Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung: Versuch einer Neubestimmung von Artikel 18 GG [1 ed.] 9783428541379, 9783428141371

An zentraler Stelle und dennoch vielfach unbekannt regelt das Grundgesetz in Artikel 18 die Verwirkung bestimmter Grundr

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German Pages 328 Year 2014

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Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung: Versuch einer Neubestimmung von Artikel 18 GG [1 ed.]
 9783428541379, 9783428141371

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1260

Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung Versuch einer Neubestimmung von Artikel 18 GG Von Eva Marie Schnelle

Duncker & Humblot · Berlin

EVA MARIE SCHNELLE

Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1260

Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung Versuch einer Neubestimmung von Artikel 18 GG

Von Eva Marie Schnelle

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14137-1 (Print) ISBN 978-3-428-54137-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84137-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012  /  2013 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Sie soll einen Beitrag zum Verständnis einer Norm darstellen, die derzeit ganz überwiegend für praktisch unbedeutend erachtet wird, zugleich aber theoretisch sehr bedeutsam erscheint. Dieser offenkundige Widerspruch führt zu dem Versuch, Artikel 18 GG durch eine Neubestimmung einerseits als Rechtsfigur für die Grundrechtsdogmatik fruchtbar zu machen und andererseits seine praktische Anwendung zu ermöglichen. Mein herzlicher Dank gilt zuvörderst meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Battis, der mich bei der Arbeit stets hilfreich unterstützt hat. Durch die sehr selbständige Tätigkeit an seinem Lehrstuhl, die mir immer viel Freude gemacht hat, durfte ich zudem einen Einblick in verschiedenste Bereiche des Öffentlichen Rechts erhalten. Für die Erstellung des Zweitgutachtens und die weiterführenden Hinweise danke ich Herrn Prof. Dr. Christian Waldhoff. Dank schulde ich nicht zuletzt der Studienstiftung des Deutschen Volkes für das großzügige Promotionsstipendium sowie dem Bundesministerium des Innern für die unkomplizierte Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Für viele interessante Gespräche und Anregungen möchte ich mich außerdem herzlich bei René Bahns, Dr. Franziska Drohsel, Dr. Richard Hopkins, Dr. Albert Ingold und Dr. Benjamin Rusteberg bedanken. Meinem Ehemann, Michael Alexander Schnelle, danke ich sehr für die fortwährende Unterstützung, Aufmunterung und unermüdliche Hilfe beim Erstellen dieser Arbeit. Der Dank, der meinen Eltern – nicht nur für das Gelingen der Arbeit – gebührt, ist nicht in Worte zu fassen. Ihnen sei diese Arbeit daher gewidmet. Berlin, im August 2013

Eva Marie Schnelle

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Vorläufer von Art. 18 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Landesverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 b) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 . . . . . . 26 c) Art. 48 Abs. 2 Satz 2 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Entstehung von Art. 18 GG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Art. 18 GG als Abkehr vom Weimarer „Wertrelativismus“ . . . . . . . 33 II. Frühe Rechtslehre zur „militanten Demokratie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Karl Loewenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Karl Mannheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Hermann Jahrreiß  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Die Entscheidung des Grundgesetzes für die streitbare Demokratie . . . 40 1. Der Verfassungsschutz im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Die Rechtsprechung zur streitbaren Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Die Literatur zur streitbaren Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Streitbare Demokratie und sozialer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 IV. Legitimität des Verfassungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 V. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 B. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Der Tatbestand des Art. 18 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Adressat der Verwirkungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Die freiheitliche demokratische Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Die Auslegung des Begriffs in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 60 b) Die Kritik an der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Kritik an der Literatur und möglicher Interpretationsansatz . . . . . 62 3. Der Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung . . 64 a) Zusammenhang mit der freiheitlichen demokratischen Grund­ ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Aggressives Verhalten als Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 c) Gefahr und Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Der Missbrauchstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

8 Inhaltsverzeichnis a) Herkunft des Missbrauchsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Die „zivilistische Theorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Die „spezifisch-verfassungsrechtliche Theorie“ . . . . . . . . . . . . . . 75 d) Kritik an der herrschenden Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5. Objekt des Missbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 C. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 I. Antrag auf Feststellung der Grundrechtsverwirkung . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Das politische Ermessen der Antragsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Die Einleitung des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3. Der praktische Gebrauch von der Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Das Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Ablauf der Vorprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Die Verfahren gegen Dienel und Reisz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 III. Die Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 D. Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Der Begriff der Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Die allgemeine und die spezielle Grundrechtsverwirkung . . . . . . 98 b) Funktionaler Vergleich mit dem zivilrechtlichen Verwirkungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Ablehnung eines spezifisch verfassungsrechtlichen Verständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Punktuelles und generelles Verwirkungsverständnis nach Gallwas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Das punktuelle Verwirkungsverständnis  . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Das generelle Verwirkungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Kombiniertes Verwirkungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 e) Das „missbrauchsbezogene Verwirkungsverständnis“ als Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Rechtswirkung des Verwirkungsausspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Ablehnung der deklaratorischen Rechtswirkung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Der konstitutive Charakter der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 110 aa) Duplizität der Verwirkungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Vergleich mit der Rechtswirkung des Parteiverbots . . . . . . . 114 c) Eigener Erklärungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Genetisch-systematische Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Teleologische Argumentation: Strafprozessualer Charakter der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Auswirkung auf die rechtliche Einordnung des Verwirkungsausspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

Inhaltsverzeichnis9 3. Verhältnis der missbrauchten Freiheit zum verwirkten Grundrecht  . 121 a) Die Identitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Die „interne“ Verwirkungsextension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Eigene Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Verwirkung anderer Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Die verschiedenen Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Lösung über die Grundrechtskonkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Quasi-Verwirkung der Religionsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 d) Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Die Auffassungen Wernickes und v. Mangoldts . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Wernickes Lehre vom Totalverlust der Grundrechte . . . . . . . . . . . 140 b) Die Kommentierung v. Mangoldts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Gleichläufigkeit der beiden Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Die Ansicht Dürigs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Verwirkung nur der politischen Ausübungsmodalität . . . . . . . . . . . . 149 4. Die Verwirkung als Hindernis der Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . 151 a) Innentheorie vs. Außentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 aa) Die Siebertsche Innentheorie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Argumente für eine Außentheorie des Rechtsmissbrauchs . . 154 b) Auswirkung der Außentheorie auf die generelle Verwirkungs­ lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Konturierung der Verwirkung auf der Ebene der Rechtsfolgen . . 157 5. Konflikt mit anderen Grundrechtsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Nichtverwirkung der allgemeinen Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . 160 aa) Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . 160 bb) Mögliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Nichtverwirkung des Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Wesensgehalt und Menschenwürdekern der Grundrechte . . . . . . . 166 aa) Wesensgehalt, Art. 19 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Menschenwürdekern der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 cc) Parallelisierung zum Grundrechtsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . 170 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Systematische und dogmatische Einordnung der Grundrechtsverwirkung . 173 1. Art. 18 GG im Gefüge der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Begriffliche Abgrenzungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Dogmatische Einordnung der Grundrechtsverwirkung . . . . . . . . . 180 aa) Art. 18 GG als Grundrechtsschranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 bb) Art. 18 GG als Gewährleistungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Einfluss auf Grundrechtsdogmatik und Grundrechtstheorie . . . . . . . 184 a) Die Grundrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Die Grundrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

10 Inhaltsverzeichnis IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Folgen für Exekutive, Legislative, Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Das Allgemeinheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Der Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Verfassungswidrigkeit von § 39 Abs. 1 Satz 3 und 4 BVerfGG . . . . 201 5. Verwirkung der Wählbarkeit und des Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . 204 6. Verwirkung der Asylfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 V. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 E. Kontextualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Sperrwirkung von Art. 18 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Die erste Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Die Entscheidung des BVerfG zur Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . 218 b) Weitreichender Ausschluss verwirkungsähnlicher Normen nach der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Ausschlusswirkung nur des Tatbestandes oder nur der Rechts­folge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Konturierung der Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 cc) Parallelisierung zum Parteienprivileg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 dd) Art. 18 GG als Schutz gegen jegliche Eingriffe in die politische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Konflikt mit politischem Strafrecht und Polizeirecht . . . . . . . . . . . . 225 a) Das strafrechtliche Berufsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Das Gefahrenabwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Die zweite Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Weitere Entscheidungen des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) Das OVG Münster  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Einengung der Sperrwirkung in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 233 aa) Fruchtbarmachung der generellen Verwirkungstheorie . . . . . 233 bb) Gefahr und Prävention contra Repression . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) Utilitaristische Argumentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 d) Verwirkungsgleiche Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4. Eigener Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Dogmatische Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 II. Verhältnis zu Art. 21 Abs. 2 und 9 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Art. 21 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Art. 9 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Eigene Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 4. Auflösung juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 III. Verhältnis zu Normen des Landesverfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Inhaltsverzeichnis11 1. Art. 17 Abs. 2 LV Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Art. 146 LV Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Parallelität und Divergenz zu Art. 18 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 IV. Vergleich mit internationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 1. Auswirkungen der Verwirkungsentscheidung auf internationale Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Unions- und völkerrechtliche Zulässigkeit der Grundrechtsverwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Die Akzeptanz der streitbaren Demokratie auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Art. 18 GG und die internationalen Missbrauchsregelungen  . . . . 261 c) Art. 18 GG im Lichte von Art. 17 EMRK  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Die Regelungen anderer Verfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 a) Art. 25 Abs. 3 Griechische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 b) Art. 14 Türkische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Art. 55 Abs. 2 Spanische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 F. Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 I. Reale Bedeutung der Grundrechtsverwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Entbehrlichkeit der Grundrechtsverwirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Insuffizienz der Grundrechtsverwirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3. Alternativen zur rechtlichen Extremistenbekämpfung . . . . . . . . . . . . 278 II. Das Monopol des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 G. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 I. Neuinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 II. Neuformulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Einleitung Zweierlei stand nach dem Scheitern der Weimarer Republik und der ihr folgenden Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten fest: Die Freiheit des Einzelnen musste in einer neuen demokratischen Verfassungsordnung obersten Rang haben und gegen willkürliche staatliche Eingriffe geschützt werden; gleichzeitig aber galt es zu verhindern, dass sie allein dazu ausgenutzt würde, auf legalem Wege eben diese freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, wie es den Nationalsozialisten vormals gelungen war. Carlo Schmid fasste diesen Anspruch an eine neue Verfassung bereits 1946 in Worte: „Damit habe ich im Großen und Ganzen das umrissen, was man die Grundrechte des Menschen nennt. Das ist das, was ihm nicht abgesprochen werden kann, wenn man ihm nicht gleichzeitig Freiheit und Würde absprechen will. Freilich muss ich Ihnen hier einiges zu bedenken geben. Die Weimarer Verfassung hat dieses Grundrecht etwa so ähnlich auch aufgestellt, Gebrauch von ihm im Wesentlichen aber haben die gemacht, die mit diesen Grundrechten in der Hand nichts anderes wollten, als den Staat zu zerstören, der diese Grundrechte garantierte. Sie haben von diesen Grundrechten nur Gebrauch gemacht, um sie zu vernichten. Wir meinen, dass sich das nicht wiederholen sollte. Wir müssen das Recht sich auf diese Grundrechte berufen zu dürfen, von der Meinungsfreiheit, Koalitionsfreiheit, Versammlungsfreiheit denen vorbehalten, von denen wir wissen, dass sie die Grundrechte in Anspruch nehmen, um nach dieser Verfassung zu leben und um diese Verfassung zu erhalten. Wir müssen sie denen versagen, die nichts anderes wollen, als mit Hilfe dieser Grundrechte den Geist dieser Verfassung zu benagen oder ihm das Lebenslicht auszublasen. Man wird freilich dann sagen, wenn Sie sich dazu entschließen könnten, Sie seien unkonsequente Demokraten und Grundrechte hätten es eben in sich, gegen sich selber verwendet zu werden. Mir selber würde es leid tun, wenn man um der absoluten Konsequenz willen das Messer schmieden würde, mit dem der eine dem andern einmal die Kehle wird abschneiden wollen.“1

Auch dem Parlamentarischen Rat, der 1948 zusammen getreten war, um nach dem Auftrag der alliierten Westmächte eine neue Verfassung auszuarbeiten, war dies wohl bewusst. Nach der Positivierung der Grundrechte an der Spitze des Grundgesetzes formulierte er deshalb – in Anknüpfung an 1  Rede von Carlo Schmid am 2. Dezember 1946 vor der Beratenden Landesversammlung Württemberg-Hohenzollern, 2. Sitzung, in: Pfetsch (Hrsg.), Verfassungsreden und Verfassungsentwürfe, S. 111 (126).

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Art. 20 des Herrenchiemseer Entwurfs für ein Grundgesetz (HChE) – mit Art. 18 GG eine formelle und materielle Grenze2 für einige Grundrechte: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“

So eindeutig die Motivation der Parlamentarischen Rates war, so missverständlich erscheint ihre Umsetzung in Art. 18 GG. Die Norm wirft zahlreiche praktische und theoretische Fragen auf, die Gegenstand dieser Untersuchung sein sollen. Darüber hinaus lässt sie aber auch einige historische und rechtliche Anknüpfungspunkte erkennen. Gerade dieser Aspekt, der für eine schlüssige Auslegung des Art. 18 GG unverzichtbar ist, wurde in der Lehre bislang vernachlässigt. Hier soll er dagegen als Basis für eine Neuinterpretation der Verwirkungsnorm dienen. Das zivilrechtliche Missbrauchsverbot sowie die Verwirkung eines Rechts, die als Verbot unzulässiger Rechtsausübung ein Unterfall desselben ist, entstammen bereits dem römischen Recht (exceptio doli)3 und fanden daraufhin auch Eingang in das europäische Privatrecht.4 Im BGB sind sie als Schikaneverbot (§ 226 BGB) sowie als Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kodifiziert. Heute gilt der abus des droits nicht nur im Zivilrecht als international anerkannt,5 so dass fraglos Art. 18 GG zumindest formal an diese Rechtstradition anknüpft. Gleichzeitig erinnert sein normativer Gehalt aber auch an die mittelalterliche und frühneuzeitliche Reichsacht, wie sie etwa im Ewigen Landfrieden vom 7. August 14956 zur Bekämpfung der Fehde angedroht wurde, oder bereits an die Acht und Bann im germanischen Recht.7 Nach der ratio dieser frühen Rechtsinstitute sollte 2  Oft wird die Verwirkung durch die Entscheidungshoheit des BVerfG lediglich als formelle Grenze betrachtet im Gegensatz zu materiellen verfassungsimmanenten Schutzbereichsbegrenzungen, vgl. etwa Wiegand, NJ 1993, 396 (400). Eine genaue dogmatische Einordnung soll in dieser Arbeit vorgenommen werden. 3  Vgl. etwa Honsell, Teleologische Reduktion versus Rechtsmissbrauch, in: Festschrift Theo Mayer-Maly, S. 369 (370 ff.). 4  Bereits im Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794 (so etwa § 72 Einl.; Teil II Titel 9 § 98) fanden sich allgemeine Missbrauchs- und Verwirkungsregelungen. 5  Statt vieler Fleischer, JZ 2003, 865 ff., insbesondere zu der auch für andere Länder maßgebenden französischen Doktrin zum Rechtsmissbrauch. 6  Abgedruckt etwa bei Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Bd. 2, Nr. 173. 7  Stichwort „Acht“ in: Cordes (Hrsg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1; siehe auch Battenberg, Reichsacht und Anleite im Spätmittelalter, 1986.

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demjenigen, der sich durch Missachtung der rechtlichen Ordnung von der Gemeinschaft exkludierte, der soziale und rechtliche Schutz derselben versagt werden. So wurde bekanntlich Martin Luther vom Reichstag zu Worms am 26. Mai 1521 für vogelfrei erklärt und ging damit jeglichen rechtlichen Schutzes verlustig. Die überkommene Intepretation des Art. 18 GG ähnelt der historischen Rechtlosstellung signifikant: Wer die Rechte der Gemeinschaft allein dazu nutzt, der Gemeinschaft zu schaden, indem er ihre Grundordnung bekämpft, soll dieser Rechte dauerhaft verlustig gehen. Dabei scheut die Lehre freilich den geschichtlichen Vergleich oder sucht ihn, durch eine restriktive, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Auslegung der Verwirkungsfolge zu umgehen. Doch allein die Tatsache, dass stets betont wird, mithilfe der Grundrechtsverwirkung solle der Betroffene nicht für vogelfrei oder rechtlos erklärt werden, zeigt nur allzu deutlich das Bemühen, einem nicht eben fernliegenden assoziativen Einwand vorzubeugen.8 Damit wird der Norm­ interpretation indes ein Ergebnis übergestülpt, das ihr zumindest nicht ohne Weiteres argumentativ entnommen werden kann. Ihr wird umgekehrt eine Prämisse zugrunde gelegt, die sie selbst nicht erfüllen kann. Es stellt sich deshalb die Frage, ob stattdessen Art. 18 GG nicht so verstanden werden kann, dass der Eindruck einer „modernen Reichsacht“ oder bürgerlichen Entrechtung, die Jahrreiß konsequent als „Entbürgerlichung“9 bezeichnet, gar nicht erst entsteht. Muss die Grundrechtsverwirkung tatsächlich als Instrument der Aberkennung grundrechtlichen Freiheitsschutzes verstanden werden oder rührt diese Auslegung vielmehr von dem Unvermögen her, sich von der gewissermaßen archaischen Vorstellung einer Rechtlosstellung der inneren „Feinde“ zu lösen? Dabei gilt es, den Blick von der Rechtsfolge der Verwirkung zum Missbrauchtstatbestand zu wenden. So wird Art. 18 GG herkömmlich von der Verwirkungsfolge her als Grundrechtsaberkennung interpretiert, während dem Missbrauch überwiegend keine eigenständige Bedeutung beigemessen wird.10 Hiergegen spricht jedoch bereits der Entwurf des Art. 20 HChE, in dem von einer „Verwirkung“ der Grundrechte noch gar nicht die Rede war. Dass hingegen der Missbrauchstatbestand an eine bereits bestehende Rechtsfigur anknüpft, deren spezifische Bedeutung mit einer Verbannung aus der Rechtsgemeinschaft wenig gemein hat, muss im Rahmen von Art. 18 GG eine stärkere Berücksichtigung finden als bisher. Es ist Anliegen dieser Arbeit, zu einer Sichtweise zu finden, die sich von jener überkommenen Interpretation löst. 8  Siehe nur Wiegand, NJ 1993, 396 (399), der sogar explizit die Verhängung einer „Reichsacht“ durch Restriktion des Grundrechtsschutzes verneint. 9  So Jahrreiß, Verhandlungen des 37. Deutschen Juristentages, S. 35. 10  Hierzu ausführlich unter B. I. 3.

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Voraussetzung hierfür ist zuerst, dass Abschied genommen wird von einem durch Carl Schmitt inspirierten Freund-Feind-Denken.11 Wird Art. 18 GG als Norm zur Bekämpfung der inneren „Feinde“ verstanden, ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Zudem wird der Blick verstellt für eine durch Wortlaut, Herkunft und Genese bestimmte Auslegung der Norm. Dass diese nicht Teil eines politischen Kampfarsenals, sondern vielmehr der fragile Versuch, eine innere Dialektik der freiheitlichen Demokratie zu lösen, ist, vermag das recht grobschlächtige Feind-Argument nicht zu erklären. Auch das in diesem Zusammenhang gern verwandte Zitat „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!“12 trifft das diffizile Anliegen der Grundrechtsverwirkung, wenn überhaupt, nur unzureichend. Deshalb soll in der vorliegenden Arbeit vor allem die Verwendung des an diese Thesen erinnernden, aber im Rahmen des grundgesetzlichen Verfassungsschutzes gebräuchlichen Begriffs des „Verfassungsfeindes“ nach Möglichkeit vermieden werden.13 Dies darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Verfasser des Grundgesetzes mit Art. 18 GG einen spezifischen materiellen Wertanspruch an das Recht verbanden. Ihr Ziel war es, ihre Erfahrungen aus der Weimarer Zeit und der anschließenden Nazi-Diktatur in die neue Verfassung einzubringen und eine Wiederholung derselben unbedingt zu verhindern. Das Grundgesetz insgesamt muss daher als Gegenentwurf zur totalitären Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten angesehen werden.14 Eine Ideologie, die das Führerprinzip und unbedingten Gehorsam zur Grundlage hat, die dem Einzelnen seinen Wert abspricht und ihn einem Kollektiv unterordnet, widerspricht dem Grundgesetz von vornherein.15 Zugleich galt als eine entscheidende Ursache für die Machtergreifung Hitlers die Liberalität der 11  Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, passim. Bewusst wird hier davon Abstand genommen, diese vielfach analysierte und kritisierte These der innerpolitische Unterscheidung von Freund und Feind als Wesen des Politischen zu werten, was ohne eine Gesamtbetrachtung des Schmittschen Werkes freilich nur unvollkommen gelingen könnte. Vgl. dazu auch Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 344 ff. Kritisch zum Feindbegriff auch Neumann, Feinderklärung gegen rechts?, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 155: „Wer von Feindschaft spricht, darf über Carl Schmitt nicht schweigen.“ 12  Das Zitat wird Antoine de Saint-Just zugeschrieben. 13  Wenn Art. 18 GG als Teil des Verfassungsschutzes allerdings nur als Möglichkeit des Ausschlusses aus der demokratischen Wettbewerbsordnung und damit als „Ausdruck staatlicher Selbstbeahuptung, für die sich eine Verfassung legitimerweise entscheiden darf“ verstanden wird, ist der Begriff des „Feindes“ freilich nicht völlig Fehl am Platz; siehe Müller-Franken, DVBl. 2009, 1072 (1077). 14  BVerfGE 124, 300 (327). 15  Vgl. Battis / Grigoleit, NVwZ 2001, 121 (123).

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Weimarer Reichsverfassung von 1919. Dieser sei in der Auslegung führender Staatsrechtslehrer der Weimarer Republik ein „Wertrelativismus“ zueigen gewesen, der letztendlich zum legalen Erstarken der verfassungsfeindlichen Kräfte habe führen können. Bei der Interpretation der Grundrechtsverwirkung darf auch diese Abkehr von einem relativistischen Demokratieverständnisses nicht außer Acht gelassen werden. Noch 60 Jahre später sind verfassungsschützende Normen unverzichtbar. So zeigen aktuelle politische Geschehnisse erneut die Dringlichkeit eines funktionierenden Schutzsystems zugunsten freiheitlicher und demokratischer Werte. Extremistisch motivierte Straftaten, die derzeit mit zunehmender Tendenz zu verzeichnenden sind,16 haben einen traurigen Höhepunkt in der Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ erreicht; wenig zuvor fielen in Norwegen zahlreiche Menschen dem Attentat eines rechtsextremistischen Einzeltäters zum Opfer. Seit dem 11. September 2011 sieht sich der Westen zudem einer existenziellen Bedrohung durch fundamental-religiöse Terroristen, die zum Heiligen Krieg gegen die liberale und säkularisierte westliche Hemisphäre aufrufen, ausgesetzt. Die Dschihadisten bezwecken mit ihren Terroranschlägen und Einschüchterungsversuchen mutmaßlich die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates ohne Geltung wesentlicher Freiheiten und Grundrechte.17 So lehnen etwa Salafisten, die in Deutschland zur Zeit die am stärksten wachsende Islamistengruppe bilden, demokratisch beschlossene Gesetze von vornherein ab und treten für die Abschaffung von Parlamenten ein.18 Neuartig ist die hiervon ausgehende Gefahr auch deswegen, weil Terroristen ihre Anhänger vor allem über Videos und Schriften im Internet ködern. Über das Internet werden auch vermehrt rechtsradikale Botschaften verbreitet. Die inzwischen zahlreichen Einträge und Videos auf Facebook, Youtube, Myvideo, Blogspot und andere Internet-Plattformen haben eine bislang ungeahnte Reichweite und damit Wirkungskraft. So publizierte Bilder, Symbole und Lieder nehmen auf subtile Weise vorrangig Jugendliche für die antiliberale Ideologie ein.19 In diesem Zusammenhang könnte neben der erneuten Prüfung eines NPDParteiverbots auch die Grundrechtsverwirkung als vom Grundgesetz vorgese16  Vgl. nur Bundesministerium des Inneren, Verfassungsschutzbericht 2010, Vorabfassung; mit Volkmann, JZ 2010, 209 (215), das wahrhaft „scharfe Schwert der streitbaren Demokratie“, nachdem die der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots stumpf geworden seien. Siehe zu den Hintergründen auch Zwiener / Kodalle, in: Zwiener / Kodalle / Frindte (Hrsg.), Extremismus – Gewalt – Terrorismus, S. 8 ff. 17  Vgl. auch Bielicki / Obermaier, SZ vom 26. Juli 2011, S. 9, zum deutschen Islamisten und Hassprediger Pierre Vogel. 18  Siehe Preuß, SZ vom 20. Juni 2011, S. 6. 19  Bielicki, SZ vom 22. Juli 2011, S. 5.

18 Einleitung

henes Instrument des Verfassungsschutzes Bedeutung erlangen.20 Diese Norm dient nicht etwa allein dazu, einen neuen „Hitler“ zu verhindern.21 Ihr Wortlaut ist vielmehr allgemein gehalten und findet deshalb auch auf veränderte Bedrohungsszenarien Anwendung. Aufgabe der Grundrechtsverwirkung könnte es dabei sein, die legale Verbreitung solcher Ideologien zu verhindern, die einen Nährboden für Terrorismus und Gewaltausübung schaffen. Sie muss deshalb notwendigerweise an einem früheren Zeitpunkt ansetzen als Polizei- und Strafrecht, um die Entstehung einer breiten extremistischen Bewegung von vornherein zu unterbinden. Ähnlich wie das Vereinigungsverbot des Art. 9 Abs. 2 und das Parteiverbot des Art. 21 Abs. 2 GG beinhaltet die Grundrechtsverwirkung einen präventiven Mechanismus der Verfassung zum Schutz ihrer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, der – was oft verkannt wird – über das einfache Staatsschutzrecht hinausgeht, es aber auch nicht derogiert, sondern allenfalls modifiziert. Eben dieses Verhältnis des Art. 18 GG zum einfachen Recht war zwar Gegenstand zahlreicher Un­ter­ suchungen,22 ist aber kaum befriedigend gelöst worden. Dass indes kein Konkurrenzverhältnis zwischen den Normen besteht, sondern diese sich vielmehr notwendigerweise ergänzen, soll hier aufgezeigt werden. Unter anderem die vermeintliche Konkurrenz zum einfachgesetzlichen Staatsschutz mag die regelrechte Anwendungsscheu gegenüber der Grundrechtsverwirkung zu begründen. Während sich das Vereinsverbotes einer großen Beliebtheit erfreut23 und das BVerfG in der Geschichte der Bundesrepublik immerhin in zwei Fällen auf ein Parteiverbot erkannt hat,24 fristet die Grundrechtsverwirkung des Art. 18 GG ein Schattendasein. Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes wurden lediglich vier Verwirkungsanträge gestellt, die vom BVerfG sämtlich abgewiesen wurden.25 Die tatsächliche Bedeutung von 20  Jüngst hat deshalb der niedersächsische Innenminister, Uwe Schünemann (CDU), ein Verwirkungsverfahren gegen den Salafisten Denis Cuspert angeregt, FAS vom 26. Mai 2012. 21  So wird die Norm aber bisher meist verstanden, siehe nur Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 24. 22  Am eingehensten hat sich wohl Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, hiermit auseinandergesetzt. 23  Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes wurden bereits mehr als 500 Vereinigungen verboten. Zusammenstellung bei Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, S.  345 ff. 24  BVerfGE 2, 1 (SRP-Verbot) und BVerfGE 5, 85 (KPD-Verbot). Zwei weitere Anträge wurden zurückgewiesen, da es sich nach Auffassung des BVerfG nicht um Parteien handelte, BVerfG – 2 BvB 2, 3 / 93 – (FAP), DVBl. 1995, 299; BVerfG – 2 BvB 1 / 93 – (NL). Auch das Verfahren zum Verbot der NPD scheiterte bekanntlich, BVerfG, Beschluss v. 18.3.2003 – 2 BvB 1 / 01, 2 BvB 2 / 01, 2 BvB 3 / 01. 25  BVerfGE 11, 282; 38, 23; BVerfG, Beschl. v. 18.7.1996 – 2 BvA 1 / 92; BVerfG, Beschl. v. 18.7.1996 – 2 BvA 2 / 92.

Einleitung19

Art. 18 GG ist dementsprechend umstritten. Während viele die Norm für gänzlich obsolet halten,26 andere dagegen ihren appellativen Charakter als Verfassungsschutzinstitut neben Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG betonen,27 unterstellt Dreier ihr gar eine „Einladung zu populistischem Scheinaktivismus der Regierung“.28 Auch die Bundesregierung als potentielle Antragstellerin nach Art. 18 GG und nicht zuletzt das BVerfG selbst – wie sich ganz offensichtlich in der Verschleppung der Verfahren zeigt – greifen bei der Extremistenbekämpfung lieber auf andere Mittel zurück. Am folgeschwersten für die Verwirkungsnorm wiegt dabei, dass sich die angewandte Grundrechtsdogmatik vollkommen an ihr vorbei entwickelt hat, so dass nunmehr keinen rechten Platz im Grundrechtsgebäude findet. Ihr darin eine Funktion zuzuweisen, soll das übergeordnete Anliegen dieser Arbeit sein. Ungeachtet der fehlenden Konkretisierung durch das BVerfG hat sich zunächst in der Literatur eine lebhafte Diskussion über die Bedeutung der Grundsrechtsverwirkung entsponnen. Kaum eine Verfassungsnorm wurde ohne das Zutun des BVerfG so ausgeleuchtet wie Art. 18 GG. Diese bedeutsame Fortentwicklung einer grundgesetzlichen Regelung allein durch die Literatur bezeichnet Maunz mit Recht als äußerst bemerkenswert.29 Dass die Vorschrift also vollkommen im Dunkeln schwebe, kann nicht ernsthaft behauptet werden, obwohl sich die zu Art. 18 GG ergangenen Entscheidungen durch eher karge Begründungen auszeichnen30 und kaum verwertbare Lösungen für die überaus zahlreichen Probleme bieten. Im Schrifttum gab es dagegen bis etwa in die Mitte der 70er Jahre hinein zahlreiche Äußerungen zu unterschiedlichen Problemkreisen im Umfeld der Bestimmung.31 Während sie zunächst etwa von v. Mangoldt,32 Wernicke,33 Giese34 und Geiger35 im Hinblick auf ihre jederzeitige Anwendbarkeit näher ausgelotet wurde, hat sie zuerst namentlich Dürig36 in einen dogmatischen Frage stellt etwa Friesenhahn, Jura 1982, 505 (512). Stern, Staatsrecht III / 2, 1994, § 87 I 5, S. 936; auch mit Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 5 Rn. 12 ist die Norm trotz ihrer praktisch äußerst geringen Bedeutung aufgrund ihrer „Appell- und Signalfunktion“ kein „totes Holz“. 28  Dreier, JZ 1994, 741 (752). 29  So Maunz, Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Peter Lerche, S. 281 (283). 30  BVerfGE 11, 282 (283); 38, 23; Beschluss v. 18. Juli 1996 – 2 BvA 1 / 92 und 2 / 92 – (nicht veröffentlicht). Siehe auch Butzer / Clever, DÖV 1994, 637 (638). 31  Vgl. etwa die Nachweise bei Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18. 32  v. Mangoldt, GG, 1. Aufl. 33  Wernicke, in: Bonner Kommentar zum GG. 34  Giese, GG, 2. Aufl. 1951, Art. 18. 35  Geiger, BVerfGG, 1952, §§ 36 ff. 36  Dürig, JZ 1952, 513; ders., in: Maunz / Dürig, GG, 1. Aufl., Art. 18. 26  Diese 27  So

20 Einleitung

Kontext einzuordnen versucht. Ihm kommt der Verdienst zu, den Begriff der Verwirkung und die Rolle des BVerfG im Verwirkungsverfahren erstmals kritisch untersucht und dogmatisch fundiert zu haben. Dem folgte eine Vielzahl von Dissertationen und Aufsätzen, die zwar verschiedene Probleme aufgriffen, diese aber vor allem repitierten und kaum eigenständige Lösungsansätze schufen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang etwa Echterhölter,37 Haller,38 Hönsch,39 Kessler,40 Krüger,41 Reif42 und Wagner.43 Als grundlegend für das heutige Verständnis von Art. 18 GG hervorzuheben sind dabei die unfassenden Arbeiten von Gallwas44 und Schmitt Glaeser.45 Es folgte eine Phase, in der nicht mehr die praktische Anwendung der Grundrechtsverwirkung, sondern ihre Fruchtbarmachung für die Bewertung der Verfassungsmäßigkeit einfachgesetzlicher Staatsschutzvorschriften im Vordergrund stand. Dem vorangegangen war eine Entscheidung des BVerfG, die bis heute als einzige inhaltliche Befassung des Gerichts mit der Verwirkungsnorm dienen muss. Das Gericht erklärte eine landesrechtliche Vorschrift wegen Verstoßes gegen das Monopol des BVerfG aus Art. 18 Satz 2 GG für verfassungswidrig.46 Diese als „Sperrwirkung“ von Art. 18 GG bezeichnete Funktion der Verfassungsschutzbestimmung wurde daraufhin in einer Vielzahl juristischer Arbeiten untersucht. Grundlegend sind etwa die Dissertationen von Čopić,47 Hamann48 und Wilke49 sowie die Aufsätze von Reißmüller,50 Sigloch,51 Stettner52 und Willms.53 37  Echterhölter,

JZ 1953, 656. Grundrechtsverwirkung und Zuständigkeitsmonopol des Bundesverfassungsgerichts, Diss. Tübingen 1963. 39  Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG und das Monopol des Bundesverfassungsgerichts aus Art. 18 GG, Diss. Hamburg 1962. 40  Kessler, Die Grundrechtsverwirkung des Art. 18 GG, Diss. Mainz 1952. 41  Krüger, DVBl. 1953, 97. 42  Reif, Der Begriff der Verwirkung der Grundrechte in Artikel 18 des Grundgesetzes, Diss. Bochum 1970. 43  Wagner, Die Verwirkung der Wählbarkeit, Diss. Mainz, 1956. 44  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, 1967. 45  Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, 1968. 46  BVerfGE 10, 118. 47  Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, 1967. 48  Hamann, Grundgesetz und Strafgesetzgebung, 1963. 49  Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das strafrechtliche Berufsverbot, 1964. 50  Reißmüller, JZ 1960, 529. 51  Sigloch, MDR 1964, 881. 52  Stettner, DVBl. 1975, 801. 53  Willms, NJW 1964, 225. 38  Haller,

Einleitung21

Nachdem sich diese rege Anteilnahme an der vermeintlich neuen Funk­ tion des Art. 18 GG gelegt hatte, fand das Interesse an der praktisch zwar nach wie vor bedeutungslosen, aber theoretisch vielversprechenden Verfassungsschutznorm Mitte der 90er Jahre im Zuge der Verfahren gegen Dienel und Reisz einen weiteren Höhepunkt.54 Doch die letzten beiden Verwirkungsanträge wurden vom BVerfG nach achtjähriger Verfahrensdauer ebenso wie die vorhergehenden abgewiesen und der Enthusiasmus, der in der Lehre für die Norm kurzzeitig entflammt war, klang rasch ab. Eine abschließende Durchdringung der mit der ungenutzten Verfassungsschutzbestimmung, die gegenwärtig nur noch vereinzelt Gegenstand wissenschaft­ licher Untersuchungen ist,55 verbundenen Probleme scheint bis heute nicht gelungen.56 Mit Stern ist die grundgesetzliche Regelung aufgrund ihrer „Fülle schwieriger Probleme, die noch der Lösung harren“, deshalb eine „Fundgrube vor allem für Dissertationen“ geblieben.57 Mit Art. 18 GG soll nun in der vorliegenden Arbeit ein vielleicht zu Unrecht übergangenes Instrument des Grundgesetzes gegen Extremisten auch im Hinblick auf seine praktische Tauglichkeit als Verfassungsschutzbestimmung beleuchtet werden. Dabei wird die systematische Einbettung der Verwirkungsnorm in die Grundrechtsdogmatik im Vordergrund dieser Arbeit stehen. Neben der bekannten Problemfelder im Zusammenhang mit der Auslegung von Art. 18 GG soll auch auf den Vergleich mit internationalem und Europarecht, insbesondere mit der Europäischen Grundrechtecharta (EUGRCh) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) eingegangen werden – ein Aspekt, der in Anbetracht der fortschreitenden Internationalisierung des Rechts in einer neuen Untersuchung unverzichtbar ist.58 Anhand dieser Problemfelder soll zum einen der These nachgegangen werden, dass die herrschende Interpretation des Art. 18 GG einer potentiellen Anwendung der Verwirkungsnorm von vornherein entgegen steht. Zum 54  Vgl. nur die Aufsätze von Brenner, DÖV 1995, 60; Butzer / Clever, DÖV 1994, 637; Dreier, JZ 1994, 741 und schließlich Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, 1998, S. 289. 55  So zuletzt Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, 2003, S.  129 ff. 56  So für die Frage des Verhältnisses von Art. 18 zu Art. 9 Abs. 2 GG auch Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, 2005, S. 241. 57  Stern, Staatsrecht I, § 6 IV 2 S. 200. 58  Dazu bereits Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (311 ff.); außerdem Papier / Durner, AöR 128 (2003), 340 (368 ff.). Zum Verhältnis von Art. 18 GG zu Art. 54 EUGRCh / Art. 17 EMRK auch Bifulco / Celetto, in: Mock  /  Demuro (ed.), Human Rights in Europe, Article 54, S.  344 f.

22 Einleitung

anderen wird die These untersucht, dass die Grundrechtsverwirkung theoretischen und dogmatischen Einfluss auf die Grundrechtsinterpretation nimmt. Die herkömmliche Grundrechtsdogmatik erweist sich bei richtiger Auslegung und Anwendung des Art. 18 GG als unzureichend. Vielmehr ist ein in der Lehre bereits seit einiger Zeit diskutiertes59 differenzierteres Grundrechtsmodell zu favorisieren. Hiervon ausgehend ist idealerweise eine Neujustierung und Neuformulierung des Art. 18 GG vorzuschlagen, die einer zur bloßen Symbolfunktion degradierten Norm, die bei näherer Betrachtung aber von überragender Bedeutung für das Grundrechtsverständnis ist, zu Leben verhelfen kann.

59  Aus der Fülle der Literatur beispielhaft Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165; Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2004), 203; ders., Enge oder weite Gewährleistungsgehalte der Grundrechte?, in: Kolloquium für Brun-Otto Bryde, S. 53; Kahl, Der Staat 43 (2004); Möllers, NJW 2005, 1973; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt.

A. Hintergrund Um Art. 18 GG besser einordnen und damit richtig interpretieren zu können, ist es notwendig, zunächst den Hintergrund der Verfassungsnorm darzustellen. Neben ihrer Entstehungsgeschichte ist deshalb mit dem Prinzip der streitbaren Demokratie insbesondere auf ihren ideengeschichtlichen Kontext einzugehen. Das BVerfG zitiert die Grundrechtsverwirkung neben dem Vereins- und dem Parteienverbot regelmäßig als Beleg des Grundgesetzes für eine streitbare Demokratie.1 Die Idee einer aus sich selbst heraus wehrhaften Demokratie ist jedoch nicht erst mit der Konzeption des Grundgesetzes entstanden, sie beruht vielmehr auf einer zuerst in den 30er Jahren von deutschen Wissenschaftlern im Exil entwickelten Theorie.2 Für die Interpretation der Verwirkungsnorm als Mittel der streitbaren Demokratie ist die Kenntnis dieser Geschichte essentiell. Sie soll im Folgenden dargestellt werden, ehe sodann auf die Entscheidung des Grundgesetzes für die streitbare Demokratie und ihre Rezeption in Rechtsprechung und Literatur einzugehen ist. Abschließend soll die Legitimität des Verfassungsschutzes beleuchtet werden.

I. Entstehungsgeschichte Für die Genese einer gesetzlichen Regelung sind stets auch ihre Vorläufer von Bedeutung. Gerade um eine in Praxis und Lehre so unklare Norm wie Art. 18 GG richtig auslegen zu können, bedarf es einiger Anhaltspunkte. Als solche können vor allem ähnliche und damit möglicherweise vorbildhafte Bestimmungen dienen. Aber auch manche Divergenzen können entscheidende Hinweise für die Interpration der Norm geben. Eine Hilfe können dabei natürlich die Motive und Diskussionen des Gesetz- oder Verfassungsgebers darstellen. In diesem Fall sind deshalb insbesondere die Protokolle der Sitzungen des Parlamentarischen Rats auszuwerten. Abschließend ist auf den vermeintlichen „Wertrelativismus“ unter der WRV einzugehen, eine für das Verständnis sowohl der allgemein aus seiner Ablehnung heraus entstandenen Lehre von der streitbaren Demokratie als auch speziell des Art. 18 GG wichtige Prämisse. 1  Sie beispielsweise BVerfGE 13, 46 (49 f.); 25, 44 (58); 25, 88 (100); 28, 36 (48 ff.); 28, 51 (55); 30, 1 (19 ff., 45 f.); 39, 334 (339); 80, 224 (253). 2  Vgl. nur Loewenstein, Mannheim; dazu unter A.II.1. und 2.

24

A. Hintergrund

1. Vorläufer von Art. 18 GG Es wird zwar immer wieder betont,3 dass Art. 18 GG in der gesamtdeutschen Verfassungsgeschichte kein unmittelbares Vorbild habe. Vorläufer gibt es aber, was meist allenfalls nebenbei erwähnt wird,4 in einigen vorkonstitutionellen Landesverfassungen. Auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 enthält eine Bestimmung über den Missbrauch von Rechten. Die WRV hingegen kannte die Begriffe des Grundrechtsmissbrauchs oder der Verwirkung von Grundrechten nicht, sondern bestimmte lediglich Notstandsrechte. a) Landesverfassungen Bereits Art. 17 der Hessischen Verfassung vom 1. Dezember 1946 hat folgenden Wortlaut: „(1) Auf das Recht der freien Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinsfreiheit sowie auf das Recht der Verbreitung wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke kann sich nicht berufen, wer den verfassungsmäßigen Zustand angreift oder gefährdet. (2) Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet im Beschwerdeverfahren der Staatsgerichtshof.“

Und Art. 19 der Saarländischen Landesverfassung vom 15. Dezember 1947 sieht vor: „Auf das Recht der freien Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinsfreiheit sowie auf das Recht der Verbreitung wissenschaftlicher oder künstlerischer Werke kann sich nicht berufen, wer die freiheitliche demokratische Grundordnung angreift oder gefährdet.“

Die Landesverfassung von Baden vom 18. Mai 1947, aufgehoben durch Art. 94 Abs. 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953, bestimmte in Art. 124: „Wer es unternimmt, die durch die Verfassung den Staatsbürgern gewährleisteten Grundrechte und Freiheiten zum Kampfe gegen diese Grundrechte und Freiheiten zu missbrauchen, stellt sich selbst außerhalb die Verfassung und verwirkt damit das Recht, sich gegenüber Notwehrhandlungen des Staates auf verfassungsmäßige 3  Statt vieler Dürig / Klein, in: Maunz  / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 1; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu  /  Hofmann  /  Hopfauf, GG, Art. 18 Rn. 1: „Novum im deutschen Verfassungsrecht“; ebenso bereits Geiger, BVerfGG, Vorbem. 1 vor § 36, allerdings schließt die Allgemeinheit der Aussage auch die Verwirkungsartikel der Landesverfassungen mit ein. 4  So etwa Seiters, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 18 Rn. 1 ff.



I. Entstehungsgeschichte25 Grundrechte und Freiheiten zu berufen. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet auf Klage der Staatsgerichtshof.“

Die Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz, ebenfalls vom 18. Mai 1947, umfasste bis zu seiner Streichung am 15. März 1991 folgenden Art. 133: „Wer darauf ausgeht, die sittlichen oder politischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens, besonders die verfassungsmäßigen Freiheiten und Rechte durch Gewaltanwendung oder Missbrauch formaler Rechtsbefugnisse zu untergraben oder aufzuheben, wird strafrechtlich verfolgt und kann sich auf die Grundrechte nicht berufen. Parteien oder sonstige Vereinigungen, deren Programm oder Bestätigung auf derartige Ziele gerichtet sind oder deren Mitglieder oder Anhänger in beträchtlicher Zahl solchen gemeinschädlichen Bestrebungen nachgehen, sind von der Beteiligung an Wahlen oder Abstimmungen auszuschließen, wenn die Landesregierung und der Landtag dies gemeinsam beantragen.“

Gänzlich neu war die Bestimmung des Art. 18 GG also keineswegs. Auf mehr oder minder ähnliche Weise wie die grundgesetzliche Verwirkungsnorm statuierten bereits vor Entstehung des Grundgesetzes Landesverfassungen grundrechtliche Missbrauchsregelungen und sahen gleichfalls eine zumindest verwirkungsähnliche Rechtsfolge dafür vor. Die hessische und die badische Vorschrift sahen sogar jeweils ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht vor, das allerdings erst im Wege der Beschwerde oder Klage eingreifen sollte. Obwohl teilweise vertreten wird, dass die landesverfassungsrechtlichen Vorschriften neben Art. 18 GG wegen Art. 31 GG keinen Bestand haben,5 können sie jedenfalls zur historischen Auslegung der Norm durchaus herangezogen werden und möglicherweise für ihr Verständnis Aufschluss bieten. Die Verfassung von Berlin dagegen hat die Missbrauchsregelung noch im Jahr 1995 aufgenommen. So heißt es in Art. 37: „Auf die Artikel 14, 26 und 27 darf sich nicht berufen, wer die Grundrechte angreift oder gefährdet, insbesondere wer nationalsozialistische oder andere totalitäre oder kriegerische Ziele verfolgt.“

Hier diente also umgekehrt das Grundgesetz als Vorbild – und das trotz der auch damals schon absehbaren praktischen Bedeutungslosigkeit des Art. 18 GG. Interessant ist jedoch, dass Art. 37 der Verfassung von Berlin explizit nationalsozialistische Ziele als Voraussetzung dafür benennt, den Schutz bestimmter Grundrechte zu verlieren. Eine Erklärung mag sein, dass nach dem Fall des Ostblockes der Kommunismus – anders als noch 1949 – keine drohende Gefahr mehr darzustellen schien und so die Ablehnung des Nationalsozialismus noch stärker in den Vordergrund rückte. 5  Vgl. nur Huber, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 31 Rn. 14, 24 m.  w. N. Hierauf wird später noch einzugehen sein, siehe unter E. III.

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A. Hintergrund

b) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 Eine ähnliche Bestimmung wie diese landesverfassungsrechtlichen Missbrauchsregeln findet sich schon in der am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der UNO verabschiedeten Declaration of Human Rights (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, AEMR).6 Diese als Reaktion auf die Schrecken des Zweiten Weltkrieges verfasste Erklärung stellt den Grundstein des internationalen Menschenrechtsschutzes dar und ist das wohl bekannteste Menschenrechtsdokument. In dreißig Artikeln statuiert es bürger­ liche, politische und soziale Rechte, wobei neben den klassischen Freiheitsrechten, wie die Religions- und Meinungsfreiheit, ein besonderer und vor allem neuer Akzent auf den sozialen Sicherungsrechten liegt. Zwar ist die AEMR kein juristisch verbindliches Dokument, doch kommt ihr ein hoher moralischer und politischer Wert zu. Sie diente darüber hinaus als Grundlage für die Ausarbeitung der verbindlichen UNO-Menschenrechtskonventionen. Die Menschenrechtserklärung abschließend, enthält Art. 30 AEMR folgenden Wortlaut: „Keine Bestimmung dieser Erklärung darf dahin ausgelegt werden, dass sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, welche die Beseitigung der in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat.“

Diese Auslegungsregel erinnert stark an die Grundrechtsverwirkung des Art. 18 GG, der zur Tatbestandsvoraussetzung ebenfalls den Missbrauch bestimmter Grundrechte hat. Beiden Vorschriften ist gemein, dass sie den politischen „Selbstmord“ der freiheitlichen Grundordnung verhindern wollen, also den Einsatz der Grundfreiheiten in der Absicht, sie selbst abzuschaffen. Im Unterschied zum Grundgesetz sieht die AEMR das Missbrauchsverbot zwar auch staatlicherseits vor; die Gefahr staatlicher Willkür hat das Grundgesetz aber bereits mit der Grundrechts- und Gesetzesbindung der staatlichen Gewalt in Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG gebannt. c) Art. 48 Abs. 2 Satz 2 WRV Art. 18 GG hat in der deutschen Verfassungsgeschichte, wie bereits erwähnt, keinen unmittelbaren Vorläufer. Aufgrund des ähnlichen Wortlauts lohnt indes ein Vergleich mit Art. 48 Abs. 2 Satz 2 WRV.7 Stellt diese Bestimmung nicht doch eine Art Vorgänger der Grundrechtsverwirkung dar? 6  UN-Doc,

217 / A (III) – Bull. 1951, S. 214. vermeintliche innere Verbindung beider Normen machen etwa noch Weber, Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz, S. 23 und H. P. Ipsen, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), HdbGR II, 1954, S. 111 (132), aus. 7  Eine



I. Entstehungsgeschichte27

Von den älteren Notstandsvorbehalten wie Art. 48 Abs. 2 Satz 2 WRV weicht Art. 18 GG insofern ab, als sie Grundrechtsverlust oder -suspension an das Vorliegen eines unterschiedlich qualifizierten Notstands knüpften.8 Dies zeigt bereits die Systematik des Art. 48 WRV: „(1)  Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten. (2)  Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforder­ lichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen. […]

Genau wie Absatz 2 Satz 1 setzt Absatz 1 mit der Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Notstandssituation voraus, die erst den Einsatz der bewaffneten Macht ermöglicht. Absatz 2 Satz 2 hat folglich diese Situation zur Voraussetzung eines Außerkraftsetzens der aufgezählten Artikel. Diese ähneln freilich den verwirkbaren Grundrechten: Freiheit der Person (Art. 114 WRV), Freiheit der Wohnung (Art. 115 WRV), Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis (Art. 117 WRV), Meinungsfreiheit (Art. 118 WRV), Versammlungs- (Art. 123 WRV), Vereinigungs- (Art. 124 WRV) und Eigentumsfreiheit (Art. 153 WRV). Es handelt sich dabei vorrangig um die politischen Grundrechte. Im Unterschied zur Verwirkungsnorm werden die Grundrechte zwar nicht nur Einzelnen gegenüber beschränkt, doch scheint auch hier den Kommunikationsgrundrechten und politisch einsetzbaren Freiheiten eine besondere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung beigemessen worden zu sein. Natürlich werden die Verfasser des Grundgesetzes trotz einer bewussten Ablehnung des notstandsbedingten Außerkraftsetzens von Grundrechten diese Norm, die in der Weimarer Republik durchaus und in Krisenzeiten vermehrt Anwendung fand,9 bei der Entstehung von Art. 18 GG in Erinnerung gehabt haben. Allein die augenfällige Ähnlichkeit beider Vorschriften verleitet womöglich dazu, eine unangemessen enge Verwandtschaft zwischen den Bestimmungen herzustellen. Diesen naheliegenden Schluss zu ziehen, wäre ein Fehler. Wichtiger, als die Ähnlichkeit auszubreiten, ist es nämlich, die Divergenz zwischen den tatsächlich sehr verschiedenen Normen zu benennen. 8  Gusy,

in: AK-GG zum Grundgesetz, Art. 18 Rn. 1. etwa das bekannte Beispiel des sog. Preußenschlags vom 20. Juli 1932, bei dem die gesamte preußische Regierung per Notverordnung gem. Art. 48 Abs. 1 und 2 WRV entmachtet und durch den Reichskanzler v. Papen als Kommissar ersetzt wurde. Vgl. auch Blomeyer, Der Notstand in den letzten Jahren von Weimar, Berlin 1999. 9  So

28

A. Hintergrund

So bezeichnet Gusy die Grundrechtsverwirkung in Abgrenzung zum tradierten Notstandrechts als „Notstandsverhinderungsrecht“.10 Ein Notstandsrecht, welches im Ausnahmefall die Aussetzung von Grundrechten erlaubt, sehen nahezu allen Verfassungen vor.11 Wie auch in der Weimarer Republik leidvoll erfahren, birgt dies jedoch die Gefahr in sich, dass der Staat seine Macht missbraucht. Man kann es dem Grundgesetzgeber daher hoch anrechnen, dass er mit Art. 18 GG und anderen Instituten der streitbaren Demokratie anstelle eines Notstandsrechts im Ergebnis ein Recht zur Verhinderung des Notstands statuiert hat. Im Unterschied zum herkömmlichen Staatsschutzrecht, das primär organisations- und vereinsbezogen konzipiert ist, stellt Art. 18 GG außerdem allein auf den einzelnen Grundrechtsträger ab.12 Während die herkömmlichen Notstandsrechte in der Hauptsache von einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch extremistische Gruppen ausgehen, versuchten die Verfasser des Grundgesetzes mit Art. 18 GG, die von Individuen ausgehende Gefahr zu bannen. Ähnlichkeiten mit Art. 48 Abs. 2 Satz 2 WRV sind darum lediglich der Tatsache geschuldet, dass die Inanspruchnahme der politischen Grundrechte immer auch eine Gefahr für den Bestand des Staates darstellen kann, was dieser freilich selten hinzunehmen bereit ist. 2. Entstehung von Art. 18 GG Die Einführung des Verwirkungsartikels in das Grundgesetz wurde 1949 mit einer Einmütigkeit beschlossen, die angesichts der ihm von allen Seiten zugeschriebenen bahnbrechenden Neurung erstaunen mag. Der Herrenchiemseer Konvent hatte Art. 20 seines Entwurfes für das Grundgesetz (HChE) folgendermaßen formuliert: „(1)  Wer die Grundrechte der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 7 Abs. 1), der Pressefreiheit (Art. 7 Abs. 2), der Versammlungsfreiheit (Art. 8) oder der Vereinigungsfreiheit (Art. 9) zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt damit das Recht, sich auf diese Grundrechte zu berufen. (2)  Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet auf Beschwerde das Bundesverfassungsgericht.“

Hierzu war im Darstellenden Teil ausgeführt worden, dass jede Demokratie, die die Verwirkung der politischen Grundrechte für den nicht vorsehe, 10  Gusy,

in: AK-GG, Art. 18 Rn. 1. auch Yotopoulos-Marangopoulos, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 14. 12  Gusy, in: AK-GG, Art. 18 Rn. 1. 11  So



I. Entstehungsgeschichte29

der sie zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung missbraucht, in Gefahr stehe, selbstmörderisch zu werden. Da andererseits die Gefahr bestehe, dass die Waffe der Verwirkung politisch missbraucht werden könne, sei für diesen Fall die Verfassungsbeschwerde gegeben, deren Einführung dem Konvent lediglich zur Erwägung gestellt werde.13 Der Grundsatzausschuss befasste sich in seiner 26. Sitzung vom 30. November 1948 mit der Frage, inwieweit Grundrechte zum Kampf gegen die Grundordnung ausgenützt werden könnten.14 Insbesondere wurde festgestellt, dass einige Grundrechte hierfür nicht in Betracht kämen, etwa das Recht auf Leben, die freie Entfaltung der Persönlichkeit oder die Freiheit der Berufswahl. Der Abgeordnete v. Mangoldt war zudem der Auffassung, dass es zur Behebung möglicher Zweifel der ausdrücklichen Feststellung bedürfe, dass unter Missbrauch der freien Meinungsäußerung auch ein religiös getarntes und gegen die Verfassung kämpfendes weltanschauliches Bekenntnis verstanden werden könne.15 Die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit seien hingegen durch die Freiheit der Meinungsäußerung mitumfasst. Einer besonderen Erwähnung der Pressefreiheit bedürfe es deshalb eigentlich nicht, wurde aber nicht ausgeschlossen. Die „Streikfreiheit“ sah der Abgeordnete Bergsträßer hingegen von der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit mitumfasst.16 In der Fassung des Grundsatzausschusses vom 1. Dezember 1948 hatte Art. 14 Abs. 2 Satz 3 folgenden Wortlaut:17 „Wer sein Eigentum missbraucht, kann sich auf den Schutz dieser Bestimmung nicht berufen.“

Angesichts dieser allgemeinen Missbrauchsklausel wurde von einer Einbeziehung des Eigentums in den Verwirkungsartikel zunächst abgesehen. Als Absatz 2 des Art. 21, dessen Absatz 1 die Unantastbarkeit des Wesensgehalts der Grundrechte bestimmte (Art. 19 Abs. 2 der Endfassung), erhielt die Verwirkung folgende Formulierung: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit oder die Vereinigungsfreiheit zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte.“ 13  JöR

n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 172. n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 172. 15  JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 172. Diese Ansicht v. Mangoldts verdient besondere Beachtung, da mangels einer ausdrücklichen Einbeziehung vom Art. 4 GG in den Kreis der missbrauchbaren Grundrechte in Art. 18 GG sich zwangsläufig die Frage stellt, ob ein religiös begründetes „verfassungsfeindliches“ Verhalten ebenfalls eine Grundrechtsverwirkung nach sich ziehen kann. 16  JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 172. 17  Drs. 338, S. 4. 14  JöR

30

A. Hintergrund

Da nach Auffassung des Ausschusses die in Art. 20 Abs. 2 HChE vorgesehene Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts in den Abschnitt über die Rechtspflege des Grundgesetzes gehöre, sah der Ausschuss von einer Beibehaltung dieses Absatzes vorläufig ab.18 Der Hauptausschuss fügte in erster Lesung (18. Sitzung vom 4. Dezember 1948) auf Antrag der CDU / CSU-Fraktion das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis in den Verwirkungsartikel ein.19 In der Fassung vom 13. Dezember 1948 normierte der Allgemeine ­edaktionsausschuss die Verwirkungsklausel in einem eigenen Artikel R (Art. 20b) und ergänzte ihn um einen Absatz 2, wonach die Verwirkung und ihr Ausmaß vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden. Absatz 3 verwies für die nähere Regelung auf ein Bundesgesetz.20 Nach der beigefügten Begründung würde sich sonst jede Verwaltungsbehörde im Einzelfall – unter Umständen sogar gegen Personengruppen – auf die Bestimmung stützen können, was einem Außerkraftsetzen von Grundrechten durch einfachen Verwaltungsakt gleichkäme. Der Schutz des Betroffenen, gegen eine solche Entscheidung das Gericht anzurufen, reiche dagegen nicht aus. In Anbetracht der außerordentlichen Bedeutung eines derartigen Eingriffs müsse sichergestellt sein, dass er nur vom BVerfG vorgenommen werde. Mit diesem Vorschlag befasste sich auch der Grundsatzausschuss in seiner 32. Sitzung vom 11. Januar 1949. Gegen den Verwirkungsausspruch durch das BVerfG wandte sich v. Mangoldt.21 Wenn die Verwirkung nur vom BVerfG bestimmt werden könne, werde sie ihrer Wirkung beraubt. Zwar könne eine Verwaltungsbehörde eine unrichtige Verwirkungsverfügung getroffen haben, dann müsse hierüber aber im Wege einer Klage entschieden werden. Auch Bergsträßer sprach sich für den alleinigen Rekurs an das BVerfG aus. Deshalb nahm der Grundsatzausschuss den vom Allgemeinen Redaktionsausschuss vorgeschlagenen Zusatz über das BVerfG schließlich nicht auf.22 Ein Vorschlag des Abgeordneten Eberhard, Absatz 1 in „gegen die freiheitliche oder demokratische Grundordnung“ umzuformulieren, wurde nicht aufgenommen. Der Abgeordnete Heuß hatte sich gegen eine solche antithetische Verwendung der Begriffe gewandt, während sie „aber im Volksbewusstsein in eins zusammenfließen“ sollten. Und v. Mangoldt erklärte, dass 18  Drs.

338, S. 4. 456, S. 7. 20  Drs. 370. 21  JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 173. 22  JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 173. 19  Drs.



I. Entstehungsgeschichte31

es auch eine demokratische Ordnung gebe, die weniger frei sei, nämlich die volksdemokratische. Der Grundsatzausschuss fasste Art. 20b schließlich wiederum als Absatz 2 der Unantastbarkeit des Wesensgehalts der Grundrechte und nahm den Zusatz über das BVerfG nicht auf.23 Vor dem Hauptausschuss (zweite Lesung, 44. Sitzung vom 19. Januar 1949) begründete v. Mangoldt die Nichtaufnahme des vom Allgemeinen Redaktionsausschuss vorgeschlagenen Absatzes 2 folgendermaßen: „Der Grundsatzausschuss hat geglaubt, diesen Zusatz nicht übernehmen zu sollen, und zwar aus folgenden Gründen. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wird sich immer ziemlich lange hinziehen. Wenn es sich aber um einen Missbrauch dieser Grund- und Freiheitsrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung handelt, dann kann nicht so lange gewartet werden, sondern da muss sofort eingeschritten werden können. Durch dieses sofortige Einschreiten werden ja demjenigen, der davon betroffen wird, nicht die Rechte genommen, mit den Möglichkeiten, die ihm das Recht sonst gibt, gegen eine solche Verfügung anzugehen. Er kann also, da wir jetzt die Generalklausel in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren haben, ohne weiteres mit einer solchen Klage im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgehen. Man kann vielleicht auch vorsehen – das muss an andere Stelle des Grundgesetzes geschehen –, dass im letzten Rechtszug das Bundesverfassungsgericht über eine solche Klage entscheidet. Jedenfalls waren wir alle einig in dem Gedanken, dass es unmöglich ist, die Verwirkung der Grundrechte erst auf Grund eines Ausspruchs des Bundesverfassungsgerichts eintreten zu lassen.“24

Dagegen sprach sich der Abgeordnete Dehler für die Aufnahme des vom Allgemeinen Redaktionsausschuss vorgeschlagenen Absatzes 2 aus: „Ein solcher Absatz scheint mit unbedingt notwendig zu sein, weil andernfalls die Tragweite dieser Bestimmung der Verwirkung der Grundrechte gar nicht abzusehen ist. Wer gegen irgendeines dieser Grundrechte verstößt, wäre praktisch vogelfrei. Jede Verwaltungsstelle könnte ihm die Grundrechte absprechen. Er müsste sich dann an das Gericht wenden und sehen, wie und wann er wieder zu seinem Recht kommt. Das gleiche könnte gegen eine Gruppe von Menschen geschehen. Jede Polizeibehörde könnte sagen: Du hast ein Grundrecht verletzt, jetzt hast du nicht das Recht der Meinungsfreiheit, du hast nicht das Recht der Versammlungsfreiheit, du hast dieses Recht verwirkt. Das wäre die Statuierung des Polizeistaates. Die Polizei könnte jeden vogelfrei machen. Darum halte ich die Fassung, die wir im Redaktionsausschuss gefunden haben, nach der ein so weittragender Verlust von Grundrechten nur durch den Verfassungsgerichtshof ausgesprochen werden kann, für notwendig. Nur der Verfassungsgerichtshof kann Ausmaß und Dauer des Verlustes der Grundrechte regulieren. Die andere Fassung ist nach meiner Meinung viel zu vage und unbestimmt.“25 23  JöR

n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 173. nach JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 174. 25  Zitiert nach JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 174. 24  Zitiert

32

A. Hintergrund

Mit 13 zu sieben Stimmen wurde der Antrag von Dehler angenommen und dem Art. 20b in Absatz 2 der Satz angefügt: „Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“26 Der Abgeordnete Seebohm beantragte, den gesamten Artikel zu streichen, weil „ein allgemein an eine solche Generalklausel geknüpfter Verwirkungstatbestand in einem Rechtsstaat nicht gut möglich erscheint. Die Schutzbestimmungen gegen den Missbrauch der politischen Freiheit, die in das Grundgesetz aufgenommen sind, müssen genügen, um die verfassungsmäßige Ordnung gegen Umtriebe zu schützen.“ In diesen Schutzgesetzen sei der Missbrauch der politischen Freiheiten zudem genau zu definieren.27 Für den Fall der Ablehnung des Streichungsantrags solle Art. 20b aber durch folgende Fassung ersetzt werden: „Wer darauf ausgeht, die christlichen, sittlichen oder politischen Grundlagen des Gemeinschaftslebens, insbesondere die verfassungsmäßigen Freiheiten und Rechte durch Gewaltanwendung oder Missbrauch formaler Rechtsbefugnisse zu untergraben oder aufzuheben, verwirkt folgende Grundrechte: […] Als Angriff auf die verfassungsmäßigen Grundlagen des Staates und der Gesellschaft gilt insbesondere: 1. der Missbrauch staatlicher Befugnisse oder gesellschaftlicher Möglichkeiten zur Einschüchterung der öffentlichen Meinung oder der staatsbürgerlichen Entschließungsfreiheit. 2. das Unternehmen, Einzelne oder bestimmte Menschengruppen durch Erregung oder Ausnutzung von Massenleidenschaften oder auf sonstige Weise der Missachtung oder Rechtlosigkeit preiszugeben, oder in ihren Rechten oder Vermögen zu bedrohen, zu schmälern oder sonstwie zu kränken.“

Dieser Antrag wurde vom Hauptausschuss abgelehnt.28 Der Allgemeine Redaktionsausschuss schlug in seiner Fassung vom 25. Januar 1949 vor, die Unantastbarkeit des Wesensgehalts der Grundrechte in den Art. 20c, in dem die Einschränkung der Grundrechte behandelt wurden (Endfassung Art 19), zu versetzen. Außerdem empfahl er, das Asylrecht in die verwirkbaren Grundrechte einzuschließen, „für den Fall des Missbrauchs des Asylrechts, z. B. durch einen Ausländer“.29 Auf Antrag der CDU-Fraktion beschloss der Hauptausschuss in dritter Lesung (47. Sitzung des Hauptausschusses vom 8. Februar 1949) die Umstellung des Absatz 1 in den Art. 20c und die Einbeziehung des Asylrechts in Art. 20b.30 Einem abermaligen Antrag der CDU-Fraktion unter Führung 26  Drs.

535. nach JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 174. 28  JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 175. 29  Drs. 543. 30  JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 175. 27  Zitiert



I. Entstehungsgeschichte33

von v. Mangoldt auf Streichung des Schlusssatzes über die Verwirkungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde nicht stattgegeben. Auf die Bedenken v. Mangoldts, dass nicht gewartet werden könne, „bis in dem sehr langwierigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung ergeht“, entgegnete der Abgeordnete Schmid, dass das Verfassungsgericht in einem sehr schnellen Verfahren einstweilige Anordnungen erlassen könne.31 In seinem Vorschlag vom 2. Mai 1949 fügte der Allgemeine Redaktionsausschuss das Eigentum zu den Grundrechten, die verwirkt werden können, hinzu und strich zugleich die allgemeine Missbrauchsklausel in Absatz 3 des Art. 14.32 Diese Fassung entspricht der vom Hauptausschuss in vierter Lesung (57. Sitzung vom 5. Mai 1949) gebilligten Endfassung. In der zweiten (9. Sitzung vom 6. Mai 1949) und dritten Lesung (16. Sitzung vom 8. Mai 1949) im Plenum fanden schließlich keine Erörterungen mehr statt.33 Interessant ist an dieser Stelle, dass sämtliche Probleme, die der Parlamentarische Rat bereits diskutierte, später bei der Frage der Anwendbarkeit und dogmatischen Schlüssigkeit von Art. 18 GG wieder auftauchen. Betrachtet man etwa den Streit um die Verwirkungserklärung durch das BVerfG, der die verschiedenen Ausschüsse wiederholt beschäftigte, so bezeichnet er bereits die Falle, in der sich Art. 18 GG bis heute befindet: Das Verfahren vor dem BVerfG macht die Grundrechtsverwirkung zu einem mühseligen und vergleichsweise wenig Wirkung versprechenden Instrument; darauf verzichten mag aber – wohl aus Angst vor willkürlichen Entscheidungen der Verwaltung und übergroßem Vertrauen in die Justiz – auch niemand mehr. 3. Art. 18 GG als Abkehr vom Weimarer „Wertrelativismus“ Grundsätzlich herrschte nach 1945 – und zum Teil noch heute – eine Fehlvorstellung über die vermeintliche Wehrlosigkeit der WRV vor. Im Gegenteil enthielt aber die Verfassung von 1919 im Zusammenspiel mit zahlreichen einfachen Republikschutzgesetzen umfangreiche Bestimmungen zum Schutz der staatlichen Ordnung. Damit war es durchaus auch möglich, die Republik vor dem Übergriff antidemokratischer Kräfte zu bewahren. Teilweise wurde zwar Art. 76 WRV als Verbot des Selbstschutzes und damit als Beweis für die Wertneutralität der WRV gesehen, mit der die Verfassung 31  Drs.

584. 751. 33  JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 176. 32  Drs.

34

A. Hintergrund

insgesamt oder in Teilen aufgehoben werden könne.34 So sei letztendlich das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933 verfassungsgemäß zustande gekommen.35 Ein verfassungsrechtlich unzulässiges politisches Bestreben habe es nach dieser Vorstellung unter der WRV nicht gegeben. Die Verfassung sei demgemäß gegenüber jeglichen politischen Richtungen neutral gewesen. Art. 76 WRV, der sogar die eigene Aufhebung der Verfassung erlaubt habe, sei daher Zeichen der „Neutralität der WRV bis zum Selbstmord“ gewesen, die auf einer als „Relativismus“ beschriebenen Geisteshaltung gründete.36 Art. 76 WRV ließ aber mögliche andere Staatsschutzbestimmungen der Verfassung unberührt und nahm durch das Erfordernis eines verfassungsmäßigen Gesetzgebungsverfahrens sogar auf sie Bezug. Zum Schutz der Demokratie in der Weimarer Republik dienten, teils vorrangig ihrer Intention, teils auch ihrer objektiven Wirkung nach, verschiedene Institute, wie das Bundesstaatsprinzip und die institutionelle Schwächung des Parlaments.37 Problematischer war hingegen die Stellung der Exekutive, insbesondere der Reichsregierung, zwischen dem Reichstag und dem Reichspräsidenten. Ausdruck dessen waren nicht zuletzt die zahlreichen Regierungswechsel, nicht nur in den Krisenjahren der Republik.38 Die eher schwach entwickelten Grundrechte standen dagegen einem wirksamen Staatsschutz kaum im Wege.39 Die im Grundrechtsteil der WRV regelrecht bunt durcheinander gewürfelten Grundrechte, Abwehrrechte, Rechte über die Organisation der Gesellschaft und objektive Verfassungsaufträge ließen sich mit Thoma nur in einem negativem Begriff zusammenfassen: „Nicht unmittelbar verfassungsorganisatorischer Inhalt der Reichsverfassung.“40 Sie enthielten mit Anschütz „weniger, mehr und anderes als die Überschrift besagt“.41 Zwar fehlte eine ausdrückliche Bestimmung, welche die Bindung der öffentlichen Gewalt an die Grundrechte vorschrieb. Eine solche wurde jedoch nach und nach durch Auslegung der einzelnen Normen hergeleitet,

34  Dies war allerdings streitig. Ein Teil der Weimarer Staatsrechtswissenschaft war etwa der Auffassung, dass die Verfassungsänderung nach Art. 76 WRV ungeschriebenen rechtlichen Grenzen begegnen würde; so etwa C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 177; dagegen jedoch Thoma, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten I, S. 39 ff. 35  Vgl. C. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, S. 440 (450, Anm. 5). 36  Ausführlich dazu Gusy, Weimar – Die wehrlose Republik?, S. 28. 37  Gusy, Weimar – Die wehrlose Republik?, S. 37. 38  Vgl. die Übersicht bei E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VI, S.  328 f. 39  So Gusy, Weimar – Die wehrlose Republik?, S. 43. 40  Thoma, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten I, S. 1. 41  Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 449.



I. Entstehungsgeschichte35

soweit deren Wortlaut dies zuließ.42 Es handelte sich deshalb keineswegs um bloße „leerlaufende“ Versprechungen.43 Auf der anderen Seite unterlagen gerade die politischen Freiheitsrechte, wie die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit mit den „allgemeinen“ und den Strafgesetzen weitreichenden Einschränkungsvorbehalten. Damit wurde zwar die Rechtsstellung des Bürgers allgemein geschwächt, aber zugleich ein Eingreifen zum Schutz der Verfassung ermöglicht. Dieser war verfassungsrechtlich mit der Einsetzung der Diktaturgewalt des Reichspräsidenten nach Art. 48 Abs. 2–5 WRV geradezu vorgesehen. Diese Anpassungsfähigkeit war für die Weimarer Republik, die aus einer Krise heraus entstanden war und gleichsam ununterbrochen in einer Krisenlage existierte, als ständig verfügbares Krisenrecht schlechterdings unabdingbar.44 Indes hängt die Wehrhaftigkeit einer Verfassung, wie anhand der Entwicklungen in der Weimarer Republik eindrücklich zu beobachten ist, weniger von besonders strengen und lückenlosen Vorschriften für den Extremfall, sondern vielmehr vom Willen und von der politischen Einstellung der entscheidungsbefugten Staatsorgane und mindestens gleichermaßen von der Verankerung demokratischer Strukturen und eines demokratischen Bewusstseins in der Bevölkerung ab.45 Letztlich kann der Justiz in der Weimarer Republik wohl vorgeworfen werden, das vorhandene Recht zum Verfassungsschutz partiell nicht angewandt und eine überaus einseitige Verurteilungspraxis betrieben zu haben.46 So war die Weimarer Republik, trotz ihres an sich effektiven rechtlichen Grundgerüstes zum Schutz der demokratischen Ordnung,47 in erheblichen Bereichen ohne Schutz gegen verfassungs42  Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 453 ff.; dazu auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts III, S. 112. 43  Vgl. Gusy, Weimar – Die wehrlose Republik?, S. 45; ferner E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte VI, S. 99, der die Grundrechte aufgrund ihres unbegrenzten allgemeinen Gesetzesvorbehalts als „leerlaufend“ bezeichnet. 44  Ausführlich dazu E. R. Huber, in: ders., Bewahrung und Wandlung, S. 193 ff. 45  So konstatiert Bulla, AöR 98 (1973), 340 (344): „Man wird heute kaum mehr bestreiten können, dass der Weimarer Staat eher am Fehlen der erforderlichen demokratischen Gesellschaftsstrukturen als an den wirklichen oder vermeintlichen verfassungsorganisatorischen Unzulänglichkeiten zugrunde gegangen ist.“ 46  So wurde etwa die KPD, anders als die NSDAP, frühzeitig als hochverräterisch eingestuft, vgl. Gusy, Weimar – Die wehrlose Republik?, S. 355 ff. Vgl. bereits Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 638 (654): „The best preventive statues are ineffective if the public officials in general, who, by controll­ ing the key-positions in the administration and by guiding the execution of the laws, are responsible for law enforcement, are not thoroughly loyal to the state from which they draw their livelihood.“ 47  In diesem Sinne auch Kersten, NJ 2001, 1 f. zum Republikschutz durch das Instrument des Parteienverbots.

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A. Hintergrund

feindliche Bestrebungen. Insbesondere in der späten Phase der Weimarer Republik, in der mit den Parteien der Weimarer Koalition die politische Mitte immer schwächer geworden war, wurden die Schutzvorkehrungen der WRV weniger zum Republikschutz eingesetzt, als vielmehr dafür, die Handlungsfähigkeit der Staatsorgane (besonders der Exekutive) zu sichern.48 Auch das Verfassungsschutzrecht des Grundgesetzes bedarf, wie diese Erfahrung zeigt, einer solchen allgemeinen Überzeugung. Hier zeigt sich der spezifische Charakter jeglicher das Zusammenleben regelnder Vorschriften: Sie können nur dann eine sinnvolle Anwendung finden, wenn ihr normativer Gehalt soziale Anerkennung findet. Auch die Legitimität des BVerfG würde in Frage stehen, wenn seine Entscheidungen nicht auf eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz treffen würden. Demgemäß geben Rechtsregeln nur in der Gesellschaft vorgefundene Wertvorstellungen wieder. Ändern sich diese grundlegend, haben auch sie keine Existenzberechtigung mehr.

II. Frühe Rechtslehre zur „militanten Demokratie“ Zwar besitzt Art. 18 GG keinen offiziellen Vorläufer und gilt in seiner Ausgestaltung und Wirkung als einmalig. Doch gab es auch schon in früheren Verfassungen einen Republik- und Staatsschutz,49 wie soeben aufgezeigt wurde. Letztendlich ist eine Staatsform, die keine Vorkehrungen zu ihrem eigenen Schutz kennt, sei es in der Verfassung, sei es in einfachen Gesetzen, wohl kaum denkbar.50 Ein Staat, der seine Grundordnung nicht notfalls auch nach innen verteidigen kann – sei es auf militärischem, sei es auf zivilem Wege –, riskiert gleichsam seine eigene Existenz. Worin besteht aber die Besonderheit der streitbaren Demokratie des Grundgesetzes, wie sie auch in Art. 18 GG ihren Ausdruck findet? Dies soll im Folgenden anhand der Lehre zur streitbaren Demokratie und deren Ausprägung im Grundgesetz, einschlägiger Entscheidungen des BVerfG sowie entsprechender Literatur dargelegt werden. 1. Karl Loewenstein In einer scharfen Analyse des europäischen Faschismus forderte Karl Loewenstein in der renommierten American Political Science Review 1937 48  Gusy,

Weimar – Die wehrlose Republik?, S. 367 f. zur historischen Dimension des Verfassungsschutzes Denninger, in: Benda / Maihofer / Vogel, HdbVerfR, §  16 Rn.  9 ff. 50  Vgl. auch H.-P. Schneider, Der Verfassungsschutz, in: Narr (Hrsg.), Wir Bürger als Sicherheitsrisiko, S. 93. 49  Vgl.



II. Frühe Rechtslehre zur „militanten Demokratie“ 37

erstmals: „Democracy must become militant“.51 Ein falsches Verständnis von Demokratie sei die Ursache für die Machterlangung des Faschismus. Indem die vergleichsweise jungen Demokratien in Europa dem toleranten Vertrauen der demokratischen Ideologie, dass die Wahrheit sich am Ende immer gegen das Falsche behaupten würde, anhingen, seien sie nicht dazu in der Lage, ihren „Feinden“ den Gebrauch eines demokratischen Instrumentariums zu verbieten. Dieser „demokratische Fundamentalismus“ ermögliche letztlich den „Feinden“, mit demokratischen Mechanismen, gleich einem trojanischen Pferd, die Demokratie zu überrollen.52 Repressive Gegenaktionen des bedrohten Staates kämen dann meist zu spät und seien gelähmt von einer Angst vor Bürgerkrieg.53 Die fehlende anfängliche Unterbindung subversiver Bewegungen ist für Loewenstein deshalb die einzig wahre Erklärung für die Machtergreifung Hitlers und solle anderen Demokratien als Warnung dienen. Da die Demokratie – im Gegensatz etwa zum von Loewenstein als „emotional“ bezeichneten Faschismus54 – ein rationales System sei, könne sie ihre Überlegenheit nur durch ihre Errungenschaften beweisen. Die Werte der Freiheit erschienen vielen bereits als sicher und deshalb durch Routine ausgelaugt, blass und glanzlos. Eine „demokratische Romantik“ sei deshalb ein Widerspruch in sich. Deshalb, so meint Loewenstein, könne die Demokratie einzig durch Politik und Gesetzgebung verteidigt werden.55 Gleichwohl gibt Loewenstein zu bedenken, dass eine „Idee“ wie der Faschismus keinesfalls durch legislative oder adminitrative Mittel vollständig unterdrückt, sondern höchstens vorübergehend aufgehalten werden könne.56 Gerade deshalb aber glaubt er, müssten Demokratien gegenüber Bewegun51  Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 417 (423). Allerdings hat Loewenstein bereits in VVDStRL 7 (1931), 192 (193) geäußert, dass der Staat die Pflicht der Selbsterhaltung und sich dagegen zu wehren habe, dass gerade den Parteien der parlamentarische Apparat zur Verfügung gestellt werde, die sich zum Programm gemacht haben, diesen Apparat zu zerschlagen. Dies kann durchaus als erstes Bekenntnis zu einer wehrhaften Demokratie bezeichnet werden. 52  So Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 417 (424), der deshalb feststellt: „It is exaggerated formalism of the rule of law which under the enchantment of formal equality does not see fit to exclude from the game parties that deny the very existence of its rules.“. Das gleiche gilt letztlich für das Strafrecht, das – laut Loewenstein – in der Weimarer Republik Juden und Kommunisten vor gewalttätigen Übergriffen praktisch kaum Schutz gewährte, vgl. S. 638 (651). 53  Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 417 (425). 54  Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 417 (418). 55  So Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 417 (428) sowie S. 638 (644 ff.) zu möglicher anti-faschistischer Gesetzgebung. 56  Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 417 (431  f.): „History teaches the deathlessness of ideas.“

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A. Hintergrund

gen gestärkt werden, die ihre Zerstörung intendierten. Loewenstein kommt zu dem geradezu unglaublichen Ergebnis: „Where fundamental rights are institutionalized, their temporary suspension is justified.“57 2. Karl Mannheim Der Soziologe Karl Mannheim veröffentlichte nach 1945 unter dem Titel „Diagnosis of our Time“ während des Krieges geschriebene Abhandlungen.58 Darin trifft er – wie bereits zuvor Loewenstein – die Feststellung: „Um zu überleben, muss unsere Demokratie eine streitbare Demokratie werden.“, womit er sich ausdrücklich gegen einen „Laissez-faire-Liberalismus“ wendet, der Toleranz mir Neutralität verwechsle.59 Er verteidigt die streitbare Demokratie zugleich gegen den Verdacht, in die Nähe von Diktaturen zu rücken. Dazwischen bestehe „selbstverständlich ein grundlegender Unterschied“; denn Ziel der Diktatoren sei es, „ihren Untertanen eine starres Wertsystems aufzuerlegen“, während streitbare Demokratie zum Zweck habe, „jene grundlegenden moralischen Werte wie Brüderlichkeit, gegenseitige Hilfe, soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde usw., welche die Grundlagen für ein fried­ liches Funktionieren einer sozialen Ordnung darstellen“ zu verteidigen.60 Über gewisse grundlegende Wertbegriffe müsse daher eine Einigung erzielt werden, darin bestehe der Unterschied zur „relativistischen laissez-faire-Gesellschaft der vergangenen Epoche“.61 Mannheim befürwortet schließlich einen evolutionären Übergang zu einer „demokratisch geplanten Gesellschaft mit sozialer Zielsetzung“, eine „Planung für Freiheit“.62 Interessanterweise will er demgemäß das Instrument der Planung einsetzen, um mithilfe einer der westlichen Zivilisation gemeinsamen Moral- und Wertüberzeugung die 57  Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 417 (432); 638 (652); es mag deshalb zunächst erstaunen, dass sich Loewenstein, in seiner Verfassungslehre, S. 348 ff. im Spannungsfeld von demokratischer Freiheit und Verteidigung der Demokratie gegen Angriffe von innen ausdrücklich für eine größtmögliche Freiheit der Bevölkerung und gegen eine (zumal in den USA damals zu beobachtende) zunehmend restriktivere Gesetzgebung gegenüber bestimmten politischen Meinungen ausgesprochen hat. Genau besehen schließt die eine Ansicht die andere jedoch nicht aus, sondern zeigt nur die Notwendigkeit klarer äußerer Grenzen der Freiheit gegenüber inflationären Freiheitseingriffen durch die Legislative. 58  Ins Deutsche übertragen von Fritz Blum und erschienen unter dem Titel: Mannheim, Diagnose unserer Zeit, Zürich 1951. 59  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, S. 17, der insbesondere eine Haltung beklagt, die vergesse, die Freiheit zu retten und demokratische Kontrolle als eine „Lebensbedingung für ihre Erhaltung“ anzusehen. 60  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, S. 17 f. 61  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, S. 18. 62  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, S. 23.



II. Frühe Rechtslehre zur „militanten Demokratie“ 39

Freiheit in der Demokratie zu wahren.63 Wie eine solche Planung genau auszusehen habe, sagt Mannheim zwar nicht, doch darf nicht übersehen werden, dass sich seine Idee ausdrücklich auf Großbritannien mit „seiner Jahrhunderte alten Tradition der Demokratie und Freiheit“ bezieht64 und nicht etwa auf die Verankerung einer streitbaren Demokratie in einer neuen Verfassung, wie das deutsche Grundgesetz sie letztendlich umsetzte. Sein Wertsystem, das er als notwendig für den Schutz der Freiheit ansieht, ist also weniger als ein rechtliches Phänomen im Sinne eines verfassungsrechtlichen Prinzips, das womöglich selbständig justiziabel ist, zu verstehen. Vielmehr fordert Mannheim einen gesellschaftlichen Konsens, der zwar sozial, aber nicht rechtlich eingefordert werden kann, „den sich jeder zu eigen machen kann, der an der Tradition westlicher Zivilisation teil hat“.65 3. Hermann Jahrreiß Jahrreiß sieht im Jahr 1949 die Wirklichkeit der Demokratie von vornherein nur in gewissen „Trübungen“, die entweder unvermeidlich seien oder aufgrund von Zugeständnissen erfolgen müssten. Wie jede Staatsform könne eben auch die Demokratie ihrer Idee nicht vollständig genügen, sondern müsse Kompromisse eingehen.66 Er wendet sich damit gegen frühere Ansichten, wie etwa die Reine Rechtslehre Kelsens, die seiner Meinung nach zu Unrecht von der Demokratie – im Gegensatz zu anderen Herrschaftsformen – Kompromisslosigkeit erwarteten. Dennoch sei ein bestimmtes Mindestmaß an Freiheit für den Einzelnen nach dem Wesen der Demokratie als res publica vorausgesetzt. Nur so könne Herrschaft in menschenwürdiger Gestalt auftreten. Allein ausreichend sei diese Voraussetzung jedoch nicht, da die Freiheit andersherum nur aufrecht erhalten werden könne, wenn sie das Staatsvolk sinnvoll gebrauche.67 Jahrreiß steht damit zugleich vor der Frage, ob Demokratie, um sich behaupten zu können, zu Einschränkungen der politischen Freiheit gezwun63  Auch an anderer Stelle beruft sich Mannheim explizit auf das „Zeitalter der Planung“ und zeigt das Spannungsverhältnis zwischen Planung und Freiheit oder Religion auf, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass erstere gerade zum Schutz der letzteren eingesetzt werden könne. Vgl. etwa Mannheim, Diagnose unserer Zeit, S.  140 ff., 170 ff. 64  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, S. 23. 65  Mannheim, Diagnose unserer Zeit, S. 18, ein möglicher Ansatz wohl gerade auch für den Umgang mit religiösem und kulturellem Pluralismus. 66  Jahrreiß, Demokratie, in: Festschrift Richard Thoma, S. 71 (73  f.), der die „Trübungen der Idee“ als durch die Natur der Menschen und ihres Zusammenlebens „in einer stets ‚unreinen‘ Geschichte“ bedingt ansieht. 67  Jahrreiß, Demokratie, in: Festschrift Richard Thoma, S. 71 (76 f.).

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A. Hintergrund

gen ist und ob sie solche Einschränkungen ausüben kann, „ohne aufzuhören, Demokratie zu sein“.68 Er sieht in der der Demokratie wesenseigenen politischen Freiheit und „Mehrheitsmaßgeblichkeit“ eine vielleicht tödliche Gefahr, nicht ohne die deshalb nötigen Beschränkung dieser Grundsätze der Demokratie und das damit einhergehende Misstrauen des Volkes zu sich selbst einen „teuflischen Zirkel“ zu nennen.69 Der Gedanke der wehrhaften Demokratie sei deshalb ein „selbstquälerischer“.70 Um die Demokratie aber stabil zu machen, sei – neben entsprechenden Vorkehrungen in der Verfassung – vor allem eine demokratische „Vor-Ordnung“, eine „demokratische Mentalität“71 des gesamten Volkes unentbehrlich. Grundaufgabe einer Demokratie, die sich behaupten wolle, müsse daher die staatsbürgerliche Bildung und Selbstbildung sein.72 Jahrreiß geht mithin bereits in einer Zeit, da man sie vor allem durch eine wertgebundene verfassungsrechtliche Ordnung zu schützen meinte, davon aus, dass Demokratie zuvörderst den Willen und die Anstrengung jedes Einzelnen verlange.

III. Die Entscheidung des Grundgesetzes für die streitbare Demokratie „Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt bloßer Zweckmäßigkeitserwägungen, wo man den Glauben hat, dass sie für die Würde den Menschen unverzichtbar ist. Wenn man den Mut zu diesem Glauben hat, muss man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber haben, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie selbst umzubringen.“73

So bekannte sich Carlo Schmid nach eigener Darstellung auf Herrenchiemsee feierlich zu einer streitbaren Demokratie. Die eindringlichen Warnungen von Loewenstein, Mannheim und Jahrreiß sind also weder im Parlamentarischen Rat noch hernach in der jungen Bundesrepublik klanglos verhallt. Ihr Konzept einer militanten, wehrhaften oder streitbaren Demokratie hatte mittlerweile eine solche Anerkennung gefunden, dass es umzusetzen, zumal in Deutschland, keine Frage des „Ob“, sondern lediglich eine des „Wie“ war.74 Doch diese Frage der Ausgestaltung macht nun 68  Jahrreiß,

Demokratie, in: Festschrift Richard Thoma, S. 71 (78). Demokratie, in: Festschrift Richard Thoma, S. 71 (86 f.). 70  Jahrreiß, Demokratie, in: Festschrift Richard Thoma, S. 71 (88). 71  Jahrreiß, Demokratie, in: Festschrift Richard Thoma, S. 71 (91). 72  Jahrreiß, Demokratie, in: Festschrift Richard Thoma, S. 71 (76). 73  Schmid, Erinnerungen, S. 360  f. in Wiederholung seiner auf Herrenchiemsee gemachten Ausführungen. 74  Vor diesem Hintergrund ist auch die Diskussion um den späteren Art. 18 GG zu verstehen, die vor allem seine konkrete Ausgestaltung, kaum aber seine grundsätzliche Einführung betraf. 69  Jahrreiß,



III. Die Entscheidung für die streitbare Demokratie41

auch vor den fertigen Vorschriften nicht Halt, sondern zieht sich durch die gesamte Verfassungsinterpretation und kann wohl nie abschließend beantwortet werden. 1. Der Verfassungsschutz im Grundgesetz Nach allgemeinem Verständnis konstituiert das Grundgesetz eine inhaltlich wertgebundene Demokratie, deren Substanz die freiheitliche demokratische Grundordnung bildet.75 Diese steht demgemäß in einem engen inhaltlichen und funktionalen Zusammenhang mit dem Prinzip der streitbaren Demokratie, das eine stellt gewissermaßen die Kehrseite des anderen dar.76 Doch während die freiheitliche demokratische Grundordnung im Grundgesetz mehrmals ausdrücklich genannt wird, ist die streitbare Demokratie ein Abstraktum, dessen Inhalt gleichsam beliebig erscheint. Mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Entscheidung für die streitbare Demokratie wird von der öffentlichen Gewalt erwartet, dass sie Maßnahmen trifft, die der Sicherung und Wahrung dieses übergreifenden Ziels dienen. So sind etwa verfassungsfeindliche Personengruppen zu beobachten, es muss eine politische Auseinandersetzung mit ihnen erfolgen und die Bevölkerung ist über ihre Ziele und Mittel zu unterrichten. Das Recht, Anträge zum Erlass eines Verbotes oder zur Einleitung eines Verwirkungsverfahrens gegenüber Parteien, Vereinigungen oder Einzelpersonen zu stellen, ist zumindest dann auszuüben, wenn diese eine ernsthafte Gefahr darstellen. Etwaige vom BVerfG ausgesprochene Parteiverbote sind mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen. Die Ernennung von Beamten ist davon abhängig zu machen, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten bereit sind und sich zu ihr bekennen. Besondere finanzielle Leistungen sind nicht solchen Personen und Personengruppen zu gewähren, bei denen davon auszugehen ist, dass sie die Leistungen zur Finanzierung von gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Aktivitäten verwenden werden.77 Allen Schutzbestimmungen des Grundgesetzes, die eine Grundlage für dieses praktische Handeln der öffentlichen Gewalt bieten, ist gemeinsam, dass sie bereits im Vorfeld einer gewaltsamen politischen Aktion ansetzen. Die Verfassungsschutzinstitute haben also rein präventiven Charakter. Einer „verfassungsfeindlichen Gesinnung“ soll damit bereits im Entstehen wirketwa Bulla, AöR 98 (1973), 340 (344) m. w. N. AöR 98 (1973), 340 (341). 77  Aufgezählt bei Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die streitbare Demokratie, S. 103 ff. 75  So

76  Bulla,

42

A. Hintergrund

sam begegnet werden können.78 Diese Betrachtungsweise ist jedoch nicht unproblematisch. So darf der Staat in einer freiheitlichen Demokratie niemals eine Gesinnung zu bekämpfen oder unterdrücken trachten. Einer solchen bereits im Entstehen entgegen zu wirken, begegnen daher in der Literatur zu Recht schwerwiegenden Bedenken. Systematisch ist die streitbare Demokratie dem Verfassungsschutz zuzuordnen.79 Entgegen älteren Staatsphilosophien soll damit nicht mehr allein die Erhaltung des Staates und der Staatsform im Vordergrund stehen, sondern darüber hinaus die Sicherung der bürgerlichen Freiheitsrechte. Diese Idee entspringt einem liberalen Staatsdenken, wie es in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert aufkam.80 Nicht zu Unrecht warnt Lameyer allerdings vor einer Entwicklung in Richtung einer zunehmenden Identifizierung von Verfassung und Staat.81 Dies liefe dem historisch einzig richtigen Verständnis des Verfassungsschutzes, wonach die Verfassung des Schutzes sowohl gegen mögliche Gefährdungen durch die Gesellschaft als auch durch den Staat bedarf,82 bedenklich zuwider. Das demokratische Prinzip des Grundgesetzes ist im Laufe der Zeit mit verschiedenen Attributen versehen worden: militant, wehrhaft, wachsam, abwehrbereit.83 Sie sind nicht alle deckungsgleich, grammatikalisch kann man ihnen gewiss jeweils eine unterschiedliche Grundhaltung oder Stoßrichtung nachweisen.84 Durchgesetzt hat sich mittlerweile der vom BVerfG ausschließlich verwendete Begriff der „streitbaren Demokratie“ und damit sind die anderen Bezeichnungen mitsamt ihrer womöglich zugrundeliegenden Wertung nach und nach in Vergessenheit geraten. Doch was genau bezeichnet der Ausdruck „streitbare Demokratie“? Durch das Grundgesetz zieht sich als verfassungsrechtliches Ziel die Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. An ganz verschiedenen Stellen trifft es Regelungen, die seinem eigenen Schutz dienen sollen. Zuallererst muss dabei Art. 79 Abs. 3 GG genannt werden, als Ausdruck des Grundgesetzes dafür, dass bestimmte Grundentscheidungen unantastbar sein sollen und damit nicht dem demokratischen Prozess unterliegen, sondern 78  Vgl. Bulla, AöR 98 (1973), 340 (348); Scheuner, in: Festgabe für E. Kaufmann, S. 313 (325). 79  Vgl. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 17 m. w. N. 80  Siehe auch Scheuner, Der Verfassungsschutz im Bonner Grundgesetz, S. 314. 81  Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 21. 82  Vgl. Bulla, AöR 98 (1973), 340 (351, 353). 83  Nachweise bei Bulla, AöR 98 (1973), 340 (342). 84  So beschreiben etwa die Begriffe „wachsam“ oder „abwehrbereit“ eine passivere Grundhaltung, während „militant“, „wehrhaft“ und auch „streibar“ eine aktiv kämpferische Ausrichtung vermuten lassen.



III. Die Entscheidung für die streitbare Demokratie43

ihm vorausgehen.85 Ferner sind aber auch die gemeinhin im Zusammenhang mit der streitbaren Demokratie zitierten Vorschriften der Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG zu nennen. Letztere nehmen eindeutig auf den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Bezug, Art. 9 Abs. 2 GG nennt indes lediglich die „verfassungsmäßige Ordnung“, die nach allgemeiner Ansicht jedoch mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gleich bedeutend sein soll.86 Der Verfassungsschutz im materiellen Sinne wird in der Regel primär auf diese Normentrias gestützt und auch das BVerfG zitiert im Zusammenhang mit der streitbaren Demokratie seit dem sog. Abhörurteil87 nur noch Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG. Daneben beabsichtigen aber auch andere Normen den Schutz der freiheitlichen Verfassungsordnung. Es sind dies: Art. 5 Abs. 3 Satz 2, 10 Abs. 2 Satz 2, 11 Abs. 2, 20 Abs. 4, 73 Abs. 1 Nr. 10b, 87 Abs. 1 Satz 2, 87 Abs. 4, 91 Abs. 1, 98 Abs. 2 und 5.88 Bulla ist sogar der Auffassung, dass eigentlich alle Grundgesetznormen Ausdruck des Selbstschutzes der Verfassung seien und eine systematische Unterscheidung letztlich unergiebig sei.89 In dieselbe Richtung geht das BVerfG, das eine streitbare Grundentscheidung der Verfassung annimmt. Der maßgebliche Unterschied zu der Aussage Bullas besteht jedoch darin, dass er davon ausgeht, jede Norm des Grundgesetzes, sei sie noch so verfassungsschützend, stehe doch für sich allein und erfasse lediglich die auf sie anwendbaren Fälle. Aus einer Ansammlung von verschiedenen Normen, die geeignet sind, die Verfassung zu schützen, lässt sich nicht ohne Weiteres eine bestimmte Grundhaltung der Verfassung ableiten, die auch über die grundgesetzlich erfassten Fälle hinaus Probleme zu entscheiden vermag.90 Man muss unter „streitbarer Demokratie“ deshalb erst einmal die quantitative Zusammenfassung verschiedener Rechtsnormen des Grundgesetzes verstehen, die einen verfassungsschützenden Gehalt aufweisen. Als Streitbarkeitsprinzip91 verstanden, reicht die verfassungsrechtliche Grundhaltung hingegen über die Summe der positivierten Einzelbestimmunauch Böckenförde, VVDStRL 37 (1979), S. 138. nur Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 9 Rn. 44. 87  BVerfGE 30, 1 (20). 88  Vgl. die Aufzählung bei Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die streitbare Demokratie, S. 44 ff. 89  Bulla, AöR 98 (1973), 340 (348); in diesem Sinne auch Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 20: „Nahezu die ganze Verfassung stellt ein Geflecht von Sicherungen zur Verhinderung ihrer Überwältigung dar.“; zustimmend Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 6. 90  Siehe nur Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 26, 94 ff. 91  Zu den verschiedenen möglichen Herleitung von Prinzipien im Recht siehe jüngst Poscher, RW 2010, 349 (passim). Danach würde es sich hier wohl nicht um ein Rechtsprinzip im eigentlichen Sinne handeln, als das mit Poscher (S. 371) eine 85  So

86  Siehe

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A. Hintergrund

gen hinaus.92 Eine rechtlich verbindliche Entscheidung für die streitbare Demokratie kann daher allenfalls aus dem Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes abgeleitet werden.93 Auch dies ist jedoch nur möglich, weil das Grundgesetz nach wohl herrschender Ansicht eine innere Einheit darstellt, wie das BVerfG bereits im ersten Band seiner Entscheidungen betont hat.94 Danach können einzelne Vorschriften des Grundgesetzes niemals isoliert und für sich allein genommen betrachtet werden, sondern müssen stets im Zusammenhang mit allen anderen Vorschriften des Grundgesetzes gesehen und ausgelegt werden. Der Verfassungsgeber hat damit einem ganz bestimmten Willen Ausdruck verliehen, der nicht bloß in den Einzelformulierungen selbst, sondern darüber hinaus bei einer Gesamtschau der Vorschriften gleichsam als roter Faden zu Tage tritt. Danach muss es also grundsätzlich möglich sein, rechtlich verbindliche Verfassungsentscheidungen nicht nur aus den Einzelbestimmungen herzuleiten, sondern ebenso aus dem Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes.95 2. Die Rechtsprechung zur streitbaren Demokratie Das Grundgesetz selbst spricht weder von einer streitbaren Demokratie noch lässt sich ihm überhaupt ohne Weiteres ein Prinzip der Streitbarkeit entnehmen. Auch der Parlamentarische Rat hat die streitbare Demokratie nicht ausdrücklich als Verfassungsprinzip konzipiert. Dessen Entwicklung ist erst ein Ergebnis der Rechtsprechung des BVerfG, welches in langjähriger Praxis den Gedanken einer streitbaren Demokratie aus vielen Einzelvorschriften des Grundgesetzes herausschälte und zur Grundentscheidung der Verfassung erhob.96 Ausgangspunkt dieser Interpretation ist jedoch die Auffassung, dass die Vorstellung des klassischen Gesetzespositivismus, wonach Gesetzesanwendung immer den Vollzug einer elementaren logischen Operation darstellt, heute als überwunden gelte.97 Das Ziel der Gesetzesauslegung erschöpft besonders konkretisierungsbedürftige und rechtgebietsübergreifende Norm bezeichnet werden kann und nicht – wie hier – ein aus der Rechtsordnung vage abgeleiteter bloßer Abwägungstopos. 92  Vgl. auch Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 133. 93  Vgl. Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die streitbare Demokratie, S. 31. 94  BVerfGE 1, 14 (32); vgl. ferner Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die streitbare Demokratie, S. 31 f.; Stern, Staatsrecht I, S. 113. 95  So auch Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die streitbare Demokratie, S. 32. 96  So Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 13. 97  Vgl. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 100 m. w. N.



III. Die Entscheidung für die streitbare Demokratie45

sich nicht etwa darin, einen schon immer im Gesetz enthaltenen objektiven oder subjektiven Willen des Gesetzgebers zu aktualisieren. Interpretation und Anwendung des Gesetzes kann der Sache nach immer nur „bedingt ein Nachvollziehen und vollends keine Subsumtion“ sein.98 Hingegen spielen stets außergesetzliche Wertungsfaktoren eine entscheidende Rolle, so dass jede Gesetzesauslegung bis zu einem gewissen Grad zeitgebunden ist.99 Das BVerfG, dessen Rechtsprechung sich bei der Auslegung von Verfassungsrecht als Hauptquelle herausgestellt hat, vertritt die Auffassung, dass die vom Verfassungsgeber positiv geregelte Streitbarkeit des Grundgesetzes darüber hinaus auch in andere, vom Grundgesetz nicht geregelte Bereiche hineinwirke.100 Damit verfolgt das BVerfG eine Auslegungspraxis, die so gut wie gar nicht nach dem historischen Willen des Gesetzgebers fragt, sondern in hohem Maße zeitgebundene Werte berücksichtigt. Diese Praxis ist, ebenso wie der weitgehend unbestimmte Begriff der streitbaren Demokratie, einerseits zwar besonders flexibel, andererseits in gewisser Weise sehr ideologieanfällig.101 Im KPD-Urteil von 1956 spricht das BVerfG erstmals von der „Aufstellung und [dem] Schutz eines eigenen Wertsystems“ durch das Grundgesetz. Dieses nehme aus dem „Pluralismus von Zielen und Wertungen, die in den politischen Parteien Gestalt gewonnen haben, gewisse Grundprinzipien der Staatsgestaltung heraus, die, wenn sie einmal auf demokratische Weise gebilligt sind, als absolute Werte anerkannt und deshalb entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt werden sollen; soweit zum Zwecke dieser Verteidigung Einschränkungen der politischen Betätigungsfreiheit der Gegner erforderlich sind, werden sie in Kauf genommen.“.102 Das BVerfG fügt sodann hinzu, dass diese verfassungsrechtliche Entscheidung für die streitbare Demokratie für es selbst bindend sei.103 In einer Entscheidung von 1961, bei der es um die Frage ging, ob ein KPD-Mitglied Entschädigung für seine Verfolgung im Nationalsozialismus beanspruchen kann, führt dass BVerfG dann noch weitergehend aus, dass die grundgesetzliche Entscheidung für die streitbare Demokratie auch im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG zu berücksichtigen sei.104 1970 hatte sich das BVerfG mit dem Fall eines Stabsunteroffiziers zu befassen, der im Gespräch mit Untergebenen Partei für die Ziele und das Verhalten der sog. außerparlamentarischen Opposition ergriffen hatte und 98  Hesse, Grundzüge

des Verfassungsrechts, Rn. 56, S. 22. Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 135 f. 100  Vgl. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 146 f. 101  Häberle, JZ 1971, 145 (147). 102  BVerfGE 5, 85 (138 f.). 103  BVerfGE 5, 85 (139). 104  BVerfGE 13, 46 (49).

99  So

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deshalb zu Arrest verurteilt worden war. Das BVerfG entschied hier, dass das Prinzip der streitbaren Demokratie auch für die innere Ordnung der Bundeswehr gelte und es deshalb die Grundpflicht eines Soldaten sei, durch sein gesamtes Verhalten für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Im Rahmen einer Güterabwägung mit der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG seien demgemäß vor allem die „verfassungspolitischen Grundentscheidungen des Grundgesetzes“ heranzuziehen, die das Ergebnis der Abwägung vorzeichnen würden.105 In einem ähnlich gelagerten Fall entschied das BVerfG abermals, dass die Pflicht des Soldaten zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Grundgesetz im Einklang stünde und seine Meinungsfreiheit aufgrund des Streitbarkeitsprinzips zurückzutreten habe.106 Im sog. Abhörurteil vom 15. Dezember 1970 zu Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG legte das BVerfG dar, dass keine Vorschrift des Grundgesetzes isoliert und allein vom Wortlaut her, interpretiert werden dürfe, sondern eine Auslegung mit den „elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes und seiner Wertordnung“ vereinbar sein müsse. Insbesondere Grundentscheidungen und allgemeine Verfassungsgrundsätze seien bei der Auslegung zu berücksichtigen, so eben die Entscheidung für die streitbare Demokratie.107 Infolgedessen seien dem Verfassungsschutzamt als Institution des grundgesetzlich vorgeschriebenen Schutzes der Verfassungsordnung sämtliche Mittel an die Hand zu geben, die es für eine effektive Arbeit benötige.108 Mit dem sog. Radikalenbeschluss vom 22. Mai 1975 ging das BVerfG noch einen Schritt weiter und zählte zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums auch die Pflicht von Beamten und Richtern, für die Verfassungsordnung, auf die sie vereidigt seien, aktiv einzutreten.109 Die Grundentscheidung der Verfassung für die streitbare Demokratie schließe es schlechthin aus, „dass der Staat, dessen Funktionieren von der freien inneren Bindung seiner Beamten an die geltende Verfassung abhängt, zum Staatsdienst Bewerber zulässt und im Staatsdienst Bürger zulässt, die die freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen und bekämpfen.“110 105  BVerfGE

28, 36 (48 f.). 28, 51 (54 f.). 107  BVerfGE 30, 1 (19). 108  BVerfGE 30, 1 (20): „Es kann nicht der Sinn der Verfassung sein, zwar den verfassungsmäßigen obersten Organen im Staat eine Aufgabe zu stellen und für diesen Zweck ein besonderes Amt vorzusehen, aber den verfassungsmäßigen Organen und dem Amt die Mittel vorzuenthalten, die zur Erfüllung ihres Verfassungsauftrags nötig sind.“ 109  BVerfGE 39, 334 (346). 110  BVerfGE 39, 334 (349). 106  BVerfGE



III. Die Entscheidung für die streitbare Demokratie47

Indem das BVerfG so über eine geraume Zeit hinweg die streitbare Demokratie des Grundgesetzes zu einem „überlegalen“ Prinzip erhoben hat, das über die positiv geregelten Fälle hinaus unmittelbare Wirkung auch etwa im Zusammenhang mit der Meinungs- oder der Berufsfreiheit entfalten kann, hat es sich zugleich ein Stück weit von seiner Rolle als bloßes Kontrollorgan entfernt und eigenständig Recht geschaffen oder zumindest über seinen Wortlaut hinaus weiterentwickelt. Wenn auch die in den 60er und 70er Jahren getroffenen – und damals in eine politisch aufgeheizte Debatte eingebetteten – Entscheidungen an Sprengkraft verloren haben und das BVerfG seither von einer allzu weiten Auslegung des Streitbarkeitsprinzips eher Abstand genommen hat,111 kann nicht verkannt werden, dass es sich auch heute oftmals nicht auf eine reine Rechtsanwendung und -auslegung beschränkt, sondern Entscheidungen von grundlegender Bedeutung für die Verfassungsinterpretation trifft.112 Damit ist die Bundesrepublik tatsächlich in die Richtung eines „Jurisdiktionsstaates“ gerückt, vor dem Carl Schmitt so eindringlich gewarnt hat.113 Gleichwohl ist anzuerkennen, dass das BVerfG in jüngerer Zeit eher die Freiheitsrechte der Bürger zu stärken bereit ist, als die Schutzfunktion der Verfassung überzubetonen. Ob dies jedoch lediglich einem veränderten politischen und sozialen Hintergrund oder aber einer völlig neuen, liberalen Grundhaltung des Gerichtshofs geschuldet ist, vermag zumindest an dieser Stelle nicht abschließend geklärt zu werden.114 3. Die Literatur zur streitbaren Demokratie Dass eine Demokratie streitbar, wehrhaft oder militant sein muss, wenn sie bestehen will, ist heute auch in der Literatur ganz weitgehend unbestrit111  Vgl. auch Papier / Durner, AöR 128 (2003), 343 (366), die allerdings zurecht darauf hinweisen, dass die streitbare Demokratie hingegen in letzter Zeit vermehrt als Kontrollmaßstab einfachen Rechts dient; vgl. als prominentes Bsp. etwa OVG Münster, NJW 2001, 2113 zum Verbot von NPD-Demonstrationen. 112  Vgl. nur zuletzt etwa das Wunsiedel-Urteil vom 4.11.2009 – 1 BvR 2150 / 08, in dem das BVerfG entschied, dass angesichts des Unrechts und Schreckens der nationalsozialistischen Herrschaft und der Tatsache, dass die Bundesrepublik als Gegenentwurf hierzu entstanden ist, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts als Schranke von Art. 5 Abs. 1 und 2 GG zu machen sei. 113  C. Schmitt, Legalität und Legitimität, in: ders, Verfassungsrechtliche Aufsätze 1924–1954, S. 263 (264 ff., 282, 312). 114  So zeigt sich bereits in der Ablehnung eines NPD-Verbots mit Beschluss v. 18.3.2003 – 2 BvB 1 / 01 – ein gewisses Unbehagen, zum Schutz der Verfassung derart extrem einschneidende Waffen aufzufahren; eine Ausnahme von dieser liberaleren Tendenz – oder neue Wende? – stellt hingegen das Wunsiedel-Urteil (BVerfGE 124, 300) dar.

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ten.115 Die entsprechenden Institute des Verfassungsschutzes im Grundgesetz sind mittlerweile allgemein als unverzichtbar anerkannt worden. Umstritten ist im Schrifttum jedoch seit jeher, ob der Begriff der streitbaren Demokratie lediglich ein Sammelbegriff für bestimmte Verfassungsschutzvorschriften des Grundgesetzes ist oder eben ein Verfassungsprinzip bezeichnet, das von eigenständiger rechtlicher Bedeutung ist.116 Hans Hugo Klein etwa vertritt die Auffassung, dass allein letztere Auslegung dem Interpretationsprinzip der Einheit der Verfassung genügen könne.117 Freilich ist bereits dieses Einheitsprinzip, wonach die einzelnen Verfassungsnormen gewissermaßen aufeinander „ausstrahlen“ sollen,118 bereits weder im Verfassungstext selbst angelegt, noch überhaupt vollends anerkannt in der Rechtslehre. Die Auslegung der Elemente streitbarer Demokratie im Grundgesetz als verfassungsrechtliche Grundentscheidung führt aber letztlich dazu, dass die Verfassung insgesamt streitbarer wird als ihre Einzelregelungen es vermuten lassen. Denninger legt deshalb dar, dass sie als Quelle der Legitimität unvermittelt gegen eine als bloß „formal“ disqualifizierte Legalität ausgeschöpft werde.119 Ähnlich wie durch die Legitimitätsbehauptung, welche sich aus den Grundwerten der Verfassung ergeben soll, werde auf diese Weise das rechtsstaatliche Legalitätsprinzip mit Hilfe des generalisierenden Streitbarkeitsprinzips unterwandert.120 Die Ablehnung einer Aushebelung der Legalität mittels einer gleichsam übergeordneten verfassungsgrundsätzlichen Legitimität, wie sie bereits auf Carl Schmitt121 zurückgeht, beruht auf einem prinzipiellen Vertrauen in die rechtsstaatliche Demokratie und der tiefen Überzeugung, dass diese ohne solchermaßen unbestimmte, nicht auf einen demokratischen Prozess zurückzuführende Rechtsbegriffe auszukommen habe. Hans Hugo Klein hat dagegen ausgeführt, das Grundgesetz habe die Legalität an die durch die Grundsätze der Streitbarkeit definierte Legitimität gebunden und damit den Versuch unternommen, die ihm zugrunde 115  Vgl. etwa Jaschke, Wertewandel, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 225 (251); ebenso Papier / Durner, AöR 128 (2003), 341 (363): „Vorherrschend ist allerdings mittlerweile zu Recht die Sichtweise, dass die Abwehrbereitschaft keinen Fremdkörper, sondern geradezu die Konsequenz eines wohlverstandenen Demokratieprinzips darstellt.“, m. w. N. 116  Siehe auch Papier / Durner, AöR 128 (2003), 340 (365) m. w. N., die eine solche „Verselbständigung des Prinzips“ als „ideologieanfällig und freiheitsgefährdend“ bezeichnen. 117  H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 68. 118  So H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 68 (Fn. 63). 119  Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 17. 120  Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 17 f.; vgl. zu dieser Kritik auch Mandt, Demokratie und Toleranz, in: Festschrift Dolf Sternberger, S. 233 (259). 121  Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze 1924–1954, S. 263.



III. Die Entscheidung für die streitbare Demokratie49

liegende Staatsidee in die Form bestimmter Rechtsgrundsätze mit normativem Charakter zu gießen.122 Ob eine solche gleichsam vorgeschaltete Legitimität von rechtlich selbständiger Bedeutung dem Grundgesetz tatsächlich zu entnehmen ist, erscheint jedoch in der Tat zweifelhaft. Auch für Böckenförde stellt dieses Auseinanderfallen von Legalität und Legitimität ein Kernproblem dar.123 Zwar kann die Verfassung nicht ohne einen dauerhaften „Willen zur Verfassung“ in der Bevölkerung auskommen.124 Doch kann dieser Wille – wie Denninger mit Recht zu Bedenken gibt – nicht kraft eines scheinbar in der Verfassung enthaltenen ungeschriebenen Prinzips erzwungen werden.125 Er gehört vielmehr zu den Voraussetzungen des säkularen Staates, die dieser selbst nicht garantieren kann.126 Als „überpositives“ Recht kann ein Rechtsprinzip, wie die streitbare Demokratie es darstellen soll, aber keine unmittelbare Wirkung entfalten, sondern bleibt im Bereich der Erwägungen und der „Wünschbarkeit“, wie bereits Hans Julius Wolff dargelegt hat.127 Es kann als den Rechtssätzen zugrunde liegendes, gleichsam vorgelagertes Prinzip diese bestenfalls beeinflussen und leiten, aber niemals wie sie selbst angewandt werden. 4. Streitbare Demokratie und sozialer Wandel „Eine entgötterte Zeit vergottet Doktrinen, und einer ernüchterten Zeit ist alles Geschäft!“128 – dieser bemerkenswerte Kommentar Jahrreiß’ ist nicht nur bezeichnend für das Postulat eines rechtliche Geltung beanspruchenden Verfassungsprinzips der streitbaren Demokratie, sondern auch für seine Entwicklung bis in die heutige, mit Recht „ernüchtert“ zu nennende Zeit. Dahinter verbirgt sich die Erkenntnis, dass eine Demokratie eigentlich nur 122  H. H.

Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 63. VVDStRL 37 (1979), S. 138; ebenso wohl Papier / Durner, AöR 128 (2003), 340 (367 f.); allgemein dazu Preuß, in: Denninger (Hrsg.), Freiheitliche demokratische Grundordnung I, S. 445 ff. 124  Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, S. 21; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 44. 125  Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 24; jüngst hat sich auch Hoffmann-Riem, Versammlungsfreiheit für Rechtsradikale, in: Schuppert u. a. (Hrsg.), Der Rechtsstaat unter Bewährungsdruck, S. 87 (93) gegen die Einschränkung von Grundrechten mittels eines vermeintlich allgemeinen Streitbarkeitsprinzips ausgesprochen. 126  So die Formulierung von Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 112. 127  H. J. Wolff, Rechtsgrundsätze, in: Gedächtnisschrift W. Jellinek, 1955, S. 33 (34), der vielmehr aufzeigt, dass die Rechtsquellen notwendigerweise auf die Prinzipen des Rechts und der Gerechtigkeit zurückgehen müssen, diese aber eben keine unmittelbare Anwendung finden können (S. 36, 38, 42 ff., 50). 128  Jahrreiß, Demokratie, in: Festschrift Richard Thoma, S. 71 (81). 123  Böckenförde,

50

A. Hintergrund

dann funktionieren kann, wenn die Gesellschaft in sich homogen ist und ein gemeinsames Ideal, ein einheitliches Ziel verfolgt. So war etwa die Idee der Nation im 19. Jahrhundert genauso identitätsstiftend wie der Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik in der Bundesrepublik der 1950er und -60er Jahre. Das Gelingen der Demokratie in dieser Zeit ist, wie Kersten schreibt, sowohl auf das „Wirtschaftswunder“ als auch auf die konsequente Westbindung der Bundesrepublik und die Neuformatierung der Parteienlandschaft zurückzuführen.129 Auf einer solch homogenen Grundlage fasst extremistisches Gedankengut kaum Fuß, während gesellschaftliche und politische Umwälzungen, die geradezu zwangsläufig innere Zerrissenheit einer Bevölkerung mit sich bringen, zu Extremismus und Instabilität führen können; so ist auch das Schicksal der Weimarer Republik zu erklären. Seit Ende der 1960er Jahre war aus verschiedenen Gründen einer (Re-)Ideologisierung des politischen Meinungskampfes zu beobachten.130 Gegenwärtig jedoch besteht die Gefahr für die Demokratie wohl eher in einer gewissen Ernüchterung, ja Demokratieverdrossenheit, vor der Jahrreiß warnte. Diese Ermüdung ver­ mag politische Extremisten zu stärken, weil sie dazu führt, dass die Gesellschaft ihnen nicht angemessen widerstehen kann und will. Unsere Gesellschaft erlebt spätestens seit dem Fall des Ostblocks einen grundlegenden Wandel der Sozialstruktur, der sich vor allem in einer Auflösung herkömmlicher Milieus, schwächeren Bindungen an gesellschaftliche Gruppierungen wie Kirche, Parteien und Gewerkschaften und überkommenen sozialen Normen und Konventionen bemerkbar macht.131 Anstelle einer solchermaßen in überkommene Strukturen eingebundenen Bevölkerung ist eine positiv gewendet pluralisierte, negativ gewendet mehr und mehr orientierungslose Gesellschaft getreten, deren Aufgabe allein die Auseinandersetzung mit sich selbst zu sein scheint.132 Vor diesem Hintergrund ist auch Böckenfördes Frage zu verstehen: „Wieweit können staatlich geeinte Völker allein aus der Gewährleistung der Freiheit des einzelnen leben ohne ein einigendes Band, das dieser Freiheit vorausliegt?“133 Zu Recht beobachtet 129  Kersten,  Parlamentarische oder stabile Regierung, in: Gusy (Hrsg.), Weimars langer Schatten, S. 281 (309). 130  Vgl. auch Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 14 f. 131  Vgl. ebenso Jaschke, Wertewandel, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 225 (249) m. w. N.; siehe auch Hassemer, Innere Sicherheit im Rechtsstaat, in: ders., Strafen im Rechtsstaat, S. 248 (258); Zwiener / Kodalle, in: Zwiener / Kodalle / Frindte (Hrsg.), Extremismus – Gewalt – Terrorismus, S. 8. 132  Jaschke, Wertewandel, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 225 (251). 133  Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 111. Vgl. dagegen aber Preuß, in: Denninger (Hrsg.), Freiheitliche demokratische Grundordnung I, S. 445 (452 ff.).



IV. Legitimität des Verfassungsschutzes51

er die Entwicklung in Deutschland nach 1945, die eine neue Homogenitätsgrundlage in mehr oder weniger vorhandenen gemeinsamen Wertüberzeugungen sucht, mit Skepsis.134 Möglicherweise gilt das gleiche für ein dem Grundgesetz vermeintlich innewohnendes Streitbarkeitsprinzip.

IV. Legitimität des Verfassungsschutzes Wie Denninger ausführt, ist die Kern- und Existenzfrage unserer Demokratie, ohne deren Beantwortung jede dogmatische Erörterung von Einzelfragen der Grundrechtsverwirkung nutzlos sein muss, folgende: Wo liegen für einen säkularen, weltanschaulich neutralen Staat, der den ideologischkulturellen Pluralismus nicht nur paternalistisch toleriert oder gar gönnerhaft gewährt, sondern ihn vielmehr als die Voraussetzung seiner Existenz anerkennt, die Schranken eines Zugriffs auf die notwendig garantierten Freiheitsbetätigungen seiner Bürger?135 Mit anderen Worten: Wie also muss ein wirkungsvoller, die Rechte der Bürger nicht übermäßig einschränkender Verfassungsschutz beschaffen sein? Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts rückte mit der Verfassung der Gedanke des Rechtes des Volkes zu freier nationaler Selbstbestimmung in den Vordergrund.136 Voraussetzung hierfür war die Idee, dass eine Grundbedingung für ein rechtsstaatlich verfasstes Gemeinwesen die Freiheit des Einzelnen ist – womit Freiheit von absolutistischer Herrscherwillkür gemeint ist. Freiheit also von Angst vor Bestrafung für eine bestimmte Überzeugung, für eine bloße Gesinnung. So hielt mit dem „Konstitutionalismus“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugleich der Begriff des „Verfassungsschutzes“ Einzug in frühe deutsche Verfassungen. Als „Gewähr der Verfassung“ galt hier aber besonders der Schutz vor willkürlichen Verfassungsänderungen des Monarchen, sein Verfassungseid, die Ministeranklage und die Staatsgerichtsbarkeit.137 Die Verfassung sollte damit als Symbol der bürgerlichen Freiheit gegen jedwede Angriffe „von oben“ geschützt werden. Dies war die 134  So Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 112, der den Rekurs auf die „Werte“ deshalb als einen höchst dürftigen und auch gefährlichen Ersatz für eine nationale Homogenität bezeichnet. Anders dagegen Tillmanns, Wehrhaftigkeit, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 25 (31 ff.), der aus dem „Prinzip der Wehrhaftigkeit“ auf eine staatliche Pflicht zum Erhalt sittlicher Grundwerte schließt (S. 55). 135  Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 10 f.; siehe auch ders., in: Benda / Maihofer / Vogel, HdbVerfR, § 16 Rn. 8. 136  Vgl. auch ausführlich Scheuner, Der Verfassungsschutz im Bonner Grundgesetz, in: Festgabe Erich Kaufmann, S. 313. 137  Siehe hierzu Scheuner, Der Verfassungsschutz im Bonner Grundgesetz, in: Festgabe Erich Kaufmann, S. 313 (314).

52

A. Hintergrund

Idee des konstitutionellen Zeitalters des Liberalismus,138 die – nachdem im 20. Jahrhundert Bürger ihre Freiheiten zur Machtergreifung missbrauchten – nach 1949 immer mehr zugunsten eines Verfassungsschutzes gegen den Freiheitsmissbrauch „von unten“ in den Hintergrund gerückt ist. Das liberale Freiheitsdenken hat in besonderem Maße auch die Verfasser des Grundgesetzes bewogen, ein explizites und ausgewogenes System des Verfassungsschutzes zu entwerfen. Gleichwohl darf natürlich nicht außer Acht gelassen werden, dass die Gefahren für die Freiheit von unten im Vergleich zum Zeitalter des Liberalismus im 19. Jahrhundert ungleich vielfältiger und größer geworden sind.139 Besteht auf der einen Seite eine unauflösbare Spannungslage zwischen demokratischen Freiheiten und dem Schutz dieser Freiheiten vor ihrer Abschaffung gerade mittels der Freiheiten140 und muss jeder Versuch, sie zu lösen, im inneren Widerspruch, wenn nicht gar in der Auflösung der Freiheit selbst enden,141 lässt sich Staatsmacht auf der anderen Seite in einer Demokratie recht widerspruchsfrei begrenzen. So ist zwar die Unabdingbarkeit von Eingriffen seitens des Staates zum Schutz individueller oder institutioneller Freiheiten nicht zu leugnen, doch müssen diese immer wieder eine verfassungsrechtliche Begrenzung in dem Verbot des Missbrauchs staat­ licher Macht finden. Es lässt sich jedoch nicht übersehen – und dies stellt wohl das grundlegende Problem der streitbaren Demokratie dar –, dass ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zwischen demokratischer und grundrechtlicher Freiheit besteht.142 Demokratie und Grundrechte können sogar Anlass zu möglicher gegenseitiger Gefährdung bieten. So können Mehrheitsentscheidungen des demokratisch unmittelbar legitimierten Parlaments, 138  Scheuner, Der Verfassungsschutz im Bonner Grundgesetz, in: Festgabe Erich Kaufmann, S. 313 (315) stellt deshalb zu Recht fest, dass „die Idee des Verfassungsschutzes in den Zusammenhang des liberalen Legitimitätsprinzips“ gehöre und „Begleiterin des modernen freiheitlichen Staatsdenkens“ sei. 139  H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 54 drückt dies so aus: „[…] obzwar die uns bekannten Strategien der Systemüberwindung an Raffinement die [im 19. Jahrhundert] üblich gewesenen weit übertreffen.“; vgl. auch Denninger, in: Benda / Maihofer / Vogel, HdbVerfR, § 16 Rn. 1 f. 140  Vgl. nur Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 112 f., der dies als „das große Wagnis, das er [der Staat, Anm. d. Verf.], um der Freiheit willen, eingegangen ist“ bezeichnet. 141  Groh, Zwischen Skylla und Charybdis, in: Gusy (Hrsg.), Weimars langer Schatten, S. 425 (430): „Das Schwert der streitbaren Demokratie ist eine zweischneidige Waffe.“; von „der Unentrinnbarkeit dieses Zirkels“ spricht Denninger, in: Benda / Maihofer / Vogel, HdbVerfR, §  16 Rn.  8. 142  Siehe auch Selmer, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 33.



V. Fazit53

obgleich sie die Idee der demokratischen Freiheit verkörpern, grundrecht­ liche Freiheiten beschränken. Auf der anderen Seite stellt eine Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte und eine Unterwerfung seiner Entscheidungen unter die Verfassungsgerichtsbarkeit zugleich eine Beschränkung demokratischer Freiheit dar.143 Mit den möglichen Beschränkungen der Grundrechte kann diese sich jedoch nach dem Grundgesetz über die grundrechtliche Bindung teilweise hinwegsetzen. Zugleich haben Grundrechte, vor allem die sog. Kommunikationsgrundrechte der Meinungsfreiheit, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die erst den Prozess politischer Willensbildung ermöglichen, eine demokratiekonstituierende Funktion.144 Während etwa Konrad Hesse davon ausgeht, „dass die Substanz freiheitlicher Demokratie sich prinzipiell nicht durch Verkürzung von Freiheit sichern lässt“,145 vermag Selmer überzeugend darzulegen, dass die Freiheit des Einzelnen in einer Gemeinschaft schlechterdings nicht unbeschränkt sein kann.146 Zu Recht warnt er jedoch – wie auch Hesse147 – davor, die Formel von der streitbaren Demokratie als „allgemeinen Topos grundrechtlicher Begrenzung zugunsten des Verfassungsschutzes“148 aufzuwerten. Die entsprechenden Verfassungsschutzvorschriften sind folglich Ausnahmetatbestände für den Extremfall und als solche restriktiv auszulegen.149 Zwar kann derzeit – mit Ausnahme vielleicht des Vereinsverbotes – nicht von einer übermäßigen Anwendung der Verfassungsschutzvorschriften des Grundgesetzes die Rede sein. Doch gilt es, eine restriktive Handhabung auch des Streitbarkeitsprinzips anzumahnen und die Freiheit des Einzelnen nicht unangemessen weitgreifend zugunsten des Verfassungsschutzes zu beschränken.

V. Fazit Der Demokratie liegt die Erkenntnis zugrunde, dass der Staat sowohl Macht schaffen, als auch die selbst geschaffene Macht wieder beschränken muss.150 Staat und Verfassung sind daher streng voneinander zu trennen, 143  Selmer, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 34. 144  Vgl. auch Stern, Staatsrecht I, S. 625. 145  Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 694, S. 260. 146  Selmer, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 35. 147  Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 694, S. 260. 148  Selmer, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 35. 149  Im Ergebnis auch Zuleeg, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 46. 150  Vgl. Arndt, NJW 1961, 897.

54

A. Hintergrund

Staatsschutz und Verfassungsschutz sind eigentlich zwei entgegengesetzte Institute. Streitbare Demokratie bedeutet also – anders als etwa der Staatsschutz der Weimarer Republik – nicht nur einen Schutz des Staates und seiner Einrichtungen gegen die Bürger, sondern bindet auch diesen an die freiheitliche demokratische Grundordnung. Sie hat damit auch eine Sicherungsfunktion für den Bürger.151 Wie bereits Bulla152 aufgezeigt hat, umfasst die streitbare Demokratie deshalb nicht nur einen Schutz „gegen verfassungsfeindliche, umstürzlerische Bestrebungen von unten“,153 sondern ebenso gegen Bedrohungen „von oben“. Sie stellt damit zugleich ein Hindernis gegen die missbräuchliche Auslegung und ideologische Vereinnahmung ihrer selbst zur Bekämpfung oppositioneller Ansichten dar.154 Es geht dabei vor allem darum, die Freiheit der politischen Auseinandersetzung zu gewährleisten.155 Die Verfassungsschutzinstitute stellen damit gewissermaßen ein Bindeglied im Spannungsfeld zwischen demokratienotwendiger unbedingter Zusicherung politischer Grundrechte (vor allem Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) und Beschränkung eben dieser Grundrechte zu ihrem eigenen Schutz dar. Selbst das BVerfG zweifelte einst, ob darin nicht ein unerträglicher „Selbstwiderspruch“ liege.156 Wenigstens muss der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gebieten, dass die entsprechenden Schutznormen, soweit irgend möglich zugunsten der individuellen Freiheit ausgelegt werden, soll er sich nicht in sein Gegenteil verkehren.157 Mehr als alles andere muss die streitbare Demokratie deshalb dazu genutzt werden, den in einer Demokratie unbedingt notwendigen geistig-politischen Diskurs zu stärken.158

Bulla, AöR 98 (1973), 340 (351). AöR 98 (1973), 340 (347, 353). 153  So aber Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 323 ff. 154  Vgl. hierzu ausführlich Bulla, AöR 98 (1973), 340 (353). 155  In diesem Sinne auch Dreier, JZ 1994, 741 (752). 156  BVerfGE 5, 85 (137 ff.). 157  So spricht Groh, Zwischen Skylla und Charybdis, in: Gusy (Hrsg.), Weimars langer Schatten, S. 425 (431) von „der Dialektik der Verfassungsschutznormen“, die sich nicht allein gegen die Gesellschaft richten, sondern – was etwa in Art. 79 Abs. 3 GG besonders deutlich wird – auch gegen den Staat. 158  Zu diesem Ergebnis kommt auch Jaschke, Wertewandel, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 225 (229, 254 f.). 151  So

152  Bulla,

B. Voraussetzungen Teilweise wurde auf die Gefahr hingewiesen, die dadurch entstehe, dass eine „zentrale Bestimmung zum Schutz der Verfassung unausgelotet“ gelassen werde.1 Dieser Auffassung ist insofern zu widersprechen, als eine Aufarbeitung des Art. 18 GG im Schrifttum erstaunlich zügig erfolgt ist. Eine solch bedeutsame Fortentwicklung grundgesetzlicher Regelung allein durch die Literatur darf für sich genommen schon als äußerst bemerkenswert ­bezeichnet werden. Ungeachtet des Fehlens auslegungsprägender Gerichtsentscheidungen wurden so maßstabsetzende Interpretationen nur durch das Schrifttum geschaffen, die in ähnlicher Weise zu untereinander durchaus vergleichbaren Ergebnissen geführt haben.2 Für alle diejenigen, denen der zunehmende „Bundesverfassungsgerichts­ positivismus“3 ein Ärgernis ist, mag dies ein erfreuliches Ereignis sein. Die Angst vor einer plötzlichen Aktivierung des Art. 18 GG, die mangels einer in der Rechtsprechung gefestigten Auslegung der Norm geradezu im Be­ lieben des Anwenders – etwa eines weniger umsichtig entscheidenden BVerfG – stünde, ist indes nicht gänzlich zu vernachlässigen, konnten doch zentrale Schwierigkeiten der Verwirkungsnorm in der Literatur bislang nicht gelöst werden. Uneinigkeiten liegen naturgemäß an ihrer sehr offenen und weiten Formulierung, die im Einzelnen vielerlei Deutungen zulässt. Sie können aber auch daran liegen, dass sich die verfassungsimmanenten Probleme, die einer Anwendung von Art. 18 GG womöglich im Weg stehen, als unlösbar erweisen oder unabdingbare einfachgesetzliche Ausformungen der Verwirkung fehlen.4 Damit stellt sich aber die Frage, ob eine „Auslotung“ von Art. 18 GG überhaupt gelingen kann, ob das BVerfG auch deshalb bislang keine Entscheidung gefällt hat, weil ihm die vielleicht unlösbaren Schwierigkeiten durchaus bewusst waren. Ist aber die Befürchtung eines Missbrauchs oder 1  Stettner,

DVBl. 1975, 801. auch Maunz, Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Peter Lerche, S. 281 (287). 3  Schlink, Der Staat 28 (1989), 161 (163); vgl. auch Bettermann, Hypertrophie der Grundrechte, S. 8, der von einer zunehmenden „Kadijustiz“ spricht. 4  So die Bedenken von Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (290 f.). 2  Vgl.

56

B. Voraussetzungen

schlicht einer interessengeleiteten Anwendung der Grundrechtsverwirkung nicht berechtigt, wenn eine möglicherweise mit guten Gründen ruhen gelassene Norm ihren zentralen Platz im Grundrechtsteil des Grundgesetzes behält und offiziell weiterhin zur Anwendung steht? Muss dann nicht eine grundlegende Debatte darüber einsetzen, ob die Vorschrift – wenngleich als symbolhafter Schutz der Demokratie brauchbar – aufgrund ihrer steten Gefährlichkeit nicht abgeschafft werden muss? Auffällig ist, dass die Rechtslehre von einer gewissen Euphorie über die potentielle Anwendbarkeit des Art. 18 GG geprägt ist. So scheinen nahezu alle Autoren einhellig der Auffassung zu sein, dass infolge der fruchtbaren Diskussion in der Theorie einer Anwendung der Grundrechtsverwirkung nichts mehr im Wege stünde und sie gleichsam nur auf den perfekten Anwendungsfall warte. Auch der Gesetzgeber geht offenbar nach wie vor von einer durchaus möglichen Aktivierung der Verwirkungsnorm aus. So stellt § 1 Abs. 2 Nr. 1 VersG klar, dass das Recht, sich friedlich unter freiem Himmel zu versammeln, nicht besitze, wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 18 GG verwirkt habe. Unabhängig davon aber, ob eine Anwendung von Art. 18 GG tatsächlich jederzeit zu gewärtigen ist oder die Norm nurmehr eine reichlich abgenutzte und sicher nicht allzu wirkungsvolle Drohung darstellt, sollte ihre rechtliche Bedeutung untersucht werden: Sei es, um einer künftigen Anwendung den Weg zu ebnen, sei es, um die Norm als unhandhabbar zu entlarven. Im Folgenden sollen deshalb die Voraussetzungen der Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG eingehend dargestellt werden.

I. Der Tatbestand des Art. 18 GG Aufgrund der weitgehenden Unbestimmtheit vieler Tatbestandsmerkmale des Art. 18 GG, muss bei ihrer Examinierung sorgfältig vorgegangen werden. Die Abwesenheit entsprechender Entscheidungen des BVerfG macht sich hier in gesteigertem Maße bemerkbar. Die bedeutsame klarstellende Funktion einer Prüfung der Norm im Einzelfall, wie sie nur das BVerfG vornehmen kann, zeigt sich erst durch ihr gänzliches Fehlen. Es kann schlechterdings nicht gelingen, theoretisch jedes denkbare Beispiel unter die Voaussetzungen einer Gesetzesbestimmung zu subsumieren. Starre Defini­ tionen vermögen im verfassungsrechtlichen Rahmen selten zu überzeugen; letztlich ist – trotz durchaus ernst zu nehmender Bedenken hiergegen – eine flexible Handhabung im Einzelfall unumgänglich. Anders kann man den vielgestaltigen Konstellationen von Grundrechtsbetroffenheit unmöglich gerecht werden. Dennoch sollen im Folgenden die Tatbestandselemente wenigstens umrissen werden.



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG57

1. Adressat der Verwirkungsnorm Vor Untersuchung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 GG ist zunächst der Adressat dieser Norm zu benennen. Dabei steht fest, dass den Missbrauch von Grundrechten jeder verwirklichen kann, der Berechtigter der in Art. 18 GG genannten Grundrechte ist.5 Grundrechtsberechtigt ist jede natürliche Person. Darunter sind im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG und die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG nur Deutsche zu zählen. Alle anderen Grundrechte des Katalogs in Art. 18 GG sind hingegen sog. „Jedermann-“ Grundrechte und deshalb auch auf ausländische Staatsangehörige anwendbar. Sie können dementsprechend von ihnen ebenfalls verwirkt werden.6 Wichtig ist dabei, dass Gegner im Sinne des Art. 18 GG jedoch nur sein kann, wer die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zu bekämpfen trachtet, nicht jedoch etwa die Ordnung seines Heimatlandes.7 Etwas anderes gilt aufgrund des Diskriminierungsverbots des Art. 18 AEUV sowie der europäischen Grundfreiheiten indessen für EU-Bürger: Wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts sind sie entweder den „Deutschen“ im Sinne der Deutschenrechte gleichzustellen oder aber Art. 2 Abs. 1 GG muss dahin verstanden werden, dass er EU-Ausländern einen den Deutschenrechten vollständig gleichwertigen Schutz verbürgt.8 Schon allein, weil Art. 18 GG nicht die Verwirkung von Art. 2 Abs. 1 GG vorsieht und dies auch nicht in die Norm „hineingelesen“ werden kann, wie später noch zu zeigen sein wird, und die letztere Auffassung daher auf einen ungewollt lückenhaften Verfassungsschutz hinauslaufen würde, ist jedoch der erstgenannten Ansicht zu folgen, wonach die Deutschengrundrechte für alle EU-Bürger zu öffnen sind. Bei Abgeordneten sind ferner Art. 46 Abs. 3 und 4 GG, beim Bundespräsidenten ist Art. 60 Abs. 4 GG zu beachten,9 wonach vor einem Verfahren nach Art. 18 GG gegen einen Abgeordneten bzw. den Bundespräsidenten (Art. 60 Abs. 4 i. V. m. Art. 46 Abs. 3 und 4 GG) die Genehmigung des Bundestages einzuholen ist (Art. 46 Abs. 3 GG) oder ein solches Verfahren auf Verlangen des Bundestages ausgesetzt werden muss (Art. 46 Abs. 4 GG). 5  Vgl.

Stern, Staatsrecht III / 2, S. 956 m. w. N. Art. 16a GG gilt nur für Ausländer und ist nicht auf Deutsche anwend-

6  Allein

bar.

in diesem Sinne nur Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 26. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 117. 9  Siehe auch Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 6. 7  Vgl. 8  Vgl.

58

B. Voraussetzungen

Nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen können unter bestimmten Umständen Grundrechtsträger sein.10 Dies ist gemäß Art. 19 Abs. 3 GG der Fall, soweit Grundrechte ihrem Wesen nach auf die jeweilige juristische Person anwendbar sind. Demgemäß kann nach § 39 Abs. 2 BVerfGG das BVerfG im Rahmen einer Verwirkungsentscheidung auch die Auflösung einer juristischen Person anordnen. Zumindest im Fall der Vereinigungsfreiheit, Art. 9 Abs. 2 GG, mag dies entscheidend sein. Ob auch Vereinigungen ohne Rechtsfähigkeit Adressaten des Art. 18 GG sein können, ist umstritten. Teilweise wird dies befürwortet, da auch solche Vereinigungen Grundrechtsträger seien.11 Inwieweit hier jedoch Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG als speziellere Regelungen vorgehen, wird später zu untersuchen sein. Während außerdem der von Art. 18 GG Angesprochene nicht schuldhaft gehandelt, geschweige denn überhaupt schuld- oder zurechnungsfähig im strafrechtlichen Sinne sein muss, soll jedoch vorsätzliches Handeln unter einem natürlichen Handlungswillen für die Erfüllung des Tatbestandes erforderlich sein.12 Angesichts der Tatsache, dass Art. 18 GG nach einhelliger und immer wieder vehement betonter Auffassung keine Strafnorm darstellt,13 überrascht diese vielfach vertretene Ansicht. Gefährlich für die freiheitliche demokratische Grundordnung kann schließlich auch derjenige sein, der sie nicht vorsätzlich angreift, wenngleich ein solcher Fall nur schwerlich denkbar ist. Elemente des Strafrechts in die Verwirkungsnorm zu übertragen ist jedoch vor dem Hintergrund eines effektiven präventiven Verfassungsschutzes in jedem Fall problematisch und vermag dogmatisch nicht zu überzeugen. 2. Die freiheitliche demokratische Grundordnung Bereits an anderer Stelle wurde Bezug genommen auf den Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“.14 Er steht in untrennbarem Zusammenhang zur streitbaren Demokratie und stellt gleichsam deren Kehrseite dar, soll die eine doch der Verteidigung der anderen dienen. Während es sich bei der streitbaren Demokratie jedoch nach gegenwärtigem Verständnis eher um ein die gesamte Verfassung durchziehendes, ungeschriebe10  Vgl. aber Hesse, in: Benda  / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 5 Rn. 72, wonach die Grundrechtsverwirkung nur gegenüber Einzelpersonen ausgesprochen werden kann. 11  So etwa Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 121. 12  Vgl. nur Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 33. 13  So in diesem Sinne für alle etwa Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 47. 14  Siehe unter A. III. 1.



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG59

nes Prinzip, denn um ein feststehendes Merkmal handelt, wird die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ in zahlreichen Vorschriften als tatbestandliche Voraussetzung genannt. So ist sie auch in Art. 18 GG zentral für das Verständnis der Norm. Sie kehrt in Art. 11 Abs. 2, 21 Abs. 2, 87a Abs. 4 S. 1 und 91 Abs. 1 GG wieder, wo sie teilweise erst nachträglich im Wege von Verfassungsänderungen eingefügt wurde. Eine Legaldefinition der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ enthält das Grundgesetz jedoch nicht. Es ist demgemäß im Sinne der Einheit der Verfassung von einem einheitlichen Verständnis des Begriffes in allen Normen auszugehen.15 Ferner soll der Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung“ in Art. 9 Abs. 2 GG dieselbe Bedeutung haben.16 Einfachgesetzliche Bestimmungen, wie etwa § 92 Abs. 2 StGB, können allenfalls Anhaltspunkte für seine Auslegung bieten.17 So sehr jedoch deutlich wird, dass die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ die grundlegenden, unabänderlichen Prinzipien, auf denen Staat und Gemeinwesen beruhen, bezeichnen soll, so wenig ist damit klar, worin diese Grundprinzipien bestehen. Auf der einen Seite müssen sie die hochrangigsten, unentbehrlichsten und elementarsten Grundsätze unseres Zusammenlebens im Staat sein, auf der anderen Seite erscheint ihre Benennung geradezu unmöglich, sind sie doch bis zu einem gewissen Grad beliebig. Die Rechtsprechung hat eine Definition des Begriffs vorgenommen,18 auch in der Literatur wurden solche Versuche unternommen. Konsens besteht wohl mit Dürig / Klein darüber, dass sich die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ stets aus dem ergibt, was wir aufgrund unserer geschichtlichen Erfahrung mit totalitären Unrechtsregimen unbedingt nicht wollen.19 Gerade das ist aber – trotz des geschichtlichen Bezugspunktes – abschließend schlechthin nicht bestimmbar. Was tatsächlich das singulär Furchtbare der Unrechtsregime unserer jüngeren Vergangenheit war, lässt sich wohl zu keinem Zeitpunkt vollends definieren. Es ist ebenso abhängig vom Blickwinkel und den jeweiligen Werten der Nachgeborenen wie vom Stand der Forschung und der Diskussion in der Wissenschaft.

15  Siehe auch Gusy, AöR 105 (1980), 279 m.  w. N.; ausdrücklich gegen eine verschiedene Interpretation des Begriffs auch BVerfGE 2, 1 (12). 16  Vgl. nur Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 57. 17  Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 5. 18  BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85 (140). 19  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 58.

60

B. Voraussetzungen

a) Die Auslegung des Begriffs in der Rechtsprechung Im Rahmen der SRP-20 und KPD-Verbotsverfahren21 hat das BVerfG den Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ definiert als „eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt“. „Grundlegende Prinzipien“ dieser Ordnung sollen „mindestens“ folgende sein: „Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ Diese Interpretation ist bis heute maßgebend für das Verständnis der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ durch die Rechtsprechung. b) Die Kritik an der Rechtsprechung Diese Begriffsbestimmung, die Schmitt Glaeser zufolge mehr eine Beschreibung denn eine Definition darstellt,22 ist noch um vieles mehr als die eben aufgeführte negative Umschreibung von Dürig / Klein einem stetigen Wandel der Zeit, der jeweils herrschenden Auffassung und nicht zuletzt dem Willen der jeweiligen Machthabenden unterworfen. Dies birgt erst recht die nicht zu übersehende Gefahr in sich, dass der „Wille der jeweiligen Mehrheit“ seinerseits zum „freiheitsvernichtenden Moloch“23 werden könnte. Gleichwohl ist evident, dass zu einer „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ selbstredend auch dazu gehört, dass eben die Mehrheit der Bevölkerung demokratisch entscheidet, was sie zu ihren grundlegenden Werten erklären will. Merkwürdig widersprüchlich wäre es jedoch, wenn verfassungsrechtlich stets nur das zu schützen wäre, was die gerade bestehende Mehrheit für schützenswert hielte. Dann geriete der Schutz der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ zum Instrument der Machtsicherung und würde allein dazu dienen, missliebige Positionen zu unterbinden. Indes sollen mit der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ funda20  BVerfGE

2, 1 (12 f.). 5, 85 (140). 22  Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 7. 23  So zuspitzend Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 56. 21  BVerfGE



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG61

mentale Werte erhalten werden,24 die eben unabhängig von sich ändernden Mehrheitsanschauungen sind. Auch vermag die „Mindestens“-Klausel nicht zu überzeugen: Es drängt sich unwillkürlich die Frage auf, was denn noch unter den Begriff zu zählen ist.25 Schmitt Glaeser nennt hierbei „aus nahe liegenden Gründen“ Bundesstaats-, Republik- und Sozialstaatsprinzip.26 Vor allem aber ist die Auslegung so einer immer währenden Erweiterung zugänglich, die, genau wie die Anknüpfung an den jeweiligen Mehrheitswillen, als äußerst missbrauchsanfällig bezeichnet werden muss. Auch steht somit eine schleichende Entwertung des Begriffs zu befürchten. Zwar könnte einer uferlosen Ausweitung des Begriffs dadurch Einhalt geboten werden, dass unter ihn allein „grundlegende Prinzipien“ gefasst werden. Doch hat Gusy zurecht kritisiert, dass angesichts der Aussage des BVerfG, die Definition des Begriffs der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ aus einer Gesamtinterpretation des Grundgesetzes und seiner Einordnung in die moderne Verfassungsgeschichte heraus entwickelt zu haben,27 nicht überzeuge, warum die aufgezählten Elemente von grund­ legender Bedeutung sein sollen.28 Es handele sich, so Ridder, vielmehr um eine „Kompilation von gewiss sehr wichtigen, aber heterogenen Ver­ fassungsgrundsätzen“.29 Dementsprechend wird wiederholt bemängelt, dass die sehr scharfen Sanktionen, welche etwa Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG vorsehen, mehr erforderten, als bloß eine „Mindestaufzählung doch eher unscharfer ‚grundlegender Prinzipien‘, die zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gezählt werden sollen“. Stattdessen komme es darauf an, den Eingriff so vorhersehbar und berechenbar wie irgend möglich zu machen.30 Dabei sei ein entscheidendes Kriterium, dass die „freiheitliche demokratische Grundordnung“, die schließlich in Art. 18 GG die äußerste Grenze grundrechtlicher Freiheit markiere, auch an Verfassungsnormen selbst festgemacht werden könne. Maßstab könne insofern nur Art. 79 24  Vgl. demgemäß auch Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 5. 25  Ebenso Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 7. 26  Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 7, wobei die Bezeichnung der Staatsprinzipien als „Staatszielbestimmungen“ dogmatisch fragwürdig ist. 27  Vgl. BVerfGE 5, 85 (112). 28  Vgl. Gusy, AöR 105 (1980), 279 (288), der mit Verweis auf Hesse die „Bedenklichkeit solchen Vorgehens“ kritisiert. 29  Ridder, Aktuelle Rechtsfragen des KPD-Verbots in Demokratie und Rechtsstaat, S. 28. 30  Vgl. die Kritik von Schmitt Glaeser, in: Merten  / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 8.

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B. Voraussetzungen

Abs. 3 GG sein.31 Eine andere Verfassungsnorm heranzuziehen, die bereits unabänderbare Verfassungsgrundsätze nennt und diese mithin als solchermaßen „grundlegende Prinzipien“, als tragende Elemente der Verfassung anerkennt, erscheint durchaus folgerichtig. Warum soll auch die „Grundsubstanz“32 der Verfassung, wie sie etwa Art. 9 Abs. 2, 18 oder 21 Abs. 2 GG schützen will, eine andere sein, als diejenige, welche Art. 79 Abs. 3 GG bereits ausdrücklich vor ihrer Abschaffung bewahrt? Allein auf diese Weise könnten zudem Rechtsklarheit und eine verfassungsrechtlich unmissverständliche Definition der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ geschaffen werden. c) Kritik an der Literatur und möglicher Interpretationsansatz Gegen diese Literaturmeinung könnte indessen sprechen, dass der Gesetzgeber das Tatbestandsmerkmal der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ offener lassen wollte als die Elemente des Art. 79 Abs. 3 GG und diese deshalb bewusst nicht an seiner Stelle genannt hat, was andernfalls durchaus nahe gelegen hätte. Womöglich soll das Merkmal noch grundlegendere, substanziellere Prinzipien der Demokratie bezeichnen. So ist immer wieder die Meinung anzutreffen, dass Sozialstaats-, Republik- und Bundesstaatsprinzip nicht dazu gehören würden, da es an der für westliche Demokratien „unverzichtbaren Evidenz“ fehle.33 Tatsächlich kann nicht gewollt sein, dass gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ handelt, wer diese Strukturprinzipien der Verfassung ablehnt und für andere eintritt, wie sie in unbestreitbar freiheitlichen Verfassungen (etwa des Einheitsstaates Frankreichs oder der Monarchien Großbritanniens, Spaniens oder skandinavischer Länder) bestehen.34 Stattdessen muss die „Freiheitlichkeit“ stärkeres Gewicht erlangen. Es ist unmöglich Zufall oder reine Rhetorik, dass nicht etwa bloß von der „demokratischen Grundordnung“ oder den „grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes“ die Rede ist, sondern eben von der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“. Das grundlegende Prinzip des Grundgesetzes ist richtigerweise das „Verfassungsprinzip der Freiheit“.35 Der Wortlaut etwa in Art. 18 31  So insbesondere Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 42; ders., in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 8 m. w. N. 32  Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 8. 33  Dreier, JZ 1994, 741 (750); Papier / Durner, AöR 128 (2003), 340 (357). 34  Vgl. nur Becker, in: Isensee  /  Kirchhof (Hrsg.), HdbStR VII, 1. Aufl., § 167 Rn. 47. 35  H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 42 (54).



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG63

und 21 Abs. 2 GG deutet folglich darauf hin, dass hier nur die freiheitliche Ausprägung der Demokratie geschützt werden soll. Angesichts der sehr einschneidenden Konsequenzen, die sämtliche verfassungsschützenden Normen für die Bedrohung der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ vorsehen, erfordert der Begriff zweifellos eine restriktive Auslegung. Zutreffend gibt Dreier deshalb in Anlehnung an die Definition des BVerfG zu bedenken, dass Art. 79 Abs. 3 GG „weit mehr als nur die für eine freiheitliche demokratische Ordnung unentbehrlichen Kernelemente für unantastbar erklärt“.36 Die – ohnehin paradoxe – Einschränkung der Freiheit zum Schutz eben dieses Verfassungsprinzips würde letztlich ad absurdum geführt, wenn bereits gewisse Kritik am Bundes- oder Sozialstaatsprinzip solch weitreichende Folgen wie die der Grundrechtsverwirkung, des Vereins- oder Parteiverbots auszulösen imstande wäre und diese damit wiederum nichts anderes darstellen würden als ein Lahmlegen der politischen Gegner zur Sicherung des status quo. Die strukturelle Offenheit der Definition des BVerfG vermag, wie oben aufgezeigt, nicht zu überzeugen. Sie führt letztlich genauso zu einer Entwertung und Aufweichung des Begriffs wie die schlichte Gleichsetzung mit Art. 79 Abs. 3 GG, die andere befürworten. Auch die Methode der Begriffsbestimmung wie sie das BVerfG anwendet, weckt berechtigte Zweifel an ihrer Tauglichkeit. So ist Gusys Kritik am Rückgriff auf die „Schöpfungsordnung“ als religiös-naturrechtlichem Ausgangspunkt aufgrund seiner „Loslösung von rechtlichen Kategorien“ sicher nicht unberechtigt.37 Wohl ist auch Schmitt Glaeser darin zuzustimmen, dass feste Anhaltspunkte notwendig sind, die sich aus Normen des Grundgesetzes gewinnen lassen.38 Richtig – und soweit ersichtlich unbestritten – ist jedenfalls die Herleitung des Begriffs der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ durch das BVerfG aus der Ablehnung „jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft“, deutlicher nochmal von Dürig / Klein bezeichnet als „alles, was wir aufgrund unserer Erfahrung mit totalitären Unrechtsregimen nicht wollen.“ Zwar genügt rechtlichen Ansprüchen weder ein reines „Substraktionsverfahren“39 noch eine bloße Umschreibung mittels der Stellung des Menschen in der Schöpfungsordnung. Doch ließe sich beides rechtlich durchaus einfangen: So 36  Dreier, JZ 1994, 741 (750), der auf die absurde Konsequenz hinweist, sonst etwa die Anhänger der extrem liberalistischen Wirtschaftslehre Hayeks für „Verfassungsfeinde“ zu erklären (Fn. 134). 37  Gusy, AöR 105 (1980), 279 (288). 38  Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 8. 39  Gusy, AöR 105 (1980), 279 (288); Stern, Staatsrecht I, S. 561 hebt deshalb hervor, dass der rein antithetische Charakter der Definition Dürig / Kleins positiv ausgefüllt werden müsse, „um den Wert dieser Ordnung einsichtig zu machen“.

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B. Voraussetzungen

haben die Präambel des Grundgesetzes,40 die Achtung der Menschenwürde und die Freiheits- und die Justizgrundrechte eine die elementaren Voraussetzungen unserer Demokratie kennzeichnende Funktion. Hierbei handelt es sich nicht um bloße politische Schlagwörter, die letztlich beliebig zu deuten sind, oder um irgendwelche – letztlich streitbare – Wertentscheidungen, sondern um grundlegende Eckpfeiler der Verfassung. Sie sind in der Tat eine Folge der Ablehnung totalitärer Herrschaften und eine unumwundene Bejahung bürgerlicher Freiheit. Ihre Anerkennung durch den Staat wie durch jeden Bürger kann deshalb mit Fug und Recht als Grundbedingung eines friedlichen Zusammenlebens eingefordert werden.41 3. Der Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Ein sehr unbestimmtes Tatbestandsmerkmal des Art. 18 GG ist der Begriff des „Kampfes“. Wann die Schwelle hierzu überschritten ist, wann es sich hingegen noch um eine demokratisch tolerierte Kritik handelt, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich; die Grenzen sind fließend und können leicht verschwimmen. Es muss indes für den etwaig Betroffenen vorhersehbar sein, wann er mit gewissen Äußerungen und Handlungen seine Grundrechte aufs Spiel setzt. a) Zusammenhang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Fest steht zunächst, dass der Begriff eng mit dem der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ zusammenhängt. Denn nicht jede kritische Meinungsäußerung ist bereits vom Tatbestand der Verwirkungsnorm erfasst.42 Der Begriff „Kampf“ meint eben nicht jegliche Auseinandersetzung über politische Inhalte. Die Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse- und Versammlungsfreiheit sollen durch Art. 18 GG nicht faktisch von vornherein ausgeschaltet werden.43 Genau wie die „freiheitliche demokratische auch Stern, Staatsrecht I, S. 561. Ergebnis wie hier Stern, Staatsrecht I, S. 561. Anders Morlok, Schutz der Verfassung, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 64 (65), der als Schutzgut der freiheitlichen demokratischen Grundordnung recht unbestimmt ausschließlich das Funktionieren eines politischen Prozesses ausmacht und deshalb von einem unspezifischen „Funktionenschutz“ spricht. 42  Schmitt Glaeser, in: Merten  /  Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 18: „Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes toleriert Kritik, selbst wenn sie sich gegen den Grundbestand seiner Ordnung richtet“. 43  Vgl. dazu auch Maunz, Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Peter Lerche, S. 281 (286). 40  So

41  Im



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG65

Grundordnung“ zurückhaltend auszulegen ist, um ihre hervorgehobene Bedeutung für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu betonen, muss das kämpferische Vorgehen des Adressaten von Art. 18 GG restriktiv interpretiert werden, damit die in einer Demokratie essentiellen (politischen) Grundrechte so weit wie irgend möglich gewahrt bleiben können. Wo aber ist die Grenze zur Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ziehen, die mit der Verwirkung von Grundrechten schließlich abgewandt werden soll? Ist sie mit Maunz dort anzunehmen, wo sich „aggressive Methoden in der Darlegung der bekämpften Ansichten […] bis zu Gehässigkeiten, Herabsetzungen, Diskriminierungen und Beschimpfungen des politischen Gegners steigern können“?44 Das erscheint zweifelhaft, kommt es doch bisweilen vor, dass sich auch Vertreter opponierender, ja sogar koalierender politischer Parteien aggressiv beschimpfen und gegenseitig herabsetzen. Darin ist gewiss noch kein „Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu sehen. Richtig erscheint vielmehr, dass es einem im Sinne von Art. 18 GG „Kämpfenden“ vor allem darum gehen muss, nicht seinen politischen Gegner zu überzeugen oder ihn öffentlich zu diskreditieren, wie es dem herkömmlichen politischen Diskurs als Ziel immanent ist, sondern ihn vollständig aus dem Weg zu räumen und zu diesem Zweck „Gefolgsleute“ an sich zu binden.45 Der „Kampf“ in Art. 18 GG ist dabei ein grundlegend anderer als der der Parteien untereinander, richtet er sich doch gegen die obersten Prinzipien der Verfassung und nicht lediglich gegen einen politischen Opponenten. Zwar muss zwischen bloßer Kritik an der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und einem Kampf gegen ihre „freiheitliche demokratische Grundordnung“ scharf unterschieden werden. Doch handelt es sich nicht um einen lediglich graduellen Unterschied in den Mitteln, mit denen ein „Gegner“ angegriffen wird, sondern um einen konstitutiven Unterschied zwischen dem politischen Meinungsaustausch, gleich wie „kämpferisch“ er erscheinen mag, und einem „Sich-richten“ gegen die Grundprinzipien der Verfassung – die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ selbst.46

44  Maunz, Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Peter Lerche, S. 281 (287). 45  So allerdings auch Maunz, Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Peter Lerche, S. 281 (287). 46  So ausdrücklich das gleichlautende Tatbestandsmerkmal des Art. 9 Abs. 2 GG; in die gleiche Richtung geht aber auch das „Darauf-ausgehen“ des Art. 21 Abs. 2 GG. Alle drei Tatbestände können daher wohl in ihren Voraussetzungen gleichgesetzt werden; vgl. auch Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S.  71 m. w. N.; ders., in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 18.

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B. Voraussetzungen

b) Aggressives Verhalten als Voraussetzung Demgemäß wird in der Literatur meist ein Verhalten dann zum „Kampf“ erklärt, wenn es „in nachhaltig-aggressiver Form auf das Ziel der Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung [hinarbeitet] und die geeignet erscheinenden Mittel planvoll zweckbezogen ausgewählt werden“.47 Dieses Verhalten soll keine Anwendung von (körperlicher) Gewalt voraussetzen,48 sondern sich auch bereits im rein geistigen Kampf verwirklichen können,49 was die Abgrenzung zur bloßen Meinungsäußerung allerdings erschwert. Gusy erklärt die kämpferische Handlung deshalb als „über den rein geistigen Bereich politischer Betätigung“ hinausgehend; sie müsse die Anwendung anderer als kommunikativer Elemente zumindest nahelegen. Dazu zählt er Gewaltandrohungen oder Appelle an vorhandene Gewaltbereitschaft.50 Es ist nicht zu verkennen, dass die Einschätzung des geforderten aggressiven Vorgehens mitunter Schwierigkeiten bereiten kann. Auch wenn das Vorgehen extremistischer Personen oder Organisationen nach außen hin friedlich erscheinen mag, kann ihr Ziel gleichwohl die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sein. Entscheidend für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 GG kann daher nicht das äußere Erscheinungsbild der Vorfeldhandlungen sein. Es kann vielmehr allein auf das jeweilige Ziel der Vorgehensweisen ankommen. Damit eine echte Bedrohung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorliegt – denn um eine solche muss es sich schließlich handeln –, muss der Adressat der Grundrechtsverwirkung darauf ausgehen, eine möglichst große Anhängerschaft um sich zu scharen oder aber gewalttätige Anschläge planen.51 Aufgrund der Gefährlichkeit, die von der kommunikativen Beeinflussung anderer und einem kollusivem Zusammenwirken ausgehen kann, sind im Zentrum von Art. 18 GG der Missbrauch der Meinungsfreiheit, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit genannt. Will man den Kampf, was angesichts der Begriffswahl naheliegt, durch eine aggressive Vorgehensweise umschreiben, muss deshalb klargestellt 47  Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 9; vgl. auch Model / Müller, GG, Art. 18 Rn. 7. 48  Vgl. Gusy, in: AK-GG, Art. 18 Rn. 17; ebenso Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 18, der die Gewaltlosigkeit der Tathandlung sogar für kennzeichnend befindet. 49  So auch Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 54. 50  Siehe Gusy, in: AK-GG, Art. 18 Rn. 17. 51  Vgl. Maunz, Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Peter Lerche, S. 281 (287).



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG67

werden, dass dieser auch erst als Ziel des Missbrauchs dienen kann.52 Art. 18 GG lautet deshalb: „Wer [bestimmte Grundrechte] zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht […]“ und nicht „im Kampf“. Dies wird in der Literatur bisher übersehen,53 wenn der Begriff des Kampfes mit dem Vorgehen gleichgesetzt wird, das einen Verwirkungsantrag auslösen kann. Die tatbestandsmäßige Handlung ist der ratio sowie dem Wortlaut des Art. 18 GG nach einzig der „Missbrauch“ der Grundrechte. Damit bereitet aber auch die Abgrenzung zur notwendigerweise tolerierten Kritik an der Grundordnung im Rahmen des Kampfes keine großen Schwierigkeiten mehr: Der Missbrauch von grundrechtlich geschützter Freiheit „zum Kampf“ zielt immer auf die Beseitigung der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ hin und hat mit einer einfachen politischen Betätigung nichts mehr gemein. Als zusätzliche Kriterien für ein unter Art. 18 GG fallendes Verhalten können deshalb eine gewisse Ernsthaftigkeit und Tauglichkeit der Freiheitsausübung zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung genannt werden. c) Gefahr und Gefährlichkeit Maßgeblich für die Verwirkungsentscheidung soll demgegenüber eine Gefahrenprognose für die Zukunft sein.54 Dem Grundrechtsmissbrauch in der Vergangenheit soll allein Indizwirkung zukommen, wobei auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das BVerfG und nicht den der Antragstellung abzustellen sei.55 Diese Verlagerung des Bestehens der Tatbestandsvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung hat freilich zur Folge, dass der Betroffene gewarnt ist und seinen Kampf zumindest vorübergehend einstellen kann, um dem Verwirkungsausspruch zu entgehen. Eben dies geschah wohl im Zuge der bisher eingeleiteten Verwirkungsverfahren, die sich jeweils über einen so langen Zeitraum erstreckten, dass zuletzt die zukünftige Gefährlichkeit der Betroffenen nicht mehr bewiesen werden konnte.56 Indem 52  Siehe auch Kaufmann, in: Denninger (Hrsg.), Freiheitliche demokratische Grundordnung I, S. 95 (105). 53  Angedeutet wird diese Interpretationsmöglichkeit einzig von Bleckmann, Staatsrecht II, § 16 Rn. 9, der auf die vorhergehenden Ausführungen von Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 63 ff. verweist. 54  So etwa Schmitt Glaeser, in: Merten  / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 16 m. w. N., auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 711, spricht von einer notwendigen „ernsthaften Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung“. 55  BVerfGE 38, 23 (24): Der Verwirkungsantrag wurde abgelehnt, da im Zeitpunkt der Entscheidung die vom Antragsgegner Frey in seiner Zeitung verbreiteten Auffassungen keine politische bedeutsame Resonanz mehr fänden. 56  BVerfGE 11, 282 (283).

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B. Voraussetzungen

das BVerfG die Notwendigkeit einer Prognose – als eines von wenigen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 GG – festlegte und zugleich ihren Zeitpunkt nach hinten verlagerte, beraubte es die Norm zweifellos noch mehr ihrer ohnehin geringen Wirkung. Doch unterstrich es gleichzeitig ihren grundlegenden Unterschied zu strafrechtlichen Staatsschutznormen: Art. 18 GG soll eben keinen Sanktionscharakter im strafrechtlichen Sinne haben, sondern allein vorbeugend wirken.57 Zu verkennen ist jedoch nicht, dass durch diese Auslegung der Norm ihre bloß symbolhafte Funktion in den Vordergrund tritt. Der Verwirkungsantrag wird damit gleichsam zum erhobenen Zeigefinger der Regierung, zum „wachsamen Auge“ des Staates degradiert, ist seine schlussendliche Ablehnung durch das BVerfG doch so gut wie gewiss. Selbst die abschreckende Wirkung eines solchen Antrags verblasst schnell, wenn der Betroffene danach sein Handeln ungehindert fortführen kann und die Regierung damit in die Zwickmühle gerät, entweder in wildem Aktionismus immer neue Anträge zu stellen oder aber ihre Machtlosigkeit gegenüber dem „Täter“ zu entblößen. Die Befürchtung der Ohnmächtigkeit gegenüber einem Freiheitsgegner, der immer wieder in Erscheinung tritt, sobald die Gefahr einer Grundrechtsverwirkung vorerst gebannt ist, wird allerdings dadurch abgemildert, dass das BVerfG im Rahmen eines zweiten Antrags die Wiederaufnahme des Freiheitmissbrauchs durch den Antragsgegner nach Abschluss des vorherigen Verfahrens und die im ersten Verfahren bereits zugrunde gelegten Vorgänge berücksichtigen will.58 Würde man jedoch eine – an das Polizei- und Ordnungsrecht angelehnte – Gefahrendiagnose und -prognose59 fordern, muss zunächst einmal der Begriff der „Gefahr“ erläutert und für Art. 18 GG fruchtbar gemacht werden. Eine „Gefahr“ im Polizei- und Ordnungsrecht ist eine Sachlage, in der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für ein Schutzgut eintreten wird.60 Damit wird die konkrete, also im Einzelfall bestehende Gefahr, im Unterschied zur abstrakten Gefahr erfasst. Es muss also zunächst ein bestimmter Sachverhalt vorliegen, von dem objektiv auszugehen ist, dass er, falls er sich ungehindert fortführt, ein Schutzgut beein57  Ebenso Gusy, in: AK-GG, Art. 18 Rn. 18. Demgemäß erfordert Art. 18 GG auch nicht die persönliche Schuld des Täters, wie sie Voraussetzung für eine Strafbarkeit wäre, vgl. nur Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 47. Ja, er soll nicht einmal schuldfähig, also strafrechtlich verantwortlich für sein Handeln sein müssen, Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 19. 58  So ist wohl BVerfGE 11, 282 (283) zu verstehen. 59  Hierzu ausführlich Schoch, in: Schmidt-Aßmann  / Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, II 1 c bb. 60  Schoch, in: Schmidt-Aßmann  /  Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, II 1 c aa m. w. N.



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trächtigten wird. Übertragen auf den Fall von Art. 18 GG bedeutet dies, dass in einem konkreten Einzelfall jemand Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, er dieses Verhalten aller Voraussicht nach fortführen wird und, solange ihn keiner daran hindert, die freiheitliche demokratische Grundordnung tatsächlich beeinträchtigen wird. Indes wurde bereits dargelegt, dass die Zielrichtung des Handelns vernünftigerweise stets der Kampf gegen die freiheitlichen demokratischen Grundordnung und nicht bereits ihre Beseitigung sein muss, da die Vorgehensweise völlig unterschiedlich und unberechenbar sein kann. Allein die Notwendigkeit der Erfolgsaussichten des Kampfes wurde bislang in der Literatur weitgehend bestritten.61 Der mögliche Erfolg eines Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung lässt sich womöglich auch kaum mit – für das Gefahrenabwehrrecht – hinreichender Sicherheit vorhersagen. Er hängt von zahlreichen, unmöglich im Vorhinein berechenbaren Faktoren ab. Dürig / Klein betonen deshalb zu Recht den präventiven Charakter des Verfassungsschutzes, der bereits im Vorfeld konkreter Gefahren ansetzen muss.62 Überzeugender ist es mithin, im Zusammenhang mit Art. 18 GG von einer „Gefährlichkeit“63 des Antragsgegners und nicht von einer „Gefahr“ für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu sprechen. Von einer wirklichen Gefahrenprognose, wie sie das Polizeirecht vorschreibt, kann hier nämlich gar nicht ausgegangen werden, da ein „Schadenseintritt“ nicht mit der geforderten „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“64 prognostiziert werden könnte. Ob vom BVerfG überhaupt verlangt werden kann, einen Schaden für die freiheitliche Demokratie von der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden, erscheint ohnedies fraglich. Wohl sollte der Tatbestand des Art. 18 GG einzelnen Personen, anders als in der Weimarer Republik, diese Verantwortung für die Zukunft der Verfassungsordnung abnehmen. Indem das BVerfG also den Zeitpunkt der Einschätzung dieser Gefahrenlage auf die Entscheidung über die Verwirkung verlagert, konterkariert es in gewisser Weise diese Art. 18 GG zugedachte Bedeutung. Es fragt sich indes, ob die Gefährlichkeit des Missbrauchenden, gleichsam als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, überhaupt ein Kriterium für die Verwirkungsentscheidung des BVerfG sein muss. Art. 18 GG stellt vielmehr auf die handlungsindizierte Gefährlichkeit des Antragsgegners ab, die 61  Vgl. Dürig / Klein, in: Maunz  /  Dürig, GG, Art. 18 Rn. 54 m.  w.  N.; ebenso Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 71 m. w. N.; ders., in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 18. 62  Vgl. Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 54 m. w. N. 63  So z. B. auch Gusy, AK-GG, Art. 18 Rn. 18. 64  Siehe nur Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht, S. 153.

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bereits aufgrund der tatbestandsmäßigen Zielrichtung des Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung regelmäßig zu einem Schaden eben für diese Ordnung zumindest führen könnte. Art. 18 GG impliziert dabei die Gefährlichkeit des „Täters“, wobei natürlich ein möglicherweise völlig aussichtsloses Handeln diese Vermutung widerlegen oder von vornherein tatbestandslos sein kann.65 Anstelle einer Gefährlichkeitsprognose im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung genügt es vollkommen, das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsmerkmale zu fordern. Ein Beispiel für die zwischenzeitliche Erledigung ist etwa, dass der Antragsgegner innerhalb einer mittlerweile als verfassungsfeindlich verbotenen und aufgelösten Organisation gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorging und nun keinen Resonanzboden für sein Verhalten mehr findet.66 In einem solchen Fall wird regelmäßig schon das Merkmal des Grundrechtsmissbrauchs und damit freilich zugleich die Gefährlichkeit des Antragsgegners unterdessen weggefallen sein. Dementsprechend hat auch das BVerfG in seiner ersten Entscheidung zu Art. 18 GG67 festgehalten, dass der Antragsgegner, der in der inzwischen verbotenen und aufgelösten SRP führend tätig war, seit dem Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr in gleicher gefährlicher Weise agiere. Doch bedarf es überhaupt nicht des zusätzlichen Merkmals der „Gefährlichkeit“, weil schon kein Missbrauch mehr vorliegt, der diese Gefährlichkeit begründen könnte. In gleicher Weise wird die Notwendigkeit dieses ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals bei Art. 21 Abs. 2 GG bestritten.68 d) Fazit Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Bedeutung des „Kampfes“ für Art. 18 GG oftmals überschätzt wird. Der Begriff bezeichnet seinem Sinn und Zweck sowie dem Wortlaut der Norm („zum Kampf“) nach nicht die Tathandlung, sondern vielmehr ihr Ziel. Die Handlung selbst kann auf mannigfache Weise ausgeübt werden, als dass sie sich mit dem Begriff des Kampfes umschreiben lassen würde. Sie kann neben einem offenen und unverhohlen aggressiven Vorgehen auch eine subtile und scheinbar harmlose Beeinflussung anderer Bürger beinhalten, soweit sie in irgendeiner Form die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel hat. Die Begriffe „Gefahr“ und „Gefahrenprognose“ haben im Zusammenhang aufgrund ihrer Konnotation als konkrete Parameter mit Art. 18 GG keine Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 18. bei Dürig, JZ 1952, 513 (517). 67  BVerfGE 11, 282. 68  Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 171. 65  Vgl.

66  Beispiel



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG71

über den positiven Tatbestand hinausgehende Bedeutung. Auch auf eine spezifische „Gefährlichkeit“ des Antragsgegners kann es nicht ankommen. Stattdessen indiziert bereits der Tatbestand der Verwirkungsnorm die Gefährlichkeit des missbäuchlichen Handelns. Es gilt daher allein, dieses Handeln im konkreten Entscheidungsfall festzustellen und nicht, eine zusätzliche, sehr unbestimmte und deshalb letztendlich beliebige Gefährlichkeitspogonose heranzuziehen. 4. Der Missbrauchstatbestand Eine der größten Schwierigkeiten bereitet wohl der Begriff des „Missbrauchs“, dessen Bedeutung für Art. 18 GG bereits vielfach diskutiert wurde.69 Nach der herrschenden Ansicht in der Literatur hängt der Missbrauch insofern eng mit dem Begriff des Kampfes zusammen, als er sich gerade durch eine kämpferische Vorgehensweise vom normalen Gebrauch abhebt. Der Missbrauch sei also letztendlich ein bloßer Gebrauch der in Art. 18 GG aufgezählten Grundrechte mit kämpferischen Mitteln.70 Insofern stelle er streng genommen kein eigenes Tatbestandsmerkmal dar, sondern sei immer dann verwirklicht, wenn eines oder mehrere der in Art. 18 GG genannten Grundrechte „zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ eingesetzt würden; der Missbrauch sei mithin schon im Kampfziel begründet.71 Dem steht indes die begriffliche Anknüpfung an die Missbrauchslehre des römischen und europäischen Privatrechts entgegen. Sie soll zunächst dargelegt werden. a) Herkunft des Missbrauchsbegriffs Die Einrede der Arglist (exceptio doli) als Durchsetzung des „Schikaneverbots“ war bereits im römischen Recht Ausdruck einer Rechtsbeschränkung im Falle des Rechtsmissbrauchs.72 Der Grundsatz, dass die Ausübung eines Rechts dann verboten ist, wenn sie dem Anwender keinen ihrem Sinn entsprechenden Nutzen bringt und nur dazu dient, anderen zu schaden, gehört seither zu den überkommenen Rechtsprinzipien in Europa.73 Während 69  Vgl. insbesondere die grundlegende Arbeit von Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, 1967. 70  So etwa Schmitt Glaeser, in: Merten  / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 20 m. w. N. 71  Siehe auch Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 32; ebenso Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 11. 72  Vgl. nur Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 42. 73  Siehe auch Merten, in: Merten  / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 47 mit dem Hinweis auf das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, § 76 der Einlei-

72

B. Voraussetzungen

der abuse of rights keinen Eingang in das common law gefunden hat,74 entwickelte das französische Recht im 19. Jahrhundert die Lehre vom abus des droits,75 welche rasch Eingang in viele europäische Kodifikationen des Privatrechts fand. Doch auch das öffentliche Recht inklusive des Verfassungsrechts76 nahm nach und nach die Rechtsfigur des Missbrauchsverbots positivrechtlich, zumeist in Gestalt eines „Missbrauchs des Eigentums oder Besitzrechts“77 oder des „Missbrauchs wirtschaftlicher Macht“78 auf. Die Verfassungen anderer europäischer Staaten konstituieren zudem häufig ein Verbot des Rechtsmissbrauchs bei zweckwidriger Verwendung eines Rechtsinstituts entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben, mithin zur Verwirklichung von dem Sinn der Rechtsnorm zuwiderlaufenden Interessen.79 Nicht nur für das Privatrecht, sondern auch für das öffentliche Recht soll damit das Verbot des Rechtsmissbrauchs innerhalb der deutschen Rechtsordnung einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellen80 und als solcher auch dem Verfassungsrecht innewohnen: Als allgemeine Grenze, die jedem Recht immanent sei, begrenze das Missbrauchsverbot auch die Grundrechte, weshalb eine analoge Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben tung (Rechtsverwirkung bei grobem Missbrauch der Privilegii), § 37 Abs. 1 Satz 6 (Schadensersatzpflicht des Rechtsinhabers, wenn er „unter mehreren möglichen Arten der Ausübung seines Rechts diejenige, welche dem andern nachteilig wird, in der Absicht, denselben zu beschädigen, gewählt“ hat); ausführlich Würtenberger, Von der Aufklärung zum Vormärz, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR I, § 2 Rn. 12. 74  Taggart, Private Property and Abuse of Rights in Victorian England, 2005. 75  Fleischer, JZ 2003, 865  f.; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 239 III 3, S. 1440; vgl. auch Planiol, in: ders. / Ripert, Traité élémentaire de Droit civil, II, S. 289: „Le droit cesse où l’abuse commence.“ 76  Zu Recht bemerkt allerdings Häberle, Beschränkung und Missbrauch der Grundrechte, in: Liber amicorum Luzius Wildhaber, S. 313 (319), dass der „Missbrauch“ ein Sonderfall sei, der in der „Verfassung der Freiheit“ als solcher bewusst sein sollte. 77  Vgl. Art. 158 Satz 2 BayVerf. 78  Art. 24 Bln Verf.; Art. 42 Abs. 2 Satz 2 Bdbrg Verf.; Art. 39 Abs. 1 Hess Verf.; Art. 27 Abs. 2 NRW Verf.; Art. 52 Abs. 2 Satz 2 Rh-Pf Verf.; Art. 44 Satz 2 Saarl Verf. 79  Vgl. für die Schweiz etwa Müller / Schefer, Grundrechte in der Schweiz, S. 27 ff. Auch Art. 41 Abs. 2 der Italienischen Verfassung statuiert ein Verbot des Missbrauchs privatwirtschaftlicher Initiativen, zum Schaden der Sicherheit, der Freiheit und der Menschenwürde („Non può svolgersi in contrasto con l’uti­ li­ tà sociale o in modo da recare danno alla sicurezza, alla libertà, alla dignità ­umana.“). 80  Siehe nur Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 11 f.; Hassemer, Erscheinungsformen des modernen Rechts, S. 173 ff.; Selmer, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR II, § 53 Rn. 28 bezeichnet es deshalb als „Allgemeingut der Rechtsordnung“; instruktiv Knödler, Rechtsmissbrauch im öffentlichen Recht, Diss. 1999.



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG73

(§ 242 BGB) als Schranke der Grundrechte nicht notwendig und rechtsdogmatisch wohl auch nicht korrekt sei.81 b) Die „zivilistische Theorie“ Nach einer hier als „zivilistisch“ bezeichneten älteren Auffassung knüpft Art. 18 GG an die historische Konzeption des Rechtsmissbrauchs an und wird lediglich durch das Kampfziel qualitativ modifiziert. Wernicke formuliert demgemäß den Tatbestand des Art. 18 GG folgendermaßen um: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung … zum Kampfe gegen … benutzt (gebraucht), [= Tatbestand], missbraucht dieses Grundrechte. [= Wertung, an die sich dann als Rechtsfolge die Verwirkung anschließt].“82 Danach hat also der Begriff des Missbrauchs keine andere Funktion als zu verdeutlichen, dass ein Gebrauch bestimmter Grundrechte „zum Kampfe“ gegen die sie erst gewährende Verfassungsordnung nicht von ihrem Schutzgehalt gedeckt ist. Da der Missbrauch eines Rechts begrifflich aber immer der funktionswidrige Gebrauch eines Rechts und damit letztlich nichts anderes als eine spezifische Rechtsausübungsform darstellt, birgt diese – immer wieder geäußerte – These genau genommen keine neue Erkenntnis.83 Sie entspricht vielmehr der allgemeinen, erstmals im Zivilrecht entwickelten und etwa in §§ 226 oder 242 BGB84 positivierten Missbrauchslehre, wonach Missbrauch die Ausübung eines Rechts ist, die dem Sinn dieses Rechts zuwiderläuft.85 Im Zivilrecht ist anerkannt, dass der Rechtsmissbrauch kein eigenständiges Rechtsinstitut ist, sondern ein Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben.86 Jedes Recht soll nach der wohl herrschenden „Innentheorie“ seinem Inhalt nach nur so weit gehen, wie die guten Sitten und Treu und Glauben vieler Merten, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 49 m. w. N. in: Bonner Kommentar, Art. 18 Erl. 1 c; zustimmend Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (294). Mit Hamel, Die Bedeutung der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, S. 17, ist es das Bekenntnis zu den Menschenrechten, welches den Gebrauch der Grundrechte von ihrem Missbrauch scheidet. 83  So etwa schon zum zivilrechtlichen „Rechtsmissbrauch“ Hager, Schikane und Rechtsmissbrauch, S. 11. 84  § 226 BGB lautet: „Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.“ Die Nähe zum Missbrauchsverbot des Art. 18 GG ist unverkennbar, wenngleich sich unwillkürlich die Frage stellt, warum Art. 18 GG nicht einfach entsprechend formuliert ist, sondern die Entscheidung des BVerfG voraussetzt. Darauf wird später näher einzugehen sein. 85  Siehe Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S.  129 (138 f.) mit Verweis auf Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 120 sowie Krüger, DVBl. 1953, 97 (98); vgl. auch Stern, Staatsrecht III / 2, S. 955. 86  Küchenhoff, DJZ 1930, 1194 (1195); Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 242 Rn. 38, 87; kritisch Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 11 f. 81  Statt

82  Wernicke,

74

B. Voraussetzungen

es zulassen.87 Es handele sich beim Verbot des Rechtsmissbrauchs also um eine dem Recht immanente Schranke.88 Wernicke interpretiert Art. 18 GG folglich dergestalt, dass dieser eine ohnehin bestehende Rechtslage verdeutliche und letztlich wohl auch verschärfe. Der Missbrauch eines Grundrechts sei nicht mehr als dessen zulässige Ausübung, sondern als Rechtsüberschreitung oder Handeln ohne Recht anzusehen.89 Missbräuchliches Verhalten ist nach dieser Auffassung vom Schutz der in Art. 18 GG genannten Grundrechte von vornherein nicht erfasst,90 diese sind vielmehr einer spezifischen Missbrauchsschranke unterworfen.91 Danach hat die Grundrechtsverwirkung genau genommen allein eine deklaratorische Funktion: Auf ein bestimmtes Recht kann sich nicht berufen, wer sich gar nicht mehr in seinem Gewährleistungsgehalt bewegt. Art. 18 GG zeigt damit lediglich die inhaltlichen Grenzen der in ihm bezeichneten Grundrechte auf: „Das Grundrecht endet dort, wo der Missbrauch beginnt“.92 Weil auf diese Weise aber ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit, ja die Gefahr der Rechtsaufweichung bestünde93 und die Exekutive im Einzelfall dazu angehalten wäre, ein Handeln in grundrechtsgeschützt oder (grund-) rechtlos einzuordnen, enthält – so Wernicke – Art. 18 GG einen klar umrissenen Tatbestand, der allein die Grundrechtsausübung „zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ für missbräuchlich erklärt. Außerdem müsse erst das BVerfG feststellen, ob eine solche Grundrechtsüberschreitung vorliegt, so dass der Missbrauchende vor einer entsprechenden Entscheidung des BVerfG lediglich unter dem Rechtsschein eines grundrechtlich geschützten Verhaltens handlen würde. Dieser Schein müsse erst durch den Ausspruch des Gerichts beseitigt werden, andernfalls bleibe er mit der Folge bestehen, dass auch die missbräuchliche Betätigung eines Grundrechts von diesem geschützt sei. Ob die theoretische Konstruktion einer scheinbaren Grundrechtsausübung einerseits dem Anspruch an einen effektiven Verfassungsschutz genügt und andererseits in dogmatischer Hinsicht zu überzeugen vermag, soll hier zunächst dahinstehen. 87  Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 152. Dazu später unter D. I. 4. a). 88  Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 152; Dürig, JZ 1952, 513: „Die unzulässige Rechtsausübung ist nur scheinbare Rechtsausübung.“; ebenso Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 242 Rn. 38. 89  Wernicke, in: Bonner Kommentar, Art. 18 Erl. 1 c; vgl. auch Maunz, Staatsrecht, S. 98. 90  So Brenner, DÖV 1995, 60 (63). 91  Vgl. in diesem Sinne Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 19 ff. 92  Wernicke, in: Bonner Kommentar, Art. 18 Erl. 1 c. 93  Wernicke, in: Bonner Kommentar, Art. 18 Erl. 1 c.



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG75

c) Die „spezifisch-verfassungsrechtliche Theorie“ In der Lehre hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass der Grundrechtsmissbrauch als eigenständiges Institut des Verfassungsrechts zu begreifen und als solches von vergleichbaren Figuren im Zivil- und Verwaltungsrecht94 abzuheben sei.95 Die eben dargelegte „zivilistische Theorie“ Wernickes wird daher überwiegend abgelehnt. Nach der hier als „spezifisch-verfassungsrechtlich“ bezeichneten Ansicht kann die „zivilistische Theorie“ nicht erklären, warum das BVerfG konstitutiv über die Grundrechtsverwirkung zu entscheiden habe. Wenn der Rechtsinhalt von vornherein auf eine nicht missbräuchliche Ausübung beschränkt sei, müsse der Entscheidung des BVerfG folgerichtig allein deklaratorische Wirkung zukommen.96 Ganz in diesem Sinne hielt v. Mangoldt bereits im Parlamentarischen Rat97 und hernach auch in der ersten Auflage seines Grundgesetz-Kommentars98 den Ausspruch des BVerfG für rechtsstaatlich überspannt, da er nur deklaratorische Bedeutung haben könne. Demgegenüber sollte nach der Formulierung des Art. 20 Abs. 2 HChE das BVerfG erst auf dem Beschwerdeweg tätig werden, während im Umkehrschluss der Missbrauch eo ipso beachtlich wäre. Dürig weist zutreffend darauf hin, dass diese Fassung schließlich nach dem entscheidenden Hinweis des Abgeordneten Dehler, wonach „ein so weittragender Verlust von Grundrechten nur durch den Verfassungsgerichtshof ausgesprochen werden [könne]“,99 abgelehnt wurde.100 Gegen die Übertragung des allgemeinen Missbrauchsverbots auf die Grundrechte wendet Krüger zudem ein, dass der Staat in dem von den Grundrechten umschriebenen Bereich des menschlichen Lebens nichts ent94  Dürig, JZ 1952, 513 (514 f.) beschreibt, dass man auch im Verwaltungsrecht immer wieder versucht habe, ein allgemeines Rechtsinstitut der Verwirkung infolge Pflichtverletzung zu konstruieren. Während die Beginne dessen bereits bei Otto Mayer auszumachen sind, der ausgehend vom Eisenbahnrecht die Beleihung eines Beliehenen für verwirkt erklären ließ, wenn dieser seinen Pflichten nicht nachkam, finden sich die meisten Versuche einer Etablierung dieses Rechtsinstituts im Dritten Reich, etwa bei E. R. Huber (Nachweise bei Dürig). Mittlerweile ist die Verwirkung eines Rechts insbesondere durch das BVerwG auch im Verwaltungsrecht fest etabliert. 95  Vgl. etwa Dürig / Klein, in: Maunz  / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 22 m. w. N.; siehe auch Gusy, in: AK-GG, Art. 18 Rn. 12; Stern, Staatsrecht III / 2, S. 964. 96  Dürig, JZ 1952, 513. 97  JöR n. F. Bd. 1 (1951), 171 (174). 98  v. Mangoldt, GG, 1. Aufl., Art. 18 Anm. 2. 99  JöR n. F. Bd. 1 (1951), 171 (174). 100  Dürig, JZ 1952, 513.

76

B. Voraussetzungen

scheiden dürfe. Diese Entscheidung liege vielmehr beim Individuum selbst, das hierbei im Sinne der Freiheitsformel des 19. Jahrhunderts „Mensch“ und nicht „Bürger“ sei. Zwar könne der Staat einen zuvor bestimmten Fall der Freiheitsbekämpfung zum Missbrauch erklären, neben diesem qualifizierten politischen Missbrauch könne es indes keinen allgemeinen Missbrauch der Grundrechte geben. Ihre Integrationswirkung innerhalb der Gesellschaft könnten Grundrechte nämlich nur ausüben, wenn ihr Inhalt für jeden ohne Weiteres erkennbar und verlässlich sei. Immanente Schranken, deren Dasein sich erst von Fall zu Fall herausstellen würde, insbesondere ein ungeschriebenes Missbrauchsverbot, stünden jedoch der integrativen Wirkung der Grundrechte entgegen.101 Dass es aufgrund der grundlegenden Bedeutung der Grundrechte im freiheitlichen Staat keinen ungeschriebenen Vorbehalt des „richtigen“ Gebrauchs geben darf,102 bedeute aber nicht, dass es dem Grundgesetzgeber verwehrt sei, eine spezielle Grenze des politischen Missbrauchs einzelner Freiheitsrechte in der Verfassung vorzusehen. d) Kritik an der herrschenden Lehre Die Wortwahl Dehlers, dass der Verlust von Grundrechten nur durch das BVerfG „ausgesprochen werden“ könne, welche schließlich in Art. 18 GG aufgenommen wurde, deutet darauf hin, dass die Verwirkungsentscheidung in der Tat nur deklaratorisch ist, mithin etwas ausgesprochen wird, was rechtlich bereits eingetreten ist.103 Es lässt sich durchaus daran zweifeln, ob der Parlamentarische Rat mit seiner Umformulierung des ursprünglichen Art. 20 HChE tatsächlich eine qualitative Änderung herbeiführen wollte, oder aber vielmehr nach wie vor der Auffassung war, dass der Missbrauch 101  Krüger,

DVBl. 1953, 97 (99). spricht Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 31, 37 ff. davon, dass Grundrechte in ganz verschiedener Weise missbraucht werden können, sowohl ihr Inhalt als auch die Richtung der Grundrechtsbetätigung könnten missbräuchlich ausgeübt werden; dies sei stets der Fall, wenn das vorrangige Interesse eines anderen Interessenträgers (nämlich eines anderen Grundrechtsträgers, der Allgemeinheit oder des Staates) verletzt würde (S. 37). Ein solches allgemeines, ungeschriebenes Missbrauchsverbot würde allerdings den Schutzbereich der Grundrechte zu sehr begrenzen. Entsprechende Schranken finden sich deshalb bereits ausdrücklich in den Grundrechten wieder (etwa in Art. 2 Abs. 1 GG). Allein Art. 18 GG kann tatsächlich als – allerdings positiviertes – Missbrauchsverbot einzelner Grundrechte verstanden werden. 103  Das gibt auch Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (152) zu Bedenken; Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 126 zeigt indes auf, dass es sich bei dem „Ausspruch“ ebenso gut um eine echte Rechtsfolge und damit um ein konstitutiv wirkendes Urteil handeln könnte, da auch die rechtskräftige Feststellung eines Tatbestandes durch ein Gericht, bevor sich jemand auf ihn berufen kann, als „konstitutiv“ zu bezeichnen sei. 102  So



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG77

gleich der zivilrechtlichen Missbrauchslehre sofort Rechtswirkungen zeitige, dies aber aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit erst durch das BVerfG festgestellt werden müsse. Im Gegenteil finden sich hierauf keinerlei Hinweise in den Protokollen des Parlamentarischen Rats. Selbst wenn gegen die „zivilistische Theorie“ eingewandt wird, dass sie folgerichtig nicht von einer konstitutiven, sondern lediglich von einer deklaratorischen Entscheidung des BVerfG ausgehen dürfe, ist dies kein Argument gegen die begriffliche Anknüpfung des Missbrauchstatbestands an das Zivilrecht, sondern vielmehr eine Frage der rechtlichen Wirkung des Ausspruchs, so dass sie richtigerweise erst bei der Verwirkung als Rechtsfolge zu behandeln ist.104 Auch dass sich eine vergleichbare Regelung, nach der ein Staatsorgan ein materiell-rechtliches Handeln ohne Recht nicht selbsttätig erstmals feststellen dürfe,105 im deutschen Recht nicht finde, kann zwar die Fehlkonzeption der Verwirkungsnorm aufzeigen, aber kein dogmatisch schlüssiges Argument gegen die zivilistische Auslegung sein. Zudem ist – wie bereits dargelegt – die Ausspruchsformel ein Kompromissprodukt, das einzig von der Befürchtung, der Staat könne die Verwirkungsregelung seinerseits missbrauchen, herrührt. Angesichts der kargen Diskussion um die Gestaltung des Art. 18 GG stellt sich ohnehin die Frage, ob sich die Abgeordneten des Parlamentarischen Rats überhaupt Gedanken über die dogmatische Funktion der Norm machten.106 Ihre fehlende Diskussion spricht freilich eher dafür, dass die bereits allen bekannte und deshalb verständliche zivilrechtliche Missbrauchsregelung als konzeptionelle Grundlage diente. Das Missbrauchsverbot stellt ein Korrektiv des positiven Rechts dar: Dieses soll nicht dazu verwendet werden, denjenigen zu schikanieren, demgegenüber das Recht besteht.107 Eine solche Vorschrift scheint zwar paradox, ist aber in einer modernen Rechtsgemeinschaft angesichts der möglichen Pervertierung wohl jedes Rechts regelmäßig Bestandteil des normativen Rechts. Denn ein sich auf Recht gründendes Verhalten kann unversehens in Unrecht umschlagen, wenn es nicht mehr dem eigentlichen Sinn des Rechts, der Gerechtigkeit zu dienen,108 entspricht, sondern die Legalität zu anderen Zwecken ausnutzt. Es gehört daher zu den Grundprinzipien unserer Rechtskultur, 104  Siehe

unter D. I. 2. Dürig, JZ 1952, 513, der betont, dass sich „nur die prozessuale Kompetenz der Rechtsgestaltung […] mit Wirkung einer Bindung zugunsten eines einzigen Staatsorgans monopolisieren“ lasse. Ob dies allerdings ein zwingender Rechtssatz oder eher eine Rechtserfahrung ist, sei zunächst einmal dahingestellt. 106  In diesem Sinne wohl Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 127. 107  Der amtliche Titel des § 226 BGB lautet demgemäß „Schikaneverbot“; vgl. zu dem Begriff Hager, Schikane und Rechtsmissbrauch, S. 6 ff. 108  Mit Radbruch, SJZ 1949, 105 (107), ist es die Aufgabe des (positiven) Rechts, der Gerechtigkeit zu dienen. 105  So

78

B. Voraussetzungen

dass ein abus des droits unzulässig ist.109 Seine verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 18 GG scheint mithin nur die Konsequenz dieser Rechtstradition zu sein. Den Missbrauch in diesem Zusammenhang vom zivilistischen Begriff völlig losgelöst zu interpretieren, bringt indes keinen inhaltlichen Mehrwert, sondern lenkt im Gegenteil von seiner durch Wortwahl und Genese eindeutig induzierten normativen Funktion ab. Der Zusammenhang des Missbrauchsbegriffs mit der Verwirkungsfolge wird demgegenüber an anderer Stelle zu erörtern sein.110 5. Objekt des Missbrauchs Unklar und in der Literatur meist unpräzise bezeichnet ist das Objekt des Missbrauchs nach Art. 18 GG. Immer wieder als Grundrechtsmissbrauch bezeichnet, scheint der Tatbestand zugleich einen dem zugrunde liegenden Gebrauch von Grundrechten zu implizieren. Worin aber besteht der Gebrauch eines Grundrechts? Er kann jedenfalls nicht in dem unter einen grundrechtlichen Tatbestand zu subsumierenden Verhalten liegen, da die Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte primär einen Anspruch gegen den Staat gewähren und nicht ein Handlungsrecht begründen. Der Gebrauch eines Grundrechts im Sinne von Art. 18 GG kann zwar auch in der Geltendmachung des Grundrechtsschutzes gegenüber dem Staat zu sehen sein. Da sich diese Möglichkeit aber unmittelbar aus der Abwehrfunktion des jeweiligen Grundrechts ergibt, kann es jedenfalls keinen „richtigen“ oder „falschen“ Gebrauch und demgemäß auch keinen Missbrauch geben. Aufschluss über das Missbrauchsobjekt bietet jedoch der Wortlaut des Art. 18 GG, indem es heißt: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung […] missbraucht […]“. Es geht mithin überhaupt nicht um den Missbrauch eines Grundrechts, sondern um den Missbrauch der Freiheit, die in speziellen Grundrechten gegenüber staatlichen Eingriffen geschützt wird.111 Gegenstand des Missbrauchs im Sinne von Art. 18 GG sind die hier aufgezählten Freiheitsbetätigungen,112 die den als bloße Schutzvorkehrungen konzipierten Grundrechten logisch vorausgehen.113 Folge dieses Freiheitsmissbrauchs ist 109  Stern,

Staatsrecht III / 2, S. 955 m. w. N. unter D. I. 1. e). 111  In diesem Sinne auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 55 f., der wohl mit Recht von einem „grundlegenden Missverständnis“ der herkömmlichen Argumentation im Rahmen der dogmatischen Einordnung von Art. 18 GG spricht. 112  Auch im Zivilrecht wird teilweise der „institutionelle Missbrauch der Vertragsfreiheit selbst“ einem „Normenmissbrauch“ gegenüber gestellt; vgl. Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 14 ff. 113  Vgl. auch Tillmanns, Wehrhaftigkeit, in: Thiel (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 25 (26). Nach einer anderen Diktion ist Freiheit erst die „Abwesenheit von 110  Siehe



I. Der Tatbestand des Art. 18 GG79

die Verwirkung der sie schützenden Grundrechte. Die Abwehrfunktion der Grundrechte liegt gerade darin begründet, dass sie den Grundsrechtsberechtigten – zumindest in der Regel – nicht zu einer bestimmten Handlungsweise ermächtigen, sondern ihm ein vor staatlichen Eingriffen schützendes Recht an die Hand geben, das sich außerprozessual deshalb eher an den Staat, denn an den Grundrechtsträger richtet. Auf die von Schwabe ausführlich vorgenommene Argumentation gegen ein pauschales Verständnis der Grundrechte als Rechte des „Dürfens“ und ihre Einteilung in „Unterlassungsrechte“, „Nichtstörungspflichten“ und „Rechte auf etwas oder zu etwas“114 braucht hier nicht näher eingegangen werden. Es genügt an dieser Stelle vielmehr auf diese – sowohl im Wortlaut vieler Grundrechte als auch im Wortlaut des Art. 18 GG angelegte – Unterscheidung hinzuweisen.

Fremdbestimmung durch den Staat“; vgl. Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, Rn. 355, 361. Die Grundrechte gewähren nach dieser Auffassung erst Freiheit und setzen diese nicht als Schutzgut voraus. Letztlich handelt es sich aber nur um eine terminologische Unterscheidung, da auch hier eine bestimmte „individuelle oder soziale Sphäre“ vorausgesetzt ist, die es gegen staatliche Einwirkungen zu sichern gilt, und deren Rechtsfreiheit vom Einzelnen ebenso zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden kann. Konsequenterweise sollte aber bei dieser Auffassung nicht von „Freiheitsschutz“, sondern von „Freiheitsgewährung“ die Rede sein. Zum liberalen Freiheitsbegriff wie hier Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 34 I, S. 272 f. 114  Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 37 ff., 54 ff.; Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit, S. 20 f. spricht hingegen pauschal von „Duldungsansprüchen“.

C. Verfahren Nachdem nun der Tatbestand von Art. 18 GG im Einzelnen untersucht wurde, soll im nächsten Schritt das Verfahren vor dem BVerfG betrachtet werden. Hierzu findet sich in der Grundrechtsnorm selbst nichts, denn allein der Satz 2 vermag nichts über das eigentliche Verfahren auszusagen. Deshalb ist es unerlässlich, die detaillierteren Regelungen des BVerfGG über das Verwirkungsverfahren heranzuziehen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese Art. 18 GG inhaltlich konkretisieren und damit bereits auslegen und insoweit mit dem Grundgesetz, wie jede Konkretisierung, nicht zwangsläufig in Einklang stehen. Fragen der Verfassungsmäßigkeit einzelner Ausgestaltungen, die sämtlich die Rechtsfolgen der Verwirkungsentscheidung und nicht ihr Verfahren betreffen, sollen in einem weiteren Abschnitt behandelt werden. Hier soll zunächst das Verfahren der Grundrechtsverwirkung, wie es in §§ 36 ff. BVerfGG vorgeschrieben ist, Schritt für Schritt nachgegangen werden. Anschließend werden Details der Verwirkungsentscheidung, die in der Literatur nach wie vor kontrovers diskutiert werden, problematisiert. Möglicherweise sind sie mithilfe der bereits gewonnenen Erkenntnisse zu fassen.

I. Antrag auf Feststellung der Grundrechtsverwirkung Mit dem Antrag des Bundestags, der Bundesregierung oder einer Landesregierung vor dem BVerfG auf Feststellung der Verwirkung bestimmter Grundrechte nach Art. 18 Satz 2 GG in Verbindung mit §§ 13 Nr. 1, 36 BVerfGG wird das Verfahren der Grundrechtsverwirkung eingeleitet. Die praktische Bedeutung dieser Befugnis ist bisher denkbar gering, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass die Antragstellung nach ganz überwiegender Ansicht im politischen Ermessen der Berechtigten liegt. 1. Das politische Ermessen der Antragsberechtigten 13 Nr.  2, 43  ff. Analog zum Antrag im Parteiverbotsverfahren1 (§§  BVerfGG) nimmt die herrschende Meinung an, dass den Antragsberechtig1  So BVerfGE 5, 85 (113, 129) – KPD; dazu Meier, Parteiverbote und demokratische Republik, S. 74.



I. Antrag auf Feststellung der Grundrechtsverwirkung81

ten ein „politisches Ermessen“2 dahingehend eingeräumt ist, bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Art. 18 GG entweder eine Grundrechtsverwirkung zu beantragen oder dies aus Gründen politischer Zweckmäßigkeit zu unterlassen.3 Dies hat freilich zur Folge, dass sich nur selten ein Antragsteller finden wird, wenngleich der Zeitgeist nicht mehr so stark gegen die „Militanz“4 der Verfassung steht wie noch vor 40 Jahren. Dabei ist durchaus fraglich, ob diese Auslegung mit dem Konzept der streitbaren Demokratie des Verfassungsgebers übereinstimmt und ob nicht vielmehr die ratio des Art. 18 GG keine bloße Antragsberechtigung, sondern vielmehr – ähnlich dem Legalitätsprinzip bei den Strafverfolgungsorganen – eine Antragsverpflichtung verlangt, wenn die potentiellen Antragsteller von der Verfassungswidrigkeit einer Partei oder eben dem Grundrechtsmissbrauch einer Einzelperson überzeugt sind.5 Allgemein wird jedoch der Grundsatz der politischen Opportunität einer solchen rechtlichen Bindung vorgezogen.6 Ohne Zweifel brächte diese auch erhebliche Folgeprobleme mit sich: Zu welchem Zeitpunkt bestünde die Antragspflicht – müsste der Antrag auf Grundrechtsverwirkung mit anderen Worten sofort dann gestellt werden, wenn ein antragsberechtigtes Organ Kenntnis von den Umständen erhielte, die den Grundrechtsmissbrauch begründeten? Ab welchem Kenntnisstand wäre aber eine „Überzeugung“ von dem Grundrechtsmissbrauch 2  Der Begriff taucht erstmals im Urteil des BVerfG zum KPD-Verbot auf, BVerfGE 5, 85 (129); vgl. hierzu und zur Abgrenzung zum „pflichtgemäßen“ Ermessen auch ausführlich J. Ipsen, Parteiverbot und „politisches“ Ermessen, in: Festschrift Hartmut Maurer, S. 163 (166 ff.), danach rührte die Konstruktion einer solchen Rechtsfigur allein von dem verfassungsrechtlichen Widerspruch zwischen effektivem Verfassungsschutz einerseits und Pflicht zur Wiedervereinigung andererseits her; siehe auch Meier, Parteiverbote und demokratische Republik, S. 75 ff. Ipsen zufolge stellt dieser historische Zwiespalt nunmehr kein Problem mehr da und daher das politische Ermessen beim Parteiverbotsantrag obsolet. Diese Ansicht besticht durch ihre Logik und Konsequenz, übersieht aber dennoch einige praktische Schwierigkeiten. 3  Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (202) m. w. N.; ebenso Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art.  18 Rn.  81; Gallwas,  Der Missbrauch von Grundrechten, S. 154; Lechner / Zuck, BVerfGG, § 36 Rn. 6; Benda / Klein, Verfassungsprozessrecht, § 31 Rn. 1147; Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG § 36 Rn. 7. 4  Stettner, DVBl. 1975, 801. 5  Deshalb nimmt Stollberg, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Parteiverbots, S. 76 an, dass eine Antragspflicht anzunehmen sei, wenn die Durchführung des Parteiverbotsverfahren – gleiches müsste folglich für das Verwirkungsverfahren gelten – aus Gründen eines effektiven Verfassungsschutzes unumgänglich ist. 6  Siehe auch Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (202); ebenso Benda / Klein, Verfassungsprozessrecht, § 30 Rn. 1136.

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C. Verfahren

anzunehmen und was wäre, wenn der Antrag pflichtwidrig nicht gestellt würde? Könnte jeder Bürger eine Leistungs- oder Untätigkeitsklage mit dem Ziel erheben, einen oder aber alle der Antragsberechtigten zur Antragsstellung nach § 36 BVerfGG zu verpflichten? Mangels Rechtsaufsicht über die antragsberechtigten Organe müsste man diese absurde Konsequenz annehmen, um den Verfassungsschutz sicherzustellen. Wenn nun aber Bundestag, Bundesregierung und Landesregierungen ihrer Verfassungspflicht zur Antragstellung gemäß Art. 18 GG nachkommen, würde sich mit großer Wahrscheinlichkeit das bereits oben angedeutete Problem einer quantitativen Überforderung des BVerfG stellen. Die Lösung dafür könnte allein eine sehr restriktiv interpretierte Verpflichtung und zunächst vor allem eine äußerst restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 18 GG bieten.7 Teilweise wird das politische Ermessen im Zusammenhang mit einem Parteiverbotsantrag auch mit dem ultima-ratioCharakter des Verbots begründet. So argumentiert Maurer, die Möglichkeit, eine Partei verbieten zu lassen, komme nur in Betracht, wenn andere Möglichkeiten, die Partei zu verdrängen oder in Bedeutungslosigkeit zu halten, versagen würden.8 Gleiches muss freilich auch, wenn nicht sogar erst recht, für die Grundrechtsverwirkung gelten. Doch spricht dies nicht zwingend für ein politisches Ermessen bei der Antragstellung. Bereits eine restriktive Tatbestandsauslegung des Art. 18 GG könnte (und sollte) schließlich den ultima-ratio-Charakter der Norm verdeutlichen.9 Doch birgt die zweifellos zweckmäßigere Annahme eines politischen Ermessens neben der bereits genannten Frage des lückenlosen Verfassungsschutzes weitere rechtliche Probleme.10 Das politische Ermessen bei der 7  Zum Verhältnis von Ermessen und kontroverser Tatbestandsauslegung und Subsumtion im Rahmen der herrschenden Ermessenstheorie grundlegend Alexy, JZ 1986, 701 (715). 8  Maurer, AöR 96 (1871), 203 (225 f.); gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher „anderer Möglichkeiten“, etwa der Observation einer Partei, im Rahmen von Art. 21 Abs. 2 GG jedoch explizit J. Ipsen, Parteiverbot und „politisches“ Ermessen, in: Festschrift Hartmut Maurer, S. 163 (173). 9  So wohl auch J. Ipsen, Parteiverbot und „politisches“ Ermessen, in: Festschrift Hartmut Maurer, S. 163 (169, 174), der sich demgemäß für einen weiten Prognosespielraum der staatlichen Organe auf Tatbestandsebene ausspricht; demgegenüber soll der Wortlaut des Art. 18 GG eher ein politisches Ermessen induzieren, vgl. dazu Stern, Staatsrecht III / 2, S. 973. Ähnlich meint Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 154 im Wortlaut des § 36 BVerfGG einen Beweis für das politische Ermessen auszumachen, ebenso Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, § 36 Rn. 10 m. w. N. 10  So zeigt etwa Walter Schmidt, DÖV 1978, 468 (470), überzeugend auf, dass allein das Legalitätsprinzip bei Art. 21 Abs. 2 GG im Zusammenhang mit der herrschenden Interpretation als Privileg der politischen Parteien widerspruchsfrei ange-



I. Antrag auf Feststellung der Grundrechtsverwirkung83

Antragstellung im Rahmen von Art. 18 GG kann schließlich dazu führen, dass – je nach politischer Interessenlage – nur eine ganz bestimmte inhaltliche Ausrichtung rechtlich verfolgt wird. Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG und das spezielle des Art. 3 Abs. 3 GG11 verbieten jedoch auch die Diskriminierung von einzelnen politischen Anschauungen.12 Gerade im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit, der Vereins- und Versammlungsfreiheit gebietet diese Gleichbehandlung auch die sogenannte Nichtdiskriminierungsfunktion der Grundrechte.13 Dieser gegenüber der Abwehrfunktion der Grundrechte eigenständige, wenngleich bislang kaum beachteter Grundrechtsaspekt bewirkt, dass der Staat in allen vergleichbaren Fällen gleich verfahren muss. Man kann diese Wirkungsweise allein Art. 3 GG zuschreiben,14 wird damit aber der besonderen Bedeutung des Gleichbehandlungsgebots im Rahmen jedes Freiheitsgrundrechts nicht ganz gerecht.15 Die Grundrechte wären allein mit ihrer Abwehr- und Leistungsfunktion nur unzureichend beschrieben und können nur bei gleichmäßiger Anwendung durch den Staat ihre Wirkkraft angemessen entfalten. Die Nichtdiskriminierungsfunktion muss also richtigerweise stets mitgedacht werden. Unabhängig davon, ob man das Diskriminierungsverbot allein bei den Gleichheitsgrundrechten ansiedeln oder aber auch den nommen werden könne. In der Tat ist die Rechtmäßigkeitsvermutung des Agierens einer politischen Partei sowie einer Einzelperson, wie sie das Monopol des BVerfG in Art. 21 Abs. 2 und 18 GG impliziert, mit dem Prinzip politischer Opportunität zugunsten der antragsberechtigten Organe kaum mehr logisch zu vereinbaren. 11  Diese Norm genießt jedoch – ähnlich wie Art. 18 GG – ein regelrechtes Schattendasein und wurde – soweit ersichtlich – nie entscheidungserheblich, vgl. Osterloh, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 3 Rn. 304. Dagegen jedoch das umfangreiche Sondervotum von Simon, BVerfGE 63, 266 (302 ff.). 12  Vgl. auch Sachs, „Denn heute da hört uns Deutschland …“?, in: Gedächtnisschrift Burmeister, S. 339 (351). Gubelt, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 3 Rn. 102 folgert daraus, dass die politische Anschauung überhaupt nicht zum Anknüpfungspunkt von Rechtsfolgen gemacht werden dürfe. 13  Siehe zu dieser wissenschaftlich kaum untersuchten Funktion der Grundrechte Jarass, AöR 120 (1995), 345 (348 f.). 14  So verfährt meist das BVerfG, indem es im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG die Besonderheit des einschlägigen Freiheitsrechts berücksichtigt, vgl. auch Jarass, AöR 120 (1995), 345 (349); ebenso Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  3 Abs. 1 Rn. 300; ähnlich Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 32. Zurecht weist Ipsen, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), HdbGR II, 1954, S. 111 (178, 189) nach, dass es keine abstrahierte, generalisierende Gleichheitsformel ohne fallbezogene Tatbestandswürdigung und normative Zweckbestimmung geben kann. 15  So ist wohl auch die Nichtanwendung des Diskriminierungsverbots für politische Anschauungen nach Art. 3 Abs. 3 GG auf die unausgesprochene Annahme zurückzuführen, dass der Diskriminierungsschutz bereits in den Schutzbereichen der einschlägigen Freiheitsgrundrechte enthalten sei; so Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 301.

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C. Verfahren

im Rahmen von Art. 18 GG betroffenen Freiheitsrechten eine spezifische Nichtdiskriminierungsfunktion zuerkennen möchte, sind die Antragsteller damit grundsätzlich an das Gebot der Gleichbehandlung aller vergleichbaren Fälle gebunden.16 Allerdings hat das BVerfG die Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 3 GG in dem Fall verneint, dass ein Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegt: In dem Moment, da das Verhalten des Betroffenen sich in einem Kampf ausdrücke, könne er sich nicht mehr auf den Schutz seiner politischen Überzeugung berufen.17 Es wurde zwar bereits festgestellt, dass der Kampf in Art. 18 GG erst Ziel des tatbestandlichen Verhaltens sein muss. Daraus ergibt sich jedoch kein wertungsmäßiger Unterschied zu der Auffassung des BVerfG, dass Extremisten ihr verfassungsbekämpfendes Verhalten nicht auf Art. 3 Abs. 3 GG stützen könnten. Das nahe liegende Prinzip „keine Gleichheit im Unrecht“ verfängt dagegen nicht, solange es sich bei dem Grundrechtsmissbrauch nicht um illegale Aktivitäten handelt. Dennoch wird bisweilen angenommen, dass Art. 18 GG „eine für den Bereich der politischen Willensbildung erkennbare Durchbrechung des Art. 3 Abs. 3 GG“ darstelle und der Gleichheitssatz im Bereich der politischen Teilhabe hinter der Sicherung des demokratischen Prinzips zurückstehe.18 Ähnlich wird auch für Vereinigungen nach Art. 9 Abs. 2 GG und für Parteien nach Art. 21 Abs. 2 GG ein Vorrang der „Unterworfenheit unter die staatliche Kontrolle“ bei der politischen Willensbildung vertreten.19 Letztlich ist dieser Meinung zuzustimmen, da sich gerade im Fall der Grundrechtsverwirkung eine Bindung an Art. 3 GG, anders als bei der naturgemäß niedrigen Zahl potentieller Parteiverbote, als schlicht impraktikabel erweisen würde. Nicht nur, dass sie womöglich zu einer unübersehbaren Vielzahl von Anträgen führen würde, darüber hinaus könnten die antragsberechtigten Organe realistischerweise gar nicht alle Verwirkungsfälle erfassen. Jörn Ipsen wendet zwar gegen ein bloßes Antragsermessen im Rahmen von Art. 21 Abs. 2 GG mit Recht ein, dass der Staat in dem Fall, dass er von der Verfassungswidrigkeit einer Partei überzeugt ist, aber keinen Antrag stellt, die eindeutige Wertung des Grundgesetzes missachte und sich damit 16  Vgl. in diesem Sinne auch Battis, Systemgerechtigkeit, in: Festschrift Hans Peter Ipsen, S. 11 (29), der die vergleichbare rechtspolitische Notwendigkeit und verfassungsrechtliche Gebotenheit einer systemgerechten Gesetzgebung aufzeigt und diese losgelöst von Art. 3 Abs. 1 GG als eines von mehreren Ordnungskriterien kunstgerechter Rechtsfindungs- und Auslegungsarbeit anerkennt. 17  BVerfGE 13, 46 (49). 18  Ipsen, in: Neumann  /  Nipperdey  /  Scheuner (Hrsg.), HdbGR II, 1954, S. 111 (171). 19  Vgl. nur Ipsen, in: Neumann  / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), HdbGR II, 1954, S. 111 (172).



I. Antrag auf Feststellung der Grundrechtsverwirkung85

gleichsam zu Komplizen des Verfassungsgegners machen würde.20 Eine daher konsequentere und dem im Grundgesetz bezweckten Verfassungsschutz angemessenere Antragspflicht ließe sich jedoch aus den oben beschriebenen Gründen nicht realisieren und würde deshalb einer effektiven Anwendung des Art. 18 GG erst recht im Wege stehen.21 Bereits an dieser Stelle zeigt sich aber, dass die Grundrechtsverwirkung in ihrer derzeitigen Gestalt nahezu unlösbare Probleme aufwirft, die bereits im Stadium der Antragsstellung zur praktischen Bedeutungslosigkeit der Norm führen. 2. Die Einleitung des Verfahrens Das Verfahren beginnt folglich mit dem Verwirkungsantrag, der nach §§ 13 Nr. 1, 36 BVerfGG vom Bundestag,22 von der Bundesregierung oder von einer Landesregierung23 gestellt werden kann24 und gemäß § 23 Abs. 1 BVerfGG schriftlich, begründet sowie unter Angabe der erforder­lichen Beweismittel beim BVerfG einzureichen ist. Er muss auf den Ausspruch der Verwirkung eines oder mehrerer nach Art. 18 GG verwirkungsfähigen Grundrechte eines bestimmten Antragsgegners gerichtet sein. Antragsgegner kann jeder Normadressat der Grundrechtsverwirkung sein, also natürliche und juristische Personen, im Rahmen eines geltend gemachten Missbrauchs der Versammlungs- und der Vereinigungsfreiheit jedoch nur deutsche Staatsbürger, im Rahmen von Art. 16a GG nur ausländische Staatsangehörige. Bei Bundestagsabgeordneten ist Art. 46 Abs. 3 GG zu 20  J. Ipsen, Parteiverbot und „politisches“ Ermessen, in: Festschrift Hartmut Maurer, S. 163 (166 ff.); dagegen aber Morlok, Schutz der Verfassung, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 64 (72), der auf das Ermessensprinzip auch im Polizeirecht verweist. 21  Benda / Klein, Verfassungsprozessrecht, § 31 Rn. 1146, nehmen aufgrund dieser praktischen Schwierigkeiten eine auch in Zukunft geringe Bedeutung des Verwirkungsverfahrens an. 22  Dazu ist gemäß Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, vgl. Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 36 Rn. 4. 23  Anträge von Landesregierungen sollen nach einer Meinung nur gegen „Landeskinder“ zulässig sein, vgl. dazu Stern, Staatsrecht III / 2, S. 972; a. A. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 18 Rn. 4; Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 154, der überzeugend auf die sehr wahrscheinliche mediale Publizität des Antragsgegners über die Landesgrenzen hinaus verweist; kritisch auch Benda / Klein, Verfassungsprozessrecht, § 31 Rn. 1147. 24  Warum entgegen des Regierungsentwurfs (BT-Drs. I  / 788, S. 10) in der endgültigen Regelung nicht der Bundesrat antragsberechtigt ist, lässt sich nicht mehr aufklären, vgl. auch Stern, Staatsrecht III  /  2, S. 971; Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, § 36 Rn. 6, geht von einem Redaktionsversehen aus.

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C. Verfahren

beachten, diese Vorschrift muss mangels entsprechender Regelung analoge Anwendung auf Landtagsabgeordnete finden.25 Zuständig für das Verwirkungsverfahren ist – wie auch beim Parteiverbotsverfahren – allein der Zweite Senat des BVerfG, § 14 Abs. 2 BVerfGG. Dieser wird nicht von Amts wegen tätig, wenngleich das Verfahren nach Antragstellung von Amts wegen durchzuführen ist, ohne Rücksicht darauf, ob die Antragsgegner oder sonstige Personen im Verfahren auftreten, Erklärungen abgeben oder Anträge stellen.26 Müsste man damit eine Wahl treffen zwischen Dispositionsmaxime und Offizialmaxime einerseits, als der Frage, wer über Gang und Inhalt des Verfahrens verfügen kann,27 und zwischen Verhandlungsgrundsatz und Untersuchungsgrundsatz andererseits, als der Frage, wer den Prozessstoff zu sammeln, also die faktische Grundlage der Entscheidung zu schaffen hat,28 so zeigt sich ein differenziertes Bild: § 26 Abs. 1 BVerfGG behält die Beweiserhebung dem Gericht vor und statuiert damit für den Verfassungsprozess allgemein den Untersuchungs- bzw. Amtsermittlungsgrundsatz als Verfahrensmaxime.29 Wegen des Antragserfordernisses gilt indes für die Einleitung des Verfahrens die Dispositionsmaxime, so dass trotz des Untersuchungsgrundsatzes und des allgemein bestehenden öffentlichen Interesses am Verfahren nur sie und nicht die Offizialmaxime Anwendung findet.30 Demgemäß soll grundsätzlich die Dispositionsbefugnis des Antragstellers auch hinsichtlich einer möglichen Rücknahme des Antrags anzunehmen sein.31 Andere Autoren weisen jedoch auf die Besonderheiten des Verwirkungsverfahrens hin, die in seinem quasi-strafrechtlichen Charakter32 begründet seien und eine analoge Heranziehung des Strafprozessrechts nahelegen würden.33 25  So Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 155; a. A. wohl Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 II 8. 26  BVerfGE 1, 14 (31). 27  Schilken, Zivilprozessrecht, Rn. 339. 28  Schilken, Zivilprozessrecht, Rn. 345. 29  Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, FG BVerfG I, S. 194 (203). 30  Vgl. auch Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 183. 31  Siehe nur Wolf, DVBl. 1966, 884 (891); Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 182; ebenso Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 36 Rn. 7. 32  So auch Lechner / Zuck, BVerfGG, Vor §§ 36 ff. Rn. 5. 33  Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (203); ebenso Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 231: „[Die Verfahren nach § 13 Nr. 1, 2, 4 und 9 BVerfGG] ähneln denen der Strafgerichtsbarkeit insoweit, als auch hier gegen bestimmte Personen […] ein gesetzlich vorgesehenes Übel bei Erfüllung eines be-



I. Antrag auf Feststellung der Grundrechtsverwirkung87

Anders als die Staatsanwaltschaft im Strafprozess unterliegen die Antragsteller im Verwirkungsverfahren als oberste Verfassungsorgane, deren Aufgabe Anwendung und Schutz der Verfassung zugleich ist, jedoch nicht der Offizialmaxime. Eine unveränderte Übertragung der strafprozessualen Vorschriften scheint demnach ausgeschlossen. Stern schlägt deshalb eine Übertragung der Regelungen für die Verfahren der Präsidenten- und Richter­ anklage vor, welche eine Antragsrücknahme ermöglichen (§§ 52, 58 i. V. m. 52 BVerfGG). Diese Verfahren haben ebenfalls quasi-strafrechtlichen Charakter und dienen ebenso der Selbsterhaltung der wehrhaften Demokratie, was eine analoge Behandlung erlaube.34 Dieses Ergebnis entspricht dem Opportunitätsprinzip, das zu einem „politischen Ermessen“ bei der Antragstellung führt, wie noch darzulegen sein wird. Hiergegen bestehen folglich die gleichen Bedenken, die jenem entgegenzubringen sein werden. An dieser Stelle sei nur so viel gesagt, als dass es der Ernsthaftigkeit des Verfassungsschutzes sowie der schwerwiegenden Vorwürfe gegen den Antragsgegner und ihrer einschneidenden Rechtsfolgen nicht gerecht wird, wenn der Antrag nach Belieben und politischer Zweckmäßigkeit zurückgenommen werden könnte.35 Anders als Stern annimmt, scheint es demgegenüber nicht völlig ausgeschlossen, dass das BVerfG den Antrag aufgrund eines „allgemeinen öffentlichen Interesses“ dennoch fortführen kann, kommt ihm eine ähnliche verfassungspolizeiliche Macht doch etwa auch im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG zu.36 Im Gegensatz zu einem kontradiktorischen Verfahren, wie etwa dem Organstreitverfahren und dem Bund-Länder-Streit (§ 65 bzw. §§ 69 i. V. m. 65 BVerfGG), sowie dem Verfahren der konkreten Normenkontrolle (§ 83 stimmten Tatbestandes ausgesprochen wird. Daher wird für die nicht näher geregelten Verfahren die Anlehnung an die Strafprozessordnung empfohlen.“, m. w. N. Inwiefern die Parallele zum Strafprozess zutrifft oder aber von einem falschen Verständnis der Verwirkungsentscheidung zeugt, wird an anderer Stelle zu untersuchen sein. 34  Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (204). 35  Aus diesem Grund kann gemäß § 52 Abs. 3 BVerfGG der Bundespräsident der Rücknahme eines gegen ihn gerichteten Antrags auch widersprechen. Ob dies im Rahmen des Verwirkungsverfahrens angesichts der möglichen Rechtsfolgen einer Entscheidung ebenso denkbar wäre, sei hier dahingestellt. Stern, Verfahrensrecht­ liche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (204) scheint hiervon jedenfalls auszugehen; siehe auch Stern, Staatsrecht III / 2, S. 973. Gegen eine Übertragung der Vorschriften zur Präsidentenund Richteranklage und für eine Anlehnung an die StPO deshalb auch Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, §  36 Rn.  11. 36  Im Übrigen spricht sich das BVerfG bisweilen selbst eine solche Kompetenz zu, wie etwa im jüngst entschiedenen Fall des zwischenzeitlich verstorbenen Antragstellers im Wunsiedel-Beschluss, BVerfGE 124, 300 (317 f.).

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C. Verfahren

Abs. 2 BVerfGG) oder dem Verfassungsbeschwerdeverfahren (§ 94 Abs. 5 BVerfGG) sehen §§ 36 ff. BVerfGG für das Verwirkungsverfahren, ebenso wenig wie für das Parteiverbotsverfahren, einen Parteibeitritt vor. Dieser bewirkt die Beteiligung im Verfahren mit allen Rechten einer Partei, wobei Beteiligter naturgemäß nur werden kann, wer Beteiligter im materiellen Sinne ist. Danach ist ein Parteibeitritt im Grundrechtsverwirkungsverfahren aufseiten des Antragsgegners von vornherein ausgeschlossen, da Gegenstand des Verfahrens allein der individuelle Grundrechtsmissbrauch ist. Dagegen ist ein Beitrittsinteresse auf der Seite des Antragstellers durchaus vorstellbar, weshalb der Beitritt eines weiteren antragsberechtigten Bundesorgans zum Verfahren in der Literatur für möglich gehalten wird.37 Schließlich kann gemäß dem allgemein für alle Verfahrensarten geltenden § 32 Abs. 1 BVerfGG auch im Verwirkungsverfahren eine einstweilige Anordnung ergehen, „wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.“ Da es infolge des fehlenden Antragserfordnernisses so dem BVerfG etwa möglich wäre, entgegen dem sonst bestehenden Dispositionsgrundsatzes von Amts wegen, also letztlich auf politische Eigeninitiative hin tätig zu werden,38 müssen an die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung jedoch strenge Anforderungen gestellt werden.39 Ein wiederholter Antrag gegen denselben Antragsgegner aufgrund derselben Tatsachen ist unzulässig, soweit das BVerfG über den ersten Antrag sachlich entschieden hat, der Antrag also nicht bereits unzulässig war (vgl. § 41 BVerfGG).40 War der Antrag hingegen unzulässig, so entscheiden die allgemeinen Regeln der Rechtskraft über die Zulässigkeit eines erneuten Antrags.41 Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft sind beim Verfahren nach Art. 18 GG zumindest dann nicht problematisch, wenn es sich gegen 37  Vgl. auch Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (206); ebenso Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 36 Rn. 8; a.  A. Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, §  36 Rn.  6. 38  Deshalb muss wohl mit Fuß, DÖV 1959, 201 (203) davon ausgegangen werden, dass eine einstweilige Anordnung außerhalb eines anhängigen Verfahrens unzulässig ist. 39  So auch Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (208 f.), der beispielshaft den Missbrauch eines öffentlichen Amtes als „wichtigen Grund“ i. S. v. § 32 Abs. 1 BVerfGG anführt; vgl. auch Fuß, DÖV 1959, 201 (203). 40  So Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 II Rn. 4. 41  Zur Parallelisierung dieser Rechtskraftregeln zu denen des Strafprozesses instruktiv Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 231 ff.



I. Antrag auf Feststellung der Grundrechtsverwirkung89

eine Einzelperson richtete. Beim Verwirkungsverfahren gegen eine juristische Person kann fraglich sein, ob die Wirkungsgrenzen der Entscheidung auch deren Mitglieder umfassen. Soweit die Grundrechte der hinter ihr stehenden natürlichen Personen durch die Grundrechtsbetätigung der juristischen Person vermittelt werden, lassen sich Mitgliederrechte und Rechte der Organisation nicht voneinander trennen, so dass das Verfahren aus Auswirkungen auf die einzelnen Mitglieder nimmt.42 Als selbständige Rechtssubjekte können die Mitglieder einer juristischen Person jedoch nicht von der subjektiven Rechtskraft der Entscheidung erfasst werden.43 In zeitlicher Hinsicht ist die Verwirkungsentscheidung nach dem Verständnis des BVerfGG bis zum Ablauf der festgesetzten Verwirkungsdauer oder bis zu ihrer Aufhebung verbindlich. Der Wegfall der Verwirkungsvoraussetzungen soll allerdings nicht den Fortbestand des Verwirkungsausspruchs infrage stellen können.44 Hingegen ist die zeitliche Reichweite der Rechtskraft für neue Verwirkungsverfahren nach oder vor Ablauf der ersten Verwirkung fraglich. Dabei ist insbesondere die Vorschrift des § 41 BVerfGG zu beachten, welche die Wiederholung des Verfahrens bei neuen Tatsachen explizit vorsieht.45 Rechtskraft kommt der Entscheidung darüber hinaus bezüglich der im Urteil implizit festgestellten Gestaltungsvoraussetzungen zu. Dabei erlangt die präjudizielle Wirkung der Rechtskraft kaum Bedeutung, da von der Feststellung der Tatbestandsmerkmale keine weiteren Rechtsfolgen abhängen.46 Der Umfang der objektiven Rechtskraft wird hingegen vom konkreten Entscheidungsgegenstand bedingt,47 der später noch genau beleuchtet werden soll. Hinzu kommen viele Einzelfragen bezüglich der Rechtskraft der Verwirkungsentscheidung, etwa im Hinblick auf eine mögliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Vorverfahrens nach § 37 BVerfGG, welche Sachs in seiner Untersuchung minutiös aufgeführt hat.48

42  Hierzu ausführlich Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 240. 43  Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 250. 44  Vgl. dazu und zur möglichen Aufhebung des Gestaltungsurteils Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 241 ff., 251. 45  Zu dieser Voraussetzung ausführlich Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S.  252 f. 46  Mit Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 247 schließt die präjudizielle Wirkung allerdings aus, dass in einem etwaigen neuen Verwirkungsverfahren die bereits bejahten Tatbestandsvoraussetzungen abgelehnt werden. 47  Vgl. hierzu sehr detailliert Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S.  2447 ff. 48  Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 253 ff.

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C. Verfahren

3. Der praktische Gebrauch von der Antragsbefugnis Das BVerfG hatte sich bislang erst mit vergleichsweise wenigen Anträgen zu den Verfahren der Art. 18 und 21 Abs. 2 GG zu befassen: genau mit vier Verwirkungsanträgen, die es sämtlich ablehnte, und fünf Parteiverbotsanträgen, von denen zwei erfolgreich waren.49 Diese geringe Entscheidungspraxis in den speziellen Verfassungsschutzverfahren wird wohl lediglich von den Anklage- und Wahlprüfungsverfahren sowie Verfahren nach Art. 100 Abs. 2 und 3 GG unterboten.50 Wenngleich es ganz überwiegend als falsch angesehen wird, aus dieser beinahe verschwindend kleinen Zahl an Verfahren nach Art. 18 GG zu schließen, dass die Grundrechtsverwirkung schlechterdings überflüssig sei und getrost abgeschafft werden könne, weil möglicherweise allein ihre Existenz die Anwendung überflüssig gemacht habe, stellt sich doch unwillkürlich die Frage nach den Gründen für diesen Leerlauf.51 Denn, dass er von einem Nichtvorhandensein demokratie- und freiheitsfeindlicher Bestrebungen in unserer Bevölkerung herrührt, vermag so recht nicht zu überzeugen.52 Nicht ganz zu Unrecht wurde demgegenüber bisweilen zu bedenken gegeben, dass ein reger Gebrauch der Antragsbefugnis nach §§ 13 Nr. 1, 36 BVerfGG die Kapazitäten des Zweiten Senats am BVerfG unweigerlich sprengen müsste.53 Diese durchaus denkbare Überforderung des Gerichts steht aber seiner tatsächlich geringen Inanspruchnahme in Verfassungsschutzsachen diametral entgegen. 49  Vgl. auch die Statistik in Benda / Klein, Verfassungsprozessrecht, Anlage IV, S. 566. 50  So Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (195). 51  Vgl. nur Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 195 f.; man kann aber auch andersherum mit Grimm, Die Bedeutung der Weimarer Verfassung in der deutschen Verfassungsgeschichte, S. 29 ff. fragen, warum das Grundgesetz der WRV überlegen ist, wenngleich sein gerade in Abkehr zu dieser entwickeltes Verfassungsschutzinstrumentarium kaum angewandt wird. 52  Davon scheinen indes Lechner / Zuck, BVerfGG, Vor §§ 36 ff. Rn. 2 auszugehen: Der geringe Anwendungsbereich der Vorschrift zeige, dass „die auf Dauer angelegte Verfassung und die Gesellschaft die nötige Konkordanz aufweisen“. Auch Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, Vor §§ 36 ff. Rn. 4 führt den bisherigen Leerlauf der Verwirkungsnorm auf die politische Stabilität der Bundesrepublik zurück. 53  So auch Benda / Klein, Verfassungsprozessrecht, § 31 Rn. 1146, der – infolge einer notwendig umfangreichen Tatsachenermittlung, Beweisaufnahme und detaillierte Würdigung des vorliegende Materials – von einer „kaum tragbaren Belastung“ für das BVerfG spricht, wenn von Art. 18 GG in größerem Umfang Gebrauch gemacht würde.



II. Das Vorverfahren91

Der Grund hierfür kann zum einen sein, dass das Verwirkungsverfahren von vornherein fehlkonzipiert und daher in praxi untauglich ist. Zum anderen kann das BVerfG mit seiner in jahrzehntelanger Entscheidungspraxis entwickelten Grundrechtsdogmatik die Verwirkung selbst überflüssig gemacht haben. Zu diesen eher theoretischen Gründen tritt ein pragmatischer hinzu: Man mag sich den Erfolg, die allgemeinen Grundsätze der Verfassung allein durch den Missbrauch bestimmter, zumeist politischer Grundrechte zu beseitigen, bei Parteien vorstellen können. Doch dass ein einzelner Bürger ohne partei­organisatorische Unterstützung die Bundesrepublik in den genannten Grundsätzen derart erschüttern könnte, dass sie dadurch insgesamt gefährdet wäre, erscheint als „Don Quijoterie“.54 Der Einfluss der Parteien in der modernen Demokratie, die Leibholz bekanntlich als „Par­ teienstaat“55 charakterisiert, bewirkt, dass die Gefahr, die von extremistischen Parteien für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgeht, durchaus real ist. Einzelpersonen hingegen, so scheint es, können die Grundwerte einer ganzen Gesellschaft nicht annähernd gleichermaßen gefährden. Ob diese Einschätzung jedoch zutrifft, ist bei näherem Hinsehen nicht unzweifelhaft. Zumal in unserer heutigen medial dominierten Zeit ist der Fokus der Öffentlichkeit mehr und mehr auf Einzelpersonen gerichtet, der sich folgerichtig in einem Bedürfnis nach mehr „Charisma“ auswirkt. Andersherum erfahren funktionell unbedeutende Einzelpersonen allein aufgrund öffentlichkeitswirksamer Auftritten bisweilen eine Resonanz, wie sie Parteien, die als relativ anonyme Personenvereinigungen niemals eine ähnliche Aura entwickeln können, nur selten zuteil wird. Die durch die automatische öffentliche Aufmerksamkeit potentiell gefährlichere mediale Performanz Einzelner kann umgekehrt dazu führen, dass die Verwirkung durchaus eine nicht unerheb­liche Bedeutung erlangen könnte.

II. Das Vorverfahren Für das Verfahren der Grundrechtsverwirkung statuiert § 37 BVerfGG eine obligatorische Vorprüfung.56 Dieser Vorschrift liegen folgende Erwägungen zugrunde: Zum einen soll sie der Entlastung des BVerfG dienen,57 54  In dieser Deutlichkeit O. Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, S. 136. Vgl. auch Maurer, Staatsrecht I, § 23 Rn. 16: „Wirkliche Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung gehen nicht von Einzelpersonen, sondern von Organisationen und Parteien aus.“ 55  Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 78, 93; ablehnend Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, Rn. 121 f. 56  So Lechner / Zuck, BVerfGG, § 37 Rn. 3. 57  Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 37 Rn. 1; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 III Rn. 10, S. 70.

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C. Verfahren

indem offensichtlich unzulässige oder nicht hinreichend begründete Anträge von vornherein abgelehnt werden können. Zum anderen soll das Verwirkungsverfahren erschwert werden. Der Antragsgegner soll infolgedessen nicht unnötig vor dem BVerfG erscheinen müssen und damit unweigerlich öffentliche Aufmerksamkeit erlangen. Die Vorschrift dient mithin auch dem Schutz des Betroffenen, weshalb ihre Durchführung nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist.58 Streng genommen handelt es sich daher begrifflich auch nicht um einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung gegen eine bestimmte Person, sondern um einen Antrag auf Einleitung eines Grundrechtsverwirkungsverfahrens gegen diese Person.59 Diese Schlussfolgerung hat nicht zuletzt Auswirkungen auf die Frage der Antragsrücknahme. Diese kann sich dementsprechend nämlich nur auf die Einleitung des eigentlichen Verwirkungsverfahrens beziehen. Eine Rücknahme des Antrags kann indes keine Wirkungen mehr zeitigen, sobald das Vorverfahren zu einem Abschluss gekommen ist und das BVerfG über die Verfahrenseinleitung und damit über den Antrag entschieden hat.60 Ab diesem Zeitpunkt wechselt das Verfahren gewissermaßen zur Offizialmaxime: Über die Grundrechtsverwirkung entscheidet das BVerfG nunmehr aus eigenem Recht und somit „von Amts wegen“. 1. Ablauf der Vorprüfung Nach § 23 Abs. 2 BVerfGG gibt der Vorsitzende des Zweiten Senats dem Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme zum Antrag innerhalb einer bestimmten Frist, deren Dauer allein in seinem Ermessen liegt. Die sich daran anschließende Vorprüfung des Senats besteht in einer Untersuchung der Prozessvoraussetzungen und einer Würdigung des Sachverhalts, wie er sich nach dem Antrag und der etwaigen Gegenäußerung ergibt. Sie erfolgt ohne mündliche Verhandlung.61 Es handelt sich also um eine Entscheidung nach Aktenlage, bei der die nach § 23 Abs. 1 BVerfGG anzugebenden Beweismittel summarisch geprüft werden.62 Insoweit daraufhin unzulässige Anträge zurückgewiesen werden können, entspricht das Verfahren 58  Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, §  37 Rn.  2 m. w. N. 59  Vgl. Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, §  37 Rn.  3. 60  Insoweit ist etwa die Bemerkung von Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 36 Rn. 7, die Rücknahme eines gestellten Antrags sei „bis zum Erlass der verfassungsgerichtlichen Entscheidung“ zumindest unprä­ zise; ebenso ungenau Lechner / Zuck, BVerfGG; § 36 Rn. 6; wie hier aber Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, §  36 Rn.  11. 61  Vgl. auch Lechner / Zuck, BVerfGG, § 37 Rn. 2. 62  Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, § 37 Rn. 6.



II. Das Vorverfahren93

dem des § 24 BVerfGG. Anders als bei dieser Vorschrift, die einen „offensichtlich unbegründeten“ Antrag voraussetzt, kann der Antrag hier aber auch schon abgelehnt werden, wenn er bloß „nicht hinreichend begründet“ ist. Es soll also schon genügen, dass die Richter die Begründetheit des Antrags für nicht wahrscheinlich halten; dabei haben sie keine Beweiswürdigung vorzunehmen, sondern nur die von beiden Seiten vorgetragenen Tatsachen hinsichtlich der Rechtfertigung eines durchzuführenden Verwirkungsverfahrens gegeneinander abzuwägen.63 Ob daneben § 24 BVerfGG überhaupt noch Anwendung findet, ist streitig.64 Wenn diese Vorschrift allerdings nur derart modifiziert gelten kann, dass bereits die nicht hinreichende Begründetheit ausreicht,65 dürfte ihre Anwendung neben § 37 BVerfGG ohnehin überflüssig sein. Gleichwohl hat sich das BVerfG in den letzten beiden Verwirkungsverfahren ausdrücklich auf § 24 Satz 2 BVerfGG gestützt, als es eine Begründung für die Zurückweisung der Anträge ablehnte.66 Die Entscheidung über die Durchführung des Verwirkungsverfahrens wird anschließend gemäß § 25 Abs. 2 BVerfGG durch Beschluss gefällt. Anders als bei § 24 BVerfGG ist sie durchweg prozessualer Natur.67 Wenn die Entscheidung zum Nachteil des Antragsgegners ausfällt, muss sie mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Senatsmitglieder gefasst werden (§ 15 Abs. 4 BVerfGG). Eine für den Antragsgegner nachteilige Entscheidung gemäß § 15 Abs. 4 BVerfGG ist bereits darin zu sehen, dass dem Antrag auf Einleitung eines Verwirkungsverfahrens stattgegeben wird.68 Wird der Antrag hingegen im Vorverfahren zurückgewiesen, endet zugleich das gesamte Verwirkungsverfahren. Es kann neuerlich erst unter den Voraussetzungen des § 41 BVerfGG beantragt werden.

nur Geiger, BVerfGG, § 37 Anm. 2. etwa Lechner / Zuck, BVerfGG, § 37 Rn. 2; Stern, Verfahrensrecht­liche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (211); a. A. Seuffert, Zum Verfahren nach Art. 18 GG, in: Festschrift Geiger, S. 797 (805). 65  So etwa Storost, in: Umbach  /  Clemens  /  Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, § 37 Rn. 4. 66  BVerfG, Beschluss v. 18. Juli 1996 – 2 BvA 1  / 92 und 2 / 92 – (nicht veröffentlicht). Nach BVerfGE 9, 334 (336) nimmt das BVerfG wohl an, dass § 24 BVerfGG für alle Verfahren gelte, vgl. auch Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, FG BVerfG I, S. 194 (211 f.). 67  So Lechner / Zuck, BVerfGG, § 37 Rn. 3. 68  Genauso Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 37 Rn. 5. 63  Siehe

64  Dagegen

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C. Verfahren

2. Die Verfahren gegen Dienel und Reisz Die bislang insgesamt vier Verwirkungsverfahren wurden sämtlich bereits im Vorprüfungsstadium abgelehnt. Mit Beschluss vom 25. Juli 1960 lehnte das BVerfG den Antrag auf Grundrechtsverwirkung gegen den stellvertretenden Vorsitzenden der inzwischen verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP) Otto Ernst Remer als nicht (mehr) hinreichend begründet gemäß § 37 BVerfGG ab.69 Mit der gleichen Begründung wies es am 2. Juli 1974 nach der Vorprüfung den am 20. März 1969 von der Bundesregierung beim BVerfG eingereichten Antrag gegen die Druckschriften und Zeitschriften GmbH und deren alleinigen Gesellschafter und Chefredakteur, den Herausgeber der „Deutschen National-Zeitung“ Gerhard Frey70 zurück. Zwei weitere Verwirkungsanträge, die seit dem Jahr 1992 beim BVerfG anhängig waren,71 wurden nach sechsjähriger Verfahrensdauer abgelehnt, wobei diesmal keine eindeutige Bezugnahme auf das Vorverfahren des § 37 BVerfGG erfolgte. Das BVerfG hatte die Bundesregierung als Antragstellerin zuvor schriftlich darauf hingewiesen, dass Bedenken hinsichtlich der gegen­ wärtigen hinreichenden Begründetheit der Anträge bestünden, nachdem die Freiheitsstrafen, zu denen die Antragsgegner Thomas Dienel72 und Hans Reisz73 im Zusammenhang mit rechtsextremistischer Betätigung verurteilt worden waren, aufgrund positiver Prognosen zur Bewährung ausgesetzt worden waren.74 Der Senat sah die Gefährlichkeit der Antragsgegner damit als so gering an, dass es die Begründetheit der Anträge gegen sie für unwahrscheinlich befand. Ob die Anträge daraufhin jedoch nach § 24 oder nach § 37 BVerfGG abgelehnt wurden, tritt aus dem äußerst knappen Beschluss nicht eindeutig hervor. Zwar beruft sich der Senat auf § 24 Satz 2 BVerfGG, was jedoch nicht ausschließt, dass er die Entscheidung aufgrund 69  BVerfG, 70  Frey

Beschluss v. 25. Juli 1960 – 2 BvA 1 / 56 – BVerfGE 11, 282 (283). war später Vorsitzender der rechtsradikalen Deutschen Volksunion

(DVU). 71  Siehe zum Sachverhalt Bundesminister des Innern (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 1992, S. 102. 72  Dienel war ehemaliges SED-Mitglied sowie FDJ-Funktionär und zuletzt Vorsitzender der als verfassungsfeindlich geltenden Deutsch-Nationalen Partei. Er wurde Ende 1992 vom Kreisgericht Rudolstadt zu zwei Jahren und acht Monaten Haft, unter anderem wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB), verurteilt, außerdem wurde er 1994 vom Landgericht Erfurt zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, unter anderem weil er mehrere Jugendliche zum Überfall auf ein Ausländerwohnheim in Weimar angestiftet habe. Vgl. Butzer / Clever, DÖV 1994, 637. 73  Reisz betätigte sich seit Mitte der 50er Jahre in der rechtsextremen Szene und war Funktionär in der neonazistischen „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ sowie Vorsitzender der Landesorganisation „Deutsches Hessen“ und der „Gesinnungsgemeinschaft Neue Front“. Siehe Butzer / Clever, DÖV 1994, 637. 74  Vgl. hierzu etwa Seiters, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 18 Rn. 16 (Fn. 33).



III. Die Entscheidung des BVerfG95

der obligatorischen Vorprüfung des § 37 BVerfGG getroffen hat. Weil diese Vorschrift nicht entsprechend § 24 BVerfGG ermöglicht, von der Begründung der Entscheidung abzusehen, könnte womöglich an eine analoge Anwendung dieser Regelung im Falle der – für den Betroffenen günstigen – Antragszurückweisung gedacht werden. Anstelle dessen könnte man aber auch annehmen, dass das BVerfG in diesem Fall noch gar nicht in die Vorprüfung eingetreten ist, sondern im Sinne einer Vorvorprüfung unter alleiniger Anwendung des § 24 BVerfGG zur Verwerfung der Anträge gekommen ist.75 Auch hier machen sich jedenfalls die kargen Ausführungen des BVerfG zu der weithin unausgeloteten Norm des Art. 18 GG sowie dem Verfahren nach §§ 36  ff. BVerfGG schmerzlich bemerkbar. Das Gericht scheint den Eindruck, mithilfe der Grundrechtsverwirkung werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen, noch verschärfen zu wollen.76 Seine inhaltliche Zurückhaltung wird indes auch einem gewissen Unwillen, diese folgenreiche Norm zum Leben zu erwecken und damit womöglich eine nicht zu bewältigende Flut von Anträgen zu provozieren, geschuldet sein.

III. Die Entscheidung des BVerfG Erst nachdem das Verfahren die Vorprüfung des § 37 BVerfGG bestanden hat, prüft das BVerfG im Hauptverfahren die Begründetheit des Antrags. Kommt es zu dem Ergebnis, dass der Antrag begründet ist, entscheidet es gemäß § 39 Abs. 1 BVerfGG, welche Grundrechte der Antragsgegner verwirkt hat. Damit bestimmt die Norm den möglichen Inhalt und die Bedeutung der Grundrechtsverwirkung und konkretisiert zugleich Art. 18 Satz 2 GG.77 Diese für den Antragsgegner nachteilige Entscheidung muss mit einer Senatsmehrheit von zwei Dritteln ergehen, § 15 Abs. 4 BVerfGG. Andernfalls wird der Antrag zurückgewiesen, es erfolgt nicht etwa ein „Freispruch“ des Antragsgegners.78 Die das Hauptverfahren beendende Entscheidung ergeht, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Urteil, andernfalls als Beschluss, § 25 Abs. 2 BVerfGG. Eine mündliche Verhandlung ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, wird aber nach einer Voruntersuchung gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG79 regelmäßig stattfin75  Dagegen geht aber etwa Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, Vor §§ 36 ff. Rn. 4 davon aus, dass beide Verfahren ebenso wie die beiden ersten Anträge im Vorverfahren des § 37 BVerfGG scheiterten. 76  So Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 II Rn. 3, S. 67. 77  Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, § 39 Rn. 3. 78  Vgl. auch Lechner / Zuck, BVerfGG, § 39 Rn. 1. 79  Das zunächst für die Präsidenten- und Richteranklage in §§ 54, 58 BVerfGG vorgesehene Instrument der Beschlagnahme und Durchsuchung sowie der Voruntersuchung wurde 1956 auch für die Grundrechtsverwirkung und das Parteiverbotsver-

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C. Verfahren

den.80 Die Vorschrift des § 38 BVerfGG trägt dabei dem strafprozessualen Charakter des Verwirkungsverfahrens nach dem BVerfGG Rechnung, indem sie die Anordnung einer Beschlagnahme oder Durchsuchung „nach den Vorschriften der Strafprozessordnung“ ermöglicht.81

fahren normiert, vgl. dazu Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, § 38 Rn. 1. 80  Siehe auch Pestalozza, Verfassungspozessrecht, § 3 III Rn. 13, S. 70. 81  Vgl. Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (213); detailliert Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 38 Rn. 4 ff.

D. Verwirkung Welchen Inhalt die Verwirkungsentscheidung des BVerfG hat, erscheint mangels Konkretisierung in Art. 18 GG vollkommen ungewiss. Während §§ 37, 38 BVerfGG den Ablauf des Verfahrens, welches dem Parteiverbotsverfahren weitgehend entspricht,1 detailliert regeln, konkretisiert §  39 BVerfGG zwar den Entscheidungsinhalt, begegnet aber unweigerlich der Hürde, als einfachgesetzliche Norm Verfassungsrecht nur auslegen zu können. Die Rechtslehre hat mehrfach versucht, Licht in das Dunkel um den Inhalt der Verwirkungsentscheidung zu bringen. Eine Auffassung, die als allgemein akzeptiert gelten darf, kann aber nur in sehr wenigen Punkten ausgemacht werden. Im Folgenden soll nun zunächst der Begriff der Verwirkung und seine rechtliche Anknüpfung erläutert werden. Dabei geht es neben der allgemeinen und rechtlichen Herkunft des Begriffs vor allem um die Bedeutung der Verwirkung innerhalb des Art. 18 GG. Es fragt sich, wie sie sich zum Begriff des Missbrauchs verhält, ob sie nur die missbrauchte Freiheit betrifft und wie diese von anderen möglicherweise gleichzeitig betroffenen Grundrechten abzugrenzen ist. Anschließend sind die rechtlichen Folgen der Verwirkung zu betrachten und im Rahmen dessen zu untersuchen, was die Grundrechtsverwirkung für den Betroffenen konkret bedeutet. Sodann ist ihre systematische Bedeutung für die Grundrechtsdogmatik allgemein darzulegen. Dabei stellt sich die Frage, auf welcher Ebene die Verwirkung von Grundrechten dogmatisch ansetzt und welchen Einfluss diese Konzeption auf die allgemeine Grundrechtsdogmatik und die Grundrechtstheorie nimmt. Abschließend ist der Vollzug der Verwirkungsentscheidung durch Exekutive, Legislative und Judikative darzustellen. Dieser birgt bei herkömmlicher Interpretation der Verwirkungsentscheidung wiederum zahlreiche Probleme in sich, die sich jedoch mit der hier vorgeschlagenen Auslegung der Verwirkungsfolge sämtlich lösen lassen. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, ob die Vollzugsnormen des BVerfGG vor dem Hintergrund des so verstandenen Art. 18 GG nicht zumindest teilweise verfassungswidrig sind.

1  Siehe

auch Benda / Klein,  Verfassungsprozessrecht, § 31 Rn. 1149.

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D. Verwirkung

I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung So eindeutig die Entscheidung des BVerfG im Verwirkungsverfahren nach § 39 Abs. 1 BVerfGG erscheint, so ungewiss sind zum einen ihre Rechtswirkung und zum anderen ihre Realisierung.2 Diese wurden im Parlamentarischen Rat nicht diskutiert, sondern vielmehr als unmissverständlich vorausgesetzt, was angesichts des im Vergleich zu Art. 20 Abs. 1 HChE entscheidend verschiedenen Wortlauts des endgültigen Art. 18 GG zumindest verwundert. Indes kann dies für das richtige Verständnis der Verwirkungsnorm durchaus von Bedeutung sein, hat doch auch das Schweigen des Parlamentarischen Rats in diesem Zusammenhang einen gewissen Erklärungswert. 1. Der Begriff der Verwirkung Das Grimmsche Wörterbuch versteht unter dem Begriff der Verwirkung „in älterer oder neuerer zeit […]: verlust eines besitzes oder eines besitzrechtes infolge einer schuldhaften handlung“.3 Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet heute „etwas verwirken“ Gallwas zufolge allgemeiner, „dass man aufgrund zurechenbaren Verhaltens um etwas kommt“.4 Diese pauschale Definition hilft jedoch bei der rechtlichen Einordnung des Verwirkungsbegriffs kaum weiter. Hierfür ist vielmehr seine herkömmliche rechtliche Funktion sowie die Systematik des Art. 18 GG, vor allem also der enge Zusammenhang mit dem Missbrauch von Grundrechten, zu beleuchten. a) Die allgemeine und die spezielle Grundrechtsverwirkung Die Lehre von der Verwirkung eines Rechts wird, wie der Missbrauchsbegriff, dem Zivilrecht entnommen.5 Sie stellt als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Spezialform widersprüchlichen Verhaltens dar6 2  Diese zwar prägnante, aber hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung völlig unklare Formulierung der Rechtsfolgen in Art. 18 GG beklagt auch Stern, Staatsrecht III / 2, S.  961. 3  Jacob Grimm / Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 25, Sp. 2295. 4  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 121 mit zahlreichen Nachweisen; vgl. zum allgemeinen Sprachgebrauch auch ausführlich Menzel, Grundfragen der Verwirkung, S. 1. 5  Vgl. etwa Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, § 228 IV, S. 1392 ff.; Larenz / Wolf, BGB AT, § 16 Rn. 32; Medicus, BGB AT, § 15 Rn. 137 ff. 6  Statt vieler Riezler, Venire contra factum proprium, 1912; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 302; Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 312 ff., 322; für das öffent-



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung99

und ist als solche mittlerweile auch für das öffentliche Recht allgemein anerkannt.7 Auch Grundrechte sollen nach einer teilweise vertretenen Theorie der allgemeinen Grundrechtsverwirkung8 bei unzulässiger Rechtsausübung verwirkt sein, so dass die Grundrechtsausübung damit im Einzelfall gehindert werden könne.9 Allerdings ist diese Lehre von der speziellen Grundrechtsverwirkung des Art. 18 GG scharf abzugrenzen.10 Abgesehen von der berechtigten Frage, ob eine solche allgemeine Verwirkung von Grundrechten neben der Spezialvorschrift des Art. 18 GG überhaupt existiert,11 ist die Herkunft dieser Norm ebenso gut wie die einer etwaigen allgemeinen Grundrechtsverwirkung aus dem Zivilrecht zu erklären. Die Verwirkung eines Rechts hängt nach der zivilrechtlichen Lehre eng mit dem Rechtsmissbrauch zusammen,12 indem sie bewirkt, dass sich der Rechtsinhaber, der das ihm zustehende Recht seinem Sinn zuwider gebraucht, hierauf nicht mehr berufen kann.13 Die Rechtsverwirkung stellt damit gleichsam eine Korrektur des positiven Rechts dar, indem es die zuliche Recht Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, S. 172; als Fall der unzulässigen Rechtsausübung wird die Verwirkung juristisch meist als „Verlust eines Rechts infolge verspäteter Geltendmachung“ (Köbler, Juristisches Wörterbuch, Stichwort „Verwirkung“, S. 439) verstanden, wobei übergangen wird, dass es auch schikanöses Verhalten ohne diese Zeitkomponente gibt. 7  Siehe exemplarisch Groscurth, Die Verwirkung im öffentlichen Recht, 1937; Pünder, in: Erichsen / Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13 Rn. 21 ff.; Menzel, Grundfragen der Verwirkung, S. 7 ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S.  172 ff. 8  So insbesondere Merten, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 61. 9  Vgl. in diesem Sinne Merten, in: Merten  /  Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 61 ff., der auf die Parallele zum Grundrechtsverzicht verweist, bei dem ebenfalls nur auf die Grundrechtsausübung im Einzelfall verzichtet werden könne. 10  Auch Knödler, Rechtsmissbrauch im öffentlichen Recht, S. 30 spricht von der Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG einerseits und der „Verwirkung sonstiger Rechte“ andererseits. 11  Dagegen spricht sich etwa Stern, Staatsrecht III  / 2, S. 956 aus. Vgl. generell gegen ein allgemeines Verwirkungsinstitut im öffentlichen Recht Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, S. 172. 12  Vgl. zur Konnexität von Missbrauch und Verwirkung auch Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 29. Im Zivilrecht ist dieser Zusammenhang ohnehin anerkannt, vgl. Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 332. 13  Vgl. Weber, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, 11. Aufl. 1961, § 242 Rn. D 29. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) führt auch im Öffentlichen Recht zu einer möglichen Rechtsverwirkung, etwa wenn der Antragsteller trotz Kenntnis des Sachverhalts über einen längeren Zeitraum keinen Antrag gestellt hat und die Verwaltung oder Dritte infolge dessen nicht mehr mit einer Antragstellung rechnen mussten, vgl. Pünder, in: Erichsen / Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 14 Rn. 21. Ebenso, auch unter Bezugnahme auf eine mögliche Verwirkung vonseiten der Verwaltung, Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, S. 173.

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D. Verwirkung

lasten des Gegenübers über Gebühr verschobene „Gerechtigkeit“ wieder herzustellen sucht. Dahinter verbirgt sich letztlich die Erkenntnis, dass auch eine vollkommen legale Vorgehensweise unter bestimmten Umständen unrecht sein kann.14 Dies zu verhindern, ist Nutzen unter anderem der Verwirkung eines Rechts; sie bewirkt damit im Einzelfall eine flexible Anpassung des positiven Rechts an das überpositive Gerechtigkeitsprinzip.15 Im Folgenden ist zu zeigen, dass es hierfür im Verfassungsrecht nicht einer allgemeinen Verwirkung von Grundrechten bedarf, sondern der spezielle Verwirkungsbegriff des Art. 18 GG funktional mit eben diesem zivilistischen Verwirkungsverständnis korrespondiert. b) Funktionaler Vergleich mit dem zivilrechtlichen Verwirkungsbegriff Betrachtet man die zahlreichen Monographien und Ausführungen in Lehrbüchern und Kommentaren zur Verwirkung, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahezu sämtliche Rechtsbereiche ergreifen,16 scheint es zunächst recht nahe liegend, dass sich der Grundgesetzgeber diese regelrechte „Modewelle“17 des Verwirkungsbegriffs im Recht zu eigen machte und ihn in Gestalt von Art. 18 GG in den Grundrechtsteil der neuen Verfassung einbrachte. Während jedoch beim „Missbrauch“ im Sinne des Art. 18 GG die funktionale Anlehnung an den Missbrauchsbegriff des Zivilrechts ohne Weiteres festzustellen war, ist diese Parallelisierung im Rahmen der Verwirkung von Grundrechten ungleich schwieriger.18 14  Dazu bereits oben S. 64. Berühmt wurde in diesem Zusammenhang die sog. Radbruchsche Formel, wonach der Gerechtigkeit der Vorrang vor dem positiven Recht gebührt, wenn „der Widerspruch des postitiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat“ (Radbruch, SJZ 1946, 105 (107)). Vgl. zur auch im Zivilrecht bezweckten „Rechtsethik“ Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn.  142 f.; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rn. 2, jeweils m. w. N. 15  Vgl. zur Geschichte der stets sehr umstrittenen Generalklauseln Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 2 ff. 16  Vgl. die Historie des § 242 BGB, ausführlich dargestellt bei Looschelders /  Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 38 ff. 17  Die Rechtsfigur der Verwirkung erlebte in den 1930er Jahren einen rasanten Aufschwung und wurde zunächst von seinen Kritikern als nur vorübergehende Erscheinung der durch Krisen und Inflation gebeutelten Wirtschaftslage gedeutet. Ihr Siegeszug hat jedoch auch in den anschließend stabileren Zeiten nicht Halt gemacht, vgl. Menzel, Grundfragen der Verwirkung, S. 6 f. m. w. N. 18  Vgl. Haller, Grundrechtsverwirkung und Zuständigkeitsmonopol, S. 66. Problematisch ist bereits, dass es auch heute keinen „keinen inhaltlich festgeprägten Verwirkungsbegriff“ (Endemann, in: Stier-Somlo  /  Elster, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, S. 6345) zu geben scheint. Ob nicht die kontextuell bisweilen



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung101

Der Missbrauch von Grundrechten bezeichnet – ebenso wie im Zivilrecht – den Gebrauch eines Rechts allein zu dem Zweck, einem anderen Schaden zuzufügen. Diesen Zweck erfüllt Art. 18 GG genauso wie etwa §§ 226, 242 BGB. Anders verhält es sich jedoch mit dem Rechtsinstitut der Verwirkung. Die Verwirkung eines Rechts im herkömmlichen Sinne dient dazu, die rechtlichen Konsequenzen einer missbilligten Rechtsausübung zu bestimmen, um die allein durch insoweit adynamische Anspruchs- und Prozessnormen nicht in jedem Fall gewährleistete „Gerechtigkeit“ singulär wieder herzustellen. Auch das Institut der Grundrechtsverwirkung erfüllt diesen Anspruch, wobei es zwar nicht unmittelbar um die Verwirklichung eines allgemeinen über­ geordneten Gerechtigkeitsempfindens geht, aber durchaus um die Aufrecht­ erhaltung einer als gerecht empfundenen Staatsordnung. Entscheidend dürfte indes sein, dass die Verwirkung dogmatisch gesehen ein Unterfall des venire contra factum proprium und damit des Rechtsmissbrauchs sein soll.19 Legt man diese Einordnung zugrunde, irritiert die Formulierung des Art. 18 GG freilich: Der Begriff der Verwirkung impliziert bereits ein missbräuchliches Verhalten, so dass der Wortlaut der Verwirkungsnorm in einer Tautologie mündet. Wohl deshalb soll nach der ganz überwiegenden Auffassung die rechtliche Bedeutung des Verwirkungsbegriffs in Art. 18 GG über das herkömmliche Verwirkungsverständnis hinausgehen. Die begriffliche Irritation allein muss aber nicht dazu führen, die Verwirkung im Sinne des Art. 18 GG von der zivilrechtlichen Bedeutung grundlegend verschieden zu interpretieren. Sie kann genauso einer redak­ tionellen Nachlässigkeit geschuldet sein. Vielmehr erfasst Art. 18 GG tatbestandlich gerade die in dem Prinzip des venire contra factum proprium zum Ausdruck kommende Widersprüchlichvordergründig sehr verschiedene Verwendungsweise des Begriffs auf eine, wenngleich weniger technische, so doch funktional gleiche Grundbedeutung zurückzuführen ist, sei hier dahingestellt. 19  Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 312 ff., 332. Verwirkung soll dabei nur die sog. „technische“ Verwirkung infolge verspäteter Ausübung eines Rechts sein. Im Zivilrecht wird der Begriff der Verwirkung bisweilen auch verwandt als sog. untechnische Verwirkung eines Rechts kraft grober Pflichtverletzung (so etwa §§ 354, 654 BGB), siehe nur Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 242 Rn. 238; Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 332 m. w. N.; ausführlich Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit, S. 39 ff.; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 318, sehen diese Normen indes als „spezielle Verwirkungstatbestände“ an. In der Tat ist nicht recht ersichtlich, worin der funktionelle Unterschied einer Verwirkung eines Rechts kraft pflichtwidrigen Verhaltens und der Verwirkung infolge verspäteter Rechtsgeltendmachung bestehen soll. Beide Tatbestände zeigen letztlich die Grenzen der Ausübung eines an sich bestehenden Rechts auf, dogmatisch werden sie indes meist verschieden behandelt. Auch Küchenhoff, DJZ 1930, 1194 (1195), macht noch keine derartige qualitative Unterscheidung.

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D. Verwirkung

keit des Verhaltens. Der durch die Gewährleistung der Freiheit gesetzte Vertrauenstatbestand wird danach durch ihr bloßes Ausnutzen „zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ erschüttert und verlangt im konkreten Fall eine entsprechende Modifikation des positiven Rechts. Argumentieren ließe sich auch dergestalt, dass die Verwirkung eine Form der „unzulässigen Rechtsausübung“ ist, die wiederum als Rechtsfolge des Tatbestandes „Rechtsmissbrauch“ die Verwehrung der Rechtsausübung bewirke, wie im Zivilrecht teilweise vertreten wird.20 c) Ablehnung eines spezifisch verfassungsrechtlichen Verständnisses Doch kommt Art. 18 GG nach allgemeiner Auffassung daneben eine andere wichtige Funktion zu: Als Verfassungsschutzinstitut soll er der „Selbsterhaltung“ der Demokratie dienen.21 Deshalb wird in der Verwirkung eines Grundrechts stets seine Aberkennung desselben – und möglicherweise auch die anderer Grundrechte – für einen bestimmten Zeitraum in der Zukunft gesehen.22 In der Tat ist die Möglichkeit eines Bedeutungswandels durch die Abänderung des dogmatisch noch deutlich an das Zivilrecht angelehnten Entwurfs nach dem Vorschlag Dehlers23 nicht zu leugnen. In der Formulierung des Art. 18 GG tritt eine Zäsur zwischen die Missbrauchshandlung und den Verwirkungsausspruch: Der Missbrauch scheint in dieser Fassung vielmehr Auslöser als unmittelbare Folge der Verwirkungsentscheidung zu sein. Unterstützt wird dieses Verständnis schließlich von der Rechtsprechung des BVerfG, die weniger eine den Antrag auslösende Missbrauchshandlung des Antragsgegners als vielmehr dessen prognostizierte Gefährlichkeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung für ausschlaggebend hält. Diese Interpretation der Verwirkungsnorm unterscheidet sich mithin grundlegend von der originären Bedeutung einer Rechtsverwirkung dadurch, dass sie nicht allein die Berufung auf ein scheinbares Recht im Einzelfall unmöglich macht,24 sondern eben die Geltendmachung dieses Rechts präventiv für die Zukunft ausschließt.25 Im Sinne der Einordnung von Art. 18 GG als präven20  Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 242 Rn. 176; Weber, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, 11. Aufl. 1961, § 242 Rn. D 29. 21  So BVerfGE 25, 44 (60). 22  Vgl. in diesem Sinne statt vieler Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 131; Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, §  39 Rn.  27. 23  Vgl. die Begründung Dehlers unter A. I. 2. 24  So für das Zivilrecht Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 28. 25  Stern, Staatsrecht III  / 2, 87 I 2, S. 932 etwa sieht die besondere Zielrichtung des Art. 18 GG deshalb darin, „,die individuelle Verfassungsfeindschaft‘ präventiv bekämpfen zu können, soweit Grundrechte missbräuchlich ausgenutzt werden“; mit



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung103

tives Verfassungsschutzinstitut erscheint es durchaus konsequent, seine Rechtsfolge dogmatisch gegenüber dem zivilistischen Begriff als Verwirkung sui generis auszulegen. Die Auffassung von der speziellen Bedeutung der Verwirkung in Art. 18 GG hat zwar im Hinblick auf einen effektiven Verfassungsschutz einiges für sich, doch ist sie mit Blick auf Entstehungsgeschichte, Wortlaut und Zweck der Norm nicht zwingend. Insbesondere die Formulierung des Art. 20 Abs. 1 HChE („Wer [bestimmte Grundrechte] missbraucht, verwirkt damit das Recht, sich auf die Grundrechte zu berufen.“) lässt durchaus die Deutung zu, „Verwirkung“ gleich der herkömmlichen Definition in dem Sinne zu verstehen, dass sich der Betroffene auf sein Recht im Einzelfall nicht berufen könne. Demgemäß war auch eine flexible Handhabung der Norm durch die Verwaltung vorgesehen,26 die allein im Wege der Beschwerde vom BVerfG überprüft werden konnte.27 So sehr freilich die Ausprägung eines spezifisch verfassungsrechtlichen Verwirkungsverständnisses mit der Emanzipierung des Verfassungsrechts, auch von seinen Wurzeln im Bürgerlichen Recht, naheliegend erscheint, ist sie doch gerade dann nicht sinnvoll, wenn sie dazu führt, dass die Norm weder theoretisch im Grundrechtsgefüge noch praktisch im Verfassungsschutz einen sinnvollen Platz findet. Dass das herrschende spezifisch verfassungsrechtliche Verständnis des Art. 18 GG aber gerade dazu führt, soll hier aufgezeigt werden. d) Punktuelles und generelles Verwirkungsverständnis nach Gallwas Gallwas hat aus der eben beschriebenen Ausgangslage drei mögliche Verwirkungsverständnisse herauskristallisiert. aa) Das punktuelle Verwirkungsverständnis Die dem Entwurf des Herrenchiemseer Konvents am nächsten kommende Auslegung stellt das sogenannte punktuelle Verwirkungsverständnis dar. Danach erfasst die Verwirkung nur den Grundrechtsschutz der konkreten Verweis auf BVerfGE 25, 44 (60) sowie Stettner, DVBl. 1975, 801 (802); vgl. auch Dürig, JZ 1952, 513 (514), der neben dem bei Art. 18 GG fehlenden und im Zivilrecht unentbehrlichen Tatbestandsmerkmal des Zeitablaufs auf die Aberkennung einer Rechtsstellung als solcher im Gegensatz zur technischen Verwirkung eines Einzelanspruchs im Zivilrecht verweist. 26  So eräutert Wernicke, BK, GG; Art. 18 Erl. 2 b), S. 7, dass nach diesem Entwurf die Verwaltungsbehörden die dem Rechtsträger an sich zustehenden Grundrechte außer Acht lassen konnten, wenn er diese missbraucht hätte. 27  Siehe dazu bereits ausführlich unter A. I. 2.

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D. Verwirkung

Missbrauchshandlung und dient letztendlich dazu, den Schein ihrer grundrechtlichen Berechtigung zu beseitigen, wozu es freilich zum Schutz des Grundrechtsträgers einer förmlichen Beseitigung durch das BVerfG bedarf.28 Von diesem Verständnis geht wohl auch v. Mangoldt aus, wenn seiner Ansicht nach die Verwirkung für den Betroffenen bedeute, „dass er sich den Behörden gegenüber nicht mehr auf das verletzte Grundrecht berufen kann, dass das gewährleistete Grundrecht ihm, solange und soweit er es missbraucht, keinen Schutz mehr gewährt.“29 Im Ergebnis verspricht die aktuelle Grundrechtspraxis freilich eine viel flexiblere und schnellere Reaktion auf Angriffshandlungen als die umständliche vorherige Aberkennung des Grundrechtsschutzes durch das BVerfG. Denn es lässt sich schlechterdings nicht leugnen, dass mit den Mitteln des Straf- oder Polizeirechts flexibler und womöglich effektiver gegen Angriffe auf die Verfassungsordnung vorgegangen werden kann.30 In der Regel genügen deshalb die geschriebenen und ungeschriebenen Schrankenvorbehalte der Grundrechte und die gesetzlichen Eingriffsermächtigungen vollkommen aus.31 Daher verwundert es nicht, dass sich v. Mangoldt im Parlamentarischen Rat so vehement gegen die Einführung des Satzes 2 in Art. 18 GG verwehrt hat,32 erscheint es doch geradezu absurd, dass die staatlichen Organe vor jeder grundrechtstangierenden Maßnahme gegen Freiheitsgegner erst die Entscheidung des BVerfG einholen sollen. Ein ähnliches, wenngleich nicht zwingend punktuelles Verwirkungsverständnis haben Autoren, die den Strafcharakter der Grundrechtsverwirkung betonen und – wie etwa Scheuner – die Verwirkung als „echte repressive Sanktion des Missbrauchs der Freiheitsrechte“33 ansehen. Danach stellt sich die Verwirkung nämlich als konkrete maßregelnde Reaktion auf ein begangenes Unrecht dar und nicht als lediglich präventive Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit.34 Auch Kessler sieht den Gegenstand des Tatbe28  Gallwas,

Der Missbrauch von Grundrechten, S. 122 f. Mangoldt, GG, 1. Aufl., Anm. 2, S. 115. 30  In diesem Sinne auch Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 26. 31  Siehe nur Brenner, DÖV 1995, 60 (66). 32  Vgl. nur JöR n.  F. Bd. 1 (1951), S. 171 (173 f.); ebenso v. Mangoldt, GG, 1. Aufl., Anm. 2, S. 115. 33  Scheuner, Der Verfassungsschutz im Bonner Grundgesetz, in: Festschrift Kaufmann, S. 313 (329). 34  Zum Schutz der Allgemeinheit war vielmehr in Art. 111 Abs. 3 HChE ähnlich dem Notverordnungsrecht der WRV ein System zur Außerkraftsetzung der politischen Grundrechte – also weitgehend derselben wie in Art. 20 HChE – bei Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorgesehen. Hiergegen muss die Grundrechtsverwirkung im Einzelfall demgemäß deutlich abgesetzt werden. So meint auch Ule, DV 1949, 333 (335), dass nach dem Grundgesetz im Gegensatz zur WRV Grundrechte auch nicht nur vorübergehend außer Kraft gesetzt werden kön29  v.



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung105

stands und der Rechtsfolgen des Art. 18 GG als identisch an und meint daher, die Grundrechte könnten nicht über den Missbrauch hinaus verwirkt werden.35 bb) Das generelle Verwirkungsverständnis Demgegenüber hat sich jedoch das von Gallwas sogenannte generelle Verwirkungsverständnis durchgesetzt, das der Verwirkung für die konkrete missbräuchliche Handlung keinerlei Bedeutung beimisst und lediglich künftige Grundrechtsbetätigungen als betroffen ansieht. Dem Grundrechtsträger soll danach das Grundrecht allein für die Zukunft aberkannt werden.36 Diese zunächst in Abkehr zu v. Mangoldts Ansicht vor allem von Friedrich Klein vertretene Auffassung37 habe den Vorzug, die originäre Entscheidungsmacht des BVerfG erklären zu können sowie ein repressives Vorgehen gegen den Betroffenen auch ohne die vorherige Verwirkungsentscheidung zu ermöglichen.38 Auch hier fragt sich allerdings, ob die Verwirkung damit nicht nachgerade überflüssig wird. cc) Kombiniertes Verwirkungsverständnis Schließlich arbeitet Gallwas ein sogenanntes kombiniertes Verwirkungsverständnis heraus, bei dem die möglichen Rechtsfolgen des Art. 18 GG addiert werden.39 So versteht Willms die Grundrechtsverwirkung zugleich als Beseitigung des Scheins eines Grundrechtsschutzes für Missbrauchshandlungen einerseits und als Aberkennung von Grundrechten für die Zukunft andererseits, wenn er darauf abstellt, dass mit den Mitteln des Strafrechts oder administrativen Vorkehrungen gegen einen Angreifer der freinen. Man kann im Anschluss daran also durchaus behaupten, dass die Verwirkung von Grundrechten nicht etwa ein individuelles Notstandsrecht begründen sollte, sondern nur die Reaktion auf eine konkrete und zugleich allein diese betreffende Missbrauchshandlung darstellen sollte. Allerdings wurde das Notverordnungsrecht gerade nicht im Grundgesetz übernommen. Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit eines dennoch bestehenden Notverordnungsrechts der Länder auch Dennewitz, DÖV 1949, 341 (342 f.), der ein solches wegen Art. 19 Abs. 2 GG aber nicht für die Außerkraftsetzung von Grundrechten gelten lassen will. 35  Kessler, Die Grundrechtsverwirkung des Art. 18 GG, S. 44, 48; auch die Interpretation von Ule, DV 1949, 333 (335), wonach Verwirkung der Grundrechte bedeute, dass sich der Betroffene (wie nach Art. 20 HChE) nicht mehr auf sie berufen könne, deutet eher auf ein punktuelles Verständnis hin. 36  Vgl. auch Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 123 ff. 37  Klein, in: v. Mangoldt (Hrsg.), GG, Anm. II 5, S. 520. 38  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 124. 39  Vgl. Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 125.

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heitlichen demokratischen Grundordnung erst nach Aberkennung der entsprechenden Grundrechte durch das BVerfG vorgegangen werden könne.40 e) Das „missbrauchsbezogene Verwirkungsverständnis“ als Alternative Gegen das punktuelle Verwirkungsverständnis wird meist mit dem Wortlaut des Art. 18 Satz 2 GG argumentiert, wonach das BVerfG das „Ausmaß“ der Verwirkung „ausspricht“.41 Zum einen soll das „Aussprechen“ der Verwirkung auf ein gestalterisches Moment der Entscheidung hindeuten, zum anderen soll die Bestimmung eines „Ausmaßes“ auf die zukunftsgerichtete Wirkung des Ausspruchs verweisen. Der Rekurs auf den Wortlaut von Art. 18 GG hilft indes, so überzeugend er zunächst scheinen mag, nicht uneingeschränkt weiter, wie Gallwas mit Recht zu bedenken gibt.42 Bei ganz unvoreingenommener Betrachtung der Verwirkungsnorm kann man nämlich durchaus auch zum entgegengesetzten Ergebnis kommen: So kann angenommen werden, dass erst der Ausspruch der Verwirkung die Abwehr konkreter Missbrauchshandlungen möglich macht und damit die Aberkennung des Grundrechtsschutzes im Einzelfall echte Rechtsfolge des Ausspruchs sei.43 Zudem kann die Bestimmung des Ausmaßes der Grundrechtsverwirkung bei einem punktuellen Verwirkungsverständnis schlicht bedeuten, dass das BVerfG auch den Umfang der Eingriffsbefugnis zu bemessen hat.44 Allein die bereits zitierte Äußerung Dehlers, das BVerfG müsse „Dauer und Ausmaß“ der Verwirkung aussprechen deutet letztlich eher darauf hin, dass die Grundrechtsverwirkung zumindest auch in die Zukunft reichen sollte.45 Doch ist diese Formulierung – aus welchen Gründen auch immer – eben nicht Gesetz geworden. Wahrscheinlich ist tatsächlich, dass die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Verwirkungsbegriffs, die letztendlich schon in Art. 20 HChE angelegt sind, bei Entstehung des Art. 18 GG gar nicht erkannt wurden und deshalb keine Differenzierung erfolgte.46 Ja, es scheint nicht ausgeschlossen, dass unter den Abgeordneten des Parlamentarischen Rats selbst verschiedene Auffassungen des Begriffs herrschten. So war v. Mangoldt offenbar dem punktuellen Verwirkungsverständnis zugeneigt, während die Aus40  Willms,

NJW 1964, 225 (227). etwa Dürig, JZ 1952, 513. 42  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 126. 43  So etwa Wernicke, in: BK, GG, Art. 18 Erl. 2 b), S. 8. 44  Vgl. Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 126. 45  Ebenso Dürig, JZ 1952, 513. 46  Dies meint auch Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 127. 41  So



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung107

führungen Dehlers eher darauf hindeuten, dass er von einer generellen Grundrechtsaberkennung für die Zukunft ausging. Die sehr unspezifische Formulierung des Grundgesetzes lässt weiterhin beide Auffassungen zu. Man kann daher annehmen, nur der enge Verwirkungsbegriff sei mit dem Wesen der Grundrechte vereinbar.47 Dies stimmt aber gerade angesichts der heutigen Grundrechtsdogmatik nur eingeschränkt. Danach entspricht es nämlich nicht Sinn und Wesen der Grundrechte, dass sie – und sei es auch nur unter bestimmten Umständen – erst nach vorheriger Aberkennung ihres Schutzgehalts durch die staatliche Gewalt eingeschränkt werden können. Es bedarf gerade nicht des Rechtsinstituts der Verwirkung, um gegen Gefährder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung punktuell vorzugehen.48 Indes ist die Brauchbarkeit der Grundrechtsverwirkung als zusätzliches präventives Verfassungsschutzinstiut zumindest theoretisch denkbar. Bedenken, die gegen eine solche Aushebelung des verfassungsrechtlich garantierten Grundrechtsschutzes geltend gemacht werden, kann damit begegnet werden, dass der Konflikt zwischen der Freiheit des Individuums einerseits und der allgemeinen Freiheit der Bevölkerung durch den Grundgesetzgeber mit Art. 18 GG zugunsten der allgemeinen Freiheit und zulasten der Freiheit des Einzelnen, zu dessen Schutz immer noch die dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterworfene Entscheidung des BVerfG stehe, entschieden wurde.49 Der Grundsatz „in dubio pro libertate“ würde dann weiterhin in Zweifelsfällen zum Tragen kommen50 – ganz so, wie es das BVerfG, welches Art. 18 GG in diesem Sinne gerade als Ausdruck des bewussten verfassungspolitischen Willens zur Lösung von Grenzproblemen der freiheitlichen demokratischen Staatsordnung ansieht,51 bislang praktiziert hat. Deshalb kann mit dem so verstandenen telos der Grundrechtsverwirkung auf den präventiven Verfassungsschutz verwiesen und mit der ganz überwiegenden Meinung ein ausschließlich genereller Verwirkungsbegriff angenommen werden. Kessler, Die Grundrechtsverwirkung des Art. 18 GG, S. 47 ff. Grundrechte und Rechtsprechung, S. 25 hat in einer solchen Abwägung des Einzelfalls allerdings die Gefahr gesehen, dass sie zu einer unzulässigen Beschränkung der Grundrechte führen könne, da keine sachlichen Kriterien für die Einschränkung angegeben seien. Diese Gefahr ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Zwar fragt sich, ob der Missbrauch von Grundrechten dagegen ein rein sachliches, objektiv bestimmbares Kriterium ist, doch stellt es immerhin einen verfassungsrechtlich vorgegebenen Anknüpfungspunkt für die richterliche Auslegung dar. 49  Vgl. in diesem Sinne auch Dürig, Grundrechtsverwirklichung auf Kosten von Grundrechten, in: summum ius summum iniura, S. 80 (87), der die Besonderheit des Grundgesetzes damit erklärt, dass „die Freiheit als solche, als objektiver Wert gesichert, geschützt und geordnet“ werde, selbst mittels Illegalisierung mancher individuellen Freiheitsbetätigung. 50  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 128. 51  BVerfGE 10, 118 (123). 47  So

48  Geiger,

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D. Verwirkung

Ganz befriedigt diese Lösung, die sich unverkennbar an der Wirkungsweise des Parteiverbots nach Art. 21 Abs. 2 GG anlehnt, jedoch nicht. Allein der dadurch entstehende Konflikt mit den insofern wirkungsgleichen Parteiund Vereinigungsverboten (dazu ausführlich später) könnte auch ein Hinweis auf eine Fehldeutung des Instituts sein. Zudem kann der mit Art. 18 GG bezweckte Schutz der Verfassung vor ihrem politischen „Selbstmord“52 auch anders erreicht werden als mit den Mitteln einer generellen Grundrechtsaberkennung. So kann Art. 18 GG ebenso als Auslegungsregel für die staatlichen Organe gelten dergestalt, dass die Grundrechte nicht grenzenlos, sondern gleichsam wertgebunden interpretiert werden sollten. Das Grundgesetz gewährt danach eben keine Freiheit in jede Richtung, sondern nur innerhalb der demokratischen Grundordnung. Grundrechte sollen die öffent­ liche Gewalt deshalb dann nicht binden, wenn dies eine Gefahr der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen würde. Allein im Sinne einer notwendig restriktiven Interpretation der Grundrechtsverwirkung ist deshalb das punktuelle dem generellen Verwirkungsverständnis Gallwas’ vorzuziehen, zumal es das gleiche Verfassungsschutzniveau bewirkt. Allerdings ist Gallwas’ Terminologie zu modifizieren, da die Bezeichnung als „punktuell“ impliziert, dass das BVerfG lediglich eine einzelne Handlung dem Grundrechtsschutz entziehen könnte. Dies trifft insofern nicht zu, als der Grundrechtsmissbrauch meist in einer gleichförmig wiederkehrenden Handlungsweise, etwa der wiederholten Publikation rassistischer Artikel, bestehen wird. Hier wäre es verfehlt anzunehmen, dass das BVerfG den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG für jede einzelne Veröffentlichung beseitigen müsse. Stattdessen genügt freilich die Feststellung der Verwirkung von Art. 5 Abs. 1 GG durch diese konnexen Handlungen. Es geht folglich ausschließlich darum, die Verwirkung von Grundrechten infolge einer missbräuchlichen Freiheitsbetätigung auszusprechen. Da es sich hierbei nicht nur um Einzelakte handeln muss, sollte besser von einem missbrauchsbezogenen Verwirkungsverständnis die Rede sein. 2. Rechtswirkung des Verwirkungsausspruchs Hieran schließt sich die Frage der Rechtsfolgen der Verwirkungsentscheidung an. Die rechtliche Wirkung als allgemeine Folge eines Verhaltens kann zum einen konstitutiv, also „rechtsbegründend“ sein. Dies ist immer dann 52  JöR n. F. Bd. 1 (1951), 171 (172); im Konvent auf Herrenchiemsee glaubte man sogar, jede Demokratie müsse das Institut der Verwirkung vorsehen, da sie sonst in Gefahr stehe, selbstmörderisch zu werden. Da aber keine andere (funktionierende) Demokratie der Welt die Waffe der zukünftigen Grundrechtsaberkennung kennt, überrascht diese Ausführung doch, will man sie nicht einfach als idealistisch abtun.



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung109

der Fall, wenn ein Verhalten einen Rechtserfolg begründet.53 Zum anderen kann sie deklaratorisch, also „rechtsbekundend“ sein. Diese Wirkung ist anzunehmen, wenn ein Verhalten einen Rechtserfolg erst sichtbar macht.54 Möglich ist daher die deklaratorische Wirkung der Entscheidung, wenn das Urteil lediglich eine bereits außerhalb des Verfahrens eingetretene Rechtsfolge rechtskräftig feststellt und damit nur ausspricht, „was ist“. Andersherum kann die Entscheidung konstitutiver Natur sein, wenn sie eine Rechtsfolge, die bisher nicht eingetreten war, erst herbeiführt, also ausspricht, „was wird“.55 So kann man einerseits annehmen, die Verwirkung würde bereits ipso iure mit dem Missbrauch eintreten, mit dem Ausspruch des BVerfG aber erst wirksam werden.56 Diese Zwischenschaltung des BVerfG würde danach einen Rechtsautomatismus gleichsam erst nach außen keh­ ren – eine dogmatisch freilich zweifelhafte und jedenfalls einmalige Konstruktion.57 Andererseits kann der Ausspruch des BVerfG aber auch die Grundrechtsverwirkung überhaupt erst bewirken.58 a) Ablehnung der deklaratorischen Rechtswirkung der Entscheidung In der Lehre wurde zunächst eine ipso iure mit dem Missbrauch eintretende Verwirkung angenommen und die Entscheidung des BVerfG demgemäß für deklaratorischer Natur gehalten.59 Dogmatische Probleme ergeben sich bei dieser Auffassung insbesondere dadurch, dass die Situation vor der Entscheidung des BVerfG weitgehend unklar ist. So moniert Gallwas, dass bei diesem Verständnis die Grundrechte bis zur Verwirkungsentscheidung zur Disposition der staatlichen Organe stünden, was mit Satz 2 in Art. 18 GG gerade verhindert werden sollte.60 Anstelle dessen müsse erst das 53  Siehe Köbler, Juristisches Wörterbuch, Stichwort „Wirkung“, S. 460; als Beispiel wird die Eintragung in ein Register zur Begründung der Rechtsfähigkeit genannt. 54  Vgl. Köbler, Juristisches Wörterbuch, Stichwort „Wirkung“, S. 460 mit dem Beispiel der Eintragung der Einteilung der Prokura. 55  Vgl. dazu Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozessrecht, § 91 Rn. 1. 56  Dies impliziert auch die Formulierung des § 39 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG, wonach das BVerfG feststellt, „welche Grundrechte der Antragsgegner verwirkt hat“. 57  Siehe Dürig, JZ 1952, 513. 58  Vgl. zu diesen unterschiedlichen Positionen auch Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG, S. 33. 59  Vgl. v. Mangoldt, GG, 1. Aufl., Art. 18 Anm. 2, S. 115; ebenso Arndt, DVBl. 1952, 1 (3); Friesenhahn, in: Festschrift Thoma, S. 21 (51); Giese, Art. 18 GG, S. 51. 60  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 158; Dürig, JZ 1952, 513 (514) meint sogar in Anlehnung an Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 99, bis zur

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D. Verwirkung

BVerfG sowohl das zeitliche, als auch das sachliche Ausmaß konstitutiv bestimmen, vorher könne an den Grundrechtsmissbrauch keinerlei – wenigstens keine verwirkungsbedürftige – Rechtsfolge geknüpft werden.61 b) Der konstitutive Charakter der Entscheidung Bald hat sich aufgrund dieser Bedenken allgemein die Ansicht durchgesetzt, dass das BVerfG über die Verwirkung von Grundrechten einzig konstitutiv und ex nunc entscheide.62 Ausschlaggebend sei, dass das BVerfG nach Art. 18 Satz 2 GG das Ausmaß der Verwirkung in seiner Entscheidung erst näher zu bestimmen habe, eine derart differenzierte Rechtsfolge könne nicht zugleich mit dem Missbrauch feststehen und in irgendeiner Weise eo ipso eintreten. Sie hänge untrennbar mit dem Ausspruch des BVerfG zusammen, welches daher eine gestaltende Entscheidung treffe.63 Diesen Umstand erkennt auch Wernicke an,64 wenngleich er sonst ein Verfechter der punktuellen und schon kraft Gesetzes eintretenden VerwirEntscheidung des BVerfG müssten alle Staatsakte gegen den Missbrauchenden als durch die zurückweisende Entscheidung des BVerfG auflösende bedingt konstruiert werden – eine freilich recht zweifelhafte Lösung. 61  So etwa Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 239; Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 87 weisen darauf hin, dass es nicht ungewöhnlich sei, wenn Prozessgesetze mit dem Ausdruck „Feststellung“ eine konstitutive Wirkung verbänden. Hier wird zudem – wie meist – auf den vorgeblich eindeutigen und neben § 39 Abs. 1 BVerfGG allein maßgeblichen Wortlaut des Art. 18 GG verwiesen; diese vermeintliche Eindeutigkeit wurde soeben bereits widerlegt. 62  Vgl. nur Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 95; Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S.  158; Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu /  Klein / Bethge, BVerfGG, § 39 Rn. 25; Lechner / Zuck, BVerfGG, Vor §§ 36 ff. Rn. 1; Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 170 f.; Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung und des Parteiverbots, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (216) jeweils m. w. N. Zuerst ging Dürig, JZ 1952, 513 (517) in Ablehnung des Ansicht Wernicke davon aus, dass die Verwirkungsentscheidung ein konstitutives Urteil mit Rückwirkung bedeute, dagegen Echterhölter, JZ 1953, 656 (657); er schloss sich jedoch alsbald der Lehre von der ex-nunc-Wirkung der Entscheidung an, vgl. ausdrücklich und unter Bezugnahme auf die höhere Rechtssicherheit Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 88. 63  Statt vieler Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 239 m. w. N. Insofern missverständlich ist etwa die Bemerkung von Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 63, das BVerfG entscheide „zudem“ über das Ausmaß der Grundrechtsverwirkung. Die Gestaltungswirkung der Entscheidung insgesamt lässt sich doch gerade erst mit dem durch das BVerfG zu bestimmenden Ausmaß der Verwirkung schlüssig begründet. Die Feststellung der Verwirkung allein ließe sich hingegen logischer als deklaratorisch verstehen. 64  Wernicke, in: BK, GG, Art. 18 Erl. 2 b), S. 8; auch Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 33, erkennt diesen Unterschied zu Art. 20 HChE an:



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung111

kung ist. Entsprechend kritisch wird seine These in der Literatur betrachtet. So wendet Dürig ein, bei einer von vornherein bestehenden Verkürzung des Rechtsinhalts müsste der Ausspruch des BVerfG rechtslogisch die rein deklaratorische Feststellung einer bereits mit Erfüllung des Missbrauchstatbestands eingetretenen Rechtsfolge sein. Das BVerfG müsste aussprechen, was „ist“ und nicht was erst „wird“.65 Es gibt nur die Möglichkeit der Feststellung, dass etwas nicht mehr vorhanden ist, oder aber die Aberkennung von etwas noch Vorhandenem.66 In der Tat erscheint die Schlussfolgerung Wernickes zunächst widersprüchlich. Ist der Rechtsverlust bereits eingetreten, so kann man nicht mehr von einer konstitutiven Aberkennung sprechen. Allerdings wird als konstitutiv auch ein Urteil bezeichnet, dass eine bisher nicht beachtliche Rechtsfolge beachtlich macht und damit erst herbeiführt.67 Zwar erfasst diese dem Zivilrecht entnommene Aussage ursprünglich andere Fälle, doch zeigt sie, dass die von Wernicke vorgenommene Einordnung der Rechtswirkung der Verwirkungsentscheidung mitnichten abwegig ist. Schließlich kann selbst im Rahmen des zivilistischen Verwirkungsverständnisses nicht darüber hinweggegangen werden, dass nach Art.  18 Satz 2 GG das BVerfG auch das Ausmaß der Verwirkung ausspricht. Dass hiermit lediglich ein bereits ipso iure eintretender Umfang der Grundrechtsverwirkung vom BVerfG festgestellt wird, lässt sich schwerlich annehmen.68 Auch wenn das Gericht funktionell Rechtsfindung betreibt, ist ihm dabei jedoch ein gewisser Gestaltungsspielraum nicht abzusprechen.69 Letztendlich beruht der Ausspruch des Verwirkungsausmaßes daher immer auf einem richterlichen Abwägungsprozess und ist insofern bis zu einem gewissen Grad flexibel. Allerdings nehmen Gallwas und Dürig,70 wie viele andere, wohl nur irrtümlich an, v. Mangoldt und Giese verträten die Ansicht, dass die Verwaltung die betroffenen Grundrechte auch bereits ohne die vorherige Entschei„Also ist es Sache der Behörde, welche den Missbrauch behauptet, ihrerseits den Spruch des Verfassungsgerichts herbeizuführen; inzwischen aber ist der Missbrauch ungehindert.“; daran anknüpfend Lechner / Zuck, BVerfGG, Vor 36 ff. Rn. 1. 65  Dürig, JZ 1952, 513. 66  So Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG, S. 35. 67  Siehe Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozessrecht, § 91 Rn. 1. 68  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 136: „Der ausdrückliche Hinweis auf die Kompetenz, die Folgen der Verwirkung zu bestimmen, lässt es unwahrscheinlich erscheinen, dass schon der Verwirkungsbegriff Ausmaßelemente enthalten sollte.“ 69  Dieser Fall ist deshalb der zivilrechtlichen Gestaltungswirkung eines Urteils aufgrund richterlichen Ermessens vergleichbar, vgl. dazu Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozessrecht, § 91 Rn. 11 ff. 70  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 158; Dürig, JZ 1952, 513.

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D. Verwirkung

dung des BVerfG außer Acht lassen könne.71 Vielmehr zeigt etwa die entschiedene Ablehnung des Art. 18 Satz 2 GG durch v. Mangoldt, dass auch er davon ausging, dass vor Ausspruch des BVerfG zumindest keine Rechtsfolgen an die Verwirkung geknüpft werden können.72 Ein Unterschied zwischen seiner und der herrschenden Interpretation besteht also nur nominell, nicht aber faktisch.73 aa) Duplizität der Verwirkungsentscheidung Diese begrifflichen Unsicherheiten haben wohl Geiger dazu bewogen, zwar ebenfalls eine Verwirkung kraft Tatbestandsverwirklichung anzunehmen, aber trotzdem von einer insoweit konstitutiven Grundrechtsaberkennung durch das BVerfG auszugehen, als es Ausmaß und Dauer der Grundrechtsverwirkung ausspricht. Allein die Feststellung der Tatbestandsverwirklichung und der damit automatisch eingetretenen Verwirkung sei für sich genommen deklaratorisch.74 Eine ähnliche Ansicht betont darüber hinaus, dass der Verwirkungsausspruch des BVerfG ein „Akt in zwei Stufen“ darstelle: So entscheide das Gericht zum einen über das „Ob“ und zum anderen über das „Wie“, also das Ausmaß der Verwirkung. Beide Stufen der Verwirkungsentscheidung sollen dabei jedoch konstitutive Einzelakte ad personam sein.75 Diese Zerlegung der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung in „zwei Takte“ scheint tatsächlich in Art. 18 Satz 2 GG angelegt zu sein, wonach das BVerfG „die Verwirkung und ihr Ausmaß“ ausspricht.76 Auch § 39 Abs. 1 auch Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG, S. 36. geht Geiger, Verwirkung, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 8, Spalte 260 (263) davon aus, dass der Rechtsverlust zwar mit dem Missbrauch eintrete, aber im Rechtsverkehr erst mit dem Urteil des BVerfG beachtlich werde. Deshalb spricht etwa Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (144) davon, dass die zugleich mit der Tatbestandserfüllung eintretende Grundrechtsverwirkung erst vom BVerfG „aktiviert“ werden müsse. 73  Vgl. Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG, S. 34; so wohl auch der Hess. StGH, NJW 1951, 734, der es für die Frage der Geltung von Art. 17 Abs. 2 HessVerf neben Art. 18 GG dahingestellt sein lässt, ob die Entscheidung des BVerfG konstitutive oder deklaratorische Wirkung hat. 74  Geiger, BVerfGG, § 39 Anm. 4; ebenso Kessler, Die Grundrechtsverwirkung des Art. 18 GG, S. 94 ff.; im Anschluss daran wohl auch Ipsen, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), HdbGR II, 1954, S. 132 (Fn. 68). 75  Schmitt Glaeser, in: Merten  / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 26; ebenso Stern, Staatsrecht III / 2, 87 IV 4, S. 965. 76  Wie Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (144) darstellt, handelt es sich nach dieser Ansicht sogar um ein „dreistufiges System“ des Art. 18 GG, bei dem der Grundrechtsträger sein Grundrecht zunächst durch den 71  So

72  Entsprechend



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung113

BVerfGG bestimmt, dass das BVerfG zum einen die Verwirkung feststelle (Satz 1), und zum anderen ihre zeitliche Dauer befristen (Satz 2) sowie zusätzliche Beschränkungen festlegen könne (Satz 3). Wenn das BVerfG danach das Vorliegen einer Grundrechtsverwirkung überhaupt zuerst feststellen muss, bevor es seinen Umfang bestimmen kann, liegt es in der Tat nahe, die Feststellung des „Ob“ als deklaratorische Entscheidung einzustufen, da sie auch dieser Auffassung nach offensichtlich der Gestaltungsmacht des Gerichts entzogen und rechtstechnisch die schlichte Folge des Grundrechtsmissbrauchs ist.77 Da aber erst die Ausmaßentscheidung des BVerfG faktischer Anknüpfungspunkt für Rechtsfolgen der Verwirkung sein kann, die Feststellung der Verwirkung für sich genommen also nach der ratio des Art. 18 Satz 2 GG gar keine Wirkungen zeitigt, ergibt eine solche Differenzierung keinerlei Sinn. Sie verdeutlicht lediglich die Konzeption der Verwirkung, die zwar eigentlich kraft der Bestimmung des Art. 18 Satz 1 GG unmittelbare Folge des Missbrauchs ist, aber vor Ausspruch des BVerfG ohne rechtliche Bedeutung bleibt. Dagegen steht zwar der Wortlaut des § 39 Abs. 1 Satz 2 und 3 BVerfGG, der als Kann-Vorschrift eine Ausmaßbestimmung des BVerfG lediglich erlaubt. Im Rahmen des herrschenden generellen Verwirkungsverständnisses ist aber die bloße Feststellung der Verwirkung isoliert schlechterdings nicht möglich, da bereits das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine zeitlich und sachlich begrenzte Grundrechtsverwirkung fordert.78 Müsste sie nicht ebenso wie das Vorliegen der Verwirkung vom BVerfG ausgesprochen werden, wäre darin eine verfassungswidrige Gesetzeslücke zu sehen. Die Bestimmung eines Verwirkungsausmaßes muss in Art. 18 Satz 2 GG daher als zwingend angesehen werden, so dass – jedenfalls bei Zugrundlegung eines generellen Verwirkungsverständnisses – sie bereits den konstitutiven Charakter der Entscheidung insgesamt zu begründen vermag. Eine Duplizität der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung, wie sie bisweilen angenommen wird, ist hingegen mit der konstitutiven Natur der Verwirkungsentscheidung nicht vereinbar. Sie entspringt einzig der üblicherweise angenommenen Zwitterstellung des Art. 18 GG zwischen konkreter Missbrauch verwirkt, diese Verwirkung vom BVerfG jedoch zuerst aktualisiert werden muss und in einem weiteren Schritt über ihr Ausmaß entschieden werden muss. 77  Womit man wieder bei der alten Auffassung von Geiger, BVerfGG, § 39 Anm. 4, wäre, die Entscheidung habe teils deklaratorische, teils konstitutive Bedeutung. 78  Vgl. Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 64; dagegen gehen Lechner / Zuck, BVerfGG, § 39 Rn. 3 wohl irrtümlich davon aus, dass Satz 2 und 3 des § 39 Abs. 1 BVerfGG nur obligatorisch anzuwenden wären und im Gegensatz dazu die betroffenen Grundrechte auch im vollen Umfang aberkannt werden könnten.

114

D. Verwirkung

Reaktion auf eine missbräuchliche Handlungsweise – deshalb Ausspruch der durch den Grundrechtsmissbrauch eingetretenen Rechtsverwirkung – und präventivem Verfassungsschutz – daher der Ausspruch des Ausmaßes der Verwirkung. Da im Rahmen eines generellen Verwirkungsverständnisses allein letzteres maßgebliche Bedeutung hat, ist die Betonung einer vorherigen Feststellung des „Ob“ bloßer Formalismus, der jedoch erneut auf die Unausgewogenheit, ja Widersprüchlichkeit der Bestimmung hindeutet. Bei Zugrundlegung des missbrauchsbezogenen Verwirkungsverständnisses stellt sich die gleiche Frage indes nicht. Hier muss ohnehin angenommen werden, dass das BVerfG keine Gestaltungsbefugnis hinsichtlich des Verwirkungsausmaßes hat, sondern lediglich die vom Grundgesetz angeordnete Rechtsfolge des Missbrauchs nach außen kehrt. Auch diese Entscheidung ist jedoch für Maßnahmen der Verwaltung konstitutiv. bb) Vergleich mit der Rechtswirkung des Parteiverbots Die konstitutive Recthswirkung des Verwirkungsausspruchs wird dadurch unterstrichen, dass Art. 18 GG meist parallel zum konstitutiv und ex nunc wirkenden Parteiverbot ausgelegt wird.79 So wird immer wieder darauf verwiesen, dass Art. 21 Abs. 2 GG das kollektive Pendant zu der individuell wirkenden Grundrechtsverwirkung darstelle und beide Normen daher dieselbe Struktur aufwiesen, wonach legale, grundrechtlich geschützte politische Betätigungen zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterbunden werden müssten.80 Ähnlich wie Art. 18 GG zunächst klarstellt, dass bestimmte Grundrechte verwirkt, wer sie missbraucht, formuliert daher Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG, dass Parteien, die darauf ausgehen, die freiheit­ liche demokratische Grundordnung zu gefährden, verfassungswidrig sind. Es hat also den Anschein, als trete die Verfassungswidrigkeit der Partei unmittelbar mit ihrem die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdenden Verhalten ein.81 Dagegen besagt Satz 2 deutlich: „Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“ Daraus wird geschlossen, dass vor der insofern ex nunc wirkenden konstitutiven Entschei79  So wird das Parteiverbot seit BVerfGE 12, 296 verstanden; vgl. auch Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, §  39 Rn.  26; ebenso Čopić, JZ 1963, 494 (498). 80  Vgl. etwa Meier, Parteiverbote und demokratische Republik, S. 165. 81  Siehe Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 169, der allerdings betont, dass die Verfassungswidrigkeit im eigentlichen Sinn keine Rechtsfolge des Art. 21 Abs. 2 GG darstelle, sondern nur eine rechtliche Missbilligung ausdrücke. Rechtsfolge sei hingegen allein das Parteiverbot, das materiell erst durch den Ausspruch des BVerfG eintrete; im Anschluss daran ebenso Streinz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG; Art. 21 Abs. 2 Rn. 239.



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung115

dung des BVerfG keine Rechtsfolgen an das verfassungswidrige Handeln der Partei geknüpft werden könnten.82 Dabei wird auch im Rahmen des Parteiverbots vertreten, dass die Verfassungswidrigkeit der Partei bereits aus der Tatbestandsverwirklichung des Art. 21 Abs. 2 GG resultiere und nicht erst aus dem Urteil des BVerfG.83 Darüber hinaus wird auch hier die Legalität einer Partei in „formelle“ und „materielle“ Verfassungsmäßigkeit aufgespalten,84 wogegen wiederum eingewandt wird, dass so jede Behörde über die „materielle Verfassungsmäßigkeit“ einer Partei befinden und an ihr Urteil bereits negative Rechtsfolgen knüpfen könne. Der Schutz der Parteien aus Art. 21 Abs. 2 GG werde damit schlechterdings beseitigt.85 Daher wird das Parteiverbot entgegen dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 2 GG meist als materiell-konstitutive Begründung der Verfassungswidrigkeit einer Partei angesehen.86 Auch hier wird indes irrtümlich angenommen, dass bereits an die mit der Tatbestandsverwirklichung eintretende materielle Verfassungswidrigkeit praktisch Rechtsfolgen geknüpft werden könnten. Der formelle Ausspruch des BVerfG ist indes auch für das Parteiverbot unabdingbar und Grundlage jeder konsekutiven Maßnahme, das können auch die Anhänger der „Aufspaltungs-Lehre“ nicht leugnen.87 Der Unterschied zwischen beiden Auffassungen ist deshalb auch hier jedenfalls zunächst nur ein theoretischer. 82  So erstmals BVerfGE 12, 296; zu diesem sog. „Anknüpfungsverbot“ Morlok, in: Dreier, GG, Art. 21 Rn. 148; Schlaich / Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 340 gehen deshalb konsequent davon aus, „konstitutiv“ bedeute, dass die Partei vor ihrem Verbot als verfassungsmäßig gelte, wobei allerdings nicht klar wird, ob sie dies eigentlich nicht mehr oder tatsächlich noch ist; vgl. ferner zum Spannungsverhältnis mit der Verfassungstreuepflicht der Beamten Battis,  NJW 1973, 1162 (1163); ders., NJW 1975, 1143. 83  So explizit VG Bremen, ZBR 1973, 16 (22) – Holzer-Entscheidung; ähnlich Kriele, ZRP 1975, 201 (202), der, dogmatisch zweifelhaft, zwischen der allein vom BVerfG auszusprechenden Verfassungswidrigkeit und einer vorher bereits festzustellenden und praktisch bedeutsamen „Verfassungsfeindlichkeit“ (ohne Verbot der Partei) unterscheidet; dagegen zu Recht mit Hinweis auf das so umgangene Entscheidungsmonopol des BVerfG Wiese, Verfassungswidrigkeit und Verfassungsfeindlichkeit, ZRP 1976, 54 ff. 84  Vgl. etwa Isensee, JuS 1973, 265 (266); Wiese, ZRP 1976, 54 (56); Willms, Staatsschutz im Geiste der Verfassung, S. 41 (Fn. 21). 85  So etwa Kutscha, Verfassung und „streitbare Demokratie“, S. 117; Maurer, AöR 96 (1971), 203 (230). 86  Vgl. nur Kutscha, Verfassung und „streitbare Demokratie“, S. 118. 87  So stellt Isensee, JuS 1973, 265 (266) ausdrücklich fest, „dass materiell (nicht aber formell) verfassungswidrige Parteien auf grundrechtlicher Legalitätsbasis am politischen Leben teilnehmen“ dürfen. Gleichwohl ist seiner Meinung nach allein der Ausspruch über die Folgen der festgestellten Verfassungswidrigkeit konstitutiv (Fn. 10) – eine konsequente und durchaus überzeugende Ansicht, mit der jedoch,

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D. Verwirkung

c) Eigener Erklärungsansatz Dass für Art. 18 GG, auch bei Zugrundelegung eines missbrauchsbezogenen Verwirkungsverständnisses, nichts anderes gelten kann, zeigen auch die folgenden genetischen und teleologischen Erwägungen. aa) Genetisch-systematische Argumentation Die überwiegende Ansicht, die in der Verwirkung eine erst durch das BVerfG zu treffende Entscheidung sieht, die zwar ihren Anlass in dem Grundrechtsmissbrauch, ihren rechtfertigenden Grund aber in der zukünftigen Gefährlichkeit des Antragsgegners hat, passt ihre Auslegung primär einem vermeintlichen Triptychon des Verfassungsschutzes aus Vereinigungsund Parteiverbot sowie Grundrechtsverwirkung an. Sie findet darin zwar Unterstützung in einer langjährigen Rechtsprechungspraxis des BVerfG und der herrschenden Lehre zur streitbaren Demokratie, doch ist eine solche Zusammenfassung der Verfassungsschutzinstitute weder im Grundgesetz selbst noch in seiner Entstehungsgeschichte angelegt. Im Gegenteil wurde Art. 18 GG, historisch betrachtet, zunächst ausschließlich in einen Kontext mit anderen Rechtssätzen gestellt, die heranzuziehen deshalb nicht verabsäumt werden sollte. Systematisch unmittelbar vor der Verwirkungsnorm stehend, sah Art. 19 HChE eine allgemeine Verfassungstreuepflicht des Bürgers vor,88 die in das Grundgesetz keinen Eingang fand und deren Relikt allein in der Treueklausel des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG zu finden ist.89 Es ist also durchaus naheliegend, in der Grundrechtsverwirkung eine rechtliche Konsequenz der Missachtung der Verfassungstreuepflicht zu sehen.90 Dem steht zwar nicht unmittelbar entgegen, dass die Grundrechtsverwirkung als präventives Institut zum Schutz der Verfassung begriffen wird, es tritt aber eine weitere, oft übergangene Komponente hinzu: Die Normierung einer Grenze des Schutzes durch die Verfassung. Diese Grenze dient freilich gerade auch dem Schutz der Verfassung, doch hatte die Grundrechtsverwirkung demnach wohl zu allererst die Funktion, dem Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht unter Berufung auf die Freiheiten des Grundgesetzes rechtliche was auf die parallele Ansicht zu Art. 18 GG ebenso zutrifft, praktisch nicht viel gewonnnen ist. 88  „Artikel 19. Jeder hat die Pflicht der Treue gegen die Verfassung und hat Verfassung und Gesetze zu achten und zu befolgen.“ 89  Vgl. dazu auch Dürig, Grundrechtsverwirklichung, in: summum ius summum iniura, S. 80 (93); Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 33. 90  So insbesondere T. I. Schmidt, Grundpflichten, S.  189 f.



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung117

Grenzen zu ziehen. Der Verfassungsschutz ist dabei selbstverständlich die langfristige Folge einer solchen Vorkehrung, es geht aber in concreto weniger um den Schutz vor einem einzigen besonders gefährlichen Individuum, dessen Notwendigkeit zu Recht in Frage gestellt werden kann,91 sondern vielmehr darum zu verhindern, dass die Freiheit des Einzelnen in der Demokratie als vollkommen neutral und ungebunden an ihre ideellen Voraussetzungen interpretiert werden kann. Unterstützung findet diese These, wenn man bedenkt, dass die Grundrechtsverwirkung im Laufe des Entstehungsprozesses bisweilen in einem Artikel mit der Unantastbarkeit des grundrechtlichen Wesensgehalts, dem jetzigen Art. 19 Abs. 2 GG, gefasst wurde.92 Die Verwirkung erscheint dabei wiederum als Grenze der Unantastbarkeit. Dagegen lässt sich einwenden, dass im Grundgesetz die Reihenfolge beider Normen umgekehrt ist, so dass die Unantastbarkeit des Wesensgehalts vielmehr trotz der Verwirkbarkeit von Grundrechten bestehen soll. Ungeachtet der praktischen Konsequenzen für die Grundrechtsverwirkung, die sich hieraus möglicherweise ergeben, zeigt diese ursprüngliche Systematik abermals überdeutlich die eigentliche Bedeutung der Verwirkungsnorm. Die Grundrechte sollten zwar unbedingte Geltung erlangen und die Staatsgewalt uneingeschränkt binden, sie sollten aber auch nicht jegliche Handlungsweise schützen. Die Grundrechtsverwirkung kann dabei eine Richtung für die Auslegung von grundrechtlicher Freiheit aufzeigen. Eine Änderung hat auch die Verwirkbarkeit des Eigentums im Laufe des Entstehungsprozesses erfahren. So sah der Grundsatzausschuss zunächst von einer Einbeziehung des Eigentums in den Verwirkungsartikel ab, da Art. 14 Abs. 2 Satz 3 in der Fassung vom 1. Dezember 1948 bereits eine allgemeine Missbrauchsklausel enthielt.93 Wohl wegen der nur in Art. 18 GG enthaltenen Zuweisung zum BVerfG wurde der Eigentumsmissbrauch wieder in den Verwirkungsartikel einbezogen.94 Zumindest im Fall der Verwirkung der Eigentumsfreiheit zeigt die Genese von Art. 18 GG mithin, dass hier ein allgemeines Missbrauchsverbot aufgestellt werden sollte. Gerade die Verwirkbarkeit von Art. 14 GG, die nach dem üblichen Verständnis der Grundrechtsverwirkung wie ein Fremdkörper zwischen den politisch interpretierbaren Kommunikationsfreiheiten anmutet, lässt sich sinnvoll nur mit dieser Entstehungsgeschichte erklären. Aus der Formulierung von etwa Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, S. 136. der ausdrückliche Wille v. Mangoldts, in: Der Parlamentarische Rat V, S. 671, 755. 93  „Wer sein Eigentum missbraucht, kann sich auf den Schutz dieser Bestimmung nicht berufen.“; JöR n. F. Bd. 1 (1951), 171 (172) (Fn. 5). 94  JöR n. F. Bd. 1 (1951), 171 (176). 91  So 92  So

118

D. Verwirkung

Art. 14 Abs. 2 Satz 3, später Abs. 3 des Grundsatzausschusses lässt sich darüber hinaus ablesen, dass diese Art der Verwirkung ipso iure mit dem Missbrauch des Eigentums eintreten und letztlich die inhaltliche Grenze dieser Freiheit markieren sollte. Dass durch die Einfügung der Bestimmung in Art. 18 GG kein Bedeutungswandel vollzogen werden sollte, erscheint angesichts der Begründung für diese Entscheidung sehr wahrscheinlich. So wurde die Missbrauchsregelung in Art. 14 gestrichen, weil sie bereits in Art. 18 enthalten sei und diese Bestimmung den Inhalt des Missbrauchs besser konturiere, indem sie auf die freiheitliche demokratische Grundordnung rekurriere.95 Dass indes die Verwirkungsfolge eine andere sei als die Missbrauchsfolge nach Art. 14 Abs. 3 erscheint unwahrscheinlich, wäre doch die Streichung dieser Regelung dann nicht zu erklären. Der Allgemeine Redaktionsausschuss ging stattdessen davon aus, dass der Missbrauchsvorbehalt bereits in Art. 18 vollständig enthalten und deshalb überflüssig sei. Der Antrag des Abgeordneten Seebohm, dass Satz 3 in Art. 14 Abs. 2 gestrichen werden müsse, um zu verhindern „dass über die Strafgesetze hinaus ein Unrechtstatbestand, der zur Verwirkung des Eigentums führt“, geschaffen werde,96 zeigt deutlich, dass die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates die Missbrauchsregelung, wonach sich auf den Schutz des Art. 14 nicht berufen könne, wer das Eigentum missbraucht, als gleichbedeutend mit einer Verwirkung der Eigentumsfreiheit ansahen. Diese Erkenntnis hat letztlich Auswirkungen auf das Verständnis der Verwirkungsentscheidung des Art. 18 GG insgesamt; es ist unwahrscheinlich, dass die Verwirkung der Eigentumsfreiheit hierbei anders zu verstehen ist als die der Kommunikationsgrundrechte. Damit tritt aber der Aspekt des in die Zukunft gerichteten Verfassungsschutzes in den Hintergrund zugunsten einer allgemeinen Bindung grundrechtsgeschützten Handelns an Wert und Sinn der verfassungsrechtlichen Freiheit. Zwar sollte eben dies nachweislich dem Schutz der Demokratie vor dem „Selbstmord“ dienen,97 doch war das Mittel der Verwirkung wohl simpler und weniger einschneidend gedacht, als es heute scheint. Letztendlich bedeutete seine Einführung auf der einen Seite einen Ausblick für die – in der WRV noch nicht existierenden – weitreichende Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt, auf der anderen Seite eine Vorkehrung gegen ein vermeintlich relativistisches Demokratieverständnis. Demgemäß sollte die Möglichkeit der Grundrechtsverwirkung dem Grundrechtsadressaten neben den allgemeinen und besonderen Grundrechtsschranken eine Grenze des grundrechtlichen Schutzes und dem Rechtsanwender nicht an Grundrechten zu messende Eingriffsbefugnisse aufzeigen. 95  JöR

n. F. Bd. 1 (1951), 149. n. F. Bd. 1 (1951), 148. 97  Vgl. nur JöR n. F. Bd. 1 (1951), 171 (172). 96  JöR



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung119

Bezeichnenderweise gerät damit zugleich die ganz herrschende Interpretation von Art. 18 GG als – auch international – verfassungsrechtliches Novum ins Wanken. So darf, wie bereits dargestellt, nach Art. 30 AEMR keine Bestimmung dahingehend ausgelegt werden, „dass sich daraus […] irgendein Recht ergibt, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, welche auf die Vernichtung der in dieser Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten abzielen“.98 Nahezu gleichlautend wurde später Art. 5 Abs. 1 der beiden Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte formuliert.99 Diese Konzeption entspricht in auffälliger Weise dem eben dargestellten Verständnis von Art. 18 GG, wonach die Norm nicht nur ein spezielles Missbrauchsverbot, sondern gerade auch eine Richtlinie für die Auslegung der Grundrechte bedeutet. Schließlich erscheint eine Anlehnung an diese nur wenig zuvor entstandene, international anerkannte Vorschrift doch sinnvoller als der völlige Alleingang des Grundgesetzes. bb) Teleologische Argumentation: Strafprozessualer Charakter der Entscheidung Als Rechtsverlust infolge eines Rechtsmissbrauchs wird der Verwirkung gelegentlich ein strafähnlicher Charakter bescheinigt.100 Auch die Nähe des Verwirkungsverfahrens nach dem BVerfGG zum Strafprozess101 unterstreicht diesen Befund. Allerdings liegt die Parallele zum Strafprozess im Falle des hier vertrenenen missbrauchsbezogenen Verwirkungsverständnisses weniger im Strafcharakter der Verwirkung begründet. Die Vergleichbarkeit ergibt sich vielmehr daraus, dass die Verwirkungsentscheidung wie das Strafurteil in einem feststellenden und einem gestaltenden Moment besteht. Die Entscheidung im Strafprozess muss zum einen den Rechtsgrund der Verurteilung und zum anderen die Rechtsfolgen als Grundlage der Vollstreckung angeben.102 Zuerst stellt der Strafrichter also die Strafbarkeit des Täters fest, dann spricht er den Umfang der Strafe aus. Wenngleich man auch daraus eine Duplizität des Urteils schließen könnte dergestalt, dass die Feststellung der Strafbarkeit deklaratorischer, die Strafmaßbestimmung indes konstituti98  UN-Doc. 217  / A (III) – Bull. 1951, S. 124, abgedruckt bei Kriele, Die Menschenrechte zwischen Ost und West, S. 69. 99  Vgl. Stern, Staatsrecht III / 2, S. 932. 100  So kategorisiert auch Menzel, Grundfragen der Verwirkung, S. 2 die Verwirkung nach Art. 18 GG in Abgrenzung zu funktionell anderen Verwirkungsinstituten in der Rechtswissenschaft. 101  Sachs, Die Bindung des BVerfG an seine Entscheidungen, S. 231 ff.; ebenso Stern, Staatsrecht III / 2, S. 953. 102  Vgl. etwa Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, S. 383.

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ver Natur ist, bewirkt das Schuldstrafrecht, wonach der Täter erst „schuldig gesprochen“ werden muss,103 einen einheitlich konstitutiven Charakter der Entscheidung. Wenngleich sich der Täter bereits mit Ausführung der tatbestandsmäßigen Handlung strafbar macht – dies besagt eindeutig noch die Vorschrift des § 211 Abs. 2 StGB: „Mörder ist, wer […] einen Menschen tötet.“ – kann er erst in einem gerichtlichen Verfahren für schuldig erklärt werden. Dass zuvor die Unschuldsvermutung gilt, gebietet das Rechtsstaatsprinzip sowie explizit Art. 6 Abs. 2 EMRK. Hier ist es also völlig selbstverständlich, dass ein logischerweise bereits in dem Augenblick der Tatausführung eintretender Umstand erst durch die Gerichtsentscheidung rechtliche Bedeutung erlangt. Dabei handelt es sich – wie bei Art. 18 GG – um eine konstitutive Entscheidung über eine eigentlich ipso iure eintretende Rechtsfolge. Ein Fehlschluss wäre es jedoch, in dieser Parallelisierung eine Bestätigung der Lehre von der Zweiaktigkeit der Verwirkungsentscheidung zu sehen. So entspricht die Zweiteilung der Verurteilung in Rechtsgrund und Rechtsfolge keineswegs der in Art. 18 Satz 2 GG angelegten Aufspaltung der Verwirkungsentscheidung in Feststellung der Grundrechtsverwirkung und Ausspruch ihres Ausmaßes. Das Ausmaß der Verwirkung basiert nämlich nicht wie die Rechtsfolge im Strafrecht auf der Verwirkungsfeststellung, sondern konkretisiert diese lediglich. Die Rechtsfolge der Verwirkung ergibt sich hingegen erst aus den an die Gerichtsentscheidung anknüpfenden Maßnahmen der Behörden. Die Verwirkung ist deshalb – wie zumeist richtig erkannt wird – auch nicht etwa als Strafe des Missbrauchs anzusehen, sondern rechtslogische Konsequenz desselben. Diese Besonderheit der Verwirkungsentscheidung wird in jüngerer Zeit oft dergestalt umschrieben, dass die Verwirkung durch das BVerfG „aktualisiert“ werde, ohne dass dabei jedoch näher auf die Rechtsnatur der Entscheidung eingegangen wird.104 d) Auswirkung auf die rechtliche Einordnung des Verwirkungsausspruchs Im Laufe seiner Interpretationsgeschichte wurde Art. 18 GG zunehmend aus seinem ursprünglichen Kontext gerissen und deshalb meist falsch nur mit den Verfassungsschutzinstituten des Grundgesetzes in Verbindung gebracht. Daher rührt vermutlich die Anlehnung seiner rechtlichen Wirkung an Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG, wonach dem Betroffenen ein bestimmtes grundrechtlich geschütztes Verhalten für die Zukunft unmöglich gemacht nur Kühne, Strafprozessrecht, § 60 II Rn. 995. in: v. Mangoldt  /  Klein  /  Starck, GG, Art. 18 Rn. 20; ähnlich Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (144). 103  Siehe

104  Brenner,



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung121

werden soll. Die Genese sowie Sinn und Zweck der Verwirkungsnorm im System der Grundrechte implizieren aber ein andere Verständnis: Die Verwirkung dient eher dazu, einer Person für eine konkrete missbräuchliche Handlung den grundrechtlichen Schutz zu versagen. Die Vorschrift des Art. 18 GG kann daher nicht anders verstanden werden, als dass die Verwirkung unmittelbare Rechtsfolge des Grundrechtsmissbrauchs ist, wegen Satz 2 aber rechtlich erst durch die insofern als konstitutiv zu bezeichnende Entscheidung des BVerfG Wirksamkeit erlangt. Diese Einordnung ist aber ohnehin nicht von maßgeblicher Bedeutung, solange Konsens darüber besteht, dass die Verwirkung erst durch die Entscheidung des BVerfG rechtlich beachtlich wird. Die praktische Konsequenz des BVerfG-Monopols steht hier nicht zur Bewertung, sie muss zunächst schlicht als Dezision des Verfassungsgebers hingenommen werden. Praktisch wichtig ist vielmehr die Einordnung der Verwirkung als – untechnisch gesprochen – Grenze des Grundrechtsschutzes, sind mit ihr doch, wie noch zu zeigen sein wird, verschiedenste rechtliche Folgen verbunden. 3. Verhältnis der missbrauchten Freiheit zum verwirkten Grundrecht Dem aufmerksamen Leser des Art. 18 GG stellt sich unweigerlich eine weitere Frage: Hat der Missbrauch eines der dort genannten Grundrechte die Aberkennung nur eben jenes Grundrechts oder aber aller aufgezählten Grundrechte zur Folge? Der Wortlaut des Artikels bleibt hinsichtlich der Frage, wie sich das missbrauchte Grundrecht zu den verwirkbaren Grundrechten verhält, unklar. Ob sich aber das BVerfG in seiner Entscheidung nur mit dem missbrauchten Grundrecht auseinandersetzen muss, oder ob seine Gestaltungsmacht so weit geht, darüber hinaus auch andere in Art. 18 GG genannte Grundrechte für verwirkt zu erklären, macht einen grundlegenden Unterschied und ist deshalb von großer praktischer Relevanz. Die Zulässigkeit der „internen“ Verwirkungserstreckung105 wird immer wieder im Zusammenhang mit Art. 18 GG diskutiert, wenngleich der Meinungsstand übersichtlich ist und es im Wesentlichen nur zwei unterschiedliche Ansichten zu der Frage gibt. a) Die Identitätslehre Die sog. Identitätslehre geht davon aus, dass der Missbrauch etwa der Meinungsfreiheit nicht zugleich die Verwirkung der Vereinigungsfreiheit mit sich 105  So

die Bezeichnung von Stern, Staatsrecht III / 2, S. 960.

122

D. Verwirkung

bringen kann.106 Für diese Theorie spricht die Konnexität zwischen Missbrauch und Verwirkung, die ausschließt, dass mit dem Missbrauch nur eines Grundrechts gleichsam automatisch alle übrigen in Art. 18 GG genannten Grundrechte verwirkt werden.107 Auch der ultima-ratio-Charakter der Verwirkungsnorm scheint eine solche Auslegung zu gebieten.108 Schließlich wird aus einer systematisch und teleologisch gebotenen Identität von Missbrauchsfeststellung und Verwirkungsausspruch geschlossen, dass das BVerfG für einen effektiven Verfassungsschutz lediglich eine auf die durch Tatsachen begründete Gefährlichkeit des Antragsgegners gestützte „Missbrauchsprognose“ abgeben und die Verwirkungsentscheidung dem anpassen müsse, so dass die Identität von Missbrauch und Verwirkung gewahrt bleibe.109 Dabei bleibt allerdings unklar, was unter einer „Missbrauchsprognose“ zu verstehen ist. Schließlich ist der Missbrauch ja gerade das in der Vergangenheit liegende, den Verwirkungsantrag auslösende Ereignis, das keiner Prognose des Gerichts, sondern vielmehr einer schlichten Feststellung bedarf. b) Die „interne“ Verwirkungsextension110 Eine andere Ansicht111 hält die Identitätslehre indes für wirklichkeitsfremd, da dem Betroffenen hernach noch genug andere politische Betätigungsmöglichkeiten verbleiben würden. Der Antragsteller brauche lediglich von der Presse auf den Verein auszuweichen, so dass immer wieder ein neuer Antrag gestellt werden müsse.112 Um dem wirksam entgegentreten zu können, sei deshalb regelmäßig ein Verlust sämtlicher von Art. 18 GG katalogisierter Grundrechte notwendig. Das befürchtete „Possenspiel“113 des Verwirkungsgegners ist in der Tat ein recht überzeugendes Argument der Befürworter einer „internen“ Verwirkungserstreckung. Ihnen geht es vorranetwa Čopić, JZ 1963, 494 (498). explizit Schmitt Glaeser, in: Merten  /  Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74

106  Vgl. 107  So

Rn. 34. 108  Vgl. Wernicke, in: BK-GG, Art. 18 Erl. 1 f), S. 6; in diesem Sinne auch Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (160). 109  Dies vertritt etwa Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 34. 110  Nach Butzer, in: Epping  / Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar, Art. 18 Rn. 12 handelt es sich hierbei um die sog. „Ausstrahlungstheorie“, eine freilich unpräzise und vor allem mit der hiervon völlig verschiedenen Lehre von der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte leicht verwechselbare Bezeichnung. 111  Vgl. vor allem Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S.  137 im ­Anschluss an Dürig, in: Maunz  /  Dürig, GG, Art. 18 Rn. 31 ff.; ferner Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 16. 112  So Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 40: die Identitätslehre bewirke somit einen „sukzessiven Verfassungsschutz“. 113  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 137.



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung123

gig um einen effektiven und lückenlosen Verfassungsschutz, den sie durch die Identitätslehre verständlicherweise in Gefahr sehen. Trotz des prinzipiellen Ausnahmecharakters der Vorschrift suchen sie demgegenüber, die Erreichung des mit der Ausnahme angestrebten Ziels nicht unnötig zu erschweren. Triftige Gründe, die eine Lähmung des mit Art. 18 GG bezweckten Verfassungsschutzes rechtfertigen könnten, sehen sie dagegen nicht.114 Auch der Wortlaut der Verwirkungsnorm („[…] verwirkt diese Grundrechte.“) sowie des § 39 Abs. 1 Satz 3 BVerfGG („andere als die verwirkten Grundrechte“) können für dieses Verständnis streiten.115 Schließlich spricht mit Thiel die Nennung des Asylrechts für die Möglichkeit einer Verwirkungsextension auf andere der aufgezählten Grundrechte. Da ein Missbrauch nur des Art. 16a Abs. 1 GG schlechterdings undenkbar sei, führe seine Aufnahme in Art. 18 GG dazu, dass bei Asylanten etwa neben der missbrauchten Meinungsfreiheit auch eine Aberkennung des Asylrechts möglich sein soll.116 Hiergegen ließe sich jedoch einwenden, dass der Verfassungsgeber vermutlich das Asylrecht deshalb eingefügt hat, weil er im Missbrauch etwa der Meinungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung durch einen Asylanten einen gleichzeitigen Missbrauch des Asylrechts des gastgebenden Staates sah. Dann ergibt sich hieraus aber kein Argument für die interne Extension des Verwirkungsausspruchs, sondern es liegt schlicht ein Fall von zwei missbrauchten und deshalb auch verwirkten Grundrechten vor. Etwas modifiziert vertritt auch Stern die extensive Ansicht. Ihm zufolge kann eine Erstreckung auf andere als die missbrauchten Grundrechte aber nur dann in Betracht kommen, wenn ihre Schutzgüter in einem inneren Zusammenhang stehen. Dies sei etwa für Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG der Fall, ebenso für die Versammlungs- und die Vereinigungsfreiheit. Soweit die Grundrechte aber derart verschiedene Freiheitsbereiche erfassen wie etwa die Eigentumsfreiheit einerseits und das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis andererseits, sei eine Verwirkungskombination nicht zu rechtfertigen.117 114  Siehe Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 137  f.; entsprechend argumentiert Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 48 mit einer wirksamen Entpolitisierung des Missbrauchenden. 115  Dies erkennt auch Stern, Staatsrecht III / 2, S. 960 an; ebenso Seiters, in: Umbach / Clemens, GG, Art.  18 Rn.  36; Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 48; Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 39 geben allerdings mit Recht zu bedenken, dass hier Philologie und Satzbau kaum weiterhelfen; ebenso Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 34. 116  Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (160). 117  Vgl. Stern, Staatsrecht III / 2, S. 960 f.; demgegenüber geht Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 34 pauschal davon aus, dass die in Art. 18 GG genannten Grundrechte sämtlich eng beieinander liegen und gleichsam

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D. Verwirkung

Teilweise wird außerdem vertreten, dass eine Erstreckung der Verwirkung auf andere verwirkbare Grundrechte nur nach Maßgabe des jeweiligen Antrags möglich sei.118 Warum das BVerfG, das im Verfahren grundsätzlich die Verfassungsmäßigkeit einer Maßnahme oder eines Gesetzes in jeglicher Hinsicht und ohne Bindung an den Antrag prüft,119 hier aber ausnahmsweise an den Antrag gebunden sein soll, ist nicht ersichtlich. Schließlich soll nach einer vermittelnden Lösung die zukünftige Gefährlichkeit des Antragsgegners einzig ausschlaggebend für den Umfang der Verwirkung sein.120 So sei entscheidend, ob dem Antragsgegner noch Mittel zur Verfügung stünden, seinen Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung fortzusetzen, wobei regelmäßig die Aberkennung nur der missbrauchten Grundrechte genügen werde.121 Dies gebiete letztendlich auch der rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsgrundatz.122 Angesichts dieses jeder hoheitlichen Entscheidung zugrunde liegenden Prinzips werden letztlich alle Vertreter der extensiven Auffassung eine Orientierung an der Gefährlichkeit des Gegners für die Zukunft bejahen,123 so dass hier streng genommen und entgegen verschiedener Darstellungen gar keine verschiedenen Ansichten innerhalb der Erstreckungslehre auszumachen sind. nur „Spielarten“ oder „Hilfsrechte“ der dominierenden Meinungsfreiheit seien. Diese Ansicht lässt sich – gerade in Anbetracht des von Stern genannten prägnanten Beispiels der Eigentumsfreiheit und des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis­ses – keinesfalls aufrechterhalten. 118  Vgl. Seuffert, Zum Verfahren nach Art. 18 GG, in: Festschrift Geiger, S. 797 (803); Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (161). 119  Lechner / Zuck, BVerfGG, Vor § 17 Rn. 9 ff. 120  So etwa Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S.  207 f.; ders., in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 35; in diesem Sinne auch Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Graßhof, S. 289 (299). 121  Vgl. Seiters, in: Umbach  / Clemens, GG, Art. 18 Rn. 36: Allein die Prognose des zukünftigen Verhaltens des Antragsgegners unter Berücksichtigung seines bisherigen Verhaltens erlaube daher eine weitreichendere Verwirkungsentscheidung. Genau entgegengesetzt hierzu geht indes Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 34 davon aus, dass dies häufig dazu führen dürfte, „dass neben dem missbrauchten auch noch weitere Grundrechte vom Verwirkungsausspruch betroffen werden“. 122  Statt vieler Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 49; Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (161) schließt aus diesem Prinzip sogar, dass das BVerfG die Verwirkung trotz Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale überhaupt nicht aussprechen müsse, wenn es nicht von ihrer Angemessenheit überzeugt sei. Dies ist jedoch eine im Sinne der Rechtsstaatlichkeit durchaus fragwürdige Schlussfolgerung. 123  Vgl. nur Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 41, die dabei aber keinesfalls von einer Einschränkung der extensiven Lesart von Art. 18 GG sprechen, sondern die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als selbstverständlich voraussetzen.



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung125

c) Eigene Argumentation So klar die Positionen in diesem Streit auszumachen sind, so wichtig ist eine Entscheidung zwischen ihnen. Es macht für den Antragsgegner im Verfahren nach Art. 18 GG schließlich einen nicht eben geringen Unterschied, ob er in Gefahr steht, alle im Verwirkungsartikel genannten Grundrechte zu verlieren, oder aber nur die von ihm missbrauchten. Bedenkt man diese durchaus einschneidenden Folgen, erscheint es geradezu konträr zum telos des Grundrechtsschutzes, eine Erstreckung der Verwirkungsentscheidung auch auf andere, nicht missbrauchte Grundrechte allein aus utlitaristischen Gründen zuzulassen. Vielmehr können nur rechtsdogmatische Befunde diese extensive Auffassung stützen oder widerlegen. Die extensive Verwirkungslehre rührt einzig daher, dass sie die präventive Verfassungsschutzwirkung des Art. 18 GG in den Vordergrund rückt. In der Tat wäre es im Sinne eines effektiven Schutzes der Verfassung, wie er gemeinhin von Art. 9 Abs. 2 sowie 21 Abs. 2 GG und eben auch Art. 18 GG erwartet wird, zweckmäßig, wenn das BVerfG mit nur einem einzigen Verwirkungsverfahren gleich alle in Betracht kommenden Grundrechte für verwirkt erklären könnte. Soll für diese Entscheidung letztlich die prognostizierte Gefährlichkeit des Antragsgegners ausschlaggebend sein, so ist es nur konsequent, auch potentiell gefährliche Grundrechte präventiv abzuerkennen, deren Freiheitsgehalt (noch) nicht missbraucht wurde; dabei könnten grundsätzlich alle in Art. 18 GG genannten Grundrechte als mögliche „Ausweichgrundrechte“ verwirkt werden. Dass dies freilich dem mit Art. 18 Satz 2 GG gerade angestrebten größtmöglichen Rechtsschutz nicht eben zuträglich ist, kann unter dieser Prämisse, deren Verwirklichung schließlich nicht minder bedeutsam ist, durchaus hinzunehmen sein.124 Die eigentlichen Zweifel gegen diese Auffassung liegen vielmehr darin begründet, dass sie zwar teleologisch verständlich, aber dogmatisch nicht nachzuvollziehen ist. Wie bereits dargelegt, ist die Verfassungsschutztrias aus Vereinigungsverbot, Parteiverbot und Grundrechtsverwirkung, so geläufig sie mittlerweile dem Juristen sein mag, weder im Grundgesetz selbst angelegt noch den Materialien des Parlamentarischen Rats zu entnehmen. Wohl sollte Art. 18 GG nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers dem Zweck dienen, die Verfassung vor dem politischen Selbstmord zu bewahren,125 doch ist keine Rede von einer durch die Gefährlichkeitsprognose gleichsam in die Zukunft gerichteten Ausschaltung missliebiger Personen. Diese Norm unterstreicht vielmehr nur, dass sich auf bestimmte Grundrechte nicht berufen kann, wer 124  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 137 ist darin durchaus beizupflichten. 125  Vgl. JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 171 (172).

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D. Verwirkung

sie ihrem Geiste zuwider gebraucht.126 Erst aus der Einfügung des Satzes 2 in Art. 18 GG ergibt sich eine dogmatisch nicht leicht nachvollziehbare Zwischenschaltung des BVerfG, so dass die Verwirkung erst mit dessen Ausspruch rechtliche Wirkung erlangen kann. Wenn man aber die Verwirkung trotzdem – und weder grammatikalisch noch historisch spricht etwas dagegen – als direkte Folge eines bestimmten Grundrechtsmissbrauchs betrachtet, erscheint die extensive Auslegung von Art. 18 GG, wonach der Missbrauch nur eines Grundrechts theoretisch zur Aberkennung aller dort aufgezählten Grundrechte führen kann, abwegig. Soweit der Antragsgegner nämlich alle anderen Grundrechte bislang nicht nachweislich missbraucht hat, kann er sie jedenfalls rechtslogisch auch nicht verwirkt haben. Für die Identitätslehre spricht daher die zivilistische Auslegung des Missbrauchsbegriffs und der Verwirkung als infolgedessen eintretende Rechtsschmälerung. Für die gleichzeitige Aberkennung auch anderer, nicht missbrauchter Grundrechte ist dabei dogmatisch besehen kein Raum. Auch faktisch erscheint eine solche Verwirkungsextension nicht notwendig. Schließlich gewährt Art. 18 GG auch bei diesem Verständnis einen wirksamen Verfassungsschutz – und zwar nach „unten“ sowie nach „oben“: Sie verhindert einerseits einen allzu toleranten Umgang mit Gegnern der Freiheitsordnung und andererseits einen Missbrauch dieser ja ihrerseits freiheitsverkürzenden Regelung durch die Behörden. Damit ist aber das Argument, nur das generell-präventive Verwirkungsverständnis, welches wiederum die Erstreckung der Verwirkung auch auf andere als die missbrauchten Grundrechte erzwinge, sei im Sinne eines effektiven Verfassungsschutzes zu Grunde zu legen, hinfällig. Das Bedürfnis für diese Auslegung ist also, entgegen den Ausführungen ihrer Vertreter, bei weitem nicht so groß, wie ihr Pessimismus gegenüber der Effektivität der Verwirkungsentscheidung vermuten lässt. 4. Verwirkung anderer Grundrechte Unmittelbar an dieses Problem schließt sich die Frage an, ob allein die in Art. 18 GG aufgezählten Grundrechte verwirkbar sind oder auch andere Grundrechte dem Verwirkungsausspruch anheim fallen können. Nach ganz überwiegender Auffassung ist der Katalog der Grundrechte in Art. 18 GG abschließend.127 Doch stößt diese Lehre auf unüberwindbare Hindernisse, 126  So die prägnante Formulierung von Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 709. 127  Vgl. nur Stern, Staatsrecht III  / 2, S. 957; Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (298); Krebs, in: v. Münch /  Kunig, GG, Art. 18 Rn. 17; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 21; Brenner, in:



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung127

führt man sich nur das Beispiel vor Augen, dass ein Berufsjournalist die Meinungsfreiheit verwirkt haben soll.128 Dies käme letztlich einer Verwirkung seiner Berufsfreiheit gleich. Dürig / Klein konstatieren deshalb, dass der Katalog der Grundrechte keine „beziehungslose Hintereinanderreihung von Ansprüchen“ sei.129 Die Grundrechte stellen ihnen zufolge jeweils einen bestimmten Lebenssachverhalt, eine bestimmte Freiheitsbetätigung unter besonderen Schutz und überschneiden sich dabei nicht selten. Danach ist es nahezu unvermeidbar, dass die Verwirkung eines Grundrechts auch den Schutzbereich eines anderen berührt. Vor allem interessant und von zunehmender Bedeutung ist dies für die Religionsfreiheit, die in Lehre und Rechtsprechung einen besonderen Stellenwert genießt, gleichwohl aber im Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingesetzt werden kann.130 a) Die verschiedenen Positionen Gegen eine Extension der Verwirkung auch auf andere Grundrechte wird etwa angeführt, dass gerade die Beibehaltung der wesentlichen Grundrechte der Persönlichkeit, der Freiheit, der Gleichheit, der Religionsfreiheit dazu führe, dass der Antragsgegner durch die Verwirkungsentscheidung eben nicht rechtlos gestellt werde.131 Sicher soll die Enumeration nur einer begrenzten Zahl von Grundrechten bewirken, dass eben nur diese verwirkt werden können. So kann man einerseits davon ausgehen, dass der Grundgesetzgeber allein die dort genannten Rechte nicht nur als freiheitskonstituierend, sondern gleichzeitig als freiheitsbedrohend ansah. Dann wäre allerdings zu diskutieren, ob der Katalog mittlerweile nicht gewissermaßen überholt ist. Konnte sich der Parlamentarische Rat seinerzeit womöglich einen Missbrauch der Religionsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung noch nicht vorstellen, so erscheint eben dies v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 41; siehe auch die Bedenken hiergegen bei Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 35. 128  Dies hat das BVerfG explizit, jedoch ohne weitere Begründung, für zulässig erklärt, BVerfGE 10, 118 (122); vgl. hierzu auch Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 139. 129  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 34, die an dieser ausführlich ihre These des grundrechtlichen „Wert- und Anspruchssystems“ verteidigen und untermauern. So viel diese auch für sich hat, scheint das Enumerationsprinzip des Art. 18 GG doch eher gegen sie zu sprechen. Einiges spräche daher dafür, dass vor diesem Hintergrund entweder die eben genannte These Dürig / Kleins nicht zutrifft oder aber der Verfassungsgeber das Problem verkannt hat. 130  Vgl. auch Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 34. 131  Vgl. Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, §  39 Rn.  28; ebenso Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 18 Rn. 6.

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D. Verwirkung

aus heutiger Sicht doch die vermutlich dringlichste Gefahr. Andererseits stellt die Aufzählung nur einzelner Grundrechte in Art. 18 GG auch eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar. Dieses wäre zwar auch verwirklicht, wenn jedes Grundrecht verwirkbar wäre, da auch das BVerfG bei seiner Entscheidung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet ist.132 Es kann daher durchaus gefragt werden, ob die Verfassung an dieser Stelle zugunsten einer besseren Reaktionsfähigkeit auf die sich ändernden realen Verhältnisse normativ offen bleiben sollte. Doch ist die rechtspolitische Entscheidung des Parlamentarischen Rats in jedem Fall zu respektieren, so dass allein mit dem Wortlaut von Art. 18 GG eine mögliche Verwirkung nur ganz bestimmter Grundrechte angenommen werden kann.133 Damit ist jedoch noch nicht die Frage gelöst, was geschieht, wenn sich in einem konkreten Missbrauchsfall das „verwirkbare“ Freiheitsrecht logisch nicht von einem „nicht verwirkbaren“ Freiheitsrecht trennen lässt. Dass diese Möglichkeit besteht, zeigen die Beispiele des extremistischen Berufsjournalisten oder des fundamental-religiösen Freiheitsbekämpfers. Nahe liegen zum einen die restriktive Lösung, eine solche Grundrechtsverwirkung gar nicht zuzulassen; zum anderen die extensive Lösung, die Verwirkung zuzulassen, wenn mit der Ausübung des verwirkten Grundrechts zwangsläufig die Ausübung anderer Grundrechte verbunden ist.134 Letzteres soll nach der wohl überwiegenden Auffassung jedenfalls dann gelten, wenn dem mitbetroffenen Grundrecht kein Vorrang vor dem verwirkten zukommt.135 132  Siehe nur Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 18 Rn. 6; zu beachten ist allerdings, dass die Aufnahme des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus dem polizeirecht­ lichen Übermaßverbot erst im Laufe des Bestehens des Grundgesetzes stattgefunden hat. Zur Übernahme des Verhältnismäßigkeitsprinzips in das Verfassungsrecht grundlegend Schneider, Zur Verhältnismäßigkeits-Kontrolle bei Gesetzen, in: Festgabe BVerfG, S. 390 (393 ff.). 133  Vgl. auch W. O. Schmitt, NJW 1966, 1734 (1737), der zugleich richtig bemerkt, dass die Tatsache, dass der Verfassungsgeber um die innere Verkettung der Grundrechte wusste, nicht unbedingt zu dem Schluss führen muss, er habe damit eine Beeinträchtigung anderer, in Art. 18 GG nicht genannter Grundrechte von vornherein akzeptiert. Im Gegenteil hat er ja trotz dieses Wissens bewusst nur ganz bestimmte Grundrechte in den Katalog der Grundrechtsverwirkung aufgenommen. 134  Selbst restriktive Auffassungen, die eine Reflexwirkung auf andere Grundrechte grundsätzlich nicht zulassen wollen, nehmen allerdings – soweit ersichtlich – die Zulässigkeit unvermeidbarer Überlagerungen in den engen Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips grundsätzlich mit der Begründung des effektiven Verfassungsschutzes an: Es geht daher lediglich um graduelle Unterschiede bei der Vorrangigkeit von Grundrechten bzw. Verfassungsschutz in der Abwägung. Andere Begründungsansätze werden indes kaum herangezogen; vgl. etwa Seiters, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 18 Rn. 37. 135  So etwa Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 18 Rn. 6 m. w. N.



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung129

b) Lösung über die Grundrechtskonkurrenzen In der Tat scheint die extensive Lösung des Problems im Sinne eines effektiven Verfassungsschutzes geradezu zwingend. Müsste das Gericht auf die Entscheidung einer dringend gebotenen Grundrechtsverwirkung allein deshalb verzichten, weil der Antragsgegner den Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gleichsam zu seinem Beruf gemacht hat oder ihn aus (jedenfalls vermeintlich) religiöser Überzeugung führt, bestünde eine schwerwiegende Lücke im Verfassungsschutz. Gleichzeitig dürfen die mitunter sehr tiefgreifenden Folgen, die gerade eine Aberkennung der Berufsfreiheit nach sich ziehen könnte, sowie das im Grundgesetz zutage tretende unbedingte Gebot religiöser Toleranz nicht vernachlässigt werden.136 Zuerst ist allerdings danach zu unterscheiden, ob eine echte Idealkonkurrenz vorliegt, oder ob im Rahmen einer Betroffenheit verschiedener Grundrechte das eine hinter das andere zurücktritt (sog. Gesetzeskonkurrenz).137 Liegt ein solcher Fall von Grundrechtsspezialität vor, ist im Falle des Überwiegens des verwirkbaren Grundrechts die Lösung einfach: Da das nicht verwirkbare Grundrecht ohnehin als lex generalis gegenüber dem verwirkbaren Grundrecht subsidiär ist, stellt sich das Problem seiner „Mitverwirkung“ gar nicht. Das Problem des „Mitverwirkens“ muss sich jedoch bei echter Grundrechtskonkurrenz (Idealkonkurrenz) stellen, wenn also das verwirkbare und das nicht verwirkbare Grundrecht auf den gleichen Sachverhalt parallel Anwendung finden. Allerdings wird es regelmäßig so sein, dass die Verwirkungsentscheidung nur einen Aspekt der Freiheitsbetätigung betrifft und zwar regelmäßig ihren politisch relevanten Inhalt. So wird es im Falle des Redakteurs, welcher Schriften, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, veröffentlicht, vorrangig um seine Meinungs- und Pressefreiheit und nur nachrangig um die Berufsausübung gehen. Zwar kann die Grundrechtsverwirkung durchaus eine Reflexwirkung auf ein anderes Grundrecht nehmen, doch muss darin nicht zugleich ein Übergriff auf dieses liegen.138 Dies hat freilich zur Folge, dass nur Art. 5 136  Sehr kritisch gegenüber einer „gegenwärtigen weitherzigen indifferenten Interpretation“ des Art. 4 GG durch die Gerichte besonders vor dem Hintergrund eines wirksamen Verfassungsschutzes nach Art. 18 GG zeigt sich Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 10. 137  Vgl. hierzu ausführlich etwa Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn.  339; zur Grundrechtskonkurrenz, insbesondere im praktisch wohl relevantesten Fall des Art. 5 Abs. 1 GG, und der dogmatischen Problematik bei einer unbesehenen Übertragung der strafrechtlichen Konkurrenzlehre auf das Verfassungsrecht vgl. ausführlich Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 31 ff. 138  Diese Ansicht vertritt auch W. O. Schmitt, NJW 1966, 1734 (1738).

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Abs. 1 GG verwirkt ist und nicht etwa Art. 12 Abs. 1 GG. Unter Berufung auf sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG kann der Redakteur ohnehin nicht gezielt extremistische Meinungen verbreiten. Diese Handlungsweise wird nicht von der Berufsfreiheit, sondern nur von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt.139 Dagegen könnte das BVerfG im Verwirkungsverfahren nach Art. 18 GG kein generelles Berufsverbot aussprechen.140 Das Problem des Mitverwirkens anderer Grundrechte scheint also nur zu bestehen, wenn sich grundrechtliche Schutzbereiche überschneiden. Solange jedes Grundrecht indessen einen eigenen, nicht mit anderen Schutzbereichen teilweise identischen Lebensbereich schützt, kommt es überhaupt nicht zu solchen Friktionen. Konkurrenzen zwischen Grundrechten sollten deshalb a priori auf der Ebene des Tatbestandes anstatt auf der Rechtsfolgenseite gelöst werden.141 Um eine präzise Bestimmung des Gewährleistungsgehalts durch strikte Abgrenzung der grundrechtlichen Tatbestände hatte sich die ältere Rechtsprechung und Literatur noch bemüht.142 Es würde indes den Rahmen dieser Arbeit sprengen, diese grundrechtsdogmatischen Möglichkeit im Einzelnen zu prüfen.

139  Nach Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 21 wird der Garantiebereich der Berufsfreiheit durch die Verwirkung der Pressefreiheit auf die nicht pressespezifische Berufstätigkeit begrenzt. Diese Ansicht muss allerdings insofern eine Modifizierung erfahren, als bei einem Redakteur eine Beschränkung seiner Berufstätigkeit auf die „nicht pressespezifische Berufstätigkeit“ zwangsläufig einem Verbot seiner Berufstätigkeit als Redakteur gleichkommen würde. Diese könnte aber ohne Verwirkung der Berufsfreiheit auf die nicht politische – im Sinne von nicht extremistischer – Ausübung begrenzt werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 32. 140  Siehe im Ergebnis auch Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 141; zwar spricht sich Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 44 explizit auch für die Möglichkeit eines Berufsverbots im Rahmen von Art. 18 GG aus, doch ist aufgrund seiner anderen Ausführungen dies wohl nicht dahingehend zu verstehen, dass das BVerfG auch eine Verwirkung des Art. 12 Abs. 1 GG aussprechen könnte, sondern soll offensichtlich nur als Reflex der Verwirkung anderer Grundrechte möglich sein. Nicht zu verwechseln ist diese Frage allerdings mit dem Problem des strafrechtlichen Berufsverbots neben Art. 18 GG, vgl. dazu Schnur, VVDStRL 22 (1965), S. 101 (144 ff.); so konnte das BVerfG mit Recht vor dem Hintergrund des Art. 18 GG die allgemeine Zulässigkeit eines strafrechtlichen Berufsverbots annehmen, BVerfGE 25, 88 (96 f.); vgl. hierzu später S. 151 f. 141  In diesem Sinne auch Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, S.  190 ff. 142  Vgl. etwa BVerfGE 30, 292 (334 f.); Fohmann, EuGZR 1985, 49 (51 f.); Gallwas, AöR 95 (1970), 329; Schnur, VVDStRL 22 (1965), S. 101 (144 f.); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 329 f.



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung131

c) Quasi-Verwirkung der Religionsfreiheit? Erwähnung finden soll jedoch das Beispiel der Religionsfreiheit, die in Zeiten eines zunehmenden religiös-fundamentalen Terrorismus’ indirekt zum Objekt einer Verwirkungsentscheidung werden könnte.143 Die Ausübung der Religionsfreiheit auf rein religiösem Gebiet kann indes, wie Maunz mit Recht bemerkt, mittels der Grundrechtsverwirkung ebenso wenig wie die rein wissenschaftliche oder belletristische Betätigung beschränkt werden.144 Allerdings wurde schon im Parlamentarischen Rat ausdrücklich festgestellt, dass unter der Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne von Art. 18 GG auch ein religiös getarntes verfassungsbekämpfendes Verhalten verstanden werden könne.145 Auch soll ein aus der Verwirkungsentscheidung resultierendes Verbot, die religiöse Überzeugung in der Presse öffentlich kundzutun, vor dem Hintergrund des Art. 18 GG zulässig sein. Darin sei nämlich keine Aberkennung der Religionsfreiheit, welche auf andere Weise schließlich weiterhin ausgeübt werden könne, sondern allein ein Verlust des Schutzes der Pressefreiheit zu sehen.146 Bei der Religionsfreiheit ist jedoch stets zu bedenken, dass sie nach der religionsfeindlichen und -diskriminierenden Diktatur der Nationalsozialisten durch das Grundgesetz besonders extensiv garantiert werden sollte und deshalb eine zunächst vorgesehene Begrenzungsklausel, nach der die Religionsausübung nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze garantiert werden sollte, gestrichen wurde.147 Mit der Vorbehaltlosigkeit anerkennt das Grund143  In älterer Literatur wird zumeist allein auf die Gewissensfreiheit nach Art. 4 GG rekurriert, welche allerdings im Rahmen von Art. 18 GG bei politischen „Überzeugungstätern“ wohl regelmäßig hinter die Meinungsfreiheit zurücktreten dürfte, vgl. nur Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 36. Dagegen beschreibt Maunz, Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Peter Lerche, S. 281 (284 f.) bereits das Problem der gleichzeitig mit der Aberkennung der Meinungsfreiheit betroffenen Religionsfreiheit. 144  Maunz, Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Peter Lerche, S. 281 (285). 145  Siehe die Ausführungen des Abgeordneten v. Mangoldt in JöR n.  F. Bd. 1 (1951), S. 171 (172); Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (298); dazu auch Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 394, die allerdings meint, die Grundrechtsverwirkung sei für diesen Fall entstehungsgeschichtlich lediglich „angedacht“, nicht jedoch umgesetzt worden (Fn. 785); die Nichtaufnahme von Art. 4 GG in den Katalog der Verwirkungsnorm rührte indes nach den Ausführungen im Parlamentarischen Rat eindeutig daher, dass sich der „religiöse Fanatiker“ ohnehin nicht auf seine Reli­ gionsfreiheit, sondern lediglich auf die verwirkbare Meinungsfreiheit berufen könne. 146  So Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 21 (Fn. 65); vgl. zum ähnlichen Problem des religiös motivierten Verhaltens der Anhänger einer Partei im Rahmen des Parteiverbots Rixen, in: Kersten / Rixen (Hrsg.), PartG, § 32 Rn. 4 f. 147  Vgl. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 2 m. w. N.

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D. Verwirkung

gesetz den hohen Rang der Religionsfreiheit als Ausprägung des Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde.148 Insoweit ist zu vermeiden, dass eine zu enge Definition des Religionsbegriffs zu einer weitgehenden Schutzlosigkeit führt. Andererseits kann es nicht dem Einzelnen überlassen bleiben, seinem Handeln ein eigenes Verständnis von Religion oder Weltanschauung zugrunde zu legen.149 Daher soll es sich auch nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild um eine Religion bzw. Religionsgemeinschaft handeln müssen, wobei das Selbstverständnis des Betroffenen berücksichtigt werde, so dass es maßgebend auf deren Plausibilität ankomme.150 Bei der Frage, ob die Verwirkung eines in Art. 18 GG genannten Grundrechts nicht eigentlich einer Verwirkung der Religionsfreiheit gleichkommt, wird man deshalb regelmäßig auf die äußerst schwierige Frage stoßen, wann eine Handlungsweise hauptsächlich politisch, wann religiös motiviert ist.151 Dieser Abgrenzung steht jedoch entgegen, dass Art. 4 GG infolge seiner verfassungsrechtlichen Vorbehaltlosigkeit gegenüber den Grundrechten aus Art. 5, 8 und 9 GG lex specialis sein soll.152 Angesichts des unstreitbar hohen Rangs der Religionsfreiheit innerhalb der Grundrechte ist einem solchen verfassungsrechtlich vorgegebenen Spezialitätsverhältnis zuzustimmen. Doch kann diese Erkenntnis nicht dazu führen, dass jedwede als religiös motiviert bezeichnete Handlung grundrechtlich auch als eine solche einzuordnen ist.153 Vielmehr muss es auch in diesem sensiblen Bereich zwar unterstreicht auch Kästner, JZ 1998, 974 f. gibt mit Recht Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 16 zu Bedenken. 150  BVerfGE 24, 236 (247 f.); 33, 23; 108, 282 (299); vgl. auch Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 43: „Die Inhalte von Glauben und Gewissen sind wahrheitsunfähig“; Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: Festschrift Alexander Hollerbach, S. 149 (156) kritisiert an dieser Judikatur zu Recht eine gewisse Widersprüchlichkeit. 151  Auch Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 378 gibt zu Bedenken, dass manche Menschen die Motive ihres politischen Verhaltens maßgeblich aus ihrem Glauben beziehen. 152  Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung, S. 33 hält sogar den Schutz durch die Religionsfreiheit für höherwertig als den durch die Meinungsfreiheit. Umso notwendiger ist freilich eine objektivierbare Grenzziehung zwischen „Meinung“ und „Glaube“. 153  Vgl. auch Kästner, JZ 2998, 974 (980), der betont, dass die Verfassung für unterschiedliche Sachverhalte auch differenzierte Regelungen zur Verfügung stellt, dieses sachbezogene System aber eingeebnet würde, wenn man sonstige Grundrechte von vornherein neben der subjektiv für einschlägig erklärten Religionsfreiheit für unanwendbar befinden würde. Seiner Meinung nach soll Art. 4 GG nur dann lex specialis sein, wenn es um Kultus und Glaubenshandlungen im engeren Sinne gehe. Es handelt sich hierbei jedoch eigentlich weniger um eine Frage der Vorrangigkeit der Religionsfreiheit als um eine präzise und möglicherweise einengende Schutzbereichsbestimmung. Diese nimmt letztlich auch Lindner, Theorie der Grundrechtsdog148  Dies 149  Dies



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung133

vorgeblich religiöse, eigentlich aber allein politische Aktivitäten geben, die allein etwa unter die Meinungs- oder Versammlungsfreiheit fallen.154 Streitig ist die Notwendigkeit einer Abgrenzung von Religion und Politik zwar nicht grundsätzlich, doch finden sich in Literatur und Rechtsprechung kaum taugliche Kriterien hierfür; überhaupt wird das Bedürfnis nach einem differenzierteren Schutzbereichssystem mittels einer kaum nachvollziehbaren Einzelfallkasuistik konsequent umgangen und dabei zugleich auf die rechtlich wenig Halt gewährende Abwägungsebene verlagert. Das BVerfG hat demgemäß in seinem „Kopftuchurteil“ zunächst klargestellt, dass „nicht jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der besonders geschützten Glaubensfreiheit angesehen werden“ könne, vielmehr dürfe „bei der Würdigung eines vom Einzelnen als Ausdruck seiner Glaubensfreiheit reklamierten Verhaltens das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht außer Betracht bleiben“.155 Und wenngleich das BVerfG mit dieser Argumentation – freilich ohne weiteren Begründungsaufwand, der angesichts der verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Kopftuchs vielleicht notwendig gewesen wäre – die Zuordnung des Kopftuchtragens zum Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch die Fachgerichte für verfassungskonform ansehen konnte,156 matik, S. 480 ff. vor, indem er der Einordnung in eine grundrechtliche Dimension eine Analyse der Interessen vorausschickt. Damit sucht er eine objektivierte Bestimmung der subjektiven Grundrechtsbetroffenheit vorzunehmen. 154  So auch Muckel / Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, in: Muckel (Hrsg.), Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, S. 234 (241); Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: Festschrift Alexander Hollerbach, S. 149 (152, 159); problematisch wird diese Aussage aber jedenfalls dann, wenn die Unterscheidung zwischen einer religiösen und einer politisch-säkularen Ebene negiert wird, wie es in einigen – vermehrt auch in Deutschland vertretenen – Kulturkreisen der Fall ist. 155  BVerfGE 108, 282 (298  f.); ausführlich Huster, Der Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität des Staates, S. 14 ff.; van Ooyen, JöR n. F. Bd. 56 (2008), 125 (135 ff.); kritisch Battis / Bultmann, JZ 2004, 581 ff. m. w. N. 156  Kritisch zu dieser unbesehenen Annahme Rademacher, Das Kreuz mit dem Kopftuch, S. 11 m. w. N.; auch Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 387 f., stellt zunächst die Frage nach der Einschlägigkeit von Art. 4 GG, lässt sie aber im Ergebnis offen. Dagegen wurde jedoch eingewandt, dass die gesellschaftliche Deutung des Kopftuches vielmehr in der mangelnden Gleichheit von Frau und Mann bestünde und nach dem vom BVerfG zugrunde gelegten objektiven Empfängerhorizont als „verfassungsfeindlich“ verboten werden könne, vgl. etwa Battis / Bultmann, JZ 2004, 581 (583, 588); es fragt sich jedoch, warum dann überhaupt noch die Religionsfreiheit betroffen sein soll und nicht sinnvollerweise – da es sich ja zumindest objektiv nicht um ein religiöses Symbol handeln würde – nur die Meinungsbzw. allgemeine Handlungsfreiheit. Das Kruzifix wurde gerichtlich ebenfalls als genuin religiöses Symbol und nicht als allgemeines Zeichen abendländischer Kultur-

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D. Verwirkung

würde dieses Ergebnis bei der Beurteilung einer religiös getarnten Agitation gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung doch vermutlich ganz anders ausfallen. Auch ist in Rechtsprechung und Literatur unbestritten, dass das staatliche Definitionsverbot nicht zugleich eine inhaltliche Abgrenzung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit gegenüber anderen Lebensbereichen entbehrlich machen kann. So wird etwa allgemein angenommen, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit trotz finanzieller Förderung einer Reli­ gion nicht in den Gewährleistungsgehalt des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG fällt.157 Starck betont daher zu Recht: „Ebenso wenig wie man alle Handlungen zu Kunst erklären und damit dem Schutz der Kunstfreiheit unterstellen kann, kann man alle oder beliebige Handlungen als Ausfluss der Weltanschauung oder der Religion unter den Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 stellen.“158 So ist nach wohl allgemeiner Auffassung zwar richtigerweise zunächst von dem Selbstverständnis der jeweiligen Religion auszugehen, doch entschieden auch auf die objektiv-rechtliche Umgrenzung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit zu achten, damit diese nicht funktionell zu einer Art allgemeiner Handlungsfreiheit erwächst.159 Allein die Methoden der tatbestandlichen Eingrenzung in der Rechtslehre könnten verschiedener nicht sein. Entgegen zahlreicher Stimmen in der Literatur verteidigt Starck ein historisches Verständnis des Verfassungsbegriffs „Religion“. So soll die Ausübung von Religionen und Weltanschauungen ihm zufolge durch Art. 4 GG nur insoweit geschützt sein, als die Ausübungsmodalitäten den zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes bekannten, in Deutschland praktizierten Religionen und Weltanschauungen vergleichbar sind. Zwar widerspricht diese Begriffsauslegung zweifellos den dynamischen Entwicklungen im Bereich von Religion und Weltanschauung.160 Doch darf nicht übersehen werden, dass es bei dieser Ansicht nicht etwa um eine historisch vorgegebene Interpretation des tradition gewertet, BVerfGE 93, 1 (23 f.); dazu instruktiv Hassemer / Hönig, EuGRZ 1999, 525 (529). 157  Vgl. BVerfGE 19, 129 (133); BVerwGE 61, 152 (160 f.); Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  4 Abs.  1, 2 Rn.  32. 158  Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 Rn. 33. 159  So richtig Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 Rn. 60; vgl. auch Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 4 Rn. 17, 104 f., der eine Auslegung des Art. 4 GG als zweite allgemeine Handlungsfreiheit, welche sich gegenüber der aus Art. 2 Abs. 1 GG durch eine erschwerte Einschränkbarkeit unterscheide, deshalb skeptisch betrachtet, weil es sonst der Einzelne in der Hand hätte, sein Verhalten durch Berufung auf die schwer einschränkbare Glaubensfreiheit dem weitreichenden Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung zu entziehen. 160  Vgl. nur Muckel / Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, in: Muckel (Hrsg.), Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, S. 234 (238 f.); Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 382 f. (Fn. 538).



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung135

ethischen oder sittlichen Inhalts einer Religion oder einer Weltanschauung geht, sondern vielmehr ausschließlich um einen gewissen unveränderlichen Rahmen der Religionsausübung, der darüber hinaus recht weit gesteckt ist und stets nur „vergleichbar“ und damit nicht vollkommen statisch sein soll. Wenn also gewisse Vereinigungen oder Geistliche tatsächlich im Namen einer Religion oder Weltanschauung zu Selbstmordattentaten auffordern, kann unter Berufung auf den historisch überkommenen Begriff der Religionsausübung die Heranziehung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG abgelehnt werden.161 Teilweise wird das gleiche Ergebnis auch unter Rekurrierung auf eine verfassungsimmanente Grenze des „Gewaltverbots“ erzielt,162 was allerdings stark an einen, angesichts des eindeutigen Wortlauts von Art. 18 GG sehr zweifelhaften, allgemeinen Missbrauchsvorbehalt erinnert; beides findet zudem im Grundgesetz keinerlei positiven Anhalt. Ein anderes Mittel der Ausgrenzung fundamentalistischer Handlungen könnte darin bestehen, dem Betroffenen die Darlegungslast für die Einschlägigkeit der Religionsfreiheit aufzuerlegen.163 Gewisse objektiv nachvollziehbare Kriterien, die ein reli­giös motiviertes Verhalten bezeugen können, müssen wohl in jedem Fall vorliegen.164 Als Religionsausübung könnte danach mit einer engeren Schutzbe161  So überzeugend Starck, in: v. Mangoldt  / Klein / Starck, GG, Art. 4 Abs. 1, 2 Rn.  61 f.; Grimm, Multikulturalität und Grundrechte, in: Wahl / Wieland (Hrsg.), Das Recht des Menschen in der Welt, S. 135 (142), zufolge ist indes auch der religiöse Fundamentalismus von Art. 4 GG umfasst, wobei doch zumindest fraglich sein dürfte, ob darunter auch der Aufruf zu Attentaten fallen soll. 162  Vgl. etwa Muckel, Religiöse Freiheit, S. 196; Muckel / Tillmanns, Die reli­ gionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, in: Muckel (Hrsg.), Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, S. 234 (236 f.) m. w. N.; ähnlich ist auch das Postulat von Hassemer, Religiöse Toleranz im Rechtsstaat, S. 49 zu verstehen, dass die Religionsfreiheit dort ende, wo ihr Gebrauch die fundamentalen Grundsätze unserer Verfassung in Gefahr bringe. Damit ist jedoch dogmatisch nicht eindeutig gesagt, ob es sich hierbei um eine Schutzbereichsgrenze oder eine Rechtfertigungsmöglichkeit für Eingriffe in das Grundrecht handeln soll. Vgl. zur möglichen Schutzbereichsbegrenzung aus dem „neminem laedere“-Verbot Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, S. 231 f. 163  So Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 80. Gegen diese Ansicht vgl. wiederum Muckel / Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, in: Muckel (Hrsg.), Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, S. 234 (239) mit dem nicht ganz unberechtigten Hinweis, dass sich neue Religionsgemeinschaften nicht auf eine derartige Tradition berufen könnten und damit nicht den Schutz von Art. 4 GG genießen könnten. Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung, S. 33 weist zurecht darauf hin, dass das in Art. 4 GG zum Ausdruck kommende Gebot staatlicher Toleranz insbesondere gegenüber Minderheiten gelte. 164  Vgl. auch Hoffmann-Riem, Enge oder weite Gewährleistungsgehalte der Grundrechte?, in: Kolloquium für Brun-Otto Bryde, S. 53 (63), der auf die Schwierigkeit hinweist, gewisse Handlungen – als Extrembeispiel dient einmal mehr das

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D. Verwirkung

reichsdefinition nur das Verhalten geschützt werden, in dem sich „die Reli­ gion in ihrer Glaubensaussage vollzieht“.165 Man muss jedenfalls nicht einmal mit Schoch eine Art „theokratisch inspirierte Anarchie“166 in der multikulturellen Gesellschaft beschwören, um sich klar zu machen, dass im Hinblick auf Art. 18 GG erhebliche Lücken entstehen könnten, wenn „jede in irgendeiner Weise religiös motivierte Handlung von der Religionsfreiheit geschützt [wäre] und jeder Einzelne sein gesamtes Verhalten an der Glaubensüberzeugung ausrichten [dürfte]“.167 Infolge enormer sozialer Umwälzungen und einem damit verbundenen Prozess der Entkirchlichung und zunehmender Individualisierung der reli­ giö­ sen und weltanschaulichen Ansichten („Patchwork-Religiosität“)168 besteht derzeit eine nichtgeahnte Vielfalt an religionsartigen Gemeinschaften und Anschauungen; es existieren vor allem auch unbekannte, oft davon untrennbar wirtschaftlich oder politisch motivierte Aktivitäten im Namen von Religionen.169 Die gesellschaftspolitische Ausgangslage ist nunmehr also eine grundlegend andere als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wo die Religionen durch eine weitgehende Homogenität innerhalb des Landes170 geprägt waren und sich nicht als Bedrohung für die Freiheit darstellten, sondern deren Freiheit selbst bedroht war durch die herrschenden politischen Ideologien und Diktaturen des Faschismus und Kommunismus. Menschenopfer – nicht hinzunehmen, wenn der Schutzbereich der Religionsfreiheit derart weit gefasst ist; dagegen spricht sich grundsätzlich Huster, Der Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, S. 8 aus. 165  Vgl. in diesem Sinne Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: Festschrift Alexander Hollerbach, S. 149 (157). 166  Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: Festschrift Alexander Hollerbach, S. 149 (156). 167  Vgl. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: Festschrift Alexander Hollerbach, S. 149 (156) [Hervorhebungen im Original]; gegen eine Eingrenzung des Schutzbereichs von Art. 4 GG aufgrund der zunehmenden Mulitkulturalität spricht sich hingegen explizit Grimm, Multikulturalität und Grundrechte, in: Wahl / Wieland (Hrsg.), Das Recht des Menschen in der Welt, S. 135 (140) aus. 168  Kästner, JZ 1998, 974 (975). 169  Vgl. hierzu auch Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität, Gutachten für den 68. Dt. Juristentag, S. 5: „Die religiöse Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft hat sich verändert und wird sich weiter verändern. Die konfessionelle Zweiteilung, die seit der Reformation die religiöse Wirklichkeit im deutschen Bereich spiegelte, wird durch religiöse Pluralisierungen in Bezug auf Reli­ gionszugehörigkeit wie Religionspraxis überlagert.“; aufschlussreich auch der statistische Beleg dieser Entwicklung auf S. 10 ff. des Gutachtens m. w. N. 170  Vgl. in diesem Sinne auch Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität, Gutachten für den 68. Dt. Juristentag, S. 57.



I. Begriff und rechtliche Anknüpfung der Verwirkung137

Deshalb erscheint es historisch durchaus problematisch, Art. 4 GG ohne Weiteres auf neue Erscheinungsformen von Religionen auszudehnen. Dass auch das geschriebene sowie angewandte Religionsrecht nicht über die zunehmende Pluralisierung der Gesellschaft hinweggehen kann, speist es sich doch – wie das Verfassungsrecht insgesamt – aus der Akzeptanz in der Bevölkerung als dem Träger des pouvoir constituant,171 dürfte dabei selbstverständlich sein.172 Eine Heranziehung der Religionsfreiheit als Grundlage für verfassungsgefährdende Aktivitäten kann das Grundrecht insgesamt diskreditieren und damit dem Sinn seiner freiheitsfreundlichen Auslegung gerade zuwiderlaufen.173 Zumindest aber kann vor diesem Hintergrund davon ausgegangen werden, dass der Konflikt zwischen Art. 18 GG und dem nicht verwirkbaren Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein Problem ist, das sich jedenfalls in seiner Radikalität erst in jüngerer Zeit stellt und 1949 wenn überhaupt theoretischer Natur, ja faktisch kaum relevant war. Es stellt sich einerseits zunehmend mit der Pluralität der Gesellschaft und den vielfältigen Erscheinungsformen von Religionen und Weltanschauungen,174 andererseits mit der weiten Auslegung des grundrechtlichen Schutzbereiches175 besonders von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. 171  Vgl. Tomuschat, Die Menschenrechte und die Religionen, in: Schlette (Hrsg.), Religionskritik, S. 145 (146); auch H. Huber, Die Verfassungsbeschwerde, S. 14 weist indes auf die Wechselwirkung von Edukationseffekt der bundesverfassungsgerichtlichen Grundrechtssicherung und Wandel der Ansichten in der Bevölkerung hin, die insgesamt beide zu einer größeren Duldsamkeit gegenüber fremden Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften geführt haben. 172  Tendenzen für eine stärkere Aufnahme (neo-)pluralistischer Strömungen in die Rechtsprechung des BVerfG macht van Ooyen, JöR n. F. Bd. 56 (2008), 125 (138) bereits im „Kopftuchurteil“, BVerfGE 108, 282 aus, in welchem jedenfalls die Möglichkeit einer stärkeren Pluralisierung des Staates dem Gesetzgeber anheimgestellt wird. 173  Kästner, JZ 1998, 974 (975). 174  „Die Regelungen der deutschen Rechtsordnung, das Verhältnis zwischen Staat und Religion betreffend, befinden sich zum überwiegenden Teil auf dem Stand einer Zeit, in der die christlichen Großkirchen die einzig relevanten Religionsgemeinschaften waren. Die Vorschriften sind vielfach auf diese zugeschnitten.“, Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität – Erfordern weltanschauliche und religiöse Entwicklungen Antworten des Staates?, Gutachten für den 68. Dt. Juristentag, S. 6; S. 57: „Muss sich die Interpretation von Art. 4 GG auf diesen neuen Kontext einstellen, indem Verhaltensweisen mit eher entferntem religiösen Bezug nur noch tatbestandlich erfasst werden, wenn sie kompatibel sind, um die normative Kraft des Grundrechts im neuen Umfeld zu erhalten, oder lässt sich die weite Ausdehnung der religiösen Imprägnierung menschlichen Verhaltens und die großzügige Berücksichtigung religiösen Selbstverständnisses auch weiterhin durchhalten?“ 175  Diese gängige Expansion des Grundrechtstatbestands führt allerdings tendenziell zu einer nivellierenden Schrankenmaximierung, was insbesondere im Hinblick

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D. Verwirkung

d) Fazit Insgesamt ist bei der Beantwortung der Frage der äußeren Verwirkungsextension wiederum festzustellen, dass zu schnell auf vermeintlich übergeordnete Prinzipien wie den Verfassungsschutz zurückgegriffen wird,176 wobei geflissentlich die Besonderheiten der einzelnen Schutzvorkehrungen umgangen und diese auf eine nur oberflächlich besehen kohärente Zielrichtung reduziert werden.177 Das Problem ist jedoch auf einer anderen Ebene anzusiedeln: Erst die uferlose Ausdehnung und damit einhergehende Überschneidung grundrechtlicher Tatbestände kann zu einer Quasi-Verwirkung auch anderer als in Art. 18 GG genannter Grundrechte führen oder die Norm im Gegenteil mehr und mehr austrocknen. Die daran anschließende Diskussion eines sich konturenlos ausdehnenden grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts in der Grundrechtsdogmatik,178 soll an dieser Stelle nicht weiter aufgegriffen werden. Das dargelegte Spannungsfeld zwischen effektiver Grundrechtsverwirkung und nicht verwirkbarer Religionsfreiheit reiht sich aber in die Argumente für eine sinnvolle Konturierung des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts179 mühelos ein.

auf Art. 4 GG sehr bedenklich ist und von Kloepfer, Grundrechtstatbestand und Grundrechtsgrenzen, in: Festgabe BVerfG, S. 405 (407) zu Recht kritisiert wird. 176  Gegen ein übergeordnetes Rechtsprinzip auch Koreng, Zensur im Internet, S. 227 f., der jedoch die Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG zugleich mit der herrschenden Auffassung als Ausdruck der Wertgebundenheit des Grundgesetzes versteht und ihnen dementsprechend einen kohärenten Aussagegehalt beimisst; gegen die Argumentationsfigur der Wertgebundenheit in diesem Zusammenhang jedoch überzeugend Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 34 ff.; dagegen explizit LübbeWolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 284. 177  Ähnlich auch Badura, Staatsrecht, S. 313, der die Gefahr von durchgehenden Grundsätzen, die sich aus einer vermeintlichen inneren Einheit der Grundrechte ableiten sollen, in der Aufopferung des vielfältigen verfassungsrechtlichen Freiheitsschutzes sieht. 178  Zur Religionsfreiheit insbesondere Hense, Zwischen Kollektivität und Individualität, in: Heinig  /  Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 6 (9); allgemein Böckenförde, Schutzbereich, Der Staat 42 (2003), 165; Hoffmann-Riem, Der Staat 43 (2004), 203; ders., Enge oder weite Gewährleistungsgehalte der Grundrechte?, in: Kolloquium für Brun-Otto Bryde, S. 53; Kahl, Der Staat 43 (2004); Möllers, NJW 2005, 1973; Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt. 179  Für eine solche Begrenzung speziell von Art. 4 GG spricht sich auch Waldhoff, Neue Religionskonflikte und staatliche Neutralität, Gutachten für den 68. Dt. Juristentag, S. 64 aus, allerdings ohne konkrete Inhalte vorzugeben; viele wichtige Argumente liefert überdies Muckel, Religiöse Freiheit, S. 200 ff.



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung139

II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung Als gänzlich ungeklärt dürfen wohl die Rechtsfolgen und das Ausmaß der Grundrechtsverwirkung gelten. Im Gegensatz noch zur früheren Fassung des Art. 20 Abs. 1 HChE besticht die Formulierung des Art. 18 GG zwar durch ihre Kürze und Prägnanz. An inhaltlicher Schärfe hat die Norm durch die Neuformulierung aber nicht gewonnen.180 Was aus der Verwirkung überhaupt folgen soll und welche Rechtswirkungen sie auslöst, tritt weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus den Diskussionen des Parlamentarischen Rates hervor. Hierzu wurden deshalb seit Bestehen des Grundgesetzes die verschiedensten Ansichten vertreten. Während etwa seit langem schon unstreitig ist, dass die Verwirkung einzelner Grundrechte den Betroffenen nicht gleichsam „vogelfrei“181 erklärt oder „out of law“ stellt,182 ist weiterhin völlig ungewiss, worin die Verwirkung dann besteht. Als herrschend kann zwar nach wie vor die Auffassung angesehen werden, wonach sich der Adressat der Verwirkungsentscheidung nicht mehr auf das Grundrecht, das für verwirkt erklärt wurde, berufen kann. Was diese Ansicht indes von anderen unterscheidet, ist ungewiss.183 Einen anderen Weg gehen Dürig / Klein, indem sie das verwirkte Grundrecht nur in seiner politischen Dimension zurückgedrängt sehen.184 Unklar bleibt dabei lediglich, wie etwa die Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG politisch eingesetzt werden kann.185 Gleichwohl soll im Folgenden auch diesem oft gefolgten Ansatz, der den Menschenwürde- und Wesensgehalt der Grundrechte in den Vordergrund rückt und als unverwirkbar manifestiert, nachgegangen werden. 180  Stern,

Staatsrecht III / 2, S. 962. wurde bereits in den Beratungen des Parlamentarischen Rates klargestellt, JöR n. F. (1951), 172 (174). 182  Vgl. nur Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 35; Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 14; Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 13; Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (216); ders., Die Grundrechtsverwirkung, in: Staatsrecht III / 2, § 87 IV 2, S. 963; Storost, in: Umbach / Clemens / Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, § 39 Rn. 6; siehe auch Stettner, DVBl. 1975, 801 (808), der aber davon ausgeht, dass dies hingegen den Schöpfern des GG vorschwebte; anders ausdrücklich auch Wernicke, in: Bonner Kommentar, Art. 18 Anm. 2 II d, S. 11. 183  Vgl. etwa Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten: Art. 18 GG, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (299). 184  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 34.  185  So die Kritik von Thiel, Verwirkung, in: ders., (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (148). 181  Das

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D. Verwirkung

Problematisch erscheint darüber hinaus, dass der Antragsgegner im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 18 GG ebenso wenig seine allgemeine Handlungsfreiheit wie das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG verwirken kann.186 Bisweilen wurde zudem eine Verletzung der Wesensgehaltsgarantie aus Art. 19 Abs. 2 GG sowie des Menschenwürdegehalts der Grundrechte durch die Verwirkungsentscheidung befürchtet. Zu betrachten sind ferner die Folgen der Grundrechtsverwirkung für Exekutive, Legislative und Judikative im Umgang mit dem Antragsgegner. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf hier § 39 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG, wonach für Eingriffe der Verwaltung keine weitere Rechtsgrundlage nötig ist. Dies stößt wegen Art. 20 Abs. 3 GG auf verfassungsrechtliche Bedenken.187 Der schwerwiegende Vorwurf des Verfassungsverstoßes wurde bisher kaum diskutiert.188 1. Die Auffassungen Wernickes und v. Mangoldts Frühe Äußerungen zu Art. 18 GG, wobei insbesondere Wernicke und v. Mangoldt zu nennen sind, gehen, wie gesagt, noch von der zivilistischen Bedeutung des Verwirkungsbegriffs aus. Bereits sie unterscheiden sich allerdings in der Bezeichnung der Verwirkungsfolgen, was indes nicht verwundert, sind diese doch auch im Zivilrecht umstrittens. a) Wernickes Lehre vom Totalverlust der Grundrechte Anfänglich wurde die Auffassung vertreten, die Verwirkungsentscheidung habe zur Folge, dass von dem verwirkten Grundrecht nichts mehr übrig bleibe, es sich bei Art. 18 GG mithin um eine „Total-Verwirkung“ handle. Mit Wernicke stünde der Antragsgegner juristisch gesehen so da, „als existiere für ihn das betreffende Grundrecht überhaupt nicht“,189 was – wie Wernicke durchaus überzeugend darlegt – der Wortlaut der Verwirkungsnorm tatsächlich nahezulegen scheint. Seiner Deutung zufolge bewirkt die von ihm sogenannte „Vollverwirkung“ also potentiell einen Totalverlust der verwirkten Grundrechte, wobei Art. 18 Satz 2 GG durch die Formulierung „Ausmaß“ deutlich mache, dass die Verwirkung auch einen Teilverlust des einzelnen Grundrechts herbeiführen könne. Über diesen „Grundrechtsteil“ zu urteilen, sei dabei Sache des BVerfG im Rahmen seiner Verwirkungsent186  Vgl. nur Ridder, AK-GG, Art. 18 Rn. 16; ebenso Apelt, JZ 1951, 353 (355); Ipsen, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), HdbGR II, 1954, S. 132. 187  So auch Stettner, DVBl. 1975, 801 (808). 188  Eine Ausnahme bilden Stettner, DVBl. 1975, 801 (808) und Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art.  18 Rn.  93. 189  Wernicke, in: Bonner Kommentar, Art. 18 Anm. 2 II d, S. 11.



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung141

scheidung. Letztlich dient Art. 18 Satz2 GG nach dieser Ansicht allein dazu, die Verhältnismäßigkeit der Verwirkungsnorm und der konkreten Verwirkungsentscheidung zu wahren.190 b) Die Kommentierung v. Mangoldts Mit der Entstehungsgeschichte des Art. 18 GG korrespondiert am ehesten die Auffassung v. Mangoldts, der die Verwirkung so versteht, dass der Missbrauchende sich „den Behörden gegenüber nicht mehr auf das verletzte Grundrecht berufen kann“,191 lautete doch die Fassung des Art. 20 Abs. 1 HChE: „Wer die Grundrecht […] missbraucht, verwirkt damit das Recht, sich auf die Grundrechte zu berufen“. Für die Auffassung v. Mangoldts sprechen folgende historisch-genetischen Erwägungen: Warum Art. 18 GG die brauchbarere Formulierung des Art. 20 Abs. 1 HChE nicht aufgegriffen hat, ist nicht mehr nachvollziehbar,192 noch weniger aber bieten die Mate­ rialien des Parlamentarischen Rats einen Anhaltspunkt dafür, dass „Verwirken“ im Sinne von Art. 18 GG faktisch etwas anderes bedeuten sollte als in Art. 20 Abs. 1 HChE.193 Ja im Gegenteil spricht die Tatsache, dass über die Rechtsfolge der Verwirkungsentscheidung Einigkeit zu bestehen schien, viel eher dafür, dass die Abgeordneten stillschweigend annahmen, Grundrechte zu verwirken bedeute nach wie vor, das Recht zu verlieren, sich auf die entsprechenden Grundrechte zu berufen. Bezeichnend ist zudem, wie einmütig man zu Beginn dieser Ansicht folgte.194 Hinter der Definition v. Mangoldts steht letztendlich ein bei Entstehung des Grundgesetzes vorherrschender naturrechtlicher Ansatz, der auch in Art. 1 Abs. 2 GG seinen Niederschlag findet.195 Wie Stern treffend herausgearbeitet hat,196 war Hintergrund der eben genannten Auffassung wohl vor allem die Gefahr, die man in einer möglichen Kollision mit der Unverletzlichkeit der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 2 GG sowie mit Art. 19 Abs. 2 GG Stettner, DVBl. 1975, 801 (809). GG, 1. Aufl., Art. 18 Anm. 2, S. 115; vgl. ebenso Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 35. 192  Vgl. auch Stern, Staatsrecht III / 2, S.  962. 193  Dies meint auch Stettner, 801 (809), der damit aber zu der Auffassung gelangt, dass die Entscheidung des BVerfG danach, wie schon Art. 20 HChE vorgesehen hätte, immer den „Vollverlust“ des missbrauchten Grundrechts zur Folge habe. Vgl. bereits oben S. 17 ff. 194  So folgten v.  Mangoldt etwa Geiger, BVerfGG, Vorbem. 4 vor § 36; Krüger, DVBl. 1953, 97 (99 f.); Ule, DV 1949, 333 (335). 195  Stern, Staatsrecht III  /  2, S. 963; differenzierend Denninger, JZ 1998, 1129 (1130, 1135). 196  Stern, Staatsrecht III / 2, S. 962 f. 190  Differenzierend 191  v. Mangoldt,

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D. Verwirkung

auszumachen meinte.197 Indem nun die Grundrechtsverwirkung nicht zu einem Totalverlust, sondern lediglich dazu führen sollte, dass man sich nicht auf die verwirkten Grundrechte berufen könne, konnte dem Vorwurf, die vorstaatlichen, naturrechtlich begründeten Grundrechte ex post zu entziehen und damit gegen Art. 1 Abs. 2 GG zu verstoßen, wirksam begegnet werden. Auch eine drohende Verletzung der Wesensgehaltsgarantie aus Art. 19 Abs. 2 GG bei einer „Voll-Verwirkung“ schien somit beseitigt.198 c) Gleichläufigkeit der beiden Ansichten Worin aber liegt der Unterschied in den – immer wieder als entgegengesetzt angeführten – Auffassungen Wernickes und v. Mangoldts? Während dieser vom Total- oder Teilverlust des Grundrechts ausgeht, erklärt jener, dass „das gewährleistete Grundrecht [dem Betroffenen], solange und soweit er es missbraucht, keinen Schutz mehr gewährt“,199 nicht mehr und nicht weniger. Diese Ansicht wiederum scheint für den Betroffenen keine geringeren Auswirkungen als eine vollständige Aberkennung des grundrecht­ lichen Abwehrschutzes vorzusehen. Denn welche individuelle Bedeutung hat ein Grundrecht, auf das sich der Grundrechtsinhaber nicht mehr berufen kann, das ihm also keinen Schutz vermittelt? Es ist gleichsam eine leere Hülle, über die im Einzelfall hinweggegangen werden könnte, als existiere sie gar nicht. Für den Betroffenen würde das Grundrecht dann nur noch – gleich den Grundrechten in der WRV und ganz im Gegenteil zur Funktion 197  So etwa Apelt, JZ 1951, 353 (354); Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S.  95 ff.; Nawiasky, Die Grundgedanken des Bonner Grundgesetzes, S. 21; diese Auffassung findet sich auch heute noch etwa bei Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 51, der davon ausgeht, dass die Lehre vom Totalverlust „in der Tat zu der widersprüchlichen und ‚dogmatisch sensationellen‘ Konsequenz führen [würde], dass sich das BVerfG über dieses grundgesetzliche Bekenntnis für dem Grundgesetz naturrechtlich vorgegebene, von ihm anerkannte und garantierte vorstaatliche und vorverfassungsmäßige Menschenrechte durch den vollständigen Entzug einzelner Grundrechte hinwegsetzen könnte“, m. w. N.; vgl. auch Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 13. 198  Stern, Staatsrecht III / 2, S. 963, 882, wendet gegen solche Befürchtungen allerdings ein, dass Art. 19 Abs. 2 GG den Verfassungsgeber gar nicht binde und damit der Grundrechtsverwirkung keinesfalls entgegenstehen könne; ebenso Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 39; ablehnend Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S. 107; dagegen wird oft eine Berücksichtigung des Wesensgehalts im Rahmen der Verwirkungsentscheidung gefordert, vgl. etwa Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 14; Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Art. 19 II Rn. 20. Das Argument Sterns verfängt indes auch hier: Auf die Unantastbarkeit des Wesensgehalts kann es nicht ankommen; ebenso wohl Krüger, DVBl. 1953, 97 (100). Hierauf wird später noch genauer einzugehen sein. 199  v. Mangoldt, GG, 1. Aufl., Art. 18 Anm. 2, S. 115.



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung143

der Grundrechte unter dem Grundgesetz200 – einen bloßen Programmsatz beinhalten, den er in keiner Weise subjektiv201 geltend machen könnte. Die Ansicht v. Mangoldts impliziert indes eine weitere Dimension der Grundrechte als die subjektiv-rechtliche, die im Umkehrschluss durch die Verwirkung nicht berührt werden kann. Dass den Grundrechten auch eine objektiv-rechtliche Bedeutung zukommt, ist rechtsdogmatisch mittlerweile allgemein anerkannt. Der daraus entspringende institutionelle Charakter der Grundrechte und ihre Funktion als objektive Wertordnung202 soll demgemäß durch die Verwirkungsentscheidung nicht angetastet werden können. Soweit diese Grundrechtsaspekte aber Einfluss auf die Auslegung des Zivilrechts sowie Organisations- und Verfahrensrechte203 nehmen und die Grundlage für allgemeine Schutzpflichten des Staates bilden,204 unterliegen sie von vornherein nicht der Missbrauchsgefahr und damit ebenso wenig der potentiellen Verwirkung. Richtigerweise betrifft die Grundrechtsverwirkung ausschließlich die individuelle Rechtsstellung des Einzelnen205 und damit bereits rechtslogisch unmöglich die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte.206 Die institutionelle Seite der Grundrechte kann gerade infolge ihrer Objektivität und mangelnden spezifischen Zuordnung zu einzelnen Indi­ viduen niemals Gegenstand eines Verwirkungsverfahrens sein. Damit sei nicht das als „Resubjektivierung“207 treffend bezeichnete Phänomen, das 200  Vgl. nur Starck, in: v. Mangoldt  / Klein / Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 151, 167; Bettermann, Hypertrophie der Grundrechte, S. 3 spricht im Zusammenhang mit den Grundrechten der WRV von einer „Art Katechismus für die politische Sonntagsschule“. 201  Zum subjektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte siehe Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  1 Abs.  3 Rn.  169, 171 ff. 202  Dazu etwa Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, passim; allgemein ­Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 66 ff. 203  Ausführlich Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, passim. 204  Übersichtsartig Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 170. 205  Ähnlich Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S. 108. Darin liegt auch die Divergenz zum Wesensgehalt der Grundrechte aus Art. 19 Abs. 2 GG, der eben nicht die konkrete Grundrechtsposition, sondern die Grundrechtsnorm als solche schützt, Brenner, Der Staat 32 (1993), 493 (505) m. w. N. 206  Anders jedoch Stern,  Staatsrecht III / 2, S. 966, der davon ausgeht, dass auch objektiv-rechtliche Gehalte subjektiv einsetzbar und damit verwirkungsfähig seien (Fn. 169). Mit Recht hat Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 30 dagegen jedoch eingewandt, dass selbst wenn man eine solche subjektive Einsetzbarkeit bejahen würde (wobei dann freilich die Grenze zwischen subjektiv- und objektiv-rechtliche Dimension zu verschwimmen scheinen) doch unklar sei, wie die objektiv-rechtliche Seite der Grundrechte individuell verwirkt werden könne (Fn. 102); so ohne nähere Begründung auch Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (300). 207  Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Vorb. Rn. 95.

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D. Verwirkung

den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten zunehmend auch subjektive und damit einklagbare Rechte als korrespondierend gegenüber stellt,208 angezweifelt. Vielmehr geht es darum, dass die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte nicht in gleicher Weise wie ihr subjektiver Gehalt durch die Freiheitsbetätigung des Einzelnen gebraucht werden kann und daher zwangsläufig auch nicht missbrauchbar ist.209 Dem steht allenfalls die umstrittene Ansicht Häberles entgegen, wonach die Verbürgung objektiver Ordnungen durch die Grundrechte erst in der Zuordnung zu subjektiven Individualrechten ihre freiheitliche Bedeutung erlange.210 Sowie man aber mit der ganz überwiegenden Ansicht davon ausgeht, dass die institutionelle Garantie der Grundrechte deren subjektivrechtliche freiheitliche Funktion nur stützt und verstärkt,211 hat ein Außerkraftsetzen des grundrechtlichen Schutzgehaltes keinerlei Auswirkungen auf sie. Danach bedeutet die Grundrechtsverwirkung faktisch den Verlust der subjektiv-rechtlichen Dimension der entsprechenden Grundrechte:212 Der Betroffene kann sich mit v. Mangoldt auf die Grundrechte nicht mehr berufen, folglich existierten sie für ihn mit Wernicke in individuell-subjektiver Hinsicht überhaupt nicht.213 Interessant ist hierbei auch, dass die ursprüngliche Formulierung der Grundrechtsverwirkungsnorm, die oft als vorbildhaft zur Interpretation herangezogen wurde, streng genommen redundant ist: Die Formulierung „ver208  Siehe etwa Alexy, Der Staat 29 (1990), 49 (60 ff.); Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (15 f.); Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 73 ff.; kritisch Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2103 ff.). 209  Ebenso Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit, S. 18. 210  Häberle,  Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 97 ff., 110 und passim. 211  Hesse,  Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.  350; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  1 Abs.  3 Rn.  175, 181; Stern, Staatsrecht III / 1, S. 795; die subjektive Seite der Grundrechte soll deshalb stets Vorrang vor ihrer objektivrechtlichen Dimension haben; ebenso Gellermann, Grundrechte im einfachgesetz­ lichen Gewande, S. 46. 212  Vgl. in diesem Sinne auch Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 30: „es geht um die instrumentale Funktion des Grundrechts. Seine objektiv-rechtliche Seite bleibt unberührt“; ähnlich stellt sich die Diskussion um den Verzicht auf Grundrechte dar. Teilweise wurde mit Hinweis auf ihre objektiv-rechtliche oder institutionelle Funktion eine Unverzichtbarkeit angenommen, vgl. etwa Sturm, Problem eines Verzichts auf Grundrechte, in: Festschrift Willi Geiger, S. 173 (197); Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527. Auch hier bietet sich indes ein isolierter Verzicht auf die subjektiv-rechtliche Dimension des jeweiligen Grundrechts an. 213  Wernicke, in: Bonner Kommentar, Art. 18 Anm. 2 II d, S. 11 schreibt: „als existiere für ihn das betreffende Grundrecht überhaupt nicht“. (Hervorhebung durch die Verf.), das kann durchaus gleichbedeutend mit der individuell-subjektiven Rechtsposition des Grundrechtsberechtigten aufgefasst werden.



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wirkt das Recht, sich auf […] zu berufen“ beinhaltet eine Tautologie,214 da die Verwirkung schon als solche nichts anderes beinhaltet als die rechtliche Unmöglichkeit, sich auf ein Recht zu berufen. Deshalb ist die Neuformulierung durch Art. 18 GG weder schlechter als die vorherige Fassung – semantisch sogar besser – noch vermochte sie eine inhaltliche Änderung zu bewirken. 2. Die Ansicht Dürigs Die frühen Ansichten zu den Rechtsfolgen der Grundrechtsverwirkung wurden jedoch bald durch die von Dürig begründete Auffassung, der seither weitgehend gefolgt wird,215 abgelöst. Danach bedeutet die Verwirkung im Sinne des Art. 18 GG nicht etwa, dass ein Grundrecht als solches aberkannt wird, sondern lediglich sein „Ausfluss- und Ausübungsrecht“.216 Grund für diese Konstruktion ist, dass Dürig eine Aberkennung der Grundrechte selbst für unvereinbar mit den Unverletzlichkeit der vorstaatlichen Menschenrechten hält, für die sich das Grundgesetz entschieden habe. So dürfe sich auch der Tenor der Verwirkungsentscheidung keinesfalls auf die Verwirkung der Grundrechte als solche beziehen, sondern allein auf die Verwirkung ihres Ausfluss- und Ausübungsrechts. Dies gelte zumindest für die Menschenrechte, zu denen im Katalog des Art. 18 GG wenigstens Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 GG zählen würden.217 Diese Ansicht hat jedoch einige Kritik erfahren.218 Eingewandt wurde etwa, dass der Antragsgegner gerade nicht nur die sich aus dem Grundrecht ergebenden Ansprüche verliere, sondern die gesamte ihm durch das Grundrecht gewährte individuelle Rechtsstellung.219 Es fragt sich aber, ob jenseits der divergierenden Terminologie ein faktischer Unterschied zwischen den oben schon als gleichbedeutend ausgemachten Ansichten v. Mangoldts und Wernickes sowie der Theorie Dürigs Echterhölter, JZ 1953, 656 (658). nur Butzer / Clever, DÖV 1994, 637 (641). 216  Dürig, JZ 1952, 513 (517); ders., ZgesStW Bd. 109 (1953, 326 (328); ebenso Krüger, DVBl. 1953, 97 (99); danach auch Brenner, DÖV 1995, 60 (64); Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 13; ausführlich dazu Thiel, Die Verwirkung von Grundrechten gem. Art. 18 GG, in: ders., (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (145 ff.). 217  Dürig, JZ 1952, 513 (517). 218  Vgl. etwa Haller, Grundrechtsverwirkung und Zuständigkeitsmonopol, S. 88 ff.; ihm zustimmend Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 14. 219  Krebs, in: v. Münch  / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 14. In diesem Sinne ist wohl auch Sigloch, MDR 1964, 881 (882), zu verstehen, demzufolge die Grundrechtsverwirkung dem Betroffenen das Freiheitsrecht bereits der Substanz nach nimmt und damit zu Lasten des Bürgers das Verhältnis zwischen der Garantie menschlicher Eigenständigkeit und den Eingriffsbefugnissen des Staates verschiebt. 214  Ebenso 215  Vgl.

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D. Verwirkung

besteht. Ist es tatsächlich etwas anderes, wenn der Betroffene seine subjektiv-individuelle Grundrechtsposition, mithin das Recht, den grundrechtlichen Freiheitsschutz geltend zu machen, verliert oder aber das Ausfluss- bzw. Ausübungsrecht der Grundrechte? Krüger, der im Anschluss an Dürig die Verwirkung als Versagung der Ausübungsmöglichkeit deutet, sieht die Konsequenz dieses Verständnisses darin, dass sich der Betroffene nicht mehr auf das verwirkte Grundrecht berufen könne.220 Damit folgt er aber zugleich der Interpretation v. Mangoldts. Selbst Dürig hat v. Mangoldt darin Recht gegeben, dass die Umformulierung des Art. 18 GG gegenüber Art. 20 Abs. 1 HChE keine sachliche Änderung bewirken sollte, die Entscheidung des BVerfG also nach wie vor die Wirkung haben sollte, dass sich der Betroffene auf das verwirkte Grundrecht nicht mehr berufen könne.221 Seine Theorie richtet sich mithin überhaupt nicht gegen die Ansicht v. Mangoldts, sondern formuliert diese lediglich neu. Aber nicht nur, dass diese Neubezeichnung recht umständlich erscheint, während der Formulierung v. Mangoldts der Vorzug der Prägnanz und Verständlichkeit zukommt. Darüber hinaus widerspricht Dürig seinem eigenen Argument von der Vorstaatlichkeit der Grundrechte, indem er für die mögliche Aberkennung ihres „Ausübungsrechts“ plädiert. Wie bereits eben dargestellt, wohnt den Grundrechten nicht ein solches Recht zur Ausübung inne, sondern lediglich die Garantie der Freiheitssicherung, also der Abwehr staatlicher Eingriffe in einen privat-individuellen Lebensbereich.222 Die Freiheitsbetätigung selbst bedarf indes keiner spezifischen Gewährleistung. Das „Ausübungsrecht“ der Grundrechte kann daher einzig in ihrem Recht zur Geltendmachung gegenüber dem Staat bestehen, womit sich der Kreis zu v. Mangoldts Lehre schließt.223 Mit seiner These von dem Verlust des „Ausfluss- und Ausübungsrechts“ der Grundrechte könnte Dürig jedoch die gewünschte dogmatische Widerlegung des Wernickeschen Totalverlustes der Grundrechte durch die Verwirkungsentscheidung gelungen sein. Dafür müsste aber ein tatsächlicher Unterschied zwischen dem grundrechtlichen „Ausfluss- und Ausübungsrecht“ 220  Krüger,

DVBl. 1953, 97 (100). JZ 1952, 513 (517). 222  Anders mit Verweis auf den Wortlaut von Art. 18 GG Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 48 f.: Wenn Art. 18 GG davon ausgehe, dass unsere Grundordnung durch rechtsrelevante Handlungen des Bürgers „miss-gestaltet“ werden könne, so setze er stillschweigend voraus, dass die Bürger diese durch Ausübung der Grundrechte auch positiv gestalten können. Damit geht allerdings zu simpel von der Verwendung des Aktivs im Wortlaut des Art. 18 GG aus. 223  Hager, Schikane und Rechtsmissbrauch, S. 58, zeigt allerdings die Möglichkeit auf, zwischen „Rechtsausübung“ und „Geltendmachung“ dergestalt zu unterscheiden, dass die Ausübung die „erfolgsgekrönte Ausübungshandlung“ sei, während die Geltendmachung allgemein in dem Versuch der Ausübung zu sehen sei. Hager verweist jedoch auf die unhaltbaren Folgen dieser Auffassung. 221  Dürig,



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und dem Grundrecht an sich bestehen. Der Inhalt eines Rechts wird rechtstechnisch durch die Summe seiner Ausübungsmöglichkeiten bestimmt, so dass deren Verwirkung jedenfalls faktisch zugleich eine Verwirkung des Rechts selbst bedeuten muss.224 So verhält es sich auch im Zivilrecht, die Verwirkung eines Rechts wird hier dennoch zuweilen als bloßes Hindernis der Rechtsausübung begriffen.225 Die Gründe hierfür sind einleuchtend: Die Verwirkung kann nur vorübergehend und nur im Einzelfall eintreten, muss also jederzeit wieder entfallen können, was bei der Annahme eines bloßen Ausübungshindernisses dogmatisch überzeugender zu erklären ist. Der Wegfall eines vorübergehend eingetretenen Ausübungshindernisses ist dogmatisch eher nachzuvollziehen als das „Wiederaufleben“ des aberkannten Rechts. Hinzu kommt, dass ein untergegangenes Recht nicht übertragen werden kann und nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB bei Rechtsverlust die Möglichkeit der Kondiktion bestünde, was aufgrund der zeitlichen Begrenztheit der Verwirkung nicht sinnvoll ist.226 Trotz faktischer Konvergenz der Aberkennung des Rechts selbst und der Verwirkung nur seiner Ausübungsmöglichkeiten ist allein die zweite Konstruktion überzeugend. Das führt zwangsläufig zu der Frage, ob ähnliche Gründe im Verfassungsrecht für die gleichlautende These Dürigs sprechen. Wie bereits dargelegt, besteht die – jedenfalls für die Verwirkung allein relevante – Funktion der Grundrechte in der Abwehr staatlicher Eingriffe in einen privaten Lebensbereich. Dieses Abwehrrecht kann nicht übertragen oder kondiziert, noch in irgendeiner anderen Weise eingesetzt werden, seine Aberkennung hätte mithin keinerlei Einfluss auf weitere Rechtsverhältnisse als die zwischen Staat und Bürger in dem konkreten Fall, sieht man von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte einmal ab.227 Die Verwirkung kann 224  In diesem Sinne auch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 95: „Jedoch ist das Recht zur Ausübung des Grundrechts logischerweise identisch mit dem Grundrecht.“ Siehe auch Menzel, Grundfragen der Verwirkung, S. 182 m. w. N., der sich bei faktischer Gleichheit der Ergebnisse letztlich aus Gründen der Rechtsklarheit für den Totalverlust als gebotene Rechtsfolge ausspricht. Der Streit aus dem Zivilrecht kann insofern durchaus auf die Grundrechtsverwirkung übertragen werden, wenngleich die dort vorgetragenen praktischen Folgeprobleme der verschiedenen Ansichten nicht mit dem Grundrechtsfall identisch sind. 225  Vgl. etwa Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 318; ebenso Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 242 Rn. 311 f. Dies ist allerdings in der Literatur umstritten. 226  Beispiele bei Menzel, Grundfragen der Verwirkung, S. 183 f., der deshalb das Ausübungshindernis als die mildere Folge ansieht. 227  Die Drittgerichtetheit der Grundrechte ist freilich ein weiteres, nicht zu vernachlässigendes Argument gegen die „Aberkennungstheorie“. Wenn die Verwirkung zu einem Totalverlust der Grundrechte führen würde, müsste sie auch im Privatverhältnis (mittelbar) Bedeutung erlangen. Dieses Ergebnis vermag indes in keiner Weise zu überzeugen.

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letztlich zu gar nichts anderem führen als zu einem Verlust der Möglichkeit, sich auf ein Grundrecht gegenüber den staatlichen Organen zu berufen. Das „Ausfluss- und Ausübungsrecht“ der Grundrechte kann wiederum (im verwirkungsrelevanten Bereich) einzig die Abwehrfunktion der Grundrechte bezeichnen, so dass seine Aberkennung unweigerlich den Verlust der Abwehrfunktion der Grundrechte meint. Da dies aber zugleich die einzig verwirkbare Funktion der Grundrechte darstellt, bedeutet eine Aussetzung der Abwehrfunktion der Grundrechte faktisch zwingend auch die Aberkennung des Grundrechts als Abwehrrecht.228 Diese von vielen Autoren wie Dürig so gefürchtete Konsequenz verliert ihren Schrecken, wenn man sich vor Augen führt, dass der Verlust des Grundrechts richtigerweise dogmatisch nur die Aufhebung der grundrechtlich gewährten Rechtsposition des Einzelnen gegenüber dem Staat zur Folge hat. Er bewirkt indes kein automatisches Handlungsverbot und nicht das Außerkraftsetzen sämtlicher einfachgesetzlicher Rechte. Der Verlust eines Abwehrrechts als solchem ist also gleichbedeutend mit der Unmöglichkeit der Berufung auf das Recht, was von Dürig als Verlust der Ausübungsmöglichkeit des Rechts bezeichnet wird. Isensee ist also beizupflichten, wenn er meint, es sei „eine Frage des Geschmacks, ob man annimmt, dass der Ausspruch die von dem Grundrecht gewährleistete Rechtsstellung des Adressaten aufhebe oder nur die aus dieser Rechtsstellung fließenden Ansprüche“.229 Noch deutlicher macht dies Jäckel, demzufolge die Auffassung, dass sich der Betroffene nicht mehr auf das Grundrecht berufen könne, letztlich in prozessualer Hinsicht zur Aberkennung des Grundrechts führe. Die Auffassung, dass lediglich die Ausübungsbefugnis entzogen werde, bewirke indes die materiell-rechtliche Aberkennung des Grundrechts. Damit besteht auch seiner Ansicht nach faktisch überhaupt kein Unterschied zwischen beiden Theorien, vielmehr betreffen beide unterschiedliche, aber unabdingbare Aspekte der Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung.230 Es darf allerdings nicht vergessen werden, 228  Ähnlich wird für den sogenannten Grundrechtsverzicht angenommen, dass er einen Ausübungsverzicht bedeute. Auch dagegen wendet Stern, Staatsrecht III / 2, S. 903 f. m. w. N. ein, dass ein Grundrecht, das nicht mehr ausgeübt werden kann, tatsächlich nicht mehr existent, sondern nur noch ein „nudum ius“ sei; vgl. auch Bleckmann, Staatsrecht II, § 15 Rn. 10; ebenso Robbers, JuS 1985, 925. Erstaunlicherweise hat Dürig, AöR 81 (1956), 117 (152), selbst eine dogmatisch durchaus mögliche Unterscheidung von Ausübungsbefugnissen und dem Grundrecht an sich im Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 2 GG als „unzulässigen Kunstgriff“ entlarvt, der zu einem nudum ius führen würde. 229  Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (299). 230  So Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S. 97  f., der zu Recht die durch die vermeintliche Verschiedenheit der Ansichten entstandene terminologische Verwirrung geißelt (Fn. 9).



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung149

dass unter der Aberkennung des Grundrechts regelmäßig nur das faktische Außerkraftsetzen des grundrechtlichen Abwehranspruchs zu verstehen ist. 3. Verwirkung nur der politischen Ausübungsmodalität Eine tatsächliche Einschränkung hat der Verwirkungsbegriff schließlich mit Dürig / Klein erfahren, indem sie ihn nicht auf eine „Entbürgerlichung“, sondern allein auf die „Entpolitisierung“, also auf die politische Enthaltsamkeit des Missbrauchenden übertragen wollten.231 Dadurch suchen Dürig / Klein einer sonst befürchteten Friktion mit dem Menschenrechtsgehalt der Grundrechte aus dem Weg zu gehen. So aber blieben dem Betroffenen „genügend Ausweichmöglichkeiten zur Verwirklichung dessen, was Würde und Wert des Menschen ausmacht.“232 Freilich sei der „Begriff des Politischen“ im Sinne des Art. 18 GG recht weit zu fassen, so dass er durchaus auch auf andere Lebensbereiche ausstrahlen könne. Er sei demgemäß nicht nur auf direkte politische Aktionen oder parteipolitische Betätigungen beschränkt.233 Eine positive Eingrenzung dessen, was „politische Grundrechtsbetätigung“ ausmache, findet sich bei Dürig / Klein indes nicht. Mit dieser Interpretation offenbaren die Autoren aber noch eine weitere Dimension ihres Verwirkungsbegriffs: Art. 18 GG bezwecke ein politisches Unterlassen. Indem darauf hingewiesen wird, dass die Grundrechtsverwirkung keine Pflicht zu einem politischen „Wohlverhalten“ statuiere und deshalb keine Möglichkeit biete, „[jemanden] zur Verfolgung einer bestimmten (freiheitlich-demokratisch orientierten) Politik zu verpflichten; etwa bestimmte Meinungen zu äußern, bestimmte Versammlungen zu besuchen, bestimmten Vereinigungen beizutreten usw.“,234 tritt umgekehrt die Annahme einer durch die Verwirkungsentscheidung ausgelösten Unterlassungspflicht deutlich hervor. Diese Art. 18 GG teilweise beigemessene Wirkung, welche letztlich zu einem spezifischen Handlungsverbot führen könnte, wurde oben bereits widerlegt. Die Aberkennung des politischen Schutzes eines Grundrechts kann also nur dazu führen, dass sich der Betroffene für politische Handlungen nicht mehr auf den Schutz der verwirkten 231  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 70; zustimmend etwa Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  18 Rn.  65; Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (293); Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 13; Seuffert, Zum Verfahren nach Art. 18 GG, in: Festschrift Willi Geiger, S. 797 (806). 232  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 70. 233  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 71 f. 234  Dürig / Klein, in: Maunz  / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 72; schon die theoretische Annahme einer solchen Verpflichtung mag indes erstaunen.

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Grundrechte berufen kann, wie Dürig / Klein an anderer Stelle, freilich bezogen nicht nur auf das politische Betätigungsfeld, selbst darlegen.235 Näher bezeichnen die Autoren nicht, was sie unter „Entpolitisierung“ verstehen. So überzeugend ihre Argumentation auf den ersten Blick angesichts der postulierten Wirkungseinschränkung des Art. 18 GG erscheinen mag, so wenig tragfähig erweist sie sich bei genauerem Besehen. Legt man das herrschende Verständnis der Verwirkungsnorm als Verfassungsschutz gegen politisch extremistische Unterwanderung der Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zugrunde, so leuchtet es unmittelbar ein, dass die Schutzbestimmung den Grundrechtsmissbrauchenden das Handwerk legen soll, was lediglich eine Unterbindung ihrer politischen Betätigung erfordern würde. Nicht genug jedoch damit, dass diese Zielrichtung alles andere als klar umrissen ist und zweifellos einer präzisierenden Auslegung bedarf. Der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann zudem keineswegs allein auf herkömmlichem politischem Wege der Kampf angesagt werden. Weitaus gefährlicher, weil der gleichberechtigten offenen politischen Auseinandersetzung entzogen, ist das harmlos als unpolitisch getarnte Handeln, welches im Gewande von Religion, Literatur, Jugendförderung oder Musik und in Gotteshäusern, wie in Internet-Blogs oder Sportvereinen in Erscheinung tritt. All diese Vorgehensweisen scheinen von Dürig / Kleins „Begriff des Politischen“ kaum erfasst zu sein. Wenn Dürig / Klein mit „Entpolitisierung“ dagegen die Verwirkung all dessen meinen, was zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung taugt, dreht sich ihre Auslegung der Verwirkungsfolgen gewissermaßen im Kreis. Sie im Vorhinein abstrakt zu fassen, gelingt durch eine inhaltsleere und erst im Einzelnen zu füllende Formel gerade nicht. Das Ziel von Art. 18 GG muss aber ein anderes sein als bestimmte Handlungsformen zu unterbinden: Die Norm will einzig das Agieren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht unter den Schutz der Grundrechte stellen. Jede Handlung also, die ohne die Bestimmung des Verwirkungsartikels in den Gewährleistungsbereich eines genannten Grundrechts fallen würde, kann über Art. 18 GG dem grundrechtlichen Schutz entzogen werden. Gegen die Ansicht Dürig / Kleins steht vor allem auch der Wortlaut des Art. 18 GG, der die Grundrechte ohne jede funktionale Einschränkung nennt. Ihre teleologische Reduktion stößt mithin an die verfassungsmäßige Grenze des Wortlauts der auszulegenden Norm.236 Einen Beitrag zum hier vertretenen Verständnis der Grundrechtsverwirkung leisten die Autoren je235  Dürig / Klein,

in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 75. indes zur prinzipiellen Möglichkeit der Gesetzeskorrektur und ihren juristischen Grenzen im Fall von „Wertungsmängeln“, etwa bei der Gerechtigkeit widersprechenden zu weit gefassten Gesetzen Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 64 ff. 236  Vgl.



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung151

doch unbeabsichtigt: Sie begrenzen die Verwirkung letztendlich auf eine bestimmte freiheitsgefährdende Vorgehensweise, anstatt alle abstrakt unter die entsprechenden Grundrechte fallenden Freiheitsbetätigungen ihrem Schutz zu entziehen. Diese – nach jeder weiten Auslegung unumgängliche – Konsequenz erscheint in der Tat unangemessen und geradezu sinnwidrig, führt sie doch dazu, dass sich der Betroffene nicht einmal mehr in einer politisch „vorbildlichen“ Weise betätigen dürfte.237 Die Autoren verfahren aber gerade umgekehrt als hier vorgeschlagen: Sie wählen erst eine denkbar weite und generelle Auslegung der Verwirkungsnorm, um ihre so nicht gewollten Auswirkungen dann im Nachhinein durch eine Beschränkung auf die politische Ausübungsmodalität zu begrenzen. Dies führt jedoch, wie soeben aufgezeigt, zu einem Zirkelschluss. Dogmatisch konsequenter erscheint es dagegen, die Bedeutung der Grundrechtsverwirkung von Anfang an auf die spezielle grundrechtsmissbräuchliche Handlung zu beschränken.238 Art. 18 GG bewirkt danach, dass die dort genannten und thematisch einschlägigen Grundrechte – nach einer entsprechenden Entscheidung des BVerfG – nicht zum Schutz einer Handlung, die den Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bezweckt, geltend gemacht werden können. Die Verwirkung eines Grundrechts bezieht sich also nur auf den konkreten Missbrauch des Grundrechts und nicht auf jegliche Betätigung in dem vom Grundrecht erfassten Lebensbereich. 4. Die Verwirkung als Hindernis der Geltendmachung Somit stellt sich die Verwirkung als Grundrechtshindernis einer jeweilig missbrauchten Freiheit dar. Es fragt sich jedoch, auf welche Weise die Verwirkung das Grundrecht dogmatisch begrenzt – von innen heraus auf der Ebene des Tatbestandes oder von außen als Ausübungshindernis an das Recht herantretend. a) Innentheorie vs. Außentheorie Im Zivilrecht wird der Rechtsmissbrauch meist innentheoretisch als per se bestehende Inhaltsgrenze aufgefasst.239 Gegen die zivilistische Imma237  Dies nimmt aber etwa Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 131 mit seiner umfassenden und generellen Verwirkungstheorie ausdrücklich in Kauf. 238  Ebenso wohl Kessler, Die Grundrechtsverwirkung des Art. 18 GG, S. 43, 48. 239  Siehe nur Fleischer, JZ 2003, 865 (872); Grüneberg, in: Palandt, § 242 Rn. 38; Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 11 ff. Auch die Rechtsprechung

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nenzlehre240 spricht jedoch, dass die Konturierung eines Rechts, zumal eines in der liberalen Demokratie wurzelnden Grundrechts, nicht auf so unsichere Weise, wie die des notwendig wertungsoffenen Missbrauchsverbots, erfolgen kann. Selbst die Qualifizierung des Missbrauchs mit Wernicke als „Gebrauch zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ vermag über die strukturelle Offenheit des Begriffs nicht hinwegzutäuschen. Weder der „Missbrauch“ noch der „Kampf“ noch die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ sind hinreichend bestimmt genug, um eine zweifelsfreie Eingrenzung des Grundrechtsschutzes vornehmen zu können. Auch stellt sich die noch weitgehendere Frage, ob der Grundrechtsschutz überhaupt im Voraus eingeschränkt werden kann, wenn man etwa mit Carl Schmitt von der prinzipiellen Unbegrenztheit grundrechtlichen Schutzes ausgeht.241 Auch das Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (Art. 1 Abs. 2 GG)242 kann gegen eine solche a priori Beschränkung des Grundrechtsschutzes sprechen. Dagegen werden nach der teilweise vertretenen Außentheorie die Rechte von äußeren, meist positivierten Schranken begrenzt, die im Einzelfall dem Berechtigten gleichsam von außen her die Geltendmachung seines inhaltlich bestehenden Rechts untersagen.243 Im Folgenden sind beide Theorien auf ihre dogmatische Begründung und ihre rechtliche Wirkung hin zu untersuchen. aa) Die Siebertsche Innentheorie Dass der Rechtsmissbrauch eine immanente Rechtsbegrenzung bedeute, die im Rahmen der Grundrechte freilich nicht zu befriedigen vermag, beruht einzig auf der Innentheorie des Rechtsmissbrauchs, die sich in Deutschland weitgehend durchgesetzt hat,244 in anderen kontinentaleuropäischen Ländern aber auf Ablehnung stößt.245 folgt seit einer Leitentscheidung des BGH aus dem Jahr 1951 (BGHZ 3, 94 (103)) der Innentheorie. 240  Allerdings wird auch im Zivilrecht oft nicht sauber getrennt zwischen einer den Inhalt des Rechts begrenzenden Funktion (Innentheorie) und der Ausübungsbegrenzung eines „an sich“ bestehenden Rechts; vgl. nur Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rn. 32 f. 241  C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 164; vgl. dazu auch Schwarz, JZ 2000, 126 (128). 242  Dazu ausführlich Stern, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 184 Rn. 51 f. 243  Grundlegend Weber, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, 11. Aufl. 1961, § 242 Rn. D 24. 244  Statt vieler Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 14; auch Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit, S. 26 f., folgt ihr ohne Umschweife. 245  Vgl. ausführlich vor allem zur französischen Rechtslehre Fleischer, Der Rechtsmissbrauch im Gemeineuropäischen Privatrecht, JZ 2003, 865 (871 f.).



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In Deutschland hat sich die Innentheorie seit der grundlegenden Arbeit Sieberts aus dem Jahr 1934 verfestigt. Dieses Werk gilt auch heute noch als maßgebend für die Dogmatik des Rechtsmissbrauchs und der Rechtsverwirkung, wie die Nachweise in der aktuellen Literatur beweisen.246 Siebert begründet die Bedeutung des Missbrauchsverbots als dem Recht von Anfang an innewohnende Grenze, die alle missbräuchliche Rechtsausübung nur zu einer scheinbaren Rechtsausübung macht, mit einem „allgemeinen rechts­ ethischen Pflichtgedanken“, der auf „Beachtung der Belange des einzelnen Rechtsgegners und auf Beachtung der Belange des Gemeinwohls“ gerichtet sei.247 Bedenken gegen diese Lehre ergeben sich bereits aus dem Erfordernis einer auf Klarheit und Vorhersehbarkeit basierenden Rechtssicherheit, die verfassungsrechtlich im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankert ist. Letztlich stellt diese Lehre die inhaltliche Reichweite eines Rechts allgemeinen ethischen Überlegungen und Gerechtigkeitserwägungen anheim, die sich in concreto weder aus §§ 226, 242 oder 826 BGB noch aus anderen Normen ergeben. Notwendige Konkretisierungen können allein aus einer mehr und mehr gefestigten Rechtsprechung, die zumindest verallgemeinerungsfähige Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs zu errichten vermag, hergeleitet werden. Gerade im Verfassungsrecht umginge aber eine Übertragung des im Zivilrecht durchaus bedeutsamen Richterrechts bedenklich den demokratisch legitimierten Gesetzgeber. Siebert verwendet seine Lehre – was in der Literatur übersehen wird – letztlich auch dazu, eine „deutsche nationalsozialistische Rechtsauffassung“, eine Dynamik des Rechts, eine „Einheit von Recht und Pflicht“ und damit einen vermeintlichen überpositiven Rechtszweck248 zu legitimieren. Mit der Aussage: „Auch kann mal wohl sagen, dass die Interessen des Volksganzen weniger auf Voraussehbarkeit als auf Gerechtigkeit der einzelnen Entscheidung gerichtet sind.“249 entlarvt er seine Lehre selbst als Mittel zum Zweck, das jedem rechtsstaatlichen Denken entgegensteht und dem Vorwurf der Rechtsunsicherheit nicht nur nicht zu widersprechen vermag, sondern dies in letzter Konsequenz auch gar nicht für nötig erachtet. So bewirkt Siebert aber bewusst eine irrationale Vermengung von Recht und Moral. „Die Durchdringung des ‚formalen‘ Rechts mit rechtsethischem und sozialethischem Gehalt“ entspreche „deutschem Rechtsdenken“ und erscheine „zur 246  Siehe nur Fleischer, JZ 2003, 865 (872); Grüneberg, in: Rn. 38; Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rn. 11 ff. 247  Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 248  Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 249  Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, hebung im Original).

Palandt, § 242 S. 152. S. 154 f. S. 155 (Hervor-

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Vermeidung einer volksfremden Rechtsordnung und zur Schaffung einer einheitlichen weltanschaulichen Grundlage des Rechts sogar notwendig“.250 Mit dieser nationalsozialistisch motivierten und liberalem Rechtsdenken dezidiert entgegentretenden Argumentation schafft Siebert eine in sich schlüssige Ablehnung der Außentheorie.251 Unwidersprochen soll freilich der Ausspruch Webers sein, dass „die subjektiven Rechte nicht um ihrer selbst willen da sind, sondern um dem Einzelnen seine Stellung in der Gemeinschaft – und zwar dieser selbst wie anderen Gliedern der Gemeinschaft gegenüber – zu sichern“ und deshalb die Ausübung eines Rechts „auch an die sozialen Gegebenheiten gebunden“ ist.252 Dies bedeutet, wie Weber schließt, dass ein Recht nicht schrankenlos ausgeübt werden kann, sondern ihm vielmehr Gegenrechte entgegenstehen, führt aber nicht zwingend zu der von Siebert vorgeschlagenen inneren Begrenzung des Rechts durch allgemeine rechtethische Grundsätze. Selbst ihrer ideologischen Vereinnahmung im Nationalsozialismus entkleidet, vermag die Innentheorie aufgrund ihrer im Einzelfall unvorsehbaren rechtspolitischen Wertungen jedenfalls nicht den gleichen Grad von Rechtsklarheit und -sicherheit wie die Außentheorie zu bewirken.253 Zudem verkennt die Innentheorie, dass die unzulässige Rechtsausübung ein vorübergehender Zustand sein kann, der in einer anderen Situation nicht gelten mag. Bei Annahme einer generellen „Relativität des Rechtsinhalts“ würde das Recht aber inhaltlich erlöschen und könnte in keinem Fall wieder aufleben.254 Dies widerspricht indes dem Charakter des positiven Rechts als demokratisch legitimierte und im rechtsstaatlichen Sinne verlässliche Norm. bb) Argumente für eine Außentheorie des Rechtsmissbrauchs Gegen die Innentheorie sprechen aber nicht nur vor dem Hintergrund einer bürgerlich-liberalen Grundrechtstheorie erhebliche Bedenken. Selbst in dem für Ideologien und Totalität unanfälligeren Zivilrecht ist sie letztlich nicht haltbar. So spricht nicht zuletzt der Grundsatz der Rechtssicher250  Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 155 f. Derart unsicherem Rechtsgefühl als Inhaltsbestimmung des Rechts trat bereits Hager, Schikane und Rechtsmissbrauch, S. 3 f., entgegen: „Der Fühlungsprozess bleibt subjektiv, der objektive Denkprozess allein wird zu einem sachlichen Urteil gelangen.“ 251  Vgl. in diesem Sinne auch Fleischer, JZ 2003, 865 (867), wenngleich sehr viel verhaltener in der Bewertung der Lehre Sieberts. 252  Weber, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, 11. Aufl. 1961, § 242 Rn. D 22 m. w. N. 253  Dezidiert in diesem Sinne Weber, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, 11. Aufl. 1961, § 242 Rn. D 29. 254  Siehe Weber, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, 11. Aufl. 1961, § 242 Rn. D 28.



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heit255 gegen die Siebertsche Immanenzlehre. Dass dagegen nicht jede Gesetzesanwendung automatisch zu einem dem Gerechtigkeitsempfinden entsprechenden Ergebnis führen mag, ist unzweifelhaft.256 Letztlich muss diese Folge jedoch ob der im freiheitlichen Rechtsstaat um keinen Preis aufzugebenden Rechtssicherheit prinzipiell hingenommen werden. Entsprechend kann Siebert mit seiner Innentheorie der aus der unzulässigen Rechtsausübung folgenden Verwirkung keine eigenständige Bedeutung beimessen. Sie macht seiner Meinung nach nur etwas sichtbar, das schon von Anfang an vorhanden war: die Tatsache, dass die unzulässige Rechtsausübung gar keine Rechtsausübung sei.257 Schon diese Formulierung zeigt indes die Widersprüchlichkeit seiner Auffassung.258 Eine Rechtsausübung – und sei sie noch so wenig vom Gesetzgeber bezweckt – bleibt doch immer Rechtsausübung und kann bereits begrifflich nicht außerhalb des Rechts stehen.259 Die Konzeption des Art. 18 GG würde zudem zu einigen Widersprüchen führen, da vor der insofern konstitutiven Entscheidung des BVerfG über die Rechtserheblichkeit der Grundrechtsverwirkung der Missbrauchende so behandelt werden müsste, als bestünde der Grundrechtsschutz zu seinen Gunsten. Der Staat wäre also an einen eigentlich überhaupt nicht bestehenden Grundrechtsschutz gebunden. Zu folgen ist nach alledem der Außentheorie, wonach die Geltendmachung eines Rechts im Fall seines Missbrauchs gehindert ist.260 Die bereits oben261 als irrig aufgezeigte Annahme, dass Art. 18 GG nicht den zivil255  Zum Verhältnis von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit umfassend v. Arnauld, Rechtssicherheit, S. 637 ff. Vgl. aber bereits Stammler, Die Lehre vom richtigen Rechte, S. 223, der zum Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausführt, dass es „nicht außerhalb des gesetzten Rechtes oder gar im Gegensatz zu ihm [stehe], sondern […] ein Werkzeug des positiven Gesetzes, zur Feststellung von des letzteren Inhalte“ sei (Hervorhebungen im Original). 256  Siehe auch Hager, Schikane und Rechtsmissbrauch, S. 2. 257  Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 175; so immer noch das herrschende Verständnis, vgl. nur Wagner, Die Verwirkung der Wählbarkeit, S.  33 m. w. N. 258  Der Umstand, dass der Missbrauch im herkömmlichen Sinne bereits ein bestimmtes Handeln vom Schutz des Grundrechts ausnimmt, hat indes Badura, Staatsrecht, C Rn. 29 dazu bewogen, das Institut der Verwirkung für verfassungspolitisch sinnlos, weil überflüssig, zu halten. 259  Auch die zivilrechtliche Literatur unterscheidet nicht zwischen der von ihr mit der Innentheorie gemeinhin angenommenen „immanenten Inhaltsbegrenzung“ und einer „Rechtsüberschreitung“, nach der doch ein „an sich“ vorhandenes Recht sinnwidrig ausgeübt werden müsste; vgl. statt vieler Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rn. 33. Dagegen kann einer formalen Rechtsausübung sehr wohl ein Defizit an materieller Gerechtigkeit gegenüber stehen. 260  Weber, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, 11. Aufl. 1961, § 242 Rn. D 24. 261  Siehe unter B. I. 3. d).

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rechtlichen Missbrauchsbegriff inkludiere, beruht also maßgeblich auf der Zugrundelegung der zivilrechtlichen Innentheorie. Wenn hingegen der zivilrechtliche Begriff des Rechtsmissbrauch einer, liberalem Rechtsverständnis entsprechenden, außentheoretischen Auslegung zugeführt wird, kann die zivilistische Lehre auch für das Verfassungsrecht fruchtbar gemacht werden. Worin liegt dabei jedoch der Mehrgerwinn gegenüber der Innentheorie? Man könnte schließlich einwenden, dass auch die Außentheorie des Missbrauchs eine faktische Grundrechtsbegrenzung mit sich bringt und die Rechtsunsicherheit demzufolge nicht geringer wäre als bei der Innentheorie. Allein, es macht durchaus einen Unterschied, ob ein Recht von vornherein nicht existiert und deshalb weder von staatlichen Organen berücksichtigt zu werden braucht noch im Prozess vom Richter geprüft werden kann262 oder ob es einen Sachverhalt zwar erfasst, aber ausnahmsweise nicht geltend gemacht werden kann. In diesem Fall muss das grundsätzlich bestehende Recht nämlich zunächst beachtet werden, bevor seine „Hinderung“ durch die Gegenpartei im Zivilprozess oder die staatlichen Organe im Verfassungsrecht geltend gemacht werden kann. b) Auswirkung der Außentheorie auf die generelle Verwirkungslehre Für die Verwirkung bedeutet diese Auslegung, dass der generellen Verwirkungslehre der Boden entzogen ist. Gallwas hat diese Lehre maßgeblich vertreten, weil er die Verwirkung aus ihrer unvermeintlichen Bedeutungs­ losigkeit infolge der auch von ihm angenommenen innentheoretischen Begrenzung des Grundrechtsinhalts durch den Missbrauch befreien wollte. Er glaubte, dem Begriff der Verwirkung in Art. 18 GG ein spezifisches Verständnis unterlegen zu müssen, weil er sonst gegenüber dem allgemeinen Missbrauchsverbot keine eigenständige Bedeutung erlangen würde. So unterstellte er ihm eine in die Zukunft wirkende generelle Aberkennungsfunktion.263 Diese seither überwiegend befolgte Verwirkungstheorie muss notwendig ablehnen, wer der Außentheorie folgt. Danach hat die Verwirkung die entscheidende Funktion, die Ausübung eines Rechts im Missbrauchsfall zu hindern. Darüber hinaus kann sie aber keinen Aberkennungstatbestand 262  Entsprechend der Innentheorie bewirkt der Rechtsmissbrauch im Zivilrecht daher nach ganz herrschender Meinung eine Einwendung, während nach der Außentheorie erst eine Einrede den Rechtsmissbrauch beachtlich machen würde. Vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 Rn. 96; Looschelders / Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 322, 324 m. w. N.; Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 242 Rn. 314. 263  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 131, 174.



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für die Zukunft darstellen. Dies würde die schlichte Bedeutung der Verwirkung im Zusammenhang mit dem Missbrauch überstrapazieren und damit rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Norm zuwiderlaufen. So unterstützt also die Außentheorie des Missbrauchs auch die hier vertretene restriktive Verwirkungslehre, nach der die Verwirkung eines Grundrechts nur ein jeweils missbrauchsbezogenes Geltendmachungshindernis bewirkt. Der Missbrauch steht indes nicht beziehungslos und als reine inhaltsleere Begrifflichkeit neben der Verwirkung, sondern hat insofern eine eigenständige Bedeutung für die Verwirkung, als er sie überhaupt erst auslöst. Die Verwirkung ist deshalb, wie bereits dargestellt, notwendig eine „missbrauchsbezogene“ Rechtsfolge und keine davon losgelöste Sanktion. Zwischen beiden Merkmalen besteht eine Konnexität dergestalt, dass die Verwirkung dem Missbrauch erst eine rechtliche Konsequenz gegenüber stellt, die andersherum nur durch eine missbräuchliche Handlung eintritt. c) Konturierung der Verwirkung auf der Ebene der Rechtsfolgen Nun gelingt es, die Rechtsfolgen der Grundrechtsverwirkung in eine weitere Richtung einzugrenzen, so dass der Inhalt der Verwirkungsentscheidung deutliche Konturen annimmt. Zunächst bezieht sich die Verwirkung nur auf den spezifischen Grundrechtsmissbrauch. Damit entzieht sie lediglich eine ganz bestimmte Handlungsweise dem Schutz des in Art. 18 GG genannten Grundrechts. Dies bewirkt allerdings nicht, dass der Betroffene des Schutzes gänzlich verlustig geht, vielmehr wird er durch die Grundrechtsverwirkung lediglich an der Geltendmachung des Grundrechts zum Schutz seiner spezifisch missbräuchlichen Handlung gehindert. Die Konturierung der Verwirkung ist also eine zweifache: erstens eine gegenständliche Begrenzung auf die Missbrauchshandlung und zweitens eine Rechtsfolgenbegrenzung auf das Hindernis der Geltendmachung.264 Mit dieser Auslegung kann selbstverständlich nicht gemeint sein, dass die Grundrechtsverwirkung, begriffen als Schmälerung des subjektiven Rechtsstatus, zugleich ein bestimmtes Handlungsverbot begründe. Die Verwirkung der Meinungsfreiheit kann vielmehr nicht gleichbedeutend mit einer Verurteilung zum Schweigen sein.265 Dies hätte nämlich zur Voraus264  Insoweit sich diese Auffassung wiederum mit der Berufungstheorie v. Mangoldts deckt, präzisiert sie aber deren dogmatische Bedeutung für die Grundrechtskonzeption, wie noch zu zeigen sein wird. 265  Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 30; ähnlich Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (300); missverständlich hingegen Schlaich / Korioth, Das Bundesverfassungs-

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setzung, dass die Grundrechte erst zu einer bestimmten Freiheitsbetätigung berechtigen würden. Selbst wenn man aber den Grundrechten über ihre liberale Eingriffsabwehrfunktion hinaus andere Rechtsgehalte beimessen will, wie im Laufe der Zeit vermehrt geschehen,266 so ist ihre Bedeutung doch nach Art. 1 Abs. 2 und 3 GG unmissverständlich, die staatlichen Gewalten an die vorstaatlich existenten, also nicht erst konstitutionell gewährten, Grundrechte zu binden.267 Eine erst von Verfassungswegen konstituierte Ermächtigung zur Freiheitsbetätigung wohnt den Grundrechten daher nicht inne; einer solchen bedarf es in einem liberalen Rechtsstaat überhaupt nicht.268 Kein Verwirkungsverständnis kann deshalb davon ausgehen, dass Art. 18 GG zu einem Verbot führen würde, die inidividuelle Freiheit in Anspruch zu nehmen. Die Norm bewirkt mithin nicht, dass der Betroffene seine Grundrechte nicht mehr „gebrauchen“ darf – insofern erscheint der Wortlaut der Verwirkungsnorm missverständlich. „Gebrauchen“ muss hier vielmehr im Sinne von „geltend machen“ verstanden werden, richtigerweise also als Unmöglichkeit, den Abwehranspruch gegen die staat­ lichen Organe geltend zu machen.269 gericht, Rn. 339, das BVerfG entscheide „über die Verwirkung grundrechtlich geschützter Betätigungsmöglichkeiten“. 266  Vgl. etwa die Systematisierung bei Dreier, in: ders., GG, Vorb. Rn. 82 ff., der allerdings die „Sinnmitte“ der Grundrechte in Übereinstimmung mit dem BVerfG und der herrschenden Auffassung in der Abwehfunktion der Grundrechte begreift; Ossenbühl, NJW 1976, 2100 ff.; ausführlich auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S.  48 ff., 70 ff. 267  Vgl. nur Dürig, ZgesStW Bd. 109 (1953), 326 (327); Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 43: Mit dem „Vorausliegen der Grundrechte“ sei die „Rechtsfertigungsbedürftigkeit ihrer Beschränkung“ gemeint. Ihr Gebrauch gegenüber dem Staat bedürfe indes nicht der Rechtsfertigung (Rn. 44); anders freilich Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 110: „Die Grundrechtsausübung wie die Rechtsausübung überhaupt erweist sich damit als ein constituens des Ganzen.“ (Hervorhebung im Original); dazu eingehend Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 63 ff., die von der traditionellen Auffassung spricht, nach der Grundrechte „jedenfalls in ihrer Eingriffsabwehrfunktion nur natürliche Freiheiten schützen“ (S. 75, Fn. 3); vgl. auch H. H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 78 (Fn. 40). 268  Vgl. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 38  ff., 55, unter Be­ zugnahme auf Geiger, Grundrechte, in: Staatslexikon, Bd. 3, Sp. 1122 (1124 f.); für die Kunstfreiheit ebenso Rusteberg, Der grundrecht­ liche Gewährleistungsbereich, S. 193. 269  Anders wohl Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 48 f.: „Nach dem Verständnis des Art. 18 GG muss also die (Rechts-)Ausübung des Freiheitsrechtes (zumindest auch) in der tatsächlichen Grundrechtbetätigung gesehen werden. Art. 18 GG weist demnach auf ein Grundrechtsverständnis, das nicht nur auf die ‚Re-aktion‘ (auf staatliche Freiheitsbeeinträchtigung), sondern auch auf die ‚Aktion‘ des Grundrechtsberechtigten abhebt.“



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung159

An dieser Stelle soll noch einmal auf das bereits untersuchte Problem der äußeren Verwirkungsextension zurückgegriffen werden. Die Grundrechtsverwirkung scheint an ihre Grenzen zu stoßen, wenn ein Lebenssachverhalt verschiedenen grundrechtlichen Schutzbereichen unterfällt, da die Verwirkung des einen dabei zugleich die Verwirkung des anderen, möglichweise aber gar nicht verwirkbaren Grundrechts nach sich ziehen müsste. So wird bisweilen auf die gleichzeitige Verwirkung von Presse- und Berufsfreiheit im Fall eines Berufsverbots für einen Journalisten im Rahmen von Art. 18 GG verwiesen. Anstelle der hier meist vorgebrachten utilitaristischen Argumente sind indes die bereits gewonnenen Erkenntnisse über die rechtliche Bedeutung der Grundrechtsverwirkung heranzuziehen. Versteht man die Grundrechtsverwirkung dergestalt, dass sie nur ein missbrauchsbezogenens Hindernis der Geltendmachung grundrechtlichen Schutzes bewirkt, stellt sich das eben geschilderte Problem in ganz neuem Lichte dar. Nach dem hier vorgestellten Verwirkungsmodell kann der Missbrauchende aufgrund der Verwirkungsentscheidung grundrechtlichen Schutz für die Freiheitsperversion nicht einfordern. Dabei kann nur die Geltendmachung der in Art. 18 GG genannten Grundrechte gehindert sein, nicht jedoch etwa die der Religions- oder der Berufsfreiheit. Gegen Maßnahmen des Staates infolge einer Grundrechtsverwirkung kann sich der Betroffene daher zwar nicht unter Berufung auf die nach Art. 18 GG verwirkten Grundrechte, wohl aber durch Geltendmachung des Schutzes nicht verwirkbarer Grundrechte wehren. Ob diese freilich überhaupt einschlägig sind, ist wiederum eine Frage ihrer Auslegung; hierzu ist auf die Ausführungen vor allem zur Konturierung der Religionsfreiheit zu verweisen.270 Das viel zitierte Beispiel des Berufsverbots muss sich aber stets an Art. 12 Abs. 1 GG messen lassen und kann keinesfalls durch eine „Mitverwirkung“ der Berufsfreiheit von vornherein gerechtfertigt sein. Die Verwirkungsentscheidung bewirkt rechtlogisch zudem, wie soeben aufgezeigt,271 kein Handlungsverbot, sondern allein ein Geltendmachungshindernis, so dass die Erteilung eines Berufsverbots keine unmittelbare Rechtsfolge des Art. 18 GG, sondern eine daran lediglich anknüpfende Entscheidung der Behörden sein kann. Die Frage der äußeren Verwirkungsextension stellt sich aus dieser Perspektive folglich eher als Scheinproblem, denn als reale Schwierigkeit bei der Umsetzung der Verwirkungsentscheidung dar. Sie rührt einzig von einem falschen Verwirkungsverständnis her.

270  Siehe 271  Siehe

unter D. I. 4. c). unter D. II. 4. c).

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5. Konflikt mit anderen Grundrechtsbestimmungen Bisweilen wurde in den vorangegangen Abschnitten schon angedeutet, dass die Verwirkung von Grundrechten mit anderen Verfassungsnormen in Konflikt zu geraten droht oder ihretwegen möglicherweise nicht hinreichend umgesetzt werden kann. Ein Problem stellt dabei die Nichtverwirkung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und des Art. 3 Abs. 1 GG dar. Eine weitere Hürde bezeichnen die Unverletzlichkeit des Wesensgehalts eines Grundrechts aus Art. 19 Abs. 2 GG sowie der unantastbare Menschenwürdekern aller Grundrechte. a) Nichtverwirkung der allgemeinen Handlungsfreiheit Dass Art. 2 Abs. 1 GG, genau wie Art. 3 Abs. 1 GG, im Rahmen von Art. 18 GG nicht verwirkbar ist, wurde bereits von einigen Autoren problematisiert.272 Dieser „Auffangschutz“ kann indes, will man Art. 18 GG als effektive Verfassungsschutznorm begreifen, zunächst nicht befriedigen. Während also der Rechtsstatus desjenigen, dessen Grundrechte verwirkt sind, hin und wieder mit dem eines Ausländers im Bereich der sogenannten Deutschengrundrechte verglichen wird,273 widerspricht dem Isensee mit der Begründung, dass auf den Ausländer stattdessen Art. 2 Abs. 1 GG Anwendung findet, während dies für den Verwirkungsgegner nicht gelten könne. Der Grundrechtsschutz weise insofern eine „planmäßige Lücke“ auf, weil das Handeln „in diesem Negativbereich von Verfassungswegen missbilligt und als nicht schutzwürdig behandelt wird“.274 aa) Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit Zunächst einmal ist festzuhalten, dass sich das Problem überhaupt nur stellt, wenn Art. 2 Abs. 1 GG als umfassende Handlungsfreiheit und damit als Auffanggrundrecht dahingehend begriffen wird, dass es immer dann eingreift, wenn kein Schutzbereich eines spezielleren Grundrechts einschlä272  Vgl. vor allem Ridder, AK-GG, Art. 18 Rn. 16; ebenso Apelt, JZ 1951, 353 (355); H. P. Ipsen, in: Neumann  /  Nipperdey  /  Scheuner (Hrsg.), HdbGR II, 1954, S. 111 (132); Schwarz, JZ 2000, 128 f.; Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (159). 273  Rupp, Bemerkung zur Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Günther Küchenhoff, S.  653 (655), Benda, in: Benda / Klein, Verfassungsprozessrecht, Rn. 1153. 274  Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (300).



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gig ist.275 Ohne hierauf vertieft eingehen zu wollen, sei an dieser Stelle nur so viel gesagt, dass im Sinne eines liberalen Grundrechtsverständnisses, das dem Grundgesetz nach der vorliegend vertretenen Auffassung zu Grunde liegt, Art. 2 Abs. 1 GG notwendig eine allgemeine Handlungsfreiheit schützen muss, ohne Rücksicht auf die Wertigkeit der Handlung.276 Diese umfassende Freiheit, alles tun und lassen zu können, ermöglicht es schließlich, die Tatbestände der anderen Freiheitsgrundrechte hinreichend konkretisieren zu können, was gerade eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Anwendung von Art. 18 GG zwingend erfordert, wie oben aufgezeigt.277 Nur durch die Möglichkeit, sich immer (subsidiär) auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen zu können, bleibt die Freiheit des Einzelnen im Grundsatz gewahrt. Zugleich stützt die Aufrechterhaltung des grundrechtstheoretisch höchst bedeutsamen Art. 2 Abs. 1 GG die These, dass die Verwirkung von Grundrechten kein Handlungsverbot begründet. Die Freiheit, alles tun und lassen zu können, wird allein von Art. 2 Abs. 1 GG gewährt. Alle speziellen Grundrechte setzen diese Freiheit implizit voraus und statuieren lediglich besondere Eingriffsverbote bzw. gehobene Hürden des Eingriffs für den Staat.278 Schon aufgrund dieser eigenständigen und unverzichtbaren Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG führt Art. 18 GG keinesfalls zu einer gleichzeitigen Verwirkung der allgemeinen Handlungsfreiheit; solch eine „Ausstrahlungswirkung“ auf andere Grundrechte,279 wäre verfassungsrechtlich aufgrund des Enumerationsprinzips des Art. 18 GG nicht zulässig. Wenn aber Art. 2 Abs. 1 GG nicht gleichzeitig mit anderen Grundrechten verwirkt werden kann, stellt sich automatisch die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Grundrechtsverwirkung, da sich der Betroffene ja noch auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen kann.280 Schließlich tritt diese als subsidiär nur zurück, wenn der Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechts eröffnet ist. Genau dies scheint aber infolge einer Grundrechtsverwirkung nicht der Fall zu sein: Die jeweilige Missbrauchshandlung wird nicht mehr vom Schutzbereich des Grundrechts erfasst. Art. 2 Abs. 1 GG müsste folglich als „Auffanggrundrecht“ eingreifen.

275  Seit BVerfGE 6, 32 (Elfes) ganz überwiegende Ansicht; vgl. dazu kritisch Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 35 ff.; anders auch Lindner, Theo­ rie der Grundrechtsdogmatik, S. 455 f. 276  Vgl. Krüger, NJW 1955, 201 (202): „Es gibt daher auch eine Freiheit der Entfaltung zum Banausentum“. 277  Siehe unter D. I. 4. c). 278  Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, S. 146 ff. 279  Siehe etwa Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 29 ff. 280  Dagegen wenden sich Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 40; Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (159).

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D. Verwirkung

bb) Mögliche Lösungsansätze Eine Möglichkeit bestünde darin, die Geltendmachung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Verwirkung der speziellen Grundrechte zwar nicht als mitverwirkt, wohl aber als gesperrt anzusehen. Von verwirkten Grundrechten speziell geschützte Lebensbereiche dürften also hernach nicht mehr über Art. 2 Abs. 1 GG subjektiven Schutz erfahren.281 Dies würde jedenfalls zu einer praktisch befriedigenden Lösung führen. Dogmatisch vermag die Konstruktion indes nicht recht zu überzeugen. Schließlich würde eine solche rein utilitaristische „Sperrung“ der allgemeinen Handlungsfreiheit de facto nichts anderes bedeuten, als eine Mitverwirkung des Grundrechts. Außerdem bietet sich für eine solche Auslegung keinerlei rechtliche Grundlage in der Verfassung selbst, was aber angesichts ihrer Grundrechtsintensität zwingend erforderlich wäre. Der auf eine ähnliche Konstruktion hinauslaufenden Argumentation Isensees mangelt es daher gleichfalls an dogmatischer Überzeugungskraft und einer verfassungsrechtlichen Rechtsgrundlage.282 Anders scheint es aber zu sein, wenn man die Verwirkung nicht als Aberkennung des grundrechtlichen Schutzes, sondern als vorübergehendes Hindernis der Geltendmachung für einen bestimmten Fall versteht. Es macht auch hier, wie im Zivilrecht,283 einen Unterschied, ob der Schutz der Grundrechte vollständig aberkannt wird oder aber nur seine Geltendmachung zeitweilig gehindert ist. Das „Auffanggrundrecht“ des Art. 2 Abs. 1 GG kann nämlich dann nicht normativ aufleben, wenn der Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechtes eröffnet ist. Dies scheint auch hier für das verwirkte Grundrecht zu gelten, wenn lediglich seine Geltendmachungsmöglichkeit vorübergehend gehindert ist.284 281  Ebenso soll der Grundrechtsverzicht die Anwendung von Art. 2 Abs. 1 GG im Wege der konsumierenden Konkurrenz ausschließen, vgl. Merten, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 73 Rn. 15. 282  Gleiches gilt für die Ansicht Thiels, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (159), Art. 2 Abs. 1 GG könne keinen Grundrechtsschutz für den nach Art. 18 GG verwirkten Freiheitsbereich vermitteln. 283  Siehe bereits unter D. II. 4. a) bb); vgl. dazu Menzel, Grundfragen der Verwirkung, S.  183 f. 284  Ähnlich soll der Grundrechtsverzicht niemals ein ganzes Grundrecht, sondern nur „Segmente grundrechtlicher Schutzpositionen“, also allein Grundrechtselemente, erfassen. Ein Grundrechtsverzicht bedeute also in erster Linie, „die den Grundrechten innewohnende subjektiv-rechtliche Abwehrkomponente nicht geltend zu machen“. Stern, Staatsrecht III / 2, S. 928. Teilweise wird dies unter dem Spezialfall des Grundrechtsausübungsverzichts eingeordnet. Danach bleibt der Verzichtende zwar Inhaber des Grundrechts und ist mithin weiter grundrechtsberechtigt. Doch kann er sein Grundrecht nicht mehr ausüben, was gleichbedeutend mit einem Verzicht auf die Möglichkeit der Geltendmachung des Grundrechts sei. Vgl. Seifert, Jura 2007,



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung163

Es fragt sich freilich, ob damit nicht genauso eine schleichende Verwirkung der allgemeinen Handlungsfreiheit bewirkt wird wie nach der „Sperr-“ oder der „Mitverwirkungstheorie“. Indem eine Handlungsweise zwar in den Lebensausschnitt eines Grundrechts fällt, dessen Schutz hierfür aber nicht geltend gemacht werden kann, bleibt sie de facto schutzlos. Genau hier müsste eigentlich Art. 2 Abs. 1 GG eingreifen, um die nicht geschützte Handlung grundrechtlich „aufzufangen“. Selbst wenn man den grundrechtlichen Tatbestand also richtigerweise in zwei Takte aufteilt und damit den rein wortlautgetreuen Lebens- und Sachbereich von dem tatsächlichen Gewährleistungsgehalt im Einzelfall trennt, kommt man nicht umhin, die allgemeine Handlungsfreiheit gerade dann für einschlägig zu befinden, wenn der faktischen Schutz gewährende Gehalt des Grundrechts nicht eingreift. Als so verheerend erweist sich dieses Ergebnis allerdings nicht, wenn man bedenkt, dass auch (EU-)Ausländer ihre über Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit – anders als Deutsche oder Unionsbürger – nicht verwirken können.285 Hier gilt es zu bedenken, dass die allgemeine Freiheit zu jedweder Betätigung nicht gleichrangig ist mit den speziellen Grundrechten und mit dem bloßen Verweis auf einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung sehr leicht eingeschränkt werden kann. Es muss also als verfassungsgeberische Wertentscheidung hingenommen werden, dass die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG nicht gleichzeitig mit den speziellen Freiheitsgrundrechten verwirkt werden kann. Der Verwirkungsgegner bleibt also in keinem Fall vollkommen schutzlos gegenüber den staatlichen Gewalten, genießt aber einen weitaus geringeren Handlungsschutz als zuvor. b) Nichtverwirkung des Gleichheitssatzes Anders gelagert ist das Problem der Unverwirkbarkeit des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Diese Friktion wurde bisher im Zusammenhang mit Art. 18 GG kaum thematisiert.286 Dabei würde die Grundrechtsverwirkung gleichsam ins Leere laufen, wenn sich der Betroffene stets auf die fehlende Gleichbehandlung mit anderen Personengruppen berufen könnte. Eine „Mitverwirkung“ von Art. 3 Abs. 1 GG scheidet aber aus den genannten Gründen von vornherein aus. 99 (101) m. w. N.; dagegen Sturm, Probleme eines Verzichts auf Grundrechte, in: Festschrift Willi Geiger, S. 173 (185). 285  Darauf weist auch Sachs, Verfassungsrecht II, A 9 Rn. 71 hin. 286  Als Ausnahme dürfen wohl Apelt, JZ 1951, 353 (355) sowie H. P. Ipsen, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), HdbGR II, 1954, S. 111 (132) gelten, die das Problem allerdings nur benannt und nicht gelöst haben.

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D. Verwirkung

Eine dogmatisch schlüssige Argumentation ergibt sich aus der Verwirkung des Gleichheitsgehalts der nach Art. 18 GG verwirkbaren Grundrechte. Die Freiheitsrechte überschneiden sich von vornherein mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, insoweit ihnen ebenfalls ein Gleichbehandlungsgehalt entnommen werden kann.287 So wohnt etwa den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und 4 Abs. 1 GG auch ein Verbot zur Diskriminierung von bestimmten Meinungen, was an der Schranke der „allgemeinen Gesetze“ (Art. 5 Abs. 2 GG) besonders sichtbar wird, oder Religionen inne. Dieses Gleichbehandlungsgebot wird generell über das spezielle Freiheitsrecht, nicht aber über den allgemeinen Gleichheitssatz geschützt.288 Somit muss rechtslogisch mit der Verwirkung spezieller Grundrechte zugleich ihr Gleichheitsgehalt verwirkt werden. Über Art. 3 Abs. 1 GG kann sich also nicht mehr auf die Gleichbehandlung in den von verwirkten Grundrechten speziell geschützten Lebensbereichen berufen werden. Dies ist die Folge einer gewissen Dualität des Gleichheitsschutzes einmal allgemein über Art. 3 Abs. 1 GG, und zum anderen in den speziellen Grundrechten, die aus sich selbst heraus eine gleiche Anwendung durch den Staat voraussetzen. Dieses Gleichheitsprinzip liegt jedem Freiheitsrecht zugrunde, da jede Freiheit in der Demokratie immer eine gleiche Freiheit sein muss.289 Aus dieser Dichotomie ergibt sich ein kaum thematisiertes Spezialitätsverhältnis: So ist etwa das Verbot, nur bestimmte Meinungen zu unterbinden, allein in Art. 5 Abs. 1 GG begründet und nicht in dem insoweit allgemeineren Art. 3 Abs. 1 GG. Dies sieht das BVerfG in ständiger Rechtsprechung zwar anders,290 verzichtet allerdings immer wieder auf eine eigenständige Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG und verweist stattdessen auf die Ausführungen im Zusammenhang mit dem einschlägigen Freiheitsgrundrecht.291 Wenngleich das BVerfG damit implizit ebenfalls die Verschränkung von Gleichheits- und Freiheitsschutz anerkennt, vermag es so das Gleichheitsgebot flexibler zu handhaben, 287  Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 18, 20: „Die Garantie der Freiheitsrechte ist für alle gleich […]“, der allerdings auf die Möglichkeit der Differenzierungen im Bereich der Grundrechtsschranken verweist; vgl. auch Art. 14 EMRK. Vgl. auch Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 16 ff. 288  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 3. 289  Vgl. Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, S. 241. 290  Das BVerfG nimmt zwar ebenfalls an, dass für eine Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG im Bereich eines anderen Grundrechts kein Raum sei, dies sei allerdings nur der Fall, wenn die „spezielle Grundrechtsnorm“ tatsächlich verletzt sei, vgl. nur BVerfGE 59, 128 (159) m. w. N. Dies soll indes nur für die speziellen Gleichheitssätze gelten und sonst keine Spezialität im technischen Sinne vermitteln, so Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn 77 ff. 291  Z.  B. BVerfGE 84, 133 (158); vgl. auch Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 18.



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung165

indem es eine ausnahmsweise über die Verletzung des Freiheitsgrundrechts hinausgehende Beeinträchtigung des Art. 3 Abs. 1 GG im Einzelfall nicht zu erklären braucht. Wie aber der Fall einer Grundrechtsverwirkung zeigt, ist die dogmatisch bessere Lösung in der regelmäßigen Inklusion des Gleichheitssatzes in den einzelnen Freiheitsrechten zu sehen. Nur so kann auf einfache und doch systematisch korrekte Weise verhindert werden, dass sich der Verwirkungsgegner gegen jede ihn allein betreffende Maßnahme mit dem Hinweis auf eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG wenden kann. Zumindest solange die staatliche Maßnahme gegenüber dem Verwirkungsbetroffenen nicht zuvörderst auf eine Diskriminierung abzielt, sondern diese bloß reflexartig in Kauf nimmt, ist Art. 3 Abs. 1 GG schon der Sache nach nicht anwendbar, weil der spezielle Gleichheitsschutz des Grundrechts mit diesem zusammen verwirkt wurde. Selbst wenn man dagegen eine eigenständige Betroffenheit von Art. 3 Abs. 1 GG annehmen will, kann ein Konflikt der Verwirkung mit dem Gleichheitssatz vermieden werden. So kann einerseits angenommen werden, dass sich der Inhalt des bloß formal strukturierten Gleichheitssatzes292 aus der Grundsatzentscheidung der speziellen Grundrechtsnormen ergibt und demgemäß die durch Art. 18 GG bezweckte Schutzlosigkeit in ihrem Sachund Lebensbereich auf die Gleichheitsgarantie zu übertragen ist. Will man darüber hinaus jedoch Art. 3 Abs. 1 GG einen von den betroffenen Freiheitsgrundrechten vollkommen unabhängigen Inhalt zuerkennen, kann die Grundrechtsverwirkung im Rahmen einer Ungleichbehandlung des Verwirkungsgegners gegenüber „normalen“ Grundrechtsträgern schließlich als sachlicher Diskriminierungsgrund dienen.293 Als „hinreichend gewichtiger Grund“294 für eine Ungleichbehandlung kommt grundsätzlich jede vernünftige Erwägung in Betracht, wenn sie „sachlich vertretbar“, das heißt nicht „sachfremd“ ist.295 Die Annahme, dass die Verwirkung von Grundrechten ein solcher sachlicher Differenzierungsgrund sei, liegt danach durchaus nahe. Das Vorliegen eines solchen Grundes allein genügt jedoch zur Rechtfertigung nicht, vielmehr müsste im Sinne der sog. Neuen Formel296 die Ungleichbehandlung verschiedener Personen aufgrund der Grundrechtsverwirkung verhältnismäßig sein. Je nach Intensität der Diskriminierung gegenüber 292  Starck, 293  So

in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 15. etwa Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, §  39

Rn. 30. 294  BVerfGE 100, 138 (174). 295  BVerfGE 90, 145 (196); 94, 241 (260); 103, 242 (258); Jarass, in: Jarass  /  Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 15. 296  Siehe nur BVerfGE 55, 72 (88); 75, 108 (157); kritisch Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  3 Abs.  1 Rn.  11.

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D. Verwirkung

anderen Grundrechtsträgern würde die Grundrechtsverwirkung mal stärker und mal weniger stark zum Tragen kommen. Zwar ist bei im Grundgesetz bereits angelegten Differenzierungskriterien, wie sie die Verwirkungsnorm letztlich darstellt, stets eine großzügige Prüfung angebracht,297 doch ist dabei zu bedenken, dass Art. 18 GG keine expliziten Differenzierungsmöglichkeiten vorgibt und bei deren prinzipieller Annahme deshalb große Vorsicht walten zu lassen ist. Auch hier zeigt sich, dass eine Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 1 GG nur zu rechtfertigen ist, wenn sich der Staat gegenüber dem Diskriminierten auf dessen spezifischen Grundrechtsmissbrauch berufen kann. Warum eine Ungleichbehandlung ohne eine solche Missbrauchssituation vor dem Hintergrund von Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein sollte, ist demgegenüber unklar. Die Annahme, dass die Verwirkungsentscheidung einen Differenzierungsgrund im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG darstelle und eine Ungleichbehandlung verschiedener Personengruppen rechtfertigen könne, führt infolge der vom BVerfG vorgegebenen Abwägung der betroffenen Rechtsgüter im Einzelfall zu einer restriktiven Auslegung der Verwirkungsnorm. Nur ein konkreter Grundrechtmissbrauch vermag danach das spezifische Außerachtlassen von Grundrechten verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. c) Wesensgehalt und Menschenwürdekern der Grundrechte In der Literatur ist immer wieder auf einen möglichen Konflikt von Art. 18 GG mit der Garantie des grundrechtlichen Wesensgehalts aus Art. 19 Abs. 2 GG und mit einem unverletzlichen, den Grundrechten innewohnenden „Menschenwürdekern“ hingewiesen worden. In der Tat scheint auf den ersten Blick viel für die Unvereinbarkeit der Grundrechtsverwirkung mit diesen Garantien zu sprechen, ganz unabhängig davon, ob man zwischen beiden überhaupt eine Divergenz ausmachen will oder sie vielmehr als identisch ansieht.298 Wenn sich nämlich nach dem herrschenden generellpräventiven Verwirkungsverständnis der Betroffene infolge der Verwirkungsentscheidung des BVerfG für eine bestimmte Zeit in der Zukunft generell auf die verwirkten Grundrechte nicht mehr berufen kann, führt dies zu einer de-facto-Aberkennung des jeweiligen Grundrechtsschutzes und damit des subjektiv-individuellen Grundrechtsgehalts schlechthin. Diese faktische Grundrechtsaberkennung wiederum hat freilich den gleichzeitigen nur Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 23. die Identität von Wesens- und Menschenwürdegehalt der Grundrechte spricht sich etwa Kokott, HdbGR I, § 22 Rn. 89 aus; für eine nur teilweise Identität etwa Leisner-Egensperger, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 70 Rn. 63 ff. 297  Vgl. 298  Für



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung167

Verlust seines Wesensgehalts und Menschenwürdekerns zur Folge.299 Kann sich der Betroffene zukünftig auf die verwirkten Grundrechte generell nicht mehr berufen, bleibt für ihn vom Wesensgehalt und Menschenwürdekern dieser Grundrechte letztlich nichts übrig. Im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 19 Abs. 2 GG scheint dieses Ergebnis aber kaum tragbar. aa) Wesensgehalt, Art. 19 Abs. 2 GG Es kommen verschiedene Lösungen für diesen Konflikt in Betracht. Eine erste kann sich aus der historisch-genetischen Auslegung von Art. 18 und 19 Abs. 2 GG ergeben. So stand die Grundrechtsverwirkung in Art. 21 Abs. 2 des Entwurfs des Grundsatzausschusses,300 unmittelbar nach der Unantastbarkeit des Wesensgehalts eines Grundrechts in Absatz 1. Diese Systematik erweckt den Anschein, als stelle die Verwirkung eine Ausnahme von der Wesensgehaltsgarantie dar. Art. 21 wäre danach folgendermaßen zu lesen: „Zwar darf der Wesensgehalt eines Grundrechts nicht angetastet werden, … doch kann ein Grundrecht unter Umständen verwirkt werden.“ Diese Auffassung erlangt eine zusätzliche Stütze durch das Argument, Art. 19 Abs. 2 GG binde nicht den Verfassungsgeber,301 so dass dieser nach Belieben die vollständige Aberkennung eines Grundrechts ohne Beachtung der Wesensgehaltsgarantie festlegen könne. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass nicht der Verfassungsgeber, sondern das BVerfG – jedenfalls wenn man seine Entscheidung mit der ganz herrschenden Ansicht als konstitutiv betrachtet – im Einzelfall die Aberkennung der Grundrechte vornehmen soll. Anders als möglicherweise der Verfassungsgeber, was hier dahin gestellt sei, ist es aber an die Wesensgehaltsgarantie gebunden.302 Gegen diese aus dem überwiegenden Verwirkungsverständnis resultierenden Bedenken lässt sich jedoch einwenden, dass die Verwirkung der grund299  Anders demgegenüber die Ansicht von Herzog, Grundrechte aus der Hand des Gesetzgebers, in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1415 (1423 ff.), der die Wesensgehaltsgarantie nicht auf die Grundrechte in ihrem subjektiven Sinn bezieht, sondern lediglich auf die jeweilige Grundrechtsnorm. Vgl. zu allen Theorien ausführlich Brenner, Der Staat 32 (1993), 493 (504 ff.). 300  JöR n. F. Bd. 1 (1951), 171 (173). Vgl. bereits oben S. 18. 301  Vgl. Stern, Staatsrecht III  / 2, § 87 IV 2, S. 963, § 85 IV 2, S. 882; ebenso Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 39; im Ergebnis wohl auch Krüger, DÖV 1955, 597 (599). 302  Entgegen dem Kontext des Art. 19 Abs. 2 GG, der eine Bindung nur des Gesetzgebers impliziert, ist jede der Grundrechtsbindung unterliegende staatliche Stelle Adressat der Wesensgehaltsgarantie, vgl. nur Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 33 m. w. N.

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D. Verwirkung

rechtlichen Berufungsmöglichkeit im Falle des Grundrechtsmissbrauchs den Schutzgehalt des jeweiligen Grundrechts bereits präformiert. Allein die Tatsache, dass nach Art. 18 Satz 2 GG das an Art. 19 Abs. 2 GG gebundene BVerfG die Schutzminderung erstmals feststellt, vermag überhaupt einen Konflikt mit der Wesensgehaltsgarantie herbeizuführen. Dies zeigt einmal mehr, dass Art. 18 Satz 2 GG nicht dazu führen kann, das BVerfG zur Entscheidungsinstanz über Grundrechtsinhalte zu erheben. Vielmehr verdeutlicht die Verwirkungsnorm, dass sich von vornherein auf Grundrechte nicht berufen kann, wer sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht. Damit findet die Geltendmachung von Grundrechten eine verfassungsrechtlich bereits vorgegebene und gleichsam natürliche Grenze. Die Befürchtung, eine Grundrechtsverwirkung könnte mit der Wesensgehaltsgarantie in Konflikt geraten, geht deshalb von Anfang an fehl, weil nicht die staatliche Gewalt das Grundrecht antastet, sondern bereits der Verfassungsgeber selbst. Darüber hinaus wird auch die Auffassung vertreten, dass Art. 19 Abs. 2 GG gewissermaßen identisch mit dem Übermaßverbot und deshalb dann nicht verletzt sei, wenn dieses gewahrt bleibe.303 Weil Art. 18 GG also die verhältnismäßige Anwendung entweder voraussetzt304 oder aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgeformt und damit inkludiert hat, kann eine Verletzung des grundrechtlichen Wesensgehalts durch die Verwirkungsentscheidung gar nicht eintreten. Diese Argument dreht sich jedoch im Kreis: Letztendlich hinge die Bedeutung der Wesensgehaltsgarantie davon ab, wie man den Inhalt der Grundrechtsverwirkung bestimmen wollte. Wenn die Verwirkungsentscheidung danach die vollständige Aberkennung des jeweiligen Grundrechtsschutzes zur Folge haben sollte, würde dies zur praktischen Wirkungslosigkeit von Art. 19 Abs. 2 GG führen, was mit dem Hinweis auf die Wahrung des Übermaßverbots gerechtfertigt wäre. Angesichts der Interpretationsoffenheit von Art. 18 GG kann die Wesensgehaltsgarantie deshalb nicht so einfach mit Verweis auf die Verhältnismäßigkeit der Grundrechtsverwirkung umgangen werden. Stattdessen gilt es, Art. 18 GG so auszulegen, dass die Verwirkung von Grundrechten nicht deren Wesensgehalt verletzt. Gerade dies gelingt, wenn man der hier vertretenen missbrauchsbezogenen Verwirkungslehre folgt. Danach wird niemals ein Grundrecht oder ein Grundrechtsschutz – was 303  So erstmals BGH, DVBl. 1953, 370; BVerfGE 58, 300 (348); Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art.  19 Rn.  9; Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 19 Rn. 24 ff.; vgl. auch Dürig, AöR 81 (1956), 117 (134 f.); dagegen Krüger, DÖV 1955, 597 (598).  304  So die überwiegende Auffassung, vgl. etwa Rupp, Bemerkungen zur Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Küchenhoff, S. 653 (654).



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung169

eben auf dasselbe hinausläuft – für eine gewisse Dauer aberkannt, vielmehr kann der grundrechtliche Schutz einzig im Missbrauchsfall nur nicht vorgebracht werden. Der Wesensgehalt eines Grundrechts wird dabei in keiner Weise angetastet, da es zum einen als solches bestehen bleibt und über seine subjektiv-rechtliche Funktion der Geltendmachung hinaus andere Dimensionen unverändert beibehält. Zum anderen bezieht sich die Verwirkung nach dieser Lehre nur auf ganz bestimmte Sachverhalte und schließt eine Berufung auf das Grundrecht in anderen Fällen keineswegs aus. Der befürchteten Kollision mit Art. 19 Abs. 2 GG kann damit durch eine restriktive Verwirkungslehre aus dem Weg gegangen werden. bb) Menschenwürdekern der Grundrechte Ähnlich verhält es sich mit der Unverletzlichkeit eines grundrechtlichen Menschenwürdekerns. Zuerst kann dessen Existenz über Art. 1 Abs. 1 GG hinaus natürlich bestritten werden.305 Dass allen Grundrechten die Menschenwürde als oberstes Verfassungsprinzip gleichsam vorausgeht, muss jedoch als dem Grundgesetz klar zugrunde liegendes Prinzip begriffen werden. Es findet schließlich in Art. 19 Abs. 2 GG einen deutlichen Niederschlag.306 Zunächst kann daher eingewandt werden, dass der Menschenwürdekern dogmatisch aus Art.  1 Abs.  1 GG herzuleiten ist. Als „Wurzel aller Grundrechte“307 wirkt die Menschenwürde letztlich in alle Grundrechte hinein, die sich damit gleichsam als Spezialausprägungen dieses Prinzips darstellen.308 Wenn aber die Menschenwürde durch ein Verfahren nach Art. 18 GG unzweifelhaft nicht verwirkt werden kann, so muss das Gleiche für den Menschenwürdegehalt der Spezialgrundrechte gelten. In ihrer spezifischen Ausprägung der Menschenwürde sind die Grundrechte daher nicht verwirkbar. Diese Betrachtungsweise verleitet jedoch zu einem Fehlschluss: Der Menschenwürdegehalt eines Grundrechts stellt sich nämlich nicht als bestimmbarer und von anderen Gehalten abzugrenzender Bestandteil des Grundrechts dar, die einzelnen Grundrechte sind vielmehr im umfassenden 305  Gegen eine allgemeine Lehre vom Menschenwürdegehalt der Grundrechte Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S.  102 ff. 306  Dürig, AöR 81 (1956), 117 (136) spricht von der positiv-rechtlichen „Abschirmung des Menschenrechtsgehalts der einzelnen Grundrechte gegenüber den an sich jeweils zulässigen Einschränkungsmöglichkeiten“. 307  BVerfGE 93, 266 (293) – „Soldaten sind Mörder“. 308  Vgl. nur Geiger, BVerfGG, Vorbem. 2 vor §§ 36 ff.; Kunig, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 1 Rn. 69, der allerdings zu Recht daraufhin weist, dass Art. 1 Abs. 1 GG dabei nicht als subsidiär verdrängt wird; anders im Prinzip Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S.  97 f.

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D. Verwirkung

Sinne Ausformung des Menschenwürdeprinzips.309 Insofern irritiert die Formulierung „Menschenwürdekern“,  die einen festen Kernbestand des Grundrechts impliziert. Darin liegt ein entscheidender qualitativer Unterschied zum Wesensgehalt der Grundrechte, der – unabhängig davon, ob man ihn relativ oder absolut definiert – einen gewissen Grundbestand des jeweiligen Grundrechts ausmacht. Die Einzelgrundrechte basieren hingegen in ihrer vollen Ausprägung auf dem Grundsatz der Menschenwürde. Auch wenn der Verwirkungsgegner daher den spezifischen grundrechtlichen Schutz als Ausformung des Menschenwürdeprinzips nicht mehr geltend machen kann, besteht ein gewisses Schutzniveau über die grundlegende Unverletzlichkeit der Menschenwürde fort.310 Auch hier ist jedoch wiederum zwischen der herrschenden generell-präventiven und der hier vertretenen restriktiven missbrauchsbezogenen Verwirkungslehre zu differenzieren: Nur die generelle und vollständige Ab­ erkennung des Grundrechtsschutzes kann überhaupt eine Verletzung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG bewirken. Wenn sich der Verwirkungsgegner nämlich für eine gewisse Dauer auf einige Freiheitsrechte generell nicht berufen kann, gerät er in Gefahr, zum Objekt des staatlichen Handelns zu werden, wobei freilich zu betonen ist, dass sich diese Gefahr keineswegs automatisch realisieren muss. Die Unmöglichkeit, grundrecht­ lichen Schutz im Einzelfall geltend zu machen, vermag hingegen noch keine Menschenwürdeverletzung zu bewirken. Dass konkrete missbräuch­ liche Handlungsweisen grundrechtlich nicht geschützt sein sollen, stellt vielmehr eine Auslegungsregel für bestimmmte Grundrechtsgewährleistungen dar und führt nicht zu einer die Menschenwürde potentiell beeinträchtigenden vollkommenen Schutzlosstellung. cc) Parallelisierung zum Grundrechtsverzicht Ergiebig ist darüber hinaus ein Vergleich mit der Figur des Grundrechtsverzichts.311 Wenngleich der Verzicht auf grundrechtlichen Schutz dazu führen soll, dass sich der Verzichtende auf sein Grundrecht zukünftig nicht mehr berufen, also seinen Schutz nicht mehr geltend machen kann, wird ein Konflikt mit dem Wesensgehalt und Menschenwürdekern des Grundrechts 309  In diesem Sinne auch Benda, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HdbVerfR, § 6 Rn. 10 ff. 310  Vgl. Butzer, in: Epping / Hillgruber, GG, Art. 18 Rn. 11, der damit das angebliche Ziel von Art. 18 GG der bloßen „Entpolitisierung“ argumentativ stützt. Dies setzt jedoch letztendlich eine qualitative Verschiedenheit von individuellen Menschenrechten, die sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergeben, und politischen Freiheiten, wie sie Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG normiert, voraus. 311  Siehe dazu Stern, Staatsrecht III / 2, S. 924 f.



II. Die Rechtsfolgen einer Grundrechtsverwirkung171

für weitgehend unproblematisch gehalten.312 Im ersteren Fall soll dies nach einer Auffassung daher rühren, dass schließlich nicht der Grundrechtsträger, sondern allein der Grundrechtsverpflichtete an die Unantastbarkeit des Wesensgehalts gebunden sei.313 Diese Argumentation verfehlt indes den Kern des Problems, übersieht sie doch, dass zwar der Grundrechtsberechtigte frei über Grundrechtsinhalte verfügen kann, ohne an die Wesensgehaltsgarantie gebunden zu sein, die staatlichen Gewalten, die letztendlich die eigentlichen Profiteure des Grundrechtsverzichts sind, aber die Wesensgehaltsgarantie nicht in gleicher Weise unberücksichtigt lassen dürfen. Im Rahmen des verfassungsrechtlich nicht normierten Verzichts auf grundrechtliche Schutzpositionen ist folglich zumindest eine Abdingbarkeit des grundrechtlichen Wesensgehalts abzulehnen.314 Anderes gilt für den Menschenwürdegehalt der Grundrechte. Trotzdem die Frage, ob auf die Menschenwürde selbst überhaupt verzichtet werden kann, in der Literatur äußerst umstritten ist,315 scheint die Verzichtbarkeit des Menschenwürdekerns der einzelnen Grundrechte weiterhin ungelöst.316 Zwar wird verschiedentlich, wie selbstverständlich, von einer durch den mehr oder weniger feststehenden Menschenwürdegehalt gezogenen Grenze eines freiwilligen Verzichts ausgegangen.317 Richtigerweise muss aber eine solche Auffassung, konsequent weitergedacht, die Verzichtbarkeit des Grundrechts an sich in seiner Bedeutung als Ausprägung der Menschenwürde infrage stellen. Wie bereits dargelegt, gibt es keinen von anderen Grundrechtsgehalten abgrenzbaren Menschenwürdegehalt. Das Grundrecht stellt 312  Teilweise wird allerdings von einer durch diese Grundsätze begründeten verfassungsimmanenten Schranke für die Verzichtsmöglichkeit ausgegangen, vgl. etwa Robbers, JuS 1985, 925 (929 f.); im Ergebnis genau so bereits Dürig, AöR 81 (1956), 117 (152); weitere Nachweise bei Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527 (536). 313  So Seifert, Jura 2007, 99 (104); vgl. auch Sturm, Probleme eines Verzichts auf Grundrechte, in: Festschrift Willi Geiger, S. 173 (189), der vom Begriff „unantastbar“ des Art. 19 Abs. 2 GG die Unverzichtbarkeit nicht mit umfasst sieht. 314  Ebenso Stern, Staatsrecht III / 2, S. 925. 315  Vgl. Seifert, Jura 2007, 99 (103) m. w. N.; allerdings dürfte es sich in der Regel um Fälle des „Grundrechtsschutzes gegen sich selbst“ handeln, etwa beim Peep-Show-Verbot. Siehe Sachs, VerwArch 76 (1985), 398 (421); grundlegend Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 137; v. Münch, Grundrechtsschutz gegen sich selbst?, in: Festschrift Hans Peter Ipsen, S. 113. 316  Vgl. Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechts, S. 46, der die Frage gleichwohl für praktisch sehr bedeutsam hält. 317  So etwa Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 1 Rn. 80 ff., der von einem unverzichtbaren Grundrechtskern ausgeht, der mit Menschenrechts- und Wesensgehalt identisch sei. Siehe im Anschluss daran auch Sturm, Probleme eines Verzichts auf Grundrechte, in: Festschrift Willi Geiger, S. 173 (189), der allerdings von der Verschiedenheit des Menschenwürdekerns sowie des Wesensgehalts ausgeht; ebenso Robbers, JuS 1985, 925 (929).

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D. Verwirkung

sich vielmehr in seiner Gesamtheit als spezifische Ausformung des Menschenwürdeprinzips dar.318 Will man also einen Grundrechtsverzicht für rechtlich möglich erachten, stellt die Unverletzlichkeit des von den Grundrechten nicht ablösbaren Menschenwürdegehalts tatsächlich ein Problem dar. Es geht beim Verzicht auf spezielle Freiheitsrechte indessen nicht um eine generelle Aberkennung der Grundrechte, sondern nur um ein Ausübungshindernis im Einzelfall.319 Der Grundrechtsberechtigte kann schlechterdings nicht über die Menschenwürde und damit auch nicht über die Grundrechte an sich als Ausprägung der Menschenwürde verfügen. Auch andere als die subjektiv-rechtliche Abwehrfunktion der Grundrechte stehen dem Einzelnen nicht zur Disposition. Richtigerweise kann allein die Geltendmachung des grundrechtlichen Abwehranspruchs in einem konkreten Einzelfall abbedungen werden.320 Wenn aber schon nicht der Grundrechtsberechtigte selbst über Grundrechte als Ganzes verfügen kann, darf dies erst recht nicht der Staat im Fall der Grundrechtsverwirkung. Von der Wirkungsweise des Grundrechtsverzichts kann mtihin auf die rechtliche Bedeutung der Grungsrechtsverwirkung geschlossen werden. In beiden Fällen können Grundrechte ausschließlich zum Schutz einer konkreten Handlung nicht geltend gemacht werden. Eine generell-präventive Theorie wäre indes sowohl im Rahmen des Grundrechtsverzichts als auch der Grundrechtsverwirkung verfassungswidrig. 6. Fazit Die nach der herkömmlichen generell-präventiven Verwirkungslehre nahezu unlösbaren Friktionen der Verwirkung mit anderen Grundrechtsbestimmungen offenbaren zudem nicht nur die Fehlvorstellungen über Bedeutung und Rechtsfolgen der Grundrechtsverwirkung, sondern stützen überdies die hier vorgetragene These eines missbrauchsbezogenen Verwirkungsverständnisses. Allein eine solchermaßen restriktive Interpretation des Art. 18 GG vermag vor dem Hintergrund etwa des unantastbaren Wesens- und Menschenwürdegehalts der Grundrechte zu überzeugen. Zugleich gelingt eine dogmatische Konkretisierung der Verwirkungsfolgen dergestalt, dass allein die Möglichkeit der Geltendmachung des verwirkten Grundrechts gegenüber 318  Vgl. auch Spieß, Der Grundrechtsverzicht, S. 115, der allerdings sehr unspezifisch eine Verletzung des Menschenwürdegehalts zumindest dann annimmt, „wenn das Grundrecht gänzlich ‚beseitigt‘ wird“. 319  Dürig, ZgesStW Bd. 109 (1953), 326 (328) etwa meint, dass sich der Verzichtende in bestimmtem Umfang der Möglichkeit des Grundrechtsgebrauchs begebe. 320  Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 135: „Es geht vielmehr um den praktisch allein relevanten Fall des Ausübungsverzichts.“



III. Systematische Einordnung der Grundrechtsverwirkung173

dem Staat gehindert wird und nicht etwa das Grundrecht als solches der Verwirkung anheim fällt. Trotz einer vermutlichen faktischen Konvergenz beider Theorien, hat diese Rechtsfolgenrestriktion Auswirkungen auf kollidierende Grundrechte und auf die allgemeine Grundrechtsdogmatik, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.

III. Systematische und dogmatische Einordnung der Grundrechtsverwirkung Primär wird Art. 18 GG als Norm des präventiven Staatsschutzes verstanden.321 Diese Kategorisierung kann jedoch weniger an eine dogmatische Einordnung der Norm als vielmehr an ihre rein praktische Bedeutung anknüpfen, da sie weder die systematische Stellung im Grundgesetz noch ihr Verhältnis zu den Grundrechten zu erklären vermag. Beides ist jedoch für das richtige Verständnis der Regelung und die Frage ihrer möglichen Anwendbarkeit von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Tatsächlich sind nicht bloß die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Art. 18 GG, sondern auch seine dogmatische Einordnung in das Grundrechtsgefüge nach wie vor heftig umstritten. Reißmüller führt dies unter anderem darauf zurück, dass die Verfassung sowohl den Anwendungsbereich als auch die systematische Stellung der Norm nicht klar genug umrissen habe.322 Bei dem Versuch, die Verwirkungsnorm ihrer dogmatischen Bedeutung nach zu bestimmen, taucht eine Vielzahl von Problemen auf. Dies beginnt mit der Frage, warum die Verwirkung im Grundrechtsteil geregelt ist, darüber hinaus in Art. 142 GG als Grundrecht genannt wird, und setzt sich mit der Abgrenzung zu den positiven Gesetzesvorbehalten der in Art. 18 GG genannten Grundrechte fort. 1. Art. 18 GG im Gefüge der Grundrechte Systematisch befindet sich Art. 18 im Grundrechtsteil des Grundgesetzes. Auch ist die Verwirkungsnorm in Art. 142 GG als „Grundrechtsgewährleistung“ genannt.323 Wenn es sich hierbei nicht um ein redaktionelles Versehen 321  So etwa Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 59; ebenso Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 2, 5; Thiel, Die Verwirkung von Grundrechten, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (134). 322  Reißmüller, JZ 1960, 529 (530), wobei zu fragen wäre, wie die systematische Stellung einer Norm im Gesetzestext klarer umrissen werden soll. 323  Art. 142 GG: „Ungeachtet der Vorschrift des Artikels 31 bleiben Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten.“

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D. Verwirkung

handelt,324 impliziert der Wortlaut dieser Norm zunächst, dass auch Art. 18 GG ein Grundrecht enthält.325 Diese zunächst eher abwegig erscheinende Einordnung von Art. 18 GG erweist sich bei näherer Untersuchung jedoch als nicht so fernliegend.326 Aus der Monopolisierung der Verwirkungsentscheidung beim BVerfG lässt sich zugleich eine verfahrenstechnische Sicherung ableiten – gleichsam ein Schutz vor dem Verfassungsschutz, wie Thiel konstatiert.327 Danach würde Art. 18 GG, wie jedes andere klassische Freiheitsrecht auch, zumindest teilweise ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat darstellen. Dies widerspricht jedoch, wie zutreffend eingewandt wird, der Intention des Parlamentarischen Rates, eine Verfassungsschutznorm zu schaffen.328 In der Tat spricht der eindeutig aus der Entstehungsgeschichte hervorgehende Wille des Grundgesetzgebers, die Demokratie vor dem Selbstmord zu bewahren und das Monopol des BVerfG allein zum Schutz gegen einen Missbrauch der Verwirkungsnorm durch die Politik einzuführen,329 gegen die Einordnung von Art. 18 GG als Abwehrrecht.330 Auch wenn eine gewisse Abwehrfunktion des Art. 18 GG durch die Verfahrenssicherung nicht zu leugnen ist,331 kann diese doch nicht als der primäre Zweck oder gar die einzige Funktion von Art. 18 GG angesehen werden.332 Überzeugend widerspricht deshalb Isensee der Ansicht, Art. 18 GG als Abwehrrecht eigener Art zu deuten, mit dem Argument, dass auch der rechtsstaatlich limitierte Eingriff in Grundrechte ein Eingriff bleibe.333 Unabhängig davon, ob man im 324  Dies unterstellt Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (134). 325  So auch Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (293). 326  Vgl. nur die entsprechenden Ansichten von Bulla, AöR 98 (1973), 340 (355); Wernicke, in: BK-GG, Art. 18 Rn. 2 b. 327  Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (134). 328  Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (134), der die Verortung der Norm im Grundrechtskatalog deshalb als „systematisch freilich ungeschickt“ bezeichnet. 329  Siehe JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. (171) 172. 330  Deswegen vermag auch die Ansicht von Ridder, in: AK-GG, 1989, Art. 18 Rn. 5, dass Schutzgut des Art. 18 GG nicht etwa die freiheitliche demokratische Grundordnung, sondern allein der Grundrechtsträger sei (so wie mit Art. 21 Abs. 2 GG die Parteien selbst geschützt würden), nicht recht zu überzeugen. 331  So machen Bryde / Jentsch, EuGRZ 2006, 617 (625) gerade bei Art. 18 und 21 GG den Gedanken, dass Grundrechtsschutz auch durch Verfahrensvorschriften sichergestellt werden kann, deutlich. 332  Vgl. in diesem Sinne auch Stern, Staatsrecht III / 2, S. 979 f. 333  Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (293).



III. Systematische Einordnung der Grundrechtsverwirkung175

Zusammenhang mit der Grundrechtsverwirkung dogmatisch von einem „Eingriff“ in Grundrechte sprechen kann, ist hieran zumindest richtig, dass es bei der Norm zuallererst doch um eine Begrenzung von Rechtspositionen geht. Schmitt Glaeser sieht in der gegenteiligen Auffassung sogar die „Pervertierung einer Verfassungsschutzbestimmung“,334 was jedoch wiederum, angesichts der nicht zu leugnenden Monopolisierung beim BVerfG als Verfahrenssicherung zugunsten des Bürgers, überzogen erscheint. Dass dem Art. 18 GG sehr wohl ein in besonderem Maße freiheitliches Konzept zugrunde liegt, wird noch darzulegen sein. Allein die Funktionalisierung der Norm als Abwehrrecht ist irreführend und geht an der Sache vorbei. Anstelle dessen wird bisweilen vertreten, Art. 18 GG stelle eine Schrankenbestimmung für die vom ihm aufgezählten Grundrechte dar.335 Der Grundrechtsverwirkung komme damit eine allgemein einschränkende Funktion für verschiedene Freiheitsrechte zu. Auch so mag ihre Stellung im Grundrechtsteil zu erklären sein. Insofern Art. 18 GG jedoch als Berufungshindernis verstanden wird, impliziert dies vielmehr eine interne oder externe Grenze bereits des Schutzgehalts eines Grundrechts. Nachfolgend sollen beide Theorien untersucht werden. a) Begriffliche Abgrenzungen Zunächst ist festzuhalten, dass die Annahme sowohl einer innen- als auch einer außentheoretischen Begrenzung der sonst vielfach vertretenen Auffassung, Art. 18 GG stelle eine spezielle Schrankenbestimmung für bestimmte Grundrechte dar, explizit widerspricht. Diese Schrankentheorie rührt wohl von einer Parallelisierung zu Art. 9 Abs. 2 GG her, der allgemein als verfassungsrechtliche Eingriffsvoraussetzungen regelnde Schranke der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG verstanden wird.336 Grundrechtsdogmatisch besteht indes ein prinzipieller Unterschied zwischen den nachträglich Grundrechtsbeschränkungen ermöglichenden Gesetzesvorbehalten und verfassungsunmittelbaren Grenzen der Grundrechte,337 die keine Grundrechtsschranke in diesem Sinne darstellen, sondern bereits ein Merkmal des Grundrechtstatbestandes sind.338 334  Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 257. 335  Vgl. Schwarz, JZ 2000, 126 (129). 336  Vgl. nur Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 54 m w. N. 337  Siehe Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 117; vgl. allgemein zum Verhältnis von Tatbestand und Schranke der Grundrechte Alexy, Theorie der Grundrechte, S.  272 ff. 338  Isensee, Das staatliche Gewaltmonopol als Grundlage und Grenze der Grundrechte, in: Festschrift Horst Sendler, S. 39 (40): „Von ihnen hängt die thematische

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D. Verwirkung

Ob eine Grundrechtsbegrenzung diese jedoch erst auf der Ebene der grundrechtlichen Schranken oder bereits auf der Achse des Tatbestandes einzuschränken vermag, hängt von zahlreichen anderen Faktoren ab und ist auch mit der Bezeichnung des Missbrauchs als „immanente Schranke“339 nicht gelöst.340 Diese kann sich schließlich schon auf den Schutzbereich eines Grundrechts beziehen, indem sie ihn durch Abgrenzung zu einem bestimmten Verhalten – hier den Missbrauch bestimmter Grundrechte „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ – von vornherein einschränkt.341 Sie kann sich aber auch das Recht erst nach vorheriger Abwägung in jedem Einzelfall mit dem Schutzgut der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“342 beschränken.343 Allgemein gesprochen kann eine den Grundrechten inhärente Schranke die Gewährleistungsreichweite eines Grundrechts beschränken, dann handelt es sich aber im eigentlichen Sinne nicht um ein „Schrankenproblem“, wie Schnapp zu Recht bemerkt.344 Es sollte in diesem Fall deshalb richtigerweise nicht von „Schranken“ die Rede sein,345 sondern von „Begrenzungen“ des Schutzbereichs.346 Reichweite der grundrechtlichen Gewährleistung ab.“; für solche immanenten Grundrechtsgrenzen, die durch die Gesetzesvorbehalte konkretisiert werden, spricht sich etwa v. Hippel, Grenzen und Wesensgehalt der Grundrechte, S. 47 aus. Danach soll gelten: „Jede Grundrechtsnorm gilt nur, wenn und soweit dem geschützten Freiheitsinteresse keine höherwertigen Interessen entgegenstehen.“ 339  Vgl. zu Begriff und Theorie der „immanenten Grundrechtsschranken“ v. Pollern, JuS 1977, 644 (645 ff.). 340  Siehe auch Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 19: „Was die dogmatische Qualifizierung dieser Grenzziehung betrifft, sind so gut wie alle Grundfragen umstritten.“ Als Konsequenz will er jedoch die Grundrechtsverwirkung nicht einer Kategorie zuordnen, sondern als eigenständiges, nicht qualifizierbares Institut begreifen. Im Ergebnis kommt er dann aber doch dazu, Art. 18 GG als „verfassungsimmanente Grenze des Gebrauchs grundrechtlicher Freiheit“ zu verstehen und verwehrt sich lediglich gegen eine Einordnung als Inhaltsbestimmung oder als begrifflich allein die Gesetzesvorbehalte bezeichnende Schranke. 341  Isensee, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 191 Rn. 54 betont, dass der Tatbestand eines Grundrechts nicht abgewogen wird wie eine Schranke, sondern ausgelegt und abgegrenzt. 342  Allgemein zum Schutzgut als Gewicht in der Abwägung Isensee, in: ders. / Kirchhof (Hrsg.) HdbStR IX, § 191 Rn. 43. 343  Ebenso Isensee, Das staatliche Gewaltmonopol als Grundlage und Grenze der Grundrechte, in: Festschrift Horst Sendler, S. 39 (56 f.); ausführlich auch Sachs, JuS 1995, 693. 344  Schnapp, JuS 1978, 729 (733); vgl. auch Brüning, Der Staat 41 (2002), 211 (231), der auf die insofern ebenso unklare Rechtsprechung des OVG Münster, NJW 2001, 2111 verweist. 345  So auch Scheuner, VVDStRL 22 (1965), S. 1 (50), weil damit auf eine von außen kommende Eingrenzung hingewiesen werde.



III. Systematische Einordnung der Grundrechtsverwirkung177

Zu Recht beklagt Böckenförde, dass die Frage, ob verfassungsimmanente Schranken, welche zunehmend allgemein und generell aus allen möglichen Bestimmungen des Grundgesetzes abgeleitet würden,347 eine Begrenzung des Schutzbereichs oder aber eine Rechtfertigung von Eingriffen in den Schutzbereich darstellen sollen, zusehends an Bedeutung verliere.348 Allein ihre präzise Bestimmung aber kann eine rücksichtsvolle Anwendung gewährleisten und dem Gesetzgeber etwaigen Handlungsbedarf aufzeigen. 346

Im Hinblick auf ihre Wirkungsweise ist die Unterscheidung von Grundrechtsschranken und tatbestandlichen Begrenzungen von wesentlicher Bedeutung.349 Zwar nehmen beide Formen der Grundrechtsbegrenzung350 den Schutzumfang eines Grundrechts im Ergebnis zurück, doch setzen sie völlig verschieden an: Während Schrankenbestimmungen das Grundrecht unter den Vorbehalt beschränkender Regelungen durch den Staat stellen und damit nicht verfassungsunmittelbar, sondern erst kraft staatlichen Handelns wirken,351 nehmen tatbestandliche Begrenzungen bestimmte Verhaltensweisen von vornherein und verfassungsunmittelbar vom Schutzbereich des Grundrechts aus.352 Grundrechtsschranken finden sich unverkennbar in dem 346  Vgl. hingegen F. Klein, Vorbem. XV.1.b), in: v. Mangoldt / Klein, GG, 2. Aufl., S. 122, der jede vermeintliche immanente Schranke als Begrenzung oder Ausprägung des Tatbestandes eines Grundrechts in Gestalt von „Begriffsfestlegungen“ versteht. Zustimmend Scheuner, VVDStRL 22 (1965), S. 1 (50), Fn. 143: „Diese Grenze ergibt sich […] nicht erst aus der Abwägung gegenüber anderen Gütern, sondern aus der limitierten Tragkraft des gesicherten Gutes.“ 347  Ähnlich auch Schlink, EuGRZ 1984, 457 (464); Degenhart, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 61 Rn. 62. 348  Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 (168 f.). 349  Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 99 unterscheidet sogar zwischen grundrechtsprägenden, grundrechtsverdeutlichenden und grundrechtseingreifenden Normen sowie zwischen den Sonderfällen „missbrauchswehrende Grundrechtsbegrenzungen“ und „konkurrenzlösende Grundrechtsbegrenzungen“. Vgl. auch Lerche, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, 2. Aufl., § 121 Rn. 38 ff.; gegen die funktionelle Unterscheidung von „Inhalt“ und „Schranken“ richtet sich Hamel, Die Bedeutung der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, S. 45, verkennt damit jedoch ihre grundlegende dogmatische Differenzierung. Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (20) gibt allerdings zu bedenken, dass die Grenzen zwischen einer Bestimmung der Normbereichsgrenze und einer Normierung von Grundrechtsschranken fließend seien. 350  Vgl. zu den verschiedenen Arten der Grundrechtsbegrenzungen ausführlich, Sachs, in: Stern, Staatsrecht III / 2, § 79, S. 225 ff. 351  Zur dogmatischen Bedeutung der Klausel „durch Gesetz“ vgl. etwa 2, DVBl. 1958, 524 f. 352  Vgl. hierzu auch Sachs, JuS 1995, 984 f.; ferner Lenz, Vorbehaltlose Freiheitsrechte, S. 10; ebenso Lerche, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, 2. Aufl., § 122 Rn. 2. Zur Unterscheidung von Grundrechtsbegrenzungen und (hier nicht einschlägiger) Grundrechtsauslegung C. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 104 ff.; ebenso

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D. Verwirkung

Wortlaut vieler Grundrechte, wonach etwa Eingriffe in das Recht durch oder aufgrund eines Gesetzes zulässig sind (z. B. Art. 8 Abs. 2 GG) oder die Rechte ihre Schranken in den Vorschriften der „allgemeinen Gesetze“ finden (Art. 5 Abs. 2 GG). Entscheidend ist dabei, dass erst ein weiteres Tätigwerden des Gesetzgebers oder einer anderen staatlichen Gewalt die Beschränkung des Grundrechts bedeutet. Schranken, die ein Grundrecht unter den Gesetzesvorbehalt stellen, erlauben deshalb materielle Eingriffe in den Schutzbereich des Grundrechts unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.353 Begrenzungen, die ein bestimmtes Verhalten bereits vom Schutz eines Grundrechts ausnehmen und damit seinen Anwendungsbereich bereits tatbestandlich einschränken, finden sich vor allem in den im Grundrecht genannten Schutzbereichsausnahmen. So ist etwa die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG auf friedliche und unbewaffnete Versammlungen beschränkt354 und wird damit von Anfang an einer „staatsethischen Bewertung“ unterzogen, wie sie sonst innerhalb der Grundrechtstatbestände nicht üblich ist.355 Auch die sog. Bremer Klausel der Art. 141 GG stellt eine Tatbestandsbegrenzung dar, indem sie den räumlichen Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG beschränkt.356 Abzugrenzen sind diese verfassungsimmanenten Begrenzungen überdies von einer restriktiven Auslegung des grundrechtlichen Schutzbereichs. Die Tendenz, den Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts seiner Geschichte oder ratio nach eng zu interpretieren, anstatt ihn konzeptionell weit zu fassen und dann einer großräumigen Einschränkung auf der Ebene der Rechtfertigung zu unterwerfen, könnte schließlich auch mit der verfassungsimmanenten Begrenzung des Grundrechtstatbestands begründet werden. So wird bisweilen auch der Missbrauch als Argument für eine Restriktion des Hesse, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), HbVerfR, § 5 Rn. 64 ff. Zum Begriff der Ausgestaltung im Einzelnen Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 13 ff.; Scheuner, DÖV 1971, 505 (510). 353  Lenz, Vorbehaltlose Freiheitsrechte, S. 13. 354  Wobei auch hier umstritten ist, ob es sich hierbei überhaupt um eine Schranke oder vielmehr um eine „verfassungsunmittelbare Beschreibung der sachlichen Gewährleistungsreichweite einer Grundrechtsbestimmung“ handelt; so wohl eher Kahl, Der Staat 43 (2004), 167; ebenso Schnapp, JuS 1978, 729 (730). Vgl. ausführlich Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 259 f.; Jarass, AöR 120 (1995), 345 (370 f.). 355  Zur Funktion des „Friedlichkeitsvorbehalts“ ausführlich Isensee, Das staat­ liche Gewaltmonopol als Grundlage und Grenze der Grundrechte, in: Festschrift Horst Sendler, S. 39 ff.: Dieser Vorbehalt in Art. 8 Abs. 2 GG markiere eine „verfassungsunmittelbare Grenze der grundrechtlichen Freiheit“ und unterscheide sich damit vom Gesetzesvorbehalt, der erst den Gesetzgeber zu einer Freiheitsbeschränkung ermächtige. Siehe auch Muckel, Begrenzungen grundrechtlicher Schutzbereiche, in: Festschrift Schiedermair, S. 353 f. 356  Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 141 Rn. 2.



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grundrechtlichen Schutzbereichs herangezogen.357 Als Beispiel für eine missbrauchswehrende Regelung kann etwa § 2 Abs. 2 VersG dienen, wonach bei öffentlichen Versammlungen Störungen zu unterlassen sind, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung derselben zu verhindern. Die Teilnahme an einer Versammlung allein zu dem Zweck, ihre Durchführung zu behindern, soll dabei von vornherein als Missbrauch des Versammlungsrechts nicht vom Schutzgehalt des Art. 8 GG umfasst sein, weshalb ihre Unterbindung durch die öffentliche Gewalt keinen Grundrechtseingriff darstelle.358 Ein weiteres Beispiel ist etwa der Missbrauch der Religionsfreiheit durch einen Verein, dem religiöse Lehren nur als Vorwand dienen und der in Wahrheit ausschließlich wirtschaftliche Interessen verfolgt. Er soll sich nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht auf Art. 4 Abs. 1 GG berufen können.359 Der Unterschied zur Grundrechtsverwirkung dürfte darin zu sehen sein, dass begriffliche Einschränkungen des Gewährleistungsgehalts eines Grundrechts trotz ihrer begrenzenden Wirkung die Funktion haben, seinen Schutzbereich näher zu bestimmen, also positiv zu umschreiben.360 Die verfassungsimmanente Grundrechtsbegrenzung beschränkt ihn hingegen negativ.361 Zwar schränkt diese Grenze nicht wie die Gesetzesvorbehalte im Nachhinein das Grundrecht ein, sondern wirkt gleichsam schon von Anfang an auf der 357  Zu diesen Möglichkeiten Wiegand, NJ 1993, 396 (397 ff.); für das Zivilrecht Honsell, Teleologische Reduktion versus Rechtsmissbrauch, in: Festschrift Theo Mayer-Maly, S. 369 (380 ff.). 358  So BVerfGE 84, 203 (210); ebenso VGH Mannheim, JZ 2002, 451. 359  BVerwGE 90, 112 (118), unter ausdrücklicher Inbezugnahme eines Missbrauchstatbestandes. Vgl. auch ähnliche Bestrebungen etwa im Rahmen der Kunstfreiheit BVerfGE 119, 1 (44, 58 f.) – Esra (Sondervoten Hohmann-Dennhardt / Gaier und Hoffmann-Riem); ebenso Muckel, Begrenzungen grundrechtlicher Schutzbereiche, in: FS Schiedermair, S. 347 mit einem sehr drastischen Beispiel. Nach der früheren Rechtsprechung des BVerwG galt sogar als „Inbegriff aller Grundrechte, dass sie nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet würden.“, so etwa BVerwGE 2, 85 (87); 4, 167 (171); 6, 13 (17). Dieser Lehre kann mit dem durch das BVerfG mittlerweile etablierten Eingriffsschema in der Rechtsprechung nicht mehr gefolgt werden, siehe auch Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 121. Vgl. demgegenüber zum „neminem-laedere“-Verbot als Restriktion der Grundrechte Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, S. 229 ff. 360  Hier sind jedoch bereits begriffliche Ungenauigkeiten zu beobachten, so wird etwa die engere Schutzbereichsauslegung im innerdienstlichen Bereich von Beamten auch als Grundrechtsbegrenzung bezeichnet. Vgl. zu solchen Schutzbereichsbegrenzungen nur Battis, in: Sachs, GG, Art. 33 Rn. 74 ff. 361  Anders Merten, in: Merten  / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 12, wonach immanente Grenzen nicht zur Verkürzung, sondern zur Verdeutlichung des Tatbestandes dienen. Dies verkennt aber wohl den naturgemäß begrenzenden Charakter der verfassungsimmanenten Grundrechtsgrenzen.

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Ebene des Tatbestands. Sie stellt damit zugleich die äußerste Grenze des Grundrechtsschutzes dar und ist nicht zur Bestimmung desselben geeignet.362 Demgegenüber dient auch die enge Auslegung des Versammlungsbegriffs des Art. 8 Abs. 1 GG, wonach eine Versammlung im Sinne dieses Grundrechts nur gegeben ist, wenn sie einen verbindenden Zweck der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung aufweisen kann,363 letztendlich der Bestimmung des Inhalts von Art. 8 Abs. 1 GG.364 Eine verfassungsimmanente Begrenzung des Gewährleistungsgehalts begrenzt indes das zunächst einschlägige Grundrecht auf der Ebene des Tatbestandes anstatt seinen Inhalt vorzugeben und zu bestimmen. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass beide Auslegungsmechanismen dieselbe Funktion einer Restriktion des grundrechtlichen Schutzbereichs erfüllen und daher in concreto meist zu dem gleichen Ergebnis führen. Sie sind demgemäß kaum voneinander zu trennen, weshalb die Formulierungen „restriktive Schutzbereichsauslegung“ und „immanente Grundrechtsbegrenzung“ häufig synomym verwandt werden. b) Dogmatische Einordnung der Grundrechtsverwirkung Während Brenner demzufolge Art. 18 GG als eine die Substanz der Grundrechte ausformende „Grundrechtsprägung“ bezeichnet,365 spricht Lenz von einer „tatbestandlichen Begrenzung“366 des Grundrechtsschutzes.367 Durch Auslegung ist zu ermitteln,368 wie Art. 18 GG grundrechtsdogmatisch einzuordnen ist. Zunächst sind dabei beide Interpretationen möglich: Art. 18 GG könnte in Gestalt einer Art Allgemeinvorbehalt369 besonders qualifizierte 362  Vgl. auch Beyer, Anm. zu BGH, NJW 1954, 713, nach dem die „Wesensschau“ eines Grundrechts nicht von den „Grenzen“ bzw. „Schranken“ her angegangen werden darf; sein Inhalt muss sich vielmehr „aus seinem eigenen Gehalt, aus der Systematik der ganzen Verfassung“ ergeben. 363  Vgl. Kniesel, in: Lisken / Denninger, Polizeirecht, Kap. H Rn. 14. 364  Wenngleich ihr auch eine den Schutzzweck der Versammlungsfreiheit beschränkende Wirkung zukommt, so Enders, Jura 2003, 34 (38). 365  Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 21. 366  So allgemein Lenz, Vorbehaltlose Freiheitsrechte, S. 10 ff.; gegen den Begriff der „Begrenzungen“ jedoch Pecher, Verfassungsimmanente Schranken von Grundrechten, S.  101 f. 367  Vgl. zu diesem regelrechten Begriffs-„Wirrwarr“ Merten, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 1; ebenso Muckel, Begrenzungen grundrechtlicher Schutzbereiche, in: Festschrift Schiedermair, S. 347 f.; Stern, Die Grundrechte und ihre Schranken, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, S. 1 (8); dagegen jedoch Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 106. 368  Vgl. Lenz, Vorbehaltlose Freiheitsrechte, S. 12. 369  Zu dieser Rechtsfigur Kokott, in: Merten  /  Papier (Hrsg.), HdbGR I, § 22 Rn. 4 ff., die als Beispiel hierfür Art. 52 der Grundrechtecharte der EU und Art. 36



III. Systematische Einordnung der Grundrechtsverwirkung181

Einschränkungen bestimmter Grundrechte ermöglichen.370 Für dieses Verständnis als mittelbare Grundrechtsschranke spricht, dass Art. 18 GG erst vom BVerfG „aktiviert“ wird,371 die Norm also nicht ipso iure Wirkung entfaltet, sondern eines staatlichen Umsetzungsaktes bedarf. Dies ist für die Grundrechtsschranke, wie sie im einfachen oder qualifizierten Gesetzesvorbehalt in Erscheinung tritt, typisch.372 Auf der anderen Seite sprechen die bereits aufgeführten Gründe373 dafür, die Verwirkungsnorm als tatbestandliche Begrenzung der in Art. 18 GG genannten Grundrechte einzuordnen. Gegen eine solche Auslegung der Grundrechtsverwirkung wird jedoch immer wieder eingewandt, dass es keinen vom Grundgesetz vorgegeben Gebrauch der Grundrechte gebe und sich keine dem Freiheitskonzept des Grundgesetzes zuwiderlaufende Lücke im Grundrechtsschutz auftun dürfe.374 Beide Auffassungen sind nachfolgend zunächst hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Bedeutung und Verständnis des Art. 18 GG zu untersuchen. aa) Art. 18 GG als Grundrechtsschranke Nach der herrschenden, der Dogmatik des Abwehrrechts zugrundeliegende Eingriffslehre, wonach erst der Schutzbereich eines Grundrecht zu ermitteln, dann ein Eingriff in denselben und die verfassungsrechtliche Rechtsfertigung des Eingriffs zu prüfen ist,375 müsste sich die Grundrechtsverwirkung folgendermaßen auf die Prüfung einer Grundrechtsverletzung auswirken: der Schweizerischen Bundesverfassung aufführt. Noch Art. 21 Abs. 3 HChE sah eine Grenze für alle Grundrechte vor: „Die Grundrechte sind, soweit sich aus ihrem Inhalt nichts anderes ergibt, im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen.“ und Absatz 4 Satz 1 bestimmte: „Eine Einschränkung der Grundrechte ist nur durch Gesetz und unter der Voraussetzung zulässig, dass es die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Gesundheit zwingend erfordert.“ Das Schicksal dieser Regelung beleuchtet ausführlich Pecher, Verfassungsimmanente Schranken von Grundrechten, S. 27 ff.; siehe auch Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S.  34 ff.; Lerche, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 63 Rn. 15. 370  Dass das Grundgesetz aber keinen solchen näher qualifizierten Gesetzesvorbehalt zur Einschränkung von Grundrechten kennt, schreibt ausdrücklich Böckenförde, EuGRZ 2004, 598 (601). 371  So auch Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (135). 372  Ausführlich dazu Kokott, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR I, § 22 Rn. 31 ff.; auch Wülfing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und Grundrechtsschranken, S. 33, 40 nennt Art. 18 GG deshalb unter den qualifizierten Vorbehalten. 373  Siehe unter D. II. 4. c). 374  Vgl. in diesem Sinne nur Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 5. 375  Siehe zu dieser Eingriffsdogmatik auch Isensee, in: ders.  / Kirchhof (Hrsg.) HdbStR IX, § 191 Rn. 48 f.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S.  25 ff.

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D. Verwirkung

Nach dem Verwirkungsausspruch durch das BVerfG können von Seiten des Staates entsprechend dem vom Gericht festgestellten Ausmaß der Verwirkung grundrechtsbeschränkende Maßnahmen gegen den Antragsgegner getroffen werden, ohne dass sich dieser dagegen mit Erfolg gerichtlich wehren kann. Der Schutzbereich seines Grundrechts wäre zwar eröffnet und es läge gleichwohl ein Eingriff hierin vor, dieser wäre jedoch infolge der Verwirkungsentscheidung verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dies würde konkret darauf hinauslaufen, dass zwar ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts angenommen werden muss, dieser jedoch im Falle seiner Verhält­ nismäßigkeit als verfassungsrechtlich gerechtfertigt anzusehen wäre. Die Grundrechtsverwirkung könnte also nur, genau wie jedes allgemeine Gesetz auch, zu einer Beschränkung des effektiven Grundrechtsschutzes im Einzelfall führen, müsste aber als Eingriff auf der Ebene der Rechtfertigung zunächst individuell auf seine Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden.376 Andersherum ist die Grundrechtsverwirkung damit gleichsam überflüssig, da schließlich ebenso gut auf die einfachen einschränkenden Gesetze zurückgegriffen werden kann, ohne dass es zuvor eines derart aufwendigen eigenständigen Verwirkungsverfahrens bedarf. Auch droht ein Konflikt namentlich mit Art. 5 Abs. 2 GG, wenn aufgrund der Verwirkungsentscheidung des BVerfG in die Meinungsfreiheit des Betroffenen eingegriffen wird. Die Verwaltung bedarf, wie noch darzulegen ist,377 nach dem Vorbehalt des Gesetzes für ihr Handeln wie stets einer gesetzlichen Grundlage. Hält man etwa mit der Sonderrechtslehre378 daran fest, dass „allgemeine Gesetze“ in dieser Bestimmung keine sind, die eine bestimmte Meinung als solche einschränken,379 würde es sich bei einer solchen verwirkungsbedingten gesetzlichen Eingriffsgrundlage mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht um ein „allgemeines Gesetz“ in diesem Sinne handeln. Dies hätte mithin paradoxerweise zur Folge, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen einen entsprechenden Grundrechtseingriff wiederum erfolgreich wäre, weil dieser sich nicht auf ein „allgemeines Gesetz“ stützen 376  Vgl. zu den Folgen auch ausführlich Isensee, Das staatliche Gewaltmonopol als Grundlage und Grenze der Grundrechte, in: Festschrift Horst Sendler, S. 39 (57). 377  Siehe unter D. IV. 3. 378  Auch sog. formelle Theorie wonach allgemeine Gesetze solche sind, die „dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgut dienen“, Rothenbücher, VVDStRL 4 (1927), S. 6 (20). Dagegen entwickelte Smend, VVDStRL 4 (1927), S. 52 die sog. materielle Theorie (Abwägungslehre), nach der solche Gesetze allgemein sind, die ein gesellschaftlich höherrangiges Gut als die Meinungsfreiheit zu schützen bestimmt sind. Dies wurde von BVerfGE 7, 198 (210 f.) aufgenommen, allerdings unter leichter Abwandlung der Terminologie Smends. Dagegen wendet sich überzeugend Bettermann, JZ 1964, 601 (602). 379  Vgl. nur Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 588 m. w. N.



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könnte. Es kann aber natürlich nicht Zweck der Verwirkungsentscheidung sein, dass sie zumindest teilweise nicht umgesetzt werden kann. Zwar würde für eine Einordnung von Art. 18 GG als Schutzbereichsgrenze sprechen, dass in den Entwürfen zu einigen Landesverfassungen der Missbrauch eines Grundrechts zur Gefährdung der Freiheit jeweils als Ausnahme von der grundrechtlichen Schutzgewährung in den Tatbestand des Grundrechts mit aufgenommen worden war. So hieß es etwa in Art. 10 des vorläufigen Entwurfes einer Verfassung für Nordwürttemberg und Nordbaden vom 24. April 1946: „Jedermann hat das Recht, innerhalb der Schranken der Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern, solange er dieses Recht nicht missbraucht, um die durch die Verfassung gewährten Freiheiten zu bedrohen oder zu verletzen.“380

Aber in den Endfassungen und in Art. 18 GG ist die Missbrauchsformel anders konzipiert,381 weshalb sie wohl auch dogmatisch anders ansetzt. bb) Art. 18 GG als Gewährleistungsgrenze Die Friktion der Verwirkungsnorm mit dem Gesetzesvorbehalt der Grundrechte, zumal Art. 5 Abs. 2 GG, lässt sich jedoch damit lösen, dass der Gewährleistungsgehalt der Meinungsfreiheit für den Fall der Verwirkung des Grundrechts eingeschränkt ausgelegt wird. Die Möglichkeit, Eingriffe in die Meinungsäußerung vorzunehmen, hängt aufgrund der weit gefassten und vor allem weit interpretierten Schranke der „allgemeinen Gesetze“ unabweisbar an dem Verständnis der Meinungsfreiheit.382 Würde man eine Beschränkung der Meinungsäußerung infolge einer Grundrechtsverwirkung bereits als vom Schutzumfang des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht erfasst ansehen, käme man gar nicht zu der Frage nach der Allgemeinheit des Gesetzes. Nur so kann deshalb Art. 18 GG verstanden werden: Der Missbrauch von Grundrechten führt zu einer Ausnahme aus dem Gewährleis380  Entwurf von Carlo Schmid, in: Pfetsch (Hrsg.), Verfassungsreden und Verfassungsentwürfe, S. 353 (355). 381  So verhält es sich gleichsam umgekehrt zu den Schrankenbestimmungen der Grundrechte: Während diese zunächst einheitlich für alle in einem gesonderten Artikel normiert waren, wurden sie in der Endfassung den jeweiligen Normen direkt hinzugefügt. Grund hierfür mag die so besser mögliche qualitative Abstufung der Schranken für die einzelnen Grundrechte sein, wohingegegen die Begrenzung durch die Missbrauchsformel für alle Grundrechte gleich lauten sollte und deshalb ein eigener Artikel hierfür schlicht ökonomischer und übersichtlicher erschien. 382  Für die Pressefreiheit ebenso Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (126) mit Verweis auf die sog. institutionelle Grundrechtstheorie.

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tungsgehalt des Grundrechts. Missbrauch von Grundrechten im Sinne des Art. 18 GG bedeutet mithin eine Freiheitsbetätigung, die dem Zweck ihres grundrechtlichen Schutzes zuwider läuft.383 Ein solches Verhalten unterfällt zwar dem entsprechenden grundrechtlichen Sachbereich, löst jedoch die Verwirkungsfolge aus. Die Verwirkung bewirkt ein an das Recht von außen herantretendes Hindernis seiner Geltendmachung.384 Dabei handelt es sich folglich nicht um eine immanente Schutzbereichsgrenze, sondern um eine externe Gewährleistungsgrenze. 2. Einfluss auf Grundrechtsdogmatik und Grundrechtstheorie Wechselseitig wirken Grundrechtsdogmatik und einzelne Grundrechtsnormen im Sinne einer übergreifenden Konzeption aufeinander ein: So muss sich auch eine einzig sinnvolle Interpretation des Art. 18 GG in eine umfassende Grundrechtsdogmatik einfügen, umgekehrt darf die Grundrechtsdogmatik nicht über Existenz und Bedeutung der Verwirkungsnorm hinweggehen. Zuweilen wurde darauf hingewiesen, dass die Auslegung des Instituts der Grundrechtsverwirkung wesentlich mit der Auffassung, die man von den Grundrechten hat, zusammenhänge.385 Gleichermaßen oder mehr noch muss dies aber andersherum gelten: Die Auslegung des Art. 18 GG beeinflusst das Grundrechtsverständnis insgesamt. Art. 18 GG hat deshalb mit Schmitt Glaeser eine „kaum zu überschätzende dogmatische Bedeutung“ für die Grundrechtsauslegung überhaupt.386 Jeder Grundrechtsinterpretation liegt darüber hinaus zumindest konkludent eine bestimmte Grundrechtstheorie zugrunde.387 Hier soll die umgekehrte Aussage gewagt werden, wonach eine historisch, genetisch, systematisch und grammatikalisch konsequente Auslegung einer Grundrechtsnorm wie Art. 18 GG eben solchen Einfluss auf die Grundrechtstheorie hat.

383  Dies vertritt auch Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit, S. 27, allerdings unter Verweis auf die Innentheorie Sieberts. 384  Zum begrifflichen Unterschied von immanenten „Grenzen“ der Grundrechte im Gegensatz zu „von außen“ an das Grundrecht herangetragene „Schranken“ vgl. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 56; siehe auch Scheuner, DÖV 1956, 65 (69). Entgegen dieser Auffassung bezeichnet Degenhart, in: Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 84, Art. 18 GG dogmatisch unpräzise als „verfassungsunmittelbare Schranke“. 385  Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG, S. 8. 386  Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 91; zustimmend Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 49. 387  So zu Recht Robbers, JuS 1985, 925 (927).



III. Systematische Einordnung der Grundrechtsverwirkung185

a) Die Grundrechtsdogmatik Nach der hier vertretenen Auslegung ist die Grundrechtsverwirkung nur schwer oder gar nicht in die herkömmliche Grundrechtsdogmatik einzuordnen, sie ist weder eine den Schutzbereich von innen heraus beschränkende Grenze der Grundrechte noch eine an sie von außen herantretende Schranke.388 Vielmehr bildet die Verwirkung grundrechtsdogmatisch eine eigene, mit den herkömmlichen Begriffen nicht definierbare Kategorie: Sie legt die Grenze der Geltendmachungsmöglichkeit eines Grundrechts fest.389 Nimmt man also an, dass die Grundrechtsverwirkung weder Schutzbereichsgrenze oder -konturierung noch Grundrechtsschranke ist, fragt sich natürlich, wie sie dann zu kategorisieren ist. Muss die Norm aber überhaupt in eine Dogmatik eingebettet werden, kann man nicht einfach ihre Singularität, ja gar ihre Widersprüchlichkeit hinnehmen und sie anwendungsorientiert auslegen? Ein dogmatisches System bringt indes die notwendige Berechenbarkeit und damit die Rechtssicherheit, die auch im grundrechtlichen Bereich, zumal wenn es um die für den Einzelnen nachteiligen Grenzen grundrechtlicher Gewährleistung geht, unbedingt zu fordern ist. Ein demokratischer Rechtsstaat sollte seine Vorschriften in sich logisch, also folgerichtig und damit systemgerecht gestalten.390 Aber in der politischen Realität, die bedeutend von zumeist okkasionellen und daher wenig auf System bedachten Gesetzes geprägt ist, kann vor allem die Dogmatik auf die nötige Konsistenz der Rechtsordnung einwirken.391 Nach dem herkömmlichen grundrechtsdogmatischen Schutzbereichs-Eingriffs-Schema kann die Verwirkung eines Grundrechts, so sie nicht Ab­ erkennung des vollständigen Grundrechts ist, nur entweder Schutzbereichsgrenze oder Grundrechtsschranke sein, was hier bereits beides ausgeschlossen wurde. Wenn stattdessen darauf verwiesen wurde, dass die Verwirkung 388  Vgl. dazu auch Gröschner, in: Dreier, GG, Art.  18 Rn. 19; Brenner, in: v.  Mangoldt / Klein / Starck, Art.  18 Rn.  20. 389  Siehe dazu unter D. II. 4. c). 390  Kritisch zur zwar wissenschaftlich und hermeneutisch idealen, aber praktisch nicht einklagbaren Folgerichtigkeit Battis, Systemgerechtigkeit, in: Festschrift HansPeter Ipsen, S. 11 ff. (29 f.). 391  So im Ergebnis Battis, Systemgerechtigkeit, in: Festschrift Hans-Peter Ipsen, S. 11 ff. (30); in diesem Sinne auch Waldhoff, Kritik und Lob der Dogmatik, in: Kirchhof  /  Magen  /  Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, S. 17 (33  f.); ferner Brohm, Kurzlebigkeit und Langzeitwirkung der Rechtsdogmatik, in: Festschrift Hartmut Maurer, S. 1079 hält die Rechtsdogmatik sogar für den wichtigsten Teil der Rechtswissenschaft. Sie lege unter anderem „innere Zusammenhänge“ dar und begründe damit ein „systematisierendes Denken, das die teleologisch erfassbaren Zusammenhänge herausarbeite“. (S. 1084).

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ein Hindernis zur Geltendmachung der Grundrechte darstelle, deutet dies auf eine weitere Dimension der Grundrechte hin, die mit dem geläufigen Schema nicht hinreichend eingefangen werden kann. So betrachtet die Ebene des Schutzbereichs sehr undifferenziert sowohl den vom Grundrecht erfassten Lebensausschnitt und Sachbereich als auch die individuelle grundrechtliche Gewährleistung. Oft werden die grundlegend verschiedenen Tatbestandsaspekte mit „objektivem“ und „subjektivem Schutzbereich“ nur unzureichend umschrieben. Die damit einhergehende Pauschalität wird dem anhand von Art. 18 GG deutlich gemachten vielschichtigen Gehalt eines Grundrechts nicht gerecht. Eine Freiheitsbetätigung kann demgemäß zwar dem Sachbereich eines Grundrechts unterfallen, aber gleichzeitig nicht von dessen Schutzzweck umfasst sein. Um dieser dogmatischen Unzulänglichkeit zu begegnen, hat Böckenförde ein brauchbares Grundrechtsmodell entwickelt, das trotz seiner hohen dogmatischen Überzeugungskraft bisher kaum aufgegriffen wurde.392 Danach sind nicht lediglich Schutzbereich und Eingriff einander gegenüberzustellen, sondern anstelle des Schutzbereichs findet sich eine Aufgliederung in den allein deskriptiven Sach- und Lebensbereich einerseits sowie den eigentlich normativen Gewährleistungsgehalt andererseits und erst auf der dritten Stufe Eingriff und Schranken des Grundrechts.393 Um Art. 18 GG in einen grundrechtsdogmatischen Kontext einzubetten, kann dieses Modell nunmehr fruchtbar gemacht werden: So bezeichnet der Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts, anders als sein bloßer Sach- und Lebensbereich, seinen tatsächlichen Schutzgehalt normativ. Der Gewährleistungsgehalt eines Abwehrrechts muss aber rechtslogisch gerade in der Abwehr staatlicher Freiheitseinschränkungen liegen. Mit der Verwirkung soll eben diese Abwehrmöglichkeit gehindert und damit für den Einzelfall ausgeschlossen werden. Das dreigliedrige Grundrechtsmodell Böckenfördes hilft deshalb bei der dogmatischen Einordnung des Art. 18 GG einen erheb­ lichen Schritt weiter. Die Grundrechtsverwirkung könnte damit folgendermaßen vorstellbar sein: Auch ein Verhalten, das den Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bezweckt, unterfällt prinzipiell dem abstrakten Sachund Lebensbereich eines Grundrechts. Dies allein genügt jedoch nicht, um tatsächlich grundrechtlichen Schutz beanspruchen zu können, vielmehr muss auch der Gewährleistungsgehalt des Grundrechts eingreifen. Im Fall 392  Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 (174 ff.), der sich allerdings bereits auf Wahl, Freiburger Universitätsblätter, Heft 95 (1987), 19 (29 ff.) beruft. Das Modell wurde nunmehr fortentwickelt von Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, S.  169 ff. 393  Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 (174).



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des Missbrauchs im Sinne von Art. 18 GG verwirkt aber der Missbrauchende das Recht zur Abwehr staatlicher Eingriffe und damit das ihm durch das Grundrecht individuell verbürgte Recht zur Geltendmachung seines Schutzes. Er verwirkt folglich den subjektiven Gewährleistungsgehalt des Rechts – nicht jedoch den objektiven Gehalt, der demgegenüber staatliche Schutzpflichten und Verfahrensgarantien gewährleistet. Unterstützung findet diese Ansicht, wenn man sich in Erinnerung ruft,394 dass der Missbrauch im Sinne von Art. 18 GG nicht im funktionswidrigen Gebrauch eines Grundrechts liegen kann, das überhaupt keine Ausübungsbefugnis, sondern lediglich einen Unterlassungsanspruch gegen den Staat gewährt.395 Missbraucht werden kann vielmehr allein die individuelle Freiheit, auf der das Grundrecht als Abwehrrecht erst beruht. Nach Böckenfördes Grundrechtsschema bedeutet dies also, dass die in einen grundrechtlichen Sachund Lebensbereich fallende (natürliche) Freiheit des Individuums im Fall ihres Missbrauchs zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wegen Art. 18 GG nicht mehr dem Staat gegenüber im Wege des grundrechtlichen Unterlassungsanspruchs geltend gemacht werden kann. Der subjektive Gewährleistungsgehalt des entsprechenden Grundrechts ist damit im Einzelfall gleichsam gesperrt. Dass wegen Art. 18 Satz 2 GG erst das BVerfG die Ausnahme aus dem Gewährleistungsgehalt vornehmen soll, erscheint indessen fragwürdig, soll aber an anderer Stelle erörtert werden.396 Die Schwierigkeiten bei der dogmatischen Einordnung des Art. 18 GG zeigen die Unzulänglichkeiten des üblichen zweigliedrigen Grundrechtsmodells besonders deutlich auf. Ein Schema wie Böckenförde es entwickelt hat, vermag hingegen das Grundrechtsspektrum, dem nicht zuletzt auch die bisher in der Dogmatik völlig übergangene Möglichkeit der Grundrechtsverwirkung angehört, besser abzubilden. b) Die Grundrechtstheorie Ein weiterer Grund für die Ablehnung der prinzipiellen Schutzbereichsrestriktion ist das sich in der Abwehrrechtstheorie ausdrückende397 naturrechtliche Verständnis der Grundrechte als vorstaatliche Freiheiten, die mit Carl Schmitt prinzipiell unbegrenzt sind.398 Damit ließe sich eine apriori394  Siehe

bereits unter D. II. 4. c). Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 56 f. 396  Siehe unter F. II. 397  Siehe auch Apelt, JZ 1951, 353 (354). 398  C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 164. Vgl. hierzu im Zusammenhang mit Art. 18 GG auch Geiger, BVerfGG, Vorbem. 4 vor §§ 36 ff. 395  Eingehend

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sche Reduktion des Schutzbereiches bei zweckwidrigem Gebrauch der Grundrechte schlechterdings nicht vereinbaren. Zwangsläufig führt diese Feststellung aber zu der Frage, ob die Grundrechtsverwirkung überhaupt mit der liberalen Fundierung der Grundrechte vereinbar ist und ob sie nicht vielmehr eine andere Grundrechtstheorie impliziert. Das dem Grundgesetz zumindest vorrangig zugrunde liegende bürgerliche Abwehrrechtsdenken399 scheint in der Tat zunächst mit Art. 18 GG nicht zusammenzupassen. Dass indes gerade diese Norm ein liberales Grundrechtsverständnis unbedingt voraussetzt, soll hier aufgezeigt werden. Einer objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte kommt die Verwirkung nicht zwangsläufig in die Quere, eine „objektiv-rechtliche Überformung“400 der Grundrechte entzieht ihr aber das Fundament. Bisher wird bei Art. 18 GG vor allem die Rechtsfolge der Verwirkung als Instrument des Verfassungsschutzes in den Vordergrund gerückt und die Norm so in Parallelisierung zu Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG als Mittel der streitbaren Demokratie kategorisiert. Das Merkmal des Missbrauchs von Grundrechten verschwindet dabei hinter dem des Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, der gleichsam als alleinige Rechtfertigung für den Grundrechtsverlust herangezogen wird. Es trifft zwar zu, dass der „Missbrauch“ in Art. 18 GG faktisch ein Gebrauch bestimmter grundrechtlich verbürgter Freiheit mit dem Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen, ist,401 doch heißt dies nicht, dass dem Merkmal keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt. So ist die Verwendung des Begriffs „Missbrauch“ keineswegs zufällig, sondern drückt die spezifische Funktionswidrigkeit des Gebrauchs von Grundrechten zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung aus. Die Verwirkung bewirkt demgemäß, dass freiheitswidersprechendes Verhalten nicht als grundrechtlich geschützt geltend gemacht werden kann und löst damit den Konflikt der nicht bezweckten Gewährung von „Freiheit für die Feinde der Freiheit“.402 Besondere Bedeutung erlangt dabei das Schutzgut des Art. 18 GG, die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegenüber dem Missbrauch von Freiheit. Bezweckt ist danach vor allem der Schutz der Freiheit in der Demokratie, weil die Verwirkungsnorm gerade das Parado399  Jerusalem, SJZ 1950, 1; vgl. zur antisozialistischen Tendenz der Konzentra­ tion auf das Abwehrrecht Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 70 f. 400  Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 410. 401  Siehe bereits oben S. 63. 402  „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ war ein Antoine de Saint-Just zugeschriebenes Schlagwort der Französischen Revolution. In seiner Radikalität trifft es selbstverständlich nicht auf die freiheitsbeschränkenden Regelungen des Grundgesetzes zu, die freilich nicht reaktiv, sondern allein präventiv motiviert sind, verfolgt im Kern aber wohl dieselbe ratio.



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xon des Gebrauchs von Freiheit, um diese dann abzuschaffen, lösen soll.403 Indem Art. 18 GG also die Freiheit des Einzelnen eingrenzt, erhöht er gleichzeitig den Schutz der Freiheit aller. Weil die Verwirkung von Grundrechten bewirkt, dass der Betroffene das missbrauchte Grundrecht nicht mehr geltend machen kann, heißt dies im Umkehrschluss, dass das individuell-subjektive Ausübungsrecht der Grundrechte in ihrer Geltendmachung gegenüber dem Staat besteht. Die Bedeutung der Grundrechte liegt mithin in ihrer Abwehr staatlichen Eingriffhandelns, die deshalb im Fall des Missbrauchs nach Art. 18 GG suspendiert ist. Damit ist nicht allein die prozessuale Komponente des Freiheitsschutzes gemeint, die in der Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG besteht, sondern zunächst insbesondere der materielle Aspekt der Gewährung eines individuellen Freiheitsraumes, an den der Staat gebunden ist und den der Einzelne deshalb gegenüber jedem staatlichen Eingriffshandeln vorbringen kann. Die Perversion dieser Freiheit soll Art. 18 GG verhindern. Man könnte demgegenüber auch annehmen, dass Art. 18 GG gar kein Abwehrrechtskonzept, sondern ein funktional-demokratisches Grundrechtsverständnis verfolge, das in Anlehnung an die Integrationslehre Rudolf Smends Grundrechte als „konstituierende Faktoren eines freien Prozessen demokratischer, d. h. von unten nach oben verlaufenden Staatshervorbringung“ begreift.404 Eine solche Theorie räumt mit der Auslegung der Kommunikationsfreiheiten als „politische“ oder „demokratische“ Grundrechte diesen Vorrang vor den „einfachen“ Grundrechten der freien Persönlichkeitsentfaltung ein.405 Dies widerspricht freilich einer liberalen Grundrechtstheorie, nach der alle Grundrechte gleichermaßen dem Individuum und gerade nicht dem Staat zugeordnet sind.406 Tatsächlich wird aber zuweilen unterschieden zwischen den Menschenrechten als eigentlichen Freiheitsrechten und den sogenannten Bürgerrechten als Rechten im Staat, worunter etwa Art. 5 Abs. 1, 8, 9 und 16 GG fallen würden.407 Ganz in diesem Sinne 403  Deshalb ist nicht, wie Zuleeg, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 41 (45 ff.) kritisiert, schon jeder vermeintliche Demokratieverstoß unter Art. 18 GG zu zählen. 404  Vgl. nur Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 313 f. Siehe dazu Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (133). 405  Vgl. dazu H. H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 39 f. 406  Vgl. Ossenbühl, NJW 1976, 2100 (2101). 407  Apelt, JZ 1951, 353 (354); ähnlich C. Schmitt, Verfassungslehre, S.  168 f.; ebenso wohl Hamann, GG, Anm. B 2 zu Art. 18; anders etwa Ule, DV 1949, 333 (334), der grundsätzlich ein liberales Grundrechtsverständnis verfolgt, die Grund-

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könnte auch Art. 18 GG einen Unterschied zwischen den echten Individualgrundrechten wie etwa Art. 4 GG bezeichnen, die auf einem naturrechtlichen Verständnis beruhen und dem Menschen gleichsam als unveräußerlich kraft überpositiven Rechts zueigen sind, und den Kommunikationsgrundrechten, die erst in der Interkommunikation, also im Zusammenspiel mit anderen innerhalb der Gesellschaft, Bedeutung erlangen.408 Zumindest aber könnte man den Ansatz Dürigs aufgreifen, wonach die Verwirkung stets nur die politische Ausübungsmodalität der Grundrechte betreffen soll.409 So trennt Carl Schmitt zwischen der privaten und der politischen Ausübung der Grundrechte. Gegen ein solches Verständnis spricht indes zum einen der Wortlaut des Art. 18 GG, der sich nicht lediglich auf die „politischen“ Freiheiten der Grundrechte bezieht, sondern auch etwa die prima facie unpolitische Eigentumsfreiheit und die Asylfreiheit nennt. Zum anderen enthält Art. 18 GG auch keine Beschränkung auf die politische Ausübungsmodalität der Grundrechte, selbst wenn das Ziel der Freiheitsbetätigung nach Art. 18 GG mit dem Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung freilich ein politisches ist. Aber das Mittel hierfür, also die eigentlich Freiheitsbetätigung, ist nicht näher definiert. Hierbei zwischen privater und politischer Ausübung zu unterscheiden, scheint kaum möglich: So kann die Zusammenkunft in einem religiösen Verein zugleich auch politisch sein, wenn sie langfristig der Planung eines politischen Umsturzes dient. Teilweise wurde auch ganz im Sinne dieses funktional-demokratischen Grundrechtsverständnisses vertreten, Art. 18 GG stehe einer Theorie vom Gegensatz Staat-Gesellschaft entgegen; die Verwirkungsnorm spreche sich stattdessen für die Harmonie und Integrationskraft der Grundrechte aus.410 Dieser Schluss ist jedoch so wenig zwingend wie überzeugend. Vielmehr bewirkt die Grundrechtsverwirkung gerade keine „Entpolitisierung“ oder gar „Entbürgerlichung“ des Missbrauchenden. Dieser kann mit der Verwirkungsentscheidung nicht etwa sämtlicher seiner politischen Mitwirkungsrechte also nur als Abwehrrechte vom Staat und nicht als Mitwirkungsrechte am Staat begreift, dagegen demokratische Grundrechte wie Art. 33, 38 GG als echte Mitwirkungsrechte ansieht. 408  In diese Richtung gehend meint Kloepfer, HdbStR III, § 42 Rn. 50, dass die Möglichkeit des Missbrauchs der in Art. 18 GG genannten Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Umkehrschluss darauf hindeutet, dass diese Grundrechte der Stärkung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dienen sollen. Diese Folgerung leuchtet indes nicht ohne Weiteres ein. Grundrechte können selbstverständlich auch dann gegen die Freiheit eingesetzt werden, wenn sie im Normalfall lediglich „neutral“ sind. 409  Siehe dazu unter D. II. 3. 410  Hartmann, Verwirkung von Grundrechten, S. 571.



III. Systematische Einordnung der Grundrechtsverwirkung191

rechte verlustig gehen, sondern nur im Einzelfall die Staatsabwehrbefugnis der Grundrechte nicht geltend machen. Nur dieses Verständnis entspricht sowohl dem Katalog verwirkbarer Grundrechte des Art. 18 GG als auch der Ableitung dieser Norm aus dem Zivilrecht.411 Die Verwirkung muss daher vor allem im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Freiheit gesehen werden und deshalb weniger als demokratieschützende denn als freiheits­ sichernde Regelung verstanden werden. Eine solche Interpretation der Verwirkungsnorm fügt sich mithin mühelos in eine bürgerlich-liberale Grundrechtstheorie ein. Allein das Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat vermag dabei die Konzeption des Art. 18 GG zu erklären. Das bedeutet freilich andersherum nicht, dass den Grundrechten keine weitere Dimension entnommen werden kann. Im Gegenteil spricht etwa für eine weitere objektive oder strukturelle Funktion die lediglich subjektiv-rechtliche Gewährleistungsbegrenzung durch die Grundrechtsverwirkung. Doch muss Art. 18 GG zuvörderst als Ausdruck eines ursprünglichen liberalen Abwehrrechtskonzepts der Grundrechte verstanden werden. 3. Fazit Anders als überkommene Lehren, die die grundrechtliche Freiheitsbetätigung prinzipiell in eine bestimmte Richtung beschränken oder gar Mindestanforderungen an sie stellen wollten,412 bewirkt Art. 18 GG keine ungeschriebene, lediglich einer Wertordnung oder kollidierenden Gemeinschaftsgütern zu entnehmende Begrenzung der Grundrechte, die erst durch die Gesetzgebung konkretisiert werden muss.413 So betont Müller, dass ein 411  Siehe

ausführlich unter D. II. 4. c). ausführliche Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen zur Bestimmung der Grundrechtsgrenzen findet sich bei Reif, Der Begriff der Verwirkung der Grundrechte in Art. 18 GG, S. 17 ff. Damit nicht zu verwechseln ist eine andere frühere Auffassung, nach der in die Grundrechte auch allein aufgrund an anderer Stelle im Grundgesetz festgehaltener Schranken eingegriffen werden kann. Dies betrifft im Unterschied zu eben genannter Ansicht die Schranken- und nicht die Tatbestandsebene. So wurde etwa die Anwendung der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG auch auf alle anderen Grundrechte vertreten, vgl. hierzu etwa Krüger, DVBl. 1950, 625 (626); dazu ablehnend Kimminich, JZ 1965, 739 (743). 413  Vgl. nur Bryde / Jentsch, EuGRZ 2006, 617 (619) mit Verweis auf BVerfGE 30, 173 (193); nur auf solche ungeschriebenen verfassungsunmittelbaren Schranken als schutzbereichsimmanente Beschränkungen bezieht sich die Kritik von v. Ar­ nauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, S. 124 f.; ablehnend auch F. Müller, Juristische Methodik, S. 111; Löffler, DÖV 1957, 897 (899); vgl. zum Verhältnis von Grundgesetz und Gesetz z. B. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, 126 ff., 210 f. 412  Eine

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D. Verwirkung

pauschaler Gemeinvorbehalt in Gestalt „normativ ungestützter und rechtsstaatlich ungenauer Missbrauchsvorbehalte“ schlechthin unzulässig sei.414 Mit Art. 18 GG positiviert der Verfassungsgeber dagegen einen Vorbehalt der Grundrechtsgeltendmachung, den er allerdings auf den Fall des Agierens gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beschränkt. Damit ist die Grenze der Möglichkeit, bestimmte Grundrechte geltend zu machen, bereits normativ umrissen. Es handelt sich bei Art. 18 GG folglich dogmatisch gesehen um eine Präformation des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts.415 Entgegen der in der Literatur vielfach anzutreffenden Meinung ist die Norm mithin keine die Grundrechte auf der Ebene der Rechtfertigung eines Eingriffs faktisch verkürzende Schrankenbestimmung, wie es etwa die allgemeinen Gesetze im Rahmen von Art. 5 Abs. 2 GG sind.416 Genauso wenig bewirkt sie jedoch, dass der Inhalt eines Grundrechts nur soweit geht, als es nicht missbraucht wird.417 Vielmehr stellt die Verwirkung im Einzelfall ein verfassungsrechtlich vorgegebenes Hindernis dar, sich auf das inhaltlich einschlägige Grundrecht zu berufen. Versteht man jedoch Art. 18 GG sol414  F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, S. 28, 31: „Stattdessen ist für jedes Grundrecht die in Wahrheit ‚immanente‘, weil die Reichweite der als frei garantierten Sache individuell nachzeichnende Grenze des je grundrechtseigenen ‚Missbrauchs‘ […] in allmählich traditionsbildender Weise zu entwickeln.“ Für solche inhärenten individuellen Schranken spricht sich auch Scholtissek, NJW 1952, 561 (562) aus. Demgemäß kann die Entscheidung des BVerfG, EuGRZ 1984, 271 (272) – Sprayer von Zürich, wohl als verfassungsimmanente Begrenzung der Kunstfreiheit herangezogen werden: Die Reichweite des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erstreckt sich danach von vorneherein nicht auf „die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung“. Darin liegt durchaus eine individuelle Grenzziehung des Missbrauchs eines Grundrechts im Sinne Müllers. 415  Siehe auch Merten, in: Merten  / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 92, der Art. 18 GG ohne nähere Spezifizierung als „Grundrechtsbegrenzungsnorm“ bezeichnet. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 117 will jedoch nicht den Begriff der „Grundrechtsgrenze“ auf Art. 18 GG anwenden, sondern fasst die Norm unter „Ermächtigungen zur Missbrauchswehr“. Dieser begrifflichen Unterscheidung soll jedoch nicht gefolgt werden. Vielmehr handelt es sich nach der hier vertretenen Auffassung sehr wohl um eine inhaltliche Grundrechtsbegrenzung. Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, S. 289 differenziert begrifflich noch zwischen verfassungsunmittelbarer und verfassungsmittelbarer Grundrechtsrestriktion, dabei soll Art. 18 GG den einzigen Fall einer „verfassungsmittelbaren subjektbezogenen Restriktionsdezision“ darstelle, wobei er sich auf die konstitutive Entscheidung des BVerfG beruft. 416  Dies vertritt auch Isensee, in: ders.  /  Kirchhof (Hrsg.), HdbStR IX, § 190 Rn. 195. 417  So aber Brenner, DÖV 1995, 60 (62); in diese Richtung auch Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 43.



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung193

chermaßen als die Grundrechtsgewähr a priori begrenzende Bestimmung, so erschließt sich Art. 142 GG ganz zwanglos. Die Nennung von Art. 18 GG war hierbei notwendig – nicht, weil auch er ein Grundrecht gewährt, sondern weil er für die Bestimmung des Gewährleistungsgehalts der in ihm aufgezählten Grundrechte unumgänglich ist. Damit wird zugleich die systematische Stellung von Art. 18 im Grundrechtsteil des Grundgesetzes deutlich. Als grundrechtsübergreifende Gewährleistungsbegrenzung folgt die Norm kontextuell auf die inhaltliche Bezeichnung der Grundrechte. Dies ist entgegen der – richtigen, aber für diese Zwecke unergiebigen – Einordnung der Norm als Verfassungsschutzbestimmung die einzig schlüssige Erklärung für die Stellung der Norm im Grundrechtsteil. Die insoweit konstitutive Entscheidung des BVerfG bewirkt deshalb allein eine Aktivierung bestehender Gewährleistungsgrenzen.418

IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung Um die Folgen der Verwirkungsentscheidung für Exekutive, Legislative und Judikative zu beschreiben, erscheint ein Vergleich mit den Folgen des Grundrechtsverzichts lohnend. Auch der Grundrechtsverzicht – so man diese Rechtsfigur überhaupt rechtlich anerkennt – bewirkt in irgendeiner Form die Nichtanwendung von Grundrechten, hier zwar aufgrund autonomer Entscheidung des Grundrechtsberechtigten im Gegensatz zur Verwirkungsentscheidung des BVerfG, doch müsste gleichwohl der Vollzug des Außerkraftsetzens von Grundrechten durch die staatlichen Organe parallel zu begründen sein. Im Folgenden sollen deshalb die bislang sehr umstrittenen und schwierig zu bestimmenden Folgen der Verwirkungsentscheidung des BVerfG für Exekutive, Legislative und Judikative unter Heranziehung der vergleichbaren Ansichten zum Grundrechtsverzicht untersucht werden. Dabei ist insbesondere auch auf den Einfluss des Allgemeinheitsgebots und des Vorbehalts des Gesetzes sowie auf die normative Ausgestaltung der Grundrechtsverwirkung durch § 39 BVerfGG einzugehen.

418  Die Einordnung als (Judikativ-)„Vorbehalt“ rührt wohl daher, dass Begrenzungen des Gewährleistungsgehalts eines Grundrechts herkömmlich keinen ermächtigenden Gehalt aufweisen, wie es Gesetzesvorbehalte tun, vgl. C. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 52. Allerdings spricht Art. 18 GG auch keine Ermächtigung an die Judikative, respektive das BVerfG aus, sondern setzt es bloß als (einzige) Instanz zur Aktivierung der Grundrechtsgrenzen, die jedoch verfassungsrechtlich bereits vorgezeichnet sind, fest. Eine Ermächtigung in dem Sinne, dass der Ermächtigte nach eigenem Gutdünken handeln kann, ist davon funktionell grundlegend verschieden. Anders jedoch ausdrücklich v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, S. 126 f., der bereits die Möglichkeit schutzbereichsimmanenter Schranken ablehnt.

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D. Verwirkung

1. Folgen für Exekutive, Legislative, Judikative Die Rechtsfolge des Grundrechtsverzichts soll nach vorherrschendem Verständnis eine Ausnahme aus dem Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts sein, so dass sich der Verzichtende hierauf nicht mehr berufen könne. Diese Ansicht bewirkt, dass hernach Maßnahmen des Staates innerhalb des grundrechtlichen Schutzbereiches gar keinen Eingriff in das betreffende Grundrecht mehr darstellen.419 Weil auch die Grundrechtsverwirkung nach wohl vorwiegender Auffassung zur Folge haben soll, dass der Schutz des verwirkten Grundrechts für eine gewisse Dauer gänzlich entfällt, wird hier ebenfalls angenommen, dass staatliche Maßnahmen daraufhin keine Grundrechtseingriffe mehr bewirken würden.420 Darüber hinaus wird vertreten, dass korrespondierend zum Schutz des Grundrechts die Bindung an das jeweilige Grundrecht nach Art. 1 Abs. 3 GG entfalle.421 Gerade diese Suspendierung der staatlichen Grundrechtsbindung soll dabei der Grundrechtsverwirkung, wie auch dem Institut des Grundrechtsverzichts, zur praktischen Vollziehbarkeit verhelfen. Allein, ihr steht nicht eine Suspendierung des grundrechtlichen Schutzes schlechthin gegenüber, sondern lediglich ein subjektives Geltendmachungshindernis. Schon im Falle des Verzichts auf einzelne Grundrechtspositionen vermag die vollständige Aberkennung des Grundrechtsschutzes indes kaum zu überzeugen. So hat der Betroffene zum einen – und allein das könnte überhaupt mit dem Prinzip der Menschenwürde in Einklang stehen – in tatsächlicher Hinsicht nur auf den Grundrechtsschutz für eine ganz bestimmte Maßnahme verzichtet; zum anderen ließe sich in dogmatischer Hinsicht die individuelle Disposition über den verfassungsrechtlich vorgegebenen, sich in erster Linie an die staatliche Gewalt richtenden Grundrechtsschutz schlechterdings nicht begründen.422 Die umfassende Aberkennung des Grundrechtsschutzes steht also weder im Interesse des Einzelnen noch im Einklang mit der Verfassung. Vielmehr will der Einzelne mit seinem Verzicht nur deutlich ­machen, dass er sich gegen eine oder mehrere bestimmte oder zumindest potentiell bestimmbare Maßnahmen nicht unter Berufung auf seine Grundrechte wehren wird. Wenn man diese – in den meisten Fällen wohl konkludente – Erklärung überhaupt für rechtlich relevant hält, muss sich die ihr beigemessene Rechtswirkung zumindest an der intendierten Reichweite des Verzichts orientieren. Es entfällt nach dieser Interpretation also nicht der 419  Sturm, Probleme eines Verzichts auf Grundrechte, in: Festschrift Willi Geiger, S. 173 (187); allgemein Stern, Staatsrecht III / 2, S. 927. 420  Vgl. nur Sachs, Verfassungsrecht II, A 9 Rn. 72. 421  Merten, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 73 Rn. 15. 422  So bereits Bleckmann, Staatsrecht II, § 15 Rn. 11.



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung195

Schutzbereich eines Grundrechts, sondern die Möglichkeit der Geltendmachung im Einzelfall. Merten hat demgemäß in die Grundrechte einen expliziten oder impliziten „Staatsabwehrwillen“ hineingelegt, dessen Geltendmachung im Falle des wirksamen Einverständnisses mit staatlichen Maßnahmen ausgeschlossen sei.423 Modifiziert gelten die gleichen Erwägungen für die rechtlichen Folgen der Grundrechtsverwirkung. Spricht man im Rahmen eines möglichen Grundrechtsverzichts von einem tatbestandlich notwendigen „Staatsabwehrwillen“, muss im Rahmen der Verwirkungsentscheidung nicht vom individuellen Willen, sondern von einer rechtlichen Zulässigkeit die Rede sein. Die Grundrechtsverwirkung setzt mithin die subjektive „Staatsabwehrbefugnis“ aus. Legislative, Exekutive und Judikative dürfen mithin, ohne an die verwirkten Grundrechte gebunden zu sein, gegen den Missbrauchenden vorgehen.424 So wie beim Verzicht die Grundrechtsgeltendmachung mangels „Staatsabwehrwillens“ für einen ganz bestimmten, vom Betroffenen avisierten Fall unzulässig wird, entfällt die subjektiv-rechtliche Möglichkeit der Grundrechtsgeltendmachung bei der Grundrechtsverwirkung auch lediglich für den konkreten Fall des Missbrauchs der grundrechtlich geschützten Freiheit. Der Handlungsspielraum der Legislative wird durch die Grundrechtsverwirkung faktisch kaum erweitert. Zwar kann sie theoretisch spezifische Gesetze schaffen, die Eingriffsmöglichkeiten für die Verwaltung gegenüber Verwirkungsgegnern bereithalten.425 So finden sich bereits Vorkehrungen etwa in § 1 Abs. 2 Nr. 1 VersG – der allerdings lediglich deklaratorische Bedeutung haben dürfte – oder § 7 Nr. 1 BRAO. Dabei stellt sich jedoch die Frage nach dem Mehrgewinn dieser Regelungen. Ein solcher ist einzig dadurch gegeben, dass der Gesetzgeber im Rahmen dieser Vorschriften die Grundrechte des Betroffenen nicht beachten müsste. Eine Entbindung vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommt allerdings entgegen der Ansicht von Sachs426 nicht in Betracht. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht einzig mit der Möglichkeit der Grundrechtsgeltendmachung verknüpft, sondern gilt unabhängig hiervon als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips.427 Dieses wiederum findet seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 20 Abs. 3 423  Merten,

in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 73 Rn. 12. auch Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 56. 425  Schmitt Glaeser, in: Merten  /  Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 38; für Rupp, Bemerkungen zur Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Küchenhoff, S. 653 (657) ist das gar dies einzig denkbare Folge der Grundrechtsverwirkung; ebenso Stettner, DVBl. 1975, 801 (808). 426  Sachs, Verfassungsrecht II, A 9 Rn. 72. 427  So etwa BVerfGE 57, 250 (270); 59, 275 (278). 424  Siehe

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D. Verwirkung

GG und kann demgemäß nicht nach Art. 18 GG verwirkt werden. Das Rechtsstaatsprinzip und mit ihm der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirken vielmehr in jede Entscheidung der staatlichen Gewalten hinein.428 Fraglich erscheint demgegenüber, was im Rahmen der Verhältnismäßigkeit nach einer Grundrechtsverwirkung gegeneinander abzuwägen ist. Die verwirkten Grundrechte des Betroffenen können hierbei jedenfalls kein Gewicht mehr erlangen. Damit wird zugleich deutlich, dass der „Geltungsgrund“ des Übermaßverbots zumindest ebenso in den Grundrechten zu sehen ist.429 Gleichwohl darf auch eine staatliche Maßnahme im Bereich verwirkter Grundrechte den Betroffenen nicht über Gebühr benachteiligen. Es gilt folglich, die Nachteile für den Betroffenen gegenüber den Vorteilen für das Gemeinwohl abzuwägen, wobei stets der jeweilige Grad der Beeinträchtigung zu berücksichtigen ist.430 Aber selbst hier tritt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz niemals losgelöst von konkreten Rechtspositionen in Erscheinung:431 Wenn die Nachteile durch die Maßnahme über das durch die Grundrechtsverwirkung vorgegebene Maß hinaus gehen, werden zugleich stets andere Grundrechtspositionen als die verwirkten betroffen sein, die eine ungeschmälerte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erfordern. Insoweit also etwa § 7 Nr. 1 BRAO Auswirkungen auf die Berufsfreiheit des Antragstellers nimmt, was naturgemäß der Fall sein wird, muss er sich allgemein und im Einzelfall an Art. 12 Abs. 1 GG wie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip messen lassen. 2. Das Allgemeinheitsgebot Teilweise wird die Verwirkungsentscheidung – explizit oder implizit – als gleichzeitige Ausnahme vom Verbot des Einzelfallgesetzes angesehen. Art. 19 Abs. 1 GG sei also gewissermaßen automatisch „mitverwirkt“.432 Angesichts des Wortlauts von Art. 18 GG und rechtsstaatlichen Erwägungen erscheint diese Auffassung indes zweifelhaft. Allerdings könnte das Argument, Art. 19 Abs. 1 GG greife im Falle der Grundrechtsverwirkung gar nicht, da er nur für die Verwirklichung eines grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts gelte und damit nicht im Fall der Grundrechtssuspendierung, die 428  Ähnlich Rupp, Bemerkungen zur Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Küchenhoff, S. 653 (654). 429  Merten, in: Merten  / Papier, HdbGR III, § 68 Rn. 24 ff., 35 ff.; Sommermann, in: v.  Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  20 Abs.  3 Rn.  313. 430  Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 314. 431  Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 318. 432  So etwa Höfling / Krings, in: Friauf  / Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 18 Rn. 67; Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, §  39 Rn. 30.



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung197

These der „Mitverwirkung“ stützen. Wenn also durch die Legislative gar kein Grundrechtseingriff erfolgt, weil der Grundrechtsschutzbereich nicht eröffnet ist, gilt weder der Gesetzesvorbehalt der Grundrechte noch das Verbot des Einzelfallgesetzes. Es können damit auch Individualgesetze erlassen werden.433 Darin zeigt sich auch die Konnexität des Allgemeinheitsgebots aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Nach einer Auffassung in der Literatur stellt das Allgemeinheitsgebot sogar lediglich eine Spezifikation des allgemeinen Gleichheitssatzes dar,434 zumindest aber sei in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG ein über die Gewährleistungen des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Intensität stufenweise hinausgehendes „qualifiziertes Gleichheitsgebot“ verbürgt.435 Welcher Auffassung man auch folgen mag, ist doch unstreitig, dass das Allgemeinheitsgebot den Einzelnen vor grundrechtsbeeinträchtigenden Spezialgesetzen nur ihm gegenüber schützen soll.436 Dieses den jeweiligen Grundrechten mithin innewohnende Verbot der Individualmaßnahme, das Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verdeutlicht, kann demgemäß – wie der möglicherweise davon zu unterscheidende Gleichheitsgehalt der Grundrechte – ebenso wenig wie das verwirkte Grundrecht im Falle des Missbrauchs geltend gemacht werden.437 Andersherum ist der Staat kraft der Verwirkungsentscheidung so wenig wie an das verwirkte Grundrecht und seinen Gesetzesvorbehalt selbst an das mit ihm untrennbar verknüpfte Allgemeinheitsgebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG gebunden. Auch dies gilt freilich nur für den spezifischen Fall des Grundrechtsmissbrauchs und nicht generell für sämtliche Bereiche des grundrechtlichen Schutzes und der aus ihm erwachsenden Ansprüche.438 Daher ist wichtig zu betonen, dass die Entscheidung des BVerfG keine automatische „Mitverwirkung“ des Allgemeinheitsgebots nach sich zieht, sondern die Entbindung von ihm allein logische Konsequenz der Entbindung von der Grundrechtsverpflichtetheit ist.

433  Stern, Staatsrecht III  / 2, S. 966; Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 77 nennen als Beispiel eine damit mögliche „lex Hitler“. 434  Vgl. etwa H. P. Ipsen, in: Bettermann / Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte II, S. 142. 435  So Huber, in: v. Mangoldt  /  Klein  /  Starck, GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 25; Kunig, Jura 1993, 308 (312). 436  Vgl. zu den entsprechenden Ausführungen Dehlers im Parlamentarischen Rat Huber, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 19 Abs. 1 Rn. 4. 437  Stern, Staatsrecht III / 2, S. 967 erklärt lapidar, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG den Betroffenen nicht schützen könne, weil das Grundrecht ja aberkannt sei. 438  So aber etwa Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 58.

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D. Verwirkung

3. Der Vorbehalt des Gesetzes Eine andere Frage ist dagegen die der Notwendigkeit eines (Individual-) Gesetzes, um gegen den Verwirkungsgegner einschreiten zu können. Jedenfalls bedarf es eines solchen dann nicht, wenn die Exekutive allein kraft der Verwirkungsentscheidung gegen den Betroffenen vorgehen könnte. Ein Gesetz wäre nur dann vonnöten, wenn anders wegen des Gesetzmäßigkeitsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG gar kein behördliches Einschreiten möglich wäre. Diese Frage führt direkt zu § 39 Abs. 1 BVerfGG, der die Anordnungen des BVerfG zur Rechtsgrundlage für weitere staatliche Maßnahmen erklärt. Festzuhalten ist zunächst, dass mit der Grundrechtsbindung auch der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt sowie der Parlamentsvorbehalt im Bereich der verwirkten Grundrechte entfallen.439 Wenn man demgemäß die Bedeutung der Grundrechte allein in dem Vorbehalt des Gesetzes sehen würde, dann hätte die Verwirkung tatsächlich zur Folge, dass dieser entfiele.440 Diese nach einer früheren Lehre vertretene Auffassung441 darf allerdings mittlerweile zu Recht als überholt bezeichnet werden. Vielmehr wird Art. 20 Abs. 3 GG ein vom grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt zu unterscheidender „Vorbehalt des Gesetzes“ entnommen, der ein „Verbot, ohne wirksam gewordene gesetzliche Grundlage tätig zu werden“, bewirkt.442 Insofern man also einen umfassenden, über den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt hinausgehenden Vorbehalt des Gesetzes nicht grundsätzlich ablehnt,443 ist anzuerkennen, dass dieses Verfassungsprinzip jedenfalls nicht der Verwirkung des Art. 18 GG anheimfallen kann. Zwar hat noch Wernicke für die Grundrechtsverwirkung eine Ausnahme vom Gesetzmäßigkeitsprinzip der Verwaltung angenommen,444 doch wird diese Ansicht ganz überwiegend abgelehnt.445 Dabei wird indes bisweilen nicht 439  Vgl. zum Parlamentsvorbehalt und zur Wesentlichkeitstheorie Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz / Klein / Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 9 (18 ff.). 440  Krüger, DVBl. 1953, 97 (100 f.). 441  Dazu Ossenbühl, in: Isensee  /  Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 101 Rn. 16 m. w. N. 442  Siehe nur Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 113 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. auch bereits Jahrreiß, Verhandlungen des 37. Deutschen Juristentages, S. 28. 443  So aber etwa Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 19, der das Prinzip zumindest für den Fall, dass der grundrechtliche Gesetzesvorbehalt greift, einschränken möchte. Vgl. auch Krebs,  Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 132 f. 444  Wernicke, in: Bonner Kommentar, GG, 1. Aufl. Art. 18 Erl. II 2d. 445  Geiger, BVerfGG, § 39 Anm. 3; Dürig, JZ 1952, 513 (518); Krüger, DVBl. 1953, 97 (101); Stettner, DVBl. 1975, 801 (808); Stern, Staatsrecht III / 2, S. 967;



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung199

mit der gebotenen Eindeutigkeit differenziert zwischen dem Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes und dem Vorbehalt des Gesetzes. Von einer unabdingbaren Beachtung aller bestehenden Rechtsnormen dürfte unzweifelhaft auszugehen sein.446 Allein die Notwendigkeit einer spezifischen Rechtsgrundlage für das Einschreiten gegen den Missbrauchenden erscheint dagegen fraglich. Zunächst ist wiederum festzustellen, dass eben dieses Problem in gleicher Weise beim Grundrechtsverzicht anzutreffen ist. Hier wird meist vertreten, dass der Verzichtende mit seiner Einwilligungserklärung staatliches Handeln legitimiere und zugleich eine Rechtsgrundlage dafür schaffe.447 Der Vorbehalt des Gesetzes gelte seinem Zweck nach nämlich nur für Eingriffe gegen den Willen des Bürgers.448 Ungeachtet der Fragwürdigkeit dieser Eingrenzung des im demokratischen449 wie rechtsstaatlichen und nicht etwa Individualinteresse stehenden Vorbehalts des Gesetzes,450 vermag diese Aussage freilich nicht gleichermaßen für die Grundrechtsverwirkung gelten, erfolgen Eingriffe auf ihrer Grundlage doch gerade nicht freiwillig, sondern gegen den Willen des Betroffenen. Das letzte Argument verfängt also im Rahmen von Art. 18 GG nicht. Wird indes, wie beschrieben, die (konkludente) Verzichtserklärung als Rechtsgrundlage für staatliches Handeln betrachtet, so ders., in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (216); Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 232. 446  Allein diesen Aspekt scheint jedoch Stern, Staatsrecht III / 2, S. 967 zu erfassen. Der Vorrang der Gesetze führt indes grundsätzlich dazu, dass die Grundrechte ausgestaltenden und aktualisierenden Gesetze (ausführlich Gellermann, Grundrechte im einfachgesetzliche Gewande, S. 48 ff.) auch dem Verwirkungsgegner gegenüber zu beachten sind, ganz gleich, ob das konkretisierte Grundrecht verwirkt wurde (etwa Art. 14 GG als Institutsgarantie). 447  Seifert, Jura 2007, 99 (101); differenzierend Robbers, JuS 1985, 925 (929). 448  Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527 (535 f.); dies gelte allerdings nicht ohne Weiteres für den Vorrang des Gesetzes, vgl. auch Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechts, S. 70 ff.; zur Herkunft der Einwilligungslehre aus der früheren Beschränkung des Vorbehalts auf Eingriffe in Freiheit und Eigentum vgl. Sachs, VerwArch 76 (1985), 398 (412 ff.); im Ergebnis ähnlich geht Spieß, Der Grundrechtsverzicht, S. 145 davon aus, dass die „subjektive Schutzfunktion“ des Gesetzesvorbehalts mit dem Verzicht entfalle; so wohl auch Sachs, Verw­ Arch 76 (1985), 398 (418). 449  Vgl. auch Robbers, JuS 1985, 925 (929); Spieß, Der Grundrechtsverzicht, S.  141 f. 450  Der Gesetzesvorbehalt speist sich sowohl aus demokratischen als auch rechtsstaatlichen Quellen der Verfassung, vgl. ausführlich Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz / Klein / Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 9 (17 ff.). Wer sich gegen diese Auffassungen ausspricht, lehnt zumeist in der Konsequenz die Rechtsfigur des Grundrechtsverzichts gänzlich ab, vgl. Sturm, Probleme eines Verzichts auf Grundrechte, in: Festschrift Willi Geiger, S. 182 f. m. w. N.

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D. Verwirkung

kann dieser Grundsatz womöglich auf die Verwirkungserklärung übertragen werden. Dies meint offensichtlich § 39 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG, der ein Einschreiten allein aufgrund der Verwirkungsentscheidung ohne weitere gesetzliche Grundlage ermöglicht, soweit das BVerfG bestimmte Beschränkungen auferlegt hat. So meint Krüger, dass das BVerfG selbst die „Gesetze“ erlassen könne, welche der Exekutive als Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegenüber Betroffenen dienen würde.451 Allerdings ist hierzu anzumerken, dass die Verwirkungsentscheidung nicht nach § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft erlangt. Sie kann demgemäß gerade nicht als Rechtsgrundlage dienen, sondern verpflichtet die Behörden gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG allein zur Beachtung ihres Inhalts. Zudem müsste nach der Ansicht Krügers die Entscheidung des BVerfG über die Grundrechtsverwirkung die möglichen Eingriffsbefugnisse so differenziert ausgestalten, dass sie als Rechtsgrundlage für Handlungen der Exekutive dienen kann.452 Das erscheint hingegen angesichts der Vielzahl von möglichen Einschränkungsmaßnahmen und der schieren Unmöglichkeit, im Rahmen einer möglichst zügigen und damit effektiven Verwirkungsentscheidung deren Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit abschließend zu bewerten, kaum möglich. Es kann überdies nicht Aufgabe des BVerfG sein, der Verwaltung konkrete Handlungsbefugnisse vorzugeben. Eine solche Entscheidungs- und zugleich Rechtssetzungsmacht würde die Fugen des als Organ der Rechtspflege allein mit der Lösung von Verfassungsfragen betrauten Gerichts und die durch das Gewaltenteilungsprinzip gezogenen Grenzen seiner Machtbefugnis sprengen.453 Die Aufgabe des BVerfG ist es auch im Rahmen von Art. 18 und 21 Abs. 2 GG vielmehr, über spezifisches Verfassungsrecht zu urteilen und nicht konkrete Rechtsgrundlagen für Maßnahmen der Verwaltung zu schaffen. Es stellt sich darüber hinaus jedoch die Frage, ob solche konkreten Eingriffsgrundlagen überhaupt geschaffen werden müssen, um der Exekutive 451  Krüger,

DVBl. 1953, 97 (101). meinen Lechner / Zuck, BVerfGG, § 39 Rn. 9, dass die Verwaltungsbehörden nur im Falle des § 39 Abs. 1 Satz 3 BVerfGG ohne Rechtsgrundlage handeln dürften, wenn also das BVerfG dem Antragsgegner bestimmte Beschränkungen auferlegen würde. Auch bestimmte Beschränkungen können jedoch den Handlungsspielraum der Verwaltung nicht erweitern, wenn sie keine weitere Gesetzesgrundlage dafür hat. Vgl. auch Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, BVerfGG, § 39 Rn. 31. 453  Vgl. auch Krebs, in: v. Münch  / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 20, der darauf hinweist, dass dem BVerfG mit Art. 18 Satz 2 GG Kompetenzen zukommen würden, die weit über seine regulären Aufgaben hinausgehen. Allerdings übersieht er zum einen, dass diese „Kompetenzverschiebung“ einzig in § 39 Abs. 1 Satz 3 und 4 BVerfGG begründet liegt und zieht zum anderen nicht die notwendige Konsequenz, deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit in Frage zu stellen. 452  Entsprechend



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung201

einen hinreichenden Handlungsspielraum gegenüber dem Verwirkungsgegner an die Hand zu geben. Schließlich existieren bereits sowohl im Straf- als auch im Gefahrenabwehrrecht Rechtsgrundlagen, die staatsgefährdende Handlungen durchaus effektiv unterbinden bzw. verfolgen können. Es genügt mithin, wenn die missbräuchliche Handlung durch das bereits bestehende und für alle gleichermaßen geltende Straf- und Polizeirecht verfolgt wird.454 Eine Besonderheit bei der Anwendung dieser allgemeinen Normen im Rahmen von Art. 18 GG ergibt sich bereits in nicht geringem Maße dadurch, dass Exekutive und Judikative dabei nicht an die Grundrechte des Betroffenen gebunden sind. Die entsprechenden Maßnahmen können daher regelmäßig intensiver sein als bei Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte. 4. Verfassungswidrigkeit von § 39 Abs. 1 Satz 3 und 4 BVerfGG Weil nach alledem eine gesetzliche Grundlage für staatliche Maßnahmen gegen den Verwirkungsgegner nicht entbehrlich ist, stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von § 39 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG, der das Gegenteil bestimmt.455 Eine Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen ist hier nicht anzunehmen, weil es sich nicht um eine ausdrückliche Ermächtigung zum Erlass bindender Rechtsvorschriften handelt, sondern lediglich um die Feststellung, dass eine darüber hinaus gehende Gesetzesgrundlage entbehrlich sei. Dem einfachen Gesetzgeber steht es allerdings nicht zu, über zwingendes Verfassungsrecht zu disponieren. Gegen diese Bedenken wird eingewandt, dass § 39 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG in Art. 18 Satz 2 GG, wonach das BVerfG auch das „Ausmaß“ der Grundrechtsverwirkung ausspricht, seine verfassungsrechtliche Grundlage habe. Das einfache Gesetz konkretisiere damit lediglich die verfassungsrechtlich vorgegebene Befugnis zur Ausmaßbestimmung.456 Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass die betreffende Regelung des Art. 18 Satz 2 GG viel zu unbestimmt ist, als dass sie 454  So bereits Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 11 für das von ihm angenommene allgemeine grundrechtliche „Schikaneverbot“. Diese Grundrechtsbegrenzung werde – wie hier auch für Art. 18 GG angenommen – erst im Einzelfall relevant und sei deshalb lediglich bei Anwendung des Zivil-, Straf- und Polizeirechts zu berücksichtigen. In dieser Hinsicht muss auch Rupp, Bemerkungen zur Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Küchenhoff, S. 653 (660) widersprochen werden, der Art. 18 GG für praktisch wirkungslos hält, wenn nicht zugleich das geltende objektive Recht dahin geändert werde, dass es spezielle Eingriffsbefugnisse für den Verwirkungsfall bereithalte. 455  Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 39 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG erhebt wohl erstmals Stettner, DVBl. 1975, 801 (808); § 39 Abs. 1 Satz 3 BVerfGG überprüft zuerst Brenner, DÖV 1995, 60 (64). 456  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 92.

202

D. Verwirkung

tatsächlich als verfassungsrechtliche Grundlage einer einfachgesetzlich zu bestimmenden Ausnahme vom Vorbehalt des Gesetzes fungieren könnte. Die Regelung des „Ausmaßes“ der Grundrechtsverwirkung kann auch ganz anderes bedeuten, wie bereits oben aufgezeigt.457 So kann sie sich etwa auch allein auf die zu bestimmende zeitliche Dauer der Verwirkung beziehen458 oder lediglich auf die Bezeichnung der verwirkten Grundrechte. Stern hingegen meint, dass es sich lediglich um eine § 35 BVerfGG ähnliche Regelung der Art und Weise der Vollstreckung durch das BVerfG handele. Einzelne Vollzugsregelungen seien hingegen weder sinnvoll, noch überhaupt möglich, da sie „entweder unübersehbar kasuistisch sein oder einen hohen Abstraktionsgrad aufweisen“ müssten.459 Dass das BVerfG aber auch in anderen Fällen die Art und Weise der Vollstreckung seiner Entscheidungen regelt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich auch dabei nicht im rechtsleeren Raum bewegen kann. So kann es den Verwaltungsbehörden keine gesetzlich nicht vorgesehenen Mittel an die Hand geben, da auch das BVerfG über Art. 20 Abs. 3 GG an das Gesetzmäßigkeitsprinzip gebunden ist. Eine verfassungsrechtlich gerechtfertigte „Durchbrechung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes“460 vermag Art. 18 GG daher entgegen der Ansicht Sterns nicht zu statuieren.461 Womöglich kann § 39 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG aber einer verfassungskonformen Auslegung zugeführt werden. So könnte er so zu deuten sein, dass im Falle von genau bezeichneten Beschränkungen nur auf eine spezielle, über § 39 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG hinausgehende Rechtsgrundlage verzichtet werden kann, weil infolge der Grundrechtsverwirkung der grundrechtlich intendierte Parlamentsvorbehalt ohnehin nicht gilt.462 Hingegen darf die Norm nicht so ausgelegt werden, dass die Entscheidung des BVerfG selbst und ausschließlich als Rechtsgrundlage für weitere Maßnahmen der Verwaltung dient. 457  Siehe

unter D. I. 1. e). diesem Sinne wohl Stettner, DVBl. 1975, 801 (808). 459  Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (218). 460  Stern, Verfahrensrechtliche Probleme der Grundrechtsverwirkung, in: Festgabe BVerfG I, S. 194 (217). 461  Das gleiche gilt für die Ansicht von Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 225, der von einer „quasi-gesetzlichen Grundlage“ spricht, siehe auch ders.,  HdbGR III; § 174 Rn. 36; vgl. dagegen explizit Rupp, Bemerkungen zur Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Küchenhoff, S. 653 (655). 462  So argumentieren Leibholz / Rupprecht,  BVerfGG, § 39 Anm. 2, § 39 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG stelle selbst eine gesetzliche Grundlage dar; dagegen Stettner, DVBl. 1975, 801 (808). 458  In



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung203

Der entscheidende Grund für die Formulierung des BVerfGG ist aber, dass es offenbar einem anderen Verwirkungsverständnis folgt. Was soll das BVerfG denn überhaupt für „genau bezeichnete Beschränkungen“ auferlegen? Über Art. 18 GG können – wie bereits dargelegt463 – gerade keine konkreten Handlungsverbote erteilt werden,464 sondern lediglich Eingriffe in Grundrechte ermöglicht werden, indem die Geltendmachungsmöglichkeit und die Grundrechtsbindung entfallen.465 So kann das BVerfG höchstens der Verwaltung Beschränkungsmöglichkeiten vorschlagen, ist aber weder praktisch noch rechtlich dazu in der Lage, dem Antragsgegner konkrete Handlungsweisen zu untersagen. § 39 Abs. 1 Satz 3 und 4 BVerfGG ist damit zum einen praktisch nicht realisierbar und überschreitet zum anderen die verfassungsrechtlich vorgegebenen Grenzen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnisse. In einem zu Unrecht kaum rezipierten Aufsatz weist Rupp zutreffend darauf hin, dass ein solches Verwirkungsverständnis konsequent dazu führen müsste, dass nicht nur ein bestimmtes Grundrecht, sondern die gesamte unter dem Einfluss von Grundrechtsbindung und -prägung zustande gekommene Rechtsordnung für den Antragsgegner außer Kraft gesetzt sei.466 § 39 Abs. 1 Satz 3 und 4 BVerfGG installieren damit ein die Grenzen des Verfassungsrechts überschreitendes467 eigenständiges Institut der Suspendierung grundrechtlicher und rechtsstaatlicher Gewährleistungen und befördern letztlich mit der praktisch so gut wie nicht möglichen Umsetzung der Beschränkungsanordnung die Selbstabschaffung des Art. 18 GG. Das eigentliche Problem der Vollzugsfähigkeit von Art. 18 GG ist damit nicht, wie Rupp meint, das Fehlen einfachgesetzlicher Konturen. Grund der derzeitigen Nichtanwendung dieser Norm ist vielmehr die durch einen falschen Anspruch an den Entscheidungsinhalt, der in § 39 Abs. 1 BVerfGG seinen Niederschlag findet, beflügelte Lähmung des BVerfG. Die Normen über das 463  Siehe

dazu unter D. II. 4. c). auch Rupp, Bemerkungen zur Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Küchenhoff, S. 653 (654): „Ganz offenbar wird hierbei davon ausgegangen, dass ein Grundrecht ein subjektiv-rechtliches Recht wie jedes andere Individualrecht sei und deshalb im Verwirkungsverfahren das BVerfG die Kompetenz besitze, das verwirkte Individualrecht entweder ganz, zum Teil oder befristet einzuschränken (…)“. 465  Auch Brenner, DÖV 1995, 60 (64  f.) fragt, ob diese Regelung nicht über Art. 18 GG hinaus gehe, kommt allerdings zu dem Schluss, dass sie sich nur auf die Verwirklichung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beziehe. Dabei scheint er indes zu übersehen, dass § 39 Abs. 1 Satz 3 BVerfGG nicht nur eine Ausmaßbestimmung wie Art. 18 Satz 2 GG vorsieht, sondern tatsächlich die Möglichkeit konkreter Beschränkungen. Vgl. auch Höfling / Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 18 Rn. 53. 466  Rupp, Bemerkungen zur Verwirkung von Grundrechten, in: Festschrift Küchenhoff, S. 653 (656). 467  Höfling / Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 18 Rn. 54, halten demgegenüber nur Satz 4 für nichtig, während Satz 3 verfassungskonform auszulegen sei. 464  Vgl.

204

D. Verwirkung

Verfahren nach § 13 Nr. 1 BVerfGG sollten deshalb eine der hier vorgeschlagenen Interpretation des Art. 18 GG angepasste Novellierung erfahren. 5. Verwirkung der Wählbarkeit und des Wahlrechts Nicht minder problematisch ist § 39 Abs. 2 BVerfGG, wonach das BVerfG dem Betroffenen für die Dauer der Verwirkung die Wählbarkeit, das Wahlrecht und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkennen sowie die Auflösung juristischer Personen anordnen kann. Die letztgenannte Nebenfolge erscheint nicht minder bedenklich als die anderen, doch kann ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit erst im Zusammenhang mit dem Verhältnis zu Art. 9 Abs. 2 GG, der als Spezialtatbestand die Auflösung von Vereinigungen ermöglicht, untersucht werden.468 Die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter wurde – soweit ersichtlich – bislang so gut wie nicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin untersucht.469 Allein Höfling / Krings weisen auf die erforderliche Verfassungstreue des Bewerbers hin, die im Falle der Grundrechtsverwirkung nicht bestehe.470 In der Tat gehört die Pflicht zur Verfassungstreue nach herrschender Auffassung sowohl zu den Merkmalen der „Eignung“ im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG471 als auch zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG.472 Wenn man also annimmt, dass, wer den Tatbestand des Art. 18 GG verwirklicht, zugleich gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstößt – was nicht ernsthaft bezweifelt werden kann –, erscheint diese Begründung mithin sehr plausibel. § 39 Abs. 2, 3. Alt. BVerfGG steht also mit dem Grundgesetz in Einklang. Gegen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Aberkennung des passiven und aktiven Wahlrechts473 wird zumeist eingewandt, dass die Verwirkung praktisch bedeutungslos sei, wenn dem Antragsgegner nicht wesent­ liche politische Einflussmöglichkeiten genommen werden könnten. Zudem sei auch nach §§ 13, 15 Abs. 2 BWahlG die Entziehung des aktiven und 468  Siehe

unter E. II. 2. erklärt Antoni, in: Seifert / Hömig, GG, Art. 18 Rn. 5, u. a. die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter sie mit dem Wortlaut des Art. 18 GG nicht vereinbar, ohne dies jedoch näher auszuführen. 470  Höfling / Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 18 Rn. 64. 471  BVerfGE 39, 334 (348); 92, 140 (151); Morlok, NJW 2001, 2931 (2937). 472  Vgl. nur BVerfGE 39, 334 (346 ff.); Battis, in: Sachs, GG, Art. 33 Rn. 32; Lindner, ZBR 2006, 402 (403 f.); a. A. Beaucamp, DVBl. 2009, 1006 (1009). 473  Solche Bedenken wurden bereits bei den Beratungen des Gesetzes im Rechtsausschuss des Bundestages und der 2. Lesung im Plenum erhoben, vgl. nur W. O. Schmitt, NJW 1966, 1734 m. w. N. 469  Allerdings



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung205

passiven Wahlrechts möglich.474 Ob eine lediglich einfach-gesetzliche Rechtsgrundlage aber die Verfassungsmäßigkeit einer Aberkennung des Wahlrechts und der Wählbarkeit und damit elementarer demokratischer Bürgerrechte zu legitimieren vermag, erscheint höchst fraglich. Zwar wird in diesem Zusammenhang auf die Ermächtigungsgrundlage des Art. 38 Abs. 3 GG verwiesen,475 doch ermöglicht diese lediglich pauschal den Erlass eines Bundeswahlgesetzes und nicht konkret die Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts. Eine solche erscheint vor dem Hintergrund des Vorrangs der Verfassung nicht ohne Weiteres gerechtfertigt, sondern muss sich an den Prinzipien des Art. 38 Abs. 1 und 2 GG sowie sonstigen Normen und Prinzipien der Verfassung messen lassen.476 Unstreitig ist zunächst, dass die Verwirkung des Wahlrechts und der Wählbarkeit in Art. 18 GG nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Eine Erweiterung der Norm auf nicht genannte Grundrechte, ist aber – wie bereits aufgezeigt – keinesfalls zulässig.477 Sie mit bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen zu rechtfertigen, wie es in der Literatur üblich scheint, ist verfassungsrechtlich schlechterdings nicht haltbar. Mangels einer spezifischen Ermächtigungsgrundlage kann zwar durchaus mit der ratio der Verwirkungsnorm argumentiert werden. Angesichts der Tatsache, dass aber von einer vorzunehmenden „Entpolitisierung“478 in Art. 18 GG keineswegs die Rede ist und sie sich auch nicht zweifelsfrei durch Auslegung ergibt, erscheint die Argumentation der Literaturstimmen jedenfalls zu vage. Zu Recht gibt W. O. Schmitt außerdem zu bedenken, dass die Aberkennung des Wahlrechts im Sinne der §§ 13, 15 Abs. 2 BWahlG an eine Nebenstrafe und damit auf eine Ehrabschneidung gegen den sich selbst außerhalb der Rechtsgemeinschaft Stellenden erinnert. Eine Ergänzung des Art. 18 GG um diese – an die frühere Aberkennung bürgerlicher Ehrenrechte im StGB gemahnende – Anordnung würde den Charakter der Verwirkungsnorm als verfassungsrechtliche Sicherungsfigur geradezu verfälschen.479 474  Vgl. nur Stern, Staatsrecht III / 2, S. 969 (Fn. 184); Thiel,  Die Verwirkung von Grundrechten gem. Art. 18 GG, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (159). 475  Maurer, Staatsrecht I, § 23 Rn. 14; Geiger, BVerfGG, § 39 Anm. 6: Wenn das BWahlG deshalb aufgrund von Art. 38 Abs. 3 GG einen solchen Ausschluss vom aktiven und passiven Wahlrecht vorsehen könne, dürfe dies auch das BVerfG wegen Art. 93 Abs. 2 GG. 476  Vgl. W. O. Schmitt, NJW 1966, 1734 (1735); siehe auch die Ausführungen von Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 Rn. 16, der eine solche verfassungsrechtliche Ableitung im Ergebnis ablehnt. 477  Siehe bereits unter D. I. 4. 478  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 16. 479  W. O. Schmitt, NJW 1966, 1734 (1735 f.).

206

D. Verwirkung

Der verfassungsdogmatische Grund hierfür ist, dass nach der richtigen missbrauchsbezogenen Verwirkungstheorie die Verwirkung eines Grundrechts immer nur unmittelbare Folge eines Missbrauchs desselben sein kann. Ein Missbrauch des aktiven Wahlrechts gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ist aber schwerlich vorstellbar – zumal wegen Art. 21 Abs. 2 GG streng genommen nur „verfassungsfreundliche“ Parteien zur Wahl stehen dürften.480 Das passive Wahlrecht erscheint demgegenüber durchaus missbrauchsanfällig. Allerdings wird es sich hierbei in der Regel vorrangig um einen Missbrauch der Meinungsfreiheit handeln, mit deren Verwirkung zugleich das Problem der Wählbarkeit jedenfalls weniger schwer wiegt. Es darf auch nicht unbeachtet bleiben, dass die Grundrechtsverwirkung regelmäßig nur die Geltendmachungsmöglichkeit der Abwehrrechts zu beseitigen vermag und gerade keine konkreten Beschränkungen auferlegt, sondern lediglich grundrechtsungebundene Eingriffsmöglichkeiten schafft. Eine Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts würde jedoch gerade eine solche konkrete Beschränkung darstellen. Sie stimmt mit dem verfassungsrechtlich intendierten Charakter der Grundrechtsverwirkung daher nicht überein. Beachtung verdient dagegen eine andere Auffassung, welche die Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts mangels Grundlage in Art. 18 GG nach den allgemeinen Regeln der Grundrechtsbegrenzungen verfassungsrechtlich rechtfertigen will.481 Die Verwirkung der Wählbarkeit ist danach keine Grundrechtsverwirkung im Sinne des Art. 18 GG,482 sondern lediglich eine aus Anlass der Grundrechtsverwirkung vorgenommene Maßnahme, die zumindest anscheinend einer verfassungspolitischen Notwendigkeit entspringt.483 Anders als die Grundrechte im Rahmen von Art. 18 GG werden die Wählbarkeit und das Wahlrecht deshalb nicht „verwirkt“, sondern dezidiert „aberkannt“. Ob dies mit dem Grundgesetz in Einklang steht, soll im Folgenden geprüft werden. Eine ausdrückliche Grundlage für die Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts findet sich nicht, womöglich ist eine solche aber aus den Normen und allgemeinen Prinzipien der Verfassung ableitbar. EinschränkunW. O. Schmitt, NJW 1966, 1734 (1736). Verfassungsrecht II, A 9 Rn. 73; Wagner, Die Verwirkung der Wählbarkeit, S. 43 differenziert indes zwischen „der Verwirkung der Wählbarkeit im engeren Sinne, also nach Art der Grundrechtsverwirkung gemäß Art. 18 GG“ und einer „Verwirkung der Wählbarkeit im weiteren Sinne“. 482  Dahingegen wird bisweilen eine Erweiterung des Grundrechtskatalogs des Art. 18 GG auf das „politische Grundrecht des (…) Wahlrechts“ angenommen; vgl. W. O. Schmitt, Die Verwirkung des Wahlrechts und der Wählbarkeit, NJW 1966, 1734. 483  So Wagner, Die Verwirkung der Wählbarkeit, S. 46. 480  Vgl.

481  Sachs,



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung207

gen der Wählbarkeit und des Wahlrechts sind danach stets an Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen und nur in sehr engen Grenzen, die eines zwingenden rechtfertigenden Grundes bedürfen, zulässig.484 Generell soll der „auf eines der in Verbindung mit dem Gleichheitssatz genannten verfassungsrecht­ lichen Merkmale gestützte Ausschluss vom Wahlrecht“ vor dem Hintergrund der Allgemeinheit der Wahl unzulässig sein.485 Damit ist also eine Wahlrechtsbeschränkung aufgrund der politischen Anschauung von vornherein verfassungswidrig. Demgegenüber wird die Ineligibilität für Kandidaten, die nicht die Gewähr für eine jederzeitige Verfassungstreue bieten, nach den Kommunalwahlgesetzen mit dem beamtenrechtlichen Erfordernis der Treue zur Verfassung begründet. Bürgermeister oder Landräte, die zu Beamten auf Zeit berufen werden, müssen danach die für alle Beamten geltenden Voraussetzungen erfüllen.486 Dies soll sich freilich nur aus Art. 33 Abs. 5 GG ergeben, da das Eignungserfordernis aus Absatz 2 bei politischen Beamten durch das Demokratieprinzip überlagert werde.487 Gleiches gilt freilich für die Wahl zum Bundestagsabgeordneten nicht.488 Hier muss nach einem anderen zwingenden rechtfertigenden Grund für die Einschränkung der Wählbarkeit gefragt werden. Durchaus überzeugend ließe sich dabei vertreten – ohne hierauf im Rahmen dieser Arbeit vertieft eingehen zu wollen –, dass vor dem Hintergrund der streitbaren Demokratie und des mit Art. 18 GG bezweckten Selbstschutzes der Demokratie im Besonderen nicht wählbar sein dürfe, wer bereits explizit seine Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht hat. Selbst wenn man nicht so weit gehen will, von den Wahlkandidaten ähnlich den Beamtenbewerbern eine Verfassungstreuepflicht zu fordern, kann demnach der gezielte Grundrechtsmissbrauch im Sinne von Art. 18 GG die Einschränkung des Art. 38 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich rechtfertigen. Dabei sei nochmal darauf hingewiesen, dass es sich bei der Wahlrechtsaberkennung nicht um eine Verwirkung nach Art. 18 GG handelt, da diese eine nur handlungsbezogenes Geltendmachungshindernis der Grundrechte darstellt und kein konkretes Betätigungsverbot. Für die Aberkennung des aktiven Wahlrechts liegen die Hürden der Rechtfertigung freilich höher: Dass nicht wählen darf, wer seine Grundrech484  Vgl. nur BVerfGE 12, 73 (77); 13, 243 (247); 28, 220 (225); 34, 81 (99); 41, 399 (413); 57, 43 (56); 69, 92 (106); 82, 322 (338); 95, 408 (418 f.); BVerfG, DVBl. 2008, 443; Trute, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 38 Rn. 21 m. w. N. 485  So Achterberg / Schulte, in: v.  Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  38 Abs.  1 Rn. 120. 486  Beaucamp, DVBl. 2009, 1006 (1009). 487  Beaucamp, DVBl. 2009, 1006 (1009) m. w. N. 488  Kortz / Lubig, ZBR 2006, 412 (415), nennen als weiteres Beispiel die Bundesminister.

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D. Verwirkung

te zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht hat, erscheint formal nicht nachvollziehbar. Weil verfassungswidrige Parteien wegen Art. 21 Abs. 2 GG ohnehin nicht zur Wahl stehen dürften, kommt die Wahlrechtsaberkennung in diesem Fall tatsächlich einem strafrechtlichen Verlust der Bürgerehre gleich, der mit Art. 18 GG jedenfalls nicht zu rechtfertigen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der EGMR die Aberkennung des Wahlrechts aller verurteilten Strafgefangenen in Großbritannien für unvereinbar mit Art. 3 Protokoll Nr. 1 zur EMRK (Recht auf freie Wahlen) erklärt hat.489 Wenngleich die britische Regelung zwischen verschiedenen Strafgründen unterscheide und daher viele Gefangene von vornherein nicht betreffe, sei das vorgebrachte pauschale Argument, die Verurteilten würden eine Gefahr darstellen, nicht überzeugend.490 Gleichwohl gesteht der EGMR den Nationalstaaten eine weite Einschätzungsprärogative für die Aberkennung des Wahlrechts von Strafgefangengen zu, diese muss lediglich nach einem sachlichen Grund differenzieren und nicht pauschal einen Verlust vorsehen.491 Vor diesem Hintergrund kann die Aberkennung des aktiven Wahlrechts infolge einer Grundrechtsverwirkung in engen Grenzen durchaus mit Art. 3 Protokoll Nr. 1 EMRK vereinbar sein. Deshalb sollte aufgrund des Art. 38 Abs. 1 GG differenziert werden nach Art und Intensität des Grundrechtsmissbrauch. Nicht jeder Missbrauch von Grundrechten muss so schwer wiegen, dass er eine Gefahr im Falle der aktiven Wahl zu begründen vermag. Allein die mangelnde Treue zu den Grundwerten der Verfassung stützt eine solche Gefahr dabei nicht, weder Art. 18 GG noch § 39 Abs. 2 BVerfGG sollen den Missbrauchenden mit einer „Entbürgerlichung“ gleichsam strafen. Vor allem für die Aberkennug des aktiven Wahlrechts, aber auch für die Ineligibilität wäre zudem eine spezielle Ermächtigungsgrundlage im Grundgesetz – soll § 39 Abs. 2 BVerfGG aufrechterhalten werden – aus Gründen der Rechtssicherheit und der erhöhten Legitimation dringend anzuraten. Überdies ist zur Auslegung des Verfassungsrechts die Entscheidung des EGMR vorrangig heranzuziehen.492

489  EGMR, Urteil 74025 / 01. 490  EGMR, Urteil 74025 / 01 – Rn.  49. 491  EGMR, Urteil 74025 / 01 – Rn.  51. 492  BVerfGE 111,

vom 30.03.2004, Hirst vs. The United Kingdom (No. 2) – Az.: vom 30.03.2004, Hirst vs. The United Kingdom (No. 2) – Az.: vom 30.03.2004, Hirst vs. The United Kingdom (No. 2) – Az.: 307 (317) – Görgülü; 120, 180 (200).



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung209

6. Verwirkung der Asylfreiheit Besondere Schwierigkeiten wirft die durch Art. 18 GG mögliche Verwirkung der Asylfreiheit auf. Dabei erweisen sich vor allem zwei Aspekte als problematisch: Zum einen erscheint ein isolierter Missbrauch der Asylfreiheit kaum denkbar. Zum anderen würde eine Verwirkung des Art. 16a Abs. 1 GG unweigerlich dazu führen, dass der Betroffene an den verfolgenden Staat ausgeliefert würde, eine Konsequenz, die schwerlich mit Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie vereinbar wäre.493 Die Frage der isolierten Verwirkbarkeit der Asylfreiheit wird teilweise als Argument dafür herangezogen, dass auch andere als das missbrauchte Grundrecht verwirkt werden können. So soll der Missbrauch etwa der Meinungsfreiheit bei entsprechender Sachlage auch eine Verwirkung von Art. 16a Abs. 1 GG nach sich ziehen können.494 Diese Möglichkeit der internen Verwirkungserstreckung wurde an anderer Stelle aber bereits abgelehnt.495 Aufgrund der notwendig missbrauchsbezogenen Verwirkung von Grundrechten ist diese Ansicht auch unter keinen Umständen aufzugeben. Soll die Verwirkung der Asylfreiheit also irgend möglich sein, muss diese selbst ebenso missbraucht werden können wie die anderen in Art. 18 GG genannten Grundrechte. Lerche nimmt demgegenüber an, das Asylrecht könne überhaupt nicht missbraucht und deshalb auch nicht verwirkt werden, weil es kein Verhaltensrecht, sondern ein Aufenthaltsrecht sei.496 Er setzt also implizit voraus, dass ein Grundrecht, um im Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden zu können, in irgendeiner Weise gebraucht werden kann. Diese Auffassung missachtet jedoch den von einfachen subjektiven Rechten deutlich verschiedenen Charakter der Grundrechte, die eine umfassende Freiheit des Einzelnen voraussetzen und lediglich einerseits den Staat zur Wahrung dieser Freiheit verpflichten und andererseits den Einzelnen zur Geltendmachung seiner Freiheit gegenüber dem Staat berechtigen. So setzt das Grundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG zunächst die Freiheit, sich als politisch Verfolgter auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft aufzuhalten, voraus, verpflichtet dann den Staat, diese Freiheit zu wahren und berechtigt umgekehrt den Einzelnen, sich 493  Thiel, 494  So

(160).

Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (160 f.). etwa Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129

495  Siehe

oben D. I .3. b). Das Asylrecht ist unverwirkbar, in: Festschrift Adolf Arndt, S. 199 (207); ebenso Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 16a Rn. 5. 496  Lerche,

210

D. Verwirkung

hierauf zu berufen.497 Es wurde bereits ausgeführt, dass es schon dem Wortlaut nach bei Art. 18 GG um den Missbrauch einer grundrechtlich geschützten und diesem deshalb faktisch vorgelagerten Freiheit geht. Wie Dürig / Klein überzeugend darlegen, kann die Freiheit, in einem fremdem Staatsgebiet Aufenthalt zu nehmen, nach der Vorstellung des Art. 18 GG durchaus dazu missbraucht werden, die freiheitliche demokratische Grundordnung dieses Staates zu bekämpfen.498 Freilich wird es sich dabei regelmäßig nicht um einen ausschließlichen Missbrauch der Asylfreiheit handeln können, sondern gleichzeitig etwa die Meinungsfreiheit missbraucht sein. Doch spricht dies weder für eine mögliche interne Verwirkungserstreckung499 – wird doch nicht eine Freiheit verwirkt, die nicht auch zuvor missbraucht wurde – noch gegen die Verwirkbarkeit der Asylfreiheit. Vielmehr vermag diese Auslegung ein weiteres scheinbares Problem zu klären: Missbraucht ein Ausländer seine Freiheit im Bereich eines Deutschengrundrechtes, also der Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit, steht er vermeintlich besser da, als ein Deutscher in derselben Situation. Während der Deutsche nämlich seine Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verwirken kann, droht Vergleichbares nicht dem Ausländer, für den Art. 8 und 9 GG von vornherein nicht gelten. Bisweilen wird deshalb angenommen, der Ausländer, dessen Versammlungsund Vereinigungsfreiheit über Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlichen Schutz genießen, verwirke im Missbrauchsfall die allgemeine Handlungsfreiheit.500 Eine solche Konstruktion mag zwar angesichts des extensiven und so möglicherweise bei Entstehen des Grundgesetzes noch nicht vorhergesehenen Grundrechtsschutzes konsequent erscheinen, begegnet jedoch mangels Positivierung in Art. 18 GG unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erheblichen Bedenken. Berücksichtigt man aber, dass in einem solchen Fall nach der Vorstellung der Abgeordneten des Parlamentarischen Rats stets die Asylfreiheit missbraucht ist, schließt sich die sonst befürchtete Lücke im Verfassungsschutz von ganz allein: Mit der Verwirkung der Asylfreiheit geht der Betroffene nicht nur des Schutzes seiner Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit über Art. 2 Abs. 1 GG verlustig, sondern kann sich überhaupt auf das Recht des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr berufen. Damit dürfte klar sein, dass ein Grundrechte missbrauchender Ausländer im Bereich der Deutschengrundrechte nicht etwa besser, sondern durch die drohende Verwirkung der Asylfreiheit um einiges schlechter gestellt ist als ein Deutscher in derselben Situation. auch Brenner, Der Staat 32 (1993), 493 (512). in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 20. 499  So aber Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (160). 500  Höfling / Krings, in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 18 Rn. 39. 497  Vgl.

498  Dürig / Klein,



IV. Der Vollzug der Verwirkungsentscheidung211

Ob unterdessen die Verwirkung der Asylfreiheit zwingend zu einer der Menschenwürde widersprechenden Auslieferung des Betroffenen an seinen Verfolger führen muss,501 ist eine andere Frage. Wenn etwa Thiel von einer die Auslieferung bewirkende „Aberkennung“ des Asylrechts spricht,502 ist diese Terminologie zumindest im Hinblick auf die tatsächliche Aberkennung des Aufenthaltsrechts unscharf und zeugt zudem von einem undifferenzierten generellen Verwirkungsverständnis. Die Grundrechtsverwirkung als missbrauchsbezogenens Geltendmachungshindernis führt begrifflich nämlich gerade nicht zu einem völligen Entzug des Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik. Dürig / Klein entschärfen die Bedenken Lerches gegen die Verwirkbarkeit des Asylrecht bereits, indem sie darauf verweisen, dass diese mit der „tatsächlichen Ausweisung, gar der Auslieferung an den Verfolgerstaat keineswegs gleichbedeutend“ sein müsse.503 Dies entspricht dem Ergebnis, das ein Verständnis der Grundrechtsverwirkung nur als Geltendmachungshindernis eigentlich zeitigen müsste. Doch stellt sich dabei unweigerlich die Frage, ob die fehlende Berufungsmöglichkeit auf Art. 16a Abs. 1 GG faktisch nicht zu einer Auslieferung führen muss und selbst, wenn sie freilich im Ermessen der Behörde liegt, diese zumindest erfolgen kann – eine Möglichkeit, die bereits mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG missfällt. Die Frage, ob das Asylrecht im Heimatstaat verfolgter Personen den eigenen Staat gefährden darf und diese Gefährdung zum Schutz des Individuums in Kauf genommen werden muss, ist nicht neu und stellt sich nicht nur unter dem Geltungsbereich des Grundgesetzes.504 Sie zeigt sich vor dem Hintergrund des Art. 18 GG nur in besonderem Gewande und scheint hier sogar zugunsten des Staatsschutzes bereits entschieden. Die Diskussion um die Verwirkungsfolge im Rahmen des Asylrechts läuft damit vermeintlich ins Leere, weil der Verfassungsgeber sich in der Abwägung zwischen Individualschutz und Allgemeininteressen mit der Formulierung des Art. 18 GG im Sinne der letzteren positioniert hat. Doch nicht nur, dass eine solche Auffassung auf völkerrechtliche Bedenken stößt,505 sie bricht zudem – wie bereits dargelegt – den spezifischen 501  So

(211).

Lerche, Das Asylrecht ist unverwirkbar, in: Festschrift Adolf Arndt, S. 199

502  Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (160); ebenso Doehring, ZaöRV Bd. 26 / 1 (1966), 33 (49). 503  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 20. 504  Vgl. nur Doehring, ZaöRV Bd. 26 / 1 (1966), 33 (34) zusammenfassend: „Die Frage lautet einfach: Mehr Staatsschutz oder mehr Individualschutz?“ 505  Nach Doehring, ZaöRV Bd. 26 / 1 (1966), 33 (34) stehen völkerrechtliche Verträge und Vorschriften einer Asylversagung jedoch in der Regel nicht entgegen. Ebenso Brenner, Der Staat 32 (1993), 493 (525 f.). Tatsächlich gewährt das Völkerrecht keinen Rechtsanspruch auf Asyl, stellt aber zunehmend Abschiebungshinder-

212

D. Verwirkung

Charakter der Verwirkung auf eine schlichte Aberkennung von Grundrechten hinunter. Die Besonderheit der Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG ist aber, dass das verwirkte Grundrecht im Falle des Missbrauchs lediglich nicht geltend gemacht werden kann. Wenn infolgedessen die Behörden belastende Maßnahmen gegen den Betroffenen erlassen, kann dieser sich hiergegen nicht auf möglicherweise verletzte Grundrechte berufen, deren Geltendmachung infolge des Missbrauchs verwirkt ist. Dabei muss sich die Behörde jedoch – wie bereits aufgezeigt – stets im Rahmen der einfachen Gesetze bewegen. So kann sie dem Missbrauchenden etwa unter Zugrundlegung von § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG die Gewährung eines Aufenthaltsrechts verweigern, ohne dass er sich auf den Schutz des Art. 16a Abs. 1 GG berufen könnte. Keinesfalls aber führt die Verwirkung der Asylfreiheit – wie gemeinhin angenommen – zu einer automatischen oder faktischen Aberkennung des Aufenthaltsrechts und damit zu einer zwingenden oder zumindest potentiellen Auslieferung an den Verfolgerstaat. Durch die Grundrechtsverwirkung werden nämlich weder einfachgesetzliche Regelungen derogiert, noch ist ihr Vorrang vor behördlichen Entscheidungen oder der Vorbehalt des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG außer Kraft gesetzt.506 Wenn dagegen Doehring, der Art. 18 GG für einen speziellen Aberkennungstatbestand des Asylrechts hält,507 nicht behagt, dass im Falle eines Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland durch den Asylsuchenden zunächst ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung vor dem BVerfG gestellt, zugleich aber das Aufenthaltsrecht gewährt werden müsse,508 ist dies eine Konsequenz allein der Entscheidungshoheit des BVerfG aus Art. 18 Satz 2 GG. Ob diese tatsächlich sinnvoll ist, soll an anderer Stelle untersucht werden. In diesem Zusammenhang ist allein von Bedeutung, dass die Verwirkung der Asylfreiheit einen Verlust des Aufenthaltsrechts und damit freilich auch eine Auslieferung an den verfolgenden Staat zwar erleichtert, weil gegen entsprechende Maßnahmen der Behörden das Grundrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG nicht mehr eingewandt werden kann. Doch bewirkt die Verwirkungsentscheidung nisse auf. Vgl. etwa das sog. refoulement-Verbot, wonach eine Abweisung, Ausweisung oder Auslieferung eines Flüchtlings in einen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht erfolgen darf. Von Bedeutung sind ferner Art. 33 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskovention vom 28.07.1951) sowie Art. 3 EMRK. Auch das im Rang über dem nationalen Recht stehende Unionsrecht setzt Mindeststandards für die Anerkennung Drittstaatsangehöriger als schutzbedürftige Flüchtlinge; ausführlich Becker, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 16a Abs. 1 Rn. 18 ff.; Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 16a Rn. 6. 506  Siehe unter D. IV. 3. 507  Doehring, ZaöRV Bd. 26 / 1 (1966), 33 (49). 508  Doehring, ZaöRV Bd. 26 / 1 (1966), 33 (43).



V. Fazit213

des BVerfG keine unmittelbare Aberkennung des Asylrechts, da dieses als einfachgesetzliche Rechtsposition ungeschmälert fortbesteht. Die Gewichtung von Individualinteresse und Verfassungsschutz unter Berücksichtigung der Menschenwürde- und Wesensgehaltsgarantie sowie völkerrechtlicher Verpflichtungen muss deshalb auf dieser Ebene und nicht im Rahmen der Verwirkungsentscheidung vorgenommen werden.

V. Fazit Nach einhelliger Auffassung soll der Antragsgegner durch die Grundrechtsverwirkung nicht vollkommen rechtlos gestellt werden – er soll weder „vogelfrei“ noch „out of law“ sein.509 Eine Parallelisierung etwa zur Reichsacht wäre daher ebenso fernliegend510 wie für das Verständnis von Art. 18 GG kontraproduktiv. Deshalb wurde die Grundrechtsverwirkungsnorm zwar einerseits primär unter ihrem teleologischen Aspekt des Verfassungsschutzes beleuchtet, andererseits aber immer wieder in ihrer Wirkung eingeschränkt – etwa mithilfe der Formel von der „Entpolitisierung“, dem Hinweis auf den Wesens- und Menschenwürdegehalt der Grundrechte oder schlicht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Letztlich haben diese Minimierungsversuche aber ob ihrer dogmatischen Unklarheit mehr Verwirrung um die genaue Bedeutung der Grundrechtsverwirkung gestiftet, als die vergleichsweise offene Formulierung des Art. 18 GG in irgendeiner Weise operabel zu machen. Unter Berücksichtigung der in den voranstehenden Ausführungen gewonnenen Erkenntnisse kann indessen davon ausgegangen werden, dass die nach wie vor bestehende – wenn auch selten tatsächlich eingestandene – Ungewissheit bei der rechtlichen Einordnung der Grundrechtsverwirkung maßgeblich auf einem falschen Verwirkungsverständnis beruht, welches sich in der Lehre nach und nach verfestigt hat und kaum mehr angezweifelt wird. Die fehlende Praktikabilität und dogmatische Einordnung dieser Verwirkungslehre spiegelt sich in den überzogenen Erwartungen an den Inhalt der Verwirkungsentscheidung des BVerfG wider: So soll das Gericht etwa als „Ausmaß“ der Grundrechtsverwirkung im Sinne des Art. 18 Satz 2 GG ein Verbot der Tätigkeit als Redakteur einer Zeitung oder eine Vermögenssperre verhängen, einen Treuhänder zur Verwaltung des Vermögens bestellen und die Sicherstellung von Eigentumswerten anordnen können.511 Dies alles 509  Wenigstens der Abgeordnete Dehler des Parlamentarischen Rates ging freilich noch davon aus, dass erst die Einfügung des Satzes 2 in Art. 18 GG verhindern würde, dass der Betroffene „vogelfrei“ werde; vgl. JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 171 (174). 510  Vgl. Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 13. 511  Vgl. die Beispiele bei Brenner, in: v.  Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  18 Rn.  65 m. w. N.

214

D. Verwirkung

sind Vorgaben, die besser in einem Gesetz oder einem Verwaltungsakt aufgehoben sind als in einem Verfassungsgerichtsurteil, das, einmal ergangen, kaum flexibel und detailliert auf veränderte tatsächliche Gegebenheiten reagieren kann. Das Anliegen des Art. 18 GG vermag hingegen die Ansicht, die Verwirkungsentscheidung „aktiviere“512 oder „aktualisiere“513 gleichsam eine vom Grundgesetz vorgegebene Rechtsfolge des Missbrauchs, besser einzufangen. Nicht das BVerfG soll damit zukünftige Maßnahmen präventiv ermöglichen oder die Grundrechtsbindung schlimmstenfalls ein für allemal beseitigen. Vielmehr bewirkt seine (positive) Entscheidung, dass die Behörden für einen bestimmten Zeitraum gegen den Betroffenen ohne Rücksicht auf entgegenstehende Grundrechte vorgehen können. Dies gilt freilich nur im Rahmen der einfachen Gesetze, da die Verwirkungsentscheidung weder den Vorbehalt noch den Vorrang der Gesetze aus Art. 20 Abs. 3 GG derogiert. Begrifflich impliziert die „Grundrechtsverwirkung“ eine Totalverwirkung des Grundrechts, ebenso wie der „Grundrechtsverzicht“ einen Totalverzicht des Grundrechts impliziert. Genauso wenig aber wie dieser verfassungsrechtlich möglich ist, kann ein Grundrecht gänzlich für die Zukunft verwirkt werden. Ein Grundrechtsverzicht soll stattdessen eine „individuelle Verfügung über Grundrechtspositionen“ darstellen.514 Entsprechendes gilt für die Verwirkung von grundrechtlichen Positionen. Bleckmann analysiert bereits für den Grundrechtsverzicht, dass er keine Ausnahme aus dem grundrechtlichen Schutzbereich bewirken könne, da dieser nicht zur Disposition des Individuums stünde. Stattdessen komme nur ein Verzicht auf bestimmte rechtsstaatliche Sicherungen, die beim Eingriff in Grundrechte automatisch wirksam würden, in Betracht.515 Dies entspricht letztlich auch der dogmatischen Konstruktion der Verwirkung im Zivilrecht, wonach sich der Verwirkende lediglich nicht auf sein Recht berufen kann, dieses aber nicht zugleich vollständig aberkannt wird.516 Schließlich entstammen beide Rechtsfiguren – der Verzicht und die Verwirkung – dem Zivilrecht als dem „Gebiet der Privatautonomie, der Willensherrschaft der einzelnen über ihre Angelegen­ 512  Thiel,

Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (144). in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 20. 514  So Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527 (531); dagegen geht Spieß, Der Grundrechtsverzicht, S. 19, 23, jedenfalls für das Zivil- und Verwaltungsrecht beim Verzicht im Gegensatz zur Verwirkung von einem vollständigen „Erlöschen des Rechts“ aus; den Totalverzicht auf Grundrechte hält er demgegenüber ebenfalls für unzulässig (S.  44 ff.). 515  Bleckmann, Staatsrecht II, § 15 Rn. 11. 516  Dazu ausführlich unter D. I. 1. b). 513  Brenner,



V. Fazit215

heiten“.517 In beiden, auch insofern parallel gelagerten, Fällen bietet sich eine am Zivilrecht orientierte Interpretation deshalb nicht nur an, sondern erscheint geradezu zwingend. Die Formulierung des Art. 18 GG, nach der die Grundrechte verwirkt, wer sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, ist deshalb irreführend, weil nicht das Grundrecht als solches, sondern lediglich das ihm entspringende, nicht nur prozessuale, sondern auch materielle Recht zur Geltendmachung verwirkt werden kann.

517  Sachs,

VerwArch 76 (1985), 398.

E. Kontextualisierung Die nun inhaltlich und rechtsdogmatisch definierte Verwirkung von Grundrechten wirft im Zusammenhang mit anderen Regelungen eine Vielzahl weiterer Probleme auf, die in der Literatur teilweise bereits ausgiebig diskutiert wurden, zum Teil aber auch als bisher unbekannt gelten dürfen. Anders als das zuvor diskutierte hermeneutische Verständnis und die allgemeine systematische Einordnung des Art. 18 GG, betreffen die folgenden Fragen sämtlich das Verhältnis der Grundrechtsverwirkung zu anderen Rechtsnormen. Damit die Vorschrift des Art. 18 GG praktische Wirkung entfalten kann, muss sie sich in einen innerstaatlichen wie europäischen und internationalen Rechtskontext einfügen. Sie ist daher nicht isoliert, sondern in einem umfassenden normativen Zusammenhang zu betrachten. Zunächst stellt sich innerhalb der nationalen Rechtsordnung die Frage der „Sperrwirkung“ des Art. 18 GG, die vom BVerfG in einer viel beachteten Entscheidung bestätigt wurde. Aufgrund dessen erscheint das Verhältnis des Art. 18 GG zum politischen Strafrecht nahezu unlösbar. Da zahlreiche Normen tatbestandlich der Grundrechtsverwirkung nahekommen, müssten sie – nimmt man die Sperrwirkung ernst – sämtlich verfassungswidrig sein. Dank eines gut funktionierenden Staatsschutzes auf der Ebene des einfachen Rechts kann dies aber zumindest derzeit kaum gewollt sein.1 Einige gehen im Gegenteil davon aus, dass mit den Mitteln des politischen Strafrechts flexibler und besser auf Gefahren für die freiheitliche Grundordnung reagiert werden kann als mit dem schwerfälligen, womöglich gänzlich impraktikablen Verwirkungsverfahren.2 Wichtig für die Wirkung des Art. 18 GG ist außerdem dessen Verhältnis zu anderen den Schutz der Verfassung betreffenden Bestimmungen. Schwierig erscheint insbesondere die Abgrenzung zu Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG. Bisher weitgehend unerforscht,3 doch von immer größerer Bedeutung, ist zudem das Verhältnis von Art. 18 GG zu den Bestimmungen der EUGRCh Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier, HdbGR III, § 74 Rn. 46. etwa Butzer / Clever, DÖV 1994, 637 (643), die dem politischen Strafrecht sogar einen „weitaus höheren staatschützerischen Ertrag, als jemals durch ein erfolgreich durchgeführtes Verwirkungsverfahren zu erzielen wäre“ attestieren. 3  Dazu nur Papier / Durner, AöR 128 (2003), 340 (368 ff.); Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (307 ff.). 1  Ebenso 2  Vgl.



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG217

und der EMRK. Insbesondere das Missbrauchsverbot des Art. 17 EMRK stellt eine der Verwirkungsnorm zwar verwandte, aber wegen der fehlenden Rechtsfolge als grundlegend verschieden betrachtete Regelung auf europäischer Ebene dar. Inwieweit das Prinzip der streitbaren Demokratie auch im Europa- und Unionsrecht verankert ist, ist nicht zuletzt aufgrund dessen Vorrangigkeit bzw. der Pflicht zur vorrangigen Berücksichtigung von überragender Bedeutung für die Auslegung von Art. 18 GG.

I. Sperrwirkung von Art. 18 GG Unter der „Sperrwirkung“ von Art. 18 GG wird die Ausschlussfunktion der Norm gegenüber verwirkungsähnlichen Regelungen verstanden. Obwohl Art. 18 GG aufgrund seiner eindeutigen Intention, einen präventiven Verfassungsschutz kraft äußerster Einwirkungsbefugnisse des Staates auf den individuellen grundrechtlich geschützten Bereich zu schaffen, dogmatisch nicht als Abwehrrecht (eigener Art) eingeordnet werden kann, spricht nichts dagegen, Art. 18 GG eine reflexhafte Abwehrwirkung zuzuerkennen. Im Gegenteil dürfte die Monopolisierung beim BVerfG nur einen Sinn haben, wenn die Grundrechtsverwirkung tatsächlich allein von ihm und nicht etwa von der Legislative oder Exekutive angeordnet werden darf.4 Anders würde die Norm schlechterdings leerlaufen und die Befürchtung des Parlamentarischen Rats, ihre extreme Wirkung könne zur Errichtung eines Polizeistaates missbraucht werden, würde keinerlei Konsequenzen zeitigen.5 Nach dieser Auslegung der Verfassungsschutzbestimmung sind Normen, die den Bannkreis der Verwirkungsvorschrift verletzen, verfassungswidrig und mithin nichtig.6 Wann aber der Bannkreis verletzt ist, wie umfassend also die Nichtigkeitsfolge angenommen werden muss, ist damit noch nicht gesagt und kann bisher auch nicht als befriedigend gelöst gelten. So wird etwa angenommen, dass eine Regelung gegen Art. 18 GG verstößt, die eine Ausübung anderer als der hierin aufgezählten Grundrechte untersagt, was aus den verschiedensten Gründen seit jeher äußerst umstritten ist.7 Eine 4  Vgl. in diesem Sinne auch Ginthum, FoR 1999, 125: „Man stelle sich dieses Instrument in der Hand einer Regierung vor!“; ebenso im Grundsatz BGHZ 12, 197 (201) – Weltfestspiele. 5  Dürig / Klein, in: Maunz  / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 76 begründen die ausschließliche Zuständigkeit des BVerfG deshalb damit, dass sie dem Rechtsschutz des Grundrechtsberechtigten diene: „Wenn es sich aus Gründen des Verfassungsschutzes und damit der Selbsterhaltung des demokratischen Staatswesens nicht vermeiden lässt, dass einem Bürger Grundrechte ‚aberkannt‘ werden, dann soll wenigstens dieser schwere Eingriff mit besonderen rechtsstaatlichen Kautelen versehen werden.“ 6  So Stettner, DVBl. 1975, 801 (802). 7  Vgl. nur Sigloch, MDR 1964, 881 (883 f.).

218

E. Kontextualisierung

überzeugende und praktikable Lösung steht jedoch noch aus. Im Gegenteil vertritt zwar nahezu jeder, der sich literarisch zur Ausschlusswirkung des Art. 18 GG äußert, eine andere Position, doch scheinen dabei viele Autoren selbst nicht über ihren Standort innerhalb der Diskussion, die Nachbarmeinungen und vor allem die notwendig abzuleitenden Folgerungen im Klaren zu sein.8 Dies hat wiederum zur Folge, dass manche Ansichten kaum einzuordnen oder überhaupt dogmatisch ernst zu nehmen sind. Eine Übersicht und Systematisierung der wichtigsten Meinungen und Gerichtsurteile soll hier dennoch versucht werden. 1. Die erste Phase Eine Zeit lang schien in der Literatur nachgerade ein „Sperrwirkungsboom“ zu herrschen. Viele Autoren nahmen die theoretisch durchaus einnehmende Lehre von der Privilegierung des Einzelnen durch Art. 18 GG in Anlehnung an das „Parteienprivileg“ des Art. 21 Abs. 2 GG begeistert auf und spannen sie bis hin zur unvermeidbaren Folge der Verfassungswidrigkeit einer Vielzahl von einfachgesetzlichen Staatsschutznormen fort. Allein mit den praktischen Auswirkungen dieser Lehre und der Frage, inwiefern sie umsetzbar, ja überhaupt wünschenswert wäre, setzten sie sich jedenfalls zunächst kaum auseinander. a) Die Entscheidung des BVerfG zur Sperrwirkung Ihren Grund hat die lebhafte Diskussion um die Ausschlussfunktion des Art. 18 GG vor allem in der sog. Nordrhein-Westfalen-Entscheidung, in der das BVerfG § 4 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Berufsausübung von Verlegern, Verlagsleitern und Redakteuren vom 17. November 1949 für verfassungswidrig befand.9 Die Landesregierung konnte danach den genannten Personen die Berufsausübung versagen, wenn diese gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht wurde.10 Die landesrechtliche Norm sah hier nach Ansicht des BVerfG faktisch eine Verwirkung der Berufsfreiheit (und darüber hinaus der Pressefreiheit) für einen dem Tatbestand des Art. 18 GG gleichkommenden Sachverhalt vor, dessen vor allem Stettner, DVBl. 1975, 801 (802). 10, 118; Löffler, NJW 1960, 29. 10  § 4 lautete: „Die Landesregierung kann ferner Verlegern, Verlagsleitern und verantwortlichen Redakteuren die Berufsausübung untersagen, wenn sie ihre berufliche Tätigkeit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere zur Verbreitung nationalistischer, militaristischer, totalitärer, rassen- oder völkerverhetzender Gedanken missbrauchen oder missbraucht haben.“ (GVBl. S. 293). 8  Dazu

9  BVerfGE



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG219

Katalog der verwirkbaren Grundrechte jedoch weit überwiegend für abschließend gehalten wird.11 Dabei ließ es das BVerfG dahinstehen, ob eine Verwirkung der Berufsfreiheit im Rahmen von Art. 18 GG überhaupt zulässig wäre. Allein, dass die Norm der Landesregierung eine Maßnahme übertrage, die nach Art. 18 GG einzig dem BVerfG vorbehalten sei, führe indes zu ihrer Verfassungswidrigkeit.12 Dazu führt das BVerfG aus: „Dieses wohlausgewogene System darf nicht dadurch durchbrochen werden, dass neben der bundesverfassungsrechtlichen Regelung für den gleichen Tatbestand des Missbrauchs noch weitere gleichartige Sanktionen von einem Landesgesetzgeber angedroht werden, deren Verhängung überdies einer spezifisch politischen Stelle übertragen wird. Art. 18 GG wäre bei Aufrechterhaltung des § 4 des genannten Gesetzes auch entwertet, weil es der Landesregierung im einzelnen Falle freistehen würde, im Falle eines Missbrauchs der Pressefreiheit durch einen Redakteur entweder selbst einzuschreiten oder gegen den Betroffenen einen Antrag auf Verwirkung bestimmter Grundrechte beim Bundesverfassungsgericht zu stellen.“13

Hier kommen gleich mehrere potentielle Ausschlussrichtungen von Art. 18 GG zum Zuge. Neben der Sperrwirkung der Rechtsfolgen, wonach mit der Verwirkung gleichzusetzende Rechtsfolgen außerhalb von Art. 18 GG nicht verhängt werden dürfen, erkennt das Bundesverfassungsgericht auch im Tatbestand des Art. 18 GG eine Sperrwirkung: Unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene dürfe keine Sanktion an den durch Art. 18 GG allgemein bestimmten Sachverhalt geknüpft werden.14 Drittens schließlich sieht das BVerfG durch die beanstandete Regelung sein Monopol zum Verwirkungsausspruch beeinträchtigt. Art. 18 GG kann demzufolge Regelungen mithin auch insofern sperren, als sie anderen Institutionen die Befugnis gewähren, verwirkungsähnliche Rechtsfolgen auszusprechen. Allerdings ist auch nach der Entscheidung durch das BVerfG keineswegs klar, wann die Sperrwirkung des Art. 18 GG tatsächlich eintreten soll. So hat das Gericht nicht eindeutig entschieden, ob die Gleichheit der Rechtsfolgen und die Anknüpfung an den von Art. 18 GG bestimmten Tatbestand kumulativ vorliegen müssen, wie es in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt der Fall war, oder ob bereits das Vorliegen eines der beiden Merkmale zur Verfassungswidrigkeit der Regelung führen müsse.15 Ob die Nichtigkeitsfolge zudem weiter eingegrenzt werden müsse, um den 11  Vgl. nur Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 194. 12  BVerfGE 10, 118 (123). 13  BVerfGE 10, 118 (123 f.). 14  Stettner, DVBl. 1975, 801 (803). 15  Ebenso Stettner, DVBl. 1975, 801 (802); Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (165).

220

E. Kontextualisierung

Staatsschutz praktikabel und den ultima-ratio-Charakter der Grundrechtsverwirkung deutlich werden zu lassen,16 tritt aus dem Urteil nicht deutlich hervor. Wie es in dieser Hinsicht zu verstehen sei, beschäftigte also auch weiterhin oder jetzt erst recht die Literatur, die bereits hier zu völlig verschiedenen Ergebnissen gelangte. b) Weitreichender Ausschluss verwirkungsähnlicher Normen nach der Literatur In der Literatur wurde in Anlehnung an die Entscheidung des BVerfG zum Parteienprivileg17 zunächst durchaus konsequent und in sich schlüssig auch dem Art. 18 GG eine extrem weite Sperrwirkung beigemessen.18 So betonte Geiger, der sich als einer der ersten mit der Bedeutung der Grundrechtverwirkung auseinandergesetzt hat,19 bereits 1959, dass Art. 18 GG zu allererst einen außerordentlich starken Schutz der Grundrechte bedeute, indem die Verwirkung nur vom BVerfG in einem förmlichen Verfahren herbeigeführt werden könne. Dadurch werde der Gefahr begegnet, dass Regierung oder Verwaltung „in Zeiten politischer Erregung zu Mitteln greifen, die den Bürger bestimmter politischer Überzeugung tatsächlich mundtot machen und seines Einflusses auf die öffentliche Meinung berauben“.20 aa) Ausschlusswirkung nur des Tatbestandes oder nur der Rechtsfolge Bereits vor der Entscheidung des BVerfG sah Löffler in einem auf § 1 des Reichspressegesetzes von 1874 gestützten Eingriff der Polizei in die diesem Sinne wohl Sigloch, MDR 1964, 881 (883). 12, 296, wonach § 90a StGB an der Regelung des Art. 21 Abs. 2 GG scheiterte; interessanterweise zeigen Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, Rn. 105 auf, wie das Opportunitätsprinzip bei der Antragstellung dazu geführt habe, das Parteienprivileg erheblich einzuschränken. So kann etwa der Verfassungsschutzbericht die NPD als verfassungswidrig aufführen, ohne dabei gegen Art. 21 Abs. 2 GG zu verstoßen, vgl. auch BVerfGE 40, 287; BVerwGE 110, 126; vgl. in diesem Sinne auch W. Schmidt, DÖV 1978, 468 (470 f.). 18  Zustimmend Seifert, in: Denninger (Hrsg.), Freiheitliche demokratische Grundordnung I, S. 225 ff., der sogar von einem „Auslegungsmonopol“ des Art. 18 GG spricht. Stattdessen sollte wohl besser von einem Anwendungsmonopol die Rede sein. Vgl. auch Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 121. 19  Siehe Geiger, BVerfGG, §§  36  ff.; so auch Seuffert, Zum Verfahren nach Art. 18 GG, in: Festschrift Geiger, S. 797. 20  Geiger, Grundrechte und Rechtsprechung, S. 50; im Ergebnis ähnlich ders., „Verwirkung“, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 8, S. 260 (261). 16  In

17  BVerfGE



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG221

Pressefreiheit im Falle eines „Missbrauchs“ der Pressefreiheit21 einen Verstoß gegen Art. 18 GG. Mit dieser Norm habe der Verfassungsgeber „aus gutem Grund“ die Feststellung, ob ein Missbrauch eines Grundrechts vorliege und welche Abwehrmaßnahmen geboten erscheinen würden, nicht in die Hände der weisungsgebundenen Verwaltung, sondern in die des unabhängigen Richters gelegt.22 Genau wie der Abgeordnete Dehler, führt Löffler aus, dass, wer jedes Risiko ausschalten wolle, zwangsläufig im Polizeistaat ende. Im Recht auf Freiheit liege nunmal immer zugleich ein gewisses Risiko begründet.23 Der – auch vom BVerfG im Lüth-Urteil24 bestätigte – hohe Rang der Meinungsfreiheit, die für eine demokratische Staatsordnung „schlechthin konstituierend“ sei, führe folgerichtig zu dem Schluss, die Kompetenz des BVerfG zum Ausspruch der Verwirkung als ein Monopol zu betrachten, das es im Interesse der Rechtssicherheit streng zu wahren gelte. Wenn hingegen neben dem BVerfG auch politische Instanzen eine Verwirkung der Pressefreiheit aussprechen könnten, würde dies dem Machtmissbrauch „Tür und Tor öffnen“.25 Diese sehr weitreichende Auffassung beruht auf einer kompromisslosen und vergleichsweise idealistischen Haltung zur allein beim BVerfG angesiedelten Verwirkungsentscheidung. Nicht bloß der im Grundgesetz vorgesehene starke Verfassungsschutz war fortschrittlich und zugleich einmalig, sondern eben auch die Sicherung der bürgerlichen Freiheitsrechte gegenüber politisch missbräuchlichen Eingriffen durch Staat und Verwaltung. In diesem Sinne führt Löffler wenig später den Gedanken des BVerfG fort und hält jede Regelung für verfassungswidrig, die eine verwirkungsähnliche Aberkennung eines Grundrechts – hier der Berufsfreiheit26 – bestimmt.27 Eine derart weite Interpretation der Sperrwirkung ist hernach nicht mehr angenommen worden und kann wohl beim besten Willen nicht in Art. 18 GG hineingelesen werden.28 Andernfalls würde sich die Verfassungswidrigkeit 21  Hier ging es um die sog. „Weltfestspiele-“Entscheidung vom 01.02.1954, BGHZ 12, 197. 22  Löffler, DÖV 1957, 897 (900). 23  So Löffler, DÖV 1957, 897 (900). 24  BVerfGE 7, 198. 25  Löffler, NJW 1960, 29. 26  § 3 des nordrhein-westfälischen Gesetzes sah ein Berufsausübungsverbot im Falle der rechtskräftigen Verurteilung wegen Beleidigung vor; die Verfassungswidrigkeit macht Löffler auch bei anderen ähnlichen Gesetzen aus. 27  Löffler, NJW 1960, 29 f. 28  Ebenso wohl Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 IV Rn. 18, der überhaupt das Vorhandenseins eines Verfahrens, dass lediglich hinsichtlich der Rechtsfolge mit Art. 18 GG übereinstimmt, bestreitet. Allein die Ausführungen von Löffler, NJW 1960, 29 deuten darauf hin, dass er auch bereits die (teilweise) Identität nur

222

E. Kontextualisierung

bestimmter Vorschriften ins Uferlose ausdehnen: Verwirkungsähnlich können schließlich nicht allein die Normen des politischen Staatsschutzes, sondern nahezu alle strafbewehrten Vorschriften sein. Ist denn andersherum betrachtet die strafrechtlich angeordnete Einziehung persönlicher Gegenstände nicht immer zugleich eine Verwirkung der Eigentumsfreiheit und die Freiheitsstrafe eine Verwirkung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit? bb) Konturierung der Rechtsfolge Während teilweise zu ihrer Präzisierung versucht wurde, nach der Motivation der Grundrechtsbeschränkung zu unterscheiden, die Strafe als repressives Instrument mithin von der präventiv wirkenden Grundrechtsverwirkung abgegrenzt werden sollte,29 zeigen Wilke und Gallwas, dass diesem Merkmal keine besondere Schärfe zukomme.30 Sie stellen stattdessen vor allem auf einen „den Grundrechtsstatus mindernden Effekt“ ab.31 Gallwas führt hiervon ausgehend aus: „Verwirkungsgleich sind die staatlichen Maßnahmen, die gestützt auf den konkretisierungsbedürftigen Tatbestand: ‚Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung‘ eine Grundrechtsminderung herbeiführen, um künftige Kampfhandlungen vorzubeu­ gen.“32 Weitgehende Übereinstimmung in der Lehre besteht seither darin, dass allein die Anknüpfung einer verwirkungsähnlichen Regelung an den Angriff gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, also an den allgemein beschriebenen Tatbestand des Art. 18 GG, die Ausschlusswirkung der Verwirkungsnorm auslösen könne.33 der Rechtsfolge für verfassungswidrig erachten will, sind jedoch in dieser Hinsicht wohl zu unspezifisch, als dass sie tatsächlich als gegenteilige Ansicht aufgefasst werden könnten. 29  Dürig / Klein, in: Maunz  / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 94; Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten, S. 121 ff.; kritisch Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 111, 119; ders., JZ 1963, 494 (497). 30  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 151; Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit, S. 111. 31  Vgl. hierzu auch Reif, Der Begriff der Verwirkung der Grundrechte, S. 157. 32  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 151, der damit nur im Effekt verwirkungsgleiche Maßnahmen ausschließen will, wie etwa die lebenslange Freiheitsstrafe. Allein die Anwendung der „Generalklausel: ‚Kampf gegen die freiheit­ liche demokratische Grundordnung‘ zur Grundlage von grundrechtsmindernden Sanktionen“ sei hingegen wegen Verstoßes gegen Art. 18 GG verfassungswidrig. 33  Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit, S. 110 f.; vgl. auch Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 109 ff., der die Sperrwirkung des Art. 18 GG von vornherein nur anhand des politischen Strafrechts untersucht, dessen Schutzrichtung immer gleichlaufend mit der Verwirkungsnorm die freiheitliche demokratische Grundordnung ist.



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG223

cc) Parallelisierung zum Parteienprivileg Ganz im Sinne der vom BVerfG der Grundrechtsverwirkung tatsächlich zuerkannten weitreichenden Ausschlusswirkung fordert auch Willms, der Angriff des Einzelnen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung dürfe außerhalb des Verwirkungsausspruchs des BVerfG nach Art. 18 GG so wenig strafbegründendes Unrechtsmerkmal eines strafrechtlichen Tatbestandes wie Gegenstand administrativer Grundrechtsverkürzungen sein.34 Aktio­ nen gegen die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland dürften also, solange sie gewaltfrei blieben, dem strafrechtlichen Zugriff nur nach vorausgehender Verwirkungsentscheidung ausgesetzt sein. Willms bezieht sich mit dieser Auffassung allerdings nicht zuerst auf die oben genannte Entscheidung des BVerfG zum nordrhein-westfälischen Berufsverbot. Stattdessen legt er das vom BVerfG erst wenig später bestätigte Privileg der politischen Parteien35 zugrunde, das sich ebenfalls aus dem Entscheidungsmonopol des BVerfG über die Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei (Art. 21 Abs. 2 GG) ergibt. So wie deshalb Art. 21 Abs. 2 GG die Anwendung des § 93 StGB36 im Bereich der Verbreitung von Schriften einer politischen Partei hindere,37 könne wegen Art. 18 GG diese Strafnorm ebenso wenig auf politische Streitschriften Einzelner angewendet werden.38 Auch Reißmüller spricht sich für die umfassende Sperrwirkung von Art. 18 GG im Sinne der Entscheidung des BVerfG aus. In ihrer Schwere sei die Sanktion (!) des Art. 18 GG nur noch dem Art. 21 Abs. 2 GG vergleichbar. Ihr Gewicht erfordere deshalb die Alleinzuständigkeit des höchsten Gerichts, das vom Grundgesetz gleichzeitig zum „Hüter der Verfassung“ und damit zum Hüter der Grundrechte bestellt worden sei.39 Demgemäß kann das 34  Willms, NJW 1964, 225 (227); vgl. auch ders., Staatsschutz im Geiste der Verfassung, S. 22 ff.; ebenso Hamann, Grundgesetz und Strafgesetzgebung, S. 38. 35  BVerfGE 12, 296 (304) – Parteienprivileg: § 90a StGB, der das Gründen und Fördern einer Partei mit Strafe bedrohte, bevor sie durch das BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden ist, verstößt gegen Art. 21 GG. 36  Die Norm wurde zusammen mit dem gesamten Staatsschutzstrafrecht durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz im Jahr 1968 (BT-Drs. V / 102; V / 898; V / 2860; V / 9523) einer grundlegenden Revision unterzogen. Vgl. auch Fischer, StGB, Vor § 80 Rn. 1, § 93 Rn. 1. 37  So BGHSt 6, 319. Hier wurde allerdings nur ein Prozesshindernis angenommen, wohingegen Willms, NJW 1964, 225 (227, Fn. 21) klarstellt, dass nach BVerfGE 12, 196 eigentlich die Anwendbarkeit des § 93 auf politische Parteien vor ihrem Verbot gänzlich entfallen müsste. Vgl. auch Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 125 f. 38  Willms, NJW 1964, 225 (227). 39  Reißmüller, JZ 1960, 529 (530), der sodann eine Untersuchung in Rechtsprechung und Lehre fordert, ob und inwieweit das Monopol des BVerfG sogar über den Tatbestand des Art. 18 GG hinauswirke.

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E. Kontextualisierung

BVerfG seiner Auffassung nach „andere zum Kampfe gegen die freiheitliche Demokratie missbrauchte Grundrechte […] nicht im Sinne dieser Vorschrift aberkennen“. Erst recht aber sollen dies andere Organe nicht können.40 Zu den nicht verwirkbaren Grundrechten zählten daher neben den in Art. 18 GG nicht genannten Grundrechte des ersten Abschnitts des Grundgesetzes auch die Rechte aus Art. 38 GG, weshalb er § 39 BVerfGG für „verfassungsrechtlich bedenklich“ hält.41 Allerdings befindet Reißmüller die weitreichenden Folgen, die Löffler der Entscheidung des BVerfG beimisst, nicht für richtig, weil sie die Ausschlusswirkung des Art. 18 GG ins Unermessliche ausdehne. Diese bemesse sich indes allein nach dem vom BVerfG beschriebenen Sinngehalt der Norm, die „Ausdruck des bewussten verfassungspolitischen Willens zur Lösung des Grenzproblems der freiheitlichen demokratischen Staatsordnung“.42 Wo hingegen dieses Grenzproblem nicht in Rede stehe, sondern die staatliche Reaktion auf die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht angreifendes Unrecht, greife das Monopol des BVerfG für eine Verwirkungserklärung nicht.43 Nicht bloß die Parallele zu Art. 21 Abs. 2 GG vermag laut Brenner die Ausschlusswirkung des Art. 18 GG zu erklären. Er hält diese vielmehr bereits deshalb für konsequent, weil sie deutlich mache, dass es sich bei der Verwirkungsentscheidung nicht um einen politischen Akt handele, sondern um Rechtsprechung. Die alleinige Zuständigkeit des BVerfG erscheine deshalb auch als eine „natürliche“.44 dd) Art. 18 GG als Schutz gegen jegliche Eingriffe in die politische Freiheit Besonders Čopić vertritt hinsichtlich der Sperrwirkung des Art. 18 GG einen sehr weiten Ansatz und geht in seiner Konsequenz noch deutlich über 40  So Reißmüller, JZ 1960, 529 (530); ebenso Friesenhahn, in: Festschrift Thoma, S. 21 (52), Fn. 1. 41  Reißmüller, JZ 1960, 529 (531) mit Verweis auf gegenteilige Ansichten in der Literatur (Fn. 15). Darauf wird noch an anderer Stelle näher einzugehen sein. 42  So BVerfGE 10, 118 (123) mit Verweis auf BVerfGE 5, 85 (139). 43  Reißmüller, JZ 1960, 529 (531), der die Sperrwirkung des Art. 18 GG also nur an die gleiche Zielsetzung des Tatbestands knüpfen will; zustimmend Haller, Grundrechtsverwirkung und Zuständigkeitsmonopol des BVerfG, S. 125. 44  Brenner, in: v. Mangoldt  / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 59, der auf die in­ sofern missverständliche Äußerung von Schmidt, in: Umbach  /  Clemens (Hrsg.), BVerfGG, § 39 Rn. 2, der Verwirkungsausspruch sei einer spezifisch politischen Stelle übertragen, verweist; ebenso spricht Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 IV Rn. 3 von einer „natürlichen“ Zuständigkeit des BVerfG bei Verlust von Grund­ rechten.



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG225

die eben genannten Ansichten hinaus. Aus der Verwirkungsnorm folge demnach, dass „die Disziplinierung gefährlicher Verfassungsstörer, die mit dem demokratischen Mittel der Gewaltlosigkeit grundlegende Systemveränderungen zu erzwingen suchen, eine Grundrechtssuspension in Gestalt eines Verwirkungsurteils des allein zuständigen BVerfG“ voraussetze.45 Er spricht demgemäß sogar von einem „Schutzbereich“ des Art. 18 GG, mit dem Normen des einfachen Rechts nicht kollidieren dürften. Infolgedessen könnten die meisten strafrechtlichen Sanktionen erst dann verhängt werden, wenn die entsprechenden Grundrechte des Delinquenten verfahrensgerecht durch das BVerfG aberkannt worden seien.46 Für sich genommen seien sie aber nahezu sämtlich – im Übrigen auch aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen als dem der Kollision mit Art. 18 GG – verfassungswidrig und damit nichtig.47 Diese durchaus überzeugend und stringent vorgetragene Auffassung Čopić’ darf mit Fug und Recht als äußerst konsequent und zugleich mutig bezeichnet werden. Inwiefern sie aber auch zutreffend ist, soll in einem nächsten Schritt untersucht werden. Entscheidend ist dabei ihmzufolge auch, dass die Verwirkungsentscheidung des BVerfG als konstitutivaberkennend anzusehen sei, während eine deklaratorisch-feststellende Entscheidung diese Ausschlusswirkung nicht nach sich ziehen könnte, da der Grundrechtsverlust bereits unmittelbar mit der Erfüllung des Missbrauchs­ tatbestandes eintreten würde und das BVerfG sozusagen nur „das letzte Wort“ in der Frage der Verwirkung hätte.48 2. Konflikt mit politischem Strafrecht und Polizeirecht Problematisch wird die Auffassung von der Sperrwirkung des Art. 18 GG im Hinblick auf die Normen des politischen Strafrechts (§§ 81 ff. StGB).49 In diesem Bereich wird ohnehin bisweilen bemängelt, dass der Gesetzgeber „zu viel pönalisiert“ habe – vor allem Tatbestände, die sozial-ethisch „keine sittlichen Bezüge“ hätten und nicht einmal als bloße Ordnungsnormen ein45  Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 135, der sodann sämtliche im politischen Strafrecht vorgesehenen Deliktsfolgen auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 18 GG hin untersucht. 46  Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 134 ff. 47  Vgl. nur Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 145; siehe auch Čopić, JZ 1963, 494 (497 ff.); so im Ergebnis wohl auch Hamann, NJW 1962, 1845 (1848 f.). 48  Čopić, JZ 1963, 494 (498). 49  Zur Genese der Staatsgefährdungsdelikte vgl. O. Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, S. 13 ff.; vgl. im zu den einzelnen Delikten und ihrem Konflikt zu Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG auch Willms, NJW 1957, 565 ff.

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E. Kontextualisierung

sichtig seien.50 Abseits ihrer rechtspolitischen Diskussionswürdigkeit, sind eine Reihe von Normen, da sie dem Tatbestand der Verwirkungsnorm folgen oder verwirkungsähnliche Rechtsfolgen vorsehen, verfassungsrechtlich problematisch. Schutzobjekt des politischen Strafrechts ist, genau wie bei Art. 18 GG, die freiheitliche demokratische Grundordnung. Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Aufgliederung des politischen Strafrechts in Einzelvorschriften nichts an einer teilweisen Identität ihrer Sanktionsvoraussetzungen mit dem Tatbestand der eher generalklauselartigen Verwirkungsnorm ändert.51 Deshalb führt an einem Konflikt mit Art. 18 GG zumindest dann nichts vorbei, wenn man seine Ausschlusswirkung schon dann eingreifen lässt, sobald der Tatbestand einer Strafvorschrift mit seinen Voraussetzungen identisch ist.52 Wenn man hingegen restriktiver auf die verwirkungsgleiche Rechtsfolge der Norm abstellen wollte, muss erst geklärt werden, welche Sanktion einer Verwirkung gleichkommt. a) Das strafrechtliche Berufsverbot Besonders brisant erscheint das Verhältnis des Strafrechts zur Grundrechtsverwirkung aus Art. 18 GG im Hinblick auf das strafrechtliche Berufsverbot (§ 70 StGB53). Die Verfassungsmäßigkeit der möglichen Berufsverbotsanordnung im Zuge einer Verurteilung wegen einer Straftat, die unter Missbrauch der Berufsfreiheit ausgeübt wurde, war bereits vereinzelt Streitgegenstand sowohl der Rechtsprechung54 als auch der Literatur. Zumindest dann, wenn die Verurteilung aufgrund eines Tatbestandes erfolgte, welcher – was eben für die Staatsgefährdungsdelikte häufig zutrifft – die Vorausset50  Vgl. insbesondere Dürig / Klein, in: Maunz  / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 129; dazu auch ausführlich Hamann, NJW 1962, 1845 ff.; differenzierter Willms, JZ 1967, 246 f. 51  So Reißmüller, JZ 1960, 529 (532  f.); zustimmend Čopić, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 109. 52  So auch Stettner, DVBl. 1975, 801 (803). 53  § 70 StGB: (1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er unter Missbrauch seines Berufs oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der mit ihnen verbundenen Pflichten begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so kann ihm das Gericht die Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges für die Dauer von einem Jahr bis zu fünf Jahren verbieten, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen lässt, dass er bei weiterer Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges erhebliche rechtswidrige Taten der bezeichneten Art begehen wird. Das Berufsverbot kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dass die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. […] 54  Vgl. nur BGHSt 17, 38.



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG227

zungen des Art. 18 GG mehr oder weniger wiederholt, scheint ein Konflikt mit der Grundrechtsverwirkung geradezu unabwendbar.55 Der BGH hat die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit indes damit begründet, dass die Strafbestimmungen lediglich ergänzend neben Art. 18 GG gestellt worden seien und damit keinerlei Konkurrenzsituation entstünde.56 Letztlich stellt sich im Zusammenhang damit auch die Frage, ob Art. 18 GG vor dem Hintergrund eines funktionierenden (politischen) Strafrechts nicht zwangsläufig an Bedeutung einbüßen muss. Čopić behauptet gar in der ihm eigenen kompromisslosen Art, dass das Verwirkungsinstitut verdorre, „weil die ihm von den Vätern des GG zugedachte verfassungspolitische Funktion durch legislative Schöpfung und richterliche Handhabung unterverfassungsgesetzlicher Regelungen abgelöst und ersetzt wurde.“57 Diese Einschätzung bestätigt auch Backes, der zutreffend darauf hinweist, dass die Parallelität von strafrechtlichen Staatsgefährdungsdelikten und Grundrechtsverwirkung in realiter dazu führe, dass das Strafrecht in Wirklichkeit nicht neben, sondern vor Art. 18 GG gestellt würde und jedenfalls in der Praxis Vorrang vor jenem genieße.58 b) Das Gefahrenabwehrrecht Neben dem politischen Strafrecht erkennt außerdem auch das Gefahrenabwehrrecht die öffentliche Ordnung als Schutzgut an. Für die Frage, ob auch hier die Sperrwirkung wenigstens des Tatbestands von Art. 18 GG eingreift, kommt es mithin entscheidend darauf an, wie man den Begriff der öffentlichen Ordnung interpretiert. In Betracht kommt dabei, ihn im Sinne der „verfassungsmäßigen Ordnung“, wie sie Art. 9 Abs. 2 GG nach herrschender Ansicht meint, zu verstehen.59 Favorisiert wird aber ganz überwiegend eine weit engere Auslegung, die sich auf das Preußische OVG zurückführen lässt,60 zumal mit ihr eine Abgrenzung zum allgemein weit verstandenen Merkmal der öffentlichen Sicherheit gelingt.61 Danach umfasst die öffentliche Ordnung diejenigen ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen unernur Stettner, DVBl. 1975, 801 (802). 17, 38 (42). 57  Čopić, JZ 1963, 494. 58  O. Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, S. 130. 59  So Brüning, Der Staat 41 (2002), 211 (221 ff., 243), der unter anderem auf die Rechtsprechung des OVG Münster verweist. 60  PrOVGE 91, 139 (140); vgl. auch Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S.  245 ff. 61  Siehe dazu auch Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, S. 29 ff. 55  Siehe

56  BGHSt

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E. Kontextualisierung

lässliche Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben innerhalb der Gemeinschaft sind. Selbst bei Übereinstimmung in der Interpretation ist jedoch nicht zugleich eine einheitliche Subsumtion gewährleistet. Vielmehr zeigt insbesondere die sich stetig widersprechende Rechtsprechung zu Neonazi-Versammlungen bisweilen große Unsicherheit im Umgang mit diesem Tatbestandsmerkmal.62 Teilweise wird dabei auch auf die ausschließliche Zuständigkeit des BVerfG aus Art. 18 GG hingewiesen, oft scheinen aber eher politische als juristische Erwägungen zu dem gewünschten Ergebnis zu führen. Auch hier ist eine Systematisierung der Ansichten deshalb schwierig, soll aber dennoch versucht werden. 3. Die zweite Phase In einer zweiten Phase der Befassung wurde infolge der unterdessen erkannten Problematik, dass eine weitreichende Sperrwirkung unabsehbare Konsequenzen für das politische Strafrecht sowie das Sicherheits- und Ordnungsrecht mit sich bringen würde, eine Einschränkung der zuerst geradezu euphorisch begrüßten „Privilegierungstheorie“ unternommen. Diese restriktivere Haltung gegenüber der Ausschlussfunktion des Art. 18 GG setzte sich nach und nach sowohl – überwiegend konkludent – in der Rechtsprechung als auch in der darum stärker ringenden Literatur durch. a) Weitere Entscheidungen des BVerfG Die für die Reichweite von Art. 18 GG wohl bedeutendste Entscheidung63 des BVerfG vom 15. Januar 196964 beschäftigte sich mit der Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen Mitglieds der unterdessen verbotenen KPD. Die Beschwerde richtete sich gegen ein aufgrund des damaligen § 42 Abs. 1 StGB verhängtes Berufsverbot wegen Missbrauchs des Berufs als Redakteur verschiedener Zeitschriften und Verleger zu „verfassungsfeindlicher Tätigkeit“. Das BVerfG entschied, dass § 42 Abs. 1 StGB jedenfalls dann nicht Art. 18 GG widerspreche, „wenn das strafgerichtliche Berufsvervieler Röger, Demonstrationsfreiheit für Neonazis?, S. 39. Stettner, DVBl. 1975, 801 (806) ist die Entscheidung aufgrund ihrer Ausführlichkeit besonders bedeutsam. In der Tat hat sich das BVerfG in keiner anderen Entscheidung – nicht einmal im Rahmen der vier Verwirkungsanträge – derart intensiv mit Art. 18 GG auseinandergesetzt. Gleichwohl bemängelt Stettner zutreffend, dass das BVerfG im Ergebnis dennoch alles offen lasse und zu keiner Linie finde, da es lediglich verschiedenste Theorien vermische, ohne sie in einen angemessen Ausgleich miteinander zu bringen. 64  BVerfGE 25, 88. 62  Statt 63  Mit



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG229

bot mit der Verurteilung auf Grund solcher Strafbestimmungen verbunden ist, die dem Schutz des Staates vor verfassungswidrigen Parteien dienen“.65 Während hingegen etwa Čopić dargelegt hatte, dass eben diese Strafnorm – jedenfalls bei Verurteilung wegen eines Staatsgefährdungsdelikts – der ausschließenden Wirkung des Art. 18 GG widerspreche,66 gibt das BVerfG dieser strengen Ansicht zwar insoweit ausdrücklich Recht, als die Nicht­ erwähnung der Berufsfreiheit in Art. 18 GG ein Berufsverbot verfassungsrechtlich nicht legitimieren könne, sieht die Berufsausübung im Einzelfall aber als so eng mit der Pressefreiheit verbunden an, dass deren Aberkennung nicht ohne ein zeitlich begrenztes Berufsverbot wirksam vonstatten gehen könne.67 Die Frage nach dem Verhältnis dieses „Berufsverbots“ nach Art. 18 GG zu dem aus § 42 Abs. 1 StGB stellt sich nach Auffassung des BVerfG hingegen nur, wenn letzteres auf Grund von Strafbestimmungen ergehe, die dem Schutz des Staates vor verfassungswidrigen Parteien dienen. Da das BVerfG hier aber bereits die Verfassungswidrigkeit der Partei festgestellt habe, stehe die Überschneidung der Tatbestandsseite mit Art. 18 GG der Anwendung der Norm nicht entgegen.68 Damit werde dem Gedanken Rechnung getragen, dass „Art. 18 GG […] keine Schranke für strafrechtliche Sanktionen [bilde], soweit das Grundgesetz im übrigen die Sicherung der Verfassung mit strafrechtlichen Mitteln gestattet“. Für die Präventivmaßnahme des Parteiverbots erscheine indes das strafrechtliche Berufsverbot als adäquate Sanktion.69 Diese Entscheidung nimmt die der ersten womöglich zu entnehmende weitreichende Sperrwirkung des Art. 18 GG damit in einem entscheidenden Punkt zurück, ohne über die generelle Verfassungsmäßigkeit des strafrechtlichen Berufsverbots befinden zu müssen. Zumindest wenn es um die Tätigkeit einer vom BVerfG bereits für verfassungswidrig erklärten Partei bzw. ihrer Mitglieder geht, steht danach das Monopol des Gerichts einem effektiven Staatsschutz nicht entgegen. Das erscheint insofern sinnvoll, als in diesem Fall das BVerfG ja bereits die Verfassungwidrigkeit in einem förmlichen Verfahren festgestellt hat und es der Schutzfunktion des Art. 18 Satz 2 GG daher nicht mehr bedarf. Über die dogmatische Herleitung und generelle Reichweite der Sperrwirkung von Art. 18 GG schweigt das Gericht jedoch.70 65  BVerfGE

25, 88 (95). Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 143. 67  BVerfGE 25, 88 (96 f.). 68  BVerfGE 25, 88 (99). 69  BVerfGE 25, 88 (100). 70  So bedauert auch Bettermann, JZ 1964, 601 (607), dass das BVerfG nichts darüber gesagt habe, was genau Verwirkung bedeute, welche Rechtsfolgen sich mit anderen Worten hieran knüpfen würden. Nur so könne schließlich festgestellt werden, ob die streitige Sanktion einer Verwirkung gleichkomme. 66  Čopić,

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E. Kontextualisierung

Auch später wurde einer Befassung mit der Ausschlussfunktion des Art. 18 GG von vornherein aus dem Weg gegangen, obwohl Sachverhalt und streitige Vorschrift durchaus eine solche Überprüfung nahe gelegt hätten; sie wurde indes in einem aufschlussreichen Sondervotum des Richters Simon71 umso ausführlicher thematisiert. Mit Beschluss vom 8. März 1983 entschied das BVerfG,72 dass die Zulassung zur Anwaltschaft in verfassungsmäßiger Weise versagt werden könne, wenn der Bewerber sich ein Verhalten zu Schulden kommen lasse, das ihn für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unwürdig erscheinen lasse (§ 7 Nr. 5 BRAO). Allerdings solle hierunter nicht das aktive Eintreten für eine als verfassungswidrig angesehene Partei zählen, solange der Bewerber nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpfe (§ 7 Nr. 6 BRAO). Simon geht in seinem Sondervotum jedoch weiter, indem er die Auslegung des § 7 Nr. 5, 6 BRAO einer spezifisch verfassungsrechtlichen Prüfung unterzieht und dabei unter anderem auf die Sperrwirkung des Art. 18 GG verweist.73 Nachdem er zunächst betont, dass die Berufsfreiheit im Rahmen von Art. 18 GG nicht vom BVerfG und auch von keiner anderen Instanz für verwirkt erklärt werden könne, bestätigt er die vom BVerfG vorgenommene Interpretation des § 7 Nr. 5 und 6 BRAO. Zwar sei es herrschende Ansicht, dass bei gleichem Tatbestand und gleichen oder gleichartigen Sanktionen die Entscheidung dem BVerfG überlassen oder – bei nicht verwirkbaren Grundrechten – ganz ausgeschlossen sein muss. Doch könnten die in Frage stehenden Regelungen sehr wohl verfassungskonform in diesem Sinne ausgelegt werden. Dies hänge jedoch wiederum zuallererst davon ab, wie man die Vorschriften verstehe. Insoweit sie sich nämlich als vorläufiges oder dauerndes Berufsverbot darstellen würden, kämen sie zweifellos zumindest einer teilweisen Grundrechtsverwirkung gleich. Wenn sie sich zudem im Tatbestand (straflose Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung) sowie in der Rechtsfolge (Verbot der Berufsausübung) zu Art. 18 GG gleichartig verhalten würden, verstießen sie unweigerlich gegen dessen Sperrwirkung.74 Die Mehrheit der Richter nahmen demgegenüber allein eine Prüfung der Regelung anhand von Art. 12 Abs. 1 GG vor und mahn­ ten dabei lediglich eine verhältnismäßige Auslegung an,75 so dass sich die vor dem Hintergrund der Sperrwirkung des Art. 18 GG durchaus streitbare Vorschrift bis heute in der BRAO halten konnte. Dass das BVerfG nach an­ derem Bekunden eine „Sperrwirkung des Meinungsstrafrechts“76 errichdes Richters Simon, BVerfG NJW 1983, 1535 (1539 ff.). NJW 1983, 1535. 73  Sondervotum des Richters Simon, BVerfG NJW 1983, 1535 (1539 ff.). 74  Sondervotum des Richters Simon, BVerfG NJW 1983, 1535 (1540). 75  BVerfG NJW 1983, 1535 (1537). 76  So Röger, Demonstrationsfreiheit für Neonazis?, S. 43 ff. 71  Sondervotum 72  BVerfG



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG231

tet, liegt auch daran, dass es die Sperrwirkung der verfassungsrechtlichen Grundrechtsverwirkungsnorm mittlerweile vollkommen unberücksichtigt lässt. b) Das OVG Münster Ebenso wenig Bedeutung bemisst das OVG Münster77 der Sperrwirkung des Art. 18 GG in seinen so viel beachteten wie gescholtenen Entscheidungen unter anderem vom 23. März 200178, 12. April 200179 und 30. April 200180 bei, mit denen es sich ausdrücklich gegen die Judikatur des BVerfG wandte.81 Dabei ging das OVG davon aus, dass für demonstrative Äußerungen nazistischer Meinungsinhalte, aufbauend auf Rassismus, Kollektivismus, dem Führerprinzip und unbedingtem Gehorsam eine verfassungsimmanente Beschränkung der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und 8 Abs. 1 GG „auch unterhalb der Schwelle verfassungsgerichtlicher Verbots- und Verwirkungsentscheidungen i. S. von Art. 21 Abs. 2, 18 S. 2 GG“ bestehen würden.82 Die in Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG enthaltenen Regelungen würden zwar als Ausdruck der streitbaren Demokratie ebenso dem Ziel dienen, ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu verhindern, trügen diesem Gedanken jedoch nicht hinreichend Rechnung. Aufgrund der nahezu unüberwindbaren Hürden, die das BVerfG zu ihrer Anwendung aufgestellt habe, könnten diese Vorkehrungen in der Verfassungswirklichkeit nur in den seltensten Fällen ihre Schutzwirkung entfalten.83 Das OVG Münster sieht sich infolgedessen dazu bemüßigt, das vermeintliche Leck im Verfassungsschutz zu schließen und konstruiert eine „verfassungsimmanente Schranke vom Schutzbereich der Demonstrationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1 GG“ für Aktionen, die dem der Menschenwürde und dem Friedensgebot verpflichteten Rechtsstaat zuwiderlaufen.84 77  Vgl. zu einer ähnlichen früheren Entscheidung des VG Frankfurt a.  M. ­Roellecke, NJW 1993, 3306 ff. 78  OVG Münster NJW 2001, 2111; dazu BVerfG, Beschl. v. 24.03.2001 – 1 BvQ 13 / 01, NJW 2001, 2069. 79  OVG Münster NJW 2001, 2113; dazu BVerfG, Beschl. v. 12.04.2001 – 1 BvQ 19 / 01, NJW 2001, 2075. 80  OVG Münster NJW 2001, 2114; dazu BVerfG, Beschl. v. 01.05.2001 – 1 BvQ 22 / 01, NJW 2001, 2076; vgl. ferner die Entscheidungen des OVG Münster vom 25.01.2001, NJW 2001, 223 sowie vom 29.06.2001, NJW 2001, 2986 und die jeweiligen Beschlüsse des BVerfG. 81  Vgl. zu der Aufsehen erregenden Kontroverse zwischen OVG Münster und BVerfG ausführlich Laubinger / Repkewitz, VerwArch Bd. 93 (2002). 149 (152 ff.). 82  OVG Münster NJW 2001, 2111. 83  OVG Münster NJW 2001, 2113. 84  OVG Münster NJW 2001, 2111.

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E. Kontextualisierung

Diese „Bereichsausnahme“ für Neonazis ähnelt zwar der verfassungsunmittelbaren Grundrechtsbegrenzung durch Art. 18 GG. Diese wurde jedoch bereits dergestalt präzisiert, dass sie eben keine immanente Schutzbereichsgrenze darstellt, sondern vielmehr an das Grundrecht von außen als Geltendmachungshindernis herantritt.85 Überdies trifft das OVG Münster seine Entscheidung in bewusster Abkehr von Art. 18 GG. Damit missachtet es nicht nur den ausdrücklichen Willen des Verfassungsgebers, zwar mit den Mitteln des Rechtsstaates gegen Angreifer auf die Verfassung vorzugehen, die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aber nur in den Fällen des Vereins- und Parteiverbots sowie der Grundrechtsverwirkung zu ahnden.86 Es deutet zudem wenig darauf hin, dass der Verfassungsgeber dem Grundgesetz – neben der einer rechtsstaatlich-demokratischen Verfassung immanenten Ablehnung nationalsozialistischer Staats- und Gesellschaftsauffassungen87 – zusätzlich eine spezifische Wertung gegen neonazistische Umtriebe unterlegt habe,88 die es nun in der Praxis zu ver­wirklichen gelte.89 Das OVG Münster bezweckt mit seinen Entscheidungen trotz allem aber ein grundrechtliches Gewährleistungsmodell, das auch in der vorliegenden Arbeit favorisiert wird. Art. 18 GG bewirkt danach nicht eine durch das BVerfG herbeigeführte Aberkennung von Grundrechten, ohne die gegen Freiheitsbekämpfer nicht rechtlich vorgegangen werden könnte und die andersherum als Quasi-Strafe gegenüber vollkommen neutralem Verhalten wirkt. Stattdessen muss Art. 18 GG als ex lege bestehende Gewährleistungsgrenze der genannten Grundrechte im Missbrauchsfall angesehen werden. Auch wenn es danach keine Bereichsausnahme für Neonazis per se gibt, kann bei Vorliegen der Merkmale des Art. 18 GG im Einzelfall sehr wohl diese Wirkung eintreten. Die vom OVG Münster angenommene verfassungsimmanente Beschränkung der Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1 GG bewegt sich des85  Siehe

unter D. II. 4. c). Enders, JZ 2008, 1092 (1093 f.) belegen diese Sondervorschriften zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sogar „gerade durch ihren Ausnahmecharakter, dass jenseits ihrer eng begrenzten Eingriffstatbestände überall unreglementierte Gedanken- und Redefreiheit zu obwalten hat“; ebenso HoffmannRiem, NJW 2004, 2777 (2779); vgl. auch Brüning, Der Staat 41 (2002), 211 (236). 87  Siehe auch Rühl, NVwZ 2003, 531 (532). 88  Es fragt sich überdies, wie Röger, Demonstrationsfreiheit für Neonazis?, S. 47 f., allein im Wortlaut des Art. 18 GG (ebenso in Art. 21 Abs. 2 GG) eine klare Absage an neonazistische Ideologien ausmachen will. Die Norm ist vielmehr bewusst neutral gehalten. Dass sie im Ergebnis (was sicher auch beabsichtigt war) natürlich auch gegen neonazistische Demokratiegegner einsetzbar ist, hat hingegen nichts mit einer vermeintlichen antinazistischen Grundtendenz zu tun. Röger lässt aber richtigerweise dem BVerfG im Rahmen von Art. 18 GG den Vorrang, darüber zu entscheiden, wer in concreto ein „Feind der Freiheit“ sei. 89  Vgl. Rühl, NVwZ 2003, 531 (532 f.). 86  Für



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG233

halb keineswegs „unterhalb der Schwelle“ der Grundrechtsverwirkung, sondern ist ihr dogmatisch durchaus gleichrangig, insoweit das Gericht sie aber allgemein für jede nazistische Äußerung annimmt, missachtet es sowohl den ultima-ratio-Charakter des Art. 18 GG als auch das womöglich rechtspolitisch fragwürdige, aber unabdingbare Monopol des BVerfG. c) Einengung der Sperrwirkung in der Literatur Auch die Lehre lehnte zunehmend ein aus Art. 18 GG abgeleitetes „Privileg des politisch Handelnden schlechthin“ ab.90 Die dabei hervortretende Schwierigkeit, Art. 18 GG einerseits als „Sperrnorm großen Stils“91 zu begreifen, andererseits aber nicht eine Vielzahl von Normen des (politi­ schen) Strafrechts und des Polizeirechts für verfassungswidrig zu befinden, zeigt nurmehr die Impraktikabilität der Verwirkungsnorm oder ihr grundlegend falsches Verständnis auf. Eine befriedigende Lösung für diesen Konflikt wurde jedenfalls – soweit ersichtlich – noch nicht entwickelt. aa) Fruchtbarmachung der generellen Verwirkungstheorie So meint Hönsch das Monopol des BVerfG darauf beschränken zu können, dass es nur die Aberkennung der Grundrechte für die Zukunft betreffe, wodurch andere staatliche Organe nicht daran gehindert würden, Missbrauchshandlungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, im Einzelfall zu bekämpfen.92 Die Tatsache, dass er diese Maßnahmen mit dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung in Art. 2 Abs. 1 GG rechtfertigen will, irritiert allerdings. Folgt man, wie Hönsch, der Ansicht, dass der Rechtsmissbrauch zugleich die Verwirkung des Rechts bedeute und damit lediglich die inhaltliche Grenze der Grundrechte aufzeige,93 erscheint die Schlussfolgerung, dass das bundesverfassungsgerichtliche Monopol allein die Verwirkung auch für die Zukunft betrifft, die sich rechtlogisch nicht unmittelbar aus der Missbrauchshandlung ergeben kann, der Rechtsmissbrauch selbst aber schon vorher von den Verwaltungsbehörden geahndet werden muss, geradezu zwingend. Darin liegt nämlich im Gegenteil noch gar keine generelle „Aberkennung“ der Grundrechte, 90  Stettner,

DVBl. 1975, 801 (804). Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 252. 92  Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG, S. 103 f.: lediglich abstrakt-allgemeine Grundrechtsbeschränkungen zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch den einfachen Gesetzgeber sollen demnach gegen das Monopol des BVerfG aus Art. 18 GG verstoßen. 93  Vgl. nur Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG, S. 27. 91  So

234

E. Kontextualisierung

sondern einzig die Beachtung der vom Verfassungsgeber von vornherein gesetzten Grenzen des Grundrechtsschutzes.94 Unter Zugrundelegung des generell-präventiven Verwirkungsverständnisses hat diese Auffassung Hönschs durchaus eine hohe Überzeugungskraft für sich. Freilich sagt sie nichts darüber, wann eine Rechtsfolge der Verwirkung gleichkommt und damit als gesperrt angesehen werden muss. bb) Gefahr und Prävention contra Repression Anders als Hönsch misst Schmitt Glaeser bereits dem Tatbestand von Art. 18 GG eine grundsätzlich umfassende Sperrfunktion bei.95 Er vertritt freilich einen sehr engen Missbrauchsbegriff, wonach gerade und ausschließlich das gewaltlose scheindemokratische Gebaren, das versteckte Werben für eine totalitäre Gewaltherrschaft vom Tatbestand der Verwirkungsnorm erfasst werden soll.96 Damit erklärt Schmitt Glaeser einerseits tatbestandlich gleichlaufende Strafnormen bereitwillig für verfassungswidrig, versucht aber andererseits entsprechende Regelungen des Sicherheits- und Ordnungsrechts vor dieser Folge zu bewahren, indem er mit verschiedenen Gefahrbegriffen operiert. So setze die im Rahmen von Art. 18 GG lediglich geforderte abstrakte Gefahr tatbestandlich früher an als die nötige konkrete Gefahr des Polizeirechts.97 Mit Recht hat aber schon Stettner dagegen eingewandt, dass Art. 18 GG schließlich auch bei einem bereits konkret gefährlichen Gegner zur Anwendung kommen müsse, so dass sich auch hier unweigerlich die Frage des Ausschlusses entsprechender einfachgesetzlicher Normen stellt.98 Zudem ließe sich fragen, warum Strafnormen, die naturgemäß keine Gefahr, sondern lediglich ein begangenes Unrecht – unabhängig von jeglicher Gefahrenprognose – voraussetzen, dann überhaupt der Ausschlusswirkung des Art. 18 GG unterfallen sollen. Dies führt letztlich unmittelbar zu der mehrfach geäußerten Ansicht, dass zwischen repressiv und präventiv wirkenden Maßnahmen zu unterscheiden sei und verkehrt damit zugleich das Ergebnis von Schmitt Glaeser in sein Gegenteil. 94  So muss wohl Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG, S. 109 f. verstanden werden, wonach gegen den „Grundrechtsmissbraucher“ im konkreten Fall unverzüglich durch die Verwaltungsbehörden eingeschritten werden könne, eine allgemeine Grundrechtsaberkennung aber wegen der Gefahr des Missbrauchs keinesfalls vor Entscheidung durch das BVerfG zulässig wäre. 95  Siehe Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung, S. 274 ff. 96  Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung, S. 138; vgl. dazu auch Stettner, DVBl. 1975, 801 (804). 97  So Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung, S. 66 ff. 98  Stettner, DVBl. 1975, 801 (805).



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG235

Zum Teil wird daher sogleich auf die schon früh vorgebrachte und zunächst verworfene Unterscheidung zwischen repressiven und präventiven Maßnahmen zurückgegriffen, da Art. 18 GG nach dem Willen des Verfassungsgebers nicht bereits bestehende einfachgesetzliche Staatsschutznormen sperren sollte.99 Damit wäre das gesamte politische Strafrecht verfassungsrechtlich unbedenklich und die Sperrwirkung des Art. 18 GG würde sich darauf beschränken, einzig dieselbe Rechtsfolge der Grundrechtsverwirkung verfassungsrechtlich auszuschließen.100 Auf diese Weise schließen Dürig /  Klein eine Konkurrenz mit Art. 18 GG dann aus, wenn an die Verwirk­ lichung desselben Tatbestandes eine Strafsanktion geknüpft werde, da diese repressiv wirke, während die Grundrechtsverwirkung präventive Bedeutung habe. Da Strafe aber keineswegs allein repressive Wirkung habe, sondern auch der Besserung und Sicherung diene (§§ 61 ff. StGB) und in diesem Zusammenhang gerade auch das Berufsverbot (§ 70 StGB) ermögliche, stelle sich die Frage der Vereinbarkeit mit Art. 18 GG auch hier.101 Diesem Problem ist aber mit der mittlerweile herrschenden Auffassung im Schrifttum102 aus dem Weg zu gehen, da Art. 18 GG andere gesetzliche Regelungen nur insoweit sperre, als sie sowohl im Tatbestand als auch in der Rechtsfolge mit der Norm übereinstimmen. Die verwirkungsgleiche Rechtsfolge könne aber nicht in jedweder Strafsanktion bestehen – auch wenn sie präventiv wirke –, sondern müsse tatsächlich ein „rechtliches aliud zur Grundrechtsverwirkung“103 darstellen.104 Damit ist nicht das strafrechtliche 99  So vor allem Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (166); ebenso bereits Haller, Grundrechtsverwirkung und Zuständigkeitsmonopol des BVerfG, S. 123. 100  So muss wohl Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (165 f.). verstanden werden, der damit zugleich die Sperrwirkung des Art. 18 GG sogar hinsichtlich jeglicher Präventivmaßnahmen aushebelt: „Das BVerfG besitzt kein Monopol für Präventivmaßnahmen zum Verfassungsschutz.“ Letztendlich mildert er diese Folge jedoch – was freilich etwas widersprüchlich erscheint – entscheidend ab, indem er später „verwirkungsgleiche“ Rechtsfolgen bei vergleichbaren Tatbeständen für verfassungswidrig erachtet (S. 167). 101  Dürig / Klein, in: Maunz  /  Dürig, GG, Art. 18 Rn. 135  f.; siehe auch Haller, Grundrechtsverwirkung und Zuständigkeitsmonopol des BVerfG, S. 123. 102  Vgl. in diesem Sinne etwa auch Stettner, DVBl. 1975, 801 (807) m. w. N., die Ausschlusswirkung bei gleicher Rechtsfolge soll danach erst recht gelten, wenn das betroffene Grundrecht in Art. 18 GG nicht genannt ist (also etwa bei der Berufsfreiheit); siehe auch Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 97. 103  Stern,  Staatsrecht III  /  2, S. 980; ähnlich auch Bettermann, JZ 1964, 601 (606): „Nur die Rechtsfolge der Verwirkung steht unter dem qualifizierten Richtervorbehalt des Art. 18 S. 2; alle anderen Sanktionen lässt er unberührt und damit auch dem Gesetzgeber Raum zur Normierung solcher Sanktionen und zur Regelung der behördlichen oder gerichtlichen Zuständigkeiten zu ihrer Verhängung.“ 104  So Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 140 m. w. N.

236

E. Kontextualisierung

Berufsverbot in § 70 StGB erfasst, wohl aber ein Berufsverbot für Journalisten im Fall des Verstoßes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. cc) Utilitaristische Argumentationen Einen anderen Weg geht Brüning, wenn er zwar anerkennt, dass das Monopol des BVerfG nicht dadurch gegenstandslos gemacht werden dürfe, dass Gesetzgeber oder Rechtsanwender „Tatbestände mit äquivalenten Rechtsfolgen schafft“, doch aus dieser Spezialität der Verfassungsschutzbestimmungen des Grundgesetzes nicht schließen will, dass sie abschließend im Hinblick auf Versammlungsverbote aufgrund von § 15 Abs. 1 VersG seien. Vielmehr komme es darauf an, ob die Rechtsfolgen des Art. 18 GG (respektive Art. 21 Abs. 2 GG) diejenigen anderer Normen nach der Regelungsabsicht der Verfassung nur ergänzen, sie modifizieren oder ob diese jene verdrängen sollen.105 Eine Versammlung könne also durchaus nach § 15 Abs. 1 VersG ausschließlich wegen Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verboten werden, ohne dass dies die rechtsstaatlichen Sicherungen etwa aus Art. 18 GG missachten würde. Mit der Begründung, einer Versammlung komme ein „Eigen- / Mehrwert“ zu,106 versucht er die Sperrwirkung des Art. 18 GG eleganter zu umgehen, als die von ihm abgelehnte Entscheidung des OVG Münster es wohl vermochte. Auch er verfolgt damit jedoch den Zweck, eine vermeintliche Lücke im System des präventiven Verfassungsschutzes zu schließen.107 Dass „verfassungsfeindliche Versammlungen in der medialen Demokratie eine über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinausgehende Wirksamkeit entfalten können“,108 mag richtig sein, heißt aber noch nicht, dass der Verfassungsgeber dieses Problem erstens nicht erkannt hat – schließlich sah er in Art. 18 GG die Möglichkeit einer Verwirkung auch der Versammlungsfreiheit vor – und zweitens sich nicht dennoch für eine größtmögliche Betätigung der politischen Freiheit entschieden haben kann, indem er Ausnahmen nur in den Grenzen des Art. 18 GG vorsah. 105  Brüning,

Der Staat 41 (2002), 211 (238). Der Staat 41 (2002), 211 (239), wobei unklar ist gegenüber was dieser Eigen- oder Mehrwert bestehen soll. Auch der Verweis auf entsprechende Straftatbestände für die „Möglichkeiten“ von Versammlungen überzeugt kaum, sondern zäumt das Pferd nur von hinten auf, anstatt das Problem beim Schopfe zu packen. 107  Mit Recht wenden Gusy, JZ 2002, 105 (110) sowie Rühl, NVwZ 2003, 531 (537) gegen diese Argumentation ein, dass allein der (Grund-)Gesetzgeber dazu berufen sei, solche scheinbaren Lücken zu schließen. 108  Brüning, Der Staat 41 (2002), 211 (243). 106  Brüning,



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG237

Pestalozza hingegen verwirft jegliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des politischen Strafrechts oder der Berufsverbote und will sie lediglich anhand der (nicht verwirkten) Grundrechte messen. Sind sie demnach grundrechtskonform, sollen sie unverändert gelten. Wurden die entsprechenden Grundrechte für verwirkt erklärt, stellen sie ohnehin keinen Prüfmaßstab für das einfache Recht mehr da, so dass sie seiner Verfassungsmäßigkeit erst recht nicht im Wege stehen.109 d) Verwirkungsgleiche Rechtsfolgen Weil das Monopol des BVerfG aus Art. 18 Satz 2 GG schlechterdings nicht geleugnet werden kann, ist die Sperrwirkung nach der oben beschriebenen, derzeit wohl herrschenden Auffassung darauf zu beschränken, solche Regelungen, die sowohl im Tatbestand als auch in der Rechtsfolge der Grundrechtsverwirkung aus Art. 18 GG gleichkommen, zu verhindern.110 Dabei muss jedoch zunächst klargestellt werden, was als verwirkungsgleiche Maßnahme gilt.111 Das generelle Verwirkungsverständnis führt rechtslogisch zu der Auffassung von Hönsch (die wohl auch von Dürig / Klein geteilt wird), dass das Monopol des BVerfG allein die (generelle) zukünftige Aberkennung von Grundrechten, nicht aber die unmittelbar auf eine konkrete Handlung bezogene Maßnahme (ob Strafe oder Verbot) betreffen kann, so dass im Ergebnis – trotz der sehr unterschiedlich ausdifferenzierten Herleitungen – ein gewisser Konsens darüber besteht, dass die Verwirkung nur ähnliche einfachgesetzliche Verwirkung, nicht aber funktionell davon verschiedene punktuelle Maßnahmen verdrängen kann. Als verwirkungsgleich wird dabei beispielsweise das Berufsverbot gegen einen Journalisten, der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung agiert, angesehen. Sobald also grundrechtlich geschützte Positionen aufgrund eines dem Art. 18 GG gleichenden Tatbestandes in einem anderen Verfahren als dem des Art. 18 Satz 2 GG entzogen werden, scheint nach nunmehr herrschender Meinung die Sperrwirkung der Verwirkungsnorm zu greifen. Eine konkrete Bezeichnung verwirkungsgleicher Rechtsfolgen fehlt indessen. Das von Gallwas als punktuell bezeichnete Verwirkungsverständnis würde hingegen seiner Meinung nach unweigerlich dazu führen, dass der ein109  Pestalozza,

Verfassungsprozessrecht, § 3 IV Rn. 20. nur Stern,  Staatsrecht III / 2, S.  979; Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (166); das gleiche meint wohl Seuffert, Zum Verfahren nach Art. 18 GG, in: Festschrift Geiger, S. 797 (799), wenn er das Monopol nur darauf beziehen will, „die Rechtsfolge ‚Verwirkung‘ an den Tatbestand zu knüpfen“. 111  Ebenso Stettner, DVBl. 1975, 801 (807). 110  Vgl.

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E. Kontextualisierung

zelne Bürger im Hinblick auf seinen Grundrechtsschutz gleichsam die Stellung einer Partei vor dem Verbot nach Art. 21 Abs. 2 GG und damit eine umfassende Privilegierung gegenüber eingreifenden Maßnahmen durch staatliche Organe genösse. Zum einen würde selbst das BVerfG gegen den Missbrauch anderer als in Art. 18 GG genannter Grundrechte vorgehen dürfen, zum anderen würde jede gegen eine Missbrauchshandlung konkret verhängte Maßnahme etwa der Polizei zugleich eine „kalte Grundrechtsverwirkung“ darstellen und damit aufgrund der Erstzuständigkeit des BVerfG verfassungswidrig sein. Das politische Strafrecht erführe zudem eine tiefgreifende Lähmung, weil Delikte gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung immer erst nach der Verwirkungsentscheidung und Außerkraftsetzung der entsprechenden Grundrechte durch das BVerfG bestraft werden dürften.112 Grundrechtsverwirkung würde nämlich nicht Aberkennung des Grundrechtsschutzes für die Zukunft, sondern vollständiges Außerkraftsetzen eines missbrauchten Grundrechts in einem konkreten Fall bedeuten. Auch Gallwas konkretisiert allerdings nicht die daraus folgende Verwirkungsgleichheit behördlicher oder einfachgesetzlicher Maßnahmen. Er scheint vielmehr davon auszugehen, dass jede irgendwie grundrechtsberührende staatliche Maßnahme im Falle eines dem Tatbestand des Art. 18 GG gleichkommenden Sachverhaltes mit einer Außerkraftsetzung grundrechtlichen Schutzes identisch oder zumindest faktisch gleichbedeutend sei. Dieser Auffassung wird im Rahmen des folgenden Lösungsansatzes nachzugehen sein. 4. Eigener Lösungsansatz Für eine weitgehende Sperrwirkung des Art. 18 GG spricht rechtspolitisch vor allem, dass diese Norm mit dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einen Verfassungsschutz und nicht bloß Staatsschutz bewirken soll.113 Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass der Staat allein gegen Angriffe durch das Volk, die Verfassung aber gegen Angriffe von „oben“, also von Seiten des Staates, genauso wie von „unten“, von Seiten des Volkes zu sichern ist. Für diese Dialektik des Verfassungsschutzes im Grundgesetz ist vielleicht Art. 79 Abs. 3 GG der beste Beweis, da sich diese Schutznorm sogar ausschließlich gegen den Staat und in keiner 112  Gallwas,

Der Missbrauch von Grundrechten, S. 122 f. diesem begrifflichen Unterschied auch Hamann, NJW 1962, 1845 (1847), der überzeugend die Gleichstellung vom Seinsbegriff „Staat“ als soziologischem Faktum mit dem Schutzobjekt der „verfassungsmäßigen Ordnung“ ablehnt; vgl. auch die Kritik von O. Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, S. 130 am bloßen „Staatsschutz“ des politischen Strafrechts. 113  Zu



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG239

Weise gegen die Gesellschaft richtet.114 Doch vermag das Ergebnis, dass damit ein überwiegend gut funktionierendes einfachgesetzliches Verfassungsschutzsystem verfassungswidrig sein soll, nicht recht zu befriedigen und kann auch vom Grundgesetzgeber kaum gewollt sein. a) Historische Auslegung Als eindeutiges Indiz dafür, dass der Verfassungsgeber neben Art. 18 GG einen einfachgesetzlichen Staatsschutz zulassen wollte, wurde auch Art. 143 GG a. F. angesehen, der ersichtlich von einem Nebeneinander von verfassungs- und strafrechtlichem Staatsschutz ausging.115 Entsprechend war der Bundesjustizminister Dehler – derselbe, der nur zwei Jahre zuvor im Parlamentarischen Rat so nachdrücklich wie überzeugend für die Einführung des BVerfG-Monopols plädiert hatte – bei der ersten Lesung des Strafrechtsänderungsgesetzes im Bundestag 1951 den auf Art. 18 GG gründenden Bedenken der Kommunisten gegen die Einführung der neuen Staatsgefährdungsdelikte mit den Worten entgegen getreten: „Die Verwirkung des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit nach Art. 18 GG, die durch das BVerfG ausgesprochen werden muss, hat gar nichts zu tun mit der Strafbarkeit derjenigen, die eine Vereinigung gründen, deren Zweck und Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten.“116 Für die Verfasser des Gesetzes lag Backes zufolge die Bedeutung der Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG ausschließlich darin, den Erlass der Staatsgefährdungsdelikte zu legitimieren.117 Interpretationen von Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG, die vom Prinzip der grundsätzlich unbeschränkten politischen Freiheit ausgingen und staatliche Eingriffe in gewaltlose politische Aktivitäten nur ausnahmsweise zulassen wollten, trat man in den Beratungen entschieden entgegen.118 Diese Herangehensweise, die nach eigenem Bekunden des damaligen Ministe114  Vgl. in diesem Sinne Groh, Zwischen Skylla und Charybdis, in: Gusy (Hrsg.), Weimars langer Schatten, S. 425 (431). 115  Art. 143 GG a.  F. enthielt in Abs. 1–5 eigenständige strafrechtliche Verfassungsschutzbestimmungen, Abs. 6 lautete: „Die vorstehenden Vorschriften gelten bis zu einer anderweitigen Regelung durch Bundesgesetz.“, womit deutlich wurde, dass der Verfassungsgeber das Tätigwerden des einfachen Gesetzgebers geradezu erwartete. Vgl. in diesem Sinne auch Seiters, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 18 Rn. 44 (Fn. 85). 116  Dehler, Stenographischer Bericht I / 6314 D; vgl. ausführlich dazu O. Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, S. 82 ff. 117  BT-Drs. I  /  1307, S. 28: „Denen, die sich […] anschicken, die freiheitliche demokratische Grundordnung unter Missbrauch der demokratischen Freiheitsrechte zu bekämpfen (vgl. Art. 18 GG), muss wirksam entgegengetreten werden, nötigenfalls mit den Mitteln eines schlagkräftigen Strafrechts.“ 118  Siehe O. Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, S. 83.

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E. Kontextualisierung

rialdirigenten im Bundesjustizministerium Rotberg keine „vornehme, sehr theoretische, sehr akademische, sehr zarte Begriffserörterung“ darstellte, sondern „ganz zweifellos in erster Linie Angelegenheit einer politischen Willensentscheidung und eines politischen Bekenntnisses“ war,119 kann in diesem Zusammenhang trotz ihrer geringen dogmatischen Fundierung kaum verkannt werden – zumal sie auch von Abgeordneten des Parlamentarischen Rates gestützt wurde. b) Teleologische Auslegung Wenn im Rahmen einer extensiven Sperrwirkungstheorie teilweise behauptet wird, wegen Art. 18 GG könnten Versammlungen von Rechtsextremisten aufgrund der von ihnen verfolgten politischen Ziele erst dann verboten oder aufgelöst werden, wenn ein Verwirkungsverfahren durchgeführt wurde,120 muss dem allein deshalb widersprochen werden, weil natürlich nicht gewollt sein kann, dass Versammlungen von Neonazis schlechthin erlaubt sein müssen, solange gegen sie121 keine Verwirkung der Versammlungsfreiheit ausgesprochen wurde, während gegen nicht extremistisch motivierte Versammlungen ohne Weiteres nach § 15 Abs. 1 VersG vorgegangen werden kann. Daneben stellen folgende Aspekte ein entscheidendes Argument gegen eine weitreichende Sperrwirkung des Art. 18 GG dar: Ein Art. 21 Abs. 2 GG entnommenes Privileg der politischen Parteien, dergestalt dass sie durch den Staat vor Ausspruch des BVerfG nicht als verfassungswidrig behandelt werden dürfen, vermag aufgrund ihrer überragenden Bedeutung für die Verfassungswirklichkeit zweifelsohne zu überzeugen. Doch, dass ein offen gegen den Verfassungsstaat agierender Bürger, hinsichtlich seines Grundrechtsschutzes gegenüber anderen lediglich gegen einfachgesetzliche Verbote verstoßende Bürger privilegiert werden soll, erscheint geradezu absurd. c) Dogmatische Argumentation Entscheidend aber dürfte das Verwirkungsverständnis sein. Nachdem einzig die Ansicht überzeugt, dass die Sperrwirkung des Art. 18 Satz 2 GG nur bei Übereinstimmung von Tatbestand und Rechtsfolge eintritt, ist nach wie 119  Rotberg,

38. DJT, S. E 72 ff. etwa Rühl, NJW 1995, 561 (562), der die Sinnhaftigkeit dieser Schlussfolgerung sodann aber selbst bezweifelt (Fn. 12). 121  Gegen wen eigentlich? Dieser Ansicht zufolge müsste wohl gegen jeden einzelnen auf der Versammlung ein Verwirkungsverfahren eingeleitet und positiv beschieden worden sein. 120  So



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG241

vor allein unklar, wann eine Übereinstimmung der Rechtsfolgen vorliegt. Es muss also geklärt werden, wann eine einfachgesetzliche Norm und behördliche Maßnahme ebenfalls eine Grundrechtsverwirkung oder zumindest eine verwirkungsähnliche Rechtsfolge bewirkt. Die Verwirkung hat in Art. 18 GG die Funktion, als missbräuchlich angesehene Freiheitsbetätigungen zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht dem Abwehrschutz der Grundrechte zu unterstellen. Nach der hier vertretenen Außentheorie ist der Freiheitsmissbrauch indes nicht von vornherein den Grundrechtsschutz entzogen, vielmehr verhindert der Einwand der Verwirkung, dass der Missbrauchende dem Staat gegenüber den Grundrechtsschutz geltend machen kann. Eine einfachgesetzliche Regelung müsste also genau diese Grundrechtsgewährleistung betreffen, wenn die Sperrwirkung des Art. 18 Satz 2 GG ausgelöst werden soll. Strafrechtliche Vorschriften sind dogmatisch als nachträglicher Eingriff in ein Grundrecht einzuordnen, welcher verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist.122 Auch wenn ihre Anwendung de facto zu einer Aberkennung des Grundrechtsschutzes im Einzelfall führt, bewegen sie sich auf anderer Ebene als Art. 18 GG, der bereits auf der Achse des grundrechtlichen Gewährleistungsbereichs ansetzt.123 Gleiches gilt freilich erst recht für behördliche Maßnahmen aufgrund von Gesetzen: Sie vermögen dogmatisch gesehen zwar Grundrechte einzuschränken, nicht aber deren Geltendmachung gänzlich zu verhindern. Genau genommen liegt also überhaupt keine verwirkungsähnliche Rechtsfolge vor, deren Besonderheit es gerade ist, dem Betroffenen das Vorbringen des Grundrechtsschutzes von vornherein zu verwehren und den Verfassungsschutz nicht erst hiergegen abwägen zu müssen. Inwieweit durch das einfache Staatsschutzrecht auf schnellerem Wege das gleiche Ergebnis erzielt und damit das Monopol des BVerfG faktisch umgangen wird, kann nicht Gegenstand der Untersuchung einer Sperrwirkung sein. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine rechtspolitische Frage, die letztendlich auf eine Anzweiflung des BVerfG-Monopols oder rechtsstaat­ liche Bedenken gegen das Staatschutzrecht hinauslaufen muss. Aus Art. 18 Satz 2 GG jedenfalls kann sich seine Verfassungswidrigkeit nicht ergeben. Legt man nunmehr das hier vorgeschlagene Verwirkungsmodell zugrunde, fügt sich das einfachgesetzliche Recht sogar mühelos in die Systematik des Art. 18 GG ein. Soweit die verfolgungswürdige Handlung nicht in den Anwendungsbereich des Art. 18 GG fällt oder (noch) kein Verwirkungsverfahren 122  Vgl. zur gegenseitigen Beschränkung von Strafrecht und Grundrechten im Wege der praktischen Konkordanz Schmidt-Jortzig, Grenzen der staatlichen Strafgewalt, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, S. 505 (512 f.); ebenso Maunz, Die Suche nach den Schranken der Grundrechte, in: Festschrift Schäfer, S. 7 (10 f.). 123  So auch Reißmüller, JZ 1960, 529 (532 f.).

242

E. Kontextualisierung

erfolgreich durchgeführt wurde, müssen sich die Normen oder Maßnahmen allgemein an den betroffenen Grundrechten messen lassen. Handelt es sich jedoch um eine Aktivität zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und wurde ein Verwirkungverfahren mit Erfolg abgeschlossen, können individuelle Abwehrrechte gegen die Vorschriften oder Maßnahmen nicht vorgebracht werden,124 so dass sie regelmäßig restriktiver ausgestaltet sein können. Das Anknüpfen an den Tatbestand des Handelns gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bewirkt also nichts anderes als einen größeren Handlungsspielraum von Gesetzgeber und Verwaltung. d) Fazit Als Beispiel einer durch die Sperrwirkung des Art. 18 Satz 2 GG ausgeschlossenen Maßnahme wird immer wieder die Verhängung des Berufsverbots gegen einen Journalisten, der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung agiert, genannt. Betrachtet man diesen Fall vor dem Hintergrund, dass nur der gleiche Tatbestand wie die gleiche Rechtsfolge die Ausschlussfunktion des BVerfG-Monopols aktivieren können, schwindet seine Bedeutung für die Sperrwirkung. Zwar liegt der gleiche Tatbestand wie bei der Grundrechtsverwirkung vor, doch kommt ein Berufsverbot mitnichten der Verwirkungsfolge gleich. Dass diese kein konkretes Handlungsverbot zu begründen vermag, sondern lediglich die Abwehrfunktion der Grundrechte gegen den Staat betrifft, wurde bereits festgestellt.125 Ein Berufsverbot schließt jedoch weder die Geltendmachung der Berufs- noch der Pressefreiheit kategorisch aus, sondern kann im Ergebnis lediglich die ihnen zugrunde liegende Freiheit schmälern. Daher muss sich das Berufsverbot im Regelfall an den hierdurch eingeschränkten Grundrechten messen lassen. Allein die Grundrechtsverwirkung ermöglicht ein Berufsverbot ohne Beachtung der missbrauchten Grundrechte. Dies gilt nach dem missbrauchsbezogenen Verwirkungsverständnis freilich nur für die missbrauchte Pressefreiheit. Das Berufsverbot könnte dem Journalisten folglich unter Berufung auf Art. 18 GG für die Publikation bestimmter Schriften oder die Herausgabe einer exremistischen Zeitschrift erteilt werden, nicht jedoch für jegliche journalistische Betätigung – und sei es das Verfassen von Kochrezepten. Ein solches Verbot müsste sich ungemindert an Art. 12 Abs. 1 und 5 Abs. 1 Satz 2 GG messen lassen. In einer Kammerentscheidung vom 8. Dezember 2010 zur Verfassungswidrigkeit einer im Rahmen der Führungsaufsicht erteilten Weisung, durch die dem Beschwerdeführer ein fünfjähriges Publikationsverbot für die VerMaurer, Staatsrecht I, § 23 Rn. 15. unter D. II. 4. c).

124  Ebenso 125  Siehe



I. Sperrwirkung von Art. 18 GG243

breitung rechtsextremistischen und nationalsozialistischen Gedankenguts auferlegt wurde,126 lässt sich diese Systematik nachvollziehen. Das BVerfG prüfte die Vereinbarkeit der Weisung nach § 68 Abs. 1 Nr. 4 StGB mit der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers. Da dieses Grundrecht schließlich nicht für verwirkt erklärt worden war, musste das Publikationsverbot eine verhältnismäßige Einschränkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG darstellen, was das BVerfG allerdings verneinte. Im Rahmen der Abwägung ging das Gericht jedoch auch auf die Sperrwirkung des Art. 18 GG ein: „Unverhältnismäßig sind jedenfalls an Meinungsinhalte anknüpfende präventive Maßnahmen, die den Bürger für eine gewisse Zeit praktisch gänzlich aufgrund seiner gehegten politischen Überzeugung von der – der freiheitlichen demokratischen Staatsordnung schlechthin konstituierenden – Teilhabe an dem Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ausschließen; dies kommt einer Aberkennung der Meinungsfreiheit selbst nahe, die nur unter den Bedingungen des Art. 18 GG zulässig ist.“

Hier offenbart sich wiederum das irrige Verwirkungsverständnis des BVerfG: Dass ein umfassendes Publikationsverbot de facto einer Aberkennung der Meinungsfreiheit gleichkommt, bedeutet eben keinen Eingriff in die ausschließliche Kompetenz des BVerfG nach Art. 18 Satz 2 GG. Die Grundrechtsverwirkung hat mit ihrer Grundrechte hemmenden Wirkung eine andere Funktion als die Grundrechte einschränkende Gesetze. Gerade deshalb müssen die Gerichte ja die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall sorgfältig gegen die Grundrechte des Betroffenen abwägen, wie das BVerfG zutreffend betont hat. Abgesehen davon, dass auch die Grundrechtsverwirkung keine vollständige „Aberkennung“ der Meinungsfreiheit bewirken kann, ist dieses faktische Ergebnis des Publikationsverbots nicht aufgrund der Sperrwirkung des Art. 18 GG, sondern weil der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das öffentliche Interesse an der Weisung insofern überwiegt, verfassungswidrig. Zusammenfassend lässt sich das Problem der Sperrwirkung und gleichzeitigen Verfassungswidrigkeit einer Vielzahl von einfachgesetzlichen Vorschriften des Straf- und Polizeirechts, anders als bislang versucht, nicht dadurch lösen, dass man etwa nach repressiver Natur der Strafe und präventiver Natur der Grundrechtsverwirkung differenziert oder gar den spezialpräventiven Vergeltungscharakter des Strafrechts gegen seinen Art. 18 GG bedenklich nahe kommenden generalpräventiven Abschreckungszweck ausspielt127 oder auf den Unterschied zwischen Reaktion auf eine konkrete Maßnahme und dem finalen Element einer Aberkennung des grundrecht­ 126  BVerfG,

Beschluss v. 08.12.2010 – 1 BvR 1106 / 08 –. Auffassung vertritt Haller, Grundrechtsverwirkung und Zuständigkeitsmonopol des BVerfG, S. 127. 127  Diese

244

E. Kontextualisierung

lichen Schutzes pro futuro abstellt. Stattdessen ist Pestalozza, der jedoch keine dogmatische Argumentation liefert, zuzustimmen und Gallwas, der im Rahmen des von ihm so genannten punktuellen Verwirkungsverständnisses aufgrund seiner unspezifisch großzügigen Annahme verwirkungsähnlicher Sanktionen zu dem eben gegenteiligen Ergebnis kommt, zu widersprechen: Die Sperrwirkung des Art. 18 Satz 2 GG stellt in Wahrheit ein Scheinproblem dar und vermag keinerlei praktische Konsequenzen zu zeitigen.

II. Verhältnis zu Art. 21 Abs. 2 und 9 Abs. 2 GG Regelmäßig wird das Verhältnis der Grundrechtsverwirkung zu den Verfassungsschutzbestimmungen des Art. 21 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 GG als problematisch behandelt. Dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Erstens wurde die Frage aufgeworfen, wie sich das Verhältnis zwischen Parteienund Vereinsverbot einerseits und Grundrechtsverwirkung von Mitgliedern der Partei bzw. der Vereinigung andererseits gestaltet. Zweitens ist zu untersuchen, welche Beziehung zwischen Parteien- und Vereinsverbot sowie Verwirkung von Grundrechten der jeweiligen Partei oder des Vereins selbst besteht.128 Zunächst ist festzuhalten, dass auch juristische Personen über Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechte verwirken können, wobei eine Verwirkung der Vereinigungsfreiheit durch eine Partei oder einen Verein deren Verbot gleichzukommen scheint.129 Einzelne Vereins- oder Parteimitglieder können dabei ohne Schwierigkeiten Adressat der Verwirkungsnorm bleiben,130 was allerdings teilweise für Parteimitglieder vor der Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens aufgrund des Parteienprivilegs aus Art. 21 Abs. 1 und 2 GG abgelehnt wird.131 Allerdings weist Art. 18 GG mit dem Entscheidungsmoauch Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, S. 241. etwa Gastroph, BayVBl. 229 (231). Teilweise wird allerdings bereits bestritten, dass sich der Adressatenkreis dieser Normen überschneiden kann. Art. 18 GG soll grundsätzlich nur natürliche Personen betreffen, Art. 9 Abs. 2 GG nur Vereine und Art. 21 Abs. 2 GG nur Parteien. Vgl. Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, S. 244. 130  Ganz überwiegende Ansicht, siehe nur BVerfGE 2, 1 (74  f.); 25, 44 (60); Stern, Staatsrecht III / 2, S. 981; ausführlich Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, S. 241  ff.; differenzierend Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (164). 131  Vgl. Hönsch, Die Verwirkung von Grundrechten, S.  74  ff.; Krebs, in: v. Münch  /  Kunig, GG, Art. 18 Rn. 21. Noch weitgehender Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 72, 76, der das gleiche im Rahmen des sog. Vereinsprivilegs vertritt – schwer vorstsellbar, dass das aufwendige Verwirkungsverfahren gegen alle Vereinsmitglieder ein einfaches Vereinsverbot aushöhlen soll. 128  Vgl. 129  So



II. Verhältnis zu Art. 21 Abs. 2 und 9 Abs. 2 GG245

nopol des BVerfG dasselbe rechtsstaatliche Schutzniveau wie das Parteiverbot auf, eine Umgehung desselben ist damit nicht anzunehmen. Ein Nebeneinander der Verfassungsschutznormen soll dagegen für die Zusammenschlüsse von mehreren Personen im Verein oder in einer Partei aus Gründen der Spezialität nicht gelten.132 Diese pauschale Ergebnis befriedigt nicht, wird es doch der besonderen und von Vereins- sowie Parteiverbot qualitativ verschiedenen Bedeutung des Art. 18 GG nicht gerecht. Deshalb soll im Folgenden ein besonderes Augenmerk auf das vermeintliche Konkurrenzverhältnis dieser Normen zueinander gerichtet werden. 1. Art. 21 Abs. 2 GG Nach ganz überwiegender Auffassung stellt Art. 21 Abs. 2 GG die speziellere Vorschrift gegenüber Art. 18 GG dar.133 Dies sei der Sonderstellung der Partei als Normadressat des Art. 21 Abs. 2 GG geschuldet.134 Der Adressatenkreis der Normen sei demzufolge ein verschiedener. Zu klären bleibt jedoch, warum unter „wer“ in Art. 18 GG nicht eine Partei fallen kann.135 Schließlich können auch juristische Personen Adressat der Verwirkungsbestimmung sein,136 so dass Art. 19 Abs. 3 und damit auch Art. 18 GG anwendbar sind. Dies gilt nicht nur, soweit die Partei etwa als eingetragener Verein eine eigene Rechtspersönlichkeit hat, Art. 19 Abs. 3 GG ist vielmehr auch auf andere (teil-) rechtsfähige Personenvereinigungen und damit auch auf Parteien anwendbar.137 Dagegen wird mit der ratio des Verfassungsschutzes argumentiert: Das verfassungsfeindliche Verhalten einer sich ausschließlich im politischen Raum betätigenden Partei müsse stets zu ihrer Auflösung und damit politischen Ausschaltung führen.138 Demgemäß wird der Unterschied von Art. 18 132  Anders jedoch Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 38, der die Grundrechtsverwirkung als selbständiges Verfahren sowohl neben Art. 21 Abs. 2 als auch neben Art. 9 Abs. 2 GG ansieht. 133  Siehe nur Dürig / Klein, in: Maunz  /  Dürig, GG, Art. 18 Rn. 119; Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art.  21 Rn.  511. 134  Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S.  234 m. w. N. 135  So aber ohne nähere Begründung Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 234. 136  Siehe bereits unter B. I. 1. 137  Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 19; Streinz, in: v. Mangoldt  /  Klein / Starck, GG, Art. 21 Abs. 1 Rn. 34. 138  Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 119; Seiters, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 18 Rn. 42; weniger rigoros Morlok, NJW 2001, 2931 (2933), der die „positive Wirkung“ extremer poltischer Parteien als „Rauchmelder“ hervorhebt.

246

E. Kontextualisierung

zu Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG meist darin gesehen, dass der dem Verbot zugrundeliegende Sachverhalt ein anderer sei: Während Vereinigungs- und Parteiverbot auf die spezifische Gefahr, die von einer organisierten Masse, ihrer gemeinsamen Ausrichtung, Vernetzung und Breitenwirkung ausgehe, reagiere, richte sich die Grundrechtsverwirkung gegen freiheitsspezifische Täuschungsaktivitäten des Individuums.139 Diese Auffassung trägt richtigerweise dem spezifischen Missbrauchstatbestand des Art. 18 GG Rechnung. Letztlich ist das Problem jedoch ein rein theoretisches, weil bei entsprechendem Sachverhalt zweckmäßigerweise eher ein Antrag auf Parteiverbot als ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung gestellt werden würde. 2. Art. 9 Abs. 2 GG Als schwieriger erweist sich das Verhältnis von Art. 18 GG zum Vereinigungsverbot des Art. 9 Abs. 2 GG. Indem Art. 18 GG auch die Vereinigungsfreiheit als verwirkbar benennt, geraten das Verbot eines sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtenden Vereins gemäß Art. 9 Abs. 2 GG und die Verwirkung seines Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit sowie dasjenige seiner Mitglieder unweigerlich miteinander in Konflikt. Da eine Verschiedenheit des Adressatenkreises nunmehr nicht in Betracht kommt,140 müssen andere Abgrenzungskriterien gefunden werden. Dieses Problem ist in der Literatur wiederholt diskutiert worden. So wird zum einen vertreten, dass der Tatbestand des Art. 18 GG enger sei als der des Art. 9 Abs. 2 GG. Die Tathandlungsvoraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG, der lediglich ein „Sich-gegen-richten“ verlange, seien weiter gefasst als die des Art. 18 GG, der sich auf bestimmte Grundrechte und ihren Missbrauch beziehe. Art. 18 GG verlange demgemäß ein „Mehr an Gefahr“.141 Diese Sichtweise scheint allerdings verkürzt, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Grundrechtsmissbrauch gerade in einem Handeln „zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ besteht und der Tatbestand des Art. 9 Abs. 2 GG sich nach der Rechtsprechung des BVerwG ebenfalls in einer „aggressiv-kämpferischen“ Grundhaltung erfüllen soll142 und mithin tatbestandlich Art. 21 Abs. 2 GG gleichkommt.143 139  Eingehend Schmitt Glaeser, HdbGR III, § 74 Rn. 25, der den Grundrechtsmissbrauch als „Etikettenschwindel“ tituliert (Rn. 24); ebenso wohl Isensee, JuS 1973, 265 (267). 140  Anders aber Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, S. 243 ff. 141  So Schmitt Glaeser, Missbrauch und Verwirkung von Grundrechten, S. 238 f. 142  BVerwGE 37, 344 (358) – Ludendorff; 61, 218 (220). 143  Planker, NVwZ 1998, 113 (116).



II. Verhältnis zu Art. 21 Abs. 2 und 9 Abs. 2 GG247

Demgegenüber sehen einige die Grundrechtsverwirkung und die Vereinigungsfreiheit als selbständig nebeneinander stehend an,144 während wieder andere – insbesondere kurz nach Entstehen des Grundgesetzes – von der Spezialität des Art. 18 GG ausgingen.145 Letztere Auffassung vermag deshalb nicht zu überzeugen, weil Art. 9 Abs. 2 GG keine Aufspaltung in verschiedene Verbotstatbestände vorsieht, mit der Folge, dass der Missbrauch der Vereinigungsfreiheit zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht zum Verbot des Vereins nach Art. 9 Abs. 2 GG führen würde.146 Zumeist aber wird wohl Art. 9 Abs. 2 wie Art. 21 Abs. 2 GG seinem Sinn nach als lex specialis gegenüber Art. 18 GG begriffen.147 Thiel zufolge ist dies bereits deshalb der Fall, weil nach Art. 9 Abs. 2 GG Vereinigungen bereits ipso iure verboten seien und die zuständige Behörde nur deren Auflösung anzuordnen habe. Damit sei Art. 9 Abs. 2 GG gegenüber Art. 18 GG die engere Vorschrift.148 Allerdings verfängt sein Argument, die von Verfassungs wegen bereits verbotene Vereinigung könne schließlich nicht mehr ihre Vereinigungsfreiheit verwirken, nicht, da die Auflösung der Vereinigung eben erst angeordnet werden muss. Eine lediglich verbotene Vereinigung tritt jedoch weiterhin als Vereinigung in der Öffentlichkeit in Erscheinung und kann sich demgemäß grundsätzlich auch auf ihre Vereinigungsfreiheit berufen oder sie zumindest faktisch betätigen. Ein Verwirkungsverfahren könnte deshalb durchaus noch durchgeführt werden. Differenzierter argumentiert Heinrich: Art. 18 GG bewirke lediglich die Verwirkung der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG. Diese stünde zwar in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG auch der Vereinigung zu, so dass 144  Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf, GG, Art.  18 Rn.  15; Seiters, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 18 Rn. 41; siehe auch Gastroph, BayVBl. 1969, 229 (232), der allerdings das exekutive Verbot gegenüber dem gleichen Antragsgegner für spezieller hält; anderen Vereinen gegenüber sei Art. 18 GG aber durchaus anwendbar. Der Fall, dass der Staat lieber ein Verwirkungsverfahren einleitet, als den Verein schlicht zu verbieten, ist angesichts der Hürden der Grundrechtsverwirkung erstens recht unwahrscheinlich; zweitens ist es eine Selbstverständlichkeit, dass gegen einen bereits exekutivisch verbotenen Verein kein Verwirkungsverfahren mehr durchgeführt werden kann; vgl. auch Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 75. 145  Siehe E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 254 f.; Pfeiffer, Die Verfassungsbeschwerde in der Praxis, S. 158; Reißmüller, JZ 1960, 529 (533). 146  So überzeugend Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 116. 147  Dürig / Klein, in: Maunz  / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 116; Scholz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 9 Rn. 121; Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 75. 148  Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (165); vgl. auch Willms, NJW 1957, 1617 f.; nach Planker, NVwZ 1998, 113 (117) ist das Vereinsverbot als Verwaltungsakt allerdings konstitutiv und tritt eben nicht ipso iure ein. Sein Verweis auf § 3 Abs. 1 VereinsG vermag allerdings nicht überzeugen, kann eine einfache Gesetzesregelung doch nicht Verfassungsrecht derogieren; im Ergebnis ebenso Wiese, ZRP 1976, 54 (57).

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E. Kontextualisierung

sie sich etwa mit anderen Vereinigungen korporativ zusammenschließen könnte, doch führe ihre Aberkennung noch lange nicht zur Auflösung der Vereinigung. Erst die Grundrechtsverwirkung aller Mitglieder würde faktisch die Existenzberechtigung des Vereins aufheben. Damit stelle die Verwirkung gegenüber dem Vereinigungsverbot keine spezielle oder generelle Regelung, sondern ein aliud dar.149 Hierzu ist allerdings anzumerken, dass nach überwiegender Ansicht die Vereinigungsfreiheit auch das Recht der Vereinsbetätigung selbst umfasst,150 so dass Überschneidungen des Vereinsverbots mit der Verwirkung der Vereinigungsfreiheit zumindest nach dieser Auffassung in Betracht kommen. Aber auch in diesem Zusammenhang gilt das oben Gesagte: Das Problem ist praktisch wohl bedeutungslos, weil die Auflösungsanordnung in der Regel zweckmäßiger ist und mangels Entscheidungsmonopol des BVerfG sehr viel einfacher und schneller durch die Exekutive erreicht werden kann als das aufwendige Verwirkungsverfahren.151 3. Eigene Bewertung Zumeist wird heute von dem Grundsatz ausgegangen, dass Art. 18 GG hinter die „kollektivrechtlichen Parallelmaßnahmen“ zurücktrete.152 Hierbei kommt man allerdings nicht umhin zu fragen, ob es sich bei Partei- und Vereinsverbot tatsächlich um Parallelmaßnahmen zur Grundrechtsverwirkung für Kollektive handelt. Dies wird zwar gemeinhin angenommen, rührt aber von dem hier als impraktikabel und dogmatisch nicht einordbar geschilderten Verwirkungsverständnis her. Wenn man die Grundrechtsverwirkung als eigenständiges Institut des Verfassungsschutzes begreift, das, vom BVerfG ausgeübt, den Missbrauchenden für eine gewisse Dauer grundrechtslos stellen soll, liegt eine Parallele zum Partei- und Vereinsverbot tatsächlich nahe. Bei genauer Betrachtung unter Zugrundlegung des missbrauchsbezogenen Verwirkungsverständnisses fällt jedoch auf, dass die Rechtsfolgen von Art. 18 GG einerseits sowie Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG andererseits keineswegs gleichlaufen. 149  Heinrich,

Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, S. 244 f. 30, 227 (241): auch das „gemeinsame vereinsmäßige Handeln an sich“ sei erfasst; vgl. zusammenfassend Kunig, Jura 1995, 384 (385 f.) m. w. N. 151  Vgl. Butzer / Clever, DÖV 1994, 637 (639 f.), die allerdings dieses Argument allein als Begründung für die Vorrangigkeit von Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG heranziehen – eine dogmatisch freilich zweifelhafte Vorgehensweise. 152  Butzer / Clever, DÖV 1994, 637 (639); Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (163) m. w. N.; ähnlich Seuffert, Zum Verfahren nach Art. 18 GG, in: Festschrift Willi Geiger, S. 797 (798). 150  BVerfGE



II. Verhältnis zu Art. 21 Abs. 2 und 9 Abs. 2 GG249

Eigentlich müssten Art. 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG überflüssig sein, wenn man die Grundrechtsverwirkung als vollständige Aberkennung des Grundrechtsschutzes verstünde oder gar als immanente Schutzbereichsbegrenzung. Dann würde das verfassungsfeindliche Handeln einer Partei oder einer Vereinigung entweder per se keinen Grundrechtsschutz aus Art. 9 Abs. 1 GG genießen oder nachträglich von diesem ausgenommen werden können. Beides hätte zur Folge, dass die Partei bzw. die Vereinigung jederzeit aufgelöst werden könnte.153 Damit braucht es eines entsprechenden Verbots aber überhaupt nicht, was ersichtlich nicht Zweck dieser Verfassungsbestimmungen sein kann. Bereits diese systematischen Erwägungen sprechen mithin für ein dogmatisch und faktisch von den Verbotsinstituten zu unterscheidendes Verwirkungsverständnis. Genau dies vermag die missbrauchsbezogene Verwirkungslehre zu leisten: Die Verwirkungsentscheidung des BVerfG führt danach einzig dazu, dass die Vereinigung sich nicht mehr auf die verwirkten Grundrechte berufen kann. Nimmt man mit der herrschenden Meinung an, dass der Vereinigung selbst aus Art. 9 Abs. 1 GG das Recht zusteht, sich als Vereinigung zu betätigen, kann auch dieses Recht bei entsprechender missbräuchlicher Aktivität verwirkt werden. Somit könnte sich die Vereinigung im Einzelfall zwar nicht mehr auf ihr Grundrecht der Vereinsbetätigung berufen, ein Verbot geht damit jedoch nicht unmittelbar einher. Dieses kann vielmehr nach § 3 Abs. 1 VereinsG nur im Rahmen des Art. 9 Abs. 2 GG von der Verbotsbehörde ausgesprochen werden, was freilich regelmäßig der näher liegende Weg als der Antrag auf Grundrechtsverwirkung sein wird. Festzuhalten ist damit, dass die Grundrechtsverwirkung stets unterhalb der Schwelle des Verbots bleibt.154 Sie erlaubt lediglich einschränkende Maßnahmen gegen Parteien oder sonstige Vereinigungen im einzelnen Missbrauchsfall, ohne dass diese sich hiergegen unter Berufung auf die verwirkten Grundrechte wehren könnten. Ein Mittel könnte dabei das Einfrieren von Konten oder die Einziehung des Vereinsvermögens sein, wogegen sich der Verein für die Dauer der missbräuchlichen Ausnutzung seiner Vereinigungs- respektive Eigentumsfreiheit nicht unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG wehren könnte. Freilich bedarf es hierfür entsprechender Gesetze, da der rechtsstaatliche Vorbehalt des Gesetzes nicht verwirkt werden kann.155 153  Die Partei genießt freilich über Art. 21 Abs. 1 GG einen besonderen Verfassungsrang, unabhängig von ihrem Grundrechtsschutz aus Art. 9 Abs. 1 GG. Ob dessen Verwirkung daher zu ihrer Auflösung führen könnte, erscheint fraglich, ist aber – das Fehlen des Art. 21 Abs. 2 GG unterstellt – zumindest nicht ausgeschlossen. 154  In diesem Sinne auch Pestalozza,  Verfassungsprozessrecht, § 3 Rn. 18 f. 155  Siehe D. IV. 3.

250

E. Kontextualisierung

Ob Art. 18 GG gegen Parteien auch dergestalt wirken könnte, dass er eine Aussetzung staatlicher Finanzierung ermöglichen würde, erscheint demgegenüber angesichts der hervorgehobenen verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG nicht wahrscheinlich, wenngleich dies sicher als zeitweiliges Minus zum Parteiverbot durchaus in Betracht kommen würde.156 Vor dem Hintergrund der verfestigten, sehr weitreichenden Auslegung des unverwirkbaren Art. 21 GG und der Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG zum Prinzip der Chancengleichheit der Parteien,157 stößt eine solche Schlussfolgerung jedoch auf Bedenken. Hinzu kommt, dass die Parteien als notwendige „Faktoren des Verfassungslebens“,158 um ihrer Aufgaben der Willensbildung in der Demokratie nachkommen zu können, in irgendeiner Weise finanziert werden müssen. Die objektiv-rechtliche Pflicht der staatlichen Mitfinanzierung ist dabei – so umstritten sie aus verfassungsrechtlichter Sicht auch ist – zumindest derzeit unverzichtbar.159 Gleiches gilt für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen oder die Gewährung von Sendezeit für Wahlwerbung in Rundfunk und Fernsehen. Das Prinzip der Chancengleichheit greift nur dann nicht, wenn das BVerfG die Partei in einem förmlichen Verfahren für verfassungswidrig erklärt hat. Andersherum kann das BVerfG an die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei keine andere Rechtsfolge als deren Auflösung knüpfen.160 4. Auflösung juristischer Personen Problematisch im Hinblick auf ein missbrauchsbezogenes Verwirkungsverständnis, das lediglich zu einem Geltendmachungshindernis führt, ist auch die Ermächtigung des BVerfG aus § 39 Abs. 2 BVerfGG, im Falle der Grundrechtsverwirkung eine Auflösung juristischer Personen anzuordnen. Wie bereits bei der Aberkennung des Wahlrechts und der Wählbarkeit festgestellt, soll das BVerfG damit eine in Art. 18 GG nicht vorgesehene und 156  Laut Volkmann, JZ 2010, 209 (212) handelt es sich um den derzeit meistdiskutierten Vorschlag zur Eindämmung des Rechtsextremismus. Er wurde auch im Rahmen der Innenministerkonferenz erörtert. 157  Siehe nur BVerfGE 107, 286 (294); 111, 54 (104 f.); 111, 382 (398); Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 21 Rn. 16, 40; ausführlich zu allen Herleitungsmöglichkeiten der Parteiengleichheit Streinz, in: v.  Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art.  21 Rn. 119. 158  Vgl. nur BVerfGE 1, 208 (227); Klein, in: Maunz  /  Dürig, GG, Art. 21 Rn. 405. 159  Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 21 Rn. 428. 160  Wobei umstritten ist, ob einfachgesetzlich nicht auch andere Rechtsfolgen an die Feststellung der Verfassungswidrigkeit geknüpft werden könnten; ablehnend Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 21 Rn. 514, 558. Dies lässt jedenfalls § 46 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG nicht zu.



II. Verhältnis zu Art. 21 Abs. 2 und 9 Abs. 2 GG251

über die Reichweite seines Satzes 2 weit hinausgehende Rechtsfolge anordnen können.161 Fraglich ist, ob dies mit Sinn und Zweck der Grundrechtsverwirkung noch vereinbar ist. Man könnte – wie wohl mehrheitlich angenommen – davon ausgehen, dass eine Verwirkung der Vereinigungsfreiheit einem Verbot gleichkommt und im Zusammenhang mit diesem de-factoVerbot eine Auflösungsanordnung verfassungsrechtlich nur konsequent wäre.162 Dagegen wird eingewandt, dass dies eigentlich nur Folge einer Verwirkung der Eigentumsfreiheit des Gesellschafters oder Aktionärs einer Vereinigung sein könnte, weil unter Art. 9 Abs. 2 GG fallende Vereinigungen von der Grundrechtsverwirkung gar nicht erfasst seien.163 Gegen die Möglichkeit einer Auflösungsanordnung im Rahmen der Verwirkungsentscheidung spricht aber vielmehr, dass – wie bereits dargelegt – das Vereinsverbot gerade nicht Folge einer Verwirkung der Vereinigungsfreiheit ist. Die Grundrechtsverwirkung bleibt in ihren rechtlichen Folgen vielmehr unterhalb der Schwelle des Verbots. So bewirkt sie eben nur ein zeitweiliges und vor allem auf den Einzelfall begrenztes Hindernis der Geltendmachung. Bereits Pestalozza hat zu Bedenken gegeben, dass die nach § 39 Abs. 2 BVerfGG aufgelöste juristische Person ohne Weiteres wieder „aufleben“ können müsste.164 Dies gilt umso mehr, als ihr die Betätigungsfreiheit infolge einer Verwirkungsentscheidung nur für den Fall und die Dauer ihrer missbräuchlichen Ausübung der Vereinigungsfreiheit abgesprochen werden könnte. Diese Voraussetzung ist allerdings so unbestimmt, dass sie eine dauerhafte Auflösung durch das BVerfG nicht rechtfertigen könnte. Auf Art. 18 GG kann die Anordnung zur Auflösung juristischer Personen daher nicht gestützt werden.165 In Betracht kommt aber auch hier, die Ermächtigung des § 39 Abs. 2 BVerfGG als „Nebenfolge“ einzustufen. Dann müsste sie jedoch abseits von Art. 18 GG verfassungskonform sein. Diese gesetzliche Befugnis kann daher vor der Folie des möglichen und tatbestandlich wohl regelmäßig gleichzeitig erfüllten Vereinigungsverbots verfassungsrechtlichen Bestand haben. So ließe sich § 39 Abs. 2 BVerfGG etwa dergestalt verfassungskonform interpretieren, dass das BVerfG eine Anordnung, die nach Art. 9 Abs. 2 GG sogar die Verwaltungsbehörden treffen können, erst recht treffen kann. Aus Gründen der Rechtssicherheit erscheint es aber zumindest sehr bedenklich, auch Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 Rn. 16 f. Verfassungsprozessrecht, § 3 Rn. 17; im Ergebnis offen Stern, Staatsrecht III / 2, S.  969. 163  Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, S.  245; Höfling /  Krings, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 18 Rn. 65. 164  Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 Rn. 17. 165  Siehe auch Lechner / Zuck, BVerfGG, § 39 Rn. 10. 161  Vgl.

162  Pestalozza,

252

E. Kontextualisierung

die verfassungsrechtlich vorgegebene Befugnis des BVerfG einfachgesetzlich derart zu erweitern und damit in die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes einzugreifen.166 Ohne eindeutige Ermächtigungsgrundlage im Grundgesetz ist § 39 Abs. 2 BVerfGG daher nicht gerechtfertigt und somit verfassungswidrig.

III. Verhältnis zu Normen des Landesverfassungsrechts Zu untersuchen ist ferner das Verhältnis von Art. 18 GG zu den in einzelnen Landesverfassungen vorgesehenen Missbrauchsschranken. Zunächst ist festzuhalten, dass vom Verwirkungsausspruch des BVerfG inhaltsgleiche Grundrechte der Landesverfassungen mitumfasst werden, es sei denn sie enthalten einen über die Bundesgrundrechte hinausgehenden Schutz.167 Aber auch einige Landesverfassungen sehen – wie bereits dargestellt – Verwirkungsnormen oder verwirkungsähnliche Regelungen vor.168 Die Konkurrenz tritt hier weniger stark zum Vorschein als in den vorigen Fällen, weil die landesverfassungsrechtlichen Regelungen „(naturgemäß) die Bundesgrundrechte unangetastet lassen und sich zugleich hinsichtlich der Landesgrundrechte mit einer ähnlich ‚sanften‘ Reaktion begnügen wie Art. 18 GG im Bundesbereich“.169 Damit können die Landesverfassungsgerichte selbständig über die Grundrechtsverwirkung befinden, soweit das BVerfG eine solche noch nicht ausgesprochen hat. Freilich steht ihnen nicht zu, über die Verwirkung von anderen als den jeweiligen Landesgrundrechten zu urteilen. Bundesgrundrechte oder Grundrechte anderer Länder können sie kompetenzrechtlich nicht für verwirkt erklären.170 Gleichwohl kann es zu Friktionen kommen, insofern die landesverfassungsrechtlichen Vorschriften weiter reichen als Art. 18 GG.171 kritisch auch Lechner / Zuck, BVerfGG, § 39 Rn. 10. herrschende Meinung, vgl. nur Dürig / Klein, in: Maunz  /  Dürig, GG, Art. 18 Rn. 145; Krebs, in: v. Münch  /  Kunig, GG, Art. 18 Rn. 24; Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 81 ff. m. w. N., der zur Begründung hierfür auf Art. 28 Abs. 1 GG verweist (Fn. 159); Schmitt Glaeser, HdbGR III, § 74 Rn. 47 begründet diese Ansicht indes mit Art. 142 GG; a. A. aber Dietlein, Die Rezeption von Bundesgrundrechten, AöR 120 (1995), 1 (14 f.). 168  Siehe A. I. 1. a). 169  Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 Rn. 21. 170  Brenner, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 18 Rn. 81; Stern, Staatsrecht III / 2, S.  982. 171  So verwehrte der durch Gesetz vom 15. März 1991 (GVBl. S. 73) gestrichene Art. 133 Abs. 1 LV Rh.-Pf. unter bestimmten Voraussetzungen die Berufung auf alle Grundrechte. 166  Sehr

167  Ganz



III. Verhältnis zu Landesverfassungsrecht253

Bisweilen werden die über Art. 18 GG hinausgehenden Verwirkungsregelungen der Länder für gänzlich unproblematisch gehalten. Insofern komme ihnen eine eigenständige praktische Bedeutung zu.172 Diese Rechtsfolge erscheint aber vor dem Hintergrund eines notwendig gleich hohen grundrechtlichen Schutzniveaus in der Bundesrepublik sehr bedenklich. Maßstab für die Prüfung der Landesverfassungsnormen ist deshalb Art. 142 GG.173 Normen der Landesverfassungen bleiben danach entgegen Art. 31 GG wirksam, soweit sie in Übereinstimmung mit Art. 1 bis 18 GG Grundrechte gewähren. Mithin ist eine landesverfassungsrechtliche Verwirkungsnorm gemäß Art. 31 GG nichtig, die Grundrechte über das in Art. 18 GG bezeichnete Maß hinaus für verwirkbar erklärt. Insofern bleibt die landesrechtliche Gewährleistung von Grundrechten nämlich hinter Art. 1 bis 18 GG zurück. Auch automatische Verwirkungen, die nicht erst durch ein Verfassungsgericht festgestellt werden müssen, schränken die Grundrechtsgewährleistung stärker ein als Art. 18 GG und verstoßen damit gegen Art. 142 GG. 1. Art. 17 Abs. 2 LV Hessen Einzig die Regelung Hessens (Art. 17 LV Hessen) soll danach Bestand haben.174 Diese Aussage überrascht allerdings, weil nach Art. 17 Abs. 2 LV Hessen der Staatsgerichtshof nur im „Beschwerdewege“ über das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Absatzes 1 entscheidet.175 Dieser Verwirkungsartikel ist damit sogar inhaltsgleich mit Art. 20 HChE, der ebenfalls nur die Beschwerde zum BVerfG vorsah. Erst die Einfügung des Satzes 2 in Art. 18 GG hat schließlich die konstitutive Entscheidung des BVerfG über die Rechtserheblichkeit der Grundrechtsverwirkung eingeführt. Nimmt man diese Sperrwirkung ernst, müssen streng genommen alle landesverfassungsrechtlichen Regelungen hiergegen verstoßen, da keine einzige ein solches Verfassungsgerichtsmonopol im Verwirkungsverfahren vorsieht. Stattdessen wurde aber auch gerade umgekehrt davon ausgegangen, dass eine Regelung, nach der ein Landesverfassungsgericht die Grundrechtsverwirkung feststellen kann, gegen die Sperrwirkung des Art. 18 GG verstoße, weil nach dieser Norm ausschließlich das BVerfG die Verwirkung von etwa Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 24. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 142; Stern, DVBl. 1963, 696 (701 f., Fn.  71); Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 Rn. 22 m. w. N. 174  Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, § 3 Rn. 22. 175  Siehe auch Hinkel, Die Verfassung des Landes Hessen, Art. 17 Anm. 5. Anders wohl Hess. StGH, NJW 1951, 734, der deshalb zu Nichtigkeit der Norm nach Art. 31 GG kommt. 172  Siehe

173  Dürig / Klein,

254

E. Kontextualisierung

Grundrechten aussprechen könne.176 So wurde etwa Absatz 2 des saarländischen Art. 10 gestrichen, wonach der Verfassungsgerichtshof über das Vorliegen der Voraussetzungen der Grundrechtsverwirkung entscheiden konnte.177 Diese Restriktion erscheint jedoch angesichts des mit einer Entscheidung des Landesverfassungsgerichts ebenso erfüllten Zwecks des rechtsstaatlichen Schutzes unnötig.178 Wenn außerdem das Landesverfassungsgericht nicht einmal im Beschwerdeweg über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verwirkung urteilen darf, können freilich erst recht nicht die Verwaltung oder einfache Gerichte das Vorliegen der Voraussetzungen annehmen. Die landesverfassungsrechtliche Norm würde also schlechterdings leerlaufen oder erst im Fall einer bundesverfassungsgerichtlichen Verwirkungsentscheidung unterstützende – mtihin allein deklaratorische – Anwendung finden.179 Dann würde aber zugleich die etwa nach Art. 10 LV Saarland mögliche Verwirkung der Kunstfreiheit inhaltsleer, da sie das BVerfG nach Bundesrecht überhaupt nicht für verwirkt erklären kann. Streng genommen sind die entsprechenden Artikel einiger Landesverfassungegn damit überflüssig, da sich keiner auf sie berufen kann und sie neben Art. 18 GG in seiner gegenwärtigen Gestalt und Auslegung keinen Mehrwert bringen. Diese Konsequenz ist bisher kaum ausreichend beleuchtet worden. Vor allem aber wurde nicht die interpretatorische Bedeutung der vorkonstitutionellen Landesverfassungsartikel für Art. 18 GG erkannt, die sich freilich nicht in einer normhierarchischen, sondern schlicht in einer chronologischen Vorrangigkeit der zwar geringfügig anders formulierten, aber parallel verstandenen Landesverwirkungsartikel ausdrückt. 2. Art. 146 LV Hessen Jedenfalls scheinbar identisch mit Art. 18 GG, und deshalb verfassungsrechtlich zulässig, könnte allein Art. 146 LV Hessen sein. Die Norm lautet folgendermaßen: 176  Schmitt Glaeser, in: Merten / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 74 Rn. 47, der deshalb für die Abschaffung der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen plädiert; offen lassend Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 143; ebenso Stern, DVBl. 1963, 696 (701). 177  Siehe Guckelberger, in: Wendt  / Rixecker (Hrsg.) Verfassung des Saarlandes, Art. 10 Rn. 1 ff. 178  Dietlein, AöR 120 (1995), 1 (16) spricht sich indes für die alleinige Zuständigkeit der Landesverfassungsgerichte für den Ausspruch der Verwirkung von Landesgrundrechten aus mit dem Hinweis auf den bundesstaatlichen Grundsatz der getrennten Verfassungsräume. Dabei scheint er indes die dieses Prinzip insoweit ­ beschränkende Bestimmung des Art. 142 GG zu vergessen. 179  Zu diesem Ergebnis kommt wohl Guckelberger, in: Wendt / Rixecker (Hrsg.) Verfassung des Saarlandes, Art. 10 Rn. 4 ff.



III. Verhältnis zu Landesverfassungsrecht255 „(1)  Es ist Pflicht eines jeden, für den Bestand der Verfassung mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften einzutreten. (2) Das Gesetz bestimmt, welche Rechte aus dieser Verfassung durch Entscheidung des Staatsgerichtshofes aberkannt werden können, wenn jemand dieser Pflicht zuwiderhandelt oder einer politischen Gruppe angehört oder angehört hat, welche die Grundgedanken der Demokratie bekämpft.“

Hiermit muss allerdings schon deswegen etwas anderes als die Verwirkung von Grundrechten gemeint sein, weil sich diese bereits in Art. 17 LV Hessen findet. Soweit jedenfalls die Verwirkung als Hindernis der Berufungsmöglichkeit auf ein Recht verstanden wird, ist Art. 17 und nicht Art. 146 LV Hessen die Parallelvorschrift zur Grundgesetznorm. Deutlich ist zudem ihre unterschiedliche dogmatische Bedeutung: Die erste Vorschrift gestaltet das Grundrecht unmittelbar aus und ist im jeweiligen Einzelfall zur Auslegung heranzuziehen. Die zweite beinhaltet eine echte Sanktion verfassungswidrigen Verhaltens und führt tatsächlich zu einer (dauerhaften) „Entpolitisierung“. Voraussetzung hierfür ist, dass der Betroffene der in Art. 146 Abs.  1 LV Hessen normierten Pflicht zuwiderhandelt hat,180 während Art. 18 GG gerade keine konkrete Pflichtverletzung voraussetzt, sondern allein an den Freiheitsmissbrauch anknüpft.181 Er sieht demgemäß eine Nichtanwendbarkeit der Grundrechte vor, während Art. 146 Abs. 2 LV Hessen die Aberkennung allgemeiner verfassungrechtlich gewährter Rechte vorsieht – Grundrechte sind hiermit jedenfalls nicht explizit gemeint, stattdessen könnte etwa die Aberkennung des aktiven oder passiven Wahlrechts oder des Rechts auf Bekleidung eines öffentlichen Amtes unter Art. 146 Abs. 2 LV Hessen gefasst werden. Als Vorläufer dieser Bestimmung kann folgender Art. 66 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 angesehen werden: „Die Bundesgesetzgebung bestimmt die Schranken, innerhalb welcher ein Schweizerbürger seiner politischen Rechte verlustig erklärt werden kann.“

Diese Regelung erkennt zwar die Notwendigkeit einer möglichen Aberkennung politischer Rechte an, verfährt damit aber völlig anders als die nach 1945 entstandenen Verfassungsnormen, die explizit die Grundrechte, und nicht die politischen Rechte, von einer Geltendmachung ausnehmen wollen, wenn sie ihrem Sinn und damit der Freiheit zuwider, und nicht bloß allgemein zum Kampf gegen den Staat, verwendet würden. Sie greifen zu auch Hinkel, Die Verfassung des Landes Hessen, Art. 146 Anm. 6. I. Schmidt, Grundpflichten, S. 191 f. hält deshalb den hessichen Art. 146, der eine Handlungspflicht samt Möglichkeit der Santionierung bei Pflichtverletzung statuiert, mit den bloßen Unterlassungpflichten des Grundgesetzes für unvereinbar und damit nichtig. 180  Vgl. 181  T.

256

E. Kontextualisierung

diesem Zwecke, anders als obiger Art. 66, beinahe sämtlich den Begriff des Rechtsmissbrauchs auf. Darin zeigt sich auch der entscheidende Unterschied zu Art. 18 GG: Dieser richtet sich in erster Linie gegen den Missbrauch von Grundrechten in einer sinnentfremdenden Weise und ist damit mehr Interpretationsregel für eben diese Rechte als Sanktionsnorm für gefährliche Demokratiegegner. Dass der Verwirkungsartikel aber mehrheitlich in gerade diesem letzten Sinne verstanden wird, was bereits § 39 BVerfGG mit seinen „Nebenfolgen“ zeigt, liegt wohl an der irritierenden Zwischenschaltung des BVerfG nach Art. 18 Satz 2 GG. Warum mit dieser unglücklichen Einfügung der lediglich missbrauchswehrende Art. 18 GG zu einer scharfen präventiven Rechtsaberkennungsnorm mutieren sollte, ist weder teleologisch noch entstehungsgeschichtlich nachvollziehbar. Das zumindest potentielle Vorbild für Art. 18 GG war eindeutig Art. 17 LV Hessen und nicht der allein auf politische Exklusion zielende Art. 146 LV Hessen. 3. Parallelität und Divergenz zu Art. 18 GG So sehr immer wieder die entstehungsgeschichtliche Konnexität und rechtliche Bedingtheit von landes- und bundesverfassungsrechtlichen Verwirkungsnormen betont wird,182 fällt bei genauerem Hinsehen doch auf, dass die Regelungen der Landesverfassungen sämtlich milder ausgestaltet sind als Art. 18 GG in seiner herkömmlichen Interpretation. Die Landesverfassungen bestimmen regelmäßig, dass sich auf bestimmte Grundrechte nicht berufen kann, wer sie missbraucht (Art. 124 LV Baden) bzw. die Grundrechte (Art. 37 VvB), den „verfassungsmäßigen Zustand“ (Art. 10 LV Saarland) oder die freiheitliche demokratische Grundordnung (Art. 17 LV Hessen) angreift oder gefährdet. Anders als die Grundrechtsverwirkung auf Bundesebene nach ihrem gemeinen Verständnis, ermöglichen die landesverfassungsrechtlichen Regelungen damit keine damit keine generelle Aberkennung der in ihnen genannten Grundrechte oder des Grundrechtsschutzes,183 sondern stellen vielmehr bloße Auslegungsregeln für bestimmte Grundrechte dar. Sie können mithin dogmatisch den Schutzbereich der Grundrechte von vornherein einschränken oder aber einen spezifischen Einschränkungsvorbehalt darstellen,184 richtigerweise sind sie ihrem Wortlaut nach als besondere Geltendmachungsschranke der Grundrechte für den Fall des Frei182  Vgl. etwa Driehaus, in: ders. (Hrsg.), Verfassung von Berlin, Art. 37, der das Verhältnis sogar umkehrt: Art. 18 GG entspreche weitläufig dem Art. 37 VvB. 183  In diesem Sinne für Art. 17 LV Hessen auch Hinkel, Die Verfassung des Landes Hessen, Art. 17 Anm. 1.2.5, der die Regelung deshalb für milder und damit für vereinbar mit Art. 18 GG hält. 184  Stöhr, in: Pfennig / Neumann, Verfassung von Berlin, Art. 37 Rn. 1.



III. Verhältnis zu Landesverfassungsrecht257

heitsmissbrauchs zu verstehen.185 Jedenfalls aber bewirken sie keine sank­ tionsartige Aberkennung des Grundrechtsschutzes für die Zukunft anlässlich eines missbilligten Verhaltens. Diese landesverfassungsrechtlichen Verwirkungsnormen, die (bis auf Art. 124 LV Baden) von einer „Verwirkung“ der Grundrechte interessanterweise überhaupt nicht sprechen, sind beinahe sämtlich älter als Art. 18 GG. Wie können sie also dem Grundgesetz nicht als Vorbild gedient haben? Allein die Tatsache, dass Inhalt und Notwendigkeit einer entsprechenden Norm in ihrer Genese vollkommen außer Zweifel standen, spricht doch dafür, dass auf bekannte Vorschriften zurückgegriffen wurde. Entscheidend ist zudem, dass im Parlamentarischen Rat zur Formulierung des späteren Art. 18 GG immer wieder auf die Fassung des Art. 17 LV Hessen rekurriert wurde, deren Wortlaut allein zum Zwecke einer „schöneren“ Formulierung nicht übernommen wurde.186 Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum denkbar, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Verwirkungsnorm so grundlegend verschieden konzipieren wollten. Dieser Einschätzung entspricht die Formulierung des Art. 20 Abs. 1 HChE. Warum dieses Verwirkungsverständnis durch das – allein aus Gründen rechtsstaatlicher Sicherheit eingefügte – Monopol des BVerfG eine qualitative Änderung erfahren sollte, ist in keiner Weise ersichtlich. 4. Fazit Eine Annäherung an diese älteren Verwirkungstatbestände spricht für die Restriktion des Art. 18 GG in zweierlei Hinsicht: Zum einen kann er nur die Verwirkung des Rechts, sich auf das jeweilige Grundrecht zu berufen (subjektives Recht zur Geltendmachung des Grundrechts), zum anderen nur ein Geltendmachungshindernis gegenüber missbrauchswehrenden Maßnahmen des Staates bewirken.187 Dabei handelt es sich also einerseits um eine Rückanknüpfung der Verwirkung an den Begriff des Missbrauchs und andererseits 185  Hinkel, Die Verfassung des Landes Hessen, Art. 17 Anm. 6 unter Verweis auf die insofern allerdings gegenteilige Rechtsprechung des Hessischen StGH, NJW 1951, 734. Dazu auch Groß, Entfaltung der HV durch die Rechtsprechung des StGH, in: 30 Jahre HV, S. 312. 186  Der Parlamentarische Rat V, S. 755, 759. 187  In diesem Sinne ausdrücklich Art. 124 LV Baden: Verwirkung des Rechts, „sich gegenüber Notwehrhandlungen des Staates auf verfassungsmäßige Grundrechte und Freiheiten zu berufen“. Dies war wohl auch, jedenfalls zunächst, die Inten­tion des Parlamentarischen Rats, so führten die Abgeordneten v. Mangoldt und Heuss aus, dass der Missbrauchende dem Richter gegenüber „den Einwand des Schutzes […] nicht erheben“ könne und damit „dem Rechtsanwalt ein Argument entzogen“ werde (Der Parlamentarische Rat, S. 758).

258

E. Kontextualisierung

um eine inhaltliche Begrenzung auf den abwehrrechtlichen Aspekt der Möglichkeit zur Geltendmachung der Grundrechte. Für weitergehende Eingriffe bietet Art. 18 GG aus den bereits genannten Gründen keinen Raum.

IV. Vergleich mit internationalem Recht Nicht nur nationale Verfassungen, sondern auch das Unionsrecht sowie internationale Verträge und Konventionen schützen Grund- und Menschenrechte188 und sehen dabei ähnliche Verbote missbräuchlichen Verhaltens vor. Genannt wurden bereits Art. 25 Abs. 3 der griechischen und Art. 55 Abs. 2 der spanischen Verfassung. Diese Regelungen können sinnvollerweise auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit Art. 18 GG hin untersucht werden. Doch von Interesse sind insbesondere die national verbindlichen Bestimmungen der EU-Grundrechtecharta (EUGRCh) und der EMRK. Grundsätzlich behält auch derjenige, dessen Grundrechte nach Art. 18 GG für verwirkt erklärt wurden, den Schutz der EMRK und der EUGRCh. Deshalb ist zu fragen, welche Bedeutung der nationalen Grundrechtsverwirkung im Mehrebenensystem noch zukommt. Auch Art. 54 EUGRCh und Art. 17 EMRK enthalten zwar Missbrauchsregelungen, haben jedoch zumindest dem Anschein nach mit dem Verfahren des Art. 18 GG nicht viel gemein.189 Inwieweit wäre eine mögliche Grundrechtsverwirkung vor dem Hintergrund dieser Vorschriften daher überhaupt haltbar? Darzulegen ist in diesem Zusammenhang auch die Anerkennung der streitbaren Demokratie auf europäischer Ebene.190 Schließlich soll ein Vergleich mit den Regelungen anderer Verfassungen vorgenommen werden, der sich freilich nicht unmittelbar auf die Geltung und Auslegung der nationalen Bestimmung auswirkt. 1. Auswirkungen der Verwirkungsentscheidung auf internationale Grundrechte Die Rechte der EUGRCh und der EMRK können nach allgemeiner Ansicht durch die Entscheidung des BVerfG nach Art. 18 GG nicht verwirkt werden.191 Dieses Ergebnis überzeugt aufgrund des insofern eindeutigen Wortlauts der Norm und aus kompetenzrechtlichen Gründen ohne Weiteres. Problematisch ist es dennoch, weil die Freiheitsgarantien etwa der EMRK bei Kloepfer, Verfassungsrecht II, § 47 Rn. 11 ff., 28 ff. nur Antoni, in: Hömig, GG, Art. 18 Rn. 1; Dürig / Klein, in: Maunz /  Dürig, GG, Art. 18 Rn. 146. Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 7. 190  Vgl. dazu auch Papier / Durner, AöR 128 (2003), 340 (368 ff.). 191  Dürig / Klein, in: Maunz  / Dürig, GG, Art. 18 Rn. 149; Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (311, 314). 188  Überblick 189  Siehe



IV. Vergleich mit internationalem Recht259

auch Prüfungsmaßstab für deutsche Eingriffe sind. Solche Eingriffe könnten also auch von deutschen Gerichten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Schrankenregime des jeweiligen Konventionsrechts hin untersucht werden.192 Damit wird aber der Zweck des Art. 18 GG, staatliche Eingriffe ohne Bindung an die Grundrechte und ihre Schranken zu ermöglichen, faktisch untergraben, weil die Überprüfbarkeit jeder Maßnahme anhand der Freiheitsrechte der EMRK aufrecht erhalten bleibt.193 Die Verwirkungsentscheidung des BVerfG wäre mithin gleichsam überflüssig, ermöglichte sie doch nicht intensivere Maßnahmen als sonst. Im Betracht kommt demgegenüber, dass mit der Grundrechtsverwirkung zugleich der Tatbestand des Art. 17 EMRK erfüllt ist, so dass das gleiche Ergebnis auf nationaler wie auf internationaler Ebene erreicht wäre: Der Betroffene könnte sich auf den Schutz des Konventionsrechts gar nicht erst berufen. Im Folgenden soll deshalb das Verhältnis beider Normen zueinander beleuchtet werden. 2. Unions- und völkerrechtliche Zulässigkeit der Grundrechtsverwirkung Dabei sind zunächst zwei Fragen voneinander zu trennen: Zum einen fragt sich, inwieweit das Prinzip der streitbaren Demokratie, dem Art. 18 GG nach allgemeiner Ansicht zuzuordnen ist, Anerkennung auf internationaler Ebene findet und daher hier überhaupt Berücksichtigung finden kann. Zum anderen ist zu prüfen, ob die Bestimmung des Art. 18 GG in concreto mit den Vorgaben der EUGRCh und der EMRK vereinbar ist. a) Die Akzeptanz der streitbaren Demokratie auf internationaler Ebene Maßnahmen des Verfassungsschutzes wurden vom EGMR bisher vor allem im Zusammenhang mit dem Verbot politischer Parteien auf ihre Vereinbarkeit mit der EMRK hin untersucht. Auch die EMRK akzeptiert nach der Rechtsprechung des EGMR den Grundsatz der streitbaren Demokratie und 192  Vgl. Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (314 ff.), ausführlich zu den Voraussetzungen der Rechtfertigung im Rahmen der EMRK und der dann die Verwirkung nach Art. 18 GG allgemein anhand dieses Maßstabs prüft. Dabei übersieht er jedoch, dass nicht nur die Verwirkungsentscheidung selbst mit der EMRK vereinbar sein muss, sondern jede auf der Grundrechtsverwirkung beruhende staatliche Maßnahme sich an den Freiheitsrechten der EMRK messen lassen muss. 193  In diesem Sinne auch Papier / Durner, AöR 128 (2003), 340 (368).

260

E. Kontextualisierung

seine Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten.194 Die Freiheiten der EMRK können die Behörden eines Staates danach nicht des Rechts berauben, die staatlichen Institutionen gegen sie gefährdende Aktivitäten zu verteidigen. Insofern sei dem System der EMRK „ein Ausgleich zwischen der Notwendigkeit der Verteidigung einer demokratischen Gesellschaft und denen der Wahrung individueller Rechte inhärent. […] Aufgrund der sehr engen Verbindung zwischen der Konvention und der Demokratie […] darf niemand berechtigt sein, sich auf die Bestimmungen der Konvention zu berufen, um die Ideale und Werte einer demokratischen Gesellschaft zu schwächen oder zu zerstören.“195

Neben dieser grundsätzlichen Anerkennung der streitbaren Demokratie behält sich der EGMR aber eine Kontrolle der jeweiligen staatlichen Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit der EMRK hin vor. Ausschlaggebend ist dabei die effektive Gewährleistung der Freiheit im Mitgliedstaat. Diese soll jedoch „zielorientierten Begrenzungen zur Selbsterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung unterliegen“ können.196 Auch auf der Ebene des Unionsrechts zeichnen sich mit der Einführung des Art. 54 EUGRCh Konturen einer streitbaren Demokratie ab, die sich in das staatenbezogene Sanktionensystem des Art. 7 EUV und das in Art. 9 ff. EUV entfaltete Demokratieprinzip ohne Schwierigkeiten einfügen.197 Auf eine diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH kann freilich noch nicht rekurriert werden.198 Im Zusammenhang mit Art. 54 EUGRCh wird deshalb in der Regel auf die entsprechenden Entscheidungen des EGMR verwiesen, deren Inhalt und Bedeutung auf die Auslegung der EUGRCh zu übertragen seien.199 194  So ausdrücklich EGMR, Urteil vom 13.02.2003, EuGRZ 2003, 206 (Ziffer 96) – „Refah Partisi“ („Die Wohlfahrtspartei“); Kugelmann, EuGRZ 2003, 533 (544 und passim); Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 17 Rn. 2; vgl. auch Emek, Parteiverbote und Europäische Menschenrechtskovention, S. 174 ff.; Kontopodi, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Verbot politischer Parteien, S. 49 ff., Streinz, in: v.  Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 21 Abs. 2 Rn. 252. 195  EGMR, Urteil vom 13.02.2003, EuGRZ 2003, 206 (Ziffer 96, 98) – „Refah Partisi“ („Die Wohlfahrtspartei“). 196  Kugelmann, EuGRZ 2003, 533 (544). 197  Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), EUGRCh, Art. 54 Rn. 1, 8; Streinz, in: ders., EUV / EGV, Art.  54 GR-Charta Rn.  1 f. 198  Indes erlaubt der EuGH in ständiger Rechtsprechung nicht die allgemeine missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht, also etwa auf die Grundfreiheiten, vgl. dazu ausführlich Randelzhofer / Forsthoff, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der Europäischen Union I, vor Art. 39–55 EGV Rn. 122 ff. 199  Vgl. von Danwitz, in: Tettinger / Stern, EUGRCh, Art. 54 Rn. 2; ausführlich Ostermann, Entwicklung und gegenwärtiger Stand der europäischen Grundrechte, S. 40 ff.



IV. Vergleich mit internationalem Recht261

b) Art. 18 GG und die internationalen Missbrauchsregelungen Die angesichts der zunehmenden Internationalisierung auch des Grundund Menschenrechtsschutzes naheliegende Frage, ob Art. 18 GG diesen Grundsätzen genügt, hat bisher allein Isensee thematisiert.200 Neben dem Prinzip effektiver Freiheitsgewährleistung sind hierbei vorrangig die Regelungen auf europäischer Ebene in den Blick zu nehmen, die – ähnlich dem Art. 18 GG – eine Ausnahme von diesem Grundsatz statuieren. So lauten Art. 54 EUGRCh und Art. 17 EMRK nahezu übereinstimmend: „Keine Bestimmung dieser Charta [der Konvention] ist so auszulegen, als begründe sie [für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person] das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Charta [Konvention] anerkannten [festgelegten] Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als dies in der Charta [Konvention] vorgesehen ist.“201

Die EUGRCh hat seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. November 2009 den Rang europäischen Primärrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) und ist deshalb mit dem Unionsrecht vorrangig anzuwenden. Die EMRK hat indes in der Bundesrepublik Deutschland lediglich den Rang eines einfachen Gesetzes (Art. 25 GG). Allerdings beeinflusst sie die Auslegung der Grundrechte: „Der Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten“.202 In beiden Fällen also sollte Art. 18 GG in Einklang mit der Regelung des internationalen Rechts ausgelegt werden. Sonst wird die Verwirkungsnorm durch das Unionsrecht derogiert und verstößt gegen den Grundsatz der Völkerfreundlichkeit des Grundgesetzes. Dabei ist aber zu beachten, dass die Normen der EUGRCh nur bei der Ausführung von Unionsrecht durch die Europäische Union selbst oder einen Mitgliedstaat Anwendung finden.203 Da dieses Erfordernis im Rahmen der Grundrechtsverwirkung und sie flankierenden Maßnahmen der Behörden selten erfüllt sein wird, soll hier vorrangig auf Art. 17 EMRK rekurriert werden. Aufgrund der Äquivalenz beider Vor200  Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (307 ff.). 201  Vgl. auch bereits Art. 30 AEMR vom 10.12.1948 sowie Art. 5 Abs. 1 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IpbürgR) vom 19.12.1966, BGBl. 1973 II, 1534; zum Einfluss der EMRK auf die EUGRCh vgl. Graben­ warter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 26; Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), ­EUGRCh, Art. 54 Rn. 4 ff. 202  BVerfGE 111, 307 (317) – Görgülü; 120, 180 (200). 203  Vgl. auch BVerfGE 104, 214 (219).

262

E. Kontextualisierung

schriften treffen im Ergebnis ohnehin alle hierzu getroffenen Aussagen auch auf Art. 54 EUGRCh zu.204 Art. 17 EMRK gilt als eines der Grundprinzipien der EMRK205 und greift – ebenso wie Art. 18 GG – den allgemeinen Rechtsgedanken des Missbrauchsverbots auf.206 Die Vorschrift richtet sich einerseits gegen den Missbrauch von Konventionsrechten durch Individuen oder Gruppen, andererseits gegen zweckfremde und Werte untergrabende Eingriffe in Konventionsrechte durch die staatlichen Gewalten.207 Sie soll dogmatisch neben den spe­ ziellen Schrankenvorbehalten der Art. 8 bis 11 Abs. 2 EMRK staatliche Maßnahmen rechtfertigen, wobei sie die Freiheitsrechte nicht nachträglich von außen beschränkt, sondern von innen heraus begrenzt.208 Dabei richtet sich Art. 17 EMRK zumindest theoretisch gegen alle Konventionsrechte und ist insofern also weiter gefasst als Art. 18 GG, der nur ganz bestimmte Grundrechte für verwirkbar erklärt.209 Auf der anderen Seite erscheint Art. 17 EMRK seinem Wortlaut und der Auslegung durch die Konventionsorgane nach enger als Art. 18 GG in seiner herkömmlichen Interpretation: Gegenüber staatlichen Eingriffsmaßnahmen kann gemäß Art. 17 EMRK allein das missbrauchte Konventionsrecht nicht geltend gemacht werden, 204  Zu diesem „Dogmatiktransfer“ Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), EUGRCh, Art. 54 Rn. 9a; von Danwitz, in: Tettinger / Stern, EUGRCh, Art. 54 Rn. 2. Vgl. auch Bifulco / Celetto, in: Mock  /  Demuro (ed.), Human Rights in Europe, Article 54, S. 343. 205  van Dijk / van Hoof / van Rijn / Zwaak (ed.), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, S. 1084. 206  Siehe Frowein, in: ders.  /  Peukert, EMRK, Art. 17 Rn. 1; für die EUGRCh vgl. Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), EUGRCh, Art. 54 Rn. 3. 207  Vgl. bereits EKMR, Jahrbuch 1, 222 – KPD / Deutschland; dazu Emek, Parteiverbote und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 258 f. Siehe auch van Dijk / van Hoof / van Rijn / Zwaak (ed.), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, S. 1084; Harris / O’Boyle / Warbrick (ed.), Law of the European Convenvention on Human Rights, S. 651; Keane, Netherlands Quarterly of Human Rights, Vol. 25 / 4 (2007), S. 641 (643); Kontopodi, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Verbot politischer Parteien, S.  26 ff. 208  So Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (317), der die Norm mit den Kategorien der deutschen Grundrechtsdogmatik deshalb als „Reduktion des Schutzbereichs“ einordnet. Vgl. zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR van Dijk / van Hoof / van Rijn / Zwaak (ed.), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, S. 1084 ff.; Harris /  O’Boyle / Warbrick (ed.), Law of the European Convenvention on Human Rights, S. 650 f. Vgl. speziell zur Begrenzung von Art. 10 EMRK durch Art. 17 EMRK Keane, Netherlands Quarterly of Human Rights, Vol. 25 / 4 (2007), S. 641 (655 ff.). 209  Vgl. Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (318), der allerdings auf die praktische Angleichung des Art. 17 EMRK an die Voraussetzungen des Art. 18 GG hinweist.



IV. Vergleich mit internationalem Recht263

während andere Freiheitsrechte unberührt bleiben210 und das einmal missbrauchte Recht in anderem Zusammenhang nach wie vor seine Schutzwirkung entfalten kann. Das Verbot des Missbrauchs von Konventionsrechten führt mithin nur zu einer zeitlichen und nicht zu einer dauerhaften Verwirkung der Geltendmachungsmöglichkeit von Freiheitsrechten.211 c) Art. 18 GG im Lichte von Art. 17 EMRK Art. 17 EMRK verbietet nach der Rechtsprechung des EGMR den Mitgliedstaaten, die Freiheitsrechte stärker als in der EMRK vorgesehen zu beschränken.212 Infolgedessen ist es durchaus fraglich, ob das herrschende Verständnis des Art. 18 GG vor dem Hintergrund der EMRK überhaupt aufrecht erhalten werden kann. Isensee sieht die übliche Auslegung von Art. 18 GG als präventives Verfassungsschutzinsitut zur dauerhaften Aberkennung des Grundrechtsschutzes – zumal nicht nur desjenigen der missbrauchten Freiheit – nach der Rechtsprechung des EGMR als mit Art. 17 EMRK übereinstimmend an.213 Dabei stützt er sich jedoch ausschließlich auf Fälle, in denen einfachgesetzlich motivierte Maßnahmen zur präventiven „Entpolitisierung“ des Antragstellers nach Art. 17 EMRK gerechtfertigt waren. So wurden eine Verurteilung zur Gefängnisstrafe wegen Besitzes rassistischer Flugblätter und die Ungültigkeitserklärung einer Kandidatenliste der rechtsextremen niederländischen NVU im Fall Glimmerveen und Hagenbeek für nach Art. 17 EMRK gerechtfertigt erklärt.214 Auch ein Ver210  Vgl. EGMR, Series A, 1960–61, S. 45 f. (Ziffer 6 f.) – Fall Lawless; dazu Iliopoulos-Strangas, Bedrohung und Verteidigung der Demokratie, in: dies. (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 77 (84). Siehe auch Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (318 f.). Isensee stellt aber gleichwohl die Grundrechtsverwirkung durch eine entsprechende Auslegung als weniger grundrechtseinschränkend als Art. 17 EMRK dar. Dies liege vor allem an der zusätzlich notwendigen Gefährlichkeit des Antragsgegners nach deutschem Recht, während die Konvention nur den Missbrauch voraussetzt. Dieses Argument vermag indes nicht zu überzeugen, da die von ihm mit der allgemeinen Meinung angenommenen Folge der präventiven Grundrechtsaberkennung bei Gefährlichkeit des Antragsgegners immer noch sehr viel einschneidender ist als das bloß vereinzelt einschlägige missbrauchsbezogene Berufungshindernis der EMRK. 211  Antoni, in: Hömig, GG, Art. 18 Rn. 1; vgl. zu Art. 54 EUGRCh Borowsky, in: Meyer (Hrsg.), EUGRCh, Art. 54 Rn. 10. 212  EGMR, Series A 93, 1985, Ziffer 47 – Ashingdale / United Kingdom. 213  Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (320 ff.). 214  EKMR, YB 23 (1980), S. 366 (380 ff.) – Fall Glimmerveen / Hagenbeek; ähnlich EGMR vom 23.09.1994, NStZ 1995, 237 (Ziffer 35) – Jersild / Dänemark. Vgl. zu weiteren Fällen Keane, Netherlands Quarterly of Human Rights, Vol. 25 / 4 (2007), S.  641 (644 ff.).

264

E. Kontextualisierung

bot, sich politisch und schriftstellerisch zu betätigen, wurde im Fall De Becker für grundsätzlich vereinbar mit Art. 17 EMRK gehalten, wobei das Gericht das lebenslange Verbot als unverhältnismäßig und damit als Verstoß gegen die Norm gewertet hat.215 „Article 17 allows action to be taken against an individual where he seeks to use his Convention rights in a subversive way, but this does not mean that such a person is deprived of all Convention rights.“216

Wenn danach eine Aberkennung aller Konventionsrechte mit Art. 17 EMRK keinesfalls vereinbar wäre, muss gleiches für das nationale Schutzniveau gelten. Parallel zu den nach der EMRK prinzipiell möglichen behördlichen bzw. gerichtlichen präventiv verfassungsschützenden Maßnahmen daher wie Isensee per se die europarechtliche Zulässigkeit genereller vorbeugender Grundrechtsaberkennungen anzunehmen, erscheint vor allem in Anbetracht dieser restriktiven Rechtsprechung fragwürdig. Art. 17 EMRK vermag – wie soeben dargelegt – staatliche Eingriffsakte nur im Einzelfall zu rechtfertigen. Besonders im Glimmerveen / HagenbeckFall wird die Einmaligkeit der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, die nach Art. 17 EMRK gerechtfertigt sind, deutlich. Auch wenn naturgemäß sowohl der Freiheitsentzug als auch die Ungültigkeitserklärung einer Kandidatenliste Wirkungen in die Zukunft hinein zeitigen, nehmen sie den Betroffenen keine weitergehenden Rechte als die konkret beeinträchtigten.217 Das ist aber im Fall der präventiv-generell verstandenen Grundrechtsverwirkung anders: Sie bewirkt die vollständige Aberkennung des grundrechtlichen Schutzes für die Zukunft, ganz gleich für welche Handlung sich der Betroffene auf seine Grundrechte berufen will und ganz gleich, ob er die grundrechtlich geschützte Freiheit überhaupt missbraucht hat. Damit geht die Grundrechtsverwirkung in ihren Rechtsfolgen weit über die punktuell reaktiven Maßnahmen der bisher entschiedenen Fälle hinaus, auch wenn ihr eine erhöhte Legitimität durch das bundesverfassungsgerichtliche Verfahren nicht abzusprechen ist. 215  EGMR, Series A, 1960–61, S. 7 ff. – Fall De Becker: „Article 17 cannot be used to deprive am individual of his rights and freedoms permanently merely because at some given moment he displayed totalarian convictions an acted consequently.“; vgl. dazu auch van Dijk / van Hoof / van Rijn / Zwaak (ed.), Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, S. 1088 f. 216  Harris / O’Boyle / Warbrick (ed.), Law of the European Convenvention on Human Rights, S. 649 mit Verweis auf den Lawless-Fall, in dem der EGMR die Aberkennung der Rechte aus Art. 5 und 6 EMRK gegenüber einem Terroristen für konventionswidrig ansah. Dazu auch Frowein, in: ders. / Peukert, EMRK, Art. 17 Rn. 2. 217  Vgl. demgegenüber den Fall einer deutschen Lehrerin, die wegen ihrer Mitgliedschaft in der DKP aus dem öffentlichen Dienst entlassen wurde. Dies sah der EGMR als unverhältnismäßig und damit Verletzung von Art. 10 und 11 EMRK an, EGMR vom 26.09.1995, EuGRZ 1995, 590; dazu Häde / Jachmann, Mitglieder ­extremistischer Parteien im Staatsdienst, ZBR 1997, 8.



IV. Vergleich mit internationalem Recht265

Zwar könnte jede auf die Verwirkungsentscheidung des BVerfG gestützte Maßnahme vor dem Hintergrund des Art. 17 EMRK gerechtfertigt sein, doch muss dies im Einzelfall sorgfältig überprüft werden. Aufgrund des völlig anderen Ansatzpunktes von Art. 17 EMRK kann indessen eine präventiv-generelle Grundrechtsverwirkung nicht a priori mit dieser Norm vereinbar sein. Isensee selbst gibt zu, dass Beschränkungen von Konventionsrechten nicht selten über Art. 17 EMRK gerechtfertigt werden, wohingegen Art. 18 GG bislang ein Schattendasein führt. Dies mag natürlich an dem aufwendigen Verfahren der Grundrechtsverwirkung liegen, während die Missbrauchsfolge des Art. 17 EMRK ex lege eintritt.218 Es liegt aber auch an dem Verständnis der Verwirkung als Grundrechtsaberkennung pro futuro. Würde sie hingegen wie die Missbrauchsregel der EMRK, der EUGRCh, der AEMR und vieler deutscher Länderverfassungen als Auslegungsregel für den Rechtsanwender verstanden,219 könnte und müsste sie in vielen Fällen zur Ermöglichung freiheitsbeschränkender Maßnahmen herangezogen werden. Art. 17 EMRK kann deshalb auch als Vorbild für eine Belebung der Verwirkungsnorm dienen. 3. Die Regelungen anderer Verfassungen In der Regel bestimmen die Verfassungen westeuropäischer Demokratien kein ausdrückliches Verbot des Missbrauchs von Grundrechten.220 Es hat deshalb den Anschein und wird gelegentlich so vertreten, dass sich Deutschland mit seiner international einmaligen Verwirkungsnorm isoliere und damit „außerhalb des gemeineuropäischen Grundkonsenses“ stelle.221 Selbst wenn die Norm nicht völkerrechtswidrig sei, so könne sie doch gegen europäische Rechtsgrundsätze verstoßen und damit unzulässig sein.222 Es 218  So die Erklärung von Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (321); vgl. auch die Beispiele bei Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 7 (Fn. 22). 219  Mit Bifulco / Celetto, in: Mock  / Demuro (ed.), Human Rights in Europe, Article 54, S. 345, ist Art. 17 EMRK „limited to setting an interpretive norm, unlike article 18 of the [German] constitution“. 220  Iliopoulos-Strangas, Bedrohung und Verteidigung der Demokratie, in: dies. (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 77 (80). 221  Steinberger, Verwirkung von Grundrechten in ausländischen Verfassungsordnungen, Schriftliche Rechtsauskunft im Namen des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg für das BVerfG in den Verfahren 2 BvA 1 / 92 und 2 BvA 2 / 92, 17. Januar 1994, S. 1 und 8, zitiert nach Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (307). 222  Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (307).

266

E. Kontextualisierung

existieren jedoch Regelungen wie Art. 55 Abs. 2 der spanischen und Art. 25 Abs. 3 der griechischen Verfassung, die ähnliche Missbrauchsnormen wie Art. 18 GG enthalten. Wenn es daher gelingt, die deutsche Grundrechtsverwirkung ihnen und etwaigen Rechtsgrundsätzen anderer Verfassungen vergleichbar zu interpretieren und damit wenigstens in einen schmalen inter­ nationalen Kontext zu rücken, kann dem Vorwurf der Isolation wirksam begegnet werden. Auf der anderen Seite ist das Wesen der Grundrechte ­ mangels Konkretisierung im Grundgesetz – wie Jersualem bereits zutreffend formuliert hat – vor allem den philosophischen Ideen, aus denen sie im Schoß internationaler Kulturgemeinschaft historisch gewachsen sind, zu entnehmen.223 Gleiches gilt selbstredend auch für die Begrenzung und Beschränkung der grundrechtlichen Gewährleistung, mithin auch für Art. 18 GG. Seine Auslegung ist folglich notwendig in den internationalen Zusammenhang einzubetten. a) Art. 25 Abs. 3 Griechische Verfassung Lapidar formuliert Art. 25 Abs. 3 der griechischen Verfassung: „Rechtsmissbrauch ist nicht gestattet.“

Diese Bestimmung wird teilweise als lex imperfecta verstanden, kann aber auch in Anlehnung an Art. 17 EMRK dergestalt ausgelegt werden, dass derjenige, der eines seiner verfassungsrechtlich garantierten Rechte missbraucht, verfassungswidrig handelt und sich deshalb im konkreten Fall und in dem Maße, in dem der Missbrauch gegeben ist, nicht mehr auf den Schutz dieses Rechts berufen kann.224 Teilweise ist auch schlicht von einer Grundrechtsschranke die Rede225 – eine freilich eher unspezifische Klassifizierung. Zu Recht betont Dagtoglu, dass der Missbrauch von Grundrechten nicht mit einem Verfassungsverstoß gleichgesetzt werden dürfe, wie es die griechischen Gerichte jedoch verschiedentlich täten. Hingegen meine Missbrauch die Rechtsausübung entgegen der verfassungsmäßigen Ordnung und dem spezifischen Zweck des jeweiligen Rechts – „wenn also zwar nicht der Wortlaut, offensichtlich aber der Geist der Verfassung verletzt wird.“226 Daraus ergebe sich, dass diese Verfassungsbestimmung zu223  Jerusalem,

SJZ 1950, 1. Iliopoulos-Strangas, Bedrohung und Verteidigung der Demokratie, in: dies. (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 77 (85) mit Verweis auf die entsprechende griechische Literatur. 225  Zuleeg, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 41 (46). 226  Dagtoglu, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 103 (104 f.). 224  So



IV. Vergleich mit internationalem Recht267

nächst einmal bestimme, was nicht durch die Verfassung gewährleistet werde. Sie erweitere nicht per se die Befugnisse der Verwaltung, da diese nach wie vor einer gesetzlichen Grundlage bedürfe, um in die Rechte Privater einzugreifen. Der Gesetzgeber sei aber im Falle des Rechtsmissbrauchs nicht durch die Verfassung daran gehindert, Rechtsfolgen an diese Handlungsweise zu knüpfen.227 b) Art. 14 Türkische Verfassung Auch nach dem türkischen (Zivil- und öffentlichen) Recht findet der offenbare Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz.228 Dies ist ausdrücklich – und sogar weitgehender als vorher – in Art. 14 der türkischen Verfassung vom 9. November 1982 (geändert durch Gesetz vom 3. Oktober 2001) festgehalten: „Von den Grundrechten und -freiheiten dieser Verfassung darf keines gebraucht werden, um Aktivitäten mit dem Ziel zu entfalten, die unteilbare Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk zu zerstören und die demokratische und laizistische Republik zu beseitigen. Keine Vorschrift der Verfassung darf so ausgelegt werden, als erlaube sie dem Staat oder den Personen Tätigkeiten zu entfalten zu dem Zweck, die durch die Verfassung gewährten Grundrechte und -freiheiten zu beseitigen oder über das in der Verfassung vorgesehene Maß hinaus zu beschränken. Die Sanktionen, die gegen diejenigen anzuwenden sind, welche gegen diese Verbote handeln, werden durch Gesetz geregelt.“

Satz 2 dieser Vorschrift, der erst mit Gesetz vom 3. Oktober 2001 eingeführt wurde, ähnelt stark dem Wortlaut des Art. 17 EMRK. Die Sätze 1 und 3 scheinen aber darüber hinaus zu gehen, indem sie konkret den Gebrauch der Grundrechte mit dem Ziel, die Grundordnung des Staates abzuschaffen, untersagen und bei Zuwiderhandlung sogar die Sanktionierung ermöglichen. Dies täuscht aber, ist auch hiermit doch nichts anderes als die Ausnutzung der individuellen Freiheit zur Zerstörung der Freiheit aller gemeint. Das derart „missbrauchte“ Grundrecht kann nach Art. 14 der türkischen Verfassung nicht ausgeübt werden.229 Teilweise oder vollständige Aussetzungen von Grundrechten sind dagegen nur nach Art. 15 Abs. 1 im Ausnahmezustand, etwa im Fall des Krieges, verfassungsrechtlich zulässig. Umgekehrt trifft Art. 14 Türkische Verfassung nur eine „Auslegungsregel“ für die Grundrechte und hindert ihre Geltendmachung im Fall des funk­ 227  Dagtoglu, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 103 (106, 109). 228  Hirsch, JöR n. F. Bd. 32 (1982), 507 (528). 229  Vgl. Hirsch, JöR n. F. Bd. 32 (1982), 507 (528).

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E. Kontextualisierung

tionswidrigen Gebrauchs gleich dem zivilrechtlichen Verbot des venire contra factum proprium. Wie bereits eingehend aufgezeigt, kann und muss auch Art. 18 GG in dieser Weise verstanden werden. Nur so fügt er sich völlig ungezwungen in die grundrechtliche Dogmatik ein und erscheint beinahe von einer so banalen Richtigkeit, dass sämtlichen (berechtigten) Vorbehalten gegen seine vermeintliche Schärfe wirksam begegnet werden kann.230 c) Art. 55 Abs. 2 Spanische Verfassung Dagegen lautet Art. 55 Abs. 2 der spanischen Verfassung: „Ein Organgesetz kann die Art und Weise und die Fälle festlegen, in denen es für bestimmte Personen im Zusammenhang mit Nachforschungen bezüglich der Aktivitäten bewaffneter Gruppen oder Terrorelementen individuell und unter der erforderlichen gerichtlichen Intervention sowie der angebrachten parlamentarischen Kontrolle zu einer Aufhebung der in Art. 17 II und 18 II und III anerkannten Rechte kommt. Die ungerechtfertigte oder missbräuchliche Ausübung der kraft dieses Organgesetzes zugestandenen Befugnisse führt als Verletzung der von den Gesetzen anerkannten Rechte und Freiheiten zu strafrechtlicher Haftung.“

Anders als Art. 17 EMRK oder die griechische Verfassung sieht die spanische Norm damit eine echte Aberkennung verfassungsrechtlich anerkannter Rechte (nämlich der Höchstdauer der Festnahme, der Unverletzlichkeit der Wohnung und des Kommunikationsgeheimnisses, insbesondere des Post-, Fernmelde- und Fernsprechgeheimnisses) als Mittel des „Anti-Terror“Kampfes vor. Der Unterschied zu den Missbrauchsregelungen der EMRK oder der griechischen Verfassung liegt dabei nicht nur darin, dass es sich lediglich um eine Ermächtigungsnorm zugunsten des einfachen Gesetzgebers handelt, sondern auch in der verschiedenen Anknüpfung und Zielrichtung: So ist Anlass einer demgemäß zu erlassenden Norm nicht der Missbrauch bestimmter Grundrechte, sondern lediglich der Verdacht terroristischer oder anderer staatsfeindlicher Aktivitäten. Ziel der Norm ist wiederum nicht, den Gewährleistungsgehalt der Grundrechte für bestimmte Missbrauchsfälle zu verengen, sondern einzelne Grundrechte gänzlich abzuerkennen, um die Verfolgung terroristischer Aktivitäten durch die Polizei- und Strafbehörden zu vereinfachen. Diese Norm ist damit gar keine der wehrhaften Demokratie im strengen Sinne, deren spezifischer Regelungsgehalt sich stets durch eine Auflösung 230  Vgl. auch Dagtoglu, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 103 (110), der den Kritikern des Art. 25 Abs. 3 griech. Verfassung im Ergebnis seiner Ausführungen erwidert, die Vorschrift sei so selbstverständlich richtig, dass sie als entbehrlich bezeichnet werden könne.



IV. Vergleich mit internationalem Recht269

des Spannungsfeldes Freiheit und Demokratie auf der einen Seite und Schutz der Freiheit und Demokratie auf der anderen Seite auszeichnet.231 Vielmehr dient Art. 55 Abs. 2 der spanischen Verfassung allein der Optimierung staatsschützender Vorschriften. Die Norm ist damit ausschließlich Staatsschutz und nicht Verfassungsschutz, wie Art. 18 GG ihn demgegenüber darstellt. Selbst wenn man Art. 18 GG mit der ganz überwiegenden Lehre ebenfalls so auslegt, dass er die präventiv-generelle Verwirkung und damit faktische Aberkennung bestimmter Grundrechte ermöglicht, ist er dem spanischen Art. 55 Abs. 2 nicht vergleichbar. Art. 18 GG stellt nämlich trotz allem auf den Missbrauch von Grundrechten und nicht auf staatsfeindliche Aktivitäten gleich welcher Art ab. Er richtet sich damit an den Grundrechtsanwender und bezeichnet ihm eine gleichsam verfasssungswidrige Art der Freiheitsausübung. Art. 55 Abs. 2 der spanischen Verfassung dagegen ermächtigt allein den einfachen Gesetzgeber, die Modalitäten einer Aberkennung bestimmter Grundrechte zwecks effektiver Terrorahndung zu regeln. Er ist damit eher der Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Art. 10 Abs. 2 GG als der Grundrechtsverwirkung vergleichbar. Art. 18 GG regelt keine bloße Einschränkbarkeit von Grundrechten, wie es Art. 55 Abs. 2 der spanischen Verfassung – wenn auch bishin zur völligen Aberkennbarkeit – tut, sondern eine gewisse Grenze der aufgezählten Grundrechte. Beide Normen stimmen damit dogmatisch nicht überein, widersprechen einander aber auch nicht. Die spanische Vorschrift steht folglich der deutschen Grundrechtsverwirkung in keiner Weise entgegen. d) Zwischenergebnis Auch Verfassungen anderer Länder, so etwa Art. 18 und 41 Abs. 2 der italienischen oder Art. 40 Abs. 6 Nr. 1a der irischen Verfassung bestimmen, dass einzelne Rechte nicht in der Weise ausgeübt werden dürfen, die Sicherheit, die Freiheit und die Würde des Menschen bzw. die öffentliche Ordnung oder das Ansehen des Staates zu beschädigen.232 Diese Regelungen implizieren eine Rechtsausübungsgrenze für den Fall des Missbrauchs auch in diesen Ländern. Dasselbe gilt für die in fast allen westeuropäischen Ländern anerkannte Auflösung von Parteien als Mittel zur Verteidigung der Demo231  Zu vergleichbaren Elementen in der spanischen Verfassung Prado, Spain, in: Thiel (ed.), The ‚Militant Democracy‘ Principle in Modern Democracies, S. 243 (249 ff.), der nicht Art. 55 Abs. 2 hierunter zählt. 232  Vgl. Iliopoulos-Strangas, Bedrohung und Verteidigung der Demokratie, in: dies. (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 77 (83).

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E. Kontextualisierung

kratie.233 Auch hierbei handelt es sich schließlich um einen Fall des Missbrauchs der Vereinigungsfreiheit zum Kampf gegen die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie. Selbst andere westeuropäische Staaten, deren Verfassungen keine Regelung zur Selbstverteidigung ihrer freiheitlichen Demokratie enthalten, stehen freilich Angriffen auf ihre Grundfesten von innen heraus nicht wehrlos gegenüber. So haben die meisten Länder einfachgesetzliche Vorkehrungen gegen extremistische Aktivitäten oder zumindest eine entsprechend „wehrhafte“ Jurisdiktion.234 Dass sich Deutschland mit seiner Grundrechtsverwirkung zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ins Abseits der westeuropäischen Verfassungen manövriert hat oder dies bei einer Anwendung der Grundgesetznorm tun würde, steht deshalb grundsätzlich nicht zu befürchten. Gleichwohl darf Art. 18 GG nicht isoliert, ohne jeden Blick auf andere Verfassungen und internationale Verträge interpretiert werden. Das Grundgesetz befindet sich mehr und mehr in einem internatioalen Kontext und muss sein Schutzniveau individueller Rechte anderen, vor allem höherrangigen Vorgaben gemäß nach oben hin angleichen. Nur eine Auslegung, die diesen internationalen Zusammenhang berücksichtigt, kann daher rechtlichen Bestand haben. 4. Fazit Versteht man Art. 18 GG richtig als missbrauchsbezogene Einschränkung der Geltendmachungsmöglichkeit grundrechtlicher Schutzbestimmungen, ergeben sich keine Konflikte mit den Konventionsrechten und damit auch nicht mit den Rechten der EUGRCh. Zwar kann das BVerfG diese nicht nach Art. 18 GG für verwirkt erklären, doch finden sie bereits aufgrund des Art. 17 EMRK bzw. des Art. 54 EUGRCh im Missbrauchsfall keine Anwendung. Dagegen könnte sich der Verwirkungsgegner, dessen Grundrechtsschutz nach herkömmlichem Verständnis auch für den Fall nichtmissbräuchlichen Verhaltens aberkannt wird, noch auf die einschlägigen Konventions233  Ausführlich Iliopoulos-Strangas, Bedrohung und Verteidigung der Demokratie, in: dies. (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 77 (90); Kontopodi, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Verbot politischer Parteien, S. 106 ff. 234  Vgl. Thiel,  Introduction, in: Thiel (ed.), The ‚Militant Democracy‘ Principle in Modern Democracies, S. 11, der zu Recht zu Bedenken gibt, dass Verfassungsrecht nicht in jedem Land und jeder Rechtskultur dieselbe Bedeutung hat, weshalb mit Differenzierungen hier vorsichtig verfahren werden muss (S. 6 f.); siehe auch die einzelnen Länderberichte, in: Thiel (ed.), The ‚Militant Democracy‘ Principle in Modern Democracies.



IV. Vergleich mit internationalem Recht271

rechte berufen, was zu einer Aushöhlung des mit Art. 18 GG bezweckten Verfassungsschutzes führen würde. Infolge der restriktiven Auslegung des Art. 17 EMRK, die auch auf Art. 54 EUGRCh zu übertragen ist, läuft Art. 18 GG außerdem Gefahr, gegen diese Bestimmungen zu verstoßen. Über das in der EMRK bzw. der EUGRCh vorgesehene Maß hinaus dürfen Verfassungen der Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EGMR keine Aberkennung von Freiheitsrechten erlauben. Zwar hat der Gerichtshof einige präventive verfassungsschützende Maßnahmen der Mitgliedstaaten für mit Art. 17 EMRK vereinbar erklärt, doch hat er gleichwohl betont, dass die Norm keine generelle, unumkehrbare Aberkennung von Konventionsrechten für die Zukunft stützen könne. Insoweit Art. 18 GG aber so interpretiert wird, dass in letzter Konsequenz alle in ihm genannten Grundrechte für immer verwirkt und damit ihr Schutz durch das BVerfG aberkannt werden kann,235 verstößt eine solche Maßnahme gegen Art. 17 EMRK sowie Art. 54 EUGRCh. Auch wenn Zuleeg anderen Staaten davon abrät, die Regelung des Art. 18 GG in ihre Verfassungen zu übertragen,236 rekurriert er auf dessen vermeintlichen Charakter als „einschneidende Sanktion“237, wohingegen er die völker- und europarechtlichen Regelungen ob ihrer Gewährung eines großen Freiheitsraumes für vollkommen unbedenklich hält. Auch die griechische Missbrauchsregel füge sich ohne Schwierigkeiten in die entsprechende Grundrechtsdogmatik ein.238 Dem zwischen den Zeilen mitschwingenden Umkehrschluss, dies gelte nicht für Art. 18 GG, soll mit dieser Arbeit begegnet werden. 235  In diesem Sinne etwa Wiegand, NJ 1993, 396 (400), der dies nur als eine zusätzliche Maßnahme zur Restriktion des grundrechtlichen Schutzbereiches a priori auf Handlungen, die nicht die in Art. 79 Abs. 3 GG festgelegten Verfassungssätze negieren, ansieht. Beide Instrumente sollen bei entsprechender Sachlage parallel zur Verfügung stehen. Dies vermag bereits dogmatisch in keiner Weise zu überzeugen: Wenn der Grundrechtsschutz für demokratiefeindliche Aktivitäten, welche die Grundwerte des Art. 79 Abs. 3 GG verletzen, von vornherein nicht besteht, würde es wohl in den allermeisten Fällen weder der Konstruktion des Grundrechtsmissbrauchs, der ja ein prima facie vorhandenes Grundrecht voraussetzt, noch der Grundrechtsverwirkung bedüfen, die ja einen zunächst vorhandenen Schutz erst entziehen kann. Selbst wenn also Art. 18 GG eine über die von Wiegand vorgeschlagene Schutzbereichsreduktion hinausgehende Wirkung zukommen würde, böte sich überhaupt kein rechtlicher Anknüpfungspunkt mehr für sein Eingreifen. 236  Zuleeg, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 41 (49); vgl. auch Schwabe, ZRP 1991, 361 (362), der dem Freistaat Thüringen zur Übernahme des Art. 18 GG „nach 40jährigem Tod“ abrät. 237  Zuleeg, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 41. 238  Zuleeg, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 41 (49 ff.).

F. Effektivität Abschließend sollen nunmehr Praktikabilität und Effektivität der Grundrechtsverwirkung untersucht werden. Sicher ist kein Mechanismus der Verfassungssicherung so stark, dass er die Beseitigung der Verfassung von innen heraus vollkommen verhindern könnte. Er kann entsprechende Bestrebungen der Bürger nur erschweren und dadurch versuchen, sie aufzuhalten. Die einzige wirksame Sicherung der freiheitlichen Demokratie lässt sich nicht mit den Mitteln des Rechts schaffen, sie muss in den Köpfen ihrer Bürger verfestigt sein. Jahrreiß bezeichnet dies als das „Lebendig-Sein der Ordnung in den Herzen und Köpfen […], die Gesinnung der Herrschenden und der Beherrschten“.1 Trotz dieser Erkenntnis fragt sich, ob das rechtliche Instrument der Grundrechtsverwirkung überhaupt praktische Bedeutung erlangen und in der Realität moderner Demokratien, insbesondere angesichts des Einflusses neuer Medien und Kommunikationsformen, noch die angestrebte Wirkung zeitigen kann. In diesem Zusammenhang ist auch das Entscheidungsmonopol des BVerfG zu diskutieren. Womöglich verhindert es gerade eine effektive Anwendung der Grundrechtsverwirkung anstatt einen übermäßigen oder gar willkürlichen Gebrauch durch den Staat zu unterbinden. Diese beiden unterschiedlichen Aspekte einer praktikablen Durchführung der Grundrechtsverwirkung sollen im Folgenden vor der Folie des hier vertretenen missbrauchsbezogenen Verwirkungsverständnisses genauer beleuchtet werden.

I. Reale Bedeutung der Grundrechtsverwirkung Die potentielle Anwendung der Grundrechtsverwirkung begegnet in der Realität einigen Schwierigkeiten. So scheint Art. 18 GG neben einfachgesetzlichen Normen schlechterdings überflüssig oder jedenfalls impraktikabel zu sein. Andere Mittel der Extremistenbekämpfung könnten demgegenüber schlicht effektiver sein. Nachfolgend soll die hier vertretene Verwirkungslehre mit diesen unterschiedlichen realen Anwendungsschwierigkeiten konfrontiert und dabei auf ihre Praktikabilität hin untersucht werden.

1  Jahrreiß,

Verhandlungen des 37. Deutschen Juristentags, S. 29.



I. Reale Bedeutung der Grundrechtsverwirkung273

1. Entbehrlichkeit der Grundrechtsverwirkung? Wenn Dagtoglou dem Art. 18 GG keine glorreiche Geschichte bescheinigt und davon ausgeht, dass eine solche Norm heute in eine Verfassung nicht mehr aufgenommen werden würde, argumentiert er vor allem damit, dass das Verbot des Missbrauchs von Grundrechten aufgrund seiner Selbstverständlichkeit entbehrlich sei.2 Dabei übersieht er jedoch, dass Art. 18 GG gar kein Missbrauchsverbot enthält, sondern lediglich die Regel, dass der Missbrauch von Grundrechten zu ihrer Verwirkung und damit zu einem Ausübungshindernis führt. Dies war jedoch nicht zu jeder Zeit selbstverständlich, was frühere liberale Demokratietheorien zeigen. Erst Loewenstein und andere Verfassungsrechtler haben in den dreißiger Jahren, zunächst in den USA, das Problem der Freiheitsperversion ins allgemeine Bewusstsein gebracht. Selbst wenn also heute Konsens sein dürfte, dass freiheitsbekämpfende Handlungen nicht grundrechtlich geschützt sein können bzw. in einem solchen Fall staatliche Eingriffe gerechtfertigt sind, ist dies nicht notwendigerweise so. Art. 18 GG verhindert aber jede andere Auslegungen der Grundrechte und ist insofern auch zukünftig unabdingbar. Dagtoglu hat jedoch insofern Recht, als die Notwendigkeit einer Missbrauch wehrenden Regelung, wenn sie sogar in der Verfassung festgehalten und mit derartigen Rechtsfolgen belegt wird, völlig unstreitig zu sein scheint. Der Schutz der Demokratie vor umstürzlerischen Absichten wird demgemäß ganz selbstverständlich und unter bloßem Hinweis auf den offensichtlichen Willen der Verfassung zum Selbstschutz durch andere Mittel, wie das einfache Gesetzesrecht, verwirklicht. Wäre dies irgendwann nicht mehr der Fall, könnte auch Art. 18 GG mit einer Zweidrittelmehrheit jederzeit abgeschafft werden. Damit macht dieser sich aber gleichsam selbst überflüssig. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass eigentlich erst Art. 18 GG die wehrhafte Grundhaltung positiviert und – zumindest unter dem Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Gestalts – grundsätzlich unanfechtbar macht. Die Grundrechtsverwirkung kann aber durch andere verfassungsschützende Maßnahmen des Staates, wie sie das Polizei- und Strafrecht ermöglichen, entbehrlich geworden sein. Wie bereits dargelegt,3 greifen belastende Maßnahmen des Staatsschutzrechts nach der herrschenden Dogmatik in den Schutzbereich eines Grundrechts ein, sind aber – so sie sich im Rahmen der grundrechtlichen Schranken bewegen und verhältnismäßig sind – verfas2  Dagtoglou, in: Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 103 (110 f.) meint außerdem, es sei ein „Glücksfall [gewesen], dass der griechische Verfassungsgeber sie nicht übernommen hat“. 3  Siehe unter D. III. 1. a).

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F. Effektivität

sungsrechtlich gerechtfertigt. Dies ermöglicht ein flexibles Reagieren der Behörden auf Gefahren und staatsfeindliche Aktivitäten, das rechtlich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu bewerten ist. Dabei dient die Entscheidung des Grundgesetzes für die streitbare Demokratie und der damit bezweckte Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als verfassungsrechtlicher Abwägungstopos und vermag regelmäßig entsprechende Maßnahmen des Staates gegenüber Individuen oder juristischen Personen zu rechtfertigen. Das weitaus umständlichere Verfahren der Grundrechtsverwirkung scheint daneben nachgerade überflüssig. Dies ist jedoch ein Trugschluss, wirken Art. 18 GG und einfacher Republikschutz doch auf ganz anderer Ebene. Sie konkurrieren daher gar nicht, sondern stehen gleichberechtigt nebeneinander, ja ergänzen sich sogar wechselseitig. Versteht man die Grundrechtsverwirkung wie hier als missbrauchsbezogenes Hindernis der Geltendmachung von Grundrechten, können Behörden im Einzelfall die verwirkten Grundrechte schlicht außer Acht lassen, weil der Missbrauchende sich auf sie nicht mehr berufen kann, und deshalb restriktivere Eingriffsmaßnahmen als im Falle einer regulären Grundrechtsbindung vornehmen. Andersherum zeitigt die Verwirkung nur Folgen, wenn die Behörden im Rahmen der Gesetze gegen den Betroffenen vorgehen, da der Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht gleichzeitig ausgesetzt ist.4 In der Praxis wäre es also für die Behörden durchaus sinnvoll, unter Hinweis auf die Verwirkung von Grundrechten gezielt gegen demokratiegefährdende Aktivitäten Einzelner vorzugehen. Mangels sonst notwendiger eingehender Abwägungen grundrechtlich geschützter Belange mit dem der Verfassung entnommenen ungeschriebenen Prinzip der streitbaren Demokratie, würden solche verwirkungsgestützten Maßnahmen sogar zügiger und effektiver eingesetzt werden können als herkömmliche Mittel. Fraglich erscheint überdies, ob die zum verfassungsrechtlich geschützten Prinzip erhobene freiheitliche demokratische Grundordnung überhaupt als Abwägungstopos taugt.5 Die in diesem Zusammenhang vom BVerfG herangezogenen Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG sehen jeweils ganz bestimmte Vorkehrungen und Verfahren vor und statuieren kein allgemeines Prinzip des Verfassungsschutzes. Eine solche Überhöhung ungeschriebener verfassungsrechtlicher Werte zu abwägungsfähigen Prinzipien erscheint angesichts 4  Siehe

unter D. IV. 3. auch die Ausführungen von Brüning, Der Staat 41 (2002), 211 (236), der einer Implementierung der angeblichen antinazistischen Tendenz des Grundgesetzes in die öffentliche Ordnung als Schranke der Versammlungsfreiheit durch das OVG Münster unter Verweis auf die explizit vorgesehenen Schutzvorkehrungen der Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG entgegen tritt. 5  Vgl.



I. Reale Bedeutung der Grundrechtsverwirkung275

der hervorgehobenen Bedeutung der Grundrechte und ihrer umfassenden Positivierung im Grundgesetz dogmatisch fragwürdig.6 Art. 18 GG behält ein tauglicheres und vor allem verfassungsrechtlich positiviertes Fundament für Eingriffe gegenüber Freiheitsgegnern vor, das rechtsstaatlichen Anforderungen daher besser genügt. 2. Insuffizienz der Grundrechtsverwirkung? Ein weiterer Vorwurf, dem die Grundrechtsverwirkung begegnen könnte, ist ihre heutige Ineffektivität oder Impraktikabilität. Art. 18 GG reagiert wie die anderen verfassungsschützenden Vorschriften des Grundgesetzes auf eine Vorgehensweise, wie sie für die faschistischen und kommunistischen Bewegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem während der Weimarer Republik typisch waren: Sie nutzten meist den legalen Weg und traten offen in Erscheinung.7 Heute dagegen, insbesondere vor dem Hintergrund moderner Kommunkationsformen und der Internationalisierung des Terrorismus, agieren Verfassungsgegner oft versteckt individuell oder konspirativ8 und treten nur punktuell mit gezielten Anschlägen an die Öffentlichkeit. Dabei bietet das Internet einen kaum überschaubaren Rahmen für terroristische und extremistische Aktivitäten – auch über die nationalen Grenzen hinweg.9 Dies wird insbesondere von einem nicht mehr in ein 6  Dazu ausführlich Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 124 ff.; kritisch auch Schaefer, Grundlegung einer ordoliberalen Verfassungstheorie, S. 600 f.; vgl. auch Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, S. 81: Zu den Grenzen der Demokratie, die notwendig sind zum Erhalt der Demokratie, „gehören keine übergeordneten Prinzipien, die es gestatten würden, in eine Demokratie undemokratische Entscheidungsformen einzubeziehen“; ebenso Rauer, Rechtliche Maßnahmen gegen rechtsextremistische Versammlungen, S.  69 f. 7  Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere Loewenstein, Militant Democracy, S. 425 f. Siehe auch noch Kaufmann, in: Denninger (Hrsg.), Freiheitliche demokratische Grundordnung I, S. 95 (97 f.) in Abgrenzung zu Staatsgefährdungssituation des 19. Jahrhunderts. 8  Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, S.  689: „Dem versierten Täter biete das Internet bisher ungekannte Möglichkeiten, sich der Durchsetzung des Rechts im Ergebnis zu entziehen. […] im Internet machen sich die Starken unsichtbar und schlagen aus dem Verborgenen zu.“ Dem Sozialwissenschaftler Schiffauer zufolge etwa sind islamistische Attentäter zumeist entwurzelte Einzelgänger, die sich selbst im Internet radikalisieren und gerade nicht Mitglieder „legalistischer islamischer“ Gemeinden sind, vgl. Lau, Die Zeit vom 12. Mai 2011, S. 17. Dahingegen agieren Links- und Rechtsextreme nach wie vor auch offen. 9  Zur Verbreitung islamistischer Hasspropaganda im Netz am Beispiel des Predigers Amwar al-Awlaki, dem „Bin Laden des Internets“, J. Schmidt, SZ vom 16. November 2010, S. 17; vgl. zu den sehr begrenzten technischen Möglichkeiten

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F. Effektivität

schlichtes Rechts-Links-Schema10 einordbaren fundamental-religiösen Terrorismus genutzt, nicht allein von Deutschland, sondern auch von anderen europäischen oder außereuropäischen Staaten aus. Die Erscheinungsformen des politischen Extremismus haben sich mithin in der globalisierten und technisierten Welt vervielfältigt. Bereits 1937 beklagte Loewenstein vor dem Hintergrund des europäischen Faschismus eine mangelnde internationale Kooperation von Demokratien.11 Auch heute – zumal in Zeiten der verstärkten Zusammenarbeit auf europäi­ scher Ebene – ist eine solche staatenübergreifende einheitliche Behandlung von politischen Extremisten unentbehrlich. Die Probleme, welche sich bei der Verwirkung angesichts eines umfassenden Grundrechtsschutzes auch auf internationaler Ebene stellen, zeigen die Unmöglichkeit eines nationalen „Alleingangs“ nur umso eindringlicher. Stellte schon Loewenstein mit Recht einen Zusammenhang zwischen der Existenz faschistischer Bewegungen und ihrer Machterlangung in einer Vielzahl europäischer Staaten her, hat sich diese Wirkungsweise heute potenziert: Das Erstarken extremistischer Gruppierungen, gleich ob linker, rechter oder islamistischer Provenienz, ist selten ein Problem nur einzelner Staaten, sondern betrifft meist viele Länder. Sie können daher nur im Wege einer europäischen und transatlantischen Kooperation wirksam bekämpft werden. Doch im Unterschied zum herrschenden Verwirkungsverständnis, das aufgrund des internationalen Grund- und Menschenrechtsschutzes im internationalen Raum kaum Wirkung zeitigen kann, ermöglicht Art. 18 GG in seiner hier vertretenen Auslegung auf der nationalen Ebene grundrechts­ ungebundene Maßnahmen gegenüber Freiheitsbekämpfern. Ähnliche oder gleiche Vorkehrungen kennen – wie bereits dargestellt – die Verfassungen anderer Länder und die EMRK sowie die EUGRCh.12 Auf dieser Grundlage können die Staaten damit effektive Vorschriften zur Bekämpfung des politischen Extremismus erlassen und Eingriffsmaßnahmen gegenüber Einzelnen durchführen. Während also eine international einmalige Grundrechtsverwirkung, die nach der herkömmlichen Auslegung eine umfassende präventivgenerelle Aberkennung von Grundrechten ist, über die Grenzen Deutschlands hinweg kaum durchgesetzt werden könnte, befugt Art. 18 GG nach der Unterbindung von Individualkommunikation im Netz Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, S. 287 ff. 10  Vgl. zur mittlerweile wohl überholten – wenn überhaupt jemals richtigen – Einteilung in Rechts- und Linksextremismus bereits Jaschke, Wertewandel, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 225 (230, 242 ff.). 11  Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 430 ff. 12  Siehe unter E. II. 4.



I. Reale Bedeutung der Grundrechtsverwirkung277

der richtigen missbrauchsbezogenen Interpretation auch zu grenzüberschreitenden eingreifenden Maßnahmen.13 Allein nationale Regelungen könnten dagegen etwa im Internet verbreiteter extremistischer Propaganda kaum wirksam begegnen, da sich der Betroffene nach einer Unterlassungs- oder Sperrungsverfügung lediglich auf eine ausländische domain oder eine international verbreitete Website verlegen müsste.14 Ob dagegen eine generelle Blockade etwa von islamistischen Videos auf dem Portal Youtube technisch möglich und politisch durchsetzbar wäre, ist sehr fraglich, aber nicht in diesem Rahmen zu entscheiden.15 Das gleiche gilt für die zunehmende potentielle Gefahr durch kollusives Zusammenwirken einer Vielzahl von Bürgern in Blogs und via Twitter. Hier entsteht die Gefährdungslage schließlich erst durch die Interaktion und das Zusammenspiel der einzelnen – infolge der Anonymität im Netz einem konkreten Individuum meist nicht zurechenbaren – Beiträge. Da hier bereits der Grundrechtsschutz sehr fraglich ist, handelt es sich allerdings wohl weniger um ein Anwendungsproblem der Grundrechtsverwirkung als der rein praktischen Gefahrenabwehr. Nur, wenn Art. 18 GG so verstanden wird, wie hier dargelegt, vermag er folglich in der heutigen Zeit technischer und gesellschaftlicher Um­ brüche überhaupt noch praktische Wirkungen zu zeitigen. Mit der Auslegung der Verwirkung als missbrauchsbezogenes Geltendmachungshindernis von Grundrechten kann Art. 18 GG tatsächlich als eine flexible dogmatische Handhabe des Grundgesetzes zur Lösung von unumgänglichen inneren Widersprüchen einer unbegrenzten Freiheitsgewährleistung verstanden werden.

13  Vgl. etwa Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, S. 654 ff. zu den Möglichkeiten der internationalen Amts- und Rechtshilfe bei der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Bereich der Internet-Kommunikation. 14  Vgl. zu den technischen Grenzen und Schwierigkeiten des Sperrens von Internetangeboten Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, S. 307 ff., 689 ff., der den Kampf gegen „störende Internetangebote“ mit dem Kampf gegen eine Hydra vergleicht, der stets neue Köpfe wachsen, sobald ein Haupt abgeschlagen wurde; ebenso Sieber / Nolde, Sperrverfügungen im Internet, S. 178  ff., 191 ff. 15  So wich etwa der islamistische Hassprediger al-Awlaki nach Abschaltung seiner Webseite in den USA auf das Videoportal Youtube aus, das mit seiner „Reichweite und Beliebtheit vor pauschalem Abschalten sicher [ist]“. Weil eine Blockade der Youtube-Videos politisch und technisch derzeit wohl nicht möglich sei, wäre der wirksamste Widerstand die Widerlegung dieser Predigten durch andere islamische Theologen, so J. Schmidt, Problem Server, SZ vom 16. November 2010, S. 17; vgl. zu den völkerrechtlichen Problemen der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung im Internet auch Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, S.  641 ff.

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F. Effektivität

3. Alternativen zur rechtlichen Extremistenbekämpfung Anstelle einer rechtlichen Auseinandersetzung mit Extremisten, wie sie Art. 18 GG bezweckt, könnte auch deren alleinige politische Bekämpfung als hinreichend und sogar wirksamer angesehen werden. So wird teilweise eine zu starke Verrechtlichung eigentlich politischer Konflikte, insbesondere solcher, die sich aus dem Gegensatz Demokratie-Extremismus ergeben,16 kritisiert und eine Verlagerung in die politische Sphäre befürwortet.17 Seit 1949 zeichnet sich, so Wahl, eine fortschreitende materielle Verrechtlichung und Judizialisierung gesellschaftlich-politischer Probleme ab, die dazu führt, dass in Deutschland wahrscheinlich mehr als in jedem anderen Land soziopolitische Konflikte nach Rechtsregeln beurteilt werden und dem Richter zugänglich sind.18 Stattdessen könnte aber die Diskreditierung extremistischer Äußerungen auch dem politischen Meinungskampf überlassen bleiben. Dies gilt insbesondere für die Bekämpfung nationalsozialistischer Aktivitäten, die heute etwa mit den Bestimmungen des § 130 StGB weitreichend auf die rechtliche Ebene verlagert wurde. Auf die Abwehr dringender Gefahren für Leib und Leben durch terroristische Anschläge kann dies freilich nicht übertragen werden, hier ist allein ein schnelles sicherheitsbehördliches Einschreiten Erfolg versprechend. Ein ähnliches, vor allem in jüngerer Zeit beobachtetes und von vielen Seiten unterstütztes Mittel zur Bekämpfung insbesondere rechtsextremer Umtriebe ist das bürgerschaftliche Engagement gegen Neonazis in Vereinen, Menschenketten, Blockaden rechtsextremer Versammlungen und ähnlichen Aktionen.19 Solange diese friedlich vonstatten gehen, sind sie sicher das 16  Jaschke, Wertewandel, in: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 225 (232, 254). 17  So argumentiert etwa Poscher, NJW 2005, 1316 (1318), für eine rein politische Auseinandersetzung im Vorfeld etwa der Grundrechtsverwirkung. Bull, Freiheit und Grenzen des politischen Meinungskampfes, in: Festschrift BVerfG, S. 163 (188), plädiert indes für eine weitgehendere rechtliche Unterbindung von Extremismus: „Das neuerdings zu beobachtende Anwachsen des Rechtsextremismus darf zwar nicht zum Anlass hektischer und einseitiger Repressionen werden, aber es könnte notwendig sein, die Instrumente der ‚abwehrbereiten Demokratie‘ in stärkerem Maße anzuwenden als bisher üblich.“ 18  Wahl, Herausforderungen und Antworten, S. 40  f., der dies als „deutschen Sonderweg“ bezeichnet. Vgl. auch Bettermann, Hypertrophie der Grundrechte, S. 6, der provozierend eine zunehmende „Entwicklung zum, totalen und perfekten Rechtsstaat, dessen Verhalten, weil rechtlich programmiert, vorhersehbar und richterlich kontrollierbar“ kritisiert. 19  Bundesverfassungsrichter Masing spricht sich in einem Interview in diesem Sinne für ein bloßes Bürgerengagement gegen Neonazis und gegen staatliche Repression aus: „Verbote provozieren Verschwörungstheorien und Märtyrerposen. […] die Feinderklärung, das ‚Außer-Recht-Setzen‘, ist die Kapitulation des Rechtsstaats,



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wirksamste Mittel gegen die Abschaffung der freiheitlichen Demokratie von innen heraus, da sie dieser unmittelbar entspringen und von einer Verankerung des demokratischen Bewusstseins in der Bevölkerung zeugen.20 Gleichwohl überlässt das Grundgesetz die Demokratie eben nicht dem freien Spiel der Kräfte, sondern schützt alle Meinungen und politischen Richtungen, muss ihnen damit auch entgegen dem Protest rechtschaffener Bürger Gelegenheit zur Äußerung verschaffen.21 So läuft etwa eine Aktion wie die „Kampagne gegen rechte Zeitungen“, die zur Verbannung aller rechten Zeitungen aus deutschen Geschäften und Kiosken aufruft und überwiegend von linken Gruppen initiiert wurde, Gefahr, zu einer „privat organisierten Zensur“ und die Pressefreiheit auf eigene Faust unterminierende Meinungsmacht zu werden.22 Überhaupt sollten gewalttätige Auseinandersetzungen verschiedener politischer Gruppierungen so weit als möglich verhindert werden, um eine destruktive Verunsicherung in der Bevölkerung, die letztlich ein Misstrauen in die freiheitliche Demokratie befördern würde, zu verhindern. Bürgerkriegsartige Zustände haben in der Weimarer Republik viele Bürger aus Sorge vor sozialer Unsicherheit und Anarchie zur Wahl radikaler und Ordnung versprechender Parteien getrieben.23 Um Gewalt und solche politischen Folgen zu verhindern, muss das Recht die Grenzen verfassungsmäßig tolerierten Handelns aufzeigen. Während die Demokratie in der Weimarer Republik nach der herrschenden Ansicht im Wesentlichen als Methode, eine soziale egal, ob es um Terroristen oder Rechtsradikale geht.“, Janisch / Kerscher, SZ vom 1. März 2011, S. 6; allgemeine für einen „Gesellschaftsvorbehalt“, nach dem Aufgaben des Gemeinwesens – zu denen grundsätzlich auch die Bekämpfung extremistischer Umtriebe zu zählen ist – der freien Initiative der Bürger überantwortet werden sollen Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz / Klein / Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kon­ trolle, S. 9 (35). 20  Zum Schutz solcher friedlicher Blockaden durch Art. 8 Abs. 1 GG vgl. Rusteberg, NJW 2011, 2999 (3000 ff.). 21  Diesen starken Schutz rechtsextremistischer Demonstrationen oder Versammlungen auch in der Weimarer Republik, der regelmäßig nicht die Rechte der Pro­ vokateure, sondern allein der Oppononenten beschnitt, kritisierte allerdings schon ­Loewenstein, The American Political Science Review 1937, S. 638 (652). 22  Vgl. Serrao, SZ vom 17. / 18. Juli 2010, S. 15. 23  Vgl. auch Gusy, KritV 2010, 111 (120 f.). Allgemein Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, S. 79: „Wer sich an Leib und Leben bedroht fühlt, wird einer undemokratischen Ordnung den Vorzug vor der Anarchie geben.“ Wenn diese Erkenntnis mit Möllers auch nicht den generellen Vorrang einer „Ordnung“ vor demokratischen Entscheidungen rechtfertigen kann, so kann Ziel demokratischer Entscheidungen doch die Wahrung einer auf repräsentativen demokratischen Strukturen fundierenden politischen Ordnung gegenüber der Selbstjustiz einzelner gesellschaftspolitischer Gruppierungen sein.

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F. Effektivität

Ordnung zu erzeugen, funktionierte und sie sich gewissermaßen als Konkurrenzmodell darstellte, in dem alle vertretenen Werte gleichrangig und gleichberechtigt nebeneinander standen,24 ist unter dem Grundgesetz stets der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Vordergrund des verfassungsrechtlichen Interesses. Hinzu kommt die überragende Bedeutung des Rechtsstaats in Abkehr von der Willkür des Nationalsozialismus, die für jedes gesellschaftlich erhebliche, insbesondere gemeinschädigende Verhalten klare und vohersehbare gesetzliche Folgen, gebunden an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, verlangt. Allein das Recht, nicht die Politik, soll damit als ultima ratio über die Verbannung extremistischer Personen und Gruppen aus der Öffentlichkeit entscheiden. Die Grundrechtsverwirkung ist deshalb als das rechtsstaatlich gebundene und damit für jeden vorhersehbare Mittel der bloßen politischen Auseinandersetzung mit Extremisten, die nicht unbedingt frei von Eigeninteresse und Willkür sein muss und Gefahr laufen kann, das rechte Maß zu verlieren, vorzuziehen. Durch ihren genau umgrenzten Tatbestand – dem Missbrauch von Grundrechten zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung – kann sie kaum zur bloßen Ausschaltung einer unliebsamen Opposition missbraucht werden.25 Politische oder bürgerschaftliche Kontroversen sind daneben selbstverständlich zulässig und in einem gewissen Maße sogar unentbehrlich, kommt es doch vor allem auf ein in der Bevölkerung nachhaltig gefestigtes demokratisches Bewusstsein an, wie die Erfahrungen aus der Weimarer Republik lehren. Sie können jedoch weder zu jeder Zeit genügen noch überhaupt dasselbe leisten wie Art. 18 GG. Diese Regelung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie auf das widersprüch­ liche Verhalten der Verfassungsgegner eingeht: Wer seine durch den Staat garantierte individuelle Freiheit dazu ausnutzt, für ihre allgemeine Abschaffung einzutreten, soll sie gegenüber dem Staat nicht geltend machen können. Genau diesen, einer umfassenden grundrechtlichen Freiheit zwangsläufig immanenten Widerspruch kann eine rein politische Auseinandersetzung – so notwendig sie ist – nicht lösen. Wenn das Verfassungsrecht Freiheiten gewährt, muss es umgekehrt auch selbst den Umgang mit freiheitsgefährdender Freiheitsbetätigung normativ regeln. 24  Vgl. nur Radbruch, Der Relativismus in der Rechtsphilosophie, in: ders., Gesamtausgabe, S. 17 (passim); siehe auch Groh, Zwischen Skylla und Charybdis, in: Gusy (Hrsg.), Weimars langer Schatten, S. 425 (441 f.); Loder, Das Neutralitätsprinzip im Streit der Gerichte, S. 187 f. 25  Vgl. Maunz, Die Suche nach den Schranken der Grundrechte, in: Festschrift Schäfer, S. 7 (17): „Aus wohlüberlegten Gründen haben Verfassung und Rechtsprechung den durch Art. 18 GG ermöglichten Eingriff stark eingegrenzt, so dass er nicht als Mittel des politischen Kampfes – etwa Regierung gegen Opposition – verwendet werden kann.“



II. Das Monopol des BVerfG281

II. Das Monopol des BVerfG Häufig wurde beklagt, dass das Monopol des BVerfG zur Feststellung der Grundrechtsverwirkung aus Art. 18 Satz 2 GG eine effektive Anwendung des Verfassungsschutzinstruments verhindern würde. Das Verfahren sei zu schwerfällig und unflexibel und das BVerfG wäre hoffnungslos überlastet, würden tatsächlich eine Vielzahl von Anträgen auf Ausspruch einer Grundrechtsverwirkung gestellt.26 Dies mag ein gewichtiges Argument gegen die Monopolstellung des BVerfG sein, ist aber doch nicht entscheidend. Nur, wenn nämlich die Entscheidung des BVerfG, wie § 39 BVerfG impliziert und die herrschende Meinung annimmt, als generell-präventive Grundrechtsaberkennung verstanden wird, entsteht dieses Problem überhaupt. Eine solche konstitutive Aberkennung des Grundrechtsschutzes samt Nebenfolgen, wie die Aberkennung des Wahlrechts und der Wählbarkeit, sowie die zusätzliche Bezeichnung konkreter Maßnahmen gegenüber dem Verwirkungsgegner würde zumindest im Fall einer Vielzahl von Anträgen die Kapazitäten des BVerfG zweifellos sprengen.27 Eine Kammer nur für die Aberkennung grundrechtlichen Schutzes einzurichten, würde dagegen den eigentlichen Zweck des BVerfG, Recht zu sprechen und nicht, es abzuerkennen, krass in sein Gegenteil verkehren. Wenn das BVerfG jedoch, wie hier vertreten, nur das Vorliegen eines Missbrauchs von Grundrechten feststellen müsste, würden sich die gleichen Probleme nicht stellen. Dieses Verfahren könnte zügig durchgeführt werden, zumal die Entscheidung nur wenige Alternativen zuließe. Freilich müssten auch hierbei aufwendige Beweise erbracht und ausgewertet werden, die sich mit zunehmender Praxis zwar routinieren könnten, aber stets einige Zeit in Anspruch nähmen und so ein flexibles Vorgehen gegen den Missbrauchenden dennoch erschweren würden.28 Diese Schwierigkeiten wurden im Parlamentarischen Rat kaum diskutiert. Letztendlich wurde die Mehrheit von den Ausführungen des Abgeord26  Isensee, Verfassungsnorm in Anwendbarkeitsnöten, in: Festgabe Karin Graßhof, S. 289 (290); vgl. auch bereits Benda / Klein,  Verfassungsprozessrecht, S. 450. Dies meint wohl auch Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 33, wenn er zur Einfügung des Satzes 2 in Art. 18 GG bemerkt: „Kann man diese Ordnung als ein Fortschritt betrachten?“. 27  Geiger, BVerfGG, Vorbem. 7 vor §§ 36 ff., hat seine Zweifel 1952 so ausgedrückt: „Dem BVG […] ist mit dieser Zuständigkeit eine Last aufgebürdet, von der man heute noch nicht sagen kann, ob es sie wird tragen können.“ 28  Hier scheint in der Tat der provokante Ausspruch Bettermanns zu passen: „Wie summum jus nur allzu leicht in summa iniura umschlägt, so kann der totale Rechtsschutz durch Verzettelung der beschränkten Kräfte zu weitgehender Rechtsschutzlosigkeit, zur Insuffizienz des zu weit gespannten Rechtsschutzes führen.“ (Hypertrophie der Grundrechte, S. 16).

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F. Effektivität

neten Dehler überzeugt, der die vorherige Fassung für „viel zu vage und unbestimmt“ hielt und fürchtete, dass danach jede Behörde den Betroffenen praktisch für vogelfrei erklären könnte. Dass weder die früherer Fassung vager oder unbestimmter war – hinsichtlich der rechtlichen Bedeutung der Verwirkung war sie im Gegenteil sogar bestimmter – noch dem Missbrauchenden die Grundrechte aberkannt werden und er damit praktisch vogelfrei sein würde, scheint die von der starken Rede offenbar beeindruckten Abgeordneten von der Gegenauffassung v. Mangoldts nicht überzeugt zu haben. Doch lediglich als missbrauchsbezogenes Ausübungshindernis von Grundrechten verstanden, können die von Dehler beschworenen Folgen überhaupt nicht eintreten. Es wäre rechtsstaatlich durchaus unbedenklich, wenn die Behörde belastende Maßnahmen gegenüber Verfassungsgegnern mit der Verwirkung des entsprechenden Grundrechts wegen Missbrauchs nach Art. 18 GG begründen könnte.29 Gegen diese Entscheidung würde eine sofortige Beschwerde beim BVerfG – möglich auch im einstweiligen Rechtsschutz – vollkommen genügen. So könnte etwa gegen den Redakteur einer rechtsextremen Zeitung, der wiederholt neonazistische Propaganda verbreitet, unter den gut begründeten Hinweis auf Missbrauch der Pressefreiheit und Verwirkung des entsprechenden Grundrechts aufgrund eines einfachen Gesetzes ein Publikationsverbot verhängt werden. Der Redakteur könnte sich gegen diese Verfügung zwar nicht unter Berufung auf seine Pressefreiheit wehren, wohl aber eine Überprüfung der Verwirkungsannahme durch das BVerfG beantragen.30 Eine solche unaufwendige Praxis der Grundrechtsverwirkung könnte zugleich einen weiteren, nicht unberechtigten Einwand entkräften: Das komplizierte Verwirkungsverfahren, wie Art. 18 Satz 2 GG es – zumal nach dem herkömmlichen Verwirkungsverständnis – vorsieht, wäre ohne Zweifel sehr medienwirksam. Dies hätte zur unangenehmen Folge, dass der Antragsgegner in extremistischen Kreisen entweder als Held (wenn er gerichtlich ob29  Die gegenteilige Auffassung vertritt ausdrücklich etwa Kapries, Die Schranken der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG, S. 149, der indes ohne nähere Begründung den Tatbestand des Art. 18 GG – andes als etwa die des Strafrechts – für „in höchstem Maße unbestimmt“ hält und – von dem präventiv-generellen Verwirkungsverständnis ausgehend – unzutreffend die Gefahr einer übermäßigen Beschränkung der Grundrechtsausübung beschwört. Kapries bedenkt dabei nicht den völlig verschiedenen Ansatz der Verfassungsnorm im Vergleich zum einfachen Gesetzesrecht. Nicht das Tatbestandsmerkmal des „Kampfes gegen die freiheitliche Grundordnung“ ist für Art. 18 GG entscheidend, sondern der Missbrauch und das daraus folgende Hindernis der Berufung auf Grundrechte, das einer Strafe in keiner Weise gleicht. 30  Auch Friesenhahn, in: Festschrift Thoma, S. 21 (51), hält dieses Verfahren für „sachgemäßer“.



II. Das Monopol des BVerfG283

siegt) oder aber als Märtyrer (wenn er unterliegt) verehrt würde.31 Wenn das BVerfG hingegen nicht über die präventiv-generelle Aberkennung von Grundrechten zu entscheiden hätte, sondern nur im Beschwerdeverfahren darüber urteilen müsste, ob die Verwaltung die Verwirkung rechtsfehlerfrei angenommen hat, erregt das Prozedere nicht nur weniger öffentliche Aufmerksamkeit, sondern ist auch in seinen Folgen wesentlich unspektakulärer und bietet daher kaum Gelegenheit dafür, dem Verwirkungsgegner öffent­ liche Symphatie zu verschaffen. Dieses Verfahren scheint deshalb im Ergebnis um einiges effektiver und nicht weniger rechtsstaatlich abgesichert zu sein als die langwierige Entscheidung des BVerfG, bevor eine behördliche Verfügung auf Grundlage der Verwirkung nach Art. 18 GG möglich ist. Satz 2 dieser Vorschrift sollte also dergestalt umformuliert werden, dass das BVerfG im Wege der Beschwerde prüft, ob die angenommenen Voraussetzungen der Grundrechtsverwirkung vorliegen. Für die dogmatische Richtigkeit dieser Konzeption sprechen auch die sonst auftretenden Schwierigkeiten bei der Antragstellung, die, wie oben aufgezeigt, nicht ohne Widersprüche entweder als Rechtspflicht oder als politisches Ermessen eingeordnet werden kann.32 Dagegen ergibt sich nach dem missbrauchsbezogenen Verwirkungsverständnis die Grundrechtsverwirkung bereits aus dem Missbrauch der grundrechtlich geschützten Freiheit. Sie geltend zu machen, ist dagegen allein Sache der Behörden, die sich dabei jedoch an die normative Entscheidung des Art. 18 GG halten, die Grundrechtsverwirkung also im Falle des Vorliegens aller, freilich einer gewissen Einschätzungsprärogative unterliegenden Tatbestandsmerkmalen rechtlich beachten müssen.

31  Das gleiche befürchteten politische Gegner und Rechtswissenschaftler im Zusammenhang mit der Anklage des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders unter anderem wegen Aufrufs zum Hass gegen Muslime; vgl. Th. Kirchner, SZ vom 5. Oktober 2010, S. 6. 32  Siehe unter C. I. 1.

G. Ausblick I. Neuinterpretation Das Grundgesetz begründet im Gegensatz zur formalen Theorie der Weimarer Staatsrechtslehre1 eine Materialisierung des Demokratieprinzips. Demokratie erschöpft sich danach nicht mehr im Verfahren, also im Mehrheitsprinzip, wie nach dem formalen Demokratieverständnis der Weimarer Republik, sondern verpflichtet die Mehrheit ihrerseits auf verbindliche Inhalte.2 Dies zeigt sich sowohl in der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG als auch in den verfassungsschützenden Vorschriften der Art. 9 Abs. 2, 21 Abs. 2 und 18 GG. Diese sowie einige andere Regelungen des Grundgesetzes bewirken zusammengenommen einen umfassenden Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Deutschlands, begründen darüber hinaus aber kein allgemeines Verfassungsprinzip der Streitbarkeit. Sie können also im Einzelfall gezielt gegen Angriffe auf die Grundfesten der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes eingreifen, jedoch nicht zusätzlich als Argument der Verfassung zugunsten von Eingriffen in die Freiheit des Einzelnen herangezogen werden. Als genereller Abwägungstopos dient damit das dem Grundgesetz zwar immanente, aber gerade in spezifischen Regelungen positivierte und deshalb nur solchermaßen anwendbare Streitbarkeitsprinzip nicht. Außer diesem Prinzip wird der Verfassung teilweise eine allgemeine Treuepflicht der Staatsbürger entnommen. Sie war zunächst in Art. 19 HChE vorgesehen, wurde aber aus verschiedenen Gründen nicht in das Grundgesetz aufgenommen.3 Ein Relikt dieser Verfassungstreuepflicht findet sich heute noch in Art. 5 Abs. 3 GG. Daraus wurde bisweilen freilich eine Verpflichtung aller Bürger hergeleitet,4 eine weder dem Wortlaut der Treue­ klausel noch der Entstehungsgeschichte ohne Weiteres zu entnehmende Schlussfolgerung,5 der darüber hinaus die Durchsetzbarkeit fehlt, so dass sie 1  Radbruch, Der Relativismus in der Rechtsphilosophie, in: ders., Gesamtausgabe III, S. 17 (20). 2  Grimm, Die Bedeutung der WRV, S. 22. 3  Vgl. dazu Der parlamentarische Rat V, S. 670 ff. 4  So wohl Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 33; vgl. auch Dürig, Grundrechtsverwirklichung auf Kosten von Grundrechten, in: summum ius, summum iniura, S. 80 (93), der von einem „Erst-recht-Schluss“ spricht. 5  Vgl. Der Parlamentarische Rat IX, S. 449: Die Intention des Gesetzgebers bestand lediglich darin, zu verhindern, dass die Lehre zum Kampf gegen die frei-



I. Neuinterpretation285

allein deklaratorischer Natur sein könnte – eine in Abkehr zur bloßen Programmatik vieler Vorschriften der WRV explizit nicht gewollte Rechtswirkung von Grundgesetznormen.6 Demgegenüber wird auf Art. 18 GG verwiesen, der im Umkehrschluss zur Verwirkung von Grundrechten im Falle ihres Missbrauchs zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eine Treuepflicht zu dieser verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundordnung verlange.7 Wenngleich danach der Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue mit der Grundrechtsverwirkung eine sinnvolle Rechtsfolge hätte, geht eine solche allgemeine Grundpflicht nicht zwingend aus Art. 18 GG hervor. So bestimmt die Regelung zwar effektive Grenzen der grundrechtlichen Schutzansprüche gegen den Staat, normiert aber – anders als die Treueklausel des Art. 5 Abs. 3 GG – keine positive Eintretenspflicht zugunsten dieser Verfassungsordnung. Die mögliche Annahme einer der Grundrechtsverwirkung zugrunde liegende Pflicht zur Verfassungstreue hängt aber vor allem mit dem Verständnis dieser Regelung zusammen. Insoweit Art. 18 GG bisher überwiegend als Sanktionierung eines bestimmten grundgesetzwidrigen Verhaltens begriffen wurde, liegt die Annahme zumindest einer entsprechenden Unterlassenspflicht tatsächlich nahe.8 Diese Auffassung lässt indes den – auch bereits entstehungsgeschichtlich – zentralen Begriff des „Missbrauchs“ von Grundrechten gänzlich unberücksichtigt und ersetzt ihn durch den bloßen „Gebrauch“ von Grundrechten zum Zweck der Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.9 Danach kommt es allein auf die Zielrichtung einer gleichwie gearteten Vorgehensweise an, die entweder als Reaktion auf ein gegen eine Unterlassenspflicht verstoßendes Verhalten oder aber präventiv zum Schutz der verfassungsgemäßen Ordnung die Aberkennung grundrechtlichen Schutzes nach sich zieht. Die mit „Missbrauch“ umschriebene verfassungsgefährdende Verhaltensweise wird damit allein als Anlass für die als „Verwirkung“ von Grundrechten bezeichnete Rechtsfolge heitliche demokratische Grundordnung genutzt wird, wie in der Weimarer Republik üblich. 6  Siehe nur den Kommentar des Abgeordneten Bauer, in: Der Parlamentarische Rat V, S. 670. 7  T. I. Schmidt, Grundpflichten, S.  189  ff.; Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, S. 404: „Der Ausschuss kam schließlich zu der Auffassung, dass der Zweck der Treueklausel als Missbrauchsschranke der Meinungs- und Pressefreiheit vollauf durch den Tatbestand der Grundrechtsverwirkung erfüllt werde, […] und dass es deswegen einer ausdrücklichen Treuepflichbindung gar nicht mehr bedürfe; sie wurde daher ersatzlos gestrichen.“ 8  So etwa T. I. Schmidt, Grundpflichten, S. 191; Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, S. 469  f.; dagegen scheint Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, S. 51 eine echte Handlungspflicht durch Art. 18 GG anzunehmen. 9  Siehe bereits unter B. I. 3.

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G. Ausblick

des Außerkraftsetzens von Grundrechten oder ihrer „Ausübungsbefugnis“ genommen, nicht aber als begriffliche Voraussetzung, ohne die andersherum der Missbrauch nicht nur folgenlos, sondern auch inhaltsleer wäre.10 Die in Art. 18 GG verwendeten Begriffe des „Missbrauchs“ und der „Verwirkung“ sind nicht zufällig gewählt und stehen deshalb nicht zusammenhanglos nebeneinander. Vielmehr bezieht sich die Verwirkung von Grundrechten auf den Missbrauch derselben, sie ist die Konsequenz eines von der Verfassung nicht bezweckten Gebrauchs individueller Freiheit, das allein zur Abschaffung der Freiheit selbst dient. Missbrauch von Grundrechten meint deshalb nicht die (missbräuchliche) Geltendmachung eines Grundrechts zum Schutz von freiheitsbekämpfenden Handlungsweisen. Vielmehr bezeichnet die in der Endfassung sehr ungenau geratene Formulierung den Missbrauch der individuellen Freiheit, deren konkrete Lebensausschnitte in den einzelnen Grundrechten gegenüber dem Staat verteidigt werden. Genau dieser mit den Grundrechten gewährte Abwehranspruch gegen den Staat soll nach Art. 18 GG nicht eingreifen, wenn sich die der individuellen Freiheitssphäre zugeordnete Handlungsweise gegen die freiheitliche Grundordnung der Demokratie selbst richtet. Notwendigerweise bezieht sich die Verwirkung von Grundrechten daher immer nur auf die jeweilige Missbrauchshandlung und nicht auf den Grundrechtsschutz allgemein. Primär bieten sich im Rahmen von Art. 18 GG zwei Möglichkeiten: Entweder man rückt den Verfassungsschutzcharakter der Vorschrift in den Vordergrund – dann kommt es im Ergebnis maßgeblich auf die Gefährlichkeit des Antragsgegners für die freiheitliche demokratische Grundordnung an.11 Oder aber, man stellt auf die Missbrauchsformel ab, so dass es entscheidend auf das tatbestandliche Verhalten des Antragsgegners ankommt. Anhaltspunkte im Normtext bieten sich nur für letztere Auslegung, teleologische Argumente könnten dagegen für erstere sprechen. Wie in dieser Arbeit aufgezeigt, zieht eine solche Auslegung aber eine Vielzahl dogmatischer Schwierigkeiten nach sich und führt vor allem dazu, dass sich die Verwirkung jedenfalls vor dem Hintergrund veränderter internationaler politischer und technischer Gegebenheiten weder rechtlich noch praktisch realisieren lässt. Dagegen weist die missbrauchsbezogene Auslegung den Vorzug auf, dass sie nicht nur in eine überzeugende Grundrechtsdogmatik eingebettet und praktisch im internationalen Rechtsrahmen fruchtbar gemacht werden kann, sondern auch die historische Entwicklung aus dem gemeinrechtlich fundierten Zivilrecht erkennen lässt. Seine Grundlage hat Art. 18 GG daher nicht in anderen präventiven, aber kollektivbezogenen Verfassungsschutzbediesem Sinne auch Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 15 a. E. etwa Krebs, in v. Münch / Kunig, GG, Art. 18 Rn. 5; Thiel, Verwirkung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 129 (139). 10  In

11  So



I. Neuinterpretation287

stimmungen, wie dem Vereins- oder Parteiverbot, sondern dem Verbot des Rechtsmissbrauchs, das in dem Prinzip „summum ius, summum iniura“ seinen Ausdruck findet.12 Art. 18 GG kann deshalb genau genommen nicht, wie so oft, als „Institut“ des Verfassungsschutzes bezeichnet werden, sondern stellt lediglich eine inhaltliche Konkretisierung im Sinne einer Präformation des Schutzanspruches der in ihm genannten Grundrechte dar. Das somit hier vertretene und gegenüber der herkömmlichen Auffassung stark eingegrenzte Verwirkungsverständnis steht vor allem im Widerspruch zur bislang maßgebenden Gallwa’schen Lehre. Allein diese vermag das hier abgelehnte generelle Verwirkungsverständnis teleologisch und dogmatisch zu stützen. Dass Gallwas aber die Verwirkung als präventiv-generelle Aberkennung des Grundrechtsschutzes allein dazu benötigt, einen allgemeinen Missbrauchstatbestand als permanent immanente Grundrechtsgrenze annehmen zu können13 – eine immer wieder angegriffene Theorie,14 die zu Recht kaum Anhänger gefunden hat –, entlarvt sein Verwirkungsverständnis als utilitaristisch und nicht rechtsdogmatisch fundiert. Gallwas macht, was aus seiner Sicht durchaus zweckmäßig ist, Art. 18 GG zu einer Art Strafvorschrift für besonders schwerwiegenden Grundrechtsmissbrauch, der deshalb santkionsähnliche Rechtsfolgen auslöst. Genau dieser Strafcharakter wird Art. 18 GG aber richtigerweise abgesprochen.15 Er widerspricht der Bedeutung der Grundrechte als vorstaatliche und unverletzliche Menschenrechte von vornherein: Eine Bestrafung für die falsche „Grundrechtsausübung“ durch Entzug des Grundrechts selbst oder sogar anderer, nicht missbrauchter Grundrechte, so wie die seit Gallwas herrschende Meinung annimmt, ist so ahistorisch wie menschenrechtswidrig. Dass diese Ansicht letztlich einem falschen Grundrechtsverständnis entspringt und daher unbedingt abzulehnen ist, wurde bis12  Vgl. etwa Stammler, Die Lehre vom richtigen Rechte, S. 58  ff., der dieses Prinzip folgendernmaßen umschreibt: „Wer eine besondere rechtliche Norm mit bestimmtem Inhalte bedingungslos behaupten und verfechten will, bloß weil sie eine rechtliche ist, verfällt einem sachlich unrichtigen Wollen.“ (S. 59, Hervorhebungen im Original). 13  Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 130 ff. 14  Kritisch bereits Schmitt Glaeser, AöR 95 (1970), 320 (323  f.); vgl. auch Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte, S. 131 f.; im Ergebnis auch Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, S.  25 ff. 15  Sogar Gallwas selbst lehnt ihn explizit ab. Allein dass er die Rechtsfolge des Art. 18 GG aber als „Sanktion“ (Der Missbrauch von Grundrechten, S. 134 f.) bezeichnet und deren mangelnden Strafcharakter hernach so beteuern muss, spricht indes für die gegenteilige Annahme. Auch befreit ihn der Hinweis auf den allein bezweckten Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vom Vorwurf der Pönalisierung, bezweckt doch zunächst jede Strafnorm den Schutz eines bestimmten Rechtsgutes. Erst die Strafe dient dabei der „Sühne und Abschreckung“ (Gallwas, Der Missbrauch von Grundrechten, S. 135).

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G. Ausblick

her nicht erkannt. Gallwas selbst zeigt mit dem „punktuellen Verwirkungsverständnis“ die Möglichkeit einer der liberalen Grundrechtstheorie gemäßen Auslegung von Art. 18 GG auf.16 Auch wenn er diese nur infolge einer fragwürdigen allgemeinen grundrechtsimmanenten Missbrauchstheorie schlüssig ablehnen kann, wurde seinem daraus resultierenden „generellen Verwirkungsverständnis“ hernach ganz überwiegend gefolgt. Dessen Widerlegung ist also nur die längst fällige Konsequenz aus der Ablehnung seiner Missbrauchslehre.17 Wie Gallwas beim Grundrechtsmissbrauch geht Merten von einer allgemeinen Grundrechtsverwirkung neben dem Spezialfall des Art. 18 GG aus.18 Diese soll infolge unzulässiger Rechtsausübung respektive widersprüchlichen Verhaltens nur im Einzelfall die Grundrechtsausübung hindern. Genau diese Interpretation der Verwirkung von Grundrechten wird hier für Art. 18 GG vertreten. Sie entstammt letztlich der dolo-agit-Einrede des gemeinen Rechts,19 wobei es sich hier nicht um das Verbot widersprüchlichen Verhaltens infolge Zeitablaufs handelt („Zeitmoment“) handelt,20 sondern um eine zweckwidrige, schädigende Rechtsausübung. Somit wird gleichsam eine verfassungsrechtliche exceptio doli etabliert. Unklar ist, woran Merten diesen Rechtssatz allgemein im Verfassungsrecht festmachen will. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit,21 verbietet eine solche Übernahme allgemeiner Rechtsprinzipien für das Verfassungsrecht, ohne dass sie eine positive Legitimation finden.22 Weil Art. 18 GG die Konsequenzen des Missbrauchs von Grundrechten abschließend normiert, können darüber hinaus ungeschriebene Verwirkungstatbestände nicht angenommen werden. Ungenau wird meistens auch die Bedeutung der Verwirkung im Rahmen von Art. 18 GG behandelt. Soll sie den Rechtsverlust erst bewirken oder die Rechtlosigkeit einer bestimmten Handlung nur „sichtbar machen“?23 Letzt16  Gallwas,

Der Missbrauch von Grundrechten, S. 122. aber zu einzelnen, auch vom BVerfG angenommenen Fällen des Missbrauchs grundrechtlicher Freiheit, der aber schlicht zu einer Nichtanwendbarkeit des jeweiligen Grundrechts führen soll, Merten, in: ders. / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 47 ff.; dagegen etwa Sachs, JuS 2004, 12 (14) im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit. 18  Merten, in: ders. / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 61 ff. 19  Dazu bereits oben S. 63 f. Vgl. auch Fleischer, JZ 2003, 865 (866 f.). 20  So aber Merten, in: ders. / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 61. 21  Differenzierend zur Verortung der Rechtssicherheit im Grundgesetz v. Ar­nauld, Rechtssicherheit, S.  667 ff. 22  Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrcehtsdogmatik, S. 27; allgemein v. Arnauld, Rechtssicherheit, S. 199. 23  Vgl. etwa die ungenauen Ausführungen von Wagner, Die Verwirkung der Wählbarkeit, S.  39 f. 17  Vgl.



I. Neuinterpretation289

lich ist diese Irritation aus der Vermengung eines angeblichen Missbrauchsverbots und der Verwirkung als unabhängiger Rechtsfolge entstanden. Dass nach Art. 18 GG nicht bereits der Missbrauch von Grundrechten verfassungsrechtlich ungeschützt ist,24 sondern erst die Rechtsfolge der Verwirkung dazu führt, dass Grundrechtsschutz nicht eingefordert werden kann, bewirkt sowohl eine spezifische rechtliche Verknüpfung von Missbrauch und Verwirkung als auch eine bestimmte Grundrechtsinterpretation: Die innentheoretische Annahme einer den Grundrechten innewohnenden Missbrauchsgrenze kann unter dieser Prämisse nicht aufrecht erhalten werden. Allein der subjektive Gewährleistungsgehalt der Grundrechte, der in ihrem Abwehranspruch gegen den Staat besteht, wird durch Art. 18 GG insoweit modifiziert, als er nicht die Abwehr staatlicher Maßnahmen gegen freiheitsmissbrauchende Handlungen gewährt. Nach alledem kann Art. 18 GG keine allgemeine Verfassungstreuepflicht, und sei es in Form einer Unterlassenspflicht zugrunde liegen. Die Verwirkung als Ausübungshindernis im Rahmen des subjektiven Gewährleistungsgehalts des Grundrechts bedeutet nicht zugleich eine sanktionierende „Aberkennung“ dieses Rechts.25 Es gilt daher nicht, die Loyalität des Einzelnen gegenüber dem Staat durchzusetzen,26 sondern eine „Sozialethik“27 in dem Sinne zu statuieren, dass der Grundrechtsschutz nicht zu einer Gefährdung anderer Grundrechtsberechtigter führt, also letztlich um einen Ausgleich freiheitsbedingter Gefährdungslagen zum Schutze des Gemeinwohls. Mit Konrad Hesse dürfen die Grundrechte „nur ihrem Geiste gemäß, nicht ihrem Geiste zuwider“ gebraucht werden.28 Dabei wird zugleich deutlich, dass das politische Strafrecht sowie das Gefahrenabwehrrecht gar keine Konkurrenz zu Verwirkungsnorm darstellen, sondern vielmehr eine andere Ebene bilden: Art. 18 GG begrenzt auf Verfassungsebene die Möglichkeit, Grundrechte geltend zu machen und hat damit eine gewisse „erzieherische“ Funktion29 in dem Sinne, dass er Gerichte, Gesetzgeber und Behörden – also Rechtsanwender – darauf hinweist, dass Grundrechte nicht jeden Freiheitsgebrauch decken. Dagegen setzen 24  So aber etwa Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, S. 51, der ein echtes Verbot des Grundrechtsmissbrauchs durch Art. 18 GG annimmt. 25  Für eine Interpretation des Art. 18 GG als „Aberkennungstatbestand“ aber Wagner, Die Verwirkung der Wählbarkeit, S. 36. 26  So Wagner, Die Verwirkung der Wählbarkeit, S. 37. 27  Dürig, JZ 1952, 514; dagegen aber Bettermann, Hypertrophie der Grund­rechte, S. 9. 28  Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 709. 29  So im Rahmen von Art. 25 Abs. 3 griechische Verfassung Iliopoulos-Strangas, Bedrohung und Verteidigung der Demokratie, in: dies. (Hrsg.), Der Missbrauch von Grundrechten in der Demokratie, S. 77 (85).

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G. Ausblick

politisches Strafrecht und Gefahrenabwehrrecht eine Ebene tiefer an, indem sie konkrete Handlungen untersagen bzw. unter Strafe stellen. Gewissermaßen konkretisieren sie damit auch die verfassungsrechtliche Verwirkungsnorm, die stets einfachgesetzlicher Eingriffsgrundlagen für Verwaltung und Gerichte bedarf, damit gegen Missbrauchende effektiv vorgegangen werden kann. Die Vorstellung, dass sich einfaches und grundgesetzliches Verfassungsschutzrecht gegenseitig ausschließen, verkennt diese prinzipielle Bedeutung des Art. 18 GG, der mit den einfachen Staatsschutzvorschriften konzeptionell nichts gemein hat. Wohl aber müssen diese sich an der limitierten Bedeutung des Art. 18 GG orientieren: Nur die dort genannten Grundrechte fallen im Missbrauchsfall der Verwirkung anheim; wenn der Artikel aber nicht einschlägig ist, sind jeder einfachgesetzlich gestützten behördlichen Maßnahme die betroffenen Grundrechte dagegen immer zugrunde zu legen und streng gegen den Zweck des Eingriffs abzuwägen. Effektivitätsprobleme, die im Rahmen des Art. 18 GG immer wieder beklagt werden und auch bei dem vorliegenden Verwirkungsverständnis bestehen können, lassen sich durch die Beseitigung des von Anfang an umstrittenen Art. 18 Satz 2 GG lösen. Die missbrauchsbezogen interpretierte Verwirkung von Grundrechten bedarf einer flexiblen Anwendbarkeit und Handhabung im Einzelfall. Zwar ist der erhöhte Rechtsschutzcharakter der Verfahrenssicherung durch Art. 18 Satz 2 GG unbestritten, erscheint im Ergebnis aber weniger bedeutsam als die hier vorgenommene rechtsfolgenbegrenzende Auslegung der Grundrechtsverwirkung. Für den Betroffenen ist ohne Zweifel wichtiger, dass die Rechtswirkungen der Grundrechtsverwirkung vorhersehbar, überschaubar und insgesamt grundrechtserhaltend sind, als dass allein das BVerfG diese ausspricht. Schließlich müssen sich auch die einzelnen Organe des Staates ebenso an Recht und Gesetz halten, sie dürfen eine Grundrechtsverwirkung also nur in den vom Grundgesetz vorhergesehenen Fällen annehmen, ihre Maßnahmen sind zudem – im Gegensatz zu den Entscheidungen des BVerfG – der Überprüfung durch nationale Gerichte zugänglich. Heute besteht freilich ein größeres Vertrauen in die Gerichte, insbesondere in das BVerfG, als in den Gesetzgeber oder die Exekutive, deshalb erscheint das Beharren auf dem Monopol des BVerfG durchaus nachvollziehbar. Aber diese Ansicht offenbart eigentlich eine tiefgreifende Skepsis in „parlamentarische Aushandlungsprozesse“30 und damit in die Grundvoraussetzung demokratischer Legitimation. Letztlich verkehrt die dem BVerfG in §§ 36 ff. BVerfGG zugedachte Aufgabe die Rolle des Gerichts von einer demokratischen Kontrollinstanz – dem „Hüter der Verfassung“31 – in eine 30  Möllers,

Der vermisste Leviathan, S. 106. Kelsen, Die Justiz Bd. IV (1930  /  31), S. 576 ff.; vgl. zu dem Begriff auch Jestaedt, Verfassungsgerichtspositivismus, in: Hommage an Josef Isensee, 31  Dazu



I. Neuinterpretation291

dem Gesetzgeber nicht vergleichbar demokratisch legitmierte Rechtsschöpfungsinstanz.32 In der Weimarer Staatsrechtslehre bestand im Gegenteil ein großes Vertrauen in die legitimierende Funktion des Gesetzgebungsverfahrens und eine Aversion gegen zweckmäßige Eingriffe der Judikative. Diese erschienen vielmehr als pure Anmaßung der Gerichte: „Als ob ihr Rechtsbewusstein notwendig identisch sei mit dem ‚allgemeinen‘ Rechtsbewusstsein und als ob dabei die Entscheidung von zwei Dritteln der Reichstagsmitglieder für Nichts zähle. […] Subjektive Meinungen haben gegenüber den formgerechten Entscheidungen des Gesetzgebers keine rechtliche Geltung.“33 Der von Carl Schmitt befürchtete Jurisdiktionsstaat34 führe dagegen zu kaum verallgemeinerungsfähigen einzelfallbezogenen Entscheidungen. Auch um einen damit einhergehenden Verlust rationaler und damit vorhersehbarer Maßstäbe staatlichen Handelns35 zu vermeiden, sollte nicht allein der Entscheidungskraft des BVerfG vertraut werden, sondern die Annahme einer Grundrechtsverwirkung den jeweils zuständigen staatlichen Gewalten überlassen werden. Die notwendige rechtliche Kontrolle kann dabei ohne Bedenken den „checks and balances“ der rechtsstaatlichen Gewaltengliederung anvertraut werden. Art. 18 GG ist nach dieser Neuinterpretation sowie Modifikaton zwar eine „scharfe Waffe“, aber kein so „hartes Mittel“, wie zumeist angenommen. Der Einzelne soll nicht mit einem Schlag „aus dem politischen Leben augeschaltet werden können“,36 allein seine missbräuchlichen Handlungsweisen sollen letztlich wirksam unterbunden werden. Damit erreicht die Verwirkungsnorm womöglich faktisch nichts anderes als der einfachgesetzliche Staatsschutz, knüpft aber an den funktionswidrigen Gebrauch grundrechtlich geschützter Freiheit und damit an einen anderen Sachverhalt an. Durch die folgerichtige Ausnahme missbräuchlicher Freiheitsbetätigung vom Gewährleistungsgehalt der Grundrechte wird zudem ein spezifischer Verfassungsschutz, der jedoch auf nur wenige Fälle zu beschränken ist, erreicht.

S. 183; ders., Und er bewegt sich doch!, in: Festschrift Walter Schmitt Glaeser, S.  267 (270) m. w. N. 32  Siehe zur Funktion judikativer Rechtserzeugung auch Möllers, Gewaltengliederung, S. 139, 158; zur besonderen Stellung des BVerfG innerhalb der Gewaltenteilung: S. 419. 33  Thoma, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten I, S. 53. 34  C. Schmitt, Legalität und Legitimität, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 263 (267). 35  Möllers, Der vermisste Leviathan, S. 106. 36  Ritter von Lex, DÖV 1960, 281 (282).

292

G. Ausblick

II. Neuformulierung Dieser Neuinterpretation folgt sinnvollerweise auch eine Neuformulierung. Die Konzeption des Art. 18 GG zeichnet sich nicht eben durch Klarheit und Verständlichkeit aus. Insbesondere verschweigt sie, was die Rechtsfolge „verwirkt diese Grundrechte“ meint37 und worin das „Ausmaß“ der Verwirkung, welches das BVerfG aussprechen soll, besteht. Unklar ist auch, ob alle Grundrechte oder nur das jeweils missbrauchte verwirkt werden können. Desweiteren bleibt im Dunkeln, ob das BVerfG die Verwirkung als Sanktion des Missbrauchs erstmals konstitutiv anordnen soll oder nur eine ipso iure eintretende Rechtsfolge sichtbar macht. Um diese Unklarheiten zu beseitigen und Art. 18 GG einer europa- und völkerrechtsfreundlichen Ausgestaltung zuzuführen, bietet sich eine Umformulierung der Norm an. Folgender Wortlaut soll hierfür vorgeschlagen werden: „(1)  Die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmelde­ geheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) und das Asylrecht (Artikel 16a) können nicht zum Schutz einer die Freiheit zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbrauchenden Handlung geltend gemacht werden. (2)  Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet auf Beschwerde des Betroffenen das Bundesverfassungsgericht.“

Diese Konzeption kommt ohne den Begriff der Verwirkung aus, indem sie lediglich seine rechtliche Bedeutung umschreibt.38 Die Formulierung „Wer […] missbraucht, verwirkt das Recht, […] geltend zu machen“ beinhaltet indes eine Tautologie, da die Verwirkung ja bereits die fehlende Geltendmachungsmöglichkeit meint. Dieser Begriff ist zudem mit so vielen Fehldeutungen besetzt, dass es nicht ratsam erscheint, ihn weiterhin zu verwenden. Zudem zieht er gegenwärtig im Rahmen von Art. 18 GG die ganze Aufmerksamkeit auf sich und lenkt von der eigentlichen Bedeutung der Vorschrift ab, deren Sinn vor allem die Bezeichnung nicht schutzwürdigen Verhaltens ist. Es geht vor allem darum, festzuhalten, dass eine missbräuchliche Freiheitsausnutzung zur Abschaffung der Freiheit selbst nicht der Grundrechtsgewährleistung unterfallen soll. Dies gelingt besser mit dem vorgeschlagenen Wortlaut als mit der zwar prägnanten, aber inhaltlich unklaren jetzigen Fassung des Art. 18 GG, die ganz überwiegend so verstanden wird, als bewirke sie eine vollständige Grundrechtsaberkennung pro futuro. Der neue Formulierungsvorschlag beschränkt die Verwirkung dagegen auf den Aspekt der Gel37  Sachs, 38  Vgl.

Verfassungsrecht II, A 9 Rn. 69. auch Merten, in: ders. / Papier (Hrsg.), HdbGR III, § 60 Rn. 61 ff.



II. Neuformulierung293

tendmachung eines Grundrechts zum Schutz einer missbräuchlichen Freiheitsbetätigung, also auf den Abwehranspruch der Grundrechte. Selbst wenn ein Grundrecht daher prinzipiell den Lebensausschnitt der jeweiligen Freiheitsbetätigung erfasst, sei es die Pressefreiheit die rassistischen und gewaltverherrlichenden Schriften eines Journalisten, sei es die Vereinigungsfreiheit die Gründung eines extremistischen Vereins, gewährleistet es nach diesem Wortlaut des Art. 18 GG keinen Schutz gegen staatliche Eingriffsmaßnahmen. Die Ausgliederung des Rechtsschutzes gegen die Annahme der Grundrechtsverwirkung in einen eigenen Absatz dient dabei der Übersichtlichkeit und besseren Lesbarkeit der Norm. Infolge der Abschaffung des Satzes 2 werden die §§ 36 ff. BVerfGG inhaltsleer und sind außer Kraft zu setzen. Eine entsprechende Neufassung dieser Regelungen wird daher notwendig sein. Es würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, auch insoweit konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Es bleibt vielmehr dem demokratisch legitimerten Gesetzgeber überlassen, Vorschriften für das Beschwerdeverfahren im Fall der Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 Abs. 2 GG zu schaffen. Auch könnte in Art. 93 Abs. 1 GG eine entsprechende Kompentenznorm zugunsten des BVerfG eingefügt werden, obwohl bereits Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG den Fall der Beschwerde nach Art. 18 Abs. 2 GG erfassen dürfte. Dabei fragt sich natürlich, ob es sinnvoll ist, dass gleich das BVerfG die für die Grundrechtsverwirkung zuständige Beschwerdeinstanz sein soll. Die Rekurrierung zum BVerfG sah bereits Art. 20 Abs. 2 HChE vor und wurde instanziell zu keiner Zeit in Frage gestellt. Ein Grund hierfür mag darin zu sehen sein, dass dem BVerfG in solch substanziellen Entscheidungen eine höhere Kompetenz zugesprochen wurde als den Instanzgerichten. Allein die Tatsache, dass es auch schon im Rahmen des Parteiverbots über einen ähnlichen Tatbestand – den Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung – zu urteilen hat, mag für eine gewisse Sachkenntnis des BVerfG streiten. Letztlich handelt es sich bei der „Verwirkungsbeschwerde“ nach Art. 18 Abs. 2 GG der hier vorgeschlagenen Fassung um ein Pendant zur Verfassungsbeschwerde bei Grundrechtsverletzungen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. So wie also § 90 Abs. 2 BVerfGG die Erschöpfung des möglichen Rechtswegs vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde vorschreibt, könnte eine entsprechende Regelung im BVerfGG auch die Erschöpfung eines gegen die Annahme einer Grundrechtsverwirkung im Zusammenhang mit einer staatlichen Maßnahme eröffneten Rechtswegs vorsehen. Ob dies von der Ermächtigung des Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG gedeckt wäre, welche dem einfachen Gesetzgeber die Möglichkeit, die Rechtswegerschöpfung im Fall der Verfassungsbeschwerde vorzuschreiben, an die Hand gibt, ist allerdings fraglich. Im Sinne einer notwendigen Bestimmtheit dieser Ermächtigungsgrundlage sollte die Norm daher um den Zusatz „und die Verwirkungsbeschwerde nach Art. 18 Abs. 2 GG“ ergänzt werden.

Zusammenfassung 1. Etwas „verwirken“ bedeutet im üblichen Sprachgebrauch „sich selbst um etwas bringen“. Auf das Juristische übertragen bringt sich derjenige um sein Recht, der es in gesetzlich nicht bezweckter Weise ausüben will, so insbesondere auch, um in Verfolgung unlauterer Zwecke anderen Schaden zuzufügen (vgl. etwa das Schikaneverbot des § 226 BGB und die exceptio doli nach § 242 BGB). 2.  Die herkömmliche Interpretation des Art. 18 GG wird dem so verstandenen Begriff der Verwirkung nicht oder jedenfalls nicht hinreichend gerecht. Danach soll die Verwirkung – eine generelle Aberkennung eines oder mehrerer Grundrechte bewirken und – bereits aus Anlass eines unerwünschten „Grundrechtsgebrauchs“ erfolgen. Damit stehen der Missbrauch als „Gebrauch“ von Grundrechten einerseits und die Verwirkung andererseits – über die rein rechtliche Anknüpfung der Verwirkung an die tatbestandsmäßige Handlung hinaus – in keinem weiteren inneren Zusammenhang. 3. Die geltende Fassung des Art. 18 GG knüpft die Rechtsfolge zudem nicht an den Umstand, dass der Missbrauchende sich selbst um sein Grundrecht bringt. Vielmehr bewirkt nach Art. 18 GG erst die Entscheidung des BVerfG die Rechtsfolge mit konstitutiver Wirkung ex nunc. Das dem zugrunde liegende Verständnis stimmt aber weder mit der üblichen Konnotation des Verwirkungsbegriffs noch mit seiner zivilrechtlichen Herkunft überein, zudem wirft es zahlreiche Probleme dogmatischer sowie praktischer Art auf. 4.  Hiervon ausgehend bedarf Art. 18 GG sowohl einer Neuinterpretation als auch einer teilweisen Neufassung, damit die Norm einer – auch international anerkannten – Theorie des abus des droits angenähert sowie in Zeiten zunehmender Bedrohung durch politisch-extremistischen und religiös-fundamentalen Terrorismus für einen effektiven Verfassungsschutz fruchtbar gemacht werden kann. 5. Wenn die Verwirkung eines Rechts bedeutet, dass ein Recht nicht ausüben kann, wer es allein zu dem Zweck geltend macht, einem anderen Schaden zuzufügen, heißt das übertragen auf die Verwirkung von Grund-

Zusammenfassung295

rechten, dass diese nicht geltend gemacht werden können, wenn die Freiheitsausübung allein dazu dient, den Staat oder die Gesellschaft zu schädigen. Es handelt sich um eine Grenze der Rechtsausübung, nicht aber des Rechts als solchem. Die Grundrechte sind vorrangig Abwehrrechte zum Schutz der Freiheitssphäre des Einzelnen gegen den Staat. Gerade dieser Abwehranspruch ist durch die Verwirkung betroffen (Art. 18 Satz 1 GG als qualifizierter Tatbestand des allgemeinen Schikaneverbots). Wer die Freiheit dazu missbraucht, die sie schützende freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen, kann zwar die Freiheit selbst nicht verlieren, er bringt sich aber selbst um sein Recht, sie gegenüber dem Staat zu verteidigen. 6. Verwirkt wird deshalb aber auch nur das die jeweilig missbrauchte Freiheit schützende Abwehrrecht. Würde auch anderer Freiheitsgebrauch durch Art. 18 GG dem Schutz der Grundrechte entzogen, könnte nicht mehr von einer „Verwirkung“ dieser Grundrechte oder ihrer Geltendmachungsmöglichkeit gesprochen werden. Ein Grundrecht kann deshalb einzig nicht zum Schutz eines Freiheitsmissbrauchs geltend gemacht werden. 7. Nicht schädigender Freiheitsgebrauch im Übrigen muss hingegen weiterhin grundrechtlichen Schutz genießen, soll nicht der Ausspruch des BVerfG auf eine strafähnliche Rechtsfolge hinauslaufen. Missbrauch von individueller Freiheit im Sachbereich eines Grundrechts und Verwirkung des Abwehranspruches aus dem entsprechenden Grundrecht sind also untrennbar miteinander verknüpft dergestalt, dass Missbrauch stets zur Verwirkung führt und die Verwirkung nicht ohne den Missbrauch greift. 8. Die ausschließliche Entscheidungsbefugnis des BVerfG aus Art. 18 Satz 2 GG wird der Rechtsverwirkung ebenso wenig gerecht wie das herkömmlich herrschende generelle, d. h. vom konkreten Missbrauchsfall gelöste Verwirkungsverständnis. Wenn Verwirkung bedeutet, dass sich der Betroffene selbst um sein Recht bringt, kann schlechterdings nicht erst das BVerfG die Verwirkung konstitutiv aussprechen. Den Bedenken Dürigs gegen die Annahme, die Entscheidung des BVerfG sei nur deklaratorischer Art, ist zu folgen. Denn wenn erst das BVerfG eine eo ipso eingetretene Rechtsfolge feststellt, bleibt völlig unklar, was vorher zu gelten hat. Das führt zu Rechtsunsicherheit, die sich nur durch die Streichung des Verfassungsgerichtsmonopols und die Einführung einer Regelung beseitigen lässt, wonach das BVerfG auf Beschwerde des Betroffenen – etwa gegen eine vorher ergangene behördliche Verfügung oder Maßnahme – das Vorliegen der Voraussetzung einer Verwirkung feststellt. 9. Diese Neuinterpretation und Neufassung des Art. 18 GG ermöglicht seine Einbettung in die international anerkannte und weithin verbreitete Missbrauchsdogmatik. Zudem lässt sie eine mühelose Anwendung der Verwirkungsnorm durch Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zu, die

296 Zusammenfassung

wiederum eine systematische, wenn auch durch den höheren Begründungsaufwand restriktivere Verfassungsschutzpraxis bewirken kann. 10.  Die auf den konkreten Missbrauch bezogene Verwirkungslehre widerspricht zugleich jeglichen Vorstellungen über eine verfassungsrechtlich mögliche, letztlich an die mittelalterliche Reichsacht anknüpfende „Entpolitisierung“ oder gar „Entbürgerlichung“, wonach derjenige, der sich außerhalb der Gesellschaft stellt, seiner bürgerlichen Rechte entkleidet wird. In seiner vorgeschlagenen Neudeutung und Neufassung ist Art. 18 GG weitaus weniger international verfassungsrechtliches Novum und „scharfes Schwert“ der Demokratie als vielmehr Ausdruck der schon zuvor in Länderverfassungen und internationalen Menschenrechtserklärungen anerkannten Notwendigkeit, den Freiheitsschutz auch materiell und nicht nur formal zu begrenzen. Die Verwirkungsnorm ist deshalb kein eigenständiges Rechtsinstitut des Verfassungsschutzes, sondern eine schlichte, aber in Anbetracht möglicher anderer Demokratietheorien und Freiheitslehren unabdingbare Auslegungsbestimmung für die in ihr genannten Grundrechte.

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Sachwortverzeichnis Abgeordnete  240 Abhörurteil  43, 46 abus des droits  14, 72 abuse of rights  72 Abwägungsprozess  111 Abwehrfunktion  174 Abwehrrecht  148, 174–175, 181, 187, 191, 206, 242 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte  24, 26 allgemeine Handlungsfreiheit  140, 160, 161, 210 Allgemeinheitsgebot  193, 197 Amtsermittlungsgrundsatz  86 Anwaltschaft – Zulassung zur  230 Asylfreiheit  190, 209–212 Asylrecht  123, 211 Auffanggrundrecht  161–162 Ausnahmezustand  267 Außentheorie  152, 154–157, 241 Beamte  207 Begrenzungen – tatbestandliche  177 Bereichsausnahme  232 Berufsausübung  218 Berufsbeamtentum – hergebrachte Grund­sätze des  204 Berufsfreiheit  47, 129–130, 159, 196, 218, 221, 229 Berufsverbot  130, 159, 223, 226, 228, 235, 242 –– strafrechtliches  229, 236 Betätigungsfreiheit  251 Betätigungsverbot  207 Bremer Klausel  178

Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis  123 Bundespräsident  57 Bundesregierung  80, 85 Bundestag  80, 82, 85 Bundestagsabgeordnete  85, 207 Bund-Länder-Streit  87 Bürgerrechte  189, 205 Chancengleichheit  250 Demokratieprinzip  260, 284 Deutschengrundrecht  160, 210 Diskriminierungsverbot  57, 83 Dispositionsmaxime  86 Eigentum – Verwirkbarkeit  117 Eigentumsfreiheit  118, 123, 139, 190, 222, 249, 251 Eingriff  177, 181–182, 186, 194, 291 Einschätzungsprärogative  208, 283 einstweilige Anordnung  88 Entbürgerlichung  190, 208 Entstehungsgeschichte  23 Ermächtigungsgrundlage  252, 293 Ermessen – politisches  80–82, 87 EU-Grundrechtecharta  258 exceptio doli  14, 71, 288 Extremismus  50, 276 freiheitliche demokratische Grund­ ordnung  13, 18, 41, 46, 57–59, 61–62, 65, 69–70, 74, 84, 91, 114, 118, 123, 127, 129, 150–151, 168, 187–188, 192, 206–207, 209–210,

324 Sachwortverzeichnis 215, 218, 223–224, 230, 233, 236–238, 242, 247, 256, 274, 280, 285, 293 Freiheitsbetätigung  78, 108, 129, 146, 151, 158, 184, 186, 190–191, 241, 280, 293 Freiheitsgewährleistung  261 Freiheitsrechte – bürgerliche  221 Gefahr  68, 108, 234 Gefahrenabwehrrecht  69, 201, 227, 290 Gefahrenprognose  67, 69, 70 Gefährlichkeit  116, 124, 286 Gefährlichkeitsprognose  70, 125 Geltendmachungshindernis  157, 159, 194, 207, 211, 232, 250, 257, 277 Geltendmachungsschranke  256 Gemeinschaftsgüter  191 Gerechtigkeitsprinzip  100 Gesellschaft – Pluralisierung der  137 Gesetzeskonkurrenz  129 Gesetzesvorbehalt  175, 178, 181, 197 Gesetzmäßigkeitsprinzip  198, 202 Gewährleistungsbereich  150, 241 Gewährleistungsgehalt  130, 163, 178, 180, 183–184, 186–187, 192–193, 268, 289, 291 –– grundrechtlicher  138 Gewährleistungsgrenze  184, 193, 232 Gewaltengliederung  291 Gewaltenteilungsprinzip  200 Gewaltverbot  135 Gleichbehandlungsgebot  83, 140, 164 Gleichheitsgebot  164 Gleichheitssatz  163, 165, 197 –– allgemeiner  164 Grundfreiheiten  57 Grundrecht – Abwehranspruch der  293 –– Abwehrfunktion der  79, 83, 148, 172, 242

–– Ausfluss- und Ausübungsrecht  145–146 –– Auslegung der  119 –– Dimension der  143 –– Drittwirkung der  147 –– Geltendmachung der  146 –– Grenzen der  175 –– Grundrechtsbetätigung  89 –– Grundrechtsschutz  105 –– inhaltliche Grenze  74 –– institutionelle Garantie der  144 –– Katalog der  126 –– Menschenrechtsgehalt der  149 –– Menschenwürdegehalt der  140 –– Menschenwürdekern der  160, 166–167, 169, 171 –– Nichtdiskriminierungsfunktion der  83 –– politische  28, 91 –– Schranke der  73 –– Schrankenbestimmung  175 –– Schrankenvorbehalte der  104 –– Schutzbereich der  127, 176, 214, 256 –– subjektiver Gehalt  144 –– System der  121 –– verfassungsimmanente Beschränkung der  231 –– Wesensgehalt der  170, 172 Grundrechtsaberkennung  107–108 Grundrechtsadressat  118 Grundrechtsauslegung  184 Grundrechtsausübung  74 –– scheinbare  74 Grundrechtsbegrenzung  156, 176–177, 180 –– verfassungsunmittelbare  232 Grundrechtsberechtigte  171–172 Grundrechtsbeschränkung  222 Grundrechtsbetätigung  149 Grundrechtsbindung  118, 194, 203, 274 Grundrechtsdogmatik  19, 22, 97, 107, 138, 173, 184–185, 271, 286 Grundrechtseingriff  179, 182, 194, 197

Sachwortverzeichnis325 Grundrechtsgewährleistung  241, 292 Grundrechtsgrenze – immanente  287 Grundrechtsinterpretation  289 Grundrechtskonkurrenz – echte  129 Grundrechtsschranke  181, 185, 266 Grundrechtsschranken  118, 177 Grundrechtsschutz  155 –– Grenze des Grundrechtsschutzes  121 Grundrechtstatbestand  175 –– Begrenzung des  178 Grundrechtsteil  56, 100 Grundrechtstheorie  97, 154, 184, 188, 288 –– liberale  189, 191 Grundrechtsträger  28, 58, 79, 171 Grundrechtsverpflichtete  171 Grundrechtsverzicht  170, 172, 193–194, 214 Handlungsverbot  148–149, 157, 159, 161, 242 Hauptverfahren  95 Herrenchiemseer Konvent  28, 103 Idealkonkurrenz  129 Innentheorie  73, 152, 154–156 Internationalisierung  261, 275 Internet  17 juristische Person  58, 89, 244–245, 251 –– Auflösung  250 Justizgrundrechte  64 Kommunikationsfreiheiten  117, 189 Kommunikationsgrundrechte  53, 190 Konstitutionalismus  51 Kopftuchurteil  133 KPD-Urteil  45 KPD-Verbotsverfahren  60 Landesregierung  80, 82, 85

Landesverfassungen  24 Legalität  48, 115 Legalitätsprinzip  81 Legitimität  48, 49, 51 Liberalismus  52 Mehrebenensystem  258 Meinungsäußerung  66, 183 Meinungsbildung – kollektive  180 Meinungsfreiheit  26, 53, 66, 127, 182–183, 210, 221, 243 –– Missbrauch der  121, 123 –– Verwirkung der  157 Menschenrechte  145, 152, 189, 258, 287 Menschenrechtsschutz  261 Menschenwürde  64, 132, 139, 169, 194, 209, 213, 231 Menschenwürdegehalt  213 Menschenwürdekern  siehe unter Grundrechte Missbrauchsgrenze  289 Missbrauchsklausel – allgemeine  117 Missbrauchslehre  73 Missbrauchsprognose  122 Missbrauchsschranke  252 Missbrauchstatbestand  246 Missbrauchsverbot  26, 72, 75–76, 152, 217, 262, 273, 289 –– allgemeines  117, 156 –– spezielles  119 Mitverwirkung  163 Nationalsozialismus  231, 280 Normenkontrolle  87 Notstandsrecht  28 Offizialmaxime  86–87 Opportunitätsprinzip  87 Opposition  280 Ordnung

326 Sachwortverzeichnis – öffentliche  227 Ordnungsrecht  68, 228, 234 Organstreitverfahren  87 Parlamentarischer Rat  13, 40, 44, 98 Parlamentsvorbehalt  198, 202 Partei  91, 223, 238, 240, 244, 249–250 –– Verbot politischer  259 –– Verfassungswidrigkeit  114–115, 250 –– Verfassungswidrigkeit der  229 Parteibeitritt  88 Parteienprivileg  218, 220, 244 Parteiverbot  17–18, 41, 63, 80, 82, 84, 108, 114–115, 125, 229, 232, 245, 246, 250, 287, 293 –– Parteiverbotsanträge  90 –– Parteiverbotsverfahren  86, 88, 97, 244 Personenvereinigungen  245 Persönlichkeitsrecht  132 politisches Ermessen  283 Polizeirecht  69, 104, 201, 233–234, 243 Polizeistaat  217, 221 Presse  122 Pressefreiheit  83, 129, 218, 221, 229, 242, 279, 293 –– Missbrauch der  282 Privatautonomie  214 Programmsatz  143 Publikationsverbot  242–243, 282 Radikalenbeschluss  46 Rechtsausübung  73 –– missbilligte  101 –– unzulässige  102, 155 Rechtsgrundlage  199–200 Rechtskraft  88 –– objektive  89 –– subjektive  89 –– zeitliche Reichweite der  89 Rechtsordnung – Konsistenz der  185

Rechtssicherheit  153, 155, 185, 251, 288 Rechtsstaat  155, 185 Rechtsstaatsprinzip  120, 153, 195 Rechtsüberschreitung  74 Rechtsunsicherheit  74 Rechtswirkung  111 Reichsacht  213 Religionsfreiheit  127, 131–132, 137, 159, 179 –– Schutzbereich der  134 Sach- und Lebensbereich  186 Schikaneverbot  14, 71 Schrankenvorbehalte  262 Schutzbereichsgrenze  185 Sicherheit – öffentliche  227 Sonderrechtslehre  182 Sperrwirkung  20, 216–217, 219, 221, 225, 227–231, 235–238, 241, 243, 253 Staatsgefährdungsdelikte  239 Staatsrechtslehre  284, 291 Staatsschutz  54, 68, 216, 220, 238– 239, 269, 291 –– präventiver  173 Strafprozess  87, 119 –– Strafprozessordnung  96 –– Strafprozessrecht  86 Strafrecht  273 –– politisches  216, 225, 227, 233, 235, 289 streitbare Demokratie  23, 36, 38–42, 44–46, 54, 274 Streitbarkeitsprinzip  43, 46–47, 51, 284 Treu und Glauben  14, 72–73, 98 Treueklausel  116 Übermaßverbot  196 siehe Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ultima-ratio-Charakter  220, 233 Unionsrecht  57, 261

Sachwortverzeichnis327 Unterlassungspflicht  149 unzulässige Rechtsausübung  14 venire contra factum proprium  101, 268 Verbot des Rechtsmissbrauchs  74 Verein  122, 246, 247, 248 Vereinigung  204, 244, 247, 249, 251 Vereinigungsfreiheit  53, 57–58, 66, 85, 123, 163, 175, 210, 244, 246–247, 251, 293 –– Missbrauch der  270 –– Verwirkung der  121, 251 Vereinigungsverbot  18, 125, 246 Vereinsverbot  18, 53, 244, 248, 251 Verfassungsbeschwerde  29, 87, 182, 189, 228, 293 Verfassungsfeind  16 Verfassungsgeschichte  26, 61 Verfassungsinterpretation  47 verfassungsmäßige Ordnung  43, 163, 246 Verfassungsmäßigkeit  80, 115, 124, 201, 204–205, 226, 229, 237 Verfassungsprinzip  44, 48 Verfassungsschutz  42, 51, 53, 57–58, 69, 82, 85, 87, 90, 103, 107, 114, 117, 118, 122–123, 125, 129, 138, 174, 188, 213, 231, 238, 241, 248, 259, 269, 271, 274, 281, 287, 290–291 –– effektiver  74 –– lückenloser  82 –– präventiver  217, 236 –– präventives Verfassungsschutzinstitut  107 Verfassungstreue  204, 207, 285 Verfassungstreuepflicht  116, 207, 284, 289 Verfassungswidrigkeit  218–219, 221, 241, 243 Verhältnismäßigkeit  124, 141, 182 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  168, 195 Verhältnismäßigkeitsprinzip  107, 113, 128, 178, 196

Versammlung  179, 180 –– rechtsextremistische  278 Versammlungsfreiheit  56–57, 64, 83, 133, 178, 236, 240 Versammlungsverbot  236 Vertrag von Lissabon  261 Verurteilung  226, 229 Verwaltung  254, 267, 290 Verwaltungsakt  214 Verwaltungsrecht  75 Verwirkungsverständnis – missbrauchsbezogenes  116 Vorbehalt des Gesetzes  249, 274 Vorprüfung  91, 95 –– Vorprüfungsstadium  94 Vorverfahren  89, 92–93 Wählbarkeit  205–206, 250, 281 –– Verwirkung der  205–206 Wahlrecht  204, 250, 255, 281 –– Aberkennung des  206, 208 –– Missbrauch des  206 –– Verwirkung des  205 wehrhafte Demokratie  268 Weimarer Reichsverfassung  17 Weimarer Republik  13, 27, 35, 54, 69, 275, 279–280, 284 Wertordnung – objektive  143 Wesensgehalt  167–168 –– der Grundrechte  31, 139 –– grundrechtlicher  166, 171 –– Unantastbarkeit  117 –– Unverletzlichkeit  160 Wesensgehaltsgarantie  140, 142, 167–168, 209, 213 Wirkung –– deklaratorische  75, 109 –– integrative  76 –– konstitutive  108 Zensur  279