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German Pages 312 [327] Year 1991
HEGEL • GESAMMELTE WERKE 3
GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL
GESAMMELTE WERKE IN VERBINDUNG MIT DER
D E U T S C H E N F O R S C H U N G S G E M E IN S C H A F T HERAUSGEGEBEN VON DER
RHEINISCH-WESTFÄLISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN BAND 3
FELIX M E IN E R VERLAG H AM BU RG
GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL
FRÜHE EXZERPTE UNTER MITARBEIT VON GISELA SCH ÜLER HERAUSGEGEBEN VON
FRIEDHELM NICOLIN
FELIX M E IN E R VERLAG H A M B U R G
In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und dem Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Gesammelte Werke / Georg Wilhelm Friedrich Hegel. In Verbindung mit d. Dt. Forschungsgemeinschaft hrsg. von d. Rhein.-Westfäl. Akad. d. Wiss. [In Verbindung mit d. Hegel-Komm. d. Rhein.-Westfäl. Akad. d. Wiss. u. d. Hegel-Archiv d. Ruhr-Univ. Bochum]. - Hamburg : Meiner. NE: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: [Sammlung] Bd. 3. Frühe Exzerpte/ unter Mitarbeit von Gisela Schüler hrsg. von Friedhelm Nicolin. - 1991. ISBN 3-7873-0269-7 ISBN eBook: 978-3-7873-3383-7
© Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften Düsseldorf 1991
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IN H A L T S V E R Z E IC H N IS EXZERPTE AU S DER GYM NASIALZEIT 1785-1788 ........................................................................................................................... 1 Exzerpt 1: Erziehung. Plan der Normal-Schulen in Russland.......................... 3 Exzerpt 2: Philosophie. Pädagogik........................................................................ 6 Exzerpt 3: Excerpta e Praefatione Joh. Matth. Gesneri ... ad Livium ex editione cum notis Jo. C le r ic i........................................................... 64 Exzerpt 4: Hahn des Sokrates................................................................................ 74 Exzerpt 5: S to ik er..................................................................................................... 75 Exzerpt 6: Wahre Glückseligkeit ........................................................................76 Exzerpt 6a: [Ohne Stichw o r t ] ................................................................................ 98 Exzerpt 7: W eg zum Glücke in der grossen W e l t .............................. 99 Exzerpt 8: S e e le ..........................................................................................................100 Exzerpt 9: Academie. Ueber academische Vorstellungs-Arten..................... 108 Exzerpt 10: Mönche ................................................................................................. 109 Exzerpt 11: Lehrart..................................................................................................... H2 Exzerpt 12: Aegypten. Von der Gelehrsamkeit der A eg yp ter..........................113 Exzerpt 13: Philosophie. Allgemeine U e b e r sic h t...............................................115 Exzerpt 14: Rechtsgelehrsamkeit. Allgemeine Uebersicht..................................121 Exzerpt 15: Philosophie. Psychologie. Prüfung der Fähigkeiten..................... 126 Exzerpt 16: Philosophie. Natürliche Theologie. V orsehung..............................163 Exzerpt 17: Philosophie. Psychologie. W i t z ....................................................... 164 Exzerpt 18: [Ohne S tic h w o r t]................................................................................ 165 Exzerpt 19: [Ohne S tich w o rt]................................................................................ 166 Exzerpt 20: Philosophie. P sych ologie....................................................................168 Exzerpt 21: [Ohne S tich w o rt].................................................................................169 Exzerpt 22: Philosophie. Philosophische Geschichte. Ueber den Ruhm der Aufklärung alter Länder, Persiens, A e g y p ten s..............................175 Exzerpt 23: [Ohne S tich w o rt]................................................................................ 177 Exzerpt 24: [Ohne Stich w o r t ] ............................. ...................................................179
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INHALTSVERZEICHNIS
Exzerpt 25: Philosophie. Philos. Geschichte. Mythen in der Philosophie und R e lig io n ................................................................................................. 180 Exzerpt 26: [Ohne S tich w o rt].................................................................................181 Exzerpt 27: [Ohne S tich w o rt]................................................................................ 182 Exzerpt 28: Philosophie. Ueber F reih eit................................................................184 Exzerpt 29: Philosophie. Verhältniss der Metaphysik zur Religion . . . . 191 D E FIN IT IO N E N VO N ALLERHAND G E G E N ST Ä N D E N Ab 10. Juni 1785 .............................................................................................................. 201 Exzerpt Exzerpt Exzerpt Exzerpt
30: 31: 32: 33:
Philosophiren.........................................................................................203 V eränderung.........................................................................................204 Logik ..................................................................................................... 205 Staaten..................................................................................................... 205
EXZERPTE AU S DER BERNER ZEIT 1794-1796 ........................................................................................................................... 207 Exzerpt 34: Exzerpt 35: Exzerpt 36: Exzerpt 37: Exzerpt 38: Exzerpt 39:
Aus: Allgemeine Literatur-Zeitung 1792 ......................................... 209 Aus: Allgemeine Literatur-Zeitung 1792 ........................................ 211 Aus: Neues theologisches Journal .....................................................212 Aus: Mosheim, Kirchengeschichte.....................................................215 Aus: Förster, Ansichten vom Niederrhein........................................217 Aus: Allgemeine Literatur-Zeitung 1796 ........................................ 219
EXZERPTE ZU M BERNER STAATSW ESEN Vermutlich 1795/1796 ...................................................................................................... 221 Exzerpt 40: Aus: Du gouvernement de B e r n e ...................................................223 Exzerpt 41: Aus: L’etat et les delices de la S u is s e ...............................................225 Exzerpt 42: Aus: Seigneux, Systeme a b r e g e ....................................................... 228 N IC H T N Ä H E R D A T IE R B A R E S ....................................................................235 Exzerpt 43: Aus: Rousseau a M. D ’Alem bert....................................................... 237 Exzerpt 44: Aus: Homer, I li a s .................................................................................239 N A C H R IC H T E N ÜBER VERSCHOLLENES
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INHALTSVERZEICHNIS
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A N H A N G ......................................................................................................................247 Schrifttypen, Zeichen, Abkürzungen, S ig le n ........................................................... 249 Editorischer Bericht......................................................................................................... 251 Personenverzeichnis......................................................................................................... 314
EXZERPTE AUS DER GYMNASIALZEIT 1785-1788
Exzerpt 1
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AUS DER GYMNASIALZEIT
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N o r m a l -S c h u l 1785. 22. April.
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Russl a nd
(Aus Schlözer’s Staats-Anzeigen VII, 25. 4.) I. Jedes Gouvernement enthält eine Normal-Schule, nach der die ändern in des5 selben Abtheilungen gebildet werden müssen, ist auch eine Pflanzschule der Lehrer. II. Diese Normalschule steht, wie die von ihr abhängenden, unmittelbar unter der Aufsicht des Schul-Directorii dieses Gouvernement. III. Alle die besondern Schuldirectorien stehen unter einem allgemeinen ReichsSchul-Directorio, das nur aus wenigen Gliedern bestehen soll. An dieses werden alle io Berichte eingesandt, es sieht darauf, dass man von den Anordnungen nie abgehe; und in diesen Fällen macht es die nöthige Anordnung, und leistet Hülfe. IV. In allen diesen Schulen wird eine völlige Gleichförmigkeit beobachtet, sowohl in den Lehrgegenständen, als Methode des Unterrichts. 2 1785] Th: 1784
8 III.] Th: II.
(Der Verfasser begründet seinen briefförmigen Bericht mit der Absicht, schiefen Urteilen über das Projekt der russischen Normalschulen entgegenzuwirken. Zu diesem Zwecke will er zuerst den Schulplan im allgemeinen kurz darlegen:) [83] I. Jedes G o uv ern em en t erhält eine N orm alS chule. Diese ist sowol die Norm und das Mu ster aller übrigen in derselben Abteilung des Reichs befindlichen Schulen, [84] als auch eine P flanzSchule für die Lerer, so in derselben gebildet, wenigstens geprüft werden müssen. Sie pflanzt zu Anfang die nötigen höhern und niedern Schulen um sich her, u. versieht sie in der Folge mit tüchtigen und zu verlässigen Lerern. II. Diese NormalSchule steht, so wie alle von ihr abhängende Schulen, unter der unmittelbaren Auf sicht eines blos für dies Gouvernement bestimmten SchulDirectorii. Dieses hat das Auge darauf, daß die NormalSchule nicht ausarte, und daß alle übrige Schulen sich von der Einförmigkeit mit derselben, in LerGegenständen und LerMethoden, in nichts entfernen. III. Alle diese besondern S c h u lD irecto ria, wie auch die von ihnen abhängende Normal- und übrige höhere und niedere Schulen, stehen wiederum unter einem allgemeinen R e ich sS ch u lD ire cto rio , welches nur aus sehr wenigen, aber der Sache gewachsenen Gliedern, bestehen soll. An dieses werden alle Raporte eingesandt: es sieht darauf, daß man sich nirgends von den vorgeschriebenen Regeln und Ordnungen entferne: und in vorkommenden Fällen macht es die nötige Anordnungen, und leistet die benötigte Hilfe. IV. In allen diesen Schulen wird eine völlige G leich fö rm ig k eit, sowol in Absicht der LerGegenstände, als Methoden des Unterrichts, beobachtet. Dies ist das einzige Mittel, es gleich in die Augen fallend zu machen, ob eine Ausartung vorgegangen sei oder nicht. D ie N o rm alS ch u le je d e n G o u v ern e m ents, habe ich in dem mermals gedachten Memoire gesagt, le istet in den H änden des S chul D ire cto rii denselben D ienst, als die in der Polizei n ied e rg e leg te n M odelle v on Maas
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AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 1
V. In diesen öffentlichen National-Schulen wird nur dasjenige gelehrt, was jedem Bürger des Staats ohne Absicht auf besondere Lebensart nützlich ist. Als eine natür liche Folge fliesst hieraus, dass für die, die sich auf ihre Bestimmungs-Wissenschaften legen wollen, eigene Institute vorhanden seyen. Dies ist das Wesentliche des von Ihro K. M. angenommenen Plans im Grossen, 5 und das Stück, welches eigentlich unmittelbar die Regierung angeht. Was die Methoden anbetrifft, so folgen wir hauptsächlich 2 Grundsätzen. 1) Der Unterricht muss so viel möglich tabellarisch seyn; diese Tabellen schreibt der Lehrer abgekürzt an die Tafel, erklärt sie den Schülern und sucht sie ihnen geläufig zu machen. Es dient die Begriffe in Ordnung, in Verbindung und zur Bestimmtheit io und Deutlichkeit zu bringen, und durch eine solche wohl eingeprägte Tabelle bekommen wir eine Uebersicht über das Ganze und die Verbindung aller dazu gehörigen Wahrheiten. und Gewicht, zu denen m an jeden A ugenblick zu rü ckkom m en, und je d e V erfälschung des Pfundes und der Elle ohne M ühe entdecken kan. V. In diesen öffentlichen NationalSchulen, wird nur dasjenige gelert und vorgetragen, was jedem Bürger des Stats nötig und nützlich seyn kan, ohne Absicht auf die besondre Lebens Art und Geschäfte, so er etwan erwälen möch-[85]te. Als eine natürliche Folge fließt hieraus, daß also für diejenigen, so sich einem besondern Geschäfte, z. Ex. dem KriegsWesen, dem CivilDienste, den Wissenschaften, der Kirche u. s. f., widmen wollen, besondre Institute, wenn sie noch nicht da sind, errichtet, diejenigen aber, so schon vorhanden sind, z. Ex. die verschiedenen CadettenCorps, die Universität, die noch bisher in den Klöstern (eine der Aufklärung des PriesterStandes vielleicht wenig zuträgliche Stelle) befindlichen Seminaria der Geistlichkeit u. s. f., auf den verhältnismäßigen Fuß gesetzt werden müssen: so daß sie künf tighin nicht mer, wie bisher unvermeidlich gewesen, gezwungen sind, auf Geratewol Schüler aufzunemen, mit denen man von den ersten Elementen anfangen m uß; sondern unter jungen Leuten, welche ihren Cursus in den öffentlichen NationalSchulen (die ihnen vor- und in die Hände arbeiten müssen) schon geendigt haben, diejenigen auswälen können, so zu dem Geschäfte, wozu sie bestimmt werden, Lust und Geschicke haben. Dies ist das wesentliche des von Ihro K. M. angenommenen Plans im Großen, und dasjenige Stück desselben, welches eigentlich unmittelbar die Regirung angehet. (Die zweite Frage, die der Autor behandeln möchte, betrifft die individuelle Verfassung der Schulen. Er wendet sich zunächst gegen bestimmte, im Publikum verbreitete Vorurteile über die Lehrmethoden.) [88] Unsern Ideen nach, müssen die bei Vorwürfen dieser Art zu brauchende Methoden, von ganz andrer Natur seyn. W ir folgen darinn hauptsächlich 2 G ru n d sätzen : 1) Der wissenschaftliche Unterricht muß, so viel es möglich ist, bei uns tabellarisch seyn. Diese Ta bellen schreibt der Lerer nach dem Maase, wie er im Unterricht fortschreitet, abgekürzt an die Tafel, erklärt sie den Schülern, und sucht sie ihnen geläufig zu machen. W ir würden selbst nicht unzufrieden seyn, wenn diese Geläufigkeit auch wirklich bis zum Auswendig lernen getrieben würde. - Was diese tabellarische Ordnung im Unterricht für Nutzen schaffe, habe ich Verständigen nicht nötig anzuzeigen. Ich weiß aus der Erfarung meiner jungen Jare, und jedermann wird es wissen, wie sehr sie dienet, die Begriffe in Ordnung, in Verbindung, und zur Bestimmtheit und Deutlichkeit zu bringen, und wie sehr eine wol eingeprägte Tabelle über eine Wissenschaft, uns in den Stand setzet, mit Einem Blick das Ganze, und die Verbindung aller zu ihr gehörigen Warheiten, zu übersehen.
Exzerpt 1
n o r m a l -s c h u l e n in
Ru s s l a n d
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2) Der Unterricht in der Wissenschaft muss darin bestehen, dass der Lehrer vorher Alles erklärt und dann examinirt. Sprachen. Für die meisten ist die Erlernung derselben unnöthig, aber doch eine Einrichtung zur Erlernung von 2 bis 3 Sprachen getroffen worden. Bücher. Die M aterie muss für jeden Schüler passend seyn, und L ehrm ethode muss nicht scientivisch oder gelehrt seyn. Aepinus, russisch Kais, wirklicher Staatsrath. 2) Der eigentliche Unterricht in der Wissenschaft, muß darinn bestehen, daß der Lerer erstlich jedes Stück, so viel er vermag, richtig erklärt und deutlich macht; alsdenn aber durch geschicktes Fragen und Examiniren, die Begriffe der Zuhörer über die vorgetragenen Sachen aufzuklären, zu berichtigen, und sie zum eigenen Nachdenken zu gewönen sucht. ... [89] Was die E lem en tarB ü ch er, besonders diejenigen, so einen wissenschaftlichen Gegenstand haben, betrift: so ziehen wir sowol die Materie, als die Form derselben, in Betracht, und unsre Grundsätze sind über beides die folgenden. [90] In Absicht auf die M aterie, müssen diese Bücher nur das von einer Wissenschaft enthalten, was jedem Gliede der menschlichen Gesellschaft nützlich seyn kan, ohne Rücksicht auf den besondern Stand, oder Geschäfte, so es etwa künftig erwälen will. Daher muß alles dasjenige sorgfältig davon aus geschlossen werden, was nicht jedermann, sondern nur demjenigen nützlich seyn würde, der eine Wissen schaft aus dem Grunde lernen, und ein Gelerter in derselben werden wollte. ... In Absicht auf die Form dieser Bücher, muß ebenfalls von keiner scientifischen und gelerten Me thode die Rede seyn: sondern man muß eine LerArt gebrauchen, wodurch die vorgetragenen Sachen allgemein begreiflich gemacht werden können, qui met les choses ä la portee de tout le monde, wie man im Französischen sagt. ... Noch muß ich etwas wegen der frem den Sprachen gedenken. Diese sind in unsern Schulen kein HauptVorwurf. Für unserer Schüler (man weiß, daß unsre Schu-[91]len für die Nation im Ganzen, le g ro s de la Nation, bestimmt sind) würde ihre Erlernung überflüssig und unnütz seyn. Es sollen indeß auch diejenigen, so sich künftig diesem oder jenem besondern Geschäfte widmen wollen, den VorbereitungsCursus in diesen Schulen machen, ehe sie in die besondern Einrichtungen aufgenommen werden. Man muß ihnen also allerdings die Gelegenheit schaffen, den Grund in denen Sprachen, so ihnen künftig zu ihrer Absicht nötig seyn werden, zu legen, und sie zu erlernen; und folglich müssen wir mit unsern Schulen auch SprachC lassen für diejenigen, so ihrer bedürfen, verbinden. Diesen Vorwurf haben wir bisher noch wenig berürt: meine Meinung aber ist von jeher, daß der Unterricht in Sprachen mer durch Uebung, als durch Erlernung der Grammatik, geschehen müsse; eine Sache, die mir um desto einleuch tender ist, da man, wie Ewr. sich auch ohne Zweifel selbst erinnern, bei uns so häufige Beispiele siehet, daß Kinder von 7 bis 8 Jaren, 2 auch 3 Sprachen geläufig reden und verstehen, ohne daß man jemals daran gedacht hätte, sie darin unterrichten zu lassen, blos weil diese Sprachen in dem väterlichen Hause täglich gebraucht werden. ... [92] Mit der Versicherung meiner vollkommensten etc. Aepinus. (RußischKaiserl. wirkl. StatsRat.)
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Exzerpt 2
AUS DER GYMNASIALZEIT
Ph il
o s o p h ie . Pä d a g o g ik
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D en 5. M ay 1785. (Feders neuer Emil.) 1. Buch. 5 I. Capitel. Eltern müssen diejenigen, denen sie die Erziehung ihrer Kinder anvertrauen, mit möglichster Sorgfalt wählen: Einem würdigen Mann muss man nicht Vorschriften vorschreiben. Es giebt hier eine gewisse Art, alles Nöthige zu sagen, ohne dass man dadurch beleidigt. Dies wird durch ein Beispiel vorgestellt. Herr Feder beweist, Kindern von 4 Jahren könne man schon Begriffe von Religion beibringen; diese io Gottesfurcht ist weniger durchdacht, jener einfältige Dienst, jene redlichen Blicke gen Himmel, jene ersten unausgebildeten Begriffe von dem, was der Mensch dem jenigen schuldig ist, der alles Schöne, alles Gute gemacht hat und erhält, sind Gott 6 diejenigen] Th: denjenigen (Beim Exzerpieren der Kapitel I bis IV springt Hegel zwischen dem Text selbst und der Summarische« Vor stellung des Innhaltes am Schluß des zweiten Teils [219ff] hin und her.)
[3]
Erstes C ap itel Muster einer Instruction für den angehenden Hofmeister [II 219] Eltern müssen diejenigen, denen sie die Erziehung ihrer Kinder an vertrauen, mit möglichster Sorgfalt wählen; und daher auch Bedingungen machen, daß sie wählen können. Einem würdigen Manne muß man dann nicht Vorschriften vorlegen, die Zweifel an seinen Einsichten oder an seiner Redlichkeit verrathen, und in die Classe von Dienstboten, die wie Maschinen gebraucht werden, ihn herabsetzen. Es giebt auch hier eine gewisse Art, alles nöthige zu sagen, ohne daß man dadurch beleidigt. Dieß wird in einem Beyspiele vorgestellt. Gelegenheitlich wird bewiesen, daß die Grundlehren der natürlichen Religion einem vierjährigen Kinde schon beygebracht werden können, und daß es unrecht seyn würde, sol-[220]ches zu verabsäumen. Die Pflege der ersten vier Jahre wird einer verständigen Frauensperson, da es hier auf mütterliche Geduld und Fürsorge, und gar nicht auf Gelehrsamkeit, ankömmt, schicklicher anvertraut, als einem Lehrmeister. [11] Ich erinnere mich noch der Gottesfurcht meiner ersten Jahre. Sie war weniger durchdacht, als jetzo; aber ich weiß nicht, ob nun meine Anbetung in den Augen des Allerheiligsten würdiger geachtet ist, als jener einfältige Dienst, jene redlichen Blicke gen Himmel, jene ersten unausgebildeten Begriffe von dem, was der Mensch demjenigen schuldig ist, der alles Schöne, das wir vor uns sehen, der alles Gute, das wir gemessen, gemacht hat und erhält; der gegen alle Menschen das auf eine vollkommnere Art ist, was der beste Vater gegen sein Kind ist? Oder ist es etwa schwer, durch Vergleichungsschlüsse, einem Kinde von vier bis [12] fünf Jahren, nach und nach, fast eben so viel von Gott und seinen Eigenschaften beyzubringen, als der Philosoph, bey seinen umständlichen Beweisen, kaum besser erkennet? ... [13] Das ganze Leben des Menschen, scheinet mir nur durch die Religion einen wahren W erth zu bekommen.
Exzerpt 2
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PHILOSOPHIE. PÄDAGOGIK
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angenehmer. Religion, fährt er fort, ist unsere Würde, unser Trost, unsere Stütze im Unglück, und unentbehrlich zum besten Genüsse des Lebens; ein Kind muss man also an dieser Glückseligkeit Theil nehmen lassen, sobald es kann. Die Erziehung der ersten Jugendjahre einem rechtschaffenen Frauenzimmer überlassen, hält Herr Feder für besser, als einem Hofmeister, da es hier auf mütterliche Geduld und Fürsorge ankommt, nicht auf Gelehrsamkeit.
II. Capitel. Das Lernen muss anfangs ganz ohne Zwang nur Zeitvertreib und Spielwerk seyn. Der Eifer zur Nachahmung, der in der Natur des Menschen liegt, thut hier am meiio sten. Der grosse Kunstgriff der Erziehung ist: Alles zu thun, indem man nichts zu thun scheinet; die Begierde, mit den Geschicklichkeiten des Lehrlings Aufsehen zu machen, muss nicht in’s Spiel kommen. III. Capitel. Die Hauptursache, dass die jungen Herren nicht gerne lernen, ist das Schulhalten 15 der Informatoren, wobei Lehrer und Lernende verdriesslich werden. Das AllerSie ist unsere Würde, unser Trost, unsere Stütze im Unglücke, und unentbehrlich zum besten Genüsse des Glückes. Ich muß mein Kind an dieser Glückseligkeit Theil nehmen lassen, so bald es kann. [17]
Z w eytes C apitel Unterredung mit einer Mamsell [II 220] Das Lernen muß anfänglich nur Spiel und Zeitvertreib seyn. Auch muß die Begierde mit en Geschicklichkeiten seiner Lehrlinge frühe Aufsehen zu machen, nicht mit ins Spiel kommen. [20] So bald das Kind anfängt, seine Seelenkräfte zu äusern, so ist es natürlich, daß es anfange zu lernen. Aber das Mühsame, das Eckelhafte, der Zwang muß hierbey so lange, so lange vermieden werden, als es möglich ist. Und gewiß, wenn man, wie es [21] gar wohl angeht, in den ersten Jahren es so weit gebracht hat, daß das Kind ohne Zwang und spielend lernte: so wird bey mehrern Jahren kaum ein Zwang mehr nöthig seyn. Die Erfahrung mit Emilen bestättiget diese Grundsätze. Er gab mir selbst die erste Gelegen heit, ihn etwas lernen zu lassen. Der Trieb der Nachahmung, welcher in der Natur des Menschen liegt, und sich bey Kindern am stärksten äusert, machte, daß er bald die Handlungen nachthun wollte, die seine Schwestern Vornahmen, wenn sie lernten. (Es folgen Beispiele.) Eben deswegen, weil ich weiter nichts that, eben weil ich nicht das Ansehen hatte, wenigstens Anfangs nicht, ihn etwas lehren zu wol-[22]len, lernte er begieriger. Eben weil ich es nicht verlangte, als wann er es selbst wollte: eben darum war der Erfolg so glücklich, so sehr über meine eigene Erwartung. Sehen Sie, mein Herr, dies ist der grosse Kunstgriff der Unterweisung, ich sage mehr - der Erziehung. Alles zu th u n , indem m an nichts zu th u n scheinet. ... [25]
D rittes C apitel Nöthigste Sorgen eines Hofmeisters Das Schulhalten der Informatoren ist also Ursache, daß die jungen Herrn nicht gerne lernen, und folglich meistens nichts rechtes lernen. Hiezu kommen noch andere Ursachen. Man hält mit den Kindern
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AUS d e r GYMNASIALZEIT
Exzerpt 2
schlimmste ist nun, dass man, wenn die Lehrstunden vorbei sind, die Kinder hin laufen lässt, wohin sie wollen, und gar wohl mit dem Gesinde umgehen lässt; dies ist die Quelle der Unarten der Kinder. Wenn man anfängt, sich deutliche Begriffe zu sammeln, so sammelt man sich Grundsätze auf sein ganzes Leben; der moralische Charakter bekommt hier seine Gestalt. Geschieht dies in der Gesindestube, in der 5 Küche, im Stall, so wären solche Junker als Reitknechte oder Lakeien vielleicht noch erträglich. Dem Kinde zur Gesellschaft, zum Zeitvertreib, und unmittelbar zur Ver anstaltung alles dessen, was dessen Bildung erfordert, zur Verhinderung aller schäd lichen Eindrücke ist er berufen. Beliebt muss man sich bei Kindern zu machen suchen, und diess geschieht, wenn man immer fertig und willig ist, ihr gegenwärtiges un- io schuldiges Vergnügen zu befördern, das, wenn man ernstlich will, nicht schwer ist; man muss aber in dieser Gefälligkeit nicht so weit gehen, dass man ihnen bei ihren thörichten Begierden zu willig, und gar selbst unschickliche Dinge angiebt. Man muss Kindern nie unverdiente Vorwürfe machen, denn die Absicht, nicht die Handlung
ordentliche Lehrstunden. Das ist schon schlimm genug. Lehrer und Lernende werden dabey verdrießlich über einander. Noch schlimmer. Wenn denn die Lehrstunden vorbey sind; läßt man die Kinder hin wohin sie wollen. Dies ist das allerschlimmste. Man läßt ihnen auf einmal [26] zu viel Freyheit, da man ihnen zuvor zu viel Zwang anthat. Kann es anders seyn, als daß die Schulstunden ihnen die verdrüßlichsten werden ? Man lässet sie wohl gar zum Gesinde laufen. Eltern, hier ist die Quelle der Unarten eurer Kinder! ... Es ist nicht gleichgültig, was für Eindrücke die Sinnen und das Herz der Kinder durch ihre allerersten Empfindungen bekommen. Es ist gewiß nöthig, den sinnlichen Begierden derselben mit Klugheit und Behutsamkeit zu begegnen, ehe noch die Vernunft Licht vor ihnen her anzündet; ehe sie noch unterschei dend bemerken, was in ihnen, und auser ihnen, [27] vorgeht. Aber wann dies anfängt zu geschehen, wann sie sich die ersten deutlichen Begriffe sammlen: so sammlen sie sich insgemein Grundsätze aufs ganze Le ben. Ihr moralischer Charakter bekommt alsdann seine Gestalt. Geschieht dies in der Gesindstube, in der Küche, im Stalle: so entstehen Junkers, die als Laquaien und Reitknechte vielleicht erträglich seyn würden, wenigstens noch gebessert werden könnten; als Hochwohlgebohrne Herren aber unglückselige, und für die Gesellschaft höchstbeschwerliche, Mitteldinge sind. [II 220] ... Dem Kinde zur Gesellschaft, zum Zeitvertreib aller-[221]nächst, und mittelbarer Weise zur Veranstaltung alles dessen, was dessen Bildung erfordert, zur Verhinderung aller schädlichen Ein drücke ist er [d. i. der Hofmeister] berufen. Wenn der Hofmeister seinen Eifer auf die Lehrstunden einschrenket, und nach diesen ihn die Eltern beurtheilen: so haben beyde einen alles verkehrenden Gesichts punkt. Beliebt macht man sich bey Kindern, wenn man immer willig und fertig ist, ihr gegenwärtiges unschuldiges Vergnügen zu befördern; welches, wenn man es ernstlich will, nicht schwer ist. [30] Viele gehen in ihrer Gefälligkeit gegen Kinder so weit, daß sie ihnen nicht nur bey ihren thö richten Begierden zu willen sind: sondern daß sie ihnen wohl gar zum Zeitvertreibe allerhand unschick liche und strafbare Dinge angeben, woran die Kinder nicht würden gedacht haben. Man darf sich nicht weit umsehen, um Beyspiele davon zu finden. Aber Kinder verfallen wohl selbsten auf unerlaubte Dinge ? Dies ist nicht zu läugnen. Ohne itzt [31] auf die Quelle davon zurück zu gehen, oder in schwere theolo gische Fragen mich einzulassen, sehe ich wohl so viel ein, daß, bey der sorgfältigsten Erziehung, sich dennoch an Kindern Unarten äusern werden. Doch ist auch hierbey zu erwägen, daß man oft Kindern Vorwürfe macht, die sie nicht verdienen. Fürs erste machen die A b sichten hauptsächlich eine Handlung
Exzerpt 2
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PHILOSOPHIE. PÄDAGOGIK
ist strafbar, und da irrt man bei den Kindern sehr oft; auch muss man ihnen Fehler verzeihen, die ihrem Alter unvermeidlich sind, man macht ihnen auch oft zu Fehlern, was zu loben ist. Wenn Kinder Sachen begehen, die keineswegs zu leiden sind, so muss man machen, dass sie es nimmer thun, und sie die natürlichen Strafen der bösen Handlungen treffen lassen; sind diese zu gering, so erzeige man ihnen willkürliche Strafen, die natürlich zu sein scheinen. Man lässt ihren Herzen das nämliche erweisen, was sie jemand anders gethan haben. Wenn man einem Kinde was untersagt, muss man nie Beweise anführen, nur manchmal Gründe. Vor der jähen Hitze und Uebereilungen des Zorns muss sich ein Hofmeister am meisten hüten. IV. Capitel. Kinder muss man vorzüglich auf Gegenstände unvermerkt lenken, von welchen das unschuldigste und gewisseste Vergnügen zu erwarten ist. Was kann das anders 4-5 natürlichen ... Handlungen] Th: natürliche Strafe der bösen Handlung
12 das2] Th: dss
strafbar. Bey Kindern irret man sich also, und gar oft, indem man ihren Handlungen Absichten zu schreibet, welches die Ihrigen nicht waren. Ja noch mehr, man lehret sie Verbrechen kennen, indem man sie ihnen unverdienter Weise vorwirft. Sodann will man, daß Kinder keine Kinder seyn sollen. Man verzeihet ihnen Fehler nicht, die bey ihrem Alter unvermeidlich sind, Handlungen, die da Folgen sind der noch durch keine Vernunft bezähmten Triebe der Natur. Oder man machet ihnen zum Fehler, was vielmehr zu loben ist. Ein Kind würde dann recht albern seyn, wenn es so wäre, wie es manchmal eingebildete Weisen verlangen. Ein K ind soll ein K ind seyn. Dieß ist die Ordnung [32] der Natur, welche bey der Erziehung allemal beybehalten werden muß. Aber genug, Kinder begehen oftmals, was keinesweges zu leiden ist ? So machet nur, daß sie es nicht mehr thun. Keine Moral anfangs, keinen Verweiß! Lasset sie die n atü rlic h en S trafen ihrer bösen Handlungen treffen. Oder glaubet ihr, daß diese nicht genug, oder nicht bald genug, merklich sind: so verbindet willkührliche Strafen also damit, daß sie natürlich zu seyn scheinen. Ihr wisset nicht, wie ihr dieses machen sollet: O, dieß müsset ihr wissen! Dieß ist eines der nothwendigsten Stücke eures Berufes. Wir wollen einen Fall setzen. (Emil nimmt seiner Schwester eine Blume weg. Der Hofmeister lenkt es bei nächster Gelegenheit dahin, daß die Schwester Emil ein Bild abnimmt, damit dieser das Unangenehme eines solchen Ver lustes selbst empfindet.) [34] Der Grundsatz: W as du n ich t w illst, das dir die L eute th u n sollen, das th u e du ihnen auch n ich t, ist so natürlich und so faßlich, daß es nicht schwer fällt, auch Kinder darauf zu führen. Aber wenig W orte, keine Beweise! Eigene Erfahrung muß sie dieses lehren. (Es folgt ein Beispiel.) [35] Man muß vielleicht manchmal Gründe angeben, wenn man etwas untersaget. (Wiederum ein Bei spiel.) [36] Das nöthigste bey einer jeden Correction ist dieß, daß wir keinen Zorn dabey blicken lassen, und alles mit ruhigem und immer gegenwärtigem Geiste thun. V on d e rjä h e n H itze u nd den Ü b e r eilungen des Z ornes m uß ein H ofm eister frey seyn. ... [3 7 ]
V iertes C apitel Noch ein paar Puncte, die wichtiger sind als das Latein So ohngefähr machte ichs bey den Vergehungen des Emils. Oft genug verhinderte ich sie, wenn ich voraus sah, daß sie geschehen könnten. Auf der ändern Seite aber suchte ich ihm alles mögliche Ver-
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seyn, als die Schönheit der Natur? Man muss aber hier ganz dem Geschmack und Willen des Kindes folgen; und dieser ist gemeiniglich richtig, denn sie folgen der Natur. Denen suchen auch Kinder zu gefallen, die sie lieben; und sie lieben die, welche ihnen Gefälligkeiten erweisen. Begehrt der Eleve etwas, das ihr ihm nicht zu lassen geneigt seyd, untersucht wohl vorher, ob ihr es ihm abschlagen müsset, und was für Gründe euch dazu bewegen. H abt ihr ihn einm al ab gew iesen , so m uss es dabei bleiben. Kinder [sind] nicht so sehr Kinder, als man sich manchmal einbildet. Sie fühlen das Unrecht und sehen es auch oft ein. Und wenn sie es einsehen, so sind die Folgen davon bei Erwachsenen kaum so gefährlich, als bei ihnen. Fragen Kinder, warum dieses oder jenes ihnen nicht gestattet worden sey, so gebt ihnen die natürlichste Antwort, die euch einfällt; sind sie damit nicht zufrieden, so antwortet, es muss so seyn; allezeit gnügen zu machen. Dabey folgte ich, wie billig seinen Neigungen. Doch suchte ich sie auf solche Gegen stände unvermerkt zu lenken, von welchen das gewisseste und unschuldigste Vergnügen zu erwarten ist. Was konnte dieses anders seyn, als die Schönheit der Natur? ... [39] Bey den Ergötzlichkeiten der Kinder muß man sich nach dem Geschmacke der Kinder richten. Dieser ist auch meist richtig, denn sie folgen der Natur; wenn sie nur noch nicht durch böse Beyspiele sind verführet worden. ... [II 221] Angewöhnung zu den unschuldigen Vergnügungen der Natur. Man muß sich dabey nach dem Geschmacke der Kinder richten; überhaupt ihnen gern zu Willen seyn; ... [39] Mein Emil durfte bey unsern Spaziergängen sich setzen, stehen bleiben, springen, lau-[40]fen, vornehmen was er wollte. Er durfte es wenigstens meistentheils; und daher richtete er sich auch gerne nach mir, wenn ich einmal anderes Sinnes seyn mußte. D enn d en en jen ig en suchen auch K inder zu gefallen , die sie lieben; und sie lieben diejen ig en , die ihnen viele G efällig keiten erw eisen. ... Euer Eleve begehret etwas, das ihr ihm zuzulassen nicht geneigt seyd. Untersuchet wohl [41] vorher, ob ihr es ihm abschlagen müsset, und was für Gründe euch dazu bewegen. - - H ab t ihr ihn einm al ab g ew iesen : so m uß es dabey bleiben. Kein Bitten, noch weniger Ungestümm, darf euren Ent schluß ändern. ... Wann sie euch durch Bitten bewegen wollen: so gebet ihnen freundlich zur Antwort, daß ihr gar nicht würdet auf ihr Bitten gewartet haben, wenn es seyn könnte; daß sie wüßten, wie bereit willig ihr immer wäret, ihr Vergnügen zu schaffen. Auf diese Art werdet ihr euch den Verdruß eines beschwerlichen Anhaltens auf viele kommende Fälle erspahren. Aber wenn diese Versicherung ihre Wirkung thun soll: so müsset ihr durch eure bisherige Aufführung von der Wahrheit derselben den Eleve schon überzeuget haben. Und es [42] muß der gegenwärtige Fall von der Art seyn, daß er ihm nicht eine gerechte Ursache giebt, über euch unzufrieden zu werden. D enn K in d er sind n ich t so sehr K inder, als m an sich m anchm al einb ild et. Sie fühlen das U n rech t, und sehen es auch oft ein. Und wenn sie es einsehen, daß man ihnen Unrecht gethan: so sind die Folgen davon kaum bey Erwachsenen so gefährlich, als bey ihnen. Fragen sie euch, warum ihnen dieses oder jenes nicht verstattet wird: so gebt ihnen die natürlichste Ursache an, die euch einfällt. Sind sie damit nicht zufrieden; so antwortet: Mein Kind, es muß so seyn. ... Muß es einmal zu Befehlen [43] kommen: so ist es am besten, sie zu einem blinden Gehorsam zu ge wöhnen. Aber desto strenger muß der Vorgesetzte sich selber seyn, desto vorsichtiger soll er zu Befehlen schreiten; desto genauer soll er die Gründe und Gegengründe vorher prüfen. Ist der Untergebene unartig genug, seinen Willen mit Ungestümm durchsetzen zu wollen: so lasset ihn erfahren, daß ihr mächtiger seyd, als er. Aber hier, wie allezeit, w enige W o rte, G elassenheit, keinen w ilden Z orn.
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wenig Worte, Gelassenheit, keinen wilden Zorn; oder lasse ihn auch die natürlichsten Folgen seines Ungehorsams treffen. V. Capitel. Ursachen des Unterschiedes der Menschen in den Erkenntnissfähigkeiten. 5 Man hält dafür, dass vermöge der ursprünglichen Anlage ein Mensch zu einer Art der Geistesbeschäftigungen aufgelegt und geschickt geboren werde und dass daher bisweilen die besten Genies unfähige Köpfe, so lange bis sie die Beschäftigung finden, für die sie die Natur bestimmt hat. Aber der Hauptgrund des Unterschiedes ist nicht so leicht zu bestimmen, io Ist in dem, was des Körpers ist oder in dem Geiste allein, oder in beiden von diesen der Unterschied zu finden ? 4 Erkenntnissfähigkeiten] Th: Erkenntnissfortschritten
Oder lasset ihn die natürlichen Folgen seines Ungehorsams treffen, wenn es ohne Gefahr geschehen kann. (Es folgen Beispiele und nochmals ähnliche Erziehungsregeln.) [46]
Fünftes C apitel Von den Ursachen des Unterschiedes der Menschen in Ansehung der Erkenntnißfähigkeiten Bey der Erziehung, wie bey allen, was der Mensch thun kann, erstrecken sich seine Kräfte und Ge schicklichkeiten nicht so weit, daß er etwas schaffen könnte, wo nichts, wo kein Grund vorhanden ist. ... [47] Daß daher auf die natürliche Anlage eines Menschen bey der Erziehung desselben gar vieles ankomme, ist leicht zu erachten; und jedermann gesteht es ein. W er zweifelt daran, daß bey einem Kinde, welches ganz geringe Erkenntnißfähigkeiten äusert, die besten Anstalten weniger fruchten, als bey einem guten Kopfe, welcher oft für sich selbsten vortreflich wird, ohne Anweisung und Unterricht ? Man hält ferner dafür, daß schon vermöge der ursprünglichen Anlage, die in ihm ist, ein Mensch zu einer Art der Geistesbeschäfftigungen aufgelegt und geschickt gebohren werde; ein anderer zu einer ändern; und daß es daher komme, daß bisweilen die besten Genies unfähige Köpfe scheinen, so lange bis sie die Beschäfftigung finden, für die sie die Natur bestimmt hat. Aber wie viel von dieser natürlichen Anlage abhängt, was eigentlich ursprünglich und unabänderlich dabey ist, und was noch kann gehoben und geändert werden, und worinne also zuletzt der Hauptgrund des Unterschiedes [48] der Köpfe lieget; dieses ist so leicht nicht zu bestimmen. Und doch ist dem Erzieher gewiß daran gelegen, dasjenige was er bilden und befördern soll, wo mög lich vom Grunde aus zu kennen. ... [49] Ich will hier keine Spitzfindigkeiten oder Zweifel vortragen, über die den Gelehrten sowohl als den Ungelehrten gewissermassen freylich noch sehr unbekannte Natur der menschlichen Seele, des bessern Theiles von uns ... Genug, daß wir einen bessern Theil unserer Natur, einen Geist in uns kennen, den wir mit Recht, von dem was unser Körper heißt, unterscheiden. Natürlich entsteht also bey dem Nachdenken über den Unterschied der Menschen, in Ansehung der Erkenntnißfähigkeiten, die Frage: Ob in dem, was des Körpers ist, oder in dem Geiste allein, oder in beyden, der Grund von diesem Unterschiede zu suchen ? ...
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W em ist wohl unbekannt, dass auf den Zustand unseres Körpers bei den Geistes kräften sehr viel ankommt. An einem heiteren Morgen, wenn der Körper neue Kraft gesammelt hat etc., oder wenn durch mässige Bewegung den Säften der Lauf durch alle Theile erleichtert worden ist, wie schnell entstehen nicht die Gedanken auf einander, wie hell und deutlich sind sie nicht. Wer empfindet nicht den Einfluss der Wärme, Hitze, heiter warmen etc. Luft; hieraus wird Jeder den Schluss machen können, dass auf das Klima, auf die Dispositionen, Diät, Pflege und ganze physische Lebensart, Kräfte und Blut des Körpers sehr viel bei den Geisteskräften ankomme. Eine offenbare Ursache der Verschiedenheit des Genies liegt in der unterschiedenen Anwendung und Uebung der natürlichen Kräfte. Unsere thätige Kraft ist ein Vermögen, so sich nach Vorstellungen und Begriffen richtet, die wir nicht mit auf die W elt bringen. Daher haben Viele die Seele mit einer leeren Tafel verglichen, auf welcher vermittelst der Veränderungen, die die Empfindungen in uns veranlassen, allerhand Bilder beschrieben würden. Andere sagen, [daß] feinere Theile des Körpers, Fibern des Gehirns, deren sie sich als ihre nächsten Werkzeuge bedienet, anfangs so zart und beugsam sind, dass sie Eindrücke annehmen und zu Bewegungen leicht gebracht werden können, zu welchen sie, wenn sie einmal durch stete Anwendung
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[50] Und nun, wem ist wohl unbekannt, daß auf den Zustand unseres Körpers bey den Geistesgeschäfften sehr vieles ankömmt ? An einem heitern Morgen, wenn der Körper neue Kräfte gesammlet hat, wenn keine unverdauten Speisen ihn beschweren, kein Schmerz in ihm ist: oder wenn durch eine mäßige Be wegung den Säften der Lauf durch alle Theile erleichtert worden ist: wie frey ist da nicht unser Geist, wie schnell entstehen nicht da die Gedanken auf einander, wie helle und deutlich sind sie nicht ? Wer emp findet nicht den Ein-[51]fluß der Witterung, den beschwerlichen Einfluß der Hitze, der schwühlen oder feuchten Luft ? den stärkenden Einfluß einer heitern und mässig warmen Luft ? Hieraus, und aus unzähligen Beobachtungen, die so unbekannt nicht sind, daß ich sie anführen müßte, wird wohl ein jeder den Schluß ziehen, daß auf den ursprünglichen, beständigen oder gewöhnlichen Zustand des Körpers, auf die Triebe die in ihm sind, auf die Menge und den Gang der Lebensgeister, überhaupt auf die Mischung der Säfte und auf den Bau und das Verhältniß der festen Theile desselben in Ansehung der Geistestriebe und Fähigkeiten eines Menschen nicht wenig ankommen müsse. ... [53] Alsdenn würde sich auch die Folge bestimmter vortragen lassen, die ich itzt auch nur allgemein anzeigen kann, daß Diät und Pflege, und die ganze physische Lebensart eines Menschen, und also auch der Ort, wo er sich aufhält, auf seine Geisteskräfte einen merklichen Einfluß haben. Aber eine andere eben so offenbare Ursache der Verschiedenheit des Genies liegt in der unterschiedenen Anwendung und Übung der natürlichen Kräfte. Diejenigen Triebe weggerechnet, denen zu Folge wir einiges, oh-[54]ne zu wissen wie, verrichten, ist bekanntlich unsere thätige Kraft ein Vermögen, so nach Vorstellungen und Begriffen sich richtet, die wir nicht mit auf die Welt bringen, sondern uns erwerben müssen. Die Seele ist daher von vielen mit einer leeren Tafel verglichen worden, auf welcher vermittelst der Veränderungen, die die Empfindungen in uns verursachen, allerhand Bilder beschrieben würden. Andere, die von der Seele keinen so bildlichen Begriff geben wollen, sagen, daß die feinere Theile des Körpers, die Fibern oder Fasern des Gehirns, deren sie sich als ihrer nächsten Werkzeuge bedienet, anfangs so zart und beugsam sind, daß sie Eindrücke annehmen und zu Bewegungen leicht gebracht werden können, zu welchen sie, wenn sie einmal durch stete Anwendung von einerley Art, oder auch durch ir-
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von einerlei Art oder auch durch irgend einen gewaltigen Zufall eine festere Form bekommen haben, nicht mehr geschickt sind. Je nachdem also ein Mensch gewisse Vorstellungen bekommt, je nachdem bekommen seine Geisteskräfte eine gewisse Richtung, und Geschicklichkeit wird in ihm gegründet. Und viel kann bisweilen auf die ersten Eindrücke ankommen. Durch öftere Wiederholung des Nämlichen ent steht die Fertigkeit. Von der Lust zu einer Sache hängt also bei Bildung des Körpers gewiss Vieles ab. In der Organisation eines Menschen liegen Gründe, warum diese Beschäftigungen ihm angenehmer, oder weniger unangenehm als einem anderen sind. Aus unzähligen Quellen entspringt das Vergnügen, und aus eben so vielen Ursachen kann einem Menschen etwas angenehm seyn. Eine angenehme Vorstellung oder Empfindung der Lust darf nur damit verbunden werden. Ein paar (verschiedene) Vorstellungen können in der Seele oft lebhaft, angenehm mit einander entstehen und so verknüpft werden, dass nicht leicht eine mehr ohne die andere entsteht. Alle Dinge können zwar nicht mit einander angenehm verbunden werden, aber doch alle
gend einen gewaltigen Zufall, eine festere Form bekommen haben, nicht mehr geschickt sind. Je nach dem also ein Mensch gewisse Vorstellungen bekömmt, je nachdem bekommen seine Geisteskräfte eine gewisse Richtung, und Geschicklichkeiten werden in ihm gegründet. Und [55] vieles kann bisweilen auf die ersten Eindrücke ankommen. Nicht jedwede Anwendung giebt der Seele, oder den Werkzeugen, vermittelst deren sie erkennet und wirket, diejenige bleibende Richtung, wodurch die Fertigkeit, eines leichter als das andere zu ver nehmen oder zu verrichten, bewirket wird. Durch öftere und fleißige Wiederholung der nemlichen oder einer ähnlichen Beschäftigung entsteht erst die Fertigkeit. Und diese wird sich nicht finden, wo nicht Lust zur Sache ist. Lust zur Sache ist also die Triebfeder, von welcher bey der Bildung der Köpfe ich will noch nicht sagen wie vieles - aber gewiß vieles abhängt. Nun fragt es sich, was kann die vorzügliche Lust zu einer gewissen Beschäftigung erwecken ? Hängt diese vielleicht von einer ursprünglichen Disposition der Natur in der Seele oder dem Körper ab ? Hier will ich nun gerne einräumen - daß in der Organisation eines Menschen selbst schon ein Grund liegen könne, warum gewisse [56] Beschäfftigungen ihm angenehmer, oder weniger unangenehm, als einem ändern. (Es folgen Beispiele für die Bedeutung eines solchen ursprünglichen Unterschiedes der Naturen und für die Wirkung der Disposition des Körpers.) [57] Aus unzähligen Quellen - auf die letzten und innersten sehe ich itzt nicht - entspringt das Ver gnügen, und durch eben so viele Ursachen kann also einem Menschen etwas angenehm werden. Denn eine Vorstellung, in welcher etwas angenehmes liegt, oder die Empfindung der Lust, darf nur damit verknüpfet werden. Und kann nicht eine angenehme Vorstellung mit jedwedem Dinge verknüpfet wer den; dergestalten verknüpfet werden, daß sie so leicht sich nicht wieder davon trennen lässet? Die Seelen forscher wissen es, und jedermann kann es bald merken, wenn er auf sich acht geben will, daß ein paar Vor-[58]stellungen, wenn sie auch nichts ähnliches mit einander haben, dadurch daß sie zufälliger Weise, oder auf willkührliche Veranstaltung, einmal sehr lebhaft, oder oft, neben oder auf einander in der Seele eines Menschen entstehen, also mit einander vereiniget werden können, daß nicht leicht eine mehr ohne die andere entsteht. ... So kann also alles angenehm oder weniger mißfällig für einen Menschen werden durch die Verknüpfung mit einer angenehmen Vorstellung, oder wenn man lieber will, mit der ergötzen den Empfindung.
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mit einer angenehmen Vorstellung; man kann also einem Menschen alles zur angenehmen Beschäftigung machen, wenn es ihm zur rechten Zeit vorgelegt wird. Alles Neue gefällt. Wer Vergnügen liebt, liebt auch die Mittel, dasselbe sich zu ver schaffen. Wenn man auf den Ursprung der meisten Vergnügen Achtung giebt, die auch unmittelbar zu seyn scheinen, so wird man dieselbe allererst aus der Vorstellung 5 des Nutzens entspringen sehen. Aus diesem zieht Herr Feder nun den Schluss: dass daraus sich noch nicht an geborener Hang zu etwas beweisen lässt, wenn einer etwas an und für sich ohne Rücksicht auf die Nutzbarkeit zu lieben scheint, dass es nur auf eine geschickte Verknüpfung angenehmer Gegenstände ankommt. Wenn diese Ursachen so viel io wirken, was können nicht erst andere mitwirkende ausrichten; Nachahmungssucht, Wohlgefallen der Eltern, Hoffnungen, Aussichten u.a.m. Nicht daß jedwede angenehme Vorstellung oder ergötzende Empfindung mit jedweder Sache, und bey einem jeden Menschen sich [59] verknüpfen ließe. Aber da der angenehmen Vorstellungen unzählig viele sind, die bey einem jeden Menschen Platz finden: so kann immer eine dazu dienen, eine Sache angenehm zu machen, wenn es die andere nicht kann. ... Was kann also einem Menschen nicht zur angenehmen Beschäftigung gemacht werden, wenn es ihm zur rechten Zeit vorgelegt wird ? Ein Ding das neu ist, wenn es auch sonst wenig auf sich hat, gefällt, weil es neu ist, zumal denen die noch wenig Beschäftigung haben, und aus Mangel der genauem Kennt-[60]niß leicht vielerley Er wartungen sich machen. ... W er das Vergnügen liebt und den Schmerz flieht, der liebt auch die Mittel, sich das Vergnügen zu verschaffen und vom Schmerz sich zu befreyen; er strebt desto eifriger darnach, je nützlicher und un entbehrlicher sie ihm zu dieser seiner Absicht zu seyn scheinen. ... [61] Es ist eine bekannte Meinung vieler Weltweisen aus den alten und neuern Zeiten, daß, ausser den angenehmen Empfindungen, die von gewissen Zuständen des Körpers herkommen, und die ersten sind, die uns zu Theil werden, alle andere Vergnügen aus dieser Quelle, nemlich aus der Vorstellung des Nut zens entspringen. ... Ich bin nicht ganz der Meinung dieser Philosophen. ... [62] Aber in so weit bestättiget die Erfahrung dieser Welt weisen Meinung, daß wenn man auf den Ursprung dieser erst berührten und vieler ändern Vergnügungen, die nicht weniger unmittelbar zu seyn scheinen, acht giebt, man dieselben allererst hauptsächlich aus der Vorstellung des Nutzens entspringen sieht. Aus dieser fast zu langen Anmerkung - durch die ich aber zugleich für das folgende Capitel etwas gewonnen habe - ziehe ich itzt nur diese Folge: daß daraus noch nicht sogleich ein angebohrner und un mittelbarer Hang sich beweisen lässet, wenn einer etwas an und [63] für sich und ohne Rücksicht auf seine Nutzbarkeit zu lieben scheinet; und daß es nur auf geschickte Verknüpfung der Vorstellungen vom Nutzen ankömmt, um eine solche Lust zu etwas zu erwecken, bey welcher man auch das Unangenehme, das damit verbunden ist, bald vergisset. ... W enn diese bisher bemerkten Ursachen einzeln schon etwas ausrichten können, wie vieles muß erst geschehen, wenn mehrere derselben zusammen wirken ? Wenn der Knabe Beschäftigung suchet, und sie in der Nachahmung seines Lieblings findet, und sieht, daß diese Beschäftigung seinen Eltern wohlgefällt, wenn sie ihm aus dem Stoffe seiner angenehmen Empfindungen Hoffnungen schaffet, Aussichten [64] eröffnet; wie ungeschickt müßte man nicht seyn, wenn man machte, daß diese Lust sich bald wieder verlöhre! ...
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Die Lust ist eine Hauptursache der zu einer gewissen Grösse erhobenen und auf gewisse Gegenstände bestimmten Geistesfähigkeiten. In Ansehung dieser äusserlichen Ursachen lässt sich behaupten, dass das Meiste von äusserlichen Antrieben abhängt; besonders in der Art der Geschicklichkeit, in 5 der sich der Mensch hervorthut. Bei einem Blick auf die allgemeine Geschichte des menschlichen Verstandes sieht man einen nicht geringen Einfluss des Körpers und der körperlichen Dinge, der Luft und der Speise, auch des Erdbodens und Klima’s, auf die Fähigkeiten und Kenntnisse; der eine ist zur völligem Empfindung, zu Vergleichungen und Verbindung ähnlicher io Begriffe, der andere zur subtilem Auflösung derselben, zum langsamem Nach denken, zur Bemerkung der Unterschiede, die einem flüchtigen, feurigen Kopf ent gehen, geschickter. 8 Speise] Th: Weise Die Lust ist also eine Hauptursache der zu einer gewissen Grösse erhobenen und auf gewisse Gegen stände bestimmten Geistesfähigkeiten; die Lust, die auf unzählige Weise, oft durch einen sehr mittelbaren, bisweilen sonderbaren, Zusammenhang der Vorstellungen erweckt werden kann. ... [65] Diesen äusserlichen Ursachen schreibt H elvetius alles zu. Er übertreibt die Sache. Aber so viel, scheinet es, lässet sich behaupten, daß das allermeiste von diesen äusserlichen Antrieben und Anreitzungen abhängt; besonders was die Art der Geschicklichkeiten anbelangt, in denen sich ein Mensch hervorthut. (Es folgen Beispiele.) [67] W ir wollen einen Blick auf die allgemeine Geschichte des menschlichen Verstandes werfen; weil dort die Summe der Effecte ein mehr hervorstechendes Phänomenon macht, als bey einzelnen Personen. Einigen Einfluß des Körpers, und der körperlichen Dinge, der Luft und der Speisen, bemerket man auch hier bald, wenn man den Ursachen des Unterschiedes unter den Nationen des Erdbodens in An sehung der Fähigkeiten und Kenntnisse, durch die sich eine vor der ändern auszeichnet, mit Aufmerk samkeit nachdenket. (Indessen macht nach Feder die Geschichte offenbar, daß das mehreste auf die moralischen Ursachen ankommt, und daß z. B. der Zustand von Künsten und Wissenschaften in einem Volk das Aufkommen des Genies beeinflußt. Unter Verweis auf historische Persönlichkeiten macht Feder dann geltend, daß oft beiläufige und geringe Umstände entscheidend dafür sind, welcher bestimmten Geistesbeschäftigung sich jemand zuwendet; bei claßischen Geistern entspringe dies vielfach auch deren eigenem Entschluß.) [71] Ich wollte nicht beweisen, daß die Bestimmung des Genies durch innere Dispositionen gar nicht gegründet seyn könne; sondern nur, daß die äusserlichen Ursachen wahrscheinlicher Weise das meiste dabey thun. Ich habe schon bemerket, daß selbst die Lust, die einer bey gewissen Beschäftigungen findet, von der Natur der Empfindungs- und Bewegungswerkzeuge zum Theil herkommen könne. Und wenn offenbar der Zustand der Imagination von dem Zustande des Körpers, von der Beschaffenheit der Nahrung und des Klima abhängt; wenn vermöge physischer Ursachen die Lebhaftigkeit der Vorstellungen grösser oder geringer, ihr Fortgang schneller oder langsamer zu seyn pfleget: so ist nicht zu leugnen, daß einer zur völligem Empfindung, zu bilderreichen Vorstellungen, zur Vergleichung und zu Verbindungen der Begriffe, die auf ihrer Ähnlichkeit beruhen, der andere zur subtilem Auflösung derselben, zum langsame ren Nachdenken, zu Bemerkung der Unterschiede, die den flüchtigen, feurigen Köpfen entwischen, vorzüglich geschickt seyn könne, schon zu Folge derjenigen Beschaffenheit [72] seiner Organen, die er mit auf die Welt bringt.
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Einen ursprünglichen Unterschied in den Kräften des Geistes beweist der Unter schied der Menschen, nach dem einige überhaupt zu gar nichts Fähigkeiten haben, da andere in allem, was sie lernen, einen guten Kopf beweisen. Allgemeine Folgen: Auf Lust und Neigung kommt das Meiste an. Folge nun entweder der Neigung 5 des Knaben, oder wenn du ihm aus guten Gründen die Bahn vorlegst, so streue überall Blumen auf dieselbe und entferne die Dornen, bis er ihrer so gewohnt wird, dass es sein natürlicher Lauf ist. Das Innere des Jünglings musst du kennen. Gieb acht, wodurch die Einbildungskraft zur feurigen Aufmerksamkeit erweckt, wodurch das Spiel seiner innern Organe auf eine für ihn ergötzende Weise erregt wird; doch bei 10 der Veränderlichkeit des Alters lässet sich noch kein sicherer Schluss ziehen. Den sichtbaren Körper gewöhne zu einer gewissen Unempfindlichkeit, dass die Seele nicht so leicht durch ihn gestört wird. Gieb ihm gehörige Bewegung, damit der Lauf seiner Säfte befördert, und die Organe rege erhalten werden. Besonders lass keine Triebe der Unmässigkeit aufkommen, diese rauben das Licht der Seele, tödten die feineren 15 Empfindungen, und entnerven den inneren Menschen allzubald. Und noch mehr, scheinet es, beweiset einen ursprünglichen Unterschied in den Kräften des Geistes derjenige Unterschied der Menschen, nach welchem einige überhaupt zu gar nichts Fähigkeit haben, da andere in allem, was sie nur anfangen einen guten Kopf beweisen. Man müßte dem Paradoxen sehr ergeben seyn, wenn man diese Folge gar nicht für gegründet erkennen wollte. Nichts desto weniger aber kann es leicht geschehen, daß man sich bey der Anwendung derselben irret; wenn sie gleich im All gemeinen richtig ist. Und nur in der Rücksicht will ich einige Zweifel dagegen vortragen. (Feder legt dar, daß die sogenannte Unfähigkeit oft nur eine scheinbare ist; er erörtert nochmals die Frage, ob ein angeborener Unterschied der Fähigkeiten ganz und gar im Körper liege, oder ob die menschlichen Seelen selbst durch Grundbestimmungen auch hier von einander unterschieden sind; das Ergebnis bleibt in der Schwebe.) [79] Aber wozu alles dieses, dachten vielleicht schon lange einige Leser? Letzteres nur zur Aufklärung des übrigen; alles zusammen aber um der practischen [80] Folgen willen. Sie sind aus dem, was ich hie und da bemerket habe, wohl nicht schwer zu ziehen. Ich will doch noch etliche besonders anzeigen. Auf Lust und Neigung kömmt das meiste an. Folge also entweder der Neigung, die sich von selbsten einfindet, bey der Wahl und Ordnung der Geistesbeschäfftigungen; oder wenn du aus guten Gründen dem Lehrlinge die Bahn vorzeichnen mußt, die er gehen soll, so mache daß er Blumen auf derselben finde, und entferne die Dornen, bis er ihrer also gewohnt ist, daß es sein natürlicher Lauf wird. Das Innere des Lehrlings mußt du kennen, du magst entweder seinem natürlichen Triebe folgen, oder ihm welche erwecken wollen. Gieb acht, wodurch die Einbildungskraft desselben zur feurigen Aufmerk samkeit erweckt, wodurch das Spiel seiner innern Organen auf eine für ihn ergötzende Weise erregt wird. Aus einer Beobachtung lässet sich noch kein sicherer Schluß ziehen im Alter der Veränderlichkeit. Das gewöhnliche aber ist Natur. [81] Auch der äussere sichtbare Körper ist dem Geiste wichtig. Gewöhne ihn zu einer gewissen Unempfindlichkeit, daß die Seele nicht so leicht durch ihn gestört wird; gieb ihm gehörige Bewegung, damit der Lauf seiner Säfte befördert, und die Organen rege erhalten werden. Besonders aber laß keine Triebe zur Unmäßigkeit aufkommen: denn diese rauben der Seele das Licht, tödten die feinem Emp findungen und entnerven den innern Menschen allzubald.
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VI. Capitel. Von den Gründen der Neigungen, die das Recht oder Uebelverhalten eines Men schen hauptsächlich bestimmen. B egierd e schreibt man in der Philosophie einem Menschen zu, wenn er etwas im Sinne hat, so er als gut und nöthig sich vorstellet 5 und daher zu erhalten bemüht ist. N eig u n g , wenn einer Wohlgefallen daran hat, und von Zeit zu Zeit Begierden darnach äussert. L eiden sch aft, wenn die Begierde, die sie erregt, die Empfindungen der Freude oder des Verdrusses, die in ihr gegründet sind, so heftig sind, dass sie das Gemüth beunruhigen, und den Menschen in den Stand des AfFects setzen. T rieb ist die io Richtung der thätigen Kraft etwas Gewisses zu bewirken. M echan isch e sind, die im Körper allein liegen; geistig e sind Richtungen der geistigen Triebeskräfte; wenn letztere bloss durch dunkle Vorstellungen erregt und geleitet werden, so heissen sie b lin d e T riebe; wenn sie von vernünftigen Vorstellungen von der Ueberlegung und deutlichen Erkenntniss abhangen, verstän d ige oder v ern ü n ftig e 15 Triebe. Eine Neigung entsteht oft aus der ändern, oder eine wird auch durch eine andere verdrängt. Das Sonderbarste ist, dass eine solche aus einer ändern abstammende 8 heftig] Th: häufig
13 wenn] Th: werden
16 abstammende] Th: abstammenden
[82] Sechstes C apitel Von den Gründen der Neigungen, sonderlich derjenigen, die das Recht- oder Übel verhalten eines Menschen hauptsächlich bestimmen ... N eig u n g en , B e g ierd en und T riebe sind Namen, die vielfältig als gleich bedeutend gebraucht werden; in der genauem Sprache der Philosophen aber pflegt man sie bisweilen von einander zu unter scheiden, um einiger Fragen willen, die darnach leichter berichtiget werden können. Nemlich eine B e gierde schreibt man einem Menschen zu, wenn er etwas im Sinne hat, so er als gut, als nöthig, sich vor stellet, und daher zu erhalten bemüht ist. Eine N eigung aber schreibt man [83] ihm zu in so fern man weiß, daß er Wohlgefallen an etwas hat, und von Zeit zu Zeit Begierden darnach äussert, ob er gleich itzt nicht daran denkt, oder darnach strebet; und man nennt die Neigung eine L eidenschaft, wenn die Begierden, die sie erregt, die Empfindungen der Freude oder des Verdrusses, die in ihr gegründet sind, so heftig sind, daß sie das Gemüth beunruhigen, und den Menschen in den Zustand des A ffects ver setzen. Endlich nennt man die Richtung der thätigen Kraft etwas gewisses zu bewirken einen T rie b ; und unterscheidet die m echanischen T riebe, solche die im Körper ganz allein liegen, von den g eis ti schen Trieben, oder den Richtungen der geistischen Kräfte, welche letztem b lin d e Triebe heissen, wenn sie nur durch dunkle Vorstellungen erregt und geleitet werden, v erstän d ig e oder v ern ü n ftig e Triebe aber, wenn sie von vernünftigen Vorstellungen, von der Überlegung und deutlichen Erkenntniß abhängen. (Feder will nun den Gründen der Neigungen, sonderlich derjenigen, die das Herz gut oder bös machen, genauer nachdenken.) [84] Was für das gewisseste bey dieser manchen Schwierigkeiten ausgesetzten Untersuchung gehalten werden kann; scheinet dieses zu seyn, daß oft eine Neigung aus der ändern entsteht, oft auch eine durch die andere vertrieben wird. (Es folgen Beispiele.) [85] Und das Sonderbarste hiebey ist dieses, daß eine also erzeu g te, aus einer ändern abstam m ende
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Neigung das Ansehen gewinnen kann, als wäre sie eine Grundneigung, so dass sich der erste Beweggrund aus Begierde die andere durchzusetzen verliert. Auch entspringt bei einem Menschen eine Neigung nicht aus den nämlichen Gründen, wie bei dem ändern, und dass oft viele Gründe zusammen kommen, eine Neigung zu erzeugen und zu befördern. Der Trieb, V und Uebel von sich zu entfernen, liegt offenbar in dem Herzen aller zu Menschen. Der Trieb sein Leben zu erhalten, ist nur eine Folge davon, denn ein elend harmvolles Leben achtet ein Mensch nicht mehr. Kein Mensch hat eine Gleichgültigkeit gegen das Glück, Wohlstand, Freude, Verdruss, Elend, Unglück anderer Menschen; nur der bezweifelt diese Meinung, der den Menschen bei Ausbrüchen solcher Neigungen beobachtet, die nicht Grund neigungen sind. Aus dem Obigen schreiben einige dem Menschen den Trieb des se in e m
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n a c h
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g e h e n
Neigung das Ansehen gewinnen kann, als wäre sie eine G ru n d n eig u n g ; daß ein Mensch dasjenige, was er erst nur [86] um einer ändern Begierde willen gesucht hat, nur als ein Mittel begehrt hat, zuletzt als um sein selbst willen, als eine letzte Absicht begehret, also darnach strebet, daß er die Absicht, die ihn zuerst dazu getrieben hat, darüber vergisset, noch fortfähret darnach zu streben, wenn dieselbe nicht mehr statt findet, wenn der erste Bewegungsgrund und die M u tte rn e ig u n g , sich völlig verloren haben. ... [87] Auch dieß ist vorläufig noch anzumerken, daß bey einem Menschen eine gewisse Neigung nicht aus eben den Gründen allernächst entspringt, wie bey dem ändern; und daß oft vielerley Gründe zusam men kommen, eine Neigung zu erzeugen und zu befördern, daher man auch in dieser Materie die Schlüsse aus einzelnen Erfahrungen nicht so bald all-[88]gemein machen darf. ... Die letzten Gründe aller menschlichen Neigungen anzugeben, kann man nicht sicher wagen, wenn man nicht wenigstens die vornehmsten derselben einzeln untersuchet hat. ... E ine Neigung, ein Trieb, findet sich sehr offenbar in dem Herzen aller Menschen. Dieß ist der T rieb seinem V ergn ü g en nachzugehen, und Übel von sich zu entfernen; zu machen, daß es einem wohl oder nicht mehr übel ist, zu suchen, daß man innerlich vergnügt und zufrieden ist. Der T rieb sein Le ben zu [89] erh alten , ist nicht dieser ganze Trieb, sondern vielmehr nur eine Folge aus demselben. Denn der Mensch achtet das Leben nicht mehr, wenn die Sorge dafür einer grössern Absicht hinderlich, oder wenn es nichts mehr als Schmerz, Elend und Verdruß zu seyn scheinet. Alles aber zusammen wird unter dem Namen der S elbstliebe begriffen ... Aber daß der Mensch von Natur nicht ganz gleichgültig gegen andere Menschen, oder überhaupt gegen lebendige Geschöpfe ist, daß er von dem Anblicke, oder auch schon von der blossen Vorstellung des Elendes eines ändern dergestalten bewegt und hingerissen werden kann, daß er, ohne sich zu besinnen, ohne einmal an sich seinen Schaden oder Vortheil dabey zu gedenken, zu Hülfe eilt, oder, wenn er selbst [90] vorhatte dem ändern ein Leid zuzufügen, dadurch zurück gehalten wird; daß er ein uneigennütziges, nicht auf die Vorstellung seines Vortheils gegründetes Vergnügen an dem Glücke und Vergnügen anderer haben kann, und wann er sich nicht vorstellet dabey zu verliehren, wenn er neidisch zu werden, oder den ändern zu hassen, keine besondere Ursache hat, allemal einen Menschen lieber glücklich und vergnügt, als nothleidend und betrübt weiß: dieses alles ist eben so gewiß; und kann nur von demjenigen bezweifelt werden, der den Menschen nicht anders, als in den Ausbrüchen, oder bey der Wirksamkeit solcher Nei gungen, beobachtet, die keine ursprüngliche, wenigstens nicht die einzigen Grundneigungen sind. Und in Rücksicht auf diese bemerkten Äusserungen der menschlichen Natur schreiben einige dem Menschen einen T rieb des W o h lw o llens zu. Andere verstehen eben dieses unter dem Namen der Sym pathie, oder des T riebes der Sym pathie.
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Wohlwollens, andere den Trieb der Sympathie zu. Als begriffen in der S e l b s t l i e b e , d. i. dem Triebe zum Angenehmen und nützlich Scheinenden können um so viel mehr mancherlei Neigungen betrachtet werden, weil es scheint, dieser Name werde wegen der Bequemlichkeit gebraucht, um mehrere derselben, die unter einem 5 gemeinschaftlichen Begriffe zusammen kommen, zusammen zu fassen, und auf ein mal anzuzeigen. Denn so vielerlei Dinge es giebt, die unmittelbar um ihrer selbst willen uns angenehm erscheinen, so vielerlei Urquellen der Lust in unserer Natur sich finden, so vielerlei besondere Grundtriebe des Willens scheinen es auch zu seyn, die man unter dem Namen der Selbstliebe zusammen begreift. Andere hingegen io stellen sich diesen Grundtrieb zum Angenehmen als eine Wurzel vor, aus der alle besonderen Neigungen dieser Art, als so viele Aeste entspringen. Einer der frühesten von diesen mancherlei Trieben ist der T rieb sich zu nähren. Eine unangenehme Empfindung scheint die erste Triebfeder hierbei zu seyn. Dieser 15 und mehrere andere Triebe sind anfangs blinder Trieb, keine eigentliche Begierde. Auch kommen hierzu noch andere Beweggründe, das Vergnügen, das Speise und Diesem Triebe der Sympathie oder des Wohlwollens so lange nachzuspühren, bis man [91] ihn in den Trieb der Selbstliebe sich verliehren sieht; ist eine Subtilität, die, wenn sie Gründe für sich hat, dem Lehrer in dem Innersten der Schule wohl verziehen werden kann. Aber wir können uns ihrer überheben; wenn wir nur merken, daß die gewaltigsten unserer Triebe, durch die die ändern leicht überwältiget, aber auch verstärket werden können, diejenigen sind, die in der Selbstliebe begriffen sind, oder aus ihr entspringen. Als begriffen in der Selbstliebe, oder dem Triebe zum Angenehmen und nützlich scheinenden, können um so viel mehr inancherley Neigungen betrachtet werden; weil bey genauerer Untersuchung es scheinet, daß dieser Name nicht eine einzige Grundbestimmung der menschlichen Natur anzeiget, sondern viel mehr der Bequemlichkeit wegen gebraucht wird, mehrere derselben, die unter einem gemeinschaftlichen Begriffe zusammen kommen, zusammen zu fassen und auf einmal anzuzeigen. Nemlich so vielerley Dinge es giebt, die unmittelbar um ihrer selbst willen uns ange-[92]nehm sind, so vielerley Urquellen der Lust in unserer Natur sich finden: so vielerley besondere Grundtriebe des Willens scheinen es auch zu seyn, die man unter dem Namen der Selbstliebe zusammen begreifet. (Feder zählt verschiedene sinnliche und geistige Vergnügen auf); setzt nicht ein jedes dieser Vergnügen einen eigenen Trieb im Willen, wie einen eigenen innern Sinn, voraus? So denken einige. Andere aber stellen sich unter der Grundneigung zum Angenehmen gleichsam eine Wurzel [93] vor, aus welcher alle besondere Nei gungen dieser Art, als so viele Äste, entspringen; ... W ir wollen nun dieses wieder die Philosophen mit einander ausmachen lassen, und uns nur so viel daraus merken, daß, um diesen nun einmal sogenannten Trieb der Selbstliebe, oder wenn andere lieber wollen, diesen unnennbaren Grundtrieb, besser zu verstehen, es nöthig ist, die mancherley Neigungen und Triebe, die darinne zusammen kommen, ... [94] einzeln anzusehen. ... Einer der frühsten Triebe ist d er T rieb sich zu nähren. Es scheinet nicht zweifelhaft, daß unan genehme Empfindung die erste Triebfeder hiebey ist. Dieser Trieb, wie mehrere andere, ist anfangs ein blinder Trieb, noch keine eigentliche Begierde. ... [95] Die Erfahrung lehret aber, daß zu diesem Triebe, oder vielmehr zur Bewirkung der Handlungen, zu denen er allererst antreibt, bald andere Bewegungsgründe hinzu kommen. Die Vorstellung des Vergnügens, das Speise oder Trank uns gewähren, die Nachahmung,
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Trank uns gewähren, Nachahmung, Folgsamkeit, Gewohnheit, auch der Gedanke, dass Essen und Trinken zu unserer Erhaltung nöthig ist, u.a.m. W ie mit diesem Trieb, so verhält es sich auch mit den anderen. Der T rieb zur G esch äftigk eit ist eben so früh; nemlich körperliche, mecha nische Geschäftigkeit. Er bewirkt in uns Entwickelung unserer Kräfte. Er scheint 5 auch aus einer unangenehmen Empfindung herzustammen; Unthätigkeit in der Länge wird beschwerlich. Auch kommen noch andere Anreizungen hinzu: Vor stellung des bewussten Vergnügens, des Nutzens, der Ehre, der Pflicht. Die Natur bedient sich überall, wo schnellere und stärkere Thätigkeiten hervor gebracht werden sollen, des Mittels der unangenehmen Empfindung, denn von dieser io suchen wir uns immer zu entfernen. Bald erwacht auch der Trieb der N achahm ung. Er entsteht insonders aus dem Unvermögen, sich selbst zu was zu bestimmen. Es giebt nachher auch eine halb 4 nemlich] möglicherweise von Th verlesen für: nicht Folgsamkeit, Gewohnheit, auch der Gedanke, daß Essen und Trinken zu unserer Erhaltung nöthig ist, und vielleicht noch andere Vorstellungen, können einen dazu bringen. Diese kurze Geschichte des gemeinsten unserer Triebe enthält schon in gewisser Maase die Geschichte der übrigen. ... Der T rie b der G eschäfftig keit ist ein eben so früher Trieb. Ich rechne nicht daher diejenigen Bewegungen im menschlichen Körper, die wahrscheinlicher Weise ganz mechanisch erfolgen, ohne daß die Seele dabey [96] mit zu wirken durch Empfindungen oder Vorstellungen gereitzet wird. Aber die jenigen Thätigkeiten, die, wie wir hernach gewahr werden, nur erfolgen wenn wir wollen, und die so früh anfangen, ohne Zweifel früher noch, als wir es beobachten können; diese sind es, weswegen wir einen Trieb der willkührlichen Thätigkeit, oder einen Trieb zur Beschäftigung, in dem Innersten der Mensch heit erkennen müssen. Die Absicht, oder vielmehr die mancherley Absichten, warum uns der Schöpfer denselben eingepflanzet hat, sind leicht zu erkennen. Erst bewirkt er die Entwicklung unserer Kräfte, dann macht er uns für uns selbst und für andere nützlich. ... Die erste Anreizung dieses Triebes scheinet abermals eine unangenehme Empfindung zu [97] seyn. ... wir wissen ja, daß Unthätigkeit in die Länge beschwerlich wird, weil die Lebensgeister sich zu sehr an einem Orte häufen; Zerstreuung, Bewegung, ist daher ein natürliches Bedürfniß, wie Essen und Trinken. Aber nachher bekömmt auch dieser Trieb noch andere Anreizungen. Vorstellung des bewußten Vergnügens, Vorstellung des Nutzens, Vorstellung der Ehre, Vorstellung der Pflicht, erwecken und unterstützen ihn Wechsels weise, oder auch mit einander. [98] Hier kann ich nicht umhin, eine Anmerkung einzuschalten, die an mehrern Orten in der Seelen lehre Bestätigung findet, und wegen der praktischen Folgen wichtig ist; nemlich diese, daß die Natur überall, wo schnelle und stärkere Thätigkeiten hervorgebracht werden sollen, sich des Mittels der un angenehmen Empfindung, oder welches in so weit einerley ist, der Furcht bedienet. Ein angenehmes Selbstgefühl erzeuget eher Begierde in dem Zustande zu bleiben, als ihn zu verändern. ... Man ist we-[99] niger hitzig, einen erträglichen oder wohl gar ergötzenden Zustand zu verlassen, um eines bessern willen, als von einem unerträglichen sich zu befreyen. ... W enn der Trieb zur Beschäfftigung in seiner ersten Wirksamkeit nichts anders ist, als ein Bestreben, von der unangenehmen Empfindung sich zu befreyen: so ist alles für uns gut, was nur eine Bewegung uns verschaffet, die weniger beschwerlich ist, als der Zustand, aus [100] dem wir fort wollen. ... Bald erwacht auch zu seiner Unterstützung ein anderer Trieb, der Trieb der N achahm ung. Dieser
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unwillkührliche Nachahmung. Auch mit Ueberlegung ahmen wir die nach, für die wir Hochachtung und Liebe haben, theils um ihnen zu gefallen, theils ihnen ähnlich zu werden. D er T rieb ändern sich gefällig zu m achen, woher kommt dieser? Ur sprünglich wollen wir nicht sagen, dass diese Anreizung sey. Vielmehr scheint die Furcht vor den nachtheiligen Folgen, die der Unwille, Zorn und Hass anderer für uns hat, am meisten zu wirken. Dazu gesellen sich Erwartungen von Liebe und Achtung, auch die Vorstellung der Pflicht. Nun kommt der T rieb , seine P flich t zu b efo lg en , den man bei dem Men schen in sofern für ursprünglich halten kann, soweit ihn das eigene Gefühl der Lust oder der Schmerz antreibt, etwas zu thun, was ihm oder ändern gut ist. 10 Lust] Th: Kunst Trieb ist fast immer in gleichem Verhältnisse mit dem Bedürfnisse der Beschäftigung, und dem Un vermögen sich selbst zu etwas zu bestimmen. Es sind unterdessen auch andere Ursachen, die ihn reitzen. Es giebt eine gewisse halb unwillkührliche Nachahmung, die man nicht ohne Grund der S ym pathie zuschreibt ... [101] Auch mit Überlegung ahmen wir diejenigen nach, für die wir Hochachtung oder Liebe haben; theils aus Begierde ihnen zu gefallen, theils in der Absicht ihnen ähnlich zu werden. Und oft genug nimmt auch auf diese Weise einer des ändern Fehler an. Der T rieb än d ern sich gefällig zu m achen, um ihren Beyfall, ihre Liebe und Achtung, sich zu bewerben, woher kömmt dieser, wodurch wird er erregt? Es sind dieß wirklich zweyerley Fragen, woher ein Trieb kommt, das heißt, was ihn ursprünglich gründet, erzeuget oder erwecket, und was her nach hinzukömmt, ihn zu reitzen. Lasset uns nicht dagegen streiten, daß nicht das sympathetische Gefühl, und das daraus erwachsende Verlangen andere nicht zu betrüben, eine der ersten Anreitzungen dieses Triebes sey. Denn es ist unrecht, die menschliche Natur schlimmer vor-[102]zustellen, als sie ist. Aber der Beweis möchte uns fehlen, wenn wir annehmen wollten, daß diese Anreitzung u rsp rü n g lich eine der mächtigsten sey. Vielmehr scheint dieses die Furcht zu seyn, die Furcht vor den unangenehmen und nachtheiligen Folgen, die der Unwille anderer, ihr Zorn und Haß, für uns hat. Dazu gesellen sich hernach allerhand Erwartungen von ihrer Liebe und Achtung gegen uns. ... Es kömmt hinzu die Vorstellung der Pflicht, diese mächtige Triebfeder, wenn wir erkennen, daß wir jemanden Dankbarkeit, oder Gehor sam, oder menschenfreundliche Gefälligkeit, schuldig sind. Aber was für einen T rieb der P flich t zu folgen hat die menschliche Natur ursprünglich in sich? Einen b lin d en Trieb zu thun was recht ist, ohne daß man weiß, daß, und warum, es recht ist, kann man in so weit [103] zwar in dem Menschen annehmen, in wie weit das eigene oder das sympathetische Gefühl des Schmerzens und der Lust ihn antreibt, das zu thun, was für ihn selbst oder für den ändern gut ist. Und man kann vielleicht behaupten, daß der Mensch, der noch keine Vernunft hätte, durch diesen blinden Trieb meist sicher genug würde geführt werden... Aber bey allem dem ist es offenbar, daß die Pflichten, die man sich und der Gesellschaft schuldig ist, gehörig zu befolgen, mehr nöthig ist, als dieser blinde Trieb, der nur durch Empfindung oder höchstens durch undeutliche Vorstellung des nächsten Vortheils oder Schadens gereitzet werden könnte. Und wenn nur derjenige rechtschaffen ist, und seine Pflichten befolget, der es thut, weil er erkennet, daß es recht und Pflicht ist: so müssen wir den eigent lichen Trieb der Pflicht zu folgen bey der erweiterten Erkenntniß des Menschen suchen. (Es folgt eine kurze Erörterung über den Begriff des Rechts und darüber, welche Beweggründe den jungen Menschen, der diesen Begriff noch nicht habe, zum Rechttun und zur Tugend veranlassen.)
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Noch sind gesellsch aftlich e T riebe und lieb reich e N eig u n g en übrig. Gott hat den Menschen zum gesellschaftlichen Leben bestimmt, weil sich seine Kräfte zu Anderer Vortheil sonst nicht entwickeln könnten. Den Menschen machen zu einem gesellschaftlichen Leben ungefähr diese Gedanken geneigt: das unmittelbare Wohlgefallen an seines Gleichen; Erinnerung vieler vergnügter Stunden; oft auch 5 Liebe der Dankbarkeit, die aus dem Wohlgefallen, das der Mensch an den Quellen seines Glücks hat, nicht aus Eigennutz entspringt, der Name kommt auch dazu; und wie lieblich sind alsdann die Triebe, wenn die grossen Gedanken der Rechtschaffenheit sich der Seele bemeistert haben, ferner freundschaftliche Liebe und Vaterlandsliebe, väterliche und kindliche Liebe. io Aber kommt nicht auch Böses von der Natur? Ist den äusserlichen Ursachen, Beispielen etc. jede böse Neigung zuzuschreiben? Einen Grundtrieb zum Bösen, d. i. zum eigenen Verderben, und Nachtheil m e in
11 von] Th: von
[107] Noch sind uns die gesellschafftlichen T rieb e und lie b re ich en N eig u n g en übrig, die wir nicht ganz vorbey gehen dürfen. Daß der Mensch zum gesellschaftlichen Leben von dem Urheber der Natur bestimmt ist, kann daraus wohl gefolgert werden, daß er ausser demselben seine Kräfte nicht würde entwickeln können, die zu seinem und anderer Vortheile in ihm sind. Aber dieser Gedanke ist nicht der erste Antrieb, der den Menschen geneigt macht, sich zu seines gleichen zu gesellen. Das un mittelbare Wohlgefallen an seines gleichen, mit denen man eben deswegen, weil sie ähnliche Triebe und Empfindungen mit einem haben, leichter sympathisirt, lieber sich beschäftiget, zieht hauptsächlich an; und jede Erinnerung an die vergnügten Stunden, die man unter den kindi-[108]schen Spielen, in dem freundschaftlichen Umgange mit ändern, zugebracht, stärket den Trieb und erhöht das Gefühl des Werthes des gesellschaftlichen Lebens, macht endlich den gewohnten Umgang unentbehrlich. Liebe der Dank barkeit kömmt hier und da hinzu. Diese entspringt natürlich aus dem Wohlgefallen, das der Mensch an den Quellen seines Glückes hat. Daß ihre Äusserungen weit vom Eigennutze entfernet seyn können, siehet man auch daraus, daß auch wohl gegen unbelebte Dinge, die in die Geschichte unserer Freuden eingeflochten sind, Wallungen der Liebe in einem empfindsamen Herzen aufsteigen. Der Name m ein, thut endlich auch etwas bey der Sache. Mein Freund, mein Landsmann, mein Kind, sind gewisser massen Ich selbst, ihre Ehre ist die meinige. Aber edel und würdig und über die thie-[109]rischen Triebe völlig erhaben, sind alsdenn die liebreichen Triebe, wenn die grossen Gedanken der Rechtschaffenheit sich der Seele bemeistert haben; ... Dann sind freundschaftliche Liebe und Vaterlandsliebe, und väterliche und kindliche Liebe, das geworden, was derjenige, der die Würde der Menschheit fühlt, nicht ohne Entzückung denken kann, dasjenige, woraus ihm eine Seligkeit quillt, die ihn die thierischen Triebe auf eine weit genugthuendere Weise vergessen macht, als der aristippische Weise die W ürde der Menschheit vergißt, wenn er in dem Strome der thierischen Wollust schwimmt. ... [110] Ich bin der Ordnung der Natur in Aufsuchung des Ursprungs unserer Triebe gefolget. ... [111] Aber wir haben die Natur bisher von der guten Seite nur betrachtet. Kömmt nicht auch Böses von ihr her? Ist äusserlichen Ursachen, dem Beyspiele und dem Unterrichte jede bösartige Neigung zuzuschreiben? ... Einen bloß zum B ösen, zum eigenen Verderben oder zum Nachtheile anderer, gerichteten G ru n d trieb , habe ich in der menschlichen Natur noch nicht entdecken können. Der Mensch liebt sich, und
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Anderer, habe ich noch nie ausfindig gemacht. Der Mensch liebt sich und kann sein Verderben auf keine Art wollen. Er schadet sich bloss aus Irrthum. Zum Irrthum aber ist der menschliche Verstand auch nicht bestimmt; er strebt nach Erkenntniss, aber nicht um Falsches anzunehmen. Einen Wahn, der keinen 5 Schein der Wahrheit hat, nimmt er nicht an. Aber der Mensch hört ungern Vorstellungen, die einen angenehmen Wahn ver nichten; aber auch diese Beschaffenheit ist nicht immer zum Bösen. Aber hat der Mensch ein Wohlgefallen an anderem Unglück und Schmerz? Viele Beispiele rechtfertigen diesen schrecklichen Gedanken. Aber die kindischen Triebe io sind gewiss anfangs unschuldig; den Schaden, den Kinder anrichten, sehen sie nicht ein, vielweniger wollen sie ihn. Man hat oft die Thorheit, die Kinder an die frühe Lust, dem Verbot zuwider zu handeln, zu gewöhnen. Die Neigung hat aber auch 6 ungern] Th: gern kann sein Verderben auf [112] keine Weise wollen. ... Wenn er vorsetzlich sich schadet: so ist es allemal aus Irrthum. Aber vielleicht ist sein Verstand zum Irrthume bestimmt: vielleicht liebt er den Irrthum? Der Ver stand kann nicht zum Irrthume bestimmt seyn. Er strebt nach Erkenntniß nicht in der Absicht, Falsches anzunehmen. ... Hätte nicht dieser Wahn einigen Schein der Wahrheit für sich, er würde ihn nicht beypflichten können. [113] Allerdings aber ist dieß dennoch eine Quelle der Vergehungen des Menschen, ein Schutz der bösen Neigungen, daß er ungerne Vorstellungen Gehör giebt, die einen angenehmen Wahn vernichten, und leichter überzeugt wird, wenn sein Herz schon dahin ihn treibt, wo die Überzeugung den Verstand hinleiten soll. Aber auch diese Beschaffenheit der menschlichen Natur ist nicht blos zum Bösen. Die Wahrheit selbst kann Vortheile davon ziehen. ... Hat der Mensch Grundtriebe ändern zu schaden; ein natürliches Wohlgefallen an ihrem Unglücke und Schmerz ? [114] Diesen schrecklichen und niederschlagenden Gedanken, scheinet es, rechtfertigen die Exempel solcher Menschen, die ein unmittelbares Vergnügen daran zu haben scheinen, andere zu kränken, sie zu beschimpfen, verdrüßliche Dinge ihnen zu sagen, ihre Freude zu stören. Und gewiß, diese Beobachtung rechtfertiget ihn noch mehr, als dieses, daß die Kinder ihre Lust haben am Zerbrechen und am Schlagen; daß sich frühzeitig eine Neigung zur Rache in ihnen äussert, und eine Neigung das Verbotene um so viel mehr zu begehren, weil es verboten ist. Denn diese kindischen Triebe sind anfangs wenigstens unschuldig. Sie suchen blos Beschäftigung und Veränderung, sie haben Lust an der Anwendung ihrer Kräfte; den Schaden den sie anstiften, ver stehen sie noch nicht; viel weniger wollen sie ihn. Der Trieb sich dem zu widersetzen, was uns Schmerzen und Nachtheil verursachet, ist nicht schlechterdings böse. Und jede Äusserung desselben bey den Kindern darf man nicht gerade zu auf die [115] Rechnung der Natur schreiben; da man sieht, daß unvorsichtige Erwachsene ihnen die erste Anweisung geben, indem sie das Bret schlagen, auf welches das Kind gefallen ist, oder woran es sich gestossen hat; eine grosse Thorheit. Eine andere Thorheit der Erwachsenen ist auch Ursache mit von der frühen Lust dem Verbote zuwider zu handeln; diese nemlich, daß man im Scherze dem Kinde etwas verbietet, und zur Übertretung des Gebots auf diese Weise recht geflissentlich es ange wöhnet. Doch diese Neigung das Verbotene zu begehren, hat noch andere Gründe. Erstlich kann es nicht
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folgende Gründe; man verbietet dem Kinde oft was, woran es sich ergötzt, und keinen Beweggrund des Verbots angiebt, als dass man bloss den Befehl mit Schelt worten etc. unterstützt. Noch schlimmer ist, wenn es den Kindern gelingt, seinen Willen durchzusetzen, und das Schlimmste ist endlich, wenn man Befehle giebt, die zu verabscheuen sind. 5 Aber sind jene abscheulichen menschenfeindlichen Neigungen Erwachsener, von denen die zarte Kindheit keine Spuren aufweist, sind diese Grundtriebe ? Die Quellen lassen sich leicht finden. Schwache Menschen sind es, die sich keine besseren Gefühle ihrer Kräfte zu verschaffen wissen, als das, das ihnen die Ueberwältigung der Freude eines ändern giebt; veraltete Kinder, die bei ihrem Trieb die Geschäftigkeit kennen; 10 Unglückliche, die die freudevollere Beschäftigung nicht kennen; höchstens sind es Blödsinnige, die meinen, sie müssen ändern begegnen, wie man ihnen begegnet ist; meinen, sie geben sich ein Ansehen, wenn sie anderer Vergnügen durch dumme Bosheit, oder durch witzige Bosheit stören; meinen es sey ihnen besser, wenn sie ge 15 fürchtet, als wenn sie geliebt werden. 10 veraltete] Th: Veraltete bei ihrem Trieb die Geschäftigkeit] Hegel möglicherweise: bei ihrem Trieb d. Geschäftigkeit (davor oder danach ausgelassen: noch keine Zwecke^ anders seyn, als daß das Kind Lust wider das Verbot zu handeln haben muß, wenn man ihm etwas ver wehret, woran es sich ergötzet, ohne ihm einen ändern Bewegungsgrund zu geben, es nicht mehr zu thun, als den blossen, wohl mit Scheltworten, Drohungen oder Schlägen unterstützten Befehl; wenn man nicht wenigstens durch die Liebe, die man ihm gegen einen einflösset, den Befehl angenehm macht, durch neue BeschäfFtigung den Verdruß, den es über dem Verbo-[116]te empfindet, w enigstens zerstreuet. Noch schlimmer wird es, wenn es dazu kommt, daß es dem Kinde gelingt, seinen Willen durchzusetzen. Dieses sein Vermögen lässet ihn allerhand angenehme Folgen sehen, giebt ihm eine besondere Satisfaction, er sucht es zu behaupten, zu cultiviren, Freyheit und Unabhängigkeit wird ihm mehr und mehr ein wich tiges Gut, je mehr Proben er machet, daß sein Vergnügen, die Befriedigung seiner Begierden davon ab hänget. Völlig schlimm endlich, wenn Befehle gegeben werden, welche zu verabscheuen, entweder wegen ihrer Ungerechtigkeit, oder wegen der Quellen von denen sie herkommen, oder der ungeschickten Art, mit der sie gegeben werden, die Vernunft selbst, oder ihre Vorempfindung dem Zöglinge erlaubet. Also entstehet freylich eine bösartige Neigung natürlich; aber ihr Grund ist nicht blos Natur. Jene menschenfeindliche Neigungen aber erwachsener - soll ich sagen Menschen oder Unmenschen ? jene sind weit abscheulicher; [117] weil sie sich im Alter der Vollkommenheit äussern, und die zarte Kindheit keine Spuren davon aufweiset. Sind es denn Grundtriebe? Ich kann es nicht glauben. Währen es Grundtriebe: so müßten sie sich bey mehrern Menschen äussern. Und es ist nicht schwer, die unnatür lichen Quellen dieser gehäßigen Gesinnungen zu entdecken. Schwache Menschen sind es, die sich kein besseres Gefühl ihrer Kräfte zu verschaffen wissen, als dasjenige, das ihnen die Überwältigung der Freude eines ändern giebt; veraltete Kinder, die noch keine Zwecke kennen bey dem Triebe ihrer Geschäftigkeit; Unglückliche, die die freudenvollem Beschäftigungen nicht kennen; höchstens sind es Blödsinnige, die da meinen, daß sie ändern begegnen müssen, wie ihnen begegnet worden ist; meinen, daß die Geschick lichkeit das Vergnügen anderer durch dumme Bosheit oder durch witzige Bosheit zu stören, ihnen ein Ansehen geben werde; meinen, daß es ihnen besser sey, wenn sie gefürchtet, als wenn sie geliebt werden vielleicht verzweifeln sie daran, daß sie sich Liebe erwerben können. ...
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Aber wenn auch der Mensch sich selbst überlassen wäre, oder unter lauter recht schaffenen Menschen auferzogen würde; es würden doch böse Neigungen entstehen. Der Mensch liebt ursprünglich sich ungleich mehr als Andere. Die nahe Lust reizt ihn weit stärker als die Vorstellung entfernter Vortheile; er ist nicht im Stande, sein 5 Bestes immer auf eine deutliche Art zu erkennen, nach und nach kommt er zu höheren Erkenntnissen, und am Ziele der Menschheit, zur Tugend und Weisheit. Aber wenn nur Tugend und Weisheit dem Zöglinge immer zur Seite gingen, wenn nicht das verführerische Laster seinen begierigen Blicken begegnete, so würden die Ausbrüche böser Begierden weit geringer seyn. Die wirksamsten Ursachen derselben io liegen ausser uns. Ich will hier noch einige practische Anmerkungen, die die wichtigsten sind, beifügen. Die Sym path ie oder Mitempfindung der Glückseligkeit und des Elends Anderer ist erste Anreizung und der edelste Grund zum Wohlwollen, zur Billigkeit und Gut15 thätigkeit. Je lebhafter ein Mensch Anderer Elend empfindet, desto weniger wird er ihnen schaden, desto mehr helfen; empfindet er Anderer Freude, so wird er ihnen eben diese zu verursachen suchen. Aber wie muss dieses Gefühl der Sympathie in [118] Aber wenn auch keine ganz böse, bloß zum Schaden abzielende Triebe ursprünglich in der mensch lichen Natur gegründet sind: folget daraus, daß keine böse Begierden und Neigungen entstehen würden, gesetzt, daß ein Mensch sich selbst überlassen wäre, oder, welches noch scheinbarer, wenn er unter lauter rechtschaffenen vollkommenen Menschen auferzogen würde ? ... Der Mensch liebt ursprünglich sich ungleich mehr als andere. Die nahe Lust rei-[119]zet ihn weit stär ker, als die Vorstellung entfernter Vortheile. Er ist nicht im Stande, sein Bestes immer auf eine deutliche mit Überzeugung verknüpfte lebhafte Weise zu erkennen. Die Bewegungsgründe sind nicht gleich und nicht immer da, die ihn zum mächtigen Entschlüsse bringen könnten, einen Schmerz, einen gegenwärtigen Verlust nicht zu achten. Stufenweise kömmt er zu den höhern Erkenntnissen, und zu dem Genüsse der höhern Seligkeiten, die ihn gegen die Wallungen des Blutes, gegen die sinnlichen Reize gleichgültiger machen. Tugend und Weisheit ist das Ziel der Menschheit; aber das Ziel ist nicht beym Eingänge der Lauf bahn. Aber man müßte den Einfluß der Beyspiele und Lehren nicht kennen, wenn man einen Augenblick daran zweifeln wollte, daß nicht weit schneller und gerader der Fortgang zum Guten, und der Ausbruch böser Begierden weit geringer, ihre Stürme weit mäßiger seyn würden, wenn nur die Weisheit und Tu gend dem Zöglinge immer zur Seiten gien-[120]gen, wenn nicht das verführerische Laster seinen begie rigen Blicken begegnete. Die Geschichte der bösen Neigungen weiset es zur Genüge, daß die wirksamsten Ursachen derselben ausser uns liegen. ... Doch will ich noch einige Anmerkungen, die mir die wichtigsten zu seyn scheinen, selbst beyfügen. [121] Die S y m pathie oder die Mitempfindung der Glückseligkeit und des Elendes anderer ist die erste Anreitzung und der edelste Grund zum Wohlwollen, zur Billigkeit und Gutthätigkeit. Je lebhafter ein Mensch anderer Schmerz und Elend sich vorstellet und empfindet, desto mehr wird er zurück gehalten, ihnen zu schaden, getrieben ihnen zu helfen. Ist er im Stande an ihre Stelle sich zu setzen, um ihre Freude zu empfinden; so wird er geneigt seyn ihnen Freuden zu verursachen. Was können wir bessers thun zur Gründung der Gerechtigkeit und der Menschenliebe, als daß wir dieses Gefühl der Sympathie in den zarten
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zarten Herzen sorgfältig cultivirt werden? Das Beispiel thut das Beste. Um sie die Pflicht der Wohlthätigkeit ganz uneigennützig ausüben zu lernen, so muss man sie an den Gedanken , dass es Schuldigkeit ist, und ihnen keine Lob sprüche mittheilen. Wenn bei dem jungen Herzen die Triebe der Sympathie aus schweifend werden, ist es besser, als wenn es jetzt schon stark genug ist, dieselben zu 5 unterdrücken. Die Triebe der allzu grossen Zärtlichkeit des Mitleidens und der Gefälligkeit sind leicht [durch] Eigennutz, Klugheit und die Grundsätze des überlegten Wohlwollens zu mässigen. Der Trieb der G efä lligk eit kann oft gefährlich werden. Aber so lange der junge Mensch noch Führer hat, wird er ihm mehr nützlich als schädlich seyn; ich 10 rathe ihn nicht anzugreifen, sondern vielmehr zu erweitern, und ein Verlangen, dem bessern Theile zu gefallen, daraus zu machen. Einen Charakter, der entschlossen und standhaft bei seinen Entschliessungen ist, der eine gewisse F estigk eit der eigenen Empfindung hat, müssen wir nicht zum zärtlichen sympathetischen Herzen umschaffen. Das stärkere Gefühl der Ehre ist die Basis davon. Die Welt braucht 15 g e w ö h n e n
Herzen sorgfältig cultiviren ? Und wie werden wir dieses bewerkstelligen ? Hier, wie in allen ändern Fäl len, wo Neigungen erweckt oder gestärket werden sollen, thut das Beyspiel das Beste. ... [122] Gelegen heiten sich wohlthätig zu erweisen, werden ihm [d. i. dem Zögling] gemacht, aber wir hüten uns durch einen unzeitigen Befehl die Wohlthätigkeit zur unangenehmen Pflicht zu machen. W ir wollen, daß er diese Pflicht so uneigennützig als möglich ausüben lerne, blos um des Vergnügens willen, so sie giebt, weil Uneigennützigkeit die Seele dieser Tugend ist; und daß er sich an den Gedanken gew öhne, daß alles dieß Schuldigkeit sey. Daher ertheilen wir ihm dabey keine solche Lobsprüche, wie wir thun, wenn um seines eigenen aber künftigen ihm nur halb sichtbaren Vortheils willen er seinem itzigen Vergnügen entsagt, mühsame Arbeit nicht verabscheut. ... [123] Wenn bey dem jungen Herzen die Regungen der sympathetischen Triebe ausschweifend werden, schadet es weniger, als wenn es schon itzt stark genug ist, sie zu unterdrücken. Diese Triebe sind leichter zu mäßigen, als zu erwecken, wenn sie in ihren ersten Keimen unterdrücket worden sind. Der Eigen nutz, die Klugheit und die Grundsätze des überlegten Wohlwollens, vermögen bald, den Antrieben der allzugrossen Zärtlichkeit, des Mitleidens und der Gefälligkeit sich zu widersetzen. ... [124] Es ist nicht sowohl die Sympathie, als die Begierde zu gefallen, die, weil beyde in zärtlichen Herzen am besten Statt finden, leicht neben ihr entsteht, welche den T rieb der G efällig keit erzeugt, welcher gefährlich werden kann. Aber so lange der junge Mensch noch Führer hat, wird ihm doch auch dieser Trieb mehr nützlich als schädlich seyn; und ich würde nicht sowohl rathen, durch Vorstellungen des Schadens oder der Schande, wenn man allzu gefällig oder nachgiebig ist, ihn fürs erste anzugreifen, als vielmehr ihn zu erw eite rn , ein Verlangen dem bessern Theile zu gefallen daraus zu machen, denen, an deren Liebe und Beyfall uns am meisten gelegen ist, Gott, der Vernunft, denen die wir am sichersten für verständig halten können, endlich denen, denen wir Gehorsam, Ehrfurcht und Gefälligkeit vorzüg lich schuldig sind. Doch, wenn wir einen Charakter vor uns fänden, in welchem Entschlossenheit und [125] Standhaftig keit bey seinen Entschliessungen, eine gewisse Festigkeit der eigenen Empfindung, die sich nicht von dem mitzutheilenden Gefühle einer ändern Seele überwältigen lässet: so wollen wir nicht unternehmen, gerade zu dieses Herz umzuschaffen, zum zärtlichen sympathetischen Herzen. Die Welt braucht allerhand Cha-
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solche Charaktere, die zu Unternehmungen fähig sind. Seid ihm ein Führer auf dem Wege zum Grossen, warnt ihn vor der Thorheit, lasset sie ihn aus Proben kennen, und sich dann selbst Entwürfe machen. Muss man sich seinen Unternehmungen widersetzen, so thut es so, dass er sich die Lehre daraus merkt, es koste wenig Mühe 5 seinen Trotz zu bändigen. Die T u g e n d ist freilich noch nicht vollkommene Tugend, so lange sie von Erwartung eigener Vortheile, oder von der Furcht unterstüzt wird. Stellet einem jungen Menschen das Elend eines Menschen vor, der verachtet wird, und beweist ihm, dass nur der innerlich verachtet und verabscheut wird, der die Gesetze des gemeinen Besten [nicht] verehrt und befolgt, wie wenig die glücklich io sind, die Begierden in sich hegen, die sie verbergen müssen; wie schwer sich derjenige zum gemeinen Besten bequemen kann, der sich nicht daran gewöhnt. Zeigt ihm endlich, dass die Begierden zur Ungerechtigkeit, zu Schandthaten, zu unserer Glück seligkeit ganz gefährlich, vielweniger nöthig sind. Die Furcht ist die mächtigste Triebfeder des menschlichen Herzens; und welche 15 Furcht ist auf alle Fälle mächtiger, als die Furcht vor Gott, dem Allmächtigen, dem Allgegenwärtigen? O Freunde, lasst uns nicht mit einem eitlen Wahn uns bethören, 6 eigener] Th: einiger
9 [nicht]] Th: (nicht)
10 schwer] Th: scheu
raktere; und dieser hier ist zu Unternehmungen fähig, zu welchen die sanfte zärtliche Tugend wenigstens später sich entschliessen möchte. Ein solcher Charakter scheinet es mir, muß hauptsächlich von Seiten der Ehre angegriffen werden, deren stärkeres Gefühl meistentheils die Basis davon seyn wird; wenigstens die moralische. Denn der physische Grund könnte auch in dem Zustande der innern Organen liegen. Aber von diesen wissen wir nicht vieles; und wenn wir sie ändern können, so ist es doch nur vermittelst der Vor stellungen und Empfindungen, die wir erwecken. Seyd ihm ein Führer auf dem Wege zum Grossen, warnet ihn vor der Thorheit, die sein Unverstand begehen will, lasset sie ihn aus Proben kennen lernen und sich dann selbst Vorwürfe machen. [126] Ist es nöthig seinen Unternehmungen mit Gewalt sich zu widersetzen: so thut es so, daß er sich die Lehre daraus merket, daß es nicht viele Mühe koste, seinen Trotz zu bändigen, daß man weise seyn müsse, wenn man sein eigener Herr seyn wolle, und nicht zu vieles fordern dürfe, wenn man nicht leiden kann, daß einem etwas abgeschlagen wird. Die Tugend ist freylich noch nicht vollkommene Tugend, so lange sie noch von der Erwartung eigener Vortheile oder von der Furcht unterstützet wird. (Doch sei auch diese aus weniger edlen Beweggründen geübte Tugend von Wert; daher:) [127] Stellet ihm vor, wie elend ein Mensch daran ist, den man verachtet und verabscheuet, und beweiset ihm, daß derjenige innerlich verabscheuet und verachtet werden müsse, der nicht die Gesetze des gemeinen Besten verehret und befolget, wenn gleich aus Furcht, oder um ihres eigenen Vortheils willen, einige ihm Beyfall zu geben scheinen. Wie weit von der Glückseligkeit der Zu stand desjenigen entfernet ist, der Begierden in sich heget, die er verbergen und zurückhalten m uß; wie weit schwerer es ihm wird, nach den Gesetzen des [128] gemeinen Besten sich zu bequemen, in so vielen Fällen, da er es doch nothwendig thun muß, als es ihm werden würde, wenn er sich daran gewöhnte. Zeiget ihm endlich, daß die Begierden, die zur Ungerechtigkeit und zu Schandthaten verleiten, zu unserer Glückseligkeit nicht nöthig, aber auf vielerley Weise gefährlich sind. ... Die Furcht ist die mächtigste Triebfeder des menschlichen Herzens; und welche Furcht ist mächtiger auf alle Fälle, als die Furcht vor Gott, dem Allgegenwärtigen und Allmächtigen? O Freunde, lasset uns nicht mit einem eitlen Wahne uns bethören, als ob die Menschen der Religion entbehren könnten, um
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Religion könnten die Menschen zur Tugend entbehren. Wenn eine böse Begierde von nichts zurückgehalten werden kann, so wird es der Gedanke thun, dass Gott Zeuge unserer Handlungen ist, wenn die Liebe zur Tugend nichts anfachen würde, so wird es Religion thun. Durch sie bekommen die guten Triebe der Natur das Ansehen einer göttlichen Stimme und die Vorschriften der Vernunft werden Gesetze Gottes. Sie giebt der Seele Hoffnungen, die es in aller Betrachtung der Mühe werth machen, irdischen Begierden sich zu entziehen und nach Vollkommen heiten zu streben, die dem Menschen nur erst alsdann zu viel scheinen würden, wenn er mit diesem Körper sterben müsste. Die Tugend nimmt zu, je mehr das Vermögen wächst, dem nahen Vortheile, den sinnlichen reizenden Begierden zu entsagen, um entfernterer weniger sichtbarer Vortheile willen, das Vermögen, die Begierden zu überwinden, durch die Vorstellungen der Gesundheit und künf tigen Wohlseyns, von Ehre, innerem Beifall, Gewissen, Ehre, Gott und Ewigkeit. Die Stärkung des inneren Sinnes und des Geschmacks an feineren inneren Ver gnügungen kann dem Wachsthum der Mässigkeit, vernünftigen Tapferkeit, Weis heit und Menschenliebe beförderlich seyn. Durch Künste und Wissenschaften wird man menschlicher. Von unzählig vielen Ausschweifungen kann einen Menschen der Geschmack an nützlicher und unschuldiger ergötzender Lectüre bewahren. 3 nichts] Th: nicht so tugendhaft zu seyn, als es ihr eigenes und das gemeine Beste erfordert! (Dies wird in rhetorischer Weise näher begründet.) [130] Zur Zeit, wenn nichts die böse Begierde zurück halten würde, wird es der Gedanke thun, daß Gott Zeuge unserer Handlungen ist; wenn nichts den Eifer der Tugend wieder anfachen würde, wird es die Religion thun. Durch sie bekommen die guten Triebe der Natur das Ansehn einer göttlichen Stimme, und die Vorschriften der Vernunft werden Gesetze Gottes. Sie endlich giebt der Seele Hoffnungen, die es in aller Betrachtung der Mühe werth machen, irrdischer Begierden, der Quellen ungerechter und liebloser Handlungen sich zu entwehren, und nach Vollkommenheiten zu streben, die nur alsdenn für den Menschen zu viel scheinen könnten, wenn er mit diesem Körper sterben müßte. Die Tugend nimmt zu, je mehr das Vermögen wächset, dem nahen Vortheile, den sinnlich reitzenden Begierden, zu entsagen, um entfernter weniger sichtbarer Vortheile willen; das Vermögen, die Begierden zu überwinden, [131] durch die Vorstellungen von Gesundheit und künftigen Wohlseyn, von Ehre, innerem Beyfall, Gewissen, Gott und Ewigkeit. Alles dieses sind feinere Empfindungen; und dieß eben hindert ihre Wirksamkeit, daß der Reitz des nahen sinnlichen Vergnügens von Natur stärker auf uns wir ket. Aber doch haben wir auch ein Vermögen, die feinem innern Vergnügungen zu fühlen. Die Stärkung dieses innern Sinnes, und des Geschmackes an diesen Vergnügungen, kann daher allerdings dem Wachsthume der Mäßigkeit, der vernünftigen Tapferkeit, Weisheit und Menschenliebe beförderlich seyn. Es ist durch die Erfahrung bewiesen, daß die Menschen durch Künste und Wissenschaften zärtlicher, sympa thetischer, gefälliger, enthaltsamer gegen die grobe Unmäßigkeit, mit einem W orte menschlicher werden. Aber weil es auch feine Lieblosigkeit und Grausamkeit, wie feine Schwelgerey giebt; weil die eigen nützigen Empfindungen durch diese Verfeinerung des Geschmackes eben so wohl wachsen, und sich vermehren können, als die gemeinnützigen: so ist sich auf dieses Mittel, die Tugend zu befördern, [132] alleine wenig zu verlassen. Aber neben den ändern ist es allerdings zu gebrauchen. Vor unzählig vielen
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Aber w ie w erden böse, unstatthafte N eig u n g en b ezäh m t, oder gar au sgerottet w erden können. Die Neigungen gründen sich auf der Vorstellung von etwas, als von einer Quelle eines vorzüglichen Vergnügens, oder unserer Glückseligkeit; verlieren sich diese 5 Vorstellungen, der Reiz der Sache, die Vorstellung seiner Nothwendigkeit und Nütz lichkeit, so verliert sich auch die Neigung, wenn sie nicht von Gewohnheit und Leichtsinn unterstützt wird. Um nun die Vorstellungen zu schwächen, muss die Aufmerksamkeit durch allerhand Zerstreuungen von ihnen abgezogen, und die Seele mit ändern Gegenständen beschäftigt werden; nur muss man hier die Patienten die io Absicht nicht merken lassen, denn ein moralisch Kranker liebt alsdann seine Krank heit mehr. Gesellschaften, Lectüre, endlich auch Jagd und Musik sind Mittel hiezu. Am besten ist es, wenn man schon vorhandene Triebe zum Abbruch dieser Neigung anfeuert, Ausschweifungen kann einen Menschen der Geschmack an nützlicher und unschuldig ergötzender Lectüre bewahren. Wie gute Neigungen erzeugt oder gestärkt werden können, habe ich nun gezeiget. Ich hielt für besser, die Anweisung sogleich in Anwendung auf die vornehmsten der guten Neigungen, als in allgemeinen Lehren, zu geben. Etwas allgemeiner aber werden meine Anmerkungen seyn, die andere Frage betreffend: wie böse, unstatthafte, Neigungen bezähmet, oder gar ausgerottet werden können ? Die Neigungen gründen sich auf Vorstellungen; auf die Vorstellung von etwas, als von einer Quelle eines vorzüglichen Vergnügens, als von einem nothwendigen Mittel zu dem, wovon unsere Glückselig keit abhängt. Die Neigung ist desto gewaltiger, je mehr dergleichen Vorstellungen bey einer Idee sich häufen, und je lebhafter sie sind. Wenn diese Vorstellungen sich verlieren, wenn andere [133] an ihre Stelle kommen, wenn sich der Reitz des Gegenstandes verlieret, die Vorstellung seiner Nothwendigkeit und Nützlichkeit weg ist: so verschwindet auch die Neigung, wenn nicht andere Gründe sie noch unter stützen, dergleichen Gewohnheit oder Eigensinn seyn können. Nun aber ist bekannt, daß Vorstellungen geschwächt und vertilget werden, entweder wenn die Auf merksamkeit von ihnen abgezogen, und die Seele mit ändern Gegenständen beschäftiget wird; oder wenn denselben der Grund, woraus sie entsprangen, benommen wird, wenn richtigere Begriffe von den Dingen beygebracht werden. Einen oder den ändern Weg muß man eingehen, wenn man wider Nei gungen kämpfen will. Der erstere hat weniger Schwierigkeiten. Es lassen sich doch Z e rstre u u n g e n ausfindig machen, denen der Patient sich nicht zu entziehen verlangt, oder entziehen kann. Aber eines ist hiebey oft haupt sächlich zu beobachten, daß man nemlich die Absicht seine Neigung ihm zu benehmen nicht merken lässet. [134] Denn das ist das sonderbarste und schlimmste bey den moralischen Krankheiten, daß der Kranke seine Krankheit desto mehr liebt, je mehr er von ihr angegriffen ist. ... G esellschaften sind ein Mittel hiezu, von dem man meistentheils Gebrauch machen kann. Aber es müssen Gesellschaften seyn, die mit den Neigungen des ändern einigermassen übereinstimmen, ohne der Neigung, die getödet werden soll, Nahrung zu verschaffen. Eine genauere Bestimmung hievon können nur die besondern Umstände an die Hand geben. L ectüre setze ich am nächsten nach diesem unter gleicher Erinnerung. Jagd und M usik können in vielen Fällen brauchbar seyn.
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Liebe zur Tugend, Gefühl der Ehre, Gehorsam oder Freundschaft. Aber nicht andere schädlichere als Ehrgeiz, Stolz, Eitelkeit müssen gestärkt werden. Hier vertheidigt man nun die Sache der Leidenschaft laut oder heimlich im Herzen; wenn dann euer Ansehen, eure Ueberzeugung nicht mehr überzeugt, so gebraucht Beispiele eigener Erfahrung und klare Beweise, aber nie ungestüm. Wenn bloss die Neuheit, oder ein flüchtiger Blick reizt, da ist keine Gefahr. In gewissen Fällen rechtfertigt dringende Gefahr, wenn man Gewalt brauchte, die Lust niederdonnerte, den Gegenstand verbannte, die Imagination betäubte, und ehe sie sich vom Schrecken erholte, was anderes zu thun gäbe; so stürzte Mentor seinen Telemaque in’s Meer. Aber was Minerva thut, darf nicht jeder Sterbliche wagen, aber das kann er, die Seele in das Meer der Geschäfte werfen. Gewisse Neigungen können durch sich selbst gebessert werden, wenn es allgemeine Triebe sind, die nur auf die Unrechten Wege verfielen. Aber man kömmt nicht weit, wenn man in solchen Umständen erst eine Neigung erzeugen soll, um von dem Gegenstände der an-[135]dern abzuziehen. Besser gelingt es, wenn schon starke Triebe vor handen sind, die man zum Abbruche derselben anfeuern kann. Ist Liebe zur Tugend da, Gefühl der Ehre, Gehorsam oder Freundschaft: so sind diese vorzüglich zu gebrauchen. Hingegen wäre es sehr übel gethan, wenn man zur Ausrottung unanständiger Neigungen, andere stärken wollte, die eben so schädlich oder noch schädlicher werden könnten; wie auf diese Weise bisweilen thörichter Ehrgeitz, Stolz und Eitelkeit in jungen Herzen erzeugt werden. Hier schon, wenn man andere Triebe unvermerkt aufwecken und entgegen setzen will, und noch mehr, wenn man die Neigung gerne dazu mit Gründen der Vernunft bestreitet, tritt dann gar leicht die sophi stische Vernunft in die Mitte; und vertheidiget die Sache der Leidenschaft laut oder heimlich im Herzen. Wenn dann euer Ansehen nicht mehr statt des Beweises gilt, wenn die Überzeugung, die aus euch redet, nicht mehr überzeugt: so müssen eigene Erfahrung, Beyspiele anderer, oder [136] klare Beweise versuchen, was sie thun können. Die gelegene Zeit zu wählen, den rechten Ton zu treffen, ist hiebey das haupt sächlichste. Trachtet nur, daß ihr immer Meister über euch selbst bleibt; da aier kein ungestümmer Eifer euch überwältiget. ... Eine Neigung entspringt bisweilen aus einer Vorstellung, die sehr leicht zu berichtigen ist, oder deren Reitzung sich von selbst bald verlieret. Da wäre das schlimmste, wenn man gleich Unruhe merken Hesse, und grosse Gegenanstalten machen wollte. Wenn bloß die Neuheit reitzet, oder ein flüchtiger Blick, der durch den folgenden nähern Anblick selbst widerlegt [137] werden wird, da ist keine Gefahr. ... Doch bin ich auch nicht schlechterdings dawider, daß nicht in gewissen Fällen die dringende Gefahr es rechtfertigen sollte, wenn man Gewalt brauchte, die Lust niederdonnerte, den Gegenstand vernichtete, oder verbannte, die Imagination durch diesen Schrecken betäubte, und ehe sie sich vom Schrecken erhohlte, ihr geschwind etwas anders zu thun gäbe. So stürzte M en to r seinen T elem aque ins Meer, da es nicht anders gehen wollte. Aber um das Stürzen ist es doch immer eine gefährliche Sache. Und was M inerv a thun kann, darf nicht jeder Sterbliche wagen.1 Eine Neigung kann oft durch sich selbst gebessert werden; und dieser Versuch ist immer der erste, an den man denken muß. Nemlich [138] wenn eine Neigung von einem allgemeinen Triebe herkömmt, und nur auf den unschicklichen Gegenstand verfiel, weil er der gelegenste war: so verschaffe man ihr Nahrung von einem ändern Gegenstände, wo weniger dabey zu fürchten ist. (Es folgt ein Beispiel.) 1 Der Ausdruck Meer der Geschäfte findet sich bei Feder erst S. 188. Vgl. unten 41.
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Gewisse Neigungen verlieren sich von selbst mit den Jahren, oder mit Ver änderung der Lebensart und des Aufenthalts. Neigungen, die ganz allein oder hauptsächlich von groben Irrthümern entstehen, als die Neigung zu fluchen etc., sind durch Liebe gegen sich selbst leicht zu bessern. 5 Ist diese Neigung Gewohnheit, so müsste man durch Beispiele oder Vorstellung bessere Neigung zu erwecken suchen und ihr alle Gelegenheit benehmen. Bei A b n eigu n gen muss man nicht sogleich die Abneigung ganz schlechterdings verwerfen, denn sonst tritt Eigenliebe und Rechthaberei ein, durch allmählige Ver suche und Vorstellungen muss man sie widerlegen, nie dem ändern den Gedanken io beibringen, seine Abneigung sey unüberwindlich. Aber sind natürliche Neigungen oder Abneigungen unüberwindlich ? Neigungen gründen sich auf Vorstellungen. Vorstellungen werden durch die Sinne in uns erweckt. Aber weil der Mensch etwas also empfindet, weil er solche 9 dem] Th: den [139] Gewisse Neigungen verlieren sich von selbsten mit den Jahren, oder mit Veränderung der Lebens art und des Aufenthaltes. ... Es giebt Neigungen, die aus groben Irrthümern und thörichten Vorurtheilen ganz allein oder haupt sächlich entstehen, als da ist die [140] Neigung zu fluchen, oder andere zu beleidigen durch Grobheiten oder Spöttereyen. Von den Grundtrieben sind diese und ähnliche Neigungen weit entfernet; und scheinen also vermittelst der Liebe gegen sich selbst, wenn sie noch nicht durch die Gewohnheit zur ändern Natur geworden sind, leicht ausgerottet werden zu können. Wenn dieses ist; wenn eine Neigung durch die lange Gewohnheit zur Natur geworden ist; dann ist freylich die Besserung noch ungleich schwerer. Aber dieß kann der Fall so oft nicht seyn, der bey der Er ziehung vorkömmt. Das einzige Mittel wäre nur dieses, allmählig bessere Neigungen gegen sie durch Beyspiele oder Vorstellungen zu erwecken, und alle Gelegenheit ihr so viel möglich zu benehmen. Es ist oft eben so nöthig, und erfordert nicht weniger Mühe und Geschicklichkeit, Abneigungen aus zurotten, als Begierden. Aber die Grundregeln sind immer die nemlichen. Diese nemlich, daß man nicht die ganze Abneigung, die doch auch eine natürliche Verabscheuung zum Grunde haben muß, nemlich [141] den Abscheu vor Unlust oder Schaden, sogleich schlechterdings verwirft, und damit verursachet, daß Eigenliebe und Rechthaberey für sie streiten; daß man entweder durch allmählige Versuche, die die Gelegenheit an die Hand geben, oder wozu ein gefälliges Beyspiel reitzen muß, den Irrthum, der der Grund ist von der Abneigung, einen benimmt, oder durch andere Vorstellungen ihn widerlegt; daß man nicht selbst dem ändern den Gedanken beybringt, als wäre seine Abneigung so groß und unüberwind lich. Diese Saite muß man sich hüten zu berühren. Aber wenn wirklich Neigungen oder Abneigungen natürlich sind: dann sind sie doch wohl auch unüberwindlich ? W ir wollen nur erst sehen, in welchem Verstände Neigungen natürlich sind, oder von der Natur herkommen. Neigungen gründen sich auf Vorstellungen. Vorstellungen kommen durch die Sinnen in uns, oder, welches hier einerley, werden durch die Sinnen erwecket. Neigungen [142] kommen also in der Bedeu tung nicht von der Natur her, daß die Begierde oder die Verabscheuung, die Vorstellungen voraussetzet, die von gewissen äussern Gegenständen herkommen, auch wenn solche äusserliche Gegenstände noch nicht da waren, oder wenn sie nie vorgekommen wären, sich dennoch hätte äussern können.
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Sinne hat, weil er auf eine Weise afficirt werden kann, je nachdem es mit seinen Organen übereinstimmt, so können gewisse Neigungen natürliche genannt werden, dass der Grund von ihnen in der unverfälscht eigenen Empfindung eines Men schen liegt. So viel kommt immer heraus, dass die natürlichen und durch Kräfte der Welt 5 unüberwindlichen Begierden keine solche sind, die zum Verderben abzwecken müssen. Aber man hört von Leuten, denen böse Neigungen angeboren worden, Neigung zu lügen oder Neigung zu stehlen. Ich halte davor, sie rühren von einer Veränderung im Mutterleibe her; ich will auch zugeben, dass starke Abneigungen den Ursprung io haben können, weil die unangenehme Empfindung gewaltiger auf uns wirkt, als ich es den Begierden einräumen sollte. Uebrigens halte ich eine solche Neigung nicht für unüberwindlich. Es kann gar oft etwas von gewissen Dispositionen im Körper, Aber weil ein Mensch etwas also empfindet, weil er solche Sinnen hat, weil er von etwas auf eine angenehme oder widrige Weise afficirt werden kann, je nachdem es mit der Beschaffenheit seiner Or ganen oder überhaupt den Dispositionen seiner Natur übereinstimmt: so können gewisse Neigungen und Abneigungen natürlich genennet werden in der Bedeutung, daß nicht die Empfindungen, die von dem veränderten, durch äusserliche Ursachen erst erzeugten Zustande der Organen, nicht in angenom menen Begriffen, Vorurtheilen und verwirrten Einbildungen; sondern in der unverfälschten eigenen Empfindung eines Menschen der Grund von ihnen lieget. (Es sei allerdings sehr schwierig festzustellen, ob jemands Neigung oder Abneigung also natürlich ist.,) [145] Doch wenn man hier auch alles einräumet, was man vermöge der Erfahrung mit Grunde ein räumen kann: so wird doch immer dieß heraus kommen, daß die natürlichen und durch Kräfte dieser W elt unüberwindlichen Be-[146]gierden oder Verabscheuungen keine solche sind, die zum Verderben abzwecken müssen. ... Doch man höret von Leuten, denen böse Neigungen angebohren worden, N eig u n g en zu lügen, oder Neigung zu ste h len ? Ich will mich nicht dabey aufhalten zu untersuchen, ob man das auch natürlich nennen kann, was von einer Veränderung herriihret, die im Mutterleibe sich eräugnet hat. Und ich will es einräumen, daß vermöge solcher Veränderungen Dispositionen in einem Menschen entstehen können, aus denen hernach gewisse Empfindungen der Lust oder Unlust entstehen müssen, die ausserdem nicht erfolgt seyn würden. Mit den Begriffen, die man sich von dem Innern des Menschen mit Wahrscheinlichkeit machen kann, scheinet mir wenigstens, Hessen sich im Mutterleibe empfangene Eindrü-[147]cke, die die nachmaligen Empfindungen bey gewissen Gegenständen modificiren, noch wohl zusammen reimen. Und alle Er fahrungen, die dergleichen etwas zu beweisen scheinen, schlechthin läugnen wollen, scheinet auch nicht erlaubt. ... [148] Endlich will ich noch eher zugeben, daß starke Abneigungen einen solchen Ursprung haben können, weil die unangenehme Empfindung gewaltiger auf uns wirket, als daß ich es von Begierden einräumen sollte. Ganz andere Beweise aus der Erfahrung, als ich bis itzo kenne, müßte ich haben, wenn ich glauben sollte, daß der Reitz der angenehmen Empfindungen, die nur einen solchen Grund haben, Neigungen unüberwindlich machen, und daß eine Neigung zum Stehlen oder zum Lügen angebohren werden könnte. ... Nemlich es kann gar oft etwas von gewissen Dispositionen im Körper, in der Einbildungskraft oder
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in der Einbildungskraft oder im Verstände herkommen, die, so stark sie auch schei nen, sich wieder ändern lassen. Die veränderte Lebensart etc. können vieles in Ansehung des Körpers, und somit auch in Ansehung der Imagination verändern. Hernach was vermag nicht der Gedanke über die Empfindung ? Ueberdem giebt es 5 noch viele andere Triebe, die diese nach und nach bezähmen und bessern können. Es sind bisweilen Triebe nach und nach so stark geworden, dass sie ganz den Charakter des Menschen ausmachten. Aber durch eine ganz unerwartete Revolution ist öfters ein solcher Mensch auf einmal ein ganz anderer worden, von einem Extrem auf andere gekommen. Die Ursache ist, weil oft die widersinnigsten Neigungen einen io Grund haben. Die Seele ging mit der grössten Begierde aus, und fand das Verlangte nicht. Desto grösser ist ihr Unwille. Gewöhne den, der die Gründe und Pflicht noch nicht einsehen kann, nicht daran, dass er von allen Vorschriften Gründe wissen will. Das Beste ist, gute Triebe zu im Verstände herkommen, die, sie mögen nun entweder angebohren, oder durch die Gewohnheit erzeugt worden seyn, so stark [149] sie auch scheinen, sich wieder ändern lassen. Die veränderte Lebensart, und andere Mittel, die der Arzt weiß, können vieles in Ansehung des Körpers, und somit auch in Ansehung der Imagination, verändern. Hernach, was vermag nicht der G edanke über die E m p fin d u n g ? Hier ist die moralische Universalmedicin wider die geistischen Krankheiten. ... Es ist kein Streit dagegen, daß nicht zur Wollust ein Mensch stärker als der andere, vermöge seines Temperaments, gereitzet werde, und daß also verstanden, die Neigung dazu von seiner Natur herkommen könne. Aber darum ist sie noch nicht unüberwindlich. In seiner Natur [150] sind noch andere Triebe, vermittelst deren sie bezähmet und gebessert werden kann. ... Es entstehen bisweilen Triebe nach und nach, weil Gelegenheit und Anreitzung für sie allein sich findet; und werden zuletzt so stark, daß sie den Charakter eines Menschen ganz allein auszumachen, seine ganze Natur in sich zu fassen, oder nach sich zu stimmen scheinen. Und doch wäre dieser Mensch ursprünglich geschickt gewesen, die entgegen gesetzten Neigungen eben sowohl zu überkommen. Die Erfahrung hat es bewiesen. Denn durch eine schnelle und allen unerwartete, aber dem Seelen-[151]forscher nicht unbegreifliche Revolution ist schon öfters ein solcher Mensch auf einmal ein ganz anderer geworden. Von einem Extrem ist er aufs andere gekommen, aus einem Wollüstlinge ein Einsiedler und Heidenbekeh rer, oder aus einem Schwärmer ein Wollüstling geworden. Man hat es oft bemerket, daß, zumal bey den Neigungen, die Extremitäten an einander gränzen, die dem Scheine nach widersinnigsten Neigungen oft schnell aus einander entstehen; die Ursache ist, weil alle einen Grund haben; und diejenigen, die, bildlich es auszudrucken, aus einem Punkte nur gegen verschiedene Seiten zu auslaufen, näher bey ein ander sind, als die durch verschiedene Wendungen von einander abgesondert sind. Die Seele gieng mit der grösten Begierde aus, und fand nicht, was sie erwartete. Je grösser die Begierde und die Erwartung war, desto grösser muß der Unwille seyn. Je gewaltsamer der Schwung der hintrieb, desto stärker auch der so zurück reisset. ... [152] Gewöhne denjenigen, der noch nicht die Gründe von dem System der Pflichten einsehen kann, nicht daran, daß er von allen Vorschriften die Gründe wissen will. Die Gesetzgeber haben bey dem kin dischen Alter des menschlichen Geschlechtes dieses nie gethan, und mit Recht. [153] Auch zur Zeit, wenn Vernunft genug da wäre, die Gründe einzusehen, hindert die entgegenstrebende Begierde die Überzeugung. Das beste also ist, gute Triebe frühe zu gründen, daß sie schon auf die Vernunft warten, und nur durch sie erweitert werden dürfen.
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gründen. Entziehe dem, dessen böse Neigung du entkräften willst, die Gegenstände, die ihre Eindrücke erregen, und die Gelegenheiten. Lass ihn Folgen von seiner Neigung an Ändern gewahr werden. Bringe ihn in gute Gesellschaften solcher Personen, die anders geartet sind, die aber doch werth, rechtschaffen und beliebt sind. Bringe ihm Arzeneien immer so viel 5 als möglich unvermerkt bei. Verleite ihn zum Lesen solcher Schriften, die ihm Anlass geben, auf andere Gedanken zu kommen. Suche zuerst eine Liebe gegen dich zu erwerben; erbittere nicht, verachte nicht, nimm den Muth nicht. Verdamme nicht aus Eigensinn, Unmuth etc. Male das Laster nicht mit all zu schwarzen Farben ab, er möchte sich ihm sonst, wenn es nicht so hässlich erschiene, demselben in die Arme io werfen. Mit Schwachheiten habe Geduld, bringe Ermahnung, Bestrafung an, wenn dein eigen es G em üth frei, m unter und gelassen ist.
Entziehe denjenigen, dessen böse Neigung du entkräften willst, den Gegenständen, die durch ihre Eindrücke sie erregen können, den Gelegenheiten, wo sie gereitzet werden würde. Laß ihn diejenigen sehen, an denen er die üblen Folgen der Neigung gewahr wird, die er vielleicht noch nicht kennet, oder nicht lebhaft genug sich denket, und die Seite derselben, wo sie ihm selbst verhaßt seyn muß. Bringe ihn in die Gesellschaft solcher Personen, die anders geartet sind, und doch Eigenschaften besitzen, die sie ihm werth machen, die bey rechtschaffenen Leuten angesehen, überall beliebt, und auch seine Freund schaft sich zu erwerben geschickt sind. Denn man bildet sich nur nach denenjenigen gerne, die man liebt, hochschätzet, oder wenigstens für [154] glücklich hält. Darum muß der Lehrer selbst sich oft, dem Scheine nach, denenjenigen gleich stellen, die er nach sich bilden will. Diese letztere Regel aber sage ich nur denen, die sie verstehen. Bringe ihm die Arzneyen, immer so viel es seyn kann, unvermerkt bey. Er glaubet, sich dann etwa selbst zu bessern, so fruchten sie desto mehr. Sage ihm deine Lehren so wie im Vorbeygehen, als wenn du sie ändern sagtest, und überlaß ihm die Application auf sich: Oder laß sie nur so in einer allgem einen Sentenz mit einfliessen, indem du ihm bey einer Gelegenheit ein verdientes Lob ertheilest. V erleite ihn zum Lesen solcher Schriften, die ihm A nlaß geben können, auf andere Gedanken und Entschliessungen zu kommen. Suche vor allen Dingen die Liebe und das Zutrauen desjenigen dir zu erwerben, den du bessern willst. Begegne dem Affecte nicht mit Affect, sondern mit schreckenloser, ruhiger standhafter, heiterer Ge lassenheit. Erbittre nicht, verachte nicht, nimm den Muth nicht. [155] Sey ja nicht zu strenge, und verdamme nicht aus Eigensinn, Unmuth, Unwissenheit, oder Heucheley. Mahle das Laster nicht mit allzuschwarzen Farben ab. Es möchte sonst dein Lehrling demselben sich in die Arme werfen, wenn es in minder häßlicher Gestalt erschiene; wie das junge Rehe in der Fabel. ... Mit Schwachheiten habe Gedult. Wenn man zu geschwinde fertig seyn will, richtet man gar nichts aus. Doch verschweige die drohende Gefahr nicht. Wähle die rechte Stunde zur Ermahnung und Be strafung; wenn etwa ein Erfolg dir schon vorgearbeitet hat, wenn [156] etwa das Zutrauen gegen dich am stärksten, und w enn dein eigenes G em üth dazu am g esch ick testen , frey , m u n ter, ruhig ist. Sey selbst Beyspiel. Beweise durch dein ganzes Verhalten Religion und Menschenliebe, Herrschaft über deine Begierden, daß du dein Glück in der Tugend suchest und findest.
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VII. Capitel. Man muss den Eleven zum Lernen gewöhnen, ehe er bemerken kann, dass jemand von seiner Familie, reich, vornehm etc. ist. Förmlich protestire ich wider die A u f m u n t e r u n g e n z u m L e r n e n d u r c h 5 B e l o h n u n g e n . Wenn man ihnen nicht immer giebt, so weigern sie sich darum stille oder fleissig zu seyn. Und sie machen dieses Geben zu einer Hauptabsicht. Ich glaubte nicht zu irren mit den Künsten anzufangen, zu welchen die Nachahmung, ein früher Trieb, den Menschen am ehesten führt. Emil übte sich zuerst durch M usik und Z eich n u n gen . Im 6. Jahr fing er an Lieder zu spielen. Der natürlichste io und leichteste W eg Sprachen zu erlernen ist ohne Zweifel die mündliche Uebung. 1 VII] Th: XII
[156]
Siebentes C apitel Lectionscatalogus für einen fünfjährigen Studenten ... [157] Man muß den Eleven zum Lernen gewöhnen, ehe er die Bemerkung machen kann, daß einer und der andere in seiner Familie ein Mann von Ansehen, Rang und Titeln geworden ist, ohne das zu wis sen, was man ihm zu lernen auf giebt. — (Emil sei an das Lernen, als eine Art von Zeitvertreibe schon ge wöhnt gewesen.) [158] Förmlich aber protestire ich wider dergleichen A u fm u n teru n g en zum L ernen, wodurch das Studieren, das eine Absicht seyn sollte, auf die letzte blos als ein Mittel zur Beförderung liederlicher Einfälle und Begierden betrachtet, und der Hofmeister endlich vom Eigensinne des Lehrlings abhängig gemacht wird. Schlägt er ihm einmal eine Bitte ab, siehe so lernet er nun nicht, oder machet alles aufs schlechteste. Alle Aufmunterungen also, wodurch ein Begriff vom Lernen erwecket wird, der dessen Werth zu weit herab setzet, und gänzlich zufällig machet, taugen nichts.* [159] Da ich nachdachte, womit ich hauptsächlich das gegenwärtige Alter meines Eleve beschäftigen sollte: so glaubte ich nicht zu irren, wenn ich ihn mit denjenigen Künsten anfangen Hesse, zu welchen die Nachahmung, ein früher Trieb, den Menschen am ersten führet. D ies ist der W eg, w elchen die N a tu r selbst m it dem m enschlichen G eschlechte geno m m en h at, die erste L eh rm eiste rin. (Es folgen Beispiele zu dieser These.) [160] Emil übte also seine sich entwickelnden Seelenkräfte zuerst durch Musik und Zeichnungen. In seinem sechsten Jahre fieng er an Lieder zu spielen. ... Die Kenntniß der Sprachen gehöret zu den Bedürfnissen, und es ist Anfangs leicht, [161] über deren Erlernung verdrießlich zu werden. Der natürlichste und leichteste W eg ist ohne Zweifel die mündliche Übung. Also ist Emil zur deutschen und französischen Sprache angeführet worden. In jener konnte er auch schon lesen. Es ist gesagt worden, wie er ohne Mühe und Zwang dazu gekommen. Zum französisch lesen mußte nunmehr fortgeschritten werden. ... Weil er schon viele W örter wußte, ehe er zum Lesen gewöhnet war, so fanden sich bald Gegenstände, die die Lust zum Lesen erweckten. Es waren kleine * Die Regel verdienet allgemeiner gemacht zu werden. Die w illk ü h rlic h e n unmittelbaren Be lohnungen, sind bey Kindern überhaupt gefährlich. Endlich setzen sie die Erfüllung ihrer Pflicht auf einen immer höhern Preis und weigern sich, [159] fromm, stille oder fleißig zu seyn, woferne man ihnen nicht noch mehr giebt. ...
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AUS d e r GYMNASIALZEIT
Exzerpt 2
Beim Lesen fang’ mit Fabeln und Erzählungen an. Bei einer freien Erziehung halte ich für besser, wo nicht für nöthig, das Latein erst nach dem 9. oder 10. Jahr zu erlernen. Bei der R elig io n liess ich mir angelegen seyn, nicht durch Scheinheiligkeit und verdriessliche Muckerei, wobei die Religion geschändet wird, sondern zur wahren 5 sich immer gleichen Gottesfurcht, deren Frucht Zufriedenheit des Herzens und Menschenliebe ist, anzugewöhnen; zur Gelassenheit im Leiden, und zur Munterkeit, das Gute zu verrichten. Wie das Lesen dem Emil zum Unterricht in der Religion den W eg bahnte, so bahnte es ihn auch zur H istorie und G eographie. Der Anfang kann wohl noch io früher gemacht werden. Anfangs war alles ohne Zusammenhang; endlich näherten sich die Fragmente einander, und so enstand ein Ganzes. Ich habe vergessen zu sagen, dass Emil auch schreiben lernte, die Veranlassung war, seine ältere Schwester war verreist, sie schrieb an die jüngere und an Emil. 1 Erziehung] Th: Erzählung Fabeln und Erzehlungen. (Diese seien nicht wegen der Moral, sondern wegen ihres unterhaltenden Inhalts ge wählt worden. - Latein solle Emil erst später lernen, wenn ein Beweggrund zur Erlernung dieser toten Sprache gefunden sei.) [163] Ich lasse es den Einsichten der Lehrer und der Eltern anheim gestellt, wenn sie vor dem neunten oder zehnten Jahr ihrer Kinder Anstalten, das Latein zu lernen, machen wollen. Ich halte das Gegentheil bey einer freyen Erziehung für besser, wenn ich nicht sagen will, für nöthig; und mehr als ein Erfolg bestätiget mich in meinen Grundsätzen. (Bei Emil sei vom Lesenlernen auf ganz natürliche Weise zur Einführung in die Wissenschaften fortgeschritten worden.) [164] Ich konnte ihm auf diese Art viele Grundsätze der R e lig io n beybringen. ... Ihn mit Gründen und Gegengründen bekannt zu machen, verspahrte ich auf eine andere Zeit. ... [165] Klassische Sprüche der heiligen Schrift, leichte Verse aus erbaulichen Liedern waren seine symbolischen Bücher, sein System, waren der Inhalt seiner Theologie. ... Vorzüglich ließ ich mir angelegen seyn, ihn durch mein Beyspiel, n ich t zur S ch ein h eilig k eit und verd rü ß lich en M uck erey, w o du rch die R eligion geschän det w ird , sond ern zu r w ahren, sich im m er gleichen, G o ttesfu rc h t, deren F rucht Z u frie d en h eit des H erzens und M enschenliebe ist, an zu g ew ö h n en ; zur Gelassenheit im Leiden, und zur Munterkeit, das Gute zu verrichten? Wie das Lesen des Emils zum Unterricht in der Religion den Weg bahnte, so bahnte es ihm auch zur H isto rie und G eo g rap h ie.* [166] Der Anfang darinnen war ohne Zusammenhang. Wie hätte sonst der Eckel und das Beschwerliche vermieden werden können? Bey dieser Gelegenheit ein Stück, bey jener ein anderes. Der Stücke wurden immer mehr und mehr. Sie w u rd en oft w ied erh o let, dam it G rund und E cksteine des k ünftigen G ebäudes d au e rh aft w ü rd en . Endlich näherten sich die Fragmente einander, und es entstund ein Ganzes, indem wir, was hie und da fehlete, hinzu thaten. ... Ich habe vergessen zu sagen, daß Emil auch Schreiben lernte. W enn ein Kind lesen kann, so verfällt es wohl selbst aufs Schreiben. ... [167] Emil hatte schon den Anfang spielend gemacht, als ein besonderer Umstand seine Begierde zu schreiben, und Geschriebenes zu lesen, noch mehr anfeuerte. Man erräth vielleicht diesen Umstand schon? Er ist auch leicht zu errathen. Seine ältere Schwester war verreiset, sie * Den Anfang kann man noch früher machen, als hier angegeben worden ist.
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PHILOSOPHIE. PÄDAGOGIK
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Anfangs lernte er 1/4 Stunde, x/2 Stunde. Endlich wurden Stunden daraus, und da er in’s 8. Jahr ging, war er des Vormittags 2 Stunden im Unterricht, und Nachmittags 2. Langsam kommt man weiter, als wenn man zu sehr eilt. VIII. Capitel. 5 Ritterliche Uebung für dieses Alter. Emil musste die Unbequemlichkeiten des Lebens bei Zeiten kennen lernen. Er wurde an’s starke Laufen, an Kälte, Wind und Regen und im Fall der Noth mit einer bäuerlichen Mahlzeit vorlieb zu nehmen gewöhnt. Bei üblem Wetter hielt ich es mir für gar keine Schande maitre de plaisirs zu io seyn. Meine Gegenwart verursachte ihm keinen Zwang. Alle seine Neigungen ent deckten sich meinen Augen; welcher Vortheil! Die Fehler untergrub ich nach und nach, und rottete die Wurzel aus. Was ich recht bedauerte war, dass Emil keinen 4 VIII] Th: XIII
10 Alle] Th: Allein
schrieb an die jüngere, und an Emilen----Das übrige versteht sich. Anfangs lernte Emil Viertelstunden, Halbestunden lang. Endlich wurden Stunden daraus. Und als er ins achte Jahr gieng, war er des Vormit tags zwo Stunden im Unterrichte, und zwo des Nachmittages. Zu dieser Ordnung sind wir unvermerkt gekommen. Und sie wurden nie beschwerlich, weil wir sie unterbrachen, so oft es unser Vergnügen, oder andere Umstände, erforderten. M an k öm m t langsam w e ite r, als w enn m an zu sehr eilet. ... [168]
A chtes C apitel Ritterliche Übungen für dieses Alter Emilens Körper wurde zwar nicht solchen Proben ausgesetzet, die nur ein junger Wilder aushalten kann, aber er wurde auch nicht also verzärtelt, wie es bey Kindern vornehmer Leute gemeiniglich zu geschehen pfleget. Er mußte die Unbequemlichkeiten des Lebens, vor denen kein Stand immer bewahren kann, bey Zeiten kennen lernen. Doch so, daß man nicht auf einmal zu viel von ihm verlangte. Er wurde öfters beym Spazierengehen so weit verführet, daß er auf dem Rückwege wacker müde wurde. Er wurde zu Kälte, W ind und [169] Regen angewöhnet, und er lernete im Fall der Noth, auch mit einer bäurischen Mahlzeit seinen Hunger stillen. ... Mußten wir wegen der Kälte oder des gar zu schlimmen Wetters zu Hause bleiben: so wurden da selbst solche Spiele veranstaltet, die den Körper in Bewegung setzten. Ich hätte mir es für eine Schande gehalten, wenn nicht ich der M aitre de Plaisirs gewesen wäre. (Dabei habe er sich nicht von seinen eigenen, sondern von den Empfindungen des Zöglings leiten lassen.) [170] Je lustiger mein Eleve war, desto froher war ich. [171] Meine Gegenwart verursachte ihm keinen Zwang. Alle seine Neigungen, alle seine guten Eigenschaften, alle aufkeimende Fehler entdeckten sich meinen Augen. Welcher Vortheil! Aber ich hütete mich sehr, diese Absicht merken zu lassen. Ich bestrafte sie nicht auf der Stelle. Ich untergrub sie, ich rottete ihre Wurzel aus, ich entfernte die Gelegenheiten selbige auszuüben. ... Was ich bey der Erziehung des Emils oftmals recht sehr bedauerte, war dieses, daß sich auf dem Land gute, wo wir uns aufhielten, seitdem sein Herr Vater die Hofdienste auf gegeben hatte, kein K am erade für ihn fand. Allzuviele Unbequemlichkeiten wider-[172]riethen mir es, ihm Bauernjungen zur Gesell schaft auszulesen, wenn es auch die besten gewesen wären. (Den Besuch junger Adliger habe er sehr eingeschränkt, um Emil auf keinen Fall in böse Gesellschaft zu bringen.)
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Kameraden hatte. Mit Bauerjungen Hess ich ihn zwar allerdings umgehen, damit er sich bei Zeiten gewöhnen möchte, ja nicht mit der frostigen Miene eines Grossen auf diese Creaturen verächtlich herabzusehen. Man lehrte ihn dieses auch ausüben, nemlich Niedrigen freundlich zu begegnen, den Dürftigen mitzutheilen u.s.w. Aber nie wurde er deswegen besonders gelobt. 5 Besonders verbannte ich die lächerliche Furcht vor Gespenstern, vor Nacht und Ein samkeit. IX. Capitel. Unter solchen Beschäftigungen erreichte Emil das 10. Jahr. Er konnte deutsch und französisch lesen, in beiden so ziemlich eine Unterredung halten. Er wusste ver- io schiedene Stücke aus der Geschichte, und eben so viel Geographie. Er zeichnete, und spielte ein wenig Clavier. Seine Theologie bestand in biblischen Geschichten, Versen Übrigens bilde man sich ja nicht ein, daß ich Emilen deswegen nicht mit Bauern-[173]jungen hätte umgehen lassen, damit er seinem Stande nichts vergeben, und bey Zeit gewöhnen möchte, mit der frostigen Miene eines Grossen auf diese Creaturen verächtlich herab zu sehen. Dieses unbillige und lächer liche Vorurtheil nicht bey ihm aufkommen zu lassen, würde mir sehr angelegen gewesen seyn, wenn nicht das Beyspiel seiner vortreflichen Eltern mir diese Mühe erspahret hätte; die vielleicht, ohne jenes, doch würde fruchtlos gewesen seyn. Von ihnen lernete er, daß alle Ehrfurcht der Niedrigen gegen Höhere diesen zur Schande gereiche, woferne sie durch etwas anderes, als durch Wohlthaten dazu gelangten. [174] Zu solchen Grundsätzen wurde Emil gewöhnet. Man ließ es auch nicht bey blossen Lehren bewenden, sondern führte ihn zur Ausübung derselben frühzeitig an. Er lernete den Niedrigen freundlich begegnen, den Dürftigen mittheilen, über die Elenden ei-[175]ne mitleidige Thräne weinen, die Hung rigen speisen, die Durstigen tränken. Aber nie gab man ihm Gelegenheit sich dieses zum Verdienste zu machen. N ie w u rd e er desw egen besonders gelobt. ... Noch ließ ich mir angelegen seyn, die thörichten Eindrücke einer oft bis in die männlichen Jahre schädlichen Furcht zu verhindern. Ich meine die Furcht vor Gespenstern, die man oft auf eine recht unüberlegte Art bey Kindern zu erregen und zu erhalten suchet. Es durfte sich niemand unterstehen, ihm so etwas einzubilden. Man widersprach solchen lächerlichen Schreckhistorien, man verbannte alle Furcht in der Einsamkeit, ausser derjenigen Ehrfurcht, die man dem Allgegenwärtigen schuldig ist. Wenn noch ein [176] gewisser Abscheu vor Nacht und Ein samkeit, welcher den Menschen natürlich zu seyn scheinet, bey Emil übrig blieb, so war derselbe ihm doch weder jetzo nachtheilig, noch konnte er der Herzhaftigkeit seiner männlichen Jahre Eintrag thun. [179]
N euntes C apitel Gestit paribus colludere et iram Colligit, ac ponit temere; et mutatur in horas Unter solchen Beschäftigungen erreichte Emil sein zehntes Jahr. Er war kein Wunder der Gelehr samkeit; aber er war kein Feind vom Lernen. Dieß war genug. Und er hatte es doch auch in allerhand nützlichen Kenntnissen bereits so weit gebracht, daß man hoffen konnte, ihn mit der Zeit so vollkommen darinnen zu sehen, als man wünschte. Er konnte ohne Anstoß deutsch und französisch lesen; und in beyden Sprachen nach dem Um-[180]fange seiner Begriffe eine Unterredung aushalten. Er wußte verschie dene Stücke aus der Geschichte, bey manchen Reichen den ganzen kurzen Innbegriff und so viel von der Geographie, als zum Verständnisse jener nöthig war. Er zeichnete Blumen, Thiere, Gebäude, Bäume, Landschaften. Alles ohne Kunst und Genauigkeit; aber hier und da verrieth sich ein Genie. Zum Klavier spielen hatte er einen solchen Anfang gemacht, daß man einen gewissen Grad der Vollkommenheit in
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aus vortrefflichen Liedern, und Sprüchen heiliger Schriften. Er wusste einen Fremden mit ungezwungenem Anstand zu unterhalten. Was aber das meiste ist, die Tugend hatte in seinem Herzen Wurzel geschlagen. Endlich, er liebte seinen Hofmeister noch wie vor 5 Jahren. 5 Die beste Schilderung dieses Alters ist das Horazische mutatur in horas. Drei Stücke muss man hier beobachten: erstlich dass der Knabe mit den Thränen der Reue kein Spiel treiben lerne. Dann dass man ihn sehen lasse, man kenne ihn. Endlich, dass er immer was Gutes zu thun habe. Aus dem ersten Fehler entsteht, dass der Knabe oder das Kind Alles durch Thränen io zu erzwingen sucht. Wenn man ihm aber sagt, auf diese Art werde er gar nichts erlangen und fest bei diesem Vorsatz bleibt, so wird diese Gewohnheit sich bald verlieren. Was das Zweite betrifft, so will er anfangen, uns zu hintergehen, aber verräth sich gleich selbst. Wenn er sich am sichersten glaubt, so sage man ihm, mit der ernsten dieser Kunst von ihm erwarten konnte. Seine Theologie bestund noch in den vornehmsten biblischen Geschichten, in Versen aus vortreflichen Liedern und denenjenigen Sprüchen heiliger Schrift, die unsere Heilsordnung enthalten; und er verstund dieselben so weit, daß sie auf sein Herz wirken konnten. Er wußte einen Fremden mit ungezwungenem Anstande zu unterhalten; er wußte seinen Körper schicklich zu tragen und zu gebrauchen, um so viel damit auszurichten, als man von seinen Jahren verlangen konnte. Aber was das meiste ist, die Tugend hatte in seinem Herzen Wurzel geschlagen, und es äus-[181]serte sich in seinen Handlungen eine wirksame Menschenliebe. Endlich sein Hofmeister war ihm nach fünf Jahren noch so lieb als in den ersten Tagen seiner Ankunft; und sein Umgang schien zu seinem Vergnügen unentbehrlich. ... Man kann den Character dieses Alters gewiß nicht richtiger bestimmen, als H oraz gethan hat. Mutatur in horas. (Es folgt eine Beschreibung der raschen Stimmungswechsel des Knaben.) [182] Hier sind drey Stücke besonders nöthig zu beobachten. Erstlich, daß der Knabe mit den Thränen der Reue kein Spiel treiben lerne. Dann, daß man ihn sehen lasse, man kenne und verstehe ihn. Endlich daß er immer etwas gutes zu thun habe. Ein Knabe weinet zuerst vielleicht aufrichtig. Es kümmert ihn wenigstens, seinen Vorgesetzten un willig gemacht zu haben; und er nimmt sich ernstlich vor, dieses nicht mehr zu thun. Aber wenn er ge wahr wird, daß man sich sein Weinen Wohlgefallen läßt; wenn man seinem guten Herzen deswegen Lob sprüche ertheilet; wenn man ihm nicht nur verzeyht um [183] dieser Thränen willen, sondern auch eifrig ist, sie zu vergelten: so müßte es sehr wunderlich zugehen, wenn er nicht lernete, sich derselben zum Schutze seiner Leichtfertigkeiten zu bedienen. Ich habe einige Zeit lang einen sonst wackern Junker von diesem Alter unter Händen gehabt, welcher ohne Zweifel durch den Fehler seines vorigen Hofmeisters, der sehr weichherzig war, zu dieser Unart gewöhnet, eine jede Bitte so gleich mit Thränen unterstützte. Ich mußte mir vornehmen, ihm alles, was er auf diese Art bat, abzuschlagen. Da ich dieses ihm ankündigte, und stand haft in Erfüllung brachte; so änderte er sich bald. Gegen das Weinen eines Kindes, das sprechen kann, und eines Knabens, muß man völlig gleichgültig seyn, und nur auf sein ganzes Verhalten sehen. Merket er, daß man so gesinnet ist: so wird er gleichfalls auf die bessere Einrichtung seiner Aufführung denken müssen. Das zweyte, was ich erinnert habe, ist, daß man den Knaben soll sehen lassen, man [184] kenne und verstehe ihn. Er will anfangen, sich zu verbergen, uns zu hintergehen: aber er ist noch nicht völlig ge-
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zornigen Miene, dass ein Mensch, der seine Freunde und Vorgesetzten zu betrügen suche, ein Bösewicht sey. Triffst du ihn auf heimlichen Wegen an, so muss er den gleichgültigen Blick des lieblosen Kaltsinns von dir erhalten. Verdient er weniger Ahndung, so musst du die ersten Proben seiner Besserung abwarten, bis du ihm deine Liebe nach und nach sehen lässt. Bei einem Knaben, der den Allgegenwärtigen 5 fürchtet, wird es weniger Mühe kosten. Was das Dritte betrifft, so sagt Cicero off. I, 34: »Maxime autem haec aetas a libidinibus arcenda est, exercendaque in labore patientiaque et animi et corporis« und Horaz A. P.: »Multa tulit fecitque puer sudavit et alsit, abstinuit venere et mero.« Zu verhindern, dass einem Menschen nie was Strafbares vor Augen oder zu io 10 mero.«] Th: mero. schickt dazu; er selbst verräth sich bald. Er soll dergestalt, daß es einen Eindruck auf sein Gernüth mache, einsehen lernen, wie wenig ihm dieses helfe, und wie strafbar es sey. Wenn er sich am sichersten glaubet, stelle man sich vor ihn, und mit der ersten zorn igen M iene sage man ihm, daß ein M ensch, der seine F reunde und V orgesetzten zu b etrü g en suche, ein B ösew icht sey. Freundlicher werde er bestrafet, wenn er ohne Tücke und Verstellung böses thut. Doch daß er es nicht vorsetzlich wieder thue! Ein anderes mal, wenn du ihn auf seinen heimlichen Wegen unvermerkt beobachtet hast - ich rede von tückischen Streichen - so sage ihm gar nichts. Aber wenn er hernach mit freundlicher Miene zu dir kömmt, und durch Erzehlungen und Schmeicheleyen sich angenehm machen will: so muß er nur einen einzigen Blick, den g leich g ü ltig ste n B lick des lieblosen K altsinnes von d ir e rh alten ; und dann gar nicht einen mehr, so sehr er sich [185] auch darum bemühet. ... Du thust dieß, und sagest es ändern, die ihr Verhalten gegen den Eleve zu ändern haben; wenn viele Bosheit dabey obwaltete. Verdienet es weniger Ahndung: so mußt du doch erst Proben der Besserung abwarten, bis du ihm deine Liebe nach und nach v ö llig w ieder sehen lässest. Aber eben also muß dein entsprechendes Verhalten seine gute Aufführung u n g elo b t vergelten. Dieser erst berührte Punct wird weniger zu schaffen machen, bey einem Knaben, der den A llgegen w ärtig en fürchtet. ... [186] Endlich muß die ganze Einrichtung so gemachet werden, daß der Knabe durch zuträgliche Beschäftigungen immerzu vom Bösen abgehalten wird. Die zunehmenden Kräfte können nicht mehr unthätig bleiben. Es ist auch für einen solchen Knaben gar nicht befremdend, daß man von ihm verlanget, er soll denenjenigen in seinen Verrichtungen ähnlich werden, denen er an Gestalt und Kräften immer gleicher kömmt. Und jemehr er sich dem Alter nähert, wo der ganze Mensch mit allen seinen Kräften und Begierden rege wird: desto mehr ist darauf zu sehen, daß er nicht müssig gehe*. [187] Emil war ... von den Unarten seines Alters nicht ganz frey. ... Auch ließ er das Böse, das er sah, oder hörte, nicht unnachgeahmet, wenn es sich auf einer Seite zeigte, die seinen Alter und Einsichten schön deuchte. Zu verhindern, daß einem Menschen, der unter Menschen erzogen wird, nie etwas straf* Was Cicero off. 1,34. saget: Maxime autem haec aetas a libidinibus arcenda est, coercendaque in labore patientiaque et animi et corporis, und Horaz A. P. Multa tulit fecitque puer, sudauit et alsit, Abstinuit venere et vino; [187] lautet ganz anders, als wann ein französisch deutscher Hofmeister von der Nothwendigkeit schwatzet, für den Eleve eine Maitresse zu halten. Arbeitet nur mit ihm ! ...
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Ohren komme, wäre ein unmögliches Unternehmen. Kommt er aus einer zu grossen Eingezogenheit und strengen Auferziehung in die Welt, so wird er von Allem geblendet; sein Fall ist unausbleiblich. Glücklich, wenn ein weiser Mentor ihm zu Hülfe erscheint und ihn aus der Insel der Weichlichkeit fortreisset, ihn in’s Meer der 5 Geschäfte stürzt. Unter lasterhafte Handlungen zähle man nicht Kindereien, Unarten, die bei kommenden Jahren sich von selbst verlieren. X. Capitel. Durch die Historie führte ich Emil zum Latein an. Hier beschwerte ich mit dem 10 Wörterlernen weniger, als sonst gewöhnlich. Nach Erlernung der ersten Anfangs bares vor Augen oder zu Ohren komme, wäre ein unmögliches Unternehmen. Ja es ist gewissermassen gut, daß schon der K nabe, wenn [188] er noch seine Führer zur Seite hat, auch an dergleichen Erscheinun gen gewöhnet werde. W enn er aus einer allzugrossen Eingezogenheit und strengen Auferziehung, wo aufkeimende zum Bösen abzielende Neigungen mehr unterdrücket als gebessert wurden, auf einmal sich selbst überlassen, in die Welt kömmt: so werden, indem er äusserlich von allen dem neuen, das er sieht und höret, geblendet und hingerissen, kaum auf das merket, was in ihm vorgeht, in seinem Herzen die tyrannischen Leidenschaften, gegen die er sich niemals versucht, nie geübt hat, auf die Trümmer seiner erlernten Sittensprüche ihren Thron errichten. Sein Fall ist unausbleiblich. Glücklich, wenn etwa bey einem mislungenen Versuche oder kummervollen Ausgange der Leidenschaft, seine Tugend wieder ihre Kräfte sammlet und ihn aufrichtet! G lücklich, w enn ein w eiser M en to r ihm zur H ülfe erschein et, und ihn aus der Insel der W eichlichkeit fo rtreisse t, ihn ins M eer der G e schäfte s tü rz e t! ... [189] Unter lasterhafte Handlungen zähle man nicht K in d erey en , Unarten, die bey kommenden Jahren gewiß für sich wegfallen. Ich will nicht, daß man sie schlechthin leiden soll, wenn sie der wahren Wohlgezogenheit eines Knaben zuwider sind, oder böse Gewohnheiten veranlassen können. Aber be kümmern oder entrüsten soll man sich deswegen nicht. (Es folgt eine Schilderung gelegentlicher Unarten des Emil.) [193]
Z ehntes C apitel Einige Anmerkungen über den ersten Unterricht in den schönen Wissenschaften ... Emil fand in den Compendien der H istorie und G eog rap hie, mit einem gewissen verwun derungsvollen Vergnügen diejenigen Stücke, die er bisher aus seinen Lehrbüchern und Un-[194]terredungen mit mir einzeln sich bekannt gemachet hatte. Er fand sie in Verbindung mit ändern, die ihm noch unbekannt waren; und er machte sich auch diese mit gröster Begierde bekannt. ... Die grosse Begierde zur Historie, hinderte mich anfänglich, das L atein mit ihm vorzunehmen, wie ich es schon Willens war. Denn ich hielte nicht für rathsam, mit dieser verdrießlichen Unterweisung den Anfang zu machen, ehe sein Hang zu jener angenehmem etwas befriediget wäre. Aber eben dieselbe wurde mir bald darauf ein Mittel, die Erlernung der lateinischen Sprache glücklich zu unternehmen. (Um Emil einen Beweggrund zur Erlernung der lateinischen Sprache zu vermitteln, habe er ihn vor allem auf die vortrefflichen Inhalte der lateinischen Bücher hingewiesen.) [196] Ich werde mich nicht dabey aufhalten, die Methode zu zergliedern, die ich bey dieser Unter weisung gebrauchte. Ich bin von dem gemeinen, mir und ändern sehr wohl bekannten Verfahren der Schulen nur darinn abgegangen, daß ich Emilen weniger mit dem W ö rte rle rn e n beschwert und auf-
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gründe führte ich ihn zu den Schriftstellern selbst, besonders zu solchen, wo er die Historien schon wusste. Ich ging langsam unter immer fortwährender Abwechse lung fort. Schöne Stellen lernte er auswendig. Mit der deutschen Sprache und mit der Lectüre der neueren fing ich nicht eher an, als bis er die alte recht im Kopfe hatte, welches Verfahren ich auch für das beste halte. Jetzt musste Emil die O rdnung des H eils im Zusammenhange lernen. Ich machte auch einen Anfang in der M athem atik. Im 14. Jahre dünkte mir sehr viel, gehalten habe, und mehr mit ihm zu den O rig in alen der alten lateinischen Schriftsteller geeilet bin. Statt des beschwerlichen Wörterlernens, nahm ich, so bald er nur das Decliniren, Conjungiren, einiges von der Construction und etliche hundert Wörter, dann etwa den vierten Theil so viel Redensarten, meist aus mündlichem Unterricht erlernet hatte, ausser dem ang eh en den L ateiner, der ein bestän diges Handbuch blieb, alsbald diejenigen B ücher vor, in denen die G eschichten, die er m eist schon w u ßte, vorkam en. Da konnte die Begierde, sie verstehen zu lernen nicht fehlen. Es waren sol ches die lateinischen biblische H isto rien , [197] die Historiae selectae und der Cornelius Nepos. Das andere, was ich that, war, daß ich sehr langsam gieng. Öfters mündlich übersetzen, niederschreiben, das Niedergeschriebene wieder in die Grundsprache übersetzen, Fragen mit den Worten des Textes beant worten, allein erzählen, erzählen helfen, ohne Buch aufschreiben, die schweren Wörter, die besten Redens arten, die leichtesten Beyspiele für die vornehmsten Regeln der Syntaxe auszeichnen — alles dieses wech selte bey jedem Stücke eines vorgenommenen Buches, wo wir inne halten konnten, unaufhörlich mit einander ab. ... [198] Zwey volle Jahre mußte Emil beym Cornelius und den Historiis selectis beschrie bener massen zugebracht haben; ehe ich anfieng zur Abwechslung bisweilen einen Brief aus dem Plinius, eine Fabel aus dem P h äd er, eine Ode aus dem H oraz, oder eine Ekloge aus dem V irg il vorzulegen. Und diese mußte er auswendig gelernet haben, ehe was neues vorkam; im buchstäblichen Verstände auswendig gelernet haben. (Er selbst, der Hofmeister, habe mit dem Zögling gelernt; oft habe es geradezu ge schienen, daß Emil ihm den Schriftsteller erkläre.) [200] An V ergleich u n g en der A lten m it den N eu ern dachte ich um so viel weniger, da ich, verführt durch meinen ehemaligen Lehrer, und durch meine eigene Erfahrung noch hartnäckiger gemacht, fest entschlossen war, meinen Lehrling vom Lesen der neuern Schrift-[201]steller, so lange als möglich, zurück zu halten; bis sein Geschmack vorhero recht antik geworden w äre.---- Und also sollte er fremde Sprachen reden lernen, und seine Muttersprache nicht verstehen?----Ein Kind, das in einem guten Hause erzogen wird, lernet durch die blose Unterredung seine Muttersprache so weit, daß man diejenige Ausbildung ohne Nachtheil verschieben kann, die dem Dichter und Redner, oder überhaupt dem guten Schriftsteller, nöthig ist. Wann erst die Alten gelesen worden sind, dann wird in einem halben Jahre alles reichlich eingebracht werden, was in der neuen Litteratur bisher verabsäumet worden ist. Der Jüngling, der die Alten im Kopfe hat, wird dann auch die Neuern besser verstehen und beurtheilen können, als ein anderer. (Im folgenden wird weitläufig dargelegt, warum die Lektüre der alten Schriftsteller derjenigen der neuern, deutschen und französischen, voranzustellen sei. An schließend bemerkt Feder, daß er keineswegs der Privatunterweisung einen Vorzug vor den öffentlichen Schulen zueignen wollte, daß aber Privatunterweisungen andere Anstalten erforderten als die öffentlichen.) [206] Was das C h risten th u m anlangt: so mußte Emil jetzo die Ordnung des Heils in ihrem Zu sammenhänge lernen; dießfalls nicht nur die Beweissprüche aus der heiligen Schrift sich bekannt machen; sondern auch ganze Bücher derselben mit mir durchlesen. ... (Es folgt eine Zwischenbemerkung über den Wert des Christentums, als einer Religion, die höher ist, denn alle Vernunft.) [207] Ich machte nun auch den Anfang mit der Mathematik. (Es folgen Bemerkungen über die Methode
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die Geometrie zum ersten mal absolvirt zu haben. P h ilo so p h ie, noch mehr L ogik versparte ich, bis Emil’s Seelenkräfte sich erst recht entwickelt hatten, lang geübt und von ihm genau gekannt waren. Dabei wurde das Vergnügen der kost baren Jugendjahre, Leibübungen nicht vergessen. Beim Lernen gingen wir überall herum, bald in diese bald in jene Stube, bald in den Garten. XI. Capitel. In seinem 13. Jahre machte Emil seine erste Reise, wo es immer was Neues, was Lehrreiches zu sehen gab. Ich traf hier einen Hofmeister an, und machte die Bemer kung, beim Antritt einer Stelle müsse man nie mit all zu vieler Weisheit eintreten; bei welchem übernatürlichen Charakter man sich nicht erhalten kann. Ich machte des Mathematikunterrichts und die damit verbundene Übung des Denkens. Abgelehnt wird eine zu frühe Einführung des Zöglings in die Philosophie und die philosophische Logik.) [209] Machet ihn erst mit den Empfindungen und innern Erfahrungen mehr bekannt, ehe ihr sie ihm scientifisch erklären wollet! Lasset ihn erst seine Seelenkräfte recht entwickeln, lange üben, genau kennen; ehe ihr ihn in die Wissenschaft vom Denken führet! Da ich thun konnte, was ich wollte: setzte ich das Ziel der Philosophie weit hinaus, dachte an die Wis senschaft der Logik am allerwenigsten, lehrte meinen Emil Historie aus den Quellen, und übte seinen Verstand durch Mathematik. L an g sam a u ch d ie ses da! Es dünkte mich sehr viel, mit dem vierzehnten Jahre das Ende der G eo m etrie zum erstenmal erreicht zu haben, und noch war in der S tereo m etrie sehr wenig bewiesen worden. ... [210] Unterdessen gieng weder das Vergnügen der kostbaren Jahre der Jugend, noch die Sorge für den Körper, über dem Studieren verlohren. ... Wenn die Leibesübungen mit den Übungen des Nach denkens, und überhaupt das Leichtere mit dem Schwereren immer abwechselt: so kann man mehr thun, als manchem möglich scheinen möchte. Zu dem fanden wir gar nicht nöthig, beym Studieren [211] immer in der Stube zu sitzen, sondern wir sassen, stunden, giengen in den Garten, in der Bibliothek, oder in der Stube herum, wie es sich schickete. Warum sollten wir diesen Vortheil den alten Philosophen allein überlassen ? E ilftes C apitel Emils erste Reise Emil, der das dreyzehnte Jahr vollendet hatte, trat jetzo mit mir eine kleine Reise an, von der ich eines und das andere zu sagen habe. Ich hielt für dienlich, ihm neue Aussichten in die W elt zu verschaffen. ... (Es folgt die Beschreibung der abwechslungsreichen Fahrt zum Landgut eines verwandten Barons und des Be kanntwerdens mit dessen beiden Söhnen und ihrem Hofmeister L. Letzterer wird näher charakterisiert.) [214] Er nahm seine Fehler leicht gewahr, und er sann beständig und ernstlich auf ihre Verbesserung. In der That war er sich fast ein zu strenger Richter. Mich dünket, es ist das auch ein Fehler, wenn man zu vollkommen seyn will; oder um mich genauer aus zudrücken, wenn man beym Eintritt in irgend eine Stelle den Anfang zu gut machet, m it allzu v ieler W eisheit e in tritt. Man kann sich nicht bey diesem übernatürlichen Character erhalten; man [215] läßt Ängstlichkeit und Schaam merken, wenn man irgend einmal dagegen handelt. So bekommen dann erst verzeihliche Kleinigkeiten, menschliche Schwachheiten, die man nicht würde geachtet haben, das Ansehen erheblicher Fehler. Man giebt auch ändern das Recht, einen strenger zu beurtheilen, wenn man ihnen allzuviele Erwartung von sich gemachet hat. Ich habe diese Anmerkung öfters als einmal, unter allerley Umständen, richtig befunden. ...
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aus der Erinnerung an die reizende Gegend auch die Bemerkung: dass wenn der J ü n g lin g sich zu leben die Erlaubniss, er nur desto mehr Pflicht habe, als M ann W leben. Glückseliger Mann, wenn dir ein Blick in’s Vergangene nur sanfte Rührung zurückbringt und der Blick in die Zukunft grosse Entschliessungen! 5 XII. Capitel. Züge zu dem Bilde eines vollkommenen Hofmeisters. In der Miene und dem Betragen eines Lehrers muss Ernst und Freundlichkeit untermengt sein. Sein Charakter muss sich immer gleich sein. Nichts geziemt ihm weniger als einen 10 Spassmacher zu machen. Das sicherste Mittel sich Hochachtung zu erwerben, ist, dass man sie ernstlich zu verdienen suche. In einigen Häusern scheint man von einem Hofmeister zu fordern, dass er Alles wisse; es gehört eine besondere Kunst dazu, sich mit Anstand in seiner Unwissenheit 15 sehen lassen. f ü r
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(Es folgt eine Schilderung des gemeinsamen Ferienlebens und der Schönheiten der Landschaft.) Man wird mir dieß Gemählde, das eben nicht nöthig gewesen wäre, aus Gefälligkeit zu gute halten, als eine Folge des Ver-[219]gntigens, so mir diese Gegenden ehemals verursacheten. Die Erinnerung an das Vergangene ist öfters die gröste Glückseligkeit späterer Jahre. ... Aber solche Empfindungen sind auch nur für gewisse Jahre. Es folget die Zeit, da man weniger an der Empfindung kleben darf, um destomehr hinzusehen auf das Ziel des Lebens, und auf den Zweck der verliehenen Kräfte. Wenn der Jü n g lin g sich zu leben die Erlaubniß hatte: so hat er nur desto mehr Pflicht, als M ann für die W e lt zu leben. Jetzo ist nicht mehr die Zeit des Genusses. Sie fleucht hinter ihm, Kindern und Enkeln entgegen. Noch nicht die Zeit der Ruhe. [220] Sie erwartet ihn am Ende der Laufbahn. Glückseliger Mann, wenn dir dein Blick ins Vergangene nur sanfte Rührungen zurück bringet, und der Blick in die Zukunft grosse Entschliessungen!...
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Z w ölftes C apitel Züge, zu dem Bilde eines vollkommenen Hofmeisters nach den Maximen des Herrn L. (Das Kapitel wird eingeleitet durch weitläufige, mit konkreten Beispielen verbundene Erörterungen über das Hofmeisterleben. — Die folgenden Grundsätze führt Feder ein als Maximen des ihm inzwischen befreundeten Hofmeisters L., die er selbst mit gelegentlichen Anmerkungen versehen habe.) [231] ln der Miene und dem Betragen eines Erziehers muß Ernst und Freundlichkeit untermenget seyn. [232] Sein Character muß sich immer gleich seyn. Nichts geziemet ihn weniger, als einen Spaßmacher abzugeben. Der glücklichste Einfall zum Lachen giebt ihm ein Ansehen, das unter seiner Würde ist. Und die Begierde zu lachen und lachen zu machen, verräth eine Leichtsinnigkeit, die einem Geiste unnatürlich ist, welcher auf sein Herz und auf andere immer Acht zu geben hat. Das Lachen ist nur für Müßige. Und den satyrischen Spott gebraucht man auch nicht, Freunde zu bessern; deren Zärtlichkeit man schonen muß. [Anmerkung:] Ist im Grunde gewiß richtig, wenn es gleich zu stark ausgedruckt scheinet. Das sicherste Mittel sich Hochachtung zu erwerben, ist, daß man sie ernstlich zu verdienen suche. Wenn man lange rechtschaffen scheinen will, muß man es wirklich seyn. Man scheinet in einigen Häusern von einem Hofmeister zu fordern, daß er alles [233] wissen soll, und
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Man muss genaue Ordnung in Kleinigkeiten halten; diese kommen immer vor, und bilden also durch die beständige Uebung die Gewohnheit von der einen oder der ändern Art. Aber man werde zu keinem pedantischen Eigensinn dadurch verleitet. Den Ausbruch des Zorns rechtfertigt beim Erzieher nichts, als eine Veranlassung, bei welcher man mehr als Mensch seyn müsste, um nicht zu unterliegen. Wenn man einmal fest entschlossen ist, sich nicht mehr zu erzürnen, so erzürnt man sich erst nicht mehr sehr, und zuletzt gar nicht mehr. Auch das Herz des Sittenrichters lässt sich oft durch unvermerkte Schwachheiten täuschen. Die liebkosende Zärtlichkeit ist bei der Erziehung eben das Extremum als das mürrische Wesen. W ie heisst die Tugend in der Mitte: Ernst des Menschenfreundes. Bei Eleven, die schon Hofmeister hatten, darf man für ausgemacht halten, dass man sich verstellt. Je ehrlicher und aufrichtiger man zu Werk [geht], desto mehr staunet ihn an; wenn er etwa eine Frage nicht geschwinde zu beantworten weiß. Es gehöret eine be sondere Kunst dazu, sich mit Anstand in seiner Unwissenheit sehen zu lassen. (Es folgt eine bestätigende Anmerkung.) Man muß genaue Ordnung in Kleinigkeiten halten. Kleinigkeiten sind die Schutzwehre für die wichtig sten Dinge. Lasset man jene über den Haufen werfen: so reisset die Unordnung auch in diesen bald ein. Kleinigkeiten kommen immer vor, und bilden also, durch die beständige Übung, die Gewohnheit von der einen oder der ändern Art. [Anmerkung:] Aber daß man auch nicht durch diese Genauigkeit zum pedantischen Eigensinne, zu [234] einer ungerechten Strenge, zu einem mürrischen Wesen, verleitet werde. ... Weil man nicht mehr Meister über sich und seine Handlungen ist, so bald man sich dem Zorne über lasset: so rechtfertiget den Ausbruch dieser Leidenschaft bey dem Erzieher nichts, als eine Veranlassung, bey welcher man mehr, als Mensch seyn müßte, um nicht zu unterliegen. [Anmerkung:] Dieser Spruch ist wahr, aber nicht praktisch genug ausgedrucket. Ich habe wider den Sturm des Zornes schon verschiedenes erinnert. Hier sage ich nur dieses: es kommt alles auf die Vorstellung an. Man ist nicht mehr verliebt, habe ich irgend wo gelesen, so bald man es nicht mehr seyn [235] will. Wenn man, bey gründlicher und oft wiederhohlter Überlegung, einmal mit sich eins geworden ist, daß man sich nicht mehr erzörnen wolle: so erzörnet man sich, erst nicht mehr sehr, und zuletzt gar nicht mehr; es mag auch die Veranlassung noch so stark seyn. Ich habe die Probe gemacht. Auch das Herz des Sittenrichters lässet sich oft durch unvermerkte Schwachheiten täuschen. Die glück lichere Bildung eines Eleve vor dem ändern machet, nach physischen Gesetzen, in unserer Einbildung einen angenehmen Eindruck, der sich bis zum Urtheile über seine Handlungen erstrecken, und zu Un gerechtigkeiten verführen kann. Hier ist einer von den Fällen, wo man mit Recht sagen kann, daß den Menschen sein eigenes Herz betrüge. Er kennet nur einen Theil seiner Bewegungsgründe, nicht die ur sprünglich veranlassende, nicht die mit bestimmende geheime Regung im Körper oder in der Phantasie. Die lieb kosend e Z ä rtlic h k e it ist bey der Erziehung so gut ein Extremum als [236] das mürrische Wesen. Keines thut lange gut. Wie heißt denn also hier die Tugend in der Mitte? E rnst des M enschen freundes. Bey Eleven, die schon Hofmeister hatten, darf der neu angehende Hofmeister für ausgemacht anneh men, daß man sich gegen ihn verstellet. Je redlicher und aufrichtiger er zu Werke gehet, desto mehr läuft
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läuft man Gefahr betrogen zu werden. Man muss daher von seinem Charakter nichts blicken lassen, bis man [den] des Eleven ganz ausgeforscht hat. All zu grosse Ver traulichkeit bringt Verachtung. Das Vertrauliche besteht darin, dass man sich den ändern in Kleinigkeiten mittheilt, sich in Kleinigkeiten sehen lässt, sich in Kleinig keiten einlässet. 5 Wenn kein Mensch ohne Schwachheit ist: so muss doch der Erzieher nicht zu lassen, dass der Untergebene seines Vorgesetzten Fehler sich zu Nutzen mache, und glücklich sei, wenn er ihn bei der schwachen Seite angreift. Menschenliebe muss tief im Herzen des Hofmeisters eingewurzelt sein, und sich durch seinen ganzen Charak ter ausbreiten. Nie wird er sich ein Lob auf Kosten Anderer ertheilen lassen. Viel- 10 weniger Andere verkleinern. Lieber entschuldige er die Fehler seines Vorgängers, als dass er verächtlich von ihm rede. Die Kunst des Stillschweigens ist eine der nöthigsten Eigenschaften eines Hof meisters. Sein Stillschweigen wird dem Eleven oft fürchterlicher seyn, als eine lange Strafpredigt. 15 Es ist bisweilen vortheilhaft zu scheinen, als hätte man eine bessere Meinung von seinem Eleven, als man wirklich hat. Man kann sich nicht leichter irren, als in er Gefahr, betrogen zu werden. Es wird gut seyn, wenn er von seinem Charakter nicht viel sehen lasset, bis er den ihrigen ausgeforschet hat. Aber er kann sich irren, wenn er im ersten Vierteljahre damit fertig zu seyn glaubet. Allzugrosse Vertraulichkeit bringet Verachtung. Die Vertraulichkeit aber bestehet darinn, daß man sich den ändern in Kleinigkeiten mittheilet. [Anmerkung:] Oder sich in Kleinigkeiten einlässet, sich in Kleinigkeiten sehen lässet. ... [237] Wenn kein Mensch ohne Fehler und Schwachheiten ist: so muß doch der Erzieher nicht zulassen, daß der Untergebene seines Vorgesetzten Fehler sich zu nutze machet und glücklich ist, wenn er ihn bey der schwachen Seite angreift. Menschenliebe muß tief in dem Herzen eines Hofmeisters eingewurzelt seyn, und sich durch seinen ganzen Charakter ausbreiten. Nie wird er sich also ein Lob Wohlgefallen lassen, das ihm auf Unkosten anderer ertheilet wird. Vielweniger wird er selbst zu seinem Vortheile andere zu ver-[238]kleinern suchen. Was er ganz gewiß nicht thun wird, ist dieses, daß er von seinen Vorgängern verächtlich spreche; hätte er gleich Ursache es zu thun. Weit lieber entschuldiget er sie. [Anmerkung:] ... Die Kunst des Stillschweigens ist eine der nöthigsten und nützlichsten Eigenschaften des Hofmeisters. Sie wird ihm durchhelfen, wenn er sich in dem kützlichen Falle befindet, entweder schwarz weiß zu nen nen, oder Personen zu tadeln, für die der Eleve Ehrfurcht haben soll. Und sein Stillschweigen wird diesem auch oft fürchterlicher und nützlicher seyn, als eine lange Strafpredigt. [Anmerkung:] ... [239] Es ist bisweilen vortheilhaft, zu scheinen, als hätte man eine bessere Meinung von seinem Eleve, als man wirklich hat. Denn gleichwie ihn dieses antreiben kann, das zu werden, wofür man ihn schon zu halten scheinet: also kann er durch das Gegentheil leicht verschlimmert werden. Er wird unempfindlich, er nimmt sich nicht mehr in Acht. Denn er hat nichts mehr zu verlieren, wenn man schon das ärgste von ihm glaubet.
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Ansehung der Absicht, die ein Anderer bei seiner Handlung gehabt hat. Und kein Irrthum kann üblere Folgen haben, als dieser. Es kommt auf den Hofmeister an, dass ihm die niedrigen Bedienten im Hause begegnen sollen, wie er will. Gefällige Menschenliebe ist die Tochter der Weisheit, und Würde und Anstand gehen ihr zur Seite. Wenn man sein bisheriges Verfahren ändert, so muss es unvermerkt geschehen, und nie so, dass der Eleve merkt, man habe es bisher darin versehen. Wenn man den Beifall des Eleven haben will, so muss man sich hüten, denjenigen Leuten zu missfallen, die in seinen Augen wichtig sind.
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XIII. Capitel. Zu wünschen wäre es einem Hofmeister allemal, dass er sich jene ungezwungene Miene, jene ruhige Fassung des Gemüths in Gegenwart der Grossen, bei den mannig faltigsten Scenen blendender Gegenstände, und jene Leichtigkeit, tausend kleine Dinge mit gutem Anstande zu verrichten, die in der grossen Welt einen beträcht15 liehen Theil der Sitten ausmachen, durch eigenen Fleiss und Nachdenken in der Studirstube erwerben könnte; man könnte die Eigenschaft von ihm so gut fordern Man kann sich nicht leichter irren, als in Ansehung der Absicht, die ein anderer bey seiner Handlung gehabt hat. Und kein Irrthum kann von üblern Folgen seyn, als dieser. Ein Hofmeister insbesondere wagt dabey das Zutrauen, das man in seine Einsicht sowohl, als in seine Gerechtigkeit, setzen soll, wenn er zu geschwind ist, [240] die Absicht bey den Handlungen eines Eleven anzugreifen. Man muß sehr be hutsam in diesem Punkte gehen, und nicht mehr behaupten, als man beweisen kann. Für sich darf man das immer merken, was sich hier einem entdecket. Nur muß man sich nicht erlauben, alles sogleich heraus zu sagen, was man zu muthmassen berechtiget ist. Es kömmt auf den Hofmeister an, wie er will, daß ihm die niedrigem Bedienten vom Hause begegnen sollen. Stolz und vertrauliche Geselligkeit werden ihn gleich verächtlich machen. Aber gefällige Menschen liebe ist die Tochter der Weisheit; und Würde und Anstand gehen ihr zur Seite. Es kann geschehen, daß es nöthig und billig ist, sein bisheriges Verfahren gegen den Eleven zu ändern. Es ist aber gut, wenn es unvermerkt geschieht, und nur nicht also, daß man zeiget, man habe es bisher darinne versehen. [241] Wenn man den Beyfall des Eleven haben will: so hat man sich zu hüten, daß man denjenigen Leuten nicht mißfällt, die in seinen Augen wichtig sind, wofern man nicht machen kann, oder darf, daß er von diesen eine andere Meinung bekommt. [Anmerkung:] ... D reyzehntes C apitel Noch eine Art von Hofmeistern ... [242] Wenn man jene freye und ungezwungene Miene, jene ruhige Fassung des Gemiithes in Gegen wart der Grossen, bey der manchfaltigen Scene blendender Gegenstände, und jene Leichtigkeit, tausend kleine Dinge mit gutem Anstande zu verrichten, die in der grossen Welt einen beträchtlichen Theil der Sitten ausmachen, durch eigenen Fleiß und Nachdenken sich in der Studierstube erwerben könnte: so dürfte man diese Eigenschaft von einem Hofmeister so gut fordern, als andere Talente, die er beym An-
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als andere Talente, die er bei Antritt des Amts mitbringt. Ein Mensch, von dem die Mägde lächerlich erzählen, von dessen nächtlichem Lärmen die Gassen noch immer ertönen, der soll es aufgeben, Hofmeister zu werden; ein Mensch, der mit Allem, was Sittsamkeit und Wohlstand heisst, ein unverständiges Gespötte treibt; der sich durch Beleidigungen ein Ansehn zu geben, durch Grobheiten fürchterlich zu machen glaubt, und sonderlich dem Adel verächtlich zu begegnen gewohnt ist, dessen Gesell schaft der Laquai des Hofmeisters nicht wählen würde, den dieser durch bessere Lebensart beschämte, der Degen, mit dem ein solcher ^vlensch Alles zu beweisen gewohnt war, beweist dann nichts mehr. Die Aenderung solcher Sitten ist gewiss nicht geschwind geschehen. Ein Jahr wenigstens muss ein solcher den Umgang derer suchen, die er bisher verlacht hat. Er muss eine zeitlang eingezogen und still leben, sich durch Lectüre guter Schriften bessere Gefühle erwecken. Er muss von Leuten höheren Standes, von Leuten, die Kenntniss der Welt besitzen, wohlanständige Sitten erlernen. Vor allen Dingen muss 4 heisst möglicherweise von Th verlesen für: heischt tritte seines Amtes gleich mitbringen muß. (Gerade dies aber sei kaum möglich.) [244] Zu wünschen wäre es da her einem Hofmeister allemal, daß er dieses Stück der Lebensart schon in seiner Gewalt hätte, ehe er Führer wird. Und zu rathen ist einem jeden, der diese Absicht hat, daß er keine Gelegenheit hierinne sich zu üben versäume. (Es folgt die Schilderung eines Mannes ohne alle gesittete Lebensart, der sich um die Stelle eines Hofmeisters bewarb. Feder nimmt dies zum Anlaß, sich an jene Leute zu wenden, die so unbesonnen, so ohne alle Zubereitung, ohne die nöthigsten Vorerkenntnisse, Führer, Lehrer, Hofmeister werden wollen.) [249] Sie wollen Hofmeister werden, Sie, mein Herr, von dessen Thorheiten die Mägde ein-[250] ander erzählen; und von dessen nächtlichem Lermen die Gassen noch immer ertönen? Sie, der sie mit allem, was Sittsamkeit und Wohlstand heischet, ein unverständiges Gespötte treiben; der Sie sich durch Beleidigungen ein Ansehen zu geben, durch Grobheiten fürchterlich zu machen glauben, und sonderlich dem Adel unhöflich zu begegnen gewohnt sind. Betrachten Sie sich selbst im Spiegel, und sehen Sie, ob diese Miene, diese Stellung, wohl ein Muster abgeben können, nach welchem sich ein junger Edelmann, ein künftiger Hofmann, bilden soll ? Die Gesellschaft, zu der Sie sich bisher gehalten haben, würde der Laquay nicht wählen, der dem Hofmeister zur Bedienung gegeben wird. Sie würde dieser beschämen durch seine bessere Lebensart; und würde unter den Manieren eines Stallknechtes den Hofmeister verkennen. Ihr Degen, womit Sie bisher zu beweisen gewohnt waren, daß Sie ein vernünftiger, rechtschaffener, Mann wären, und alles was sie nur seyn wollten, beweiset denn gar nichts mehr. [251] Sie wollen ihre Sitten ändern. O, mein Herr, dieß ist so geschwinde nicht geschehen! W o neh men Sie denn andere Gewohnheiten her, wenn Sie diese auch gleich, so bald Sie wollten, ablegen könnten ? ... Noch wenigstens ein Jahr lang müssen sie den Umgang derjenigen suchen, die sie bisher, unter aller hand läppischen Benennungen, verlachet haben. Sie müssen eine Zeitlang stille und eingezogen leben, gute Schriften lesen, wodurch feine Gefühle erwecket, und Sitten ihnen bekannt gemacht werden. Sie müssen auf diejenigen Acht geben, von denen sie, wegen iltfes Standes, wegen der Kenntniß der [252] Welt, die Sie sich auf Reisen erworben haben, und wegen des allgemeinen Lobes, das Ihnen vernünftige Leute geben, gute Sitten und eine wohlanständige Lebensart vermuthen können. (Es folgen Einzelrat-
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er sich vor Gelegenheiten hüten, wobei er sich leicht vergessen und in alte Gewohn heiten zurückfallen könnte. Aus dem Namen Gelehrter macht man sich zwar in der feinen W elt nicht viel; aber gewiss ein Mensch, der nicht Einsichten besitzt, die Gelehrsamkeit heissen 5 mögen, macht da eine ganz schlechte Figur. Bei Hofmeistern, denen Gelehrsamkeit mangelt, habe ich besonders zween Fehler bemerkt. 1) Sie verachten, was sie nicht verstehen. Ein Gelehrter und Pedant ist ihnen einerlei. 2) Wollen solche Herren, um die Langeweile zu vertreiben, auch was lesen, sie nehmen das nächste Modebuch zur Hand, die seichten am ehesten, weil sie io von den ändern nichts verstehen. Alles, aus Mangel der Beurtheilungskraft, halten sie für Weisheit. Gewöhnlich werden sie zuletzt - lustige Scribenten ohne Vernunft, oder Aventuriers. Ein Hofmeister muss mit fremdem Gelde besser zu wirthschaften wissen, als mit seinem eigenen. Ein übler Haushalter und ein Betrüger gesellen sich leicht zu15 sammen, und wer einer einzigen Betrügerei fähig ist, schickt sich der zu einem Hofmeister ? schläge.) [253] Vor allen Dingen müssen Sie sich vor den Gelegenheiten hüten, wobey Sie sich leicht ver gessen, und in alte Gewohnheiten zurück fallen könnten. ... (Weiter verweist Feder auf einen angehenden Hofmeister, der glaubte, nachlässig im Studieren sein zu können.) [254] Wenn ich auch zugebe, daß ein Hofmeister nicht nothwendig ein Gelehrter seyn m uß: so sind doch die wenigsten Herrschaften [255] geneigt, einen Ungelehrten dazu zu nehmen. Aus dem Namen G e le h rte r machet man sich in der feinem Welt eben nicht viel; aber wahrlich ein Mensch, der nicht ge wisse Einsichten besitzet, die gar wohl Gelehrsamkeit heissen können, machet da auch eine gar schlechte Figur. (Dies wird näher begründet.) [257] Endlich habe ich bey solchen Hofmeistern, denen Gelehrsamkeit mangelt, zween Fehler bemerket, die mich wider sie einnehmen müssen. Sie verachten, was sie nicht verstehen. Ein Gelehrter und ein Pe dant, ist ihnen immer einerley. Der Eleve lernet nicht nur nichts von ihnen, sondern er darf nichts lernen, weil sie nichts wissen. Und er wird, wie sie, durch unverständige Urtheile lächerlich, so oft er Einsichten zeigen will. Unterdessen wollen solche Herren doch lesen, wenn sie des Müßigganges und ihrer ordent lichen, oft wenig rühmlichen Zeitvertreibe, überdrüßig worden sind. So nehmen sie dann jedes Mode buch vor die Hand, die schlechten wie die guten, und die seichten wohl am ehesten, weil sie die ändern nicht verstehen. Beurtheilen können sie nichts: so [258] halten sie die schädlichsten Irrlehren für Weisheit, ein verwegenes gedankenleeres Geschwätz für Philosophie. Unglückliche Verführte und Verführer an derer, und zuletzt - lustige Scribenten ohne Vernunft, wie ihre Originale, oder Avanturiers, bisweilen beydes zugleich. Denn was will man aus ihnen machen ? Hier ist wieder ein anderer. Aber nur noch eine kleine Bedenklichkeit hält mich auf, ehe ich es wagen darf, ihn zum Hofmeister vorzuschlagen. - Minimum est, quod scire laboro; Wissen sie mit Geld um zugehen? - O, sie verstehen mich nicht. Das weiß ich wrohl, daß sie schon Geld genug ausgegeben haben. Aber wenn sie mit fremden Gelde nicht besser zu wirthschaften wissen, als mit dem ihrigen, wer wird sie zum Hofmeister annehmen? (Es folgen Beispiele für mögliches Fehlverhalten.) [259] Ich will das Be-[260]ste von ihnen glauben, mein Herr. Aber ein übler Haushalter und ein Betrüger gesellen sich leicht zusammen. Und wer einer einzigen Betrügerey fähig ist, schickte sich der wohl zu einem Hofmeister ? -
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Besonders muss sich ein Hofmeister vor der sogenannten Galanterie, einen Roman zu spielen, gänzlich hüten. Es ist eine Neigung, die am leichtesten auch die Freunde der Tugend berücket, weil sie in der Gestalt der Unschuld erscheinen kann. Aber alle Laster finden hinter ihr Schutz, wenn sie einmal zur strafbaren Leidenschaft geworden ist. Was bei Vielen Schwachheit heissen kann, wird bei denjenigen Verbrechen, die Lehrer und B eisp iele der S itten seyn w o llen . Es ist leichter, Pflichten der Tugend zu lehren, als Laster zu bestrafen. Für die, die noch gebessert werden können, halte ich das Büchlein sehr brauchbar: A. F. Büsching, Grundriss eines Unterrichts, wie besondere Lehrer, Hofmeister etc. sich pflichtmässig, wohlanständig und klüglich verhalten müssen. Altona und Lübeck 1760. XIV. Capitel. Project zu einer Ritteracademie auf dem Lande. Ohne Beweis wird man einräumen, dass bei Erziehung des Knabens bis ins 14. 15. Jahr das Land den Vorzug vor der Stadt habe. 8 A.] Th: M. (Noch eine weitere Unart sei zu behandeln:) Aber aufrichtig, mein Herr, wir sind alleine; wird auch wohl die Aufwärterin vor ihrer Galanterie sicher seyn. Doch nein, so äusserst niederträchtig sind sie nicht. Aber würden sie nicht etwa einen Roman mit der Kammerjungfer spielen? (Es folgt die Geschichte eines Hofmeisters, dessen empfindliches Herz das Leere nicht ausstehen konnte, und immer etwas zu lieben haben mußte.,) [263] W as bey vielen ändern S chw achheit heissen kann, soll er in den Tagen seiner Besserung oft gesagt haben, w ird bey denenjenigen V erbrech en , w elche L ehrer und B eyspiele der S itten seyn w ollen. Nicht nur wegen des Ärgernisses, das sie geben, sondern auch darum, daß die Neigung, die es einmal dahin gebracht hat, daß sie sich vor den schönen Sittensprüchen und guten Lehren nicht mehr entsetzet, nicht mehr vor den heiligen Namen, der Tugend und Pflicht, die derjenige täglich ausspricht und anpreiset, der ihr Schutz giebt, sich bald vor nichts mehr scheuet, alle gute Re gungen nicht mehr empfindet, und ungehindert in jede Ausschweifung ausbricht, zu welcher sie eine Ge legenheit reitzet. Zu-[264]mal die Neigung, die am leichtesten auch die Freunde der Tugend berücket, weil sie in der Gestalt der Unschuld erscheinen kann. Aber alle Laster finden hinter ihr Schutz, wenn sie einmal zur strafbaren Leidenschaft geworden ist. Es ist leichter Pflichten der Tugend zu lehren, als Laster zu bestrafen. ... Um einiger willen, die noch zur rechten Zeit gebessert werden können, habe ich das bisherige gesaget. Und für diese könnte auch noch ein Büchlein brauchbar seyn, das ich daher nennen muß, A. F. B üschings G ru n d riß eines U n te r rich tes, w ie besond ere L ehrer und H ofm eister etc. sich p flich tm ä ß ig , w ohlanständig und k lü g lic h v erh alten m üssen. A ltona und L übeck 1760. ...
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V ierzehntes C ap itel Project zu einer Ritteracademie auf dem Lande (Die Zeit des Besuches auf dem Landgut - vgl. Kapitel 11 - geht zu Ende. Der Abschied weckt den Wunsch, beisammenzubleiben; daraus erwächst der Plan einer Erziehungsgemeinschaft, einer kleinen Akademie.,) [269] Das räumet man doch wohl ohne Beweis ein, daß bey der Erziehung des Knabens, bis [270] ins vier zehnte, fünfzehnte, Jahr, das Land den Vorzug vor der Stadt verdiene; wenn es dort nicht an Lehrern und Gesellschaft fehlet ? ...
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Aber ein Landhofmeister allein wird ohne Gesellschaft mürrisch u.s.w. Der Eleve schmachtet oder verwildert ohne Umgang mit seines Gleichen. In einem District von 10-12 Meilen in Gegenden, wo der Adel zahlreich ist, kann es 3-4 Häuser geben, wo es junge Herren giebt, die Hofmeister haben, die mit einander erzogen werden könnten; 8, höchstens 10 Knaben, halb so viel Hofmeister. Auf einem geräumigen Rittersitz eines patriotisch denkenden Mannes könnten sie sich versammeln und wohnen; den Ort einer solchen adel. Landschule wünschte ich mir in einer frucht-
[271] Ein einziger Mann, wenn er auch so geschickt wäre, als unter hunderten von den gewöhnlichen Hofmeistern kaum wenige sind, besitzet nicht Fähigkeit und Kraft genug, alles zu verrichten, was zur voll ständigen Erziehung eines jungen Edelmanns, bis er etwa mit Nutzen eine Universität beziehen kann, erforderlich ist. Fehlte es ihm auch nicht an Geschicklichkeit, und machte man ihm auch solche Bedin gungen, daß er sich entschliessen möchte, einen Landhofmeister abzugeben, da er es höher bringen könnte: so würde er des Umganges mit seines gleichen beraubt, nothwendig verdrüßlich, läßig, mürrisch werden müssen. Der Knabe hat auch keinen anständigen Umgang; dieß ist noch erbärmlicher. Jener entschließt sich vielleicht, ein philosophischer Einsiedler zu werden, und nähret sich mit der Lectüre. Bey diesem leidet die werdende Natur, und das ganze Leben [272] verlieret dadurch. Er muß schmachten, oder ver wildern. (Demgegenüber führe eine Gemeinschaft von drei oder vier Hofmeistern zu gegenseitiger Unterstützung , was auch den Zöglingen zugute komme.) Aber ich muß meine Gedanken ausführlicher vortragen, wenn die Brauchbarkeit derselben soll beurtheilet werden können; ich nehme in den Gegenden, wo der Adel zahlreich ist, einen District von zehen bis zwölf Meilen im Umkreise an. So darf ich für wahrscheinlich hal-[273]ten, daß sich in diesem Districte drey bis vier Häuser finden, wo es junge Herren giebt, die mit einander erzogen werden können; oder wenigstens nur in zwo Klassen vertheilet werden dürften. ... Es seyen also sechs bis acht Knaben, höchstens zehne. Und dazu halb so viele Hofmeister. Darf ich nicht noch weiter annehmen, daß unter diesen adelichen Häusern, oder sonst in der Gegend eines seyn werde, wo man patriotisch genug denket, um für die Einquartierung und Verkostung so vieler Personen sorgen zu wollen? Hier scheinen freylich meinem Vorschläge grosse Schwierigkeiten im Wege zu stehen. Ich sehe sie wohl, und will sie nicht verschweigen. Aber erstlich kenne ich viele Rittersitze, wo der Punkt wegen der Wohnungen gar nichts zu schaffen machte. Es giebt da entweder ein Schloß, das viele entbehrliche Zimmer hat, oder, neben den bewohnten, noch eines, das gar nicht be-[274]wohnt wird, ohne ansehnliche Häuser, die für adeliche Wittwen, Ortsofficianten, Richter, Pfarrer und Verwalter erbauet worden, und ganz oder zum Theil leer sind. Oder in den geringem Häusern ist hier und da eine Stube mit etlichen Kammern, wo ein paar junger Herren mit einem Hofmeister so gut beherberget seyn würden, als es jetzo nöthig ist. In den zwo geräumigsten Wohnungen versammleten sich die Schüler zu den Lehrstunden. (Wo es völlig an geeigneten Räumlichkeiten fehle , finde sich vielleicht ein Patriot, der das Geld zur Verfügung stelle, um Quartiere für die Akademie einzurichten.) [276] Nun will ich sagen, was ich mir für einen Ort zu meiner adelichen Landschule wünschte. ... Einen freundlichen Ort, in einer fruchtbaren Gegend, wo blumenreiche Gründe von hellen Bächen durchschnitten werden: wo Wälder von mannigfaltigem Grüne dem Schüler der Natur einen sichern Schatten geben, den Gesängen der Nachtigall zuzuhören, einen Dichter in der Hand. W o nahe Berge in heitern Frühlingstagen ein ganzes glückliches Land übersehen, und frische Himmelsluft einathmen lassen. Einen Ort, wo der arbeitsame Landmann seines Fleißes froh wird, und seinen Herrn segnet. - Und
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baren, in einer der anmuthigsten Gegenden, und einen Herrn der Art, der sein ver gangenes Leben in der grossen Welt am Hofe, oder bei der Armee zugebracht, der die Laster wie ein Meteor glänzen und zerplatzen sah. Ich will jetzt von den Lehrern reden; wir wollen annehmen, es wären 3; diese muss man der Wahl der Eltern überlassen; aber ist die Schule einmal eingerichtet, so muss das Collegium einen neuen Lehrer und neue Schüler annehmen dürfen. Die Lehrer zusammen müssen im Stande seyn, Unterricht zu geben, im Deutschen, Französischen, Italienischen und Lateinischen, in den Religionswahrheiten, in der Mathematik, Musik, im Zeichnen, Tanzen, Fechten, in der Geographie, Wappen kunde, Natur- und Staatengeschichte. Es könnten vielleicht 2 K lassen nöthig seyn, deren Einrichtung ich ungefähr angeben will. In der u ntersten soll von einigen deutsch und französisch gelesen werden; von ändern etwas übersetzt. Alle üben sich in der Kalligraphie; der Anfang in der Historie, Geographie und Theologie wird gemacht. Die Aeltesten dieser ersten Klasse kommen eine Stunde früher zum Unterricht; des Vormittags 3 Stunden und des Nachmittags 3. Die oberste K lasse wird in: Historie, Geographie, Theologie, Naturhistorie, Geometrie und Arithmetik; im Lesen französischer und lateinischer Schriftsteller, einen Herrn des Orts, der hier ruhig sein Leben beschliessen will, nachdem er die muntern Jahre im Dienste der Welt, am Hofe oder bey der Armee, zugebracht hat. Einen Herrn, dem die Wissenschaften im Glü[277]cke eine Zierde, und in den Tagen der Prüfung ein Trost waren. Der auf den grossen Scenen der Welt, das kühne Laster, wie ein Meteor, hat glänzen und zerplatzen sehen; ... [278] Itzo will ich von den Lehrern reden. Ich will nur erst setzen, es wären dreye. Mit vieren würde ich noch besser fortkommen. Sind es aber auch nur dreye: so kann ich behaupten, daß aller Unterricht durch sie wird bestellt werden können, wenn man gehörigermassen gewählet hat. Die Wahl der ersten Lehrer für meine Landschule muß ich den Eltern überlassen. ... [279] Ist die Schule einmal errichtet: so muß, wenn ein neuer Lehrer nöthig ist, dem Collegio erlaubt seyn, Subjecte dazu vorzuschlagen, und keiner, den sie mit Gründen verwerfen, ihnen auf gedrungen werden. Auch muß ihrem Ausspruche überlassen werden, ob neue Schüler, die sich anbieten, in ihre Gesellschaft können aufgenommen werden... Die Lehrer zusammen müssen im Stande seyn, Unterricht zu geben im Deutschen, Französischen, Italienischen und Lateinischen, in den Religionswahrheiten, in der Mathematik, Musik, dem Zeichnen, Tanzen und Fechten; in der Geographie, Wappenkunde, Natur- und Staaten-Geschichte. ... [280] Ich habe gesagt, daß zwo Klassen nöthig seyn könnten. Mehrere werden nie nöthig seyn. Um meinen Entwurf nicht zu unvollständig zu lassen, will ich mit wenig Worten anzeigen, wie die Einrichtung dieser zwo Klassen, und die Eintheilung der Stunden o h n g efeh r gemacht werden könnte. In der u n terste n Klasse soll von einigen deutsches und französisches gelesen, und von ändern etwas übersetzet werden. Alle üben sich in der Kalligraphie. Der Anfang in der Historie, Geographie und Theo logie wird gemacht. Mit dem Latein gespielet, wenn man will. ... [281] Die ältesten dieser zwoten Klasse kommen eine Stunde früher zum Unterrichte; die jüngsten eine Stunde später. Für jene dauert er etwa des Vormittags drey Stunden, und des Nachmittags drey: so wird sich das nöthigste thun lassen. ... Die o b erste Klasse wird, nach Angabe des zehnten Capitels, in der Historie, Geographie, Theologie, Naturhistorie, Geometrie und Arithmetik, im Lesen französischer und lateinischer Schriftsteller, im schrift-
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im schriftlichen Uebersetzen, in der Ortographie und dem Briefschreiben unter richtet und geübt. Die lateinische Stunde sollte in beiden Klassen, wenigstens etliche Mal der Woche, die erste unter den Frühstunden seyn. Musik und Tanz setze ich in die Recreationsstunden, das Zeichnen in eine Lehrstunde. In beiden Klassen fängt 5 täglich der Unterricht, Sommers um 7, Winters um 8 Uhr an. Nach dieser Lection ist eine Viertelstunde Frühstück und eine halbe zur Recreation ausgesetzt. In beiden Klassen folgt der Religionsunterricht, dann wird wieder x/4 ausgesetzt, so sind 3 Stunden des Vormittags vorbei und 2 waren Lehrstunden. Im Winter kann die übrige Stunde theils zum Ankleiden, theils in der unteren Klasse zum Lesen und io Schreiben und Zeichnen angewandt werden. Bei der obern kann in der Geometrie oder Arithmetik etwas gethan werden. Im Sommer ist noch eine Stunde übrig; diese gehört zur Historie und Geographie: Nachmittags fängt man mit Historie und Geographie an, dann folgen Sprachen. 4-5 ist für die Spiele. Eine */4 Stunde zum Ausruhen; so wird wieder gearbeitet, geschrieben und übersetzt. Um 6 Uhr des 15 Abends versammeln sich Alle auf der geräumigsten Stube, wo Zeitungen, neue
liehen Übersetzen, in der Orthographie und dem Briefschreiben unterrichtet und geübet. In der latei nischen Stunde, die in beyden Klassen, die erste unter den Frühstunden, wenigstens etliche Tage die Woche hindurch, ist, könnten benöthigten Falles, die Schwächern aus der obersten Klasse noch in die zwote geschickt werden; wenn sonst allzugrosse Ungleichheit unter [282] den Schülern seyn würde. Musik und Tanzen setze ich bey diesen in die Recreationsstunden, das Zeichnen in eine Lehrstunde. Man wird mich nicht recht verstehen, bis ich die Eintheilung des ganzen Tages mache. In beyden Klassen also fängt täglich der Unterricht, Sommers um sieben, und Winters um acht Uhr an. Die jüng sten der zwoten Klasse können eine Stunde später kommen. ... Nach dieser Lection ist eine Viertelstunde zum Frühstücke, und eine halbe Stunde zur Recreation auszusetzen. (Es folgen Hinweise auf verschiedene Möglichkeiten, die freie Zeit auszufüllen.) [283] Es folget in beyden Klassen Unterricht in der christlichen Lehre. Dann wird wieder eine Viertel stunde ausgesetzet. So sind drey Stunden des Vormittages vorbey, und zwo davon waren Lehrstunden. Noch sind des Sommers zwo Stunden, bis man zu Tische geht; im Winter nur eine. Eine halbe Stunde muß etwa zur gehörigen Ankleidung frey gelassen werden. Die andere halbe Stunde kann in der untern Klasse zum Lesen und Schreiben, oder zum Zeichnen, angewendet werden. Die von der obern Klasse können eben dieses, oder in der Geometrie und Arithmetik etwas thun. Im Sommer ist noch eine Stunde übrig. Diese gehöret dann in beyden Klassen zur Historie und Geographie. Mir scheinet es bey Anfängern am besten gethan zu seyn, wenn man auf die Erdbeschreibung eines Landes sogleich dessen Geschichte, und so dann die Statistik folgen läs-[284]set. Der Nachmittagsunterricht kann vor zwey Uhr nicht an fangen. Die Zeit, die vorher noch übrig ist, wird zu kleinen Besuchen angewandt, beym Klavier oder im Garten zugebracht. Das Studieren fängt mit der Geographie und Historie an. Die folgende Stunde gehöret den Sprachen. Die Zeit von vier bis fünf Uhr ist für die Spiele. Darauf eine Viertelstunde zur Sammlung der Gedanken und zum Ausruhen: so wird wieder gearbeitet, abgeschrieben oder übersetzet. Das Ge schriebene wird corrigiret und die Regeln praktisch beygebracht. Einige können nach Gutbefinden unterdessen auch in der Musik geübet werden. Also ist itzo sechs Uhr des Abends. Nun versammlen wir uns alle, so viel unserer sind, wenn es Winter oder schlimm Wetter ist, auf der geräumigsten Stube. Da liegen Zeitungen, neue Brochüren, man sieht sie an, man unterredet sich, alles ohne Zwang, fast wie
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Brochüren u.s.w. liegen, man erzählt, unterredet sich u.s.w. Bei tauglichem Wetter geht Alles spazieren; wer zuhören will, dem erzählt man aus der Historie. Diese Abendstunde ist die wichtigste; die Lehrer geben auf nichts acht, und bemerken Alles. Nach dem Abendessen thut man was man will. 5 Zween Nachmittage von den 6 Arbeitstagen werden ausgesetzt; von Sonn- und Feiertagen sage ich nichts. Ueberdies ist es nothwendig, dass die Academie einen Vorsteher hat. Die zween wichtigsten Geburtstage können zu Gelegenheiten in Redeübungen dienen, oder zu kleinen Schauspielen, wo aber keine Schwänke auswendig gelernt io werden. in einem großstädtischen KofFeehause. Ein Hofmeister lieset melodische Poesie oder harmonische Prosa vor, und ohne Befehl versammlen sich die Lehrlinge vom zärtern Gefühle um ihn herum. Die es nicht thun, [285] werden deswegen nicht sauer angesehen. Vielleicht wird auch ein kleines Concert aufgeführt. Bey tauglichem Wetter geht alles mit einander spazieren. Aus der natürlichen Historie werden denen, die zuhören wollen, Stücke erzählet. Dort bringt einer einen Büschel Blumen, hie suchet einer gefärbte Steine, zweene laufen einem Sommervogel nach. Alle stehen stille bey einer Nachtigall, oder bey der Lerche, die steigend ihr Abendlied singet, oder bey einer Quelle. Denen man ein Gewehr anvertrauen kann, die dürfen auch, wenn sie Lust dazu haben, mit einem Hofmeister auf die Jagd gehen. Diese Abendstunde ist eine der wichtigsten Stunden. Die Lehrer geben auf nichts Acht, und bemerken alles. Nach dem Abendessen geht zusammen, was sich zusammen schicket. Die Schüler wählen sich hier ihre Freunde. Die Hofmeister vertauschen ihre Eleven gegen einander. Man thut, was man will. Zweene Nachmittage von den sechs Arbeitstagen sind die Lehrstunden ausgesetzet. Da werden Werk stätte besuchet, oder Tänze veran-[286]staltet, oder Staatsvisiten abgestattet, oder eine Excursion aufs Land vorgenommen. Ich sage nichts von den Tagen, die dem Gottesdienste geheiliget sind. Ein jeder frage sein Gewissen. ... Die Lehrer brauchen vielleicht selbst eine gewisse Aufsicht, die Akademie einen Vorsteher. Darum soll erstlich eine Woche um die andere ein Hofmeister oberster Richter in den wichtigsten Streitsachen seyn. Wie viel praktischen Verstand und Klugheit ein Hofmeister besitze, wird sich hier offenbaren. Wenn der Herr vom Orte ein Mann ist, wie ich mir ihn erst gewünschet habe, dann ist er der Vater dieser Landschule. ... [287] W o bleibt dann die Übung in der Declamation ? Sie ist nicht vergessen. Die zween wichtigsten Geburtstäge im Orte können zu Gelegenheiten dienen, Redeübungen anzustellen, oder ein kleines Schau spiel aufzuführen. Man wird sie da keine Schwänke auswendig lernen lassen, wie in einigen Schulen ge schieht; auch nicht von Sachen reden lassen, von denen sie nicht mit Anstande reden können, weil sie nicht verstehen, was sie sagen. ... Dieß kann genug seyn zur Erklärung meiner Idee. ... [288]
Fünfzehntes C a p itel Emils letzte Studien vor seinem fünfzehnten Jahre (Das Kapitel beginnt mit einem weitläufigen Gespräch, das der Hofmeister mit Emil nach dem Abschied von seinen Freunden führt: über die Freundschaft und den Umgang unter Freunden, die gegenseitige Nachahmung und Beeinflussung, sowie über die Aufgabe und Möglichkeit, einander zu bessern. Durch wahre Freundschaft muß die Tugend befördert werden.j
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XV. Capitel. Emil’s letzte Studien vor seinem 15. Jahre. Vor Allem war uns jetzt N atu rh istorie; sie sollte vor der Philosophie allemal vorhergehen. Emil sollte kein Professor werden, er hatte schon vorher auf Spazier5 gängen eine Menge nützlicher Sachen gelernt; die in’s Unendliche fortgehende Classification war nichts für uns. Im P flanzenreiche begnügte ich mich, ihn die bekanntesten officinellen Kräuter von den ändern unterscheiden zu lehren. Das Andere, was wir jetzt Vornahmen, waren m echanische K ünste. In verschiedene Werkstätte der Handwerksleute hatte ich Emil schon geführt; ich führte ihn dabei io auf allerhand Betrachtungen, besonders von Nothwendigkeiten des Lebens u.s.f. 7 officinellen] Th: officiellen [301] Nachdem wir etliche Tage ausgeruhet hatten, fiengen wir wieder an zu arbeiten. Emil wollte selbst einbringen, was bisher versäumet worden war; und ich hielte itzt für gut noch einige Beschäfti gungen zu den vorigen hinzu zu setzen. Vor allem war es die N a tu rh isto rie ; ein für sich angenehmes, und in vielerley Absicht nützliches Studium. Vor der philosophischen Wissenschaft sollte sie, nach meinem Bedünken, [302] allemal vorher gehen. Die Vorbereitung dazu war schon lange gemacht. ... Schon manches Krautes Natur und Nutzen hatte Emil von mir beym Spazierengehen gelernet; schon manches Thieres wunderbare Handlungen erzählen hören, oder selbst beobachtet. Die hauptsächlichsten Erdarten wußte er schon zu unterscheiden. Schon machte er Versuche mit den Pflanzen; setzte Blumen aus den Gartenbeeten auf das Feld, und Feld pflanzen in den Garten, um zu sehen, was der Unterschied der Erdarten für Veränderungen nach sich zöge. Auch hat er der Arbeit des Gärtners öfters zugesehen, und seine Geschicklichkeiten auszuforschen ge sucht. Fragmente genug. Es war Zeit auf das System zu denken. [303] Aber Emil sollte kein Professor werden. Die fast bis ins Unendliche fortlaufenden Klassificationen, die Zeilen langen characteristischen Namen, waren keine Sache für uns. ... In dem Pflanzenreiche begnügte ich mich, ihn die bekanntesten officinellen Kräuter von denen, die es nicht sind, unterscheiden zu lehren; ... (Beobachtungen und Sammlungen seien nicht unternommen worden, ohne Betrachtungen für den Verstand und für das Herz dabey anzustellen. Ausführlich wird die Frage nach der im Leben der Natur waltenden göttlichen Weisheit behandelt.) [312] Das andere, was wir itzo Vornahmen, waren m echanische K ünste. ... [313] In die Werkstätte der Handwerksleute und Künstler, sowohl in unserm Orte, als in der Nach barschaft, hatte ich meinen Eleve schon öfters geführet. Die Neugierde hieß ihn selbst oft stille stehen, wenn wir irgend wo vor einem Wagner oder Zimmermann, oder Schreiner vorbey giengen. Es war nicht schwer die Unterredung so bald ich nur wollte, auf die Betrachtung zu lenken, wie viele Leute für uns arbeiten müssen, und wie übel es mit uns stehen würde, wenn wir alles, was ein jeder von uns brauchte, allein besorgen sollten. Zwar ließ ich ihn bemerken, daß die wenigsten unserer Bedürfnisse, die so viele Leute beschäftigen, nothwendig zu unserer Erhaltung wären. Ein Bauer brauchte anderer Hülfe sehr wenig, ein Wilder noch weniger. Aber wie sollte es einem Manne vom vornehmen Stande gehen, wenn er auf einmal seines Vermögens beraubet, oder, wovon Beyspiele genug vorhanden sind, wenn er in ein Land verwiesen werden sollte, wo er nicht mehr bedienet würde, und sich von seiner Hände Arbeit nähren müßte ? (Die weitere Erörterung dieser Fragen läuft darauf hinaus, in Emil die Lust zur Erlernung handwerklicher Fertigkeiten zu erwecken.)
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Unsere Wahl eines Handwerks fiel auf das Sehreinerwerk. Der Plan unserer Studien wurde jetzt geändert, bloss der Vormittag war für das eigentliche Studieren. Nach mittags hatten wir allerhand Beschäftigungen. Emil fing seit seiner letzten Reise an die Jagd zu lieben; ich ging mit; was mich aber noch mehr in Verwunderung setzte, er wurde ein Dichter. XVI. Capitel. Emil wurde indess verliebt. Obgleich Viele anderer Meinung sind, so halte ich es doch für das Beste, dass ein Aufseher nur immer ein wachsames Auge habe, dass die Natur sich nicht aus Unwissenheit auf Abwege verirre, die zum schrecklichen Verderben führen. Ich war lange Zeit ungewiss, ob ich die Sprache der Mienen zu gebrauchen, oder allgemeine Moral oder Umschweife wählen sollte. Ich hielt es end-
[318] Die Werkstätte unseres Ortes wurden noch einmal besucht, und das Schreinerhandwerk gewählet. Es wurde jetzt auch der ganze Plan unseres Studierens verändert; theils deswegen, weil dergleichen Abänderungen neue Lust erwecken, theils auch, weil die neuen Beschäftigungen es nöthig machten. N ur der Vormittag war für das eigentliche Studieren, d. h. für Geschichte nach ihrem ganzen Umfange, Unterweisung in der Religion, Mathematik, für das mühsamere Lesen lateinischer und französischer Schrift steller, Übung im Schreiben und Zeichnen. Des Nachmittags erst Musik, denn Beschäftigung mit dem Naturaliencabinette, mit abwechselnder Unterredung. Darauf eine, oder anderthalb Stunden in der Werk statt. ... [319] Emil fieng an die Jagd zu lieben, seitdem wir von S. zuruck gekommen waren. Ich gieng mit. Und, was mich in Verwunderung setzte, aber nicht wenig erfreute, er wurde D ichter. ... [320]
Sechszehntes C ap itel Emil wird krank (Die Beschreibung von Emils Erziehung solle nicht verschweigen, daß auch in seinem Falle der Hofmeister nicht von dem verschont blieb, was ändern Mühe und Sorgen machet.,) [324] Emil wurde, was ich wohl voraus sähe, daß er einmal werden würde, aber itzo noch nicht er wartet, und unter bessern Umständen mir gewünschet hätte - er wurde v erliebt. (Nachdem der Hofmeister dies erfahren, sei er mit sich zu Rate gegangen, wodurch der Sache schleunig und aufs Beste abgeholfen werden könnte .) [326] Ich weiß wohl, daß einige der Meinung sind, man müßte mit einem Knaben, der nun in die Jahre eintritt, wo sich die Natur zu fühlen anfängt, gerade heraus reden von dem ändern Geschlechte, und von der Neigung gegen dasselbe u. s. w. Die Unwissenheit wäre die Quelle der Begierden; ... Ich weiß nicht, was meine Leser von dieser Lehre halten werden. Ich habe nie Lust dazu gehabt. ... [327] Doch ich will in einer so delicaten Sache meine Meinung nicht zur allgemeinen Regel machen. D er A ufseher habe n u r im m er, ein w achsam es A uge, daß die N a tu r sich nich t aus U n w issen h eit auf A bw ege v erirre, die zum sch reck lich en V erd erb en fü h ren . W en ig zu red en b efieh le t auch h ier die K lu g h eit ganz g ew iß .Ich war eine Zeitlang ungewiß, ob ich die Sprache der Mienen zuerst gebrauchen, allgemeine Moral oder Umschweife wählen sollte. Aber nachdem ich genügsame Kundschaft eingezogen hatte; hielt ich
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lieh für’s Beste, die Sache rasch anzugreifen, und redete ihn also ernsthaft an: Emil, Sie sind auf bösen Wegen, ich weiss Alles, was vorgeht, Sie wissen wohl selbst nicht, was sie Vorhaben; ich verlange jetzt, dass Sie mir wie bisher glauben und trauen. Ich habe, damit Sie in solchen Stunden der Vernunft folgen, 15 Jahre mit ihnen zu5 gebracht. Und es ist vergebens. Hier änderte ich den Ton: hören Sie, lieber Emil, weil es noch Zeit ist. - Sie sind auf Wegen, auf welchen schon viele Jünglinge der Schande und dem Verderben zugeeilt sind, die man für die Tugend aufgezogen hat. Sie haben nichts Böses im Sinn; das weiss ich, aber auch nichts Gutes etc. etc. Durch diese Unterredung genass Emil. io
II. Theil. I. Capitel. W ir haben Emil bei der wichtigsten Epoche des Lebens [verlassen], in einem Alter, w to die Empfindung stark, die Begierden dringend, der Geist aber nicht geübt
fürs Beste, die Sache rasch anzugreifen. Als die Vormittags-Lectionen vorbey waren, und Emil zur Stube hinaus wollte, hieß ich ihn da bleiben; und ernsthaft redete ich mit ihm: Emil Sie sind auf bösen Wegen. Ich weiß alles, was vorgeht. Sie wissen wohl [328] selbst nicht, was sie Vorhaben. Aber Sie sind auf bösen Wegen - Fürs erste verlange ich von Ihnen, daß Sie mir itzo, wie bisher, glauben und trauen. ... Damit Sie in solchen Stunden der Vernunft folgen möchten, habe ich eilf Jahre mit Ihnen zugebracht, des Tages gearbeitet, und oft eine Nacht hindurch gesorget. Und es ist vergebens. Sie achten nicht auf Vernunft! Hier mußte ich den Ton abändern. Denn Emil war fast ohne Empfindung. Hören Sie mich, lieber Emil, mein Sohn, weil es noch Zeit is t----Sie sind auf Wegen, auf welchen schon viele Jünglinge der Schande und dem Verderben zugeeilet sind, die man für die Tugend auferzogen hatte, und von denen ihre Familie Ehre hofFete. Sie haben nichts Böses im Sinne. O, dieß weiß ich. (Es folgt eine eindringliche Ermah nung, auf die Stimme der Vernunft zu hören.) [330] Sie erschrecken über diese Rede ? Ja, Emil ich muß sie wiederholen. W enn Sie nicht itzo gleich umkehren, und sich wieder in meine Arme werfen, und sich wieder von mir führen lassen, nicht mehr vor mir sich tückisch entfernen, bis die Gedanken, von denen Sie itzo voll sind, Ihnen ein Abscheu geworden: so sind Sie verlohren. Sie haben nichts Böses im Sinne. Aber Gutes auch nicht. Das wissen Sie wohl. ... [331] So weit diesesmal. Emil genas. Noch eine Hauptunterredung gab es zwischen uns beyden über diese Sache. ... Emil genas nach Wunsche; und war eine geraume Zeit gesund am Körper und Geiste. Im Herbste wurde er von einem Fieber befallen, das gefährlich zu werden schien. ... Z w ey ter T heil Erstes C apitel Vorläufige Betrachtungen über den Character und die Bedürfnisse des Alters, in welchem Emil nun auftritt W ir haben bey einer der wichtigsten Epochen des menschlichen Lebens, und unter kritischen Um ständen unsern Zögling verlassen; beym ersten Anfalle der gewaltsamsten und unvermeidlichsten der Leidenschaften. ... Im [4] Alter, wo die Empfindungen stark, die Begierden dringend, der Geist aber [3]
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genug ist, bei vernünftigen Vorstellungen [sich] zu erhalten. Ein Blick, ein Beispiel überwältigt den ersten Vorsatz. Die vorzügliche Gefahr dieses Alters hat vorzügliche Hülfe nöthig. Und wo können wir sie besser finden, als bei der R eligion . Jetzt öffnet sich dem Verstände des aufkeimenden Jünglings das Allerheiligste der Religion. Um Emil zu den Wahrheiten der christlichen Religion nach dem Lehrgebäude anzuführen, legte ich ihm einen Aufsatz von allgemeinen philosophischen Betrach tungen vor, um ihm durch denselben sein eigenes Nachdenken zu reizen. II. Capitel. Präliminarien zur vernünftigen und festen Ueberzeugung von der Göttlichkeit der christlichen Religion. Schon viele Jahre verehren Sie, mein Emil, einen Gott, den jeder vernünftige Blick auf die Welt mit unüberwindlicher Gewissheit erkennen lehrt. Dass aber die Lehren der Bibel nichts als göttliche Wahrheiten enthalten, dass wir die natürliche nicht geübt genug ist, bey vernünftigen Vorstellungen sich zu erhalten. Ein Blick, ein Beyspiel über wältiget den besten Vorsatz. ... [5] Aber die vorzügliche Gefahr dieses Alters hat vorzügliche Hülfe nöthig. Und wo könnten wir sie besser finden, als bey der Religion ? Es öffne sich itzt dem Verstände des aufkeimenden Jünglings das Allerheiligste der Religion; ... (Schon früh seien Emil die gemeinsamen Grundbegriffe aller vernünftigen Religionen vermittelt worden.) [6] Der Prediger des Orts fieng nun an, täglich eine Stunde Emilen die Wahrheiten der christlichen Religion nach dem Lehrgebäude seiner Kirche in einem ausführlichen und zusammenhängenden Unter richte zu erklären. (Der Hofmeister habe sich verpflichtet gefühlt, dabei mitzuwirken und ihm vor allem das Ver hältnis der christlichen Religion zur Vernunft darzulegen.) [7] Ich faßte den Entschluß, einen Aufsatz von allgemeinen philosophischen Betrachtungen über die christliche Religion ihm vorzulegen, und [8] durch selbige sein eigenes Nachdenken zu reitzen. ... Z w eytes C a p itel Präliminarien zur vernünftigen und festen Überzeugung von der Göttlichkeit der christlichen Religion Schon viele Jahre verehren Sie, mein lieber Emil, einen Gott, welchen jedweder vernünftige Blick auf die Welt, jedwede ruhige Überle-[9]gung unserer innersten Gefühle, mit unüberwindlicher Ge wißheit erkennen lehret; einen allmächtigen gütigen Schöpfer und ewigen weisen Vater. ... Ja Sie haben auch schon die Lehren von Gott, die der natürliche Verstand erforschet, von denjenigen, die nur mit dem Zeugnisse der heiligen Schrift bewiesen werden können, unterscheiden gelernt... Daß aber nichts als göttliche Wahrheiten in den Lehren der Bibel enthalten sind, daß wir es bey jenen Erkenntnissen der Vernunft nicht dürfen bewenden lassen, sondern die eigenthümlichen Lehren der hei ligen Schrift zur Richtschnur unseres Glaubens und Lebens nothwendig annehmen müssen - Dieß, mein lieber Emil, haben wir bisher mehr vorausgesetzt, als eigentlich bewie-[10]sen; Sie haben es aus Zu trauen gegen uns mehr, als aus Einsicht, geglaubt. (Eine Untersuchung des wahren Verhältnisses der christlichen Religion zu den Wahrheiten und gegründeten Vermutungen der Vernunft sei notwendig.)
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Lehre der heiligen Schrift zur Richtschnur unsers Glaubens und Lebens nothwendig annehmen, das haben wir eigentlich noch nicht bewiesen. Wir wollen nun diese nachfolgenden Fragen beantworten: Ist den Menschen eine weitere Erkenntniss von Gott, als sie die Vernunft leihen 5 kann, nützlich und nöthig zur Beförderung der Tugend und Weisheit? Wenn sich eine unter den Religionen der Völker befindet, die in ihrem Wesent lichen nichts enthält, was die Vernunft nothwendig verwerfen müsste, und welche den Bemühungen, die Vernunft, Weisheit und Glückseligkeit zu befördern, unleug bar Vortheile verschafft, muss diese nicht als göttliche Veranstaltung angesehen, und io allgemein verehrt und angenommen werden ? Ist die Religion der Christen in ihrem Wesentlichen so beschaffen? Welche Art von Gründen und Ueberzeugung, welchen Grad der Gewissheit kann man ver langen, um sich hiebei zu entschliessen ? Ein Mensch kann durch seine natürliche Erkenntniss auf ein verständiges Wesen, 15 als den Schöpfer und Erhalter der Welt kommen; ferner auf eine Unsterblichkeit der Seele, und auf unzählige Beweggründe zum Guten, zur Pflicht. Aber es können [11] Man kann diese Untersuchung auf vielerley Weise anfangen. Mir scheint sie natürlich und leicht von statten zu gehen, wenn sie nach folgenden Fragen getheilt wird. Ist eine mehrere Erkenntniß von Gott, als der natürliche Verstand gewähren kann, für das menschliche Geschlecht überhaupt, und für einen jeden Menschen insbesondere, zur Beförderung der Tugend und Glückseligkeit, nöthig, wünschenswerth ? Wenn sich unter den positiven Religionen der Völker eine befindet, die in ihrem Wesentlichen nichts enthält, was die Vernunft nothwendig [12] verwerfen müßte, und den Bemühungen der Vernunft, Weis heit und Glückseligkeit zu befördern, unleugbar Vortheil verschaffet; muß dieselbe nicht schon darum, als eine göttliche Veranstaltung angesehn, und aus Liebe zu sich selbst und zum menschlichen Geschlechte verehrt und angenommen werden ? Ist die Religion der Christen in dem, was als wesentlich dabey angenommen werden muß, also be schaffen? Welche Art von Gründen und Überzeugung, welchen Grad der Gewißheit oder Wahrschein lichkeit kann man vernünftiger Weise verlangen, um sich hiebey zu entschließen ? Ich setze, als etwas, was Sie theils wissen, theils immer mehr einsehen werden, voraus, daß allerdings der Mensch durch seine natürliche Erkenntniß es dahin bringen kann, daß er ein verständiges Wesen als den Schöpfer und Erhalter der Welt, und als den unsichtbaren Aufseher unserer Handlungen sich denket, dem es [13] nicht gleichgültig seyn kann, wie sich ein Mensch aufführt, der vielmehr, nach seiner weisen Güte, Böses zu verhindern, und Gutes zu befördern, auch Strafen gebrauchen kann und muß, so lange als zur Beförderung des Guten und Verhinderung des Bösen dieses Mittel nöthig ist; daß er ferner ein Leben der Seele nach dem Tode des irdischen Körpers, Unsterblichkeit hoffet; und daß er theils hier innen, theils in den natürlichen Folgen der Handlungen in diesem Leben, so viele Beweggründe zum Guten findet, daß, w enn er sich diese Beweggründe, und alle diese Wahrheiten immer gehörig deut lich, lebhaft und mit Überzeugung vorstellte, er es nie würde v ern ü n ftig fin den können, von dem abzuweichen, was mit Grunde Pflicht heißen kann, von den Gesetzen der allgemeinen Menschenliebe und der möglichsten Beförderung der Wohlfahrth und Vollkommenheit des Ganzen. Aber, mein Liebster, wenn die Kenner und Freunde des Lichtes der Natur bey der Wahrheit bleiben wollen: so müssen sie zugeben, daß [14] alle diese Erkenntnisse von Gott und dem ändern Leben ... doch
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einem bei diesem doch immer, wie es den grössten Männern ergangen ist, Zweifel u. a. aufsteigen. Auf diesem Wege aber kann man eine nöthige Vollkommenheit der Gemüthsruhe und der Tugend niemals erreichen. Die alten Philosophen zeigen in vielen Stellen, wie wenig Beruhigung und Gewissheit sie hatten.
nicht die vollständige Deutlichkeit und Gewißheit, nicht die Evidenz für sich haben, daß nicht gar zu leicht Dunkelheit sich über dieselben herziehen, Zweifel gegen sie aufsteigen, oder, aus Mangel der Voll ständigkeit und Bestimmtheit der Erkenntniß, tausenderley Muthmassungen und confuse Vorstellungen entstehen; ... Es hat unleugbar unter denenjenigen, die dem blossen Lichte der Natur gefolget sind, einige [15] gegeben, die für die wesentlichsten Grundwahrheiten der natürlichen Religion ein standhaftes Bekenntniß abgelegt, und wie man der Billigkeit nach urtheilen muß, ihnen gemäß zu leben sich Mühe gegeben haben. Aber eben diese Männer haben dabey dennoch theils nicht undeutlich zu erkennen ge geben, daß sie die Unvollkommenheit der natürlichen Erkenntniß von Gott einsähen und beklagten, theils ... sich verleiten lassen, allerhand bedenkliche oder würklich schädliche Zusätze zu den für sich so wenig genau bestimmten Vorstellungen der Vernunft zu wagen. Viele aber, die auch Männer von tiefen Einsichten zu seyn scheinen können, ... sind, indem sie dem Lichte der Vernunft folgen wollten, auf die gefährlichsten Abwege gerathen, Meynungen mit Eifer und Be-[16]harrlichkeit zu behaupten, die dem eigenen und gemeinen Besten unleugbar entgegen sind. ... [17] Und dann, mein lieber Freund, wenn wir auch annehmen könnten, daß alle, die von der Ver nunft allein sich wollten führen lassen, in den Untersuchungen über Gott und die Natur in den rechten Weg eingiengen, und immer fort auf demselben blieben, und dadurch so weit in der Erkenntniß es bräch ten, als auf diesem Wege je geschehen kann: dürften wir alsdenn auch behaupten, daß sie diejenige Voll kommenheit der Gemüthsruhe und der Tugend auf diesem Wege erreichen würden, deren die mensch liche Natur hier unten nicht schlechterdings unfähig ist, und [18] welche wir vielleicht bey weitern Unter suchungen, durch bestimmtere, mehr gesicherte und weiter fortgeführte Religionserkenntnisse hie und da bewirket finden können ? ... Mit einem Worte, die Tugend hat [19] zu ihrer Unterstützung und Ausbildung die Vorstellungen der Religion nöthig. ... [20] Daß wir bey unserer Religion mehr Beruhigung finden, als wir ohne dieselbe nicht haben zu können nun vermeynen, entscheidet hierinne nichts, wenn zumal unsere Religion uns auch erst Ursachen der Furcht eröffnet, die der sich selbst überlassenen Vernunft unbekannt geblieben wären. Eine solche Unruhe, wie wir bey den Weltweisen zu erwarten durch unsere Religionsbegriffe leicht ver anlasset werden können, findet sich doch erweislich nicht beym S okrates, P lato , E p ik tet und A n tonin. ... [21] Aber dennoch lässet sich auch nicht wohl annehmen, daß bey der Ungewißheit und Un-[22] Vollständigkeit der natürlichen Erkenntniß eine solche Beruhigung statt finden könnte, wie alsdenn, wann sichere Zusagung von Verzeihung und Gnade, und väterlicher Liebe und Fürsorge in Zeit und Ewigkeit vorhanden sind. Auch ist Grund vorhanden zu zweifeln, daß jene Beruhigung der Weltweisen feste, stete Überzeugung war, und nicht vielmehr wankende Überredung und unbeständige Hoffnung, die sich auch vielleicht in ihrer Schwachheit nicht am liebsten sehen ließ. Es fehlt ja nicht an ausdrück lichen Erklärungen dieser Männer, aus welchen genug-[23]sam erhellet, wie wandelbar ihre Hoffnungen waren, wie weit unter der Zuversicht, die wir kennen. ... Aber wenn dieß der natürliche Zustand der Tugend und Glückseligkeit der weisesten, der aufgeklärtesten Menschen ist: wie wird es mit der ungleich grössern Zahl derjenigen aussehen, die nicht Zeit, nicht Kraft oder Neigung haben, ihren Verstand durch eigenes Nachdenken aufzuklären; oder bey denen die Leidenschaften stärker sind, als die blosse Vernunft? (Dies wird noch näher erörtert.)
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Die zweite Frage, was man von einer Religion halten solle, die den Bemühungen, die Vernunft, Weisheit und Tugend zu befördern, unleugbar Vortheile verschaffte, und in ihrem Wesentlichen nichts enthielte, was die Vernunft nothwendig ver werfen müsste ? Ein Mensch, der sich lange durch ein Labyrinth, worin er sein Herz 5 unter den Einflüssen der Laster kaum rein und lauter erhalten konnte, hindurchwand, wird sich gewiss einem rechtschaffenen Manne zugesellen, der alles Schöne und Erhabene mit Ueberzeugung lehrte, und nichts, was die Vernunft beleidigte. Wer an der Göttlichkeit einer Religion zweifelt, weil er ihr A usser w esen tlich es nach den Begriffen eines Zeitalters und ursprünglich eingerichtet und durch mensch10 liehen Wahn verdienstlich findet, hat seine Grundsätze nicht hinlänglich überdacht. Wenn eine Religion Glauben fordert, wo sie der ausgemachten Vernunftwahrheit 9-10 und ursprünglich ... findet] In diesem Satz scheinen sich Versehen Hegels (überflüssiges und nach Zeitalters) und Lesefehler Thaulows (Verdienstlich für verunstaltet^ verbunden zu haben 10 Grundsätze] Th: Gründsätze
[27] Nun wollen wir die andere Frage untersuchen: Was man von einer Religion zu halten hätte, die den Bemühungen der Vernunft, Weisheit und Glückseligkeit zu befördern, unleugbar Vortheil ver schaffte, und in ihrem Wesentlichen nichts enthielte, was die Vernunft nothwendig verwerfen müßte ? ... Wenn ich beym Nachdenken über meine Be-[28]stimmung und Pflicht mir selbst überlassen den Ge danken gar nicht hätte, daß den verlassenen Sterblichen noch ein anderes Licht leuchtete, als das Licht der Vernunft; und ich hätte die Schwäche meines Verstandes, Wahrheit und Einbildung bey diesem Lichte zu unterscheiden, oft empfunden; und mich hätten oft die Labyrinthe ermüdet, in die die Forschung mich verführt, und oft hätte da vor Ungestalten und Schreckenbildern mein Blick sich entsetzt; oft er fahren, wie schwer es wird, unter solchen Einflüssen das Herz immer lauter und ruhig zu erhalten; und ich fände dann einen Mann von rechtschaffenem Wesen, der alles, was meine Vernunft erhabenes und gutes je zu erkennen vermochte, und vieles noch, was darüber geht, aber dem doch gut zu Statten kömmt, mit Überzeugung lehrte, und nichts was die Vernunft beleidigte; und ich fände, daß diejenigen, die seine Lehren annehmen, bessere Menschen würden, und ich fühlte selbst Eifer in Guten und Geisteserhebung in [29] mir durch denselben bewirket: diesem Manne würde ich mich zugesellen, als einem, der mehr gute Erkenntniß empfangen hätte, als ich; und sein Licht mir leuchten lassen; nicht meine Überzeugung, aber meine Zweifel gern ihm aufopfern, und Gott danken. ... (Eine von Gott durch Wunder gestiftete Religion müsse sich doch immer auf menschliche Weise darbieten, nach den Begriffen des Zeitalters sich bequemen und einschrenken.j [30] W er also an der Göttlichkeit einer Religion zweifelt, weil er ihr A ußerw esentliches nach Begriffen und Schwachheiten eines Zeitalters ursprünglich eingerichtet, und hernach durch Men-[31]schenwahn sie verunstaltet findet, hat seine Grundsätze nicht hinlänglich überdacht. Was wesentlich ist oder nicht bey einer Religion, entscheidet freylich der allzukühne Unglaube eben so leicht falsch, als der furchtsame Aberglaube, oder der herrschsüchtige Gewissensmeister. Aber zum Entschlüsse des redlichen Forschers ist es genug, wenn er nur einsieht, daß eine Religion, die ihm ehr würdig und annehmungswerth scheinet, ihm nirgends die Pflicht aufleget, dasjenige für Wahrheit an zunehmen, was die Vernunft unbrauchbar und das Gewisseste ungewiß machen würde. Wenn eine Reli gion Glauben forderte, wo sie den ausgem achten V ern u n ftw ah rh e iten widerspräche: so könnte der Glaube vom Aberglauben nicht mehr unterschieden werden; und worauf wollte denn die Religion
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widerspräche, so kann der Glaube vom Aberglauben nicht mehr unterschieden werden. Wenn nun alles Gute von Gott kommt, braucht man keinen anderen Beweis, um eine Religion für ein Werk der göttlichen Providenz zu halten, als ihre innere Güte? Ob bei ihrer Entstehung alles aus natürlichen Ursachen begreiflich ist, ändert ihren 5 inneren Werth nicht. Obschon unsere Vernunft die Wunder nicht begreifen kann, so müssen wir doch theils durch die Zeugnisse glauben, und auch theils ohne diese kann die Vermuthung derselben aus den grossen Umständen entstehen. Von dem, was in einer besondern Gemeinde gelehrt wird, hat nicht alles gleiche io Gewissheit. die Beweise ihrer Wahrheit gründen? (Hier folgen in einer ausführlichen Fußnote begriffliche Erläuterungen zu dem Ausdruck ausgemachte Vernunft Wahrheiten. J [32] Wenn denn nun alles, was gut ist, von Gott herkömmt, braucht es einen ändern Be-[33]weis, um eine R eligio n für ein W erk der g ö ttlich en P ro v id en z zu h alten , um [34] als eine gött liche Wohlthat sie zu verehren und zu gebrauchen, als ihre innere Güte ? Ob [35] mir bey ihrer Entstehung und Ausbreitung alles aus natürlichen Ursachen begreiflich ist, oder nicht, ändert ihren innern Werth selbst nicht. Aber wenn zum Lehrbegriffe einer Religion dieß mit gerechnet würde, daß sie durch übernatürliche Wirkungen entstanden sey; ... so ist es nur um so viel besser, um die schwärmende Phantasie und un gebundene Zweifelsucht dem festen Glauben [36] zu unterwerfen. Denn die Vernunft giebt uns keines wegs solche Begriffe von der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit wunderbarer, aus den gemeinen Natur gesetzen nicht zu begreifender Eräugnisse, daß unser Beyfall durch die Voraussetzung derselben schlechter dings gehindert werden müßte. Die Philosophen müssen gestehen, daß sich auch von den alltäglichsten Begebenheiten und den gemeinsten Naturgesetzen am Ende kein anderer letzter Grund angeben lässet, als der göttliche Wille. Und obgleich der vernünftige Begriff von dem göttlichen Wesen so wohl als die Erfahrung es so mit sich bringt, daß wir Erscheinungen, die wider die gewöhnlichen Kräfte und Wirkungs gesetze der Natur sind, nicht leicht erwarten oder glauben dürfen: so kann uns dennoch nicht nur das Zeugniß des eigenen Sinnes, sondern auch das Zeugniß anderer, wenn nemlich die Unwahrheit desselben unnatürlicher scheinen müßte, als die bezeugte Sache, ein Wunder zu glauben natürlicher Weise bestim men. Ja wie in ändern Fällen historischer Untersuchung, die sonst ausgemachten [37] Umstände, die gleich zeitigen Eräugnisse und die bewirkten Erfolge, etwas unabhängig von dem Gewichte der Zeugen glaub würdig machen können: so kann auch aus solchen Umständen, vermöge der Begriffe vom Laufe der Natur und der Grundgesetze der göttlichen Regierung, die Vermuthung außerordentlicher göttlicher Veranstaltungen und Wirkungen, ohne Rücksicht auf Zeugen derselben entstehen. ... (Man könne ein Christ sein, ohne von dem Lehrbegriffe irgend einer der Gemeinden, die sich zur christlichen Religion bekennen, völlig abzuhängen. Dies wird im einzelnen ausgeführt.) [40] ... diese Be trachtung sollte nur dazu dienen, uns bemerken zu machen, daß, wie in der menschlichen Erkenntniß überall, also auch von dem, was in irgend einer christlichen Gemeinde gelehrt wird, nicht alles gleiche Gewißheit habe; ... [41] Wenn wir denn nun die Hauptlehren des Christenthums untersuchen, und mit unsern vorher ent wickelten Grundsätzen Zusammenhalten; [42] wird es uns derjn lange zweifelhaft bleiben, ob sie die annehmungswürdigste aller Religionen, die unter den Menschen zum Vorscheine gekommen sind; ob sie eine göttliche Veranstaltung sey, göttliche Kraft und göttliche Weisheit enthalte oder nicht?
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Die christliche Religion enthält alle Theile der natürlichen Religion, aber mit einer Bestimmtheit und Gewissheit, die über die Vernunft geht, die man also in den Lehren aller Philosophen nicht antrifft. Sie enthält alles, was die Religion der Vernunft ausmacht, wenn sie aus den besten Schriftstellern zu sammengelesen wird; aber sie enthält alles mit einer Bestimmtheit und Zusicherung, die über die Ver nunft geht. Man vergleiche über die Einheit Gottes, die Fürsehung und Bestimmung des Menschen, die Aussprüche der Bibel, und die Lehren und Beweise eines Philosophen, welchen man will. Man vergleiche, und wähle —wähle für sich und die Welt! ...
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E x c e r p t a e P r a e f a t i o n e J o h . M a t t h . G e s n e r i G ö t t i n g . E lo q . e t P o e s . P .P .O . a d L iv iu m e x e d i t i o n e c u m n o t i s J o . C l e r i c i . L ip s ia e . W e id m a n n . 1 7 3 5 . 6.-17. Februar 1786. L ectio est vel stataria vel cursoria. 5 2. Lectio stataria est duplex, neutra contemnenda; altera circumscribenda angustioribus terminis; altera juventuti magis, quam fit, frequentanda. 3. Prior est interpretum veterum qui undecumque conducerent ex omni memoria atque monimentis omnibus, quicquid ad explicandum aliquem auctorem pertineret. In hoc genere princeps forte Eustathius Asconius Pedianus, Macrobius in alio 10 genere clariores, breviores Donatus, Servius, alii. 9 atque] Th: atq.
10 Eustathius] Th: Eustachius
Cum praefandi ista prouincia eo nobis tempore esset imposita, quo, collectis iam sarcinis, et inclusa arcis libraria supellectili, in procinctu essemus migrationis Gottingam suscipiendae causa: nec postea in hac ipsa vrbe propter multas alias occupationes, vel nostras copiolas statim redigere in ordinem suum possemus, vel alienis thesauris frui, quibus vel publicis vel priuatis hanc vrbem mox ita instructam videbimus, vt nulli facile Academiae concessura sit: visum est, seposita interim de Liuianis quibusdam locis atque rebus disputatione, de eo argumento pauca disserere, quod et expediri aeque bene sine librorum praesidio posset, nec a Liuii emtoribus abhorreret. De celeri ergo quam plures iam dixere cursoriam , bonorum ex antiquitate librorum lectione commentabimur, vt cum altera eam comparemus tardiore et curatiore, quam sta tariam interim vocare liceat, et quid praesertim in priore ilia boni insit paucis demonstremus. 2 Scilicet duplex ista legendi antiquos libros ratio fere obtinet neutra plane contemnenda, sed altera, quod nobis quidem videtur, circumscribenda angustioribus paullo terminis, altera magis quam vulgo fieri a iuuentute solet, frequentanda. Quae tardius ingreditur lectio, ea nec ipsa vnam habet rationem, sed in duplici minimum est, pro diuerso Scholarum gradu differentia. 3 Primum enim quo tempore deficere eruditio ex ipsis hausta fontibus ccepit, et rariores esse, qui omne scriptorum antiquorum genus ipsi peruolutarent ; superessent tarnen, qui vnum aliquem cognoscere atque intelligere vellent; exortum est genus interpretum, qui vndecunque conducerent ex omni memoria atque monumentis omnibus, quidquid ad explicandum illum pertineret: vt scilicet qui reliquo doctrinae apparatu carerent, et subiicere sibi non possent ea, quibus opus est ad percipiendam illius sententiam, ahorum labore ingenioque subleuati nihil eorum ignorare cogerentur. In hoc genere Eustathius forte principatum obtinet, quanto recentior scholiastes, tanto caeteris fere plenior et praestantior : qui cum esset Episcopus, illam varie interpretandi sanctos libros rationem ad poëtam principem transtulit. Quae enim ad Ciceronem Asconius Pedianus, quae Macrobius ad eundem commentati sunt, illa ex alio sunt genere multum castigatiora, et ad rerum potius, vel ab antiquitate, vel a sublimitate abstrusiorum declarationem, quam ad verborum origines, vsum, familias explicandas comparata. Breuiores etiam Donatus, Seruius, cacteri.
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4. Et alii fuerunt, qui praelectionibus amplis, et ad doctrinae non vulgaris, ut turn erant tempora, ostentationem comparatis libros veteres explicarent. Excellent Mancinelli, Beroaldi, Calderini, Ascensii praelectiones, prae ceteris omnibus Nic. Perottus, Sipontinus episcopus, postea Salmasii portentosum et immodicum opus 5 Plinianarum in Solinum exercitationum. In paullo modératiore, optimo tamen veteres explicandi genere principatum fert Joh. Rud. de la Cerda in Virgilium. 5. Hune morem secuti humaniorum literarum prof essores in publicis scholis, nil praetermittentes, quae ullo modo vel per ambages adauctorem trahi posse viderentur ; et alia praesidia adhibuerunt. io 6. In humilioribus scholis, ubi nunc idemque auctor bis aut ter perlegi et diverse pro profectus ratione explicari solet, non una deinde repetitionis, imitationis, et applicationis ratio succedit, qua, ut ajunt, in succum et sanguinem vertatur. 3 Ascensii] Th: Ascenscii 4 Sub felicem illam literarum instaurationem fuerunt, qui praelectionibus amplis, et ad doctrinae non vulgaris, vt turn erant tempora, ostentationem comparatis libros veteres explicarent. Mancinelli, Pomponii, Beroaldi, Calderini, Ascensii praelectiones magno studio audiebantur, et bibliothecas ad hue rumpunt volumina. Eminet hie Nie. Perotti, Sipontini episcopi, diligentia, qui, vt librum vnum Martialis illustraret, totos Latinae linguae atque eruditionis thesauros profudit, et cornu copiae dedit, vnde omnia fere peti possunt, quae ex lexicis nunc promuntur, quorum illud cornu copiae riuulos auxit non mediocriter. Huic qui comparari mole quidem operis posset, de his loquor, qui classicum quos vocamus librum explicarunt, postea non extitit, donee Salmasius portentosum nobis opus Plinianarum in Solinum exercitatio num daret. Sed hie neque eruditionis, neque digressionum modum seruauit. In paullo moderatiore, sed amplo tamen et copioso, commentandi et explicandi bonos libros genere, principatum fert, si quid iudicare possum, Jo. Rud. de la Cerda, cuius in Virgilium commentariis quid absolutius fieri possit non video. 5 Hunc igitur morem secuti humaniorum literarum professores publicas in bonos libros recitationes ita fere instituunt, vt quantum possunt maximum doctrinae apparatum ad earn rem conférant, neque quidquam praetermittant indictum, quod vllo modo vel per ambages eo trahi posse videatur. Si qui ab opibus suo studio collectis destituantur, at ii commentarios aliorum, Lexica, et id genus praesidia adhibent, perficiuntque dictatis suis, vt magnos thesauros sibi impertitos iuuentus arbitretur: neque carbones esse dixerim equidem; sed opes nonnunquam putauerim aliunde minore cum temporis iactura comparandas. Hoc vnum genus statariae quam dicere ausi sumus, lectionis est. 6 Alterum adiungimus, in scholis humilioribus vsitatum. Hie vnus idemque auctoris locus solet bis aut ter adeo praelegi et a discipulis in binos aut ternos ordines pro profectus ratione diuisis explicari. Succe dit deinde non vna repetitionis, imitationisque et applicationis ratio, qua in succum, ita aiunt, et sangui nem vertuntur verba ac sententiae scriptoris. Quae omnia faciunt, vt mediocris admodum locus vna hora pertractetur : Anni vero impendantur libro, vt hoc vtar, vni epistolarum Ciceronis aut officiorum interpretando ; fabula autem vna Terentii, aut liber vnus Caesaris, in tot distrahatur minutas particulas, vt vel optima memoria vix sufficiat ad comprehendendam animo rerum ipsarum continuatam seriem. 7 Et qui fieri possit ? Informemus age apud animum nostrum Absyrti illam a sorore sua concisi fabulam : fingamusque illam non tota fratris membra dissipasse, non proposuisse in alto scopulo P allentesque m anus sangu ineum qu e caput. Sed articulatim concidisse fratrem, vt hie quidem dimidiatum oculum abiiceret, cuius altera pars alio in loco requirenda esset, tum auriculam dextram longe inde poneret, ac nasum tertiatum, supercilii partem, digitum auricularem, quin vnguem, et praeputium adeo, ita disper-
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7. Ita auctor adeo discerpitur, ut ne suspicari quidem de eo liceat, quis sit. 8. At potestne fieri, ut adolescens etiam non ab ingenio et memoria destitutus, particulas ita explicationibus onustas praesentes animo servet, et cogitatione inde inter se devinciat, ut corpus qualecunque demum effingat, ut quid legerit, meminisse possit, vel admonitus recordari historiae ? 9. Jube aliquem et industrium adolescentem ex auctore suo narrare aliquid, aestuabit, haerebit. 10. Ex hoc fonte repetendus est stupor ille p aed a gog icu s, cum videas homines, versatos bonam aetatis partem in contubernio quasi sapientissimorum omnis aevi hominum, nihil praeter verba retulerunt, quos par erat cogitare, ut illos, argumentari, loqui. 11. Tanto minus fieri potest, ut in ea tarditate aliquis veram formam et pulchritudinem hauriat libri alicujus, atque animo comprehendat. 12. Per illam autem dissectionem et dissipationem partium, quia notitia rei tractatae intercipitur, languescit; aut exstinguitur legendi cupiditas, quae ad eventum festinat, et totum quäle sit cognoscere cupit. geret, vt interuallo satis longo a se disiecta essent omnia : potuitne, oro vos, suspicari pater, hunc esse filium suum? non magis profecto, quam opticarum rerum imperitus distractam eius, quam ava[jLop9 coaiv vocant, ope imaginem ac deformatam colligere ? 8 Sed an non simillima est ratio, qua tractantur vulgo, in bonis etiam scholis et illustribus, boni libri? Hodie legitur pensum minutissimum : singulae voces explicantur, distrahuntur a se inuicem magnis interuallis periodi : octauo aut si omnes D I adiuuent, quarto tertioue die reditur ad eundem librum, et alia illius particula simili arte in suas sibi minutas minutias secatur. Potestne fieri, vt aliquis adolescens etiam ab ingenio et memoria non destitutus, particulas explicationibus praesertim suis onustas atque tumidas, ita praesentes animo seruet, ita inter se cogitatione deuinciat, vt corpus vnde, non formosum dicam, sed vnum qualecunque demum effingat, vt quid legerit meminisse possit, vt vel admonitus recordari historiae ? 9 Nihil dico, quod praesentissimis exemplis et periculis confirmare vnusquisque possit. Sume, qui dubitas, in tali schola formatum quemcunque, laudabilis etiam industriae adolescentem, sed qui non nisi in schola legerit, audierit, Cornelium Terentiumque; iube eum narrare, quid Themistocles egerit? quis vir Atticus fuerit? quod argumentum sit Andriae? aestuabit, haerebit, inique, si D I s placet, secum agi putabit. 10 Quin aut vehementer fallor, aut ex hoc fonte repetendus est stu p o r ille, qui in prouerbium fere abiit p aedagog icu s, cum videas homines, qui bonam aetatis partem in contubernio quasi hominum omnis aeui sapientissimorum versati, nihil tarnen ex illo praeter verba retulere, quos tamen par erat similes illorum fieri, h. e. cogitare vt illos, argumentari, loqui. Sed nunc de iuniorum aetate atque studiis nobis sermo est, quibus prodesse istam disputationem optamus. 11 Tanto minus fieri potest, vt in ea quam diximus, tarditate aliquis veram formam et pulchritudinem hauriat libri alicuius, atque animo comprehendat, quia, quo quis ingeniosior est, eo fert molestius se m ou ere qu idem , quod ait ille, sed non p ro m o u e re : cum praesertim praeter ambages reliquas, eundem locum bis, ter, aut quater adeo audire cogatur. 12 Ex eo ipso autem, quod rei aut negotii de quo tractatur notitia, per illam tanquam dissectionem et dissipationem partium intercipitur; illud magnum incommodum consequitur, vt languescat, vel ex-
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13. Et juventus Homerum et alios horret, quia magnam eorum partem deinceps et uno quasi spiritu nunquam legit, unde de toto corpore judicare posset, et eventus exspectatione solicitari. 14. Nos cum Terentium explicaremus, et id maxime ageremus, ut quomodo verba 5 essent personis accommodata, et quantus morum artifex esset Terentius, ostenderemus, et ita in ea re versaremur, ut fabulas omnes intra paucissimorum mensium spatium absolveremus ; hie hiantes videres auditores, tacentes, intends oculis, auribus, animis adsidentes: subridentes etiam, et voluptatem animi fronte, oculis, ore, prodentes; cum in rem praesentem eos deducerem, ut ipsi in scena sibi versari io media viderentur. 15. At Phoenissarum Euripidis, cum major pars in verbis nimis haerebat, longe alia erat ratio; hiabant oscitatione; tacebant propter somnum. 16. Et sane fieri vix potest, ut intelligere discat antiquos libros, qui in stataria
tinguatur legendi voluptas, quae ea praesertim re continetur in aliis libris, quod ad euentum festinamus, quod totum quale sit cognoscere cupimus. 13 Cum ea vel sola illecebra sufficiat vt Telemachos, Robinsonios, Gulliueros, deuorent homines minime alioquin acres, et nisi perlectos non deponant: turn Homerum, Virgilium, Plautum, Terentium, Ouidium, Suetonium, Curtium, non minus iucundos scriptores negligit, quin horret iuuentus, quia ma gnam eorum partem deinceps et vno quasi spiritu nunquam legit, vnde de toto corpore iudicare pos set, et euentus expectatione solicitari. 14 Non molestum, spero, erit lectoribus, certe ad hanc nostram disputationem apprime facit, me commemorare, quid turn alias aliquoties, turn in Schola Thomana Lipsiensi (cui faueat Deus) nuper obseruauerim. Explicabantur eodem tempore Terentii fabulae, et Phoenissae Euripidis. Vtrumque a me petierant iuuenes quidam. Vtrumque pari alacritate aggrediebantur, adeo vt Phaenissarum initia TpaytoSsTv vnus itemque alter inciperet, et totas se ediscere velle minarentur. Iam in Terentio licebat progredi sic satis celeriter, et verborum curam non tam ad Grammaticas rationes adstringere, quam ostendere, vt personis essent accommodata, et quantus morum artifex esset Terentius: qua in re ita versati sumus, vt fabulas omnes intra paucissimorum mensium spatium absolueremus. Hie hiantes videres meos auditores, tacentes, intentis oculis, auribus, animis adsidentes; subridentes etiam, et voluptatem animi, fronte, oculis, ore, prodentes. Scilicet id agebam, quantum eius fieri posset, vt in rem praesentem eos deducerem, vt ipsi in scena sibi versari media viderentur. 15 At Phoenissarum alia erat ratio. Maior numerus in verbis nimis haerebat; hie de significationibus originibusque verborum, de aoristis, de contractionibus, de ellipsibus, de dialectis saepe nimis disputandum erat, saepe nimis, ad amaram, heu! Grammaticam prouocandum. Quid multa ? hiantes videbam quosdam, sed oscitatione; tacentes obseruabam, sed propter somnum; subridentes, sed alia omnia, T payc oSeiv autem coxeTro,X7jpoi. Et iidem homines erant, cupidi sane maior pars discendi, qui vrgerent me, et rogarent, vt plures horas Phoenissis impenderem, quas scilicet optarent totas cognoscere, qui Graece discendum esse bona fide mihi crederent. Scilicet non poterant totam Tragoediae oeconomiam, fabulaeque rationem per difficilia sibi verba nimis distractam praesentem animis habere. 16 Et sane, redeundum enim est, vnde digressi sumus, fieri vix potest, vt intelligere discat antiquos libros, qui in stataria (molliamus age vsurpando verbum, quo aptius nullum reperimus) ilia, laboriosa,
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illa, laboriosa, anxiaque lectione diu nimis contineatur. Nulla enim vox tarn certa atque definita ubique vi est, sed ex vicinia, et tota orationis rerumque serie aestimanda est; quod nisi multorum librorum lectione percipi nequit. 17. Praeceptis inculcandis et verbis formulisque varie operoseque, summa licet arte, dissolvendis, componendis, imitandis, ut in nullam rem, quae opere et actu 5 et usu constat, nec loquetur vel scribet latine, aut quacunque alia lingua. 18. u. 19. At non damno non contemno istum morem receptum summis auctoritatibus a summi judicii viris. Nam qui solidam cujuscunque linguae cognitionem adspirant, iis opus est, ut sub ipsa discendi initia librum aliquem ad Grammatices Rhetoricesque praecepta omnes singulasque particulas maxima industria exigant. io 20. Verum post jacta fundamenta sumendi etiam sunt libri, non in quibus enucleandis menses et annos impendas sed quos cursim perlegas, et quam potest celerrime. 1 anxiaque] Th: auxiaque anxiaque lectione diu nimis contineatur. Paucorum verborum ita certa atque definita vis est, vt omnibus in locis idem significent, sed ex vicinia et tota orationis rerumque adeo serie aestimanda sunt; cum eadem verba, pro personarum atque rerum de quibus agitur discrimine, longe aliud significent. Hoc vt vbique intelligas, vt statim, non quid significare possit, sed quid significet vnumquodque verbum, assequare; istuc vero nisi multo vsu, id est multa multorum librorum lectione percipi nequit. 17 Praeceptiones hic parum valent, vt in nulla scilicet re, quae opere et actu constat. Neque sane magis intelligere bonos libros, et loqui vel scribere Latine, aut quacunque denique lingua, discet aliquis praeceptis inculcandis, et verbis formulisque varie operoseque, summa licet arte, dissoluendis, componendis, imitan dis: quam ciuilium rerum peritus, et reipublicae tractandae aptus erit rubricis Mazarinianis addiscendis, vel Macchiauelli ad Liuium dissertationibus duabus aut tribus, vel omnibus adeo, enucleandis, et in succum, vt iterum vtamur illa bonorum virorum formula, et sanguinem conuertendis. 18 Quid igitur? contemnimusne receptam summis auctoritatibus a summi iudicii hominibus in scholas omnes rationem? Errorisne et ineptiarum postulabimus antiquam illam et venerabilem vocem, non m ulta, sed m u ltu m ! abiicimusne libros omnes Sturmii, Schori, Scioppii, Morhofii, magistrorumque aliorum, qui operosam illam et tarde grauiterque procedentem nobis legendi rationem commendarunt, inculcaruntque ? Non ego is sum, qui hoc audeam; non damno morem istum, quin dum haec scribo Horatianam de arte poëtica epistolam, quam possum accurate copioseque illustrare satago. 19 Opus est iis, qui solidam cuiuscunque linguae cognitionem adspirant, omnibus, vt sub ipsa discendi initia mediocrem libellum aliquem, aut eius certe partem non contemnendam, resoluant accuratissime, et ad Grammatices, Rhetoricesque praecepta omnes singulasque particulas, quanta potest esse industria et cura exigant: hoc enim qui neglexerint, nunquam illi secure vel loqui discent vel scribere, vacillabunt semper, et vel impingent, vel impingere metuent. Apprime vtile est vnumquemque in progressu studii in vno alteroque boni auctoris libro intelligere, quanto sit opus apparatu doctrinae, vt omnia plane intelligantur, vt omnium personarum, rerum, formularum, verborum, accurata possit reddi ratio. Est autem facilius longe et commodius, alio praeeunte et commonstrante hoc discere, quam ipsum diu nimis sudare. Quantum viua docentis vox hic valeat, iam praetereo. 20 Verum enim vero, post iacta fundamenta, post paratam mediocrem rerum Grammaticarum et Rhetoricarum notitiam, post specimen vnum alterumque, de quo modo dictum est, sumendi etiam sunt libri, non in quibus enucleandis menses et annos impendas, sed quos cursim perlegas, et quam potest celerri-
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21. Hie non cursoriam lectionem commendamus eam, quam interdum imperat necessitas locum aliquem aut verbum requirentibus, qui in id solum intend reliqua omnia praetermittunt, neque eam, qua librum novum in manus sumunt vel occupati vel quem totum perlegere tanti non ducunt: et post praefationem, summaria, 5 breviaria, lemmata, indicesque inspiciunt, et ex loco uno alterove speciminis causa considerato, speciem libri animo informant. 22. Nec consuetudinem somniculosorum hominum, qui libros semper illi quidem in manibus habent, perfunctorie tamen legunt, et strenue oculis, imo lingua et labiis utuntur; ita tamen, ut si rationem illos reddere jubeas, quid legerint, iniquo io se loco deprehensos frustraque expedire se conentur. 23. Quam nos cursoriam dicimus, ea talis est. Sumitur in manus liber boni auc toris, non ante ille dimittendus, quam perlectus integer sit. Legitur autem ita, ut diligenter attendatur ad vocum tum simplicium tum conjunctarum, et non negligatur eleganter, proprie, concinne, splendide dictum; ut ipsae quoque figurae demittantur 15 ad animum, et familiares tractatione reddantur. Sed obiter tamen aguntur reliqua omnia et quid forte obscurius, non insistitur; sed locus difficilis revocandus suo tempore et diligentius considerandus. 5 lemmata] Th: lemnata
7 consuetudinem] Th: consuedutinem
me. Statim hic error aliquis remouendus est, ne quis festinationem necessariam, aut negligentiam potius quam lectionem a nobis commendari putet. 21 Cursoriam lectionem hic non commendamus eam, quam interdum necessitas imperat locum aliquem aut verbum adeo requirentibus, qui in id solum intenti reliqua omnia praetermittunt, oculisque potius vtuntur ad legendum, quam animo: neque eam qua librum nouum in manus sumunt, vel occupati, vel quem totum perlegere tanti non ducunt: et post praefationem, ea quae summaria vocantur, breuiaria, lemmata, indicesque inspiciunt, locum vnum alterumque speciminis tantum causa considérant, atque ex his omnibus speciem quandam libri informant animo, et iudicium apud se ipsi ferunt. Hoc lectionis ge nere, (quod et ipsum alioquin vtilitate maxima non caret, recte vsurpatum) multi abutuntur hodie et profectum impediunt: vtinam non essent, qui Claudiana iudicia exercerent, librorum parua tantum parte inspecta saepe nulla. 22 De hoc igitur percurrendorum librorum genere sermo nobis non est, neque de somniculosorum quorundam hominum consuetudine, qui libros semper illi quidem in manibus habent, mane surgunt vti legant, cubitum autem tarde eunt, ne cito nimis a libris discessisse videantur, interim, cum in eo omnia sibi falso esse persuaserint, vel temere aliis crediderint, quam plurimos libros, vt legant: perfunctorie id agunt (vt illi barbare religiosi, qui ex opere quodvocant o p erato et gratiam sibi et beatitatem contingere posse putant) et strenue oculis, interdum etiam lingua et labiis, vtuntur: ita tamen, vt si rationem illos reddere iubeas quid legerint, tanquam in alieno et inimico sibi loco deprehensa animalia laborent, et frustra expedire se conentur. 23 Quam nos cursoriam lectionem dicimus, ea talis est. Sumitur in manus liber boni auctoris, non ante ille dimittendus, quam perlectus integer sit. Legitur autem ita, vt diligenter quidem attendatur ad vocum tum simplicium significatus, tum coniunctarum, vt non negligatur, si quid eleganter, si quid proprie, si quid concinne, si quid splendide dictum videatur; vt ipsae figurae quoque orationis demittantur ad ani mum, et familiares tractatione et cogitatione reddantur. Sed obiter tamen aguntur reliqua omnia, et si quid
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24. Nimirum ad id intenditur animus, ut intelligamus, quid sibi efficiendum docendumque proposuerit auctor, quibus ad hanc rem argumentis usus sit, et quam feliciter, quomodo ea, quae objici sententiae succedit, rejecerit; quibus eam rebus aliunde adsumtis h. e. exemplis, similitudinibus, testimoniis, exornaverit, illustraveritque. Haec in libro, ubi docetur aliquid, et argumentis demonstratur. In 5 historia autem, vel vera vel conficta studiose observatur, quis, quid, quo tempore, quo consilio praesertim, egerit, quibus adjumentis et quasi instrumentis sit usus, quae impedimenta, et quomodo removerit, quid effecerit denique, quemque facti sui fructum tulerit? quomodo superiora iis quae sequuntur, cohaereant, et haec ex illis quasi orta sint? videaturne ea narrare scriptor, quae sic fieri potuerint, et io aliorum etiam fide nitantur; an dicat, quae conciliari, vel inter se, vel cum aliis rebus, de quibus certo nobis constat, non possint? In poëtis etiam, artis vestigia, et picturas rerum, ingeniorum, morumque et perturbationum descriptiones, persequitur. 25. Haec sane una lectio est ad vitam utilis, quae animum consilio äuget, et 15 rebus privatim et publice gerendis facit aptiorem: haec sola facit, ut et ipsi tum dicere discamus non incommode tum scribere, et e nobis proferre aliquid, quod placere atque aetatem ferre possit. Et tantum se processisse unusquisque sciat, quanto sibi laetius feliciusque procedere hoc lectionis genus animadverterit.
sit in verbis obscurum, certe insolitum, si quid ex antiquitate altius repetendum, non insistitur, neque cohibetur et quasi sufflaminatur legendi impetus, verum nota tantum quadam insignitur locus difficilis, reuocandus suo tempore, et si tanti sit diligentius considerandus. Saepe ne opus quidem illud est, cum ea quae sequuntur sua sponte lucem inférant his quae tenebris mersa paullo ante videbantur. 24 Nimirum ad hoc vnum maximum intenditur in hac lectione animus, tota in hoc cogitatione defigitur, vt intelligamus, teneamusque deinde, quid sibi efficiendum docendumque proposuerit auctor libri, quibus ad hanc rem argumentis vsus sit, et quam feliciter; quomodo ea, quae obiici sententiae suae vidit, reiecerit; quibus earn rebus aliunde adsumtis h. e. exemplis, similitudinibus, testimoniis, exornauerit, illustraueritque. Haec in libro, vbi docetur aliquid, et argumentis demonstratur. In historia autem vel vera vel conficta studiose obseruatur, quis, quid, quo tempore, quo consilio praesertim, egerit, quibus adiumentis et quasi instrumentis sit vsus, quae impedimenta et quomodo remouerit, quid effecerit denique, quemque facti sui fructum tulerit? quomodo superiora his quae sequuntur cohaereant, et haec ex illis quasi orta sint? videaturne ea narrare scriptor quae sic fieri potuerint, et aliorum etiam fide nitantur; an dicat, quae conciliari, vel inter se, vel cum aliis rebus, de quibus certo nobis constat, non possint ? In poëtis praeter haec modo dicta, artis etiam vestigia, et picturas rerum, ingeniorum, morumque et perturbationum descriptiones, persequitur. 25 Haec sane vna lectio est ad vitam vtilis, quae animum consilio äuget, et rebus priuatim et publice gerendis facit aptiorem: haec sola facit, vt et ipsi tum dicere discamus non incommode tum scribere, et e nobis proferre aliquid, quod placere atque aetatem ferre possit. Hue igitur, hue animum applicet, quicunque vltra prima elementa atque tirocinia processit ; hue deducant iuuentutem qui possunt, in hoc eam studio crebris interpellationibus, interrogationibus, obiectionibus, disputationibus, adiuuent; tantum se profecisse vnusquisque sciat, quanto sibi laetius feliciusque procedere hoc lectionis genus animaduerterit.
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26. Atque haec quidem indivisum habeat comitem, dulcedinem quandam, et sinceram maxime voluptatem; quae non diminui solet, sed semper augeri, cum praeclara subinde et perfecta in his deprehendamus, ad quae pervidenda oculatior fit, quo saepius in illis diligentiusque versatur. 5 27. Ilia ipsa voluptas Studium augebit atque attentionem, et felici quodam causarum reciprocantium circulo, attentio voluptatem, voluptas attentionem, utraque intelligentiorem faciet eum, qui legit, et rebus stilo, ore, consilio, opera gerendis aptiorem. Qui enim cum ingentibus animis, et praestantissimis ex omni memoria ingeniis, familiariter, diuque versatus, in eorum quasi animum moresque io transibit. 28. Nec quidem difficile est, fundamentis rite jactis, posse legere hoc modo antiquos auctores; incipiatur a facili; transmittantur interea, quae non intelligas; et continuata lectio subjiciet sponte sua rationem, expediendarum difficultatum. 3 praeclara] Th: plaeclara 26 Quidni vero procedat? quae indiuisum habeat in his, qui mediocrem verborum copiam, et Grammaticarum praeceptionum vsum attulerint, comitem, dulcedinem quandam, et sinceram maxime volupta tem: quae solet in aureae illius et primae aetatis libris non diminui, vt in plerisque aliis fieri videmus, sed semper augeri, cum plura subinde praeclara et perfecta in iis deprehendamus, ad quae peruidenda oculatiorem aliquem fieri necesse est, quo saepius in iis diligentiusque versatur. De Terentianis fabulis iam dictum est, quod nupero demum experimento nobis cognitum sit: Idem in se experietur aliisque, qui periculum facere voluerit. Sume Roscianam Tullii Milonianamue, sume bellum Sallustii Catilinarium, et vno tenore, eo quo dixi modo legere institue. Si non hebes eris, et ab sacris nostris alienus, festinabis ad exitum, et finem iam adesse cum indignatiuncula quadam miraberis. Semper nouus eris integerque, fessus nunquam aut languidus. 27 Ilia ipsa voluptas Studium augebit atque attentionem. quo magis vero attenderis, tanco facilius intelliges. quo magis intelliges, tanto plus bonarum rerum, appositorumque rebus verborum, id est pulchritudinis, deprehendes. neque enim quid venustum sit, vel in pictura, vel in scripto intelligo, si ab expressione ilia atque accuratissima imaginum, coloribus illic et lineis, hic verbis constantium, conuenientia cum suis exemplis discedamus. Ita, felici quodam causarum reciprocantium circulo, attentio voluptatem pariet, augebit attentionem voluptas, vtraque res intelligentiorem faciet eum, qui legit, et rebus stilo, ore, consilio, opera gerendis aptiorem. Nisi putatis, fieri posse, vt aliquis cum ingentibus animabus, et praestantissimis ex omni memoria ingeniis, familiariter diuque versatus, in eorum quasi animum moresque transeat; et idem tamen hebes, ignauus, atque humo adfixus maneat. 28 At difficile est eo aliquem peruenire, vt hoc modo legere antiquos scriptores possit. At nisi ita legas plane praestat nunquam eos attigisse. At difficile non est, si fundamentis, quo modo dictum est, rite iactis, initium a facilioribus fiat, si transmittantur interim, quae non intelligas, dum vel occasio sit interrogandi peritiorem; vel quod saepissime fieri experti sumus, continuata lectio, sponte sua subiiciat rationem expediendae difficultatis, quae insuperabilis paullo ante videbatur. 29 Sane in hoc nostro studio res se habet, vt in rebus, quae vi et armis geruntur. prima victoria Alexandri magni instrumentum fuit alterius, haec autem novae, sed superbum forte videatur hac nos similitudine vti. ad minora, vt videntur, nos demittamus, fermenti vulgaris, inflammationis in corpore viuo, atque ignis adeo vniuersim, ea est ratio, vt a paruis initiis geometrica quadam ratione ac proportione progrediantur, et quasi viro legcnte viros, vna quaeuis particula vicinas sibi moueat, subigat, excitet, quarum vna-
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29. Et sane in hoc studio ita se res habet, ut aliquot locorum accurata plenaque cognitio, multorum juvet aliorum intelligentiam, quorum unusquisque suam sibi utilitatem habet; ad plurium sensus aperiendos, et expediendas difficultates. 30. Inter haec crescit notitia cum magnis illis viris, et producta consuetudine tanta familiaritas, ut, quemadmodum amicos, vultu, habitu corporis, incessu vocisque sono et non visos agnoscimus, ita et intelligere discamus, non tantum, quid sibi verba antiquorum velint, sed et judicare, sitne ille liber, ilia formula, vox illa, ejus viri, cujus nomen praefert? quae judicandi facultas est critica. 31. Et est sane optabile, ut, cum sint libri antiqui doctrinae omnis verissima instrumenta, existant subinde viri, qui ingenii magni et subtilis vim judiciique acrimoniam in hoc impendant. 32. Quod cum praestari feliciter non possit, nisi ab iis, qui in magno praesentique ingenio et prope divino eam familiaritatem cum antiquis consecuti sint, ac praeterea nullius non earum artium, quibus doctrinae tum continebatur orbis, peritiam et usum habeant: apparet, quam injuste, vel nomen critici, vel quod pejus est, ipsum munus invadant, qui ab aliqua harum rerum vel omnibus etiam sunt imparati: deinde quam inique totum hoc, criticum esse, contemnatur. 3 plurium] Th: plurimum praeterea] Th: praetera
expediendas] Th: expendiendas
13 familiaritatem] Th: familiaritem
queque vim quain modo sustinuit, in multas inox sui generis exerceat. Sic aliquot locorum accurata plena que, quantum eius fieri potest, cognitio, multorum iuuat aliorum intelligentiam, quorum vnusquisque suam sibi vtilitatem habet, ad plurium sensus aperiendos et expediendas, si quae adsunt, difficultates. 30 Inter haec crescit notitia cum magnis illis viris, et producta aliquantum continuataque consuetudine, ius quasi ciuitatis Romanae paratus, eorumque, quae disci possunt ex antiquitate, vel notitia, vel requirendi certe idoneis locis facultas; tanta denique cum Tullio, Liuio, reliquisque, familiaritas, vt quemadmodum amicos, et familiares non intelligimus modo loquentes, sed vultu, habitu corporis, incessn, vocis denique sono etiam non visos agnoscimus, et ab aliis distinguimus, ita et intelligere quidam possint non tantum quid sibi verba antiquorum velint, sed etiam iudicare, sitne ille liber, illa formula, vox ilia, eius viri, cuius nomen praefert, vel inter cuius verba legitur? a qua iudicanti facultate Critici appellantur. 31 Et est sane optabile, si quidem sunt (quod ita se habere, hic interim sumimus alio forte loco probandum) libri antiqui doctrinae omnis verissima instrumenta; existere subinde viros, qui ingenii magni et subtilis vim, iudiciique acrimoniam in hoc impendant, vt, quantum humanis opibus prouideri potest, apex nullus pereat de sinceris bonae antiquitatis monumentis, eaque quam emendatissima, et, si possit, qualia exierunt e cerebro manibusque auctoruin suorum, legantur; vt nihil eorum non probe intellectum et vndequaque illustratum transmittatur. 32 Quod cum praestari feliciter non possit, (vtinam ne tentaretur quidem) nisi ab iis, qui in magno praesentique ingenio, et prope diuino ay/tvotav Graecorum et lucrTO^iav dicere ita volo) eam quam dixi familiaritatem cum antiquis, et ciuitatis quoddam ius consecuti sint, ac praeterea nullius non earum artium, quibus doctrinae tum continebatur orbis, peritiam quandam et vsum habeant: apparet profecto, quam iniuste et quanto cum litcrarum incommodo, vel nomen Critici, vel quod peius est ipsum munus inuadant, qui ab aliqua harum rerum vel omnibus etiam sunt imparati: deinde quam inique totum hoc,
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Exzerpt 3
e pr a e f a t i o n e g e s n e r i
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33. Ad hoc qui adspirant, vel ignorare labores criticos nolunt, habere studeant Livium, vel J. F. Gronovii, veri critici, vel A. Drakenborchii. criticum esse vel videri, contemnatur, traducaturque a quibusdam, quorum ne capere quidem angustus animus potest, quantum illud sit, et quam paucorum hominum, quam idem tarnen vtile literis munus, quo censeri Criticum modo indicatum est. 33 Ad hoc qui adspirant, vel qui certe non ignorare Criticorum labores volunt, aut amore quodam ingenuo rerum pulchrarum tenentur, earum etiam, quibus plane frui quacunque de causa illis non licet; hi optime sibi consulent, si habere studeant Livivm (ad hunc enim nostra se conuertit disputatio, vt etsuo exemplo praeclaro illam finiamus, et praefandi, quas imponi nobis passi sumus partes recte perferamus) Livivm igitur habere studeant, qualis ex J. F. Gronouii, digni, si quis vnquam, magno et perquam honorifico Critici nomine, semel iterum, tertiumque prodiit, aut qualis a CI. Drackenborchio cum maxime adornatur. (Die Abschnitte 34 und 35 enthalten Einzelhinweise zu früheren Livius-Ausgaben. In dem Schlußabschnitt 36 fordert der Verf. insbesondere die Jugend auf Livius zu studieren und in den römischen Geist einzudringen.)
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AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 4
H a h n d e s So k r a t e s . D en 6. A pril 1786. (Briefe zur Bildung des Geschmacks. II. Theil.) Nach dem Griechischen Text sagt Sokrates nur: Krito, wir sind dem Eskulap einen Hahn schuldig, er spricht kein Wort von einem Opfer. Dieses war ein Scherz; 5 und Plato lässt seinen Lehrer so sterben, wie er gelebt hat, m it der Ironie im M unde. Der heidnische Aberglaube fällt also ganz weg, denn es war ein gewöhn liches Sprichwort, wie der Franzose sagt: nous devons une belle Chandelle. 3 II. Theil] in Th außerhalb der Klammern
[212] Er zeigt ihm, daß er den griechischen Text nicht richtig erkläret. Nach diesem Text sagt Socrates nur: C rito , w ir sind dem Esculap einen H ahn schuldig: er spricht kein W ort von einem O pfer. Dieses war ein Scherz; und Plato läßt seinen Lehrer so sterben, wie er gelebt hatte, m it der Iro nie im M unde. Es war ein gewöhnliches Sprichwort: so wie der Franzoß sagt, nous devons une belle Chandelle. Der heidnische Aberglauben fällt also völlig weg.
Exzerpt 5
AUS DER GYMNASIALZEIT
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St o ik e r . D en 5. Juni 1786. (Cicero Paradox. Praef.) Cato S toi eus et ea sentit, quae non sane probantur in vulgus, et in ea haeresi 5 est, quae nullum sequitur florem orationis, neque dilatat argumentum, sed minutis interrogatiunculis et quasi punctis, quod proposuit, efficit. 5 florem] Th: flamen
[fol. 116]
M. Tvixn C icero n is / P a r a d o x a , a d M. / B r v t v m .
... Cato autem perfectus (mea sententia) Stoicus et ea sentit, quae non sane probantur in vulgus, et in ea haeresi est, quae nullum sequitur florem orationis, neque dilatat argumentum, sed minutis interrogatiun culis, et quasi punctis, quod proposuit, efficit.
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AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 6
W a h r e G l ü c k s e l ig k e it . 17.-22. Juni 1786. (Kosmologische Unterhaltungen für die Jugend von Wünsch, 2r Band. Leipzig J. G. I. Breitkopf 1779 von Seite 1-70.) Die Seligkeit der Auserwählten wird theils in dem Vergnügen über ihre guten Handlungen auf Erden, theils in der höheren Erkenntniss Gottes und seiner herr lichen Werke bestehen; so wie der Fluch des Bösen in dem erwachten und geäng steten Gewissen zu suchen ist. Hier auf Erden müssen die Menschen nützliche Kenntnisse, wie aus einer himm lischen Quelle schöpfen, und auf dem Pfade der Tugend wandeln, um sich dadurch unmittelbar zu dem Genuss der zukünftigen und ewig unwandelbaren Glückselig keit geschickt zu machen. Die vornehmste Quelle unserer Weisheit, und der festeste Grund unseres Heils sind die weisen Anordnungen, die uns Gott durch Jesum in Rücksicht auf unsere Seligkeit hat bekannt machen lassen. Sie gehören ebenfalls zu den grossen Werken Gottes, sowie das zuversichtliche Vertrauen zu ihm und die Befolgung seiner Lehren selbst Tugend ist. Als Christen schöpfen wir nicht wie 3 von] Th: (von
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4 J. G. I.] Th: T. G. F.
[1] Ich halte selbst dafür, fuhr A m alie fort, daß die Seligkeit der Auserwählten theils in dem Ver gnügen über ihre guten Handlungen auf Erden, theils in der höhern Kenntniß Gottes und seiner herrlichen Werke bestehen werde: so wie ich auch nicht leugne, daß der Fluch der Bösen dereinst in dem erwachten und geängstigtem Gewissen zu suchen sey, wenigstens mir ist nichts schrecklicher als dieses. (Es folgen Ausführungen der Amalie darüber, daß weder die Kenntnis der Werke Gottes noch die Ausübung der Tugend ihr die wahre Glückseligkeit gewährleiste, sondern daß allein die Kenntnis der Verdienste Jesu sie völlig beruhige, - ferner eine Zwischenbemerkung des Philalethes über die Glückseligkeit der Bewohner anderer Welt körper. Dann fährt dieser fort:) [8] W enn ich aber ohnlängst sagte, daß die Menschen hier auf Erden nützliche Kenntnisse aus den herrlichen Werken der Gottheit, wie aus einer himmlischen Quelle, schöpfen, und auf dem Pfade der Tugend wandeln sollten, um sich dadurch unmittelbar zu dem Genüsse der zukünftigen und ewig un wandelbaren Glückseligkeit geschickt zu machen: so dürft Ihr deswegen doch nicht vermuthen, daß ich die vornehmste Quelle unserer Weisheit und den vestesten Grund unseres Heyls ganz aus der Acht ge lassen habe; denn ich setzte diese Wahrheiten schon als bekannt voraus, und glaubte nicht erst nöthig zu haben, Euch noch daran zu erinnern. Die weisen Anordnungen, die uns Gott durch Jesum in Rücksicht auf unsere Seligkeit hat lassen bekannt machen, gehören ja ebenfalls zu den großen Werken Gottes, so wie das zuversichtliche Vertrauen zu ihm und die Befolgung seiner Lehren selbst Tugend ist. Als Christen schöpfen wir demnach unsere Kenntnisse der Gottheit nicht bloß aus der Natur, sondern aus allen ihren Werken, und daher auch aus den heiligen Schriften: ein überaus großer Vorzug, welchen wir vor vielen [9] ändern Nationen voraus haben, weil diese den Schöpfer bloß aus der Natur müssen erkennen lernen,
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andere Völker, deren Begriff von Gott und Tugend daher freilich sehr schwankend und ungewiss ist, aus der blossen Natur, sondern aus den heiligen Schriften. Doch glauben alle Völker an ein höchstes Wesen, das die Welt erschaffen hat und regieret; nur sehr wenige lässt ihr elendes Leben vielleicht an keinen gütigen Beherrscher 5 denken, und an kein besseres Leben nach dem Tode. Es ist lauter Gnade, dass uns Gott zu jener Glückseligkeit geschaffen und die Wege zu ihm zu gelangen vorgezeichnet hat. Aber nur muss man sich keinen solchen Begriff davon machen, und sich einbilden, um selig zu werden, dürfe man nur sicherlich glauben, Jesus habe für unsere Sünden gebüsst, das Gesetz für uns erfüllt io und den erzürnten Vater, der doch wirklich nie zornig ist, versöhnt; folglich könne man lasterhaft sein, weil man nur allemal die begangenen bösen Handlungen bereuen, sich auf das Verdienst Christi verlassen und am Ende des Lebens die Seele ihm emp fehlen dürfe, um eben des Glücks theilhaftig zu werden, welches denen bestimmt ist, die ihre ganze Lebenszeit hindurch auf dem Pfade der Tugend wandeln. Dies 15 kann Gott unmöglich wollen, denn die Belohnungen und Strafen sind allezeit natür liche und nothwendige Folgen unserer Thaten, indem Gott keinen Menschen nach woraus aber auch leicht erhellet, daß ihre Begriffe von Gott und Tugend freylich oft sehr schwankend und ungewiß seyn mögen: denn die großen Wahrheiten, die aus dem Munde des göttlichen Lehrers der Weis heit selbst geflossen sind, haben sie entweder noch nicht gehört, oder noch nicht fassen können: Aber ein höchstes Wesen, welches die Welt geschaffen hat und regieret, verehren dennoch alle Völker, nur sehr wenige vielleicht ausgenommen, die sich in den entferntesten Gegenden der Erdkugel aufhalten, und denen die unglaublichen Beschwerlichkeiten, womit sie die allernöthigsten Bedürfnisse ihres elenden Lebens erwerben müssen, wahrscheinlich nicht verstatten, einen gütigen Beherrscher der W elt zu erkennen, und an ein zukünftiges glücklicheres Leben ihrer Geister zu denken. Es ist demnach schon eine außerordentliche Gnade, daß Gott uns nicht nur zu vernünftigen Menschen gemacht, sondern auch in einem aufgeklärten Jahrhunderte unter andere verständige Leute in ein Land gesetzt hat, wo wir viel glücklicher, als die meisten übrigen Nationen, leben und die höhern Kräfte un serer Seelen gehörig anwenden können, um in den Geschöpfen den Schöpfer [10] zu finden, und uns zu dem Genüsse des ewigen Glücks recht vorzubereiten: aber noch weit größer ist die Gnade, daß auch sogar sein Sohn Jesus selbst auf der Erdkugel erschienen ist, um uns mündlich wahre Weisheit zu lehren, das Gesätz zu erfüllen, und unser Gewissen zu beruhigen, oder mit einem Worte, uns zeitlich und ewig glücklich zu machen. Auf solche Art kann man freylich nicht sagen, daß wir durch unser eigenes Ver dienst oder durch gute Werke selig werden: denn es ist ja lauter Gnade, daß uns Gott zu jener Glückselig keit geschaffen, und die Wege, worauf man zu ihr gelangt, vorgezeichnet hat. Nur müßt Ihr Euch keinen falschen Begriff von dieser Gnade, die dem menschlichen Geschlecht durch Jesum wiederfahren ist, machen und Euch nicht einbilden, man dürfe nur, um dereinst selig zu sterben, ganz sicherlich glauben, Jesus habe für unsere Sünden gebüßet, das Gesätz für uns erfüllt, und den erzürnten Vater, der doch wirklich niemals zornig ist, versöhnt: folglich könne man immer auf Erden lasterhaft seyn, weil man nur allemal die begangenen bösen Handlungen bereuen, sich auf das Verdienst Jesu verlassen, und am Ende des Lebens die Seele ihm empfehlen dürfe, um eben des Glücks theilhaftig zu werden, welches denen bestimmt ist, die ihre ganze Lebenszeit [11] hindurch auf dem Pfade der Tugend wandeln. Nein, dieß kann Gott unmöglich wollen, denn die Belohnungen und Strafen sind allezeit natürliche, ja nothwendige,
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AUS
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Exzerpt 6
Gunst belohnen und mit Parteilichkeit richten kann; das Andenken böser Hand lungen wird den Gottlosen ohne Zweifel bis in die Ewigkeit verfolgen, da im Gegentheil der Gerechte sich keine Vorwürfe machen und glücklich seyn wird. Die heilige Schrift bezeugt selbst, dass der Glaube an Jesum ohne Ausübung der Tugend todt, d. i. zu nichts nütze sey, also gar nichts gelte. Auch würden in Ansehung des 5 schrecklichsten Bösewichts, der Vergebung der Sünden in seinen letzten Stunden und des Tugendhaften, der plötzlich stirbt, ferner aller Menschen ausser der Christen heit sich Folgen ergeben, die ganz abscheulich und dem Geiste der christlichen Lehre gänzlich widersprächen; denn wer Gott fürchtet und recht thut, ist ihm angenehm und unser Vorzug, den wir als Christen vor ändern Menschen voraus haben, besteht io bloss darin, dass uns eine mündliche, leichtere und richtige Anweisung, weise zu leben und selig zu sterben, ertheilt worden, dieweil andere den wahren Zweck ihrer Bestimmung, der uns so nahe vor den Augen liegt, durch beschwerliche Umwege mühsam suchen müssen, und ihn selten finden. Was die andere Frage betrifft, warum Gott ändern Völkern das Evangelium nicht geoffenbart habe, u.s.f., so müssen wir 15 6 Bösewichts,] Th: Bösewichts Folgen unserer Thaten, indem Gott keinen Menschen nach Gunst belohnen, oder mit Partheylichkeit richten kann, wie zuweilen vielleicht auf Erden unter den Menschen geschiehet. Das Andenken böser Handlungen wird die Gottlosen ohnfehlbar bis in die Ewigkeit verfolgen, und an ihrem Gewissen wie ein allezeit hungriger W urm nagen, da im Gegentheile der Gerechte sich keine Vorwürfe machen und glück lich seyn wird. Die heiligen Schriften des neuen Bundes bezeugen ja selbst, daß der Glaube an Jesum ohne Ausübung der Tugend, die er gepredigt hat, tod sey, das heißt, zu nichts nütze: folglich versteht es sich von selbst, daß der Glaube ohne Tugend gar nichts gilt. Auch würde, wenn der bloße Glaube selig machte, folgen, daß alle, unter den Christen, hingerichtete Missethäter und überhaupt die abscheulichsten Bösewichter, die in ihren letzten Stunden noch durch das Verdienst Jesu Vergebung ihrer Verbrechen hofften, schöner und seliger gestorben wären, als der tugendhafte Mann, welcher plötzlich fiel, und zu seinem zukünftigen Leben nicht so feyerlich zubereitet ward: im Gegentheile wäre zu befürch-[12]ten, daß außer der Christenheit alle Menschen, ja selbst die Tugendhaftesten und Edelsten derselben verdammt werden müßten, welches aber kein Christ glauben kann, in dessen Herzen noch die menschenfreundlichen Gesinnungen wohnen, die ihm sein himmlischer Lehrer und sein Schöpfer selbst eingeflöset haben: denn der Herr hat sich aus allen Völkern diejenigen gewählt, die ihn fürchten und recht thun, und unser Vor zug, den wir als Christen vor ändern Menschen voraus haben, besteht, wie schon bereits gesagt, bloß darinn, daß uns eine mündliche, leichte, und richtige Anweisung, weise zu leben und selig zu sterben, ertheilt worden ist, dieweil andere den wahren Zweck ihrer Bestimmung, der uns so nah vor den Augen liegt, durch beschwerliche Umwege erst mühsam suchen müssen, und ihn dennoch selten finden. Aber - fragte C arl - warum hat denn Gott das Evangelium nicht unter allen Völkern verkündigen lassen, und warum bekennen sich nicht alle Menschen zu der christlichen Religion - ? Dieß ist eine Frage, antwortete P hilalethes, die ebenfalls zu den vielen gehört, die wir nicht be antworten können, und deren Auflösung sich Gott selbst Vorbehalten hat. Man könnte zwar verschiedene wahrscheinliche Ursachen, welche viel-[13]leicht Gott dazu bewogen haben, aufsuchen: allein es würden sich doch allemal neue Einwendungen dagegen machen lassen, daher es denn am besten ist, wenn wir in solchen Fällen unsere Unwissenheit bekennen: denn welcher endliche Geist kann sich wohl erkühnen,
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unsere Unwissenheit bekennen. Genug, dass wir wissen, dass seine Absichten die weisesten und dass der würdig sey, dereinst zur sicheren Erkenntniss Gottes und Glückseligkeit zu gelangen, wer sich auf Erden der Weisheit, Gerechtigkeit und Tugend aus allen Kräften befleissigt, er sey in einer oder der anderen Religion unter5 richtet. Wenn wir das Laster meiden und nur so viel Gutes thun, als nach unsern Kräften und Verhältnissen auf der Erde möglich ist, so können wir uns beruhigen und auf ein besseres Glück hoffen, denn es kommt nicht bloss auf grosse und edle tugendhafte Handlungen an, die augenscheinlich über viele Menschen einen Nutzen verbreiten, sondern vorzüglich auf die Güte der Absichten oder auf ein tugendhaftes io Herz. Bei Uebereilungssünden nehmen wir dann unsere Zuflucht zu dem Verdienst Jesu und hoffen gewiss Vergebung. Denn dieses nützt bloss dem Tugendhaften, der sich ein Gewissen macht, von dem Pfade der Tugend abzuweichen. Aber zur Aus-
die geheimen Wege der Vorsehung auszuspähen, und die Ursachen ihrer weisen Regierung zu erforschen, da er doch weiter nichts wissen kann, noch zu wissen nöthig hat, als daß ihre Absichten jederzeit die wei sesten, die gütigsten, und anbetungswürdigsten sind -? ... Auf solche Art würden sich die Menschen mit lauter Fragen und Antworten beschäftigen, die zu nichts nützten. Genug, daß wir wissen, der sey würdig dereinst zu nehmen Erkenntniß Gottes und Glückseligkeit, wer sich auf Erden der Weisheit, Gerechtigkeit und [14] Tugend aus allen Kräften befleißigt, er mag übrigens von dieser oder einer ändern Religion unterrichtet seyn. Sie führen mich wieder auf meine ersten Fragen zurück, versetzte A m alie - denn aus dem allen folgt noch immer, daß mir das Verdienst Jesu ohne Ausübung der Tugend nichts helfen könne - Gesetzt nun, ich hütete mich auf das sorgfältigste vor dem, was wider Gottes Gebot wäre, um mich keiner offen bahren Sünden schuldig zu machen, könnte aber niemals Mittel finden, gute Werke auszuführen: was würde ich denn da dereinst zu gewarten haben, wenn mein künftiges Glück nur eine natürliche Folge meines gegenwärtigen Verhaltens wäre - ? Vielleicht weder Belohnung noch Strafe, weil ich weder Gutes noch Böses gethan - ? Nein, versetzte P h ilaleth es, man muß nicht glauben, Pflichten erfüllen zu müssen, die wir schlechter dings nicht leisten können. Wenn wir das Laster meiden und nur so viel Gutes thun, als uns nach unsern Kräften und nach den Verhältnissen, worein wir von Gott auf Erden gesetzt worden sind, möglich ist: so können wir uns schon beruhigen, und auf ein besseres Glück freudig hoffen: denn es kömmt nicht bloß darauf an, daß wir wirklich viel große und edle Tugenden aus-[15]üben, die einen augenscheinlichen Nut zen über andere Menschen verbreiten, sondern vorzüglich darauf, daß die Absichten, die wir mit unsern Unternehmungen verbinden, gut sind, oder mit einem Worte, daß wir ein tugendhaftes Herz besitzen. W ir können nicht allezeit so viel zum allgemeinen Besten der Menschen beytragen, als wir wünschen: aber in diesem Falle dürfen wir uns nicht ängstigen, denn wir sind außer Schuld. Allein zuweilen ver gessen wir unsere Pflichten, und unterlassen auch da das Gute zu thun, wo uns nichts daran hindert: dann ist unsere Zerstreuung, unser Leichtsinn, unsere natürliche Schwachheit schuld. W ir bemerken aber die Fehler in dergleichen Fällen gar bald, und nehmen unsere Zuflucht zu der größten der Tugenden, zu dem Glauben an das Verdienst Jesu, da wir dann gewiß überzeugt seyn können, wegen dieser Uebereilungs sünden Vergebung zu erlangen: woraus zugleich aufs neue erhellet, daß das Verdienst Jesu bloß denen, die auf dem Pfade der Tugend wirklich wandeln, und sich ein Gewissen daraus machen, wenn sie ihn zuweilen verfehlen, zu statten komme, dem Lasterhaften hingegen gar nichts nütze... [16] Ueberdieß müßt Ihr nicht glauben, daß man zu Ausübung der Tugend allezeit angesehen, groß
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Übung der Tugend haben alle Menschen täglich Gelegenheit und Mittel, indem sie stets mit ändern Menschen in Verbindung stehen, gegen welche sie gewisse Pflichten zu beobachten haben. Und desto mehr Klugheit müssen wir mit unserem tugend haften Herzen verbinden, jemehr uns die Vorsehung Mittel an die Hand giebt, Gutes zu thun, denn sonst würden wir mit unseren vermeinten Wohlthaten oft mehr Schaden als Nutzen stiften. So mit Verschwendung des Vermögens an Arme; so mit Entsagung aller Vergnügungen, die die Gesundheit nicht zerstören, das Ver mögen nicht zersplittern, den Verstand nicht betäuben, das Herz nicht verderben, und der Wohlthätigkeit nicht hinderlich sind; so in Ertragung aller offenbaren Beleidigungen ungezogener Menschen. - Es ist freilich mühsam, tugendhaft und glücklich zu werden, aber man wird es nicht auf einmal, nur durch eigene Erfahrung, durch fleissige Aufmerksamkeit auf sich selbst und Andere. Je erhabener und wün schenswerter die Güter sind, die man zu erlangen sucht, desto mehr Arbeit und Fleiss muss man verwenden. Die Schwierigkeiten müssen uns nicht abschrecken, wir dürfen nicht müde werden, unsere Kenntnisse im Guten zu erweitern und unsere Fehler zu und reich seyn müsse: nein, alle Menschen, auch die geringsten und ärmsten unter ihnen, finden dazu täglich Gelegenheiten und Mittel, indem sie stets mit ändern Menschen in Verbindung stehen, gegen welche sie gewisse Pflichten zu beobachten haben. Auch ist zu wissen, daß wir allezeit desto mehr Klug heit mit unsern tugendhaften Herzen verbinden müssen, je größer das Pfund ist, das uns Gott anvertrauet hat, und je mehr uns die Vorsehung Mittel an die Hand giebt, Gutes zu thun, denn sonst würden wir mit unsern vermeynten Wohlthaten oft mehr Schaden als Nutzen stiften. Also würdet Ihr nicht klug, nicht tugendhaft handeln, wenn Ihr dereinst all Euer geerbtes oder er worbenes Vermögen aus übertriebenen Mitleiden unter die Dürftigen austheilen, und dadurch Euern Nachkommen die Mittel entreißen wolltet... (Für die wirklich Dürftigen zu sorgen sei Pflicht der ganzen Gesellschaft und der Obrigkeit.) [17] Eben so würdet Ihr nicht klüglich verfahren, wenn Ihr alle unschuldige Freuden dieses Lebens ... [18] verwerfen oder deren Genuß für lasterhaft halten wolltet. ... Nur dann, wenn dergleichen Belustigungen die Gesundheit zerstören, das Vermögen zersplittern, den Verstand be täuben, das Herz verderben, und der Wohlthätigkeit hinderlich sind; dann sind es keine vernünftigen Freuden, sondern unvernünftige Ausschweifungen, dann sind sie verderblich und böse, und würdigen den Menschen unter die untersten Klassen des Viehes herab. Es wäre ferner keine Tugend, wenn wir alle offenbare Beleidigungen ungezogener Leute gedultig ertragen wollten: denn dadurch würden wir unser dultsames Herz verrathen, man würde uns für einfältig halten, und noch tausend mal ärger belei digen. ... (Gelegenheit und Mittel zur Ausübung der Tugend seien überall und zu allen Zeiten zu finden, da jeder stets in der Gesellschaft anderer Menschen lebe.) [20] Es ist freylich etwas mühsam, tugendhaft und glücklich zu werden, fuhr P h i 1a 1e t h e s fort: man wird es auch nicht auf einmal, sondern nur nach und nach, durch eigene Erfahrungen, und durch eine fleißige Aufmerksamkeit auf uns selbst, sowohl als auf Andere. Allein es ist [21] auch bekannt, daß man allemal desto mehr Arbeit und Fleiß anwenden muß, je erhabener, je wünschenswürdiger die Güter sind, die man dadurch zu erlangen sucht: daher darf es uns auch nicht unerwartet Vorkommen, wenn wir, um wahr haftig glücklich zu werden, ebenfalls Schwierigkeiten zu überwinden haben. Aber sie müssen uns nur nicht abschrecken: wir dürfen nicht müde werden, unsere Kenntnisse im Guten zu erweitern, und unsere Fehler zu verbessern, damit wir in Weisheit und Erkenntniß Gottes täglich wachsen und zunehmen, denn dafür werden wir dereinst Freuden die Fülle ärndten ewiglich.
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verbessern, damit wir in Weisheit und Erkenntniss Gottes täglich wachsen, denn dafür werden wir dereinst Freude erndten die Fülle ewiglich. Wer erkennt, worin die wahre Glückseligkeit des gegenwärtigen und zukünftigen Lebens besteht, und die untrüglichen Mittel dazu weiss, der ist verständig. Wer aber diese Mittel nicht nur kennt, sondern sich derselben auch wirklich bedient, der ist weise und ehrwürdig. Wer endlich den Weg zu seiner Glückseligkeit nicht selbst ausforschen kann, sondern diese Arbeit verständigen Menschen überlassen muss, aber dennoch auf Pfaden wandelt, die ihn sein unverderbtes Herz lehrt, der ist tugendhaft und würdig der grössten Glückseligkeit, wenn er schon nicht weise genannt werden kann. Gesundheit, Ruhm unter den Menschen, Reichthum u.s.w. sind allerdings Güter, die zu unserm Glück viel beitragen; wer aber auf schlechtem W ege sein Glück sucht und den Genuss der Güter dieses Lebens nicht bloss für Hülfsmittel, sondern für wesentliche Stücke der Glückseligkeit ansieht und nicht bedenkt, dass seine Wohl fahrt grösstentheils von der Wohlfahrt anderer Menschen abhängt, der ist ein Thor. Denn er kennt das erhabene und wahre Glück, die ruhige Zufriedenheit des Geistes, nicht, und vertauscht die eingebildeten Freuden, die ihm noch durch den Fluch der Unglücklichen, die er gemacht hat, mit den Qualen, die ihm dereinst das Andenken seiner bösen Thaten verursachen wird. Weisheit und Verstand sind also niemals
Weisheit -? sagte A m alie - diese gehört wohl nur für die Männer, und nicht für das weibliche Ge schlecht - ? Aber sagen Sie mir doch: wer ist weise - wer verständig - wer wirklich tugendhaft - ? Wer erkennet, versetzte P hilaleth es, worinn die wahre Glückseligkeit des gegenwärtigen, sowohl als zukünftigen, Lebens bestehet, und die untrüglichen Mittel weiß, wodurch man zeitlich und ewig glücklich wird: der ist verständig. Wer aber diese Mittel nicht nur kennt, sondern sich derselben auch wirk lich bedient: der ist weise und ehrwürdig. W er endlich den Weg zu seiner Glückseligkeit nicht selbst ausforschen kann, son-[22]dern diese Arbeit verständigen Menschen überlassen muß, aber dennoch auf Pfaden wandelt, die ihm sein unverderbtes Herz lehret: der ist tugendhaft und würdig der höchsten Glückseligkeit, ob er gleich nicht weise genannt werden kann. Gesundheit, Ruhm unter den Menschen, Reichthum u. s. w. sind Güter, die allerdings zu unserm wahren Glücke vieles beytragen, wenn wir sie nicht mißbrauchen. (Schändlich aber sei es, wenn wir diese Güter auf Kosten anderer Menschen zu erlangen suchten.) Weh dem Reichen, wenn er sein Vermögen auf solche Weise gesammlet hat: weh dem Mächtigen und [23] Gewaltigen, wenn er seine Stärke dem Schwächern grausamer weise empfinden läßt und ihn mißhandelt. W er auf solchen Wegen sein Glücke sucht, wer den Genuß der Güter dieses Lebens nicht bloß für Hilfsmittel, sondern für wesentliche Stücke der Glückseligkeit ansiehet, und nicht bedenkt, daß seine Wohlfarth größtentheils von der Wohlfarth anderer Menschen abhängt: der ist freylich nicht tugendhaft, nicht verständig und nicht weise, sondern ein Thor, denn er kennt das wahre und erhabene Glück, die ruhige Zufriedenheit seines Geistes, noch nicht, und vertauscht die kurzen Freuden dieses Lebens, die doch fast immer in der bloßen Einbildung bestehen, und die ihm sogar auch schon hier durch den Fluch derer, vergället werden, die durch ihn unglücklich geworden sind, mit den schrecklichen Qualen, die ihm dereinst das Andenken seiner bösen Thaten verursachen wird.
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AUS DER GYMNASIALZEIT
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getrennt, d. h. kein Mensch kann bloss verständig seyn, ohne zugleich die Mittel zu gebrauchen, die sein wahres Wohlergehn befördern, und in deren richtigen Kenntniss eigentlich der Verstand besteht; und sich unglücklich zu machen kann kein Vieh, kein Mensch wollen, indem blosser Mangel der Kenntniss dessen, was wirklich ist, fehlt, indem wir das Böse in dem Augenblicke der Begehung für gut halten. Gott ist zwar allein vollkommen verständig, weise und tugendhaft; aber wer zu dumm ist, die erste Stufe zu betreten, wird niemals auf die höhere gelangen. - Die meisten Menschen aber halten schon die für verständig, welche bloss die Mittel kennen, wie zu Reichthum, Gesundheit, Ansehn und ändern zeitlichen Gütern zu gelangen, oder wenn man sie besitzt, vor Zerrüttung zu bewahren verstehen, ohne von dem wahren Glücke nur die geringste Kenntniss zu haben. Bestände aber der Verstand bloss darin, so wäre er das grösste Uebel für die Welt; er würde dem rathen, ein Bösewicht, jenem ein Ungerechter u.s.w. zu seyn. Um aber den Uebeln vorzubeugen, die jene Hieraus folgt, daß Weisheit und Verstand niemals von einander getrennt seyn können, das heißt, kein Mensch kann bloß verständig seyn, ohne zugleich die Mittel zu gebrauchen, die sein wahres Wohlergehen befördern, und in deren richtigen Kenntniß eigentlich der Verstand bestehet: außerdem müßte er sich vorsetzlich selbst unglücklich machen wollen, welches aber, wie A m alie [24] bereits selbst angemerkt hat, kein Vieh, vielweniger ein Mensch wollen kann, indem wir alle aus keiner ändern Ursache, als aus Mangel hinlänglicher Kenntniß dessen, was uns gut ist, fehlen: denn wir handeln auch alsdann bloß aus Mangel des Verstandes thörigt, wenn wir von unsern Leidenschaften gereitzt werden, Böses zu thun, indem wir in dem Augenblicke, da wir es thun, uns wirklich vorstellen, daß es uns gut sey. Vollkommen verständig, weise, und tugendhaft ist freylich Niemand, als Gott: denn wir sind endliche Geister von eingeschränkten Kenntnissen, und müssen auf der Leiter der Vollkommenheit nur stufenweise empor steigen. W er aber zu dumm ist, die ersten und niedrigsten Stufen zu betreten: der wird auch niemals auf die höhern gelangen. Wenn Ihr also einmal lernet Menschen kennen, die nicht auf dem Pfade der Tugend wandeln: so könnt Ihr allemal ganz sicherlich den Schluß machen, daß sie keinen Verstand be sitzen, wenn sie auch gleich in großen Ansehen stehen, oder gar von Ändern für gelehrt gehalten werden (Hier berichtet Carl von einem Gelehrten mit großem Verstände, der nachweislich nicht tugendhaft gelebt habe.) [25] Ja, da ist zu wissen, antwortete P hilalethes, daß die meisten Menschen schon diejenigen für verständig halten, welche bloß die Mittel kennen, wodurch man Reichthum, Gesundheit, Ansehen, Ruhm und dergleichen zeitliche Güter vor der Zerrüttung bewahren, oder, wenn man sie noch nicht besitzt, erwerben kann, ob man übrigens gleich von dem wahren Glücke, welches ewig dauert, nicht die geringste Kenntniß hat, und daher natürlicherweise alle Mittel ergreift, um gedachte vergängliche Güter zu erlangen, sie mögen nun recht seyn, oder nicht: aber Ihr werdet leicht einsehen, daß ein Mann von dieser Art den Ehrennamen eines Verständigen keinesweges verdiene, weil er sein wahres Glück verkennt. Der Ver stand ist eine erhabene Eigenschaft unsers Geistes, der dem menschlichen Geschlecht zum großen Heil gereicht, und es unmit-[26]telbar mit der Gottheit näher verbindet, indem darinn das Ebenbild Gottes bestehet. Wollte man nun annehmen, daß wir unsere wahre Glückseligkeit und die Mittel, sie zu erlangen, nicht verstehen und dennoch verständig heißen könnten: so würde der Verstand ein großes Uebel aber keine Wohlthat für uns seyn. (Es folgen Beispiele für das vielfache Unheil, das aus diesem verkehrten Verstände entspringt.) [27] Den Großem und Mächtigem würde alsdann ihr Verstand sagen, daß es für sie gut wäre, wenn sie das mühsam erworbene Eigenthum der Geringem an sich zögen, und daß sie selbst dadurch nicht unglücklich würden, wenn sie die Schwächern zum Zeitvertreibe oder Vergnügen tödeten. Dem Geringen würde sein Verstand rathen, ein Bösewicht von der niedrigen Art zu werden, weil er auf keine
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Meinung haben könnte, so hat Gott in alle Herzen ein klopfendes Gefühl der Mensch heit und des Guten gelegt; und Denen, die dieses göttliche Gefühl unterdrücken wollen, überdies noch eine schaudernde Furcht vor der Schande, die seine laster haften Handlungen bei ändern Menschen wirkt, lebhaft eingeprägt. Und selten fällt 5 ein Mensch so tief, alle zu verlieren. Warum aber einige Menschen unverständig sind und die zeitlichen Güter jener Glückseligkeit vorziehen, kommt daher: die Güter der Erde sind zu zahlreich und liegen uns zu nahe vor den Augen, als dass sie den Verstand nicht manchmal täuschen sollten; das wahre Glück hingegen befindet sich gleichsam erst am Ende unserer io irdischen Laufbahn und ist jetzt gewissermaassen noch von uns entfernt. Alle Gegen stände erscheinen aber desto grösser, je näher sie uns liegen, da im Gegentheile die entfernten allezeit klein aussehen, ja die nahen bedecken oft die entfernten gänzlich,
andere Weise sein Glück zu machen wüßte, und weil die Kenntniß, wie man den gesetzmäßigen Strafen entgehen müsse, sein Verstand seyn würde. ... Sie sagten aber, fiel ihm C arl in die Rede, daß die meisten Menschen allerdings schon diejenigen Kenntnisse, wodurch man zeitliche Güter erwerben kann, zu dem Verstände rechneten: folglich gehören dahin wohl auch alle ihre listigen Ränke und andere Fähigkeiten, ihren Brüdern zu schaden, weil sie daraus für sich einigen Nu-[28]tzen zu ziehen gedenken -? Wenn aber dieses die meisten Menschen glauben: so wundere ich mich, warum sie doch nicht weit ungerechter mit einander umgehen, als wirklich geschiehet - ... Gott hat Mittel gewußt, dieses zu verhüten, erwiederte P h ilale th es: denn damit die schädlichen Folgen des großen Irrthums der Menschen, als ob unsere Glückseligkeit bloß auf Erden zu suchen wäre, nicht zu allgemein würden, noch das ganze menschliche Geschlecht in kurzer Zeit vertilgen mögten: so hat er ein heftig klopfendes Gefühl der Menschheit und des Guten in unser Aller Herzen gelegt, wel ches jedoch viele deßwegen unterdrücken, weil sie die geheimen Ursachen, den göttlichen Ursprung, desselben nicht kennen, das heißt, weil sie nicht verständig sind. Die aber dieses Gefühl wirklich unter drücken und daher thörigt genug sind, diese Stimme Gottes zu verachten, die doch oft sehr stark in ihren Herzen redet, denen hat er überdieß noch eine schaudernde Furcht vor der Schande, die seine lasterhaften Thaten bey ändern Menschen wirken, lebhaft eingeprägt. [29] Diese beyden Mittel sind es, wodurch Gott die unverständigen Thoren noch beständig zurück hält, daß sie einander nicht aufreiben, noch diesen kleinen Wandelstern von Bewohnern entblößen. Selten fällt ein Mensch so tief, daß er nicht nur seinen Verstand, sondern auch das Gefühl seines Herzens, und die Furcht vor der Schande verlieret: wer aber wirklich so tief fällt, der wird allezeit ein Bösewicht, und ver dient nicht mehr ein Mensch genannt zu werden. (Es folgen breite Ausführungen darüber, daß Menschen wie der zuvor erwähnte berühmte Gelehrte nicht wirk lich verständig genannt werden können.) [33] Wie kömmt es aber, fragte A m alie, daß einige Menschen unverständig sind, und die zeitlichen Güter dem unvergänglichen Glücke vorziehen, da wir doch alle fähig sind, verständig zu leben - ? Die Güter der Erden, antwortete P hilalethes, sind zu zahlreich, und liegen uns zu nah vor den Augen, als daß sie den Verstand nicht oftmals täuschen sollten: das wahre Glück hingegen befindet sich gleichsam erst am Ende unserer irdischen Laufbahn, und ist itzt gewissermaaßen noch von uns entfernt. Es ist aber bekannt, daß alle Gegenstände desto größer erscheinen, je näher sie uns sind, da im Gegentheile die entferntem allezeit klein aussehen: ja die nahen bedecken oftmals die entfernten gänzlich, so, daß
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AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 6
so dass wir zuweilen von den letzten gar nichts sehen können, ob sie gleich ungemein grösser, schöner und edler sind, als die ersten. Ebenso geht es mit den unendlich höheren Gütern des Geistes. Am Ende gesättigt und überdrüssig der Güter dieses Lebens, sehen wir freilich, dass wir betrogen sind, dass sie uns keine dauernde Glück seligkeit gewähren. Aber dann ist es zu spät, den wahren Zweck unseres Daseyns 5 aufzusuchen, wir erndten unser Ausgesäetes, und können die Folgen unseres Leicht sinns, unserer Nachlässigkeit, unseres Unverstandes, unserer Thorheit schlechterdings nicht vermeiden. Aber der Verständige kennt jene Güter und ihren wahren Nutzen, sie nehmen davon das Nöthige, und ohne Zeitverlust gehen sie weiter, um die schönen und edlen Gegenstände, die für ihren unsterblichen Geist bestimmt sind, zu io entdecken, welches ihnen nicht misslingt. Sie gehen auf dem Wege, er sey wie er wolle, getrost und ruhig ihrem grossen Ziele zu, denn darin besteht die wahre Weisheit, die sich auf den Verstand gründet und allezeit aus ihm entspringt. - Bei 3 überdrüssig] Th: bedürftig
wir zuweilen von den letztem gar nichts sehen können, ob sie gleich ungemein größer, schöner, und edler sind, als die erstem: denn der kleine Mond verbirgt nicht selten Sterne, die in der Welt unendlich mehr zu bedeuten haben, als er selbst. Eben so gehet es auch mit den unendlich höhern Gütern unsers Gei-[34]stes. W ir sehen die Herrlichkeiten der Erden in der Näh, da sie dann groß und höchst wichtig zu seyn scheinen. W ir suchen sie, weil wir nicht sogleich was Besseres gewahr werden, und weil wir alles, was uns gut vorkömmt, von Natur suchen müssen. Darüber vergißt man nun, sich auch nach den ent legenen bessern Gütern umzusehen. Man wird freylich am Ende, wenn man sein Vergnügen an den nähern gesättigt, und ihrer bereits überdrüßig ist, gewahr, daß man sich großentheils betrogen habe, indem alle irdische Güter vergänglich sind, und keine wahre unveränderliche Glückseligkeit gewähren: aber alsdann ist es immer zu spät, weiter zu gehen, und den wahren Zweck unsers Daseyns aufzusuchen; die Nacht des Lebens übereilet uns oft, und wir laufen vergebens nach dem Ziele unserer Wünsche: wir erndten, was wir ausgesäet, und können die unangenehmen Folgen unsers Leichtsinns, unserer Nachläßigkeit, unsres Unverstandes, unserer Thorheit, schlechterdings nicht vermeiden; ja Gott selbst kann uns auf keine andere Art glücklich machen, als dadurch, daß wir das Gute thun, das in unserm unverderbten Herzen geschrieben stehet. Die Verständigen und Klugen hingegen, welche gewöhnt sind, alle Gegen stände aus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten, eh sie davon ur-[35]theilen, ob sie gut oder böse, schön oder häßlich, wünschenswürdig, gleichgiltig, oder verabscheuungswürdig sind, kennen den wahren Nutzen der irdischen Güter: sie nehmen davon, so viel sie nöthig haben, oder ohne großen Zeit verlust erhalten können, und gehen weiter, um auch die schönem und edlern Gegenstände, die für ihren unsterblichen Geist bestimmt sind, zu entdecken, welches ihnen auch niemals mißlingt. Dann gehen sie die Wege, welche nach dem gesuchten Ziele führen, mit Freuden, sie mögen nun rauh oder gebahnt, angenehm oder beschwerlich, zu wandeln seyn, denn darinn besteht die wahre Weisheit, welche sich auf den Verstand gründet, und allezeit aus ihm entspringt. Einige Menschen finden auf Erden Gelegenheit, verständiger zu werden, als andere, und dann sind sie verbunden, auch diese auf ihr wahres Glück auf merksam zu machen, oder ihnen den rechten Weg, der sie zu ihrer höhern Bestimmung führt, zu zeigen W oran soll man aber erkennen, fragte A m alie, ob der, welcher uns leitet, den rechten Pfad nicht selbst verfehle, und ob wir auf sichern Wegen einher wandeln, da doch alle Menschen irren können -? Dazu gehört ja, wie Sie selbst sagen, Weisheit, welche für mich und für viele viel zu hoch ist -?
Exzerpt 6
WAHRE GLÜCKSELIGKEIT
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vielen Menschen ist schon Klugheit hinreichend, den rechten Pfad zu wandeln, der von allen Menschen theils durch Erfahrung, theils durch genaue Aufmerksamkeit auf das, was uns unser Herz lehrt, erlangt werden kann. Wer nicht lange genug gelebt hat, um dergleichen Erfahrungen zu machen oder sein Herz zu prüfen, der lebt auch nicht lange genug, um Böses zu thun, oder um sein Gewissen zu belästigen und wird daher in jenem Leben gewiss glücklich werden, wenigstens glücklicher, als wenn er lange und nicht tugendhaft gewandelt hätte. Klugheit ist die Führerin der Tugend, so wie der Verstand der Vater der Weisheit ist; - wer ohne Führer nur dem Wege folgt, wovon ihm sein Herz sagt, dass er recht sey, trifft gemeiniglich den rechten, wenn er nicht durch falsche Vorstellungen und verkehrte Erziehung schwindelnd geworden ist; denn eigentlich sind die Herzen der Menschen gut und edel aus der Hand ihres gütigen Schöpfers gekommen, welches verschiedene kleine unschuldige Völkerschaften beweisen, die weiter keinen anderen Gesetzen, als denen ihres Herzens folgen. Nur Hunger, Blösse und andere Gefahren des Lebens können sie zuweilen zwingen, dieses Gefühl zu unterdrücken und Böses zu unternehmen. Denn der allgemeine Trieb der Erhaltung des Lebens wirkt freilich oft stärker als das Verlangen, andere Menschen glücklich zu sehen und an ihrem Wohlergehen Antheil zu nehmen, weil Jeder sich selbst am Nächsten ist. - Seid also klug wie die [36] Nicht allemal, versetzte P hilalethes, denn bey den meisten ist schon die Klugheit hinreichend, die nur ein niedriger Grad des Verstandes ist, und von allen Menschen, ohne Ausnahme des weiblichen Geschlechts, theils durch die Erfahrung, theils durch genaue Aufmerksamkeit auf das, was uns unser Herz lehret, erlangt werden kann. W er nicht lange genug lebt, um dergleichen Erfahrungen zu machen, oder sein Herz zu prüfen, der lebt auch nicht lange genug, um Böses zu thun, oder um sein Gewissen zu be lästigen, und wird daher in jenem Leben gewißlich glücklich seyn, wenigstens glücklicher, als wenn er lange, aber nicht tugendhaft, auf Erden gewandelt hätte. Klugheit ist die Führerin der Tugend, so, wie der Verstand der Vater der Weisheit ist. (Leider gebe es freilich Menschen, die sich zu Wegweisern anderer auf würfen, aber selber den rechten Weg oft verfehlten.) [37] Nein, dann darf es Niemanden befremden, wenn die Reisenden ihren Führer verlassen, und auf gut Glück den ersten den besten Weg, wovon ihnen ihr eigenes Herz sagt, daß er recht sey, verfolgen, welchen sie denn auch insgemein richtig treffen, wenn sie noch nicht durch falsche Vorstellungen und ver kehrte Erziehung schwindelnd geworden sind, noch den Süd im Norden, oder den West im Osten, su chen, wie ihre bestürzten Wegweiser: denn eigentlich sind die Herzen der Menschen gut und edel aus der Hand ihres gütigen Schöpfers gekommen, welches verschiedene kleine Völkerschaften beweisen, die gleichsam noch in dem Stande der Unschuld leben, und weiter keinen Gesätzen, als die ihnen ihr Herz vorschreibt, unterworfen sind. Nur Hunger, Blöße und andere Gefahren des Lebens können sie zuweilen zwingen, dieses gute Ge fühl zu unterdrücken und böse Handlungen zu unternehmen: denn Gott hat auch den Trieb der Er haltung des Lebens in alle belebte Geschöpfe gelegt, welcher aber freylich oft stärker wirkt, als das Ver langen, andere Menschen, die um uns sind, glücklich zu sehen, und an ihrem Wohlergehen Antheil zu nehmen, weil Jeder sich selbst am nächsten ist. Selten lieben wir einen [38] Menschen so sehr, daß wir, um ihn von dem Tode zu retten, bereit sind, für ihn zu sterben. Man kann sich auch diese großmüthige Liebe nicht nach Willkühr eigen machen, denn sie bemächtigt sich selbst der Herzen der Menschen, ohne
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AUS DER GYMNASIALZEIT
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Schlangen und ohne falsch wie die Tauben, d. h. trauet nicht denen auf ihr Wort, die euch den W eg zu eurer Glückseligkeit zeigen wollen, sondern prüfet euer Herz aufrichtig und ohne Falsch, um zu erfahren, ob es gut sey, ihnen zu folgen oder einen anderen W eg zu gehen. In der Gesellschaft jener höheren Wesen werden wir dann eben so gut wie auf 5 Erden Gelegenheit antreffen, Gutes zu thun und Vergnügen von verschiedener Art zu gemessen, indem wir dadurch Gott ähnlicher werden. Die Menschen machen sich freilich seltsame und meist sinnliche Begriffe von der zukünftigen Glückseligkeit (da sie allein für den Geist gehört) indem sie grösstentheils dasjenige Glück daselbst zu finden glauben, welches sie auf Erden am meisten wünschen, aber nicht erlangen io können. Diese irrigen Begriffe gründen sich meist auf der verkehrten Vorstellung vom Himmel und der Wohnung Gottes mit den Seligen, da Gott doch überall ist, da wir in ihm allezeit leben, in ihm uns bewegen und in ihm selbst sind; wir dürfen also nicht erst nach dem Tode zu ihm gelangen. Dass wir reden, hören und sehen, dass ein Herz in unserer Brust schlägt, dass ein Gedanke auf den ändern folgt, das 15 thut Gott, in dem wir sind und leben! Welch’ erhabener, Ehrfurcht einflössender deren Bewußtseyn. W er aber der Stimme seines unverderbten Herzens und Verstandes gehorcht, der handelt klug und tugendhaft: darum seyd klug, wie die Schlangen und ohne Falsch, wie die Tauben, das heißt, trauet nicht denen auf ihr Wort, die Euch den Weg zu Eurer Glückseligkeit zeigen wollen, sondern prüfet Eure Herzen aufrichtig und ohne Falsch, um zu erfahren, ob es gut sey, ihnen zu folgen, oder einen ändern Weg zu gehen. (Hier wird das Gespräch unterbrochen. Bei seiner Fortsetzung am nächsten Tage äußert sich Carl über die Unwissenheit der Menschen, worin eigentlich die künftige Glückseligkeit bestehen werde. Dem begegnet Philalethes mit dem Hinweis, daß Gott als unendlich gütiger Vater uns zweifellos ein sehr wünschenswürdiges Glück auf behalte, und fährt fort:) [40] Ohne Geschäfte werden wir wahrscheinlich auch nicht seyn: aber wir werden ihnen nicht mit Widerwillen oder aus Noth, wie zuweilen auf Er-[41]den geschiehet, obliegen, sondern Wohlgefallen und Vergnügen daran finden: denn warum sollten wir in der Gesellschaft höherer Wesen nicht eben so gut, wie auf Erden, Gelegenheit antreffen, Gutes zu thun, und Vergnügungen von verschie dener Art zu genießen, indem wir dadurch Gott selbsten ähnlicher werden -? ... Die Menschen machen sich allerdings oftmals gar seltsame Begriffe von dem ewigen Leben, indem sie größtentheils dasjenige Glück daselbst zu finden glauben, welches sie auf Erden am meisten wünschen, aber nicht erlangen können. (Es folgen Beispiele hierfür aus verschiedenen Nationen und Ständen.) [43] Alle diese irrigen Meynungen gründen sich auf den falschen Begriff der meisten Menschen, daß der Himmel eine gewölbte Decke sey, hinter welcher Gott mit den Seligen wohne: da wir doch wissen, daß er überall ist, daß wir allezeit in ihm leben, in ihm uns bewegen, und in ihm selbst sind; denn er er füllet den ganzen Himmel oder Weltraum, worinnen wir schon itzt herum getragen werden, und nicht erst nach dem Tode dahin gelangen dürfen ... Welcher erhabener Gedanke -! Er muß Euch, so oft Ihr Gott denkt, rühren, Euren Geist erschüttern, und Euch die tiefste Erfurcht gegen ihn einflößen -! Gott ist hier -! W ir befinden uns in ihm -! Daß wir reden, daß wir hören, und sehen, daß ein Herz in unserer Brust schlägt, daß ein Gedanke auf den ändern erfolgt: das thut Gott - in welchem wir leben und sind Denn wer könnte das sonst, als er -? Woraus sollte man sonst seine Gegenwart erkennen, als aus seinen Werken - ?
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WAHRE GLÜCKSELIGKEIT
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Gedanke! Und wegen dieser irrigen Meinung ergreift man selten die rechten Mittel zur wahren Glückseligkeit zu gelangen. Kurz an die Aufklärung des Verstandes und Ausübung der Tugend, als worin der Glaube an Jesus besteht, und welche die ein zigen Mittel der menschlichen Glückseligkeit sind, ist Jahrtausende lang nicht gedacht 5 worden, und bei einigen Religionen wird noch gar nicht daran gedacht, daher denn viele Unverständige und Lasterhafte. Viele sind zwar immer noch gut, und wir würden noch besser und des Namens der Menschen viel würdiger werden, wenn sich die Weisen angelegen sein Hessen, die grosse Wahrheit, dass wir durch unsere guten Handlungen ohne weiteres Zuthun Gottes glücklich, durch böse Thaten und unedle io Triebe hingegen unmittelbar unglücklich werden, durchgängig zu lehren und leb haft vorzustellen. So tief ist selten Jemand gefallen, dem bei bösen Unternehmungen
W er aber seine Einbildung mit solchen verkehrten Vorstellungen, wie die vorhin angeführten sind, verderbt hat: der wird, wie leicht zu erachten, auch in der Wahl der Mittel, die ihn zu [44] seinen wahren Glücke führen sollen, höchst verkehrt verfahren, und sie eben so verkehrt Ändern anrathen, oder gar aufdringen, wenn er Gewalt dazu hat. Daher gab es zu verschiedenen Zeiten Leute, welche lehrten, man müsse, um das Himmelreich zu erben, alle Güter dieses Lebens wegwerfen, den irdischen Freuden, auch wenn sie nützlich und unschuldig sind, gänzlich entsagen, die Seinigen verlassen, andere Menschen, die diesen verkehrten Meynungen nicht beypflichten, fliehen und weiter nichts thun, als fasten und beten: denn dieses hielten sie für Tugend, die Jesus gepredigt habe, indem sie dadurch das Glück der Seelen gleichsam zu erkaufen gedachten. Andere hingegen behaupteten, man dürfe nur glauben, aber niemals selbst nach Wahrheit forschen, denn dieses sey der gerade Weg nach der Höllen. Derer, die sich außer der Christenheit befanden, und ihre erzürnten Götter durch Opfer, oder gewisse Gebetsformeln, und andere gottesdienstliche Gebräuche, versöhnen wollten, will ich nicht einmal gedenken. Kurz an die Aufklärung des Verstandes und Ausübung der Tugend, als wrorinn der Glaube an Jesum bestehet, und welche die einzigen Mittel der menschlichen Glückseligkeit sind, wird bey einigen Religionen fast gar nicht gedacht: daher denn auch viele Menschen unverständig und lasterhaft bleiben [45] Ach das wäre entsetzlich -! rief A m alie - Sollten denn wirklich viel böse Menschen in der Welt seyn -? Sie sagten ja: sie folgten größtentheils den Neigungen ihrer Herzen -? Diese hat doch aber Gott alle gut erschaffen - ? Und gesetzt, einige würden verwahrloset: so werden doch die meisten gut bleiben - ? Nun ich will es zugeben, erwiederte P hilalethes: aber wir würden noch weit besser und des hohen Namens der Menschen viel würdiger seyn, wenn sich die Weisen unter uns angelegen seyn ließen, die große Wahrheit, daß wir durch unsere guten Handlungen und Gedanken, ohne weiteres Zuthun Gottes, glücklich, durch böse Thaten und unedle Triebe hingegen unmittelbar unglücklich werden, durchgängig zu lehren und lebhaft vorzustellen. ... Kein Mensch ist sich selbst genug: er hängt nicht von sich selbst ab, sondern von tausend leblosen Sachen sowohl, als von ändern Menschen [46] und Gott: er ist ein Glied der großen Kette der Natur, die in allen ihren Theilen aufs genaueste zusammenhängt, und das große Ganze, oder die Welt, ausmacht. Beleidigen oder verderben wir ein Glied dieser großen Kette der Natur, wohin auch die Geister gehören: so wird die ganze Kette durch unsere Schuld unvollkommener, folglich auch wir selbst, weil wir zu dem Ganzen gehören, und von den übrigen Gliedern abhangen. Diese uns selbst zugezogene Erniedrigung müssen wir nothwendig unter dem Namen des erwachten Gewissens empfinden, welches auch in der That bey den meisten Menschen geschiehet, wenn sie etwas böses begangen haben; denn so tief sind wir doch noch nicht gefallen, daß Einem bey bösen Unternehmungen der Gedanken: du handelst unrecht!
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der Gedanke unrecht zu handeln, niemals einfallen sollte. Nein, der Keim des Guten ist von der gütigen Vorsehung in unser aller Herzen gepflanzt; uns liegt nur ob, für seine Entwickelung und Wachsthum zu sorgen. Die das Gegentheil lehren, laden sich eine grosse Last auf ihr Gewissen; und eben so Diejenigen, die lehren, dass wir nicht um unserer selbst willen, sondern bloss, weil es Gott so haben wolle, tugendhaft 5 leben müssen. Denn es ist wider die Natur des vernünftigen Menschen, etwas zu thun, wenn er nicht voraussieht, oder vermuthet, dass für ihn selbst auf irgend eine Art gewisse Vortheile daraus entspringen. Es ist wider den Begriff, welchen wir uns von Gott machen müssen, wenn wir glauben, dass er verlange, ihm mit unsern guten Handlungen einen Dienst zu erzeigen; denn er will bloss deswegen, dass wir Gutes io thun sollen, weil es uns, aber nicht ihm nützlich ist und unmittelbar glücklich macht. Leute, die Jenes glauben, geben der warnenden Stimme Gottes in ihrem Herzen kein Gehör, weil man ihnen gesagt hat, dass auch ihr Herz selbst von Natur verderbt und höchst böse sey. W as man thun m üsse, um g lü ck lich zu w erden, ist k ü rzlich D ieses: Ehre Gott über Alles und liebe deinen Nächsten als dich selbst; 15 diess ist die Stimme der Gottheit und unserer Herzen; wer diesen gehorcht, ist glück lich. G ott ehren heisst unsern Geist, so viel nur immer möglich ist, mit nützlichen du bist strafbar! gar niemals einfallen sollte. Nein, der Keim des Guten ist vielmehr von der gütigen Vor sehung in unser Aller Herzen gepflanzt: uns liegt nur ob, für seine Entwickelung und Wachsthum Sorge zu tragen. Auf solche Art werden freylich diejenigen eine große Last auf ihr Gewissen laden, welche Gelegenheit haben, die Herzen des Menschen kennen zu lernen, und ihnen doch weiß machen, daß sie zum Guten gänzlich unfähig seyen, oder daß sie nicht um ihrer selbst willen, sondern bloß weil es [47] Gott so haben wolle, tugendhaft leben müssen: denn es ist wider die Natur des vernünftigen Menschen, etwas zu thun, wenn er nicht voraus siehet oder vermuthet, daß für ihn selbst auf irgend eine Art gewisse Vortheile daraus entspringen; es ist wider den Begriff, welchen wir uns von Gott machen müssen, wenn wir glauben, daß er verlange, ihm mit unsern guten Handlungen einen Dienst zu erzeigen: denn er will bloß deßwegen, daß wir Gutes thun sollen, weil es uns, aber nicht ihm, nützlich ist und unmittelbar glücklich macht. W er dieses nicht weiß und nicht einsiehet, sondern dafür hält, er müsse bloß Gott zu gefallen gerecht und tugendhaft leben: der wird seine verderbten Begierden oft ungehindert wirken lassen, die Religion mag übrigens sagen, was sie will: denn dergleichen Menschen wissen ja nicht, daß ihnen Gott nah ist, daß er es weiß, und daß sie sich dadurch selbst schaden: sie glauben vielmehr, ihr Bestes darinn zu finden, und geben der warnenden Stimme Gottes, die in ihren Herzen ruft, kein Gehör, weil man ihnen gesagt hat, daß auch ihr Herz selbst von Natur verderbt und höchst böse sey. (Auch durch gesetzmäßige Strafen könne das Gute nicht befördert werden. Axber künftig werde das Leben auf Erden für die Menschen sicherlich immer angenehmer sein, da sich mit wachsenden Kenntnissen auch Tugend und Glückseligkeit immer mehr verbreiten würden.) [49] Aber können Sie mir nicht kürzlich sagen, was ich thun muß, um glücklich zu werden - ? fragte A m alie weiter. Ehre Gott über alles, und liebe deinen Nächsten als dich selbst - Dieß ist die Stimme der Gottheit und unserer Herzen - versetzte P hilalethes - Wer dieser gehorcht, der ist glücklich. Was heißt denn Gott ehren -? Fuhr A m alie fort.
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Kenntnissen sättigen, um dadurch Gott täglich ähnlicher zu werden; eben so ehren wir ihn, so oft wir etwas Neues lernen, das uns oder Ändern nützlich ist, obgleich die Art und Weise, wie wir es erlernen, sehr verschieden seyn kann, ferner durch freudige Dankbarkeit für seine Güte und volle Bewunderung über seine Weisheit; wir ehren 5 ihn, wenn wir den seligen Empfindungen über seine Liebe, Güte und Herrlichkeit, entweder bei einsamen Betrachtungen seiner erhabenen Grösse, oder in Gesellschaft anderer Menschen Raum geben, und einen Drang in uns fühlen, ihn zu preisen und anzubeten. Aber alle diese Verehrungen helfen ihm eigentlich nichts, denn er bedarf nichts, da er Alles besitzt; sie sind bloss uns selbst nützlich, indem sie unserer Seele io unmittelbar wahre Stärke, Hoheit und Glückseligkeit gewähren. Ebenso fällt die Liebe des Nächsten auf uns selbst zurück, denn dadurch erfüllen wir unsere Pflichten, die wir als Mitglieder der menschlichen Gesellschaft einander schuldig sind, um das Wohl des Ganzen zu befördern; dieses wird unser Herz beruhigen, wir werden uns darüber mit allen edlen Geistern freuen und höchst glücklich seyn. Diese Liebe hat 15 aber ihre bestimmten Grenzen, wo sie aufhört Tugend zu seyn oder in schwärmeri sche Einfalt ausartet. Die Merkmale dieser Grenzen sind folgende: wir müssen uns bei jeder beträchtlichen Unternehmung alle Zeit in die Lage Desjenigen hineindenUnsern Geist, so viel nur immer möglich ist, mit nützlichen Kenntnissen sättigen, um dadurch Gott täglich ähnlicher zu werden - antwortete P h ilalethes - Also ehren wir Gott überall, wo wir unserm Verstände Nahrung reichen, der Ort, wo dieses geschiehet, sey nun, wo er wolle. Eben so ehren wir ihn allezeit, so oft wir etwas neues lernen, das uns oder ändern nützlich ist, obgleich die Art und Weise, wie wir es erlernen, sehr verschieden seyn kann: woraus aber auch erhellet, daß es Gott selbsten nichts hilft, wenn wir ihn ehren, sondern nur allein uns, weil wir dadurch unser eigenes Glück befördern, wozu wir geschaffen sind, und welches Gott will. [50] W ir ehren Gott ferner, wenn wir uns die Wohlthaten, die er dem menschlichen Geschlecht ertheilt hat, recht lebhaft vorstellen, und unsere Herzen, voll freudiger Dankbarkeit für seine Güte, und voll Bewunderung über seine Weisheit, womit er die Welt regieret, zu ihm erheben: wir ehren ihn, wenn wir den seligen Empfindungen über seine Liebe, Güte, und Herrlichkeit, entweder bey einsamen Betrach tungen seiner erhabenen Werke, oder in Gesellschaft anderer Menschen, Raum geben und einen Drang in uns fühlen, ihn zu preisen und anzubeten. Aber alle diese Verehrungen können ihm eigentlich nichts helfen, denn er bedarf nichts, weil er alks besitzt: sie sind bloß uns selbsten nützlich, indem sie unserer Seelen unmittelbar wahre Stärke, Hoheit, und Glückseligkeit gewähren. Also wird auch wohl die Liebe gegen den Nächsten auf uns zurück fallen, und uns selbst zum Besten gereichen -? fragte A m alie ferner. Allerdings - betheuerte P h ilaleth es: denn dadurch erfüllen wir unsere Pflichten, die wir als Mit glieder der menschlichen Gesellschaft einander schuldig sind, um das Wohl des Ganzen zu befördern: dieses wird unser Herz beruhigen, wir werden uns darüber mit allen edlen Geistern freuen, und höchst glücklich seyn. [51] Aber die Liebe gegen den Nächsten, setzte A m alie hinzu, hat doch wohl auch ihre bestimmte Grenzen, wo sie aufhört Tugend zu seyn, oder in schwärmerische Einfalt ausartet - und wollen Sie mir wohl die Merkmale dieser Grenzen bekannt machen - ? W ir müssen uns, antwortete P hilalethes, bey jeder beträchtlichen Unternehmung allezeit in die
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AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 6
ken, mit dem wir es zu thun haben, und uns lebhaft prüfen, was wir alsdann wohl für ein Verfahren von Menschen wünschen würden. Behandeln wir nun unsere Brüder und Schwestern ebenfalls so, wie wir es verlangen würden, wenn wir an ihrer Stelle wären, so erfüllen wir unsere Pflichten gegen den Nächsten, und sind in dieser Rück sicht tugendhaft. Anfangs ist es zwar etwas schwer, aber wird es bald gewohnt, bald 5 leicht und angenehm; ja es erregt in unsern Herzen oft das edelste Vergnügen, dessen Sterbliche fähig sind. Also seyd in allen Unternehmungen, Gesprächen, Scherzen, Urtheilen und Handlungen höchst behutsam, und prüft allemal eure Herzen vorher. Was uns in diesem und wahrscheinlich auch in dem zukünftigen Leben grosse Glückseligkeit gewährt, sind die Leidenschaften, von welchen kein Mensch, der ein 10 empfindsames Herz besitzt, befreit bleiben kann, weil sie aus dem inneren und geheimen Gefühl desselben entstehen, und Thieren niemals zukommen; denn man kann bei ihnen nur Naturtriebe nennen, und sie dauern nur so lange, als das Thier den Gegenstand seiner Empfindung vor sich sieht. Einige Menschen werden freilich Lage desjenigen hinein denken, mit dem wir es zu thun haben, und uns lebhaft prüfen, was wir alsdann wohl für ein Verfahren von ändern Menschen wünschen würden. Behandeln wir nun unsere Brüder und Schwestern ebenfalls so, wie wir es verlangen würden, wenn wir an ihrer Stelle wären: so erfüllen wir unsere Pflichten gegen den Nächsten, und sind in dieser Rück sicht tugendhaft. (Dies wird im folgenden durch einige Beispiele ausführlich erläutert.) [54] Anfangs ist es freylich oft schwer, sich in die Lage eines Ändern gehörig hinein zu denken und zu untersuchen, welche Pflichten man zu befolgen habe: aber man wird dieser Untersuchungen in kurzer Zeit gewohnt, und dann werden sie uns, wann wir in die großem Gesellschaften der Menschen getreten und nur einige mal in dergleichen Angelegenheiten verwickelt gewesen sind, sogar leicht und angenehm; ja sie erregen in unsern Herzen oft das edelste Vergnügen, das wir uns auf Erden nur immer wünschen können, zumal wenn wir Gelegenheit finden, Unterdrückten aufzuhelfen, Unschuldige zu vertheidigen, Verlassene zu erquicken, und die Tugend glücklich zu sehen. ... Also seyd in allen Euren Unternehmungen, in Euren Gesprächen, in Euern Scherzen, in Euern Ur theilen, und allen Handlungen, höchst behutsam: unternehmet, redet, beurtheilt, und lobet oder tadelt eher nichts, bis Ihr Euch vorher in die Lage desjenigen, den dieses betrifft, gehö-[55]rig hinein gedacht, und Euer Herz geprüfet habt, wie es ihm gefallen würde, wenn Euch selbst also geschäh. (Es folgen weit läufige Ausführungen über den Wert des gesitteten, wohlanständigen Verhaltens in der Gesellschaft und darüber, daß das allgemeine Glück der Menschen nur aus dem gemeinsamen Bemühen aller erwachsen könne.) [57] Was uns in diesem, und wahrscheinlich auch in dem zukünftigen, Leben vorzüglich große Glück seligkeit gewähret, das sind die Leidenschaften, von welchen kein Mensch, der ein empfindsames Herz besitzt, befreyet bleiben kann, weil sie aus dem innern oder geheimen Gefühl desselben entstehen [58] und ändern Thieren niemals zukommen: denn daß ein gereizter Löwe, oder Tieger, grimmig wird und Menschen zerreißt, daß böse Hunde durch den Anblick fremder Menschen oder Katzen zum Bellen und Beißen angetrieben werden, und daß die Tauben einander liebkosen, kann wohl nicht Leidenschaft, son dern nur etwa Naturtrieb, genannt werden. Der Grimm des Tiegers, die Bosheit des Hundes oder der Katze, und die Liebkosung der Tauben, dauern nur so lange, als diese Thiere die Gegenstände ihres Grimms, ihrer Bosheit und ihrer Liebkosung vor sich sehen, und legen sich bey deren Abwesenheit gänz lich, welches bey dem Menschen ganz anders ist, indem bey diesem eine Leidenschaft oft viele Jahre lang
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auch grimmig und viehisch u.s.w., aber dann sind nicht die Leidenschaften, sondern Raserei und Unsinn daran Schuld. Ohne Leidenschaften würden wir zwar keines Unglücks, aber auch keiner grossen Glückseligkeit auf Erden fähig seyn, denn sie sind uns eigentlich gegeben, um unser Glück recht lebhaft zu empfinden, weil wir 5 einen Zügel haben, womit wir sie auf rechtem Wege leiten müssen; und dieser ist die Vernunft. Oft wird sie von den Leidenschaften überwältigt, wenn sie nämlich stärker sind als der Verstand; und dann sind die Menschen, die sich überwältigen lassen, nicht selten unwiederbringlich verloren. Prägt auch noch folgende Regeln tief ein, um den unglücklichen Folgen fast io immer zu entwischen, und glücklich zu entgehen. - Die erste und edelste unter den Leidenschaften ist die Liebe, welche darin besteht, dass sich in unserm Herzen ein unersättliches Verlangen, andere Menschen glücklich zu sehen, äussert, und uns an treibt, Alles zu thun, was ihnen gefällig und angenehm ist. Sie ist die einzige Quelle menschlicher Glückseligkeit, indem aus ihr auch alle ändern edlen Leidenschaften 15 entspringen, wenn sie Gegenliebe findet; sie gewährt uns die grösste Lust, deren nur vernünftige, Gott ähnliche Menschen fähig sind, wenn wir die Verdienste derer, die wir lieben, belohnt und die Tugend glücklich sehen. Ein hoher Grad der Lust wird lebhaft fortdauert, wenn auch gleich der Gegenstand, der sie erregt hat, weit von ihm entfernt ist. Einige Menschen werden zuweilen freylich auch grimmig, boshaft, und viehisch, aber dann sind nicht die Leiden schaften, sondern Unsinn und Raserey daran schuldig. Hätte uns Gott ohne Leidenschaften gemacht: so würden wir zwar keines Unglücks, aber auch keiner großen Glückseligkeit auf Erden fähig seyn; denn eigentlich sind sie uns bloß gegeben, um unser Glück recht lebhaft zu empfinden, weil wir einen Zügel haben, womit wir sie auf rechten Wegen [59] leiten müssen: und dieser ist die Vernunft. Oft wird sie von den Leidenschaften überwältigt, wenn sie nämlich stärker sind, als der Verstand, und dann sind die Menschen, die sich überwältigen lassen, nicht selten unwiederbringlich verlohren. Es kann seyn, daß Ihr in Eurem Leben ebenfalls in Gefahr gerathet, von heftigen Leidenschaften über rascht zu werden: darum prägt Eurem Verstände noch folgende wenige Lehren, von den Leidenschaften überhaupt, tief ein und ruft sie bey allen Gelegenheiten wieder in Euer Gedächtniß zurück, um ihnen nachzukommen: so werdet Ihr den unglücklichen Folgen, die aus zügellosen Leidenschaften fast immer nothwendig entspringen, hoffentlich allemal glücklich entgehen. Die erste und edelste unter den Leidenschaften ist die Liebe, welche darinn besteht, daß sich in unsern Herzen ein unersättliches Verlangen, andere Menschen glücklich zu sehen, äußert, und uns antreibt, alles zu thun, was ihnen gefällig und angenehm ist. Zuweilen wirkt dieses dunkele Gefühl der Liebe so heftig, daß man sich höchst glücklich schätzt, nicht nur Rang, Reichthum, und Ehre, der geliebten Person zu ihren Füßen nieder zu legen, sondern auch selbst das Leben, mit den lebhaftesten Empfindungen des Ver gnügens, für sie dahin zu geben: denn die Liebe ist gleichsam die [60] einzige Quelle der menschlichen Glückseligkeit, indem aus ihr auch alle andere edele Leidenschaften entspringen, wenn sie Gegenliebe findet. Sie gewährt uns die größte Lust, deren nur vernünftige gottähnliche Geister fähig sind, wenn wir die Verdienste derer, die wir lieben, belohnt und die Tugend glücklich sehen. Ein hoher Grad der Lust wird Freude genannt, die also ebenfalls aus der Liebe entstehet, und insgemein nur dann erst in unsern Herzen erregt wird, wann diejenigen, die wir lieben, unverhofft recht sehr glück-
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Freude genannt, die also ebenfalls aus der Liebe entsteht, und insgemein nur dann erst in unsern Herzen erregt wird, wenn diejenigen, die wir lieben, unverhofft recht glücklich werden; denn dadurch werden wir es auch selbst, weil wir in ihrem Glücke unser eigenes finden; ja, diese Leidenschaft wirkt zuweilen so gewaltig, dass sie sogar den Menschen plötzlich tödtet, daher muss man sich gewöhnen, den wahren Werth der irdischen Güter kennen zu lernen, um sie nicht heftig zu begehren, sondern viel mehr mit gleichgültigen Augen ansehen, damit wir von ihnen nicht zu unserem Schaden überrascht werden. - Die Liebe treibt uns ferner an, nach Ehre, d. h. nach Ruhm bei dem Weisen, nach Ansehn, Reichthum und ändern Gütern dieses Lebens zu streben, damit wir sie mit denen, die wir lieben, theilen, von ihnen Gegenliebe erlangen und dadurch unser eigenes Glück vollkommen machen können. Liebe, Lust, Freude und Bestreben nach solchen Gütern, die zu unserem wahren Glücke dienen, sind demnach allerdings gute und edle Leidenschaften, wenn sie mit Verstand gemässigt und mit Klugheit gebraucht werden; aber sobald wir ihnen die Zügel gänzlich frei lassen, und nicht Verstand genug anwenden, um einzusehen, dass es uns auf der anderen Seite höchst schädlich seyn würde, wenn wir dergleichen Güter gleichsam erzwingen wollten, und doch einsähen, dass wir sie durch allen unsern Fleiss, durch alle unsere Mühe und dringendes Bestreben dennoch unmöglich er reichen können; dann verwandeln sich diese edlen Leidenschaften in Hass gegen die vermeintlichen Hinderer an unserem Glücke; wir gerathen in Unruhe, Traurigkeit, Angst, Rachbegierde und zuweilen gar in Verzweiflung, da wir dann verloren gehen. Dies geschieht zuweilen auch, wenn wir um gewisse Güter, die wir schon völlig lieh werden, wenigstens unserer Meynung nach: denn dadurch werden wir es auch selbsten, weil wir in ihrem Glücke unser eigenes finden; ja diese Leidenschaft wirkt zuweilen so gewaltig, daß sie sogar die Menschen plötzlich tödet, indem schon viele vor allzugroßen Freuden über ein längst gewünschtes, und nun auf einmal erlangtes, Gut augenblicklich tod zur Erden gefallen sind. Daher muß man sich gewöhnen, den wahren Werth der irdischen Güter kennen zu lernen, um sie nicht heftig zu begehren, sondern viel mehr mit gleichgiltigen Augen anzusehen, damit wir von ihnen nicht zu unserm Schaden überrascht werden. Die Liebe treibt uns ferner an, nach Ehre, das heißt, nach Ruhm bey dem Weisen, nach Anse-[61] hen, Reichthum und ändern Gütern dieses Lebens, zu streben, damit wir sie mit denen, die wir lieben, theilen, von ihnen Gegenliebe erlangen, und dadurch unser eigenes Glück vollkommener machen können. Liebe, Lust, Freude, und Bestreben nach solchen Gütern, die zu unserm wahren Glücke dienen, sind demnach allerdings gute und edle Leidenschaften, wenn sie mit Verstände gemäßigt und mit Klugheit gebraucht werden: aber sobald wir ihnen den Zügel gänzlich frey lassen, und nicht Verstand genug an wenden, um einzusehen, daß es uns auf der ändern Seite höchst schädlich seyn würde, wenn wir der gleichen Güter gleichsam erzwingen wollten, und doch einsähen, daß wir sie durch allen unsern Fleiß, durch alle unsere Müh und dringendes Bestreben, dennoch unmöglich erreichen können, dann verwan deln sich diese edlen Leidenschaften in Haß gegen diejenigen, die uns, unserer Meynung nach, an unserm Glücke hinderlich sind; wir gerathen darüber in Unruh, Traurigkeit, Angst, Rachbegierde, und zuweilen gar in Verzweifelung, da wir dann verlohren gehen. Dieses geschieht zuweilen auch, wenn wir um ge-
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besitzen, unrechtmässiger Weise gebracht werden, oder auch bloss durch Unglücks fälle darum kommen. Solche Leidenschaften sind dann höchst schädlich. Seyd daher wachsam über eure Herzen, lernt den wahren Werth der Güter dieser Erde recht kennen, und achtet sie niemals höher, als die Ruhe eures Gewissens, noch höher als das höchste Gut eurer Seelen, d. h. das Bewusstseyn, rechtschaffen und tugendhaft gehandelt zu haben, denn dieses Glück kann euch die Ewigkeit selbst nicht berauben. Seyd also zu allen Stunden bereit, Glück und Unglück zu empfahen, damit euch nichts unerwartet oder unerträglich Vorkommen möge, denn mehr kann doch nicht verloren gehen, als das Leben des Leibes, und was ist dieses gegen die Glückseligkeit des erhabenen Geistes, der sich jetzt dieses Leibes bloss zu verschiedenen Geschäften bedient ? Behaltet diese Regeln und glaubt, dass es viel leichter ist, das Herz vor gefähr lichen Leidenschaften zu beschützen, wenn man noch von ihnen frei ist, als sie erst daraus zu vertreiben, nachdem sie sich desselben schon bemächtigt haben. -W enn ihr unvermuthet Hoffnung zu einem wünschenswerthen Glück gewinnt, das etwa noch von der weisen Vorsehung oder auch von dem Eigensinne einiger Menschen abhängt, so hütet euch vor dem ersten Schritte, diese Hoffnung euren Seelen tief einzuprägen oder die Wahrscheinlichkeit dieses Glück zu erhalten, bei euch zu einiger Gewissheit zu machen; denn oft schlägt diese Hoffnung fehl, und dann wäret ihr, 9 das] Th: des
wisse Güter, die wir schon völlig besitzen, unrechtmäßigerweise gebracht werden, oder auch bloß durch Unglücksfälle darum kommen. [62] Solche Leidenschaften sind dem menschlichen Geschlecht freylich höchst schädlich, indem sie uns, wenn wir ihnen nicht mit den Waffen des Verstandes begegnen, in das größte Verderben stürzen. Darum seyd stets wachsam über Eure Herzen, lernet den wahren Werth der Güter dieser Erden recht kennen, und achtet sie niemals höher als die Ruh Eures Gewissens, noch höher, als das höchste Gut Eurer Seelen, welches, wie schon oft gesagt worden ist, in dem Bewußtseyn, rechtschaffen und tugendhaft gehandelt zu haben, bestehet: denn dieses Glück kann Euch die Ewigkeit selbst nicht rauben, vielweniger die Men schen. Seyd also zu allen Stunden bereit, Glück und Unglück zu empfahen, damit Euch nichts unerwartet oder unerträglich Vorkommen möge: denn mehr kann doch nicht verlohren gehen, als das Leben des Leibes, und was ist dieses gegen der Glückseligkeit des erhabenen Geistes, der sich itzt dieses Leibes bloß zu verschiedenen Geschäften bedient ? Wenn Ihr diese Wahrheiten gehörig prüfet und ihnen folgt: so wird Euer Verstand stets die Oberhand über die Leidenschaften behalten, und Ihr werdet Euch von ihnen niemals hinreißen oder unglücklich machen lassen; denn es ist viel leichter, das Herz vor gefährlichen Leidenschaften zu beschützen, wenn man noch von ihnen frey ist, als sie [63] erst daraus zu vertreiben, nachdem sie sich desselben schon be mächtigt haben. Es kann sich aber zutragen, daß Ihr einmal unvermuthet Hoffnung gewinnet, ein großes wünschenswürdiges Glück zu erlangen, das Euch vorzüglich angenehm ist. Hängt nun dieses etwa noch von der weisen Vorsehung, oder auch bloß von dem Eigensinne einiger Menschen, ab: so hütet Euch, hütet Euch vor dem ersten Schritte, diese Hoffnung Euern Seelen tief einzuprägen, oder die Wahrscheinlichkeit, daß Ihr dieses Glück erhalten werdet, bey Euch zu einiger Gewißheit zu machen: denn oft schlägt eine
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wenn ihr diesen Schritt gewagt hättet, wahrscheinlich durch euer ganzes Leben oder wenigstens viele Jahre unglücklich, weil ihr euch dafür halten würdet, und weil euer Verstand in Rücksicht auf diese Angelegenheit wirklich verrückt wäre. Wenn ihr aber auch aller angewandten Vorsichtigkeit ungeachtet unvermerkt überrascht wor den wäret, aber nun auch betrogen in euren Hoffnungen, die Unmöglichkeit der 5 Erfüllung eurer Wünsche einsähet, und darüber betrübt, traurig, mürrisch, ja zu allen euern nöthigen Geschäften, denen ihr mit Lust oblieget, gänzlich unfähig würdet, so ist noch ein Rath übrig, um dieser unglücklichen Leidenschaft zu ent gehen, aber er ist streng und überaus schwer auszuführen. Alle Menschen, alle Betrachtungen und Vorstellungen wären vergebens, ihr wäret schon längst davon io überzeugt, aber könntet eure Wünsche dennoch nicht unterdrücken und eure Leiden schaften nicht ablegen; ihr würdet euch über dergleichen Rathschläge ärgern und alle Menschen für abscheuliche Ungeheuer ansehen, aus der Hölle gesandt, bloss um euch zu quälen. Der einzige Rath ist: Lasst eure Unruhe und ängstlichen Wünsche Niemanden merken; zwingt euch anfangs, ein anderes Gut aufzusuchen, welches 15 jenem in vielen Stücken ähnlich und vielleicht leichter zu erlangen ist, als jenes, zeigt denen, die euch an Erlangung des ersten hindern, dass euch nichts daran gelegen sey, ob es gleich nicht wahr ist. Anfangs wird es euch freilich schwer, anders zu reden 11 könntet] Th: könnten
solche veste Hoffnung fehl, und dann wäret Ihr, wenn Ihr diesen ersten Schritt wirklich gewagt hättet, wahrscheinlich durch Euer ganzes Leben hindurch, oder wenigstens viele Jahre lang höchst unglücklich, weil Ihr Euch selbst dafür halten würdet, und weil Euer Verstand in Rücksicht auf diese Angelegenheiten wirklich verrückt wäre. (Im folgenden wiederholt sich der Gedankengang.) [64] Noch ein Fall! Wenn Ihr nämlich, auch aller angewandten Vorsichtigkeit ohngeachtet, dennoch unvermerkt überrascht worden wäret, aber nun auch, betrogen in Euren Hoffnungen, die Unmöglich keit der Erfüllung Eurer Wünsche einsähet, und darüber betrübt, traurig, mürrisch, ja zu allen Euren nöthi gen Geschäften, denen Ihr mit Lust oblieget, gänzlich unfähig würdet: so ist doch noch ein Rath übrig, um dieser unglücklichen Leidenschaft zu entgehen, aber er ist streng, und überaus schwerlich auszuführen. Alle Menschen in der W elt würden Euch in diesem Falle nicht helfen können, wenn sie Euch, wie oft geschiehet, bloß sagen wollten, daß Ihr die Vorsehung solltet walten lassen, daß Ihr um nichts unglück licher wäret, wenn auch diese Eure Wünsche nicht befriedigt würden, oder daß Ihr durch alle Eure Sor gen, Angst, Unruh, Gebeth, und Verzweifelung, dennoch nichts ausrichten noch erlangen könntet: denn dieß würde Euch Euer Verstand alles selbst sagen. Ihr würdet längst von dem allen, was diese Leute schwat zen, vollkommen überzeugt seyn, aber Eure Wünsche dennoch nicht unterdrücken und Eure Leiden schaft nicht ablegen können: Ihr würdet Euch nur noch mehr über der-[65]gleichen Rathschläge ärgern, und alle Menschen in der Welt für die abscheulichsten Ungeheuer ansehen, welche aus der Höllen ge sandt wären, bloß um Euch zu quälen. Nein, der einzige Rath ist alsdann dieser: Laßt Eure Unruh und ängstlichen Wünsche Niemand merken: zwingt Euch anfangs, ein anderes Gut aufzusuchen, welches jenem in vielen Stücken ähnlich, und vielleicht leichter zu erlangen ist, als jenes: zeigt denen, die Euch an der Erlangung des erstem hindern, daß Euch nichts daran gelegen sey, ob es gleich nicht wahr ist. An fangs wird es Euch freylich schwer fallen, anders zu reden und zu handeln, als Euer Herz erfodert: aber
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und zu handeln, als euer Herz erfordert; aber nach und nach wird es leichter; ja ihr werdet in kurzer Zeit das so sehnlich gewünschte Gut vergessen, nichts mehr wün schen, wohl gar verabscheuen und nur das letztere suchen, welches ebenfalls zu ver gessen, wenn es nicht zu erlangen wäre, euch nun vollends nicht schwer werden wird, wenn ihr nur das erste glücklich überwunden habt; denn sehr viele Güter bestehen bloss in der leeren Einbildung, weil wir sie bald emsig suchen, bald ver abscheuen. - Oftmals gebären auch üble Gewohnheiten dergleichen verderbliche Leidenschaften, die viele Menschen nicht ablegen können, ob sie gleich vollkommen einsehen, dass sie sich selbst dadurch unglücklich machen. In solchen Fällen ist die Erziehung und wohl gar das böse Beispiel anderer Menschen, die sie erzogen haben, daran Schuld, weil man sie hätte warnen sollen. Solchen Leuten ist nicht zu helfen, als nur dadurch, dass sie sich ein Vierteljahr lang unter die despotische Gewalt eines verständigen Mannes begeben müssen, der ihnen ihre schädlichen und zur Leiden schaft gewordenen Gewohnheiten gewisslich abgewöhnen wird. Dies sind die Mittel die verderbten Leidenschaften zu bekämpfen; wohl dem, der in Allem die rechte Mittelstrasse findet! In dergleichen Fällen wünscht man sich einen Freund, der uns Gutes rathe. Es ist ein Unterschied zu machen zwischen vertrauten und gemeinen Freunden. Wer uns in dem Besitze unseres Eigenthums, unseres guten Rufs, und überhaupt in glücklicher Ruhe unseres Herzens friedlich leben lässt oder gar wohl gebührende Belohnung
nach und nach geht es leichter; ja Ihr werdet in kurzer Zeit das erstere so sehnlich gewünschte Gut wirk lich vergessen, nicht mehr wünschen, oder auch wohl gar verabscheuen, und nur das letztere suchen, welches ebenfalls zu vergessen, wenn es nicht zu erlangen wäre, Euch nun vollends gar nicht schwer werden wird, wenn Ihr nur das erste mal glücklich überwunden habt: denn sehr viele, sehr viele Güter bestehen bloß in der leeren Einbildung, weil wir sie bald emsig suchen, und bald verabscheuen. Endlich ist noch anzumerken, daß auch oftmals übele Gewohnheiten dergleichen verderbliche Leiden[66]schaften gebähren, die viele Menschen nicht ablegen können, ob sie gleich vollkommen einsehen, daß sie sich selbst dadurch unglücklich machen. In solchen Fällen ist die schlechte Erziehung, und wohl gar das böse Beyspiel anderer Menschen, die sie erzogen haben, daran schuldig, weil man sie hätte war nen sollen: Ihr werdet dergleichen Leidenschaften nicht zu befürchten haben. W ollt Ihr aber wissen, wie solchen Leuten zu helfen ist: so dient zur Nachricht, daß sie sich nur ein Viertheljahr lang unter die despotische Gewalt eines verständigen Mannes begeben müssen, der ihnen ihre schädlichen, und zu Leiden schaften gewordenen, Gewohnheiten gewißlich abgewöhnen wird. Dieß sind die Mittel, womit man die verderblichen Leidenschaften bekämpfen muß: wohl dem, der in allen die rechte Mittelstraße findet -! Aber in dergleichen Fällen wünscht man sich doch auch einen Freund, der uns Gutes rathe - sagte C arl - und woran soll man erkennen, wer unser aufrichtiger Freund sey -? Es ist ein Unterschied zu machen zwischen gemeinen und vertrauten Freunden - erwiederte P hila lethes - W er uns in dem Besitze unsers Eigenthums, unsers guten Rufs, und überhaupt in glücklicher Ruh unsers Herzens friedlich leben [67] läßt, oder wohl gar gegen gebührende Belohnung mit gutem
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giebt, mit gutem Rath an die Hand gehet und uns nützlich ist, ist schon unser Freund, und davon giebt es genug in der Welt. Feinde sind, die euch in eurer Wohlfahrt zu stören trachten. Aber bei aufrichtigen Freunden seyd klug und gebraucht folgende Maassregeln: Wählet keinen Menschen zu eurem vertrauten Freund, welcher fähig ist, seinen Nächsten zu hassen oder auf irgend eine Art bloss darum vorsätzlich zu 5 beleidigen, damit er ihn ärgere oder quäle; denn er ist nicht klug und ihr dürft euer Herz nicht vor ihm ausschütten, noch ihm die empfindsamen Saiten desselben hören lassen, weil er zu wenig Verstand besitzt, als dass er euch in eurem geheimen Anliegen guten Rath ertheilen, eure Leiden, deren sich unfehlbar auch welche einfinden wer den, lindern, und die Pflichten der genauem Freundschaft heilig bewahren könne. 10 Aber er kann euch auch gefährlich werden, weil er es ändern ist; er kann eure Auf richtigkeit missbrauchen, und ein Verräther an euch werden, wenn er nach seiner schlechten Denkungsart seinen Vortheil dabei findet, welcher ihm im Grunde frei lich zu seinem eigenen Schaden gereicht, nur dass er zu dumm ist, es einzusehen. Ferner dem nicht, der euch selbst schon einmal vorsätzlich beleidigt hat, bloss um 15 euch zu kränken, Unrecht gethan hat, wenn er auch gleich in der Folge um Ver zeihung bitten sollte; denn sein Verstand ist einmal mit bösen Grundsätzen angefüllt, die er in seinem Leben nicht gänzlich ablegen wird, weil es dergleichen Leuten ausserordentlich schwer fällt, ihre eigenen tief eingewurzelten Irrthümer zu erkennen 9 einfinden] Th: erfinden
Rathe an die Hand gehet, und uns nützlich ist: der ist schon unser Freund, und deren giebt es genug in der Welt. Ihr werdet sie auch gar leicht von denen unterscheiden, die Euch in Eurer Wohlfarth zu stören trachten, und daher Feinde genannt werden. Aber mit vertrauten Freunden hat es eine ganz andere Bewandtniß: diese sind gegenwärtig in der Welt noch leider sehr selten anzutrefFen. Darum seyd klug und gebraucht hierinn folgende Maaßregeln. Wählet keinen Menschen zu Eurem vertrauten Freunde, welcher fähig ist, seinen Nächsten zu hassen, oder auf irgend eine Art bloß darum vorsätzlich zu beleidigen, damit er ihn ärgere, oder quäle: denn er ist nicht klug, und Ihr dürft Euer Herz nicht vor ihm ausschütten, noch ihm die empfindsamen Saiten desselben hören lassen, weil er zu wenig Verstand besitzt, als daß er Euch in Eurem geheimen Anliegen guten Rath ertheilen, Eure Leiden, deren sich ohnfehlbar auch welche einfinden werden, lindern, und die Pflichten der genauem Freundschaft heilig bewahren könne. Aber er kann Euch gefährlich werden, weil er es Ändern ist: er kann Eure Aufrichtigkeit mißbrauchen, und ein Verräther an Euch werden, wenn er, [68] nach seiner schlechten Denkungsart, seinen Vortheil dabey findet, welcher ihm im Grunde freylich zu seinem eigenen Schaden gereicht, nur daß er zu dumm ist, dieses einzusehen. Nehmt auch den nicht zu Euren vertrauten Freunde an, der Euch selbst schon einmal vorsätzlich, bloß um Euch zu kränken, unrecht gethan hat, wenn er auch gleich in der Folge um Verzeyhung bitten sollte: denn sein Verstand ist einmal mit bösen Grundsätzen angefüllt, die er in seinem Leben nicht gänz lich ablegen wird, weil es dergleichen Leuten außerordentlich schwer fällt, ihre eigenen tief eingewurzelten Irrthümer zu erkennen und abzulegen, wenigstens könnet Ihr von ihrer ernstlichen Besserung nicht leicht überzeugt werden, denn sie verstellen sich oft.
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und abzulegen, wenigstens könnt ihr von ihrer ernstlichen Besserung nicht leicht überzeugt werden; denn sie verstellen sich oft. Aber liebet sie alle wie andere Men schen oder wie eure gemeinen Freunde; zeigt ihnen bei schicklichen Gelegenheiten liebreich, dass sie irren, und erweiset ihnen überhaupt alle Pflichten, die ihr verlangen würdet, wenn ihr an ihrer Stelle wäret. Nur der, welcher durch sein Betragen zeigt, dass er wisse, er schade sich selbst, wenn er seinen Brüdern ein Leid zufügt, der den Beleidigungen Anderer, ja selbst dem Frevler, der ihm zu schaden sucht, auf eine kluge Art zu entgehen weiss, und überdiess schon in verschiedenen widerwärtigen Fällen unleugbare Proben seines richtigen Verstandes sowohl, als seiner getreuen Aufrichtigkeit abgelegt hat; nur dies ist der Mann, den ihr zu eurem vertrauten Freunde annehmen, dem ihr euer ganzes Herz anvertrauen könnt. Denn er wird euch in eurem Unglücke beistehen, und Antheil daran nehmen; er wird euch die Freuden dieses Lebens erhöhen, eure trüben Tage aufheitern, und euch in allen euren Anliegen weise rathen; ja seine Freundschaft wird euch schon hier auf Erden himmlische Glückseligkeit gewähren. Wer also euer vertrauter Freund seyn will, den müsst ihr durch diese zwar harte Probe prüfen, und habt ihr keinen bewährt gefunden, so müsst ihr euch keinem gänzlich anvertrauen, sondern der weisen Vorsehung euch empfehlen, und erwarten, was diese über uns beschlossen hat, weil sie niemals etwas Anderes als das Beste des ganzen menschlichen Geschlechts wollen kann; oder man muss klug werden, um sich selbst Gutes zu rathen. - Verfahrt also in allen euren Handlungen bedachtsam,
Aber liebet sie alle, wie andere Menschen, oder wie Eure gemeinen Freunde: zeigt ihnen bey schick lichen Gelegenheiten liebreich, daß sie irren, und erweiset ihnen überhaupt alle Pflichten, die Ihr verlangen würdet, wenn Ihr an ihrer Stelle wäret. Nur der, welcher durch sein Betragen zeigt, daß er wisse, er schade sich selbst, wenn er seinen Brüdern ein Leid zufügt, der den Beleidigungen [69] Anderer, ja selbst dem Frevler, der ihm zu schaden sucht, auf eine kluge Art zu entgehen weiß, und überdieß schon in verschiedenen widerwärtigen Fällen unläugbare Proben seines richtigen Verstandes, sowohl als seiner getreuen Aufrichtigkeit, abgelegt hat, nur dieß ist der Mann, den Ihr zu Euren vertrauten Freunde annehmen, dem Ihr Euer ganzes Herz anvertrauen könnt: denn er wird Euch in Eurem Unglücke beystehen, und Antheil daran nehmen; er wird Euch die Freuden dieses Lebens erhöhen, Eure trüben Tage aufheitern, und Euch in allen Euren Anliegen weislich rathen: ja seine Freundschaft wird Euch schon hier auf Erden himmlische Glückseligkeit ge währen. Wer also unser vertrauter Freund seyn will, versetzte A m alie, den muß man wohl durch ziemlich harte Proben prüfen - ? Und wenn nun keiner bewährt gefunden wird - ? So muß man sich keinem gänzlich anvertrauen, erwiederte P h ilale th es, sondern der weisen Vor sehung sich empfehlen und erwarten, was diese über uns beschlossen hat, weil sie niemals etwas anders, als das Beste des ganzen menschlichen Geschlechts, wollen kann: oder man muß klug werden, um sich selbst Gutes zu rathen. [70] Wohlan - sagte A m alie : ich will in allen meinen Handlungen bedachtsam verfahren, und mich,
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und euch, so viel nur immer möglich ist, der Tugend zu befleissigen; denn ihr seht wohl ein, dass es grösstentheils an euch selbst liegt, wenn ihr nicht so glücklich seyd, als ihr wünscht. Und zugleich bestrebt euch eifrig, viele gute Kenntnisse zu erlangen und ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden.
D en 27. Juni 1786. Plurimos vitae prosperae cursus offendit, qui splendorem et speciem hujus vitae intuentur; sollicitudinem autem et laborem perspicere non possunt. (Cic. ad Div. 1.9.)
so viel nur immer möglich ist, der Tugend befleißigen: denn ich seh wohl ein, daß es größtentheils an uns selbst liegt, wenn wir nicht so glücklich sind, als wir wünschen. Das will ich auch thun - setzte C arl hinzu - und zugleich will ich mich eifrig bestreben, viel gute Kenntnisse zu erlangen und ein recht nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden. Z u 6-7 Hic meae vitae cursus offendit eos fortasse, qui splendorem, et speciem hujus vitae intuentur: solli citudinem autem, et laborem perspicere non possunt.
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W
eg zu m
G l ü c k e in d e r g r o s s e n W D en 16. O ctober 1786.
el t
.
(Zimmermann über die Einsamkeit. II. Th. V. Kap.) Der Durchblick, der in der grossen Welt in allen feinen, bösen, kitzlichen und 5 gefährlichen Umständen des Lebens für jeden Menschen Alles sagt und Alles ent scheidet, ist nicht Philosophie. Er ist nicht das Federlesen, nicht das langsame Ab wickeln der Gedanken, nicht das Zweifeln und Schwanken, das Ja und Nein, woran sich oft der grösste philosophische Denker in der Einsamkeit so sehr gewöhnt. Rasch und schlank, auf allen Seiten beweglich und doch fest und keck, muss man in Allem io zu Werke gehen, immer geschwind, furchtfrei und muthig. Dies ist zwar der W eg zu unzähligen Fehlern, die kein Philosoph begeht, aber auch der einzige, beste und sicherste W eg zum Glücke in der grossen Welt.
Das Exzerpt stimmt im Wortlaut mit dem Original überein, ausgenommen folgende Abweichungen: 7 das Ja und Nein,] in O folgt: das Nein und Ja, 9 allen] O; alle 10 ist] O: ist, so viel ich hiervon weiß,
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Se e l e . D en 10. O ctober 1786. (Campe’s kleine Seelenlehre für Kinder. 1784.) Unsere Seele ist ein einfaches Wesen, das sich seiner selbst bewusst ist, und das sich etwas vorstellt, durch Hülfe der Sinne. Unsere Seele stellt sich einige Dinge dunkel vor; d. h. sie kann das Ding, das sie sich so vorstellt, nicht recht von ändern Dingen unterscheiden. Unsere Seele stellt sich auch zuweilen etwas klar vor, d. h. sie kann zwar die Dinge, die sie sich vor stellt, von ändern unterscheiden, aber sie kann nicht die Kennzeichen angeben, wo durch es von ändern Dingen unterschieden wird; deswegen heisst sie auch eine verw orren e. Unsere Seele stellt sich auch zuweilen etwas d eu tlich vor, d. h. sie kann das, was sie sich so vorstellt, nicht bloss von ändern Dingen unterscheiden, sondern sie kann auch die Kennzeichen angeben, wodurch es von ändern Dingen unterschieden wird. - Dieses Vermögen heisst man den Verstand.
[19] Vater: ... Also schon wieder etwas von unserer Seele erkannt! Was wissen wir nun schon alles von ihr ? Nikolas: O ich! ich! - Unsere Sele ist ein einfaches Wesen, - das sich seiner selbst bewust [20] ist, und das sich etwas vorstclt - durch Hülfe der Sinne. ... [35] Nikolas: Unsere Sele stellt sich einige Dinge dunkel vor. Vater: Halt! - nun must du mir auch erst diktiren, was das heißt. Nikolas: Das heißt: sie kan das Ding, das sie sich so vorstellt, nicht recht von ändern Dingen unter scheiden. Vater: Gut! - Nun weiter. Nikolas: Unsere Sele stellt sich auch zuweilen etwas klar vor. Vater: Das heißt? Nikolas: Das heißt: sie kan zwar das Ding, das sie sich so vorstellt, von ändern unterscheiden, aber sic kan nicht die Kennzeichen angeben, wodurch es von ändern Dingen unterschieden wird. Vater: Und wie wird eine solche klare Vorstellung deswegen auch genant? [36] Nikolas: Eine verworne. Vater: Ich hab’s; nur weiter! Nikolas: Unsere Sele stellt sich auch zuweilen etwas deutlich vor. Vater: Das heißt? Nikolas: Das heißt: sie kan das, was sie sich so vorstellt, nicht blos von ändern Dingen unterscheiden, sondern sie kan auch die Kennzeichen angeben, wodurch es von ändern Dingen unterschieden wird.
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Unsere Seele kann auch von vielen Dingen die Ursache und auch die Wirkung deutlich einsehen, d. h. sie hat V ernunft. Unsere Seele hat auch eine U r t heil skr aft, d. h. sie kann einsehen, ob etwas müsse bejaht oder verneint werden. Unsere Seele kann auch s c h 1i e s s e n , d. i. sie kann aus zweien Urtheilen von selbst ein drittes ziehen. Unsere Seele kann auf etwas aufm erksam seyn, d. h. sie kann alle anderen Gedanken unterdrücken, um sich bloss eine Sache allein vorzustellen. [40] Vater: ... Deutliche Vorstellungen äussern die Thiere niemals; man hat daher Recht zu sagen, daß sie zu solchen Vorstellungen unfähig sind. Das ist also der erste Vorzug, den der liebe Gott unsern Selen vor den Selen aller Thiere gegeben hat. Und wolt ihr wissen, wie man diesen unsern Vorzug zu nennen pflegt? Man nennt ihn - den Verstand. Wenn man also sagt: unsere Sele habe Verstand; was heißt das wohl mit ändern W orten ? Johannes: Sie kan sich etwas deutlich vorstellen. [47] Johannes: Unsere Sele hat auch Vernunft. Vater: Und was heißt das nun mit ändern Worten? Johannes: Sie kan von vielen Dingen die Ursache und auch die Wirkung deutlich einsehen. [48] Vater: Halt! Da hätten wir ja also, ehe wir’s uns vermutheten, auf einmal wieder eine neue Kraft in unserer Sele entdekt. - Sie kan also auch einsehen, ob etwas müsse bejaht oder verneint werden ? Alle: Ja, das kan sie. Vater: Nun, das ist mir lieb; so weiß ich, daß unsere Selen auch urtheilen können. Johannes: Urtheilen? Vater: Ja; denn das nennt man ja urtheilen, wenn einer einsieht, ob etwas müsse bejaht oder verneint werden. Kan das nun eure Sele nicht auch ? Alle: O ja! [49] Vater: W ir wollen doch gleich noch einmal sehen, ob’s auch wirklich wahr sey. Ich will etwas an die Tafel schreiben und ihr solt mir sagen, ob das, was ich angeschrieben habe, bejaht oder verneint werden müsse. Er schreibt an die Tafel: unsere Erde ist vierekkig. Nun, sieht eure Sele ein, ob dieser Saz bejaht oder verneint werden müsse? Alle: O ja; er muß verneint werden! Unsere Erde ist ja rund: wie kan sie denn vierekkig sein? Vater: Nun, ich sehe wohl, es ist wirklich wahr; eure Sele hat auch schon Urtheilskraft. [52] Vater: Ich habe einmal gehört, daß unsere Sele eine gar besondere Kraft haben soll, wodurch sie in den Stand gesezt wird, Wahrheiten, die sie von Ändern niemals gehört hat, selbst zu erfinden. Man sagt nemlich, wenn sie nur erst zwei Urtheile hätte, so könte sie aus denselben mit leichter Mühe ganz von selbst ein drittes ziehen, welches ihr keiner jemals ge-[53]sagt hat. Und diese ihre Geschiklichkeit nent man die Kraft zu schliessen, oder durch Vernunftschlüsse etwas zu erkennen. [70] Diderich: Unsere Sele kan auf etwas aufmerksam sein, das heißt Vater: Halt! daß ich dies erst ausschreibe. - Nun weiter! Diderich: Das heißt, sie kan alle andere Gedanken unterdrükken, um sich blos eine Sache allein vor zustellen.
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Die Seele kann auch Dinge mit einander vergleichen, um zu sehen, ob sie ähnlich oder unähnlich sind, wenn sie einsieht, dass sie ähnlich sind, so thut sie dies durch ihren W itz; und wenn sie einsieht, dass die Dinge einander unähnlich oder von einander unterschieden sind, so thut sie das durch ihren Scharfsinn. Unsere Seele hat auch G edächtniss, d.h. sie kann eine Vorstellung, die sie 5 schon einmal gehabt hat, wieder hervorrufen, und kann dabei wissen, dass sie die selbe schon einmal gehabt habe. Die Seele hat auch E m pfindungen, d. h. solche Vorstellungen, die uns entweder Vergnügen oder Missvergnügen machen. Ferner hat unsere Seele auch E inb ild u ngskraft, d.h. sie kann ehemalige io Empfindungen wieder in sich erneuern. Die Einbildungskraft und das Gedächtniss sind auch darum von einander unter schieden, dass dieses deutlich bemerkt, dass unsere Seele diejenige Vorstellung, die Johannes: Nun ich! - Die Sele kan auch Dinge mit einander vergleichen, um zu sehen, ob sie ähnlich oder unähnlich sind. - W enn sie [71] Nikolas: O nein, mit Erlaubniß, junger Herr: nun komm’ ich! - Wenn sie einsieht, daß die Dinge einander ähnlich sind: so thut sie das durch ihren Wiz; und Gotlieb: Halt! das ist ja für mich! - Und wenn sie einsieht, daß die Dinge einander unähnlich oder von einander unterschieden sind: so thut sie das durch ihren Scharfsinn. [77] Nikolas: Unsere Sele hat auch ein Gedächtniß. Vater: Seze hinzu, was das mit ändern Worten sagen wolle. Nikolas: Das heißt: sie kan eine Vorstellung, die sie schon einmal gehabt hat, wieder hervorrufen, und kan dabei wissen, daß sie dieselbe schon einmal gehabt habe. [89] Johannes: Unsere Sele kan auch Empfindungen haben; - soll ich auch sagen, was Empfindungen sind? Vater: Allerdings! [90] Johannes: - Das sind solche Vorstellungen, die uns entweder Vergnügen oder Misvergnügen machen. Vater: Ferner? Johannes: Ferner hat unsere Sele auch Einbildungskraft: - das heißt, sie kan ehmalige Empfindungen wieder in sich erneuern. [87!] Vater: Unsere Sele kan also beides, sie kan angenehme und auch unangenehme Empfindungen in sich [88] erneuern! und es ist ihr in dem Augenblikke zu Muthe, als wenn ihr eben dasselbe noch einmal begegnete. Johannes: Mit welcher Kraft thut sie denn das ? Vater: Mit ihrer Einbildungskraft. Johannes: Die ist ja wohl einerlei mit dem Gedächtniß? Vater: Deine Frage beweis’t, daß du aufmerksam gewesen bist. Wirklich haben beide etwas mit ein ander gemein; aber laß sehen, ob unser Scharfsinn nicht auch irgend einen Unterschied zwischen beiden bemerken kan. - Beide rufen etwas in unsere Sele zurük: aber was denn? Das Gedächtniß Vorstellungen überhaupt, die Einbildungskraft hingegen nur solche Vorstellungen, bei denen unsere Sele Vergnügen
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sie erneuert, schon einmal gehabt habe; die Einbildungskraft hingegen, besonders eine recht starke, macht, dass die Seele vergisst, dass sie die in ihr erneuerte Empfin dung schon ehemals gehabt habe, und weiss sie zu überreden, dass sie dieselbe jetzt erst habe, ohngeachtet Dasjenige, was diese Empfindung ehemals in ihr erweckte, 5 ihr jetzt nicht mehr gegenwärtig ist. Unsere Seele hat auch Phantasie, d. h. sie kann sich vorstellen, was nicht ist. Unsere Seele hat ein Vermögen, etwas zu begeh ren , d. i. sie stellt sich etwas vor, das sie gern haben möchte. Unsere Seele hat auch ein Vermögen, etwas zu verab sch eu en , d. i. sie stellt io sich etwas vor, was sie nicht gern haben möchte. Unsere Seele hat auch freien W illen , d. h. sie kann, ehe sie etwas thun oder nicht thun will, erst überlegen, ob es ihr auch nützlich oder schädlich seyn würde. Unsere Seele hat auch Instinkte, d. h. sie fühlt sich gezwungen, einige Dinge zu begehren, ohne dass sie recht weiss, warum.
oder Misvergnügen fühlet, das heißt - Empfindungen. Ferner, das Gedächtniß bemerkt deutlich, daß unsere Sele diejenige Vorstellung, die sie erneuert, schon einmal gehabt habe; die Einbildungskraft hin gegen, besonders wenn sie recht stark ist, macht, daß die Sele vergißt, daß sie die in ihr erneuerte Emp findung schon ehemals gehabt habe, und weiß sie zu überreden, daß sie dieselbe jezt erst habe, ohngeachtet dasjenige, was diese Empfindung ehemals in ihr [89] erwekte, ihr jezt nicht mehr gegenwärtig ist. ... [94] Gotlieb: O ja, ich hab’s mir wohl gemerkt! - Unsere Sele hat auch Phantasie. Vater: Nun, und was heißt denn das? Gotlieb: Ja, sie kan sich so etwas vorstellen, was nicht ist. [100] Diderich: Unsere Sele hat ein Vermögen, etwas zu begehren. Vater: Und was thut sie, indem sie etwas begehrt? Diderich: Sie stelt sich etwas vor, das sie gern haben mögte. Vater: — haben mögte. - Weiter? Diderich: Unsere Sele hat auch ein Vermögen, etwas zu verabscheuen. Vater: Und was thut sie denn, wenn sie etwas verabscheuet? [101] Diderich: Sie stelt sich etwas vor, was sie nicht gern haben mögte. Vater: Ist das Alles? Diderich: O nein! Unsere Sele hat auch freien Willen, das heißt, sie kan, ehe sie etwas thun, oder nicht thun will, erst überlegen, ob’s ihr auch nüzlich oder schädlich sein würde. [110] Johannes: Unsere Sele hat auch Instinkte. Vater: Füge die Erklärung hinzu. Johannes: Das heißt, sie fühlt sich gezwungen, einige Dinge zu begehren und andere Dinge zu ver abscheuen, ohne daß sie recht weiß, warum ? Vater: Einen dieser Instinkte unserer Sele haben wir nun schon kennen gelernt; und welcher war das? Johannes: Der Instinkt der Sinnlichkeit. Vater: Und worin besteht derselbe?
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AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 8
Der In stink t der S in n lich k eit besteht darin, dass wir alle angenehme sinn liche Empfindungen gern, und alle unangenehmen sinnlichen Empfindungen nicht gern haben wollen. Der zweite Instinkt unserer Seele ist der Instinkt der S elb sterh altu n g, und dieser treibt uns an, dass wir unser Leben zu erhalten suchen, so lange wir können. 5 Der dritte Instinkt ist der Instinkt der N eu b eg ierd e, er macht, dass sich unsere Seele immer etwas Neues vorstellen will. Der vierte Instinkt unserer Seele ist der Instinkt der L iebe, d. h. wir haben alle ein angebornes Verlangen, Andere zu lieben und von Ändern geliebt zu werden, d. h. wir haben alle ein Verlangen, wenigstens den einen oder den ändern auf- 10 zusuchen, in dessen Gesellschaft wir Freude empfinden, und der auch wieder an uns Freude haben möge. Unsere Seele hat fünftens auch den Instinkt der D an kb ark eit, d.i. sie kann nicht umhin, denjenigen zu lieben, der ihr Gutes thut. 8 Instinkt^] Th: Geist (möglicherweise verlesen für abgekürzt: Inst.)
Johannes: Der besteht darin, daß wir alle angenehme sinnliche Empfindungen gern, und alle unan genehme sinnliche Empfindungen nicht gern haben wollen. [114] Ferdinand: Der zweite Instinkt unserer Sele ist der Instinkt der Selbsterhaltung. Vater: Und dieser Instinkt treibt uns an - wozu, Ferdinand? [115] Ferdinand: Daß wir unser Leben zu erhalten suchen, so lange wir können. [118] Mathias: Ah! das ist gut, daß ich endlich doch auch einmal dran komme! - Der dritte Instinkt unserer Sele ist der Instinkt der Neubegierde. Vater: Und was macht dieser Instinkt? Mathias: Er macht, daß sich unsere Sele immer gern etwas Neues vorstellen will. [124] Johannes: Der vierte Instinkt unserer Sele ist der Instinkt der Liebe; das heißt Vater: Nun? Johannes: Ja, ich kan nur nicht die rechten Worte finden. Vater: Wilst du nicht etwa so sagen: das heißt, wir haben Alle ein angebohrnes Verlangen, Andere zu lieben und von Ändern geliebt zu werden ? Johannes: Ach ja! Vater: Oder etwa lieber so: das heißt, wir haben alle ein Verlangen, wenigstens einen oder den ändern Menschen auszusuchen, in dessen [125] Geselschaft wir Freude empfinden, und der auch wieder an uns seine Freude haben möge ? [130] Nikolas: Unsere Sele hat auch fünftens einen Instinkt zur Dankbarkeit. Vater: Das heißt? Nikolas: Das heißt: sie kan nicht umhin, denjenigen zu lieben, der ihnen Gutes thut.
Exzerpt 8
Se e l e
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Unsere Seele hat sechstens den Instinkt des M itg efü h ls, d.h. sie freuet sich wenn sie andere Menschen freudig sieht, und ist traurig, wenn sie sieht, dass andere Menschen traurig sind. Unsere Seele hat siebentens den Instinkt der N a ch a h m u n g ; der treibt uns an, 5 dasjenige nachzumachen, was wir andere Leute thun sehen. Unsere Seele freuet und betrübt sich zuweilen so sehr, oder sie begehrt und ver abscheuet zuweilen etwas so heftig, dass sie nicht anderes hört und sieht, und dass uns das Blut in den Adern noch einmal so geschwind herumläuft; das nennt man denn einen A ffect oder L eidenschaft, io Ein Affect ist der Affect der Freude, wenn man sich unmässig freut. Der zweite der Affect der T rau rigk eit, wenn man sich unmässig betrübt. Der Affect der H offn u n g ist, wenn man sich über etwas Gutes freut, das noch zukünftig ist. Der Affect der Furcht ist, wenn man betrübt ist über etwas Böses, das noch 15 zukünftig ist. Der Affect des Schreckens ist eine rechte Furcht vor einem Uebel, das ganz unversehens ist. [137] Gotlieb: Unsere Sele hat auch sechstens einen Instinkt des Mitgefühls; das heißt, sie freuet sich, wenn sie andere Menschen freudig sieht, und ist traurig, wenn sie sieht, daß andere Menschen traurig sind. [143] Ferdinand: Der siebende Instinkt unserer Sele ist der Instinkt der Nachahmung. Vater: Und wozu treibt uns dieser an? Ferdinand: Der treibt uns an, dasjenige nach zu machen, was wir andere Leute thun sehn. [150] Johannes: Unsere Sele freuet und betrübet sich zuweilen so sehr, oder sie begehrt und verab scheuet zuweilen etwas so heftig, daß sie nichts anders hört und sieht, und daß uns das Blut in den Adern noch einmal so geschwind herumlauft als sonst: das nent man denn einen Affekt oder eine Leidenschaft. Vater: Und wie viel dieser Affekte haben wir jezt kennen gelernt? Johannes: Zwei; den Affekt der Freude, wenn man sich so unmäsig freuet, und den Affekt der Traurig keit, wenn man sich so unmäsig betrübt. [161] Mathias: W ir haben gehört, was der Affekt der Hofnung sei! Vater: Und was ist er denn? Mathias: Wenn man sich über etwas Gutes freuet, das noch zukünftig ist. Vater: Gut! - Ferner haben wir gemerkt? [162] Matthias: Den Affekt der Furcht. Vater: Und der ist? Matthias: Wenn man betrübt ist über etwas Böses, das noch zukünftig ist. Vater: Also gerade das Gegentheil von dem Affekt der Hofnung. Ferner? Mathias: Den Affekt des Schrekkens. Vater: Und was ist denn der? Mathias: Eine recht grosse Furcht vor einem Uebel, das ganz unversehens kömmt. Vater: Richtig! - Und endlich?
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AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 8
Der Affect der B etäubung, wenn man vor Schrecken ganz sinnlos wird, dass man gar nicht weiss, wie einem geschieht. Der Affect der Liebe besteht in einem Verlangen, immer näher mit einem vereinigt zu werden, und zugleich in einem Verlangen, dass es dem, der ihn liebt, immer recht wohl gehen möge. 5 Der Affect der Sehnsucht besteht in einer Traurigkeit über die Abwesenheit eines Ändern. Der Affect des M itleid s ist Traurigkeit über das Unglück eines Ändern. Der Affect der B ew underung ist Freude über etwas Neues oder über etwas Unerwartetes. (Sonst braucht man B ew underung zur Bezeichnung der Freude, io V erw u n d eru n g zur Bezeichnung der Traurigkeit über etwas Unerwartetes, und E rstaunen zur Bezeichnung des höchsten Grades von beiden.) Der Affect des Hasses besteht darin, dass man einem Ä ndern Böses gönnt, und sich freut, wenn ihm Böses widerfährt. Der Affect des N eid es besteht darin, dass man sich betrübt über das Gute, 15 welches einem Ändern widerfährt. Der Affect des Z orns, welcher eine Begierde ist, einem Ändern, von dem man beleidigt zu seyn glaubt, etwas zu Leide zu thun. Mathias: Den Affekt der Betäubung, wenn man vor Schrekken ganz sinnlos wird, daß man gar nicht weiß, wie einem geschieht. [178] Johannes: Ich fange also an! Der Affekt der Liebe besteht in einem Verlangen, immer näher mit jemand vereiniget zu werden, und zugleich in einem Verlangen, daß es dem, den man liebt, immer recht wohl gehen möge. Nikolas: Nun komm ich! - Der Affekt der Sehnsucht besteht in einer Traurigkeit über die Abwesen heit eines Ändern. Diderich: Nun ich! - Der Affekt des Mitleids ist Traurigkeit über das Unglük eines Ändern. [179] Johannes: Und nun ich wieder! - Der Affekt der Bewunderung ist Freude über etwas Neues oder über etwas Unerwartetes. [174. Fußnote] Nach einer genauem Eintheilung, die für Kinder aber entbehrlich ist, könnte man einen Unterschied zwischen den Affekten der Bewunderung, der Verwunderung und des Erstaunens anmerken, indem man das W ort Bewunderung zur Bezeichnung der Freude, Verwunderung zur Bezeichnung der Traurigkeit über etwas Unerwartetes und Erstaunen zur Bezeichnung des höchsten Grades von beiden machte. [193] Johannes: Der Affekt des Hasses besteht darin daß man einem Ändern Böses gönnt und sich freuet, wenn ihm Böses wiederfährt. Vater: Ich hab’s. Johannes: Der Affekt des Neides besteht darin, daß man sich betrübt über das Gute, welches einem Ändern widerfährt. Vater: Und endlich? Johannes: Der Affekt des Zorns, welcher eine Begierde ist, einem Ändern, von dem man be-[194] leidiget zu sein glaubt, etwas zu Leide zu thun.
Exzerpt 8
SEELE
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Der Affect des G eizes besteht darin, dass man eine Begierde nach Reichthümern hat, nicht um sie auf eine nützliche Weise zu brauchen, sondern bloss um sie zu haben. Der Affect des E hrgeizes besteht in der Begierde nach Lob. 5 Der Affect der R eue ist eine Betrübnis darüber, dass man etwas schlecht gemacht habe. Der Affect der Schaam ist eine Betrübniss darüber, dass man von ändern Leuten verachtet wird. [209] Diderich: W ir haben heute zuerst kennen gelernt den Affekt des Geizes. Vater: Und worin bestand denn diese Leidenschaft? Diderich: Darin, daß man eine Begierde nach Reichthümern hat, nicht um sie auf eine nüz-[210] liehe Weise zu brauchen, sondern blos um sie zu haben. Vater: Gut! - Nun, Johannes, weiter! Johannes: Es folgt der Affekt des Ehrgeizes, der in einer Begierde nach Lobe besteht. Vater: Auch gut! - Nikolas! Nikolas: Dann kommt der Affekt der Reue. Vater: Und was ist denn der? Nikolas: Eine Betrübniß darüber, daß man etwas schlecht gemacht hat. Gotlieb: Nun ich! nicht wahr, Vater? Vater: Ja! - Nur zu! Gotlieb: Der Affekt der Schaam ist auch eine Betrübniß und zwar darüber, daß man von ändern Leuten verachtet wird.
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AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 9
A c a d e m ie . U e b e r a c a d e m is c h e V o r s t e l l u n g s -A r t e n . 1786. 15. O ctober.
(Zimmermann über die Einsamkeit II. Th. 5. Cap. citirt aus Hissmanns Versuch über das Leben Leibnitzens p. 13). Academische Begriffe und Vorstellungsarten behalten als Vorbereitungen ihren entschiedenen Werth. Den Fortschritten der Kenntnisse werden sie hingegen dadurch hinderlich, dass der Geist so vieler edler Jünglinge gerade in die Schranken und Leisten hineingezwängt wird, die sein Lehrer gezimmert hat. Theologie, Juris prudenz, Medicin, Philosophie u.s.w. nach den ältesten und neuesten Lehrbüchern, von demselben Lehrer hundert horchenden Jünglingen vorgetragen; sollte eine solche [Gleichförmigkeit] der Vorstellungsart dem Fortgang der Wissenschaften zuträglich seyn ? Es ist immer dasselbe Rauchfass des Opferpriesters, immer derselbe Altar der Schule oder der Academie, und im Rauchfass, wie auf dem Altar dampft noch dazu gar oft verfälschter Weihrauch. Da sich indessen die wenigsten Menschen zum Selbstdenken erheben, so ist es doch für den Beobachter, der es weiss, wie es bei diesem Schauspiel hinter den Coulissen aussieht, kein unangenehmer Anblick, wenn er ein Heer von geistlosen Geistern in denselben Dunst academischer Weisheit ge hüllt, auftreten sieht; er sieht doch wenigstens keine blossen Gerippe. Für’s bürger liche Leben scheint Dampf und Mittagslicht, Wolken und Feuersäule, meist einerlei zu seyn; die Völker folgen beiden. 3 5] Th: 10
11 dem] Th: von dem
17 Dunst] Th: Geist (Fehler Hegels oder Thaulows?)
Das Exzerpt stimmt mit dem Original überein. Einzige Abweichung außer den hier korrigierten Versehen, die im textkritischen Apparat nachgewiesen sind: 9 und] O; oder
Exzerpt 10
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Mönche. 1786. 15. O ctober. (Zimmermann über die Einsamkeit I. p. 199 u. fgg.) Es gab eigentlich 4 Gattungen egyptischer Mönche: Cenobiten, Anachoreten, Remoboth oder Sarabaiten, und Herumschweifende. C en ob iten hiessen solche, die gemeinschaftlich und beisammen wohnten. Man liest ihre ganze Oeconomie beim Hieronymus. Sie waren in Haufen von Zehn und Hunderten eingetheilt. Neun derselben hatten allemal einen Vorsteher. Sie wohnten in Zellen von einander abgesondert, und kamen vor der neunten Stunde nicht zusammen, den Vorsteher ausgenommen, der seine Schaafe besonders besuchte. Nach jener Stunde vereinigten sie sich zum Psalmensingen und Lesen der heiligen Schrift und zum Gebete. Hierauf fing der in der Mitte sitzende Vater an zu reden; keiner unterstand sich nun den ändern anzuschauen, oder auszuspucken. War die Versammlung geendigt, so ging jedes Zehend mit seinem Vorsteher zu Tische. Niemand redete dabei; man ass nur Brot, Hülsenfrüchte und Kräuter, die man mit Salz würzte und zuweilen mit Oel. Wein bekamen nur die Alten, für welche auch und für die Kranken oft ein Mittagessen gegeben ward, damit jene gestärkt, und diese nicht zu sehr entkräftet würden. Sie standen endlich auf, stimmten einen Gesang an, und kehrten in ihre Hütten zurück, und da führte dann jeder Vorsteher mit den Seinigen bis an den Abend gottselige Gespräche. Da auch des Nachts, ausser dem gewöhnlichen Gebete, jeder auf seinem Lager wachen musste, gingen die Vorsteher in den Zellen herum und horchten, was jeder mache. Dem Trägen gaben sie keinen Verweis, sondern besuchten ihn öfters und forderten ihn mehr zum Beten auf. Die Tagesarbeit eines jeden war festgesetzt und ward dem Vorsteher von jedem Zehend überliefert, der sie an den Haushalter übergab, welcher monatlich dem Abt mit vie lem Zittern Rechenschaft ablegte. Er kostete auch die zubereiteten Speisen und sorgte dafür, weil keiner etwas begehren durfte, dass es keinem an der nöthigen Kleidung fehle. Die Kranken wurden von den Alten an besonderen Orten, auf das sorgfäl tigste verpflegt. Diese Cenobiten lebten sehr einsam, denn sie sahen (wenn ich die 6 hiessen] Th: heissen Das Exzerpt stimmt bis auf die folgenden Abweichungen mit dem Original überein: 4 Es gab eigentlich] O: Eigentlich gab es 7 beim] O: bey dem 18 würden] O: werden 19 Hüt ten] Hierzu in O eine Fußnote, deren Inhalt Hegel weiter unten in den Text einfügt: siehe 110,4-10. 25-26 vielem] O: viel
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Exzerpt 10
Klöster des Pachomius ausnehme) niemand als ihre Brüder, und lebten in einer beträchtlichen Entfernung von allen bewohnten Oertern, mitten in dem dürren und brennenden Sande. Der Platz, worauf ihre Hütten gebaut waren, hiess Mandra und diess bedeutet einen Schaafstall. Gleich den Sammelplätzen der Schaafe hatten die Wohnungen den freien Himmel zur Decke und umher nichts als eine Wand. Die Zellen waren schlechte enge und aus leichten Materialien zusammengestoppelte Hütten, reihen weise gebaut und durch Gassen von einander gesondert. Jedes Kloster hatte sodann noch seine Kirche, sein Krankenspital, einige Haushaltungsgebäude, einen Garten, einen Brunnen oder Teich, und Alles umgab eine Wand oder eine Mauer. A n ach oreten hiessen solche, die alleine lebten, und sich von allen Menschen absonderten, nachdem sie ihr Noviziat unter den Cenobiten ausgehalten, und da versucht hatten, ihre Leidenschaften zu zähmen. Diese verliessen ihre gemeinschaft lichen Wohnungen, und begaben sich bloss mit Brot und Salz in die Wüste. R em o b o th oder Sarabaiten waren, wie Hieronymus sagt, schlimm und ver achtet, aber in seiner Provinz waren sie entweder die einzigste oder vornehmste Gattung. Ihrer zwei oder drei, nicht leicht Mehrere, wohnten beisammen, ganz nach ihrer Willkühr und unabhängig. Sie lebten gemeinschaftlich von ihrer Arbeit. Sehr viele derselben wohnten in Städten und Schlössern. Alles, was sie verkauften, war theuer. Oft entstanden unter ihnen Zänkereien, weil sie von ihren eigenen Nahrungs mitteln leben und Niemand unterworfen sein wollten. Sie schlichen wohl, sagt Hieronymus, zu Mädchen, sprachen übel von Geistlichen, und assen sich an Fest tagen bis zum Brechen satt. Cassianus redet von diesen Einsamen, als von Leuten, die darum der Klosterzucht und des Gehorsams gegen den Abt sich entschliigen, damit sie desto freier leben und herumschweifen können; die auch wohl in den Städten selbst und in ihrem väterlichen Hause wohnten; und die entweder, um viel essen zu können, oder aus Geiz, einen Vorrath auf viele Jahre häufen. Die vierte Gattung hiessen H eru m schw eifen de (gyrovagi), denn sie machten an jedem Ort nur eine kurze Residenz. Anfänglich hatten sie sich dem Klosterleben
4-6 Der Platz ... eine Wand.] Der Anfang der oben erwähnten Fußnote in O zu Hütten, deren Inhalt das Exzerpt hier Zeile 4-10 wiedergibt, lautet: [200] Dieß ist der eigentliche Name, den man den damaligen Klö stern geben konnte; die Zeiten ha-[201]ben sich seitdem verändert. Mandra hieß der Platz, auf welchem jene Hütten gebaut waren, und dieses W ort bedeutet einen Schafstall. Gleich den Sammelplätzen der Schafe hatten diese Mönchs Wohnungen den freyen Himmel zur Decke, und umher weiter nichts als eine W and. 9 sein] O: seinen Haushaltungsgebäude] O: Haushaltsgebäude 16 einzigste] O: einzige 21 wohl] O: auch wol 28 Die ... machten] O: Eine vierte Gattung von Egyptischen Mönchen hiessen Herumschweifende (gyrovagi), denn sie machten, wie die Domherren die viele Präbenden haben,
Exzerpt
10
MÖNCHE
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gewidmet, gar bald aber, da ihre Demuth und Geduld erkaltet war, begaben sie sich in abgesonderte Zellen, um da, wo man die Tugend nicht prüft, das Ansehn der Tugend zu erschleichen. Augustin sagt von diesen verdorbenen Anachoreten, der Feind des menschlichen Geschlechts habe eine Menge Heuchler unter der Gestalt von Mönchen überall zerstreut, die im Lande herumziehen, nirgends hingesandt seyen, nirgends bleiben, nirgends stehen oder sitzen. Einige verkaufen selbstgemachte Glieder der Märtyrer; andere sagen, sie hätten gehört, dass ihre Eltern und Anver wandten in diesem Lande wohnten, und geben fälschlich vor, dass sie zu denselben reisen. Sie betteln von Allen, sie fordern von Allen, entweder Kosten für eine gewinnsüchtige Dürftigkeit, oder den Werth einer verstellten Frömmigkeit. All’ dies heilige Gesindel war aus dem Saamen des grossen Antonius erwachsen; alle verehrten ihn als ihren geistlichen Vater, alle erzeugten ihm ähnliche Kinder und Bastarde. 1 war] O; waren 3 Augustin] O: Augustinus 6 Einige] O: Einige von ihnen 7 und] O: oder 8 diesem] O: diesem oder jenem 11 All’ dies heilige Gesindel] O: Jene Cenobiten, Anachoreten, Sarabaiten und diese Vaganten, mit einem Worte dieses ganze heilige Gesindel
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Exzerpt 11
Le h r a r t . 1786. 16. O ctober. (Kästners Anfangsgründe der Arithm. Geom. Trigon. Vorerinnerungen von der Mathematik und ihrer Lehrart.) Bei der syn th etisch en Lehrart ist es genug, dass die schon erfundenen Wahr heiten überzeugend dargethan werden, obgleich aus ihrem Beweise eben nicht erhellet, wie ihr erster Erfinder darauf gekommen ist. Bei der analytischen Lehrart muss man den Weg zeigen, auf welchem man zu dem Gesuchten gelangen kann. 3 Trigon.] Th: Trign.
[20] 37. Man kann bey dem Vortrage der schon erfundenen Wahrheiten etwas anders verfahren, als bey der Erforschung solcher, die noch unbekannt sind. Dorten ist es genug, jeden Satz überzeugend darzuthun, ob gleich aus seinem Beweise eben nicht erhellet, wie sein erster Erfinder auf ihn gekommen ist: Hie muß man den Weg zeigen, auf welchem man zu dem gesuchten gelangen kann. Jene Lehrart pflegt man die sy n th etisch e, diese die analytische zu nennen. Aus beyden lässt sich eine verm ischte zusammensetzen, welche zum Vortrage der Anfangsgründe der Wissenschaften am bequemsten ist.
Exzerpt 12
A
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e g y pt e n
. V
o n d er
G
e l e h r s a m k e it
d er
A
e g y pt e r
.
1786. 23. D ecem ber. (Aus: Revision der Philosophie. I. Theil. Göttingen und Gotha 1772. p. 96 sqq.) Es scheint unleugbar zu seyn, dass nicht alles, was die Priester der Aegypter wuss ten und lehrten, Missgeburten des blindesten Aberglaubens waren. W ie wollte man ohne eine solche Voraussetzung die grossen Schätze des Genies erklären, die Pythagoras aus Aegypten mitbrachte ? Dagegen aber lässt sich Folgendes einwenden. Man kann 1) leicht zu voreilig schliessen, wenn man alle die Gelehrsamkeit, die ein grösser Geist aus fremden Ländern mitbringt, für bloss erlernte, und nicht für selbst gemachte Betrachtungen hält. Aegypten unterschied sich so sehr durch seine Lage, Regierung, prächtige Stiftungen und Sitten, dass eine genauere Untersuchung dieser Seltenheiten für die Griechen auch alsdann wichtig gewesen wäre, wenn sie auch keinen Unterricht von den Priestern genossen hätten. Der genaue Umgang mit den Priestern konnte eine blosse Neugierde zum Grunde haben, weil man von ihnen allein einige Erläuterungen in Ansehung der bürgerlichen und natürlichen Geschichte 14 konnte] Th: könnte
Das Exzerpt stimmt fast wörtlich mit dem Original überein; der Gedankengang, aus dem Hegel exzerpiert, beginnt im Original folgendermaßen: [95] Bei den Aegyptiern war der Thron einmahl auf das Ansehen der Priester gegründet, ihr Stand war der wichtigste Theil der Nation, den man nicht erschüttern und ernied rigen konnte, ohne die gehorchende Menge zu beleidigen, oder Gesinnungen lebhaft zu machen, die für die angreifende Parthei gleichfalls hätten gefährlich werden können. Ueberdem waren die ändern Wissenschaften, die bei ihnen im Gange waren, so sehr mit dem mystischen Theil ihrer Theologie ver webt, und durch die Hieroglyphen dem Pöbel so unzugänglich gemacht, daß man sich gar nicht wundern darf, wenn unter einem ungeheueren Wüste theologischer a7ropp7)Tcov einige brauchbare Kenntnisse gemischt waren, die die Aufmerksamkeit wißbegieriger Frembdlinge auf sich zogen. - Aus diesen Muthmassungen kann man die Ursachen leicht abziehen, warum sie einem Pythagoras, Demokrit, Eudoxus, und Pla-[96]to den Zutritt in ihre feierlichen Tempel so schwer machten, und warum ihre Staatsverfassung sowohl, als die hieroglyphische Schreibart auch die übrigen Wissenschaften zu lauter esoterischen Kennt nissen machten. Diese Methode heiligte viele Lehren, die für Layen bestimmt seyn sollten, aber doch scheint es unleugbar zu seyn, daß nicht alles, was sie wußten und lehrten, Misgeburten des blindesten Aberglaubens waren. Wie wollte man ohne eine solche Voraussetzung die grossen Schätze des Genies erklären die Pythagoras aus Aegypten mitbrachte? Ich würde die letzte Anmerkung, die ich einem Freunde zu danken habe, für eine der gewissesten Vermuthungen halten, wenn man nicht nachfolgendes dagegen einwenden könnte. Man kann 1) leicht zu voreilig schliessen, ... Von hier ab weist das Exzerpt nur noch folgende Abweichungen auf: 14-15 weil man von ihnen allein] O: weil sie die eintzigen waren, wovon man
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Exzerpt 12
und der angeblichen Ursachen ihrer Traditionen erfahren Konnte. Dass 2) das Characteristische der Pythagoräischen Philosophie nicht bloss einem fremden Unterrichte, sondern dem schon gebildeten und sich noch immer von den Aegyptischen Erschei nungen nährenden Genie des griechischen Weltweisen zuzuschreiben sey, konnte auch daraus vermuthet werden, weil Demokrit und andere sich ebenfalls lange in Aegypten aufgehalten, und die Bekanntschaft der gelehrten Priester genützt haben, ohne nur im geringsten von den Speculationen des Pythagoras einen Anstrich zu haben. Man weiss, dass Democrit von jenem gerade ein Gegensatz ist. 3) Die Moral des Pythagoras (wenn wir sie nach eben nicht zuverlässigen Fragmenten beurtheilen dürfen) übertrifFt an Ordnung sowohl, als Vollständigkeit, alle die zerstreuten Gedan ken seiner Vorgänger; man muss aber bedenken, dass er ein Mann von Genie war, der den Menschen in erstaunlich vielen Situationen zu betrachten Gelegenheit gehabt hatte. Von seinen theoretischen Stücken (die aus mancherlei Ursachen viel ungewisser sind) trifft man in den Fragmenten der Aegyptischen Philosophie, so wie sie uns von den Griechen sind überliefert worden, wenig Spuren an, und man könnte sie ihm deswegen als seine eigene Erfindungen anrechnen, wenn es nicht in den folgenden Zeiten bei den Pythagoräern Mode geworden wäre, ihrem Haupte alle Entdeckungen seiner Schüler zuzuschreiben, so wie er selbst seine Ideen für Aegyptische ausgab, um ihnen desto mehr Ansehn zu verschaffen. 3) Giebt es unwiderlegliche Beispiele, so wie man sie aus einem so hohen Alterthume verlangen kann, dass die Aegyptier in der Mathematik und höhern Speculationen keine grossen Meister gewesen sind. Man besinne sich nur auf den pythagoräischen Lehrsatz, auf die Methode, die Höhe eines Thurms zu messen, die Thaies sie soll gelehrt haben, auf die Erfindungen von Sonnenuhren, Sphären und ihre Ausmessungen, wodurch so viele griechische Weltweise sich nicht hätten unsterblich machen können, wenn sie in Aegypten so was Gemeines gewesen wären. 16 Erfindungen] Th: Erfindung 1 und der] O: und die
22 Man] Th: Mann
15 den Griechen] O: ändern Griechen
21 Speculationen] O: Speculation
Exzerpt 13
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AUS DER GYMNASIALZEIT
P h il
o s o p h ie .
A l l g e m e in e U e b e r 1787. 9. u. 10. März.
s ic h t
.
(Sulzers kurzer Begriff der Gelehrsamkeit. 1759. §. 186-239.) Unter der P h ilo so p h ie verstehen wir hier diejenigen Wissenschaften, welche §.186. 5 eine nähere Beziehung auf die sittliche Kenntniss der W elt und des Menschen haben. Die Wissenschaft, welche zeigt, wie die Vernunft bei Untersuchung der philo- §. 190. sophischen Wahrheiten verfahren soll, wird die L ogik oder V ern u n ftleh re genannt. Tschirnhaus Medicina mentis. io I. Der sp ecu lativ e oder betrachtende Theil der Philosophie oder die M eta- §. 194. p h ysik , enthält die Erforschungen über die innerliche allgemeine Beschaffenheit der Dinge. A. Die G rundw issenschaft (ontologia, scientia entis, Philosophia prima) ist den Untersuchungen gewidmet, die gewisse allgemeine Wahrheiten erkennen, 15 welche sich auf die allgemeine Beschaffenheit aller Dinge überhaupt beziehen. 3 239.)] Th: 239.
7 Vernunft] Th: Vernunft
[139] § 186. Das W ort Philosophie wird ofte in einem so weiten Verstand genommen, daß auch die ganze Physik mit darunter begriffen wird. W ir verstehen hier aber unter dem Namen der Philosophie blos diejenige Wissenschaften, welche eine nähere Beziehung auf die sittliche Kenntnis der Welt und des Menschen haben. ... [144] § 190. ... Die Wissenschaft, welche zeiget, wie die Vernunft bey Untersuchung der Philosophi schen Wahrheiten verfahren soll, wird die L ogik, oder Vernunftlehre genennt. [146] § 192. (Über die Verdienste von Aristoteles, Descartes, Leibniz und W oljf für die Logik. Im Anschluß an den letzteren heißt es:) [147] Indessen hat doch auch dieser große Weltweise noch verschiedenes sowol von besondern Methoden Begriffe zu entwikeln, als von besondern Arten analytischer Untersuchungen theils nicht berührt, theils nicht genug ausgeführt. Von dergleichen besondern Kunstgriffen hat der be rühmte T sch irn haus in seiner Medicina mentis vielerley Proben angeführt, welche aber noch um ein merkliches könnten vermehret werden. [148] § 194. Man theilet die Weltweisheit überhaupt in zwey Theile ein, den sp ek u lativ en oder b etrac h ten d en und den prak tisch en oder ausübenden Theil. Der betrachtende Theil der Philosophie enthält die Erforschungen über die allgemeine innerliche Beschaffenheit der Dinge, und der ausübende Theil wendet die Entdekungen des ersten auf die Verbesserung des Menschen und der menschlichen Ge sellschaften an. ... (Vgl. hier auch den von Hegel sonst nicht exzerpierten § 214:) [166] Alle bis dahin von (§ 191. bis 213.) erwähnte Wissenschaften gehören zu der theoretischen Weltweisheit. In Deutschland ist man gewohnt alle zusammen (nur die Logik ausgenommen) mit dem Namen der M etap h y sik zu belegen. ... [149] § 195. Ehe man sich in Untersuchungen über die innere Beschaffenheit der W elt und des Men schen einlassen kann, muß man nothwendig gewisse allgemeine Wahrheiten erkennen, welche sich auf die
116
199. 202. 203. 204.
208.
AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 13
B. Die a llg em e in e C o sm ologie ist der allgemeinen metaphysischen Betrach tung der W elt gewidmet, insofern nämlich dieselbe ein aus vielen vereinigten Sub stanzen zusammengesetztes Wesen ist. C. Die M o n a d o lo g ie untersucht das Wesen und die Eigenschaften einfacher Substanzen überhaupt, ingleichen ihre Veränderungen, aus dem Begriff derselben, und aus der allgemeinen Beschaffenheit einer Welt, deren Theile sie sind. D. Die G eisterleh re (Pneumatologia) ist die Untersuchung der einfachen Wesen, welche denken. Die P sy ch o lo g ie erforscht die Natur der menschlichen Seele, ihr Wesen, ihre Kräfte und Vermögen, ihre Eigenschaften und die Veränderungen, welche sich natürlicher Weise zutragen können. a. Die em p irisch e P sych ologie enthält eine genaue und deutliche Beschrei bung alles dessen, was uns von der Seele durch die Erfahrung bekannt ist. b. Die erk lärende P sych olog ie (Psychologia rationalis) sucht durch die Auf lösung der Begebenheiten, welche in dem ersten Theil angemerkt worden, das Wesen und die Grundeigenschaften der Seele zu entdecken und hernach aus diesen durch einen Rückweg alle ändern Eigenschaften und Veränderungen derselben zu erklären. 7 Pneumatologia] Th: Pneumatologie naturalis
10 Veränderungen] Th: Veränderung
14 rationalis] Th:
allgemeine Beschaffenheit aller Dinge überhaupt beziehen. ... [150] Der Theil, welcher diesen allgemeinen Untersuchungen gewiedmet ist, wird die G rundw issenschaft (Ontologia, scientia entis, Philosophia prima) genennt. [152] § 199. Auf die Betrachtung der allgemeinen Grundsäze der Vernunft folget natürlicher Weise die allgemeine metaphysische Betrachtung der Welt, in so fern nemlich dieselbe ein aus vielen vereinigten Substanzen zusammengeseztes Wesen ist. Der Theil der Weltweisheit, welcher dieser Betrachtung ge widmet ist, wird die allgem eine C osm ologie oder die allgemeine Theorie einer Welt genennt. ... [155] § 202. Auf die Cosmologie, welche zugleich eine Betrachtung der allgemeinen Eigenschaften der Materie enthält, folget denn in der natürlichen Ordnung, die allgemeine Betrachtung der geistlichen oder einfachen Substanzen. Diese wird die M o nadologie genennt. Sie untersucht das Wesen und die Eigenschaften einfacher Substanzen überhaupt, ingleichen ihre Veränderungen, aus dem Begriff der selben, und aus der allgemeinen Beschaffenheit einer Welt, deren Theile sie sind. ... [156] § 203. Nach der allgemeinen Kenntnis der einfachen Substanzen überhaupt folget die Unter suchung der einfachen Wesen, welche denken, oder die G eisterleh re (Pneumatologia.) § 204. Die P sych o lo g ie ist also die Wissenschaft der menschlichen Seele. Sie erforscht ihre Natur, ihr Wesen, ihre Kräfte und Vermögen, ihre Eigenschaften und die Veränderungen, welche sich natür licher Weise zutragen können. Sie besteht aus zwey Haupttheilen, welche W o lf durch die Namen Psycho logia empirica und Psychologia ra-[157]tionalis von einander unterschieden hat. Der erste Theil (psycho logia empirica) enthält eine deutliche und genaue Beschreibung alles dessen, was uns von der Seele durch die Erfahrung bekannt ist. ... [160] § 208. Auf die empyrische und beobachtende Psychologie folget die erk lären d e (Psychologia rationalis.) Diese sucht durch die Auflösung der Begebenheiten, welche in dem ersten Theil angernerkt
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E. Die p h ilo sop h isch e G ottesgelah rth eit (Theologia naturalis) ist die §.211. Wissenschaft von dem Daseyn und den Eigenschaften eines unendlichen Wesens, von welchem die Welt ihr Daseyn empfangen hat, und regieret wird. II. Die practische P h ilosop h ie begreift überhaupt Alles, was sich auf die §.215. 5 äussere und innere Glückseligkeit des Menschen beziehet. A. Die allg em ein e praktische P h ilosop h ie (Philos. practica universalis). §.216. Die moralische Theorie des Menschen setzt alle die allgemeinen Grundsätze fest, welche in allen Theilen der practischen Weltweisheit aus der moralischen Betrach tung des Menschen müssen vorausgesetzt werden; das allgemeine Gesetz der Natur io und die allgemeine Verbindlichkeit der Menschen dazu; die wahren Begriffe von Tugend und Laster, von Glückseligkeit und Unglückseligkeit, von natürlichen Belohnungen und Strafen, von Schuld und Unschuld. Dann zeigt sie, wie die freie Handlung des Menschen überhaupt müsse durch den Willen zum Guten gelenkt werden, und durch was für einen W eg der Mensch zu dem höchsten Gut und der 15 zeitlichen Glückseligkeit gelangen könne. Locke, Leibnitz, Gr. v. Shaftesbury, Wolf. worden, das Wesen und die Grundeigenschaften der Seele zu entdeken, und hernach aus diesen durch einen Rükweg alle andre Eigenschaften und Veränderungen derselben zu erklären. ... [163] § 211. Nunmehr kommen wir auf den wichtigsten Theil der Weltweisheit, die p h ilosop hische G o ttesg e lah rth eit, (Theologia naturalis) oder die Wissenschaft von dem Daseyn und den Eigen schaften eines unendlichen Wesens, von welchem die Welt ihr Daseyn empfangen hat und regieret [164] wird. ... [167] § 215. W ir kommen nun auf die praktische Theile der Philosophie, welche sich mit den morali schen Handlungen der Menschen beschäftiget. D ie praktische P h ilo so p hie begreift überhaupt alles, was sich auf die äußere oder innere Glükseeligkeit des Menschen beziehet. ... [168] § 216. Außer den allgemeinen Grundsäzen, welche die theoretische Philosophie der praktischen darreichen muß, hat sie noch besondere Grundsäze nöthig, welche aus der moralischen Betrachtung der menschlichen Natur fließen. Den Inbegriff dieser Grundsäze hat W o lf die allg em eine p rak tische P hilo so phie (Philosophia practica vniversalis) genennt. Man könnte ihr den Namen der moralischen Theorie des Menschen geben. Diese Wissenschaft ist für die praktische Weltweisheit das, was die Grund wissenschaft oder Ontologie für die theoretische: denn die sezet alle die allgemeine Grundsäze fest, welche in allen Theilen der praktischen Weltweisheit aus der moralischen Betrachtung des Menschen müssen vorausgesezt werden. Demnach bestimmt sie die eigentliche Beschaffenheit der moralischen Handlungen überhaupt, und zeiget, wie dieselben gut oder böse seyn können. Sie untersucht das allgemeine Gesez der Natur und die allgemeine Verbindlichkeit der Menschen demselben gemäß zu leben. Sie sezet die wahren Begriffe von Tugend und Laster, von dem moralischen Guten und Bösen, von der Glükseeligkeit und Unglükseeligkeit denkender Wesen, von natürlichen Belohnungen und Strafen, von Schuld und Unschuld feste. Nach dieser Theorie aber zeiget sie auch, wie die freye Handlungen des Menschen über haupt [169] müssen durch den Willen zum Guten gelenkt werden, und durch was für einen W eg der Mensch zu dem höchsten Gut und der zeitlichen Glükseeligkeit gelangen könne. § 218. ... [170] Der berühmte Loke hat, so viel mir bekannt ist, zuerst angemerkt, daß diese Wissen schaft einer geometrischen Gewißheit [171] unterworfen sey, und eben dieses hat L eibniz hernach viel fältig erinnert. Der fürtrefliehe G raf von Schäftesbüry hat durch seine Abhandlung über die Tugend eine sehr schöne Probe davon gegeben. Indessen muß man auch hier dem unsterblichen Canzler W o lf
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§.219.
AUS DER GYMNASIALZEIT
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B. Die T h eorie der m enschlichen P flich ten ist die besondere Betrachtung und Bestimmung seiner natürlichen Pflichten oder der moralischen Handlungen, wozu die Natur einen jeden Menschen verbindet. a. Die M oral betrachtet die sittlichen Pflichten, deren Beobachtung nicht mit Gewalt von dem Menschen kann gefordert werden, weil sie nothwendig von seinen 5 Absichten abhangen und keinem fremden Urtheil können unterworfen seyn. b. Das R echt der N atur enthält vollkommnere und bestimmte Pflichten, zu deren Beobachtung ein Mensch von Ändern kann angehalten werden. c. Wenn man unabhängige bürgerliche Gesellschaften als einzelne Personen betrachtet, und das Recht der Natur auf diese anwendet, so entsteht das V ölk er- 10 recht. d. Ethik oder Sitten leh re ist die Theorie des moralischen Verstandes und Willens. C. Die H aushaltungsw issenschaft (oeconomia) ist die Wissenschaft, seine moralischen Handlungen in kleineren Gesellschaften, die man Familien nennt, so 15 einzurichten, wie es die Wohlfahrt und Glückseligkeit solcher Gesellschaften er fordert. 6 können] Th: könne
10 Recht der] Th: die
den Ruhm lassen, daß er der erste gewesen, der die allgemeine praktische Welt Weisheit in ihrem ganzen Umfang in der wahren Form einer Wissenschaft vorgetragen, eine sehr große Menge vorher verworrener, unbestimmter und undeutlicher Begriffe auf das deutlichste entwikelt und daher die wahren Grundsäze der moralischen Weltweisheit in völlige Gewißheit gesezt hat. § 219. Nach der allgemeinen moralischen Theorie des Menschen folget dann die besondere Betrach tung und Bestimmung seiner natürlichen Pflichten oder der moralischen Handlungen, wozu die Natur einen jeden Menschen verbindet. Der Theil der Weltweisheit, der hiervon handelt, kann die T h eorie der m enschlichen P flich ten genennt werden. ... [172] § 220. Die M oral betrachtet die sittlichen Pflichten, deren Beobachtung nicht mit Gewalt von dem Menschen kann gefodert werden, weil sie nothwendig von seinen eigenen Absichten abhangen und keinem frömden Urthel können unterworfen seyn. ... [173] § 221. Das R echt der N atu r enthält die vollkomneren und bestimmteren Pflichten, zu deren Beobachtung ein Mensch von ändern kann angehalten werden. ... § 222. Wenn man verschiedene unabhängliche bürgerliche Gesellschaften als einzelne Personen be trachtet, und das Recht der Natur auf diese Personen anwendet, so entstehet daher das V ölkerrecht. ... [176] § 225. ... In der That ist W olf der erste Weltweise, dem es eingefallen ist nach der Theorie der [177] Pflichten die Theorie der moralischen Verbesserung des Verstandes und Willens in ein ordent liches philosophisches System zu bringen, dem er den Namen der E th ik oder S itten leh re gegeben hat. [179] § 229. Die H aushaltungsw issenschaft (Oeconomica) ist die Wissenschaft, seine moralische Handlungen in kleinern Gesellschaften, die man Familien nennt, so einzurichten, wie es die Wolfarth und Glükseeligkeit solcher Gesellschaften erfordert. ...
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D. S taatsw issen sch aft oder P olitik enthält die Theorie der Glückseligkeit §.231. ganzer Staaten oder bürgerlicher Gesellschaften und zeigt die Mittel an, wodurch dieselbe kann erreicht werden. a. Derjenige Theil der Staatswissenschaft, der die Ruhe und Sicherheit von aussen §. 233. 5 zum Endzweck hat, wird oft im engeren Verstände die P o litik genennt. b. Den Theil, der die allgemeine Theorie der bürgerlichen Freiheit nach ver- §. 234. schiedenen Regierungsformen enthält, kann man die N o m o lo g ie heissen; es muss dabei insonderheit untersucht werden, wie die Gesetze der Freiheit und des Eigen thums auf die beste Art können gehalten werden. io c. Der Theil, der die Besorgung aller Arten der Privatbedürfnisse, alles dessen, was §. 235. nicht bloss zur Sicherheit des Lebens und des Eigenthums gehört, zu erleichtern sucht, kann die allgemeine P olizeiw issen sch aft genannt werden. Socrates, Plato, Aristoteles, Xenophon und Cicero, Bodin, Leibnitz, Wolf, §. 236. Montesquieu, Set. Pierre, Heinrich IV. in Frankreich, Friedrich II. in Preussen. 10 c. Der Theil] Th: C. Der Theil I
[180] § 231. Die Staatsw issenschaft, oder P o litik , enthält die Theorie der Glükseeligkeit ganzer Staaten oder bürgerlicher Gesellschaften, und zeiget die Mittel an, wodurch dieselbe kann erreicht werden.... [181] § 233. Derjenige Theil der Staatswissenschaft, der die Ruhe und Sicherheit von aussen zum Endzwek hat, wird ofte im engern Verstände die P o litik genennt. ... [182] § 234. Weil kein Staat bestehen könnte, wenn nicht jeder Bürger desselben hinlängliche Sicher heit hätte, in seinen Unternehmungen, Verrichtungen und dem Genuß seines Eigenthums von den Mit bürgern ungestört zu bleiben, so muß der Theil der Politik, welcher die Theorie der innerlichen Sicherheit lehret, zeigen, wie bey jeder Regierungsform eine hinlängliche Freyheit zu erhalten sey... Diese Wissen schaft, welcher man den Namen der N o m o lo g ie geben könnte, enthält demnach die allgemeine Theorie der bürgerlichen Geseze und der bürgerlichen Freyheit nach den verschiedenen Regierungsformen. Es muß aber [183] dabey insonderheit untersucht werden, wie die Geseze der Freyheit und des Eigenthums auf die beste Art können gehandhabet werden. ... § 235. Es werden endlich zu der Wolfarth eines Staates noch verschiedene Dinge erfodert, die von der äußerlichen und innerlichen Sicherheit unterschieden sind. Dergleichen sind hinlängliche Gelegenheiten für jeden Stand sich zu nähren und seine Familie zu versorgen, gewisse Annehmlichkeiten in den äusserlichen Sitten und der Lebensart, Gelegenheiten, sich durch Verdienste empor zu schwingen, hinlängliche Anstalten, alle nüzliche Künste und Wissenschaften zu erlernen, und mit einem W orte alles, was nicht blos zur Sicherheit des Lebens und des Eigenthums gehöret. Der Theil der Staatswissenschaft, welcher zeiget, wie diese Sachen durch gute Einrichtungen zu erhalten sind, kann die allgemeine P oliceyw issenschaft genennt werden. § 236. (Die Staatswissenschaft sei zu allen Zeiten der besonderen Bemühungen der Weltweisen für würdig erachtet worden.) [184] Die verehrungswürdige Namen Sokrates, P lato , A ristoteles, X en o p h o n und C icero erscheinen also mit Recht unter denen, die sich mit der Staatswissenschaft in den alten Zeiten beschäftiget haben. Auch in den neuern Zeiten hat diese Wissenschaft die Bemühungen der besten Köpfe erfahren. B odin, L eibniz, W o lf, M ontesquieu, St. P ierre, und die, deren Namen noch heller glänzen, H ein rich der IV in Frankreich, und F riedrich der II in Preussen, nebst viel ändern fürtreflichen Männern haben daran gearbeitet. ...
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§. 238.
Ausser dieser kunstmässigen Philosophie giebt es noch eine natürliche, die nichts von den mühsamen und weitläuftigen Erforschungen weiss, um die ersten Quellen der Wahrheit zu entdecken; sie braucht keine Methode, sie nimmt ihren Stoff, wie er sich zeigt, und über denkt ihn nach dem blossen Gutdünken der gesunden Vernunft. §. 239. Man könnte sie die P h ilosop h ie der W elt nennen; sie ist die Wissenschaft, über- 5 all klug zu handeln. Diese Weisheit lernt der Mensch bloss durch die Erfahrung und den Umgang der Welt, wenn er Alles, was ihm vorkommt, mit gehöriger Scharfsinnigkeit beobachtet. [185] § 238. ... Außer dieser kunstmäßigen Philosophie giebt es eine natürliche, die nichts von den mühsamen und weitläuftigen Erforschungen weis, welche man nothwendig anwenden muß, um die Wahrheit aus ihren ersten Quellen zu entdeken; eine Philosophie der gesunden Vernunft, die jeder nach denkender Mensch ohne besondere methodische Anstalten, mehr oder weniger besizet, je nachdem er zum Nachdenken aufgelegt ist. Man könnte die erstere die Philosophie der Schule und die andere die Philosophie der Welt nennen. [186] Denn jene ist eine wahre Disciplin, die nicht anders als nach einer ge nauen Methode kann erlernt werden. Diese aber braucht gar keine Methode, sie nimmt ihren Stoff so wie er sich zeiget, und überdenkt ihn ohne Kunst, nach dem bloßen Gutdünken der gesunden Vernunft. ... [187] § 239. ... So leicht es zu bestimmen ist, wie ein Mensch in allen Vorfallenheiten des Lebens recht handeln soll, so wenig läßt sich allgemein bestimmen, wie er klug seyn soll. Diese Weisheit lernt der Mensch blos durch die Erfahrung und den Umgang der Welt, wenn er alles, was ihm vorkommt, mit gehöriger Scharfsinnigkeit beobachtet. ...
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R e c h t s g e l e h r s a m k e it . A l l g e m e in e U e b e r s ic h t . 1787. 10. M ärz. (Sulzer’s kurzer Begriff der Gelehrsamkeit. 1759. §. 240-258.)
Die R echtsgeleh rsam k eit ist die Wissenschaft der willkührlichen Gesetze §.240. 5 eines Staats. Die durch die besondere Verfassung eines Staats bestimmten Verbind lichkeiten und Rechte, nennen wir das w illk ü h rlich e R echt (jus positivum) und die daher entstehenden Gesetze, w illk ü h rlich e G esetze. I. Das n atü rlich e G esellschaftsrecht (jus naturale sociale, jus civile uni- §.242. versale) begreift die Theorie der Rechte und Gesetze, welche aus der Natur einer io bürgerlichen Gesellschaft überhaupt entstehen, und also allen Staaten gemein sind. II. Der andere Haupttheil beschäftigt sich bloss mit den besonderen Rechten und Gesetzen gewisser Staaten. A. Das b ü rgerlich e R echt betrifft die sogenannten weltlichen Bürger eines §.244. Staats, und diejenigen Sachen, welche bloss auf die zeitliche Wohlfahrt einen Ein15 fluss haben. AA. Das Staatsrecht (jus publicum) enthält die Verbindlichkeiten der Bürger §.245. gegen die Regenten und der Regenten gegen die Bürger. 8 sociale,] Th: sociale
16 AA] Th: A (Fraktur)
[189] § 240. Durch die R echtsgeleh rsam keit verstehen wir überhaupt die Wissenschaft der will kührlichen Geseze eines Staates. W ir haben in dem Vorhergehenden der natürlichen Geseze Erwähnung gethan, welche aus der bloßen Betrachtung der menschlichen Natur ohne Absicht auf bürgerliche Ver bindungen fließen. Außer diesen allgemeinen Gesezen der Natur hat jeder Staat seine besondern Geseze, welche aus seinem eigenen besondern Zustande und Verfassung entstehen. Die durch die besondere Ver fassung eines Staates bestimmte Verbindlichkeiten und Rechte nennen wir das w illk ü h rlic h e R echt (Ius positiuum) und die daher entstehende Geseze, w illk ü h rlich e Geseze. ... [191] § 242. Die Rechtsgelehrsamkeit (Iurisprudentia) hat demnach zwey Haupttheile, der erste be greift die Theorie der Rechte und Geseze, welche aus der Natur einer bürgerlichen Gesellschaft überhaupt entstehen, und also allen Staaten gemein sind, welches [192] man das n atü rlic h e G esellschaftsrech t (Ius naturae sociale, Ius Ciuile vniuersale) nennen kann, Der andere Haupttheil aber beschäftiget sich blos mit den besondern Gesezen und Rechten gewisser Staaten. ... [193] § 244. Das bürgerliche Recht betrift die sogenannte weltliche Bürger eines Staates, und diejenige Sachen, welche blos auf die zeitliche Wolfarth einen Einfluß haben. Es theilet sich aber in zwey Haupt zweige. Denn da die Bande der Gesellschaft so wol die Obern oder Regenten gegen die Bürger oder Unterthanen, als diese gegen jene verbinden, so entsteht daher ein doppeltes Recht, nämlich das [194] S taatsrech t, (Ius publicum) und das P riv atre ch t, (Ius ciuile priuatum.) § 245. Das S taatsrech t enthält die Verbindlichkeiten der Bürger gegen die Regenten, und der Re genten gegen die Bürger. ...
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AUS DER GYMNASIALZEIT
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§.246.
a. Das n atü rlich e oder allgem ein e Staatsrecht (jus publicum universale) erforschet die gegenseitigen Pflichten und Verbindlichkeiten der Bürger und Regen ten aus allgemeinen Begriffen und aus der allgemeinen Beschaffenheit eines Staats überhaupt. §. 248. b. Das beson dere Staatsrecht freier Staaten gründet sich auf die besondern 5 Gesetze und Verträge zwischen den Unterthanen und dem Regenten. Die vornehmsten Quellen des deutschen besondern Staatsrechts sind die alten G ew o h n h eiten , die R eichsherkom m en heissen, die go ld en e B u lle, der L and esfried e, die R eichsabschiede, die k aiserlich e W ah lk a p itu la tio nen, und der W estp h älisch e Friede. 10 §.250. BB. Das bü rgerlich e Privatrecht. a. Das p ein lich e R echt untersucht die Verschiedenheit der die innerliche Ruhe störenden Handlungen und die denselben angemessenen Strafen. 9-10 Wahlkapitulationen] Th: Wahlkapitulation
11 BB] Th: B (Fraktur)
[195] § 246. ... Die Wissenschaft, welche man das n atü rlic h e S taatsrech t (Ius publicum Vniuersale) nennt, erforschet die Pflichten und Verbindlichkeiten der Regenten gegen die Bürger, und der Bür ger gegen die Regenten aus allgemeinen Begriffen, und aus der allgemeinen Beschaffenheit eines Staates überhaupt. ... (Der erste Satz von Hegels Zusammenfassung des § 248 stützt sich offenbar nicht nur auf diesen Paragraphen, sondern ist aus dem ganzen Gedankenzusammenhang heraus frei formuliert. Das Wort Verträge kommt im Original nicht vor.) [198] § 248. Auf das allgemeine oder natürliche Staatsrecht folget das besondere Staatsrecht freyer Staa ten. So viel dergleichen Staaten vorhanden sind, so viel giebt es verschiedene Staatsrechte. Denn jeder Staat hat nach seiner besondern Beschaffenheit sein besonderes Recht. Das Deutsche, das Gros-[199] brittannische, das Schwedische, das Polnische und andre Reiche, sind in ihren Constitutionen ganz un gemein von einander unterschieden, und so sind es auch die Staatsrechte dieser Reiche. Von diesen Rei chen aber verdienet das Deutsche eine vorzügliche Betrachtung. ... Wegen der grossen Menge und Ver schiedenheit der Staaten, die zum Reiche gehören, wegen der mannigfaltigen Quellen des deutschen Staatsrechts, deren einige in dem finstern Alterthum verborgen liegen, und wegen der vielfältigen Ver änderungen, welche seit bald tausend Jahren darin vorgefallen, ist dieses Recht ungemein weitläuftig. Die vornehmste Quellen desselben sind die alte Gewohnheiten, welche R eichsherkom m en genennt werden, die gold ene B ulle, der L andesfriede, die R eichsabschiede, die K ayserliche W a h lc a p itu la tio n e n und der W estphälische Friede. ... [199] § 250. Auf das Staatsrecht folget das b ü rg erlich e P riv a tre c h t, (§ 244.) welches, wegen der vielerley Arten der Vorfälle und der Stände in einem grossen Staat, sich wieder in vielerley besondere Theile [200] absondert. In jedem Staat ist die vornehmste Pflicht der Bürger, sich solcher Handlungen zu enthalten, durch welche die innerliche Sicherheit und Ruhe könnte gestöhrt werden. Es ist daher nothwendig, daß auf solche die Ruhe stöhrende Handlungen Straffen gelegt werden. Die Verschiedenheit solcher böser Handlungen und die mannigfältige Grade des Verbrechens und der denselben angemes senen Straffe hat besondere Untersuchungen verdienet, aus welchen das p ein lich e R echt entstanden ist. Die Theorie des peinlichen Rechts, welche sich blos auf die innerliche Natur der Verschuldungen
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RECHTSGELEHRSAMKEIT. ALLGEMEINE ÜBERSICHT
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1) Das allg em ein e p ein lich e R echt (jus criminale universale) ist die Theorie des peinlichen Rechts, welche sich bloss auf die innere Natur der Verschul dungen gründet. 2) Das w illk ü h rlich e C rim in al-R echt setzt das näher fest, was das allgemeine 5 natürliche Criminalrecht nur überhaupt bestimmt. Das römische Justinianische Recht. Carl V. peinliche Gerichtsordnung, b. Das E igen th u m s-R ech t ist der Inbegriff der Gesetze, die das Eigenthum und §. 252. die rechtlichen Ansprüche eines jeden in ein deutliches Licht setzen. 1) Das allgemeine E igen th u m s-R ech t gehört in das Naturrecht, io 2) Das w illk ü h rlich e E igenthum s-R echt bestimmt alles, was das natür liche Recht unbestimmt gelassen, und hat noch überdem willkührliche Gesetze, welche von der besondern Beschaffenheit eines jeden Staats, oder von dem besondern Gutdünken des Gesetzgebers herrühren. In Deutschland das Frän k isch e und das Sächsische R echt, das R öm isch e Ju stin ian isch e 15 R echt; ehemals auch das p äbstliche R echt; vor dem 16. Jahrhundert 7 § 252 in Th neben: Das willkührliche Kriminal-Recht
10 2)] Th: 2.
gründet, wird das allgem eine peinliche R echt (Ius Criminale Vniuersale) genennt. ... Ausser diesem allgemeinen peinlichen Recht hat jedes Land noch sein besonderes oder w illk ü h rlich es C ri m in alrech t, welches dasjenige, was das allgemeine natürliche Criminalrecht nur überhaupt bestimmt, näher festsezet. Das deutsche peinliche Recht enthält viele Verordnungen aus dem römischen Justiniani schen Recht, und andere aus des Kayser Carl des V. peinlicher Halsgerichts-[201]ordnung. ... [202] § 252. Da aber zu der innerlichen Ruhe nicht nur erfordert wird, daß ein jeder Bürger sich böser Handlungen gegen andere enthalte, sondern auch daß er jedem alles leiste, wozu dieser ein Recht hat, so sind außer den Criminalgesezen auch noch Geseze, die das Eigenthum und die rechtlichen Ansprüche eines jeden in ein deutliches Licht sezen. Der Inbegriff dieser Geseze wird das E ig en th u m srec h t ge nennt. Dieses Recht muß nun zuvoderst aus dem allgemeinen Recht der Natur auf die merkwürdigsten Fälle des Eigenthums, die von Verträgen, Kaufen und Verkaufen, Schenkungen und Erbschaften u. d. gl. herkommen, genau bestimmt werden. Dieses allgemeine Eigenthumsrecht gehört eigentlich zu dem Recht der Natur, davon wir schon in dem vorhergehenden Abschnitt unter den philosophischen Wissen schaften gehandelt haben. Das w illk ü h rlich e E igen th u m srecht bestimmt alles dasjenige, was das natürliche Recht hierin unbestimmt gelassen, und hat noch tiberdem willkührliche Geseze, welche von der besondern Beschaffenheit eines jeden Staa-[203]tes, oder von dem besondern Gutdünken des Gesezgebers herrühren. Mithin ist dieses in jedem Staat verschieden. In Deutschland sind dreyerley Quel len dieses Rechts in jeder Provinz. Einige alte ursprünglich deutsche Geseze oder Herkommen, welche durch die Gewohnheit die Kraft der Geseze erhalten haben, und die von zweyerley Art sind, nämlich das F ränkische und das Sächsische R echt, das R öm ische Ju stin ian isch e R echt, welches durchgehends in Deutschland angenommen worden, und wornach alles gerichtet wird, was nicht durch besondere Landesgeseze ausgemacht ist. In den Zeiten, da noch ganz Deutschland der römischen Hier archie unterworfen war, hat auch das päbstliche R echt Autorität bekommen, und hiezu kommen noch einige Reichsverordnungen. In den neuern Zeiten herrscht das römische Recht in Deutschland überall, wiewol es sich erst in den spätem Zeiten eingeschlichen hat. Man hat bis ins XVI. Jahrhundert in Deutschland wenig davon gewußt. Die kayserliche deutsche Rechte, die schon zu den Zeiten Kaysers Heinrichs des VI. unter dem Namen des Iuris ciuilis oder Iuris communis gesammlet waren, galten allein....
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AUS DER GYMNASIALZEIT
Exzerpt 14
§.253.
allein die k aiserlichen deutschen R echte, Jus civ ile oder Jus com m une. v. Senkenbergs Corpus legum Germanicarum. §.254. c. Das P rocessrecht (jus judiciarium) bestimmt die Verbindlichkeiten der Richter in Ansehung der Ausübung ihres Amts, und der Partheien in Verfolgung ihres Rechts und ihrer Ansprüche. 5 1) Die allgem ein en Regeln dieses Rechts müssen aus dem Rechte der Natur hergeleitet werden. 2) Das w illk ü h rlich e Processrecht, die P rocessord n u n g, wird in jedem Lande dem natürlichen Processrechte gemäss näher und auf’s Genaueste §. 256. bestimmt. In Deutschland gilt die römische Processordnung. Friedrich II. io §. 257. d. Es giebt auch viele andere Theile der bürgerlichen Rechtsgelehrsamkeit, welche aus besonderen Arten der bürgerlichen Lebensarten entstehen, z. B. das W ech sel rech t, das H an dlungsrecht, u.s.w. Das L ehns-R echt (Jus feudale) setzt die Verbindlichkeiten und Rechte, die aus den Lehen entstehen, in ein besonderes Licht. Die Sammlung der Lehnsrechte von 15 den Longobarden in zwei Büchern heisst das L ongob ardisch e Lehnrecht. 11 bürgerlichen] Th: bürgerlichen und [205] § 253. ... Der Herr von Senkenberg hat eine sehr rühmliche Arbeit übernommen, daß er das Corpus legum germanicarum gesammelt, welches er jezo herauszugeben anfängt. § 254. Die Handhabung der bürgerlichen Geseze macht das richterliche Amt nothwendig. Daher entstehen wieder besondere Verbindlichkeiten der Richter in Ansehung der Ausübung ihres Amts, und der Partheyen in Verfolgung ihres Rechts und ihrer Ansprüche. Der Theil der Rechtsgelehrsamkeit, der diese besondere Verbindlichkeiten bestimmt, wird das P ro ceß rech t, (Ius iudiciarium) genennt. Die allgemeine Regeln dieses Rechts, müssen aus dem Recht der Natur hergeleitet werden. ... [206] Das w illk ü h r liche P ro ce ß re ch t, die P ro ceß o rd n u n g , wird in jedem Lande dem natürlichen Proceßrecht ge mäß näher bestimmt. Demnach enthält die Proceßordnung alles, was die Anzal und Beschaffenheit der Richter, die verschiedene von einander abhangende Gerichte, und die Art zu verfahren betrifft. Jeder nöthige Punct wird so fest gesezt, daß man daraus bis auf die kleinste Umstände die Art in Rechtssachen zu verfahren sehen könne. [208] § 256. ... In den meisten deutschen Gerichtsstuben wird nach der ehmaligen römischen Proceß ordnung verfahren. Die Staaten des unsterblichen F riedrichs haben den unschäzbaren Vorzug, daß die Proceßordnung unter der Oberaufsicht dieses gekrönten Weltweisen von einer Gesellschaft der größten und scharfsinnigsten Männer, mit der Sorgfalt, Genauigkeit und strengen philosophischen Einsicht ab gefaßt worden, welche man sonst nur auf mathematische Untersuchungen zu verwenden gewohnt war. ... [209] § 257. Ausser der erwähnten Theilen der bürgerlichen Rechtsgelehrsamkeit giebt es noch viele besondere Theile, welche aus besondern Arten der bürgerlichen Lebensarten entstehen. So hat man z. E. ein besonderes W ech selrech t, ein H and lu n g srech t, u. a. m. die wir hier besonders zu beschreiben nicht für nöthig erachten. Allein des Lehnrechts müssen wir seiner Wichtigkeit halber besondere Er wähnung thun. ... Weil in allen Europäischen Staaten der größte Theil der Güter des hohen und niedrigen Adels ... Lehen sind, und sehr viele wichtige Streitfälle darüber entstehen können, so war ein besonderer Theil der Rechtsgelehrsamkeit nöthig, der die Verbindlichkeiten und Rechte, welche aus den Lehen ent stehen, in ein Licht sezte. Dieser Theil wird das L ehn recht, (Ius feudale) genennt. Von den Longo-
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RECHTSGELEHRSAMKEIT. ALLGEMEINE ÜBERSICHT
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B. Das K irchenrecht (jus ecclesiasticum) ist das System der geistlichen Gesetze, §. 258. die theils auf das geistliche Eigenthum, theils auf die Besetzung der geistlichen Stellen, theils auf die Ordnung und Disciplin sich beziehen. Die Quellen sind die Verord nungen (canones) der Päpste und der allgemeinen Kirchenversammlungen; daher 5 es auch den Namen des canonischen Rechts (jus canonicum) erhalten hat. Ein jedes Reich hat aber noch seine besonderen Kirchenrechte, so Deutschland die C on cord ate; auch gehört der Westphälische Friede, der Religionsfriede und andere hierher. Aus diesem ist das besondere d eutsche K irch en rech t ent standen, welches eingetheilt wird in io AA. das P äp stlich e, BB. das P rotestan tisch e K irchenrecht. Böhmer. 10 AA] Th: A (Fraktur)
11 BB] Th: B (Fraktur)
barden sind die Lehnrechte [210] in zwey Büchern gesammelt worden, welche daher den Namen des L o ngobardischen L ehnrechts erhalten haben. ... § 258. W ir beschliessen diesen Abschnitt mit dem K irch en rech t. Es ist bereits oben erinnert worden, daß in den Staaten, durch welche die römische Hierarchie sich ausgebreitet hat, in der bürgerlichen Ge sellschaft sich noch ein andrer geistlicher Staat nach und nach gebildet habe, der sein von den weltlichen Regenten verschiedenes Oberhaupt hat, nämlich den Pabst. Auch dieser geistliche Staat hat seine beson dere Geseze und Rechte, welche theils auf das geistliche Eigenthum, nämlich die Kirchengüter, theils auf die Besezung der geistlichen Stellen, theils auf die Ordnung und Disciplin gehen. Das System der geist lichen Geseze wird das K irch en rech t (Ius ecclesiasticum) genennt. Die Quellen dieses Rechts sind die Verordnungen (Canones) der Päbste und der allgemeinen Kirchen Versammlungen, und von diesen hat es den Namen des canonischen Rechts (Ius canonicum) erhalten. Es hat aber [211] außer diesem canoni schen Recht ein jedes Reich noch seine besondere Kirchenrechte. In dem deutschen Reich sind noch be sondere Kirchengeseze, C o n co rd ate , der deutschen Nation errichtet worden; auch enthält sowol der Religionsfriede, als der Westphälische Friede verschiedene Verordnungen, welche das Kirchenwesen im deutschen Reich betreffen. Aus diesen ist das besondere deutsche K irc h en re ch t entstanden, welches in das P äbstlich e und P ro testan tisch e K irchen recht eingetheilt wird. ... Verschiedene deutsche Gelehrte haben sich um das Kirchenrecht ungemein verdient gemacht, unter welchen der ehemalige Hallische Professor und Preußische Geheimte Rath B öhm er vorzüglich verdient genennt zu werden.
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P h il
o s o p h ie
. P s y c h o l o g ie . P r ü f u n g 14.-18. M ärz 1787.
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h ig k e it e n
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(Garve’s Versuch über Prüfung der Fähigkeiten im VIII. Band der neuen Bibi, der philosophischen Wissenschaften und freien Künste 1769.) Die Fähigkeiten und Vollkommenheiten erkennt man gemeiniglich erst dann, 5 wenn sie an wichtigen Gegenständen geübt werden; aber gewöhnlich ist es alsdann schon zu spät. Eine Untersuchung über die Prüfung der Fähigkeiten kann zwar nach unserer Verfassung nicht dazu dienen, dem Menschen seine Geschäfte und seine Bestimmung anzuweisen, sondern sie kann nur den erwachsenen Mann mit seinen Kräften bekannt io machen, ihm, wenn er auf die rechte Seite gestossen, mehr Zufriedenheit geben, wo nicht, doch einen angemesseneren Zeitvertreib zeigen; endlich die seltsame Ver einigung erklären, die man so oft in demselben Menschen, zwischen grossem Ver13 grossem] Th: grossen Wenn das Hauptwerk der Erziehung darinnen besteht, den Fähigkeiten der Seele Beschäfftigung, und den Neigungen ihre gehörige Gegenstände zu geben: so wird ihr erstes GeschäfFte seyn müssen, diese Fähigkeiten zu kennen. Aber wie schwer und wie mißlich ist diese Untersuchung. Wodurch will man die Fähigkeiten des Geistes kennen lernen, wenn man ihn nicht handeln sieht ? Und doch, was kann es in diesem Alter für Verrichtungen geben, bey denen diese Fähigkeiten merklich würden ? Es geht mit der Bildung der Geister wie mit der Entstehung der Körper. W ir werden diese letztem nicht eher gewahr, als bis sie schon eine merkliche Größe erreicht haben, und schon lange über die Epoque hinaus sind, wo sich ihre Bestandtheile zusammenfügten, und durch ihre Lage und ihre Gestalt die Beschaffenheit und Erscheinungen des künftigen Dinges bestimmten. Eben so erkennen wir die Vollkommenheiten eines Geistes erst alsdann, wenn sie an wichtigen Gegenständen geübt werden; Aber dann ist es gemeiniglich schon zu spät, die Wahl ist geschehen, und nur der glückliche oder unglückliche Erfolg läßt uns auf die Anlage der Seele schließen, die diesen Gegenständen angemessen war. (Es sei auch bei großer Seelenkenntnis und Beobachtungsgabe kaum möglich, aus unbedeutenden Beschäftigungen besondere Talente zu erkennen.) [2] Also, wenn das der einzige Endzweck dieser Untersuchung wäre, dem Menschen seine Bestimmung und seine Geschäffte anzuweisen, so könnte man sie getrost auf geben. Das Tribunal, das über die Fähig keiten junger Bürger in einem Staate den Ausspruch thun, und jedem seine Lebensart nach diesem Aus spruche zuerkennen sollte, ist einer von den schönen Vorschlägen, die zu weiter nichts dienen, als ihre Erfinder zu belustigen. Die Natur will nicht haben, daß sich unsre Weisheit in alle ihre Werke mischen soll; und am Ende macht sie es doch vielleicht eben so gut, als wir es mit unsrer ganzen Klugheit würden gemacht haben. Aber um den erwachsenen Mann mit seinen eignen Kräften bekannt zu machen, ihm, wenn der Zu fall ihn gerade an die rechte Stelle gestoßen hat, mehr Zufriedenheit zu geben, oder wenn er an die unrechte gekommen ist, ihm wenigstens einen Zeitvertreib zu zeigen, der sich besser für ihn schickt [3] als seine Geschäffte; endlich wenigstens von den Erscheinungen in dieser Sphäre Grund anzugeben, und die seltsame Vereinigung zu erklären, die man so oft in demselben Menschen zwischen großem Ver-
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stand und grösser Einfalt, zwischen ausnehmenden Talenten und einer ungewöhn lichen Unfähigkeit, zwischen grossen Kräften und einer völligen Ohnmacht, gewahr wird. I. Die Empfindungen sind der Stoff, den die übrigen Fähigkeiten bearbeiten. 5 Sind diese fest und dauerhaft, so gehört nur ein vortrefflicher Künstler dazu, um vor treffliche Werke daraus zu machen, sind sie schwach und untauglich, so wird selbst eine Meisterhand und die weiseste Anwendung nur etwas Mittelmässiges hervor bringen. Zeichen, ob die Eindrücke, die die Seele des Kindes von sich selbst, und von den io Sachen ausser sich empfängt, richtig mit den Gegenständen übereinstimmend, tief und dauerhaft; ob das Empfinden wahr und stark ist, sind folgende: 1) wenn das Kind die einmal empfundenen Sachen, besonders wenn es noch keine Worte dafür hat, leicht wieder erkennt. Denn um eine Sache [wieder] zu erkennen, ist nöthig, den alten und den gegen15 wärtigen Eindruck zu vergleichen. Je geschwinder dieses geschieht, desto merklicher
Stande und großer Einfalt, zwischen ausnehmenden Talenten und einer ungewöhnlichen Unfähigkeit, zwischen großen Kräften und einer völligen Ohnmacht gewahr wird, dazu ist diese Untersuchung nütz lich. Kann wohl die Philosophie, wenn sie nun einmal nicht zugelassen wird, die Dinge in der Welt zu bessern, etwas anders thun, als das was geschieht, zu beschreiben? und wenn sie nicht an der Spitze des Heeres gehen kann, als Befehlshaber, um die Begebenheiten zu lenken, so muß sie wenigstens hinten her gehen, als Geschichtschreiber, um sie aufzuzeichnen. (Es folgen methodische Erwägungen mit dem Schluß:) Um zu wissen, wie sich gewisse Fähigkeiten der Seele äußern, muß man diese Fähigkeiten erst unterscheiden. [4] I. Die erste, der Grund aller übrigen, und die, welche die Stärke und Beschaffenheit der ändern bestimmt, ist das Vermögen zu empfinden. - So ist der Gang der Natur: Zuerst empfängt die Seele eine Menge Eindrücke, das Gedächtniß erhält sie, die Einbildungskraft setzt sie zusammen, der Verstand samm let das Aehnliche in denselben, und verwandelt die Eindrücke in Ideen, die Vernunft endlich bringt diese Ideen in Verbindung und erbaut sich daraus das System ihrer Grundsätze und ihrer Regeln. Die Emp findungen sind also der Stof, welchen die übrigen Fähigkeiten bearbeiten. Ist dieser fest und dauerhaft, so ist weiter nichts als ein geschickter Künstler dazu nöthig, um vortreffliche Werke daraus zu machen; ist er schwach und untauglich, so wird selbst eine Meisterhand und die weiseste Anwendung nur etwas mittelmäßiges hervorbringen. Von der Empfindung sollte also der Anfang dieser Untersuchung, so wie der Erziehung überhaupt, gemacht werden. Sind die Eindrücke, die die Seele dieses Kindes von sich selbst und von den Sachen außer sich empfängt, richtig, mit den Gegenständen übereinstimmend, tief und dauerhaft; sind ihre Emp findungen wahr und stark? das ist die Frage die man zuerst entscheiden muß. Ich setze mich in die Stelle des Vaters und Lehrers, und folge dem Kinde in allen seinen Bewegungen. 1. Das erste, worauf ich Acht haben werde, ist, ob das Kind die Sachen, die es einmal empfunden hat, [5] geschwind und leicht wieder erkennt. Diese Beobachtung werde ich selbst zu der Zeit anstellen, wo das Kind für diese Empfindungen noch keine Worte hat. Der Schluß selbst ist klar. Um eine Sache wie der zu erkennen, ist nöthig, den alten und den gegenwärtigen Eindruck zu vergleichen. Je geschwinder diese Vergleichung geschieht, desto merklicher müssen die Spuren seyn, die die Sache in der Seele zurück-
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müssen die Spuren seyn, die die Sache in der Seele zurückgelassen hat. Man sieht auch, warum diess Merkmal nur bei Kindern richtig ist, ihre Seele beschäftigt sich ganz allein mit Empfindungen, ihre Aufmerksamkeit ist nie zwischen den sinnlichen Gegenständen und den allgemeinen Ideen getheilt; und das Maass der Stärke, mit welchem sie empfindet, ist zugleich das Maass ihrer Kraft überhaupt. 5 2) wenn das Kind eine grosse Aufmerksamkeit auf den jedesmaligen Gegenstand der Empfindung hat, und sich durch die übrigen Sachen, die itzund nicht eigentlich zu seiner Betrachtung gehören, wenig oder gar nicht zerstreuen lässt; seine Augen und Ohren haben immer etwas Bestimmtes und Festes, worauf sie sich richten; sie unterscheiden immer das Bekannte vom Fremden, und dieses sehen sie so lange starr io an, bis sie völlig eben so bekannt damit sind, als mit dem Uebrigen. Die Aufmerksamkeit ist die Ursache starker Empfindungen, weil, wo mehr Kraft angewendet wird, die Wirkung grösser seyn muss; und der Beweis, weil die Seele von jeder [Sache] um so viel mehr an sich gezogen wird, je grösser die Thätigkeit ist, in die sie die Seele setzt. 15 gelassen hat. Man sieht zugleich, warum dieses Merkmal bey Kindern richtig ist, und bey Erwachsenen trügt. Die Seele der ersten beschäfftigt sich ganz allein mit Empfindungen; ihre Aufmerksamkeit ist nie mals zwischen den sinnlichen Gegenständen und allgemeinen Ideen getheilt; und das Maaß der Stärke also, mit welchem sie empfindet, ist zugleich das Maaß ihrer Kraft überhaupt. Bey den ändern hängt die Leichtigkeit, die alten Gegenstände wieder zu erkennen, nicht blos von dem Nachdrucke, mit dem man sie zuerst empfunden hat, sondern auch von dem Grade der Aufmerksamkeit ab, den man itzt auf sie wendet; und für die Empfindung bleibt nur so viel von der Kraft der Seele, als zum Denken nicht nöthig ist. 2. Ein andres noch allgemeineres und sicherers Merkmal ist es, wenn das Kind eine große Aufmerk samkeit auf den jedesmaligen Gegenstand seiner Empfindung hat, und sich durch die übrigen Sachen, die itzund nicht eigentlich zu seiner Betrachtung gehören, wenig oder gar nicht zerstreuen läßt. (Jeder habe schon bemerkt, daß manche Kinder die Vielfalt der sie umgebenden Dinge und Eindrücke hinnehmen, ohne bei einem einzelnen zu verweilen.) [6] Andre sind immer nur mit einem Gegenstände auf einmal beschäftigt. Ihre Augen oder Ohren haben immer etwas festes und bestimmtes, worauf sie sich richten. Unter einem noch so großen Haufen von Sachen oder Personen unterscheiden sie augenblicklich das Bekannte vom Fremden, gehen unacht sam bey dem einen vorbey, und sehen dafür das andre so lange starr und unverwandt an, bis sie ungefähr damit eben so bekannt worden sind, wie mit den übrigen. ... Diese Gabe viele Dinge nicht zu sehen und nicht zu hören, um von einer recht gerührt zu werden, die Aufmerksamkeit mit einem Worte, ist sowohl die Ursache als der Beweis starker Empfindungen. Die Ursache, weil, wo mehr Kraft ange-[7]wendet wird, die Wirkung größer seyn muß; der Beweis, weil die Seele von jeder Sache um so viel mehr an sich gezogen wird, je größer die Thätigkeit ist, in die sie die Seele setzt. Ist die Seele nur zu leichten und gleichsam nur berührenden Eindrücken fähig; so wer den sie niemals über die Zerstreuungen die Oberhand behalten; die Kraft der Seele wird unter alles gleich ausgetheilt, und durch diese Theilung verzehret. Heftige Wirkungen hingegen werden die Aufmerksam keit, auch ohne ihren Willen, auf den Gegenständen festhalten, die sie erregen. 3. Ein drittes, aber mehr zweydeutiges Kennzeichen, ist schon immer bey dieser Untersuchung ge braucht worden; die Lebhaftigkeit meyne ich, und die Geschäftigkeit des Geistes. Die Wahrheit, die
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3) Je besser und lebhafter die Bilder sind, die die Seele durch die Empfindungen erhält, desto grösser ist das Vergnügen über dieselbe, und desto grösser das Ver langen nach neuen. Aber der schnelle Uebergang von einer Sache zur ändern und die Lebhaftigkeit und Geschäftigkeit des Geistes zeigt freilich eine wirksame Seele, aber er löscht zugleich einen Eindruck durch den ändern aus, und zerstört die Wirkung, indem er den Gegenstand zu oft abändert. Ein langsamer Fortgang von einem Gegenstand zum ändern, der oft für Dummheit angesehen wird, kann die Ursache des künftigen Verstandes seyn, weil er für ihn eine Reihe unterschiedener und sorg fältig gezeichneter Bilder sammlet. Man muss also dabei unterscheiden, ob die Seele aus Trägheit und Verdrossenheit so schwer die alten Gegenstände verlässt, oder ob es aus einer gewissen Art von dunkler Betrachtung herrührt, die sie darüber anstellt. 4) Die unmittelbarsten Wirkungen der Empfindung sind die Begierden, die sich noch eher als die Fähigkeiten entwickeln. Sind sie rauschend und heftig, aber vor übergehend, so sind die Eindrücke schnell, aber flüchtig. Sind sie ruhig, aber dauer haft, so ist die Empfindung langsam, aber tief. Ist zwischen den Begierden und ihren Gegenständen ein gewisses Verhältniss, gesetzt auch, dass sie zuweilen darüber hinausgehen sollen, so kann man Ordnung und Richtigkeit vermuthen. Auszum Grunde liegt, ist diese: Je besser und lebhafter die Bilder sind, die die Seele durch die Empfindungen erhält, desto größer ist das Vergnügen über dieselbe, und desto größer das Verlangen nach neuen. Die Begierde also, mit welcher wir gewisse Seelen immer neue und neue Gegenstände ihrer Emp findung aufsuchen sehen, und die Behendigkeit, die diese Begierde allen ihren Handlungen giebt, könnte ein Beweis von der Güte ihrer Empfindungen seyn, wenn nur diese Munterkeit nicht oft einer gewissen Beharrlichkeit entgegen wäre, welche jedem Eindrücke Zeit genug läßt, sich in die Seelen fest zu setzen, ehe ein neuer auf ihn folgt. Ein schneller Uebergang von einer Sache zur ändern zeigt freylich eine wirk same Seele, aber er [8] löscht zu leicht einen Eindruck durch den ändern aus, und zerstört die Wirkung, indem er den Gegenstand zu oft abändert. Man sieht also, wie leicht hier der Irrthum ist. Ein langsamer Fortgang von einem Gegenstände zum ändern, der bey Kindern oft für Dummheit angesehen wird, kann eben die Ursache ihres künftigen Ver standes seyn, weil er für ihn eine Reihe unterschiedner und sorgfältig gezeichneter Bilder sammlet. Und die Flüchtigkeit der ändern, über die man sich als eine unfehlbare Verkündigung eines fähigen Geistes freuet, verwirrt und vermischt diese Bilder, und giebt der Reflexion, wenn sie endlich ihr Amt anfangen will, nichts als ein Chaos von halbverlöschten und verworrnen Zügen, aus denen sich nichts zusammen setzen läßt. Die Kunst besteht also darinnen, zu unterscheiden, ob die Seele aus Trägheit und Verdrossen heit so schwer die alten Gegenstände verläßt, oder ob es aus einer gewissen Art von dunkler Betrachtung herrührt, die sie darüber anstellt. 4. Die unmittelbarsten Wirkungen der Empfindungen sind die Begierden. Man kann also diese brau chen, um auf jene zurückzuschließen; und da sich die Begierden eher als die Fähigkeiten entwickeln, so ist dieß auch der erste W eg der Untersuchung, die Talente aus den Leidenschaften zu beurtheilen. Sind diese rauschend und heftig, aber vorübergehend, so sind die Eindrücke in der Seele schnell, aber flüchtig. Sind sie ruhig, aber dauerhaft, so ist die Empfindung langsam, aber tief. Ist zwischen den Begier den und ihren Gegenständen ein gewisses [9] Verhältniß, gesetzt auch, daß sie zuweilen darüber hinaus gehen sollten, so kann man in den Begriffen Ordnung und Richtigkeit vermuthen. Ausschweifende oder
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schweifende und ganz verkehrte Leidenschaften, ohne alle wenigstens scheinbare Proportion mit dem Guten, auf das sie gerichtet sind, zeigen Zerrüttung und Un deutlichkeit in Bildern an. Ein Mangel aller Leidenschaften ist das untrüglichste Kennzeichen der Dummheit. 5) Für diejenige Klasse von Empfindungen ist das Vermögen der Seele am fähig sten, in der sie das Schöne am leichtesten und richtigsten unterscheidet. Wenn die sinnlichen Werkzeuge richtig, und die Seele nicht unfähig ist, so bringt das Schöne Vergnügen, und das Hässliche Verdruss hervor. Aber nicht bei allen Gegenständen ist diese Empfindung gleich stark. Ein Mensch, dem Alles gleichgültig, der das Schlechte und Gute mit gleicher Zufriedenheit aufnimmt, und auf den Harmonie, Ordnung und Schönheit keine Wirkung thun; dessen Eindrücke müssen an und für sich schlecht, unrichtig und schläfrig seyn; denn wenn dieses richtig ist, so ist die begleitende Empfindung unausbleiblich. Jede Seele hat die beste Anlage für die Gegenstände, wo sie am leichtesten und genauesten das Gute nicht nur vom Schlech ten, sondern auch vom Mittelmässigen unterscheidet, wo ihre Unterscheidungen die feinsten, und ihr Vergnügen und ihre Unlust die lebhaftesten sind. 1 Leidenschaften] Th: Leidenschaft ganz verkehrte Leidenschaften, ohne alle wenigstens scheinbare Proportion mit dem Guten, auf welches sie gerichtet sind, zeigen Zerrüttung und Undeutlichkeit in den Bildern an, die die Dinge von sich in der Seele abgedrückt hatten. Ein Mangel aller Leidenschaften ist das untrüglichste Kennzeichen der Dumm heit. 5. Aber die genaueste und schärfste Prüfung läßt sich durch die Beobachtung des Geschmacks an stellen. Für diejenige Klasse von Empfindungen ist das Vermögen der Seele am fähigsten, in der sie das Schöne vom Häßlichen am leichtesten und richtigsten unterscheidet. Nach der Einrichtung der Natur bringt, wenn die sinnlichen Werkzeuge richtig, und die Seele nicht unfähig ist, das Schöne Vergnügen, und das Häßliche Verdruß hervor. Aber nicht bey allen Gegenständen ist diese angenehme oder un angenehme Empfindung gleich stark. Das Auge eines Mahlers empfindet weit mehr Verdruß über eine unrichtige Gestalt, als sein Ohr über eine Disharmonie; hingegen sieht der Tonkünstler die abgeschmack teste Zeichnung ohne Ekel, und geräth bey falschen Tönen oder bey verfehltem Takte ausser sich. Man kann also diese Beobachtung auf zweyerley Art brauchen. [10] Einmal das Empfindungsvermögen überhaupt zu beurtheilen. Ein Mensch dem alles gleichgültig ist, der das Schlechte und Gute mit gleicher Zufriedenheit aufnimmt, und auf den Harmonie, Ordnung und Schönheit keine Wirkung thun; dessen Eindrücke müssen an und vor sich schlecht, unrichtig und schläfrig seyn: denn wenn das Bild von der Sache selbst richtig gefaßt ist, so ist diese begleitende Emp findung von Lust oder Unlust unausbleiblich. Zum ändern die Art von Gegenständen zu bestimmen, zu denen jede Seele die beste Anlage hat, näm lich für die, wo sie am leichtesten und genauesten das Gute nicht nur vom Schlechten, sondern auch vom Mittelmäßigen unterscheidet, wo ihre Unterscheidungen die feinsten, und ihr Vergnügen und ihre Un lust die lebhaftesten sind. Es würde diese Art von Prüfung weit vollkommner werden, wenn es möglich wäre, von jeder Art der sinnlichen Gegenstände dem Kinde die schönsten und vortrefflichsten vorzustel len, um an ihnen seine Empfindung zu prüfen. Wenigstens wäre es doch billig, anstatt das Auge und das Ohr des Kindes von Jugend auf an Mißgestalten und Disharmonie zu gewöhnen, und es gegen den natür-
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6) Aeussere Merkmale sind: die Structur der Werkzeuge. Ein lebhaftes feuriges und munteres Auge ist das Kennzeichen eines fähigen Geistes, denn es ist die Quelle der vornehmsten und meisten Empfindungen, und wie Milton sagt: das grosse Thor der Weisheit. - Die Munterkeit und das äussere Betragen, die Beweglichkeit und 5 Thätigkeit des Körpers ist die Folge eines geschäftigen Geistes; wie der Schlaf die Beraubung aller Empfindungen ist, so ist die Schläfrigkeit die Schwächung der selben. 7) Die Unfähigkeit eines jungen empfindenden Kopfs zu Erlernung abstracter Begriffe, oder der Wörter, die sie ausdrücken. Eine Seele, die mit wirklichen Bildern io von Dingen erfüllt ist, wird sich ungern von denselben zu blossen Worten weg wenden, die es nicht versteht; und je lebhaftere Eindrücke es bekömmt, mit desto grösserm Widerwillen wird es sich die Gewalt anthun, Sachen zu behalten, die ohne alle Eindrücke sind. Die Geschichte der Genies hat diess oft bestätigt, und oft das Urtheil ihrer ersten Schullehrer widerlegt. 15 Es ist nichts schwerer, als die Empfindungen Anderer zu beurtheilen oder zu ver gleichen. Nur aus dem, was die Seele mit den Empfindungen anfängt, kann man liehen Ekel davor abzuhärten, es lieber durch richtige Zeichnung und wohlklingende Töne schon zuvor einzunehmen, und ihm seine erste Vergnügungen zu einem Muster zu machen, nach denen es schlechtere beurtheilen und verwerfen lernte. [11] 6. Das wären also solche Kennzeichen der Empfindung, die selbst Ursachen oder Wirkungen der Sache sind, die sie bezeichnen. Es giebt aber andre, die mehr Anzeichen als Merkmale sind, die ganz auf der Oberfläche liegen, die bey den einzelnen Menschen am leichtesten bemerkt werden, und sich doch, weil sie so mannichfaltig und so veränderlich sind, am schwersten in eine allgemeine Regel verwandeln lassen. Das wichtigste dieser äußern Merkmale ist die Structur der Werkzeuge. Ein lebhaftes, munteres und feuriges Auge, ist daher immer mit Recht für das Zeichen eines fähigen Geistes gehalten worden, weil es die Quelle der vornehmsten und meisten Empfindungen, oder, wie Milton sagt, das große Thor der Weisheit ist. Die Munterkeit und das äußere Betragen, die Beweglichkeit und Thätigkeit des Körpers ist ein ander solches Merkmal. So wie der Schlaf die Beraubung aller Empfindung ist, so ist die Schläfrigkeit die Schwä chung derselben. (Dies wird noch einmal aus der Wechselwirkung von Seele und Körper begründet.) [12] 7. Aber ein Merkmal, welches seltner beobachtet wird, ist die Unfähigkeit eines jungen emp findenden Kopfs zu Erlernung abstracter Begriffe, oder der W örter die sie ausdrücken. (Bei scheinbarer Ungelehrigkeit verständiger Kinder sei entweder der ausgewählte Lehrstoff nicht für sie geeignet oder der Lehrer unterscheide nicht die Gabe des bloßen Behaltens von der Fähigkeit des Selbstdenkens.) Eine Seele, die mit wirk lichen Bildern von Dingen erfüllt ist, wird sich sehr ungern von denselben zu bloßen Worten weg wenden, die es nicht versteht; und je lebhaftere Eindrücke es bekommt, mit desto größerm Widerwillen wird es sich die Gewalt anthun, Sachen zu behalten, die ohne alle Eindrücke sind. Die Geschichte der Genies hat diese Anmerkung bestätigt, und oft das Urtheil ihrer ersten Schullehrer widerlegt. Nur noch zwey W orte über diese ganze Materie. Erstlich. Es ist nichts schwerer als die Empfindungen andrer zu beurtheilen oder zu vergleichen. Unsre Sprache drückt das sinnliche Bild blos durch den Namen des Gegenstandes aus. Jeder erin-[13]nert sich
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wissen, wie ein Anderer empfindet; und der Gebrauch, den jemand von den Bildern macht, die in seiner Seele gesammelt sind, zeigt am besten, wie diese Bilder beschaffen sind. Obgleich die Werkzeuge nicht verdorben seyn müssen, wenn die Empfindung gut seyn soll, so ist es doch falsch, dass sich die Stärke der letztem nach der Schärfe der erstem richtet. Ueberdiess ist es nicht der blosse Eindruck der Sache, sondern es 5 ist die Idee, die aus diesem Eindrücke herausgezogen wird, die den Stoff zu den folgenden Wirkungen der Seele giebt. Also ist die Beurtheilung der Empfindung etwas Anderes, als die blosse Beurtheilung des Sehens und Hörens; also kann diese nicht unmittelbar durch die Observation dessen, was das Kind, oder der Mensch von seinen Empfindungen sagen kann, geschehen; also ist kein anderes Mittel zu irgend io einer Kenntniss derselben zu kommen, als die Wirkungen und Folgen der Emp findungen kennen zu lernen. II. Die zweite Handlung der Seele ist die Wiederhervorbringung der Empfin dungen, entweder in eben der Form und Ordnung, in der wir sie gehabt haben, das ist das G edächtniss; oder getrennt und zusammengesetzt, die E in b ild u n gs- 15 kraft. also bey dem Worte an seine eigne Idee, aber keiner erfährt die Idee des ändern. Die Mittheilung der Ge danken besteht nicht sowohl darinnen, in dem ändern eben die Eindrücke hervorzubringen, die wir selbst haben, sondern nur die Eindrücke wieder zu erwecken, die durch eben die Gegenstände bey ihm hervor gebracht werden. Unsre sinnlichen Begriffe sind lauter Verhältnisse. Das Absolute in denselben könnte sich völlig ändern, und alle unsre Ausdrücke würden noch können dieselben bleiben, wenn nur die Aenderung durchgängig und auf eine gleichförmige Art geschähe. Um also zu wissen, wie empfindet ein andrer, müssen wir untersuchen, was fängt die Seele mit ihren Empfindungen an; und der Gebrauch, den jemand von den Bildern macht, die in seiner Seele gesammlet sind, zeigt am ersten, wie diese Bilder beschaffen sind. (Z. B. könne ein Maler das Besondere, das er sieht bzw. empfindet, nicht durch Worte mitteilen, sondern nur durch die Gestaltung im Bild.) [14] Zum ändern. Obgleich die Werkzeuge nicht verdorben seyn müssen, wenn die Empfindung gut seyn soll, so ist es doch falsch, daß sich die Stärke der letztem nach der Schärfe der erstem richtet. Was wir ein scharfes Auge nennen, ist nur ein Auge, das entferntere oder kleinere Gegenstände doch noch deutlich sieht. Es sieht also ohne Zweifel mehr auf einmal. Aber bey einer gewissen Größe und Nähe sieht das schwächere Auge eben so gut; Es bedarf also mehr Zeit, sich dieselbe Anzahl von sinnlichen Begriffen zu verschaffen, aber es gelangt endlich doch dazu; und oft besser, weil sein Gesichtskreis immer eingeschränkter und seine Aufmerksamkeit also weniger getheilt ist. Ueberdieß ist es nicht der bloße Eindruck der Sache, sondern es ist die Idee, die aus diesem Eindrücke herausgezogen wird, die den Stof zu den folgenden Wirkungen der Seele giebt. Also ist die Beurtheilung der Empfindungen etwas anders, als die bloße Beurtheilung des Sehens und Hörens; also kann diese Beurtheilung nicht unmittelbar durch die Observation dessen, was das Kind oder der Mensch von seinen Empfindungen sagen kann, geschehen; also ist kein andres Mittel zu irgend einer Kenntniß derselben zu kommen, als die Wirkungen und Folgen der Empfindungen kennen zu lernen. II. Die zweyte Handlung der Seele, die auf die Empfindungen zunächst folgt, ist die Wiederhervor bringung derselben, entweder in eben der Form und [15] Ordnung in der wir sie gehabt haben, das ist das G ed äch tn iß ; oder getrennt und zusammengesetzt, die E in b ild u n g sk raft. Beydes ist in ge-
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Es giebt ein gewisses blos behaltendes, und ein anderes, so zu sagen raisonnirendes Gedächtniss. Jenes könnte man Gedächtniss im engern Verstände, dieses die Gabe der Erinnerung nennen. Von jenem urtheilt man immer am ersten, und behauptet vielleicht nicht ohne Grund, dass es bei einem grossen Verstände selten sey; es erhält 5 die ehemaligen Eindrücke, und stellt sie der Seele, so oft sie will, in eben der Ordnung wieder vor, ohne dass sie dabei eine andere Bemühung hätte, als sich darauf zu rich ten. Man kann die Stärke dieses Gedächtnisses ziemlich richtig nach dem abmessen, was ein Mensch auswendig lernen kann. Das andere ist ein Erinnern, welches durch Reflexion geschieht, wenn die Seele io ihre ehemaligen Vorstellungen, wenn nur eine davon wieder lebhaft geworden ist, durch ihre Verbindung und Folge aufzuwecken weiss. Hier sind zwar die alten Ideen gewissermaassen verlöscht, aber diese Schwäche wird durch eine andere Kraft der Seele ersetzt, die Verbindung der Dinge einzusehen, und selbst verdunkelte Bilder durch ihre Bemühung wieder klar zu machen. Dieses Gedächtniss ist ein sehr sicheres 15 Kennzeichen, oder vielmehr ein Theil des Verstandes. Die Beschäftigungen, die man den Kindern gewöhnlich giebt, lassen nur über das erste urtheilen. W em beide 15 Beschäftigungen] Th: Beschäftigung
wisser Maaße eine unmittelbare Folge der Empfindung und eine nothwendige Vorbereitung zum Denken. Keine Fähigkeit scheint leichter zu erkennen zu seyn, als das Gedächtniß, weil man glaubt nur Ach tung geben zu dürfen, wie viel man behalten kann. Im Grunde aber ist die Untersuchung eben so schwer, und der Irrthum häufig, weil man gemeiniglich von dem Mangel einer gewissen Gattung von Gedächt nisse auf den Mangel des Gedächtnisses überhaupt schließet. Es giebt ein gewisses blos behaltendes, und ein andres, so zu sagen raisonnirendes Gedächtniß. Man könnte das erste das Gedächtniß im engern Verstände, und das andre die Gabe der Erinnerung nennen. Jenes ist das, wovon man am ersten urtheilt, und wovon man vielleicht nicht ohne Grund behauptet, daß es bey einem großen Verstände selten sey; es erhält die ehemaligen Eindrücke, und stellt sie der Seele, so oft sie will, in eben der Ordnung wieder vor, ohne daß sie dabey eine andre Bemühung nöthig hätte, als sich darauf zu richten. Man kann die Stärke dieses Gedächtnisses ziemlich richtig nach demjenigen abmessen, was ein Mensch auswendig lernen kann. Das andre ist ein Erinnern, welches durch Reflexion geschieht, wenn die Seele ihre ehemaligen Vor stellungen, wenn nur eine davon wieder lebhaft [16] worden ist, durch ihre Verbindung und Folge auf zuwecken weis. Dieses Gedächtniß setzt zwar voraus, daß die alten Ideen auf eine gewisse Weise ver löscht sind, aber es ersetzt diese Schwäche durch eine andre Kraft der Seele, die es anzeigt, die Kraft die Verbindungen der Dinge einzusehen, und selbst verdunkelte Bilder durch ihre eigne Bemühung wieder klar zu machen. Dieses Gedächtniß ist ein sehr sicheres Kennzeichen, oder vielmehr ein Theil des Ver standes. (Es folgt eine genauere Gegenüberstellung der beiden Arten von Gedächtnis.) [17] Man sieht also auch, warum man bey Kindern fast nur über das erste urtheilt. Alles womit man sie beschäftigt, und woran man ihre Fähigkeiten prüft, sind größtentheils Sachen, die ohne innere Ver bindung sind, und wo also kein ander Mittel ist, als daß man sie entweder auswendig wissen, oder ver gessen muß.
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Arten von Gedächtniss fehlen, der wird für seine Reflexion nur wenig Gegenstände, und also einen kleinen und eingeschränkten Verstand haben. III. Die E inb ild u ngskraft nimmt aus den Empfindungen einzelne Theile, und macht daraus ein neues Ganze. In einem höhern Grade nennt man sie die Gabe der Dichtung. Ihre Vollkommenheit beruht auf der Richtigkeit der Theile und ihrer Aehnlichkeit mit den Dingen, von denen sie genommen sind. Dann auf der Regelmässigkeit und Richtigkeit der Verknüpfung. Jeder Mensch baut sich zuweilen in seinen Gedanken eine kleine Welt auf, in der er wohnt, und in der er sich gefällt. Wenn diese gut geordnet ist, und eine Reihe von Möglichkeiten enthält, die Zusammen hängen, so ist die Imagination richtig; wenn die Bilder den wirklichen Empfin dungen an Stärke nahe kommen, so ist sie lebhaft, wenn sie zusammengesetzt einen höhern Grad der Vollkommenheit haben, als die Natur, aus der sie gesammelt sind, so ist sie erhaben. Bei dieser Fähigkeit zeigt sie vorzüglich die Bestimmung der Seele, und die Art von Gegenständen, für die sie geschaffen ist. Die stärkeren Empfin dungen lassen den stärksten Eindruck zurück, und die Verbindungen werden also auch am leichtesten und besten. Diese Werke der jugendlichen Einbildungskraft sind leicht zu erkennen, wo sie wirklich körperliche Theile zu einem Ganzen verbindet. Man darf nur darauf
W em beyde Arten von Gedächtniß fehlen, der wird für seine Reflexion nur wenig Gegenstände, und also einen kleinen und eingeschränkten Verstand haben. III. Die Einbildungskraft nimmt aus den Empfindungen einzelne Theile, und macht daraus ein neues Ganze. In einem höhern Grade nennt man sie die Gabe der Dichtung. Ihre Vollkommenheit beruht, wie einer jeden Zusammensetzung ihre, erstlich auf der Richtigkeit der Theile und ihrer Aehnlichkeit mit den Dingen, von denen sie genommen sind. Zum ändern auf der [18] Regelmäßigkeit und Richtigkeit der Verknüpfung. So erfodern die Mahler, bey dem was sie Ideal nennen, die genaueste Wahrheit und die getreueste Copie der Natur in den Theilen, und in dem Ganzen Wahl und Anordnung. Jeder Mensch baut sich zuweilen in seinen Gedanken eine kleine Welt auf, in der er wohnt, und in der er sich gefällt. Wenn diese gut geordnet ist, und eine Reihe von Möglichkeiten enthält, die Zusammen hängen, so ist die Imagination richtig; wenn die Bilder den wirklichen Empfindungen an Stärke nahe kommen, so ist sie lebhaft; wenn sie zusammengesetzt einen höhern Grad von Vollkommenheit haben, als die Natur, aus der sie gesammlet sind, so ist sie erhaben. Auf diese Art also können unsre Spielwerke uns unsre wesentlichen Vollkommenheiten aufklären. Diese Fähigkeit hat noch das eigne, daß sich bey ihr vorzüglich die Bestimmung der Seele, und die Art von Gegenständen zeiget, für die sie gemacht ist. Die Empfindungen, die die stärksten waren, lassen auch die stärksten Eindrücke zurück, und die Verbindungen werden also auch am leichtesten und besten. Durch diesen Weg zeigt zuweilen die Natur von selbst die Absicht mit ihrem Geschöpfe. Der künftige Bildhauer macht Menschen aus Leim, der junge Tonkünstler singt richtigere und künstlichere Melodien. Diese Werke der jugendlichen Einbildungskraft sind leicht zu erkennen, wo sie wirklich körperliche Theile zu einem Ganzen verbindet. Man darf nur [19] darauf Achtung geben, in welcher Gattung das
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Achtung geben, in welcher Gattung das Kind die grösste Empfindsamkeit, den rich tigsten Geschmack, und die beste Anordnung hat. Aber die Einbildungskraft, die blosse Bilder zusammensetzt, zeigt sich später und lässt sich leichter verkennen, und auf dieser beruht doch eigentlich die Fähigkeit zum Gelehrten oder zum schönen 5 Geist. Ausser diesen giebt es eine andere für den Philosophen oder den Erfinder der Philosophie; eine gewisse Kunst, glücklich zu rathen, durch die man weit entfernte Folgerungen der Wahrheit voraussieht, ohne sich aber der Schlüsse bewusst zu seyn, durch die man auf sie gekommen ist. Es giebt gewisse Augenblicke, wo es scheint, io als wenn in einen dunkeln Theil unserer Seele auf einmal Licht gebracht würde; die ganzen Ideen, die hier verborgen liegen, zeigen sich auf einmal, obgleich Zeit und Folge 1 Empfindsamkeit] Fehler Hegels oder Thaulows? Kind die größte Erfindsamkeit, den richtigsten Geschmack und die beste Anordnung hat. Aber die Ein bildungskraft, die bloße Bilder zusammensetzet, zeigt sich später und läßt sich leichter verkennen, und auf dieser beruht doch eigentlich die Fähigkeit zum Gelehrten oder zum schönen Geist. Man kennt gemeiniglich nur eine einzige Art von Einbildungskraft, die, welche sinnliche Bilder ver einigt, um neue Bilder hervorzubringen, die aus den Theilen der Körper neue Körper, aus Factis Facta, und aus einzelnen Erscheinungen in der Natur und beym Menschen eine ähnliche W elt und ähnliche Menschen zusammensetzt. Hier geben die Sinnen zuerst den Stoff, und ihnen wird auch zuletzt das Werk, wenn es vollendet ist, vorgestellt. Aber es giebt auch eine Einbildungskraft für den Philosophen, oder wenigstens für den Erfinder der Philosophie. Um zu einer neuen Wahrheit zu kommen, wenn sie nicht eine unmittelbare Folge einer schon bekannten ist, ist es unmöglich, die Art von deutlich gedachten Schlüssen zu brauchen, durch welche man diese Wahrheit, wenn sie erfunden ist, beweist. Wie will man den Weg zu einem Ziele abzeichnen, welches man noch nicht kennt? ... Hier muß der [20] schnelle Flug des Genies erst das unbekannte Land ausspähen, erst die fremde Gegend durchschaut haben, ehe der langsam fortschreitende Verstand seinen Weg antreten kann. Die Seele muß das Vermögen haben, die ganze Reihe mit einem Blick und einer Art von unmittelbarem Anschauen zu übersehen. Ideen, die entwickelt eine ganze Wissenschaft ausmachen, müssen sich zusammendrängen, ein Ganzes ausmachen, und sich gleichsam in ein Bild vereinigen. So wie es eine gewisse Divination giebt, durch die man künftige Begebenheiten voraussieht, ohne sich alle die Ursachen erklären zu können, aus denen man sie folgert: so giebt es eine gewisse Kunst glücklich zu rathen, durch die man weit hinaus liegende Ideen und ent fernte Folgerungen der Wahrheiten voraussieht, ohne sich aller der Schlüsse bewußt zu seyn, durch die man auf sie gekommen ist. Würde wohl in einem ändern Kopfe, als in Newtons seinem, der Fall eines Apfels die Idee eines neuen Weltsystems haben erregen können ? ... Unerklärlich scheint es in der That zu seyn, allgemeine Ideen, zu denen kein Bild in der Imagination gehört, auf gewisse Weise sinnlich klar zu denken: und doch ist diese Fähigkeit gewiß in der mensch lichen Seele. In einem geringem Grade [21] finden wir sie schon bey der Erlernung und Wiederholung der Wissenschaften. Man wird oft gewahr, daß, ehe man sich aller Theile eines allgemeinen Beweises, oder mit einem W ort alles dessen, was man von einer Sache weis, einzeln erinnert, man schon zum voraus auf gewisse Art empfindet, wie der Gang der ganzen Reflexion seyn wird. Und eben diese Vorausemp findung, wenn wir sie haben, macht uns alsdann die Aufklärung der einzelnen Theile leichter. Es giebt gewisse Augenblicke, wo es scheint, als wenn in einen dunkeln Theil unsrer Seele auf einmal ein Licht ge-
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dazu gehört, um sie einzeln nach und nach herauszuheben, und zum Bewusstseyn zu bringen. W o diese schnellen plötzlichen Aufklärungen öfter geschehen; wenn der Geist des Schülers den Beweisen seines Lehrers zuvorkommt, und das Ende des Raisonnements schon zum voraus fühlt, ehe ihn noch die Reihe der Schlüsse dahin geführt hat; bei wem einzelne Winke viel Gedanken veranlassen; wessen Verstand nicht immer durch alle Wendungen und Umschweife lauter unmittelbarer Fol gerungen fortschleicht, sondern zuweilen glückliche Sprünge thut: bei dem hat die Natur die Anlage zu dem grossen Lehrer, oder dem Erfinder der Wissenschaften gemacht. Wenn die Fabel oder Geschichte Mitleiden, Liebe, Hass, Bewunderung, Furcht, alle Arten von Leidenschaften in der Seele rege macht, so ist die Einbildungskraft gut. Die Entstehung dieser Leidenschaften hängt immer von einer gewissen idealen Gegenwart der Gegenstände ab, und diese wird von der Einbildungskraft gewirkt. Eine rührende Erzählung also mit Kaltsinn anhören; bei der Erzählung einer vortrefflichen That gleichgültig seyn; an dem Schicksale der Tugendhaften keinen Antheil nehmen; sich für keine Person oder für keine Art von menschlichen Voll kommenheiten interessiren, zeigt nicht blos ein unempfindliches Herz, sondern auch einen schwachen Kopf an. Die Seele muss ganz unfähig seyn, sich diese Art von Bil dern nur vorzustellen, wenn sie von ihnen gar keine Wirkung empfindet. Wenn man bei gewissen Kindern zuweilen eine plötzliche Freude, eine Furcht, eine Niedergeschlagenheit oder sonst eine Leidenschaft sieht, die sich aus ihren bracht würde; die ganzen Ideen, die hier verborgen liegen, zeigen sich mit einem male, ob gleich Zeit und Folge dazu gehört, um sie einzeln nach und nach herauszuheben, und zum Bewustseyn zu bringen. W o also diese schnelle plötzliche Aufklärungen öfter geschehn; wenn der Geist des Schülers den Be weisen seines Lehrers zuvorkommt, und das Ende des Raisonnements schon zum voraus fühlt, ehe ihn noch die Reihe der Schlüsse dahin geführt hat; bey wem einzelne Winke viel Gedanken veranlassen; wessen Verstand nicht immer durch alle Wendungen und Umschweife lauter unmittelbarer Folgerungen fortschleicht, sondern zuweilen glückliche Sprünge thut: bey dem hat die Natur die Anlage zu dem gro ßen Lehrer oder dem Erfinder der Wissenschaften gemacht. Die dichterische Einbildungskraft hat Merkmale, die auch schon in einem zarten Alter statt fin-[22] den. (So an erster Stelle die Anteilnahme an wohlgemachten Erdichtungen. Eine lebhafte Einbildungskraft werde vorgemalte Bilder leicht nachmalen, eine richtige Einbildungskraft die Ähnlichkeit mit der Natur leicht wahrnehmen.) Also, wenn die Fabel oder Geschichte, Mitleiden, Liebe, Haß, Bewunderung, kurz alle Arten von Leiden schaften in der Seele rege macht, so ist die Einbildungskraft gut. Die Entstehung dieser Leidenschaften hängt immer von einer gewissen idealen Gegenwart der Gegenstände ab, und diese wird von der Ein bildungskraft gewirkt. Eine rührende Begebenheit also mit Kaltsinn anhören; bey der Erzählung einer vortrefflichen That gleichgültig seyn; an dem Schicksale der Tugendhaften keinen Antheil nehmen; sich für keine Person oder für keine Art von menschlichen Vollkommenheiten intereßiren; zeigt nicht bloß ein unempfindliches [23] Herz, sondern auch einen schwachen Kopf an. Die Seele muß ganz unfähig seyn, sich diese Art von Bilder nur vorzustellen, wenn sie von ihnen gar keine W irkung empfindet. Weiter: wenn man bey gewissen Kindern zuweilen eine plötzliche Freude, eine Furcht, eine Nieder-
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gegenwärtigen Empfindungen nicht erklären lässt, so kann man daraus auf eine geheime Geschäftigkeit der Einbildungskraft schliessen, die ihre Wirkung äussert, ohne uns die Mittel dazu zu entdecken. In einem höheren Alter kann man leicht diese Kraft gleichsam auf der That ertappen, und sie bei ihrer geheimen Wirksamkeit überraschen; ja ihr selbst die Arbeiten vorschreiben, nach denen man sie beurtheilen will. Die natürlichsten Proben sind die Erzählung und die Erdichtung selbst. Solche Uebungen des Stils, die den fähigen Kopf am stärksten unterscheiden, und dem mittelmässigen die meiste Gelegenheit zum Unterricht geben, sollten bei der Er ziehung am meisten gebraucht werden. Aeussere Kennzeichen. Man findet oft bei Leuten von einer starken Einbildungs kraft eine Art von Zerstreuung und Abwesenheit von Gegenständen, die um sie sind. Denn sobald die einen Vorstellungen an Klarheit steigen, so sinken die ändern in eine tiefere Finsterniss; und jede Annäherung der Seele auf einen Gegenstand ist zugleich eine Entfernung von den übrigen. Auch die Fähigkeit der Seele, sich durch sich selbst zu beschäftigen, und selbst Ideen hervorzubringen, ist noch ein sicheres Kennzeichen von einer starken Ein7 Uebungen] Th: Uebergänge geschlagenheit sieht, die sich aus ihren gegenwärtigen Empfindungen nicht erklären läßt; so kann man daraus auf eine geheime Geschäftigkeit der Einbildungskraft schließen, die ihre Wirkungen äussert, ohne uns die Mittel dazu zu entdecken. (Wem die Gabe verliehen sei, außer der ihm gegebenen Welt noch viele andre in sich selbst zu bauen, der verliere sich oft in dieser erdichteten Welt.) In einem höhern Alter hat man so viele Mühe nicht nöthig, diese Kraft gleichsam auf der That zu ertappen, und sie bey ihrer geheimen Wirksamkeit zu überraschen; Man kann sie alsdann dazu auffodern, und ihr selbst die Arbeiten vorschreiben, nach denen man sie beurtheilen will. Die natürlichsten [24] Proben die man machen kann, sind die Erzählung und die Erdichtung selbst. (Schon die gute Beschreibung von wirklichen Begebenheiten oder von Erdichtungen anderer erfordere einen hohen Grad von Einbildungskraft, erst recht aber eine naturgetreue Erfindung von Personen, Begebenheiten usw.) Warum müssen also diejenigen Uebungen des Stils, die den fähigen Kopf am stärksten unterscheiden, und dem mittelmäßigen die meiste Ge legenheit zum Unterricht geben, warum müssen diese bey der Erziehung am wenigsten gebraucht werden ? Dieß sind die Aeußerungen dieser Fähigkeit durch ihre Wirkungen; es giebt noch andre, die mehr mit derselben beysammen zu seyn, als von ihr unmittelbar herzurühren scheinen, und die eben deswegen nur mit den ersten verbunden, den Schluß zuverläßig machen. Erstens: Man findet oft bey Leuten von einer starken Einbildungskraft eine Art von Zerstreuung und Abwesenheit von den Gegenständen, die um sie sind. Die Einrichtung der Natur hält zwischen dem dunkeln und dem hellen Theile unsrer Vorstellungen ein beständiges Gleichgewicht. So bald die eine [25] an Klarheit steigen, so sinken die ändern in eine tiefere Finsterniß; und jede Annäherung der Seele auf einen Gegenstand, ist zugleich eine Entfernung von den übrigen. Die Eindrücke also, die die äußern Gegenstände durch die Sinne auf uns machen, werden in eben dem Grade schwächer, in welchem andre Vorstellungen, die schon in der Seele da sind, stark sind. Auf diese Art kann die Einbildungskraft ihre Bilder zuweilen so lebhaft und so stark malen, daß die Seele auf eine Zeitlang der Empfindungen ganz vergißt, und sich dessen nicht bewußt wird, was um sie herum vorgeht. Zweytens, die Fähigkeit der Seele sich durch sich selbst zu beschäftigen, ist ein noch sicherers Kenn-
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bildungskraft oder Reflexion. Um desswillen haben von jeher die Dichter die Ein samkeit geliebt, weil sie sich das Vergnügen, was andere in der Gesellschaft suchen, und das sie ohne Hülfe der Sinne nicht erhalten können, durch ihre eigene Ein bildungskraft zu verschaffen wussten. Endlich eine gewisse Abneigung und Unfähigkeit bei Begriffen, wo keine Bilder 5 sind (abstracte) und ein schneller Fortgang in Allem, was auf die richtige Vorstellung eines Bildes ankommt, ist das letzte äussere Kennzeichen. Die Einbildungskraft entwickelt sich zuerst, der Verstand hernach. Ein Kind, das von einer schönen Fabel entzückt wird, und bei einem eben so schönen Beweise gähnt; das voll Munterkeit und Aufmerksamkeit ist, wenn es die Geschichte auf 10 einem guten Kupferstiche oder Gemälde erklären hört, und verdrossen und zerstreut wird, sobald man ihm allgemeine Wahrheiten vorträgt, das in seinen Spielen Erfind samkeit und in den Lernstunden Unfähigkeit zeigt, würde mir weit mehr Hoffnung machen, als ein anderes, das eine ganze Moral mit der grössten Geduld und der scheinbarsten Aufmerksamkeit anhört, und in der Grammatik eben so gern liest, 15 als im Robinson. Zeichen von einer starken Einbildungskraft oder Reflexion. (Wenn die Seele in sich selbst keine Gegenstände für ihre Beschäftigungen finde , so suche sie außerhalb danach.) W er also, sobald seine Geschaffte geendigt sind, unmittelbar nach Gesellschaft, nach Zerstreuungen und nach Vorrath von neuen Eindrücken schmachtet; wer nicht mehr denken kann, so bald seine Augen und seine Ohren nicht angefüllt sind, der muß selbst wenig Ideen hervorzubringen wissen. (Daher liebe der Pöbel alle Schauspiele.) [26] Um so viel größer das Vermögen der Seele ist, sich selbst alte Bilder wieder zu erneuern, oder dieselbe durch neue und noch nicht angestellte Verknüpfungen reizender zu machen: um so viel mehr kann sie des beständigen Anstoßes von außen entbehren. Um deswillen haben von je her die Dichter die Einsamkeit und die Einöde geliebt; nicht weil sie Feinde des Vergnügens oder der Gesellschaft waren; sondern weil sie sich das Vergnügen, was andre in der Gesellschaft suchen, und das sie ohne Hülfe der Sin nen nicht erhalten können, durch ihre eigne Einbildungskraft zu verschaffen wußten. Endlich eine gewisse Abneigung und Unfähigkeit bey Begriffen, wo keine Bilder sind, und ein schnel ler Fortgang in allem, wobey es auf die richtige Vorstellung eines Bildes ankommt, ist das letztere äußere Kennzeichen. Man hat angemerkt, daß eine sehr große Richtigkeit und Correction in den Werken des jugendlichen Witzes gemeiniglich das Zeichen eines geringen Genies ist. Man könnte eben so überhaupt ein zu früh zeitiges Nachdenken, und abstracte Betrachtungen, zu einer Zeit, wo die Seele noch mehr empfinden als denken sollte, zum Zeichen einer schwächern Seele annehmen. Nach der Ordnung der Natur [27] ent wickelt sich die Einbildungskraft zuerst, der Verstand hernach. So wie also bey gewissen Körpern, die zu schnell zur Reife kommen, der Bau schwach und die Kraft klein ist: so sind die Seelen, die nicht mit der gehörigen Langsamkeit eine Fähigkeit nach der ändern entwickelt und ausgebildet haben, beständig mittelmäßig. Ein Kind also, welches von einer schönen Fabel entzückt wird, und bey einem eben so schö nen Beweise gähnt; das voll Munterkeit und Aufmerksamkeit ist, wenn es die Geschichte auf einem guten Kupferstiche oder Gemälde erklären hört; und verdroßen und zerstreut wird, so bald man ihm allgemeine Wahrheiten vorträgt; das in seinen Spielen Erfindsamkeit, und in den Lernstunden Unfähigkeit zeigt: würde mir weit mehr Hoffnung machen, als ein andres, das eine ganze Moral mit der größten Geduld und der scheinbarsten Aufmerksamkeit anhört, und in der Grammatik eben so gerne liest, als im Robinson.
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IV. Aus diesen Materialien erbaut die V ernunft das System allgemeiner Begriffe, nach denen der Mensch sich und seine Geschäfte regiert. Die Vernunft abstrahirt, wenn dies manchmal geschieht, so heisst es nachdenken; und weil bei uns die Sprache schon eher diese abstracten Begriffe mit Worten verbunden der Seele liefert, ehe sie selbst zur Abstraction fähig ist, so beschäftigt sich nunmehr der Verstand zuerst damit, die Bedeutung der Worte zu bestimmen, und die wahre allgemeine Idee auf zusuchen, von welcher das Wort ein Zeichen seyn soll. Die Erlernung der Sprache hängt also mit der Vernunft zusammen, als ein Mittel; und der richtige Gebrauch derselben hängt davon ab, als Wirkung. Wer durch Worte denken und sich ausdrücken soll, muss allgemeine Begriffe haben, denn die Worte bezeichnen keine andere. Aber die Seele kann diese Begriffe auf eine doppelte Art haben. Entweder sucht sie nur in den einzelnen Fällen den Begriff auf, und begnügt sich, wenn sie in jedem vorkommenden neuem diese Merkmale wieder erkennen, und den Begriff anwenden kann. Oder sie sammelt diese Merkmale in eins, bezeichnet jedes mit einem Wort, und bemüht sich den allgemeinen Begriff abgesondert von den Fällen, aus denen er abgezogen ist, vorzustellen. Der erste macht sich das Wort und die Vorstellung deutlich, indem er eine geschwinde dunkle Uebersehung der Fälle anstellt, in denen es gebraucht wurde, der andere, indem er eine IV. Aus diesen Materialien nun endlich, die die Empfindung herbeygeschafft, das Gedächtniß bewahrt, die Einbildungskraft gesammlet hat, erbaut die Vernunft das System allgemeiner Begriffe, nach denen der Mensch sich und seine Geschaffte regieret. (Im Folgenden wird nach der Fähigkeit der Seele zu reflektieren und nach dem Verstand gefragt. Um der Fülle der jeweils nur auf einen einzelnen Gegenstand bezogenen Empfindungen Herr zu werden, habe der Mensch eines Mittels bedurft, das Gemeinsame und Bleibende aus vielen Empfindungen herauszuziehen und sich eine immer wiederholte Erfahrung zu ersparen; dieses Mittel sei die Abstraktion.) [29] Also, mehrere Empfindungen mit einander vergleichen; das, was in ihnen ähnlich ist, bemerken, dieses in einen Begriff sammlen, und das übrige alles, was unähnlich war, weglassen, das heißt Abstrahiren; und dieses mehrmalen wiederholt, heißt Nachdenken; oder weil bey uns die Sprache schon eher, diese abstracten Begriffe mit W orten verbunden, der Seele liefert, ehe sie selbst noch zur Abstraction fähig ist: so beschäftigt sich nunmehr die Vernunft zuerst damit, die Bedeutung der W orte zu bestimmen, und die wahre allgemeine Idee aufzusuchen, von welcher das W ort ein Zeichen sein soll. Die Erlernung der Sprache hängt also mit der Vernunft zusammen, als ein Mittel; und der richtige Gebrauch derselben hängt davon ab, als Wirkung. Man findet indessen hier doch einen sehr merklichen Unterschied. W er durch W orte denken, und sich ausdrücken soll, muß allgemeine Begriffe haben, das ist klar, denn die W orte bezeichnen keine andre. Aber die Seele kann diese Begriffe auf eine doppelte Art haben. Entweder sucht sie nur in den einzelnen Fällen den Begriff auf, und begnügt sich, wenn sie in jedem vor kommenden neuem Falle diese Merkmale wieder erkennen, und den Begriff anwenden kann. Oder sie sammlet diese Merkmale in eins, be-[30]zeichnet jedes mit einem Worte, und bemüht sich den all gemeinen Begriff abgesondert von den Fällen, aus denen er abgezogen ist, vorzustellen. Der erste macht sich das W ort und die Vorstellung deutlich, indem er eine geschwinde dunkle Uebersehung der Fälle anstellt, in denen es gebraucht wurde, der andre, indem er eine Erklärung davon macht.
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Erklärung davon macht. Man könnte jenes den praktischen, und dieses den theo retischen Verstand nennen. Der practische Verstand hängt mit der Einbildungskraft zusammen, oder ist vielmehr nur eine besondere Anwendung derselben. 1) Leute von dieser Art können sich sehr wenig über Sachen erklären, die sie doch recht gut verstehen, und recht glücklich ausführen, wenn sie sie unternehmen. Zur Erklärung gehören Worte, zu diesen Merkmale, die von ihren Gegenständen ab gesondert, und ohne sie gedacht und bezeichnet worden, kurz gerade das, durch dessen Mangel diese Art vom Verstände sich unterscheidet. Der Philosoph, der erklärt, vergisst über den Merkmalen, die er sammlet, die individuellen Umstände der Fälle, die doch in der Ausübung müssen mit zu Rathe gezogen werden, und sie verunglückt ihm also. Der arbeitende Künstler findet in dem Bilde, das ihm anstatt der Erklärung gegenwärtig ist, alle diese kleinen Umstände; aber er kann aus diesem Bilde nicht die einigen wenigen Theile herausnehmen, die das Uebrige würden kenntlich machen. 2) Die genaue Beobachtung des Schicklichen; die Uebereinstimmung in seinen Reden und Handlungen mit der Zeit, dem Orte und den Verhältnissen der Personen; Man könnte jenes den practischen, und dieses den theoretischen Verstand nennen. Der practische Verstand hängt mit der Einbildungskraft zusammen, oder ist vielmehr nur eine besondre Anwendung derselben. Ihr Werk ist es der Seele zugleich mit dem Worte, die Fälle herbey zu bringen, aus deren schneller und ihr selbst unbewußten Vergleichung sie jedesmal den Begriff von neuem hervorbringt. Die Kennzeichen von beyden werden sich also einander sehr ähnlich seyn. Erstens, Leute von dieser Art können sich sehr wenig über Sachen erklären, die sie doch recht gut verstehen, und die sie recht glücklich ausführen, wenn sie sie unternehmen. Der Grund ist augenschein lich. Zur Erklärung gehören Worte, zu diesen Merkmale, die von ihren Gegenständen abgesondert, und ohne sie gedacht und bezeichnet worden, kurz gerade das, durch dessen Mangel diese Art vom Ver stände sich unterscheidet. Man kann überhaupt zwey Arten von Menschen in der Welt bemerken. Einige wissen vortrefflich von Sachen zu sprechen, und können ihre ganze Theorie mit Genauig-[31]keit und Deutlichkeit vortragen, die ihnen doch mißlingen, so bald sie die Hand daran legen. Andere reden w^enig und verwirrt, und bringen sie zu Stande. Man thut sehr unrecht, wenn man die ersten als Schwätzer, und die ändern als bloße Handwerker ansieht. Die Fähigkeiten, die sie zu dem machen, was sie sind, sind von der Natur selbst unterschieden. Der Philosoph der erklärt, vergißt über den Merkmalen die er sammlet, die individuellen Umstände der Fälle, die doch in der Ausübung müssen mit zu Rathe gezogen werden, und sie verunglückt ihm also. Der Künstler welcher arbeitet, findet in dem Bilde, das ihm anstatt der Erklärung gegenwärtig ist, alle diese kleinen Umstände; aber er kann aus diesem Bilde nicht die einigen, wenigen Theile herausnehmen, die das übrige würden kenntlich machen, er kann also sich nicht erklären, als indem er die Sache zeigt. Wenn die ersten beständig zum Erklären und die ändern zum Ausüben bestimmt würden, so würde die Welt richtige Theorien und vortreffliche Werke zugleich erhalten. Zweytens. Ein ander Zeichen eines solchen practischen Verstandes ist die genaue Beobachtung des Schicklichen; die Uebereinstimmung in seinen Reden und Handlungen, mit der Zeit, dem Orte und
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eine gewisse grössere Aufmerksamkeit auf Alles, was zum menschlichen Leben gehört. Denn zu dieser Klugheit des gesellschaftlichen Lebens ist eine schnelle Uebersehung einer Menge von Gegenständen auf einmal, aber nicht die Ergründung eines ein zigen nöthig. Solcher Jünglinge Fortgang in der Wissenschaft ist sehr gering, aber 5 sie werden von der Welt und besonders von Leuten ihres Alters hervorgezogen, und von ihren Lehrern verachtet werden. 3) Diese Köpfe kommen daher auch bald zur Reife. Ihr Verstand erscheint mit der Einbildungskraft, und diese ist die unmittelbare Wirkung der Empfindungen. Ueberdiess finden sie allenthalben und alle Augenblicke Gegenstände, an denen sie io ihn üben. 4) Ein höherer Grad dieses Verstandes bringt die Gabe der Voraussehung hervor, da man künftige Begebenheiten voraussieht, ohne sich alle die Ursachen erklären den Verhältnissen der Personen; mit einem Worte, eine gewisse größre Aufmerksamkeit auf alles, was zum menschlichen Leben gehört. Man sieht viel junge Leute, die diese Gabe vollkommen besitzen, und [32] deren Fortgang in den Wissenschaften sehr geringe ist, die deswegen von der W elt und besonders von Leuten ihres Alters hervorgezogen und von ihren Lehrern verachtet werden. Die Ursache ist die: Zu dieser Klugheit des gesellschaftlichen Lebens, ist eine schnelle Uebersehung einer Menge von Gegen ständen auf einmal, aber nicht die Ergründung eines einzigen nöthig. Die Seele muß ihre Aufmerksam keit zwischen sehr vielen Dingen zu theilen, oder sie muß sich vielmehr von dem Ganzen ein richtiges Bild bis auf alle Kleinigkeiten zu machen wissen. Aber sie hat nicht nöthig, diese kleinen Umstände, die sie blos empfindet, und nach denen sie sich richtet, in Gedanken von den übrigen zu trennen, und auszu drücken. Und dieß ist drittens eben die Ursache, warum diese Art von Köpfen weit eher zur Reife zu kommen scheint, als die ändern. Ihr Verstand erscheint zugleich mit ihrer Einbildungskraft, und diese ist eine un mittelbare W irkung der Empfindungen. Ueberdieß finden sie jeden Augenblick und allenthalben Gegen stände, an denen sie ihn üben; ... (Daher iverde man über diese Art von Fähigkeit weit zeitiger urteilen können.) [33] Viertens. Ein höherer Grad dieses Verstandes bringt die Gabe der Vorhersehung hervor, die wir schon oben genannt haben, und die das eigentliche Talent zu Geschäften ausmacht. Die Zukunft liegt in dem Gegenwärtigen eingewickelt. Man muß dieses ganz übersehen können, um jene darinn zu finden. Wirkungen kann man nur aus ihren Ursachen kennen. Aber diese sind oft in so vielen Dingen zerstreut; viele davon so klein, so unmerklich, und doch in der Zusammenkunft so erheblich, daß es unmöglich ist sie zu bemerken, wenn man sie sich nicht anders als deutlich denken kann. Ein Kopf der immer zer gliedern und schlüßen muß; dessen Fähigkeiten nur die Dinge von derjenigen Seite fassen, von der sie sich deutlich machen lassen; wird diese kleinen Umstände übersehen, er wird sich blos an die Haupt ursachen halten, dieser ihre Kräfte untersuchen, und so genau er immer diese abgemessen haben kann, einen falschen Erfolg heraus bringen. Das ist die eigentliche Gränzscheidung zwischen Theorie und Praxis. Die erste nimmt keine andre als die größten, die in die Augen fallendsten Ursachen, und diese ergründet sie völlig; die andre nimmt alle Umstände zusammen, aber blos in einem Bilde. W er also auf diese anschauende Art denken kann, wessen Seele eine Menge verwickelter Begebenheiten zugleich zu umfassen im Stande ist, wessen Beobachtung so genau ist, daß er unter der Menge doch nicht [34] die klein sten Umstände übersieht; wer endlich alle diese Beobachtungen so schnell und so fertig anwenden kann, daß er augenblicklich aus ihnen den Erfolg zieht, ohne sich selbst seines Schlusses bewußt zu seyn: das ist der Mann, der den entscheidenden Augenblick in der Schlacht oder im Cabinet treffen wird, und dessen Entschlüsse zugleich schnell und sicher seyn werden.
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zu können, aus denen man sie folgert. Die Gründe liegen in dem Bilde, das sie haben, und dieses Bild können sie Niemand mittheilen, weil Worte nur immer gewisse Theile, niemals den ganzen Eindruck bezeichnen. 5) Ein Mensch von solchem Verstände kann endlich über Begebenheiten, Per sonen und Handlungen richtige Urtheile fällen, ungeachtet er verlegen ist, wenn er 5 die Eigenschaften, die er den Dingen beilegt, erklären oder die Gründe anführen soll, warum ihnen dieselbe zukommen. Er ist deswegen ein genauer Beobachter der Unschicklichkeit in dem Betragen Anderer, empfindet das Lächerliche leicht und geschwind, und wird also zur Satyre oder zur Spötterei mehr als andere Köpfe auf gelegt seyn. Das Lächerliche ist das Ungereimte in Kleinigkeiten. 10 6) Die andere Gattung von Verstand gehört eigentlich für die Wissenschaften, sie ist ein philosophisches Genie, ein gewisser Trieb, der zugleich mit Fähigkeit ver bunden ist, das Individuelle auf’s Allgemeine zurückzuführen, und dieses Allgemeine zu einem abgesonderten Gegenstände seiner Betrachtung zu machen. Eine Seele, die diese Fähigkeit besitzt, indem sie durch die Sprache die Anzahl von Begriffen erhält, 15 6 Eigenschaften] Th: Eigenschaft Eben daher rührt bey diesen Leuten die feste Ueberzeugung, mit der sie die Gewißheit eines Erfolgs vorhersehen, dessen Gründe sie doch nicht angeben können. Diese Gründe liegen in dem Bilde, was sie haben, und dieses Bild können sie niemand mittheilen, weil W orte nur immer gewisse Theile, niemals den ganzen Eindruck bezeichnen. (Nach Platon sei den Staatsmännern die Gabe, das Zukünftige ohne Schlüsse zu entscheiden, mit den Wahrsagern gemeinsam.) Fünftens. Diese Art von Verstand macht endlich, daß der Mensch über Begebenheiten, Personen und Handlungen richtige Urtheile fällen kann, [35] unerachtet er verlegen ist, wenn er die Eigenschaften, die er den Dingen beylegt, erklären, oder die Gründe anführen soll, warum ihnen dieselbe zukommen. Er ist deswegen ein genauer Beobachter der Unschicklichkeit in dem Betragen anderer, empfindet das Lächerliche leicht und geschwind, und wird also zur Satyre oder zur Spötterey mehr als andre Köpfe aufgelegt seyn. Eben dieser Geist der Observation, der ihn fähig macht, selbst alle diese kleinen Verhält nisse zu wissen, um sie zu beobachten, macht ihn auch zugleich aufmerksam, wenn andre sie aus den Augen setzen. Das Lächerliche ist das Ungereimte in Kleinigkeiten. Eine Seele, die nur immer auf das Große, auf gewisse Hauptbegriffe, auf ganze Summen von Merkmalen geht, übersieht diese kleinen Mishelligkeiten oder vergißt sie augenblicklich. Von dem ändern, der nicht über die Sachen grübelt, sondern sie nur an sieht, werden sie gefaßt und behalten. Die Seele des ersten ist ein Maler, der die großen Züge allein ab sondert, und durch sie das Bild entwirft, die Seele des ändern ist ein Spiegel, der die Sache ganz wie sie ist, mit allen ihren kleinsten Flecken darstellt. Die andre Gattung von Verstand, die raiso n n iren d e, wenn ich so sagen darf, gehört eigentlich für die Wissenschaften, und verdient also am meisten unsre Aufmerksamkeit. Sie ist nichts anders als ein philosophisches Genie, ein gewisser Trieb, der zugleich mit Fähigkeit verbunden ist, das Individuelle aufs allgemeine zurückzuführen, und dieses Allgemeine zu [36] einem abgesonderten Gegenstände seiner Betrachtung zu machen. Diese Fähigkeit äußert sich zuerst dadurch, daß die Seele, die sie besitzt, indem sie, durch die Sprache, die Anzahl von Begriffen erhält, die ungefähr den Umfang dessen ausmachen, was man bon sens oder
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die ungefähr den Umfang des [so] genannten bon sens oder den Menschenverstand ausmachen, beruhigt sich nicht bloss dabei, diese Begriffe klar zu haben, sondern verlangt von jedem Worte Beschreibung und Erklärung, weil bei dieser Seele die Einbildungskraft weder stark noch ausgebreitet ist, und also die Seele sich den Begriff 5 des Worts nicht durch die Erinnerung der Fälle auf klären kann. Weil zu dieser Fähigkeit eine wiederholte Vergleichung, und eine langsame Sammlung der Aehnlichkeiten gehört, so entwickelt sie sich später, und ein Kind von der Art kann in den ersten Jahren als ein Dummkopf scheinen. Alle Begriffe, die die Seele anders nicht als klar denken kann, die mehr gefühlt als gesagt werden können, kommen bei ihm io später, und sind selten richtig genug. Hingegen Alles, wo sich die Merkmale von dem Dinge absondern, kurz was sich erklären und lehren lässt, begreift es schnell, und ist im Kurzen im Stande, es wieder mitzutheilen. Der Geschmack ist ein dunkles Gefühl des Schönen. Einige Theile davon lassen sich in Begriffe auflösen, und sind deswegen der Erklärung und einer Theorie fähig, den Menschenverstand nennt, sich nicht dabey beruhigt, diese Begriffe blos klar zu haben, sondern von jedem W orte Beschreibung und Erklärung verlangt. Jede Seele ist bemüht, Gedanken in sich hervor[zujbringen. Es ist also natürlich, daß, wenn sie ein Zeichen von einer Sache bekommt, die sie so sehr wünscht, sie diese Sache selbst sucht. Die Einbildungskraft kam den Köpfen von der ersten Art in diesem Falle zu Hülfe, und stellte ihnen geschwind einen einzelnen Fall, eine Begebenheit vor, wo dieses W ort hingehörte, und gab ihnen also vor eine Idee ein Bild. Aber bey unsrer Gattung von Köpfen, ist die Ein bildungskraft weder stark noch ausgebreitet, also kann die Seele sich den Begriff des Worts nicht durch die Erinnerung der Fälle aufklären; sie wünscht also die Bestimmungen, die in den Fällen liegen, und die eigentlich allein zu diesem W orte gehören, schon abgesondert, schon aus ihrer Verwickelung mit dem übrigen herausgehoben, schon mit einander zusammengesetzt. Mich deucht, ich brauche nicht erst auf eine Erfahrung zurück zu führen, die alle Tage gemacht wer den kann. Einige Kinder fodern von jedem neuen Worte eine Erklärung, und diese führet sie erst [37] zur Aufmerksamkeit auf die Sache. Die ändern observiren ganz in der Stille, und kennen schon die Sache eher, zu der das W ort gehört, ehe man ihnen noch das W ort selbst gesagt hat. Die Folge also hieraus muß gerade die entgegengesetzte von derjenigen seyn, die wir oben aus einem entgegenstehenden Grunde zogen. Diese Fähigkeit muß sich viel später entwickeln; weil zu der ersten nur Empfindung und Erinnerung, zu dieser eine wiederholte Vergleichung, und eine langsame Samm lung der Aehnlichkeiten gehört. Ein Kind von dieser Art kann also in den ersten Jahren sehr leicht ein Dummkopf zu seyn scheinen. Abstractionen hat es noch nicht Zeit genug gehabt zu machen; und die Einbildungskraft ersetzet bey ihm diesen Mangel nicht durch die Erinnerung der Fälle. Um eben dieses Bedürfnißes willen verlangt es Erklärungen; weil es sonst bey dem W orte nichts als einen leeren Schall hört. Die Seele ist also in dieser Zeit beständig wirksam, aber ihre Arbeit ist noch unvollendet; und erst der Erfolg kann entscheiden, ob ihre Kraft sich nur deswegen verbarg, weil sie innerlich geschäfftig war, oder weil sie durch ihre Schwäche eingeschränkt wurde. In allen Sachen, wo es keine Abstraction durch Worte giebt, ist der Fortgang eines solchen Kopfs langsam. Alle diese Begriffe, die die Seele anders nicht als klar denken kann, die mehr gefühlt als ge sagt werden können, kommen bey ihm spät und sind selten richtig genug. Hingegen alles wo sich die [38] Merkmale von dem Dinge absondern, wo sie sich unter einen Begriff und in ein W ort fassen lassen, kurz was sich erklären und lehren läßt, begreift er schnell, und ist in kurzem im Stande es wieder mitzutheilen.
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wie bei einem Gedicht die Erfindung und die Anordnung, die Richtigkeit der Bilder und die Genauigkeit des Ausdrucks; bei einem Gemälde die dichterischen Schön heiten, der Ausdruck der Leidenschaften. Andere sind zu sehr im Ganzen verstreut, zu vielfach und zu zusammengesetzt, als dass sie gedacht werden könnten, wenn man sie nicht mehr empfindet. Wie bei einem Gedicht Schönheit der Harmonie, die Uebereinstimmung des Ganzen oder der Ton, der überhaupt darin herrscht, bei Gemälden die mechanischen Schönheiten, die Wirkung des Lichts oder die Har monie der Farben. Die Art der Geister, von denen wir reden, werden mit der ersten Art weit leichter bekannt werden, als mit der letztem, wo ihr Gefühl durch kein Raisonnement geleitet oder unterstützt werden kann. Unter die letzte Art von Sachen gehören auch die ganzen Gesetze des Wohlstandes und der Lebensart; die Klugheit in den Geschäften des täglichen Lebens; die beständige Rücksicht auf den Charakter, die Verhältnisse und die Umstände der Person, mit der man zu thun hat. Sie werden sich ferner mit den allgemeinen Gesprächen einer grossen Gesellschaft schlecht behelfen, wo nicht ergründet, Alles nur berührt wird; aber in einer Unterredung mit einer einzelnen Person, wo unbestimmte Materie der Vorwurf ist, vor trefflich seyn können. Ein solcher zergliedernder Kopf, wenn er einmal sich entDer Geschmack ist ein dunkles Gefühl des Schönen. Einige Theile davon lassen sich in Begriffe auflösen, und sind deswegen der Erklärung und einer Theorie fähig. Andre aber sind zu sehr im Ganzen verstreut; zu vielfach und zusammengesetzt, als daß sie gedacht werden könnten, wenn man sie nicht mehr empfindet. Die Art von Geistern, von der wir reden, werden also mit der ersten Gattung von Schön heiten weit leichter bekannt werden, als mit der letzten; wo ihr Gefühl durch kein Raisonnement geleitet oder unterstützet werden kann, wird es mangelhaft oder unsicher seyn; Sie werden als Kunstrichter die Erfindung und die Anordnung eines Gedichts, die Richtigkeit der Bilder und die Genauigkeit des Aus drucks geschwinder einsehen, als die feinen Schönheiten der Harmonie, die Uebereinstimmung des Gan zen, oder den Ton, der überhaupt darinne herrscht. Von einem Gemälde werden sie die dichterischen Schönheiten, weit eher als die mechanischen finden; der Ausdruck der Leidenschaften wird von ihnen besser bemerkt werden, als die Wirkungen des Lichts oder die Harmonie der Farben; und ihre Entschei dung wird oft von des Malers seiner unterschieden seyn. Unter diese Sachen, die nicht erklärt, sondern nur gefühlt werden können, wie sie seyn müssen, ge[39]hören fast die ganzen Gesetze des Wohlstandes und der Lebensart; die Klugheit in den Geschafften des täglichen Lebens; die beständige Rücksicht, bey allem, was man sagt oder thut, auf die Charakter, die Verhältnisse und die Umstände der Person, mit denen man zu thun hat. In diesen allem wird unser junger Philosoph von dem blos gemeinen Verstände des ändern über troffen werden. Dieses hat noch eine andre Folge. Er wird sich mit dem allgemeinen Gespräche in einer großen Ge sellschaft schlecht behelfen, und wird doch in einer Unterredung mit einer einzeln Person, wo eine be stimmte Materie der Vorwurf ist, vortrefflich seyn können. Bey dem ersten ist ein Gemisch von tausend abgebrochenen und zerstückten Gedanken; ein beständiger Uebergang von einem Gegenstände zum ändern. Man will durchaus nichts ergründet, sondern alles nur berührt haben. (Im Folgenden werden das gesellschaftliche Gespräch und die Einzelunterredung noch näher beschrieben und nochmals begründet, warum der philosophische Kopf für das erstere so wenig geeignet ist.) [41] Aber eben aus diesem Geiste der Zergliederung folgt, daß, wenn sich dieser Kopf einmal ent
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wickelt hat, lässt sich dann viel richtiger abmessen. Seine Begriffe müssen schlechter dings entweder völlig entwickelt, oder dunkel seyn. Für solche Köpfe ist die Mathe matik ein wahrer Probierstein. Auch werden sie jedes Factum sogleich zu erklären und seine Ursache anzugeben, es auf seine Möglichkeit zurückzuführen, es mit ihren Grundsätzen zu verbinden und daraus entweder ihre alten Begriffe [zu] bestätigen oder neue abzuziehen suchen. Ihre Methode ist oft, aus einem einzelnen Falle, oder aus wenig (weil der schleichende Gang durch so viele Erfahrung und Beobachtung und immer neue Vergleiche oft zu langsam ist) den allgemeinen Begriff herauszuziehen, und nun ohne Anstand aus diesem die übrigen Fälle zu erklären. Diess hat die Systemmacher, die eingeschränk ten Kunstrichter und die einseitigen Moralisten hervorgebracht. Ein zweiter Abweg ist das Subtilisiren. Wenn der Philosoph Begriffe auflösen will, die entweder zu wickelt hat, er sich durch seine Werke weit richtiger abmessen läßt. Er wird das was er weiß, allemal ausdrücken und mittheilen können. Seine Begriffe müssen schlechterdings entweder völlig entwickelt oder dunkel seyn. Die bloße Klarheit des Anschauens, die die Gegenstände in der Seele erleuchtet, ohne sie aufzulösen, ist für ihn nicht gemacht. Was er also nicht zu sagen weiß, davon hat er auch gewiß keine Vorstellung. Die reine Mathematik ist ein rechter Probierstein für diese Köpfe. (Dies wird aus der rationalen Struktur der mathematischen Wissenschaft näher begründet.) [42] Diese Köpfe unterscheiden sich gemeiniglich im Umgange noch durch ein ander Merkmal. Sie sind beständig damit beschäftigt, von allen Begebenheiten die Ursachen anzugeben, dahingegen die ändern sich mit der bloßen Wirklichkeit des Facti und mit der Kenntniß der Umstände beruhigen. (Es folgt ein Beispiel.) Die ersten wissen mit einem bloßen Facto nichts anzufangen, wenn sie es nicht gleich auf seine Möglichkeit zurückführen, es mit ihren Grundsätzen in Verbindung bringen, und daraus ent weder ihre alten Begriffe bestätigen, oder neue abziehen können. Die ändern verlangen nichts als ein ge treues und vollständiges Bild von der Sache; das Anschauen desselben lehret sie alsdann auf künftige Fälle eben das, was jenen seine Schlüsse. ... Man kann zuweilen die Fähigkeiten der Seele durch ihre Fehltritte erkennen. Oder vielmehr, gewisse Fähigkeiten sind einer Unrechten Anwendung so sehr unterworfen, daß man bey aller Ueberzeugung, daß man sie besitzt, doch noch mit einer großen Behutsamkeit von der ändern urtheilen muß. Z. E. [43] weil diesen Köpfen der schleichende Gang von einer Erfahrung zur ändern, um daraus endlich, durch vielfältige Beobachtungen und immer neue Vergleichungen, die abstracten Begriffe zu sammlen, oft zu langsam ist: so ist ihre Methode, aus einem einzelnen Falle, oder aus wenigen, den allgemeinen Begriff herauszuziehn, und nun ohne Anstand aus diesem Begriff die übrigen Fälle zu erklären. Dieses ist es, was die Systemmacher hervorgebracht hat, die aus einzelnen Beobachtungen gleich Gesetze der Natur machen, und durch eine einmal zugetroffne Hypothese alle Erscheinungen der Welt erklären; die eingeschränkten Kunstrichter, die die freye Wahl des ersten Genies in eine Regel für alle künftige verwandeln, und dem Vergnügen verbieten, aus ändern Quellen zu fließen, als aus denen sie es schon gekostet haben; die einseitigen Moralisten, die immer die menschliche Natur und die ihrige ver mischen, und alle Erfahrungen unter das Joch der Grundsätze bringen, die gar nicht mit Hülfe dieser Er fahrungen waren gemacht worden. Ein andrer Abweg dieser Köpfe ist das Subtilisiren. So bald der Zergliederer Körper theilen will, die entweder zu dicht sind und zu fest Zusammenhängen, um sich trennen zu lassen; oder zu klein um gefaßt zu
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verwickelt und zu individuell sind, um einer ändern Erklärung als des Vorzeigens fähig zu seyn; oder zu einfach und schon zu weit zergliedert, so ist seine Arbeit nicht blos vergeblich, sondern auch schädlich. Ein richtig philosophirender Jüngling wird sich durch eine besondere Methode in seinem Gespräche unterscheiden; alle seine Gedanken werden einander unter geordnet, und die Verhältnisse, in denen seine Ideen fortgehen, werden immer genauer und wesentlicher seyn. Aber deswegen scheinen seine Vorstellungen oft seltsam, widersinnig oder mit dem Gegenstände unzusammenhängend, entweder weil er seine Betrachtungen zu weit hinausgeführt hat, und der Gedanke, den er vor bringt, erst durch viele Mittelglieder mit der gegenwärtigen Sache oder Begeben heit zusammenhängt, die er oft zu sagen vergisst, und die die ändern nicht ergänzen können, oder weil er zu weit zu den Principien zurückgeht, und seine Reflexion erst durch eine Menge von ändern vorbereiten muss, deren Absicht man nicht errathen kann. So zeigt sich diese Fähigkeit in dem Umgang und dem gesellschaftlichen Leben; aber ganz uneingeschränkt und unverdunkelt bei der Erlernung der Wissen schaften. Das erste Merkmal eines verständigen Lehrlings ist die Fähigkeit und die Neigung zu eignen Betrachtungen. Die Verschiedenheit der menschlichen Geister bringt un2 zergliedert] Th: vergliedert werden, so ist seine Kunst vergeblich. Und wenn der Philosoph Begriffe auflösen will, die entweder zu verwickelt und zu individuell sind, um einer ändern Erklärung als des Vorzeigens fähig zu seyn; oder zu einfach und schon zu wreit zerglie-[44]dert, um noch eine neue Auflösung zuzulassen: so ist seine Ar beit nicht blos vergeblich, sondern auch schädlich. (Daraus seien in der Philosophie Sophismen und Spitz findigkeiten entstanden.) Aber nun noch einmal zu unserm richtig philosophirenden Jünglinge zurück, der diese Abwege ver meidet. Er wird sich noch durch eine gewisse Methode in seinen Gesprächen unterscheiden; alle seine Gedanken werden einander untergeordnet, und die Verhältniße, in denen seine Ideen fortgehen, wer den immer genauer und wesentlicher seyn. Aber eben deswegen scheinen seine Vorstellungen oft selt sam, widersinnig, oder mit dem Gegenstände unzusammenhängend, entweder weil er seine Betrachtungen zu weit hinausgeführt hat, und der Gedanke, den er vorbringt, erst durch viele Mittelglieder mit der ge genwärtigen Sache oder Begebenheiten zusammenhängt, die er oft zu sagen vergißt, und die die ändern nicht ergänzen können; oder, weil er zu weit zu den Principien zurückgeht, und seine Reflexion erst durch eine Menge von ändern vorbereiten muß, deren Absicht man nicht errathen kann. So also zeigt sich diese Fähigkeit in dem Umgange und im gesellschaftlichen Leben. [201] Die höhern Verstandskräfte und den Geist der Untersuchung durch die gewöhnlichen Aeußerungen im gesellschaftlichen Leben kennen zu lernen, ist schwer, weil er hier außer seiner eigentlichen Sphäre ist, und ihn viele Hindernisse entweder zurückhalten oder unbrauchbar machen; aber bey der Erlernung der Wissenschaften zeigt er sich uneingeschränkt und unverdunkelt. Das erste Merkmal eines verständigen Lehrlings ist die Fähigkeit und die Neigung zu eignen Be trachtungen. Die Verschiedenheit der menschlichen Geister bringt unausbleiblich auch in ihre ähnlichsten
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ausbleiblich auch in ihre ähnlichsten und übereinstimmendsten Begriffe eine grosse Verschiedenheit, sobald nur diese Begriffe nicht bloss Wiederholung eines einzigen sind. Von zwei Menschen, die durchaus einerlei über eine Materie denken, hat gewiss nur einer oder gar keiner gedacht; es muss ihnen ein fremdes Gepräge seyn auf5 geprägt worden, ihre eigene Gestalt würde Unähnlichkeiten haben. Man sieht oft, dass junge gute Köpfe die streitsüchtigsten sind; nur muss dieser Widerspruch die Folge von wirklich angestellten Untersuchungen seyn, nicht die Absicht derselben. Ein Theil der Sprache, die gemeiniglich unser erstes Studium ist, ist willkürlich, der andere philosophisch und beruht auf den Verhältnissen der io Begriffe. Von dem blos nachdenkenden Geiste wird der erste schwer gefasst; er hat nichts, woran er sich halten kann; alles Vergessne ist verloren. Aber der andere wird ihm leicht. Bei Versuchen im Schreiben wird es ihm oft an Ausdrücken und Wörtern fehlen, aber er wird dem Genie der Sprache weniger Gewalt anthun; er wird viele willkürliche Regeln der besondern Grammatik übergehen können; aber keine sol15 chen, die in allen Sprachen Ungereimtheiten wären. und übereinstimmendsten Begriffe eine gewisse Verschiedenheit, sobald nur diese Begriffe nicht bloße Wiederholungen eines einzigen sind. Von zwey Menschen die durchaus einerley über eine gewisse Ma terie denken, hat gewiß nur einer oder gar keiner gedacht; es muß ihnen ein fremdes Gepräge seyn auf gedrückt worden, ihre eigne Gestalt würde Unähnlichkeiten haben. Ein junger Mensch also, bey dem sich die Fähigkeit des Nachdenkens zuerst entwickelt, wird seines Lehrers Untersuchung mehr zur Ge legenheit als zum Muster seiner eignen brauchen. Wenn er mit ihm zusammentrifft, so wird er die nun mehr erlernten Be-[202]griffe als die seinigen mit dem vollen Bewußtseyn des Eigenthums annehmen und bewahren; wenn er von ihm abgeht; so wird er eben so dreist verwerfen, und wenn man ihn belehren will, reich an Zweifeln und Einwürfen seyn. Man sieht so oft, daß gute junge Köpfe streitsüchtige Köpfe sind. W enn dieser Widerspruch die Folge von wirklich angestellten Untersuchungen, und nicht die Absicht derselben ist; wenn er blos von einer freyen und durch kein Ansehen des Lehrers eingeschränk ten Beurtheilung herrührt, ohne zuvor schon beschlossen worden zu seyn, ehe man noch geprüft hatte: so ist er eine Uebung für den Schüler, und eine Probe seiner Fähigkeiten. In diesem Fall giebt es, wie Plato sagt, für die Irrenden keine andre Strafe, als die, belehrt zu werden. - (Wenn aber der Widerspruch aus bloßer Eitelkeit erfolge, so könne dies den Kopf verderben und in leere Disputierkünste ausarten.) Die Erlernung der Sprachen ist gemeiniglich unser erstes Studium; also wird sie auch die erste Ge legenheit für den Lehrer seyn, die Köpfe seiner Schüler zu untersuchen. Ein Theil der Sprache [203] ist willkührlich, und kann blos von dem Gedächtnisse gefaßt werden; der andre ist philosophisch und be ruht auf den Verhältnissen der Begriffe. Von dem blos nachdenkenden Geiste wird der erste schwer ge faßt; er hat nichts woran er sich halten kann; und alles vergeßne ist verlohren. Aber der andre wird ihm leicht; er kommt geschwind mit der Abstraction gewisser allgemeinen Regeln der Anordnung und Ver bindung der Begriffe zu Stande, die er, ohne es zu wissen, bey der Erklärung der Stellen zum Grunde legt, die er nicht nach den Bedeutungen aller einzelnen Wörter versteht; ein lebhaftes Gefühl vom Zusammen hänge, macht ihm beständig das Unrichtige oder das Mangelhafte seiner Erklärungen merklich, und hilft ihn oft zum voraus schon dasjenige muthmaßen, was er durch die Auslegung finden soll. Bey einer ge wissen Fertigkeit in der Sprache, bey welcher er schon Versuche im Schreiben machen kann, wird es ihm oft an W örtern und Ausdrücken fehlen, aber er wird dem Genie der Sprache weniger Gewalt anthun; er wird viele von solchen Sprachfehlern begehn können, die blos willkührliche Regeln der besondern Grammatik übertreten, aber keine solchen, die in allen Sprachen Ungereimtheiten wären.
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Eben so hat jeder andere Gegenstand des Wissens und Thuns eine doppelte Seite, eine für den Fleiss und das Gedächtniss, eine andere für die Reflexion und den Verstand. Ob man gleich in der ersten Erziehung nicht schon der Wissenschaft einen ausschliessendern Vorzug geben darf, die man nach der Wahl oder nach der Fähigkeit des Lehrlings als sein künftiges Studium ansieht, theils um nicht dadurch den Kopf zu sehr einzuschränken, wenn man seinen natürlichen Hang durch eine zu frühzeitige Befriedigung noch verstärkte, theils weil keine Ausübung einer menschlichen Fähig keit ohne einen gewissen Grad von Vollkommenheit in den übrigen vortrefflich oder auch nur brauchbar werden kann; so ist es doch sehr unrecht, dass, wenn man auch mit dem grössten Theil junger Leute einerlei Wissenschaften treiben darf, man von ihnen einerlei fordert, und man ihren Fleiss oder ihre Tüchtigkeit gerade nach einerlei Art des Fortganges beurtheilt. Der junge Mensch vom grössten Verstände wird in diesem Alter am meisten zurückgesetzt, weil man auf das, was er besser als Andere in seinen Arbeiten leistet, als auf ein Nebenwerk oder etwas Ueberflüssiges nicht Acht hat; und hingegen die Art von Vortrefflichkeit verlangt, zu der er am unfähigsten ist. Der philosophirende Verstand zeigt sich am deutlichsten durch die Begriffe, die er selbst hervorbringt. In seinen Aufsätzen ist immer etwas Eigenes und Charac-
So wie die Sprache, so hat jeder andre Gegenstand des Wissens und des Thuns, eine doppelte Seite, eine Seite für den Fleiß und das Gedächtniß; eine andre für die Reflexion und den Verstand. Man kann nach einem langen Studio der [204] Geschichte von ihr, außer einzelnen merkwürdigen und großen Factis, fast nichts wie ihre Philosophie wissen; und man kann hingegen in der Mathematik nichts als eine Nachricht von ihren Sätzen lernen. Ob man also gleich in der ersten Erziehung nicht schon der Wissen schaft einen ausschließenden Vorzug geben darf, die man nach der Wahl oder nach den Fähigkeiten des Lehrlings als sein künftiges Studium ansieht, theils, um nicht dadurch den Kopf zu sehr einzuschränken, wenn man seinen natürlichen Hang durch eine zu frühzeitige Befriedigung noch verstärkte, theils weil keine Ausübung einer menschlichen Fähigkeit ohne einen gewissen Grad von Vollkommenheit in den übrigen, vortrefflich, oder auch nur brauchbar werden kann: so ist es doch sehr unrecht, daß, wenn man auch mit dem größten Theil junger Leute, einerley Wissenschaften treiben darf, man von ihnen einerley for dert, und man ihren Fleiß oder ihre Tüchtigkeit gerade nach einerley Art des Fortgangs beurtheilt. In der That wird der junge Mensch vom größten Verstände in diesem Alter am meisten zurückgesetzt; weil man auf das, was er besser als andre in seinen Arbeiten leistet, als auf ein Nebenwerk oder etwas überfliißiges nicht Acht hat; und hingegen die Art von Vortrefflichkeit verlangt, zu der er am unfähig sten ist. (Facta und Wörter müßten zwar alle studierenden Jünglinge lernen. Aber man dürfe mit diesem Unter richt nicht ohne Rücksicht auf die individuellen Fähigkeiten bei jedem dasselbe erreichen wollen. Am Beispiel des Geschichtsunterrichts wird dargelegt, daß sich gemäß den unterschiedlichen Begabungen der Lernenden von jeder Wissenschaft mannigfach verschiedener Gebrauch machen läßt.) [207] Der philosophirende Verstand, um uns nicht zu weit von ihm zu verlieren, zeigt sich am deut lichsten durch die Begriffe, die er selbst hervorbringt. In nichts unterscheiden sich die guten Köpfe von
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teristisches; ferner äussert sich der Geist der Reflexion durch eine gewisse Verfolgung einerlei Idee, durch eine Auseinandersetzung allgemeiner Grundsätze, durch die Geschicklichkeit viele Begriffe aus einem gemeinschaftlichen Gliede herzuleiten. Wenn auch in den einzelnen Begriffen Dunkelheit, in den Sätzen Irrthum, in ihrer 5 Anwendung Spitzfindigkeit ist, so wird doch das Ganze Zusammenhängen, ein Irr thum wird wenigstens durch den ändern unterstützt werden. Die Fähigkeit zu reflectiren, mit einem Grade von Einbildungskraft vermischt, giebt das, was wir W itz oder Scharfsinn nennen. Zu jenem gehören die Aehnlichkeiten; zu diesem die Unterschiede der Dinge. Diese Verbindungen und Trenio nungen können bald durch die Einbildungskraft, bald durch den Verstand geschehen; es giebt also einen sinnlichen und einen vernünftigen Witz im engern Verstand; was gemeiniglich unter diesem Namen bekannt ist, besteht in einer gewissen Erfindsam keit, verborgene und doch einleuchtende Verbindungen unter Begriffen zu ent decken, die von einander sehr entfernt scheinen. Man hat die Productionen desselben 15 Einfälle genannt. Diese ausserordentlichen Verbindungen unter sehr fremd scheinen den Ideen verlangen schlechterdings eine gewisse Mannigfaltigkeit und einen ordent lichen Reichthum von Objecten, unter welchen sich von Zeit zu Zeit einige zusammenfinden müssen, die einer solchen Verbindung fähig sind. Daher ist die Gesellden schlechten so sehr als in ihren Aufsätzen. Bey dem bloßen Lernen kann größre Emsigkeit und viel leicht mehr Gedächtniß die letztem weiter gebracht haben. Aber der Gebrauch, den die erstem auch von ihrer geringem Kenntniß in dem was sie für sich selbst denken, machen, wird ihnen sehr bald ihren Vor zug wiedergeben. Zuerst ist immer etwas eignes und charakteristisches, wo die Kraft der Seele selbst schafft, nicht blos empfangne Ideen zurück giebt; zum ändern äußert sich der Geist der Reflexion durch eine ge wisse Verfolgung einerley Idee, durch eine Auseinanderwickelung allgemeiner Grundsätze, durch die Geschicklichkeit viele Begriffe aus einem gemeinschaftlichen Gliede herzuleiten. Wenn auch in den ein zelnen Begriffen noch Dunkelheit, in den Sätzen Irrthum, in ihrer Anwendung Spitzfündigkeit ist; so wird doch das Ganze zusammen hängen, ein Irrthum wird wenigstens durch den ändern unterstützt werden. Die Fähigkeit zu reflectiren, mit einem Grade von Einbildungskraft vermischt, giebt das, was wir nach Verschiedenheit der Gegenstände Witz oder Scharfsinn nennen. Es ist bekannt, daß man zu dem Gebiethe des ersten die Aehnlichkeiten, und zum Gebiethe des ändern die Unterschiede der Dinge be stimmt. Aber darauf hat man nicht im-[208]mer Acht gegeben, daß diese Verbindungen, oder diese Trennungen, bald durch die Einbildungskraft und bald durch den Verstand geschehen können; daß es einen sinnlichen und einen vernünftigen Witz gebe. Das was man den Witz im engern Verstände nennen könnte, und was in der Welt unter diesem Na men gemeiniglich bekannt ist, besteht in einer gewissen Erfindsamkeit, verborgne und doch einleuchtende Verbindungen unter Begriffen zu entdecken, die von einander sehr entfernt scheinen. Man hat die Pro ductionen desselben Einfälle genannt; um dadurch die Art von Vergleichungen auszuschließen, die durch Untersuchung und Nachdenken gefunden werden, und den Charakter der Schnelligkeit anzuzeigen, der diesen Werken des Witzes wesentlich ist, und ihr vornehmstes Verdienst ausmacht. Es ist begreiflich, daß diese außerordentlichen Verbindungen unter sehr fremdscheinenden Ideen, schlechterdings eine ge wisse Mannichfaltigkeit und einen unordentlichen Reichthum von Objecten verlangen, unter welchen sich von Zeit zu Zeit einige zusammen finden müssen, die einer solchen Verbindung fähig sind. Um deß-
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schaft und ein vermischtes abwechselndes Gespräch der eigentliche Ort und die Werkstätte des Witzes. Diese Art von Witz verträgt sich besser mit dem practischen, als mit dem theo retischen Verstände. Die Einbildungskraft muss viele Begebenheiten und Bilder im Vorrath haben, und durch jeden Anlass, durch die kleinste Verwandtschaft der 5 gegenwärtigen Dinge an dieselbe erinnert werden, wenn die Vernunft sie eben so geschwind soll vergleichen können. Diese Aehnlichkeiten liegen ferner nicht in dem Wesentlichen und Inneren der Sachen, nicht in ihrer Structur, sondern nur in der äussern Gestalt, in ihren zufälligen und abwechselnden Merkmalen. Aber diese kann ihrer Kleinheit und Menge wegen nicht durch deutliche Begriffe erkannt werden, 10 und wer durch diese am meisten denkt, übersieht sie, oder stellt sie sich falsch vor. Endlich der Schein des Ohngefährs ist niemals zu erhalten, wenn die Ideen zu sehr in einander gegründet sind, und man augenscheinlich die Folge einsieht, in der man auf sie hat kommen können. In der Gesellschaft sind gemeiniglich die Partheien beim Gespräch; die einen wollen die Sache als eine wirkliche Materie des Gesprächs, die 15 ändern nur als eine Gelegenheit dazu brauchen. willen ist die Gesellschaft, und ein vermischtes abwechselndes Gespräch, der eigentliche Ort und die Werk stätte des Witzes. (Ein witziger Kopf befinde sich also besser in Gesellschaft leerer Schwätzer, die nie auf einer Sache beharren, als bei verständigen Männern, deren Gedanken gleichförmiger und regelmäßiger fortgehen.) [209] Man sieht leicht, daß diese Art von Witz sich mit dem, was wir den practischen Verstand ge nannt haben, besser als mit dem theoretischen verträgt. Die Einbildungskraft muß viele Begebenheiten und Bilder im Vorrath haben; und sie muß durch jeden Anlaß, durch die kleinste Verwandschaft der gegenwärtigen Dinge an dieselbe erinnert werden, wenn die Vernunft sie eben so geschwind soll ver gleichen können. Ueberdieß liegen diese Aehnlichkeiten, die der Witz aufsucht, nicht in dem Wesentli chen und Innern der Sachen, nicht, so zu sagen, in ihrer Structur, sondern nur in der äußern Gestalt, in ihren zufälligen und abwechselnden Merkmalen. Aber diese letztem können, ihrer Menge und ihrer Kleinheit wegen, nicht durch deutliche Begriffe erkannt werden; und wer durch diese am meisten denkt, übersieht sie, oder stellt sie sich falsch vor. Endlich ist der Schein des Ohngefährs, der dem wirklich witzi gen Einfall nothwendig ist, niemals zu erhalten, wenn die Ideen zu sehr in einander gegründet sind, und man augenscheinlich die [210] Folge einsieht, in der man auf sie hat kommen können. Der zu genaue und innre Zusammenhang also, der zwischen den Ideen in einem blos philosophirenden Kopfe seyn muß, wenn eine die andre soll erwecken können, macht ihm leichte und zufällige Verknüpfungen unmöglich; seine Einfälle haben immer das Ansehn des Studirten und Ausgedachten. In der Gesellschaft sind die Er fahrungen leicht zu machen, die dieses bestätigen. Wenn eine gewisse Materie zum Gespräche aufgeworfen wird: so sind gemeiniglich (wenn überhaupt die Gesellschaft nicht aus Dummköpfen besteht,) zwey Partheyen in der Art, wie sie mit dem Gegenstände umgehn. Die einen wollen die Sachen als eine wirk liche Materie des Gesprächs, die ändern nur als eine Gelegenheit dazu brauchen. (Dies wird näher ausgeführt.) Besonders ist die Gabe gut zu erzählen das Eigenthum des witzigen Kopfs. Die Theile einer Begebenheit so zu ordnen, daß diejenigen neben einander kommen, deren Aehnlichkeit oder deren Contrast den Ein druck machen soll; sie durch den Ausdruck in das gehörige Licht zu stellen, und ihr ein lächerliches, oder wenigstens ein außerordentliches Ansehn zu geben: alles das hindert der bloße reine Verstand durch die Langsamkeit, mit der er verfährt. Zum Untersuchen sind diese [211] Sachen zu klein und zu mannich-
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Besonders ist die Gabe, gut zu erzählen, das Eigenthum des witzigen Kopfs, wobei er oft dem Alltäglichen der Begebenheiten durch einen Zusatz von seiner eign en Schöpfung aushelfen kann. In der That kann aber oft auch der Zufall hervorbringen, was sonst nur Werk 5 des Witzes ist. In einer Seele, die noch alle Begriffe ohne den geringsten Grund der Aehnlichkeit oder ihrer Verbindung dabei nöthig zu haben zusammensetzt, müssen nothwendig unter der Menge ganz ungereimter und nichts bedeutender Ver knüpfungen, einige Vorkommen, in die sich ein lächerlicher oder ein verständiger Sinn hineinlegen lässt. Naivität, ein Zweig des Witzes, ist, wenn unter dem Scheine io der Einfalt und der Unwissenheit nur mit einem ungereimten oder einfältigen Aus druck eine grosse oder auffallende Wahrheit gesagt wird. Bei Kindern sind solche Ausdrücke oft wirkliche Einfalt; denn der Gedanke, den man sonst damit verbindet, fehlt wirklich; daher scheinen oft diese artigen im dritten Jahr bewunderten Einfälle,
faltig; ein gewisses Gefühl muß sie uns finden lehren; und dieses Gefühl giebt der Witz. Aber eben des wegen ist es dem witzigen Kopfe so natürlich Geschichte[n] zu erdichten, oder die wahren zu verunstalten. Da die seltsamen Verbindungen unter Vorfällen immer angenehmer sind, als die unter Ideen: so erzählt er noch lieber, als er Einfälle sagt. Und weil nun in der wirklichen Welt, besonders in dem engen Cirkel der Erfahrungen eines einzigen Menschen, solche Verbindungen weit seltner Vorkommen, als sie der witzige Kopf braucht: so muß er oft die Armuth der Natur in diesem Stücke ersetzen; oder wenigstens dem Alltäglichen der Begebenheiten durch einen Zusatz von seiner eignen Schöpfung aufhelfen ? Auf keine Fähigkeit thun sich Aeltern bey ihren Kindern mehr zu gute; und bey keiner können sie leichter hintergangen werden, als bey dem Witze. So wie der wirkliche Witz seinen Erfindungen den Schein des bloßen Zufalls, und eines nicht vorhergesehenen nicht zur Absicht gehabten Lächerlichen geben m uß: so kann hinwiederum der Zufall in der That oft eben das hervorbringen, was sonst nur das Werk des Witzes ist. In einem Kopfe, wo schon die Ideen nach gewissen Absichten und nach gewissen Regeln geordnet werden, ist dieses nicht möglich, oder wenigstens selten. Aber wo noch die Seele alle Begriffe die ihr Vorkommen, ohne den geringsten Grund ihrer Aehnlichkeit oder [212] ihrer Verbindung dabey nöthig zu haben, zusammensetzt; da müssen nothwendig unter der Menge ganz ungereimter und nichtsbedeutender Verknüpfungen, einige Vorkommen, in die sich ein lächerlicher oder ein verständiger Sinn hineinlegen läßt. Ein Zweig des Witzes ist die Naivität. Sie besteht darinnen, wenn unter dem Scheine der Einfalt und der Unwissenheit eine große oder doch eine auffallende Wahrheit gesagt wird; wenn der Ausdruck ungereimt oder einfältig, und der Sinn groß ist. W enn man nun bey Kindern solche Aus drücke, noch dazu mit der einnehmenden Mine der Unschuld und der Freundlichkeit Vorbringen hört: so glaubt man, sie sind naiv, ob sie gleich bey ihnen oft wirklich Einfalt sind. Man bemerkt nämlich nicht, daß der Gedanke, den man sonst vielleicht mit diesem oder einem ähnlichen Ausdrucke zu verbinden gewohnt ist, bey dem Kinde wirklich fehlt; der, den es hatte, w*ar vielleicht so nichtsbedeutend oder so widersinnig als der Ausdruck. Daher scheinen so oft diese artigen Einfälle, die im dritten Jahre bewundert wurden, Ungereimtheiten im achten. Das Kind sagt itzt nichts schlechters als zuvor; aber man wird nur mehr gewahr, daß der Gedanke, den man vorausgesetzt hatte, nicht vorhanden sey; der angenommene Contrast zwischen Bezeichnung und Idee fällt weg, das Naive wird tölpisch. Wenn es aber auch noch leicht wäre den wahren Witz zu erkennen: so ist es doch gewiß schwer, die übrigen Fähigkeiten des Kopfes nach demselben [213] zu beurtheilen. Natürlicher Weise äußert sich
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im achten Ungereimtheiten. Der Witz äussert sich am ersten. Mit dem philosophi schen Genie verträgt er sich selten; eine sehr feurige Imagination verzehrt ihn so zu sagen; er findet nur bei einer gewissen Mittelmässigkeit dieser beiden Hauptfähig keiten statt. Die frühzeitige Ausbildung desselben ist sogar der Uebung der ändern Fähigkeiten schädlich. Da er die Seele gewöhnt, immer von dem Wesentlichen der 5 Dinge abzugehen, so hindert er die Untersuchung; und indem er die Aufmerksam keit der Seele bei jedem Gegenstände theilt, und sie von der blossen Betrachtung gleich auf Anwendung desselben abzieht, so lässt er keinen starken und bleibenden Eindruck zu. Er ist der Diener und Gehülfe der Eitelkeit; und seine Bemühung, seine alten Vorzüge immer sehen zu lassen, stört die Bemühung, neue zu erwerben. Diese io Fähigkeit erfordert oder lässt die wenigste Ausbildung zu; man kann nichts hinzuthun, als sie regieren und mässigen. Der Witz ist vortrefflich, wenn er in eine Seele, die schon mit Begriffen angefüllt ist, als die letzte Verschönerung hinzukommt. Es giebt aber noch einen ändern so zu sagen reflectirenden Witz, der mit der zweiten Art von Imagination in Verbindung steht; ein Witz, der nicht unter ein- 15 10 stört] Th: statt (Lesefehler?) schreibt: 2ten)
15 zweiten] Th: ersten (vielleicht Lesefehler, sofern Hegel mit Ziffer
der W itz am ersten, weil auch unter einem kleinen Vorrathe von Ideen, schon genug Zusammensetzungen möglich sind; und dieß eben das Werk und das Verdienst des Witzes ist, das Verborgne zu finden. Aber er ist deswegen nicht immer die Ankündigung eines großen Geistes. Mit dem philosophischen Geiste verträgt er sich selten; eine sehr feurige Imagination verzehrt ihn so zu sagen; und er findet nur bey einer gewissen Mittelmäßigkeit dieser beyden Hauptfähigkeiten statt. Alles, was er sucht, liegt nur auf der Oberfläche, und bedarf weder ein tiefes Nachdenken, noch eine sehr starke Empfindung. Er ist sogar, wenn er zu frühzeitig ausgebildet wird, der Uebung der ändern Fähigkeiten schädlich. Da er die Seele gewöhnt immer von dem Wesentlichen der Sachen abzugehn, und auf ihre Zufällig keiten und ihre äußren Verhältnisse zu sehen: so verhindert er die Untersuchung; und indem er die Auf merksamkeit der Seele bey jedem Gegenstände theilt, und sie von der bloßen Betrachtung gleich auf Anwendungen desselben abzieht: so läßt er keinen starken und bleibenden Eindruck zu. Der Witz ist der Diener und der Gehülfe der Eitelkeit. So wie er das Licht ist, welches die Talente den Augen des großen Haufens sichtbar macht: so erhöhet er sie zugleich in den Augen des Menschen selbst. Die Geschicklichkeit sich mit Vortheile zu zeigen, erweckt die Begierde es oft zu thun; und [214] so wird die Bemühung neue Vorzüge zu erwerben, durch die Bemühung seine alten sehen zu lassen, gestört. Man sollte sich aber um destoweniger um diese Fähigkeit Mühe geben, weil sie unter allen übrigen die wenigste Cultur zuläßt oder erfordert. Sie entwickelt sich von sich selbst, und man kann nichts anders zu ihrer Ausbildung thun als sie regieren und im Zaume halten. Der Witz ist vortrefflich, wenn er in eine Seele, die schon mit Ideen und Bildern angefüllt ist, als die letzte Verschönerung hinzu kommt. Der Reich thum wird alsdann zugleich zur Pracht, und die Gestalten, in welche die Seele ihre Begriffe kleidet, werden eben so schön als die Begriffe selbst gesund und vollkommen sind. Sollen aber diese Ideen und Bilder erst gesammlet werden, dann ist seine Geschäfftigkeit schädlich und hinderlich. Aber diese ganze Gattung von Witz ist nicht die einzige. Es giebt einen ändern so zu sagen reflectiren den Witz, der mit der zwoten Art von Imagination von der wir oben geredet haben, in Verbindung
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zelnen Dingen, sondern unter allgemeinen Ideen, nicht äussere Verhältnisse, sondern innere Uebereinstimmungen, aber auf eine solche Art sucht, dass man die Operation des Verstandes, und die Folge der Begriffe, durch welche diese Uebereinstimmungen sind gefunden worden, nicht gewahr wird. Wenn mit dem Verstände der Witz 5 sich vermählt, so wird der erste beherzter und unternehmender. Er bekommt einen gewissen geheimen Zug, die unähnlichsten Begriffe mit einander zu vergleichen, und die entferntesten zusammenzubringen. Das Feld seiner Geschäftigkeit wird grösser, der Vergleich geschieht schneller; die Verbindungen, die er macht, werden mannig faltiger und neuer. io Es giebt ferner in der Philosophie, im Erklären und im Beweisen einen gewissen Geschmack, ein dunkles Gefühl von der Stärke und Schwäche der Gründe selbst, ehe man sie noch so genau geprüft hat. Dieser Geschmack nun wird von dem Witz, von dem wir reden, und den die Lateiner Sagacität nennen, hervorgebracht. Bei Erlernung der Wissenschaft bringt er eine schnelle Begreifung und eine richtige 15 Anwendung der vorgetragenen Wahrheiten hervor; bei einem höhern Fortgange äussert er sich durch eine gewisse Erfindsamkeit, die Seite des Dinges zuerst zu finden, von der sie sich am besten angreifen lässt, und den Begriff von ihm zu fassen, der am leichtesten und am fruchtbarsten bearbeitet werden kann. 15 vorgetragenen] Th: vorgegangenen steht; ein Witz, der nicht unter einzelnen Dingen, sondern unter allgemeinen Ideen, und nicht äußre Verhältnisse, sondern innere Uebereinstimmungen, aber auf eine solche Art sucht, daß man die Operation des Verstandes, und die Folge der Begriffe, durch welche diese Uebereinstimmungen sind gefunden wor den, nicht gewahr wird. Nämlich ein blos gesunder natürlicher Verstand, ohne diesen Witz, hält keine andre Ideen [215] gegen einander, als wo sich schon aus dem, was er von ihnen weiß, ihre Uebereinstim mung vorhersehen läßt; und wo es also blos darauf ankömmt, dieselbe auf etwas bestimmtes und deut liches zu bringen. Auf diese Art verfährt die kluge Vorsichtigkeit in den gewöhnlichen Geschäfften des gemeinen Lebens, und die bescheidne Lehrbegierde in der Erlernung der Wissenschaften. Diese Eigen schaften sichern den Menschen für Verwegenheit und für Irrthum; aber sie machen ihn auch zu großen Unternehmungen und zu neuen Entdeckungen untüchtig. Wenn aber mit dem Verstände sich der Witz vermählt, so wird der erste beherzter und unternehmender. Er bekommt einen gewissen geheimen Zug, die unähnlichsten Begriffe mit einander zu vergleichen, und die entferntesten zusammen zu bringen; das Feld seiner Geschäfftigkeit wird größer, die Vergleichung geschieht schneller; die Verbindungen, die er macht, werden mannichfaltiger und neuer. Es giebt ferner in der Philosophie, im Erklären und im Beweisen eben sowohl einen gewissen Ge schmack, als in den Künsten und in den Werken des schönen Geistes; ein dunkles Gefühl von der Stärke oder der Schwäche der Gründe selbst, ehe man sie noch genau geprüft hat; ein vorläufiges Urtheil von der Wahrheit oder der Brauchbarkeit seiner Ideen, vor der Untersuchung. Dieser Geschmack nun wird von dem Witze, von dem wir reden, und den die Lateiner Sagacität nennen, her-[216]vorgebracht. Er weiset dem Nachdenken die Punkte an, auf die es sich zu richten hat. Bey der Erlernung der Wissen schaften bringt er eine schnelle Begreifung, und eine richtige Anwendung der vorgetragnen Wahrheiten hervor; bey einem höhern Fortgange äußert er sich durch eine gewisse Erfindsamkeit, die Seite des Dinges zuerst zu finden, von der sie sich am besten angreifen läßt; und den Begriff von ihm zu fassen, der am leich-
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Mit dem Witze gehört der Scharfsinn zu einer Classe. Der Scharfsinn scheint mehr auf der Partei des philosophischen Verstandes zu seyn, so wie der Witz auf der Seite des dichterischen. Denn eben das Unterscheiden und Absondern, mit dem der Scharfsinn zu thun hat, bringt die Abstraction hervor. Es giebt aber auch einen Scharfsinn, der sich mit dem W itz vermischt, und unter seinen Namen verbirgt. Die Begriffe von Aehnlichkeit und Unterschied sind immer gegenseitig, und wo Uebereinstimmungen bemerkt werden, da muss man die Ver schiedenheiten zugleich mit empfinden, die von jenen abstechen. Die andere Gattung von Scharfsinn äussert sich nur bei Erlernung der Wissenschaften. Die falsche An wendung von Scharfsinn ist Spitzfündigkeit, und besteht in der Entdeckung nichts würdiger oder falscher Unterschiede. Das frühzeitigste und beinahe das sicherste Kennzeichen des Scharfsinns ist ein richtiger Gebrauch der Sprache. Bei Ausarbeitungen, die man junge Leute machen lässt, sollte man auf keine Eigenschaft so sehr sehen. Ein richtiger Gebrauch der Sprache bringt in unsere Vorstellung eine grössere Mannichfaltigkeit, indem er unter Begriffen, die wir sonst für einen einzigen gehalten hätten, Unterschiede finden lässt, durch [die] sie zu mehreren werden. Er macht die Entwickelung der Ideen leichter, indem er uns bei jedem Begriffe, den wir aufklären wollen, die am nächsten damit
testen und am fruchtbarsten bearbeitet werden kann. So zeigt er sich z. B. in der Mathematik durch die Wahl der Beweise, durch die Abkürzung des Weges, und durch eine gewisse feinere Verwickelung und eine unvermuthete Auflösung der Aufgaben. Mit dem Witze gehört der Scharfsinn zu einer Classe. Der Scharfsinn scheint mehr auf der Parthey des philosophischen Verstandes zu seyn, so wie der Witz auf der Seite des dichterischen. Denn eben das Unterscheiden und Absondern, mit dem der Scharfsinn zu thun hat, bringt die Abstraction hervor, oder ist eine Folge derselben. Um deswillen ist die Subtilität, die eine Wirkung dieser Ursache ist, so oft für die Eigenschaft der Philosophen angesehen worden. - In der That aber giebt es auch einen Scharfsinn, der sich mit dem Witz vermischt und unter seinem Namen verbirgt. Die Begriffe von Aehnlichkeit und Unterschied sind immer gegenseitig, und wo Uebereinstimmungen bemerkt werden, da muß man die Verschiedenheiten zugleich mit empfinden, die von jenen abstechen. [217] Die andre Gattung von Scharfsinn äußert sich nur bey der Erlernung der Wissenschaften. Man hat aber nicht sowohl ihn kennen zu lernen, als die Fehler, zu denen er verleiten kann. Die falsche An wendung von Scharfsinn ist Spitzfündigkeit, und besteht in der Entdeckung nichtswürdiger oder falscher Unterschiede. Das frühzeitigste und beynahe das sicherste Zeichen des Scharfsinns ist ein richtiger Gebrauch der Spra che. (Es wird hingewiesen auf die Fülle sinnverwandter Wörter in jeder Sprache und auf die Wichtigkeit einer genauen Wahl des Ausdrucks.) [218] In der That, weil diese Richtigkeit des Ausdrucks, der Grund, und bey nahe das wesentlichste Stück der Schönheit des Stils ist: so sollte bey den Ausarbeitungen, die man junge Leute machen läßt, auf keine Eigenschaft so sehr gesehen werden. Ein richtiger Gebrauch der Sprache bringt in unsere Vorstellungen eine größere Mannichfaltigkeit, indem er uns unter Begriffen, die wir sonst für einen einzigen gehalten hätten, Unterschiede finden läßt, durch die sie zu mehrern werden. Er macht die Entwickelung der Ideen leichter, indem er uns bey jedem Begriffe, den wir aufklären wol-
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verwandten zeigt, von denen der Begriff durch die Erklärung abgesondert werden muss; er giebt uns endlich mehr Stoff zur Philosophie, indem er mehr Bedeutungen der Worte, als so viel sinnlich klare Begriffe uns anweiset, die wir deutlich zu machen und durch genaue Merkmale zu bestimmen haben. Wenn die Fähigkeiten, die einander in gewissem Maasse entgegenstehen, und die man deswegen ordentlicherweise nur unter verschiedenen Menschen vertheilt findet, in einem bestimmten Falle diesen Streit aufheben; wenn sie in einer Seele Zusammen kommen und einander das Gleichgewicht halten; wenn sie sich endlich alle zu sammen auf einen gewissen Gegenstand vereinigen, alsdann bringen sie ein G enie hervor. Ueberhaupt heisst Genie entweder alles, was in unseren Fähigkeiten von der Natur herriihrt, und wird dem Erlernten oder der Gelehrsamkeit entgegengesetzt; oder es zeigt eine höhere Classe von Geist an, und in diesem Verstände nehmen wir es hier. Es giebt also so viele Genies, als es Gegenstände für besondere Fähigkei ten giebt. Ich will nur noch einige allgemeine Merkmale, woran sich gute Köpfe überhaupt erkennen lassen, hinzusetzen: 1) Die Eitelkeit hat bei ihnen weniger Einfluss, und die Erwartung des Lobes ist bei ihnen ein schwacher oder überflüssiger Bewegungsgrund, weil die Sache selbst schon für sich sie beschäftigt und einnimmt.
len, die am nächsten damit verwandten zeigt, von denen der Begriff durch die Erklärung abgesondert werden m uß; er giebt uns endlich mehr Stoff zur Philosophie, indem er mehr Bedeutungen der Worte als soviel sinnlich klare Begriffe uns anweiset, die wir deutlich zu machen, und durch genaue Merkmale zu bestimmen haben. Jetzo sind wir im Stande, uns den Begriff eines Genies zu machen. - W ir haben gesehen, daß einige Fähigkeiten in gewisser Maaße einander entgegen stehn, und daß man sie deswegen ordentlicher Weise nur unter verschiedenen Menschen ver-[219]theilt findet. - Aber wenn dieselben in einem bestimmten Falle diesen Streit aufheben; wenn sie in einer gewissen Seele zusammen kommen, und sich einander das Gegengewicht halten; wenn sie sich endlich alle zusammen auf einen gewissen Gegenstand vereinigen: alsdann bringen sie ein Genie hervor. - Ueberhaupt heißt Genie entweder alles was in unsern Fähigkeiten von der Natur herrührt, und wird dem Erlernten oder der Gelehrsamkeit entgegen gesetzt; oder es zeigt eine höhere Classe von Geist an, und in diesem Verstände nehmen wir es jetzt. - Es giebt also so viel Genies, als cs Gegenstände für besondere Fähigkeiten giebt. (Es folgt als Beispiel eine nähere Beschreibung des dichterischen Genies, dessen Eigentümliches in der Vereinigung von Empfindungskraft und Vernunft zu sehen sei.) [220] Ich will nur noch einige allgemeine Merkmale, woran sich gute Köpfe überhaupt erkennen lassen, hinzusetzen: E rstlich , die Eitelkeit hat bey ihnen weniger Einfluß, und die Erwartung des Lobes ist bey ihnen ein schwacher oder überflüßiger Bewegungsgrund, weil die Sache selbst schon für sich sie beschäftigt und einnimmt. (Ein guter Schriftsteller und ein wirklicher Gelehrter seien schon durch das Vergnügen ihrer eigenen Beschäftigung mit dem Gegenstand hinlänglich belohnt.)
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2) Gute Köpfe, die, wenn sie für sich ohne Aufforderung und ohne Anstrengung über eine Materie denken, voller Einsichten sind, werden vielleicht in den Zeiten und Orten, wo sie sich am meisten zeigen wollen, und wenn es eigentlich darauf ankommt, eine Probe ihrer Fähigkeiten zu geben, weniger leisten, als andere. Die Ursache ist zum Theil physisch. Zum Denken wird eine gewisse Bewegung des Bluts und der Lebensgeister erfordert. Diese, bei welchen der gehörige Grad von Bewegung ordentlicher Weise vorhanden ist, wenn die Bewegung durch eben diese Leidenschaft des Ehrgeizes, der Furcht, der Hoffnung noch mehr beschleunigt wird, werden eben dadurch unfähiger. Zum Theil ist die Ursache sittlich. Jede Leidenschaft entzieht dem Gegenstände einen Theil von der Aufmerksamkeit und von der Kraft der Seele, und nimmt sie für sich weg. Je stärker man also die Leidenschaften erregt, um desto mehr schwächt man eine jede andre Anwendung der Seelenkräfte; und zwar gerade da am meisten, wo diese am grössten und also zugleich die Leidenschaften am stärksten sind, dahin gegen bei anderen, wo Triebfedern fehlen, wo die Wirksamkeit der Seele an und für sich klein ist, diese Leidenschaften nützlich werden. 3) Gute Köpfe haben selten eine gewisse Art von anhaltendem, und wenn ich sagen darf, sclavischem Fleisse. Sie unterrichten noch weit lieber sich selbst, als sie sich unterrichten lassen; und ihre Seele beschäftigt sich lieber damit, selbst Begriffe hervorzubringen, als sie bloss einzusammeln. So richtig diese Bemerkung ist, so 12 Leidenschaften] Th: Leidenschaft
[221] Z w eytens. Gute Köpfe, die, wenn sie für sich ohne Aufforderung und ohne Anstrengung über eine Materie denken, voller Einsichten sind, werden vielleicht an den Zeiten und Orten, wo sie sich am meisten zeigen wollen, und wo es eigentlich darauf ankommt, eine Probe ihrer Fähigkeiten zu geben, weniger leisten als andre. ... Die Ursache davon ist zum Theil physisch. Zum Denken wird eine ge wisse Bewegung des Bluts und der Lebensgeister erfordert. Die, bey welchen sonst diese Bewegungen langsam und schläfrig sind, werden bey einer außerordentlichen Gelegenheit, wo dieselben durch die Lei denschaft des Ehrgeizes, der Furcht, der Hoffnung beschleunigt und verstärkt werden, besser und richtiger denken. Dahingegen die ändern, bey welchen der gehörige Grad von Bewegung ordentlicher Weise vorl an den ist, wenn die Bewegung durch eben diese Leidenschaft noch mehr beschleunigt wird, eben dadurch unfähiger werden. - Zum Theil ist die Ursache sittlich . Jede Leidenschaft entzieht dem Gegen stände einen Theil von der Aufmerksamkeit und von der Kraft der Seele, und nimmt sie für sich weg. Je stärker man also die Leidenschaften [222] erregt, um desto mehr schwächt man eine jede andre An wendung der Seelenkräfte; und zwar grade da am meisten, wo diese am größten, und also zugleich die Leidenschaften am stärksten sind. Dahingegen bey ändern, wo Triebfedern fehlen, wo die Wirksamkeit der Seele an und für sich klein ist, eben diese Leidenschaften nützlich seyn können. D ritten s. Gute Köpfe haben selten eine gewisse Art von so anhaltendem, und, wenn ich so sagen darf, sclavischem Fleiße. Sie unterrichten noch weit lieber sich selbst, als sie sich unterrichten lassen; und ihre Seele beschäftigt sich lieber damit, selbst Begriffe hervorzubringen, als sie blos einzusammlen. - So rich tig diese Bemerkung ist, so würde sie verführen können, wenn man sie nicht gehörig einschränkte. Z u-
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würde sie verführen können, wenn man sie nicht gehörig einschränkte. Ohne fort gesetzte und vielfältige Uebung, und ohne eine Erlangung von mannigfaltigen Kenntnissen kann keine einzige Fähigkeit des menschlichen Geistes, und wenn sie auch von der eigentlichen Gelehrsamkeit noch so weit entfernt wäre, zur Voll kommenheit gelangen. Auch muss man den Fleiss, der eine behende und zugleich anhaltende Wirksamkeit ist (das eigne Gepräge des Genies) von der blossen Arbeit samkeit, die in einer emsigen und unermüdeten Wiederholung einerlei vorgeschrie bener und vielleicht nur fruchtloser Bemühungen besteht, unterscheiden. Es ist nur noch übrig, zu welcher Art von Geschäften oder Wissenschaften jede Fähigkeit gehört. Ueberhaupt ist schon aus der Erklärung dieser Fähigkeiten selbst klar, dass der bloss philosophirende Verstand für die Theorie, der andre für die Ausübung ist; der eine Gelehrte, der andre Leute von Geschäften oder Künstler macht. H uart hat dies schon sehr gut abgehandelt, und wir brauchen also nichts als einige Anmerkungen zu machen, die sich hauptsächlich auf die Wissenschaft einschränken sollen. Unter den G elehrten sind ein ige blos dazu bestimmt, die schon bekannten Wahrheiten fortzupflanzen und die Wissenschaft zu dociren. Bon sens d. h. eine nicht sehr tiefsinnige, aber doch richtige Vernunft, die sich an den gewöhnlichen Gegenständen der menschlichen Kenntnisse geübt hat; eine erst also steht der Grundsatz fest: Ohne fortgesetzte und vielfältige Uebung, und ohne eine Erlangung von mannichfaltigen Kenntnissen, kann keine einzige Fähigkeit des menschlichen Geistes, und wenn sie auch von der eigentlichen Gelehrsamkeit noch so entfernt wäre, zur Vollkommenheit gelangen. (Mittel mäßige Köpfe seien aber dabei ganz von ihren Lehrern abhängig, während guten Köpfen der Unterricht ihrer Lehrer nur Stoff und Anlaß zu eigener Arbeit biete. - Außerdem arbeiteten die Fähigen leichter und darum weniger als die ändern.) [223] Lehrer von Einsicht werden dieses Merkmal nutzen, und den Fleiß, der eine behende und zugleich anhaltende Wirksamkeit ist, (das eigne Gepräge des Genies,) von der bloßen Arbeitsamkeit, die in einer emsigen und unermüdeten Wiederholung einerley vorgeschriebner, und vielleicht immer fruchtloser, Bemühungen besteht, unterscheiden. Nur Lehrer von eingeschränkten Einsichten, die noch dabey Eitelkeit haben, werden die Fähigkeit ihrer Schüler nach der Zeit abmessen, die sie in ihren Hörsälen zugebracht haben, und den beständigen Zuhörer auch für den geschicktesten halten. [224] Es ist also nur noch die zwote Frage übrig, zu welcher Art von Geschäften oder Wissenschaften jede Fähigkeit gehört. Ueberhaupt ist schon aus der Erklärung dieser Fähigkeiten selbst klar, daß der blos philosophirende Verstand für die Theorie, der andre für die Ausübung ist; der eine Gelehrte, der andre Leute von Geschäften oder Künstler macht. H uart hat diesen Theil unsrer Materie schon sehr gut abgehandelt, und wir brauchen also nichts als einige Anmerkungen zu machen, die sich hauptsächlich auf die Wissenschaften einschränken sollen. Unter der Classe von Menschen, die man Gelehrte nennt, sind einige blos dazu bestimmt, die schon bekannten Wahrheiten fortzupflanzen, und die Wissenschaft zu dociren; andere sie zu erweitern; die drit ten, sie auf das menschliche Leben und den wirklichen Nutzen der Gesellschaft anzuwenden. Man würde sehr unrecht thun, wenn man lauter Genies für die Wissenschaften forderte, da es doch eine Menge von Aemtern und Verrichtungen giebt, die einen Gelehrten fordern, und die doch ohne Genies besser bestellt werden. Bon sens, das heißt, eine nicht sehr tiefsinnige aber doch richtige Vernunft, die sich an den ge-
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Gabe, die Gedanken Anderer zu fassen, und in den Sinn dessen, das man liest und hört, einzudringen; ein Gedächtniss, das wenigstens bei einer hinlänglichen Wieder holung die alten Gedanken erneuert, und uns in den Stand setzt, immer das wieder von Neuem zu lernen, was wir von Zeit zu Zeit vergessen; dies ist für diese Aemter und für die Classe der Gelehrten, die sie besorgen, und also für den grössten Theil hinlänglich. W enn zu diesen Fähigkeiten des Verstandes noch gewisse Eigenschaften des Charakters hinzukommen; erstlich die Beharrlichkeit, welche Schwierigkeiten überwindet, und auch einen langsamen Fortgang ununterbrochen verfolgt; zum ändern eine Sorgfalt, keine Begriffe eher für erlernt anzusehen, bis sie sie ändern wieder beibringen können: so können recht gute Lehrer auf Akademien und Schu len daraus werden, sie können gute Köpfe zubereiten, und mittelmässigen ihre Bil dung geben. Geister von hohen Gaben lassen sich entweder schwerlich zu diesen Verrichtungen brauchen, oder verrichten sie in der That schlechter, weil sie sie un willig und zerstreut thun, und sie nur als Nebendinge ansehen, von denen sie je eher je lieber wieder loszukommen suchen. Die Gedanken des Ersteren werden niemals etwas Eignes und Hervorstechendes haben, aber sie werden auch niemals ab geschmackt seyn; er wird oft Ändern nachahmen, aber er wird es doch auf eine schickliche Art zu thun wissen; er wird fleissig, bedachtsam und überlegt seyn, und vor allen Dingen, bei dem Mittelmässigen, was er macht, sich einer gewissen höhern Vollkommenheit bewusst seyn, die er nicht erreichen kann. In der That kann eine 1 die] Th: den (wahrscheinlich für Abkürzung: &.) wohnlichen Gegenständen der menschlichen Kenntnisse geübt hat; eine Gabe, die Gedanken andrer zu fassen, und in den Sinn dessen, was man liest oder hört, einzudringen; ein Gedächtniß, welches, wenig stens bey einer hinlänglichen Wiederholung, die alten Gedanken [225] erneuert, und uns in den Stand setzt, immer das wieder von neuem zu lernen, was wir von Zeit zu Zeit vergessen: Das ist für diese Aemter und für die Classe von Gelehrten, die sie besorgen, und also ohne Zweifel für den größten Theil hinläng lich. W enn zu diesen Fähigkeiten des Verstandes noch gewisse Eigenschaften des C harakters hinzu kommen; erstlich die Beharrlichkeit, welche Schwierigkeiten überwindet, und auch einen langsamen Fortgang ununterbrochen verfolgt; zum ändern eine Sorgfalt, keine Begriffe eher für erlernt anzusehen, bis sie sie ändern wieder beybringen können: so können recht gute Lehrer auf Akademien und Schulen daraus werden, sie können gute Köpfe zubereiten, und mittelmäßigen ihre Bildung geben. Man würde also durch die Strenge, die alle mittelmäßigen Köpfe von der Gelehrsamkeit ausschließt, dem Staate mehr schaden als nützen. Geister von höhern Gaben lassen sich entweder schwerlich zu diesen Diensten brauchen, oder verrichten sie in der That schlechter, weil sie sie unwillig oder zerstreut thun, und sie nur als Neben dinge ansehen, von denen sie je eher je lieber wieder los zu kommen suchen. Ein geschickter Lehrer wird einen jungen Menschen, der in diese Classe von brauchbaren Gelehrten kommen kann, bald erkennen. Seine Gedanken werden niemals etwas eigenes und hervorstechendes haben, aber sie werden auch niemals abgeschmackt seyn; er wird oft ändern nachahmen, aber er wird es doch auf eine schickliche Art zu thun wissen; er wird fleißig, bedachtsam, und überlegt seyn, und vor [226] allen Dingen bey dem Mittel mäßigen, was er macht, sich einer gewissen höhern Vollkommenheit bewußt seyn, die er nicht erreichen kann. In der That kann eine sehr mittelmäßige Arbeit, ein schlechtes Gedicht, von einem ganz guten
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sehr mittelmässige Arbeit, ein schlechtes Gedicht von einem ganz guten Kopfe her rühren. Aber wenn er es selbst für vortrefflich hält und den Unterschied gegen andere nicht fühlt; dann ist er verloren. Ein solcher muss die Wissenschaften ver lassen. Die andre C lasse von G elehrten, welche die Wissenschaften erweitern sollen, erfordern wirklich das was man Genies nennt. Solche Köpfe finden immer für sich selbst die Gegenstände, die für sie gemacht sind, und fast jede Wissenschaft hat so viel verschiedene Seiten, dass man eben so viele verschiedene Köpfe braucht um sie anzubauen. Nur bei der Wahl der Wissenschaften ist noch dies zu bemerken. Man suche den jungen Leuten einen wirklichen Begriff von denselben beizubringen, so dass sie im Ganzen (und so weit es ohne sie erlernt zu haben möglich ist) ohngefähr voraus sehen können, was sie darinnen zu erwarten haben, und stelle mit ihnen kleine Proben über die Sachen in jeder Wissenschaft an. Man bemühe sich ferner so viel möglich den Eindruck zu zerstören, den auf die ersten Jahre die äussern Blendwerke eines jeden Standes gemacht haben, und lege dem jungen Menschen, wenn man kann, ein treues Gemälde von dem menschlichen Leben und den verschiedenen Ständen desselben vor. Nichts ist hiebei so wichtig, als ihn zu überzeugen, dass die Glück seligkeit und das Elend beinahe allenthalben gleich und fast nirgends von dem Stande, sondern durchaus von der Person abhängig sey. Die Prüfung der Geschicklichkeiten 18 wichtig] Th: richtig
Kopfe herrühren. Aber wenn er es selbst für vortrefflich hält, wenn er den Unterschied gegen andre nicht fühlt: dann ist er verlohren. Ein solcher muß die Wissenschaften verlassen. Die andre Classe von G elehrten, welche die Wissenschaften erweitern sollen, erfordert wirklich das, was man Genies nennt, das heißt: irgend eine Fähigkeit in einem vorzüglichen Grade und die übrigen in einer gehörigen Unterordnung, sie zu unterstützen. ... Die Wissenschaften selbst braucht man hier nicht erst auszuzeichnen; zuerst, weil solche Köpfe für sich selbst die Gegenstände finden, die für sie gemacht sind; zum ändern, weil fast jede Wissenschaft so viel verschiedene Seiten hat, daß man eben so viel ver schiedene Köpfe braucht, um sie anzubauen. Nur bey der Wahl der Wissenschaften ist noch dies zu merken. Man suche den jungen Leuten einen wirklichen Begriff von denselben beyzubringen, so daß sie im Ganzen, (und so weit es ohne sie erlernt zu haben möglich ist,) ohngefähr voraussehen können was sie darinne zu erwarten haben, und stelle mit ihnen kleine Proben über die [227] Sachen einer jeden Wissenschaft an. (Es folgt ein Hinweis auf das Lehrverfahren der von Xenophon beschriebenen Schule der Gerechtigkeit der Perser.,) Man bemühe sich ferner, so viel möglich den Eindruck zu zerstören, den auf die ersten Jahre die äußern Blendwerke eines jeden Standes gemacht haben, und lege dem jungen Menschen, wenn man kann, ein getreues Gemälde von dem menschlichen Leben und den verschiedenen Ständen desselben vor. Nichts ist hierbey so wichtig, als ihn zu überzeugen, daß die Glückseligkeit und das Elend bey nahe allenthalben gleich, und fast nirgends von dem Stande, sondern durchaus von der Person abhängig sey. Die Prüfung der Geschicklichkeiten muß weniger durch öffentliche Examina und feyerliche Unter-
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muss durch beständige Aufmerksamkeit auf die gewöhnlichen Arbeiten geschehen. Das Erste, wodurch sich die Seele im Denken übt, ist, die Gedanken Anderer mit eignen Ausdrücken zu wiederholen, und eigene damit zu vermischen. Durch nichts könnte man die Geschicklichkeit besser erforschen, als wenn der Schüler für sich selbst eben die Materie, als wenn er zu unterrichten hätte, schriftlich oder mündlich vortrüge. Die d ritte C lasse von G elehrten, die die Wissenschaften auf das menschliche Leben und den wirklichen Nutzen der Gesellschaft anzuwenden bestimmt sind, erfordert in der That oft weit weniger Gelehrsamkeit, als Klugheit und Witz. Die Merkmale von diesen Fähigkeiten sind also auch die Bestimmung für die Praxis. Ich will dieses Ganze noch mit der Bemerkung einiger Hindernisse beschliessen, die der Prüfung der Talente im Wege stehen. 1) Ein jeder Mensch kann grösstentheils von den menschlichen Fähigkeiten nur nach seinen eigenen urtheilen; und je eingeschränkter er selbst ist, desto weniger kann er höhere Vollkommenheiten begreifen. Da also das Maass, welches er an nimmt, schon zu klein ist, kommt die Grösse, die er misst, zu gross heraus, und er spricht also immer über seine Fähigkeiten ein zu günstiges Urtheil. Dies zeigt uns a) die Nothwendigkeit, über unser Genie Andere urtheilen zu lassen, die selbst Genie haben; b) ist es uns ein Merkmal, woran wir unser eignes prüfen können. 13 grösstentheils] Th: grösstentseils suchungen, als durch die beständige Aufmerksamkeit auf die gewöhnlichen Arbeiten geschehen. Ueberdieß sollten die ersten Probestücke nicht sowohl ganz neue Ausarbeitungen seyn, die gemeiniglich elend und leer sind, und nur den Stolz der jungen Leute vermehren, und die Zeit zum Lernen nehmen; sondern freye Wiederholungen des Gelernten. Das erste, wodurch sich die Seele im Denken übt, [228] ist, die Ge danken andrer mit eignen Ausdrücken zu wiederholen, und einige eigne damit zu vermischen. Durch nichts also könnte man die Geschicklichkeit besser erforschen, als wenn der Schüler (der während des Unterrichts nichts oder nur so viel als zur Erhaltung der Aufmerksamkeit nothwendig ist, aufzeichnen müßte) für sich selbst alsdann eben diese Materie, als wenn er zu unterrichten hätte, schriftlich oder münd lich vor trüge. ... Die dritte Classe, welche die ausübenden Gelehrten in sich begreift, erfordert in der That oft weit weniger Gelehrsamkeit als Klugheit und Witz. Die Merkmale von diesen Fähigkeiten sind also auch die Bestimmung für die Praxis. (Am Beispiel der praktischen Arzneikunst wird dargetan, daß Leute von großer Gelehrsamkeit oft in der Praxis wenig leisten.) [229] Ich will dieses Ganze nur noch mit der Bemerkung einiger Hindernisse beschließen, die der Prüfung der Talente im Wege stehn. 1) Ein jeder Mensch kann größtentheils von den menschlichen Fähigkeiten nur nach seinen eigenen urtheilen; und je eingeschränkter er selbst ist, destoweniger kann er höhere Vollkommenheiten begreifen. Daher kommt es, daß, da das Maaß, welches er annimmt, schon zu klein ist, die Größe, welche er mißt, zu groß heraus kömmt, und er also immer über seine Fähigkeit ein zu günstiges Urtheil spricht. Diese Bemerkung zeigt uns erstlich die Nothwendigkeit, über unser Genie andre urtheilen zu lassen, die selbst Genie haben. Zum än d ern giebt sie uns ein Merkmal, woran wir unser eignes prüfen können.
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2) Jeder Mensch steht in gewissen Verbindungen, die seiner Eitelkeit entweder aufhelfen und sie unterstützen; oder in ändern, die seine wirkliche Fähigkeit ver kleinern und unterdrücken. Und unsere eigene Gemüthsart hat in Beurtheilung unserer selbst einen zu grossen Einfluss. Furchtsamkeit und Misstrauen werden oft 5 unsre Fähigkeiten heruntersetzen, oder Dreistigkeit und Munterkeit sie vergrössern. Der Lehrer, um die Waage auf beiden Seiten gewissermaassen gleich zu machen, wird entweder dem einen etwas weniger, dem ändern etwas mehr als Gerechtigkeit widerfahren lassen, oder sie in solche Umstände und Verbindungen setzen, wo diese ihre Leidenschaften ohne Einfluss sind. Vornehmlich aber muss er sich dadurch io warnen lassen, seine Schüler nicht nach einzelnen Fällen, in denen sie sich entweder sehr vortheilhaft oder sehr nachtheilig gezeigt haben, sondern nach dem Ganzen zu beurtheilen. 3) Lange Zeit werden wir von uns selbst und ändern bloss nach der Grösse unseres Gedächtnisses beurtheilt. Die wahre Untersuchung des Vermögens zu denken ist: 15 wenn man zwei Personen über eine Materie, über die sie gleichviel Erfahrung und Unterricht haben, ihre eignen Meinungen und Urtheile sagen oder aufschreiben lässt. Der gute Kopf wird hier den Mangel dessen, was er vergessen hat, durch eigne Betrachtungen ersetzen, der andre wird entweder bloss wiederholen, oder nichts hervorbringen. Daher wird auch in den Gedanken des Einen mehr Methode und
2) Jeder Mensch steht in gewissen Verbindungen, die seiner Eitelkeit entweder aufhelfen und sie unter stützen; oder in ändern, die seine wirkliche Fähigkeit verkleinern und unterdrücken. Es ist nur gar zu gewiß, daß unsre eigne Gemüthsart in die Beurtheilung unsrer selbst einen zu großen Einfluß hat. Und so, wie in Absicht auf die Moral, die Schwermuth oder der Leichtsinn, das Maas unsrer Tugenden und Laster verfälscht; so werden auch oft Furchtsamkeit und Mistrauen unsre Fähig-[230]keiten herunter setzen, oder Dreustigkeit und Munterkeit sie vergrößern. Der eine sucht selbst nicht soviel in seinem Verstände, als er finden würde, wenn er nur Zutrauen zu sich hätte, und läßt daher einen Theil seiner Gaben un gebraucht ; der andre sucht in sich soviel und vielleicht noch etwas mehr, als er hat, und wendet also eine kleinere Kraft mit grösserm Nachdruck an. Um also diesem Hindernisse abzuhelfen, ist es eine Regel für den Lehrer, die Waage auf beyden Seiten einigermaßen gleich zu machen, entweder, indem er dem einen etwas weniger, dem ändern etwas mehr als Gerechtigkeit wiederfahren läßt, oder indem er sie in solche Umstände und Verbindungen setzt, wo diese ihre Leidenschaften ohne Einfluß sind. Vornehmlich aber muß er sich dadurch warnen lassen, seine Schüler nicht nach einzeln Fällen, in denen sie sich ent weder sehr vortheilhaft oder nachtheilig gezeigt haben, sondern nach dem Ganzen zu beurtheilen. 3) Dieß ist endlich noch ein großes Hinderniß bey dieser ganzen Untersuchung, daß wir eine lange Zeit, von uns selbst und ändern, blos nach der Größe unsers Gedächtnisses beurtheilet werden. (Es sei falsch und unergiebig, immer nur zu prüfen, wie viel ein Kind wisse und behalten habe.) [231] Die wahre Unter suchung des Vermögens zu denken ist: wenn man zwey Personen über eine Materie, über die sie gleich viel Erfahrung und Unterricht haben, ihre eigne Meynungen und Urtheile sagen oder aufschreiben läßt. Der gute Kopf wird hier den Mangel dessen, was er vergessen hat, durch eigne Betrachtungen ersetzen, der andre wird entweder blos wiederholen, oder nichts hervorbringen. Daher wird auch in den Gedanken
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anscheinende Bündigkeit seyn, weil sie bloss entlehnt sind, in des Ändern seinen mehr Unregelmässiges, aber zugleich mehr Eigenthümliches. Die Natur giebt auch ihren geringsten Werken gewisse Vorzüge vor den blossen Werken des Fleisses und der Kunst, die dem Auge des Kenners nicht entgehen.
des einen mehr Methode und anscheinende Bündigkeit seyn, weil sie blos entlehnt sind, in des ändern seinen mehr Unregelmäßiges, aber zugleich mehr Eigenthümliches. Die Natur giebt auch ihren gering sten Werken gewisse Vorzüge vor den bloßen Werken des Fleißes und der Kunst, die dem Auge des Kenners nicht entgehen.
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P h il o s o ph ie . N a t ü r l ic h e T h e o l o g ie . V o r s e h u n g . D en 20. März 1787.
(N. Bibi. d. philosoph. Wissensch. VIII. Bd. 1. St. p. 115 sq. bei: Einige Vorlesungen von Abrah. Gotth. Kästner 1768.) Es giebt gewisse Fähigkeiten unserer Seele, die nur deswegen Vollkommenheiten sind, weil wir eine höhere nicht erreichen können. So sind die allgemeinen Begriffe; Einschränkungen unserer Kenntniss auf einige wenige Beschaffenheiten der Dinge, um nicht durch die Menge aller verwirrt zu werden. - Wir theilen die Sachen in Classen, weil wir keine Sache ganz, von keiner Sache ihr Wesen, sondern von allen Sachen nur wenig, nur die gemeinschaftlichen Theile, oder besser nur den Schein, der aus der Wirkung derselben entsteht, erkennen. Diese Classen aber sind nichts anders als eine Art von Zeichen, die wir an eine Menge von Dingen anhängen, um sie leichter wieder zu erkennen. Es ist ein bloss eingebildeter Reichthum, wenn man glaubt, die Idee der Gattung enthalte alle Ideen der einzelnen Dinge. Bloss das Gemeinschaftliche, das Einförmige in ihnen stellt man sich vor. Für ein Wesen, das alle Dinge durchaus mit allen ihren Eigenschaften kennt, für dieses macht jedes Ding eine Classe; der Verschiedenheiten sind für dasselbe weit mehr als der Aehnlichkeiten, und das Gemeinschaftliche, wonach wir die Sachen ordnen, verliert sich bei ihm unter die Menge Besonderheiten und des Eigenthümlichen jedes Dinges; - eine Vorsehung also, die sich nicht auf die einzelnen Dinge erstreckt, ist nur die Vor sehung eines schwachen und eingeschränkten Geistes, bei dem eine freiwillige Un wissenheit gewisser Sachen Pflicht und Weisheit ist, weil er sonst die nothwendigsten Sachen nicht wissen würde. 3 philosoph.] Th: philosph.
18 Gemeinschaftliche] Th: Gemeinschaftliche
Das Exzerpt stimmt wörtlich mit dem Original überein, ausgenommen die folgende Stelle: 19 unter die Menge Besonderheiten und des Eigenthümlichen] O: unter der Menge Besonderheiten und dem Eigen thümlichen
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Exzerpt 17
P h il o s o ph ie . P s y c h o l o g ie . W it z . D en 22. März 1787.
(N. Bibi, philosoph. Wiss. VIII. Bd. 1. St. p. 116 sq. bei einigen Vorlesungen von Kästner 1768.) W itz ist die Fähigkeit, die die Aehnlichkeiten der Dinge bemerkt. Er ist also nothwendig, erstlich zum Erlernen der Wissenschaft, zum leichtern Uebergang von einer Wahrheit zur ändern, zum Ordnen der Sachen, die man untersuchen will, oder die man schon kennt, zur Classification, zur Bildung des Systems. Er ist nothwendig zur Erfindung: um entfernte Uebereinstimmungen der Begriffe, Verhältnisse, zwischen denen lange Reihen von Mittelgliedern, geschwind und gleichsam vorläufig zu übersehen, ehe der langsamere Verstand Glied vor Glied an die Kette ansetzet, um zu der neuen Wahrheit zu gelangen. Er ist nothwendig zum Ausdrucke und zum Vortrage der Wahrheiten; nothwendig endlich zum Verstand und zur Auslegung der Schriften, an deren Hervorbringung selbst Witz und Ein bildungskraft Theil gehabt haben. 2 März] Th: Mai
5 Aehnlichkeiten] Th: Aehnlichkeit
Das Exzerpt stimmt wörtlich mit dem Original überein.
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(N. Bibi. d. schön. Wissensch. p. 120 sq. bei: Einigen Vorlesungen von Kästner 1768.) D en 22. März 1787. Jeder Gelehrte soll die Encyklopädie gewisser Wissenschaften kennen. Die meisten Rathschläge, die man einem jungen Menschen giebt, sind einseitig und können nicht anders seyn. Aber jeder Kopf und jede Verfassung des Menschen muss ihren eigenen Plan haben. Sich auf eine einzige Wissenschaft einschränken ist vortrefflich; aber wenn nun diese Wissenschaft selbst auf andere zurückführt, wenn die Seele des Men schen gerade von der Beschaffenheit ist, dass sie über der Beschäftigung einer Art geschwind ermüdet und entweder oft abwechseln oder müssig seyn muss: wird sich alsdann nicht der Cirkel der Wissenschaften erweitern dürfen ? Das Genie wird sich, wenn es die Natur für einen einzigen Theil derselben be stimmt, schon von selbst dazu hinneigen, wenn es nur erst genug kennen gelernt hat, um seinen Gegenstand darunter zu treffen. Und brauchen wir am Ende nicht mehr aufgeklärte Bürger, als Lehrer einer einzigen Wissenschaft; und besteht diese Auf klärung nicht eben in einer gewissen Mannigfaltigkeit von Kenntnissen, die eine durch die andere erläutert und eingeschränkt wird ? 4 Encyklopädie] Th: Encyklopödie
Das Exzerpt stimmt mit dem Original überein bis auf den ersten Satz , der folgenden Satz des Originals zu sammenfaßt: [120] Wenn die Mathematik auf der einen Seite dem denkenden Kopfe eine Menge neuer Objecte und Materialien giebt, und ihn mit neuen Arten seiner Fähigkeiten oder ihrer Anwendungen bekannt macht; wenn sie von der ändern ihm selbst die Uebung in diesen Fähigkeiten verschaft: so muß sie mit unter die Encyclopädie der Wissenschaften gehören, die jeder Gelehrte kennen soll. Außerdem ist nach dem zweiten Satz (d. i. nach: ... seyn.) im Exzerpt ein Satz des Originals ausgelassen: Man giebt sie gemeiniglich nur für seine eigene Fähigkeiten und für die Umstände, in denen man selbst ist erzogen worden.
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(N. Bibi, der philosoph. Wiss. VIII. Bd. p. 123. aus einigen Vorlesungen von Abr. Gotth. Kästner 1768.) D en 22. März 1787. Oft ist das was man bei E rfindungen Z u fall nennt, in der That Versuch, wovon man den Erfolg noch nicht voraussieht; freiwillige Combination, die man unter den bekannten Dingen macht, um zu sehen, wie ihre Vereinigung die Wirkung ändern und bestimmen wird. Hier könnte also bloss das Zufall heissen, dass diese Vereinigung das einemal kein merklich verändertes oder unbekanntes Resultat giebt, das anderemal ein ganz neues. Die Verbindung selbst ist ein Werk des Verstandes. Oft hat das blosse Raisonnement zu eben der Zeit die Wirkungen zum Voraus bestimmt, als sie durch den wirklichen Versuch dargestellt wurden. - Immer aber hat wenigstens der Verstand und die Einsicht, das was der Zufall hervorgebracht hat, ausarbeiten müssen, um es nützen zu können. Alsdann ist die Erfindung selbst weniger werth, als der Gebrauch, den man davon macht. - W ie man überhaupt Zufall nennt, wovon die Ursachen zu verwickelt und zu sehr gehäuft sind, um sie zu kennen, so ist Zufall in den Erfindungen beinah nichts anders, als der unmerkliche Fortgang einer Wissenschaft, wenn er bis auf den Punkt kommt, wo diese kleinern vorher unbeträchtlichen Zuwüchse gleichsam in Eins gebracht sind und durch ihre Anwendung sichtbar gemacht werden. Wie in den Begebenheiten, so in den Ein sichten des menschlichen Geschlechts geschehen grosse Revolutionen niemals ohne vorbereitet zu seyn; man würde sie gar nicht so nennen, wenn man auf die immer fortgehende Reihe von Veränderungen aufmerksam wäre. Ohne den Personen, die wir Erfinder nennen, ein höheres Talent und ein grösseres Genie abzusprechen, ist es doch gewiss, dass diese Erfindungen für den, der den Zustand der Wissenschaft in der Zeit, da sie geschehen, kennt, weit weniger Wunder sind, ihm weniger un begreiflich scheinen, als für den Unwissenden, der sie als Erscheinungen ansieht, zu 19 Anwendung] Th: Anordnung (wahrscheinlich Lesefehler Thaulows)
24 Erfindungen] Th: Erfindung
Das Exzerpt stimmt bis auf die folgenden Abweichungen mit dem Original überein: 4 Oft ... nennt,] O; [123] Die letzte kleine Abhandlung, wie viel der Zufall bey Erfindungen, und wie viel die Vernunft thue, enthält ebenfalls eine Idee, die für den Geschichtschreiber der Genies fruchtbar ist. Oft ist das, was man Zufall nennt, 5 m anj O: man nur 6 den ] fehlt in O 7 und] O: oder 14 Der Gedankenstrich zeigt folgende Auslassung an: [123] Es giebt noch [124] eine Seite, von der sich diese Sache betrachten ließe. 23 grösseres] O: größer 25 geschehen] O: geschahen
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[E r fin d u n g u n d z u f a l l ]
denen vorher kein Grund gelegt war. Eine Menge guter Köpfe hintereinander, macht jeder irgend eine kleine Entdeckung, irgend eine Verbesserung in einer Wissenschaft, giebt ihr eine neue Wendung. Man wird von allen diesen nicht viel gewahr, so lange als der Erfolg davon noch immer bloss in den Grenzen dieser ein5 geschränkten Wissenschaft bleibt. Endlich kommt ein Geist, der alle diese Ent deckungen vor sich hat, und aus ihnen so zu sagen, die Summe zieht, und grade glücklich zu der Zeit kommt, da eine Reihe von Erfindungen sich in einem wich tigen Punkt, an einem Scheidewege endigt, wo die Aussicht in viele Gegenden sich auf einmal eröffnet. Er thut ebenfalls nur einen Schritt wie seine Vorgänger, aber er io thut gerade den letzten; und weil er am Ziel anlangt, so bemerkt man ihn allein, ohne zu bedenken, wie nahe er schon am Ziel war, da er ausging. - Im Menschen, in der Natur, in der Seele ist alles Wachsthum, Entwickelung. Wir erkennen nur immer das Aeusserste; die Mittelzustände, von welchem das eine zu dem ändern hindurch muss, bleiben für uns verborgen. 3 allen] O: allem
6 und aus] O: aus
grade] O: nun grade
7 in] O: irgend in
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Exzerpt 20
Ph il o s o ph ie . P s y c h o l o g ie .
Von den Ursachen des Unterschieds der Menschen in Ansehung der ErkenntnissKräfte, und von den Gründen der Neigungen, sonderlich denjenigen, die das Recht oder Uebelverhalten eines Menschen hauptsächlich bestimmen, vid. Feders neuen E m il I. Buch V. u. VI. Cap. 3 Neigungen] Th: Neigung
Überschrift des 5. Kapitels: [46] Von den Ursachen des Unterschiedes der Menschen in Ansehung der Erkenntnißfähigkeiten. Überschrift des 6. Kapitels: [82] Von den Gründen der Neigungen, sonderlich derjenigen, die das Recht- oder Uebelverhalten eines Menschen hauptsächlich bestimmen.
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(Berl. Monatsschr. 1784. IX. St. 7. 1) Ueber die Frage: was heisst aufklären? von Mos. Mendelssohn p. 193-200.) D en 31. M ay 1787. B ild u n g , C ultur und A ufklärung sind Modificationen des geselligen Lebens, Wirkungen des Fleisses und der Bemühungen der Menschen, ihren geselligen Zu stand zu verbessern. Je mehr der gesellige Zustand eines Volks durch Kunst und Fleiss mit der Be stimmung des Menschen in Harmonie gebracht worden, desto mehr Bildung hat dieses Volk. Bildung zerfällt in Cultur und Aufklärung. Jene scheint mehr auf das Practische zu gehen: auf Güte, Feinheit und Schönheit in Handwerken, Künsten und Gesellig keitssitten (objective); auf Fertigkeit, Fleiss und Geschicklichkeit in jenen, Nei gungen, Triebe und Gewohnheit in diesen (subjective). Je mehr diese bei einem Volk der Bestimmung des Menschen entsprechen, desto mehr Cultur wird dem selben beigelegt. - Aufklärung hingegen scheint sich mehr auf das Theoretische zu beziehen. Auf vernünftige Erkenntniss (objective) und Fertigkeit (subjective) zum 6 IX.] Th: 18. [193] Die W orte A u fk läru n g , K u ltu r, B ildung sind in unsrer Sprache noch neue Ankömmlinge. Sie gehören vor der Hand bloß zur Büchersprache. Der gemeine Haufe verstehet sie kaum. Sollte dieses ein Beweis sein, daß auch die Sache bei uns noch neu sei ? Ich glaube nicht. Man sagt von einem gewissen Volke, daß es kein bestimmtes W ort für T ugend, keines für A b erg lau b en habe; ob man ihm gleich ein nicht geringes Maaß von beiden mit Recht zuschreiben darf. Indessen hat der Sprachgebrauch, der zwischen diesen gleichbedeutenden W örtern einen Unterschied angeben zu wollen scheint, noch nicht Zeit gehabt, die Grenzen derselben festzusetzen. Bildung, Kul[194]tur und Aufklärung sind Modifikationen des geselligen Lebens; Wirkungen des Fleißes und der Bemühungen der Menschen ihren geselligen Zustand zu verbessern. Je mehr der gesellige Zustand eines Volks durch Kunst und Fleiß mit der Bestimmung des Menschen in Harmonie gebracht worden; desto mehr B ild u n g hat dieses Volk. Bildung zerfällt in K u ltu r und A ufklärung. Jene scheint mehr auf das P rak tisch e zu gehen: auf Güte Feinheit und Schönheit in Handwerken Künsten und Geselligkeitssitten (objektive); auf Fertig keit, Fleiß und Geschiklichkeit in jenen, Neigungen Triebe und Gewohnheit in diesen (subjektive). Je mehr diese bei einem Volke der Bestimmung des Menschen entsprechen, desto mehr Kultur wird demselben beigelegt; so wie einem Grundstükke desto mehr Kultur und Anbau zugeschrieben wird, je mehr es durch den Fleiß der Menschen in den Stand gesetzt worden, dem Menschen nützliche Dinge hervorzubringen. A ufklärun g hingegen scheinet sich mehr auf das T h eoretische zu beziehen. Auf vernünftige Erkenntniß (objekt.) und Fertigkeit (subj.) zum vernünftigen Nachdenken, über Dinge des menschlichen Lebens, nach Maaßgebung ihrer Wichtigkeit und ihres Einflusses in die Bestimmung des Menschen.
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vernünftigen Nachdenken über Dinge des menschlichen Lebens, nach Maassgebung ihrer Wichtigkeit und ihres Einflusses in die Bestimmung des Menschen. Eine Sprache erlangt Aufklärung durch die Wissenschaften, und erlanget Cultur durch gesellschaftlichen Umgang, Poesie und Beredtsamkeit. Durch jene wird sie geschick ter zu theoretischem, durch diese zu praktischem Gebrauche. Beides zusammen giebt einer Sprache die Bildung. Cultur im Aeusserlichen heisst Politur. Heil der Nation, deren Politur Wirkung der Cultur und Aufklärung ist; deren äusserliche Glanz und Geschliffenheit inner liche gediegene Aechtheit zum Grunde hat! Aufklärung verhält sich zur Cultur, wie Theorie zur Praxis; wie Erkenntniss zur Sittlichkeit; wie Critik zur Virtuosität. An und für sich betrachtet (objectiv) stehen sie in dem genauesten Zusammenhange; ob sie gleich subjective sehr oft getrennt seyn können. Die Sprache eines Volks ist die beste Anzeige seiner Bildung, der Cul tur sowohl als der Aufklärung, der Ausdehnung sowohl als der Stärke nach. Die Bestimmung des Menschen lässt sich auch eintheilen in 1) Bestimmung des Menschen als Mensch, und 2) Bestimmung des Menschen als Bürger betrachtet. In Ansehung der Cultur fallen diese Betrachtungen zusammen; indem alle prak tischen Vollkommenheiten bloss in Beziehung auf das gesellschaftliche Leben einen Werth haben, also einzig und allein der Bestimmung des Menschen als Mitgliedes 5 theoretischem] Th: theoretischen Ich setze allezeit die Bestimmung des Menschen als Maaß und Ziel aller unserer Bestrebungen und [195] Bemühungen, als einen Punkt, worauf wir unsere Augen richten müssen, wenn wir uns nicht ver lieren wollen. Eine Sprache erlanget A ufklärung durch die Wissenschaften, und erlanget K u ltu r durch gesell schaftlichen Umgang, Poesie und Beredsamkeit. Durch jene wird sie geschikter zu theoretischem, durch diese zu praktischem Gebrauche. Beides zusammen giebt einer Sprache die B ild un g . Kultur im äußerlichen heißt P olitur. Heil der Nation, deren Politur Wirkung der Kultur und Auf klärung ist; deren äußerliche Glanz und Geschliffenheit innerliche, gediegene Aechtheit zum Grunde hat! Aufklärung verhält sich zur Kultur, wie überhaupt Theorie zur Praxis; wie Erkenntniß zur Sittlichkeit; wie Kritik zur Virtuosität. An und für sich betrachtet, (objektive) stehen sie in dem genauesten Zusammen hänge; ob sie gleich subjektive sehr oft getrennt sein können. Man kann sagen: die Nürnberger haben mehr Kultur, die Berliner mehr Aufklärung; die Franzosen mehr Kultur, die Engländer mehr Aufklärung; die Sineser viel Kultur und wenig Aufklärung. Die Grie chen hatten beides, Kultur und Aufklärung. Sie waren eine g e b ild e te Nation, so wie ihre Sprache eine g e b ild e te Sprache ist. - Ueberhaupt ist die Sprache eines Volks die beste Anzeige seiner [196] Bildung, der Kultur sowohl als der Aufklärung, der Ausdehnung sowohl als der Stärke nach. Ferner läßt sich die Bestimmung des Menschen eintheilen, in 1) Bestimmung des Menschen als M ensch, und 2) Bestimmung des Menschen als B ü rger betrachtet. In Ansehung der Kultur fallen diese Betrachtungen zusammen; indem alle praktische Vollkommen heiten bloß in Beziehung auf das gesellschaftliche Leben einen W erth haben, also einzig und allein der
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[BILDUNG, CULTUR, AUFKLÄRUNG]
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der Gesellschaft, entsprechen müssen. Der Mensch als Mensch bedarf keine CuUur; aber er bedarf Aufklärung. Stand und Beruf im bürgerlichen Leben bestimmen eines jeden Mitgliedes Pflich ten und Rechte, erfordern nach Maassgebung derselben andere Geschicklichkeit und Fertigkeit, andere Neigungen, Triebe, Geselligkeitssitten und Gewohnheiten, eine andere Cultur und Politur. Je mehr diese durch alle Stände mit ihrem Berufe über einstimmen, desto mehr Cultur hat die Nation. Sie erfordern aber auch für jedes Individuum nach Maassgebung seines Standes und Berufs andere theoretische Einsichten, und andere Fertigkeit, dieselben zu er langen, einen ändern Grad der Aufklärung. Die Aufklärung, die den Menschen als Menschen interessirt, ist allgemein ohne Unterschied der Stände. Die Aufklärung des Menschen als Bürger betrachtet modificirt sich nach Stand und Beruf. Die Bestim mung des Menschen setzt hier abermals seiner Bestrebung Maass und Ziel. Diesem nach würde die Aufklärung einer Nation sich verhalten 1) wie die Masse der Erkenntniss, 2) deren Wichtigkeit, d. i. Verhältniss zur Bestimmung a) des Men schen und b) des Bürgers, 3) deren Verbreitung durch alle Stände, 4) nach Maassgabe ihres Berufs. Menschen-Aufklärung kann mit Bürger-Aufklärung in Streit kommen. Gewisse Wahrheiten, die dem Menschen als Menschen nützlich sind, können ihm als Bürger zuweilen schaden. Hier ist Folgendes zu erwägen. Die Collision kann entstehen 5 Neigungen] Th: Meinungen Bestimmung des Menschen, als Mitgliedes der Gesellschaft, entsprechen müssen. Der M ensch als M ensch b ed arf k einer K u ltu r: aber er bedarf A ufklärung. Stand und Beruf im bürgerlichen Leben bestimmen eines jeden Mitgliedes Pflichten und Rechte, erfordern nach Maaßgebung derselben andere Geschiklichkeit und Fertigkeit, andere Neigungen, Triebe, Geselligkeitssitten und Gewohnheiten, eine andere K u ltu r und P o litu r. Je mehr diese durch alle Stände mit ihrem Berufe, d. i. mit ihren respektiven Bestimmungen als Glieder der Gesellschaft übereinstimmen; desto mehr Kultur hat die Nation. Sie erfordern aber auch für jedes Individuum, nach Maaßgebung seines Standes und Berufs andere theoretische E in sic h te n , und andere Fertigkeit dieselben zu erlangen, einen ändern Grad der Aufklärung Die A u fk läru n g , die den Menschen als Mensch interessirt, ist allg em ein ohne Unter-[197]schied der Stände; die Aufklärung des Menschen als Bürger betrachtet, modificirt sich nach Stand und Beruf. Die Bestimmung des Menschen setzet hier abermals seiner Bestrebung Maaß und Ziel. Diesem nach würde die Aufklärung einer Nation sich verhalten, 1) wie die Masse der Erkenntniß, 2) deren Wichtigkeit, d. i. Verhältniß zur Bestimmung a) des Menschen und b) des Bürgers, 3) deren Verbreitung durch alle Stände, 4) nach Maaßgabe ihres Berufs; und also wäre der Grad der Volksaufklä rung nach einem wenigstens v ie rfa c h zusammengesetzten Verhältnisse zu bestimmen, dessen Glieder zum Theile selbst wiederum aus einfachem Verhältnißgliedern zusammengesetzt sind. Menschenaufklärung kann mit Bürgeraufklärung in Streit kommen. Gewisse Wahrheiten, die dem Menschen, als Mensch, nützlich sind, können ihm als Bürger zuweilen schaden. Hier ist folgendes in
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zwischen 1) wesentlichen oder 2) zufälligen Bestimmungen des Menschen mit 3) wesentlichen oder 4) mit ausserwesentlichen, zufälligen Bestimmungen des Bürgers. Ohne die wesentlichen Bestimmungen des Menschen sinkt der Mensch zum Vieh herab; ohne die ausserwesentlichen ist er kein so gutes herrliches Geschöpf. Ohne die wesentlichen Bestimmungen des Menschen [als Bürgers] hört die Staatsverfassung auf zu seyn; ohne die ausserordentlichen bleibt sie in einigen Nebenverhältnissen nicht mehr dieselbe. Unglücklich ist der Staat, der sich gestehen muss, dass in ihm die wesentlichen Bestimmungen des Menschen mit den wesentlichen des Bürgers nicht harmoniren, dass die Aufklärung, die der Menschheit unentbehrlich ist, sich nicht über alle Stände ausbreiten könne, ohne dass die Verfassung in Gefahr sey, zu Grunde zu gehen. Aber wenn die ausserordentlichen Bestimmungen des Menschen mit den wesent lichen oder ausserwesentlichen des Bürgers in Streit kommen, so müssen Regeln festgesetzt werden, nach welchen die Ausnahmen geschehen und die Collisionsfälle entschieden werden sollen. Wenn die wesentliche Bestimmung des Menschen unglücklicherweise mit seiner ausserordentlichen Bestimmung selbst in Gegenstreit gebracht worden ist; wenn man gewisse nützliche und den Menschen zierende Wahrheit nicht verbreiten darf, ohne die ihm nun einmal beiwohnenden Grundsätze der Religion und Sittlichkeit 7 ausserordentlichen] Vgl. den editorischen Bericht.
Erwegung zu ziehen. Die Kollision kann entstehen zwischen 1) wesentlichen, oder 2) zufälligen Bestim mungen des Menschen, mit 3) wesentlichen, oder 4) mit außerwesentlichen zufälligen Bestimmungen des Bürgers. Ohne die wesentlichen Bestimmungen des Menschen sinkt der Mensch zum Vieh herab; ohne die außerwesentlichen ist er kein so gutes herrliches Geschöpf. Ohne die wesentlichen Bestimmungen des Menschen als Bürgers, hört die Staats Verfassung auf zu sein; ohne die außerwesentlichen bleibt [198] sie in einigen Nebenverhältnissen nicht mehr dieselbe. Unglükselig ist der Staat, der sich gestehen muß, daß in ihm die wesentliche Bestimmung des Men schen mit der wesentlichen des Bürgers nicht harmoniren, daß die Aufklärung, die der Menschheit unent behrlich ist, sich nicht über alle Stände des Reichs ausbreiten könne; ohne daß die Verfassung in Gefahr sei, zu Grunde zu gehen. Hier lege die Philosophie die Hand auf den Mund! Die Nothwendigkeit mag hier Gesetze vorschreiben, oder vielmehr die Fesseln schmieden, die der Menschheit anzulegen sind, um sie nieder zu beugen, und beständig unterm Drukke zu halten! Aber wenn die außerwesentlichen Bestimmungen des Menschen mit den wesentlichen oder außer wesentlichen des Bürgers in Streit kommen; so müssen Regeln festgesetzt werden, nach welchen die'Aus nahmen geschehen, und die Kollisionsfälle entschieden werden sollen. W enn die wesentlichen Bestimmungen des Menschen unglüklicherweise mit seinen außerwesentlichen Bestimmungen selbst in Gegenstreit gebracht worden sind; wenn man gewisse nützliche und den Menschen zierende Wahrheit nicht verbreiten darf, ohne die ihm nun einmal beiwohnenden Grundsätze der Reli-
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[ b ild u n g , c u l t u r , A u f k lä r u n g ]
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niederzureissen; so wird der tugendliebende Aufklärer mit Vorsicht und Behutsam keit verfahren, und lieber das Vorurtheil dulden, als die mit ihm so fest verschlungene Wahrheit zugleich mit vertreiben. Freilich ist diese Maxime von jeher Schutzwehr der Heuchelei geworden, und wir haben ihr so manche Jahrhunderte von Barbarei und Aberglauben zu verdanken. So oft man das Verbrechen greifen wollte, rettete es sich ins Heiligthum. Allein demungeachtet wird der Menschenfreund in den aufgeklärtesten Zeiten selbst noch immer auf diese Betrachtung Rücksicht nehmen müssen. Schwer, aber nicht unmöglich ist es, die Grenzlinie zu finden, die auch hier Gebrauch von Missbrauch scheidet. Je edler ein Ding in seiner Vollkommenheit, desto grässlicher in seiner Verwesung. So auch mit Cultur und Aufklärung. Missbrauch der Aufklärung schwächt das moralische Gefühl, führt zu Hartsinn, Egoismus, Irreligion und Anarchie. Missbrauch der Cultur erzeugt Ueppigkeit, Gleissnerei, Weichlichkeit, Aberglauben und Sklaverei. W o Aufklärung und Cultur mit gleichen Schritten fortgehen, da sind sie sich einander die besten Verwahrungsmittel wider die Corruption. Ihre Art zu ver derben ist sich einander schnurstracks entgegengesetzt. Die Bildung einer Nation, welche nach obiger Worterklärung aus Cultur und Aufklärung zusammengesetzt ist, wird also weit weniger [der] Corruption unter-
gion und Sittlichkeit niederzureißen; so wird der tugendliebende Aufklärer mit Vorsicht und Behutsam keit verfahren, und lieber das Vorurtheil dulden, [199] als die mit ihm so fest verschlungene Wahrheit zugleich mit vertreiben. Freilich ist diese Maxime von je her Schutzwehr der Heuchelei geworden, und wir haben ihr so manche Jahrhunderte von Barbarei und Aberglauben zu verdanken. So oft man das Verbrechen greifen wollte, rettete es sich ins Heiligthum. Allein dem ungeachtet wird der Menschen freund, in den aufgeklärtesten Zeiten selbst noch immer auf diese Betrachtung Rüksicht nehmen müssen. Schwer, aber nicht unmöglich ist es, die Grenzlinie zu finden, die auch hier Gebrauch von Misbrauch scheidet. Je edler ein D ing in seiner V ollk om m en heit, sagt ein hebräischer Schriftsteller, desto g räß lich er in seiner V erw esung. Ein verfaultes Holz ist so scheußlich nicht, als eine verwesete Blume; diese nicht so ekelhaft, als ein verfaultes Thier; und dieses so gräßlich nicht, als der Mensch in seiner Verwesung. So auch mit Kultur und Aufklärung. Je edler in ihrer Blüte: desto abscheulicher in ihrer Verwesung und Verderbtheit. Mißbrauch der Aufklärung schwächt das moralische Gefühl, führt zu H artsin n , E goism us, Irrelig io n , und A narchie. Misbrauch der Kultur erzeuget U ep p ig k eit, G leiß n erei, W e ich lic h keit, A b erg lau b en , und Sklaverei. W o Aufklärung und Kultur mit gleichen Schritten fortgehen; da sind sie sich einander die besten Verwahrungsmittel wider die Korruption. Ihre [200] Art zu verderben ist sich einander schnurstraks entgegengesetzt. Die Bildung einer Nation, welche nach obiger Worterklärung aus Kultur und Aufklärung zusam mengesetzt ist, wird also weit weniger der Korruption unterworfen sein.
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worfen seyn. Eine gebildete Nation kennt in sich keine andere Gefahr, als das Uebermaass ihrer Nationalglückseligkeit, welches, wie die vollkommenste Gesundheit des menschlichen Körpers, schon an und für sich eine Krankheit, oder der Uebergang zur Krankheit genannt werden kann. Eine Nation, die durch die Bildung auf den höchsten Gipfel der Nationalglückseligkeit gekommen, ist eben dadurch in Gefahr 5 zu stürzen, weil sie nicht höher steigen kann.
Eine gebildete Nation kennet in sich keine andere Gefahr, als das U eberm aaß ihrer N atio n a lg lü k se lig k e it; welches, wie die vollkommenste Gesundheit des menschlichen Körpers, schon an und für sich eine Krankheit, oder der Uebergang zur Krankheit genennt werden kann. Eine Nation, die durch die B ild u n g auf den höchsten Gipfel der Nationalgliikseligkeit gekommen, ist eben dadurch in Ge fahr zu stürzen, weil sie nicht höher steigen kann. - Jedoch dieses führt zu weit ab von der vorliegenden Frage!
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P h il U eber
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Ru h m d er Au f k l ä r u n g a l t er Lä P e r s ie n s , A e g y p t e n s .
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(Berl. Monatsschr. Jul. 1787 von Eberhard über die heutige Magie S. 23.) 5
Aus dem Platon sowohl als aus dem Xenophon in der Cyropädie erhellet, dass in Alcibiad. 1,17. der sokratischen Schule Persien als das Land gebraucht ward, wohin sie ihr Ideal der E rziehungskunst zu verlegen pflegten. Dieser Roman scheint indess in den da maligen Zeiten alle nöthige Beglaubigung gehabt zu haben; und nichts ist natür licher. Man konnte gewiss damals alle idealischen Pläne eben so dreist nach Persien io verlegen, als wir sie jetzt in das Land der Severamben verlegen. Ein jedes Land, das so weit entfernt war, war das Utopien der Griechen. Ferner ein Land, dessen Cultur älter als die griechische war, hatte ein Recht von ihnen als das Vaterland der Weisheit, als der Wohnsitz aller Künste und Wissenschaften angesehen zu werden. Es ist natür lich, dass ein jeder die Künste dahin verlegte, die er für die grössten und schätzbarsten 15 hielt. Schon zu Homers Zeiten war Aegypten durch seine frühere Cultur das Vater land der Weisheit. Allein ein Volk, wie das griechische zu dieses alten Barden Zeiten, kannte keine andere Weisheit als die Weisheit der Jongleurs, der Weisen eines jeden noch halb wilden Volks. Noch jetzt heisst gelehrt seyn bei unserm gemeinen Volke, etwas von verbotenen Künsten verstehen; indess bei dem Einfältigen unter den 20 Juden, der bei seinen Weisen alle ihre Weisheit sich im Auslegen erschöpfen sieht, 19 dem] Th: den Die Marginalie stützt sich auf eine Darlegung, die in der Abhandlung einige Seiten vor Beginn des Exzerpts steht: [20] Allein, wie ist das Vorurtheil von der m agischen W e ish eit der p ersischen Weisen ent standen ? ... Die Veranlassung zu dieser Benennung [sc. jener Weisheit als Magie] scheint mir in einer Stel le von P lato ns erstem Alcibiades [dazu die Fußnote: Nach Ihrer Ausgabe, Kap. 17: (es folgt ein griechisches Zitat)] zu [21] liegen, wo zugleich, so viel ich habe nachforschen können, das W ort M agie zum erstenmale vorkommt, und die nach einer wörtlichen Uebersetzung also lautet: »Wenn der Knabe zweimal sieben Jahr alt geworden ist, so nehmen ihn diejenigen zu sich, welche sie (die Perser) königliche Erzieher nennen. Dieses sind vier der ausgesuchtesten bejahrten Männer, die man für die besten hält; der eine der Weiseste, der andere der Gerechteste, noch ein Anderer der Mäßigste, und noch ein Anderer der Tapferste. Einer von diesen lehrt ihn die M agie des Z o ro asters des Sohns des O ro m azes; diese ist der D ienst der G ötter. Er lehrt aber auch die königlichen Wissenschaften.« In Hegels Auszug ist der Text des Originals wörtlich wiedergegeben mit folgenden Ausnahmen: 7 pflegten.] In O folgen Ausführungen darüber, daß die behandelte Platonstelle im Grunde nur griechische Philosophie im persischen Gewände sein solle. Der Gedankengang schließt: [23] Die ganze Stelle des P lato n enthält also nichts, als den gewöhnlichen Roman der [24] sokratischen Schule von der Vortreflichkeit der persischen Pädagogik.
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alle Gelehrsamkeit in Darschen d. i. in Auslegen besteht. In diesem Geiste machte Homer seine Zauberer zu Aegyptern. Odyss. IV. v. 227. Ebenso konnten Platon und Xenophon ihre philosophischen Ideale nach Persien verlegen, dessen alte Cultur und Weisheit sie, wie seine Orden von Weisen, nach ihrem eigenen Ideal von Cultur und Weisheit bildeten. Nun lässt sich auch begreifen, wie die neuplatonischen Philosophen eben dieses Land zu dem Vaterlande ihres schwärmerischen Aberglaubens machen konnten: da es Platon für den Sitz des Unterrichts in dem Dienst der Götter erklärt hatte, und dieser Dienst der Götter die theurgischen Operationen waren, die den höchsten Gipfel ihrer Weisheit ausmachten. 2 v.] Th: V
5 Cultur und Weisheit] Th: Cultur-Weisheit
1 machte] O: macht 2 ... Aegyptern.] Hierzu in O die Fußnote: Hom. Odyss. IV. v. 227. (es folgen zwei griechische Verse) 4 wie] O: so wie 6 Nun lässt sich auch begreifen] O (ohne Absatz): - Aber nun auch eben so gut läßt es sich begreifen
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(Nicolai’s Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz. V. Bd. 1785. XIV. Abschn. p. 205 ff.) D en 16. Aug. 1787. C ultur und A u fklärung sind beide mächtige Triebfedern zum Wohlstand einer Nation; beide müssen [vereint] wirken, beide müssen im gehörigen Verhält nisse untereinander, im gehörigen Verhältnisse mit der jedesmaligen Masse der Thätigkeit und der Denkungsart einer Nation wirken; widrigenfalls wird ihre Wir kung weder sicher noch dauerhaft seyn. Cultur bezieht sich auf die ganze Masse der Thätigkeit einer Nation. Künste, Handwerke, Fertigkeiten, Sitten, gesellschaftliche Bemühungen, bestimmen den Grad der Cultur, und das Aeusserliche an allen diesen den Grad der Politur einer Nation. Es kann Cultur ohne Politur, Politur ohne Cul tur und beide in sehr ungleichem Verhältnisse geben. Hingegen Nachdenken über alle Gegenstände des menschlichen Lebens, insofern sie Einfluss auf das W ohl eines jeden Individuum und auf das allgemeine Wohl haben; verbreitete Penetration, dieses schnell anschauend zu erkennen, zeigt den Grad der Aufklärung einer Nation. Alles diess kann tausendfach modificirt seyn, muss aber im richtigen Verhältnisse stehen, sonst wird der Erfolg schlecht seyn. Will man mehr penetriren, als man zu penetriren vermögend ist, so wird nicht Aufklärung, sondern Dünkel die Folge seyn. Ohne weitverbreitetes Nachdenken kann Aufklärung nicht da seyn, wohl aber Politur. Diese kann eine Nation in gewisser Absicht von aussen empfangen. Cultur selbst muss billig bis in das innerste Bestandtheil verbreitet seyn, muss aus innern Kräften heraufgearbeitet werden. Hat aber eine Nation Politur, ehe sie Cultur hat, so wird man mehr Schein als Wirklichkeit erlangen. Eben so ists bei einzelnen Men1 V.] Th: VI. unglücklichem
7 widrigenfalls] Th: widrigenfalls
9 Künste] Th: Künstler
12 ungleichem] Th:
Das Exzerpt stimmt bis auf diefolgenden Abweichungen wörtlich mit dem Original überein: 4 C ultur... beide] O: [205] K u ltu r und A ufklärung sind Wörter, die so oft gebraucht werden, ohne daß die Begriffe gehörig bestimmt sind; ja die meisten brauchen sie, ohne überhaupt etwas richtiges dabey zu denken. Beide sind 7 Denkungsart] O; Denkungskraft 10 Bemühungen,] danach in O: gesell schaftliche Vergnügungen, 14 verbreitete] O: die allgemein verbreitete 16 richtigen] O: richtigsten 21 das innerste Bestandtheil] O: die innersten Bestandtheile 23 erlangen.] Hier folgt in O eine Fußnote, die auf den Aufsatz von Moses Mendelssohn über Aufklärung und Kultur verweist (vgl. den editorischeti Bericht).
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sehen. Die Natur geht Schritt vor Schritt, hat keine Wirkung ohne Ursachen, und in ihr wird jede Wirkung nothwendig wieder zu einer neuen Ursache, die wieder Wirkung hervorbringt; und so geht sie beständig fort. Die Einbildungskraft springt, schafft nach Belieben, will Wirkungen haben, ehe die Ursachen da sind, sieht nichts, wie es ist, sondern wie sie es gern haben wollte, will’s noch besser haben, wird un- 5 gehalten, wenn es nicht von ändern so gefunden wird, und stellt sich vor, es wäre doch so. Unterdessen geht die Natur ihren W eg, und bringt nicht mehr Wirkungen hervor, als Ursachen vorhanden sind. 4 Wirkungen] Th: Wirkung 5 wie es ist, sondern] O: so wie es ist, sondern so
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(Nicolai’s Reisen. IV. Band. XII. Abschn. p. 923.) D en 23. Aug. 1787. Wohlthätige Verbesserungen betreffend die Cultur einer Nation, und die Auf klärung in Gelehrsamkeit und Religion, wenn man ihnen einen dauerhaften Einfluss versprechen soll, werden am sichersten aus der mittlern Classe des Volks entstehen, wenn diese für die nöthigsten Bedürfnisse des Körpers zu sorgen nicht nöthig hat, und so vorbereitet ist, dass sie nachdenken und thätig seyn will und kann. Sie in diesen Zustand zu bringen, ist die höchste Kunst eines Regenten, und befördert das Wohl einer Nation gewiss mehr, als alle directe Verordnungen und Befehle. Aus der mittlern Classe werden sich Cultur und Aufklärung sehr bald in den untern Classen des Volks ausbreiten, wenn deren Geist nicht durch Armuth, Aberglauben, Faulheit und stumpfe Sinnlichkeit niedergedrückt ist; und sie werden sich von da aus in den höhern Ständen verbreiten, wenn diese nicht durch Reichthum, Stolz, Aberglauben, Faulheit und verfeinerte Sinnlichkeit, für das, was der Menschheit wichtig ist, un empfindlich geworden sind. Ist diess wahr, so wie es die Geschichte allenthalben bestätigt, so ist auch offenbar, dass sowohl Cultur als Aufklärung nicht nothwendig in einer Residenzstadt zuerst aufkeimen, am wenigsten aber vom Hofe aus ein geführt werden müssen. 1 IV.] Th: V.
9 Verordnungen] Th: Verordnung
Das Exzerpt stimmt bis auf den Anfang und einzelne Wörter mit dem Original überein. 3-5 Wohlthätige ... versprechen soll] O; [923] Aber Gott behüte, daß Männer, die nicht Hofschranzen sind, den Monarchen ferner einbilden wollten, alles, und besonders die Kultur einer Nation und die Auf klärung in Gelehrsamkeit und Religion, müsse allein von ihn en herkommen! Diese wohlthätigen Ver besserungen, wenn man ihnen einen dauerhaften Einfluß versprechen soll 9 Wohl] O: dauerhafte Wohl 10 den] O: die 12-13 in den höhern Ständen] O: auch in die höhern Stände 13 Reichthum, Stolz] O: Stolz, Reichthum 15 geworden] O; worden
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P h il Myt hen
o s o p h ie . in d e r
P h il
o s.
Gesc h
P h il o s o p h ie 28. Sept. 1787.
und
ic h t e
Rel
.
ig io n
.
(Berl. Monatsschr. Jul. 1787. S. 14.) Ein M yth os ist eine Dichtung, welche die Beglaubigung einer übernatürlichen Belehrung oder einer alten Ueberlieferung hat, und welche als eine ausgemachte Wahrheit angenommen wird, weil die richtige Vernunfterkenntniss des Gegen standes über den Gesichtskreis der Vernunft und der Erfahrung derjenigen erhaben ist, die diese Mythen annehmen. Ein ganzes System solcher Mythen über die Religion ist die M y th o lo g ie ; und es ist sehr natürlich, dass die Philosophie und Religion einer jeden Nation anfänglich Mythologie ist. Denn die sinnliche Gewissheit muss bei ganzen Völkern so gut, als bei den einzelnen Menschen vor der vernünftigen vorher gehen, weil in dem endlichen Verstände das Vollkommnere erst auf das Unvollkommnere folgen kann. Das Exzerpt stimmt fast vollständig mit dem Original überein. Einzige Abweichungen: 5 ist] O; ist also 12 den] O: dem
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(Allg. Liter. Zeitg. Jan. 1788. No. 1. aus: Zöllner’s Lesebuch für alle Stände VIII. Th. 1787.) D en 1. Febr. 1788. Nicht die Bestreitung des Vorurtheils macht den au fgek lärten M ann, und noch weniger das Verschreien der Wahrheit unter dem Namen des Vorurtheils. Wenn jemand den unpartheiischen Forscher nachspricht, und irgend eine Meinung für abgeschmackt oder für unerweislich ausgiebt, weil jener sie dafür erklärt hat, wird er da nicht selbst durch Vorurtheil geleitet» Und wenn ein anderer erst die ungefärbte Wahrheit durch den Namen des Voiurtheils herabsetzt, und dann gegen sie ins Feld zieht, giebt er nicht zu erkennen, dass er sich selbst durch Vorurtheil beherrschen lasse? Nicht darum ist jemand aufgeklärt, weil er diesen oder jenen Satz behauptet, oder leugnet, sondern weil er so viel Hochachtung und Sinn für die Wahrheit, so viel Entschlossenheit und Festigkeit hat, dass er mit männlichem Ernste prüft, und sich weder durch Tadel noch Lob, weder durch Geschrei noch Hohn gelächter abhalten lässt, kaltblütig zu untersuchen, warum er etwas behauptet oder leugnet. Das Exzerpt stimmt fast vollständig mit dem Original überein. Einzige Abweichungen: 4 Vorurtheils] in O folgt: , sagt Hr. Z. am Ende, 6 den] O: dem 10 Vorurtheil] O; Vorurtheile
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(Allg. Litter. Zeitung. Febr. 1788. N. 41b. S. 446. aus J. H. Kistenmaker’s Prof. Philolog. de origine ac vi Deponentium et Mediorum Graecae linguae praesertim Latinae. Münster 1787.) D en 18. März 1788. Die Reciprokenformen der Zeitwörter haben eine aus Thun und Leiden gemischte Bedeutung, und es giebt zwei Arten, wo unsere Handlungen auf uns selbst gehen, einmal, wenn dieselben eine Veränderung in uns hervorbringen, so dass wir thuendes Subject und leidendes Object zugleich sind, [und dann,] wenn eine unserer Hand lungen zu unserem Vortheil oder Schaden ausschlägt. Die lateinische und andere Sprachen bezeichnen das Zurückwirkende gewöhnlich durch personelle Vorwörter, die Griechen fassten den Unterschied genauer und hatten eine eigene Conjugationsform (Medium), von der das Nöthige beigebracht ist. Etwas dem ähnliches haben zwar auch die Lateiner in ihren Deponentibus, aber sie lassen sich doch in den wenigsten Fällen mit den verbis mediis der Griechen vergleichen, fliessen vielmehr aus einer allgemeinen Quelle, nämlich aus der natürlichen Sagacität der Seele, die Verschiedenheit der Handlungen und Veränderungen in und an uns zu bemerken, und auf dieselbe eine verschiedene Wörterbildung zu gründen; diese Sagacität lässt sich aus der Analogie mehrerer Sprachen beweisen. Die lat. Depon. kann man auf folgende Quelle zurückleiten. 1) In unsern Empfindungen, zumal wenn sie heftig sind und schnell entstehen, ist immer etwas Thätiges und Leidendes; jenes, weil unsere Seele in handelnder Bewegung ist, dieses, weil die Gemüthsbewegung so gewaltig auf uns eindringt, dass wir uns leidend zu verhalten scheinen. Daher haben die Griechen und Lateiner diese Wörter in passiver Form und in activer Bedeutung und Construction gebraucht, z. B. laetor, miror. 2) Wenn wir etwas nicht ganz einsehen, nicht mit gehöriger Aufmerksamkeit oder Bestimmtheit über eine Sache 1 41 b] Th: 416 Der Wortlaut des Exzerpts weicht an folgenden Stellen ab vom Original: 5-6 Die ... Arten] O: Nach genauer Bestimmung der activen, passiven und reciproken Formen der Zeitwörter bemerkt der Verf., daß die letztem eine aus Thun und Leiden gemischte Bedeutung haben, und daß es zwey Arten gebe 15 allgemeinen] O; allgemeineren der] O: unserer 17-18 diese ... be weisen.] O: eine Sagacität, die aus der Analogie der deutschen, französischen, italiänischen und englischen Sprache erläutert wird. 18-19 Die ... zurückleiten.] O: Von diesem Grundsätze geleitet führt Hr. K. die lateinischen Deponentia auf folgende Quellen zurück: 19 unsern Empfindungen] O: unsern innern Empfindungen, sagt er, 20 Leidendes] O: etwas Leidendes 22 eindringt] O: andringt 24 laetor, miror] O; yjSofxai, laetor, ayajxai, miror u.s.w.
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[ r e c ip r o k e n fo r m e n d e r Z e it w ö r t e r ]
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urtheilen, so ist das keine eigentliche vollständige Handlung, vielmehr ein Mittelding zwischen Thun und Leiden, z. E. suspicari, opinari, oblivisci. 3) Ueberhaupt alle Handlungen, die mit weniger Ueberlegung oder Aufmerksamkeit, hingegen mit desto mehr Hitze, Uebereilung und Schnelligkeit geschehen, werden gemeiniglich als Depon. gefunden, weswegen sie oft in Rücksicht auf Heftigkeit oder mindere Anstrengung von gleichbedeutenden Activis verschieden sind, z. B. lacrimari, reichlich weinen, largiri, reichlich geben, nancisci, von ungefähr erlangen. 4) gehören dahin solche, die eine Handlung anzeigen, bei der wir nicht sowohl freiwillig, als vielmehr unter Leitung und Antrieb eines Ändern thätig sind, z. B. sequi, assentiri. 5) aus persönlichen Nominibus gebildete, die einigermaassen den Begriff der Nach ahmung in sich fassen, z. B. rusticari, i. e. rusticum agere, vaticinari, latrocinari. 6) einige Reciproca, z. B. pigneror, ich nehme mir ein Pfand, pignero, ich gebe eines. Zu diesen Reciprocis gehören auch die Verba, in denen die Idee des Gegenseitigen liegt, rixari, altercari; amplecti, osculari, pacisci. Wegen der Schwierigkeiten muss man die erste und älteste Bedeutung der Wörter so viel als möglich aufspüren, nach und nach sind viele derselben verloren gegangen oder in eine verwandte übergegangen, aus intransitiven transitiv geworden; die ersten Erfinder der Wörter sind überhaupt oft nur von dunkeln Begriffen geleitet worden, die wir jetzt unmöglich mehr angeben können; auch darf man bei keiner Sprache eine unveränderliche sich überall gleichbleibende Norm erwarten. 16 aufspüren] Th: aufführen 5 oft] O: auch oft 7 reichlich weinen] O: sehr weinen erlangen] O: erhalten 12 pigneror,] O: pigneror heißt 15 Von hier ab lautet O: [446] Perizonius habe die mehresten Deponentia auf den Begriff des Reciproci allein zurückzuleiten gesucht, aber sich dadurch zu enge Grenzen gesetzt, die Sache nicht erschöpft, und sich in Schwierigkeiten verwickelt gefunden, die er durch Interpretation zu heben nicht vermochte. Diese Schwierigkeiten, glaubt nun unser Verf., würden bey seiner mehr umfassenden Erklärungsart nicht so sehr statt finden. Ob alle Deponentia sich unter die angegebenen Rubriken möchten bringen lassen, ließe sich nur durch Induction ausmachen, zu der wir hier keinen Raum haben. Doch der Verf. besitzt selbst das bescheidenste Gefühl einiger Schwierigkeiten, denen auch seine Erklärungsart noch aus gesetzt seyn könnte, und giebt deshalb den Rath, daß man die erste und älteste Bedeutung der W ör ter, so viel möglich, aufspüren soll; - nach und nach wären viele derselben verloren, oder in eine ver wandte übergegangen, wären aus intransitiven transitiv geworden, - die ersten Erfinder der Wörter wären überhaupt oft nur von dunkeln Begriffen geleitet worden, die wir jetzt unmöglich mehr angeben könnten; - man dürfe bey keiner Sprache eine unveränderliche, sich überall gleich bleibende Norm er warten. - Die Beweise für dies alles müssen wir dem Liebhaber der Sprachphilosophie selbst nachzulesen überlassen, können aber demselben im Voraus das Vergnügen versprechen, an H. K. einen Denker zu finden, der seinen Hypothesen wenigstens den Grad von Wahrscheinlichkeit zu geben wußte, dessen sie fähig waren, und Rec. müßte sich sehr irren, wenn nicht besonders auch das, was beyläufig S. 33 über den Infinitivus historicus gesagt ist, Beyfall finden sollte.
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P h i l o s o p h i e . U e b e r Fr e i h e i t . D en 31. Juli 1788.
(Allg. Lit. Zeitg. April 1788. No. 100 Recension der Schrift: Eleutheriologie, oder über Freiheit und Nothwendigkeit von J. A. Ulrich. Jena 1788.) Der Unterschied des Physischen und des Moralischen am Menschen, insofern er einerseits, als Unterthan der Natur, den unabänderlichen Einfluss ihrer Ursachen fühlt, und nach ihren bestimmten Gesetzen alle Handlungen vorher zu berechnen und hinterher zu erklären, durch seinen Verstand selbst angewiesen ist, und anderer seits als Gebieter über die Natur, sich eine von ihr unabhängige Selbstthätigkeit zutraut, und sich eigne Gesetze giebt, nach welchen, trotz allem fremden Einflüsse, die künftigen Handlungen einzurichten, er für ein unerlässliches Gebot erkennt, und die vergangenen, laut Aussprüchen eines Richters in seinem Innern, unerbittlich billigt oder verdammt: dieser Unterschied ist der gemeinsten Vernunft geläufig; und freilich sie müsste, welches sie weder kann noch darf, sie müsste aufhören, das, was ist und geschieht, von dem, was seyn und geschehen soll, zu unterscheiden, wenn sie denselben verkennen oder bezweifeln wollte. Hingegen der Zusammenhang dieses Physischen und Moralischen im Menschen, insofern er eben dieselben Handlungen, nicht nur nach Verhältnissen der bestimmten Naturnothwendigkeit, sondern auch in Beziehung auf eine unbedingte Selbstthätigkeit, und zwar beides zusammen, gedenken soll, überschreitet alle Fassung seines Geistes, der je nachdem er es ver sucht, diese Handlungen, entweder gemäss dem Bedürfnisse des Verstandes, als durch Natur bestimmt, oder, gemäss dem Erfordernisse der Moralität, als durch Freiheit hervorgebracht, anzunehmen, bald einsiehet, dass er im ersteren Fall das Wesen der Sittlichkeit, und im ändern den Gebrauch des Verstandes aufgeben müsse, und sonach, da keines von beiden sich aufgeben lässt, gewahr wird, dass hier ein Geheimniss vor ihm liege. Was bleibt nun in Absicht dieses Geheimnisses für das Nachdenken übrig? Nichts, als zuerst den wesentlichen Unterschied des Natürlichen und Sittlichen in das hellste Licht, und gegen alle Zweifel und Einsprüche des sich dawidersträubenden Vorwitzes in völlige Gewissheit und Sicherheit zu setzen und alsdann durch kritische Erforschung unsers gesammten Erkenntnissvermögens befriedigenden Aufschluss darüber zu suchen, warum der Zusammenhang jener bei den Verknüpfungen unbegreiflich scy, und (obschon sich nicht ergründen lässt, auf welche Weise Natur und Freiheit im Menschen Zusammenhängen) inwiefern denDas Exzerpt stimmt bis auf eine Anzahl von Auslassungen und einzelne Umformungen mit dem Original überein.
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noch sich ohne Widerspruch gedenken lasse, dass beide wirklich in ihm vereinigt statthaben. Das scheint allerdings sehr wenig zu seyn, und ist freilich auch weniger, als lüsterne Wissbegierde verlangt, ob zwar wohl so viel, als die Zwecke des Lebens nur immer erfordern mögen. Wenn nun aber vollends bei den Untersuchungen, die uns jenen Aufschluss gewährten, es sich offenbarte und auswiese, dass eben durch die Begränzung ihres Wissens, die Vernunft, die sonst in ihren Speculationen über das Theoretische und Praktische mit sich selbst zerfällt, in Absicht auf beides zur voll kommensten Harmonie gelangte, und eben durch die Erörterung seines Unver mögens, Natur und Sittlichkeit mit einander zu paaren, unser Geist die erfreulichsten Blicke in eine von der Sinnenwelt unterschiedene Verstandeswelt, und die erwünsch testen Aussichten über seine Bestimmung und Würde gewönne; so wäre es in der That Kurzsichtigkeit, wenn man über die Begränzung unsers Wissens und über das Unvermögen unsers Geistes Klage erheben, und Unverstand, wenn man sich weigern wollte, zu gestehen, was gleichwohl unleugbar ist, dass nämlich das wichtig ste und anziehendste aller Probleme der Vernunft für uns hienieden unauflöslich sey. Indessen mag man diess Alles noch so klar zeigen, so wird man darum nicht weniger von Zeit zu Zeit noch immer Versuche, das Problem zu lösen, zum Vorschein kommen sehen; denn so ist es nun einmal mit dem Menschen bewandt, dass er in Sachen des Nachdenkens zu Allem eher als zur Erkenntniss seiner Unwissenheit gelangt; der Verfasser der gegenwärtigen Schrift bemüht sich darin das System der durchgängigen Naturnothwendigkeit aller menschlichen Kraftäusserungen unter dem Namen des Determinismus, als das einzig Richtige darzustellen, und in Absicht der Sittlichkeit nicht nur als mit ihr verträglich zu erklären, sondern auch als ihr förderlich anzupreisen. Neue auch nur Wendungen und Methoden, geschweige Gründe und Beweise hierüber verlangen, hiesse den Gegenstand der Bearbeitung, an welchem seit Jahrtausenden der menschliche Geist sich versucht und erschöpft hat, misskennen. So wie daher einerseits, was die Richtigkeit dieser Lehre selbst betrifft, alles wie gewöhnlich darauf hinausläuft, dass, was nur irgend durch den äussern oder 24 geschweige] Th: gehörige (möglicherweise Lesefehler) 18-20 dass er ... der gegenwärtigen Schrift] O: [178] daß er in Sachen des Nachdenkens vornemlich über dunkele, und eben darum reizende Gegenstände, zu allem eher, als zur Erkenntniß seiner Unwissenheit gelangt, und zu allem [179] leichter, als zum Geständnisse seiner Unfähigkeit sich überwindet; und so muß es wohl seyn, da dergleichen Versuche nicht etwa, wie ähnliche, welche überschwängliche Erfindungen in der Mathematik betreffen, von Anfängern und Stümpern in der Wissenschaft, sondern oftmals von Männern herrühren, deren Einsichten und Kenntnisse kaum argwöhnen lassen, daß sie, welches gleichwohl immer der Fall ist, den eigentlichen Fragepunkt der Aufgabe mißverstehen, oder eine Bemäntelung der Schwierigkeiten für eine wirkliche Auflösung derselben verkennen würden; wovon auf alle Weise die gegenwärtige Schrift einen Beleg abgiebt. Der eben so scharfsinnige als gelehrte Verfasser derselben
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innern Sinn sich wahrnehmen lässt, insofern es durch den Verstand begriffen werden soll, auch dem Erfordernisse des Verstandes gemäss mit Ausschliessung des Ohngefährs nothwendige Bestimmung haben, und sonach der Mensch als Naturwesen auch unter Naturgesetzen stehen müsse (ein Satz, der allerdings unwiderleglich ist, aber nur noch immer den Fragepunct zurücklässt, ob denn der Mensch durchaus nur als Naturwesen anzusehen sey?) so läuft andererseits über das Verhältniss der physischen Nothwendigkeit zur Moralität alles wiederum auf einen Fatalismus hinaus, der den ächten Begriffen von Verpflichtung und Zurechnung weiter keinen Bestand lässt. Da das Sollen ein Können, mithin das von allem, was wirklich geschieht, [un abhängige Sollen, ein ebenmäßig von allem, was wirklich geschieht,] unabhängiges Können, oder sittliche Verbindlichkeit ursprüngliche Selbstthätigkeit voraussetzt, die nun eigentlich dasjenige ist, was man unter Freiheit zu denken hat, und doch nicht zu begreifen weiss: so sucht der Verfasser, um dieser Unbegreiflichkeit auszuweichen, umgekehrt einen Uebergang von dem Können zu dem Sollen zu finden. Nun giebt es allerdings ein Können, das auch wohl Freiheit heisst, und doch ganz verständlich ist; so fern nämlich der Mensch nicht wie die Maschine durch Stoss oder wie das Thier durch Gefühl, sondern durch Gedanken wirksam ist; und sofern alle Gedanken, die dem Menschen vermittelst des innern Sinnes, nur irgend gegenwärtig werden, und zur Wahrnehmung sich anbieten mögen, in Rücksicht ihres Entstehens, Aus bleibens, Wiederkommens, der Zunahme und Abnahme ihrer Klarheit, Lebhaftig keit und Wirksamkeit, kurz in Rücksicht ihrer Erscheinung und Abwechselung ebensowohl wie alle andere Phänomene der Sinnenwclt sich müssen begreifen und erklären lassen. Und hievon geht der Verfasser aus, wenn er die Freiheit unter anderen (S. 59.) durch die Verbesserlichkeit unserer praktischen Erkenntniss erklärt, und bei dem Aufzählen der Ursachen, wovon die Erwerbung und Entwickelung der
7 zur] O: zu der wiederum auf] O: wiederum, und, gewisse logische Förmlichkeiten abgerechnet, namentlich fast ganz so, wie in dem bekannten Versuche einer Sittenlehre für alle Menschen, auf 9 Der Gedankenstrich steht für folgende Auslassung: [179] Das wird keinen Sachkundigen befremden; aber was uns denn doch befremdet hat, ist theils die Insinuation des Vf. S. 8. »sich keine Zurückhaltung und absichtlich klügelnde Zweydeutigkeit oder Unbestimmtheit erlaubt zu haben«; theils die Zuversicht, womit er in der an die Lieblinge seiner Seele, das heißt, seine werthesten Zuhörer, gerichteten Dedication »nichts mehr wünscht, als daß sie in dieser seiner Lehre alle die Beruhigung und Zufriedenheit finden möchten, die er selbst davon erfahren habe, und sie auffodert, durch ihr Beyspiel zu zeigen, daß richtig, (zu verstehen, so wie er hier dargestcllt [180] ist,) gefaßter Determinismus die Sittlichkeit nicht aufhebe, sondern stütze.« In der That macht beides, verglichen mit dem Vortrage und Inhalt der Schrift, mit einander zum Theil einen wunderlichen Contrast, und cs wird gewiß wohlgethan seyn, diesen durch folgende Beleuchtung des Haupt gedankens für den Leser in näheren Augenschein zu setzen. 10 Da] O: Da nemlich 24 Und ... aus] O: Und das ist es auch, wovon der Vf. ausgeht
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praktischen Erkenntniss abhange, z. E. [theils] der Gelegenheit des Unterrichts, der Erfahrung, theils des vorsätzlichen Nachdenkens u.s.w. in Absicht des letztem freimüthig überall (besonders S. 62) hinzufügt: dass alles dies Vorsätzliche selbst wieder von tausenderlei Umständen abhange, die in der gesammten Verknüpfung (der physischen Ursachen) liegen. Diess Geständniss erheischt freilich sein System durch aus, indem alles Psychologische in Absicht der Erklärbarkeit als Gegenstand der Wahrnehmung sich an die Reihe des Mechanischen, Chemischen, Organischen anschliesst, und damit als eben so viel besondere Nebenarten, die Hauptgattung des Physischen bildet. Aber nun der Uebergang von dieser Namenfreiheit, die nichts als Naturnothwendigkeit ist, zu der davon abgeschnittenen Moralität; oder von diesem abhängigen Können zu dem absoluten Sollen? - Ja (statt den zu zeigen, worauf doch alles ankam), klagt der Verfasser Seite 17, der Begriff des absoluten Sollens (der frei lich der eigentliche Plagegeist für den empirischen Moralisten ist) sey einer der schwersten in der ganzen Moral, dessen Untersuchung er sich auf eine andere Zeit Vorbehalte, vergleiche S. 38, feilscht und dingt die Richtigkeit seiner Lehre wenig stens auf Halbscheid in Absicht des Zukünftigen, wenn gleich nicht in Absicht des Vergangenen zu retten, bis am Ende die Wahrheitsliebe ihm noch die naive Frage ablockt: was wäre es denn nun, wenn alles Sittliche sich zuletzt auf etwas Physisches zurückbringen Hesse? - Was es denn wäre? - Nun wohl weiter nichts, als dass es denn zuletzt gar nichts Sittliches gäbe, und mit dem Unterschiede des Physischen und Moralischen zugleich der Unterschied dessen, was ist oder geschieht und dessen, was seyn oder geschehen soll, verschwände. Doch der Verfasser thut auch Anträge auf Halbscheid: »Der Mensch soll (S. 63) anders und besser werden; auch kann er es werden; nur kein Mensch kann schon jetzt anders oder besser seyn, als er ist.« Also nur schon jetzt und bis jetzt nicht. Wie aber, wenn aus dem fortfliessenden Jetzt das Immer entstände, wie aus dem fortfliessenden Punct die Linie entsteht, und von jeder Stelle der zukünftigen und vergangenen Zeit das Jetzt eben so gälte, wie von jeder Stelle der Linie, hinauf und 23 »Der] Th: Der 2 Nachdenkens u.s.w.] O; Nachdenkens, der vorsätzlichen Aufmerksamkeit, Uebung u.s.w. 10 da von] O: davon ganz 11 Ja] davor in O: Der Uebergang? doch] O: doch eben 15 vergleiche S. 38] O; [181] bittet S. 38. seine Zuhörer, »sich an dasjenige zu erinnern, was sie in den moralischen Vorlesun gen bey der mühsamen Entwickelung der Idee von Pflicht über das absolute Sollen gehört haben« und wovon leider der Leser nichts weiß; 17 noch] O: noch, unter den Verbesserungen und Zusätzen auf der vorletzten Seite, 22 verschwände. Doch der Verfasser thut auch] O: verschwände. Das ist ja aber die Theorie, in Rücksicht welcher der Vf. die Lieblinge seiner Seele auf gef odert hat, sie durch ihren Wandel zu widerlegen. Doch wie gesagt, der V. thut unter ändern auch 23 S. 63] O: heißt es S. 63. 82. etc. und] O: oder
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hinab betrachtet, der Punct gilt? In der That, wenn alles Künftige sogut dereinst gegenwärtig seyn wird, als alles Vergangene bereits gegenwärtig gewesen ist; so muss das menschliche Thun und Lassen, wenn es allemal bis jetzt durch Nothwendigkeit bestimmt ist, auf gleiche Weise auch für alle Folgezeiten in’s Unendliche hin bestimmt seyn; als welche Folgezeiten das zur Gränze der Nothwendigkeit an genommene Jetzt der Reihe nach in’s Unendliche hindurchwandern muss: oder wenn der Verfasser das läugnen wollte, so müsste er behaupten, dass alle Handlungen aller Menschen in aller Zeitfolge zwar zurück von B nach A gesehen, unmöglich anders, aber vorwärts, von A nach B gesehen, ganz anders möglich gewesen seyn, welchem nach einerlei Urtheil über einerlei Sache, objectiv genommen, zugleich wahr und falsch wäre; eine Unbegreiflichkeit, die grösser ist, als die so durch Umgehung der sittlichen Freiheit vermieden werden sollte, und in die nicht etwa nur der Verfasser aus Versehen gerathen ist, sondern auf demselben Wege, trotz aller Vorsicht, jedermann unabänderlicher Weise am Ende sich verwickeln muss. Und so zeigt es sich denn augenscheinlich, dass der Hauptgedanke des Verfassers unhaltbar und seine Schrift nichts als ein Beitrag zu dem Beweise des klaren Satzes ist: dass Freiheit, sowie sie der Sittlichkeit zu Grunde liegt, sich nicht begreifen lasse, und so wie sie sich begreifen lässt, nicht der Sittlichkeit zur Grundlage dienen könne, sondern vielmehr dahin abzwecke, die ganze moralische Verstandeswelt, die auf persönlicher Selbstmacht beruhet, in eine physische Sinnenwelt zu verwandeln, wo alles nach einer anders woher bestimmten und unabänderlichen Naturnothwendigkeit fortgeht, und wo (sofern S. 90 niemand zu dem jedesmaligen Zustande seines sittlichen Werths oder Unwerths durch seine vorsätzlichen Bemühungen eigentlich etwas beigetragen hat, oder hat beitragen können) weder ein Mensch, als welcher nur Ursache, nicht Ur heber ist, an seinem oder Anderer Thun und Lassen, noch sogar die Gottheit, als welche in allem ihr Werk und nur sich selbst handeln sieht, an uns insgesammt das mindeste zu tadeln finden kann, und wo nicht mehr von Pflichten und Verbindlich keiten, sondern nur von Thaten und Begebenheiten, nicht mehr von Verdienst und Schuld, von Tugend und Laster, sondern nur von Glück und Unglück, Vergnügen und Leiden die Rede seyn darf: in eine Welt, in Absicht welcher nichts übrig bleibt, als die schwindelnde Vernunft durch die Phantasie, diese leidige Trösterin, in den 7 dass alle Handlungen] O: daß z. B. das Thun und Lassen der Jenenser im verflossenen Jahr, jetzt nach dem Ende des Jahres durchaus nothwendig so, wie es war, vor dem Anfänge desselben aber nicht nothwendig so, wie es war; und auf gleiche Weise alle Handlungen 11 die so] O: diejenige, welche 14—16 Und so ... Satzes ist:] O: [182] Und so zeigt es sich denn nach aufgehobenem Blendwerke, wel ches mit dem Jetzt und Schon und Einst gespielt wird, augenscheinlich, daß der Hauptgedanke des Vf. schlechterdings unhaltbar, und seine Schrift, trotz der Zuversicht, die er darauf gesetzt hat, nichts als ein überflüssiger Beytrag zu dem Beweise des an sich klaren Satzes ist:
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wilden Traum von einer Vorsehung einwiegen zu lassen, welche an der Naturkette der nothwendigen Ursachen, unter deren Erfolgen manche kraft eines wohlthätigen Wahns uns freie Handlungen zu seyn scheinen, alle Menschen oder Personen als lauter wirkliche Automate, die einen später, auf dem Umwege sogenannter Laster, die ändern früher, auf dem Richtwege vermeintlicher Tugend, zu einem gemein samen äussersten Ziele der Glückseligkeit mechanisch hinbewegt. W ie ein System dieser Art (obwohl nicht leicht ein Mann von Nachdenken seyn mag, dem es nicht irgend einmal durch den Kopf gegangen) völlige Zufriedenheit gewähren könne, ist an sich sonderbar; vollends aber auf Seiten des Verfassers befremdlich, weil er selbst eine erhebliche Bedenklichkeit dagegen geäussert hat. In dem polemischen Theile seiner Schrift nämlich, der wider die Kantische Theorie der Freiheit gerichtet ist (eine Theorie, würdig eines ächten Weltweisen, der auf wissenschaftliche Gewissheit dringt, wo sie nur irgend zu haben ist, aber auch Unwissenheit redlich anerkennt, wo ihr gar nicht abgeholfen werden kann, und von welcher die ersten Grundzüge zum Eingänge dieser Recension dargelegt sind) gesteht Herr U. geradezu (S. 33), dass diese Theorie unwiderleglich seyn würde, wenn man den Satz als ausgemacht zugestände, dass die Zeit eine bloss subjective Form der Erscheinungen sey. Allein gegen diesen Satz ist es nicht mit blossen Gegenerklärungen (wie S. 33) oder mit blossen Einwendungen ausgerichtet, zumal wenn letztere entweder auf eitlen Miss verstand hinauslaufen, oder nur die Erläuterung des Satzes und nicht den Satz selber treffen. So heisst es unter ändern (S. 34): Wie will man bei Behauptung einer ur sprünglichen Selbstthätigkeit des reinen Vernunftvermögens der Frage ausweichen, warum dies Vermögen bei gewissen Handlungen angewandt werde, bei ändern nicht, da doch entweder ein Grund einmal der Unterlassung, das anderemal der Anwendung vorhanden seyn müsse oder nicht, und mithin im ersten Fall Zufall, im ändern Nothwendigkeit eintrete. Denn dieser und allen ähnlichen Fragen, die voraussetzen, man solle von der Freiheit nicht nur dass sie wirklich, sondern auch wie sie beschaffen sey, wissen, wird ganz getreulich durch das Geständniss ausgewichen, dass man in Absicht des letztem nichts wissen könne, weil Freiheit sich nicht durch sinnliche Wahrnehmung offenbart, obgleich man von ihren Erfolgen, insofern diese
3 Menschen] O: Menschen und alle vernünftige Wesen 11 seiner Schrift nämlich] O: nemlich seiner Schrift 17 sey.] Danach überspringt das Exzerpt eine längere, umständliche Erörterung zur Argumentation des besprochenen Autors Ulrich. 18 gegen diesen] O: wider jenen (wie S. 33)] O: (wie hier S. 33. »Derselbe sey, man sage was man wolle, durch alles noch nicht erwiesen, und dasjenige, was darüber so oft auch von ihm gesagt worden, noch nicht beantwortet,«) 21 treffen.] O: treffen: von welchen beiden Arten von Einwürfen hier mehrere vorgebracht sind. 24-25 einmal der Unterlassung, das anderemal der Anwen dung] O: einmal der Anwendung, das anderemal der Unterlassung 25-26 im ersten Fall Zufall, im ändern Nothwendigkeit] O: im ersten Fall Nothwendigkeit, im ändern Zufall 26 die] O: welche
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sich unserer Wahrnehmung anbieten, wie von allen ändern Phänomenen, die in der Zeit erfolgen, bestimmende Gründe angeben kann, und in diesem Betracht also jener Frage nicht auszuweichen braucht. Eben so ist es mit dem ändern Einwurf (S. 38) bewandt, wo es heisst: dass von Kant selbst zugestanden werde, unsere Vernunft sey nicht ohne Hindernisse praktisch, und mithin unsere Selbstthätigkeit nicht ohne Hemmungen wirksam: denn diese Hemmungen und Hindernisse, welche uns durch sinnliche Wahrnehmung gegenwärtig werden, gelten wieder nur von dem, was sich überhaupt an uns sinnlich wahrnehmen, nicht aber von dem, was, einer solchen Wahrnehmung entnommen, sich bloss gedenken lässt. Und auf gleiche Weise verhält es sich mit mehreren Einwürfen, welche Erläuterungen eines Begriffs verlangen, von dem im gesammten Gebiete der Erfahrung nichts Aehnliches an zutreffen seyn kann, und von dessen Gegenstand, der Freiheit, die speculative Philo sophie (mit Verzicht auf Einsichten in die Beschaffenheit desselben) sich begnügen muss, erkennen zu können, dass derselbe weder an sich selbst noch in Verbindung mit der Naturnothwendigkeit seiner Phänomene, d. i. unserer Handlungen, wider sprechend, sondern als zusammenbestehend im Menschen, nach der zwiefachen Weise seines Daseyns in der Zeitfolge, und ausser aller Zeitbestimmung, gedenk bar sey.
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P h il
o s o p h ie .
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Ver
M e t a p h y s ik D en 29. Septbr. 1788.
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zur
Re l
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(Allgem. Literatur-Zeitung. Junius 1788. N. 153. S. 690 fF.: Ueber das Verhältniss der Metaphysik zu der Religion von Aug. Wilh. Rehberg. Berlin 1787.) Die Frage über das Verhältniss der Metaphysik zur Religion hat durch die Kantische Kritik der reinen Vernunft eine solche Wichtigkeit erhalten, dass jede nähere Untersuchung derselben dem Wahrheitsfreunde willkommen seyn muss. »Die Methode, die natürliche Religion auf metaphysische Speculationen zu stützen, ist äusserst nachtheilig, weil man eben dergleichen von jeher zu ihrem Umstürze aufgestellt hat, und daher bei vielen die Besorgniss erweckt wird, sie beruhe vielleicht auf unsicherm Grunde. Da aber die Religion auf der einen Seite mit der Sittlichkeit genau zusammenhängt, und ihr auf der ändern Seite, wie man sie auch behandeln mag, metaphysische Untersuchungen anhängen, so giebt es nur 2 Wege, dem durch Zweifel zerrissenen Kopfe und Herzen zu Hülfe zu kommen, entweder die Gründe des sittlichen Wohl Verhaltens ganz allein in seinem innern und unabhängigen Werthe zu suchen, und es dahin gestellt seyn zu lassen, was jeder von allen den Gegenständen der Untersuchung denke, die zur Religion gerechnet werden mögen, oder zu beweisen, dass, auf was für Vorstellungen man auch bei den subtilen Speculationen der Metaphysik verfallen mag, diese die Begriffe über die Gottheit und ihren Einfluss auf die Welt zwar modificiren, aber mit den wesentlichen Lehren der Religion allemal vereinbar bleiben. Ein solcher allgemeiner Indifferentis mus aber, als ihn der erste Weg erfordert, ist, ausser den Nachtheilen, die er mit sich führen würde, nicht einmal möglich. Also bliebe nur der zweite W eg übrig, zu zeigen, dass auch bei den sonderbarsten Speculationen das bestehen könne, worauf die Ruhe so vieler gegründet ist. Das Wesentliche einer jeden Religion bestehe in den beiden Sätzen: In den Veränderungen der Welt erscheint Beziehung auf einen höchsten Verstand, und im Menschen liegt ein mit jenem grossen Plane von Ord nung im Universo verwandter Trieb nach Ordnung und Absicht zu wirken. Auf M it Ausnahme der im folgenden angegebenen Auslassungen und kleinen Umformungen stimmt das Exzerpt mit dem Original überein. 7 Nach dem ersten Satz folgt in O: [689] Hn. Rehbergs Schrift, in welcher man den speculativen Denker, und seine Bekanntschaft mit den vornehmsten metaphysischen Systemen nicht verkennt, verdient also Aufmerksamkeit und Prüfung, und Rec. hält es daher für Pflicht, sowohl den Hauptplan derselben auszu heben, als sein unpartheyisches Urtheil darüber beyzufügen. 10 erweckt] O: erregt 13 giebt] O: gebe 23 bliebe] O: bleibe
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dieser Verwandtschaft unsers Geistes mit dem erhabensten Geiste gründe sich alle sowohl philosophische als christliche Vervollkommnung des Menschen durch die Religion, und da beides Erfahrungssätze, alle metaphysische Systeme aber nur Erklärungen der Erscheinungen sind, die uns die Erfahrung kennen lehrt; so müssen diese mit jenen beiden Grundbegriffen der Religion nothwendig alle vereinbart seyn.[«] Dies sucht Herr Rehberg nun zuerst an der Metaphysik des Spinoza zu zeigen. Dass sie auf Atheismus hinauslaufe, darin pflichtet er dem Herrn Jacobi völlig bei. Nur macht er einen Unterschied zwischen dem dogmatischen Atheismus, der sich zu beweisen anmaasst, dass überall kein solches Wesen gedenkbar sey, dessen Begriff der Religion zum Grunde liegt, oder wenigstens zur Annahme seiner Exi stenz nirgends ein Grund gefunden werden könne, und zwischen dem skeptischen Unglauben, der bloss in einem Systeme keinen Grund dazu findet, es aber dahin gestellt seyn lässt, ob sie aus ändern Gründen bewiesen werden könne. Im letztem Sinne sey die Metaphysik des Spinoza allerdings atheistisch, aber auch jede andere, weil die Speculation über das, was allen Erscheinungen zum Grunde liegt, und über den Begriff des Unbedingten und Unendlichen für die Religion ganz unfruchtbar sey, und alle anscheinenden Beweise, die sie gewähren, auf blosse Täuschung hinaus laufen. Indessen schliesse jene so wenig als irgend eine andere die obigen Grund begriffe der Religion nothwendig aus. Nach dem Spinoza ist die Welt zwar in Gott, die Gedanken der Menschen sind Gedanken der Gottheit, die Erscheinungen der Körperwelt Modificationen der Ausdehnung der Gottheit. Aber wenn man nach der gewöhnlichen Theologie Ideen von Vollkommenheit, Ordnung und Schönheit im göttlichen Verstände annehmen muss, um eine W elt ausser der Gottheit zu erklären, so bedürfe man ihrer nicht weniger, um diese W elt in ihr zu erklären, und da es auch nach dem Spinoza Vorstellungen geben müsse, die weder von einem endlichen Geiste gedacht werden, noch einen körperlichen Gegenstand ausdrücken, weil nach ihm ex necessitate divinae naturae infinita infinitis modis sequi debent; so sei die W elt zwar in Gott, Gott aber noch weit mehr als die Welt. Der eigentliche Unglaube des Spinoza bestehe demnach bloss darin, dass er die Endursachen leugnet, weil, wenn Gott um einer Sache oder Idee willen etwas anders wirkte, diese letztere schon in seinem Verstände da seyn, mithin schon existiren müsste, ehe sie existirt. Nun entstehen zwar in den gewöhnlichen Systemen diese nämlichen Schwierigkeiten nicht, aber andere gleich wichtige. Denn, da alles Wirken der Menschen im Zu sammensetzen der in verschiedener Gestalt enthaltenen sinnlichen Ideen besteht; so
6 Dies] O; Dieses 7 hinauslaufe] O: hinlaufe 15 Speculation] O: Speculationen 17 sey] so auch in O; richtig wäre dort: seyen 17-18 anscheinenden Beweise ... hinauslaufen] O: anscheinende Belehrung, die sie gewähren, auf bloße Täuschung hinauslaufe 34 enthaltenen] O: erhaltenen
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Ve r h ä l t n i s
der
Me t a ph y s i k
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Re l i g i o n
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sey Wirken nach Endzweck und Absicht nur in den Wesen gedenkbar, die der Sinn lichkeit unterworfen sind. (Wie folgt dieses? Wäre dieser Schluss richtig; so würde daraus noch mehr folgen, nemlich: dass die Gottheit gar nicht wirken, ingleichen dass sie gar nicht denken könnte, weil alles Denken der Menschen sinnliche Vorstellungen voraussetzt, und successiv geschieht, beides aber in Gott nicht stattfindet.) Ferner könne man in den gewöhnlichen Systemen fragen: Kann nicht die Allmacht Alles, was sie will, ohne Mittel wirken ? (Allerdings, alles, was sie schuf, schuf sie unmittelbar. Aber verlangen, dass sie das, was nun schon durch einmal erschaffene Kräfte möglich ist, z. B. den regelmässigen Lauf der Planeten, oder die Hervorbringung der Men schen, Thiere und Pflanzen, immerfort unmittelbar wirken soll, ist doch in der That eine eigene Forderung.) Und ist es nicht der Allweisheit angemessen, nichts zu wirken, als was an sich Zweck ist ? (Kaum. Denn wer kann sich erkühnen, die Her vorbringung der materiellen Welt, die doch als solche nicht Zweck an sich seyn kann, unweise zu nennen ? Und wie kann man, da der Beweis bloss aus Begriffen, mithin nur analogisch geführt werden müsste, wie kann man, frage ich, aus den Begriffen der Allweisheit den Satz: sie wirkt nichts, als was an sich Zweck ist, heraus bringen, wenn man ihn nicht vorher willkürlich hineingelegt hat?) Ist nicht daher das ganze Existirende nur Ein Zweck? (Nein! sondern der einzige letzte Zweck der ganzen Schöpfung ist das höchste Gut, d. i. Tugend und ihr genau angemessene Glückseligkeit in einem moralischen Reiche, denn nur das höchste Gut ist der Zweck des wahren Weisen.) Und schliesst nicht dieses die Begriffe aus, die Menschen unter den Worten: Zweck, Absicht, Mittel denken? (Nicht im mindesten, wie aus den vorhergehenden Bemerkungen von selbst klar ist.) Kommt es nicht also auch hier wiederum nur allein darauf an, dass die Welt mit den Ideen der Gottheit, von Ord nung, Schönheit, Vollkommenheit harmonire ? (Bei weitem nicht. Die Idee der Gott heit so einschränken wollen, wäre der keckste Dogmatismus der speculativen Ver nunft. Denn so wenig diese beweisen kann, dass der Begriff einer nach Zweck und Wahl wirkenden höchsten Intelligenz objective Realität habe, so wenig kann sie auch beweisen, dass der höchste Verstand keinen Willen haben könnte, denn wo ein vernünftiger Wille ist, da ist Zweck und Wahl. Und wo wollte sie diese über schwängliche Einsicht in die Natur des höchsten Verstandes hernehmen, da dieser ganz ausserhalb ihrer Sphäre liegt ? Der dogmatische Spinoza glaubte zwar in ihrem 11 Klammer fehlt in Th
8 durch] O: durch die 26 so] O: so enge 29 beweisen, dass der höchste Verstand keinen Willen haben könnte] O: beweisen, daß derselbe unmöglich und widersprechend sey. Wollte sie dieses überneh men; so müßte sie beweisen, daß der höchste Verstand keinen Willen haben könne
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Besitze zu stehen. Er wusste nicht nur genau, dass die Vorstellung, die die Gottheit von einem Dinge hat, mit seiner Existenz einerlei ist, sondern er bewies auch hieraus, dass sie um einer Idee willen nicht etwas anderes wirken könne, weil dieses sonst schon existiren müsste, ehe es existirt. Allein es ist nur übel, dass seine ausgedehnte Gottheit zu Gunsten dieses Beweises auch eben so successiv denken müsste, als wir.) Nachdem der Verfasser zu zeigen gesucht, dass das System des Spinoza mit der Religion vereinbar sey; so sucht er ferner zu beweisen, dass alle dogmatische Meta physik nothwendig auf dieses System führe. Zuerst die Leibnitzische. Denn wenn nichts existirt, als Vorstellungen, der Gottheit aber vollkommene Vorstellungen von allem Existirenden beigelegt werden müssen: wodurch unterscheiden sich alsdann die Vorstellungen der eingeschränkten Wesen von den Bildern, die die Gottheit von denselben Gegenständen hat? Wir gerathen unfehlbar in folgendes Dilemma: entweder giebt es keine unendliche Gottheit, oder es giebt nichts ausser ihr. Wenn, nach W olf, nur das Substanz ist, was die Quelle seiner Veränderungen in sich selbst hat, so sey entweder die Seele selbstständig und von der Gottheit ganz unabhängig, oder nicht Substanz, sondern Modification der Gottheit. Worin aber auch die Metaphysiker das Wesen [der] Substanz setzen mögen, so folge immer aus der Behauptung, dass wir einen Begriff von demjenigen haben, was die Substanz an sich ist, im Gegensätze der abwechselnden Erscheinung, der Hauptgrundsatz des Spinoza. Denn wenn die Substanz von allen ihren Accidenzen abgesondert einen Begriff gebe, der ihr Wesen ausdrückt, so sey ganz klar, dass wir von mehreren Substanzen einerlei Art nur einen Begriff haben, dass alle ihre numerische Verschiedenheit nur in den Accidenzen gegründet sey, mithin in der Erscheinung existire, und es also nicht mehrere Substanzen geben könne, denen dieselben Attribute zukommen. Die letzte Zuflucht des Metaphysikers sey endlich der Begriff der Existenz, des Seyns. Da aber in diesem keine besondere Art der Existenz liegt, so seyen alle Arten des selben Attribute dieser Substanz, und weil im Seyn ebensowenig der Grund zu einer Zahl liegt, als welcher Begriff bloss auf die Erscheinung angewandt werden könne, so folge wieder, dass nur eine einzige Substanz sey. Die wahre Antwort auf den Beweis des Spinoza sey also diese: zu der individuellen Vorstellung einer Substanz gehören die Attribute nicht mehr als alle modi. Denn sie existiren bloss in der Vor stellung, sie seyen nur die Form der Erkenntniss. Sollten diese Attribute oder irgend ein Begriff das Wesen der Substanz ausdrücken, so müsste aus demselben nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Wirklichkeit der Verschiedenheit ihrer Acciden zen erhellen. Dieses aber sey ein Widerspruch. Denn wie kann ein allgemeiner Begriff die Notlrwendigkeit mannigfaltiger Beschaffenheiten desselben enthalten? 7 er] O: er nun
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VERHÄLTNIS DER METAPHYSIK ZUR RELIGION
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W ie kann der Grund der Verschiedenheit in dem liegen, was dem Verschiedenen gemein ist? Es sey also unmöglich, zu beweisen, dass nur Eine Substanz existire, aber eben so unmöglich sey auch der Beweis, dass es mehrere gebe. (Vermöge des theoretischen Gebrauchs der Vernunft lässt sich freilich weder das Eine noch das Andere erweisen, aber in ihrem praktischen Gebrauche ist nicht nur eine persönliche Gottheit, sondern auch die Persönlichkeit unserer Seele ein nothwendiges Postulat.) Hr. R. geht hierauf zum Kant’sehen System, und zieht aus den Grundsätzen der Beharrlichkeit, Causalität und Gemeinschaft, denen er völlig beipflichtet, die Folge, dass die sinnlichen Erscheinungen mit etwas zusammen hängen, was kein Gegenstand der Erscheinung seyn kann, und das durch die Ideen von Dingen an sich, von Kraft, und von einem unendlichen Wesen ausgedrückt wird. Diese Ideen aber sind gar keiner erkennbaren Bestimmungen fähig, und bezeichnen also an sich nichts, son dern deuten nur an, dass das gesammte Feld der Erscheinungen noch auf etwas ausser sich hinweise, dessen Daseyn daher nicht erkannt, sondern nur geschlossen wird, und nothwendig vorausgesetzt werden muss. Die Idee des höchsten Wesens, auf welche uns die Metaphysik führt, sey daher für die Religion gar nicht brauchbar, sondern, wenn sie dieses werden soll, so müsse man zu ihr erst den Begriff des vollkommen sten Verstandes und Willens willkürlich gesellen. Eben daher, weil der letzte Grund aller Weltbegebenheiten in dem Objecte jener Ideen zu suchen sey, von dessen Beschaffenheit uns schlechterdings nichts bekannt werden könne, folge auch ganz offenbar (!!), dass der letzte Grund alles Existirenden zwar wohl in der Gottheit, nicht aber in ihren Vorstellungen, oder in dem zu suchen sey, was wir Menschen Absicht und Wahl nennen. Wenn man also den Gedanken von einem höchsten Verstände und Willen entwickeln und erweisen will, so müsse man keine meta physische Ideen mit einmischen, sondern dieses lasse sich auf folgende Art bewerk stelligen: der Glaube an höhere empfindende und denkende Wesen ist ganz tief in den Erscheinungen der Natur und in dem Wesen des menschlichen Verstandes gegründet. Der Mensch nimmt einige Erscheinungen der Welt wahr, verbindet sie auf mannigfaltige Weise etc. Er erkennt aber auch deutlich, dass überall Grund zu ihrer Verbindung in höheren Begriffen und in einem höheren Bewusstseyn auch da ist, wo der menschliche Geist nicht hindringt. Grund genug, das Daseyn anderer geistiger Erscheinungen anzunehmen, ausser denen, welche die Menschen aus machen. Und da solche Verbindungen unter allen Erscheinungen einer W elt statt finden, da sie alle in Verbindung und Beziehung auf einander gedacht werden 10 Erscheinung] Th: Erscheinungen
15 Idee] O: Ideen (Druckfehler)
das] Th: dass
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können, so ist es natürlich, auch einen höchsten Geist anzunehmen, der das Ganze der Erscheinungen in allen seinen Theilen vollkommen deutlich erkennt, und durch Begriffe des Verstandes in einem höchsten Bewusstseyn vereinigt. Dieser Beweis, und die Vorstellung von der Gottheit, die aus ihm folgt, meint der Verfasser, sey sehr vielen Schwierigkeiten nicht unterworfen, die die gewöhn lichen Systeme drücken. Denn da wir ihr Daseyn nur desswegen annehmen, um unsern Begriff von den Phänomenen dieser Sinnenwelt vollständig zu machen, so müsse ihr die vollkommenste Erkenntniss derselben beigelegt werden. Da aber der Verfasser den letzten Grund der Welt nicht im Verstände und Willen Gottes sucht, so leitet ihn dieses natürlich zur Bestreitung des Optimismus, und da er diesen als ein Product unrichtiger Begriffe von den moralischen Eigenschaften des höchsten Wesens ansieht, zugleich zur Untersuchung des Begriffs der Sittlichkeit. Dieser bezieht sich nicht auf Handlungen, sondern auf den Willen. Ohne Empfindung des Vergnügens und Missvergnügens aber will der Mensch nichts. Die einfache Ver bindung des Vergnügens oder Missvergnügens mit einer Wahrnehmung der Sinne ist blosse Begierde oder Abscheu. Da also der Gegenstand jeder Begierde immer etwas Angenehmes oder Gutes ist, so ist jede einfache Begierde an sich gut. Werden aber mehrere Begierden in einen Begriff verbunden, so sind diejenigen Begriffe und damit verknüpfte Begierden sittlich gut, welche gedenkbar, vernunftmässig sind, die Ver bindung widersprechender Begierden in einen Begriff erzeugt hingegen das sittlich Böse, und da sich eine solche Verbindung mehrerer Empfindungen in den Begriff einer Handlung nicht ohne Rücksicht auf Vorhergehendes und Nachfolgendes den ken lässt, so ist keine Begierde oder Handlung ohne Rücksicht auf ihre Folgen sittlich gut oder übel: sondern letztere ist es, wodurch jene gut oder böse wird. Die Sittlich keit der Handlungen besteht also in der Gedenkbarkeit ihrer Begriffe. Diese aber ist nicht hinreichend, Handlungen hervorzubringen, sondern die Triebfeder, die den Willen bestimmen muss, ist das Vergnügen, welches mit der Erkenntniss der selben verbunden ist, dessen Maass aber nicht allein durch den Gegenstand der Er kenntniss bestimmt wird, sondern auch von subjectiven Bedingungen unserer Erkenntniss und unseres Zustandes abhängt. Der Mensch wird also nie durch das moralische Gesetz allein zum Handeln bestimmt, sondern er muss sich damit be gnügen, die Triebfeder seiner Handlungen mit jenem so viel möglich in Uebereinstimmung zu bringen. Die höchste moralische Vollkommenheit lässt sich also nur in dem Wesen gedenken, welches mit seinem Verstände Alles umfasst, und alle Verhältnisse gleich deutlich erkennt, dessen Empfindungen nicht durch einzelne Theile der Sinnenwelt bestimmt werden, sondern durch das Ganze. Nähere Bestim15 Sinne] O: Sinnen
36 durch das] O: durchs
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mungen lassen sich von demselben nicht geben. (Der höchste Verstand empfindet nicht, sondern ist anschauend, er wird nicht durchs Ganze bestimmt, sondern ist bestimmend. Eine Intelligenz, die Empfindungen hat, die durch sinnliche Dinge bestimmt werden, ist leidend und abhängig, also keine Gottheit.) Diesem Begriffe von Sittlichkeit zu Folge leugnet der Verfasser gegen Kant nicht nur, dass die Vernunft Causalität durch Freiheit habe, sondern er meint auch, dass die Annahme des Ideals einer moralischen Welt oder des Reichs der Gnade, zur Hebung des Widerstreits der Sittlichkeit mit der Sinnlichkeit, weder nothwendig noch tauglich sey, nicht nothwendig, weil die Grundgesetze der Sittlichkeit in der Vernunft gut genug gegründet seyen, die Sinnlichkeit mag auch dagegen ein wenden, was sie wolle; nicht tauglich, weil durch die verächtlichen!! Antriebe einer künftigen Sinnlichkeit (Hoffnung einer Belohnung) die Moral ganz und gar zerstört werde, das Uebersinnliche aber gar keine Antriebe geben könne, indem Alles, was wir Glückseligkeit nennen, nur in der Sinnlichkeit empfunden werden könne. Rec. hat den Hauptinhalt des Buchs getreu darzustellen gesucht. Und sein Urtheil darüber ? Dieses fasst er, ausser den schon eingeschalteten Bemerkungen, in folgende Punkte: 1) Das Wesen der Religion darin zu setzen, dass in den Veränderungen der Welt Beziehung auf einen höchsten Verstand erscheint, ist viel zu dürftig und unbestimmt. Denn man nehme immer ein Wesen an, das den vollkommensten Verstand besitzt, und alle Weltbegebenheiten auf’s Deutlichste kennt; behauptet man aber, dass das selbe nicht durch seinen Verstand und Willen, sondern bloss durch seine Substantialität oder Daseyn, mithin nur auf eine blinde oder nothwendige Art die Ursache der W elt sey, und dass man also bei demselben an keine Vorsehung, an keinen Weltregierer und Vergelter zu denken habe; so ist eine Religion, die einen solchen Gott lehrt, eben so viel als gar keine. Das Daseyn eines solchen Gottes interessirt weder den Verstand, noch das Herz. Denn was für Befriedigung erhält jener, wenn er die Schönheit und Ordnung der Welt, sogar bei der Annahme einer höchsten Intelligenz, doch als etwas ganz Zweckloses ansehen, und sie nicht aus ihrem Ver stände, sondern so zu sagen aus der blinden Natur ihres Subjects herleiten soll, und was für Trost kann das Herz, was für Aufmunterung kann es haben, durch tugend hafte Handlungen ein Wesen nachzuahmen, das die Welt nur unthätig denkt, das also noch weniger, als eine Weltseele, ja noch weniger als einen Weltspiegel, nur einen Abgrund vorstellt, der die Strahlen, die er auffängt, verschluckt, ohne einen einzigen zu reflectiren. Der Verfasser hat also den wahren Gesichtspunkt gänzlich 12 gar] Th: ganz 9 tauglich sey, nicht] O: tauglich; sey nicht
23 blinde oder] O: blinde und
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verfehlt, wenn er den Verehrer der Religion dadurch zu beruhigen glaubt, dass er auch die sonderbarsten metaphysischen Speculationen als vereinbar mit ihr ansehen soll. Besser hat Kant für seine Beruhigung gesorgt, da er unwidersprechlich dargethan, dass jede Speculation, welche die Möglichkeit der Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, in dem Sinne, wie sie die Religion erfordert, anfechten will, ein leeres Hirngespinnst ist. 2) Der Unglaube des Spinoza ist nicht bloss skeptisch, sondern vielmehr erz dogmatisch. Nach seinem Systeme ist der Begriff einer persönlichen Gottheit, die nach Zweck und Absicht handelt, mithin als höchste Intelligenz Urheber der Welt ist, nicht problematisch, sondern schlechterdings widersprechend. W ie konnte er es also dahin gestellt seyn lassen, ob derselbe sich anderweitig realisiren lasse? Nur schade daher um alle Mühe, die so manche würdige Männer auf die Läuterung dieses Systems verwenden, denn, soll es aufhören, Atheismus zu seyn, so ist es nicht mehr Spinozismus. 3) Dass die Leibnitzische Metaphysik und jede andere dogmatische schlechter dings auf den Spinozismus führe, lässt sich doch immer nur durch Consequenzen erweisen, bei denen man Spinozistische Begriffe zum Grunde legt, welche der bestrittene Dogmatiker niemals zugesteht: z. B., dass Vorstellungen und Vor stellungskräfte für sich bestehen und selbstständig oder unabhängig seyen, einerlei sind u.s.w. Allein sind Consequenzen von der Art erlaubt, so hat ja schon Mendels sohn umgekehrt erwiesen, dass das System des Spinoza auf das Leibnitzische führe. 4) Wenn der Verf. mit Kant eins ist, dass die Idee des höchsten Wesens für uns keiner erkennbaren Bestimmungen fähig sey, und gleichwohl sagt, es folge hieraus ganz offenbar, dass der letzte Grund alles Existirenden zwar in der Gottheit, als dem Objecte jener Idee, aber nicht in ihren Vorstellungen, oder in dem, was wir Absicht und Wahl nennen, zu suchen sey, so hat er nicht wahrgenommen, dass, indem er hier alles Dogmatismen mit Recht verwirft, er selbst ein völliger Dogmatiker wird, indem er uns durch blosse Speculation sogar positiv belehren will, wie und auf welche Art das höchste Wesen die Ursache der Welt sey. Wer sich befugt hält, sowohl diesem, als auch der menschlichen Vernunft alle Causalität durch Freiheit abzusprechen, der muss sich doch wirklich bestimmte Einsicht a priori in die Natur der Dinge an sich Zutrauen, denn die Erfahrung kann uns von ihnen ohnehin nichts lehren. 5) Der Beweis des Verf. vom höchsten Verstände und Willen beruht auf dem metaphysischen Satze, dass alles Existirende nicht nur gedenkbar sey, sondern auch von irgend einem Wesen wirklich gedacht werde; und ist also mit dem Mendels16 Spinozismus] Th: Spinozismns 35 dem] O: dem neuen
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sohn’schen einerlei, mithin keineswegs unmetaphysisch. Dass aber das höchste Wesen auch ein Vermögen, nach Vorstellungen zu handeln, d. i. einen Willen habe, hat er gar nicht bewiesen, und so ist sein Beweis für die Religion schon an sich nicht interessant. 6) Da Hr. Rehberg den Begriff der Moralität in der Gedenkbarkeit oder Vernunftmässigkeit der Begierden setzt, so sagt derselbe im Grunde nichts weiter, als das gewöhnliche empirische Prinzip der Selbstliebe oder Glückseligkeit. Denn eine Begierde ist nur alsdann gedenkbar oder vernunftmässig, wenn sie nicht bloss mit dieser oder jener ändern Begierde, sondern mit der Befriedigung des ganzen Begehrungsvermögens, d. i. mit unserer Glückseligkeit zusammenstimmt. Wenn er aber die Triebfeder, die zur Bestimmung des Willens erfordert wird, im Vergnügen an der Sittlichkeit sucht, so setzt, da Vergnügen nicht geboten werden kann, und Vergnügen an der Sittlichkeit schon ein sehr sittlich gutes Gemüth supponirt, sein Moralgesetz schon ein sittlich gutes Gemüth voraus, folglich würde es den Laster haften nichts angehen, sondern nur dem Tugendhaften gegeben seyn. 7) Was der Verf. wider die nothwendige Harmonie zwischen Tugend und Glückseligkeit, zum Umstürze der Moraltheologie, beibringt, beruht auf ähnlichen Missverständnissen. Denn so gewiss es ist, dass die Triebfeder des Guten nicht Begierde nach Glückseligkeit, sondern reine Achtung für’s Gesetz seyn muss, so gewiss ist es andererseits, dass eben die Vernunft, welche reine Tugend will, auch den Tugendhaften der Glückseligkeit würdig erkennt, und daher nothwendig will, dass Tugend und eine ihr genau angemessene Glückseligkeit nicht bloss bei uns, sondern bei jedem Ändern verbunden seyen. Beide vereinigt machen daher erst das höchste Gut oder das ganze vollständige Object eines vernünftigen Willens aus, und zwar so, dass Tugend an sich gut, mithin der unmittelbare erste und unbedingte Gegenstand eines vernünftigen Willens ist, Glückseligkeit hingegen von ihm nicht als etwas an sich Gutes, sondern nur unter Voraussetzung der Tugend und im genauen Verhältnisse mit ihr gewollt werden kann, aber unter dieser Voraussetzung noth wendig gewollt werden muss. Wäre also die Idee einer moralischen Welt, in welcher Beides zusammen ist, eine Chimäre, so wäre es auch die Idee der Tugend und Sitt lichkeit, denn beide Ideen sind in der Natur eines vernünftigen Willens gleich fest gegründet. Hoffentlich wird ein noch tieferes Studium des Kant’sehen Systems und besonders der unlängst erschienenen vortrefflichen Kritik der praktischen Vernunft nicht nur 18 es ist] Th: ist es 22 uns] O: uns selbst 33 Der letzte Absatz des Exzerpts istfolgendem Schlußabschnitt des Originals entnom men: Hr. Rehberg wird diese freymüthigen Anmerkungen des Rec. als eben so viele Beweise der besondern
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die Begriffe des Hrn. Verf. über Sittlichkeit und Moraltheologie, sondern auch seine Vorliebe für die Spinozistischen Spitzfindigkeiten in der Folge merklich abändern. Aufmerksamkeit ansehen, die er seiner Schrift gewidmet hat. Der Gegenstand ist zu wichtig, als daß er sich eine flüchtige Anzeige, oder einen bloßen Dictatorspruch hätte verzeihen können. Hoffentlich wird ein noch tieferes Studium des Kantschen Systems und besonders der unlängst erschienenen vortrefflichen Kritik der praktischen Vernunft nicht nur die Begriffe des Hn. Verf. über Sittlichkeit und Moraltheologie, sondern auch seine Vorliebe für die leeren Spinozistischen Spitzfindigkeiten in der Folge merklich abän dern. Und in der That wäre es um die unverkennbaren philosophischen Talente des Verf. Schade, wenn sie durch jene irre geführt, noch zu neuen in diesem Falle nothwendig verunglückenden Versuchen ver wendet würden.
DEFINITIONEN VON ALLERHAND GEGENSTÄNDEN AB 10. JUNI 1785
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DEFINITIONEN
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D e f in it io n e n V O N ALLERHAND G EG EN STÄ N D EN
Die beiden ersten Definitionen sind nicht überliefert. Sie betrafen die Begriffe Aberglauben und Schönheit. 5 Vgl. dazu den editorischen Bericht.
P h ilo so p h iren : bis auf den Grund und die innere Beschaffenheit menschlicher Begriffe und Kenntnisse von den wichtigsten Wahrheiten dringen. Schrök Z u 6-8 Die Quelle wurde noch nicht ermittelt.
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DEFINITIONEN
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V erän d eru n g: ein Ding heißt verändert, wenn unter zweien entgegengesetzten Bestimmungen, die ihm zukommen können, die eine aufhört und die andere anfängt, wirklich zu sein. Mendelssohn, Phädon [50] Sokrates ... sprach: ... Der Tod, o Cebes! ist eine natürliche Veränderung des menschlichen Zu standes, und wir wollen itzt untersuchen, was bey dieser Veränderung so wohl [51] mit dem Leibe des Menschen als mit seiner Seele vorgehet. Sollte es nicht rathsam seyn, erst überhaupt zu erforschen, was eine natürliche Veränderung ist, und wie die Natur ihre Veränderungen nicht nur in Ansehung des Menschen, sondern auch in Ansehung der Thiere, Pflanzen, und leblosen Dinge hervor zu bringen pflegt ? ... Der Einfall scheinet nicht unglücklich, versetzte Cebes; wir müssen also fürs erste eine Erklärung suchen, was Veränderung sey. Mich dünkt, sprach Sokrates, wir sagen, ein Ding habe sich verändert, wenn unter zwoen entgegen gesetzten Bestimmungen, die ihm zukommen können, die eine aufhöret, und die andere anfängt wirklich zu seyn. Z. B. schön und häßlich, gerecht und ungerecht, gut und böse, Tag und Nacht, schlafen und wachen, sind dieses nicht entgegengesetzte Bestimmungen, die bey einer und eben derselben Sache möglich sind?
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DEFINITIONEN
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L o g ik : ein Inbegriff der Regeln des Denkens, abstrahirt aus der Geschichte der Mensch heit.
Staaten : concilia coetusque hominum, jure sociati.
Cicero, Somnium Scipionis Cap. III
Zu 1-3 Die Quelle wurde noch nicht ermittelt. Zu 4-6 [fol. 127 verso] Nihil est enim illi principi Deo, qui omnem hunc mundum regit, quod quidem in terris fiat, acceptius, quàm concilia, coetusque hominum iure sociati, quae ciuitates appellantur. Harum rectores, et conseruatores hinc profecti, hue reuertentur.
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DEFINITIONEN
Über weitere Definitionen, deren Wortlaut nicht überliefert ist, vgl. den editorischen Bericht.
EXZERPTE AUS DER BERNER ZEIT 1794-1796
Exzerpt 34
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A u s:
A l l g e m e in e Lit
er a t ur
- Z e it
u n g 1792
Liter. Zeitung n. 87. [17]92. Vorstellungsvermögen ist, in der weitesten Bedeutung, die im Subjekt bestimmte Möglichkeit der Vorstellung überhaupt; Erkenntnißvermögen in w. B. diese M ög lichkeit in Rüksicht der Beziehung der Vorstellung auf das Objekt - Begehrungsvermögen diese Möglichkeit in Rüksicht der Beziehung der Vorstellung auf das Subjekt - der Erkenntnißtrieb wird durch Vorstellungen, die mit den objektiven Bedingungen übereinstimmen, wahr sind, der Begehrungstrieb durch Vorstellungen, die mit den subjektiven Bedingungen übereinstimmen, angenehm sind, befriedigt, und beide durch das Gegentheil beschränkt - wann und wie ferne das Daseyn und die Beschaffenheit einer Vorstellung nicht von der blossen Selbstthätigkeit des Subjekts, sondern von einem gegebenen Stoffe abhängt; in so ferne mus der Trieb in Rüksicht auf eine solche Vorstellung durch Afficirtwerden gereizt seyn, und die subjektive Übereinstimmung oder der Widerspruch dieser Vorstellung (die in Beziehung auf das Subjekt Empfindung heist) kan sich nur durch Lust und Unlust ankündigen durch welche der besondere Trieb nach Verlängerung und Vermehrung, oder nach Aufhebung der Empfindung, die der nächste Gegenstand des Begehrens in engerer Bedeutung ist, gewekt wird. Insofern ist der Begehrungstrieb in engerer Bedeutung Trieb nach Vergnügen, und eigennüziger Trieb. Wann und wTieferne hingegen eine Vorstellung ihrem Daseyn und ihrer Beschaffenheit nach, lediglich von der Selbstthätigkeit des Subjekts abhängt, dann und insofern ist die Lust weder Bestimmungsgrund noch Gegenstand des Triebes, erfolgt aber im Subjekte durch das Bewustseyn seiner eigenen Handlungen. Diß ist der Fall beim reinen Wollen, wo 5 Objekt -] folgt gestr: unter
7 Vorstellungen aus Vorstellungs
18 engerer] folgt gestr: Begehr
Der Wortlaut des Exzerpts stimmt bis auf geringe Umformungen mit dem Original überein. 3-7 Vorstellungsvermögen ... Subjekt -] In O lautet dieser Satz: [11] Unter Vorstellungs vermögen in weitester Bed. denkt er [sc. der Verfasser des besprochenen Buches, Carl Chr. Erhard Schmid] sich, die im Sub ject bestimmte Möglichkeit der Vorstellung überhaupt; unter Erkenntnißvermögen in w. B. diese Mög lichkeit in Rücksicht der Beziehung der Vorstellung auf das Object, und unter Begehrungsvermögen in w. B. diese Möglichkeit in Rücksicht der Beziehung der Vorstellung auf das Subject. 10 wie ferne] O: in wie ferne 19 wieferne] O: in wie ferne 23 Handlungen] O: Handlung
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das Subjekt sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Foderung des Triebes nach Vergnügen durch die blosse Vorschrift bestimmt, die es sich lediglich durch Vernunft und also nur um der Vorschrift selbst willen gibt, während sich dasselbe beim empirischen Wollen zwar auch durch eine Vorschrift, die es sich aber um des Vergnügens willen gibt, selbst bestimmt, Begehren in engerer Bedeutung 5 wäre die Aüsserung des Triebes, der durch Vergnügen oder Mißvergnügen zur Ver stärkung oder Aufhebung einer Empfindung gereizt wird, Wollen hingegen die Handlung des Subjekts durch welche sich dasselbe zur Befriedigung oder Nicht befriedigung einer Foderung des begehrenden Triebs selbst bestimmt 6 wäre] O: wäre so nach
Exzerpt 35
Aus:
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AUS DER BERNER ZEIT
A llgem eine L it e r a tu r -Z e itu n g
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Lit. Zeitung, n. 117. [17]92. Tennemann »Sokrates Zwek ging nicht auf die Bearbeitung oder Vervollkommnung irgend einer Wissenschaft, auch nicht einmal der Moral, sondern allein auf die moralische Besserung und Ausbildung seiner Zeitgenossen - Plato’s Zwek ging weiter, er hatte die Bildung des Menschengeschlechts überhaupt, die Vervollkommnung der Moral als Wissenschaft und die Grundlegung einer philosophischen Gesezgebung und Staatsverfassung zur Absicht.« Soviel ist gewiß daß Sokrates seinen Schülern kein bündiges System der Moral vortrug: er suchte sie zum Selbstdenken zu führen, und die Gründe der Sittenlehre sie aus sich selbst entwikeln zu lassen, damit sie diesen Fund als ihr Eigenthum betrachten, und sich ein eignes System bilden möchten
[250] Hiermit geht er (S. 170) zur Darstellung der sokratischen und platonischen Philosophie über, und sucht den wesentlichen Unterschied zwischen beiden festzusetzen. Natürlicher Weise mußte ihn hier die Frage beschäftigen, ob die wahre sokratische Philosophie aus dem X en o p h o n , oder P lato , oder aus beiden zugleich, müsse geschöpft werden. Um dies zu entscheiden, sucht er zuvor den Endzweck der sokratischen Philosophie zu bestimmen. »Sokrates Zweck,« heißt es (S. 191.) »ging nicht auf die Be arbeitung oder Vervollkommnung irgend einer Wissenschaft, auch n ich t einm al der M o ral, son dern nur allein auf die moralische Besserung und Ausbildung seiner Zeitgenossen.« Nach dieser Voraus setzung tritt Hr. Tfennemann] der Meynung derjenigen bey, welche den X en o p h o n für die einzige lautere Quelle der sokratischen Philosophie halten. Platos Zweck ging, nach dem Urtheile unsers Vf., weiter (S. 202.), er hatte die Bildung des Menschengeschlechts überhaupt, die Vervollkommnung der Moral als W issen schaft und die Grundlegung einer philosophischen Gesetzgebung und Staatsverfassung zur Absicht. (Im folgenden begründet Rez. seine von Tennemann abweichende Auffassung, daß man sich nicht auf Xenophon allein stützen dürfe, sondern auch Plato heranziehen müsse, wenn man Sokrates wirklich kennenlernen wolle.) [251] Hr. T. scheint sich [252] in dieser Untersuchung einmal zu widersprechen. S. 184. behauptet er: »Sokr. habe kein System der Moral gehabt, weil seine vertrautesten Schüler keinen zusammen hängenden Unterricht genossen hätten, welches doch wohl hätte geschehen müssen, wenn er die Moral in ein System gebracht hätte.« Gleich darauf gesteht er ihm doch G ru nd sätze zu, welche ihn bey allen seinen Unterredungen geleitet hätten! Es ist ja wohl ein Unterschied zwischen einem System e und einem zu sam m enh ängen den U n terric h te? So viel ist gewiß, daß Sokr. seinen Schülern kein bün diges System der Moral vortrug: er suchte sie zum Selbstdenken zu führen, und die Gründe der Sitten lehre sie aus sich selbst entwickeln zu lassen, damit sie diesen Fund als ihr Eigenthum betrachten, und sich ein eigenes System bilden möchten. Hieraus folgt unwidersprechlich, daß er selbst eins haben mußte.
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Aus:
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Neues th eologisch es J o u r n a l
Joh. l. Von Urbegin war die Weisheit; sie thronte bei Gott, und war Gott selbst - Schon von Urbegin war die Weisheit bei Gott; sie schuf alles; und Nichts von Allem was ist, wurde ohne sie. Diese Weisheit ist eins mit der belebenden Gotteskraft, welche schon frühe die Menschen erleuchtete. Nur fasten im A. T. die sinnlichen Menschen den göttlichen Stral dieser Weisheit nicht, bis Johannes auf die Erscheinung des selben in Jesu vorbereitete.
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v. 14. §oä;a die moralische Geistesgrösse und Hoheit Jesu von der sich alle seine Schüler und Verehrer aus dem persönlichen Umgang mit ihm überzeugen konnten - io
Zu 2-8 [463] Es sei uns erlaubt, unsere Theorie durch die Erläuterung der sechs ersten Verse des ersten Kapitels Johannis zu rechtfertigen. »Von U rb eg in n w ar die W eiß h eit: sie th ro n te bei G ott und w ar G o tt selbst. (Die Weißheit, Xoyoc;, wird nach Spriichw. 8,22. ff. personificirt: s. Löifflers Abhandlung zum Platonismus der Kirchen-[464]väter S. 394. fF. Wie bei Plato die sva