Freiraumschutz und Innenentwicklung: Das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung vor der Forderung nach ökologischem Bauen [1 ed.] 9783428498635, 9783428098637

Eine wichtige Zukunftsfrage unserer Gesellschaft ist der verantwortliche Umgang mit dem ständig knapper werdenden Raum a

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Freiraumschutz und Innenentwicklung: Das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung vor der Forderung nach ökologischem Bauen [1 ed.]
 9783428498635, 9783428098637

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THORSTEN FRANZ

Freiraumschutz und Innenentwicklung

S c h r i f t e n zum U m w e l t r e c h t Herausgegeben von Prof. Dr. M i c h a e l Kloepfer, Berlin

Band 104

Freiraumschutz und Innenentwicklung Das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung vor der Forderung nach ökologischem Bauen

Von Thorsten Franz

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Franz, Thorsten: Freiraumschutz und Innenentwicklung : das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung vor der Forderung nach ökologischem Bauen / von Thorsten Franz. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 104) Zugl.: Halle, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-09863-3

Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-09863-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort

Der verantwortliche Umgang mit dem immer knapper werdenden Raum außerhalb geschlossener Siedlungen - dem Freiraum - ist eine wichtige wenn nicht zentrale Zukunftsfrage. Der anhaltend hohe Landschafts verbrauch von zur Zeit mindestens 70 ha pro Tag widerspricht dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung. Die mit der Aufnahme der Bodenschutzklausel in das Baugesetzbuch (1986) erhoffte „Trendwende im Landschaftsverbrauch" wurde nicht erreicht. Schlimmer noch: altbekannte städtebauliche Fehler wurden und werden vor allem beim Aufbau der neuen Bundesländer wiederholt. Auf der Gemeinde lastet als Trägerin der Bauleitplanung die entscheidende Verantwortung für einen Städtebau, der dem Ziel des Erhalts der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtetet ist. Da das geltende Städtebaurecht der schleichenden Landschaftszerstörung wenig entgegenzusetzen hat, ist es um so wichtiger, daß die Gemeinden zumindest die vorhandenen gesetzlichen Schranken der Freirauminanspruchnahme beachten. Dabei kommt vor allem den Vorgaben für eine Innenentwicklung besiedelter Bereiche eine besondere Bedeutung zu. Die vorliegende Arbeit wurde am 2. 2. 1999 von der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Dissertation angenommen. Die Grundidee entstand während meiner Anwaltstätigkeit in Halle (Saale) - geprägt durch das unmittelbare Erleben der städtebaulichen Fehlentwicklungen der Anfangsjahre der neuen Bundesländer. Erstellt habe ich die Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Frau Prof. Dr. Monika Böhm (Konstanz, vormals Halle), die die Arbeit auch betreut hat. Ihr gilt mein besonderer Dank. Dank gebührt auch dem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Michael Kilian (Halle) und dem Drittgutachter Herrn Prof. Dr. Michael Heintzen (Berlin) für die zügige, gleichwohl eingehende Begutachtung der Arbeit. Meinem Schwiegervater Herrn Prof. Dr. Raimund Borgmeier und meiner Frau danke ich für die Mühe des Korrekturlesens. Halle (Saale), im Mai 2000

Thorsten Franz

Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung

25

I. Einführung in das Thema II. Zusammenhänge zwischen Freiraumbebauung und zentralen Umweltproblemen

25

26

1. Allgemeines

26

2. Landschaftsverbrauch

27

3. Zerschneidung/Verinselung von Landschaft

30

4. Ressourcenverbrauch

31

5. Sonstige Umweltprobleme

31

III. Die Begriffe Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

32

1. Freirauminanspruchnahme

32

2. Innenentwicklung

34

3. Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen

36

a) Innenbereichsentwicklung

36

aa) Die bauplanungsrechtlichen Begriffe Innen- und Außenbereich

36

bb) Aüßenbereich

36

cc) Innenbereich

37

dd) Abgrenzung

39

b) Stadtentwicklung

39

c) Städtebauliche Entwicklung

39

d) Siedlungs- oder Innenoptimierung

40

e) Bestandsorientierter Städtebau

41

f) Bedarfsdeckung im Siedlungsraum

41

g) Nachverdichtung

42

h) Flächenrecycling

43

i) Neue Leitbilder

44

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

44

1. Ökologie

44

2. Ökologisches Planen und Bauen

47

Inhaltsverzeichnis

8

3. Geschichte des ökologischen Planens und Bauens 4. Freiraumschutz als Forderung ökologischen Planens und Bauens a) Abgrenzung der Begriffe Freiraum und Siedlungsraum b) Allgemeine Bedeutung des Freiraums aa) Lebensraum der Tier- und Pflanzenwelt

48 51 51 53 53

bb) Land-, forst- und fischereiwirtschaftlicher Produktionsraum

53

cc) Bedeutung für den Wasserhaushalt

54

dd) Bedeutung für das Klima

55

ee) Raum zur Gewinnung von Bodenschätzen

55

ff) Erholungsraum

55

gg) Ästhetisches Gut

56

hh) Archiv der Natur- und Kulturgeschichte ii) Bedeutung als Ressource im übrigen jj) Eigenwert des Freiraums im Sinne des biozentrischen Holismus . c) Freiraumschutz als Forderung ökologischen Planens und Bauens

56 56 57 57

aa) Prüfung des Zwecks der Freirauminanspruchnahme

57

bb) Prüfung der Erforderlichkeit der Freirauminanspruchnahme

59

cc) Prüfung des konkreten Bedarfs an Freirauminanspruchnahme ...

59

dd) Prüfung der Belastbarkeit des Freiraums

59

ee) Absolute Begrenzung der Siedlungsflächenausdehnung

60

5. Die Forderung des ökologischen Planens und Bauens nach einem Vorrang der Innenentwicklung vor einer Freirauminanspruchnahme a) Vorrang der Innenentwicklung

61 61

b) Konkretisierung: Grundsätzlicher Vorrang

62

c) Positive Nebeneffekte eines Vorrangverhältnisses

63

d) Zusammenfassung

63

V. Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht

63

1. Allgemeines

63

2. Bebauungsdruck

65

3. Schwierigkeiten der Innenentwicklung a) Rechtliche Schwierigkeiten

66 66

b) Schwierigkeit der planerischen Aufgabe in fachlicher Hinsicht

67

c) Höhere Kosten der Innenentwicklung für die Gemeinde

68

d) Höhere Kosten der Innenentwicklung für Vorhabenträger

69

e) Ökologische Bedeutung potentieller Innenentwicklungsflächen

69

f) Probleme der Verdrängung rechtlich ungesicherter Nutzungen

70

Inhaltsverzeichnis 4. Psychologische Aspekte

70

a) Psychologie des Wachstums

70

b) Prägung durch das bisherige Leitbild

71

c) Fixierung auf das Hier und Jetzt

71

d) Fixierung auf das Gemeindegebiet

72

e) Umweltbewußtsein

72

5. Probleme, die sich aus Stellung und Funktion der Gemeinderäte ergeben

73

a) Beeinflussung durch Interessen Vertreter

73

b) Interessenlage der kommunalen Mandatsträger

73

c) Zeitliche und fachliche Überforderung der Gemeinderäte

74

6. Hindernisse aufgrund der Struktur der Gemeindeverwaltungen

75

7. Flucht in das Planungsvertragsrecht

75

B. Stellung und Aufgaben der Gemeinde im Bereich des Bauwesens I. Verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinde

77 77

1. Planungshoheit als Ausfluß der Selbstverwaltungsautonomie

77

2. Schutz sonstigen gemeindlichen Bauwesens durch Art. 28 Abs. 2 GG ...

80

3. Landesverfassungsrecht

80

II. Einfachgesetzliche Stellung der Gemeinden im Bauwesen

81

1. Bauleitplanungsrecht

81

2. Besonderes Städtebaurecht

82

3. Bauordnungsrecht

83

C. Rechtliche Vorgaben für das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung I. Allgemeines

85 85

II. Völkerrecht

86

III. Europarecht

86

1. Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und eines hohen Maßes an Umweltschutz und der Verbesserung der Umweltqualität gem. Art. 2 EGV (n.F.)

87

2. Ziele und Grundsätze der Umweltpolitik gem. Art. 174-176 EGV

88

3. Sekundäres Gemeinschaftsrecht

90

10

Inhaltsverzeichnis IV. Bundesverfassungsrecht

90

1. Allgemeines

90

2. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gem. Art. 20 a GG

90

a) Allgemeines

90

b) Adressat des Schutzauftrages

91

c) Schutzobjekt natürliche Lebensgrundlagen

92

d) Art und Weise des Schutzes

95

aa) Art. 20 a GG als Staatszielbestimmung

95

bb) Offenheit des Gestaltungsauftrages

97

cc) Rang und Vorrang des Lebensgrundlagenschutzes

98

e) Nachweltverantwortung

101

f) Vorbehalt

102

g) Aus der Schutzpflicht ableitbare Grundsätze

103

aa) Bestandsschutzprinzip

103

bb) Verpflichtung zur Bestands Verbesserung

103

cc) Verhältnismäßigkeitsprinzip

104

h) Freiraumschutz durch Art. 20 a GG

106

aa) Allgemeiner Freiraumschutz durch Art. 20 a GG

106

bb) Mindestfreiraumschutz

107

cc) Bedeutung des Unterlassens der Festlegung einer Mindestfreiraumfläche

108

i) Bedeutung der Freiraum-Schutzpflicht für das Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme

110

aa) Ermittlungs- und Prüfungspflicht

110

bb) Vermeidung unnötiger Freirauminanspruchnahme durch Innenentwicklung

110

j) Zusammenfassung der Ergebnisse zu Art. 20 a GG 3. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG

111 111

a) Allgemeines

111

b) Ableitung gemeindlicher Schutzpflichten für den Freiraum

113

4. Art. 14 Abs. 1 GG a) Allgemeines

114 114

b) Baufreiheit

114

c) Sozialbindung des Eigentums

117

d) Situationsgebundenheit

118

e) Bestandsschutz als Hindernis der Innenentwicklung

119

f) Nachbarrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG

120

Inhaltsverzeichnis V. Landesverfassungsrecht VI. Raumordnungsrecht 1. Bundesraumordnungsrecht

121 122 122

a) Rechtslage bis zum 31. 12. 1997

122

b) Rechtslage ab dem 1. 1. 1998

123

c) Bindungswirkung der Ziele und Grundsätze

126

d) Verhältnis von Raumordnung und Bauleitplanung

127

2. Landesplanungsrecht VII. Bauplanungsrecht (ohne Bodenschutzklausel) 1. Allgemeines 2. Aufgabe der Bauleitplanung gem. § 1 Abs. 1 BauGB 3. Erforderlichkeit gem. § 1 Abs. 3 BauGB (sog. Planrechtfertigung) a) Freiraumschutz durch § 1 Abs. 3 BauGB? b) § 1 Abs. 3 BauGB und Innenentwicklung 4. Die Anpassungspflicht gem. § 1 Abs. 4 BauGB 5. Umweltrelevante Planungsziele a) Allgemeines

127 128 128 130 131 131 133 134 136 136

b) Inhalt des Nachhaltigkeitsbegriffs i.S. von § 1 Abs. 5 S. 1 BauGB ... 137 c) Inhalt des Begriffs „menschenwürdige Umwelt"

137

d) Schutz und Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen

139

e) Art und Weise des Schutzes

139

f) Aussagen der umweltbezogenen Planungsziele für das Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme 140 g) Abwägbarkeit der Planungsziele 6. Berücksichtigungsgebote gem. § 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB

141 143

a) Allgemeines

143

b) Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung

145

c) Belange der Erholung

146

d) Förderung vorhandener Ortsteile

147

aa) Begriff der Erhaltung eines vorhandenen Ortsteils

147

bb) Bestandsaufnahme aufgrund des § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 BauGB 148 cc) Berücksichtigungspflicht

149

dd) Ermittlungspflicht

149

12

Inhaltsverzeichnis e) Belange des Umweltschutzes, Naturschutzes und der Landschaftspflege aa) Allgemeine Bedeutung des § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 7 BauGB bb) Bestandsaufnahme

154 154 154

cc) Bedeutung für Freiraumschutz und Innenentwicklung sowie deren Verhältnis f) Belange der Wirtschaft

156 157

g) Zusammenfassung

157

7. Umwidmungssperrklausel

157

8. Das Abwägungsgebot gem. § 1 Abs. 6 BauGB

160

a) Allgemeines

160

b) Ermittlung der Belange der Innenentwicklung und des Freiraumschutzes

161

c) Ermittlung der mit Freiraumschutz und Innenentwicklung konkurrierenden Belange

163

d) Pflicht zur Alternativenprüfung aus § 1 Abs. 6 BauGB

164

aa) Pflicht zur Prüfung möglicher Innenentwicklung als Planungsalternative 164 bb) Pflicht zur Prüfung von Alternativen im Freiraum

165

e) Einstellung der relevanten Belange in die Abwägung

165

f) Gewichtung der Belange des Freiraumschutzes und der Innenentwicklung

165

aa) Gewichtung der Belange des Freiraumschutzes in der Abwägung 166 bb) Gewichtung der Belange der Innenentwicklung in der Abwägung 166 g) Abwägung im engeren Sinne

167

h) Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 28. 11. 1989 zur Baulükkenermittlung

169

9. Umweltschutzbezogene Belange i.S.v. § 1 a BauGB

171

10. Darstellungen im Flächennutzungsplan gem. § 5 BauGB

172

11. Festsetzungen im Bebauungsplan gem. § 9 BauGB

175

a) Freiraumschutz durch Festsetzungen

175

b) Freiraumschutz durch die Aufhebung von Festsetzungen

177

c) Innenentwicklung durch Festsetzungen

177

d) Festsetzungsmöglichkeiten

178

e) Pflicht zur Verwirklichung von Festsetzungen zugunsten der Innenentwicklung und des Freiraumschutzes

186

f) Begründungspflicht

188

Inhaltsverzeichnis 12. Wegfall der Anzeigepflicht

189

13. Das neue Planungsvertragsrecht

190

14. Veränderungssperre gem. § 14 BauGB

193

15. Teilungsgenehmigung gem. § 19 BauGB

193

16. Sonderfall der Teilungsgenehmigung: Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktion gem. § 22 BauGB 194 17. Vorkaufsrecht gem. § 24 BauGB

195

18. Die Änderung des Vorhabenbegriffs

196

19. Bedeutung des § 34 BauGB für Freirauminanspruchnahme / Innenentwicklung

197

a) Vorhabenzulässigkeit nach § 34 Abs. 1 bis 3 BauGB

197

b) Funktionsbestimmung des Innenbereichs durch § 34 BauGB

198

c) Streichung des § 34 Abs. 3 BauGB

200

d) Klarstellungssatzung gem. § 34 Abs. 4 Nr. 1 BauGB

201

e) Entwicklungssatzung gem. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB

201

0 Abrundungs- bzw. Einbeziehungssatzung

202

20. Bedeutung des § 35 BauGB für das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung a) Vorhabenzulässigkeit nach § 35 Abs. 1 und 2 BauGB

205 205

b) Bauvorhaben der Land- und Forstwirtschaft gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB 207 c) Die Bedeutung des § 35 Abs. 3 BauGB für den Freiraumschutz

208

d) Begünstigte Außenbereichsvorhaben gem. § 35 Abs. 4 BauGB

211

e) Sparsamkeits- und Schonungsgebot gem. § 35 Abs. 5 BauGB

212

0 Außenbereichssatzung

214

g) Zusammenfassung

216

21. Umlegungsrecht gem. §§ 45 ff. BauGB

216

22. Enteignungsrecht gem. §§ 85 ff. BauGB

217

23. Besonderes Städtebaurecht

217

a) Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen gem. §§ 136 ff. BauGB

217

b) Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen gem. §§165 ff. BauGB

221

c) Zusammenfassung

222

24. Erhaltungssatzungen gem. § 172 BauGB

222

25. Städtebauliche Gebote gem. §§ 175 ff. BauGB

223

a) Baugebote gem. § 176 Abs. 1 und 2 BauGB

223

b) Bau- und Beseitigungsgebote gem. § 176 Abs. 5 Satz 1 BauGB

225

14

Inhaltsverzeichnis c) Modernisierungs- und Instandsetzungsgebote gem. § 177 BauGB .... 225 d) Abbruchgebot gem. § 179 Abs. 1 S. 1 BauGB

226

e) Entsiegelungsgebot gem. § 179 Abs. 1 S. 1 BauGB

226

26. Baulandkataster gem. § 200 Abs. 3 BauGB

227

27. Schutz des Mutterbodens gem. § 202 BauGB

228

28. Informelle Planung von Innenentwicklung

229

VIII. Bodenschutzklausel

231

1. Allgemeines/Gesetzesgeschichte

231

2. Sinn und Zweck des Gesetzes

233

3. Bodenschutzklausel als Umweltschutzrecht

234

4. Absoluter / relativer, mittelbarer / unmittelbarer Bodenschutz

237

5. Bundeskompetenz zum Erlaß der Bodenschutzklausel

238

6. Grund und Boden

239

7. „Umgegangen werden"

241

8. „Sparsam"

241

9. „Schonend"

249

a) Schonung als Schutz vor Belastungen

249

b) Schutz vor unnötigen Belastungen

250

c) Abgrenzung zum Sparsamkeitsgebot / Schonung als qualitativer Bodenschutz 251 d) Schonungsgebot der Bodenschutzklausel

252

e) Ergebnis

253

10. Wechselbeziehungen zwischen Sparsamkeits- und Schonungsgebot 11. Vorrang der Innenentwicklung a) Unschärfe des Begriffs Vorrang

254 255 255

b) Abstrakter und konkreter Vorrang

257

c) Absoluter und relativer Vorrang

258

d) Genereller und individueller Vorrang

259

e) Ansicht Söfkers: Kein Vorrang innerörtlicher Entwicklung

259

0 Herrschende Ansicht: Vorrang nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse 260 g) Vorrang der Innenstadtentwicklung

261

h) Stellungnahme

261

aa) Wortlaut

261

bb) Systematik

263

Inhaltsverzeichnis cc) Sinn und Zweck

264

dd) Auslegung nach Wirksamkeit oder Praktikabilität der Norm

269

ee) Verfassungskonforme Auslegung im Lichte des Art. 20 a GG ... 269 ff) Verstoß gegen das Bestimmtheitsprinzip i) Zusammenfassung der Ergebnisse zur Frage des Vorrangs

271 272

12. Soll

272

13. Abwägbarkeit der Bodenschutzklausel

273

a) Alte Bodenschutzklausel gem. § 1 Abs. 5 Satz 3 BauGB a.F.

274

aa) Die herrschende Ansicht von der Abwägbarkeit der Bodenschutzklausel 274 bb) Bodenschutzklausel als Soll-Planungsleitsatz c) Zur Terminologie: Planungsleitsatz

279 281

d) Grundlagenkritik der Theorie des planungsrechtlichen Optimierungsgebotes 283 e) Stellungnahme zur Frage der Abwägbarkeit der alten Bodenschutzklausel 291 aa) Wortlaut des § 1 Abs. 6 BauGB bb) Systematik

291 293

cc) Materialien / Gesetzesgeschichte zu § 1 Abs. 6 BauGB

295

dd) Sinn und Zweck des § 1 Abs. 6 BauGB

295

ee) Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 3 BauGB a.F. - Sollstruktur ff) Systematik

297 300

gg) Systematik - Vergleich mit den Katalogbelangen

302

hh) Systematik - Vergleich mit § 2 Abs. 2 BauGB

304

ii) Systematik - Vergleich mit § 1 Abs. 1 Satz 2 BauGB-MaßnahmenG 305 jj) Systematik - Vergleich mit dem Raumordnungsrecht kk) Zulässigkeit von Soll-Planungsleitsätzen 11) Materialien / Sinn und Zweck

306 307 308

14. Abwägbarkeit der neuen Bodenschutzklausel gem. § 1 a Abs. 1 BauGB 315 a) Gesetzgeberischer Wille

315

b) Optimierungsgebot

317

c) Bedeutung der Soll-und Ist-Fassung

319

d) Verfassungskonforme Auslegung

320

15. Inhalt des Versiegelungsbegrenzungsgebotes

320

a) Versiegelung/Verhältnis zum Sparsamkeitsgebot

320

b) „Dabei"

321

c) Zusatzklausel

322

Inhaltsverzeichnis

16

16. Geltung der alten Bodenschutzklausel für besondere städtebauliche Satzungen 322 a) Rechtslage bis 31. 12. 1997

322

b) Rechtslage ab 1. 1. 1998

324

17. Bedeutung der Klausel für die Erforderlichkeit gem. § 1 Abs. 3 BauGB 324 18. Bedeutung der Bodenschutzklausel für die Aufhebung von Bauleitplänen 325 19. Bedeutung der alten Bodenschutzklausel für das Anzeige- und Genehmigungsverfahren i.S.v. § 11 BauGB a.F. 325 20. Verhältnis der alten Bodenschutzklausel zu § 1 BauGB-MaßnahmenG .. 326 21. Verhältnis der Bodenschutzklausel zum Naturschutzrecht

327

22. Arten der Mißachtung der Bodenschutzklausel

329

23. Folgen der Nichtbeachtung

330

a) Alte Bodenschutzklausel

330

b) Neue Bodenschutzklausel

332

c) Zusammenfassung der Ergebnisse zur Bodenschutzklausel

332

IX. Bauordnungsrecht

332

X. Naturschutzrecht

337

1. Allgemeines

337

2. Die Ziele des Naturschutzes

338

3. Grundsätze des § 2 BNatSchG mit freiraumschützenden Aussagen

339

a) Freiraumschutz durch § 2 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG

339

b) Sparsame Nutzung

342

c) Naturschutzrechtliche Bodenschutzklausel

343

d) Erschließung, Gestaltung und Erhaltung geeigneter Flächen

343

e) Zusammenfassung

344

4. Naturschutzrechtliches Abwägungsgebot des § 1 Abs. 2 BNatSchG

344

5. Freiraumschutz durch Landschaftsplanung

346

6. Eingriffsregelung außerhalb der Bauleitplanung

349

a) Allgemeines

349

b) Inhalt/Sinn und Zweck der Eingriffsregelung

350

c) Eingriffsbegriff und Freirauminanspruchnahme

352

d) Vermeidungsgrundsatz

353

aa) Allgemeines

353

bb) Erforderlichkeits-/ Bedarfsprüfung

354

cc) Standortalternativen- / Trassenalternativenprüfung

356

Inhaltsverzeichnis dd) Verhältnis des Vermeidungsgebotes zu den Grundsätzen des Naturschutzes

357

ee) Vermeidungsgrundsatz und Abwägungsgebot

358

ff) Vermeidungsgebot und Minimierungsgebot

358

gg) Bindungswirkung des Vermeidungsgrundsatzes

360

hh) Bedeutung des Vermeidungsgrundsatzes für das Verhältnis von Freiflächeninanspruchnahme und Innenentwicklung

362

e) Ausgleichsgrundsatz

362

f) Abwägungsgrundsatz

364

g) Kompensationsgrundsatz

365

7. Eingriffsregelung in der Bauleitplanung

366

a) Rechtslage bis 31. 12. 1997

366

aa) Allgemeines 366 bb) Bedeutung des Vermeidungsgebots gem. § 8 a Abs. 1 Satz 1 BNatSchG a.F. 367 cc) Ausgleichsgrundsatz und Kompensationsgebot in der Bauleitplanung 371 dd) Anwendbarkeit der alten Eingriffsregelung auf sonstige städtebauliche Satzungen 372 ee) Erlaß von Wiederherstellungsverfügungen

374

ff) Ergebnisse zur naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung i.d.F. bis 31. 12. 1997 374 b) Eingriffsregelung in der Bauleitplanung nach der Rechtslage ab dem 1. 1. 1998

375

aa) Überblick über die Änderungen

375

bb) Anwendungsbereich

376

cc) Vermeidungsgrundsatz

377

dd) Ausgleichsgrundsatz ee) Ergebnisse zur Eingriffsregelung 1. 1. 1998

379

8. Schutzverordnungserlaß

379

9. Besonderer Biotopschutz

382

10. Gemeindliches Baumschutzrecht XI. Forstrecht XII. Bodenschutzgesetz

2 Franz

378 nach der Rechtslage ab

383 385 387

1. Gesetzgebungsgeschichte

387

2. Bundeskompetenz

387

18

Inhaltsverzeichnis 3. Bedeutung für die Bauleitplanung

388

4. Gegenentwurf

388

XIII. Wasserrecht

389

XIV. Immissionsschutzrecht

390

1. Allgemeines

390

2. Betreiberpflichten

391

3. Bedeutung des § 50 BImSchG für Freiraumschutz und Innenentwicklung 392 XV. Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten Großbauten XVI. Abgabenrecht XVII. Subventionsrecht XVIII. Fehlerfolgen rechtswidriger Freirauminanspruchnahme 1. Allgemeines Fehlerfolgensystem des Baugesetzbuchs

395 396 397 399 399

2. Mißachtung von Rechtssätzen des Freiraumschutzes und der Innenentwicklung 400 3. Prozessuales

402

D. Gesetzgebungsvorschläge zur Neuregelung des Verhältnisses von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung 403 I. Gesetzgebungsvorhaben Umweltgesetzbuch

403

1. Allgemeines

403

2. Umweltpflichtigkeit des Eigentums

403

3. Bauplanungsrecht

404

4. Das Bodenschutzrecht des Sachverständigenentwurfs

405

a) Bodenschutzklausel

405

b) Bodenschutzplanung

406

c) Qualitativer Bodenschutz

406

5. Naturschutzrecht im UGB-KomE

407

6. Forstrecht im UGB-KomE

407

II. Sonstige Regelungsmöglichkeiten

408

1. Grundgesetzänderung

408

2. Reform des Raumordnungsrechts

408

Inhaltsverzeichnis 3. Änderungen des Bauplanungsrechts a) Zwingende Geltung der Bodenschutzklausel

19 409 409

b) Regelvorrang der Innenentwicklung

410

c) Pauschale Vorgaben für einen Mindestfreiflächenschutz

412

d) Eingriffsregelung

412

e) Änderung des § 34 BauGB

412

f) Änderung des § 35 BauGB

412

g) Umweltverträglichkeitsprüfung

413

h) Änderung der Baunutzungsverordnung

414

4. Naturschutzrechtsänderungen

415

a) Aufhebung des § 8 a Abs. 2 BNatSchG

415

b) Mindestfreiflächenschutz

415

c) Eigene Rechte des Freiraums

416

d) Stärkung des Verbandsklagerechts

417

5. Neue abgabenrechtliche Instrumente zur Einschränkung des Freiflächenverbrauchs und zur Förderung der Innenentwicklung

418

a) Allgemeines

418

b) Reform der Grundsteuer

419

c) Schaffung einer Baulandsteuer

419

d) Wohnflächensteuer

420

e) Erhebung einer Versiegelungsabgabe

421

0 Bodenwertsteuer

421

g) Kombinierte Bodenwert- und Bodenflächensteuer

422

h) Innenstadtzufahrts- bzw. Pendlerabgabe

422

6. Sonstige neue Instrumente

423

a) Handelbare Flächenausweisungsrechte

423

b) Baurechtsverlagerung

423

c) Grundstücksbörse

424

d) Baulückenfonds

424

7. Subjektive Ansprüche auf Freiraumschutz und Innenentwicklung

425

E. Möglichkeiten der Innenentwicklung und deren Umsetzung durch die Gemeinde 428 I. Allgemeines II. Innenentwicklung durch Baulückenschließung 1. Allgemeines a) Begriff der Baulücke 2*

428 428 428 428

Inhaltsverzeichnis

20

b) Situationsbeschreibung - Entstehung und Bedeutung von Baulücken

431

c) Allgemeine Probleme der Baulückennutzung

432

2. Maßnahmen der Bauleitplanung a) Bebauungsplangebiete

433 433

aa) Baugebot

433

bb) Umlegung

435

cc) Enteignung

436

dd) Grenzregelung

438

ee) Aufhebung von Miet- und Pachtverhältnissen gem. §§ 182, 183, 184 BauGB 438 ff) Ausübung von Vorkaufsrechten

439

gg) Befreiungen

441

hh) Planänderung und -ergänzung

442

b) Unbeplanter Innenbereich i.S.v. § 34 BauGB aa) Baugebote

442 442

bb) Umlegung

442

cc) Enteignung

443

dd) Grenzregelung

443

ee) Aufhebung von Miet- und Pachtverhältnissen

443

ff) Vorkaufsrecht

444

gg) Erlaß von Bebauungsplänen (Überplanung)

444

3. Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen

447

a) Sanierungsgebiete

447

b) Entwicklungsgebiete

447

4. Bauordnungsrechtliche Handlungsmöglichkeiten

448

5. Subventionsrecht

448

6. Gemeindlicher Flächenerwerb und -verkauf

449

7. Informelles Verwaltungshandeln durch Beratung und Information

451

III. Ruinengeländebebauung 1. Allgemeines

451 451

a) Begriff der Ruine

451

b) Situationsbeschreibung

452

2. Bauleitplanungsrechtliche Handlungsmöglichkeiten a) Bebauungsplangebiete

453 453

aa) Vorkaufsrechtsausübung in beplanten Gebieten

455

bb) Modernisierungsgebot in beplanten Gebieten

456

Inhaltsverzeichnis b) Unbeplanter Innenbereich 3. Besonderes Städtebaurecht

456 457

a) Städtebauliche Sanierung

457

b) Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen

458

4. Bauordnungsrechtliche Handlungsmöglichkeiten

459

a) Abrißverfügung aa) Rechtsgrundlage

459 459

bb) Materielle Illegalität von Ruinen

460

cc) Bestandsschutz von Ruinengebäuden

461

dd) Abrißverfügung

463

b) Örtliche Bauvorschriften

464

5. Denkmalschutzrecht

464

6. Naturschutzrecht

464

7. Sonstige Ermächtigungsgrundlagen des besonderen Verwaltungsrechts .. 465 8. Sonstige Handlungsmöglichkeiten IV. Beseitigung von Minderbebauung V. Aufstockung 1. Allgemeines 2. Bauplanungsrechtliche Handlungsmöglichkeiten der Gemeinde a) Bebauungsplangebiete

466 467 467 467 469 469

aa) Maßnahmen auf der Grundlage des unveränderten Bebauungsplans 469 bb) Änderung des Bebauungsplans

470

cc) Mindestmaßfestsetzung

471

dd) Geschoßflächenzahl b) Innenbereich i. S. d. § 34 BauGB

471 471

3. Besonderes Städtebaurecht

472

4. Bauordnungsrechtliche Aspekte

472

VI. Anbau

473

1. Situationsbeschreibung

473

2. Bauplanungsrechtliche Handlungsmöglichkeiten der Gemeinde

474

a) Bebauungsplangebiete

474

aa) Maßnahmen auf der Grundlage des unveränderten Bebauungsplans 474 bb) Änderung des Bebauungsplans

474

22

Inhaltsverzeichnis b) Unbeplante Gebiete

475

aa) Baugebote im unbeplanten Innenbereich

475

bb) Erlaß von Bebauungsplänen für den Innenbereich

475

3. Besonderes Städtebaurecht

476

4. Bauordnungsrechtliche Aspekte

476

a) Allgemeines

476

b) Abstandflächen

476

c) Stellplätze

477

d) Wohnungen

477

e) Deckenhöhe

478

f) Statik

478

g) Notweg

479

5. Sonstige Handlungsmöglichkeiten VII. Ausbau

479 479

1. Allgemeines

479

2. Dachgeschoßausbau

480

a) Bauplanungsrechtliche Handlungsmöglichkeiten der Gemeinde

481

aa) Bebauungsplangebiete

481

bb) Unbeplante Gebiete

483

b) Besonderes Städtebaurecht

484

c) Bauordnungsrechtliche Aspekte

485

d) Sonstige Rechtsvorschriften

486

3. Kellerausbau / Souterrainnutzung

486

4. Garagenausbau

487

5. Scheunenausbau

487

a) Allgemeines

487

b) Bauplanungsrechtliche Handlungsmöglichkeiten

488

c) Bauordnungsrechtliche Aspekte

488

6. Stallausbau VIII. Sanierung bzw. Modernisierung ungenutzter Wohnbebauung

489 490

1. Allgemeines

490

2. Bauplanungsrechtliche Handlungsmöglichkeiten

490

3. Besonderes Städtebaurecht

491

IX. Wiedernutzung von Gewerbe- und Industriebrachen 1. Allgemeines

492 492

Inhaltsverzeichnis 2. Bauplanungsrechtliche Aspekte

493

a) Allgemeines

493

b) Altlastenproblematik

493

c) Einkaufszentren im städtischen Umland

494

3. Besonderes Städtebaurecht

495

4. Bauordnungsrecht

495

X. Konversion ehemaliger Militärstandorte

495

1. Allgemeines

495

2. Bauplanungsrechtliche Besonderheiten

496

3. Besonderes Städtebaurecht

497

4. Bauordnungsrechtliche Aspekte

497

5. Sonstige Handlungsmöglichkeiten

498

XI. Verkehrsflächenbebauung

498

1. Allgemeines

498

2. Bauplanungsrechtliche Aspekte

499

3. Besonderes Städtebaurecht

500

4. Bauordnungsrechtliche Aspekte

500

XII. Wochenendhausgebiete

500

1. Allgemeines

500

2. Bauleitplanungsrechtliche Handlungsmöglichkeiten

501

3. Besonderes Städtebaurecht

502

4. Bauordnungsrechtliche Aspekte

502

XIII. Kleingartenbebauung

502

1. Allgemeines

502

2. Bauplanungsrechtliche Instrumente einer Umnutzung

504

a) Bebauungsplanung

504

b) Kleingartengebiete

506

3. Besonderes Städtebaurecht

506

4. Bauordnungsrechtliche Aspekte

507

F. Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit

508

Literaturverzeichnis

515

Stichwortverzeichnis

528

Α. Einleitung Ι . Einführung in das Thema Die öffentliche Diskussion des Themas „ökologisches Planen und Bauen" begann in der Bundesrepublik Deutschland Ende der siebziger Jahre. Zwischenzeitlich handelt es sich um einen nicht nur in Fachkreisen gebräuchlichen Begriff, mit dem auch eine breitere Öffentlichkeit zunehmend bestimmte Inhalte verbindet. Jener Begriff wird allerdings oft mit unterschiedlicher Bedeutung verwandt, zumal er eine Vielzahl von Aspekten umfaßt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit steht ein zentraler Teilaspekt der Forderungen ökologischen Planens und Bauens im Mittelpunkt: die Forderung nach einem grundsätzlichen Vorrang der Innenentwicklung vor der Inanspruchnahme von Freiraum für bauliche Zwecke. In diesem Zusammenhang tauchen in der Diskussion auch Schlagwörter wie bestandsorientierter Städtebau, Flächenrecycling, Siedlungsoptimierung oder Nachverdichtung auf, die allerdings mit dem Begriff der Innenentwicklung nicht deckungsgleich sind. Ökologisches Planen und Bauen ist keine gänzlich neue Form in Abgrenzung zu einer herkömmlichen Form des Planens und Bauens. Vielmehr ist im Laufe der letzten Jahre zunehmend die Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte für die Planung von Bebauung und das Bauen rechtlich festgeschrieben worden. In der vorliegenden Arbeit soll das rechtliche Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung vor dem Hintergrund der Forderungen ökologischen Planens und Bauens untersucht werden. Ziel ist es, dabei das komplexe Gefüge rechtlicher Vorgaben für dieses Verhältnis darzustellen, diese Vorgaben an den Forderungen ökologischen Planens und Bauens zu messen und zu untersuchen, ob eine rechtliche Neuordnung des Verhältnisses von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme anzuraten ist. Die Arbeit behandelt das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung aus der Perspektive der Gemeinde, da ihr als Trägerin der Bauleitplanung eine zentrale Stellung bei der Umsetzung jener Vorgaben zukommt. Der erste Teil der Arbeit beginnt mit einer Übersicht über die Bedeutung des Freiraumschutzes. Dabei werden die Zusammenhänge zwischen Bebauung und Umweltproblemen und insbesondere die Folgen freiraumverbrauchender Bebauung als Problem eines nachhaltigen Umweltschutzes aufgezeigt. Der zweite Teil gibt einen Überblick über die allgemeine Stellung der Gemeinde im Bereich des Bauwesens, um deren verfassungs- und einfachgesetzliche Einbindung in das System des planungsrechtlichen Umgangs mit der Landschaft aufzuzeigen.

26

Α. Einleitung

Den Kern der Arbeit bildet der dritte Teil. Er behandelt die einzelnen rechtlichen Vorgaben für das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung. Neben einer Behandlung der aus Art. 20 a GG abzuleitenden Vorgaben werden Schwerpunkte auf die Auslegung der bauplanungsrechtlichen Bodenschutzklausel, Ermittlungspflichten der Gemeinde und das naturschutzrechtliche Vermeidungsgebot gelegt. In einem vierten Teil werden mögliche Regelungen de lege ferenda zur Ausgestaltung des Verhältnisses von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung skizziert. Der fünfte und letzte Teil dient dazu, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vielfältigen Möglichkeiten der Innenentwicklung darzustellen. Dabei werden die wichtigsten bei der gemeindlichen Innenentwicklung auftretenden Rechtsfragen behandelt. Die Arbeit schließt mit einer thesenhaften Zusammenstellung der gewonnenen Ergebnisse.

I I . Zusammenhänge zwischen Freiraumbebauung und zentralen Umweltproblemen1 1. Allgemeines

Die allgemeine Umweltsituation wird durch eine nationale2 wie weltweite3 Verschärfung von Umweltproblemen gekennzeichnet. Unter dem Begriff Umweltproblem soll die noch ungelöste schwierige Aufgabe 4 der Beseitigung bzw. Abwehr von eingetretenen oder zu erwartenden Umweltschäden verstanden werden.5 Die 1

Zur allgemeinen Umweltsituation in der Bundesrepublik Deutschland s. Umweltbundesamt, Umweltzustandsbericht 1997; zur Umweltsituation speziell in den neuen Bundesländern: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission: Zustand der Umwelt in den sechs neuen Bundesländern, 1998 - KOM 1998, S. 33. 2 „Unter den Industriestaaten der Erde ist die Bundesrepublik Deutschland durch Bevölkerungsdichte und intensive wirtschaftliche Tätigkeit heute eines der Länder mit der weitaus höchsten Umwelt- und Ressourcenbeanspruchung. Die Bevölkerungsdichte im Bundesgebiet ist mit 247 Einwohnern je Quadratkilometer außerordentlich hoch. Die Umweltbeanspruchung erstreckt sich auf das gesamte Bundesgebiet." (Einleitungssätze der Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung vom 6. 2. 1985 BT-Drucksache 10/2977, S. 4). Die Bundesrepublik Deutschland zählt zu den am dichtesten besiedelten Ländern Europas (vgl. Umweltbericht 1988 - Unterrichtung durch die Bundesregierung - BT-Drucksache 13/10735, S. 8). 3 Es sei hier nur an die Zunahme der Weltbevölkerung von 1970 bis 1990 von 3,6 auf 5,3 Milliarden erinnert, die eine Vielzahl von Umweltproblemen im „Schlepptau" hat (vgl. von Weizsäcker/Lovins/Lovins, S. 286). 4 Vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1182. 5 Der Begriff der Umwelt wird in sehr verschiedener Weise definiert (vgl. Bender/Sparwasser/Engel, Teil 1 Rdnr. 5). Mit Kloepfer (Umweltrecht, § 1 Rdnr. 14) kann zwischen

II. Freiraumbebauung und zentrale Umweltprobleme

27

zur Zeit mehr oder minder intensiv diskutierten Umweltprobleme lassen sich schlagwortartig unter folgende Begriffe fassen: Landschaftsverbrauch 6, Zerschneidungseffekte, Artenschwund, Ozonproblematik, Saurer Regen /Waldsterben 7, Treibhauseffekt, Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen (fossile Brennstoffe, Metalle), Luftschadstoffe 8, Nitrat- und Schwermetallbelastung der Böden und Verkehrsinfarkt der Städte. Mögen auch nicht alle Umweltprobleme ihre Ursache in der Bebauung haben, so hat die Bautätigkeit insbesondere im Freiraum eine zentrale Bedeutung für Art und Ausmaß der bestehenden Umweltprobleme.

2. Landschaftsverbrauch Die Hauptursache der Landschaftszerstörung ist der sog. Landschafts- oder Landverbrauch 9 durch Siedlungs- und Verkehrsflächen. 10 Unter Landschaftsverbrauch versteht man nicht ein Verbrauchen im Sinne der umgangssprachlichen Hauptbedeutung11 des Wortes. 12 Landschaft „verschwindet" nicht durch Siedlungs- und Verkehrsflächen, sondern erfährt eine durch Überbauung und Bodenversiegelung geprägte Umgestaltung und Umnutzung. Der Terminus „verbrauchen" ist jedoch inhaltlich gerechtfertigt, soweit man als Gegenstand des Verbrauchs nicht Land bzw. die Landschaft an sich, sondern nur die offene oder freie Landschaft ansieht. Siedlungstätigkeit mit einhergehender Überbauung und Versieeinem extensiven und einem restriktiven Umweltbegriff unterschieden werden. Während der extensive unsere gesamte Umgebung einschließlich unserer Mitmenschen und aller sozialen, kulturellen und politischen Einrichtungen umfaßt (Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 15), konzentriert sich der restriktive Umweltbegriff (des juristischen Raums) auf die natürliche Umwelt (Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 16). Natürliche Umwelt ist in Anlehnung an § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG zu definieren als Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft einschließlich der Wechselwirkungen untereinander, wobei die ebenfalls in § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UVPG genannten Kultur- und Sachgüter nicht umfaßt werden. Der Begriff der natürlichen Umwelt greift damit über die sog. Umweltmedien (vgl. Bender/ Sparwasser/Engel, Teil 3 Rdnr. 2) Boden, Luft und Wasser weit hinaus. Zu anderen normativen Umweltbegriffen s. Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rdnr. 17. 6

Eine intensivere öffentliche Diskussion setzte etwa in der Mitte der achtziger Jahre ein. Seit Mitte der achtziger Jahre. 8 Seit Mitte der siebziger Jahre. y Soweit hier von Landverbrauch die Rede ist, wird hierunter nur die Inanspruchnahme von Boden durch bauliche Zwecke als Siedlungs- oder Verkehrsfläche verstanden. Es sei darauf hingewiesen, daß der Begriff bisweilen auch in einem anderen, weiteren Sinn gebraucht wird. So meint etwa Winter, S. 134: „Auch das ist ,Landschaftsverbrauch': ausgeräumte Äkker, Furchen ohne Baum oder Strauch bis zum Horizont und betonierte Bäche. Hügel sind abgetragen, Hohlwege zugeschüttet und Hecken verschwunden." 10 Bender/Sparwasser/Engel, Teil 3 Rdnr. 17. 7

11 Vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1635: ,/egelmäßig (eine gewisse Menge von etw.) nehmen u. für einen best. Zweck verwenden [bis nichts mehr davon da ist]". 12 Hierauf weisen von Grot/ Kunst/Raabe/Sander, S. 13 und Sening, in: Rosenkranz/ Bachmann /Einsele/ Harreß, 0510 S. 1 hin.

28

Α. Einleitung

gelung von zuvor offener Landschaft kann tatsächlich treffend als Verbrauch offener Landschaft bezeichnet werden. Der Landschaftsverbrauch kann - mit weniger plastischen, aber genaueren Worten - auch als Umwidmung von Freiflächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen bezeichnet werden. 13 Er liegt in der Bundesrepublik Deutschland seit langem auf einem angesichts der Begrenztheit des Raumes relativ hohen Niveau. 14 Im Vergleich etwa mit seinen Nachbarstaaten Polen und Frankreich ist die Bundesrepublik ein besonders dicht besiedeltes Land. Der Prozeß der stetigen Ausdehnung der Siedlungs- und Verkehrsfläche vollzieht sich vornehmlich in den bereits hochverdichteten Regionen.15 In nach wie vor starkem Maße wachsen die städtischen Siedlungen der Ballungsgebiete in ihr Umland und dabei auch ineinander. 16 Im Jahre 1935 waren nur 1,8% der Räche des Gebietes der heutigen Bundesrepublik Deutschland Gebäude-, Hof- und Industrieflächen und 3,3% Straßen, Wegeland und Eisenbahnflächen. 17 Im Jahre 1975 waren bereits 4,7% Gebäude-, Hof- und Industrieflächen und nochmals 4,7% Straßen, Wegeund Eisenbahnflächen. 18 Bis zum Jahre 1985 entfielen bereits 12% der Gesamtfläche der Bundesrepublik auf Siedlungsflächen, d. h. Flächen für Wohnbebauung, Industrie- und Gewerbeflächen und Verkehrsflächen. 19 Seit dem Jahr 1950 bis zum Jahr 1985 hat sich die Siedlungsfläche in den alten Bundesländern nahezu verdoppelt. 20 Die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche in den alten Bundesländern betrug im Zeitraum von 1981- 1989 10,61 % 2 1 und im Zeitraum von 1981 bis 1993 sogar 14,9%. 22 Im Jahre 1989 betrug der Landverbrauch in den alten Bundesländern nach Angaben des Umweltbundesamtes ca. 90 Hektar pro Tag. 23 Diese Zahl wurde auch für die Jahre 1992/1993 ermittelt. 24 Nach dem städtebaulichen

13 So etwa Rehbinder, NuR 1997, S. 324. 14

Mit Bunzel, S. 584, kann von einem „ungebremsten Flächenverbrauch" gesprochen werden. Anders als der Verbrauch fossiler Energie hat sich der Landschaftsverbrauch für Siedlungsbau und Verkehrsflächen auch „noch in keiner Weise vom ökonomischen Wachstum abgekoppelt." (Bunzel, S. 584 m.w.Nachw.). 15 Umweltbundesamt (Hrsg.), Daten zur Umwelt 1995 (Kurzfassung), S. 2. 16 Winter (Hrsg.), Rettet den Boden, 1985 S. 130, der ironisch die Fruchtfolge rheinischer Bauern mit „Rüben, Weizen, Kiesgrube, Bauland" wiedergibt. 17 Aus Bürger, in: Olschowy, S. 92. 18 Bürger, in: Olschowy, S. 92. 19 BT-Drucksache 10/2977, S. 4. 20 Winter (Hrsg.), Rettet den Boden, 1985, der den Landverbrauch jener Jahre mit 114 Hektar pro Tag und die Siedlungsfläche mit 11,8 Prozent angab und an den in den sechziger Jahren begonnenen staatlich stark geförderten „Trend zum Eigenheim" erinnert. Winter bemerkt pointiert, das „Geld ist die Hänge hochgeklettert, in die ,besseren Lagen4"; Bürger, in: Olschowy, S. 94 gibt die jährliche Zuwachsraten der Siedlungsfläche für 1960/65 mit 2,1%, für 1965/70 mit 1,8% und für 1970/75 mit 1,5% an.

21 Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt 1992/1993, 1994, S. 187. 22 Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt, Ausgabe 1997, S. 16. 23 Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt 1990/1991, 1992, S. 141. 24

Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt 1992/1993, 1994, S. 187.

II. Freiraumbebauung und zentrale Umweltprobleme

29

Bericht „nachhaltige Stadtentwicklung"25 liegt die aktuelle Bodeninanspruchnahme im gesamten Bundesgebiet bei täglich rund 80 Hektar. Dieser Durchschnittswert wird tendenziell in den alten Bundesländern unterschritten und in den neuen Bundesländern überschritten. In den neuen Bundesländern dürfte der durchschnittliche Landschaftsverbrauch in den ersten Jahren nach deren Beitritt weitaus höher gelegen haben. Der zum Teil gewaltige Siedlungsdruck in Ballungsgebieten der neuen Bundesländer kann in seiner Intensität mit dem Siedlungsdruck der späten sechziger und frühen siebziger Jahre in den alten Bundesländern verglichen werden. Es ist daher abzusehen, daß sich der gegenüber den Altbundesländern niedrigere Flächenanteil von Siedlungs- und Verkehrsfläche (7,9% in den neuen gegenüber 12,7% in den alten Bundesländern 26) mittelfristig angleichen wird. Die Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung prognostiziert für die nächsten 20 Jahre einen täglichen Raumverbrauch von rund 51 Hektar als Bauland. 27 Zumindest in den neuen Bundesländern dürfte dieser Wert in den nächsten Jahren noch deutlich überschritten werden. Die weitere Entwicklung des Landschaftsverbrauchs wird wesentlich von der Bevölkerungspolitik des Staates und dem Pro-Kopf-Einkommen der Einwohner abhängen.28 Würde der Landschaftsverbrauch in der Bundesrepublik auf derzeitigem oder nicht wesentlich geringerem Niveau anhalten, so wäre noch vor dem Jahre 3000 die gesamte bebaubare Fläche bebaut, es sei denn, es würden durch Entsiegelung bebauter Flächen neue Kapazitäten freigesetzt. 29 Die Gründe für den anhaltend hohen Landschaftsverbrauch sind vielschichtig.30 In der Menschheitsgeschichte lag bisher die Hauptursache für den Landschaftsverbrauch im starken BevölkerungsWachstum. In den letzten Jahrzehnten waren in der Bundesrepublik Deutschland hingegen weniger das Bevölkerungs Wachstum, sondern vielmehr die gestiegenen Ansprüche an die Pro-Kopf-Wohnfläche ausschlaggebend.31

25 BT-Drucksache 13/5409, S. 5. 26 Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt, Ausgabe 1997, S. 17 (Zahlen für das Jahr 1993). 27 BT-Drucksache 13/5409, S. 5. 28

Dies verdeutlicht ein Blick auf den durchschnittlichen Raumbedarf der Bundesbürger, der in einem direkten Zusammenhang mit deren Pro-Kopf-Einkommen steht. Die Bedürfnisse sind mit zunehmender Wohlhabenheit gestiegen: Wahrend 1950 jeder Bundesbürger durchschnittlich 15 Quadratmeter bewohnte, waren es 1982 bereits 34 (Winter, S. 131). 29

So wurde für das Land Baden-Württemberg statistisch errechnet, daß bei einem Anhalten des Landschaftsverbrauchs im bisherigen Umfang dort bis zum Jahr 2165 alle Äcker und Felder zugebaut wären (aus Winter, S. 137). 30 Blume, Handbuch des Bodenschutzes, S. 522. Eine Skizzierung dieser Gründe findet sich in Teil C.V. 31 Blume, Handbuch des Bodenschutzes, S. 522. Während der Pro-Kopf-Wohnraum in den alten Bundesländern 1950 noch bei 14,3 Quadratmetern lag, war dieser Wert im Jahre 1981 bereits auf 34 Quadratmeter angewachsen und wächst mit zunehmender Tendenz.

30

Α. Einleitung

In besonderem Maße landschaftsverbrauchend wirkt sich die aufgelockerte Wohnbebauung außerhalb der Kernstädte aus. Gegenüber der städtischen Bebauung etwa durch Mehrfamilienhäuser in geschlossener Bauweise weist die ländliche Bebauung durch den für sie charakteristischen Einfamilienhausbau in offener Bauweise regelmäßig einen vergleichsweise besonders hohen Flächenverbrauch auf. Das Maß des Landverbrauchs wird daher maßgeblich durch das verbreitete Leitbild des Eigenheims mit Garten als erstrebenswertes Ziel einer durchschnittlichen Familie beeinflußt. 32 Dieses Leitbild wird durch entsprechende Werbung insbesondere von Massiv- und Fertighausunternehmen, Bausparkassen und sonstigen Baufinanzierern, der Baustoffindustrie und dem Baustoffhandel erzeugt und gefördert. Noch immer gilt das Eigenheim im Grünen als besonders attraktives, erstrebenswertes und von der Mehrzahl der Bundesbürger auch tatsächlich angestrebtes Lebensziel. Dies führt dazu, daß eine ständige Zunahme des Eigenheimbaus im Einzugsbereich von städtischen Ballungszentren zu verzeichnen ist. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Phänomen der Suburbanisierung 33 bzw. von einer Suburbanisierung in den städtischen Umlandgemeinden. Diese Entwicklung verstärkt den Pendel- und Individualverkehr zwischen Wohn-, Arbeits- und Einkaufsort und läßt neuen Flächenbedarf für Verkehrsflächen entstehen. 34 Landschaftsverbrauch führt unter Aufhebung noch aufzuzeigender Freiraumfunktionen 35 insbesondere zum Verlust natürlicher Lebensräume der Tier- und Pflanzenwelt und der Verknappung erholungsgeeigneter Freiräume.

3. Zerschneidung/Verinselung von Landschaft Die Zerschneidung bzw. Verinselung der Landschaft durch Verkehrsanlagen wie Autobahnen, Eisenbahntrassen aber auch durch Siedlungen ist ein ebenfalls gravierendes Umweltproblem des Naturschutzes und der Landschaftspflege infolge von Bebauung. Der ökologische Wert einzelner Strukturen wird entscheidend durch deren Vernetzungsgrad bestimmt. Durch bauliche Sperriegel verinselte Flächen sind für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten 36 nicht erreichbar oder sind für diese aufgrund deren 37 besonderer Raumansprüche zu klein dimensioniert und damit wertlos. Weitere negative Effekte treten hinzu. 38 Zersiedelung, Entmischungspro32 Die positiven Attribute, die mit diesem Leitbild assoziiert werden, sind vor allem die des „gesunden Wohnens im Grünen" und „sein eigener Herr sein". 33 Man spricht auch vom Entstehen sog. Speckgürtel um städtische Zentren, wenn die Suburbanisierung zu einem Abwandern vermögender Einwohner in das städtische Umland führt. 34 BUND/Misereor, S. 255.

36 37

S. unten A.lV.4.b). Bsp.: Amphibien und Laufinsekten. Bsp.: Greifvögel und Mehrzahl der größeren wildlebenden Säugetiere.

II. Freiraumbebauung und zentrale Umweltprobleme

31

zesse39 und Verkehrswachstum beeinflussen sich wechselseitig und führen zu einer Aufwärtsspirale von Siedlungsausdehnung und Verkehrs Wachstum.40

4. Ressourcenverbrauch Ein zentrales Thema der Umweltdiskussion der siebziger Jahre, das nicht zuletzt durch den Öllieferstopp der OPEC im Jahre 1973 Auftrieb erhielt, war der Ressourcenverbrauch 41. Neben der Ressource Boden 42 verbraucht Bautätigkeit Ressourcen wie fossile Energieträger 43, Metalle (vor allem Stahl, Kupfer und Aluminium) und aus Rohstoffen hergestellte Kunststoffe. Neben dem unmittelbaren Ressourcenverbrauch durch die Bautätigkeit entsteht durch die Bebauung auch ein mittelbarer Ressourcenverbrauch im Rahmen der Nutzung und Unterhaltung der baulichen Anlage. 5. Sonstige Umweltprobleme Landschafts- und sonstiger Ressourcenverbrauch sind nur die wichtigsten und am deutlichsten sichtbaren Umweltprobleme, die unmittelbar aus der Bebauung von Flächen folgen. Daneben ist die Bebauung von Flächen jedoch auch für sonstige Umweltprobleme zumindest mitursächlich, wie z. B. Schadstoffeinträge in den Boden, Wasser- und Luftbelastung bis hin zur Ozonproblematik, dem Treibhauseffekt als auch dem Waldsterben. So ist etwa die Versiegelung von Böden durch Bebauung unter Verlust deren natürlicher Wasserspeicherkapazität neben anderen Faktoren 44 eine zentrale Ursache für die Hochwasserhäufung und -intensität unse38 Verinselung hindert den ungehinderten Austausch von Arten, was zu einer schleichenden genetischen Verarmung der Fauna und Flora in den verinselten Gebieten und sinkender Valenz des (teil-isolierten Ökosystems führt. Hinzu treten negative Effekte wie die in der Regel höhere Störungsintensität von höheren wildlebenden Tieren bei geringer Fluchtmöglichkeit auf verinselten Flächen und die oft tödlichen Gefährdungen wildlebender Tiere durch den Straßenverkehr bei dem Versuch, zwischen isolierter Fläche und anderen Flächen zu wechseln. 39 Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten, Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen im Rahmen sog. Suburbanisierungsprozesse mit der Schaffung monofunktionaler Nutzungseinheiten, die das Verkehrsaufkommen und damit den Bedarf an Verkehrsflächen erhöht (Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt, Ausgabe 1997, S. 19).

Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt, Ausgabe 1997, S. 19. Der Begriff der Ressource läßt sich mit dem Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1248 definieren als „natürlich vorh. Bestand von etw., was für einen bestimmten Zweck, bes. zur Ernährung und wirtschaftlichen Produktion, [ständig] benötigt wird"). 42 Wenn nicht gar mit Winter, S. 137, als „unser wichtigster Bodenschatz". 43 Der Verbrauch findet statt in Form von Energie zum Betrieb von Baumaschinen etc. oder als Grundstoffe für Lacke, Farben, Kunststoffe etc. 41

44

nung.

Wie etwa der Flußbegradigung, Verringerung von Überschwemmungsgebieten und Drä-

32

Α. Einleitung

rer Tage sowie für die Absenkung der Grundwasserspiegel mit der Folge schwerer Störungen von Ökosystemen. Die Herstellung von Baustoffen und die Errichtung sowie die Unterhaltung baulicher Anlagen verbrauchen große Mengen an Wasser. Auch steht die Art der Bebauung im engen Zusammenhang mit dem Pro-KopfWasserverbrauch. So verbrauchen Haushalte in Eigenheimen von Neubaugebieten durchschnittlich deutlich mehr Wasser als Haushalte in Mehrfamilienhäusern. 45 Bebauung verringert außerdem die Fläche, die als Trinkwasserentstehungsgebiet in Betracht kommt - um nur einige Aspekte zu nennen.

I I I . Die Begriffe Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung 1. Freirauminanspruchnahme Der Begriff der Inanspruchnahme von Freiraum für bauliche Nutzungen bedarf der Eingrenzung. In allgemeinsprachlichen Wörterbüchern taucht er nicht auf, ist jedoch ein in der Fachliteratur gängiger Begriff. Bisweilen wird der Begriff des Raumverbrauchs synonym verwandt 46 Je nach dem Sinnzusammenhang, in dem der Begriff verwandt wird, kann er verschiedenes ausdrücken. Es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen dem planungsrechtlichen Begriffsverständnis und der Wortbedeutung im engeren Sinne.47 Freirauminanspruchnahme im engeren Sinne ist nur die tatsächliche Freirauminanspruchnahme durch Bebauung, während Freirauminanspruchnahme im planungsrechtlichen Sinne die Schaffung von Baurechten im Freiraum meint. Es kann daher auch zwischen tatsächlicher und (planungs-)rechtlicher Freirauminanspruchnahme unterschieden werden. Tatsächliche Freirauminanspruchnahme ist die bauliche Tätigkeit, die unmittelbar zur Inanspruchnahme von Freiraum führt. Inanspruchnahme ist dabei die „freiraumverbrauchende" Bebauung. Verbrauch in diesem Sinne soll hier verstanden werden als erstmalige oder zusätzliche Bebauung, die eine Fläche, die zuvor als Wald, Flur oder Ödland dem Freiraum angehörte, nunmehr durch Bebauung als Siedlungsfläche prägt. 48

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Vor allem infolge der Gartenbewässerung. Sening, Raumverbrauch als Folge überkommener rechtlicher Betrachtungsweisen, S. 161. 47 Ebenfalls sachgerecht wäre eine Unterscheidung nach tatsächlicher Freirauminanspruchnahme durch bauliche Tätigkeit und rechtliche Freirauminanspruchnahme durch Schaffung von Baurechten im Freiraum. 4 « Auf eine genauere Konkretisierung des Begriffs der baulichen Anlage oder des Maßes der Versiegelung oder Veränderung der Bodengestalt, die eine „Prägung" in diesem Sinne auslösen, soll hier verzichtet werden, da allein die äußerlich wahrnehmbare „Umwidmung" von Fläche des Freiraums zu einer Siedlungsfläche entscheidend ist und definitorische Grenzfälle vernachlässigt werden können. 46

III. Die Begriffe Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

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In der vorliegenden Untersuchung wird der Begriff der Freirauminanspruchnahme allein in seinem planungsrechtlichen Kontext gebraucht. Die Bezeichnung der planungsrechtlichen Schaffung von Baurechten als Inanspruchnahme von Freiraum rechtfertigt sich damit, daß die tatsächliche Freirauminanspruchnahme unmittelbar auf die planungsrechtliche Schaffung von Baurechten zurückgeht und damit der Planer die entscheidende Ursache für die Bebauung gesetzt hat. Somit nimmt letztlich bereits der Planungsträger Zugriff auf den Freiraum. Die Person, die Freiraum „in Anspruch nimmt", ist im Falle des tatsächlichen Begriffsverständnisses der Bauherr der freiraumverbrauchenden baulichen Anlage. Beim planungsrechtlichen Begriffsverständnis ist es hingegen der Planer. Aufgrund der perspektivischen Konzentration dieser Arbeit auf die Gemeinde soll allein die gemeindliche Freirauminanspruchnahme untersucht werden, soweit diese als Planer Zugriff auf den Freiraum nimmt. Die Formen der gemeindlichen Inanspruchnahme von Freiraum im Wege bauplanungsrechtlicher Entscheidungen sind vielfältig. 49 Die gemeindliche Freiflächeninanspruchnahme durch die Planung von Bebauung vollzieht sich in erster Linie durch die Aufstellung von Bebauungsplänen. Dies ist jedoch keineswegs die einzige planerische Entscheidung der Gemeinde, die unmittelbar zur Schaffung von Baurechten im Freiraum führt. Bereits die Aufstellung oder Änderung von Flächennutzungsplänen kann die für ein Bauvorhaben entscheidende bauplanungsrechtliche Zulässigkeit begründen. Neben dem klassischen Bebauungsplan haben vor allem in den neuen Bundesländern die Satzungen über Vorhaben- und Erschließungspläne große praktische Bedeutung erlangt. Auch gemeindliche Entwicklungs- und Abrundungssatzungen können Baurechte im Freiraum begründen. Zusammenfassend bestehen folgende bauplanungsrechtliche Möglichkeiten gemeindlicher Freirauminanspruchnahme: 1. Schaffung von Baurechten im Freiraum durch Aufstellung, Änderung oder Aufhebung von Flächennutzungsplänen, 2. Schaffung von Baurechten im Freiraum durch den Erlaß von Bebauungsplänen einschließlich des Erlasses von Satzungen über den Vorhaben- und Erschließungsplan50, 3. Schaffung von Baurechten im Freiraum durch den Erlaß von Entwicklungsund Abrundungs- bzw. Einbeziehungssatzungen51 und 4. Schaffung von Baurechten im Freiraum durch den Erlaß von Außenbereichssatzungen52. 49

S. hierzu im einzelnen unten Teil C. VII. und Teil E. so Die nach § 7 BauGB-MaßnahmenG städtebauliche Satzung eigener Art ist nach § 11 BauGB n.F. ab dem 1.1. 1998 ein „vorhabenbezogener44 Bebauungsplan. 5i Nach altem Recht waren die einfache (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB a.F.) und die erweiterte Abrundungssatzung (§ 4 Abs. 2a BauGB-MaßnahmenG) zu unterscheiden. Sie wurden im neuen Recht durch eine „Einbeziehungssatzung44 ersetzt (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB n.F.). 3 Franz

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Α. Einleitung

2. Innenentwicklung Die Begriffe Innenentwicklung, innerörtliche Entwicklung, Innerortsentwicklung und Innenraumentwicklung 53 sollen hier synonym verwendet werden. Aus dem Kreis der vorgenannten Begriffe ragt der Begriff der „Innenentwicklung" als der mit Abstand am häufigsten gebrauchte heraus. Weder ist er ein Gesetzesbegriff noch läßt sich eine einheitliche Verwendung nachweisen. Es handelt sich vielmehr um einen Sammelbegriff, unter den verschiedene Aspekte gefaßt werden und der seine Bedeutung aus der Art seiner konkreten Verwendung gewinnt. Lütke-Daldrup 54 definiert den Begriff der Innenentwicklung als „die Unterbringung von neuen Flächenbedarfen in bereits besiedelten Bereichen, auf bereits genutzten Flächen, im Rahmen vorhandener Baurechte". Die Innenentwicklung stehe „im Gegensatz zur bis vor wenigen Jahren dominierenden expansiven Stadtentwicklung, da die Neuausweisung von Bauland nicht mehr als Handlungsansatz zur Bedarfsdeckung verfolgt werden soll; sie bezeichnet also die Abkehr von der Außenentwicklung." 55 Dieses Wort Verständnis ist eine deutliche Abkehr von der natürlichen Bedeutung des Wortes Innenentwicklung, die zunächst nicht mehr beinhaltet, als daß „innen" entwickelt wird. Mit „innen" ist dabei der geschlossene Siedlungsraum in Abgrenzung zum Freiraum gemeint. 56 Aufgrund seines städtebaulichen Kontexts bezieht sich der Begriff der Innenentwicklung nur auf die städtebauliche Innenentwicklung. Wie zu entwickeln ist, drückt die natürliche Wortbedeutung ebensowenig aus wie die Frage, welches Verhältnis zur Freirauminanspruchnahme bestehen soll, insbesondere ob die Innenentwicklung gegenüber dieser vorrangig sein soll. Das „Wie" der Entwicklung kann dem Wortlaut nach nicht nur eine Unterbringung neuen bzw. zusätzlichen Flächenbedarfs im Siedlungsbereich (anstelle einer Freirauminanspruchnahme) sein, sondern auch eine bloße Verbesserung des städtebaulichen Zustandes einer Siedlung, etwa durch Schaffung von Beleuchtung, Kanalisation etc. In diesem weiteren Sinnzusammenhang wird der Begriff der Innenentwicklung auch tatsächlich bisweilen gebraucht. Er wird dann ohne Zusammenhang mit dem Aspekt der Bedarfsdeckung im Siedlungsraum zur Vermeidung von Freirauminanspruchnahme verwendet und bezieht sich nur ganz allgemein auf die Verbesserung einer städtebaulichen Situation. Ziele einer so verstandenen Innenentwicklung im weiteren Sinne können etwa die Erhöhung der Lebensqualität in einem Gebiet durch Verbesserung der Infrastruktur, verkehrsberuhigende Maßnahmen, die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse, die Ausgliederung von emittierenden Anlagen oder die Beseitigung von Wohnsiedlungen mit unzumutbaren Wohn52

Es sind die Außenbereichssatzung nach altem Recht (§ 4 Abs. 4 BauGB-MaßnahmenG) und neuem Recht (§ 35 Abs. 6 BauGB) zu unterscheiden. 53 Bunge, in: Lübbe-Wolff, Kapitel 1 Rdnr. 3. 54 Lütke-Daldrup, S. 55. 55 Lütke-Daldrup, S. 55. 56

... und nicht etwa das Innere von Gebäuden oder ähnliches.

III. Die Begriffe Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

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Verhältnissen zugunsten einer Wohnbebauung mit höherer Pro-Kopf-Wohnfläche sein. Dies zeigt, daß eine so verstandene Innenentwicklung dem Ziel einer vorrangigen Innenentwicklung im engeren Sinne sogar gegenläufig sein kann. Vor dem Hintergrund der oben genannten Forderungen ökologischen Planens und Bauens soll hier jedoch nicht schon jede Verbesserung des Siedlungsraums als Innenentwicklung bezeichnet werden, sondern ausschließlich eine den Freiraumverbrauch vermeidende bzw. reduzierende Innenentwicklung. Dies entspricht auch dem spezifischen Bezug des Begriffes zur Freirauminanspruchnahme, den er im Laufe seiner Entstehung gewonnen hat. Er gewinnt seine Gestalt erst durch den Gegensatz zur „Außenentwicklung" 57 , d. h. zur Befriedigung des Flächenbedarfs für zusätzliche Nutzungen durch Inanspruchnahme von Freiraum. 58 Lütke-Daldrup ist im Ergebnis insoweit zuzustimmen, als der Begriff der Innenentwicklung regelmäßig im Zusammenhang mit der Absicht der Unterbringung von Flächenbedarf im Siedlungsbereich zur Vermeidung von Freirauminanspruchnahme verwandt wird. Unverständlich ist lediglich, daß Lütke-Daldrup den Begriff der Innenentwicklung auf Stadtentwicklung im Rahmen vorhandener Baurechte beschränken will. Diese Beschränkung der Innenentwicklung auf vorhandene Baurechte ist weder dem Wortlaut nach noch der Sache nach gerechtfertigt. Eine Maßnahme gemeindlicher Innenentwicklung kann es gerade sein, durch Überplanung von bisher unbeplantem Siedlungsbereich neue Baurechte zu begründen, um eine Verdichtung des Baugebiets zu erreichen oder bauplanungsrechtliche Grundlagen für eine zwangsweise Bebauung von Baulücken zu schaffen. Es wurde oben zur Freirauminanspruchnahme angeführt, daß hier nur die Inanspruchnahme durch die Gemeinde als handelnde (juristische) Person untersucht werden soll. Entsprechendes gilt auch für die Innenentwicklung. Innenentwicklung im hier verwendeten Sinne ist nicht bereits die Entwicklung, die gleichsam von selbst eintritt. Nur die bewußte Steuerung der Entwicklung durch die Gemeinde, insbesondere mit den Mitteln des Bauplanungsrechts, ist Gegenstand der Betrachtung. Aufgrund der weitgehenden „Verrechtlichung" der Bebauung steht die objektive Entwicklung des Siedlungsraumes in aller Regel in einem untrennbaren Zusammenhang mit konkreten gemeindlichen Entscheidungen. So kann selbst der bewußte Verzicht auf eine Maßnahme eine gemeindliche Entscheidung im Rahmen 57

Diesen Begriff verwendet etwa Kuhlmann, S. 196. 58 Innerer Grund einer Innenentwicklung im Sinne einer Bedarfsdeckung im Siedlungsbereich ist es gerade, die Inanspruchnahme von Freiraum zu vermeiden bzw. zu minimieren und Flächenbedarf bzw. Nutzungsinteressen innerhalb des Siedlungsbereichs umzusetzen. Er ist daher von Maßnahmen abzugrenzen, die zwar der Unterbringung von Flächenbedarf im Siedlungsraum dienen, jedoch zu keiner Reduzierung des Freiraumbedarfs führen. Flächenbedarf entsteht insbesondere auch durch den Wunsch nach einer Erhöhung der Pro-KopfWohnfläche. Durch eine Wohnflächenvergrößerung wird jedoch grundsätzlich keine Freirauminanspruchnahme reduziert, sondern nur der Wohnwert bestehender Wohnungen erhöht. Zu einer Reduzierung von Freirauminanspruchnahme führt die Schaffung von zusätzlicher Wohnfläche daher nur dann, wenn sie zur Schaffung neuer Wohnungen und damit zur Unterbringung von Menschen führt. 3*

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Α. Einleitung

einer Innenentwicklung darstellen. Etwas anderes gilt, wenn der Verzicht auf Maßnahmen nicht Ausdruck der Verwirklichung einer gemeindlichen Konzeption zur Innenentwicklung, sondern allein Untätigkeit ist. Es ergibt sich nach alledem - in Modifikation des Begriffsverständnisses von Lütke-Daldrup - folgende Definition des Begriffs Innenentwicklung: „Innenentwicklung ist die von der Gemeinde bauleitplanerisch oder in anderer Weise gesteuerte Unterbringung neuen Flächenbedarfs für bauliche Nutzungen innerhalb des geschlossenen Siedlungsraumes zur Vermeidung bzw. Reduzierung von Freirauminanspruchnahme."

Die Handlungsfelder und -formen der Innenentwicklung sind äußerst vielgestaltig. Sie sind Gegenstand des Teils D dieser Arbeit.

3. Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen a) Innenbereichsentwicklung aa) Die bauplanungsrechtlichen Begriffe Innen- und Außenbereich Bisweilen ist auch von der „Innenbereichsentwicklung" die Rede.59 Dies führt hin zu den Begriffen Innen- und Außenbereich. Bisher wurden im Rahmen der Darstellung der Forderungen ökologischen Planens und Bauens nur die Begriffe Siedlungs- und Freiraum verwandt. Während die Begriffe Siedlungs- und Freiraum eine natürliche Wortbedeutung besitzen, sind die Begriffe Innen- und Außenbereich Rechtsbegriffe des Bauplanungsrechts.

bb) Außenbereich Der Begriff „Außenbereich" ist ein reiner Rechtsbegriff. 60 Sprachlich legt der Begriff nahe, daß er die sich „außen" befindenden Bereiche, d. h. jene außerhalb geschlossener Siedlungen, erfassen soll. Die zahlreichen in der Umgangssprache anzutreffenden und meist synonym verwandten Bezeichnungen für die Landschaft außerhalb besiedelter Bereiche, wie „unbesiedelter Bereich", „Landschaft außerhalb der Siedlungsbereiche", „Wald und Flur", „offene oder unverbaute Landschaft", „freie Landschaft", „freie Natur" oder „Freiraum" dürfen jedoch nicht mit dem Begriff des Außenbereichs gleichgesetzt werden. Der Terminus »Außenbereich" der Rechtssprache bezeichnet als gesetzlich definierter Rechtsbegriff eine

So etwa Hoppe, DVB1. 1992, S. 860. 60 Er findet sich bezeichnenderweise nicht im Duden oder in der Brockhaus-Enzyklopädie. Gleichwohl taucht er bisweilen in der Alltagssprache auf (ζ. B. in der Produktwerbung: „Gartenmöbel für den Außenbereich").

III. Die Begriffe Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

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planungsrechtliche Kategorie, die hinsichtlich ihrer räumlichen Aussage nur überwiegend mit den angeführten Bezeichnungen inhaltlich deckungsgleich ist. Gemäß der Legaldefinition in § 19 Abs. 1 Nr. 3 BauGB ist Außenbereich im bauplanungsrechtlichen Sinne der Bereich außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs von Bebauungsplänen i.S.v. § 30 BauGB und außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile i.S.v. § 34 BauGB. Auf diesen Rechtsbegriff wird auch in zahlreichen anderen Fachgesetzen Bezug genommen.61 Der entscheidende Unterschied zwischen dem Rechtsbegriff „Außenbereich" und dem umgangssprachlichen Begriff „Freiraum" 62 besteht darin, daß unter den Rechtsbegriff gem. § 19 Abs. 1 Nr. 3 BauGB keine beplanten Bereiche i. S. d. § 30 BauGB fallen. Unabhängig davon, ob sie bereits bebaut sind und zu einem im Zusammenhang bebautem Ortsteil gehören, sind sie kein Außenbereich. Hingegen ist für den der Umgangssprache entnommenen Begriff des Freiraums entscheidend, ob tatsächlich eine Bebauung im Siedlungszusammenhang vorhanden ist oder nicht, d. h. es wird insoweit ausschließlich auf die tatsächliche und nicht zusätzlich auf eine planungsrechtliche Situation abgestellt. Der Außenbereich ist von sog. beplanten Gebieten und dem sog. Innenbereich abzugrenzen. Diese drei planungsrechtlichen Kategorien bilden die Grundformen des Systems der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Vorhaben nach dem Baugesetzbuch. Dieses Grundmodell wird durch Sonderformen von bauplanungsrechtlichen Gebietskategorien nach dem Baugesetzbuch und nach sonstigen Normen in erheblichem Umfang modifiziert. 63 Wahrend in der Regel die Abgrenzung zu beplanten Gebieten wegen der exakten Grenzziehung der Bebauungspläne keine Schwierigkeiten bereitet, wirft die Abgrenzung von (unbeplantem) Innen- zum Außenbereich in der Praxis immer wieder Probleme auf. Da der Begriff des Außenbereichs durch die Abgrenzung zu Innenbereich und Plangebiet rein negativ definiert ist, erfolgt seine Subsumtion im Wege der Prüfung, ob eine der beiden positiv definierten Kategorien einschlägig ist. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich bei dem einzuordnenden Gebiet um Außenbereich.

cc) Innenbereich Innenbereich ist gem. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB der im Zusammenhang bebaute unbeplante Ortsteil. Ist eine Fläche innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils beplant i. S. d. § 30 BauGB, d. h., liegt sie im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, spricht man von Plangebiet.64 Die einzelnen Tatbestandsmerkmale

61 Vgl. etwa § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3,4 und 9 NatSchG LSA. 62 O. ä. 63 Aus dem BauGB §§ 31, 33; aus dem BauGB-MaßnahmenG §§ 4 Abs. 2a und 7. 64 Unerheblich ist insoweit, ob es sich um einen sog. qualifizierten oder einfachen Bebauungsplan i. S.v. § 30 Abs. 1 oder 2 BauGB handelt.

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Α. Einleitung

des „im Zusammenhang bebauten Ortsteils" definieren sich wie folgt: Ortsteil ist Jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist." 6 5 Der Gegensatz zu einer organischen Siedlungsstruktur ist die Splittersiedlung. 66 Sie ist dem Außenbereich zuzuordnen und eine bauplanungsrechtlich unerwünschte Zersiedelungserscheinung. 67 So besitzt etwa eine Ansammlung von nur vier Häusern regelmäßig nicht das für einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil erforderliche Gewicht. 68 Die Splittersiedlung ist allerdings nicht die einzige Form der städtebaurechtlich mißbilligten unorganischen Siedlungsentwicklung (Zersiedelung) des Außenbereichs. 69 Ein Bebauungszusammenhang ist gegeben, wenn „die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt". 70 Der Bebauungszusammenhang endet unabhängig von den Grundstücksgrenzen i.d.R. unmittelbar hinter dem letzten Gebäude der noch zusammenhängenden Bebauung, so daß die sog. Anschlußbebauung auf den anschließenden Flächen Außenbereichsbebauung ist. 71 Der Innenbereich dient nach der Konzeption des Baugesetzbuchs primär der Aufnahme baulicher Nutzungen, während im Außenbereich nur ausnahmsweise ausgewählte bauliche Nutzungen zulässig sind. So vermittelt § 34 Abs. 1 BauGB die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens bereits dann, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.

65 BVerwG, Urt. v. 6. 11. 1968 BVerwGE 31, S. 22, 26. 66 BVerwG, Urt. v. 26. 5. 1967 BVerwGE 27, S. 137, 139. 67 Vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Da nach § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB die Entstehung, Verfestigung und Erweiterung einer Splittersiedlung generell einem Außenbereichsvorhaben entgegensteht, ist nicht zu prüfen, ob die jeweilige Splittersiedlung unerwünscht ist, wie dies noch dem Recht des § 35 BBauG der Fall war (vgl. BVerwG, Urt. v. 3. 6. 1977 DÖV 1977, S. 830, 831). 68 BVerwG, B. v. 19. 4. 1994 AgrarR 1995, S. 62. Ebensowenig stellt eine Ansammlung von nur 5 bis 6 Häusern oder 23 Wochenendhäusern bei großen Lücken einen Bebauungszusammenhang her (HessVGH, Urt. v. 24. 8. 1995 UPR 1996, S. 279 - das Zitat ist im allein veröffentlichten Leitsatz nicht enthalten und findet sich auf Seite 9 des amtlichen Umdrucks). 69 BVerwG, B. v. 24. 2. 1994 UPR 1994, S. 231 - unzulässige Genehmigung einer Wohnung in einer aufgegebenen Pumpstation. 70 BVerwG, Urt. v. 6. 11. 1968 BVerwGE 31, S. 20, 21. 71 BVerwG, Urt. v. 13. 2. 1976 DÖV 1976, S. 562, 563; Urt. v. 12. 10. 1973 BauR 1974, S. 41; Urt. v. 25. 1. 1985 DÖV 1985, S. 832, 833; Zinkahn, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 19 Rdnr. 28.

III. Die Begriffe Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

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dd) Abgrenzung Zwischen den Begriffen Innenentwicklung und Innenbereichsentwicklung besteht ein ähnliches Verhältnis wie zwischen den Begriffen Siedlungsraum und Innenbereich bzw. Freiraum und Außenbereich. Der Begriff der Innenentwicklung ist ebenso wie die Begriffe Frei- und Siedlungsraum im Gegensatz zu Innen- und Außenbereich kein Rechtsbegriff. Hingegen ist der Begriff Innenbereichsentwicklung ein Mischbegriff zwischen einem reinen Rechtsbegriff (Innenbereich i.S.v. § 34 BauGB) und dem gesetzlich nicht definierten 72 Begriff der Entwicklung. Er ist zur Beschreibung der oben genannten Forderungen ökologischen Planens und Bauens ungeeignet, weil die Unterbringung von Flächenbedarf im Siedlungsraum zur Vermeidung von Freirauminanspruchnahme sowohl im Innenbereich als auch in Bebauungsplangebieten im Siedlungsraum erfolgen kann. Innenbereichsentwicklung ist mithin ein zu enger Begriff, um die Forderung ökologischen Planens und Bauens nach einer vorrangigen Bedarfsdeckung im Siedlungsraum zu beschreiben.

b) Stadtentwicklung Der bisweilen 73 verwendete Begriff der Stadtentwicklung beschränkt den Blick auf die Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb von Städten. Das Bedürfnis nach einem flächensparenden Bauen und einer Optimierung der baulichen Auslastung von Siedlungsräumen besteht jedoch nicht nur in Städten, sondern auch in allen anderen Siedlungsräumen. Mag auch insgesamt das Optimierungspotential in Städten größer sein als das in sonstigen Siedlungen, namentlich in Dörfern, so kann die Anwendung der Grundsätze der Innenentwicklung jedoch nicht davon abhängig gemacht werden, ob einer Siedlung das Recht zusteht, die Bezeichnung Stadt zu führen.

c) Städtebauliche Entwicklung Der Begriff der Innenentwicklung ist des weiteren abzugrenzen von dem der städtebaulichen Entwicklung i. S. d. §§ 165 ff. BauGB. Die städtebauliche Entwicklung ist ein von der Gemeinde durchzuführendes Verfahren des besonderen Städtebaurechts. Gem. § 165 Abs. 2 Satz 2 BauGB sollen die Entwicklungsmaßnahmen der Errichtung von Wohn- und Arbeitsstätten sowie von Gemeinbedarfsund Folgeeinrichtungen dienen. Auf dieses Ziel ist zwar auch die Innenentwick72 Der andersartige gesetzliche Begriff der städtebaulichen Entwicklung wird im Baugesetzbuch in einem engeren Sinne gebraucht (Entwicklungsverfahren nach § 165 ff. BauGB). Zur Abgrenzung hierzu s. unten. 73 Ebers bach, Stadtentwicklung ohne Landschaftsverbrauch, 1985.

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Α. Einleitung

lung gerichtet, jedoch verfolgt Innenentwicklung darüber hinaus als „weitere causa" den Zweck, Freirauminanspruchnahme zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Während Innenentwicklung im oben definierten Sinne notwendig auf die Vermeidung von Flächeninanspruchnahme im Freiraum abzielt, kann dies auch im Falle städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen gelten, muß aber keineswegs so sein. Das Ziel der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme in § 165 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist im übrigen nur beispielhaft, 74 so daß die städtebauliche Entwicklung auch andere Ziele verfolgen kann. Unterschiede bestehen auch hinsichtlich der Rechtsform der Durchführung und Wahl der Mittel. Innenentwicklung kann sich zwar in der Rechtsform der städtebaulichen Entwicklung nach Maßgabe der §§ 165 ff. BauGB vollziehen, muß dies aber nicht. Grundlage der städtebaulichen Entwicklung ist die satzungsmäßige Festlegung eines städtebaulichen Entwicklungsbereichs i.S.v. § 165 Abs. 6 BauGB, an die sich die eigentliche Entwicklung in Gestalt der einzelnen im Gesetz vorgesehenen Entwicklungsmaßnahmen anschließt. Der Begriff Innenentwicklung ist demgegenüber wesentlich weiter und erfaßt alle denkbaren gemeindlichen Maßnahmen, die der Deckung von Flächenbedarf im Siedlungsraum unter Reduzierung des Freiraumbedarfs dienen, wie etwa der Erlaß von Baugeboten zur Schließung von Baulücken gem. § 176 Abs. 2 BauGB oder Subventionsvergaben für Baulükkenbebauungen. Die städtebauliche Entwicklung gem. §§ 165 ff. BauGB erfaßt daher im Ergebnis lediglich einen Teilaspekt der Innenentwicklung und gibt dabei eine Rechtsformenwahl vor. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Verfahrens der städtebaulichen Sanierung nach den §§ 135 ff. BauGB.

d) Siedlungs- oder Innenoptimierung Optimierung bedeutet „das Optimieren", d. h. „optimal gestalten".75 Optimal wiederum bedeutet „unter den gegebenen Voraussetzungen, im Hinblick auf ein zu erreichendes Ziel bestmöglich" 76 . Der Begriff der Siedlungsraum- oder Siedlungsoptimierung erfaßt seinem Wortlaut nach alle Maßnahmen, die auf den bestmöglichen städtebaulichen Zustand des Siedlungsraumes gerichtet sind. Er erfaßt damit nicht nur gemeindliche Maßnahmen zur Deckung neuen Flächenbedarfs im Sied74

Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Lohr, § 165 Rdnr. 7. Das allgemeine Ziel der städtebaulichen Entwicklung wird in Abs. 2 Satz 1 wie folgt beschrieben: „Mit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen nach Absatz 1 sollen Ortsteile und andere Teile des Gemeindegebiets entsprechend ihrer besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde oder entsprechend der angestrebten Entwicklung des Landesgebietes oder der Region erstmalig entwickelt oder im Rahmen einer städtebaulichen Neuordnung einer neuen Entwicklung zugeführt werden." 75 76

Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1103. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1103.

III. Die Begriffe Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

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lungsraum unter Vermeidung von Freirauminanspruchnahme, sondern alle Maßnahmen, die zu einer irgendwie gearteten Verbesserung des städtebaulichen Zustandes des Siedlungsraumes führen. Für den Begriff der Innenoptimierung gilt das zur Siedlungsoptimierung Gesagte sinngemäß. Auch den Begriff der Innenoptimierung könnte man in einem engeren Sinne dahingehend verstehen, daß er nur Optimierungsmaßnahmen zur Vermeidung bzw. Reduzierung von Freirauminanspruchnahme erfaßt. Es fehlt jedoch auch diesem Begriff ein anerkanntermaßen spezifischer Bezug zur Freirauminanspruchnahme.

e) Bestandsorientierter

Städtebau

Der Begriff „bestandsorientierter Städtebau" hat in den letzten Jahren Verbreitung gefunden. 77 Dem Wortlaut nach ist ein Städtebau „bestandsorientiert", wenn die Gemeinde ihre städtebaulichen Aktivitäten ganz oder überwiegend auf den vorhandenen Bestand ausrichtet und nicht auf zu schaffende Bausubstanz. In dem Begriff „orientiert" kommt zum Ausdruck, daß die Gemeinde städtebauliche Maßnahmen ergreift, die mindestens vorwiegend den vorhandenen Bestand zum Gegenstand haben. Das Begriffspaar zielt auf eine Verbesserung des vorhandenen Bestandes ab. Es ist damit weder ein unmittelbarer Gegensatzbegriff zur Freirauminanspruchnahme, noch bezieht es sich notwendig auf eine bessere bauliche Ausnutzung des vorhandenen Siedlungsraums. Dem Begriff ist nicht zwingend zu entnehmen, daß Ziel des bestandsorientierten Städtebaus eine vorrangige Flächenbedarfsdeckung im vorhanden Bestand anstelle einer Freirauminanspruchnahme ist. Vielmehr umfaßt er auch Verschönerungsmaßnahmen und sogar die Verringerung der baulichen Auslastung des Siedlungsbereichs. In einem engen Sinne kann er gar so verstanden werden, daß nur der bereits vorhandene Bestand an baulichen Anlagen Gegenstand von Maßnahmen sein soll. In diesem engen Sinne erfaßt er nicht die Errichtung neuer baulicher Anlagen, die jedoch gerade ein besonders wichtiger Gegenstand der Innenentwicklung ist. Der Begriff ist somit sprachlich nicht geeignet, die hier zu behandelnde Frage des Verhältnisses einer Flächenbedarfsdeckung im Siedlungsbereich unter Vermeidung der Inanspruchnahme von Freiraum zu beschreiben.

f) Bedarfsdeckung

im Siedlungsraum

Die Formel „Bedarfsdeckung im Siedlungsraum" bezeichnet das Primärziel der Innenentwicklung, die Unterbringung von Flächenbedarf im Siedlungsraum. Den 77 Decken, S. 150; Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg, § 1 Rdnr. 251, spricht im Zusammenhang mit § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 BauGB von „bestandsorientierter Bauleitplanung".

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Α. Einleitung

mit der Innenentwicklung darüber hinaus verfolgten Zweck der Vermeidung bzw. Reduzierung von Freirauminanspruchnahme drückt sich in der Formel allerdings nicht unmittelbar aus und klingt allenfalls an. Deutlich würde er erst mit der Formel „vorrangige Bedarfsdeckung im Siedlungsraum". Diese Formel bezeichnet treffender als alle anderen dargestellten Begriffe den Inhalt von Innenentwicklung im oben dargestellten Sinn. Obwohl die Formel damit gegenüber dem Begriff „Innenentwicklung" den Vorteil der größeren Genauigkeit ihrer natürlichen Wortbedeutung bietet, soll hier gleichwohl der Begriff „Innenentwicklung" verwandt werden, da er als der weitaus gebräuchlichere und kürzere Begriff einen höheren Assoziationswert hat. g) Nachverdichtung Der Begriff der Nachverdichtung wird ebenfalls im Zusammenhang mit den Fragen der Innenentwicklung erörtert. Man versteht hierunter meist Maßnahmen mit dem Ziel einer besseren baulichen Auslastung des Siedlungsraumes in Gestalt einer gegenüber dem bisherigen Bestand höheren Dichte baulicher Anlagen. Eine so verstandene Nachverdichtung kann vor allem durch Bauen in zweiter Reihe, Anbauten oder Bebauung bisheriger Gemeinbedarfsflächen erreicht werden. 78 Nachverdichtung und Innenentwicklung sind allerdings nicht von gleicher Wortbedeutung. 79 Die Nachverdichtung dient zwar auch der Deckung neuen Flächenbedarfs im Siedlungsbereich, ist aber ausschließlich auf die Errichtung neuer bzw. Erweiterung bestehender Gebäude gerichtet und umfaßt ζ. B. die Umnutzung und Wiedernutzung bestehender Gebäude nicht. Der Begriff der Innenentwicklung ist daher der weitergehende Begriff. Er umfaßt die Nachverdichtung als Teilaspekt. Der Gedanke der Nachverdichtung hat in der städtebaulichen Diskussion der alten Bundesländer einen weitaus höheren Stellenwert als in den neuen Bundesländern. 80 In den alten Bundesländern stellt die Nachverdichtung bisweilen die wichtigste Möglichkeit einer Innenentwicklung dar, da sonstige Potentiale oft vollständig bzw. weitgehend ausgeschöpft sind. 81 In den neuen Bundesländern ist hingegen 78 Die Bebauung klassischer Baulücken wird von dem Begriff nur bei einem sehr weiten Begriffsverständnis erfaßt. Kerngedanke der Nachverdichtung ist es jedoch, Flächeninanspruchnahmen, die durch einen verschwenderischen, heutigen Maßstäben widersprechenden Bodenumgang (etwa Wohngebiete mit durchschnittlichen Grundstücksgrößen von mehr als 1000 Quadratmeter) gekennzeichnet sind, zu korrigieren. Dies gilt insbesondere für in den sechziger und den siebziger Jahren entstandene Neubaugebiete in Mittel- und Kleinstädten wie auf Dörfern. 79 Zum Begriff der Nachverdichtung ζ. B. Roller/ Gebers, S. 42. 80 Dies äußerst sich schon in dem Gegenstand der Publikationen zur Nachverdichtung, die in aller Regel Fallbeispiele in den alten Bundesländern behandeln (wie ζ. B. Bleyer, Nachverdichtung und Flächenumnutzung am Rande von Verdichtungsräumen - Das Beispiel Münchner Umland, 1997). 81 Vgl. insoweit auch Deutscher Bundestag, Enquête-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" Zwischenbericht, Konzept Nachhaltigkeit. Fundamente einer Gesellschaft

III. Die Begriffe Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

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ein gewaltiges Potential für sonstige Innenentwicklung in Gestalt von klassischen Baulücken, Ruinen, Industrie- und Gewerbebrachen und wiedernutzbarem Bestand vorhanden.

h) Flächenrecycling Der Begriff Flächenrecycling verfügt über keine allgemein anerkannten Begriffskonturen und wird bisweilen synonym verwandt mit Begriffen wie Brachflächenrecycling oder Wiedernutzung von Industrie- und Gewerbebrachen. 82 Zwar erfaßt der Begriff seinem Wortlaut nach auch das „Wiedernutzbarmachen" von landwirtschaftlichen, militärischen und Verkehrs- und Deponieflächen, jedoch wird er in aller Regel im Zusammenhang mit der Wiederverwertung von Industrieund Gewerbebrachen gebraucht. 83 Man kann innerhalb des Flächenrecycling zwischen Ä7emflächenrecycling und großflächigem, gebietsbezogenem Flächenrecycling unterschieden. 84 Der Begriff des Recycling bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch „Aufbereitung und Wiederverwendung bereits benutzter Rohstoffe" 85. Es erscheint angesichts dieser Wortbedeutung als verkürzend, den Begriff des Flächenrecycling allein mit der Wiedernutzung von Flächen gleichzusetzen. Hinzukommen muß das für das Recycling ebenso wesentliche Element der Aufbereitung eines Stoffes (hier: der Räche), um die Wiedernutzung zu ermöglichen. Die aufzubereitenden (zu beseitigenden) Hindernisse der Wiedernutzung müssen Folge einer vorangegangenen Nutzung sein. Eine Beschränkung des Begriffs auf die Aufarbeitung und Wiedernutzung von Industrie- und Gewerbebrachen ist ebenso abzulehnen wie die nicht aus der natürlichen Wortbedeutung ableitbare Beschränkung auf Siedlungsflächen. Zur Klarstellung sollte daher von Siedlungsflächenrecycling gesprochen werden, soweit Flächen innerhalb des Siedlungsbereichs recycelt werden sollen. 86 von morgen. Zur Sache 1/97, S. 136; Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR), Nachhaltige Stadtentwicklung. Herausforderungen an einen ressourcenschonenden und umweltverträglichen Städtebau, Städtebaulicher Bericht, S. 77 f. 82 Burmeister, S. 16; Genske/Noll, Brachflächen und Flächenrecycling, 1995; vgl. auch Bückmann, Bodenschutzrecht, S. 56; Dombert, S. 7 definiert Flächenrecycling als „nutzungsbezogene Wiedereingliederung solcher Grundstücke in den Landschafts- und Naturkreislauf, die ihre bisherige Nutzung und Funktion verloren haben - wie stillgelegte Industrie- oder Gewerbebetriebe, Militärliegenschaften, Verkehrsflächen o.ä. - mittels planerischer, umwelttechnischer und wirtschaftspolitischer Maßnahmen." Diese Definition ist schon deshalb abzulehnen, weil unklar ist, was ein „Landschaftskreislauf 4 sein soll und die Definition aufgrund ihrer Unschärfe etwa auch die Wiedernutzung einer Fischzuchtanlage erfaßt. 83 84 85

Burmeister, S. 16. Burmeister, S. 17.

Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1226. Die Begriffsbildung ist auch deshalb zu kritisieren, weil der Begriff des Recycling den Regelkreisläufen des Naturhaushaltes entlehnt ist, im Rahmen des Siedlungsflächenrecycling jedoch nicht einen fortwährenden Wechsel der Flächennutzung beschreibt, sondern lediglich 86

44

Α. Einleitung

Der Begriff des Flächenrecycling ist weder gleichbedeutend mit dem der Innenentwicklung noch mit den anderen zuvor genannten Begriffen, die entweder weiter gefaßt sind und das Siedlungsflächenrecycling nur als Teilaspekt umfassen oder wie die Nachverdichtung - auf eine andere Form der Innenentwicklung gerichtet sind. i) Neue Leitbilder Neuere Leitbilder 87 der Siedlungsentwicklung sind die „dezentrale Konzentration" 8 8 die „kompakte Stadt" 89 bzw. „Stadt der kurzen Wege" 90 . Das wenig klare Leitbild der dezentralen Konzentration ist als Abgrenzung zum herkömmlichen raumordnerischen Leitbild des Systems von Verdichtungsräumen und ländlichen Räumen anzusehen und hat angesichts des sich abbauenden Gegensatzes zwischen Stadt und Land 91 auch beschreibende Funktion. Nach dem Leitbild der kompakten Stadt sollen hingegen bei relativ geringer Flächenausdehnung die Wege in der Stadt so kurz sein, daß ein erheblicher Anteil erforderlicher Wegstrecke zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt werden kann. 92 Diese modernen Leitbilder der Raumordnung und Stadtplanung berühren zwar Aspekte der Innenentwicklung, sind jedoch mit dieser nicht gleichzusetzen.

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens 1. Ökologie Die Ökologie 93 ist als Haushaltslehre oder Lehre vom Naturhaushalt eine noch junge Wissenschaft. 94 Heute versteht man unter dem Begriff Ökologie die Wisseneine Wiederverwendung zu einem dauerhaften Zweck (Klausch, in: Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 14). Im Begriff Flächenrecycling ist im übrigen nicht angelegt, daß das Recycling der Wiederverwendung zum ursprünglichen Zweck dient. Daher liegt auch dann Flächenrecycling vor, wenn ζ. B. ehemalige Gewerbeflächen im Siedlungsraum durch Dekontamination und planerische Schaffung von Baurechten einer Nutzung als Wohngrundstücke zugeführt werden. 87 Zur allgemeinen Bedeutung von Leitbildern für die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung, Apel/Henckel u. a., S. 43 ff. 88 Apel/Henckel u. a., S. 46 f. Grundlegend: Bundesanstalt für Landeskunde und Raumordnung, Dezentrale Konzentration, Informationen zur Raumentwicklung, Heft 7/8 1994. In diesem Zusammenhang wird auch oft von Polyzentralität - neben Dichte und Mischung - als einem der zentralen Ordnungsprinzipien für die künftige Stadtentwicklung gesprochen. S9 Apel/Henckel u. a., S. 49 f. 90 Vgl. BT-Drucksache 13/10664; Jessen, S. 1 ff. 91 Apel/Henckel u. a., S. 47. 92 Apel/Henckel u. a., S. 50, die das Beispiel Amsterdams anführen. 93 Von griechisch „oikos" (Haus) und „logos" (Geist, Lehre).

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

45

schaft von den Wechselwirkungen von Pflanzen, Tieren und Menschen mit ihrer anorganischen Umwelt und untereinander, sowohl als Einzelwesen wie auch als Art oder Lebensgemeinschaft. 95 Die allgemein übliche Definition der Ökologie verleitet auf Grund ihrer relativen Unscharfe zu einer oft uferlosen Ausweitung der Begriffsverwendung und Begriffsverwirrung, wie dies z. B. in der Produktwerbung zutage tritt. 96 Der Begriff „Ökologie" hat im übrigen nichts mit der Vorstellung einer „Harmonie mit der Natur" gemein, obwohl er bisweilen in diesem Sinne verwandt wird. 97 Die Ökologie untersucht nur, welche Zusammenhänge bestehen, nicht, wie etwas sein sollte oder ob etwas abstrakt betrachtet „schädlich" oder „gut" ist. Vor diesem Hintergrund gilt es, den „naturalistischen Fehlschluß" zwischen Sein und Sollen zu meiden, da die ethisch neutrale Natur rechtfertigt, was immer man will. 9 8 Die Frage, wie man einen bestimmten Zustand erreicht oder erhält, ist eine ökologische Fragestellung, nicht aber, welchen Zustand man anstreben sollte. Wenn hier gleichwohl von „ökologischen Forderungen" die Rede ist, so knüpft dies an eine zwar unscharfe, jedoch bereits allgemein gebräuchliche Begriffsverwendung an. Es ist damit nicht gemeint, daß es sich um unmittelbar aus der Lehre der Ökologie ableitbare Forderungen handelt. Vielmehr soll damit ausgedrückt werden, daß diesen Forderungen eine ökologische Betrachtung jener Wechselbeziehungen zugrunde liegt. Die Wechselbeziehungen zwischen Bebauung und Naturhaushalt sollen im Sinne der Ökologie „ganzheitlich" und „dauerhaft" betrachtet werden. Diese Betrachtungsweise ist zugleich bewußte Abgrenzung und Kritik gegenüber einer herkömmlichen Sichtweise, die als Vernachlässigung der negativen Wirkungen der Bebauung auf den Naturhaushalt, insbesondere der langfristigen Wechselbeziehungen, angesehen wird. Die Forderungen ökologischen Planens und Bauens sind demnach zwar nicht aus der Ökologie unmittelbar ableitbar, sie ergeben sich jedoch aus einer umweltpolitischen Leitvorstellung, die auf der Grundlage der Ökologie entwickelt wurde. Es handelt sich dabei um das Leitbild der Nachhaltigkeit menschlicher Entwicklung. Die „nachhaltige Entwicklung" kann als das Thema ökologisches Planen und Bauen umfassender Oberbegriff angesehen werden. Als ein das gesamte menschliche Wirtschaften umfassender Grundsatz entstammt er der in den Vereinigten Staaten von Amerika unter dem Begriff des „Sustainable development" geführten 94 Der Biologe Ernst Haeckel (1834-1919) führte sie 1886 als ein Teilgebiet der Biologie in die Naturwissenschaft ein und bezeichnete sie als „Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt" (zitiert nach Heinrich/Hergt, S. 1; s. auch Weber, S. 79). 95 Heinrich/Hergt, S. 1; Krusche/Althaus/Gabriel u. a. S. 15. 96 Dies drückt sich in der inflationären und meist substanzlosen Verwendung des Wortes „Bio-" oder „Öko-" in der Produktwerbung aus. Hieran hat im übrigen auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nichts geändert, der bei der Werbung mit Umweltschutzgesichtspunkten besondere strenge Maßstäbe anlegt (vgl. Urt. v. 9. 6. 1996 NuR 1995, S. 433). 97 Weber, S. 80. 98 Weber, S. 81.

46

Α. Einleitung

Umweltschutzdiskussion. Hierunter kann eine Entwicklung verstanden werden, „die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können." 99 Er wird im wesentlichen seit der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro im Jahre 1992 international diskutiert 100 und scheint sich derzeit als anerkannter weltweiter Leitgedanke des Umweltschutzes durchzusetzen. In der deutschen Umweltschutzdiskussion wird er meist mit den Begriffen „nachhaltige Entwicklung" 101 , „ökologisch dauerhafte Entwicklung" 102 , „dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung" 103 , „Tragfähigkeit" 104 oder jüngst „Zukunftsfähigkeit" 105 übersetzt. Der Gedanke des nachhaltigen Wirtschaftens ist im deutschen Forstrecht bereits seit langem als tragender Bewirtschaftungsgrundsatz festgeschrieben 106 und hält mehr und mehr Einzug auch in andere Rechtsbereiche. Mit der im Staatsziel Umweltschutz gem. Art. 20 a GG festgeschriebenen Nachweltverantwortung wurde der zentrale Aspekt des Leitbildes der Nachhaltigkeit rechtlich verankert. Der Nachhaltigkeitsgrundsatz hat mittlerweile auch in das die Bebauung regelnde Recht Eingang gefunden, sei es im Raumordnungs- 107 oder im Bauplanungsrecht. 108

99 So die Definition des bekannten Brundtland-Berichts des Jahres 1987 (Hauff, S. 48). Ebenso: BUND/Misereor, S. 24. Die Bedürfnisse kommender Generationen würden nach einer Ansicht (vgl. die Nachweise in BUND/Misereor, S. 25 und 82) auch dann nachhaltig befriedigt, wenn ihr ein „Wohlstandspaket" aus einer konstanten oder ansteigenden Summe aus materiellem und natürlichem Kapital übergeben wird. Dabei sei die Natur substituierbar und Einbußen am natürlichen Kapital durch entsprechend höheres materielles Kapital ausgleichbar. Die demgegenüber heute ganz herrschende Meinung (vgl. die Nachweise in BUND/Misereor, S. 25/82) geht jedoch zu Recht davon aus, daß ein Ersatz der Natur durch materielle Wohlstandsleistungen nur sehr beschränkt möglich ist, hierdurch irreversible Umweltschäden nicht vermieden werden und daher den nachfolgenden Generationen ein „konstantes Naturkapital" zu übergeben ist. 100 Akzentuiert wurde der Begriff erstmals im Jahre 1987 im sog. „Brundtlandbericht" (Bückmann, Bodenschutz, 1996 S. 247). Nunmehr hat die Diskussion insbesondere im Zuge der Einführung des Art. 20 a GG (Nachweltverantwortung !) auch die Jurisprudenz erfaßt: Kloepfer, DVB1. 1996, S. 78; zum Nachhaltigkeitsgrundsatz insbesondere Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 1996, S. 50 ff., sowie Bericht der Bundesregierung, „Umwelt 1994 - Politik für eine nachhaltige, umweltgerechte Entwicklung" (BT-Drucksache 12/8451). Kritisch zum Nachhaltigkeitsgrundsatz: Reinhardt, Die Bewältigung von Langzeitrisiken im Umwelt- und Technikrecht, UTR 1998, S. 73 ff. 101 102 103

Peters, Kap. I Rdnr. 1; Gassner, Das Recht der Landschaft, S. 32. So von Weizsäcker/Lovins/Lovins, S. 239. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten, Kurzfassung 1996,

S. 5. 104

Vornholz, Zur Konzeption einer ökologisch tragfähigen Entwicklung, 1994. 105 BUND/Misereor, S. 24. 106 §§ 1 Nr. 1,6 Abs. 3 Nr. 2 und 3 BWaldG. 107 Vgl. § 2 Abs. 1 ROG. ίο» Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB.

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

47

2. Ökologisches Planen und Bauen a) Ökologisches Bauen ist ein Oberbegriff für alternatives und klimagerechtes Bauen, Bioarchitektur (Biotektur), Bionik 1 0 9 und Baubiologie. 110 Es handelt sich um einen in der Entwicklung befindlichen Begriff, so daß sich in der Literatur verschiedene Definitionen dieses Begriffes finden, die allerdings im Kern inhaltsgleich sind. Forderungen des ökologischen Bauens sind: „Vermeidung von Umweltbelastungen; Vernetzung mit natürlichen Kreisläufen; gemeinschaftliches, nicht individuelles Bauen (Anstreben sozialen Handelns); Funktionsvielfalt von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Einkaufen." 111 Diese Forderungen lassen sich auf den gemeinsamen Kern zurückführen, bei der Bebauung die erneuerbaren Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften und den Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen zu minimieren. Zumeist wird das Thema ökologisches Bauen nur in Bezug auf neu zu schaffende Bausubstanz erörtert. Der Begriff des ökologischen Bauens umfaßt jedoch sowohl die Errichtung von neuen baulichen Anlagen nach den oben genannten Grundsätzen als auch die „Ökologisierung" des vorhandenen Bestandes.112 b) Ökologisches Planen und ökologisches Bauen greifen ineinander und müssen als systematische Einheit betrachtet werden. Keine bauliche Anlage wird ohne ein Mindestmaß an Planung errichtet. In jedem Bauwerk drückt sich die Verwirklichung eines planerischen Konzepts aus. Der Gedanke ökologischen Planens fordert daher eine Einbeziehung ökologischer Gesichtspunkte auf allen Ebenen 113 und Phasen der Planung von Bebauung. Der Begriff ökologisches Planen darf nicht als Gegensatzbegriff zum ökologischen Bauen verstanden werden, sondern ist untrennbar mit ihm verbunden. Versteht man ökologisches Bauen im weitesten Sinne des Wortes, umfaßt der Begriff auch das ökologische Planen von Bebauung als integrativen Bestandteil dieses Oberbegriffs. Es ließe sich demnach ökologisches Bauen im engeren (d. h. die konkrete baufachliche Ausführung des einzelnen Vorhabens betreffend) und im weiteren Sinne (die Planung mitumfassend) unterscheiden. Die im Rahmen der Behandlung des ökologischen Bauens genannten Forderungen gelten entsprechend für die Planung von Bebauung. Grundanliegen ist auch hier, den von Bebauung ausgehenden Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen zu minimieren und den Grundsatz der nachhaltigen Bewirtschaftung erneuerbarer Ressourcen auch hinsichtlich der Planung von Bebauung zu verwirklichen. 114 Zur 109

Anwendung baubiologischer Prinzipien in der Technik. "0 Heinrich/Hergt, S. 245. m Heinrich/Hergt, S. 245. •12 Krusche/Althaus/Gabriel

u. a., S. 27.

113 Tamm, S. 30. ι· 4 Vgl. Klausch, in: Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, S. 15.

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Α. Einleitung

Verwirklichung einer ökologischen Planung bedarf es insbesondere einer detaillierten Kenntnis aller Gegebenheiten eines potentiellen Standortes von Bebauung.115 Es geht darum, alle Wechselbeziehungen des Standortes (im unbebauten und bebauten Zustand) mit seiner Umgebung in die Planung einzubeziehen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Planung flächensparender Bebauung zu. Die vielfältigen Möglichkeiten, Fläche zu sparen, reichen von der Steuerung des Baus verdichteter Einfamilienheimsiedlungen, des Baus mehrstöckiger Mehrfamilienhäuser anstelle von intensiv räum- und energieverbrauchenden Einfamilienhäusern, der Stärkung des flächensparenden öffentlichen Personennahverkehrs anstelle eines Straßennetzausbaus bis hin zur Wiedernutzung ungenutzter oder mindergenutzter Siedlungsraumflächen anstelle der Freirauminanspruchnahme. 116

3. Geschichte des ökologischen Planens und Bauens Im Rahmen der sich ausweitenden Diskussion des Umweltschutzes setzte zum Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland auch eine breitere Diskussion in Fachkreisen zum Thema ökologisches Planen und Bauen ein. 1 1 7 Auch die bisweilen eng hiermit verbundenen Fragen des Bodenschutzes rückten mehr und mehr in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses, nachdem der Bodenschutz lange Zeit ein Schattendasein geführt hatte. 118 Die zu Beginn der achtziger Jahre einsetzende Bodenschutzdiskussion wurde maßgeblich durch die zu dieser Zeit ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückten Waldschäden bestimmt. 119 Einen Eckpunkt der Bodenschutzdiskussion markiert die mit besonderem Interesse in der Fachwelt beachtete Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung des Jahres 1985, 120 die Forderungen nach einer Minimierung des Land115 Krusche/Althaus/Gabriel u. a., S. 346. 116 BUND/Misereor, S. 76. in Wegweisend insoweit war die Abhandlung von Krusche/Althaus/Gabriel, Ökologisches Bauen, 1982, während die allgemeine Umweltschutzdiskussion der siebziger Jahre durch Meadows/Meadows /Zahn /Milling, Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1972, geprägt wurde. Zu frühen preußischen baupolizeilichen Schranken des Bauens in freier Natur s. Rüfner, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band II, S. 474 Fn. 237; vgl. zudem „Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden" vom 2. 12. 1902 (PrGS S. 159) sowie das „Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden" vom 15. 8. 1907 (PrGS S. 260). us Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltschutzes, S. 137; so auch die Bewertung des Bodenschutzes durch BUND/Misereor, S. 75. u 9 Aus den Veröffentlichungen der einsetzenden Bodenschutzdiskussion der achtziger Jahre: Evangelische Akademie Loccum, Loccumer Protokolle, 2/1984; Hübler (Hrsg.), Bodenschutz als Gegenstand der Umweltpolitik - Beiträge des Fachbereichstages 1984 (Schriftenreihe des Fachbereichstages der TU Berlin). 120 BT-Drucksache 10/2977, S. 1 ff. Die Bodenschutzkonzeption blieb nicht das einzige regierungspolitische Maßnahmenprogramm zum Bodenschutz, sondern wurde etwa durch

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

49

schaftsverbrauchs und der Bodenbelastungen, insbesondere in Gestalt von Stoffeinträgen, postulierte. Die stärkere Lenkung der städtebaulichen Entwicklung auf die Innenentwicklung, um eine „Trendwende im Land verbrauch" 1 2 1 einzuleiten, war eine zentrale Forderung jener Bodenschutzkonzeption. Auch in der übrigen Umweltschutzdiskussion wurde immer wieder die Forderung laut, die bauliche Entwicklung stärker auf die Innenstädte als auf bislang unbesiedelten Raum zu lenk e n . 1 2 2 So drückt sich auch in den Baulandberichten des Bundesbauministeriums der Jahre 1983 und 1986 der Paradigmenwechsel weg von einer expansiven Stadtentwicklung hin zu einer flächensparenden Innenentwicklung aus. 1 2 3 Der politische Mehrheitswille zur Umsetzung dieser Forderung mündete im Jahre 1986 in die Aufnahme der sog. Bodenschutzklausel und des Gebotes des Erhalts und der Entwicklung vorhandener Ortsteile in das neue Baugesetzbuch. 124 Inzwischen ist eine gegenläufige Tendenz erkennbar. 1 2 5 Einen Wendepunkt und Abschied von dem Leitbild der Innenentwicklung markieren der Baulandbericht 1 2 6 und das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 127 des Jahres 1993. Gleichwohl sind Fragen des Bodenschutzes und des ökologischen Planens und Bauens immer stärker diskutiert und ins öffentliche Bewußtsein gerückt worden. Mittlerweile fin-

das Programmpapier der Bundesregierung „ M a ß n a h m e n zum Bodenschutz" vom 12. 1. 1988 (BT-Drucksache 11 /1625, S. 1 ff.) gefolgt. Hierin wurde u. a. gefordert: „Durch die quantitative und qualitative Verringerung der Freiflächeninanspruchnahme muß ein wesentlicher Beitrag zum Schutz des Bodens geleistet werden." (S. 7) 121 Bodenschutzkonzeption, S. 8. 122 in 1985 z. B. Winter, S. 137: „Die Innenstadt muß wiederentdeckt werden ..." 123 Kapinsky/Kreisl, S. 9. 124 Baugesetzbuch (BauGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. 12. 1986 (BGBl. I S. 2253 ff.). Mag auch der Wille zur Eindämmung des Landschaftsverbrauchs eine entscheidende Bedeutung für den Erlaß der Bodenschutzklausel gehabt haben, so darf ein weiterer Aspekt nicht völlig außer Acht bleiben. Die Bundesregierung selbst bewertete in einer Antwort auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion (BT-Drucksache 10/2358), daß sich seit einigen Jahren eine Veränderung im Baulandmarkt zeige, wonach zwar „noch immer Nachfrage nach Grund und Boden für den Bau von Eigenheimen" bestehe, jedoch der Flächenbedarf für „zusätzliche Verkehrs- und sonstige Infrastrukturanlagen rückläufig" sei. Darüber hinaus habe „sich in den vergangenen Jahren das Baulandangebot deutlich erweitert." Auch Krautzberger (WiVerw 1991, S. 117) meint, die Baulandsituation sei in den achtziger Jahren als „entspannt" gewertet worden. Vor diesem Hintergrund mag für die politische Mehrheitsfähigkeit der Bodenschutzklausel gar entscheidend gewesen sein, daß der Baulandbedarf nicht mehr als drängend empfunden wurde. Überspitzt könnte man daher sagen, daß die Norm nur Reaktion auf sinkenden Baulandbedarf war und man glaubte, sich nach der Beruhigung auf dem Baulandmarkt etwas Selbstbeschränkung bei der Baulandausweisung leisten zu können. 125 Vgl. etwa Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Siedlungsentwicklung und Siedlungspolitik. Nationalbericht Deutschland zur Konferenz Habitat II, 1996, S.3. 126 Kapinsky/Kreisl, S. 18. 127 Gesetz zur Erleichterung der Investitionen und zur Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland (Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz) vom 22. 4. 1993 (BGBl. I S. 466).

4 Franz

50

Α. Einleitung

det sich eine reiche Fachliteratur zum Thema ökologisches Planen und Bauen. 128 Auch die Beschäftigung mit rechtlichen Fragestellungen des ökologischen Bauens und Planens nimmt stetig zu. 1 2 9 Im Gegensatz zur öffentlichen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland blieb das Thema ökologisches Planen und Bauen in der ehemaligen DDR nahezu unbeachtet. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. In struktureller Hinsicht mögen die geringe Bedeutung einer eigenverantwortlichen Bautätigkeit und die knapperen privaten und öffentlichen Mittel ausschlaggebend gewesen sein, zumal ökologisches Planen und Bauen meist mit - bei kurzfristiger Bilanzierung - höheren Baukosten verbunden ist. Von Bedeutung ist insoweit auch, daß im Rechtssystem der DDR nach Aufhebung des Aufbaugesetzes 130 eine kommunale Planungshoheit nicht mehr existierte. 131 Somit konnten auch keine in ökologischer Hinsicht innovativen Effekte, die naturgemäß von einer dezentralen und eigenverantwortlichen Bauleitplanung der Gemeinden ausgehen, der Gesamtentwicklung zugute kommen. Auch im Rahmen der modifizierten Übernahme bundesdeutschen Bauplanungsrechts im Jahre 1990 infolge des Beitritts der neuen Länder zur Bundesrepublik hatte das Thema ökologisches Planen und Bauen eine untergeordnete Bedeutung. Die ersten Jahre des Vereinigungsprozesses waren vielmehr geprägt durch einen gewaltigen Freiflächenverbrauch im Rahmen des Baubooms in den neuen Bundesländern. 132 Von einer eigenständigen Geschichte der Innenentwicklung innerhalb der aufgezeigten Entwicklung des ökologischen Planens und Bauens kann nur sehr bedingt die Rede sein. Einen gewissen geschichtlichen Anknüfungspunkt des heutigen noch darzustellenden Rechts der Innenentwicklung bilden die zur Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg erlassenen Gesetze und Programme, die die Wiedererrichtung von Gebäuden der zerstörten Innenstädte zum Gegenstand hatten. Zu nennen sind hier die Trümmergesetze 133 und Aufbaugesetze 134 der Jahre 128 Vgl. nur Ebersbach, Stadtentwicklung ohne Landschaftsverbrauch, 1985; Kapinsky/ Kreisl, Sind Baulandreserven Reserven?, 1996; Lütke-Daldrup, a. a. Ο. 129 Vgl. nur Grooterhorst, in: DVB1. 1985 und NuR 1985; Hinzen/Krause, Umweltschutz in der Flächennutzungsplanung, 1995 und Bunzel/Hinzen/Ohligschläger, Umweltschutz in der Bebauungsplanung, 1996. 130 Vgl. § 9 Nr. 1 und 2 Aufbaugesetz - aufgehoben durch § 24 Abs. 2 Baulandgesetz. 131 Erst wenige Monate vor dem Beitritt der neuen Bundesländer kam es mit dem Erlaß der Bauplanungs- und Zulassungsverordnung vom 20. 6. 1990 (GBl. DDR I S. 739) zur Wiedereinführung der kommunalen Planungshoheit mit den Elementen der Flächennutzungsund Bebauungsplanung. 132 Vgl. Franz/Richert/Weilepp, S. 48 ff.; v. Einem/Gornig, S. 86 ff.; Heinz/Scholz, S. 14 ff., 20-25. S. zur Situation in den neuen Bundesländern auch Teil E. 133

Nachweise hierzu bei Zinkahn, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Teil B, Einleitung Rdnr. 34. 134 Nachweise hierzu bei Zinkahn, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Teil Β Einleitung Rdnr. 35. Zum Aufbaugesetz der DDR vom 6. 9. 1950 (GBl. DDR Nr. 104 S. 965) s. BVerwG, Urteile vom 24. 3. 1994 BVerwGE 95, S. 284 ff. und 289 ff. Das Aufbaugesetz der DDR kannte

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

51

nach dem Zusammenbruch Deutschlands. So konnten etwa hessische Gemeinden bzw. Städte auf der Rechtsgrundlage des § 46 des hessischen Aufbaugesetzes 135 die Instandsetzung nicht benutzbarer Wohnräume verlangen. 136 Ansatzweise klang im Rahmen der Auslegung dieser Gesetze auch schon der Aspekt eines sparsamen Umgangs mit dem Boden an, wenn das Bundesverwaltungsgericht 137 ausführte: „In einer Zeit, in der immer noch eine Wohnungsnot besteht, auch ein spürbarer Mangel an geeignetem Bauland sich geltend macht, dient die Pflicht, vorhandene Gebäude zu Wohn- und gewerblichen Zwecken nutzbar zu machen, dem berechtigten Anliegen der Gemeinschaft, vor Inanspruchnahme neuen Geländes zunächst den bereits vorhandenen Raumbestand zur Beseitigung dieser Notlage zu benutzen."

4. Freiraumschutz als Forderung ökologischen Planens und Bauens a) Abgrenzung der Begriffe

Freiraum und Siedlungsraum

Will man die Raumnutzung betrachten, so ist es angezeigt, zwischen Freiraum und (geschlossenem) Siedlungsraum zu unterscheiden. 138 Der in der wissenschaftlichen Diskussion ebenso wie im alltäglichen Sprachgebrauch 139 auftauchende Begriff des Freiraums wird hier in seiner landschaftlichen Dimension verwendet. Er

indessen § 9 Nr. 1 und 2 neben der Aufbauplanung noch eine Flächennutzungsplanung und Stadtbebauungsplanung, die vom Rat der Stadt durchgeführt wurde. Umweltschutzrelevante oder gar freiraumschützende Regelungen enthielten weder das Aufbaugesetz noch die erste Durchführungsverordnung zum Aufbaugesetz vom 7. 6. 1951 (GBl. Nr. 69 S. 552). Erstmals tauchten in der zweiten Durchführungsverordnung zum Aufbaugesetz vom 29. 9. 1972 (GBl. II Nr. 59 S. 641) bodenschützende Regelungen auf. So bestimmten § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2: „Die Inanspruchnahme darf sich nur auf die tatsächlich benötigte Grundstücksfläche erstrekken. Es ist nur soviel Boden für den Eigenheimbau in Anspruch zu nehmen, wie entsprechend der staatlichen Orientierung über die Parzellengröße für ein Eigenheim erforderlich ist." § 2 Abs. 3 Satz 1 war eine der heutigen Umwidmungssperrklausel vergleichbare Regelung: „Der Entzug von Bodenflächen aus der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung für den Eigenheimbau darf nur in begründeten Ausnahmefällen mit Zustimmung der zuständigen Staatsorgane erfolgen." Das Baulandgesetz der DDR vom 15. 6. 1984 (GBl. I S. 201 - Durchführungsverordnung vom 15. 6. 1984 GBl. I S. 205) löste das Aufbaurecht der DDR ab, ohne allerdings darüber hinaus gehende umweltrelevante Regelungen zu enthalten. 135 Gesetz über den Aufbau der Städte und Dörfer des Landes Hessen vom 23. 10. 1948 (GVB1. S. 139). 136 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30. 10. 1958 BVerwGE 7, 297 ff. Vgl. auch BVerfG, B. v. 25. 7. 1960 BVerfGE 11, S. 294 ff. zum rheinland-pfälzischen Aufbaugesetz.

137 BVerwG, Urt. v. 30. 10. 1958 BVerwGE 7, S. 297, 299. 138 Spitzer, S. 150; Appold, S. 179: Die planerischen Kategorien Freiraum und Siedlungsraum sind die „grundsätzlichen Träger raumordnerischer Funktionen". 139 Hier wird er zumeist im psychologisch-sozialen Sinne als Möglichkeit zur Entfaltung eigener Kräfte und Ideen für eine Person oder eine Gruppe gebraucht (vgl. Duden, Deutsches Universal Wörterbuch, S. 536). 4*

52

Α. Einleitung

besitzt zwar keine bis ins einzelne gefestigten Konturen, gewinnt jedoch durch seinen Gegensatzbegriff „Siedlungsraum" 140 eine im Kernbereich akzeptierte Gestalt. 141 Die gesamte Fläche der Erde kann nach dieser Unterscheidung in Siedlungsraum und Freiraum aufgeteilt werden. Der Begriff Freiraum soll hier gleichbedeutend verwendet werden mit den Begriffen offene Landschaft, Landschaft außerhalb besiedelter Bereiche, freie Natur 1 4 2 oder „Wald und Flur" einschließlich unbebauten Ödlandes samt Wasserflächen. Leitgedanke für die Qualifizierung einer Fläche als Freiraum ist, daß sie nicht von einer zusammenhängenden Bebauung geprägt wird. Umgekehrt ist für die Einordnung einer Räche als Siedlungsraum entscheidend, daß die jeweilige Fläche in ihrem äußeren Erscheinungsbild maßgeblich durch Besiedlung geprägt ist. Zur Siedlungstätigkeit zählt nicht nur die Errichtung von baulichen Anlagen für Wohn-, Industrie- und Gewerbezwecke, sondern insbesondere auch der Verkehrsflächenbau. Soweit sich innerhalb von Siedlungen Flächen befinden, auf denen keine bauliche Anlagen vorhanden sind (Bsp. Stadtpark), können diese nur dann als Freiraum bezeichnet werden, wenn sie eine gewisse Größe erreichen und nicht selbst als Teil der Siedlungsfläche erscheinen, d. h. nicht durch diese geprägt werden. Der Freiraum in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht gleichzusetzen mit dem Begriff Naturraum oder naturnaher Raum, auch wenn der Freiraum oftmals naturnaher Raum ist. So können etwa die Flächen intensiver Landwirtschaft in einer Kultursteppe kaum als naturnahe Flächen bezeichnet werden, gehören jedoch eindeutig zur freien Landschaft. Nahezu die gesamte Erdoberfläche im Bereich der Bundesrepublik Deutschland ist durch menschliche Einflüsse umgestaltet und daher als Kulturlandschaft zu bezeichnen. Einer genaueren Abgrenzung der Begriffe Freiraum und Siedlungsraum bedarf es für die Zwecke dieser Arbeit nicht, zumal der Begriffsinhalt in seinem Kern unstreitig ist. 1 4 3 Er wird im übrigen maßgeblich durch den Kontext seiner Verwendung bestimmt. Der Begriff des Freiraums ist nicht identisch mit dem Rechtsbegriff Außenbereich. Während hinsichtlich des Begriffs Freiraum lediglich auf die tatsächlichen 140

Die Begriff der Siedlung, Siedlungsbereich oder besiedelter Bereich kann im hier verwendeten Kontext am ehesten mit menschliche Niederlassung mit bebautem Land (Duden Deutsches Universalwörterbuch, S. 1399) übersetzt werden. 141

Appold, S. 179 bezeichnet die „Kategorien" Freiraum und Siedlungsraum als „die grundsätzlichen Träger raumordnerischer Funktionen"; Bürger, S. 96 versteht unter dem Begriff Freifläche „alle Flächen, die nicht oder nur in geringem Maße überbaut sind und auch zum größeren Teil zugänglich sind." Spitzer, S. 255, definiert den Freiraum als von geschlossenen Siedlungen freier Raum. Er betont (S. 150), daß trotz der Übergangsformen für beide Hauptnutzungsformen des Raumes unterschiedliche Eigenschaften feststellbar sind. 142

Zu diesem Begriff aus dem RNatSchG s. Franz, Das Recht des Naturschutzes in Hessen, Erl. zu § 13 Rdnr. 8. 143 Terminologischer Streit mag sich etwa hinsichtlich der Einordnung von Parkanlagen am Stadtrand oder Truppenübungsplätzen entzünden, die nach hier vertretenem Freiraumverständnis als Freiraum zu bezeichnen sind, da sie nicht durch bauliche Anlagen geprägt sind.

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

53

Verhältnisse abzustellen ist, ist der Begriff Außenbereich ein Rechtsbegriff, der unbebaute, jedoch beplante Freiraumflächen nicht erfaßt. 144

b) Allgemeine Bedeutung des Freiraums

145

aa) Lebensraum der Tier- und Pflanzenwelt Freiräume sind Lebensräume von Fauna und Flora. Sie bieten freiraumspezifische Lebensbedingungen für Pflanzen- und Tierarten, wie sie in Siedlungsräumen nicht gegeben sind. Zwar leben auch in Siedlungsbereichen wildlebende Tier- und Pflanzenarten, 146 die Freiräume in der Bundesrepublik Deutschland haben aber noch immer die weitaus größere Bedeutung als Lebensraum. 147 Selbstverständlich ist die konkrete Beschaffenheit des Freiraums für seine Eignung als Lebensraum der Tier- und Pflanzenwelt von entscheidender Bedeutung, die allein durch die Abwesenheit von Siedlungen nicht gewährleistet ist. 1 4 8 Maßgeblicher Lebensraum der wildlebenden Tiere und Pflanzen ist nur der naturnahe Freiraum. Sein Reichtum an natürlichen Strukturen sichert eine hohe Artenvielfalt. So sind etwa gerade die unmittelbar an die Siedlungsränder angrenzenden Freiraumflächen in der Regel durch eine hohe ökologische Vielfalt gekennzeichnet, die im besonderen Strukturreichtum dieser Randlagen wie z. B. durch Reste alter Streuobstgürtel, strukturreiche Nutzgärten und Hecken um landwirtschaftlich genutzte Flächen begründet ist. Hervorzuheben ist auch die besondere Bedeutung der offenen, unverbauten Landschaft für Wander- bzw. Verbreitungswege der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten. Zahlreiche Arten sind aufgrund ihrer besonderen Lebensraumansprüche auf Freiräume angewiesen, die sich aus großräumigen, naturnahen, durch Verkehrswege unzerschnittenen und störungsarmen oder natürlicher Entwicklung überlassenen Flächen zusammensetzen.

bb) Land-, forst- und fischereiwirtschaftlicher Produktionsraum Freiraum ist vor allem auch land-, forst- und fischereiwirtschaftlicher Produktionsraum. 149 Er ist Anbaufläche für die Erzeugung von Nahrungs- und Futtermit144

Zum Begriff des Außenbereichs näher unten A. III. 3. a). Die Bedeutungsvielfalt des Freiraums wird in § 2 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 ROG nur unzureichend erfaßt, wenn es dort heißt: „Die Freiräume sind in ihrer Bedeutung für funktionsfähige Böden, für den Wasserhaushalt, die Tier- und Pflanzenwelt sowie das Klima zu sichern ...". Umfassender ist insoweit die Funktionsbeschreibung des § 2 Abs. 2 BBodSchG, die allerdings Boden insgesamt und nicht nur den Freiraumboden erfaßt. 146 Vornehmlich besonders anpassungsfähige Ubiquisten wie Wanderratte, Schwarzdrossel und Haussperling. 147 Ähnlich Louis, Bundesnaturschutzgesetz, § 2 Rdnr. 7. 148 Bsp.: Chemische Verseuchung oder gänzliche Versiegelung von Flächen. 145

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Α. Einleitung

teln und pflanzlichen Rohstoffen und Raum für sonstige Nutzungen von Naturgütern. Freiraum dient der Produktion von natürlichen Stoffen wie Getreide, Gemüse, Früchten, Holz und Fleisch. Sollte auch die technische Entwicklung einmal dazu führen, daß die Grundstoffe von Nahrungsmitteln überwiegend im Siedlungsraum produziert werden, so bleibt gleichwohl auf lange Sicht der Freiraum als Produktionsraum von Naturprodukten unersetzlich. Auch die Möglichkeit der Einfuhr von Lebensmitteln bzw. deren Grundstoffen aus anderen Ländern mag die Bedeutung des bundesdeutschen Freiraums als Raum der Urproduktion verringern, ersetzt jedoch die volkswirtschaftliche Notwendigkeit einer Sicherung heimischer Primärproduktion nicht. An dieser grundsätzlichen Bedeutung des Freiraums vermag auch die kontinuierliche Abnahme 150 des Anteils der landwirtschaftlichen Produktionsfläche an der Gesamtfläche nichts zu ändern. Der Freiraum ist und bleibt bis auf weiteres gegenüber dem Siedlungsraum der maßgebliche und unverzichtbare Raum der Primärproduktion. 151

cc) Bedeutung für den Wasserhaushalt Freiraum hat eine große Bedeutung für einen funktionierenden Wasserhaushalt zum Nutzen des Wohls der Allgemeinheit. 152 Gegenüber dem für diese Zwecke nur sehr bedingt geeigneten Siedlungsraum ist der Boden des Freiraums in besonderem Maße Grundwasserspeicher und Wasserfilter. Trotz der Entwicklung technischer Verfahren der Wiederaufarbeitung von belastetem Wasser und der Süßwassergewinnung aus Meerwasser behalten die Freiräume auf lange Sicht ihre Bedeutung für den Wasserhaushalt und damit für die ausreichende Verfügbarkeit von für menschliche Zwecke nutzbarem Wasser. Die Existenz naturnaher Freiräume ist vor allem für die Trinkwassergewinnung unverzichtbar. Deren Besiedlung führt im Regelfall zu einer Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes durch die Verringerung der Wasserspeicherfunktion des Bodens und Grundwasserabsenkungen und -belastungen.

149 Nach der klassischen Wirtschaftstheorie ist der Boden einer der drei Produktionsfaktoren (Eisenkrämer, S. 305). Hinsichtlich der Produktionszweige Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ist jedoch nur der durch Bebauung unversiegelte Boden des Freiraums faktisch bedeutsamer Produktionsfaktor. !50 Bürger, S. 97. Im Jahr 1989 betrug der Anteil der Landwirtschaftsfläche an der Gesamtfläche noch 53,7% trotz erheblicher Arealverluste seit 1950 (Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt 1992/93, S. 187). 151 Dem entspricht im übrigen auch die Bedeutung der Primärproduktion in der Rechtsordnung wie ζ. B. der Umwidmungssperrklausel gem. § 1 Abs. 5 Satz 3 BauGB und dem Grundstücksverkehrsgesetz. 152 Zur Bedeutung des Bodens für den Wasserhaushalt allgemein s. Blume, Handbuch des Bodenschutzes, S. 29-46.

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

55

dd) Bedeutung für das Klima Der Boden beeinflußt das lokale, regionale und globale Klima. 1 5 3 Im Siedlungsraum verliert er aufgrund seiner weitgehenden Versiegelung diese Funktion, und der jeweilige Bodenbelag wird zum klimabeeinflussenden Faktor. Naturnaher, mit Pflanzen bestandener Boden des Freiraums absorbiert durchschnittlich wesentlich mehr Wärmestrahlung als überbaute Flächen. Versiegelter Boden kann diese klimaregulierende Funktion nicht bzw. nur noch teilweise erfüllen.

ee) Raum zur Gewinnung von Bodenschätzen Freiraum ist der gegenüber dem Siedlungsraum ungleich bedeutsamere Raum für die Gewinnung von Bodenschätzen. Nun ist zwar im besiedelten Bereich eine Gewinnung von Bodenschätzen im Tagebau in der Regel technisch zwar möglich, jedoch zumeist nicht mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand 154 durchführbar und daher praktisch von geringer Bedeutung. Auch der Untertageabbau von Bodenschätzen unter besiedelter Landschaft ist aus verschiedenen Gründen problematisch, 155 so daß ihm die Gewinnung von Bodenschätzen im Freiraum vorgezogen wird.

ff) Erholungsraum Dem Freiraum kommt eine zentrale Bedeutung als menschlicher Erholungsraum zu. Das Erleben einer gegenüber dem Siedlungsraum höheren Natürlichkeit und Ursprünglichkeit, der geringeren Lärmintensität im Freiraum, einer schadstoffärmeren, „gesünderen" Luft und natürlicher Ästhetik bedingen maßgeblich den Erholungswert der Freiräume. Trotz der heutzutage zahlreichen Möglichkeiten der Erholung im Siedlungsraum hat die Erholungssuche im Freiraum eher noch zugenommen und sich der „Erholungsdruck" auf die Freiflächen verstärkt, was vor allem Folge gestiegener Mobilität, gestiegenen Wohlstands und der Zunahme arbeitsfreier Lebenszeit bei gleichzeitiger Abnahme 156 erholungsgeeigneter Freiräume ist.

153

Bender/Sparwasser/Engel, Teil 5 Rdnr. 5 für Boden allgemein. Zu nennen sind insoweit vor allem tatsächliche und rechtliche Probleme der Gewährleistung der Standsicherheit und Nutzbarkeit vorhandener Bausubstanz oder des Abrisses von mit dem Vorhaben unvereinbarer Bausubstanz sowie Entschädigungsfragen. 154

155

Einstürzende Schächte (sog. Gebirgs- oder Bergschlag) können zu schweren Gebäudeschäden bis hin zur Zerstörung von Gebäuden durch Setzungen im Erdreich führen. 156 Durch den oben beschriebenen Landschafts verbrauch.

56

Α. Einleitung

gg) Ästhetisches Gut Mit der Erholungsfunktion eng verknüpft ist die Bedeutung des Freiraums als Raum für die Ästhetik des Natürlichen. Die Bewahrung der Vielfältigkeit und Mannigfaltigkeit der natürlichen Strukturen in Freiräumen ist ein Wert an sich, da diese Strukturen positive Anregung des Menschen in vielfältiger Hinsicht sind. Unabhängig davon, daß im einzelnen die Bewertung dessen, was Schönheit der Natur ausmacht, höchst streitig ist 1 5 7 , besteht im wesentlichen Einigkeit über die Existenz einer Schönheit von Natur. Man mag sich zwar über die Relativität bzw. Wandelbarkeit ästhetischer Anschauungen streiten, nicht jedoch über die Ästhetik der Natur als den die menschliche Ästhetik bildenden und prägenden Faktor. Die Besiedlung oder Zersiedelung von Freiraum beeinträchtigt bis zerstört diesen ästhetischen Wert des Freiraums.

hh) Archiv der Natur- und Kulturgeschichte Freiräume sind auch Archive der Natur- und Kulturgeschichte, wobei der Freiraum Träger einer ihm eigenen gegenüber der Geschichte des Siedlungsraums andersartigen Geschichte ist. 1 5 8 Aus diesem Archiv hat der Mensch im Verlauf der Menschheitsgeschichte vielfältige Anregungen zu seinem Nutzen entnommen. Dies gilt insbesondere für die Bereiche der Medizin und Technik. Auch in der Zukunft kann die noch immer nicht vollständig erforschte und enträtselte Natur noch vielerlei Erkenntnisse zum Nutzen des menschlichen Lebens vermitteln. Gerade die Einsicht in die Beschränktheit menschlicher Erkenntnis und die immer neuen Entdeckungen über Wirkungszusammenhänge rechtfertigen einen Schutz der naturnahen Freiräume mit ihrer archivarischen Funktion und als „Genbibliothek" von noch unschätzbarem Wert. Ein voranschreitender Landschaftsverbrauch mit seinen negativen Folgen für die natürliche Umwelt bedeutet auch eine voranschreitende Beeinträchtigung dieses Archivs der Natur- und Kulturgeschichte mit zum Teil irreversiblem Verlust dieses Materials.

ii) Bedeutung als Ressource im übrigen Der Boden des Freiraums ist in vielfältiger Hinsicht Ressource. Die Bedeutung des Freiraumbodens als Produktionsraum der Land- und Forstwirtschaft und als Lager- und Abbaustätte für Bodenschätze wurde bereits behandelt. Daneben ist er 157 Vgl. etwa Weber, S. 76; Rock, Ästhetischer Zugang zur Umwelt - Schönheit als Motiv des Naturschutzes, NuL 1986, S. 481 ff. 158 Dies betont BT-Drucksache 10/2977, S. 5, für den Boden allgemein. Stremme, in: Blume, Handbuch des Bodenschutzes, S. 121, spricht von den Böden als „erd- und landschaftgeschichtliche(n) Urkunden".

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

57

vor allem eines: Ressource für künftige bauliche Nutzungen, sei es zu Zwecken des Wohnens, des Gewerbes, der Industrie, des Verkehrs, der Ver- und Entsorgung oder als Lagerstätte im übrigen. Unabhängig davon, ob man diese potentiellen Freiraumfunktionen in ihrer ökonomischen oder ökologischen Dimension betrachtet, wird in jedem Falle die überragend zukunftswichtige Bedeutung des Umgangs mit der Ressource Freiraum in einem dichtbesiedelten Land wie der Bundesrepublik deutlich.

jj) Eigenwert des Freiraums im Sinne des biozentrischen Holismus Schließlich soll auch auf die philosophische These des biozentrischen Holismus hingewiesen werden, wonach die unbelebte Natur und damit auch der Freiraum einen Eigenwert in sich tragen, die den Menschen zum Schutz dieser Natur „um ihrer selbst willen" verpflichten. 159

c) Freiraumschutz

als Forderung ökologischen Planens und Bauens

Der Faktor der Unvermehrbarkeit des Bodens in der Bundesrepublik - als einem der am dichtesten besiedelten Wirtschaftsräume der Welt mit zahlreichen konkurrierenden Nutzungsansprüchen an den Boden - zwingt zu einem ökologisch verantwortlichen Umgang mit dem Faktor freie Landschaft. 160 Der weitestmögliche Erhalt und Schutz der Freiräume mit ihren unverzichtbaren ökologischen Funktionen ist daher eine zentrale Forderung ökologischen Planens und Bauens. Im folgenden sollen die wichtigsten Forderungen des ökologischen Planens und Bauens hinsichtlich einer Freirauminanspruchnahme skizziert werden.

aa) Prüfung des Zwecks der Freirauminanspruchnahme Das ökologische Prinzip des vernetzten Denkens bzw. der ganzheitlichen Betrachtung der vielfältigen Wechselbeziehungen im Naturhaushalt gebietet, auch den mit einer Freirauminanspruchnahme verfolgten Bauzweck auf seine Vereinbarkeit mit den Zielen ökologischen Planens und Bauens zu prüfen. Das in ökologischer Hinsicht bedeutsame Gut Freiraum soll nur für Bauzwecke beeinträchtigt werden, die den Zielen ökologischen Planens und Bauens nicht zuwiderlaufen. Dem widerspräche es unter anderem, Bauzwecke zuzulassen, die gegen das Ziel des Erhalts der natürlichen Lebensgrundlagen gerichtet sind, notwendig eine Ver-

159 Literaturnachweise zu dieser Ansicht in Franz, Das Recht des Naturschutzes in Hessen, § 1 Rdnr. 5. 160 Eisenkrämer, S. 305.

58

Α. Einleitung

schwendung von Ressourcen und Energie darstellen oder aufgrund fehlender Einbindung in Stoffkreisläufe zu einem ungelösten Abfallproblem führen. 161 Die Forderung nach einer staatlichen Prüfung von Bauzwecken auf ihre Vereinbarkeit mit den Forderungen ökologischen Planens und Bauens gerät allerdings in Konflikt mit sonstigen öffentlichen und privaten Interessen. Die Schwierigkeit und politische Brisanz einer solchen staatlichen Zweckprüfung liegt auf der Hand. Eine ausnahmslose Umsetzung der Forderung nach einer Überprüfung aller Bauzwecke an den Zielen ökologischen Planens und Bauens begegnet vor allem rechtspolitischen Bedenken. Je mehr der Staat im Wege einer „Feinsteuerung" Einfluß auf die Bauzwecke nimmt, desto stärker schränkt er private Gestaltungsfreiheit, Innovationskraft und damit letztlich Entwicklungspotentiale ein. Die umfassende staatliche Prüfung der Bauzwecke auf ihre Vereinbarkeit mit Forderungen des ökologischen Planens und Bauens birgt die Gefahr eines alles beherrschenden staatlichen ökologischen Dirigismus bzw. Totalitarismus, d. h. eines Primats der Ökologie, in sich, der keinerlei private Gestaltungsspielräume mehr zuläßt. 162 Andererseits ist die staatliche Prüfung und Vorgabe von Bauzwecken auch dem geltenden Recht keineswegs fremd, sondern sogar systemimmanent. Das gesamte Bauplanungsrecht hat die Steuerung der Zwecke baulicher Nutzungen gerade zum Gegenstand. Bauzwecke sind auch bisher schon durch den Bauherrn nicht „frei" wählbar, sondern können von ihm nur innerhalb eines engen rechtlichen Rahmens gewählt werden. So kann etwa ein Bebauungsplan den Bauzweck „Wohnnutzung mit Einfamilienhaus" oder eine „emissionsarme gewerbliche Nutzung" festschreiben. Bereits nach geltendem Recht kann sich die Gemeinde gegen die Ansiedlung eines Unternehmens entscheiden, wenn sie aufgrund sachlicher Erwägungen die Gefahr eines Konkurses befürchtet und statt dessen einer anderen Flächennutzung im Interesse einer sicheren und dauerhaften wirtschaftlichen Entwicklung der Gemeinde den planungsrechtlichen Vorzug gibt. Die schwierige politische Aufgabe des Staates besteht vor dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses zwischen den Extremen eines Laissez-faire-Staates und ökologisch dirigistischen Staates darin, einerseits das Ziel der Nachhaltigkeit auch hinsichtlich der Bauzwecke zu verwirklichen und andererseits sowohl den privaten Bauherrn einen substantiellen Gestaltungsspielraum zu belassen als auch einen Ausgleich mit den widerstreitenden Interessen herzustellen. Für das Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme gilt es dabei sicherzustellen, daß im Grundsatz weder im Freiraum noch im Siedlungsraum Flächen für solche baulichen Zwecke in Anspruch genommen werden, die dem Leitgedanken der nachhaltigen Entwicklung widersprechen. 161

Beispiele wären etwa der Bau des Verwaltungsgebäudes einer Großbank, die eine rücksichtslose Abholzung der Tropenwälder finanziert, der Bau einer Produktionsanlage für Kunstoffverpackungen, die nicht recyclingfähig sind, die Herstellung kurzlebiger Luxusartikel unter hohem Verbrauch nichterneuerbarer Ressourcen oder sinnlose/irrationale Bauvorhaben, wie der Bau einer Bunkeranlage zum Schutz vor „Überfällen aus dem Weltraum44 o.ä. 162 Dieses Schreckbild wird bisweilen auch als „Öko-Diktatur" bezeichnet.

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

59

bb) Prüfung der Erforderlichkeit der Freirauminanspruchnahme Eine Freirauminanspruchnahme, die überhaupt nicht oder in der konkreten Art und Weise der Ausführung nicht erforderlich ist, widerspricht dem ökologischen Postulat einer Schonung der Ressourcen und Vermeidung unnötiger Umweltbelastungen. Nicht erforderlich in diesem Sinne ist eine Freirauminanspruchnahme, deren Zwecke mit milderen Mitteln erreicht werden können, d. h. wenn die verfolgten Bauzwecke ohne oder mit geringerer Freirauminanspruchnahme verwirklicht werden können. Mildere Mittel in dieser Hinsicht sind solche Arten der Zweckverwirklichung, die weniger in natürliche Ressourcen eingreifen und weniger Umweltbelastungen hervorrufen. Dies erstreckt sich auf die Fragen des „Ob", „Wieviel", „Wo" und „Wie" der Freirauminanspruchnahme. Die Suche nach einem milderen Mittel erfaßt daher insbesondere auch die Frage einer Standortverlagerung in den Siedlungsraum. Versteht man den Begriff der Erforderlichkeit weiter und bezieht ihn auch auf die Frage, ob der Vorhabenzweck selber erforderlich ist, so schließt die Erforderlichkeitsprüfung auch die oben beschrieben Prüfung der Bauzwecke mit ein.

cc) Prüfung des konkreten Bedarfs an Freirauminanspruchnahme Der Begriff des Bedarfs ist ein Synonym für das „Benötigte" 163 . Der Begriff des Bedarfs an gemeindlicher Freirauminanspruchnahme läßt sich in zweierlei Hinsicht verstehen. Zum einen kann man von einem Bedarf an gemeindlicher Schaffung von Baurechten im Freiraum bereits dann sprechen, wenn Bauwillige vorhanden sind, die im Freiraum bauen wollen. In einem engeren Sinn kann man von einem Bedarf an Freirauminanspruchnahme dann sprechen, wenn die Bauwünsche nur im Freiraum, und nicht im Siedlungsraum verwirklicht werden können. Nur Bedarf für Vorhaben, die ihrerseits mit den Zielen des ökologischen Planens und Bauens in Einklang stehen, ist ein im Sinne dieser Ziele „gerechtfertigter" Bedarf. Bedarf i.e.S. für eine Freirauminanspruchnahme besteht daher nur, wenn auf den Freiraum gerichtete Β au wünsche bestehen, die nicht durch Innenentwicklung befriedigt werden können.

dd) Prüfung der Belastbarkeit des Freiraums An zentraler Stelle muß unter ökologischen Gesichtspunkten die Prüfung stehen, ob der Freiraum des Gemeindegebietes noch durch weitere bauliche Anlagen ökologisch vertretbar belastet werden kann. In Raumordnungsplänen wird insoweit oft von der „Aufnahmefähigkeit" 164 eines Gemeindegebietes gesprochen, um auszu163

Duden, Deutsches Uni versai Wörterbuch, S. 235.

164

So ζ. B. Nr. II 1.5 der Begründung des Regionalplans Würzburg vom 29. 2. 1984.

60

Α. Einleitung

drücken, ob landesplanerisch eine weitere Bebauung vertretbar erscheint. Die Raumordnung beschränkt sich hierbei regelmäßig auf die Möglichkeiten der Ausdehnung der Siedlungsfläche durch Baulandbereitstellung außerhalb bzw. angrenzend an die vorhandenen Siedlungsbereiche. Eine umfassende Belastbarkeitsprüfung muß aber auch danach fragen, ob das Gemeindegebiet unter ökologischen Gesichtspunkten eine stärkere bauliche Ausnutzung des Siedlungsbereichs verkraften kann. Die Prüfung der Belastbarkeit muß sowohl hinsichtlich einer möglichen Ausweitung der baulichen Nutzung bereits bebauter Bereiche als auch hinsichtlich einer Bebauung von bislang unbesiedelten Bereichen durchgeführt werden, um zu ermitteln, ob Potential für eine zusätzliche Bebauung zur Befriedigung von Bauwünschen vorhanden ist. Schließlich verlangt eine umfassende ökologische Betrachtung auch die Einbeziehung des Belastungspotentials angrenzender Gemeinden. Kann der Flächenbedarf im Gebiet der benachbarten Gemeinde ohne oder mit geringerer Freiraumbelastung gedeckt werden kann, ergibt sich die Forderung nach einer vorrangigen dortigen Vorhabenverwirklichung. Die für ein Besiedlungsgebiet angemessene Besiedlungsdichte und Bebauung kann nicht für alle Gemeinden einheitlich vorgegeben werden; vielmehr muß für jede Gemeinde die nach ökologischen Kriterien tragbare Besiedlungs- und Bebauungsdichte angestrebt werden. Eine weitere Belastbarkeit ist als äußerste Grenze dann nicht mehr gegeben, wenn durch die Freirauminanspruchnahme der letzte für die Einwohner erreichbare erholungsgeeignete Freiraum (Naherholungsraum) beseitigt würde. Ist ein Gemeindegebiet schon über seine ökologisch verantwortbare Belastbarkeit hinaus bebaut, so können die Forderungen ökologischen Planens und Bauens nur durch einen Verzicht auf die weitere Ausdehnung baulicher Nutzungen in den Freiraum umgesetzt werden.

ee) Absolute Begrenzung der Siedlungsflächenausdehnung Für den Boden- und Landschaftsverbrauch durch Bebauung wird neuerdings aus dem Nachhaltigkeitsgrundsatz die Forderung nach einer absoluten Begrenzung des anhaltenden Wachstums abgeleitet.165 Es gehe hierbei um eine Stabilisierung der Nutzung der Bestandsgröße „Fläche" auf einem insgesamt tragfähigen Niveau. Dies wird zum einen damit begründet, daß die bauliche Bodennutzung andere Nutzungsformen wie ζ. B. die Land- und Forstwirtschaft, Naturschutz und Erholung nahezu ausschließt, diese Nutzungsformen aber für die umweltverträgliche Sicherung unserer Nahrungsmittelversorgung, zur Produktion der erneuerbaren Rohstoffs Holz und zum Erhalt der biologischen Vielfalt unverzichtbar sind. 166 Zum anderen wird auf die Zusammenhänge zwischen Besiedlung und Verkehrsentwick165 BUND/Misereor, S. 75; ebs. Jänicke, in: Jänicke/Bolle/Carius, S. 120. 166 BUND/Misereor, S. 75.

IV. Forderungen ökologischen Planens und Bauens

61

lung hingewiesen. So macht die Belegung neuer Siedlungsflächen auch die Schaffung zusätzlicher Verkehrsinfrastruktur nötig und zieht zusätzlichen Verkehr und zusätzliche Bodenversiegelung mit den ihnen immanenten Lärm- und Stoffemissionen nach sich. Es bildet sich in wechselseitiger Verstärkung eine Entwicklung zu mehr Verkehrswachstum und Siedlungsflächenausdehnung. 167 Namentlich gefordert wird eine „schrittweise Rückführung der jährlich zusätzlich in Anspruch genommenen Flächen auf Null bis zum Jahr 2010, das heißt vom Jahr 2010 an sollten keine Neubelegungen, sondern nur noch Nutzungsänderungen stattfinden." 168

5. Die Forderung des ökologischen Planens und Bauens nach einem Vorrang der Innenentwicklung vor einer Freirauminanspruchnahme 169 a) Vorrang der Innenentwicklung Die Erkenntnis der Begrenztheit des Raumes und die Bedeutung des Freiraumschutzes haben in der Bundesrepublik in immer stärkerem Maße den Blick auf eine Optimierung der vorhandenen Siedlungsfläche gelenkt und die Forderung nach einem Vorrang der Ausschöpfung aller Möglichkeiten einer Bedarfsdeckung im Siedlungsbereich vor einer Inanspruchnahme von Freiraum laut werden lassen.170 Diese Forderung resultiert aus der Erkenntnis, daß der Freiraum ein knappes und unverzichtbares Gut mit wichtigen ökologischen Funktionen ist. 1 7 1 Die Verwirklichung von baulichen Nutzungen im Siedlungsraum läßt die Freiraumfunktionen unberührt bzw. bewirkt zumindest eine deutlich geringere Beeinträchtigung von Freiräumen 172, während bauliche Nutzungen im Freiraum dessen Bestand mindern und dessen Funktionen beeinträchtigen. Es ist festzustellen, daß in aller Regel die 167 Apel u. a., S. 47-49; ebs. BUND/Misereor, S. 75. 168 BUND/Misereor, S. 77. 169

Die Forderung kann auch als Teilforderung des „Bodenschutzes" bezeichnet werden (i.d.S. Brummer, in: Umweltministerium NRW, Grundfragen des Bodenschutzrechts, 1992). Sie wird hier als Teilforderung des ökologischen Planens und Bauens dargestellt, da sie ihre Grundlage in einer ökologischen Betrachtung findet. 1 70 Tamm, S. 30: „Verdichtung der Stadträume durch intensivere Nutzung der Grundstücke und Gebäude, die Revitalisierung brachliegender Flächen ..."; Krusche/Althaus/Gabriel u. a., S. 27, sprechen insoweit von der Notwendigkeit der „Rekultivierung" vorhandener Bebauung. Zu jener Zeit war der Begriff der Innenbereichsentwicklung noch nicht geprägt.; Appold, S. 179, spricht in raumplanerischer Hinsicht davon, daß die Darstellung von Siedlungsfunktionen in Freiraum nur zulässig sein dürfe, wenn „innerhalb des Siedlungsraums keine Flächen mehr zur Verfügung stehen"; von Weizsäcker/Lovins/Lovins, S. 168: „Verdichtung statt Zersiedelung". 17 1 Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zur allgemeinen Bedeutung der Freiräume insbesondere für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verwiesen werden. 1 72 So mag zwar eine Anlage sowohl in den Siedlungsraum als auch in den Freiraum emittieren, jedoch verbraucht sie dort nicht das Gut Boden.

62

Α. Einleitung

Umsetzung von Bauvorhaben im bereits besiedelten Raum die natürlichen Ressourcen weitaus weniger in Anspruch nimmt als eine Bebauung des Freiraums. Die Umsetzung von Bauzwecken im Siedlungsbereich ist in aller Regel mit einer geringeren Umweltbelastung gegenüber einer Umsetzung im Freiraum verbunden. Unter anderem können im Siedlungsraum vorhandene Gebäude (sei es auch durch Ausbau, Erweiterung, Umnutzung etc.), Verkehrsanlagen (sowohl für ruhenden als auch fließenden Verkehr), Versorgungsanlagen für Wasser, Strom, Wärme, Telekommunikation und Entsorgungsanlagen für Abwasser genutzt werden und müssen nicht neu angelegt werden, bzw. es bedarf nur unerheblicher Ausbaumaßnahmen. M.a.W. kann die gesamte vorhandene technische und soziale Infrastruktur des Siedlungsbereichs meistens ausgenutzt und muß nur selten neu geschaffen werden. 173 Hingegen müssen im Freiraum in der Regel die genannten Anlagen erst errichtet werden, da der Freiraum definitionsgemäß gerade nicht durch solche Anlagen geprägt ist. Es entspricht somit grundsätzlich dem Ziel ökologischen Planens und Bauens, durch Innenentwicklung anstelle von Freirauminanspruchnahme Umweltbelastungen zu minimieren und sparsamer und schonender mit Ressourcen umzugehen. Die Forderung nach einem Vorrang der Bedarfsdeckung im Siedlungsraum ist als Teilforderung der allgemeineren Forderung ökologischen Planens und Bauens auf eine möglichst weitgehende Vermeidung und Verringerung von Umweltbelastungen und einen verantwortlichen Umgang mit Ressourcen gerichtet. Sie ist eine besonders wichtige Forderung des ökologischen Planens und Bauens, weil ein fortschreitender Verbrauch des nicht vermehrbaren Gutes Freiraum die Funktionsfähigkeit der natürlichen Lebensgrundlagen und damit langfristig gar das Überleben der Menschheit gefährden könnte.

b) Konkretisierung:

Grundsätzlicher

Vorrang

Die Forderung einer vorherigen Ausschöpfung der Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung im Siedlungsbereich wäre in Gestalt eines ausnahmslosen Vorrangs im Einzelfall sachwidrig und wird in dieser absoluten Strenge im übrigen auch nicht erhoben. Mag auch im Regelfall die ökologische Bedeutung von Freiraumflächen diejenige von Flächen des Siedlungsraumes überwiegen, so kann doch im Einzelfall die Inanspruchnahme von Freiraumflächen geringere Umweltbelastungen hervorrufen als bestimmte Formen der Innenentwicklung.174 Dies gilt praktisch nur 173 Kapinsky/Kreisl,

S. 8.

1 74 Bsp.: Während in einem Gemeindegebiet eine Baulücke im Siedlungsbereich als Frischluftschneise und Artenrefugium besonders hochwertig sein kann, mag der Freiraum im Einzelfall nur aus Kultursteppe ohne naturnahe Strukturen bestehen. In diesem Fall überwiegt die ökologische Bedeutung der Siedlungsfreifläche die ökologische Bedeutung der Freifläche, die ihr bereits kraft ihrer Eigenschaft als Freifläche zusteht (Eigenwert des Freiraums unabhängig von der ökologischen Beschaffenheit).

V. Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht

63

für die Baulückenbebauung, während Ruinengebäudeabriß, Umnutzung bzw. Wiedernutzung ungenutzten Bestandes einschließlich Ausbau und Aufstockung nur in seltenen Fällen zu einer Beeinträchtigung ökologisch schützenswerter Strukturen im Siedlungsraum führen können. Die Forderung nach einem Vorrang der Ausschöpfung der Nutzungsmöglichkeiten des Siedlungsraumes vor einer Inanspruchnahme des Freiraums für bauliche Zwecke ist daher dahingehend zu konkretisieren, daß dieser Vorrang nur für den Regelfall gilt.

c) Positive Nebeneffekte

eines Vorrangverhältnisses

Eine grundsätzlich vorrangige Ausschöpfung von Optimierungsmöglichkeiten im Siedlungsbereich kann auch aus anderen ökologischen Aspekten vorteilhaft erscheinen. So bedient eine vorrangige Baulückennutzung auch primär ökonomische, städtebaulich-gestalterische und sozialpolitische Aspekte. 175 Beispielsweise wirkt sich Innenentwicklung durch Baulückenbebauung und Ruinenbeseitigung auch in ästhetischer Hinsicht als Verbesserung des Straßen- und Ortsbildes aus. Die Unterbringung zusätzlicher Wohnungen und Menschen in Innenstädten führt zudem in ihrem Gefolge zumeist zu steigender Lebendigkeit, Urbanität 176 , vermehrten Dienstleistungsangeboten und Lebensqualität in Städten, die aufgrund der schleichenden Verdrängung von Wohnnutzung durch einträglichere Büroraumnutzung an „Verödung" leiden.

d) Zusammenfassung Aus dem Gedanken ökologischen Planens und Bauens ergibt sich (unter anderem) die Forderung nach einem grundsätzlichen Vorrang der Innenentwicklung vor der Freirauminanspruchnahme.

V. Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht 1. Allgemeines Ob und gegebenenfalls inwieweit die Rechtspraxis der Forderung ökologischen Planens und Bauens nach einem grundsätzlichen Vorrang der Innenentwicklung entspricht, bedürfte genauerer Untersuchung, die bislang nicht vorliegt. Als bedeu175 Kapinsky/Kreisl, S. 26 f. 176 Städtische Atmosphäre (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1622).

64

Α. Einleitung

tende Untersuchung eines Teilaspektes dieser Fragestellung ist die Studie Dieterichs 177 aus dem Jahre 1981 hervorzuheben, die jener im Auftrag des Bundesbauministeriums erstellte. Sie befaßte sich mit dem ungenutztem Baulandpotential in Siedlungsbereichen und wies zu Zeiten einer expansiven Freirauminanspruchnahme eine durchschnittliche Baulückenreserve von 9,9% im Siedlungsbereich aus. Eine bislang noch ausstehende aktuelle Untersuchung des Verhältnisses von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme dürfte sich nicht auf die Baulükkenfrage beschränken, sondern müßte umfassend die Ausschöpfung auch sonstiger Optimierungsmöglichkeiten untersuchen. Sie müßte das Schwergewicht der Untersuchung auf das Optimierungspotential in den neuen Bundesländern legen, weil hier das Vorliegen eines ungleich größeren Optimierungspotentials, insbesondere in Gestalt von Baulücken, Ruinengelände und Leerstand, evident ist. 1 7 8 Auch ohne genauere statistische Untersuchung ist unübersehbar, daß in den Städten und Dörfern der neuen Bundesländer ein gewaltiges Optimierungspotential für die Innenentwicklung vorhanden und ein Vorrangverhältnis zugunsten der Innenentwicklung vor der Freirauminanspruchnahme nicht erkennbar ist. Zwar wird durchaus mancherorts eine stärkere bauliche Ausnutzung des Siedlungsbereichs bauleitplanerisch vorangetrieben, jedoch kann von einer Praxis der vorrangigen Ausschöpfung der Möglichkeiten der Bedarfsdeckung im Siedlungsraum vor der Freirauminanspruchnahme keine Rede sein. Für die zurückliegenden Jahre muß zumindest für die neuen Bundesländer sogar davon ausgegangen werden, daß Flächenbedarf vorrangig im Freiraum gedeckt wurde. Es kann daher von einem faktischen Vorrang der Freirauminanspruchnahme vor der Innenentwicklung in den neuen Bundesländern die Rede sein. Auch in den alten Bundesländern kam es weder in den achtziger noch in den neunziger Jahren zu der - mit dem im Jahre 1986 in Kraft getretenen Baugesetzbuch erhofften - „Trendwende im Landschaftsverbrauch" durch Innenentwicklung.

177 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Fallstudien zum Baulandpotential für städtischen Lücken-Wohnungsbau, Schriftenreihe »Städtebauliche Forschung', Heft 3, 1981. S. auch: Dieterich u. a., Baulücken nutzen - wie und warum?, Dortmund 1984; Schmidt-Eichstaedt, Schließen von Baulücken, Arbeitsblätter zur Aktivierung vorhandenen Baulands, Berlin 1985; Dieterich u. a., Wirkungsforschung zur Baulückenbebauung, Bonn-Bad Godesberg 1991. 178 Die Bautätigkeit der ersten Jahre nach dem Beitritt der neuen Länder mag zwar viel Optimierungspotential genutzt haben, hat jedoch bei weitem nicht zu einer völligen Ausschöpfung des gesamten Potentials geführt. Gerade in den neuen Bundesländern ist trotz dieses evident großen Optimierungspotentials eine expansive Freirauminanspruchnahme durch Neubaugebietsausweisungen von Gewerbe-, Industrie und Wohngebieten zu verzeichnen, während im Siedlungsraum Möglichkeiten der Innenentwicklung weitgehend nur in den Zentren der Städte genutzt werden. So ist insbesondere in stadtnahen Randlagen und stadtnahen Dörfern das Phänomen des Entstehens großer Neubaugebiete bei gleichzeitiger Vernachlässigung der baulichen Nutzungen im Ortskern zu beobachten. Soweit bisweilen gleichwohl bezweifelt wird, daß erhebliches Optimierungspotential in den Siedlungsräumen vorhanden ist, mag diese Aussage zwar für viele Städte und Gemeinden der alten Bundesländern zutreffen, ist jedoch offenkundig unzutreffend hinsichtlich der Situation in den neuen Bundesländern.

V. Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht

65

Im folgenden sollen die zahlreichen Faktoren aufgezeigt werden, die das Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht maßgeblich beeinflussen. 179 Diese Faktoren wirken in vielfältiger Weise aufeinander ein und sind in ihrer Summierung für den hohen Freiraumverbrauch und die demgegenüber geringe Ausschöpfung des Optimierungspotentials im Siedlungsraum ursächlich. Sie stehen in engem Bezug zu dem allgemeineren Problem des Völlzugsdefizits im Umweltschutzrecht. 180

2. Bebauungsdruck An erster Stelle wird das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung vom bestehenden Bebauungsdruck bestimmt. Hierunter versteht man das Maß, in dem sich öffentliche oder private Bauwünsche auf eine Fläche bzw. ein Gebiet richten. Der Bebauungsdruck auf den Freiraum ist je nach Region stark unterschiedlich hoch, muß jedoch insgesamt als hoch bezeichnet werden. 181 In den großen Verdichtungsräumen herrscht die vierfache Ansiedlungsintensität im Vergleich mit ländlich strukturierten Räumen. 182 Räume mit einem besonders hohen Bebauungsdruck sind etwa in Sachsen-Anhalt das Umland der Wirtschaftszentren Halle, Merseburg und Magdeburg. Hingegen ist der Bebauungsdruck in der Mehrzahl ländlicher Räume weitaus geringer. 183 Während Anfang der neunziger Jahre vor allem der erhebliche zusätzliche Wohnraumbedarf infolge der sich aus dem Beitritt der neuen Länder ergebenden Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt (Bevölkerungswanderungen, steigende Ansprüche an Wohnraumqualität und -fläche etc.) befriedigt werden mußte und dort zu einem „Bauboom" insbesondere in den Städten und dem stadtnahen Umland führte, ist nunmehr zumindest die Nachfrage nach Mietwohnraum und -büroräumen in neuen Bundesländern erheblich zurückgegangen. Erste Leerstände von Büroraum, aber auch von Mietraum und nachlassende Mietpreise sind die Folge. Ohne die weitere Entwicklung im einzelnen schon abschätzen zu können, ist je17 9 Mißverständlich ist Sening, in: Rosenkranz/Bachmann/Einsele/Harreß 0510 S. 1, wenn er zunächst lediglich die „hinter den einzelnen Fachgesetzen liegenden Grundstrukturen, die den Raumverbrauch begünstigen" als Ursache des anhaltenden Landschaftsverbrauchs ausmacht und damit ein auf die Rechtsnormen verkürztes Modell der Ursachen entwirft, gleichwohl aber sodann auch die Bedeutung psychologischer Aspekte wie „eingefahrene Betrachtungsweisen" würdigt. 180 Hierzu etwa, Schink, Vollzugsdefizite im Umweltschutzrecht, ZUR 1993, S. 1 ff.; Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme in der Umweltverwaltung, NuR 1993, S. 376 ff.

181 Die Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) rechnet für die Zeit von 1991 bis 2010 mit einem Anwachsen der Bevölkerung des Bundesgebietes um 5 Millionen Menschen sowie einem Wohnbaulandbedarf von 370.000 ha, hiervon 80% für Einund Zweifamilienhäuser (BT-Drucksache 13/6384, S. 2). 182 Leidig, S. 310. 183 Zum Phänomen der Suburbanisierung s. bereits zuvor A. II. 2. 5 Franz

66

Α. Einleitung

denfalls erkennbar, daß auch das in den Aufbaujahren entstandene Angebot an zusätzlichem Mietraum in den Städten der neuen Bundesländern nicht zu einem völligen Wegfall des Bebauungsdrucks auf das städtische Umland führen wird. Nach wie vor wird der Eigenheimbau in stadtnahen Lagen eine hohe Attraktivität behalten. Dies gilt um so mehr, als die Kaufanreize für Eigenheime zur Zeit besonders hoch sind, da die durchschnittlichen Bauzinsen mit derzeit etwa 6% einen neuen Tiefstand erreicht haben und die Preise für Eigenheime gegenüber dem Vorjahr um rund 5% nachgegeben haben. 184

3. Schwierigkeiten der Innenentwicklung a) Rechtliche Schwierigkeiten Ist schon die Bauleitplanung an sich als schwierige Rechtsmaterie zu bezeichnen, so gilt dies in besonderem Maße für die der Innenentwicklung dienende Bauleitplanung. Zum einen liegt dies an der Komplexität und Schwierigkeit der rechtlichen Vorgaben für eine Innenentwicklung selbst. Zum anderen sind jedoch die Vielzahl und der Schwierigkeitsgrad der sich in concreto stellenden Rechtsfragen eine Folge der zahlreichen widerstreitenden Nutzungsansprüche im Siedlungsraum. Es kann daher von einer besonderen rechtlichen Konfliktträchtigkeit der Innenentwicklung gesprochen werden. Während Innenentwicklung zumeist eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Belangen berührt, wirkt Freirauminanspruchnahme auf vergleichsweise weniger Belange ein. Die Individualinteressen sind oft auch Gegenstand von rechtlich geschützten Individualrechten. Die Gemeinde, die ihren Siedlungsraum optimieren will, muß bei der Durchsetzung von öffentlichen Interessen gegen Individualinteressen im Siedlungsraum daher in besonderem Umfang damit rechnen, daß die Betroffenen tatsächliche oder vermeintliche Rechte außergerichtlich oder mit Hilfe von Gerichten gegen Beschränkungen zu schützen suchen. Schwierigkeiten können sich insbesondere aus der fehlenden Bereitschaft von Grundstückseigentümern zur Ausnutzung von Baurechten ergeben, die ihnen im Rahmen von Innenentwicklung eingeräumt werden. In den neuen Bundesländern gab und gibt es zudem spezifische Rechtsprobleme, die in den Besonderheiten des nach dem Einigungsvertrag 185 anzuwendenden Sonderrechts und den allgemeinen Problemen der Herstellung der Rechtseinheit begründet liegen. Diese haben sich nachteilig auf die rechtstatsächliche Bedeutung gemeindlicher Innenentwicklung ausgewirkt und die tendenziell weniger problematische Außenentwicklung begünstigt. Ein hervorzuhebendes erhebliches Rechtsproblem bestand in den neuen Bundesländern in ungeklärten Eigentumsfraiw Β Η W- Β au sparkasse, Bauen und Wohnen, Heft 1 /1998, S. 27. 185 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31.8. 1990 (BGBl. II S. 889).

V. Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht

67

gen, die etwa städtebauliche Gebote aufgrund der Rechtsunsicherheiten über den richtigen Adressaten ver- bzw. behinderten. 186 Diese Rechtsprobleme sind aufgrund der Erledigung der Mehrzahl der Verfahren nach dem Vermögensgesetz187, dem Kommunalvermögensgesetz 188 und dem Vermögenszuordnungsgesetz 189 nunmehr überwiegend abgeschlossen und daher kein bedeutsames Hindernis der Innenentwicklung mehr. Ein fortbestehendes Rechtsproblem der neuen Bundesländer liegt in sog. ungetrennten Hofräumen, die nach Maßgabe des Bodensonderungsgesetzes190 und der Sonderungsplanverordnung 191 zu bereinigen sind. Die Anfangsprobleme noch nicht flächendeckend funktionsfähiger Β au Verwaltungen 192 und der Überlastung und Unordnung im Grundbuchwesen 193 können hingegen als im wesentlichen überwunden gelten.

b) Schwierigkeit

der planerischen Aufgabe in fachlicher Hinsicht

Es würde zu weit gehen, allein aufgrund der Verrechtlichung der Planung alle auftretenden Schwierigkeiten ausschließlich als Rechtsfragen zu begreifen. Neben den genannten Rechtsfragen sind im Rahmen der Innenentwicklung oftmals erhebliche Schwierigkeiten in fachlich-planerischer Hinsicht zu bewältigen. Die fachlich-konzeptionelle Aufgabe erweist sich angesichts der Konfliktbeladenheit von 186 Apel/Henckel u. a., S. 74. 187 Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) vom 23. 9. 1990 (BGBl. II S. 889, 1159), sodann i.d.F. vom 14. 7. 1992 (BGBl. II S. 1257) und vom 2. 12. 1994 (BGBl. I S. 3610). Das Gesetz regelt insbesondere private Eigentumsrückübertragungsansprüche (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG), aber auch Entschädigungs- und sonstige Ansprüche im Falle des Ausschlusses einer Rückübertragung (vgl. etwa § 9 VermG). 188 Gesetz über das Vermögen der Gemeinden, Städte und Landkreise (Kommunalvermögensgesetz -KVG) vom 6. 7. 1990 (GBl. DDR I S. 660). 189 Gesetz über die Feststellung der Zuordnung von ehemals volkseigenem Vermögen (Vermögenszuordnungsgesetz - VZOG) i.d.F. vom 3. 8. 1992 (BGBl. I S. 1464). 1 90 Gesetz über die Sonderung unvermessener und überbauter Grundstücke nach der Karte (Bodensonderungsgesetz - B0S0G) vom 20. 12. 1993 (BGBl. I S. 2182). 191 Sonderungsplanverordnung (SPV) vom 2. 12. 1994 (BGBl. I S. 3701). Die schleppende Umsetzung von Bodensonderungsgesetz und Sonderungsplanverordnung führte bereits zu Versuchen, die Regelungen im Beitragsrecht durch Fiktionen klarer Eigentumsverhältnisse zu umgehen (Vgl. Franz, Ausbaubeiträge für ungetrennte Hofräume und Wohngrundstücke nach den neuen §§ 6b und 6c SachsAnh KAG, LKV 1998, S. 53 ff.). 192 Ein spezifisches Problem der Gemeinden der neuen Bundesländer lag darin, daß diesen naturgemäß Erfahrung in der Anwendung des schwierigen Bauplanungsrechts der Bundesrepublik fehlte. Eine kommunale Planungshoheit mit dem Grundmodell der Flächennutzungsund Bebauungsplanung war erst wenige Monate vor dem Beitritt wiedereingeführt worden (s. oben Α. V. 3.). Dieser Mangel konnte durch die Übernahme von erfahrenen Führungskräften aus Β au Verwaltungen der alten Bundesländer nur zum Teil ausgeglichen werden. Er dürfte die Zurückhaltung bei der planerisch und rechtlich schwierigen Aufgabe der Innenentwicklung begünstigt haben. 193 Vgl. Krautzberger, 51

WiVerw 1991, S. 120.

68

Α. Einleitung

Nutzungen in verdichteten Siedlungsräumen erfahrungsgemäß als schwierig. Die Planung von Innenentwicklung ist gegenüber einer Planung eines Neubaugebietes auf der „grünen Wiese" eine weitaus anspruchsvollere planerische Aufgabe. Es bedarf insoweit hinreichend geschulter und erfahrener Planer. Insgesamt erfordert die Planung von Stadtinnenentwicklung verglichen mit der Planung von Neuerschließungen von Baugebieten in der Peripherie ein Mehr an Planung. 194 Dies allein kann davon abschrecken, in die Planung einer Innenentwicklung einzutreten.

c) Höhere Kosten der Innenentwicklung für die Gemeinde Gemeinden schrecken oft vor den vergleichsweise höheren Kosten einer Unterbringung von Flächenbedarf im Siedlungsraum zurück. Schwierige und dadurch langwierige Planung ist zumeist auch kostenintensive Planung. Der zeitliche Mehraufwand resultiert aus der regelmäßig schwierigeren Einbindung neuer Nutzungsinteressen bzw. deren Ausweitung in ein bestehendes komplexes System von bestehenden Nutzungsinteressen im Siedlungsraum. Die hohe Dichte und Komplexität erschwert die Handhabung und führt zur Konfliktanfälligkeit der Änderung bestehender Verhältnisse. Auch können im Einzelfall beachtliche Kosten für eine Wiedernutzung brachliegender Flächen und mögliche Entschädigungszahlungen wegen nachträglicher Änderungen bestehender Baurechte 195 erforderlich werden, um ein Innenentwicklungskonzept umzusetzen.196 Ebenso kann die Furcht vor Schadensersatzansprüchen wegen nicht sachgerechter Überplanung von Altlasten Gemeinden die Innenentwicklung verleiden. Die zum Teil desolate Situation von Gemeindehaushalten begrenzt in einem nicht zu unterschätzenden Maße die Gestaltungsmöglichkeiten der Gemeinde bei der Umsetzung von Forderungen ökologischen Planens und Bauens im Siedlungsbereich. In Zeiten angespannter Haushaltslage können wenig oder keine Subventionen 197 für Innenentwicklung gezahlt werden und fehlt das Geld für eine aktive Flächenhaushaltspolitik durch Flächenankauf im Siedlungsraum. Bestimmt allein die Dringlichkeit den Mitteleinsatz, so hat die Erfüllung wichtiger gesetzlicher Pflichtaufgaben, etwa in Gestalt der Errichtung unbedingt erforderlicher Anlagen der Abwasserbeseitigung oder Wasserversorgung, Vorrang vor einer Subventionsvergabe im Rahmen einer Innenentwicklung. Bebauungspläne, deren besondere Wichtigkeit im Rahmen der Innenentwicklung noch darzulegen sein wird, werden auf Grund erheblicher Kosten für Planung, Erschließungsaufwand 198 und eventuell zur Planverwirklichung erforderlichem 194 So von Grot/ Kunst/Raabe/Sander, S. 193. 195 Vgl. §§39-44 BauGB. 196 Von Grot /Kunst/Raabe/Sander, S. 193. 197 So etwa Mittel für die Baulückennutzung, für Dachgeschoßausbau oder die Förderung ökologischer Wohnsiedlungen. Siehe hierzu i.e. unten Teil E.

V. Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht

69

Flächenankauf nur sehr zurückhaltend erlassen. Für die städtebauliche Entwicklung folgt dies schon aus der im Regelfall bestehenden Erwerbspflicht des § 166 Abs. 3 Satz 1 BauGB für die Grundstücke im festgelegten Entwicklungsbereich.

d) Höhere Kosten der Innenentwicklung für Vorhabenträger Ob im Einzelfall eine Befriedigung von Bedarf im Siedlungs- oder im Freiraum für den Vorhabenträger kostengünstiger ist, hängt von zahlreichen Umständen ab. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, daß im Regelfall die Umsetzung derselben Bauzwecke für den Vorhabenträger im Freiraum deutlich billiger als im Siedlungsraum ist. Die Gründe hierfür liegen in den durchschnittlich höheren Flächenerwerbs-, Bau- und Nebenkosten im Siedlungsraum. 199

e) Ökologische Bedeutung potentieller Innenentwicklungsflächen Einer Ausschöpfung sämtlicher sich in baufachlicher Hinsicht bietenden Möglichkeiten der Innenentwicklung steht bisweilen der ökologische Wert der für eine Optimierung in Betracht kommenden Flächen im Siedlungsbereich entgegen. So haben etwa unbebaute Grünflächen im Siedlungsbereich u.U. wichtige ökologische Funktionen zur Verbesserung des Klimas als Frischluftschneise oder Naherholungsflächen. Derartige Flächenfunktionen können einer Innenentwicklung entgegenstehen.200

198 Gem. § 129 Abs. 1 S. 3 BauGB trägt die Gemeinde mindestens 10 Prozent des beitragsfähigen Erschließungsaufwands. 199 Soll die Innenentwicklung z. B. zum Flächenerwerb Bauwilliger führen, kann auch die Gemeinde nichts daran ändern, daß der Β au willige für Grundstücke im Siedlungsraum weitaus höhere Bodenpreise als im Freiraum zahlen muß (vgl. etwa § 169 Abs. 8 S. 1 BauGB). Sonstige Gründe für eine wesentlich teurere Verwirklichung eines vergleichbaren Vorhabens im Siedlungsraum sind u. a. bisweilen erforderliche AbStützungen von Nebengebäuden, besondere Genehmigungen für das Parken von Baufahrzeugen und Sperren von Straßen, oftmals kostenintensive Denkmalschutzauflagen im Falle von Sanierungen, der meist schwierigere und damit teurere Einsatz von schwerem Baugerät im Siedlungsbereich, die meist aufwendigeren und damit teureren Vorkehrungen zum Schutz von Personen und Sachen beim Bauen im Siedlungsbereich wie etwa bauliche Sicherungen vor herabstürzenden Teilen, die hohen Kosten für Abriß von Ruinen- oder Minderbebauung und für die Deponierung von Bauschutt, die Rücksichtnahme auf bekannte oder überraschend entdeckte Leitungswege. Baumaßnahmen im Zentrum alter Städte führen überdies nicht selten zur Freilegung von Kulturdenkmälern. Ein Baustopp der Denkmalschutzbehörde und eventuelle Auflagen können zu erheblichen Mehrkosten und im Extremfall gar zur Gefährdung der Finanzierung des Vorhabens führen. Hingegen sind bei einer Vorhaben Verwirklichungen im Freiraum derartige Probleme bzw. Kosten weitaus weniger wahrscheinlich. 200 Vgl. § ι Abs. 1 BNatSchG, wonach das Naturschutzrecht gebietet, Natur und Landschaft auch im besiedelten Bereich zu schützen.

70

Α. Einleitung

f) Probleme der Verdrängung

rechtlich ungesicherter Nutzungen

Schließlich kann Innenentwicklung auch in Konflikt mit rechtlich nicht gesicherten Nutzungen von solchen Flächen geraten, die für Maßnahmen der Innenentwicklung in Betracht kommen. Wird etwa ein im Eigentum der Gemeinde stehendes Baulückengrundstück ohne deren Billigung über einen langen Zeitraum als Bolz- oder Spielplatz genutzt, kann die Planung einer baulichen Nutzung dieser Fläche erhebliche Widerstände in der Bevölkerung des Ortsteiles hervorrufen. Auch die rechtswidrige Inbesitznahme von Ruinengebäuden oder leerstehendem sanierungsbedürftigem Bestand kann die Durchsetzung von Maßnahmen der Innenentwicklung behindern.

4. Psychologische Aspekte a) Psychologie des Wachstums Noch immer ist das Denken der Gesellschaftsmehrheit von einer „Psychologie des Wachstums" geprägt. So wird derzeit weithin ein geringes Wirtschaftswachstum als negativ bzw. ungenügend empfunden. Hingegen sind das Errichten von baulichen Anlagen, Siedlungsbau, der wirtschaftliche Erfolg und das „Aufbauen" schlechthin positiv besetzt. Der Verzicht auf Bebauung und die Beschränkung von (Bau-)Wünschen werden demgegenüber tendenziell negativ bewertet und gelten eher als fortschrittsfeindlich. Zwar führte insbesondere der bereits genannte Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums" und die hieran anschließende Wachstumsdiskussion zu einem kritischeren Umgang mit dem bis dahin kaum hinterfragten Ziel ständigen Wirtschaftswachstums, jedoch ist diese Auseinandersetzung infolge der drängenden wirtschaftspolitischen Probleme der Bundesrepublik wie Massenarbeitslosigkeit und hoher Staatsverschuldung in den Hintergrund geraten und ein hohes Wirtschaftswachstum wird in der Tagespolitik wieder zum wichtigen politischen Ziel erklärt. Die seit der genannten Umweltkonferenz in Rio de Janeiro in der politischen Diskussion häufige Verwendung des Begriffs der Nachhaltigkeit hat ebenfalls nicht zum Wandel von einem Wachstums- zu einem Gleichgewichtsdenken geführt. Trotz bisweilen kritischen Umgangs mit dem Ziel eines ständigen Wirtschaftswachstums ist nicht zu verkennen, daß die Wachstumsdiskussion aufgrund ihrer Abstraktheit und Globalität ihren Schwerpunkt auf literarischer Ebene hatte und kaum Eingang in die konkrete politische Auseinandersetzung in der Bundesrepublik fand. Dies gilt in besonderer Weise für die Ebene der Gemeinden, die naturgemäß vor allem ihre örtliche Perspektive im Auge haben und weniger nationale oder gar globale Entwicklungen in ihre Konzeption von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung einbeziehen. Systemimmanent spielen hier übergreifende ökologische Zusammenhänge eine schwächere Rolle als örtliche Wirtschaftsinteressen (negative Fokussierung).

V. Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht

71

b) Prägung durch das bisherige Leitbild Für die Stadtentwicklung der sechziger und siebziger Jahre bis zur Mitte der achtziger Jahre war eine intensive Flächeninanspruchnahme und Zunahme des Siedlungsbereichs charakteristisch. Nach einer eher auf theoretischer Ebene postulierten denn auf lokaler Ebene wirksamen „Trendwende im Landschaftsverbrauch" in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre war die erste Hälfte der neunziger Jahre wiederum durch eine stark expansive Flächeninanspruchnahme und Wachstumsstreben geprägt. 201 Dies hat bei der auf gemeindlicher Ebene meist maßgeblichen älteren Generation der Entscheidungsträger in Gemeinderäten und Gemeindeverwaltungen das Leitbild der Befriedung des Flächenbedarfs durch Ausweisung von Bauland in den Randlagen der Städte gefestigt. 202 Der Umstand, daß dieses Vorgehen gleichsam „routinisiert" 203 ist, d. h. einem eingeübten Verhaltens- und Verfahrensrepertoire von Politik und Verwaltung entspricht" 204 , ist psychologisch von großer Bedeutung. Hieran hat auch eine gewisse geringfügige Sensibilisierung hinsichtlich der Baulückenfrage nichts geändert. Aufgrund der starken Orientierung des Menschen am Hergebrachten, tatsächlich oder scheinbar Bewährten hat sich das Leitbild der Befriedigung von Bauwünschen „auf der grünen Wiese" festgesetzt.

c) Fixierung auf das Hier und Jetzt Während die Prinzipien des ökologischen Planens und Bauens die langfristigen Auswirkungen des menschlichen Handelns untersuchen, ist der kommunale Mandatsträger, der über die Inanspruchnahme von Freiraum für bauliche Zwecke zu entscheiden hat, naturgemäß primär auf das erlebbare Hier und Jetzt fixiert. 205 Es entspricht der Natur des Menschen, vor allem die für ihn erfahrbaren Folgen seines Tuns zur Grundlage seiner Betrachtung zu nehmen und sich weniger von den Folgen für spätere Generationen beeinflussen und leiten zu lassen 206 , zumal diese auch schwieriger abzuschätzen sind als kurzfristig eintretende und erlebbare Folgen. Dies führt im Ergebnis zur Vernachlässigung der sich aus den Prinzipien des ökologischen Planens und Bauens ergebenden Langzeitverantwortung. 201

S. o. zu Landschaftsverbrauch A. II 2. I.d.S. auch Sening, in: Rosenkranz/Bachmann/Einsele/Harreß, 0510 S. 2, der die „bisher kaum erkannte Chance für eine Trendwende beim Raumverbrauch" durch eine „Korrektur raumverbrauchswirksamer Betrachtungsweisen" hervorhebt. 203 Kapinsky/Kreisl, S. 5. 202

2

04 Kapinsky/Kreisl, S. 5. 205 Ähnlich Buchner, S. 644: „Staat und Gesellschaft neigen dazu, in den Tag hineinzuleben. Tagespolitik verlangt den Tageserfolg. Die Diskontinuität der Legislaturperioden tut ein übriges." 206 I.d.S. auch Weber, S. 77, der das Beispiel des Verkehrspolitikers, der bei der Entscheidung über den Bau einer Autobahn durch ein Waldgebiet „kaum über die nächste Wahlperiode hinaus" denke.

72

Α. Einleitung

d) Fixierung auf das Gemeinde gebiet Die Gemeinde bzw. die Entscheidungsträger der Gemeinde konzentrieren sich bei der Bauleitplanung naturgemäß auf die Nutzung des Gemeindegebietes, wie dies im übrigen auch dem gesetzlichen Auftrag der Bauleitplanung entspricht. 207 Zwar hat die Gemeinde auch ihre Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen208 und ihre Bauleitpläne mit denen benachbarter Gemeinden abzustimmen 2 0 9 , jedoch werden ökologische Wechselwirkungen zwischen der Bebauung des Gemeindegebietes und dem es umgebenden Raum auf Grund dieser Fixierung tendenziell unterbewertet. Das Entstehen eines ökologischen Raumbewußtseins der Gemeinden wird vor diesem Hintergrund eher behindert. 210 Vielmehr dürfte die gemeindliche Betrachtung der Verhältnisse in den Nachbargemeinden vor allem auf das zu beobachtende interkommunale Konkurrenzdenken bezüglich der Ausweisung neuer Bauflächen bestimmt sein. 211

e) Umweltbewußtsein Das Umweltbewußtsein der gemeindlichen Entscheidungsträger im weiteren Sinne, seien es die Gemeinderäte, die über die planungsrechtliche Begründung von Baurechten im Freiraum und über Innenentwicklung zu entscheiden haben, oder die Gemeindebediensteten, die mit der Ausarbeitung von konkreten städtebaulichen Konzeptionen und Planentwürfen beauftragt sind, ist in hohem Maße für die Umsetzung von gesetzlich positivierten Forderungen ökologischen Planens und Bauens relevant. Fehlendes Bewußtsein bzw. Kenntnis und Sensibilität der Bedeutung ökologischer Zusammenhänge wirkt sich nachteilig auf den Freiraumschutz und die Innenentwicklung aus. Das vorgenannte Wachstumsdenken, die Prägung durch das bisherige Leitbild und Fixierung auf die eigene Lebenszeit sind wichtige das Umweltbewußtsein mitgestaltende Faktoren. Daneben sind vor allem materieller Wohlstand, die öffentliche Meinung zur Wirtschaftslage und Art und Umfang der Vermittlung ökologischer Zusammenhänge durch die Schule, im Beruf und in den Medien von ent-

207 Vgl. § ι Abs. 1 BauGB. „Aufgabe der Bauleitplanung ist es, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe dieses Gesetzbuchs zu leiten." 208 Vgl. § 1 Abs. 4 BauGB. 209 Vgl. § 2 Abs. 2 BauGB. 210 Ähnlich auch Buchner, S. 645, der meint, Raumbewußtsein sei weder leicht zu wecken, noch ließe es sich „dekretieren". 211 Ähnl. Bunzel, S. 591; vgl. auch Apel/Henckel u. a., S. 200, zur gemeindlichen Kooperation in der Flächenausweisung: „Es hat sich jedoch gezeigt, daß bei zunehmender Flächenknappheit und zunehmender Konkurrenz der Gemeinden sowohl in der Abwehr unerwünschter Nutzungen als auch bei der Akquisition erwünschter Ansiedlungen eine Einigung in der Regel nur noch auf dem kleinsten geminsamen Nenner möglich ist."

V. Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht

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scheidender Bedeutung für den jeweiligen Stand des Umweltbewußtseins. Fehlendes Umweltbewußtsein wird als eine wichtige Ursache des sog. Vollzugsdefizits von Umweltschutzrecht angesehen.

5. Probleme, die sich aus Stellung und Funktion der Gemeinderäte ergeben a) Beeinflussung durch Interessenvertreter Die sich insbesondere auf das städtische Umland richtenden Bauwünsche münden in zahlreichen Versuchen der Einflußnahme auf kommunale Mandatsträger durch Lobbyisten und sonstige Private. Hoher Bebauungsdruck führt nicht nur zu massiven Beeinflussungsversuchen der Gemeinderäte, sondern auch der Planer in der Verwaltung. 212 Diese Beeinflussungsversuche reichen von der Ausübung öffentlichen Drucks etwa durch die sich insbesondere in Medien ausdrückende öffentliche Meinung bis hin zur Bestechung.

b) Interessenlage der kommunalen Mandatsträger Die kommunale Alltagspolitik ist zum einen auf kurzfristige, für die Wähler erfahrbare Erfolge programmiert, zum anderen von einem Selbstverständnis der Mandatsträger bestimmt, die sich vorrangig als Interessenvertreter ihrer Wählerklientel und weniger als gesetzesvollziehende Verwaltung verstehen. Die Gemeinderäte laufen nicht selten Gefahr, die ihnen zugedachte Rolle als unabhängige, auf das Allgemeinwohl verpflichtete Mandatsträger zugunsten einer einseitigen Interessenwahrnehmung zu verlieren. Die bereits angesprochene Konfliktträchtigkeit von bauleitplanerischer Innenentwicklung gefährdet die politische Durchsetzbarkeit der Optimierung selbst. U.U. erforderliche Zwangsmaßnahmen sind erfahrungsgemäß politisch schwer durchsetzbar, so daß eher die Neigung bestehen dürfte, vorhandene Optimierungskonzepte aufzugeben, wenn mit einem starken Widerstand zu rechen ist bzw. dieser stärker als erwartet ist. Im Regelfall ist die Innenentwicklung zumindest ein politisches Wagnis für die politische Führung der Gemeinde.213 212 Püttner, § 19 2. 213 Gemeindevertreter, welche Grundsätze ökologischen Planens und Bauens vertreten, stehen in der politischen Diskussion in der Gemeinde oder Stadt noch immer in der Gefahr, vom politischen Gegner als entwicklungs- und technikfeindlich, kurz als rückschrittliche Verhinderer einer auf schnellen wirtschaftlichen Erfolg orientierten Bevölkerung, dargestellt zu werden. Vor dem Hintergrund dieser Gefahr einer entsprechenden Stigmatisierung durch den politischen Gegner und dem herrschenden wachstumsorientierten Denken, erweist sich die Freirauminanspruchnahme als politisch meist opportuner Weg des geringsten Widerstands. Nur in beschränktem Umfang sind die langfristig positiven ökonomischen Aspekte einer In-

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Α. Einleitung

Von besonderer Bedeutung ist schließlich, daß Gemeinderäte oft ein eigenes wirtschaftliches Interesse an einer Bebauung des Freiraums haben. Insoweit kommen höchst vielfältige Interessenlagen in Betracht. So kann etwa ein Gemeinderatsmitglied im geplanten Baugebiet ein Grundstück besitzen und dieses bebauen oder zum Baulandpreis verkaufen wollen, er kann als selbständiger Gewerbetreibender oder Angehöriger eines höheren Berufs ein Interesse an der Belebung der Nachfrage nach seinen Leistungen durch oder infolge der baulichen Nutzungen im Freiraum haben - auch kann der Betreffende ζ. B. auf einen Arbeitsplatz in einem Unternehmen hoffen, das im Freiraum errichtet werden soll. Aufgrund einer solchen Interessenlage kann er Einfluß auf andere Gemeinderäte nehmen, damit diese beim Satzungsbeschluß zugunsten einer Schaffung von Baurechten stimmen. Das kommunal verfassungsrechtliche Mitwirkungs verbot 214 schützt vor derartigen Beeinflussungsversuchen nur unzureichend. Es verbietet lediglich die Mitwirkung befangener 215 Mitglieder des Gemeinderates an der Beratung und Entscheidung des Gremiums über die Schaffung der Baurechte im Freiraum. Nicht erfaßt wird insbesondere die meist außerparlamentarische Einflußnahme im Vorfeld der Entscheidung oder die Einflußnahme aus dem Motiv freundschaftlicher Verbundenheit ohne nachweisbaren Vorteil.

c) Zeitliche und fachliche Überforderung

der Gemeinderäte

Die Bedeutung insbesondere der Bebauungsplanung für die Inanspruchnahme von Raum bedingt, daß sie intensiven rechtlichen Bindungen unterliegt. Die Schwierigkeit und Komplexität dieser Bindungen führte vor allem in der Vergangenheit zu einer hohen Fehleranfälligkeit von Bebauungsplänen. Der Gesetzgeber hat hierauf mit einer immer weitergehenden Durchbrechung des Nichtigkeitsdogmas reagiert, um die Bestandskraft von Bebauungsplänen zu erhöhen. 216 Die Fehnenentwicklung politisch vermittelbar. Während die finanziellen Interessen von lokalen Wirtschaftsunternehmen meist auch vom politischen Willen einer politischen Kraft innerhalb der Gemeindevertretung oder vom Gemeindevorstand getragen werden, fehlt es ökologischen Belangen zumeist an einer Lobby, die diese Interessen im Gemeinderat artikulieren würde. Hingegen stoßen die privaten Bauwünsche regelmäßig auf den politischen Willen von Gemeinderäten, die sich in der Öffentlichkeit publikumswirksam als Förderer der wirtschaftlichen Entwicklung darstellen können. 214 Vgl. etwa § 31 Abs. 1 Satz 1 GO LS Α. 215 Befangen sind nach Maßgabe der jeweiligen landesrechtlichen Ausformung des Mitwirkungsverbotes Gemeinderäte, denen die Entscheidung einen Vorteil bringt. Die Art des Vorteils wird landesrechtlich unterschiedlich konkretisiert, so wird etwa im Land SachsenAnhalt ein „besonderer Vorteil" (§31 Abs. 1 Satz 1 GO LS A) und im Land Hessen ein „unmittelbarer Vorteil" (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGO) verlangt. 216 Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung mit der Einführung des § 215 a BauGB im Rahmen des BauROG. Die Vorschrift bestimmt, daß alle Fehler, die nicht bereits nach §§ 214, 215 BauGB durch ein ergänzendes Verfahren heilbar sind, nicht zur Unwirksamkeit des Plans führen. Vgl. zu den §§ 214-215 a BauGB und zu deren Vorgeschichte: Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Vorbem. §§ 241 -216 Rdnr. 25 ff.

V. Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme in tatsächlicher Hinsicht

75

lerhäufigkeit ist nicht nur mit der Schwierigkeit der Materie an sich zu erklären, sondern auch maßgeblich damit, daß die über die Bebauungsplanung entscheidenden Gemeinderäte keinerlei Ausbildung betreffend die rechtlichen Bindungen der Bauleitplanung erhalten. Die Sachkompetenz des Gremiums stützt sich meist auf das Erfahrungswissen einzelner Räte und seltener auf Kenntnisse ausgebildeter Fachleute in Gestalt von Landschafts- und Städteplanern und Juristen. Lediglich bei den die Planung vorbereitenden Personen handelt es sich regelmäßig um Fachleute aus den Verwaltungen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei vor allem dem Leiter der Gemeindeverwaltung 217 zu, der in der Praxis oft den bestimmenden Einfluß auf die Entscheidung des Gemeinderates nimmt. Angesichts der fachlichen Überlegenheit der Gemeindeverwaltung und der Komplexität der Materie haben es die Gemeinderäte meist schwer, der ihnen gesetzlich zugewiesenen Führungs- und Leitaufgabe gerecht zu werden. 218

6. Hindernisse aufgrund der Struktur der Gemeindeverwaltungen In der Rechtswirklichkeit geht die Initiative für die Aufstellung von Bauleitplänen und anderen Maßnahmen zur Verfolgung städtebaulicher Ziele meist von der Gemeindeverwaltung aus. Angesichts der bereits erörterten relativen Schwierigkeit der Innenentwicklung gegenüber der Freirauminanspruchnahme wirken sich die derzeitige relativ schlechte Ausstattung der Gemeindeverwaltungen mit genügend qualifiziertem Fachpersonal nachteilig für die Bewältigung anspruchsvoller planerischer Aufgaben wie der Innenentwicklung aus.

7. Flucht in das Planungsvertragsrecht Die Mittelknappheit und der Spardruck der letzten Jahre führten vor allem in den Gemeinden der neuen Bundesländer zur ,flucht in das Planungsvertragsrecht" 219 anstelle der kostenintensiveren Bebauungsplanung. Planungsvertragsrecht läßt sich jedoch in der Regel nicht für Zwecke des Freiraumschutzes und nur beschränkt für solche der Innenentwicklung nutzbar machen, da diese Zwecke für Investoren naturgemäß finanziell unattraktiv bzw. weniger attraktiv sind. Im Rahmen von Planungsvertragsrecht sind allenfalls Teilaspekte der Innenentwicklung umsetzbar.

217 Je nach dem maßgeblichen Kommunalverfassungsrecht bei der Bürgermeisterverfassung der Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister oder im Rahmen der Magistratsverfassung der Gemeindevorstand bzw. Magistrat. 218 Püttner § 19 2.

219 Hierzu näher unten C. VII. 13.

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Α. Einleitung

Zusammenfassende Bewertung: Die sich wechselseitig beeinflussenden aufgezeigten Faktoren führen im Ergebnis dazu, daß ein den Forderungen ökologischen Planens und Bauens entsprechender grundsätzlicher Vorrang der Bedarfsdeckung im Siedlungsraum in der Praxis nicht besteht und zumindest in den neuen Bundesländern sogar von einem Vorrang der Freirauminanspruchnahme gesprochen werden kann.

Β. Stellung und Aufgaben der Gemeinde im Bereich des Bauwesens I. Verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinde 1. Planungshoheit als Ausfluß der Selbstverwaltungsautonomie Den Gemeinden wird durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG 1 das Recht gewährleistet, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben"2. Das Recht der Selbstverwaltung ist nur „im Rahmen der Gesetze" gewährleistet. Gemeindliche Selbstverwaltung ist damit nicht als unveränderlicher Bestand von Aufgaben gewährleistet, sondern ihr Inhalt kann durch Gesetze beschränkt oder erweitert werden. Gesetze i.S.v. Art. 28 Abs. 2 GG sind nicht nur förmliche Gesetze, sondern auch Rechtsverordnungen gem. Art. 80 Abs. 1 GG.3 Nicht einmal der Bestand einer konkreten Gemeinde wird durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützt.4 Art. 28 Abs. 2 GG schafft jedoch eine institutionelle Garantie im Sinne eines unantastbaren Kernbereichs von Selbstverwaltung.5 Die Bestimmung des unantastbaren Kernbereichs muß sich an der geschichtlichen Entwicklung und den historischen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung orientieren. 6 Ein feststehender bestimmbarer Aufgabenbereich besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht.7 Mit dem Hinweis darauf, daß die gemeindliche Bauleitplanung nicht immer zum historischen Bild der Selbstverwaltung zählte und noch bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges als eine polizeirechtliche Aufgabe des Staates angesehen wurde, wird die Ansicht vertreten, die kommunale Planungshoheit gehöre nicht zum Kernbereich der Selbst1 Art. 28 Abs. 2 GG wurde durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 28 und 106) vom 20. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2470) geändert. Die Änderung betraf allerdings nur steuerrechtliche Fragen und ließ Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG unangetastet. 2 BVerfG, „Rastede"-Beschluß vom 23. 11. 1988 BVerfGE 79, S. 127, 151. 3 BVerfG, Β . v. 25. 11. 1980 BVerfGE 55, S. 226. 4 BVerfG, B. v. 7. 10. 1980 BVerfGE 56, S. 298, 312. s BVerfG, Urt. v. 21. 5. 1968 BVerfGE 23, S. 353, 365; Urt. v. 10. 12. 1974 BVerwGE 38, S. 258, 278; B. v. 27. 11. 1978 BVerfGE 50, S. 50; s. auch Gern, Rdnrn. 79 ff.

6 BVerfG, B. v. 26. 11. 1963 BVerfGE 17, S. 182; vgl. auch Gern, Rdnrn. 59 f. 7 BVerfG, B. v. 23. 11. 1988 BVerfGE 79, S. 127, 152.

78

Β. Stellung und Aufgaben der Gemeinde im Bereich des Bauwesens

Verwaltungsgarantie.8 Demgegenüber rechnet die heute wohl herrschende Meinung die kommunale Planungshoheit zum durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Kernbereich der Selbstverwaltung, da die Bauleitplanung jedenfalls seit dem Ende des zweiten Weltkrieges zentrale Bedeutung für die gesamte gemeindliche Entwicklung besitzt.9 Während diese Ansicht hinsichtlich der Bebauungsplanung sogar als nahezu einhellige Meinung gelten kann, ist die Zugehörigkeit der Flächennutzungsplanung zum unantastbaren Kernbereich der Selbstverwaltung stark umstritten. 10 Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob ein völliger Ausschluß der Gemeinden von der Planung ihres Raumes den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie verletzt, ausdrücklich offengelassen, jedoch betont, daß eine Einschränkung der Planungshoheit durch den Staat unter den Einschränkungen des Verhältnismäßigkeitsgebots und des Willkürverbots steht.11 M.a.W. müssen schutzwürdige überörtliche Interessen von höherem Gewicht die Einschränkung erfordern. Dies macht deutlich, daß der Gesetzgeber außerhalb des unantastbaren Kernbereichs das Selbstverwaltungsrecht zwar näher ausgestalten und formen darf, dabei jedoch verschiedenen Bindungen wie insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegt und die Gemeinden daher auch außerhalb des Kernbereichs nicht gänzlich Aufgabenentzug und staatlicher Beschränkung ausgeliefert sind. 12 Sening geht davon aus, daß aus der Selbstverwaltungsgarantie ein „Recht auf Ortsausdehnung" fließen könne. 13 Nach seiner Ansicht ist ein Recht auf „Außenentwicklung" jedoch dort zu verneinen, wo sich die Aufgabe der Außenentwicklung sinnvoll nicht mehr stelle, weil der Raum derart knapp geworden sei, daß „überörtliche Notwendigkeiten" 14 entgegenstünden. Die Planungshoheit verringere sich in diesem Falle auf die Innenentwicklung.15 Gegen die Ansicht Senings ist vorzubringen, daß sie zu trennende Fragestellungen vermengt. Zu trennen sind die Fragen, 1. ob die Planungshoheit zum Kernbereich der Selbstverwaltungsautonomie zählt, 2. ob ein Verbot der Außenentwicklung in den Kernbereich der Selbstverwaltungsautonomie eingreifen würde und 3. wie die einfachgesetzliche Rechtslage den „Zugriff 4 auf Freiraum gestaltet.

8 BVerwGE, Urt. v. 20. 5. 1958 BVerwGE 6, S. 342, 345. 9 StGH Bad.-Württ., ESVGH 26, S. 6; Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, § 2 Rdnr. 35; Stern ! Burmeister, Die Verfassungsmäßigkeit eines landesrechtlichen Planungsgebots für die Gemeinden, 1975, S. 28; Schneider/Dreßler/Liill, Hessische Gemeindeordnung, Stand 14. EL/1999, Erl. §§ 1, 2 Rdnr. 8; wohl auch BVerwG, B. v. 20. 8. 1992 BVerwGE 90, S. 329, 334 und 336. 10 Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, § 2 Rdnr. 35. u BVerfG, B. v. 7. 10. 1980 BVerfGE 56, S. 298, 313; ausdrücklich offengelassen auch von BVerfG, B. v. 23. 6. 1987 BVerfGE 76, S. 107, 118. ι2 Gern, Rdnr. 84 m.w.Nachw. ι3 Sening, in: Rosenkranz/Bachmann/Einsele/Harreß, 0510, S. 7. 14 Sening, in: Rosenkranz/Bachmann/Einsele/Harreß, 0510, S. 7. 15 Sening, in: Rosenkranz/Bachmann/Einsele/Harreß, 0510, S. 8.

I. Verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinde

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Die bauplanungsrechtliche Freirauminanspruchnahme einer Gemeinde in ihrem Gemeindegebiet besitzt fraglos einen spezifischen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft bzw. wurzelt hierin. Sie unterliegt daher dem Schutz der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, ob Freirauminanspruchnahme auch zum Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie zählt. Hiergegen spricht, daß Freirauminanspruchnahme kein notwendiger Bestandteil einer gemeindlichen Planungshoheit ist. Eine einfachgesetzliche Herausnahme der Möglichkeit gemeindlicher Freirauminanspruchnahme aus der Planungshoheit würde die Planungshoheit der Gemeinde für den Freiraum nicht beseitigen, sondern lediglich den Gestaltungsspielraum der Planungshoheit für den Freiraum beschränken. Ohnehin bestehen auch jetzt schon zahlreiche Beschränkungen gemeindlicher Freirauminanspruchnahme, die lediglich durch eine Beseitigung der Möglichkeit der Schaffung von Baurechten erweitert würden. Würde eine einfachgesetzliche Norm im konkreten Fall jede Freirauminanspruchnahme zur Sicherung eines Freiraumminimums wegen Raumknappheit verbieten, so würde dies lediglich das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ausformen („im Rahmen der Gesetze"), ohne dabei das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu verletzen. Auch verbliebe nach wie vor eine substantielle planerische Gestaltungsmöglichkeit in Bezug auf den Siedlungsraum, aber ebenso in Bezug auf den Freiraum. 16 Auch im übrigen sind Gesetze, die die Planungshoheit im einzelnen ausgestalten und beschränken, ohne diese zu beseitigen, grundsätzlich kein unzulässiger Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden.17 Leitete man dennoch aus der Selbstverwaltungsgarantie ein „Recht auf Ortsausdehnung" ab, so wäre dieses jedenfalls verfassungsimmanent durch kollidierendes Verfassungsrecht beschränkt, soweit die Ortsausdehnung dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gem. Art. 20 a GG zuwiderliefe. Zum notwendigen Bestandteil der Planungshoheit und unantastbaren Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts ist das Recht zur Schaffung von Baurechten im Siedlungsraum durch Innenentwicklung zu zählen, da der Siedlungsraum nach geschichtlich geprägtem Leitbild gerade zur Aufnahme baulicher Nutzungen bestimmt ist, so daß die Beseitigung der Möglichkeit zur Schaffung, Änderung und Aufhebung von Baurechten im Siedlungsraum die Planungshoheit aushöhlen würde. Da der Bundesgesetzgeber die Gemeinde durch § 1 Abs. 3 BauGB zur Bauleitplanung verpflichtet, kann von einer Selbstverwaltungsaufgabe in Gestalt der weisungsfreien Pflichtaufgabe 18 gesprochen werden. 19 Die Wahrnehmung dieser Die Planungshoheit beschränkt sich keineswegs auf das Recht zur planungsrechtlichen Begründung von Baurechten, sondern ist in einem umfassenden Sinne die Leitung der baulichen und sonstigen Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde (vgl. § 1 Abs. 1 BauGB). π Gern, Rdnr. 117; BVerwG, B. v. 20. 8. 1992 BVerwGE 90, S. 329, 335, für die Beschränkung der kommunalen Planungshoheit durch das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB.

80

Β. Stellung und Aufgaben der Gemeinde im Bereich des Bauwesens

Pflichtaufgabe unterliegt Rechtsaufsicht. 2 0

der Kommunalaufsicht

lediglich

in Form einer

2. Schutz sonstigen gemeindlichen Bauwesens durch Art. 28 Abs. 2 GG Im übrigen wird das Bauwesen und dessen Verwaltung nicht zu dem durch die Institutsgarantie geschützten Kernbereich gemeindlicher Selbstverwaltung gerechnet. Es bestünden allerdings keine grundsätzlichen Bedenken, den Gemeinden die Verwaltung des gesamten Bauordnungsrechts als Selbstverwaltungsaufgabe zu überlassen, da die Bebauung des Gemeindegebiets einen spezifischen unmittelbaren Bezug zur örtlichen Gemeinschaft hat. Die Rechtsetzung und Verwaltung des sog. Bauordnungsrechts ist im wesentlichen den Ländern zugewiesen. Sie haben das Bauordnungsrecht durch formelle Gesetze und Rechtsverordnungen geregelt und die Verwaltung des Bauwesens überwiegend staatlich ausgestaltet. Soweit das Landesbauordnungsrecht nicht abschließend ist, haben die Gemeinden grundsätzlich das Recht, das örtliche Bauwesen durch Satzung zu regeln. Die gemeindliche Rechtsetzungshoheit gehört zum Garantiebereich des durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Selbstverwaltungsrechts. 21 Diesem Recht kommt allerdings nur eine geringe praktische Bedeutung zu, weil zum einen die Landesbauordnungen eine hohe Regelungsintensität aufweisen und zum anderen gemeindliche Satzungen, die in Freiheitsgrundrechte der Bürger eingreifen, einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen. 22

3. Landesverfassungsrecht Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt23 gewährleistet die kommunale Selbstverwaltung (Art. 2 Abs. 3). Art. 87 Abs. 1 der Landesverfassung räumt den Gemeinden (neben den Landkreisen und den Gemeindeverbänden) das Recht der 18

Vgl. für Sachsen-Anhalt § 4 Abs. 1 Satz 1 GO LSA: „Zum eigenen Wirkungskreis (freiwillige Aufgaben und Pflichtaufgaben) gehören alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sowie die Aufgaben, die der Gemeinde durch Gesetz oder sonstige Rechtsvorschriften als eigene zugewiesen sind." 19 Peine, Öffentliches Baurecht, Rdnr. 118. 20 Die Aufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten hat gem. § 133 Abs. 2 GO LSA (nur) sicherzustellen, daß die Verwaltung der Gemeinden in Einklang mit den Gesetzen erfolgt. 21 BVerfG, B. v. 21. 12. 1966 BVerfGE 21, S. 54, 63; BVerfG, Urt. v. 24. 7. 1979 BVerfGE 52, S. 95, 117. 22 Vgl. Maurer, § 4 Rdnr. 17- 18 und etwa BVerwG, B. v. 7. 9. 1992 BVerwGE 90, S. 359, 362, zum Erfordernis einer dem Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genügenden gesetzlichen Ermächtigung zum Eingriff in die Berufsfreiheit. 23 Verfassung vom 16. 7. 1992 (GVB1. S. 600).

II. Einfachgesetzliche Stellung der Gemeinden im Bauwesen

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Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze ein. Die Gemeinden sind gem. Art. 87 Abs. 2 der Verfassung verpflichtet, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben selbständig wahrzunehmen, soweit nicht bestimmte Aufgaben im öffentlichen Interesse durch Gesetz anderen Stellen übertragen sind. Zwischen dem Begriff „ihre Angelegenheiten" in Art. 87 Abs. 1 Verfassung LSA und „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" i.S.v. Art. 28 Abs. 2 GG besteht kein inhaltlicher Unterschied. Ein zentraler Unterschied gegenüber der grundgesetzlichen Konstruktion gemeindlicher Selbstverwaltung besteht jedoch in der verfassungsrechtlichen Bedeutung der gemeindlichen Selbstverwaltung. Nach dem Modell der Verfassung Sachsen-Anhalts ist die gemeindliche Selbstverwaltung nur eine Form kommunaler Selbstverwaltung neben der verfassungsrechtlich gleichbedeutenden kommunalen Selbstverwaltung der Landkreise und Gemeindeverbände i.S.v. Art. 87 Abs. 1 Verfassung LSA. Hingegen gewährt das Grundgesetz den Gemeindeverbänden (wozu es auch die Landkreise rechnet) keine institutionelle Garantie eines unantastbaren Kernbereichs, sondern nur ein Selbstverwaltungsrecht im Rahmen des gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereichs und damit eine deutlich schwächere Rechtsstellung. 24

II. Einfachgesetzliche Stellung der Gemeinden im Bauwesen 1. Bauleitplanungsrecht Die Stellung der Gemeinde im Bauwesen als Rechtsmaterie kann allgemein als eine starke Stellung im Bereich der Bauleitplanung und eine schwache Stellung im Bereich des Bauordnungsrechts charakterisiert werden. Aufgabe der Bauleitplanung ist es gem. § 1 Abs. 1 BauGB, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe des Baugesetzbuchs vorzubereiten und zu leiten. Die Gemeinde ist Trägerin der Bauleitplanung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB). 25 Bauleitpläne sind nach dem Baugesetzbuch der Flächennutzungsplan und der Bebauungsplan (§ 1 Abs. 2 BauGB). Die Gemeinde entscheidet in eigener Verantwortung über die Aufstellung, Aufhebung und Änderung der Bauleitpläne und betätigt hierdurch die ihr im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts eingeräumte Planungshoheit. Der Flächennutzungsplan dient gem. § 5 Abs. 1 S. 1 BauGB der Darstel24 Es muß angesichts dieses Befundes bezweifelt werden, ob Art. 87 Verfassung LSA ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden zu entnehmen ist, das auch zugunsten kreisangehöriger Gemeinden gegenüber dem Landkreis gilt, wie dies Art. 28 Abs. 2 GG fordert - vgl. BVerfG, Rastede-B. v. 23. 11. 1988 BVerfGE 79, S. 127, 150 f. 25 Die Befugnis der Gemeinde zur Aufstellung von Bauleitplänen kann jedoch gem. § 206 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 BauGB auf der Grundlage einer Satzung einem Planungsverband übertragen werden.

6 Franz

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Β. Stellung und Aufgaben der Gemeinde im Bereich des Bauwesens

lung der sich für das ganze Gemeindegebiet aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebenden Art der Bodennutzung nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde. Im Gesetz wird er auch als vorbereitender Bauleitplan bezeichnet.26 Mit dem Flächennutzungsplan kann die Gemeinde „die Weichen für die Entwicklung der örtlichen Umweltqualität stellen" 27 . In seiner rechtstatsächlichen Bedeutung erreicht der Flächennutzungsplan allerdings weder die ihm vom Gesetzgeber noch von der Planungstheorie zugedachte Steuerungsfunktion. 28 Im Gegensatz zum Flächennutzungsplan dient der Bebauungsplan gem. § 8 Abs. 1 BauGB dazu, rechtsverbindliche Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung für ein bestimmtes Plangebiet innerhalb der Gemeinde zu treffen. Das gesetzliche Grundmodell der zweistufigen Bauleitplanung29 durch Flächennutzungs- und Bebauungsplanung wird in vielfältiger Weise durch die Möglichkeit des Erlasses besonderer städtebaulicher Satzungen wie Abrundungs- und Außenbereichssatzungen ergänzt bzw. modifiziert. 30

2. Besonderes Städtebaurecht Das besondere Städtebaurecht der §§ 136 ff. BauGB ist ein Teilgebiet des Bauplanungsrechts, das seinerseits zusammen mit dem Bauordnungsrecht das öffentliche Baurecht darstellt. Das Baugesetzbuch wird geprägt durch die zentrale Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Städtebaurecht. Während das Bauleitplanungsrecht zum allgemeinen Städtebaurecht zählt, gehören die sog. städtebaulichen Entwicklungs- und Sanierungsmaßnahmen zum besonderen Städtebaurecht. 31 Die Gemeinde ist Trägerin 32 sowohl der städtebaulichen Sanierung gem. §§ 136 ff. BauGB als auch der städtebaulichen Entwicklung gem. §§ 165 ff. BauGB. 33

Abschnittsüberschrift des Zweiten Abschnitts des Baugesetzbuchs. Bunge, in: Lübbe-Wolff, Umweltschutz durch kommunales Satzungsrecht Rdnr. 32. 28 Lüers, UPR 1997, S. 349. 29 Das Prinzip der Zweistufigkeit ergibt sich vor allem aus § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB {Hoppe, in: Hoppe/Grotefels, § 5 Rdnr. 11). 30 Die Einzelheiten und deren Bedeutung für die gemeindliche Innenentwicklung werden im Teil C der Arbeit dargestellt. 31 Vgl. die Überschriften des ersten und zweiten Kapitels des Baugesetzbuchs. 32 Was allerdings nicht bedeutet, daß Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen ausnahmslos von der Gemeinde durchgeführt werden (vgl. § 147 Abs. 2 BauGB und § 148 Abs. 1 BauGB). Die Gemeinde hat jedoch vor allem Sanierungs- bzw. Entwicklungsverfahren einzuleiten und ist für den Erlaß von Sanierungs- bzw. Entwicklungssatzungen zuständig. 33 Hierzu unten C. VII. 23. und Teil E. 27

II. Einfachgesetzliche Stellung der Gemeinden im Bauwesen

83

3. Bauordnungsrecht Das Bauordnungsrecht ist im wesentlichen Landesrecht. Zentrale Rechtsgrundlage für das Land Sachsen-Anhalt ist das Gesetz über die Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt34. Wie bereits anklang, kommt den Gemeinden beim Vollzug des Landesbauordnungsrechts nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Das Schwergewicht der Verwaltung des Bauordnungsrechts obliegt nicht den Gemeinden, sondern den Landes- und Kreis Verwaltungen. Landesbauordnungen, die eine dreistufige Verwaltung des Bauordnungswesens vorschreiben, erklären regelmäßig einen bestimmten Minister bzw. ein bestimmtes Landesministerium zur obersten Bauaufsichtsbehörde, die allgemeine Verwaltungsbehörde der Mittelinstanz zur oberen Bauaufsichtsbehörde und weisen im Regelfall den Landkreisen und kreisfreien Städten die Aufgaben einer unteren Bauaufsichtsbehörde zu. 35 Meist ist in den Landesbauordnungen die Möglichkeit der Übertragung der Aufgaben der unteren Bauaufsichtsbehörde auf kreisangehörige Städte, die eine gewisse Größe erreichen, vorgesehen. So können im Land Sachsen-Anhalt Gemeinden mit mindestens 25.000 Einwohnern auf Antrag die Aufgaben der unteren Bauaufsicht als Weisungsaufgaben übertragen werden. 36 Gemeinden haben im Bereich des Bauordnungsrechts nur sehr beschränkte Rechtsetzungskompetenzen. Die Gemeinden können im bescheidenen Umfang als „Ortsgesetzgeber" 37 gemeindliches Bauordnungsrecht durch kommunale Satzungen schaffen. Zu nennen ist insoweit die Setzung gemeindlichen Bauordnungsrechts insbesondere in Gestalt von Baugestaltungs- und Stellplatzsatzungen.38 Eine große praktische Bedeutung für das Βaugenehmigungsverfahren hat insbesondere in Grenzfällen die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens gem. § 36 Abs. 1 BauGB bei der bauaufsichtlichen Zulassung von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB. Das Einvernehmenserfordernis beruht auf der Planungshoheit39 34 Gesetz über die Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt (BauO) und zur Änderung des Ingenieurgesetzes und des Vermessungs- und Katastergesetzes vom 23. 6. 1994 (GVB1. LSA S. 723). 35 Vgl. etwa § 62 Abs. 1 BauO LSA; § 60 Abs. 2 bis 3 HBO. 36 § 62 Abs. 1 BauO LSA. 37 Die Bezeichnung als „Ortsgesetzgeber" (so BVerwG, Urt. v. 15. 4. 1983 BVerwGE 67, S. 129) ist deswegen problematisch, weil der Gemeinderat nach herrschender Ansicht kein Parlament ist (BVerwG, B. v. 7. 9. 1992 BVerwGE 90, S. 359, 362; BVerfG, B. v. 21. 6. 1988 BVerfGE 78, S. 344, 348 zum Kreistag) und seine Rechtsetzungstätigkeit dem Bereich der Verwaltung zugerechnet wird (BVerfG, B. v. 22. 11. 1983 BVerfGE 65, S. 283, 289). Trotz des quasi-legislatorischen Charakters gehört der Erlaß von Satzungen im System der staatliche Gewaltenteilung damit nach h.M. nicht zur Gesetzgebung. Gegen diese Ansicht Meyer, in: Meyer/Stolleis, S. 153 ff. 38 Rechtsgrundlage der Baugestaltungssatzung ist im Land Sachsen-Anhalt § 87 Abs. 1 BauO LSA. Für die Stellplatzsatzung gilt § 52 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 Satz 3, Abs. 6 Satz 4 und Abs. 9 BauO LSA. 39 Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Lohr, § 36 Rdnr. 1. 6*

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Β. Stellung und Aufgaben der Gemeinde im Bereich des Bauwesens

der Gemeinde und sichert ihr ein qualifiziertes Mitwirkungsrecht im Baugenehmigungsverfahren. 40 Indem die Norm unmittelbar auf das Baugenehmigungsverfahren einwirkt, nimmt sie eine Zwischenstellung zwischen Bauplanungs- und Bauordnungsrecht ein.

«ο Gleichwohl soll nach fragwürdiger Ansicht des VG Darmstadt, B. v. 19. 8. 1996 HSGZ 1998, S. 20, 21, nach hesssischem Gemeinderecht das Verwaltungsorgan (in Hessen: Gemeindevorstand bzw. Magistrat) und nicht die Volksvertretung (in Hessen: Gemeindevertretung bzw. Stadtverordnetenversammlung) für die Erteilung bzw. Verweigerung des Einvernehmens zuständig sein. Vgl. zur Gegenansicht: Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 36 Rdnr. 27 m.w.Nachw.: in der Regel kein Geschäft der laufenden Verwaltung, so daß grundsätzlich von der Zuständigkeit des Gemeinderates auszugehen ist.

C. Rechtliche Vorgaben für das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung I. Allgemeines Im folgenden soll untersucht werden, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben die Rechtsordnung für das Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme für bauliche Zwecke enthält. Ausgehend von einer europa- und verfassungsrechtlichen Betrachtung liegt der Schwerpunkt der Bearbeitung erwartungsgemäß bei der Behandlung des Baurechts. Es kann als unstrittig gelten, daß nahezu alle wesentlichen Fragen der Erhaltung einer natürlichen Umwelt und des Natur- und Landschaftsschutzes aufgrund unseres Bodenrechtssystems untrennbar mit der gesetzlichen Regelung der baulichen und sonstigen Nutzung des Freiraums zusammenhängen.1 Es wird sich jedoch zeigen, daß dieses Verhältnis auch durch zahlreiche Normen außerhalb des Baurechts beeinflußt und gestaltet wird. Am Anfang der Betrachtung steht folgender grundlegender Befund: Die Forderung ökologischen Planens und Bauens nach einer im Grundsatz vorrangigen Innenentwicklung ist im Gesetz nicht ausdrücklich verankert. Es wird daher zu untersuchen sein, ob sich aus den Normen des Verfassungs-, Bau- und sonstigen Rechts zumindest eine konkludente Normierung eines Vorrangs entnehmen läßt und gegebenenfalls, welche Reichweite und Bindungswirkung dieser Vorrang hat. Eine umfassende Abhandlung zu dieser Frage liegt bisher nicht vor. Die Fragestellung wurde bislang lediglich im Rahmen der Diskussion der Bodenschutzklausel Ende der achtziger Jahre gestreift. Unlängst wurde im Rahmen einer Dissertation2 die alte Bodenschutzklausel des § 1 Abs. 5 Satz 3 BauGB a.F. untersucht. Rechtspflichten zur Durchführung von Innenentwicklung wurden dabei allerdings ebensowenig untersucht wie der Freiraumschutz 3 im übrigen. Die wenigen vorhandenen Abhandlungen zu Einzelfragen des Verhältnisses von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung sind vor allem aufgrund der Einführung des Art. 20 a GG im Jahre ι v. Feldmann/Groth, DVB1. 1986, S. 657. Kuhlmann, Das Gebot sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden im Städtebaurecht - Ansätze zur inhaltlichen Konkretisierung, 1997. Die Ergebnisse der Arbeit (S. 212-214) sind allerdings abzulehnen, soweit die (alte) Bodenschutzklausel als Optimierungsgebot eingeordnet und als Gebot der Vermeidung „übermäßigen" Flächenverbrauchs ausgelegt wird (S. 213). Auch wird die Bedeutung des Art. 20 a GG für die Auslegung der Bodenschutzklausel nicht behandelt. Zur Kritik im einzelnen s. C. VIII. 13. e). 2

3

Wesentliche Aspekte des allgemeinen rechtlichen Freiraumschutzes wurden insbesondere von Kauch, Bodenschutz aus bundesrechtlicher Sicht, 1993, behandelt.

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

1994 und dessen kontroverser Aufnahme in Literatur und Rechtsprechung, der Änderungen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung und des Bauplanungsrechts durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz und das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 aktualisierungsbedürftig.

II. Völkerrecht Das im Rahmen der Konferenz der Vereinten Nationen im Juni 1992 in Rio de Janeiro verabschiedete Umweltaktionsprogramm „Agenda 21" ist zweifelsfrei ein außerrechtlicher Text, der nur politisch-moralische Pflichten der Unterzeichnerstaaten begründet.4 Sie verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland als Mitunterzeichnerin nicht zu einem konkreten Handeln. Im übrigen enthält die Agenda 21 im für die Siedlungsentwicklung maßgeblichen Kapitel 7 „Förderung einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung" - abgesehen von sehr pauschalen Aussagen zur Bedeutung des Bodens5 - kein Leitbild der Innenentwicklung oder gar vorrangigen Innenentwicklung. Es wird hingegen sogar die Bedeutung betont, möglichst „allen Haushalten Zugang zu eigenem Grund und Boden zu verschaffen 4'6. Auch die „Habitat Agenda" der Zweiten Konferenz der Vereinten Nationen über menschliche Siedlungen im Juni 1996 in Istanbul ist ein außerrechtlicher Text und enthält ebenfalls nur sehr unbestimmte Aussagen zur Frage der Innenentwicklung.7

I I I . Europarecht Das Europarecht enthält keine Normen, die ausdrücklich das Verhältnis der Freirauminanspruchnahme für bauliche Zwecke zur Innenentwicklung zum Gegenstand haben. Es finden sich zudem bislang keine europarechtlichen Normen, welche die Materien „Freiflächenschutz", „Bodenschutz" oder „Innenentwicklung" in spezifischer Weise behandeln. Gleichwohl existieren Normen des europäischem Umweltschutzrechts, aus denen allgemeine Aussagen zu dem Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme ableitbar sind.

4 Beyerlin, ZaöRV 1994, S. 132. 5

Erst an dritter Stelle nach den Zielen „Schaffung angemessener Unterkunft für alle" und „Verbesserung des Siedlungswesens" nennt die Agenda 21 die Förderung einer nachhaltigen Flächennutzungsplanung und Flächenbewirtschaftung. 6 Kapitel 7 C. 7.28. 7 Vgl. etwa § 111 Kapitel IV C. 2 der Habitat-Agenda: „Viele Städte nutzen ihr Umland auf verschwenderische Weise für städtische Zwecke, während die angeschlossenen Flächen und die Infrastruktur häufig nicht angemessen entwickelt und genutzt sind...." aus: Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Zweite Konferenz der Vereinten Nationen über menschliche Siedlungen im Juni 1996 in Istanbul, Abschlußdokumente.

III. Europarecht

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1. Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und eines hohen Maßes an Umweltschutz und der Verbesserung der Umweltqualität gem. Art. 2 EGV (n.F.)8 Als allgemeine Aufgabenbestimmung 9 regelt Art. 2 EGV unter anderem, daß die Europäische Gemeinschaft eine nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität fördert. Als Instrumente der Zielerreichung nennt Art. 2 EGV die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Durchführung der in den Art. 3 und 3a EGV genannten gemeinsamen Politiken oder Maßnahmen. Die Vorschrift stellt weder eine Handlungsermächtigung noch eine konkrete Handlungsverpflichtung dar. 10 Abgesehen von der mangelnden Verbindlichkeit in diesem Sinne ist auch der Begriff der nachhaltigen Entwicklung unbestimmt.11 Dies gilt entsprechend für die Verpflichtung zur Förderung eines hohen Maßes an Umweltschutz und einer Verbesserung der Umweltqualität. Konkretisiert wird diese Aufgabe allenfalls durch die in Art. 174 EGV festgelegten Ziele der Umweltpolitik der Gemeinschaft, die allerdings nur einen geringfügig höheren Konkretisierungsgrad als § 2 EGV erreichen. Begriffe von derartiger inhaltlicher Weite sind in hohem Maße konkretisierungsbedürftig und geben keine bestimmten Umweltstandards vor. Das Fernziel 12 des nachhaltigen Wachstums ist zu unbestimmt und abstrakt gefaßt, als daß sich ihm eine derart konkrete Aussage entnehmen ließe. Der Gemeinschaft bleibt daher ein weiter Gestaltungs- und Prognosespielraum, um das Fernziel zu verwirklichen. Als Mindestinhalt wird man Art. 2 EGV insoweit jedoch entnehmen können, daß bei der Inanspruchnahme von Freiraum für bauliche Zwecke die Belange des Umweltschutzes mit in die Erwägungen über die Flächeninanspruchnahme aufgenommen werden müssen. Es kann auch gesagt werden, daß jedenfalls ein Wachstum mit einer völlig unkontrollierten Inanspruchnahme von Freiraum ohne Rücksicht auf dessen ökologische Funktionen dem europarechtlichen Ziel eines nachhaltigen Wachstums evident zuwiderlaufen würde.

» Art. 2 EGV wurde durch den Amsterdamer Vertrag vom 2. 10. 1997 geändert (CONF/ 4005/97 ADD 2 - s. Sonderbeilage April 1998 zu NJW, EuZW, NVwZ und JuS). Dabei wurde in umweltpolitischer Hinsicht das Ziel eines „umweltverträglichen Wachstums" durch die Aufgabe der Förderung eines hohen Maßes an Umweltschutz und der Verbesserung der Umweltqualität ersetzt. 9 Geigen Art. 2 Rdnr. 11. 10 Geiger, Art. 2 Rdnr. 11. 11 Dies galt im übrigen auch schon entsprechend für das ehemalige Leitbild des „umweltverträglichen Wachstums" des Art. 2 EGV a.F., das mangels anerkannter Umweltstandards ebenfalls sehr unbestimmt war. 12 Geiger, Art. 2 Rdnr. 2, zum Begriff des umweltverträglichen Wachstums des Art. 2 EGV a.F.

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

2. Ziele und Grundsätze der Umweltpolitik gem. A r t 174-176 EGV Im Rahmen der Novellierung des EG-Vertrages durch die sog. Einheitliche Europäische Akte 1 3 wurden die Art. 130 r - t als XVI. Titel „Umwelt" in den EG-Vertrag aufgenommen. Durch den Amsterdamer Vertrag wurden die Art. 130 r - t EGV umnumeriert und leicht modifiziert. Sie entsprechen jetzt den neuen Art. 174-176 des XIX. Titels. Neben Art. 2 EGV formulieren die Art. 174-176 EGV Ziele und Grundsätze der Umweltpolitik der Gemeinschaft, begründen Handlungskompetenzen und gestatten verstärkte mitgliedstaatliche Umweltschutzmaßnahmen. Der europarechtliche Umweltbegriff soll nach einer Ansicht „umfassend" 14 , nach anderer Ansicht als „natürliche Umwelt" 15 zu verstehen sein. Zentrale Grundsatznorm des europäischen Umweltschutzrechts, die auch einen gewissen Bezug zum Freiraumschutz hat, ist Art. 174 Abs. 1 EGV. Die Vorschrift normiert vier allgemeine Ziele der Gemeinschaft, die diese als umweltpolitische Aufgabe anzustreben hat. 16 So trägt die Umweltpolitik der Gemeinschaft (unter anderem) zur Verfolgung folgender Ziele bei: der Erhaltung und dem Schutz der Umwelt sowie zur Verbesserung ihrer Qualität 17 sowie dem Ziel einer umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen. Die umweltpolitischen Gemeinschaftsziele werden in Art. 174 Abs. 2 EGV 1 8 konkretisiert. Die Umweltpolitik zielt gem. § 174 Abs. 2 Satz 1 EGV unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten auf ein hohes Schutzniveau ab. Die Formulierungen „unter Berücksichtigung ..." und „zielt ab" schränken die Verbindlichkeit der Norm ein, da das hohe Schutzniveau nur „Ziel", d. h. möglichst anzustrebendes Optimum einer Maßnahme, sein soll und die „Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten" eine das Schutzniveau relativierende Differenzierung beinhaltet. Es wird daher insoweit auch von einem Optimierungs- und Differenzierungsgebot des Art. 174 Abs. 2 Satz 1 EGV gesprochen.19 Da der Begriff des hohen Schutzniveaus auf die gemeinschaftliche Schutzpolitik insgesamt

13 Vom 28. 2. 1986 (BGBl. II S. 1102; ABl. Nr. L 169, S. 1). 14 Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 15. 15 Krämer, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWGV, Art. 130 r Rdnr. 2. 16 Geiger, Art. 130 r Rdnr. 5; i.d.S. auch Krämer, EuGRZ 1988, S. 285: vier Aktionsprogramme. 17 Hierzu zählt auch der Schutz der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (s. Vorwort zur Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. 5. 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. Nr. L 206, S. 7).

ι 8 Art. 130 r Abs. 2 EGV wurde durch den Amsterdamer Vertrag neu gefaßt. Dabei wurde die ehemalige sog. Querschnittsklausel (Schmitz, S. 180, Kloepfer, Umweltrecht, § 9 Rdnr. 34) des Art. 130 r Abs. 2 Satz 3 EGV a.F., wonach die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken einzubeziehen sind, aufgehoben. 19 Schmitz, S. 180.

III. Europarecht

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abzielt, kann aus der Vorschrift nicht abgeleitet werden, daß jeder einzelne Rechtsakt oder jede einzelne Vorschrift innerhalb eines Rechtsaktes ein hohes Schutzniveau verwirklichen muß. 20 Im übrigen haben die gemeinschaftlichen Institutionen bei der Festlegung des hohen Schutzniveaus ein sehr weites Ermessen, das de facto gerichtlich nicht kontrollierbar ist. 21 Hieran ändert sich auch dadurch nichts, daß die Kommission gem. Art. 95 Abs. 3 EGV bei ihren Vorschlägen zur Setzung von Rechtsakten im Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EGV von einem hohem Schutzniveau des Umweltschutzes ausgehen muß. Eine weitere Konkretisierung der Aufgaben der gemeinschaftlichen Umweltpolitik erfolgt durch die Festlegung umweltpolitischer Grundsätze in Art. 174 Abs. 2 Satz 2 EGV. Es handelt sich hierbei um das Vorsorge- und Vorbeugeprinzip, das Ursprungs- und das Verursacherprinzip. 22 Art. 175 EGV regelt insbesondere Fragen der Beschlußfassung und der Art von Maßnahmen zur Erreichung der Ziele nach Art. 174 EGV sowie die Finanzierung von derartigen Maßnahmen. Bestimmte Umweltqualitätsstandards werden dabei allerdings auch nicht ansatzweise geregelt. Art. 176 EGV erlaubt den Mitgliedstaaten, Umweltschutzmaßnahmen beizubehalten bzw. zu erlassen, die über das Schutzniveau der nach Art. 175 EGV getroffenen gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen hinausgehen. Da jedoch keine konkreten europarechtlichen Vorgaben zu dem Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme bestehen, kann dahingestellt bleiben, ob eventuell strengeres nationales Recht mit dem übrigen Europarecht vereinbar ist. Insgesamt ist den Art. 174-176 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gemein, daß es sich lediglich um sehr allgemeine, stark konkretisierungsbedürftige Zielvorgaben handelt. Dem Vertragsrecht kann nicht entnommen werden, wieviel Freiraum in welchem Zustand zu erhalten ist, unter welchen Voraussetzungen Freiraum bebaut werden darf und welches Verhältnis zwischen Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme besteht. Insbesondere kann ihm kein allgemeiner Rechtsgrundsatz über einen grundsätzlichen Vorrang einer Innenentwicklung vor einer Freirauminanspruchnahme entnommen werden. Für die gemeindliche Perspektive der Behandlung von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung lassen sich daher aus dem primären Europarecht keine konkreten Handlungsvorgaben ableiten.23

20 Krämer, ZUR 1997, S. 308. 21 So schon Krämer, ZUR 1997, S. 308. 22 Geiger, Art. 130 r Rdnr. 14-16. 23 Offen bleiben kann daher auch, ob und inwieweit europarechtliche Vorgaben zum Freiraumschutz mit dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 EGV (zuvor Art. 3 b) vereinbar wären. Mit der Frage der Beschränkung von Umweltschutzkompetenzen der Gemeinschaft aufgrund des Subsidiaritätsprinzips beschäftigt sich u. a. Schmitz, S. 183-227.

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

3. Sekundäres Gemeinschaftsrecht Es finden sich auch keine europarechtlichen Verordnungen oder Richtlinien, die konkrete rechtsverbindliche Vorgaben für die Gemeinden hinsichtlich der Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung enthalten. Das Europarecht enthält im übrigen auch kein individuelles Recht auf Umweltschutz oder den Schutz des Freiraums. 24 Zusammenfassung: Im Ergebnis ist festzuhalten, daß auf europarechtlicher Ebene nur konkretisierungsbedürftige Umweltschutzziele, jedoch keine konkreten verbindlichen Vorgaben für das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung bestehen.

IV· Bundesverfassungsrecht 1. Allgemeines Eine Verfassungsnorm, die ausdrücklich ökologisches Planen und Bauen verbindlich vorschreibt, existiert nicht. Die folgende Bearbeitung wird aber zeigen, daß gleichwohl aus Verfassungsnormen Aussagen zu Forderungen ökologischen Planens und Bauens hinsichtlich des Freiraumschutzes und des Verhältnisses von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme abgeleitet werden können. Die Betrachtung wendet sich zunächst Art. 20 a GG zu, da diese Norm schon ihrem Wortlaut nach die zentrale Forderung ökologischen Planens und Bauens nach dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen aufgreift. 2. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gem. Art. 20 a GG a) Allgemeines Art. 20 a GG verpflichtet den Staat, die natürlichen Grundlagen des Lebens im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht auch durch Exekutive und Judikative zu schützen. Diese noch junge Grundgesetznorm ist durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 199425 in die Verfassung eingefügt worden. Dem war eine lebhaft geführte parlamentarische und außerparlamentarische Diskussion26 über den rechtspoliti24 Krämer, EuGRZ 1988, S. 291. 25 BGBl. I S. 3146. Das Änderungsgesetz trat am 15. 11. 1994 in Kraft. Bereits in der 10. und 11. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gab es erfolglose Gesetzesiniativen zur Einführung eines Staatsziels Umweltschutz (Nachweise bei Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Grundgesetz, Art. 20 a Rdnr. 2). 26 Aus der Literatur nach Erlaß des Art. 20 a GG: Becker, S. 713 ff.; Habel, S. 165 ff.; Heinz, S. 1 ff.; Henneke, S. 325; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a; Klein, in: Schmidt-

IV. Bundesverfassungsrecht

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sehen und rechtlichen Gehalt eines solchen Staatsziels vorausgegangen. Die jetzige Fassung der Verfassungsnorm ist „Ergebnis eines mühsamen Kompromisses" 27. Der Text des Art. 20 a GG wird allgemein als verunglückt angesehen.28 Ob bzw. inwieweit die neue Staatszielbestimmung eine rechtstatsächliche Stärkung des Umweltschutzes bewirkt, muß derzeit als offen bewertet werden, gleichwohl zu hoffen ist, daß sie jedenfalls eine größere rechtstatsächliche Bedeutung erlangen wird als die vergleichbare Umweltschutzbestimmung der DDR-Verfassung. 29 Ebenso fragwürdig ist, ob bzw. inwieweit tatsächlich durch Art. 20 a GG eine Änderung des materiellen Regelungsgehalts des Grundgesetzes eingetreten ist, m.a.W. ob ein vergleichbarer staatlicher Auftrag zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen bereits im alten Verfassungsrecht enthalten war. 30

b) Adressat des Schutzauftrages Adressat des Schutzauftrages ist der Staat, d. h. die Staatsgewalten Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Art. 20 a GG wendet sich in erster Linie an den Gesetzgeber31, was aus dem Wesen einer Staatszielbestimmung32 und auch daraus folgt, daß Exekutive und Judikative die natürlichen Lebensgrundlagen nur nach Maßgabe von Gesetz und Recht schützen sollen.33 Die Gemeinden gehören als Bestandteil der vollziehenden Gewalt i. S. d. Art. 20 a GG zu den Adressaten des Schutzauftrages. 34 Art. 20 a GG schafft keinen neuen Begriff der vollziehenden Gewalt, sondern knüpft an den die Gemeinden mitumfassenden 35 Begriff der vollziehenden Gewalt des Art. 20 Abs. 3 GG an. Bleibtreu/Klein, Art. 20 a; Kloepfer, DVB1. 1996, S. 73 f.; Kuhlmann, S. 1 ff.; Meyer-Teschendorf, S. 73 ff.; Murswiek, NVwZ 1996, S. 222 ff. und in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 1 ff.; Ossenbühl, S. 53 ff.; Peters, NVwZ 1995, S. 555 ff.; Schmidt, S. 749 ff.; Ohle, JuS 1996, S. 96 ff.; Waechter, S. 321 ff. 27 Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 10; zu den politischen Hintergründen und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der CDU-Fraktion s. Weber, S. 118-119. 28 Ossenbühl, S. 57; s. unten zu Vorbehalt. 29 Art. 15 Abs. 2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. 4. 1968 i.d.F. des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. 10. 1974 (GBl. DDR S. 432-456). Auf deren faktischen Wirkungslosigkeit weist z. B. v. Ketelhodt, S. 177, hin. 30 So meint etwa Isensee, S. 2585, daß Art. 20 a GG nur dazu diene, dem Umweltschutz „symbolisch zu huldigen", während andere konkrete Rechtsänderungen durch Art. 20 a GG ausmachen wollen (vgl. etwa Kloepfer, DVB1. 1996, S. 80). 31 BVerwG B. v. 13. 4. 1995 NUR 1995, S. 253, 254; BVerwG, B. v. 31. 1. 1997 NVwZ 1997, S. 1213, 1215; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Art. 20 a Rdnr. 15; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdnr. 7. 32

Klein, DVB1. 1991, S. 733. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 20 a Rdnr. 15. 34 Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdnr. 8; Bunge, in: Lübbe-Wolff, Umweltschutz durch kommunales Satzungsrecht, Rdnr. 37. 33

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

c) Schutzobjekt natürliche Lebensgrundlagen aa) Schutzobjekt des Art. 20 a GG ist der in hohem Maße unbestimmte36 Rechtsbegriff der „natürlichen Lebensgrundlagen". Es wird die Meinung vertreten, „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" und „Umweltschutz" seien begriffsidentisch.37 Diese Gleichsetzung ebenso wie die Bezeichnung des Art. 20 a GG als „Umweltschutzprinzip" ist jedoch zumindest ungenau, da Art. 20 a GG konkret von den „natürlichen Lebensgrundlagen" als Schutzobjekt spricht und der Begriff der Umwelt ein demgegenüber noch unbestimmterer Begriff ist. 38 Der Begriff der Umwelt wird in einer Vielfalt von Bedeutungen gebraucht. 39 Er wird bisweilen mit der Biosphäre gleichgesetzt40, als „Umgebung eines Lebewesens, die auf es einwirkt und seine Lebensbedingungen beeinflußt" 41, oder auch als „spezifische, lebenswichtige Umgebung einer Tierart" 42 bezeichnet. Bisweilen versteht man hierunter auch den kulturell-zivilisatorisch geprägten Lebensraum des Menschen.43 Demgegenüber drückt sich im Begriff der „natürlichen Lebensgrundlagen" der Gegensatz zu den „künstlichen Lebensgrundlagen" und vor allem das „Angewiesensein" von Lebewesen auf diese Grundlagen sprachlich zumindest deutlicher aus als in dem Begriff Umwelt. Der gleichsam noch „unbelastete" Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen soll daher dem Begriff der Umwelt hier vorgezogen werden. bb) Problematisch ist, ob Art. 20 a GG die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen oder aber die natürlichen Lebensgrundlagen aller Lebewesen schützt. 35 Nach herrschender Auffassung ist Legislative im grundgesetzlichen Sinne nur der Bundesgesetzgeber und die Landesgesetzgeber. Hingegen werden die Gemeinden nicht der Gesetzgebung, sondern der Verwaltung zugerechnet (vgl. BVerwG, B. v. 7. 9. 1992 BVerwGE 90, S. 359, 362 und Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 VI. Rdnr. 25: „bis zur letzten kommunalen Behörde"). Nichts anderes gilt im übrigen für die Einbeziehung der Gemeinden in den Begriff der vollziehenden Gewalt in Art. 1 Abs. 3 GG (s. Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rdnr. 78). Anderer Ansicht ist nur Meyer, in Meyer /Stolleis, S. 153, der sich gegen eine Einbeziehung der Gemeinden in den Begriff der vollziehenden Gewalt des Art. 20 GG wendet, da die Norm nur für den Bund und seine Organisationen gelte, während die Länder und ihre Gemeinden nur Art. 28 Abs. 1 und 2 GG binde. Unabhängig von dieser Streitfrage ist jedenfalls für Art. 20 a GG unstrittig, daß die Norm für jede staatliche Gewalt, sei sie dem Bund oder den Ländern zuzuordnen, gelten soll. 36 Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 10; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Rdnr. 1; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 a Rdnr. 36. 37 Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 a Rdnr. 36 unter Hinweis auf einen entsprechenden Sprachgebrauch in der Gemeinsamen Verfassungskommission. 38 Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 10. 39 Bender/Sparwasser/Engel, Teil 1 Rdnr. 5. 40 Bender/Sparwasser/Engel, Teil 1 Rdnr. 5. 4 1 DUDEN, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1594. 42 Humboldt-Umwelt-Lexikon, S. 310, unter Hinweis auf die Definition des Biologen J. von Uexküll (1864-1944). 43 Humboldt-Umwelt-Lexikon, S. 310.

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Im denklogischen Sinne ist dies von der Frage zu trennen, ob die natürlichen Lebensgrundlagen „um des Menschen willen" oder „um ihrer selbst willen" geschützt werden. Die erste Frage betrifft den Gegenstand des Schutzes (Schutzobjekt), die zweite Frage betrifft den Grund des Schutzes (Schutzzweck). Gleichwohl werden beide Fragestellungen in der Literatur oft vermengt. 44 Dies ist jedenfalls gerechtfertigt, soweit aus dem Schutzzweck Rückschlüsse auf den Schutzgegenstand gezogen werden. Nach dem herrschenden anthropozentrischen Verständnis werden die natürlichen Lebensgrundlagen durch Art. 20 a GG um der Menschen bzw. der Menschheit willen geschützt. Schutzobjekt seien die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen.45 Die Ansicht wird im wesentlichen mit der Bezugnahme des Art. 20 a GG auf die zukünftigen Menschengenerationen sowie mit dem Wesen der Verfassung als einer anthropozentrischen Werteordnung begründet, wie dies insbesondere in der zentralen Grundsatznorm des Art. 1 Abs. 1 GG zum Ausdruck komme. 46 Die Vertreter der sog. ökozentrischen Auslegung des Art. 20 a GG gehen davon aus, daß die Norm dem Schutz der Natur „um ihrer selbst willen" diene bzw. zumindest auch diesem Aspekt diene.47 Der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen wird verstanden als die natürlichen Grundlagen allen Lebens.48 Zur Begründung wird angeführt, daß nach gewandeltem Verständnis von Natur dieser heute ein Eigenwert zuzustehen sei, der unabhängig von menschlichem Nutzdenken Geltung beanspruche. Ein Schutz der Natur nur um des Menschen willen würde die Natur den wirtschaftlichen Interessen des Menschen opfern. 49 44

Keine eindeutige Trennung auch bei Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 a Rdnr. 38 und 39. Die Vermengung der Fragestellungen ist denklogisch nicht zwingend. Die Lebensgrundlagen des Menschen können sowohl um des Menschen willen als auch um ihrer selbst willen, die Lebensgrundlagen aller Lebewesen ebenfalls um des Menschen als auch um ihrer selbst willen geschützt werden. 4 5 Heinz, NuR 1994, S. 6; Henneke, S. 329; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Art. 20 a Rdnr. 11; Kloepfer, DVB1. 1996, S. 77; Meyer-Teschendorf, S. 77; Peters, Umweltverwaltungsrecht, Kap. I Rdnr. 1; Ohle, JuS S. 96 und 100; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 20 a Rdnr. 39, der sogar meint, insoweit könne „interpretatorisch kein Zweifel daran bestehen"; wohl auch Peters, NVwZ 1995, S. 555. ^ So etwa Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 11 ; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 a Rdnr. 39. 47 Kuhlmann, S. 3; Murswiek, NVwZ 1996, S. 224; Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 14; Vogel, DVB1. 1994, S. 500. 48

Vgl. die vorstehende Fußnote. Neben diesen Hauptströmungen werden weitere Ansichten vertreten. Nach einer vermittelnden Ansicht ist es verfehlt, einen Gegensatz zwischen Mitweltschutz und Anthropozentrik aufzubauen, da Art. 20 a GG auch den „mitweltlichen Umweltschutz zur Staatsaufgabe machen könnte, daß aber Art. 1 GG im Konfliktfalle zu einer Abwägung" zwinge (Waechter, S. 324; ähnl. allg. Bender/Sparwasser/Engel, Teil 1 Rdnr. 10). Die Natur habe Eigenwert zumindest im Maße ihrer Leidensfähigkeit (Waechter, S. 325). Nach der Ansicht Brohms, S. 219, werden die natürlichen Lebensgrundlagen zwar um des Menschen willen geschützt, jedoch sollen von Art. 20 a GG auch die Lebensgrundlagen aller Lebewesen umfaßt sein. 49

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

cc) Für die herrschende Ansicht und gegen ein ökozentrisches Verständnis spricht vor allem eine verfassungssystematische Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der anthropozentrischen Ausrichtung des Grundgesetzes.50 Der zentrale, das gesamte Verfassungsrecht überlagernde Verfassungsgrundsatz ist das Menschenwürdeprinzip des Art. 1 Abs. 1 GG. Hiernach ist die Würde des Menschen unantastbar (Satz 1). Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt (Satz 2). Als höchstrangige 51 Verfassungsnorm bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG zugleich Staatszweck, Staatsaufgabe und die „Legitimität von Staat und Recht aus den Weiten personaler Ethik" 5 2 . Unter anderem entwirft die Grundsatznorm eine „Grundvorstellung von diesem Menschen, um dessentwillen der Staat da ist." 53 Mit anderen Worten erklärt die hierin zum Ausdruck kommende Auffassung das Wohlergehen des Menschen zum obersten Wert allen staatlichen Handelns.54 Um der menschlichen Würde und um deren Schutz und Achtung willen ist letztlich alle staatliche Gewalt gerechtfertigt. 55 Hiermit unvereinbar wäre ein Staatszweck „um der Natur willen". Der Staat würde seine Verpflichtung verletzen, den Mensch als Maß und Mittelpunkt allen staatlichen Tuns zu behandeln. Eine auch nur teilweise ökozentrisch verstandene Staatstätigkeit wäre mit dem Leitbild der Ausrichtung allen staatlichen Handelns an der Menschenwürde als höchstem Verfassungswert unvereinbar und systemwidrig. 56 Im Ergebnis werden somit von Art. 20 a GG die „natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen" „um des Menschen willen" geschützt. dd) Ausgehend von dieser Einschränkung kann der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen definiert werden als all die Güter, ohne die das menschliche Leben über längere Zeiträume nicht fortbestehen kann. 57 Das geltende Recht verfügt insoweit mit § 2 UVPG über eine brauchbare Definition. 58 Zu den natürlichen Lebensgrundlagen zählen Luft, Wasser, Boden, Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen in ihren Lebensräumen sowie die Beziehungen zwischen diesen Elementen.59 Zutreffend weist Peters 60 darauf hin, daß die Erwähnung des Menschen in § 2 UVPG keine Tautologie beinhaltet, da auch die Mitmenschen Grundlagen des menschli50 Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 a Rdnr. 39. 51 Dürig, in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 1 Rdnr. 15; BVerfG, B. v. 19. 10. 1982 BVerfGE 61, S. 126, 137: „das oberste Konstitutionsprinzip". 52 Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 1 Rdnr. 15. 53 Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 1 Rdnr. 15. 54 Henneke, S. 329. 55 Brohm, S. 219. 56 Henneke, S. 329; in diesem Sinne auch Weis, S. 159; Kloepfer, DVB1. 1996, S. 77 und Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 a Rdnr. 40. 57 Müller-Bromley, S. 104. 58 Kloepfer, DVB1. 1996, S. 76; Peters, NVwZ 1995, S. 555. 59 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdnr. 2. 60 Peters, NVwZ 1995, S. 555.

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chen Lebens sind. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts 61 ist des weiteren das Landschaftsbild Schutzgut des Art. 20 a GG. Der Begriff „natürlich" erfaßt nicht nur Lebensgrundlagen, die sich in einem noch natürlichen Zustand befinden, sondern auch die gesamte „Kulturlandschaft". 62 Bisweilen werden die Begriffe natürliche Lebensgrundlagen und Umwelt synonym verwendet. 63

d) Art und Weise des Schutzes Der Staat muß die natürlichen Lebensgrundlagen schützen. Schutz i.S.v. Art. 20 a GG bedeutet zunächst die Abwehr von Beeinträchtigungen des Schutzgutes, d. h. die Wahrung der Integrität der Lebensgrundlagen.64 Zudem darf der Staat nicht selbst die Zerstörung des Schutzgutes fördern. 65 Schutz ist aber nicht nur in einem konservierenden oder abwehrenden Sinne zu verstehen, sondern darüber hinaus in einem auch die Pflege und Entwicklung umfassenden Sinne.66 Schutz i. S. d. Art. 20 a GG ist auch eine „dynamische Gestaltungsaufgabe mit Zukunftsbezug" 67. Dies gilt vor allem, soweit aktives Handeln zur Beseitigung eingetretener Schäden sowie zur Pflege von Lebensgrundlagen erforderlich wird, die ohne Pflege nicht erhalten blieben. 68 aa) Art. 20 a GG als Staatszielbestimmung69 Der allgemeine Schutzauftrag des Art. 20 a GG charakterisiert die Norm nach allgemeiner Meinung als sog. Staatszielbestimmung.70 Dieser Begriff entstammt Urt. v. 13. 4. 1995 NuR 1995, S. 253, 254 zur Aufstellung von Monumentalfiguren Artemis und Aurora; zustimmend Murswiek, NVwZ 1996, S. 225. 62 Kloepfer, DVB1. 1996, S. 76. 63 Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 27, auch unter Hinweis auf die synonyme Begriffsverwendung der Gemeinsamen Verfassungskommission in BT-Drucksache 12/6000, S. 66 ff.\ 64 Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 19; ders. NVwZ 1996, S. 225: Verhütung der Schädigung. 65 Murswiek, NVwZ 1996, S. 225 und in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 34. 66 Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 9; Murswiek, NVwZ 1996, S. 225; ders., in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 33. 67 Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 20 a Rdnr. 9; ähnlich Scholz, in: Maunz/Dürig/ Herzog /Scholz, Art. 20 a Rdnr. 36: gestaltungsoffener Begriff. 68 Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 33. 69 Literatur, Rechtsprechung und Legislative (vgl. Art. 3 Abs. 3 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt) gebrauchen die Begriffe Staatsziel und Staastzielbestimmung oft synonym. „Staatsziel" ist jedoch ein staatstheoretischer, „Staatszielbestimmung" hingegen ein normtheoretischer Begriff mit engerem Inhalt. Vgl. Sommermann, S. 3, 5. und 5 sowie S. 198 ff. zu Grundstaatszielen des modernen Verfassungsstaats und S. 326 ff. 70 BVerwG, Urt. v. 13. 4. 1995 NUR 1995, S. 253, 254; BVerwG, B. v. 31. 1. 1997 NVwZ 1997, S. 1213, 1215; BVerwG, B. v. 19. 12. 1997 UPR 1998, S. 192, 193; Klein, in: Schmidt-

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

nicht dem Verfassungstext, sondern der überkommenen Verfassungsrechtsdogmatik. Er bezeichnet „Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben sachlich umschriebene Ziele - vorschreiben. Sie umreißen ein bestimmtes Programm der Staatstätigkeit und sind dadurch eine Richtlinie oder Direktive für das staatliche Handeln, auch für die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften." 71 Die Staatszielbestimmung wird dadurch charakterisiert, daß sie in Abgrenzung zum Grundrecht keine subjektiven Rechte enthält, in Abgrenzung zum Gesetzgebungsauftrag sich nicht nur an den Gesetzgeber, sondern an alle Staatsorgane der drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative richtet und in Abgrenzung zum bloßen Programmsatz unmittelbar rechtsverbindlich ist. 72 . Es handelt sich um eine „wertentscheidende Grundsatznorm" 73, die im Rahmen der Auslegung einfachen Rechts und bei Abwägungsentscheidungen zu beachten ist. 74 So kann Art. 20 a GG z. B. für die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe wie dem „Wohl der Allgemeinheit" als Auslegungsdirektive von Bedeutung sein.75 Es wird überwiegend erwartet, daß in der Rechtswirklichkeit die Norm insbesondere bei der Ausfüllung von Ermessensnormen und planerischen Gestaltungsspielräumen ein besonderes Gewicht erhalten wird. 76 So dürfte dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen künftig beim Abwägungsvorgang stärkeres Gewicht beigemessen werden. 77 So muß etwa bei der Aufstellung von Bebauungsplänen das Staatsziel im Rahmen der Gewichtung der Belange als Verfassungswert erkannt werden, um eine Abwägungsfehleinschätzung zu vermeiden. 78 Art. 20 a GG weist aber auch einen wichtigen inhaltlichen Unterschied zu den Staatszielbestimmungen nach herkömmlichem Verständnis auf. Während jene einen Zustand bezeichnen, der noch nicht oder nicht vollständig erreicht war bzw. ist, schützt Art. 20 a GG die natürlichen Lebensgrundlagen als etwas bereits Vorhandenes.79 Die Bezeichnung des Art. 20 a GG als Staatsziel ist sprachlich unzuBleibtreu/Klein, Art. 20 a Rdnr. 1; Murswiek, NVwZ 1996, S. 223; Scholz, in: Maunz/Dürig / Herzog / Scholz, Art. 20 a Rdnr. 5. 71 Bundesminister des Innern / Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Bericht der Sachverständigenkommission, S. 21; zit. nach Klein:, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 2. 72 Murswiek, NVwZ 1996, S. 223 und in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 12; Peters, NVwZ 1995, S. 556. 73 Uhle, S. 954; Murswiek, Staatszweck.

in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 15: hervorragende Bedeutung als

74 Ossenbühl, S. 57; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 5; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdnr. 4. 75 Beispiel von Bender/Sparwasser/Engel, Teil 1 Rdnr. 56. ™ Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 16; Kloepfer, DVB1. 1996, S. 76; Peters, NVwZ 1995, S. 556: Abwägungsmaßstab; i.d.S. auch BT-Drucksache 12/6000, S. 68; a.A. Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 69: „hier kaum Auswirkungen", ähnl. ders., NVwZ 1996, S. 229. 77 Peters, NVwZ 1995, S. 557. ™ Peters, NVwZ 1995, S. 557.

IV. Bundesverfassungsrecht

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treffend, da Schützen kein - etwa der Wiedervereinigung 8 0 vergleichbares - Ziel oder ein Zustand, sondern eine Tätigkeit ist. 8 1 Art. 20 a GG normiert daher kein Ziel eines Tuns, sondern ein verfassungsrechtliches Schutzgut. 82 Art. 20 a GG begründet keine subjektiven Rechte, sondern hat nur objektivrechtlichen Charakter. 83 M i t anderen Worten ergeben sich aus Art. 20 a GG keine „einklagbaren Umweltschutzansprüche" 84 . Auch kann Art. 20 a GG keinen einfachgesetzlichen Normen drittschützenden Charakter vermitteln. 8 5

bb) Offenheit des Gestaltungsauftrages Art. 20 a GG legt die zur Erreichung des Staatsziels zu benutzenden staatlichen Mittel nicht fest. 8 6 Vielmehr läßt die Norm dem primär angesprochenen Gesetzgeber einen weiten politischen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung des Staatsziels. 8 7 Er muß entscheiden, wie er die i m Einzelfall konkurrierenden Ziele des Grundgesetzes ausgleicht, 8 8 d. h., ihm obliegt die Normkonkretisierung. Aufgrund dieses weiten Gesetzgebungsermessens sind nur evidente Verstöße gegen die 79 Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 19. Ein wesentlicher Unterschied zur finalen Programmierung herkömmlicher Staatsziele besteht darin, daß deren Entstehen durch ein staatliches Tätigwerden bedingt ist. So entstehen ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht gem. Art. 109 Abs. 2 GG oder soziale Sicherheit und Gerechtigkeit als Inhalt des Sozialstaatsprinzips gem. Art. 20 Abs. 1 GG erst durch konkretes gesetzgeberisches Tätigwerden, während die natürlichen Lebensgrundlagen unabhängig von einem staatlichen Tätigwerden vorhanden sind, der Staat sie gleichsam vorfindet. Zumindest was den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vor staatlichen Eingriffen angeht, ist das Staatsziel daher eher einer Einrichtungsgarantie vergleichbar. Nur außerhalb dieser negatorischen Komponente (Unterlassen staatlicher Zerstörung) ist der Lebensgrundlagenschutz als aktiver Schutz - etwa in Gestalt der Entwicklung der Lebensgrundlagen - mit den herkömmlichen Staatszielen vergleichbar. Murswiek, NVwZ 1996, S. 224, spricht daher zu Recht von einem „Ziel ganz anderer Art als die Herbeiführung eines ohne politisch-gestaltende Tätigkeit gar nicht vorhandenen Zustands". 80

Vgl. die alte Präambel der Grundgesetzes. Weber, S. 119: „Wie kann sich ein Staat ein Ziel setzen, eine Tätigkeit auszuüben?". Sinnvoll wäre es hingegen etwa, als Ziel der Tätigkeit „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" das Ziel „Idealzustand der natürlichen Lebensgrundlagen" anzusehen. 82 Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 46. « BVerwG, B. v. 13. 4. 1995 NuR 1995, S. 253, 254; BVerwG, B. v. 19. 12. 1997 UPR 1998, S. 192, 193; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 3; Vogel, DVB1. 1994, S. 499; Meyer-Teschendorf, S. 77; Peters, NVwZ 1995, S. 555; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, Art. 20 a Rdnr. 1; Kloepfer, DVB1. 1996, S. 74. 84 Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 20 a Rdnr. 3. S5 Murswiek, NVwZ 1996, S. 230. 81

** Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 20 a Rdnr. 4. 87 Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 4; Jarass, in Jarass/Pieroth, Art. 20 a Rdnr. 7; Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 17; Bender/Sparwasser/Engel, Teil 1 Rdnr. 56. 88

S. 75. 7 Franz

Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 15; ebs. Kloepfer,

DVB1. 1996,

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

Schutzpflicht justiziabel. 8 9 Ein evidenter Verstoß liegt vor, wenn der Staat jeglichen Schutz vermissen läßt oder die Schutzpflicht in offensichtlicher und schwerer Weise verletzt. 9 0 cc) Rang und Vorrang des Lebensgrundlagenschutzes Nach allgemeiner Ansicht verschafft Art. 20 a GG dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen keinen absoluten Vorrang vor anderen Verfassungsprinzipien und -rechtsgütern. 91 Es wird angeführt, dies wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar. 92 Nach herrschender Ansicht verschafft Art. 20 a GG dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch keinen relativen Vorrang oder ein besonderes Gewicht vor anderen Verfassungsgütern. 93 Dies entspricht der herrschenden Ansicht zum allgemeinen Verhältnis von Verfassungsgütern untereinan89 Ebenso wäre daran zu denken, als Maßstab einer Verfassungswidrigkeit durch Unterlassen anstelle der Evidenz das Untermaßverbot anzuwenden, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch (Urt. v. 28. 5. 1993 BVerfGE 88, S. 203, 254) entwickelt hat (allgemein zur Anwendung dieses Maßstabes auf Staatszielbestimmungen: Sommermann, S. 439 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat das Untermaßverbot jedoch weder ähnlich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip inhaltlich ausgeformt noch gegen die ansonsten insoweit übliche Evidenzkontrolle (hierzu die folgende Rdnr.) abgegrenzt. Gleichwohl sah sich das Gericht bekanntlich in der Lage, hieraus detaillierte normative Vorgaben abzuleiten und die Rolle des politisch gestaltenden Gesetzgebers zu übernehmen. 90 Klein, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 a Rdnr. 4; Ohle, DÖV 1993, S. 951 ; Kloepfer, DVB1. 1996, S. 75: nur bei krassem Verstoß. Bislang liegen noch keine verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Frage vor, unter welchen Voraussetzungen von einem Verstoß gegen Art. 20 a GG ausgegangen werden kann. Es ist jedoch zu erwarten, daß das Bundesverfassungsgericht seine „Evidenz-Rechtsprechung" hinsichtlich möglicher Verletzungen der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden umweltbezogenen Schutzpflichten auch auf Art. 20 a GG übertragen wird. Beispiele dieser Rechtsprechung sind BVerfG, Β. v. 29. 11. 1995 NuR 1996, S. 507, 508, das die staatliche Schutzpflicht vor Ozonbelastungen durch das Gesetz zur Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetz (sog. „Sommersmoggesetz") vom 19. 7. 1995 (BGBl. I S. 930) nicht verletzt sieht (a.A. HessVGH, Urt. v. 26. 11. 1997 ZUR 1998, S. 251, 254, der zur evidenten Ungeeignetheit des Ozongesetzes zur Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht tendiert) und BVerfG, B. v. 26. 10. 1995 NuR 1996, S. 507, zur Nichtfestsetzung von Höchstgeschwindigkeiten. Das Bundesverfassungsgericht lehnte auch mit Beschluß vom 27. 11. 1996-1 BvR 2203/95 - (unveröffentlicht) die Annahme der Verfassungsbeschwerde mehrerer Kinder gegen das Sommersmoggesetz ab (§ 93 a und b BVerfGG). Der Kammerbeschluß enthält keine Begründung (§ 93 d Abs. 1 S. 3 BVerfGG), weil dieselbe Kammer mit o.g. Beschluß vom 29. 11. 1995 die Annahme einer entsprechenden Verfassungsbeschwerde bereits abgelehnt hatte (Pressemitteilung BVerfG Nr. 73/96 vom 27. 11. 1996). Vgl. auch schon BVerfG, B. v. 14. 1. 1981 BVerfGE 56, S. 54, 81, zum Fluglärmschutz. Grundlegend zur staatlichen Pflicht zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor Umweltschadstoffen: Böhm, Der Normmensch, insbes. S. 100 ff. 91 BVerwG, B. v. 13. 4. 1995 NuR 1995, S. 253, 254; BVerwG, B. v. 21. 9. 1995 NuR 1996, S. 201, 202; Jahn, S. 185. 92 Funke, S.515. 93 Brohm, S. 219; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Rdnr. 4; Murswiek, NVwZ 1996, S. 228 f., und in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 55; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 a Rdnr. 43; a.A. nur Odendahl, JuS 1996, S. 821, jedoch ohne Begründung.

IV. Bundesverfassungsrecht

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der, wonach keine grundgesetzliche Wertrangordnung und damit auch keine speziellen Vorrangbeziehungen unter Verfassungsgütern existiert. 94 Vielmehr müsse der Gesetzgeber auch die anderen Staatsziele und verfassungsrechtlichen Schutzgüter bzw. -auftrage, wie Würde, Leben, Gesundheit, Sozialstaat durch einfaches Recht konkretisieren und in bisweilen auftretenden Konkurrenzsituationen zwischen Verfassungsgütern durch eine gerechte Abwägung jedem Gut zu möglichst optimaler Wirksamkeit verhelfen. 95 Man geht davon aus, daß dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nur nach Maßgabe der konkreten Abwägungssituation ein (situationsabhängiger) Vorrang zukommen könne, insbesondere wenn sein konkretes Gewicht im Einzelfall andere berührte Belange deutlich überwiegt. 96 Die herrschende Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Sie übergeht aus dem Grundgesetz ableitbare Rangaussagen zu Verfassungsrechtsgütern. Das Grundgesetz ist keine rangfreie Aneinanderreihung von Schutzgütern, sondern - im übrigen auch nach bundesverfassungsrechtlicher Rechtsprechung - eine objektive Werteordnung, die zugleich auch eine Wertrangordnung ist. 97 Innerhalb dieser Werteund Wertrangordnung ragt zunächst das Menschenwürdeprinzip heraus. Der Staat ist um der Menschenwürde willen gegründet, 98 die Menschenwürde daher „oberster Wert" 99 , die somit im Rang über allen anderen Werten steht. Im Range darunter folgen weitere „oberste Grundwerte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" 100 . Dabei handelt es sich um die tragenden Staatsstrukturprinzipien, die der Menschenwürde im Range unmittelbar nachfolgen. Deren Rang über anderen Verfassungsgütern folgt aus Art. 79 Abs. 3 GG. Der Verfassungsgeber hat nämlich durch die Unveränderlichkeitssperre des Art. 79 Abs. 3 GG gezeigt, daß er bestimmte Verfassungsgüter für besonders bedeutungsvoll und damit abstrakt höherrangiger als andere erachtet, weswegen er sie dem Gesetzgebungsrecht des Verfassungsgesetzgebers entzogen hat. Diese obersten Verfassungsgüter der Art. 1 und 20 GG sind vor allem Demokratie-, Rechtsstaats-, Bundesstaats- und Sozialstaatsprinzip. Sie gehen nach der Wertentscheidung des Verfassungsgebers in ihrem abstrakten Rang sogar den Grundrechten der Art. 2 ff. GG vor, soweit diese nicht mit 94 Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rdnr. 103 m.w.Nachw.; Stern, Staatsrecht II/2, S. 828. 95 Brohm, S. 219. 96 Funke, S. 515. 97 Vgl. BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 BVerfGE 7, S. 198, 215: „Innerhalb dieser Wertordnung, die zugleich eine Wertrangordnung ist, muß auch die hier erforderliche Abwägung mit dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und den seine Ausübung beschränkenden Rechte und Rechtsgütern vorgenommen werden." Dem scheint auch Dürig, in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Art 1 Abs. 1 Rdnr. 14, zu folgen, wenn er meint, daß es „klar" sei, daß die Staatsfundamentalnormen des Art. 79 Abs. 3 GG „unter sich selbst wieder verschiedenrangig sind und Art. 1 etwa mit dem föderativen Prinzip schlechthin nicht zu vergleichen ist." 98 Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rdnr. 44. 99 BVerfG, Urt. v. 16. 1. 1957 BVerfGE 6, S. 32, 41; ebs. B. v. 20. 12. 1960 BVerfGE 12, S. 45, 53: BVerfG, Urt. v. 21. 6. 1977 BVerfGE 45, S. 187, 227: „höchsten Rechtswert" (stdg. Rspr.); Kunig, in: von Münch /Kunig, Art. 1 Rdnr. 4. 100 BVerfG, Urt. v. 16. 1. 1957 BVerfGE 6, S. 32,41. 7*

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

ihrem Menschenwürdegehalt Bestandteil des höchsten Verfassungsgutes sind. Sodann sind unter den Verfassungsgütern mit „einfachem" Verfassungsrang solche auszumachen, die in Bezug auf ein höherrangiges Verfassungsgut „grundlegende" bzw. „besondere Bedeutung" 1 0 1 besitzen. So hat etwa das Grundrecht der freien Meinungsäußerung grundlegende bzw. besondere Bedeutung für den freiheitlichen demokratischen Staat. 102 Besondere Bedeutung bedeutet insoweit nichts anderes, als daß der Belang Vorrang vor konkurrierenden Belangen genießt, die ihrerseits keine grundlegende Bedeutung für ein höchstes Verfassungsgut haben. Unstrittig ist schließlich, daß Belange mit Verfassungsrang (Verfassungsrechtsgüter) allen einfachgesetzlichen Rechtsgütern in ihrem abstrakten Rang vorgehen. 103 Für die Bestimmung des Ranges des Lebensgrundlagenschutzes innerhalb der soeben skizzierten Rangordnung, kann zunächst festgestellt werden, daß Art. 20 a GG zum einen im abstrakten Rang unter dem obersten Verfassungswert Menschenwürde und zum anderen über einfachgesetzlichen Rechtsgütern steht. Gegen eine Gleichstellung des Lebensgrundlagenschutzes mit den tragenden Verfassungsprinzipien des Art. 20 GG scheint zu sprechen, daß die Norm nicht den Unveränderlichkeitsschutz des Art. 79 Abs. 3 GG genießt. Andererseits wird ihre besondere Bedeutung durch ihre systematische Stellung unmittelbar hinter der Grundlagennorm Art. 20 GG hervorgehoben. 104 Entscheidend für eine Einordnung des grundrechtlichen Lebensgrundlagenschutzes im abstrakten Rang eines tragenden Staatsstrukturprinzips und damit noch vor den Grundrechten dürfte jedoch sein, daß Art. 20 a GG dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen dient und damit letztlich der Sicherung des Fortbestandes des Staates insgesamt.105 Im Gegensatz hierzu enthalten Grundrechte keine den Bestand des Staates sichernde Rechtsaussage. Hinzu kommt, daß die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen unabdingbare Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben ist und damit die Verfolgung des Staatszieles auch unmittelbar die Verwirklichung des höchsten Verfassungswertes ermöglicht. Im Ergebnis kommt dem Umweltschutzprinzip des Art. 20 a GG daher ein abstrakter Vorrang nicht nur gegenüber einfachgesetzlichen Rechtsgütern, sondern auch gegenüber einfachen Verfassungsgütern, wie etwa dem Eigentumsrecht, zu. ιοί BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 BVerfGE 7, S. 198, 208. 102 BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 BVerfGE 7, S. 198, 208: „Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend,..." i°3 Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rdnr. 103: „Namentlich gibt verfassungsrechtlicher Schutz einem Interesse höheres Gewich .. 104 Selbst Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 a Rdnr. 28, betont: „Die redaktionelle Nähe zu Art. 20 GG und hier vor allem zu Art. 20 I GG reflektiert den Umstand, daß der Umweltschutz zu den heute wahrhaft existentiellen Grundaufgaben wie Grundverantwortungen von Staat und Gesellschaft gehört." 105

In diesem Sinne dürfte auch Murswiek, NVwZ 1996, S. 228, zu verstehen sein, wenn er betont, daß eine effektive Vorsorge gegen Risiken und ein effektiver Schutz gegen Risiken, die Umweltgüter bedrohen, ohne die menschliches Leben in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich wäre, (absoluten) Vorrang gegenüber sonstigen Belangen genießen.

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Die Anerkennung des relativen Vorrangs des Lebensgrundlagenschutzes betrifft wohlgemerkt nur dessen allgemeinen abstrakten verfassungsrechtlichen Rang und bedeutet nicht, daß sich dieser Belang im Rahmen einer konkreten Abwägungsentscheidung gegenüber einfachgesetzlichen Belangen zwingend durchsetzen muß. Der Abwägende muß bei der Abwägung lediglich das allgemeine verfassungsrechtliche Gewicht des Lebensgrundlagenschutzes beachten und darf insbesondere nicht von einer Gleichrangigkeit von Verfassungsrechtsgütern mit einfachgesetzlichen Rechtsgütern ausgehen. Verfehlt wäre es, aus der Anerkennung der abstrakten relativen Höherrangigkeit des Lebensgrundlagenschutzes konkrete Vorgaben für Abwägungsentscheidungen ableiten zu wollen, etwa dergestalt, daß im Falle der Konkurrenz von Umweltschutzbelangen und privaten Interessen immer dem Umweltschutz Vorrang zukomme. Die Bestimmung des konkreten Vorrangs von Belangen ist und bleibt Wertungsentscheidung des Abwägenden nach Maßgabe der konkreten örtlichen Verhältnisse und der konkret berührten Belange. Nur nach Maßgabe der Abwägung kann den Umweltschutzbelangen ein konkreter absoluter Vorrang vor anderen durch die Entscheidung berührten Belangen zukommen. Ein solcher durch die Abwägung vermittelter absoluter Vorrang des Umweltschutzes besteht nicht erst dann, wenn die Umsetzung entgegenstehender Belange dazu führen würde, daß die natürlichen Lebensgrundlagen vernichtet würden. Es genügt, daß die Umweltschutzbelange nach Maßgabe der konkreten Abwägung höherrangig sind als konkurrierende Belange. Hingegen würde die Annahme eines abstrakten absoluten Vorrangs von Umweltschutzbelangen den Lebensgrundlagenschutz als höchsten Verfassungswert festschreiben, was er weder nach der Systematik des Grundgesetzes noch seinem Inhalt nach ist. Die Unbestimmtheit der aus dem Grundgesetz ableitbaren abstrakten Rangvorgaben ändert nichts daran, daß sie aufgrund der Verfassungs- bzw. Gesetzesbindung der Staatsgewalten gem. Art. 20 Abs. 3 GG zu beachten sind. Das Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen gem. Art. 20 a GG ist abstrakt-relativ vorrangig sowohl gegenüber einfachen Verfassungsrechtsgütern als auch gegenüber einfachgesetzlichen Rechtsgütern.

e) Nachweltverantwortung Der Schutz erfolgt „auch in Verantwortung vor künftigen Generationen". Der Nachweltpassus begründet eine Zukunftsverantwortung 106, um die Verantwortung des Staates über die Lebensinteressen der jetzigen Generation hinaus zu erstrekken. 1 0 7 Mit den nachfolgenden Generationen sind die nachfolgenden Generationen 106 Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 32. i° 7 Aus den Abhandlungen über die philosophischen Grundlagen einer solchen Nachweltverantwortung ragt die Arbeit von Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979 heraus und hat die weitere Diskussion maßgeblich beeinflußt. Einen Überblick über den Fortgang der Diskussion vermittelt v. Ketelhodt.

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

der im Bundesgebiet lebenden Menschen gemeint. 108 Der Passus „in Verantwortung für die künftigen Generationen" ist keineswegs eine juristische Leerformel. Vielmehr können mit Murswiek folgende zentrale Forderungen aus dem Nachweltpassus abgeleitet werden: 1. Der Staat darf nicht nur auf die aktuellen Auswirkungen von Veränderungen bzw. Entwicklungen abstellen (die Möglichkeit der Akkumulation von Schadstoffbelastung und eines verzögerten Schadenseintritts ebenso wie Langzeitrisiken sind zu berücksichtigen), 2. Er muß mit nicht erneuerbaren Ressourcen sparsam umgehen und 3. nachwachsende Rohstoffe nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit bewirtschaften. 109 f) Vorbehalt Der Verfassungsgesetzgeber hat den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen durch die Gesetzgebung unter den Vorbehalt der verfassungsgemäßen Ordnung gestellt, um klarzustellen, daß der Umweltschutz keinen absoluten Vorrang genießt, sondern in Ausgleich mit anderen Verfassungsprinzipien und -rechtsgütern zu bringen ist. 1 1 0 Es handelt sich dabei um keinen Gesetzes- oder Regelungsvorbehalt. 111 Die Formulierung ist ohne rechtlichen Gehalt, da es sich um bereits aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende rechtsstaatliche Selbstverständlichkeiten handelt. 112 Auf Grund der rechtsstaatlichen Fundamentalnorm Art. 20 Abs. 3 GG betont auch der Passus, „nach Maßgabe nach Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung" lediglich eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. 113 Der Gesetzgeber wollte mit diesem auch als „Angstklausel" 114 bezeichneten Vorbehalt wohl vor allem einer eigenmächtigen Definition des „richtigen" Naturschutzes durch Gerichte oder Verwaltungen Schranken aufzeigen. 115 Es ist jedoch allgemeine Meinung in der Literatur, daß der Gesetzgeber besser daran getan hätte, hierauf zu verzichten. 116 Die Norm könnte daher ohne Abänderung ihres normati108 Waechter, S. 326, bezeichnet es hingegen als unklar, ob sich Art. 20 a GG nur auf das deutsche Volk oder alle Völker dieser Erde bezieht. 109 Murswiek, NVwZ 1996, S. 225; ders., in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 32. no BVerwG, B. v. 13. 4. 1995 NuR 1995, S. 253, 254. m Murswiek, NVwZ 1996, S. 223; es ließe sich allenfalls mit Bernsdorff, S. 334, und Meyer-Teschendorf, S. 77, von einem „Gesetzgebungsvorbehalt" sprechen. 112 Murswiek, NVwZ 1996, S. 222; Kloepfer, DVB1. 1996, S. 75; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 20 a Rdnr. 14 und 16. 113 Murswiek, NVwZ 1996, S. 223. 114 Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 56, unter Hinweis auf entsprechende Äußerungen von Bundestagsabgeordneten in der Gesetzesdebatte; ders., NVwZ 1996, S. 222 und Fn. 3. 115 Murswiek, NVwZ 1996, S. 229; Ossenbühl, S. 57. 116 Murswiek, NVwZ 1996, S. 223; Ossenbühl, S. 57: „Pleonasmen, obendrein unfähig, das erstrebte Ziel der Entmachtung von Exekutive und Judikative zu erreichen"; Schneider, S. 560: „eine peinliche Panne"; Weber, S. 119: „Daß der Staat die Lebensgrundlagen ,nur nach Maßgabe von Gesetz und Recht4 schützt, ist etwa so intelligent wie die Feststellung, ein Schimmel sei weiß"; Kloepfer, DVB1. 1996, S. 79.

IV. Bundesverfassungsrecht

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ven Gehalts folgendermaßen gefaßt sein: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen." 117 g) Aus der Schutzpflicht ableitbare Grundsätze Aus dem Schutzauftrag des Art. 20 a GG werden verschiedentlich bestimmte Grundsätze bzw. Umweltschutzprinzipien abgeleitet. Ein konkretes Niveau bzw. Maß des gebotenen Schutzes kann aus Art. 20 a GG allerdings nach einhelliger Ansicht nicht abgeleitet werden. 118 Gleichwohl ist Art. 20 a GG damit nicht völlig konturenlos. aa) Bestandsschutzprinzip Nach allgemeiner Ansicht sichert Art. 20 a GG als Minimalprinzip den jetzt vorhandenen Bestand an natürlichen Lebensgrundlagen, d. h. auch den ökologischen Status quo. 1 1 9 Uneinheitlich wird beurteilt, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich des Zustandes der natürlichen Lebensgrundlagen abzustellen ist. Als maßgeblicher Zustand, für den das Verschlechterungsverbot gilt, kommt zum einen die „Umweltsituation im Jahre 1994" 120 , aber auch der Zustand zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 20 a G G 1 2 1 in Betracht. Vorzugswürdig erscheint, auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm abzustellen. Zwar ging der Gesetzgeber bei den Gesetzesberatungen von der zu dieser Zeit vorgefundenen Situation der natürlichen Lebensgrundlagen im Jahre 1994 aus, jedoch spricht der objektive Erklärungswert der Norm aus der Perspektive der Normadressaten dafür, auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm abzustellen.

bb) Verpflichtung zur Bestandsverbesserung Angesichts der bereits bestehenden Schäden und Belastungen der natürlichen Lebensgrundlagen ist in Zweifel zu ziehen, ob ein reiner Status quo-Schutz die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten kann, so daß zu fragen ist, ob aus in Murswiek, NVwZ 1996, S. 223. us Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 39. 119 Waechter, S. 325 und 327; Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 44 und NVwZ 1996, S. 226: „allgemeines Verschlechterungsverbot"; VG Frankfurt am Main, Urt.v. 21. 5. 1996 NVwZ-RR 1997, S. 92 (n. rkr.): „Art. 20 a GG verbietet eine Auslegung des einfachen Rechts, die, gemessen am Schutzniveau zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Staatszielbestimmung, eine Verschlechterung des Umweltschutzes zur Folge hätte." 120 Murswiek, NVwZ 1996, S. 226: „Referenzlage". 121 Vgl. VG Frankfurt, Urt. v. 21. 5. 1996 NVwZ-RR 1997, S. 92 (nur im Leitsatz): „zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Staatszielbestimmungen".

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

Art. 20 a GG nicht eine Pflicht zur Verbesserung des Status quo folgt (Verbesserungsprinzip). Die Schäden an der Natur und die in Gang gesetzten Prozesse könnten bereits zur Folge haben, daß es ohne eine aktive staatliche Verbesserung des Status quo unweigerlich zu einer Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen kommen wird. Art. 20 a GG würde in diesem Falle gebieten, über die Bestandssicherung hinaus die bestehende Umweltsituation zu verbessern, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern. Ob eine solche Verbesserung zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen konkret erforderlich ist, hängt von einer naturwissenschaftlichen Analyse der gegenwärtigen Situation ab. Eine allgemein anerkannte naturwissenschaftliche Bewertung dieser Frage existiert nicht. Die Beurteilung dieser naturwissenschaftlichen Fragestellung unterliegt dem gesetzgeberischen Wertungs- und Prognosespielraum. 122 Angesichts naturwissenschaftlicher Unsicherheiten bei derart langfristigen Entwicklungsprognosen und der Weite des anzuerkennenden gesetzgeberischen Spielraums kann aus Art. 20 a GG weder ein Verbesserungsprinzip abgeleitet werden, noch könnte im Falle der Anerkennung eines solchen Prinzips von dessen evidenter Verletzung durch das einfachgesetzliche Umweltschutzrecht ausgegangen werden.

cc) Verhältnismäßigkeitsprinzip Die Beeinträchtigung eines Schutzgutes der Verfassung - und damit auch der natürlichen Lebensgrundlagen - ist an die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gebunden.123 Der ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich zwingend als „übergreifende Leitregel" allen staatlichen Handelns aus dem Rechtsstaatsprinzip 124 und besagt, daß jede staatliche Maßnahme zur Zweckerreichung geeignet, erforderlich und angemessen sein muß. 125 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dient zwar vor allem zur Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse in grundrechtliche Freiheitsrechte 126, paßt jedoch auch auf Eingriffe in

122 Der Gesetzgeber muß weder abwarten, bis sich hinsichtlich der befürchteten Gefahr für die Umwelt eine wissenschaftlich völlig unangefochtene einheitliche Auffassung gebildet hat, noch muß er den wissenschaftlichen Meinungsstreit entscheiden. Es genügt, wenn die Regelung auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse plausibel befürchteten Schädigungen der Umwelt vorbeugen soll - BVerwG, B. v. 11. 3. 1998 HSGZ 1998, S. 277. 123

Im Ergebnis ebs. Waechter, S. 327: „..., daß jeder Eingriff in den Bestand der natürlichen Lebensgrundlagen erforderlich und angemessen sein muß"; Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 46: , Jede Beeinträchtigung ... muß ... zur Erreichung dieser Zwecke geeignet und erforderlich sein."; Degenhardt, S. 147. Während Waechter dies aus der Anerkennung eines Eigenwertes der natürlichen Lebensgrundlagen ableitet, stellt Murswiek darauf ab, daß Art. 20 a GG ein Schutzgut normiere. ™ BVerfG, Β. v. 5. 3. 1968 BVerfGE 23, S. 127, 133. ι2* Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rdnr. 97. Vgl. aus der Rspr. nur BVerfG, B. v. 25. 2. 1976 BVerfGE 41, S. 378, 395. 126 Herzog, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 20 VII Rdnr. 72.

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sonstige gesicherte Rechtspositionen.127 Die Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen ist daher zunächst unter dem Gesichtspunkt ihrer Geeignetheit zur Erreichung des verfolgten Zwecks rechtfertigungsbedürftig. 128 Eine wichtige Schlußfolgerung aus der Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist damit, daß jede vermeidbare Umweltbeeinträchtigung durch Staatsorgane gegen Art. 20 a GG verstößt. Ebenso unvereinbar mit Art. 20 a GG ist eine Beeinträchtigung des verfassungsrechtlichen Schutzgutes, die nicht erforderlich ist. Stehen zur Verwirklichung des angestrebten Zwecks gleich wirksame Alternativen zur Verfügung, bei deren Realisierung die Umwelt weniger beeinträchtigt wird, so gebietet Art. 20 a GG, das „mildere Mittel" zu wählen. Vor allem sind zunächst mögliche Alternativen zu ermitteln, d. h. es hat insoweit eine Bestandsaufnahme zu erfolgen. 129 Verglichen werden darf nur, was vergleichbar ist: Die Ausführung der Alternativplanung muß 1. tatsächlich wie auch rechtlich möglich sein, 2. es muß sich um eine (annähernd) gleichwertige Alternative handeln, 130 die insbesondere das angestrebte Ziel mit der gleichen Effektivität erreicht 131 , und 3. sie darf zu keiner unangemessenen Beeinträchtigung eines anderen Schutzgutes der Verfassung führen. Die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips für die Beurteilung der Zulässigkeit von Beeinträchtigungen des Schutzgutes wird durch den gesetzgeberischen Einschätzungs- und Prognosespielraum stark relativiert. Die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative führt dazu, daß Zweifel hinsichtlich möglicher Beeinträchtigungen des Schutzgutes zugunsten des Gesetzgebers gehen. 132 Die Gemeinde hingegen hat als Exekutive das einfachgesetzliche Umweltschutzrecht zu vollziehen und dabei die gesetzgeberische Prognose zugrundezulegen. Ein demjenigen des Gesetzgebers vergleichbarer Prognosespielraum steht der Gemeinde dabei nicht zu. Für sie gilt ohnehin der Anwendungsvorrang des einfachen Rechts 133 , so daß 127 Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rdnr. 94. 128

Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a Rdnr. 46 und 47. 129 Murswiek, NVwZ 1996, S. 227. 130 Vgl. insoweit auch HessVGH, B. v. 13. 1. 1997-2 Q 232/96 - nicht veröffentlicht, S. 10 und 16 des amtlichen Umdrucks - zum (ungeschriebenen) Erfordernis der Gleichwertigkeit der Alternative im Rahmen der Alternativenprüfung aufgrund der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung. 131 Hierzu zählt u.U. auch die Notwendigkeit einer raschen Realisierung, wie z. B. beim Erfordernis der Deckung eines dringenden Wohnbedarfs. Zu Recht weist Murswiek, NVwZ 1996, S. 227, darauf hin, daß auch nur dann von einer gleichwertigen Alternative gesprochen werden kann, wenn sie nicht teurer ist als das weniger umweltfreundliche favorisierte Vorhaben. Man wird diese Aussage allerdings dahingehend konkretisieren müssen, daß höhere Kosten nur dann die Gleichwertigkeit hindern, wenn sie nicht nur unwesentlich höher sind. 132 Pieroth/Schlink, Rdnr. 282, 287, allgemein zur Bedeutung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative für das Verhältnismäßigkeitsgebot. Die Autoren führen dabei das Beispiel gesetzgeberischer Maßnahmen gegen das Waldsterben an. I. d. S. auch: BVerfG, B. v. 14. 9. 1983 NuR 1983, S. 309, 310: Dem Gesetzgeber „gebühren ... angemessene Erfahrungs- und Anpassungsspielräume, da verläßliche, auf amtlichen Untersuchungen beruhende Erkenntnisse über die Auswirkungen von Luftverunreinigungen auf Mensch und Natur noch nicht vorliegen".

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

hinsichtlich der Alternativenermittlung und -prüfung vorrangig vor allem auf die noch darzustellenden Ermittlungspflichten aus § 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB, das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB und § 1 a BauGB abzustellen ist. 1 3 4

h) Freiraumschutz

durch Art. 20 a GG

aa) Allgemeiner Freiraumschutz durch Art. 20 a GG Die herausragende Bedeutung des Erhalts und der Sicherung von naturnahen Freiräumen, d. h. von unbesiedelten naturnahen Bereichen, für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen wurde bereits dargelegt. 135 Der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen ist untrennbar mit dem Begriff des (naturnahen) Freiraums verbunden. Trotz der Möglichkeiten einer Ökologisierung von besiedelten Bereichen darf nicht außer acht gelassen werden, daß eine Besiedlung stets eine Entwicklung der für den Naturraum typischen Ökosysteme verhindert und der Mensch in Lebensstättenkonkurrenz mit der Natur tritt, die durch Verdrängung, menschliche Störungen etc. beeinträchtigt wird. Hieran ändert auch die Beobachtung nichts, daß der Mensch durch Siedlungen Lebensräume für einige Ubiquisten und Kulturfolger schafft. 136 Die ökologischen Funktionen mancher Siedlungsbereiche können die spezifischen, für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen erforderlichen Freiraumfunktionen nicht ersetzen. Aus Art. 20 a GG folgt daher zunächst die allgemeine Pflicht, (naturnahe) Freiräume zu schützen. Der durch Art. 20 a GG geforderte Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen läßt sich nur verwirklichen, wenn die hierzu erforderlichen naturnahen Freiräume gesichert werden. In ähnlicher Weise hat bereits der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 15. 12. 1989 137 aus der Art. 20 a GG vergleichbaren Regelung der nordrhein-westfälischen Landesverfassung 138 zutreffend das „verfassungsrechtlich anerkannte Gemeinwohlinteresse des Freiflächenschutzes" abgeleitet.

133 Vgl. Maurer, § 4 Rdnr. 42. 134 S. hierzu unten Teil C. VII. 6. und 8, VIII. § 1 a BauGB wurde ausdrücklich mit dem Ziel ins Baugesetzbuch aufgenommen, auch Art. 20 a GG Rechnung zu tragen (vgl. BR-Dr. 635/96 S. 36). 135 S. oben Α. IV. 4. b). 136

Haussperling, Hausrotschwanz, Mauersegler, Türkentaube, Hausmaus, Hausratte, Küchenschabe, Hausspinne, Hausstaubmilbe, etc. Die im durchgrünten Siedlungsraum häufiger anzutreffenden Arten wie Schwarzdrossel, Buchfink und Kohlmeise finden dort keine spezifischen Lebensbedingungen und sind nur aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit (breite ökologische Valenz) sowohl im Siedlungs- wie auch im Freiraum überlebensfähig. 137 NVwZ 1990, S. 456. 138 Art. 29 a Abs. 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen: „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände."

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bb) Mindestfreiraumschutz Die Bestimmung der konkreten Reichweite dieses Schutzauftrages bereitet Schwierigkeiten, da sich aus Art. 20 a GG weder unmittelbar entnehmen läßt, wieviel Freiraum mindestens zu erhalten ist, noch welcher konkrete Freiraum dem Schutz des Art. 20 a GG unterliegt. 139 Fraglos wäre zunächst eine völlige Beseitigung der Freiräume durch Bebauung mit Art. 20 a GG unvereinbar. Unvereinbar mit Art. 20 a GG wäre in jedem Falle daher eine einfachgesetzliche Rechtslage, die eine Bebauung des gesamten Bundesgebietes ermöglichte, d. h. keinerlei naturnahe Freiräume sicherte. Als unvereinbar mit Art. 20 a GG erschiene auch eine weitere Reduzierung von Freiraumflächen, die zu schwerwiegenden Störungen von Stoffkreisläufen bzw. von größeren Ökosystemen führt. Unvereinbar mit Art. 20 a GG wäre schließlich auch eine Beeinträchtigung des Schutzgutes durch Freirauminanspruchnahme, die zwar nicht unmittelbar die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören, jedoch einen unumkehrbaren Prozeß der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen in Gang setzen würde. Bestandsschutz- und Nachhaltigkeitsprinzip sind nicht erst dann evident verletzt, wenn die letzte Freiraumfläche besiedelt wird. Aus Sinn und Zweck des Art. 20 a GG ergibt sich die Forderung des Schutzes und des Erhalts unbesiedelter Bereiche in einem Umfang, der erforderlich ist, damit die natürlichen Lebensgrundlagen langfristig ihre Funktionen erfüllen können. Gerade im Hinblick auf die Lebensinteressen künftiger Generationen muß der zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen erforderliche Freiraumbestand gesichert werden. M.a.W. ist Art. 20 a GG unmittelbar die Forderung nach einem Mindestfreiraumschutz zu entnehmen. Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des zur Erreichung des Gesetzeszwecks des Art. 20 a GG erforderlichen (unerläßlichen) Mindestschutzes. Bestandsschutz darf nicht so verstanden werden, daß der Gesetzgeber jede weitere Inanspruchnahme von bisher nicht besiedeltem Raum verbieten und damit die Siedlungstätigkeit zum Stillstand bringen wollte. Der Gesetzgeber des Art. 20 a GG setzte es als selbstverständlich voraus, daß es auch weiterhin zu einer Ausdehnung von Siedlungen in den Freiraum bzw. zum Siedlungsbau im Freiraum kommen wird. Art. 20 a GG sollte die gemeindliche Planungshoheit und die Regelungen über die Bebauungsplanung keinesfalls insoweit de facto aushebeln. Vielmehr ging es - wie bei der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung - darum, einen ökologischen Status quo zu sichern und zu verhindern, daß sich die natürlichen Lebensgrundlagen per Saldo verschlechtern. Andererseits liegt es auf der Hand, daß anhaltender Landschaftsverbrauch durch die Zunahme von Siedlungsflächen mit dem 139 So ist etwa die bereits genannte Forderung nach einer schrittweisen Rückführung der jährlich zusätzlich in Anspruch genommenen Flächen auf Null bis zum Jahre 2010 (BUND/ Misereor, S. 77) lediglich der Versuch einer Konkretisierung des Nachhaitigkeitsauftrages in Bezug auf einen Mindestfreiflächenschutz, jedoch keine in naturwissenschaftlicher Hinsicht unangreifbare Erkenntnis.

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

Ziel des Art. 20 a GG, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, unvereinbar ist, so daß ersichtlich ist, daß Art. 20 a GG auch der Freirauminanspruchnahme (äußerste) Grenzen setzt. Die Festlegung eines noch mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Maßes an Freiraumverbrauch (eines Mindestfreiraumschutzes) obliegt dem Gesetzgeber, wobei diesem der oben beschriebene Wertungsspielraum eingeräumt ist. 1 4 0 Die gesetzgeberische Festlegung eines solchen quantitativen Mindestmaßes an Freiraumschutz ist im übrigen auch eine wichtige Forderung des ökologischen Planens und Bauens, die vermehrt vorgetragen wird. 1 4 1 Gerade angesichts der Komplexität und Globalität der Wirkungszusammenhänge und naturwissenschaftlicher Zweifelsfragen muß dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Bestimmung der Art und Weise des Mindestfreiraumschutzes verbleiben. Eine objektiv erforderliche „ökologisch zwingende Mindestfreifläche" wird man kaum angeben können. 142 Diese fachliche Schwierigkeit darf aber im Ergebnis nicht zu einer Aushöhlung der Rechtspflicht zum Schutz des zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen unerläßlichen Freiraumminimums führen. Sie erweitert lediglich den ohnehin bestehenden gesetzgeberischen Ermessensspielraum. Eine Evidenzkontrolle ist jedoch auch insoweit möglich. Staatliche Maßnahmen sind daher verfassungswidrig, wenn sie offenkundig der aus Art. 20 a GG ableitbaren Zielsetzung zum Schutz des Freiraumminimums, das langfristig zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen erforderlich ist, zuwiderlaufen.

cc) Bedeutung des Unterlassens der Festlegung einer Mindestfreiraumfläche Die einfachgesetzlichen Vorschriften, beispielsweise des Raumordnungs-, Naturschutz- und Baurechts, enthalten keine gesetzgeberische Festlegung eines Frei140

Diese für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und damit auch für den Fortbestand des Staates und seiner Rechtsordnung in Zukunft zentrale Entscheidung darf nach den Grundsätzen der Wesentlichkeitstheorie und des Parlamentsvorbehalts auch nicht delegiert bzw. durch untergesetzliches Recht geregelt werden. Angesichts der Wichtigkeit dieser zentralen Zukunftsentscheidung ist die Definition des verfassungsrechtlich unerläßlichen Freiraumminimums eine unmittelbar vom Bundesgesetzgeber geschuldete Aufgabe. 141 Der Bundesverband Boden e. V., in: Bodenschutz 1996, S. 4, fordert zumindest, daß ein auf der Grundlage eines Gesetzes geschaffenes Bundes-Bodenschutzprogramm festlegt, wieviel Fläche erhalten bleiben soll. Jänicke, in: Jänicke/Bolle/Carius, S. 123, hält einen „Nullzuwachs der Siedlungsflächen" für ökologisch tragfähig, soweit noch keine Übernutzungen vorliegen. Storm, DVB1. 1985, S. 322, spricht vom Erfordernis der Festlegung von Mindestflächenanteilen für bestimmte Bodenfunktionen. BUND/Misereor, S. 77, fordern eine schrittweise Rückführung der Freiflächeninanspruchnahme bis auf Null im Jahre 2010. ι 4 2 Rehbinder, NuR 1997, S. 324. Die Gründe für die Schwierigkeit der Aufgabe dürften u. a. in der Komplexität und Variabilität globaler Zusammenhänge sowie in der Begrenztheit naturwissenschaftlicher Erkenntnis liegen.

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raumminimums. Insbesondere legen die Freiraumkennzeichnungen in Plänen und Programmen der Raumordnung keinen zwingenden Freiflächenschutz fest. Vereinzelte landesgesetzliche Festlegungen eines Freiraumminimums 143 können eine bundesgesetzgeberische bzw. bundesweite Festlegung nicht ersetzen. Es fragt sich daher, ob der Bundesgesetzgeber nicht dadurch gegen Art. 20 a GG verstößt, daß er es unterläßt, das verfassungsrechtlich gebotene Freiraumminimum zu bestimmen bzw. den Ländern entsprechende Vorgaben zu machen. Zu denken wäre insoweit an eine Festlegung der zu einem unantastbaren Freiraumminimum zählenden konkreten Gebiete oder an eine allgemeine prozentuale Bestimmung des Freiraumminimums. Eine Rechtspflicht zur gesetzgeberischen Bestimmung des zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen erforderlichen Freiraumminimums wird man aber erst dann annehmen können, wenn die unmittelbare Gefahr bestünde, daß das verfassungsrechtlich gebotene Freiraumminimum unterschritten würde. Solange diese Gefahr nicht besteht, m.a.W. also die natürlichen Lebensgrundlagen durch Freiraumverbrauch nicht akut bedroht sind, wäre es verfassungsrechtlich hinnehmbar, daß der Gesetzgeber insoweit noch völlig untätig geblieben ist und den Mindestfreiraumbestand nicht konkretisiert. Nun wird bisweilen bereits jetzt von der Gefahr gesprochen, daß schon heute das für den dauerhaften Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen erforderliche Freiraumminimum unterschritten worden ist. 1 4 4 Von einem wissenschaftlichen Konsens darüber, daß in der Bundesrepublik bereits jetzt das zum langfristigen Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen erforderliche Freiraumminimum unterschritten wird, kann jedoch keine Rede sein. Es fehlt daher zumindest an der notwendigen Evidenz einer möglichen Rechtsverletzung des Gesetzgebers. Eine andere Bewertung könnte sich ergeben, wenn in der Zukunft nach ganz herrschender Ansicht der Wissenschaft evident ein Unterschreiten des zum langfristigen Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen erforderlichen Freiraumminimums droht. In diesem Fall müßte der Gesetzgeber das Freiraumminimum bestimmen sowie Maßnahmen zu dessen Sicherung ergreifen.

143 Vgl. etwa die mittelbare Freiraumsicherung im Land Hessen durch § 1 Abs. 2 Nr. 2 HENatG, wonach auf einem Zehntel der Landesfläche die Entwicklung naturnaher Lebensräume Vorrang hat. 144 Der Freiraumbericht des Ministers für Landes- und Stadtentwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen des Jahres 1984 (MLS informiert, Heft 1 /1984) äußert die Vermutung, daß die Grenze vertretbarer Freirauminanspruchnahme in diesem Bundesland bereits überschritten ist. Ähnlich meinen Apel/Henckel u. a., S. 19, daß hinsichtlich des Flächenverbrauchs „die Grenzen einer verträglichen Entwicklung längst überschritten sind".

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspchnahme und Innenentwicklung

i) Bedeutung der Freiraum-Schutzpflicht für das Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme aa) Ermittlungs- und Prüfungspflicht Die Erforderlichkeit der Beeinträchtigung des unter dem Schutz des Verhältnismäßigkeitsprinzips stehenden verfassungsrechtlichen Schutzgutes „natürliche Lebensgrundlagen" kann nur beurteilen, wer sich Klarheit über dessen Bestand und über Planungsalternativen verschafft. Die Gemeinde kann nur dann sachgerecht entscheiden, ob der Eingriff in natürliche Lebensgrundlagen in Gestalt einer Freiraumreduktion notwendig und angemessen ist, wenn sie geprüft hat, welche städtebaulichen Alternativen ohne bzw. mit geringerer Beeinträchtigung von natürlichen Lebensgrundlagen vorhanden sind. Art. 20 a GG i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verpflichten somit zur Bestandsaufnahme und Alternativenprüfung. Als städtebauliche Alternative ist nicht nur die Verwirklichung an anderer Stelle im Freiraum, sondern vor allem auch die Möglichkeit einer Innenentwicklung grundsätzlich in Betracht zu ziehen.

bb) Vermeidung unnötiger Freirauminanspruchnahme durch Innenentwicklung Der aus Art. 20 a GG ableitbare Vermeidungsgrundsatz verlangt weiterhin, unnötige Beeinträchtigungen der natürlichen Lebensgrundlagen zu unterlassen. Unnötig ist die Inanspruchnahme naturnahen Freiraums, wenn die verfolgten Zwecke ohne oder mit geringerer Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen umsetzbar sind. U.U. kann ein bestehender Flächenbedarf durch Innenentwicklung ohne oder mit geringerer Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen bedient werden. Kann die Beeinträchtigung natürlicher Lebensgrundlagen in Gestalt eines Verbrauchs naturnahen Freiraums durch eine Innenentwicklung vermieden werden, so ist die Beeinträchtigung natürlicher Lebensgrundlagen durch eine Freirauminanspruchnahme nicht erforderlich. Ist die fehlende Erforderlichkeit der Beeinträchtigung naturnahen Freiraums evident, so gilt dies auch für den hierin liegenden Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot als Schranke des Eingriffs in das Schutzgut des Art. 20 a GG. Ein evidenter Verstoß kann etwa angenommen werden, wenn die Gemeinde ein Neubaugebiet im naturnahen Freiraum ausweist, obschon zahlreiche Möglichkeiten der Innenentwicklung zur Befriedigung des Bedarfs bekannt sind bzw. sich aufdrängen. Im soeben beschriebenen Umfang besteht ein Vorrang der Innenentwicklung. Es sollte in diesem Zusammenhang von einem Regelvorrang 145 gesprochen werden, da Innenentwicklung nicht begriffsnotwendig zu einer geringeren Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen führt, sondern (Ausnahme-)Fälle denkbar sind, 14

5 Ebenso könnte man hier von einem „grundsätzlichen" Vorrang sprechen.

IV. Bundesverfassungsrecht

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bei denen Innenentwicklung zu einer stärkeren Beeinträchtigung natürlicher Lebensgrundlagen als die Freirauminanspruchnahme führt.

j) Zusammenfassung der Ergebnisse zu Art 20 a GG Art. 20 a GG verpflichtet vornehmlich den Bundesgesetzgeber zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen um der Menschen willen, bindet aber auch die Gemeinden. Art. 20 a GG hebt die natürlichen Lebensgrundlagen in den Rang eines verfassungsrechtlichen Schutzgutes, in das nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eingegriffen werden darf. Aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs zwischen dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und dem Freiraumerhalt schützt Art. 20 a GG auch den naturnahen Freiraum in seiner Funktion als natürliche Lebensgrundlage. Art. 20 a GG gebietet einen Mindestfreiraumschutz. Der Bundesgesetzgeber muß das verfassungsrechtlich gebotene Freiraumminimum spätestens dann konkretisieren, wenn ein Unterschreiten des unerläßlichen Freiraumminimums droht. Da die Inanspruchnahme naturnaher Freiflächen für Zwecke der Bebauung in der Regel zu einer Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen führt, muß die Gemeinde prüfen, ob die Inanspruchnahme zur Zweckerreichung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Zweckerreichung sind die sich bietenden Möglichkeiten einer Zweckerreichung durch Innenentwicklung von Bedeutung. Eine sachgerechte Erforderlichkeitspriifung kann nur durchgeführt werden, wenn zuvor eine Bestandsaufnahme der Möglichkeiten einer Innenentwicklung ohne Beeinträchtigung des Schutzgutes erfolgt sind. Ist eine zur Zweckerreichung geeignete Innenentwicklung ohne bzw. mit geringerer Beeinträchtigung natürlicher Lebensgrundlagen durchführbar, so folgt aus Art. 20 a GG i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein Vorrang vor der Freirauminanspruchnahme.

3. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG a) Allgemeines Auch die nicht-umweltschutzspezifischen Verfassungsnormen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommen für eine Ableitung von Aussagen für das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung in Betracht. Das Menschenwürdeprinzip des Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, während Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG jedem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gewährt. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG richtet sich an alle staatliche Gewalt und damit auch an die Gemeinde als Trägerin mittelbarer Staatsgewalt.146 Auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bindet gem. Art. 1

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

Abs. 3 GG die vollziehende Gewalt - somit auch die Gemeinde147 - als unmittelbar geltendes Recht. Daher ist festzuhalten, daß die Gemeinde als Bestandteil der vollziehenden Gewalt nicht nur zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet ist, sondern auch Leben und körperliche Unversehrtheit der Grundrechtsträger schützen muß. 148 Während das Menschenwürdeprinzip schon ausdrücklich die Staatsgewalt zu einem positiven Tun verpflichtet, enthält das seinem Wortlaut nach rein subjektivrechtliche Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zumindest eine konkludente objektiv-rechtliche Aussage. Es folgt aus dem „objektiv-rechtlichen Gehalt die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die ... genannten Grundrechte zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren" 149 . Diese Rechtsprechung hatte das Bundesverfassungsgericht zunächst im Urteil zur Fristenlösung 150 entwickelt, im Schleyer-Urteil 151 bestätigt und sodann auch auf den Umweltschutz angewandt.152 Den Zusammenhang zwischen staatlichem Umweltschutz und Grundrechten stellte das Gericht im Rahmen seinerrichtungsweisendenEntscheidungen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie her und nahm dabei zu Grundlagen und Reichweite staatlicher Schutzpflichten für Leben und körperliche Unversehrtheit Stellung. 153 Diese verfassungsrechtlichen Schutzpflichten beinhalten somit das Gebot, Maßnahmen zu treffen, die einen angemessenen und wirksamen Schutz vor Grundrechtsgefährdungen durch Umweltschäden verwirklichen und sich hierdurch schützend und fördernd vor das grundrechtliche Schutzgut zu stellen. Der Staat ist zwar nicht verpflichtet, bloße Störungen des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens ohne gesundheitsschädliche Relevanz abzuwehren, 154 er muß jedoch dort einschreiten, wo die ökologischen Grundbedingungen für ein menschenwürdiges Leben und eine menschenwürdige Gesundheit „existentiell bedroht, gefährdet oder ausgeschlossen sind." 1 5 5 M.a.W. hat der Staat ein „ökologisches Existenzminimum" 156

146

Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 1 Rdnr. 35. w Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rdnr. 78. BVerfG, B. v. 29. 11. 1995 NJW 1995, S. 651 m.w.Nachw. zur staatlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit. Nach BVerfG, Urt. v. 28. 5. 1993 NJW 1993, S. 1751, hat die staatliche Schutzpflicht für das Leben ihren Grund in Art. 1 Abs. 1 GG, während Art. 2 Abs. 2 GG Gegenstand und Maß bestimmt. M BVerfG, B. v. 20. 12. 1979 BVerfGE 53, S. 30, 57. 150 BVerfG, Urt. v. 25. 2. 1975 BVerfGE 39, S. 1,41. 151 BVerfGE, Urt. v. 16. 10. 1977 BVerfGE 46, S. 160, 164. 152 So ausdrücklich das BVerfG, B. v. 14. 1. 1981 BVerfGE 56, S. 54, 73, in einer Rückschau auf seine Rspr. 153 BVerfG, B. v. 8. 8. 1978 BVerfGE 49, S. 89, 141 - Kalkar; BVerfG, B. v. 20. 12. 1979 BVerfGE 53, S. 30, 57 - Mühlheim-Kärlich. 154 VGH BW, Β. v. 9. 2. 1995 NuR 1996, S. 304. 155 Scholz, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 20 a Rdnr. 8 m.w.Nachw. in Fn. 17 Die gelegentlich gebrauchte Formel „Gewährleistung einer menschenwürdigen Umwelt" (vgl. § 1

IV. Bundesverfassungsrecht

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zu gewährleisten. Für den Bereich des Bauwesens bedeutet dies, daß der Gesetzgeber diesen Bereich so zu regeln hat, daß er langfristig nicht nur den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen, sondern auch das Überleben der Menschen und das Führen eines menschenwürdigen Lebens in seelischer und physischer Gesundheit ermöglicht. Der Gesetzgeber hat bei der Umsetzung dieser Schutzpflicht allerdings einen weiten gesetzgeberischen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich, so daß die Schutzpflicht nur dann verletzt wird, wenn staatliche Organe gänzlich untätig bleiben oder deren Maßnahmen offenkundig unzureichend sind. 157 Insbesondere liegt die Beurteilung der Effektivität der gewählten rechtlichen Vorgaben im wesentlichen im Rahmen dieses gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums. In erster Linie haben die staatlichen Organe zu entscheiden, „welche Maßnahmen zweckdienlich und geboten [sind], um einen wirksamen Schutz zu gewährleisten" 158. Aufgrund dieses extrem weiten gesetzgeberischen Ermessens wird man angesichts der verschiedenen Normen zum Zwecke des Freiraumschutzes, wie der Bodenschutzklausel des Baugesetzbuchs und der Bestimmungen des Naturschutzrechts, nicht davon ausgehen können, daß das gesetzgeberische Konzept evident ungeeignet ist, um die Gesundheit der Grundrechtsträger und eine menschenwürdige Umwelt zu schützen.

b) Ableitung gemeindlicher Schutzpflichten für den Freiraum Zwar richtet sich der Schutzauftrag der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in erster Linie an den Gesetzgeber, jedoch darf auch die Gemeinde keine Entscheidungen über die Inanspruchnahme von Freiraumflächen treffen, die mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben unvereinbar sind. In Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht kann insbesondere auch eine Pflicht zum Erhalt ausreichenden und erreichbaren natürlichen Erholungsraums als Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben in körperlicher und geistiger Gesundheit angenommen werden. 159 Diese Pflicht richtet sich vor allem an die Gemeinden, da diese als Abs. 5 Satz 1 BauGB) zielt zwar meist auf den gleichen Inhalt ab, soll jedoch wegen der relativen Unschärfe des Umweltbegriffs hier vermieden werden. 156 Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 a Rdnr. 8; ebs. Waechter, S. 321. 157 BVerfG, B. v. 29. 11. 1995 NuR 1996, S. 508, zum Schutz vor bodennahem Ozon. Ebenso BVerfG, B. v. 26. 10. 1995 NuR 1996, S. 507, bzgl. der Nichtfestsetzung von Höchstgeschwindigkeiten von Kraftfahrzeugen. Ähnlich bereits BVerfG, B. v. 14. 9. 1983 NJW 1983, S. 2931, betreffend Waldsterben durch Luftverschmutzung, und BVerfG, B. v. 14. 1. 1981 BVerfGE 56, S. 54, 81, betr. Schutz vor Fluglärm. 158 BVerfG, B. v. 14. 1. 1981 BVerfGE 56, S. 54, 81 m.w.Nachw. 159 Burgi, S. 328; Sening, Bedrohte Erholungslandschaft, S. 119; Sening, BayVBl. 1987, S. 76, und Franz, Das Recht des Naturschutzes in Hessen, Erl. zu § 10 Rdnr. 8. Das OVG Berlin, Urt. v. 2. 5. 1977 NJW 1977, S. 2283, 2285, nahm ein durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. § 1 BNatSchG geschütztes rechtliches Interesse eines West-Berliner Bürgers an der Erhaltung 8 Franz

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

Träger der Bauleitplanung den größten Einfluß auf die Erhaltung wohnortnaher Erholungsgebiete ihrer Einwohner haben. So dürfen bauplanungsrechtliche Entscheidungen der Gemeinde nicht dazu führen, daß auf dem Gemeindegebiet die Gesundheit von Grundrechtsträgern durch die Schaffung zusätzlicher Baurechte existentiell bedroht wird oder ein ökologisches Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist - mögen derartige Folgen von Bauleitplanung auch derzeit wenig wahrscheinlich sein. Ein grundsätzlicher Vorrang der Innenentwicklung stünde zwar im Einklang mit dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe, ist jedoch nicht zwingend aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbar, da dem Gesetzgeber der bereits dargelegte 160 weite Gestaltungsspielraum zusteht.

4. A r t 14 Abs. 1 GG a) Allgemeines Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Eigentum. Inhalt und Schranken des Eigentums werden durch die Gesetze bestimmt. Während Art. 14 Abs. 1 GG in objektiv-rechtlicher Hinsicht die sog. Institutsgarantie des Eigentums gewährleistet 161 , vermittelt er in subjektiv-rechtlicher Hinsicht ein Grundrecht gegen den Staat auf Gewährleistung des Eigentums. 162 Der rechtliche Gehalt des Eigentumsrechts ist durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet.163 Art. 14 Abs. 1 GG mag zwar keine ausdrückliche Vorgaben für die Sachbereiche Freiraumschutz und Innenentwicklung enthalten, gibt jedoch für die einfachgesetzliche und bauleitplanerische Konkretisierung des Verhältnisses von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme wichtige Grundlagen vor. Sie sind zumindest mittelbar von großem Einfluß auf dieses Verhältnis. Die Schaffung von Baurechten im Freiraum und die gemeindliche Innenentwicklung bewegen sich insbesondere im Spannungsverhältnis der Schlagworte Baufreiheit und Bestandsschutz auf der einen sowie Sozialbindung und Situationsgebundenheit auf der anderen Seite.

b) Baufreiheit In privatrechtlicher Hinsicht können gemeindliche Maßnahmen der Innenentwicklung im Verhältnis zum Bürger als gesetzliche Beschränkung der Befugnis von bestimmten Erholungsflächen in der freien Natur an, welches durch die beabsichtigte Abholzung von etwa 50.000 Bäumen in einem Landschaftsschutzgebiet beeinträchtigt wurde. 160 Oben 2. d). 161 BVerfG, B. v. 7. 7. 1971 BVerfGE 31, S. 229, 240. 162 BVerfG, Urt. v. 7. 8. 1962 BVerfGE 14, S. 263, 277. 163 BVerfG, B. v. 12. 6. 1979 BVerfGE 52, S. 1, 29.

IV. Bundesverfassungsrecht

115

des Eigentümers wirken, mit seinem Eigentum grundsätzlich nach seinem Belieben zu verfahren. In öffentlich-rechtlicher Hinsicht berühren Maßnahmen der Innenentwicklung, etwa durch Überplanungen von Innenbereich oder dem Erlaß von Baugeboten, in der Regel den Schutzbereich der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG. Gemeindliche Innenentwicklung steht damit im Spannungsverhältnis zu der aus Art. 14 Abs. 1 GG fließenden subjektiv-rechtlichen Eigentumsgarantie. Ob die sog. Baufreiheit zum Inhalt des durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Eigentums gehört, ist umstritten. Unter dem Begriff der Baufreiheit versteht man die grundsätzliche Befugnis zur baulichen Nutzung des eigenen Grundstücks. 164 Die ganz herrschende Meinung 165 sieht die Baufreiheit als Element des verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigentums an Grund und Boden an. Baufreiheit sei daher nicht Gegenstand staatlicher Verleihung, da die bauliche Nutzbarkeit „essentieller Bestandteil des Eigentums" 166 sei. Die praktische Relevanz der Streitfrage ist gering, da jedenfalls unstrittig ist, daß nicht für jedes Grundstück ein Baurecht besteht und Grundstücke, für die Baurechte bestehen, ohnehin nur unter Beachtung zahlreicher gesetzlicher Einschränkungen bebaubar sind. Auch soweit man mit der herrschenden Ansicht aus Art. 14 Abs. 1 GG die Baufreiheit des Eigentümers ableitet, gilt, daß deren Inhalt und Schranken gem. Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG durch die Gesetze167 bestimmt werden. Inhalt der Baufreiheit ist daher nur, daß im Rahmen der gesetzlichen Regelungen ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Bauvorhaben besteht.168 Die Baufreiheit besteht insbesondere nur „nach Maßgabe der Planung" 169 , so daß auch die herrschende Meinung von einer de facto „eigentumsverteilenden Wirkung" 1 7 0 der Bauleitplanung spricht.

164 Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 14 Rdnr. 58; Krautzberger, in: Battis/ Krautzberger/Lohr, § 1 Rdnr. 7. 165 BVerfG, B. v. 19. 6. 1973 BVerfGE 35, S. 263, 276; BVerwG, Urt. v. 28. 6. 1955 BVerwGE 2, S. 172, 174; BVerwG, Urt.v. 23. 3. 1973 BVerwGE 42, S. 155, 166, meint, der Baugenehmigungsanspruch folge sowohl aus Art. 14 Abs. 1 GG als auch aus Art. 2 Abs. 1 GG; BVerwG, Urt. v. 6. 6. 1975 BVerwGE 48, S. 271, 273, ist der Ansicht, der Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung habe seine Grundlage in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Lohr, § 1 Rdnr. 7; Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, § 2 Rdnr. 55; Leisner, DVB1. 1992, S. 1065; Wendt, in: Sachs, Art. 14 Rdnr. 46; Peine, Öffentliches Baurecht, Rdnr. 119; anderer Ansicht sind etwa Jarass/Pieroth, Art. 14 Rdnr. 18. 166

Papier, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 14 Rdnr. 58. Gesetze im materiellen Sinn - vgl. Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 14 Rdnr. 279. 167

168

Steinberg, in: Meyer/Stolleis, S. 336 m.w.Nachw. 169 Grotefels, in: Hoppe/Grotefels, § 2 Rdnr. 56. Eine „unbeschränkte" Baufreiheit war im übrigen niemals Inhalt des Grundeigentums, sondern es gab zu allen Zeiten nur eine Baufreiheit im Rahmen der Rechtsordnung (vgl. RG in RGZ 128, S. 18; Preuß. OVG 75, S. 344). no So das BVerwG, „Flachglas"-Urt. v. 5. 7. 1974 BVerwGE 45, S. 309, 324. Ähnlich Steinberg, in: Meyer/Stolleis, S. 335: „Zuteilungscharakter" der Inhalts- und Schrankenbestimmungen. *

116

C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

Derartige Inhalts- und Schrankenbestimmungen in Gestalt von Gesetzen, die generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers festlegen, 171 können gleichwohl nicht beliebig gesetzt werden, sondern müssen allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien genügen und im übrigen auch im Einklang mit den Grundrechten stehen. Zu den zu beachtenden Prinzipien des Rechtsstaats gehört insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er verpflichtet den Gesetzgeber im Rahmen des Art. 14 GG, einerseits der verfassungsrechtlich garantierten Rechtsstellung und andererseits dem Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung zu tragen und dabei „die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen." 172 Allgemein gilt daher, daß die Eigentümerbefugnisse desto stärker eingeschränkt werden dürfen, je gewichtiger die Allgemeinwohlbelange sind. Da Freiraumschutz und Innenentwicklung als öffentliche Belange von hohem Gewicht einzustufen sind, rechtfertigen sie im Grundsatz eine weitgehende Einschränkung von Eigentümerbefugnissen durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen.173 Über die vorstehenden allgemeinen Ausführungen hinaus können aus der in Art. 14 GG verankerten Baufreiheit keine konkreten Aussagen für die gemeindliche Innenentwicklung gewonnen werden. Soweit die Gemeinde Gesetze des Bundes oder des Landes zum Zwecke der Innenentwicklung vollzieht, müssen diese mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar sein. Für den Erlaß von Inhalts- und Schrankenbestimmungen in Gestalt gemeindlicher bauplanungsrechtlicher Satzungen gilt dies entsprechend. Die Rechtsprechung betont des öfteren, daß durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Belange bei der Abwägung in hervorgehobener Weise zu berücksichtigen seien. 174 Abgesehen von der Unbestimmtheit dieser Aussage, besteht je171 So die Definition der Inhalts- und Schrankenbestimmungen durch das Bundesverfassungsgericht, Β. v. 15. 7. 1981 BVerfGE 58, S. 300, 330. 172 BVerfG, B. v. 12. 6. 1979 BVerfGE 52, S. 1, 29. Bisweilen wird in diesem Zusammenhang auch vom Grundsatz der Rücksichtnahme auf schutzwürdige Individualinteressen gesprochen (vgl. Hoppe, in: Hoppe/Grotefels, § 7 Rdnr. 153-160). Die Anwendung des richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts wird jedoch zu Recht in der Literatur zunehmend kritisiert (Nachw. bei Hoppe, a. a. O. Rdnr. 153 Fn 448, Rdnr. 155). Zumindest soweit aus dem richterrechtlichen Institut, und nicht aus einem konkreten Gesetz subjektive Rechte abgeleitet werden, ist die Rechtsprechung als Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG abzulehnen. Das Bundesverwaltungsgericht selbst scheint die Geister bändigen zu wollen, die es rief: „Das gibt Anlaß zu folgender Klarstellung: Der Senat hat wiederholt darauf hingewiesen, daß es das Rücksichtnahmegebot nur nach Maßgabe der einfachen Gesetze, nicht aber als ein das gesamte Bauplanungsrecht umfassendes allgemeines Gebot gibt" (Urt. v. 24. 9. 1998-4 CN 1.97 - S. 7 des amtlichen Umdrucks). J7 3 Nicht zu den Inhalts- und Schrankenbestimmungen zählt die Enteignung, die den Entzug der Baufreiheit bewirkt. Gemeindliche Innenentwicklung führt nur ausnahmsweise zur Enteignung, also Entziehung der Vermögensposition, zumal dieser schwere Eingriff immer ultima ratio sein muß. Die verfassungsrechtlich gem. Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG gebotene Entschädigung für eine Enteignung ist für den im Rahmen der Innenentwicklung praktisch wichtigsten Enteignungsfall in §§ 93 ff. BauGB geregelt. Vgl. auch § 87 Abs. 1 und 2 BauGB zur Enteignung nach Bauplanungsrecht und BVerwG, Urt. v. 15. 2. 1990 BVerwGE 84, S. 335, 351.

IV. Bundesverfassungsrecht

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denfalls keine aus Art. 14 Abs. 1 GG ableitbare abstrakte Höhergewichtigkeit oder Vorrangigkeit irgendeines privaten Belangs gegenüber dem Interesse der Innenentwicklung. Gemeindliche Maßnahmen der Innenentwicklung, die keinen Rechtsnormcharakter haben - wie z. B. Baugebote - , sind nur mittelbar an Art. 14 Abs. 1 GG zu messen, nämlich durch Überprüfung der Vereinbarkeit der maßgeblichen Kompetenznormen als Inhalts- und Schrankenbestimmungen i. S. d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Gemeindliche Maßnahmen der Innenentwicklung dienen nur in seltenen Fällen der Einschränkung von Baurechten, sondern in aller Regel der Schaffung von Baurechten und der Ausnutzung vorhandener Baurechte. Eine Verletzung der Eigentumsfreiheit von Grundstückseigentümern, deren Rechtssphäre durch die gemeindliche Einräumung von Baurechten nur erweitert wird, ist im Regelfall nicht möglich. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn Maßnahmen der Innenentwicklung zur Ausnutzung bestehender Baurechte zwingen sollen (Bsp. Baugebot). Die Baupflicht berührt als Inhalts- und Schrankenbestimmung das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 G G 1 7 5 in Gestalt der negativen Baufreiheit, so daß die zum Erlaß des Baugebots ermächtigende Kompetenznorm mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar sein muß. Die Vereinbarkeit der Regelungen über das Baugebot steht jedoch ebenso außer Frage wie die Verfassungsmäßigkeit sonstiger Vorschriften des Baugesetzbuchs, die der Erzwingung der Ausnutzung vorhandener Baurechte dienen.

c) Sozialbindung des Eigentums Die Baufreiheit findet ihre Grenzen auch in der Sozialbindung des Eigentums. Gem. Art. 14 Abs. 2 GG soll das Eigentum und sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Von besonderer Bedeutung ist insoweit das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. 1. 1967 176 , das die Grundlagen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums am Boden ausformte. Kernsätze der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung hinsichtlich der Sozialpflichtigkeit sind insbesondere: „Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern. ... Das Grundgesetz selbst hat dem Gesetzgeber für die Bestimmung des

174 Vgl. etwa BVerwG, B. v. 5. 4. 1993 BVerwGE 92, S. 231, 235 f. m.w.Nachw. 175 So schon das BVerwG, Urt. v. 30. 10. 1958 BVerwGE 7, S. 297, 299: ,4m allgemeinen". Die vorsichtige Einschränkung des Gerichts ist darin begründet, daß der Begriff der Enteignung weiter gefaßt wurde, während er heute unstrittig Baupflichten nicht umfaßt, da es sich hierbei nicht um eine konkret-indviduelle Entziehung einer Vermögensposition handelt (zur neuen Dogmatik und Abgrenzung Enteignung zur Inhalts- und Schrankenbestimmung: Β. v. 17. 7. 1981 BVerfGE 58, S. 300 ff. - Naßauskiesung). 176 BVerfG, Urt. v. 12. 1. 1967 BVerfGE 21, S. 73 ff.

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

Eigentumsinhalts einen verhältnismäßig weiten Gestaltungsspielraum eingeräumt. ... Das Gebot sozialgerechter Nutzung ist aber nicht nur eine Anweisung für das konkrete Verhalten des Eigentümers, sondern in erster Linie eine Richtschnur für den Gesetzgeber, bei der Regelung des Eigentumsinhalts das Wohl der Allgemeinheit zu beachten." 177 Dies gilt sinngemäß auch für die gesetzgeberische Normierung des Verhältnisses von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme. Art. 14 GG läßt dem Gesetzgeber auch insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum. Da Freiraumschutz ebenso wie Innenentwicklung dem Wohl der Allgemeinheit dient, sind diese öffentlichen Interessen (sachgerechte) Gründe für die dem Eigentümer aufzuerlegenden Beschränkungen. Am Gemeinwohl orientierte gesetzliche Vorgaben zugunsten des Freiraumschutzes und der Innenentwicklung stellen aufgrund der Sozialgebundenheit des Eigentums daher in der Regel keinen unzulässigen Eingriff in das Eigentumsrecht dar, sondern sind nicht mehr als eine aufgrund der Sozialbindung des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 2 GG gerechtfertigte Inhalts- und Schrankenbestimmung.

d) Situationsgebundenheit Der Inhalt der Sozialbindung des Eigentums wurde vor allem durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 178 zur sog. Situationsgebundenheit des Eigentums konkretisiert. Hiernach soll jedes Grundstück durch seine Lage und Beschaffenheit sowie seine Einbettung in die Landschaft und Natur, m.a.W. seine Situation, geprägt werden. Auf diese Sozialbindung müsse der Eigentümer bei der Ausübung seiner Befugnisse Rücksicht nehmen. Auf jedem Grundstück laste gleichsam eine aus seiner Situationsgebundenheit abzuleitende immanente Beschränkung der Rechte des Eigentümers, aus der sich Schranken seiner Nutzungsund Verfügungsmacht, etwa in Bezug auf die Erfordernisse des Natur- und Denkmalschutzes, ergeben sollen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ergeben sich die Grenzen dieser Situationsgebundenheit auf Grund einer wertenden Beurteilung der Kollision zwischen den berührten Belangen des Allgemeinwohls und den betroffenen Eigentümerinteressen. Eine situationsbedingte Belastung des Grundstücks könne angenommen werden, wenn ein vernünftiger und einsichtiger Eigentümer, der auch das Gemeinwohl nicht aus dem Auge verliere, von sich aus im Blick auf die Lage und die Umweltverhältnisse seines Geländes von bestimmten Formen der Nutzung absehen würde. 179 177 BVerfG, Urt. v. 12. 1. 1967 BVerfGE 21, S. 83. 178 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 3. 3. 1983 BGHZ 87, S. 71, stdg. Rspr. 179 BGH, Urt. v. 3. 3. 1983 BGHZ 87, S. 71. Der Gedanke der Situationsgebundenheit klingt aber auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelegentlich an, wenn es etwa ausführt: „Der Zugriff auf Gemeindegebiet rechtfertigt sich bei solchen Flä-

IV. Bundesverfassungsrecht

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Der Gedanke der Situationsgebundenheit hat insoweit für die gemeindliche Innenentwicklung Bedeutung, als er verdeutlicht, daß Grundstücke im Siedlungsbereich im allgemeinen in besonderer Weise dafür bestimmt sind, bauliche Nutzungen aufzunehmen, während der Freiraum vor allem zur Aufnahme der land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen unter Freihaltung von nicht-privilegierter Bebauung bestimmt ist. 1 8 0 Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums entsteht jedoch nicht gleichsam von selbst und ist dem Grundeigentum nicht „immanent", sondern Ergebnis gesetzgeberischer Entscheidungen in Gestalt aller die Nutzung des Grundeigentums regelnden Vorschriften. Dies mag anhand des § 176 Abs. 2 BauGB verdeutlicht werden: Die Norm ermächtigt die Gemeinde, den Grundeigentümer zu verpflichten, sein unbebautes oder geringfügig bebautes Innenbereichsgrundstück zu bebauen. Das Recht der Gemeinde zum Erlaß dieses Baugebots leitet sich nicht aus der örtlichen Lage des Grundstücks im Innenbereich ab, sondern aus der gesetzgeberischen Entscheidung, daß Innenbereichsgrundstücke der Aufnahme baulicher Nutzungen dienen sollen. 181 Im Ergebnis kann der Gedanke der Situationsgebundenheit daher lediglich dazu dienen, die Sozialbindung des Grundeigentums zu verdeutlichen. Konkrete Aussagen für das Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme sind ihm nicht zu entnehmen.

e) Bestands schütz als Hindernis der Innenentwicklung Unter dem Begriff des Bestandsschutzes im engeren Sinn versteht man meist den rechtlichen Schutz eines vorhandenen Bestandes an baulichen Anlagen (das „Bleibendürfen"), obwohl die Anlage im derzeitigen Zustand gegen formelles und materielles Recht verstößt. Neben dieser abwehrrechtlichen Grundfigur des sog. „passiven" Bestandsschutzes bezeichnet man Ansprüche auf Genehmigung von Maßnahmen, die zu einer funktionsgerechten Nutzung der baulichen Anlage erforderlich sind, als „aktiven" Bestandsschutz.182 Das ungeschriebene Rechtsinstitut des Bestandsschutzes wurde bis vor kurzem allgemein unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleitet.183 Das Bundesverwalchensicherungen aus naturräumlichen Gegebenheiten." (BVerwG, B. v. 20. 8. 1992 BVerwGE 90, S. 329, 336.) 180 Zur bauplanungsrechtlichen Bestimmung der Raumfunktionen von Innen- und Außenbereich s. C. VII. 19. c). 181 M.a.W.: Die Aufgabe des Innenbereichsgrundstücks, Bauland zu sein, haftet einem Grundstück nicht a priori an, sondern beruht auf einer gesetzgeberischen Entscheidung, die sich in § 176 Abs. 2 BauGB und anderen Vorschriften ausdrückt. 182 Grotefels, in: Hoppe /Grotefels, § 2 Rdnr. 63 m.w.Nachw. 183 BVerwG, Urt. v. 14. 11. 1975 BVerwGE 49, S. 370. Für einen Fortbestand von verfassungsunmittelbaren Ansprüchen auf Bestandsschutz Sieckmann, NVwZ 1997, S. 853 ff., und Grotefels, in: Hoppe / Grotefels, § 2 Rdnr. 68, die einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Bestandsschutz offenbar nur dann verneint, wenn eine spezialgesetzliche Regelung vorhanden ist.

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

tungsgericht ging jedoch in seiner jüngeren Rechtsprechung 184 davon aus, daß ein Bestandsschutz im Sinne einer eigenständigen Anspruchsgrundlage nicht bestehen könne, wenn eine gesetzliche Regelung vorhanden sei. Ob sich das Gericht mit dieser Rechtsprechung gegen einen verfassungsunmittelbaren Bestandsschutz generell aussprechen wollte, war zunächst umstritten. 185 Das Gericht hat ausdrücklich einen verfassungsunmittelbaren überwirkenden Bestandsschutz neben den in § 34 Abs. 3 Satz 1 BauGB getroffenen Regelungen186 und auch jüngst einen Anspruch auf Zulassung von Veränderungen oder Erweiterungen baulicher Anlagen im Außenbereich neben den gesetzlich geregelten Möglichkeiten abgelehnt.187 Nunmehr 188 hat das Gericht klargestellt, daß es generell Ansprüche auf Zulassung von Vorhaben aus eigentumsrechtlichem Bestandsschutz außerhalb der gesetzlichen Regelungen ablehnt. Die Lehre hatte sich bereits zuvor überwiegend gegen die Rechtsfigur des verfassungsunmittelbaren Bestandsschutzes ausgesprochen.189 Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, daß Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt werden. Ein richterrechtliches Rechtsinstitut vermag diese vorgeschriebene gesetzgeberische Entscheidung nicht zu ersetzen. Nach hier vertretener Ansicht ist daher ein verfassungsunmittelbarer Bestandsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG nicht anzuerkennen. Bestandsschutz kann sich nur aus dem einfachen Recht ergeben. Art. 14 Abs. 1 GG ist insoweit kein Hindernis gemeindlicher Innenentwicklung. Die Frage des Bestandsschutzes als Hindernis von Innenentwicklung wird vor allem im Rahmen des gemeindlichen Vorgehens gegen Ruinengrundstücke relevant. 190

f) Nachbarrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG Einer von der Gemeinde beabsichtigten Innenentwicklung können Nachbarrechte entgegenstehen. Der Nachbar soll in diesem Zusammenhang verstanden werden als Person, die aufgrund ihrer räumlichen Nähe zu gemeindlichen Maßnahmen der Innenentwicklung von diesen Maßnahmen mittelbar betroffen wird. Im Einzelfall können dem Nachbarn in diesem Sinne Rechtspositionen, insbesondere aus dem ι»4 BVerwG, B. v. 18. 7. 1997 NVwZ-RR 1998, S. 357, 358; B. v. 11. 12. 1996 NVwZ-RR 1997, S. 521; Urt. v. 16. 5. 1991 BVerwGE 88, S. 191, 203; Urt. v. 10. 8. 1990 BVerwGE 85, S. 289, 294; Urt. v. 15. 2. 1990 BVerwGE 84, S. 323, 334. 185

Dafür: Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Lohr, § 35 Rdnr. 129; dagegen: Sieckmann, NVwZ 1997, S. 853. Auch Steinberg, in: Meyer/Stolleis, S. 387, nimmt an, das Bundesverwaltungsgericht gehe vom Fortbestand des Rechtsinstituts des unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleiteten Bestandsschutzes aus. 156 BVerwG, Urt. v. 15. 2. 1990 BVerwGE 84, S. 323, 324. 157 BVerwG, B. v. 18. 7. 1997 NVwZ-RR 1998, S. 357, 358. i 8 8 BVerwG, Urt. v. 12. 3. 1998 UPR 1998, S. 228, 229. iS9 Wickel, S. 121; ders., DÖV 1993, S. 758; Steinberg, m.w.Nachw.; Uechtritz, DVB1. 1997, S. 347 ff. 190 S. unten E. III.

in: Meyer/Stolleis, S. 387

V.

ndesverfassungsrecht

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Eigentumsrecht fließende Rechte, zustehen, die Maßnahmen der Innenentwicklung beschränken oder unmöglich machen. Das Eigentumsrecht des Nachbarn aus Art. 14 Abs. 1 GG gewährt ihm kein allgemeines Abwehrrecht gegen Innenentwicklung, welche die Nutzung des eigenen Grundstücks beeinträchtigt. Die Vorschrift gewährt insbesondere auch keinen Anspruch darauf, daß die Gemeinde keine die Nachbarinteressen beeinträchtigenden Bauleitpläne erläßt oder Baugenehmigungen erteilt. 191 Verhältnismäßige Maßnahmen auf dem Gebiet der Innenentwicklung, die den Nachbarn nachteilig treffen, sind von diesem grundsätzlich aufgrund der Sozialbindung des Eigentums hinzunehmen. Es wurde bereits ausgeführt, daß nach der Systematik des Art. 14 Abs. 1 GG zwischen Eingriffen in das Eigentum in Gestalt von Enteignungen und von Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu unterscheiden ist. Die große Mehrzahl gemeindlicher Maßnahmen der Innenentwicklung sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen i. S. d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Wird die Rechtsposition des Nachbarn durch derartige Maßnahmen beeinträchtigt, so ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht vor allem von Bedeutung, daß das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet wird. Wird eine Person aus Gründen der Innenentwicklung enteignet, so kann sie nicht „Nachbar" der Entwicklungsmaßnahme sein, da die Maßnahme ihn ja unmittelbar trifft. Art. 14 Abs. 3 GG verlangt insoweit, daß die Enteignung durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgt und der Enteignete zu entschädigen ist. Die Möglichkeiten gemeindlicher Innenentwicklung werden weniger durch das allgemeine Eigentumsrecht des Nachbarn aus Art. 14 Abs. 1 GG als durch dessen Konkretisierungen durch einfachgesetzliche Nachbarrechte begrenzt. So können etwa nachbarschützende Abstandsvorschriften eine engere Bebauung durch Nachverdichtung verhindern. 192

V. Landesverfassungsrecht Das Landesverfassungsrecht der Länder enthält keine ausdrücklichen Vorgaben für das Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme. Die landesverfassungsrechtliche Rechtslage kann insoweit mit der bundesverfassungsrechtlichen Rechtslage verglichen werden. 1. Die Länderverfassungen sehen ein Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vergleichbares Recht auf Leben sowie auf körperliche und seelische Unversehrtheit vor. So regelt etwa die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt in ihrem Art. 5 Abs. 2 ein solches Recht. Es kann insoweit auf die Ausführungen zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verwiesen werden. 191

Im übrigen hat der Nachbar weder aus § 1 Abs. 6 noch § 3 BauGB ein Abwehrrecht gegen die Erteilung einer Baugenehmigung (BVerwG, B. v. 24. 4. 1997 NVwZ-RR 1997, S. 682). Vgl. aber D. II. 7. 192

S. in diesem Zusammenhang auch Teil E. II. 4.

122

C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

2. Die Länderverfassungen enthalten sämtlich eine Eigentumsgarantie. In Sachsen-Anhalt handelt es sich dabei um Art. 18 Abs. 1 der Landesverfassung. In Art. 18 Abs. 2 der Landesverfassung ist die Sozialbindung des Eigentums normiert. Bemerkenswert ist insoweit, daß in der Landesverfassung Sachsen-Anhalts ausdrücklich der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als beispielhafter Inhalt der Allgemeinwohlbindung genannt wird. Diese „Umweltpflichtigkeit" 193 des Eigentums nach Maßgabe des Landesverfassungsrechts ist allerdings in hohem Maße durch gesetzgeberische Entscheidungen konkretisierungsbedürftig und enthält insbesondere keine konkreten Vorgaben zum Freiraumschutz oder gar die Vorgabe eines Vorrangs der Innenentwicklung. Im übrigen kann hinsichtlich der landesverfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie auf die entsprechend geltenden Ausführungen zur grundgesetzlichen Bedeutung von Baufreiheit, Sozialbindung und Nachbarrechten für den Freiraumschutz und die Innenentwicklung verwiesen werden. 3. Die meisten Länderverfassungen enthalten Staatszielbestimmungen194 über den Umweltschutz bzw. den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. 195 Das Land Sachsen-Anhalt ist gem. Art. 2 Abs. 1 seiner Verfassung ein dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Staat. Eine Art. 20 a GG vergleichbare Staatszielbestimmung enthält Art. 35 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt. Diese landesrechtliche Regelung wird von Art. 20 a GG nicht verdrängt. Insbesondere ist insoweit die Kollisionsnorm Art. 142 GG nicht anwendbar, da ein Staatsziel kein Grundrecht ist. Da die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung gegenüber der bundesverfassungsrechtlichen für die hier zu untersuchende Fragestellung keine eigenständige Bedeutung hat, kann auch insoweit auf die Ausführungen zu Art. 20 a GG Bezug genommen werden. 196

VI. Raumordnungsrecht 1. Bundesraumordnungsrecht a) Rechtslage bis zum 31. 12. 1997 Auf bundesrechtlicher Ebene war die Materie der Raumordnung und Landesplanung vornehmlich durch das Raumordnungsgesetz (ROG) i.d.F. vom. 28.4.1993 197 193 Vgl. auch die „Umweltpflichtigkeit" nach § 10 Abs. 1 UGB-KomE unten Teil D. 194 Zu diesem Begriff s. oben C. IV. 2. d) aa). Art. 3 Abs. 3 Verfassung Sachsen-Anhalt definiert die Staatszielbestimmung wie folgt: „Die nachfolgenden Staatsziele verpflichten das Land, sie nach Kräften anzustreben und sein Handeln danach auszurichten." 195 Vgl. etwa den bereits oben erwähnten Art. 29 a Verfassung NRW sowie Art. 3 Abs. 2 Bay Verfassung, Art 39 Verfassung Brandenburg, Art. 26 a HessVerfassung, Art. 12 Verfassung MV, Art. 59 a Verfassung Saarland, Art. 10 Verfassung Sachsen, Art. 35 Verfassung LSA und Art. 31 Verfassung Thüringen. 196 S. Teil C. IV. 2.

VI. Raumordnungsrecht

123

geregelt. Das alte Raumordnungsrecht ist mit Ablauf des 31. 12. 1997 keineswegs bedeutungslos geworden. Vielmehr sind gem. der Überleitungsvorschrift § 23 des neuen ROG 1998 198 die Vorschriften des Raumordnungsgesetzes in der bisherigen Fassung weiter anzuwenden, wenn mit der Einleitung, Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung einer raumbedeutsamen Planung oder Maßnahme vor dem 1.1. 1998 begonnen wurde. Das Raumordnungsgesetz ist Rahmenrecht des Bundes für die Länder und enthält nur ansatzweise Regelungen über eine Bundesraumordnung. 199 Der Bund könnte kraft ausschließlicher Kompetenz die Bundesplanung vollständig regeln, während er zur Regelung der Raumordnung in den Ländern nur eine Rahmenkompetenz besitzt, die um eine konkurrierende Vollkompetenz für die städtebauliche Planung ergänzt wird. 2 0 0 Das ROG a.F. hat selbstverständlich auch und vor allem die Bebauung des Raumes zum Gegenstand. Die Raumordnung hat für die Freirauminanspruchnahme zumindest de iure - eine zentrale Steuerungsfunktion. Auch die Innenentwicklung kann Gegenstand raumordnerischer Darstellung sein. Die Berücksichtigung der Belange des Freiraumschutzes wird an verschiedenen Stellen vorgeschrieben, wie insbesondere in § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 2, 5 und 8 ROG a.F. Es wird insoweit nur der Auftrag des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Satz 5 ROG a.F. zur Sicherung der für die „Naherholung und den ökologischen Ausgleich" erforderlichen Freiräume hervorgehoben. Auch enthält das Raumordnungsrecht der alten Gesetzesfassung Vorgaben unter anderem für die in einer Gemeinde anzustrebende Besiedlungsdichte. So bestimmt beispielsweise § 2 Abs. 1 Nr. 6 Satz 4 ROG a.F., daß für die Erhaltung und Stärkung der ökologischen Funktionen ländlicher Räume Sorge zu tragen ist. Eine Beteiligung der Gemeinden an der Raumordnung des Bundes ist gesetzlich nicht vorgesehen. Den Gemeinden verbleiben daher lediglich die allgemeinen Möglichkeiten der Einflußnahme auf den Bund, z. B. über ihre kommunalen Spitzenverbände, um etwa auf die Berücksichtigung von Belangen des Freiraumschutzes und der Innenentwicklung hinzuwirken.

b) Rechtslage ab dem 1. 1. 1998 Zum 1.1. 1998 trat als Artikel 2 des Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 das neue Raumordnungsgesetz (ROG) in Kraft. Das Recht der Bundesraumordnung wurde hierbei grundlegend neu gefaßt.

197 BGBl. I S. 630. Im folgenden ROG a.F. 198 BGBl. 1997 IS. 2110. 199 Vgl. insbesondere § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 1 und Abs. 3, § 5 Abs. 2 ROG i.d.F. vom 28. 4. 1993. 200 BVerfG, Rechtsgutachten vom 16. 6. 1954 BVerfGE 3, S. 407, 428.

124

C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

aa) Leitvorstellung zur Verwirklichung der in § 1 Abs. 1 definierten Aufgabe der Raumordnung ist die nachhaltige Raumentwicklung. Sie soll die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringen und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung des Raumes führen. bb) Die Grundsätze der Raumordnung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 15 ROG können als Konkretisierung der umweltpolitischen Leitvorstellung der Nachhaltigkeit angesehen werden. Die neugefaßten Grundsätze betonen in noch deutlicherer Weise als das alte Recht die Belange des Freiraumschutzes und der Innenentwicklung. So ist gem. Nr. 2 die Siedlungstätigkeit räumlich zu konzentrieren und auf ein System leistungsfähiger zentraler Orte auszurichten. Von herausragender Bedeutung für das hier interessierende Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 ROG, wonach der Wiedernutzung brachgefallener Siedlungsflächen Vorrang vor der Inanspruchnahme von Freiflächen zu geben ist. Zudem ist gem. Nr. 3 die großräumige übergreifende Freiraumstruktur zu erhalten und zu entwickeln, und es sind die Freiräume in ihrer Bedeutung für funktionsfähige Böden, für den Wasserhaushalt, die Tier- und Pflanzenwelt sowie das Klima zu sichern oder in ihrer Funktion wiederherzustellen. Wirtschaftliche und soziale Nutzungen des Freiraums sind unter Beachtung seiner ökologischen Funktionen zu gewährleisten. Nr. 4 verlangt unter anderem, die Infrastruktur mit der Siedlungs- und Freiraumstruktur in Übereinstimmung zu bringen und die soziale Infrastruktur vorrangig in zentralen Orten zu bündeln. Gem. Nr. 5 sind unter anderem verdichtete Räume als Wohn-, Produktions- und Dienstleistungsschwerpunkte zu sichern. Die Siedlungsentwicklung ist durch Ausrichtung auf ein integriertes Verkehrssystem und die Sicherung von Freiräumen zu steuern. Grünbereiche sind als Elemente eines Freiraumverbundes zu sichern und zusammenzuführen. Umweltbelastungen sind abzubauen. Gem. Nr. 6 sind die ökologischen Funktionen der ländlichen Räume auch in ihrer Bedeutung für den Gesamtraum zu erhalten. Nr. 8 2 0 1 bestimmt, Natur und Landschaft einschließlich Gewässer und Wald zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln. Dabei ist den Erfordernissen des Biotopverbundes Rechnung zu tragen. Die Naturgüter, insbesondere Wasser und Boden, sind sparsam und schonend in Anspruch zu nehmen; Grundwasservorkommen sind zu schützen. Beeinträchtigungen des Naturhaushalts sind auszugleichen. Bei dauerhaft nicht mehr genutzten Flächen soll der Boden in seiner Leistungsfähigkeit erhalten oder wiederhergestellt werden. Bei der Sicherung und Entwicklung der ökologischen Funktionen und landschaftsbezogenen Nutzungen sind auch die jeweiligen Wechselwirkungen zu berücksichtigen. Schließlich sei auch noch auf Nr. 10 hingewiesen, wonach die räumlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen oder zu sichern sind, daß die Landwirtschaft als bäuerlich strukturierter, leistungsfähiger Wirtschaftszweig sich dem Wettbewerb entsprechend entwickeln kann und ge201 Die Vorschrift kann mit Krautzberger, in: Battis/ Krautzberger/Lohr, § 1 a Rdnr. 5 als sedes materie des Bodenschutzes in der Raumordnung angesehen werden - mögen auch sonstige Vorschriften des ROG Zielen des Bodenschutzes dienen.

VI. Raumordnungsrecht

125

meinsam mit einer leistungsfähigen, nachhaltigen Forstwirtschaft dazu beiträgt, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen sowie Natur und Landschaft zu pflegen und zu gestalten; flächengebundene Landwirtschaft ist zu schützen; landwirtschaftlich und als Wald genutzte Flächen sind in ausreichendem Umfang zu erhalten. Im Vergleich mit der alten Rechtslage wird die Bedeutung des Freiraumschutzes nunmehr weitaus stärker hervorgehoben. Bereits im ersten Grundsatz ist nicht mehr von dem Verhältnis von Verdichtungsräumen und ländlichen Räumen, sondern von Siedlungs- und Freiraumstruktur die Rede. Dies allein bedeutet bereits eine Stärkung des Freiraumschutzes, da ein ländlicher Raum nicht notwendig Freiraum sein muß, sondern eine weitgehend mit ländlicher Bebauung zersiedelte Landschaft sein kann. Eine signifikante Verstärkung des Freiraumschutzes bedeutet vor allem auch die Aufnahme des Vorrangs der Wiedernutzung brachgefallener Siedlungsflächen vor der Inanspruchnahme von Freiflächen, der im bisherigen Recht zumindest nicht in dieser Deutlichkeit vorhanden war. Der Begriff der Wiedernutzung ist im weitesten Sinne zu verstehen und stellt weder auf die Art der früheren Nutzung noch darauf ab, wie lange die letzte Nutzung zurückliegt. Er deckt damit die zentralen Aspekte des oben definierten Begriffs der Innenentwicklung ab. Nicht nur zu beseitigender Ruinenbestand und nicht mehr genutzter, aber sanierbarer Altbestand fällt hierunter. Soweit man die für die Innenentwicklung besonders bedeutsame Baulückennutzung nicht bereits unter den Begriff der Wiedernutzung subsumieren kann, ergibt sich zumindest aus dem Gebot, die Siedlungsentwicklung durch Ausrichtung auf die Sicherung von Freiräumen zu steuern, das Prinzip des Vorrangs der Innenentwicklung vor der Freirauminanspruchnahme. Die Gemeinde kann gem. § 9 Abs. 6 ROG die Planung der Grundzüge ihres Frei flächen Verbrauchs auch auf einen regionalen Planungsverband übertragen. Hierin kann eine deutliche Stärkung der Regionalplanung202 gesehen werden. Ob sich diese Rechtsänderung als Stärkung des Gemeinwohlinteresses am Freiraumschutz gegenüber gemeindlichen Expansionsbestrebungen auswirkt, ist differenzierend zu bewerten: Sind die Interessen der Mitglieder des Planungsverbandes gleichermaßen auf Expansion der Siedlungsbereiche gerichtet, dürfte der Planungsverband zumindest nicht den Freiraumverbrauch beschränken. Der Planungsverband kann aber insbesondere dann zu einer Stärkung des Freiraumschutzes führen, wenn eine große Mitgliedsgemeinde über einen erheblichen Mangel an naturnahem Erholungsraum verfügt und im Verband Druck auf die Nachbargemeinden ausübt, um diese von der Inanspruchnahme von bisherigem Erholungsraum für bauliche Nutzungen abzubringen. cc) Die Leitvorstellung und die Grundsätze des Gesetzes münden in konkrete planerische Entscheidungen in Gestalt von Zielen der Raumordnung. 203 Sie sind die verbindlichen Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder 202 Peine, JZ 1998, S. 30. Vgl. zum Planungsverband im Bauplanungsrecht § 205 BauGB. 203 Jetzt § 3 Nr. 2 ROG.

126

C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

bestimmbaren, vom Planungsträger abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Gegenüber dem abstrakten Freiraumschutz, der durch Leitvorstellungen und Grundsätze vermittelt wird, können die Ziele als auf den konkreten Raum bezogene Konkretisierung des Freiraumschutzes und der Innenentwicklung bezeichnet werden.

c) Bindungswirkung

der Ziele und Grundsätze

Hinsichtlich der Bindungswirkung der Erfordernisse der Raumplanung für die Gemeinden ist nach Zielen und Grundsätzen zu trennen. Die Gemeinde hat als eine öffentliche Stelle bei ihren raumbedeutsamen Planungen gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG 2 0 4 die Ziele der Raumordnung zu beachten. § 4 Abs. 1 ROG bewirkt somit eine unmittelbare Bindung der Gemeinde an die Ziele der Raumordnung insbesondere bei der raumbedeutsamen Bauleitplanung. Raumbedeutsam in diesem Sinne sind in jedem Falle der Flächennutzungsplan sowie Bebauungspläne, soweit letztere sich nicht nur in der Beplanung eines sehr kleinen Gebietes mit nur unerheblicher Bedeutung für den Gesamtraum erschöpfen. Die Ziele der Raumordnung sind nach herkömmlicher Dogmatik für die Bauleitplanung als Planungsleitsätze im Sinne strikten Rechts verbindlich und nicht abwägbar205 Die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung sind von der Gemeinde gem. § 4 Abs. 2 ROG bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen in der Abwägung oder bei der Ermessensausübung nach Maßgabe der dafür geltenden Vorschriften zu beachten. Das Raumplanungsrecht verweist damit auf das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB. Die unmittelbare Bindung der Gemeinde an die oben dargestellten explizit freiraumschützenden und Innenentwicklung fordernden Grundsätze ist als eine Planungsleitlinie in der gemeindlichen Abwägung gem. § 1 Abs. 6 BauGB zu beachten.206 Die Grundsätze sind gegeneinander und untereinander abzuwägen. Bereits die fehlende Kenntnis über die konkreten Rechtsbindungen kann zu einem Abwägungsfehler führen. Nur der Abwägende, der die gesetzlichen Vorgaben eines Planungsgrundsatzes und dessen gesetzgeberische Gewichtung kennt, kann auch sachgerecht abwägen.207 204

So auch schon die alte Fassung. 05 Hoppe, DVB1. 1993, S. 686.

2

206 Hoppe, DVB1. 1993, S. 683, der allerdings die Diktion „Abwägungsdirektive" verwendet, um auszudrücken, daß die Grundsätze des Raumordnungsrechts keine verbindlichen Regelungen darstellen, sondern der Abwägung unterliegen. 2

07 Es wäre daher lohnender Gegenstand einer rechtstatsächlichen Untersuchung, ob bzw. inwieweit Gemeinderäten jeweils der Inhalt der freiraumschützenden und Innenentwicklung fordernden Grundsätze des ROG bekannt ist, wenn eine raumbedeutsame Planung vorgenommen wird.

VI. Raumordnungsrecht

127

d) Verhältnis von Raumordnung und Bauleitplanung Konkrete mögliche Vorgaben der Raumordnung bzw. Landesplanung für die Innenentwicklung oder Freiraumsicherung können über die sog. Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB Einfluß auf die Ausgestaltung der örtlichen Bauleitplanung nehmen. Die bauplanungsrechtliche Anpassungspflicht gilt nur hinsichtlich der aus den Grundsätzen entwickelten (konkretisierten) Ziele der Raumordnung, nicht aber hinsichtlich der Grundsätze unmittelbar. Bindungswirkung gem. § 4 Abs. 1 ROG und Anpassungspflicht gem. § 1 Abs. 4 BauGB haben daher einen unterschiedlichen Anwendungsbereich. 208 Das Verhältnis zwischen Raumordnung und Bauleitplanung wird nicht ausschließlich durch eine einseitige Einflußnahme der Raumordnung auf die örtliche Bauleitplanung, sondern von wechselseitiger Beeinflussung bestimmt. § 1 Abs. 3 ROG übernimmt das Gegenstromprinzip des bisherigen 209 Rechts 210 . Nach dem sog. Gegenstromprinzip soll sich die Ordnung der Einzelräume in die Ordnung des Gesamtraumes einfügen, aber auch die Ordnung des Gesamtraumes die Gegebenheiten und Erfordernisse seiner Einzelräume berücksichtigen.

2. Landesplanungsrecht Auf der landesrechtlichen Ebene ist das Raumordnungsverfahren im Land Sachsen-Anhalt durch das Vorschaltgesetz zur Raumordnung und Landesentwicklung vom 2. Juni 1992 211 geregelt. Gemeinden sind gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 dieses Gesetzes bei Aufstellung und Änderung des Landesentwicklungsprogramms zu beteiligen. Dies bedeutet, daß ihnen der Entwurf mit der Möglichkeit einer Stellungnahme zugeleitet werden muß. Die Gemeinden können insoweit ihr Gemeindegebiet betreffende Belange des Freiraumschutzes und der Innenentwicklung nur unverbindlich anregen. Die Möglichkeiten der Einflußnahme bestimmen sich daher vornehmlich nach dem politischen Gewicht der Stellungnahme. Im Rahmen der Regionalplanung sind Vertreter der Gemeinden nach einem gesetzlichen Verteilungsschlüssel Mitglieder in einem Regionalen Planungsbeirat für einen Regierungsbezirk und können in dieser Eigenschaft bei dem Planungsverfahren der oberen Landesplanungsbehörde mitwirken. Auch im Rahmen von Raumordnungsverfahren 212 haben Gemeinden lediglich ein Beteiligungsrecht 213. 208

Zu Inhalt und Bedeutung der bauplanungsrechtlichen Anpassungspflicht s. unten VII.

8. 2

09 § ι Abs. 4 ROG a.F.

2

10 Peine, JZ 1998, S. 29. Zum Gegenstromprinzip s. etwa: Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht 2 Teil III 1. 2 » GVB1. LSA S. 390, zuletzt geändert durch Änderungsgesetz vom 17. 12. 1993 (GVB1. LSAS. 815). 2 2

>

§§ 11 ff. Vorschaltgesetz.

128

C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspchnahme und Innenentwicklung

Zusammenfassung: Im beschriebenen Rahmen können die Gemeinden darauf hinwirken, daß die ökologischen Ansätze, über die das Raumordnungsrecht verfügt, auch konsequent verwirklicht werden. Zu diesen ökologischen Aspekten zählt vor allem die zentrale Aufgabe der Landesplanung, den Schutz, die Pflege und die Entwicklung der natürlichen Grundlagen des Lebens zu sichern. 214 In der Rechtspraxis gehen Gemeinden jedoch - aus Sorge um ihre Entwicklungsmöglichkeiten - eher gegen Beschränkungen ihrer Planungshoheit durch freiraumschützende Festlegungen in Landesplanungen vor, als landesplanerischen Freiraumschutz einzufordern. 215

V I I . Bauplanungsrecht (ohne Bodenschutzklausel)216 1. Allgemeines Zentrales Regelungswerk des Bauleitplanungsrechts ist das Baugesetzbuch. Nach Abschluß eines schwierigen und kontroversen Gesetzgebungsverfahrens wurde durch Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung (Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 - BauROG) vom 18. 8. 1997 217 das Baugesetzbuch umfassend geändert. Das Baugesetzbuch wurde sodann in neuer Fassung vom 27. 8. 1997 veröffentlicht. 218 Zweck des BauROG 1998 ist vor allem, das Planungsrecht zu vereinheitlichen und zu vereinfachen und Verfahrensabläufe zu beschleunigen.219 Das Gesetz steht damit im Geist der zahlreichen Beschleunigungsgesetze der jüngeren Zeit. 2 2 0 Die 213 § 17 Abs. 2 Vorschaltgesetz. 214 § 1 Vorschaltgesetz. 215 Vgl. etwa NRW VerfGH, Urt. v. 15. 12. 1989 NVwZ 1990, S. 456, 459: „Generell ist es den Gemeinden zuzumuten, bestimmte Grenzen ihrer - insbesondere gewerblichen - Siedlungsentwicklung hinzunehmen, wobei sich diese Grenzen sowohl aus dem Zuschnitt des Gemeindegebiets und dessen topographischen Eigenarten als auch aus übergeordnetem Gemeinwohl intéressé ergeben können. Speziell für den regionalen Grünzug folgt die für die Zumutbarkeit maßgebliche Grenzbestimmung durch das verfassungsrechtlich anerkannte Gemeinwohlinteresse des Freiflächenschutzes." 216 Hierzu Abschnitt VIII. 217 BGBl. I Nr. 59 vom 25. 80. 1997 S. 2081. 218 BGBl. I S. 2141. Das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau war hierzu durch Art. 10 Abs. 1 BauROG ermächtigt. Das Baugesetzbuch wurde am 16. 1. 1998 (BGBl. I S. 137) berichtigt und zuletzt durch Gesetz vom 15. 12. 1997 (BGBl. I S. 2902) geändert. 219 Vgl. vor allem BT-Drucksache 13/7588, S. 2, 3, und 4; BT-Drucksache 13/7589, S. 7. 220 Gesetz zur Beschleunigung der Planungen für Verkehrswege in den neuen Bundesländern sowie im Land Berlin (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz - VerkPBG) vom 16. 12. 1991 (BGBl. I S. 2174); Gesetz zur Vereinfachung der PIanungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz - PlVereinfG) vom 17. 12. 1993 (BGBl. 1993 S. 2123); Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (Genehmigungsver-

VII. Bauplanungsrecht (ohne Bodenschutzklausel)

129

Novellierung geht zurück auf den Beschluß des Deutschen Bundestags vom 12. 2. 1993 zur alsbaldigen Beseitigung des städtebaulichen Sonderrechts und zur Durchführung einer Rechtstatsachenuntersuchung und Einholung eines städtebaulichen Gutachtens anläßlich der Verabschiedung des Investitionserleichterungsund Wohnbaulandgesetzes,221 auf den Bericht der Expertenkommission zur Novellierung des Baugesetzbuchs vom 28. 10. 1995 222 , auf Überlegungen der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungsund Genehmigungsverfahren vom November 1994 sowie auf die bereits erwähnte zweite Konferenz der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Siedlungsentwicklung (Habitat I I ) . 2 2 3 Die Änderungen des Baugesetzbuchs betreffen in besonderem Maße das umweltschutzbezogene Bauplanungsrecht. So wurde nunmehr der Nachhaltigkeitsgrundsatz als städtebauliche Zielvorstellung formuliert, ein neuer § 1 a BauGB geschaffen, der unter der Paragraphenüberschrift „Umweltschutzbezogene Belange in der Abwägung" in seinem Absatz 1 eine neu gefaßte Bodenschutzklausel enthält, in seinem Absatz 2 unter anderem die Berücksichtigung von Landschaftsplanung, Eingriffsregelung, Umweltverträglichkeitspriifung und Fauna-Flora-HabitatRichtlinie in der Abwägung und in Absatz 3 die Umsetzung der Eingriffsausgleichs regelt. Das den Freiraumschutz schwächende Sonderrecht des BauGBMaßnahmenG224 wurde überwiegend in das Baugesetzbuch übernommen. Vor Inkrafttreten des BauROG galt das Baugesetzbuch in der Fassung vom 8. 12. 1986 225 , die am 1.7. 1987 in Kraft trat und das davor im Städtebauförderungsgesetz 226 und Bundesbaugesetz227 geregelte Bauplanungsrecht in einem Gesetzeswerk zusammenfaßte. 228 Die wichtigsten Änderungen des Baugesetzbuchs erfolgten durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. 4. 1993 229 und das genannte Bau- und Raumordnungsgesetz. Von großer Bedeutung fahrensbeschleunigungsgesetz-GenBeschlG) vom 12. 9. 1996 (BGBl. I S. 1354); Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 9. 10. 1996 (BGBl. I S. 1498). 221 BT-Drucksache 12/4317. 222 Hierzu s. Stuer, DVB1. 1996, S. 482 m.w.Nachw.; Peine, JZ 1998, S. 24 m.w.Nachw.; vgl. auch BT-Drucksache 13/5489 zur Unterrichtung durch die Bundesregierung. 223 BR-Drucksache 635/96, S. 31. 224 s. hierzu unten. 225 BGBl. I S. 2253. 226 Zum Zeitpunkt seiner Aufhebung in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. 8. 1976 (BGBl. IS. 2318, ber. 3617). 227 Zum Zeitpunkt seiner Aufhebung in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. 8. 1976 (BGBl. I S. 2256, ber. 3617). 228 Zur Gesetzesgeschichte des BauGB vgl. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Lohr, Einleitung Rdnr. 20 ff. Zur Gesetzesgeschichte des BBauG s. Zinkahn, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, Teil B, Einleitung Rdnr. 1 ff., 71 ff. 229 BGBl. I S. 466. 9 Franz

130

C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

für das Bauplanungsrecht war aber auch das Sonderrecht des am 1.6. 1990 als Artikel 2 des Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes vom 17. 5. 1990 230 in Kraft getretenen Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch (BauGB-MaßnahmenG).231 Für alle Vorschriften des Ersten Teils des Maßnahmengesetzes galt, daß sie gem. § 20 BauGB-MaßnahmenG nur bis zum 31. 12. 1997 Anwendung fanden. Für Verfahren, die nunmehr dem durch das BauROG geänderten Baugesetzbuch unterliegen, gilt, daß sie gem. § 233 Abs. 1 BauGB nach den bisher geltenden Rechtsvorschriften abzuschließen sind, soweit in den §§ 233 ff. BauGB n.F. nichts anderes bestimmt ist. Im folgenden wird auch auf die alte Rechtslage eingegangen. Sie hat keineswegs jede Bedeutung verloren. Nicht nur wird sich die Rechtsprechung voraussichtlich noch viele Jahre mit der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Bau- und Raumordnungsgesetzes befassen müssen, auch ist die alte Rechtslage nach Maßgabe der Überleitungsvorschriften des BauROG 1998 zum Teil noch heute unmittelbar anwendbares Recht. Schließlich soll eine vergleichende Betrachtung angestrengt und angesichts der baulichen Fehlentwicklungen in den Freiräumen der neuen Bundesländer auch untersucht werden, welche Rechtsfolgen die Verletzung von Vorschriften der alten Rechtslage hat, die das Verhältnis von Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung regelten.

2. Aufgabe der Bauleitplanung gem. § 1 Abs. 1 BauGB 232 Aufgabe der Bauleitplanung ist es gem. § 1 Abs. 1 BauGB, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe des Baugesetzbuches zu leiten. 233 Auch Bauleitpläne, die Freirauminanspruchnahme oder Innenentwicklung zum Gegenstand haben, müssen dieser Aufgabe dienen, da Bauleitplanung rechtswidrig ist, wenn sie keinen Bezug zu dem Auftrag, die städtebauliche Entwicklung zu ordnen, hat. 2 3 4 Der durch § 1 Abs. 1 BauGB vorgeschriebene 230 BGBl. I S. 926. 231 Das Gesetz wurde im Jahre 1993 umfassend novelliert. Die Novellierung erfolgte aufgrund des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22. 4. 1993 (BGBl. I S. 466), so daß das BauGB-MaßnahmenG zuletzt in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. 4. 1993 (BGBl. I S. 622) galt. Im folgenden wird ausschließlich auf das Maßnahmengesetz in der letzten Fassung Bezug genommen. 232 Die Vorschrift wurde durch das BauROG nicht verändert. 233 Man spricht insoweit auch von der Bodenordnungsklausel (vgl. Hoppe, in: Hoppe/ Grotefels, § 5 Rdnr. 1). 234 BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969 BVerwGE 34, S. 301, 305; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 5. 3. 1986 NVwZ 1986, S. 937; HessVGH, Urt. v. 20. 6. 1990 BRS 50 Nr. 7; ähnlich auch BVerwG, Urt. v. 5. 7. 1974 BVerwGE 45, S. 309: „§ 1 Abs. 1 BBauG ist verletzt, wenn und soweit dem Inhalt eines Bauleitplanes unabhängig von aller Abwägung der von ihm berührten Belange von vornherein kein mit der Ordnung der städtebaulichen Entwicklung zusammenhängendes öffentliches Interesse zugrunde liegt".

VII. Bauplanungsrecht (ohne Bodenschutzklausel)

131

„finale Bezug" 2 3 5 zum Entwicklungs- und Ordnungsauftrag der Gemeinde ist nur gegeben, wenn hinreichend gewichtige städtebauliche Allgemeinbelange für eine bestimmte Planung sprechen. 236 So ist Bebauungsplanung insbesondere dann rechtswidrig, wenn eine Planänderung in erster Linie der Förderung privater Interessen dient. Beispielsweise rechtfertigt allein das (immer vorhandene) private Interesse an der Bebauung des Freiraums in keinem Fall eine Bebauungsplanung.237 Mögen private Interessen auch häufig oder gar in der Regel Anlaß einer bestimmten Bauleitplanung der Gemeinde sein, so muß die konkrete Bauleitplanung jedoch durch (öffentliche) städtebauliche Gründe getragen werden. 238 Bebauungsplanung zum Zwecke der Freirauminanspruchnahme ist nicht notwendig durch ein solches öffentliches städtebauliches Interesse getragen. Hingegen ist Innenentwicklung zum Zwecke der besseren baulichen Auslastung des Siedlungsbereichs zur Vermeidung der Notwendigkeit von Freirauminanspruchnahme notwendigerweise (per definitionem) ein öffentliches (städtebauliches) Interesse. Dies gilt allenfalls dann nicht, wenn der Aspekt der Innenentwicklung nur vorgeschoben ist und der wahre Anlaß in der Begünstigung von einzelnen Privatpersonen besteht. Somit enthält § 1 Abs. 1 BauGB insoweit eine Aussage für das Verhältnis der Inanspruchnahme von Freiraum und Innenentwicklung, als bei Bebauungsplanung zum Zwecke der Freirauminanspruchnahme in besonderer Weise darauf zu achten ist, daß ein „finaler Bezug" zum städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsauftrag besteht und diese nicht nur Privatinteressen bedient.

3. Erforderlichkeit gem. § 1 Abs. 3 BauGB (sog. Planrechtfertigung) a) Freiraumschutz

durch § 1 Abs. 3 BauGB?

Die Gemeinde darf Bauleitplanung zur Schaffung von Baurechten im Freiraum nicht willkürlich einleiten. Gemeinden dürfen gem. § 1 Abs. 3 BauGB Bauleitpläne nur aufstellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Zu unterscheiden sind insoweit Planungsbefugnis und Planungspflicht der Gemeinde. Soweit Bauleitplanung erforderlich ist, hat die Gemeinde sowohl eine Planungsbefugnis als auch eine Planungspflicht. Dies gilt auch für die Beplanung von Freiraum. Da (unbeplanter) Außenbereich nur einge235 Vgl. die vorangehende Rdnr. 236 BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969 BVerwGE 34, S. 301, 305; BVerwG, Urt .v. 5. 7. 1974 BVerwGE 45, S. 309, 314, unterstreicht, daß der Bezug ein rein objektiver ist. 237 BVerwG, Β. v. 6. 11. 1968 BRS 22 Nr. 1: „Das Ausmaß, in dem sich Bauwünsche auf Grundstücke im Außenbereichrichten,ist allgemein bekannt; daraus läßt sich für die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 3 BBauG nichts herleiten."; OVG Rh.-Pfalz, Urt. v. 5. 3. 1986 NVwZ 1986, S. 937: „Eine derartige Auffangplanung im Interesse einiger weniger Begünstigter widerspricht dem Gebot der geordneten Entwicklungsplanung i. S. d. § 1 I BBauG." 238 OVG Rh.-Pfalz, Urt. v. 5. 3. 1986 NVwZ 1986, S. 937. *

132

C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

schränkt - im Rahmen des § 35 BauGB - bebaubar ist, schafft die Bebauungsplanung regelmäßig erst die rechtlichen Voraussetzungen für eine bauliche Inanspruchnahme von Außenbereich. Auch Bebauungsplanung, die die Voraussetzungen für eine bauliche Inanspruchnahme von Freiraum schaffen soll, muß daher erforderlich i. S. d. § 1 Abs. 3 BauGB sein. 239 Hinsichtlich des Kriteriums der Erforderlichkeit weist das Bundesverwaltungsgericht 240 regelmäßig auf drei wesentliche Aspekte hin: Erstens setze die Erforderlichkeit i.S.v. § 1 Abs. 3 BauGB nur bei „groben und einigermaßen offensichtlichen Mißgriffen" wirksame Schranken der gemeindlichen Planungshoheit, zweitens reiche für eine Erforderlichkeit aus, daß die Planung „vernünftigerweise geboten" sei, und drittens sei Anknüpfungspunkt der Erforderlichkeit die „planerische Konzeption der Gemeinde". Der sich aufgrund dieser Umstände ergebende weite Gestaltungsspielraum241 der Gemeinde und die insoweit geringe Kontrolldichte dürfen jedoch nicht dazu verleiten, das Erforderlichkeitskriterium faktisch leerlaufen zu lassen bzw. ins Belieben der Gemeinde zu stellen. Zu Recht weist das Bundesverwaltungsgericht daher darauf hin, daß es ein Mißverständnis ist anzunehmen, „daß die Ausübung der Planungshoheit von Haus aus keiner Rechtfertigung bedürfe, sondern gewissermaßen bis zum Beweis entgegenstehender Belange um ihrer selbst willen Rechtens sei" 2 4 2 . Vielmehr müssen hinreichend gewichtige städtebaulich beachtliche Allgemeinbelange für eine bestimmte Planung sprechen. 243 Geht man davon aus, daß Bauleitplanung bereits dann als erforderlich anzusehen ist, soweit sie nach der planerischen Konzeption der Gemeinde erforderlich ist 2 4 4 , stellt die Erforderlichkeitspriifung gem. § 1 Abs. 3 BauGB kein praktisch bedeutsames Hindernis für eine Inanspruchnahme von Freiraumflächen dar, da die gemeindliche Konzeption auf eine Freirauminanspruchnahme ausgerichtet sein kann. Dies gilt um so mehr, als auch das vage Kriterium des „vernünftigerweise Gebotenseins" 245 eine starke Beschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit bewirkt 2 4 6 . Auch kann die Gemeinde „ohne Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BauGB Ansiedlungswünsche privater Investoren, die mit dem bestehenden Baurecht nicht vereinbar sind, zum Anlaß nehmen, durch ihre Bauleitplanung entsprechende Baurechte zu schaffen, wenn dies ihren städtebaulich motivierten Zielvorstellungen entspricht." 247 Die Norm schafft jedoch in jedem Falle einen Begründungsaufwand 239

Das Erforderlichkeitskriterium bezeichnet man auch als Planrechtfertigung. 240 Vgl. nur Urt. v. 22. 1. 1993 KStZ 1995, S. 212, 213, und B. v. 26. 6. 1997 NVwZ-RR 1998, S.357. 241 Söfker, in: Emst/Zinkahn/Bielenberg, § 1 Rdnr. 36; BVerwG, B. v. 16. 1. 1996 NVwZ-RR 1997, S. 83: „weites Planungsermessen". 242 BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969 BVerwGE 34, S. 301, 305. 243 BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969 BVerwGE 34, S. 301, 305. 244 BVerwG, Urt. v. 7. 5. 1971 BauR 1971, S. 182, 185. 245 BVerwG, Urt. v. 5. 12. 1986 BVerwGE 75, S. 233. 246 BVerwG, Urt. v. 7. 5. 1971 BauR 1971, S. 182, 185. 247 OVG NW, Urt. v. 22. 6. 1998 DVB1. 1998, S. 1302.

VII. Bauplanungsrecht (ohne Bodenschutzklausel)

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für die Gemeinden, die in der Lage sein müssen darzulegen, welches städtebauliche Konzept ihrer Bauleitplanung zugrunde liegt. Im übrigen muß bereits aus der gemäß § 9 Abs. 8 BauGB zwingend vorgeschriebenen Begründung des Bebauungsplans hervorgehen, welches städtebauliche Konzept verfolgt wurde. Der Aufstellung eines Bebauungsplans für den Außenbereich ist nicht schon dadurch gerechtfertigt, daß der Außenbereich unter Verstoß gegen § 35 BauGB baulich genutzt wird. 2 4 8 Gegen derartige unzulässige Nutzungen kann bauordnungsrechtlich vorgegangen werden. Auch die gemeindliche Absicht (und übliche Praxis) der „Legalisierung" von unzulässiger Dauerwohnnutzung und unzulässiger Erweiterungsbauten in stadtnahen Wochenendhausgebieten ist per se noch keine Rechtfertigung für die bauplanungsrechtliche Verfestigung unzulässiger Nutzungen. 249 Unzulässig ist in jedem Falle auch eine Baugebietsausweisung auf „Vorrat" 250 . Baugebiete dürfen nur in der tatsächlich erforderlichen Größe ausgewiesen werden. Das Erfordernis der Planrechtfertigung des § 1 Abs. 3 BauGB wirkt somit im Ergebnis freiraumschützend.

b) § 1 Abs. 3 BauGB und Innenentwicklung Eine gemeindliche Rechtspflicht zur Innenentwicklung kann § 1 Abs. 3 BauGB nicht entnommen werden. Ob und ggf. inwieweit die Gemeinde Innenentwicklung betreibt, beurteilt sich auf der Grundlage ihres städtebaulichen Konzepts. Sieht dieses Konzept allerdings eine Optimierung der baulichen Auslastung des Siedlungsbereichs vor, so kann sich im Einzelfall sehr wohl eine gemeindliche Verpflichtung zur Überplanung von Siedlungsbereichen ergeben, wenn eine Umsetzung dieses Konzeptes ein entsprechendes planerisches Tatigwerden erforderlich macht. Zwar hat das Interesse an der Erhaltung vorhandener Verhältnisse in der Abwägung erhebliches Gewicht, es kann aber überwunden werden, wenn dies durch die verfolgten städtebaulichen Ziele sowie die gegen die Erhaltung sprechenden Belange gerechtfertigt wird. 2 5 1 Das planerische Ziel einer Innenentwicklung zur Vermeidung bzw. Einschränkung neuer Freirauminanspruchnahme für bauliche Zwecke ist ein solches Ziel, das grundsätzlich geeignet ist, eine Veränderung des vorgefundenen Bestandes zu rechtfertigen. Die Gemeinde darf sich allerdings nach der Rechtsprechung darauf beschränken, nur diejenigen Bereiche des Gemeindegebietes zu beplanen, in denen ein „akuter" planerischer Handlungsbedarf besteht.252 Somit verdichtet sich die Selbstbindung, die durch ein auf Innenentwicklung angelegtes 248 BVerwG, B. v. 24. 4. 1997 NuR 1997, S. 682. 249 HessVGH, Urt. v. 20. 6. 1990 BRS 50 Nr. 7; OVG Niedersachsen, Urt. v. 9. 7. 1990 BRS 50 Nr. 14. 250 Wohl auch Gassner, UPR 1987, S. 251: „brisant". 251 BVerwG, Β. v. 17. 2. 1997 NVwZ-RR 1997, S. 512. 252 BVerwG, B. v. 20. 11. 1995 NVwZ 1996, S. 889.

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C. Rechtliche Vorgaben für Freirauminanspruchnahme und Innenentwicklung

städtebauliches Konzept der Gemeinde ausgelöst wird, nur in Ausnahmefällen zu einer (justitiablen) Rechtspflicht der Bebauungsplanung zum Zwecke der Innenentwicklung. Bauleitplanung kann auch dann erforderlich i. S. d. § 1 Abs. 3 BauGB sein, wenn das Plangebiet bereits weitestgehend bebaut ist. 2 5 3 Im Extremfall kann Bauleitplanung sogar dazu dienen, eine vorhandene Bebauung zu überplanen, um die vorhandene Ordnung städtebaulich festzuschreiben. 254 Als erforderlich i. S. d. § 1 Abs. 3 BauGB wird etwa die planerische Konzeption angesehen, in einem extrem locker bebauten Gebiet zusätzliche Baumöglichkeiten zu schaffen. 255 Allgemein wird man sagen können, daß Innenentwicklung zur Vermeidung bzw. Reduzierung der Freirauminanspruchnahme, insbesondere durch Baulandschaffung in der Ortsrandlage, im Grundsatz ein planerisches Konzept darstellt, das dem Erforderlichkeitsgebot des § 1 Abs. 3 BauGB gerecht wird. Einer Innenentwicklung bedarf es lediglich dann nicht, wenn für die Ausschöpfung der baufachlichen Möglichkeiten einer Optimierung des Siedlungsraums keine zusätzlichen Baurechte durch Bauleitplanung geschaffen werden müssen und Private willens und in der Lage sind, diese Möglichkeiten kurzfristig auszuschöpfen. Eine solche Situation dürfte jedoch meist ausschließlich hinsichtlich einzelner Grundstücke und nur höchst selten hinsichtlich größerer Plangebiete vorzufinden sein. Nicht nur die Bauleitplanung, auch das städtebauliche Konzept der Gemeinde selbst muß im Einklang mit den Vorgaben des Baugesetzbuches und sonstigen Rechtsnormen stehen. Es muß insbesondere dem Grundsatz eines sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden entsprechen. 256 Von der allgemeinen Planrechtfertigung i. S. d. § 1 Abs. 3 BauGB ist die Frage zu unterscheiden, ob für die konkrete Planung einschließlich der Dimensionierung ein Bedarf besteht. Dies ist Frage der Abwägung. 257 Die Gemeinde ist auch bei der Festlegung des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans im Grundsatz frei. 2 5 8 4. Die Anpassungspflicht gem. § 1 Abs. 4 BauGB Bauleitpläne sind gem. § 1 Abs. 4 BauGB 2 5 9 den Zielen der Raumordnung anzupassen.260 Die Vorschrift ist lex specialis zur Beachtenspflicht des § 4 Abs. 1 253 BVerwG, B.v. 16. 1. 1996 NVwZ-RR 1997, S. 83. 254 BVerwG, B. v. 16. 1. 1996 NVwZ-RR 1997, S. 83. 255 VGH BW, NK-B. v. 12. 8. 1994 VB1BW 1995, S. 241, 242. 256 s. zur Bodenschutzklausel unten C. VI. 7. und VII. 3. 257 Dolde, NJW 1986, S. 816. Zur Frage, ob Privaten ein Anspruch auf Bauleitplanung bzw. eine bestimmte Bauleitplanung zustehen kann, s. unten D. II 7. 258 BVerwG, B. v. 20. 11. 1995 NVwZ 1996, S. 889. 259 Aufgrund des BauROG wurden die Wörter „und Landesplanung" gestrichen (vgl. BGBl. I 1997 S. 2085).

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ROG. 2 6 1 Die Ziele der Raumordnung sind gem. § 3 Nr. 2 ROG die zur Konkretisierung der Grundsätze des § 2 ROG erforderlichen, vom Planungsträger festgelegten Ziele eines konkreten Verfahrens der Raumordnung bzw. Landesplanung. Wenn auch § 1 Abs. 4 BauGB keine unmittelbaren rechtlichen Aussagen zum Verhältnis von Innenentwicklung und Freirauminanspruchnahme zu entnehmen sind, so können durch Raumordnung und Landesplanung wichtige umweltschützende Vorgaben getroffen werden, die sodann nach § 1 Abs. 4 BauGB in die Bauleitplanung zu transformieren 262 sind. Zu nennen sind insoweit Vorgaben zum Schutz bestimmter Freiräume oder zur Entwicklung bestimmter Siedlungsbereiche. Die raumordnerischen Vorgaben sind gem. § 1 Abs. 4 BauGB von der Gemeinde zwingend zu beachten. Die raumordnerischen Zielfestsetzungen sind zwar ,je nach dem Grad ihrer Aussageschärfe konkretisierungsfähig" 263, jedoch nicht der bauleitplanerisehen Abwägung gem. § 1 Abs. 6 BauGB unterworfen. 264 Voraussetzung der Anpassungspflicht ist, daß die Ziele der Raumordnung und Landesplanung hinreichend konkretisiert bzw. bestimmt sind. 265 Der Planungsträger kann Freiraum als Vörranggebiet der Erholung mit der Maßgabe vorbehalten, daß andere Nutzungen nur zulässig sind, wenn sie die vorrangige Erholungsnutzung nicht beeinträchtigen. 266 Hingegen ist die Darstellung von Freiraum als Gebiet mit besonderer Bedeutung für die Erholung sowie für Natur und Landschaft in einem Regionalen Raumordnungsprogramm kein zulässiges Ziel der Raumordnung und Landesplanung, an das Bauleitpläne anzupassen sind. 267 Im Gegensatz zur Festlegung von Vorranggebieten haben derartige raumordnerische Festlegungen nur die Bedeutung einer Abwägungsdirektive. 268

260 Bauleitpläne sind notfalls auch nachträglich an geänderte Ziele der Raumordnung und Landesplanung anzupassen - vgl. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Lohr, § 1 Rdnr. 32 m.w.Nachw. 261 Bielenberg, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg, § 1 Rdnr. 49 zur Vorläuferregelung § 5 Abs. 4 ROG a.F. 262 Man spricht daher auch von der Transformationsfunktion der Bauleitplanung - Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Lohr, § 1 Rdnr. 40. 2 63 BVerwG, B. v. 20. 8. 1992 BVerwGE 90, S. 329, 332 und 333. 2