angesehen werden können. 19. Gemäß § 43 Nr. 1 PolG können gefährliche Gegenstände zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr sichergestellt werden. Praktische Probleme bereitet die damit erforderliche Gefahrprognose bei zwar objektiv ungefährlichen Gegenständen, welche zweckentfremdet jedoch eine Gefahr darstellen können. In einem solchen Fall muss die Gefahrprognose auch eine entsprechende Verwendungsabsicht des Inhabers der tatsächlichen Sachherrschaft hinreichend wahrscheinlich vorhersagen. 20. Eine Durchsuchung von Personen und Sachen, die das Auffinden sicherstellungsfähiger Sachen bezweckt, kann gem. §§ 39 Abs. 1 Nr. 2, 40 Abs. 1 Nr. 3 PolG bei Vorliegen eines konkreten Gefahrverdachts erfolgen. Verdachtsunabhängige Durchsuchungen sind damit unzulässig. Sind die Eingriffsvoraussetzungen jedoch erfüllt, wird sich die Maßnahme typischerweise als rechtmäßig erweisen. 21. Mit Entkleiden verbundene Durchsuchungen, beispielsweise zum Auffinden von Pyrotechnik, können nicht auf § 39 Abs. 1 Nr. 2 PolG gestützt werden.

Zusammenfassung275

Zu den ordnungsbehördlichen Maßnahmen gegenüber Dritten: 22. Veranstalter gefahrträchtiger Fußballspiele sowie andere Dritte sind mangels Zulässigkeit der Rechtsfigur des Zweckveranlassers nicht im gefahrenabwehrrechtlichen Sinne verantwortlich für die durch gewalttätige Zuschauerausschreitungen geschaffenen Gefahren. 23. Das ordnungsbehördliche Verbot gegenüber einem Verein, ein Kartenkontingent an den Gastverein abzugeben bzw. eine Limitierung desselben, ist auf Grundlage der Generalklausel aus § 14 Abs. 1 OBG grundsätzlich zulässig. Voraussetzung ist insbesondere das durch die Behörden darzulegende Bestehen einer Notstandspflicht des betroffenen Vereins. Die hoheitliche Auferlegung eines Geisterspiels erscheint zur Zweckförderung – der Unterbindung von Fanausschreitungen – indes weder geeignet noch erforderlich. 24. Die Anordnung, allein personalisierte Eintrittskarten zu verkaufen, kann dem Grunde nach, ebenfalls gestützt auf die ordnungsbehördliche Generalklausel, erfolgen. Notwendig ist wiederum besonders die Erfüllung der Voraussetzungen zur Inanspruchnahme von Nichtstörern. 25. Die bislang rein hypothetischen ordnungsbehördlichen Mittel der Spielortverlegung bzw. des Spielverbotes sind auf Grundlage der Generalklausel sowie der Nichtstörerregelungen zwar möglich, in Ansehung ihrer besonderen Eingriffsintensität jedoch absoluten Ausnahmefällen vorbehalten. 26. Alkoholausschankverbote und -beschränkungen können mit Bezug auf eine bestimmte Fußballveranstaltung sowie beispielsweise eine bestimmte Gaststätte bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen grundsätzlich gem. § 19 bzw. § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG in rechtmäßiger Weise ergehen. Als problematisch stellt sich jedoch die Anordnung eines auf ein bestimmtes Gebiet bezogenen Ausschank- bzw. Verkaufsverbotes in Gestalt einer Allgemeinverfügung dar.

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Sachverzeichnis Abmarschverzögerung  112, 199 –– als Freiheitsentziehung  112 –– als Ingewahrsamnahme  114, 199 Aggressionstheorien  45, 52 –– behavioristische Lerntheorie  46, 53 –– Frustrations-Aggressions-Hypothese  45, 52 –– Katharsis-These  45, 52 Alkoholausschankverbote  242, 267 allgemeines Persönlichkeitsrecht  79 Aufenthaltsverbot  94, 193 –– Bayern  146, 163 –– Freiheit der Person  96 –– Freizügigkeit  95 –– Meinungsfreiheit  95 Befragung  72, 99, 230 –– Grundrechtseingriff  99 Bestimmtheitsgebot  150, 222 biometrische Gesichtserkennung  108 Datei „Gewalttäter Sport“  61, 72, 220 –– Datenabgleich  77, 235 –– Datenspeicherung und -übermittlung  76, 233 Datenerhebungsgeneralklausel  72, 228 Deanonymisierung  70, 78 Drittortauseinandersetzungen  34 Durchsuchung  109, 205 –– Ganzkörperkontrollen  109, 206 einschließende Begleitung  120, 202 –– Freiheit der Person  120 –– Rechtsgrundlage  122 Fan-Aussperrungen  238, 265 Freiheit der Person  91, 96 –– Freiheitsentziehung  112 Freizügigkeit  87, 111

Gefahrbegriffe –– abstrakte Gefahr  208, 214, 225 –– Gefahrverdacht  177 –– gegenwärtige und erhebliche Gefahr  254 –– konkrete Gefahr  173, 174 Gefährderansprache  78, 190 –– allgemeine Handlungsfreiheit  79 –– allgemeines Persönlichkeitsrecht  79 –– Grundrechtseingriff  83 –– Meinungsfreiheit  83 –– Recht der persönlichen Ehre  85 –– Rechtsgrundlage  85, 140, 159, 191 –– Versammlungsfreiheit  78 Gefahrenvorbeugung  70, 207, 213, 218 –– abgesenkte Eingriffsschwelle  214 –– Streubreite  217 Gefahrprognose  183, 245 Generalklausel  124 Grundsätze der Datenerhebung  180 Hooliganismus  24, 25, 33 –– Ehrenkodex  34 –– Feindbilder  56 –– Gewaltverhalten  33, 34 –– Gruppenstruktur  36 –– Ost-West-Unterschiede  44 –– Rechtsradikalität  35 –– Wertekatalog  33 Identitätsfeststellung  101, 187, 231 Individualisierungsthese  49 –– Entwertungsthese  49, 50, 57 Ingewahrsamnahme  97, 111, 197 –– Freizügigkeit  111 –– Richtervorbehalt  112 Kategorisierung von Zuschauern  31, 32 –– erlebnisorientierte Fans  31

290 Sachverzeichnis –– fußballzentrierte Fans  31 –– konsumorientierte Fans  31 Kooperationsmodell  65, 263 kurzfristige Observation  102, 230 Kuttenfans  23, 26 massenpsychologische Ansätze  47 –– Deindividuationsannahme  47, 54 Meldeauflage  86, 193 –– allgemeine Handlungsfreiheit  87 –– Freiheit der Person  91 –– Freizügigkeit  87 –– Meinungsfreiheit  91 –– Rechtsgrundlage  92, 140, 160, 164 –– und Passbeschränkungen  143 Nationales Konzept Sport und Sicherheit  60 personalisierter Kartenverkauf  240, 266 Platzverweis  94, 110, 196 –– Freiheit der Person  96 –– Freizügigkeit  95 –– Meinungsfreiheit  95 Radikalisierung  27, 29 Recht auf informationelle Selbstbestimmung  70, 72, 73, 76, 99, 104 schichtbezogene Ansätze  47, 55 –– Professionalisierungs- und Kommer­ zialisierungsthese  47 Sicherstellung  109, 204 Spielortverlegung  241, 266 Spielverbot  241, 266 Standardermächtigung  124 –– abschließende Regelung  134 –– Bestimmtheitsgebot  150 –– Erfordernis  126, 150 –– gesetzessystematische Sperrwirkung  126, 128, 134, 138 –– gleichgerichtete Maßnahme  128, 131 –– Minusmaßnahme  136, 146 –– qualifizierter Gesetzesvorbehalt  157 –– Regelungsbereich  128 –– Schweretheorie  148

–– Spezialität  126 –– Wesentlichkeitslehre  152 –– Zitiergebot  158 subjektiver Eingriffsbegriff  105 Subkultur-Theorien  48, 55 –– Theorie der delinquenten Subkulturen  48 szenekundige Beamte  62, 71, 229 Theorie des polizeilichen Aggressors  48, 55 Ultras  26, 37 –– Demonstrations- und Protestkultur  39 –– Feindbilder  40, 42, 56 –– Gewaltverhalten  41, 42 –– Gruppenstruktur  43 –– Identität  41 –– Ost-West-Unterschiede  44 –– Pyrotechnik  38 –– Wertekatalog  38 Verantwortlichkeit  247 –– des Veranstalters  250, 254 –– Notstandspflicht  254 –– Theorie der unmittelbaren Verursachung  247 –– Zweckveranlasser  250 Verbringungsgewahrsam  115 –– Rechtsgrundlage  118, 144, 162, 168 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  181, 216, 263 Videobeobachtung und -aufzeichnung  102, 189 –– Nahaufnahmen  106 –– Rechtsgrundlage  107 –– Übersichtsaufnahmen  104 volkstümliche Fußballspielformen  22 Wesentlichkeitslehre  152 Zentrale Informationsstelle Sportein­ sätze  26, 60, 72, 73 Zivilisationstheorie  49, 57 Zuständigkeit  67