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German Pages [222] Year 2011
Paul Schieder
FRANZÖSISCHE ZWANGSARBEITER IM »REICHSEINSATZ« AUF DEM GEBIET DER REPUBLIK ÖSTERREICH Hintergründe und Lebenswelten
Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar
Gedruckt mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Wien
Arbeiterkammer Wien
Zukunftsfonds der Republik Österreich
Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
Renner-Institut
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Titelbild: © Privatbesitz Ignace Salvo/Reproduktionsrechte: Paul Schieder ISBN 978-3-205-78672-6
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Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Umschlaggestaltung: Michael Haderer Layout: Eva-Christine Mühlberger Druck: Arrabona Print, Győr
Inhaltsverzeichnis Vorwort
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1 Einleitung
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2 Forschungsverlauf 2.1 Deutschland und Österreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Begriffsabgrenzungen
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4 Der Hintergrund 4.1 Der Arbeitskräftemangel im Deutschen Reich. . . . . . . . 4.2 Die politische Situation in Frankreich. . . . . . . . . . . . . 4.3 Das Bild in Zahlen: geographische und berufliche Streuung. 4.4 Exkurs: Französische ZwangsarbeiterInnen in Österreich . .
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27 27 31 48 54
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57 57 63 70 72 77 80 82 85 90 94 99 101 103 103 104 106 107
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5 Zwangsarbeit in Österreich 5.1 Rekrutierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Ankunft und Zuweisung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Arbeitsbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Unterkunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Verpflegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Entlohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Freizeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.5 Widerstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.6 Heimkehr und Flucht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.7 Repression. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.8 Die „Reichsschutzstellung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.9 Der Alltag neben der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.9.1 Arbeitszeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.9.2 Kleidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.9.3 Schwarzmarkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.9.4 Informationsfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.9.5 Medizinische Versorgung und Sozialversicherung.
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Inhaltsverzeichnis
5.3.9.6 Bombenangriffe. . . . . . . . . . . . 5.3.9.7 Kontakte zur örtlichen Bevölkerung. . 5.3.10 Organisation(en). . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Befreiung und Repatriierung . . . . . . . . . . . . . .
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6 Reintegration und Erinnerungskultur 7 Typische Einzelschicksale 7.1 Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Gilbert Tourenne: zwei Jahre, ein Monat, 19 Tage in Enzesfeld . 7.3 Roger Lamothe: ein Landwirt in der Landwirtschaft. . . . . . . 7.4 Jacques Seignole: die legale Rückkehr. . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Gérard Prosper: Arthur Krupp Berndorf . . . . . . . . . . . . . 7.6 Ignace Salvo: Alltag in den Linzer H.G.W.. . . . . . . . . . . . 7.7 Xavier Charpin: Sabotage in Vorarlberg. . . . . . . . . . . . . . 7.8 Francis Jeanno: Schoeller-Bleckmann Ternitz. . . . . . . . . . . 7.9 Roger Nakhamkes: ein jüdischer S.T.O. in Zwentendorf. . . . . 7.10 Schlussfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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145 145 152 156 159 162 165 170 176 182 188
8 Zusammenfassung
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Anhang Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwähnte Betriebe und Unterkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivitäten der C.J.F. oder verwandter Organisationen. . . . . . . . . . . . .
197 199 201 203
Quellenverzeichnis Veröffentlichte Erinnerungsliteratur mit Österreich-Bezug . . . . Veröffentlichte Erlebnisberichte mit allgemeinen Informationen . Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unveröffentlichte Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
207 207 207 208 208 209
Literaturverzeichnis
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Vorwort Die österreichische Historiographie zum Thema „Zwangsarbeit“ in der NS-Zeit hat nach den Pionierstudien der Zeithistoriker Florian Freund und Bertrand Perz in den späten 1980er-Jahren mit der Entschädigungsdiskussion für Zwangs- und Sklavenarbeit in den späten 1990er-Jahren und vor allem ab dem Jahr 2000 eine wissenschaftlich etablierte Konjunktur erfahren. In diesem Zusammenhang gibt es natürlich auch Lücken, da der Fokus der ZwangsarbeiterInnenstudien vor allem auf dem Schicksal besonders vom NSRegime bedrohter und ausgegrenzter Personengruppen liegt, wie etwa KZ-Häftlinge oder sogenannte „OstarbeiterInnen“ und sowjetische Kriegsgefangene. Paul Schieder ist es gelungen, eine Lücke bezüglich der ambivalenten Situation von französischen ZwangsarbeiterInnen im sogenannten Reichseinsatz zu schließen. Anhand zahlreicher Privatquellen von französischen Überlebenden hat er die Entstehung der massenhaften Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften in Frankreich ab 1942 skizziert, von wo aus insgesamt fast 700.000 ZivilistInnen in mehreren Wellen deportiert worden waren. Das Interessante an seiner Arbeit ist auch, dass sich der Autor nicht nur mit den politischen Zielsetzungen und den konkreten Strategien des NS-Regimes beschäftigt, sondern auch die Rolle der Bürokratie des Vichy-Regimes bei der Rekrutierung und Deportation von ZwangarbeiterInnen thematisiert. Besonders zwischen September 1942 und dem Frühjahr 1943 kamen die meisten französischen Zwangsarbeitskräfte in die „Ostmark“ – auf das Staatsgebiet des heutigen Österreich. Der Autor rekonstruierte die ambivalente „Lebens- und Arbeitssituation“ der Franzosen und Französinnen im Detail. Sie verfügten über einen größeren Freiraum, der einzelne Widerstandsaktionen, mehr Freizeitmöglichkeiten und vor allem den Erwerb zusätzlicher Verpflegung ermöglichte. Die physische Bedrohung dieser Personengruppe, zum Beispiel durch Arbeitsstraflager, war aber durchaus im NS-Repressionssystem gegeben. Aufgrund der Sondersituation der französischen ZwangsarbeiterInnen, die auch von einer eigenen Délégation Officielle Française en Allemagne betreut wurden, ist für die weitere Diskussion die Frage nach den Möglichkeiten und der tatsächlichen Umsetzung von Widerstand interessant und sehr wesentlich. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass bewusster politischer Widerstand eher selten vorgekommen ist. In zahlreichen ZwangsarbeiterInnenstudien wird selten die Frage der Repatriierung und der oft monatelangen, extrem schwierigen Rückkehr in die Heimat thematisiert. Hier ist
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Vorwort
es Paul Schieder gelungen, anhand von Tagebuchaufzeichnungen diese zusätzliche Belas tung zu schildern. Auch in der Frage der Lebensplanung nach der Befreiung bietet Paul Schieder neue Interpretationsmöglichkeiten an, die von einer Art Kontinuität bisheriger Tätigkeiten bis zu negativen Auswirkungen von Schockerlebnissen und Traumata als Folge der Zwangsarbeit reichen. In der Frage der Akzeptanz der politischen Organisation der französischen ZwangsarbeiterInnen als Verband nach 1945 sieht man sehr deutlich, dass es eigentlich erst ab dem Jahr 2001 eine Neubewertung in der französischen Öffentlichkeit und Politik gegeben hat, die dieses Thema nun punktuell und durchaus selbstkritisch reflektiert. Wien, Jänner 2011 Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte Universität Wien
1 Einleitung Lange Zeit hat das Thema „Zwangsarbeit“ in der österreichischen Historiographie eine untergeordnete Rolle gespielt. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde vermehrt in diesem Bereich geforscht. Nach regionalen und thematisch eingeschränkten Studien stand mit den Berichten der österreichischen Historikerkommission zur Jahrtausendwende erstmals ein Querschnitt zur Verfügung, der auch einen quantitativen Überblick über die Geschehnisse gestattete. Das dabei vorgelegte Zahlenmaterial war die Grundlage für politische Entscheidungen in der Entschädigungsdebatte, wird aber von den Autoren auch als Basis für weiterführende qualitative Forschungen gesehen: Hier bestand im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland in Österreich noch ein erheblicher Forschungsbedarf, insbesondere im Bereich des Einsatzes von Kriegsgefangenen
und zivilen AusländerInnen in der Landwirtschaft, des bisher nicht erforschten Kapitels des
inner- und außerbetrieblichen Repressionsapparates wie z.B. der Arbeitserziehungslager, der
Lebens- und Arbeitsbedingungen der verschiedenen Gruppen, besonders der ungarischen Juden, dem Verhältnis von In- und AusländerInnen und der Situation der ausländischen Frauen.1
Unter den genannten Forschungsdesiderata greift die vorliegende Studie die Gruppe der französischen zivilen Zwangsarbeiter in Österreich auf, der bis jetzt wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, obwohl sie unter den westlichen Zwangsarbeitern die größte zahlenmäßige Bedeutung hat.2 Neue Erkenntnisse konnten u. a. dadurch gewonnen werden, dass Ende 2001 auch in Frankreich erstmals eine umfassende historische Aufarbeitung des Themas „Zwangsarbeit“ im Rahmen eines Historikerkolloquiums erfolgte. Das zeitliche Zusammentreffen neuer Forschungsergebnisse aus Österreich und Frankreich bildet die Ausgangslage für die Darstellungen in dieser Arbeit.
1 Freund, Florian/Perz, Bertrand: „Die Zahlenentwicklung der ausländischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939–1945“. In: Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939–1945. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich (hg. von Clemens Jabloner et al.). Bd. 26,1. Wien/München: Oldenbourg (2004): 14. 2 Zur Gruppe der als Zwangsarbeiter eingesetzten französischen Kriegsgefangenen vgl. Hafner, Gerald: Französische Zwangsarbeit auf dem Gebiet des heutigen Österreich von 1940 bis 1945. Graz: Univ., Dipl.Arb. (2005).
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Einleitung
Neben der Vermittlung des historischen Kontexts soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, wie sich die Erfahrungen französischer ziviler Zwangsarbeiter in Österreich und ihre Rückkehr nach 1945 in ihren Erinnerungen widerspiegeln. Darunter fallen die Bedingungen der Rekrutierung und Zuweisung, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen in Österreich sowie – für diese Gruppe von besonderer Bedeutung – die Reintegration in die französische Gesellschaft und die Erinnerungskultur nach 1945. In der NS-Rassenhierarchie nahmen Franzosen einen höheren Rang als andere Nationalitäten ein: Sie waren als Facharbeiter nachgefragt, wenn auch meist nicht als solche eingesetzt. Im Allgemeinen waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Franzosen im Vergleich zu jenen anderer Nationalitäten, insbesondere der „Ostarbeiter“, weniger schwierig.3 Die Aufmerksamkeit der Forschung konzentrierte sich daher verständlicherweise zunächst auf jenes Gebiet, in dem die Menschenrechtsverletzungen am sichtbarsten sind, also insbesondere auf die Erfahrungen der „Ostarbeiter“ und Polen. Wie aber blicken ehemalige französische Zwangsarbeiter selbst auf die Ereignisse zurück? Zur Beantwortung dieser Frage reicht die Erzählung des Erlebten nicht aus: die Eigensicht ist nicht nur durch die eigentliche Erfahrung von Zwangsarbeit geprägt, sondern auch durch das Verhältnis zur eigenen, französischen Nachkriegsgesellschaft. Eine über den Zeitraum der Zwangsarbeit hinausgehende, die Rückkehr nach Frankreich einschließende Perspektive begründet teils völlig andere Fragestellungen als dies im österreichischen Kontext denkbar wäre. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Franzosen 1943 unter den westlichen Zwangsarbeitern das größte Kontingent in der „Ostmark“ stellten. Zwischen Juli 1942 und Dezember 1943 stieg die Zahl der in Österreich arbeitenden französischen Zwangsarbeiter von 2.592 auf 62.394.4 Damit betrug der Anteil der Franzosen an den zivilen Ausländern zwölf Prozent.5 Frankreich, das nach Polen zum „größten Arbeitskräftereservoir des Deutschen Reichs“ 6 wurde, ist aber nicht nur wegen der Größe der Gruppe von Bedeutung. Die Behandlung der Frage ist auch insofern von Interesse, als die Verantwortung für die Rekrutierung von Arbeitskräften nicht ausschließlich bei Nazi-Deutschland lag: die seit dem Waffenstillstand 1940 von Deutschland anerkannte
3 Diese allgemeine Aussage über ein „leichteres Los“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch französische Zwangsarbeiter zu Opfern des NS-Repressionsapparates werden konnten. 4 Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 44. 5 Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 35. 6 Paxton, Robert: La France de Vichy. Paris: Éd. du Seuil (1999): 291.
Einleitung
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Vichy-„Regierung“7 erließ – freilich unter Druck – rechtliche Bestimmungen, die den Anforderungen Deutschlands Genüge taten. Jene jungen Franzosen, die zur Arbeit in Deutschland „dienstverpflichtet“ wurden, erhielten ihre Aufforderung demnach von einem französischen Präfekten; ihr nicht nachzukommen bedeutete nicht nur Widerstand gegen die Besatzungsmacht, sondern auch gegen das offizielle Frankreich. Die Mithilfe Vichy-Frankreichs bei der Rekrutierung und Deportation der Zwangsarbeiter hatte zur Folge, dass Letztere mit der französischen Kollaborationspolitik assoziiert wurden – eine Tatsache, die auch Auswirkungen auf das Geschichtsbild der Nachkriegszeit haben sollte. Der Studie vorangestellt ist eine vergleichende Darstellung des Forschungsverlaufes im deutschen Sprachraum und in Frankreich sowie eine Klärung der verwendeten Begriffe. Daran anschließend wird der für das Verständnis der Erfahrungswelten der französischen Zwangsarbeiter notwendige historische Hintergrund vorgestellt. Die Erfahrungen in Österreich werden nach den in den Erinnerungen genannten Kategorien dargestellt, die sich notwendigerweise überschneiden. Von der Rekrutierung bis zur Repatriierung soll so gezeigt werden, wie die bestimmenden Faktoren der Erlebnisse in den Erinnerungen wiedergegeben werden. Dazu werden sowohl die vorhandene Erinnerungsliteratur mit Österreich-Bezug als auch acht vom Verfasser geführte Interviews herangezogen. Von besonderer Bedeutung ist auch die Reintegration und Erinnerungskultur der ehemaligen Zwangsarbeiter. Welchen Platz nahmen die ehemaligen Zwangsarbeiter im Nachkriegsfrankreich ein? Wie definieren sie sich im Vergleich zu anderen Opfergruppen? Die Darstellung von acht Einzelfällen soll in einem eigenen, abschließenden Abschnitt Einblicke in individuelle Schicksale von Zwangsarbeitern bieten und vermitteln, welch unterschiedliche Lebensgeschichten und Entscheidungssituationen sich hinter dem Zahlenmaterial verbergen. Der besseren Lesbarkeit halber wird im Text lediglich die männliche oder eine neu trale Form der Geschlechterbezeichnung gewählt. Diese Entscheidung ergibt sich im konkreten Fall insbesondere beim Begriff „Zwangsarbeiter“ daraus, dass Frauen unter den französischen Zwangsarbeitern nur eine kleine Gruppe darstellten (weniger als zehn Prozent), über deren Erfahrungen (leider) auch zu wenig bekannt ist, um allgemeine Aussagen auf sie zu übertragen. Dieser Schwierigkeit wird in einem Exkurs Rechnung getragen.
7 In der französischen Historiographie wird häufig die Bezeichnung „gouvernement de fait“ verwendet.
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Einleitung
Die Unterstützung für dieses Vorhaben gewährte mir Univ.-Prof. DDr. Oliver R athkolb, dem ich hiermit für seine Geduld und Hilfestellung danken möchte. Des Weiteren stehe ich für Anregungen und Hinweise in der Schuld von Univ.-Prof. Mag. Dr. Friedrich Stadlerund Dr. Bertrand Perz. Dank sei außerdem der Österreichischen Botschaft in Frankreich ausgesprochen, die im Rahmen der Entschädigungszahlungen des Österreichischen Versöhnungsfonds mit ehemaligen Zwangsarbeitern Schriftverkehr hatte und mir bei der Vermittlung von Kontakten behilflich war. In Frankreich gewährte mir Prof. Jean Quellien(Universität Caen) bereits früh Einblick in die neuesten französischen Forschungsergebnisse. Im besonderen Maße fühle ich mich schließlich auch jenen acht ehemaligen Zwangsarbeitern verpflichtet, die sich im Rahmen dieser Arbeit zu einem Gespräch bereit erklärt haben. Gewidmet ist dieses Buch meiner geliebten Frau, Eva. Ohne ihren kritischen Geist, ihre Geduld und auch ihren Humor wäre die Fertigstellung nicht gelungen.
2 Forschungsverlauf Mitte der 1980er-Jahre stellte der Historiker Ulrich Herbert, der damals die Grundlage für die öffentliche Diskussion über Zwangsarbeit im Dritten Reich legte, zur Frage des Stellenwerts von „Zwangsarbeit“ im Bewusstsein der Öffentlichkeit fest: Die Ausländer tauchen […] in den Erinnerungen Älterer meist als eher beiläufige Selbstver-
ständlichkeit auf, sind im Gedächtnis nicht bei Krieg, Nationalsozialismus oder NS-Verbrechen sortiert, sondern eher unter „Privates“, das mit Krieg und Nazismus gar nicht in unmittelbarem Zusammenhang zu stehen scheint. […] Der Arbeitseinsatz der Fremdarbeiter und Kriegsgefan-
genen in Deutschland hat in der westdeutschen Öffentlichkeit gewissermaßen nicht den Status des Historischen als etwas Besonderem, als etwas, was Geschichte gemacht hat.8
Diese vermutlich auch für Österreich immer noch geltende Bemerkung hatte zur Folge, dass das Interesse am Thema „Zwangsarbeit“ auch in der Forschung lange Zeit gering blieb. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann eine intensivere Bearbeitung, die zugleich die Grundlage und die Folge der öffentlichen – politischen und medialen – Auseinandersetzung mit diesem Aspekt der österreichischen Geschichte bildete. Eine vergleichende Darstellung des Forschungsverlaufes bietet einen Überblick über das Zustandekommen des gegenwärtigen Erkenntnisstandes.
2.1 Deutschland und Österreich Allgemeine Aussagen über Zwangsarbeit auf dem Gebiet des heutigen Österreich können in einer ersten Annäherung den Studien über das gesamte Deutsche Reich entnommen werden. Die Fremdarbeiterproblematik blieb bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts ein von der westdeutschen Geschichtsschreibung weitgehend unbeachtetes Gebiet. Bis 1968 gab es keine größere Untersuchung, das Problem der Fremdarbeiter wurde in den Gesamtdarstellungen zur Geschichte des Nationalsozialismus nicht oder nur am Rande behandelt. 9 Umfangreiche Literatur gibt es aus der NS-Zeit selbst: die komplizierte arbeitsrechtliche und sozialpolitische Erlasslage stellte für den Verwaltungsapparat eine große Herausforderung dar. Diese Schriften sind aber – auch aufgrund ihres technokratischen Ansatzes – wenig brauchbar. 8 Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter, Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin/Bonn: Dietz (19862): 11f. 9 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 11, 14.
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Forschungsverlauf
Gänzlich anders wurde das Thema bei den Nürnberger Prozessen behandelt: Der massive Einsatz an Fremdarbeitern war einer der Hauptanklagepunkte, der die Zusammenarbeit zwischen NS-Führung, Großindustrie und dem überwiegenden Teil der deutschen Bevölkerung deutlich machte. In den 50er- und 60er-Jahren stellte sich diesem Vorwurf eine Reihe von Rechtfertigungsschriften aus den Kreisen der Industrie entgegen. Die erste größere Untersuchung von Pfahlmann beschränkte sich neben statistischen Übersichten vor allem auf die Nachzeichnung der Entwicklung der sozialpolitischen Erlasslage aus der Perspektive der deutschen Arbeits- und Sozialbehörden und bleibt weitgehend unkritisch.10 Im Gegensatz zu diesen eher technischen Abhandlungen begriff die frühe Geschichtsschreibung der DDR die Ausländerbeschäftigung als politisch-moralisches Problem. Die Studien müssen sich ihrerseits den Vorwurf gefallen lassen, die Ereignisse einseitig in Beziehung zu den marxistisch-leninistischen Kernthesen zu setzen.11 Im Westen stammte bis 1986 die einzige Gesamtdarstellung des Fremdarbeiterkomplexes nach Pfahlmann von Edward L. Homze, einem amerikanischen Historiker.12 Zu diesem Zeitpunkt erreichten die Forschungsbemühungen seit Anfang der 80er-Jahre ihren Höhepunkt in Ulrich Herberts Gesamtdarstellung, mit der auch der Diskurs über Entschädigungszahlungen begann. Es folgten erste Publikationen, zahlreiche regionale Studien und eine Wanderausstellung, öffentliche Debatten, Gerichtsverfahren sowie eine Debatte im Deutschen Bundestag.13 15 Jahre später befindet Mark Spoerer in seiner Gesamtdarstellung über Zwangsarbeit im Dritten Reich und im besetzten Europa, dass das Thema Zwangsarbeit in der Wissenschaft zwar gut erforscht sei, es aber ein Kommunikationsproblem gebe, da in der Öffentlichkeit Unsicherheit über die tatsächlichen Ereignisse bestehe.14 In Österreich hat man sich lange Zeit nicht mit zentralen Fragen der NS-Herrschaft beschäftigt. Die nach dem Krieg vorherrschende „Opferthese“ befreite Österreich schein10 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 12f. Pfahlmann, Hans. Fremdarbeiter und Kriegsgefangene in der deutschen Kriegswirtschaft 1939–1945. Darmstadt: Wehr und Wissen (1968). 11 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 14. 12 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 15. Homze, Edward L.: Foreign Labor in Nazi Germany. Princeton: Princeton University Press (1967). 13 Vgl. Rathkolb, Oliver: „Einleitung und Hintergrund zu Projekt und Buch“. In: Rathkolb, Oliver (Hg.), NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938–1945. Bd. 1. Wien/Köln/Weimar: Böhlau (2001): 7. 14 Vgl. Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939–1945. Stuttgart/München: Deutsche Verlags-Anst. (2001): 7.
Deutschland und Österreich
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bar von jeglicher Mitverantwortung und folglich von der Notwendigkeit historischer Forschung in diesem Bereich. Bis in die 80er-Jahre konzentrierte sich die Historiographie auf Widerstandsforschung. Abgesehen davon waren NS-Akten durch die 50-jährige Archivsperre nur schwer zugänglich, und die österreichische Strafverfolgung der Nachkriegszeit konnte, im Unterschied zu Deutschland, nicht systematisch auf historische Forschungen zurückgreifen. Durch innenpolitische Auseinandersetzungen hat aber seitdem eine intensive Aufarbeitung der österreichischen Beteiligung an den Verbrechen des NS-Regimes eingesetzt. Dabei waren die Untersuchungen über zivile Zwangsarbeiter jedoch meist regionalen oder thematischen Einschränkungen unterworfen, eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung des Einsatzes ziviler Ausländer, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge in Österreich gab es bis Anfang der 90er-Jahre nicht.15 Als Florian Freund und Bertrand Perz Ende der 80er-Jahre die besondere Bedeutung der Zwangsarbeiter für Österreichs Industrialisierung betonten, blieben ihre Arbeiten „ohne jede politische Folge und erhielten nur geringe, meist punktuelle mediale Resonanz“.16 Ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gelangte das Thema erst infolge einer Reihe von Sammelklagen gegen Banken, Unternehmen und Versicherungen in der Schweiz und Deutschland sowie, etwas später, in Österreich und Frankreich. Die politische Debatte verlief parallel zur Diskussion um Entschädigungen für „Arisierungen“.17 In der 1998 eingesetzten Historikerkommission der Republik Österreich wurde der Bereich Zwangsarbeit als eigenes Forschungsprojekt ausgeschrieben. Freund/Perz ermittelten aus deutschen Quellen die Zahlenentwicklung der ausländischen Zwangsarbeiter von 1939 bis 1945.18 Spoerer errechnete mit demographischen Methoden die Anzahl der voraussichtlich noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter.19 Diese Zahlen können als 15 Vgl. Freund, Florian/Perz, Bertrand: „Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge in der ‚Ostmark‘“. In: Herbert, Ulrich (Hg.): Europa und der „Reichseinsatz“: ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938–1945, Essen: Klartext-Verl. (1991): 340f. 16 Rathkolb, Einleitung (2001): 7f. 17 Vgl. Rathkolb, Einleitung (2001): 8. Zum Verlauf der Entschädigungen vgl. auch Feichtlbauer, Hubert. Zwangsarbeit in Österreich 1938–1945: späte Anerkennung, Geschichte, Schicksale. Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit. Wien: Braintrust (2005); Winkler, Hans: „Entschädigung für Sklaven- und Zwangsarbeit durch Österreich“. In: Marboe, Irmgard (Hg.): 26. Österreichischer Völkerrechtstag. Wien: Diplomatische Akademie Wien (2002): 12–27. 18 Vgl. Freund/Perz: Zahlenentwicklung (2004). 19 Vgl. Spoerer, Mark: „Wie viele der zwischen 1939 und 1945 auf heutigem österreichischen Territorium eingesetzten Zwangsarbeiter leben noch im Jahre 2000?“ In: Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939–1945. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschä-
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Forschungsverlauf
Grundlage für die (politische) Entscheidung über die Entschädigungszahlungen gesehen werden, die der Versöhnungsfonds vorsieht. Karner/Ruggenthaler untersuchten Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet der Republik Österreich,20 und Hornung et al. widmeten sich der Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich und dem nördlichen Burgenland.21 Ergänzt werden diese Projekte durch das Bedürfnis von Industriebetrieben, ihre Geschichte aufzuarbeiten.22 Eine Studie über Zwangsarbeit in den Linzer Hermann Göring Werken wurde bereits vorgelegt.23 Der zweite Band enthält 37 von Karl Fallend geführte Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern aus Tschechien, Polen, der Ukraine, Moldawien und Italien, „in denen zwar die Erlebnisse in Linz im Mittelpunkt standen, aber auch der familiäre Hintergrund, der gebrochene Lebensentwurf sowie die Jahre nach der nationalsozialistischen Unterdrückung zum Thema gemacht wurden“.24 Damit kommt die Studie einer bereits von Herbert aufgestellten Forderung nach:
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digungen seit 1945 in Österreich (hg. von Clemens Jabloner et al.). Bd., 26,1. Wien/München: Oldenbourg (2004): 275–403. Vgl. Karner, Stefan/Ruggenthaler, Peter: Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet Österreichs 1939 bis 1945. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich (hg. Von Clemens Jabloner et al.). Bd. 26/2. Wien/München: Oldenbourg (2004). Vgl. Hornung, Ela/Langthaler, Ernst/Schweitzer, Sabine: Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich und dem nördlichen Burgenland. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich (hg. Von Clemens Jabloner et al.). Bd. 26/3. Wien/München: Oldenbourg (2004). Vgl. Freund, Florian/Perz, Bertrand: „Zwangsarbeit von zivilen Ausländerinnen, Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und ungarischen Juden in Österreich“. In: Tálos, Emmerich et al. (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich, Wien: öbv & hpt Verl. (2001): 644. Vgl. Rathkolb, Oliver (Hg.): NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938–1945. 2 Bde. Wien/Köln/Weimar: Böhlau (2001). Während die VOEST noch 1983 ein Forschungsansuchen der Historiker Florian Freund und Bertrand Perz abgelehnt hatte, trat der Vorstand der VA Stahl AG nun aus eigenem Antrieb unter Berücksichtigung des internationalen Diskurses an Oliver Rathkolb heran (vgl. Rathkolb, Einleitung [2001]: 8f ). Neben der VA Stahl wurden Arbeiten von der Chemiefaser Lenzing, Böhler, dem Verbund-Konzern und den Illwerken in Auftrag gegeben (vgl. Freund/Perz, Zwangsarbeit [2001]: 644, Fn. 2). Vorliegende Ergebnisse: Gassmann, Jens: Zwangsarbeit in Vorarlberg während der NS-Zeit unter besonderer Berücksichtigung der Situation auf den Illwerke-Baustellen. Wien: Univ.-Diss. (2005). Für die Bauindustrie vgl. Lütgenau, Stefan/Schröck, Alexander. Zwangsarbeit in der österreichischen Bauindustrie. Die Teerag Asdag AG 1938–1945. Innsbruck: Studienverlag (2001). Rathkolb, Einleitung (2001): 21.
Frankreich
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Was schließlich drittens fehlt, ist eine viel stärkere Einbeziehung der Erfahrungen der Betrof-
fenen selbst. […] Um hier weiterzukommen, müsste in internationaler Zusammenarbeit ein
großes Oral-History-Projekt entstehen, das ehemalige Kriegsgefangene und Fremdarbeiter, die in Deutschland während des Krieges gearbeitet haben, in verschiedenen Ländern in längeren lebensgeschichtlichen Interviews befragt. Meine ersten Versuche in diese Richtung waren
insofern ermutigend, als sich durch solche Interviews vor allem Aufschlüsse über Bereiche er-
geben, die sich behördlicher Kontrolle weitgehend entzogen, wie das Verhältnis der Ausländer
zu den Deutschen und untereinander, Elemente von Resistenz und oft listigen Widerstands-
formen sowie über die tatsächlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der Betroffenen, über die in den Quellen oft sehr widersprüchliche Aussagen gemacht werden.25
Tatsächlich ist aber in die Erfahrungssammlungen nicht nur die Oral History, sondern auch die veröffentlichte Erinnerungsliteratur (unter methodologischer Beachtung ihrer Eigenheiten) einzubeziehen. Als einzige in Österreich veröffentlichte Werke sind Robert Quintillas hochinteressante Erinnerungen26 und der Skizzenblock des Karikaturisten Philibert-Charrin27 zu nennen, die auch in einen 2008 produzierten Dokumentarfilm Eingang fanden.28 Für diese Studie wurde darüber hinaus auf die in Frankreich zugänglichen, wesentlich zahlreicheren Publikationen zurückgegriffen, um auch diese dem deutschsprachigen Leser näherzubringen.
2.2 Frankreich Die Auseinandersetzung mit dem Schicksal der französischen Zwangsarbeiter begann in Frankreich unmittelbar nach Kriegsende. Ziel der ersten Arbeiten war allerdings nicht eine umfassende Darstellung der Ereignisse, sondern die Erfassung des in verlorenen Arbeitsstunden gemessenen ökonomischen Schadens.29 Im dabei produzierten Zahlenmaterial sieht Jean-Marie D’Hoop eine wesentliche Quelle, die aber bis vor Kurzem nicht kritisch 25 Herbert, Fremdarbeiter (1986): 23. 26 Quintilla, Robert: Ein Gallier in Danubien. Wien: Lehner (2006). 27 Bereits kurz nach dem Krieg in Frankreich veröffentlicht und 2006 neu aufgelegt: Philibert-Charrin/ Feuillette, Christian: Carnet de voyage (obligatoire) de 30 mois en Österreich (Autriche). Montréal: Feuillette (2006). In deutscher Übersetzung mit einem Kommentar von Jürgen Strasser erschienen als Philibert-Charrin: Stift trifft oft. Der Skizzenblock eines Zwangsarbeiters. Wien: Lehner (2008). 28 Steinlechner, Siegfried/Peschl, Wolfgang: Zwangsarbeit! Travail forcé. Wien: Laufbildgesellschaft (2008). 29 Vgl. Commission consultative des dommages et des réparations. Exploitation de la main-d’œuvre par l’Allemagne. Imprimerie nationale (1948): 5.
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aufgearbeitet worden war.30 Auch ein 1960 erschienener Aufsatz von Joseph Billig, der sich hauptsächlich den französischen Kriegsgefangenen widmete, versucht festzustellen, in welchem Ausmaß Franzosen in die deutsche Kriegswirtschaft eingespannt wurden.31 Jacques Desmarest32 stellt 1946 ganz allgemein die Arbeitsmarktpolitik Frankreichs vor, die sich seiner Einschätzung nach in der kurzen Zeit von 1939–1944, die er als „période autoritaire“ bezeichnet, stärker veränderte als im gesamten vorangegangenen Jahrhundert.33 Das Werk verdient aber Beachtung, weil es sehr detaillierte Darstellungen der französischen Verwaltung und der rechtlichen Lage enthält. In den 70er-Jahren führte das Comité d’Histoire de la Deuxième Guerre mondiale eine Umfrage unter Freiwilligen, Zwangsarbeitern und Verweigerern durch, die von Pierre Mermet zusammengefasst wurde.34 Erinnerungswerke wurden großteils seit Ende der 50er-Jahre mit ab den 80er-Jahren zunehmender Intensität veröffentlicht.35 Die Vermutung liegt nahe, dass die stärkere Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit mit dem Eintritt ins Pensionsalter zusammenhängt. Jean Daures legte 1993 ein Werk über Zwangsarbeiter aus dem Département Aveyron vor, für das insgesamt 110 Erinnerungsberichte verwendet wurden.36 Unter den jüngsten, sich auf Österreich beziehenden Publikationen stechen besonders die Erinnerungen Robert Quintillas und der Skizzenblock des Karikaturisten PhilibertCharrin37 hervor. Bereits 1947 erschien eine erste Sammlung von Erinnerungen von Priestern oder gläubigen Katholiken, die im Rahmen der „Action catholique“ auch als Zwangsarbeiter verbunden und aktiv blieben.38 2001 erschien in ähnlicher Weise ein Werk, das die Präsenz der Chefs de chantiers (Funktionäre der Chantiers de la Jeunesse 30 Vgl. D’Hoop, Jean-Marie: „La main d’œuvre française au service de l’Allemagne“. In: Revue d’histoire de la deuxième guerre mondiale 81 ( Jänner 1971): 76. 31 Vgl. Billig, Joseph. „Le rôle des prisonniers de guerre dans l’économie du troisième Reich“. In: Revue d’histoire de la deuxième guerre mondiale 37 ( Jänner 1960): 53–76. 32 Vgl. Desmarest, Jacques: La politique de la main d’œuvre en France, Paris: PUF (1946). 33 Vgl. Desmarest, Politique de la main-d’œuvre (1946): 159. 34 Vgl. Mermet, Pierre: „Enquête sur la main-d’œuvre française au service de l’Allemagne, bilan et perspectives“. In: Bulletin de l’IHTP 7 (März 1982): 40–59. 35 Vgl. Joyon, Charles: Qu’as-tu fait de ta jeunesse. Paris: Lacoste et Cie. (1957); Quereillahc, Jean-Louis, Mémoires de la déportation du travail en Allemagne 1943–1945. Biarritz: atlantica (19983) [Erstauflage J’étais S.T.O., 1958. Paris: France Empire]. 36 Vgl. Daures, Jean: Nos vingt ans volés. Rodez: Association départementale de l’Aveyron (1993). 37 Siehe Fn. 26 und 27. 38 Vgl. Grandmesnil, Georges: Action catholique et S.T.O. Paris: Les Ed. Ouvrières (1947). Erlebnisberichte aus diesem Werk wurden auch in Kap. 5.3 verwendet. Das frühe Erscheinungsdatum ist möglicherweise insofern ein Vorteil, als die Ereignisse noch nicht lange zurücklagen.
Frankreich
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Française) in den Lagern in Erinnerung ruft.39 Auch wenn diese Publikationen faszinierende Erinnerungen enthalten mögen, so sind sie doch unter einem einschränkenden und teilweise apologetischen Blickwinkel geschrieben, der ihre Bewertung erschwert. Die oft fehlende Quellenangabe macht überdies jede Überprüfung unmöglich. Die erste wissenschaftliche Gesamtwürdigung wurde 1972 von Jacques Evrard vorgelegt, bezeichnenderweise also von einem ehemaligen Zwangsarbeiter.40 Das Werk enthält auch zahlreiche Ausschnitte aus Zeitzeugenberichten, mehr als 20 davon aus Österreich. Zehn Jahre später stellte Jean-Pierre Vittori in Kenntnis der vorhandenen Quellen aus über 100 Interviews und 600 Fragebögen eine Erinnerungssammlung zusammen, welche auch eine Fülle von Erlebnissen im Gebiet des heutigen Österreich enthält.41 Etwa zeitgleich erschien der Aufsatz von D’Hoop,42 gefolgt von Yves Durand, der sich eingehend mit dem Problem der Kriegsgefangenen beschäftigt hat.43 Darüber hinausgehendes, breites Interesse französischer Historiker war bis in die jüngste Vergangenheit nicht festzustellen: Die Forschung blieb, abgesehen von Evrards Gesamtdarstellung, auf einige Zeitschriftenaufsätze oder Erwähnungen am Rande beschränkt.44 Erst 1997 wurde, nicht zuletzt durch den Druck ehemaliger Zwangsarbeiter, unter dem damaligen Regierungs39 Vgl. Martin, Pierre: La Mission des Chantiers de Jeunesse en Allemagne 1943–45. Paris: L’Harmattan (2001). Der Autor Pierre Martin, ehemaliger Chef de chantiers (siehe dazu Kap. 4.2), hatte wichtige Funktionen in der Délégation officielle en Allemagne inne (vgl. Vittori, Jean-Pierre. Eux, les STO, Paris: Messidor/Temps actuels [1982]: 164). Sein Buch widmet er unter anderen Marschall Pétain und General Joseph de la Porte du Theil, dem Commissaire Général des Chantiers de la Jeunesse Française. Dies ist bei der Bewertung seiner Aussagen zu berücksichtigen. 40 Vgl. Evrard, Jacques. La déportation des travailleurs français dans le troisième Reich, Paris: Fayard (1972). 41 Vgl. Vittori, Eux: les STO (1982). Vittoris Stil entspricht seinem journalistischen Hintergrund, er hat jedoch intensive Quellenstudien betrieben. 42 Vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971). 43 Vgl. Durand, Yves: La Captivité. Histoire des prisonniers de guerre français en Allemagne, 1939–1945, Paris: F.N.C.P.G.-C.A.T.M. (1980); Durand, Yves: La Vie quotidienne des prisonniers de guerre dans les stalags, les oflags et les kommandos – 1939–1945, Paris: Hachette (1987). 44 Für regionale Darstellungen vgl. Harbulot, Jean-Pierre: Le STO dans le Région de Nancy. Une administration régionale face aux exigences allemandes en matière de main-d’œuvre, Thèse de doctorat d’Histoire, Université de Nancy (1997), veröffentlicht als: Harbulot, Jean-Pierre: Le Service du Travail Obligatoire – La région de Nancy face aux exigences allemandes. Nancy: Presses Universitaires de Nancy (2003); Laurens, André: „Le STO dans le département de l’Ariège“. In: Revue d’histoire de la Deuxième Guerre mondiale 95(1974): 53–74 ; Gratier de Saint-Louis, Michel: „Histoire d’un retour: les S.T.O. du Rhône“. In: Cahiers d’histoire 39 (1994): 3–4, 247–270.
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chef Lionel Jospin die Veranstaltung eines Historikerkolloquiums beschlossen, das Ende 2001 in Caen stattfand und Erkenntnisse in teils gänzlich neuen Fragestellungen brachte. Damit stehen nun sowohl in Frankreich als auch in Österreich erstmals umfassende Forschungsergebnisse zur Verfügung, die das Grundgerüst der folgenden Darstellungen bilden.
3 Begriffsabgrenzungen Die Definition von „Zwangsarbeit“ wirft eine Reihe methodologischer Schwierigkeiten auf .45 Seit Ulrich Herbert wurde in der Literatur mehrheitlich auf das Merkmal des außerökonomischen Zwanges zurückgegriffen, um Zwangsarbeit von freiwilliger Arbeit abzugrenzen. Herbert argumentiert, dass es grundsätzlich schwierig sei, klar zwischen den verschiedenen Formen des Zwangs, der ausgeübt wurde, um jemand gegen seinen Willen zur Ausführung einer Arbeitsleistung zu bringen, zu trennen. Nicht jede Form der Arbeitsaufnahme aus sozialer Not könne als Zwangsarbeit gesehen werden; vielmehr gehe es um außerökonomischen Zwang zur Arbeit. Auch Arbeitsverhältnisse, die deutschen Staatsangehörigen vorübergehend zugeordnet werden konnten, sind von dieser D efinition ausgeschlossen: Sie könne man aufgrund der Lebensumstände nicht als Zwangsarbeit bewerten.46 Von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus ist dann zu sprechen, wenn außerökonomischer Zwang ausschlaggebend dafür war, dass eine Person arbeitete, nicht nur unabhängig von ihrer
Profession und Fähigkeit, sondern alleine abhängig von ihrer Herkunft (national, ethnisch, re-
ligiös); von Zwangsarbeit ist auch dann zu sprechen, wenn diskriminierende arbeitsrechtliche
Sonderbedingungen geschaffen wurden, die eine definierte Gruppe von Personen bei Strafe zur Arbeit anhielten.47
Nach dieser Definition gab es für Franzosen drei Möglichkeiten, in Österreich zur Zwangsarbeit eingesetzt zu werden: als ziviler Fremdarbeiter, als Kriegsgefangener oder als KZHäftling.48 Zwischen 1940 und 1944 wurden mindestens 300.000 Kriegsgefangene auf österreichisches Gebiet verbracht, von denen zwischen 80.000 und 100.000 Franzosen waren.49 45 Eine ausführliche Diskussion findet sich in Spoerer, Mark: „Die soziale Differenzierung der ausländischen Zivilarbeiter, Kriegsgefangenen und Häftlinge im Deutschen Reich“. In: Jörg Echternkamp (Hg.): Die Deutsche Kriegsgesellschaft (Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9/2). Deutsche Verlags-Anstalt: Stuttgart (2005): 485–576. 46 Vgl. Freund/Perz, Zwangsarbeit (2001): 646. 47 Freund/Perz, Zwangsarbeit (2001): 646. 48 Vgl. Freund/Perz, Zwangsarbeit (2001): 647f. 49 Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 218. Anfang September 1940 gab es in Lagern in Österreich über 78.000 französische Kriegsgefangene (vgl. Freund/Perz, Zwangsarbeit [2001]: 651).
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Begriffsabgrenzungen
Wenn auch der Großteil zur Zwangsarbeit eingesetzt wurde, so konzentriert sich diese Studie doch ausschließlich auf die als zivile Arbeiter von Frankreich nach Österreich verschleppten Personen. Auch hier ist die Abgrenzung nicht immer einwandfrei, weil Kriegsgefangene in den Status ziviler Zwangsarbeiter überführt werden konnten („Transformation“).50 Zur Unterscheidung der Begriffe Zwangsarbeit und Sklavenarbeit sei festgehalten, dass beide Begriffe zur Abgrenzung der darin enthaltenen unterschiedlichen Erfahrungen unbefriedigend sind. „Sklavenarbeit“ wird im angelsächsischen publizistischen Bereich und auch in den deutschen und österreichischen Entschädigungsgesetzen als Überbegriff gewählt.51 Die Analogie zwischen Zwangsarbeit und Sklavenwirtschaft wurde auch bei den Nürnberger Prozessen vorgebracht.52 Mark Spoerer schlägt ein auf Herberts Definition aufbauendes Modell vor, das die unterschiedlichen Erfahrungen in einen theoretischen Rahmen fasst und so der Begriffsverwirrung ein Ende bereiten soll. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Fragen: 1. War es möglich, das Deutsche Reich nach Ende des Arbeitsvertrages und nach Kündigung zu verlassen („exit“)? 2. Konnte man sich gegen die Arbeitssituation wehren und Kritik artikulieren, die dann auch zu Änderungen führte („voice“)? Nach diesen Kriterien fällt die Gruppe der französischen zivilen Arbeitskräfte in die Kategorie „kein exit, aber voice“: es bestand also im Normalfall nicht die Möglichkeit, das Deutsche Reich zu verlassen, geäußerte Kritik konnte aber Auswirkungen haben.53 Der Begriff „Reichseinsatz“ ist hingegen ein von der NS-Bürokratie eingeführter Euphemismus.54 Die Bezeichnung „Fremdarbeiter“, die auch Freiwillige einschließt, wird nur der besseren Lesbarkeit halber verwendet. Für unsere Zwecke erscheint letztlich die Übernahme der Definition von Herbert ausreichend und bietet einen doppelten Vorteil. Erstens folgen ihr auch Freund/Perz55 – ihr Zahlenmaterial soll einen Überblick über die nach Österreich verbrachten Zwangsarbei50 51 52 53
Siehe Kap. 4.2. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 2. Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 298. Vgl. Spoerer, Mark/Fleischhacker, Jochen: „Forced Laborers in Nazi Germany: Categories, Numbers and Survivors“. In: Journal of Interdisciplinary History XXXIII: 2 (Herbst 2002), 172–176; Spoerer, Mark/Fleischhacker, Jochen: „The compensation of Nazi Germany’s forced labourers: Demographic findings and political implications“. In: Population Studies 56 (2002), 6f; Rathkolb, Oliver/Freund, Florian: „Einleitung der Herausgeber“. In: Rathkolb, Oliver/Freund, Florian (Hg.): NS-Zwangsarbeit in der Elektrizitätswirtschaft der „Ostmark”, 1938–1945. Wien/Köln/Weimar: Böhlau (2002): X–XIII. 54 Vgl. Freund/Perz, Zwangsarbeit (2001): 645. 55 Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 15f.
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ter bieten. Zweitens ist diese Abgrenzung auch aus französischer Perspektive notwendig und hilfreich: durch die spezifische Entwicklung (Kollaborationspolitik) und die daraus folgenden unterschiedlichen Möglichkeiten, als Fremdarbeiter ins Deutsche Reich zu kommen, herrscht über den Zeitpunkt, ab dem man zweifelsfrei von Zwang sprechen kann, nicht immer Einklang.56 Eine scharfe chronologische Trennung ist schon deshalb schwer möglich, weil Freiwillige auch noch nach Sommer 1942 nach Deutschland gingen.57 Abgesehen davon ist auch der Begriff der Freiwilligkeit problematisch, weil seitens der deutschen Besatzungsbehörden erheblicher Druck auf die Bevölkerung ausgeübt 56 1948 bezeichnete die Commission consultative des dommages et des réparations die Periode vom 1. 10. 1940 bis zum 1. 6. 42 (vielleicht nicht ganz uneigennützig) noch als „volontariat dirigé“, wobei auf die deutsche Propaganda und brutale Druckmittel verwiesen wird (vgl. Commission, Exploitation [1948]: 61, 63). „D’une part, en effet, cet embauchage est souvent fait sous la menace. Dans certains cas, les hommes sont arrêtés à la sortie de lieux publics […] Dans d’autres cas, la désignation des travailleurs est imposée aux industriels.“ (ebda.) Als Kapitelüberschrift findet man auch: „La fiction du volontariat“ (ebda.: 23). Die Zeit von September 1942 bis Februar 1943 wird manchmal als „volontariat forcé“ bezeichnet (vgl. Durand, Yves: „Vichy und der ‚Reichseinsatz‘“. In: Herbert, Ulrich [Hg.]: Europa und der „Reichseinsatz“: ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938–1945, Essen: Klartext-Verl. [1991]: 184). Desmarest spricht von „pseudo-volontariat“ für denselben Zeitraum (vgl. Desmarest, Politique de la main-d’œuvre [1946]: 171, 176). Homze schreibt: „In the west, the labor recruitment program was voluntary until midsummer 1942“ (vgl. Homze, Foreign Labor [1967]: 177). D’Hoop schreibt in Bezug auf das Gesetz vom 4. September 1942: „C’était déjà le régime du travail obligatoire“ (D’Hoop, Main d’œuvre française [1971]: 79). Yves Durand seinerseits meint: „Unter denen, die formell den Status des ‚Freiwilligen‘ innehatten, sollte einerseits zwischen denjenigen, die vor dem September 1942 nach Abschluss freier Einzelverträge ins Reich gingen, und andererseits denjenigen unterschieden werden, die zwischen September 1942 und Februar 1943 im Rahmen der ‚Relève‘ […] nach Deutschland entsandt wurden“ (Durand, Vichy und der ‚Reichseinsatz [1991]: 184). Arbeiter, die im Rahmen der Relève nach Deutschland gingen (siehe Kap. 4.2), wurden manchmal auch „volontaires à demi“ genannt (Gratier de SaintLouis, Retour [1994]: 263). Eine mit 12. Mai 1945 datierte Anweisung an die G-5-Verbindungsoffiziere hält fest: „A great number of French workers are actually in Germany as forced laborers. The fact that they have signed a volunteer’s contract does not prove that they were volunteers. Only French workers who have gone to Germany before June 1942 have been real volunteers. It will be proper to delay the repatriation of these volunteers. The women have generally been volunteers, except those who came from „HautRhin“, „Bas-Rhin“, „Moselle“. The French youth deported to Germany under blue and green uniform constitutes sound elements which must not be dissociated before repatriation. They may be used to help in the repatriation operations“ (zit. nach Martin, Chantiers de Jeunesse [2001]: 305). 57 Vgl. Harbulot, Jean-Pierre: „L’administration française et le STO“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.): La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003): 226.
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Begriffsabgrenzungen
wurde. Die viel erörterte Frage, ob es zum Zeitpunkt der „Dienstverpflichtung“ möglich gewesen wäre, sich durch den Eintritt in den organisierten Widerstand dem Service du Travail Obligatoire (S.T.O.) zu entziehen, hat aus dieser Sicht keine Bedeutung mehr. Der Begriff „STO“ wird oft nicht eindeutig verwendet. Im engeren Sinn handelt es sich nur um jene Zwangsarbeiter, die aufgrund eines Gesetzes von Februar 1943 rekrutiert wurden. Etwa die Hälfte aller französischen Zwangsarbeiter wurde aber infolge eines bereits im September 1942 beschlossenen Gesetzes deportiert. Diese Tatsache wird oft übersehen und führt zu Unklarheiten, denen sich auch die vorliegende Arbeit nicht einwandfrei entziehen kann.58 „Service du travail obligatoire“ wurde offiziell erst im Gesetz von Februar 1943 verwendet; die deutsche Propaganda bediente sich aber bereits seit September 1942 gleicher oder ähnlicher Bezeichnungen.59 Erschwert wird die Begriffsabgrenzung schließlich auch dadurch, dass „STO“ in der Umgangssprache sowohl für die „Dienstverpflichtung“ als auch für jene Zwangsarbeiter, die unter diesem Titel rekrutiert wurden, verwendet wird. Mit der Festlegung dieser Arbeit auf das Gebiet der heutigen Republik Österreich verbindet sich insofern ein Problem, als die Bezeichnung dieses Territoriums mit der Einführung der Begriffe „Ostmark“ bzw. „Alpen- und Donaureichsgaue“ geändert wurde. Auch die Ersetzung der neun Länder durch sieben „Reichsgaue“ und die sich daraus ergebenden Folgen für die Verwaltung (z. B. für die Arbeitsämter) seien erwähnt.60 Der Lesbarkeit des Textes halber werden die Begriffe „Ostmark“ und „Österreich“ alternierend verwendet, um das Gebiet der heutigen Republik Österreich zu bezeichnen. Auch die Frage, welche Personen als Franzosen gelten, darf nicht vernachlässigt werden, schließlich waren die Départements Haut-Rhin und Bas-Rhin (Elsass) sowie Moselle (Lothringen) de facto an Deutschland angeschlossen und bildeten mit den ehemaligen Gauen Saarpfalz und Baden nun die neuen Gaue Westmark und Oberrhein. In diesen drei Départements wurden die jungen Arbeitskräfte den deutschen Gesetzen unterstellt und zum Arbeitsdienst herangezogen.61 In den NS-Statistiken dürfte aber die Staatsange58 Vgl. Quellien, Jean: „Les travailleurs forcés en Allemagne: essai d’approche statistique“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.): La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003): 75. 59 Von den Besatzern kontrollierte Zeitungen, aber auch Zeitungen der unbesetzten Zone druckten im September 1942: „Pour servir l’intérêt supérieur du Pays, le Gouvernement institue le Service national obligatoire du travail“ (L’écho de Nancy, L’Œuvre), „Le travail obligatoire pour tous les Français“ (Le Petit Daupinois), „Le Service du Travail Obligatoire pour tous les Français“ (Le Républicain orléanais) usw. (vgl. Harbulot, Administration [2003]: 226). 60 Siehe Kap. 4.1. Vgl. auch Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 19. 61 Vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 74.
Begriffsabgrenzungen
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hörigkeit gezählt haben: „Als Ausländer im Sinne der Erhebung galten Personen, die die deutsche Reichsangehörigkeit nicht besitzen, einschl. der Staatenlosen und der Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, jedoch ohne die Protektoratsangehörigen. […] Elsässer und Lothringer französischer oder einer anderen fremden Staatsangehörigkeit galten als Ausländer.“62
62 Der Arbeitseinsatz im Deutschen Reich Nr. 6 vom 20. März 1941, S. 9, zit. nach Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 24.
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Der Hintergrund
4.1 Der Arbeitskräftemangel im Deutschen Reich Die Ursachen der zwanghaften Rekrutierung von Millionen Menschen in ganz Europa liegen in der allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Deutschlands (und in weiterer Folge Österreichs). Noch wenige Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges herrschte Massenarbeitslosigkeit.63 Erst mit deren Überwindung wurde in Deutschland von 1934 bis 1939 hauptsächlich in der Landwirtschaft wieder auf ausländische Arbeitskräfte zurückgegriffen. Die Zahl der in Deutschland als unselbstständige Arbeitskräfte tätigen Ausländer lag am Vorabend des Krieges bei über einer halben Million. Der Kriegsausbruch und die damit verbundenen Einberufungen zur Wehrmacht, welche die Konzentration der verbleibenden Arbeitskräfte von der Konsumgüter- auf die Produktionsgüterindustrie, die Landwirtschaft und die Rüstungsbetriebe zur Folge hatten,64 verstärkte den Arbeitskräftemangel, der mit dem nicht abzusehenden Ende des Russlandfeldzuges 1942 seinen Höhepunkt erreichte. Seit diesem Zeitpunkt war die Fortführung des Krieges ohne die Arbeitsleistung von Ausländern völlig undenkbar.65 Gleichzeitig standen dieser Entwicklung aber ideologische Bedenken und Sicherheitsüberlegungen gegenüber.66 Französische Kriegsgefangene wurden ab dem Zeitpunkt ihrer Gefangennahme zur Arbeit verpflichtet,67 die Bestimmungen der Genfer Konvention wurden dabei oft nicht eingehalten.68 Unter den beschriebenen Umständen reichte dies aber nicht aus: 63 Bereits 1923 wurde in Deutschland die Beschäftigung von Ausländern eingeschränkt, indem sie von der Genehmigung des Landesarbeitsamts für Arbeitsvermittlung abhängig gemacht wurde (vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter [1968]: 12). 64 Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 11f. 65 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 183; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 21. 66 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 290. 67 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 96; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 88, Billig, Prisonniers de guerre (1960): 53f. 68 Nach der Genfer Konvention durften einfache Soldaten zu ungefährlichen Arbeiten herangezogen werden, die nicht in unmittelbarer Beziehung zu den Kriegshandlungen stehen. Unteroffiziere sollten nur Aufsichtsdienste leisten, Offiziere zur Gänze von der Arbeit befreit sein (vgl. Freund/Perz, Zwangsarbeit [2001]: 647). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Vichy-Frankreich entgegen den Bestimmungen der Genfer Konvention den Schutz für die eigenen Gefangenen übernahm (vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz [1991]: 186; siehe Kap. 4.2). Dies führte dazu, dass die
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Der Hintergrund [D]ie ersten Monate des Ostfeldzuges und besonders die Winterschlacht von Moskau hatten eine unerwartet hohe Zahl von Menschenleben und eine enorme Abnutzung des Materials
gefordert. Es wurden daher um die Jahreswende zugleich eine Auffüllung der Wehrmacht, das hieß Einberufungen, und eine Steigerung der Rüstungsproduktion nötig. Dadurch entstand ein riesiger Bedarf an Arbeitskräften, der durch die Millionenschar der Kriegsgefan-
genen deswegen nicht gedeckt werden konnte, weil man vor allem Facharbeiter benötigte. Dazu beschloss man im Jänner 1942, verstärkt die besetzten Gebiete heranzuziehen, und zwar
zunächst durch eine Steigerung der Anwerbung von Freiwilligen. Falls sie nicht ausreichte, wurde aber bereits jetzt der zwangsweise Einsatz vorgesehen.69
Die seit 1940 in allen besetzten und befreundeten Gebieten betriebene Anwerbung von Freiwilligen kann angesichts der Erwartungen nur als Misserfolg bezeichnet werden. Am 21. März 1942 wurde daraufhin der Gauleiter von Thüringen, Fritz Sauckel,70 zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (G.B.A.) ernannt.71 Sein Ziel war neben der „restlose[n] Beschäftigung aller Kriegsgefangenen“ auch die „Hereinnahme einer Riesenzahl neuer ausländischer Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen“.72 Damit verbunden war eine Verschiebung der Kompetenzen, die bis Juli 1943 in die Konzentration aller Macht in
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Klauseln der Konvention mit dem Einverständnis des französischen Staates verletzt werden konnten: Georges Scapini, der im Rang eines Botschafters für die französischen Kriegsgefangenen zuständig war, rief im Frühjahr 1941 im „Trait d’union“, der deutschen Propagandazeitung für die Gefangenen, die Unteroffiziere dazu auf, „aus Solidarität mit den einfachen Soldaten“ einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Den Offizieren ihrerseits wurde mitgeteilt, dass auch sie freiwillig in den deutschen Unternehmen arbeiten könnten (vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz [1991]: 187; D’Hoop, Main d’œuvre française [1971]: 83). Im April 1942 wurde widerständigen Unteroffizieren außerdem mit der Verlegung in östliche Lager, wie zum Beispiel dem Straflager Kobierzyn bei Krakau, gedroht (vgl. Spoerer, Zwangsarbeit [2001]: 102; D’Hoop, Main d’œuvre française [1971]: 78). Bei anderen Nationalitätengruppen war die Position des Deutschen Reiches zwar zynisch, aber klar: den sowjetischen Kriegsgefangenen wurde der Schutz mit der Begründung verwehrt, die SU habe die Genfer Konvention nicht ratifiziert. Eine Sonderstellung nahmen ab 1943 auch die italienischen „Militärinternierten“ ein (vgl. Freund/Perz, Zwangsarbeit [2001]: 647). Jäckel, Eberhard: Frankreich in Hitlers Europa. Die deutsche Frankreichpolitik im Zweiten Weltkrieg. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anst. (1966): 233. 1894 in Unterfranken geboren, verbrachte er den gesamten Ersten Weltkrieg in einem französischen Internierungslager. 1923 trat er der NSDAP bei, 1927 wurde er Gauleiter, 1932 Ministerpräsident und Innenminister und 1933 Reichsstatthalter von Thüringen. Für seine Rolle als G.B.A. verurteilte ihn der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg zum Tode (vgl. Spoerer, Zwangsarbeit [2001]: 36). Vgl. Jäckel, Frankreich (1966): 223; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 17. Sauckel zit. nach Jäckel, Frankreich (1966): 223.
Arbeitskräftemangel im Deutschen Reich
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den Händen Sauckels mündete.73 Bereits September 1942 wurden die Vollmachten Sauckels in einem Erlass Hitlers festgelegt: Sauckel war ermächtigt, „nach seinem Ermessen im Großdeutschen Reich einschließlich des Protektorats sowie im Generalgouvernement und in den besetzten Gebieten alle Maßnahmen zu treffen, die den geordneten Arbeitseinsatz für die deutsche Kriegswirtschaft unter allen Umständen gewährleisten“. 74 Das Reichsarbeitsministerium (R.A.M.) entwickelte sich angesichts dieser Umstrukturierung mehr und mehr zu einem „Rumpfministerium“.75 Auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich herrschte eine ähnliche Lage, die durch den Ausbau der Industrie noch verstärkt wurde.76 Der Anschluss Österreichs brachte für das Deutsche Reich nicht nur eine Reserve an Arbeitskräften, sondern auch Bodenschätze (Eisenerz, Magnesit, Erdöl), Holzreichtum, die ungenützten Reserven an Wasserkraft, brachliegende Industriekapazitäten, Banken und die Gold- und Devisenreserven der Österreichischen Nationalbank.77 Die modernisierungsbedürftige österreichische Industrie wurde in die Wirtschaft des Deutschen Reiches integriert: Zum einen erfolgte ein Ausbau von Kapazitäten nach den ‚wehrwirtschaftlichen‘ Bedürfnissen des ‚Altreichs‘. Dies gilt für die Wasserkräfte, die Ölförderung, das Ranshofener Aluminiumwerk, die Reichswerke Hermann Göring in Linz und Rüstungsbetriebe wie die Flugzeugwer-
ke (und das geplante Flugzeugmotoren-Werk) in Wiener Neustadt, die Eisenwerke Oberdonau (Linz), das Nibelungenwerk in St. Valentin und andere […] Aus Österreich stammten 29
Prozent der im Zweiten Weltkrieg erzeugten Me-109-Jagdflugzeuge, 52 Prozent aller Panzer
vom Typ IV, aber auch rund 20 Prozent der gesamtdeutschen Lokomotivproduktion (Wiener
Lokomotivfabrik). […] Auch in anderen Bereichen wie der Gummiwarenerzeugung oder der Holzstoff- und Papiererzeugung war der österreichische Beitrag zur Gesamtproduktion des Reiches beträchtlich.78
In einem 17-Punkte-Programm legte Göring ein „Aufbauprogramm für Österreich“ vor, dessen wichtigste Vorgaben folgende waren: 73 74 75 76 77
Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 17f. Zit. nach Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 17. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 18. Vgl. auch Homze, Foreign Labor (1967): 115. Vgl. Freund/Perz, Fremdarbeiter (1991): 317f. Vgl. Weber, Fritz. „Zwischen abhängiger Modernisierung und Zerstörung. Österreichs Wirtschaft 1938–1945“. In: Tálos, Emmerich et al. (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich, Wien: öbv & hpt Verl. (2001): 329. 78 Weber, Österreichs Wirtschaft (2001): 333.
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Der Hintergrund Verdoppelung der Produktion der Alpine Montan (der heutigen Hütte Donawitz und des
Erzbergs) sowie einiger angeschlossener Betriebe; Errichtung eines Hüttenwerks im Großraum Linz, wobei der Bau […] im Mai 1938 beginnen sollte (die heutige VA-Stahl AG/ Hütte Linz); Inbetriebnahme der Wiener Neustädter Flugzeugfabrik; Intensivierung der
Erdölförderung im Wiener Becken durch Transfer von Bohranlagen aus dem „Altreich“; Bau
einer Anlage zur Verflüssigung von Kohle zu Benzin und Leichtöl; Intensivierung der Holzwirtschaft, da Deutschland große Holzmengen importieren musste; Bau eines Zellwollewerks
zur Absicherung der Rohstoffbasis der Textilindustrie (die heutige Lenzing AG); „sofortiger“ Baubeginn von 1.100 km Reichsautobahn (München-Salzburg-Wien, Passau-Linz, Salzburg-
Radstadt-Graz) und Bau von Donaubrücken (eine davon ist die heutige Nibelungenbrücke in Linz); „unverzügliche“ Errichtung eines Tauernkraftwerks (der in den 50er-Jahren in Be-
trieb gegangenen Kraftwerkskette Kaprun) sowie des Donaukraftwerks Ybbs-Persenbeug, das ebenfalls erst nach dem Krieg verwirklicht wurde.79
Die Investitionen in den Aufbau neuer Rüstungsbetriebe und den Ausbau der Grundstoffindustrie brachten die Arbeitslosigkeit innerhalb eines Jahres zum Verschwinden. Bereits im Frühjahr 1939 machte sich in einigen Bereichen ein Mangel an Arbeitskräften bemerkbar.80 Angesichts der steigenden Einberufungszahlen waren alle Bereiche der Wirtschaft auf den massenhaften Einsatz von ausländischen Arbeitskräften angewiesen.81 In diesem Kontext sprechen Freund/Perz von „Industrialisierung durch Zwangsarbeit“. 82 Etwas vorsichtiger formulieren es Engel/Radzyner, die diesen Ausdruck als überzogen ansehen. Auch sie sind aber der Meinung, dass die Bedeutung der Zwangsarbeiter für den „Take-off“ der österreichischen Industrie und das Wirtschaftswunder der 50er-Jahre nicht unterschätzt werden darf.83 Das Gebiet des heutigen Österreich war bis Herbst 1943 in vier Landesarbeitsamtsbezirke eingeteilt: Wien-Niederdonau, Oberdonau, Steiermark-Kärnten, Alpenland (mit Salzburg, Tirol und Vorarlberg). Danach wurde die Arbeitsverwaltung mit der Gründung von sieben Gauarbeitsämtern der Gaustruktur angepasst.84 79 Engel, Reinhard/Radzyner, Joana: Sklavenarbeit unterm Hakenkreuz: die verdrängte Geschichte der österreichischen Industrie. Wien: Deuticke (1999): 98. 80 Vgl. Freund/Perz, Zwangsarbeit (2001): 650. 81 Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 217; Freund/Perz, Zwangsarbeit (2001): 651. 82 Vgl. etwa Freund/Perz, Zwangsarbeit (2001): 663–670. 83 Vgl. Engel/Radzyner, Sklavenarbeit (1999): 252ff. 84 Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 19, 149. Diese Entwicklung fällt mit einer gesamtdeutschen Umstrukturierung zusammen. Bis 1943 wurde die Zahl der Arbeitsämter an die 42 Gaue
Die politische Situation in Frankreich
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Die Zahlen zeigen für das Jahr 1943 einen deutlichen Anstieg an ausländischen Zwangsarbeitern: Am 10. Juli 1942 waren 280.145 zivile Ausländer in der „Ostmark“ als Zwangsarbeiter eingesetzt, Ende Juni 1943 waren es bereits 474.115. Diese Entwicklung trifft in wesentlich stärkerem Ausmaß auch auf die Gruppe der Franzosen zu, die von 2.592 im Juli 1942, 40.757 Ende Juni 1943 bis auf 62.394 bei Jahresende 1943 anstieg und dann leicht abnahm.85 Diese Entwicklung kann nicht allein auf die allfällige „Transformation“ von Kriegsgefangenen zurückgeführt werden; für einen Erklärungsversuch müssen vielmehr die politischen Geschehnisse im Herkunftsland Frankreich herangezogen werden.
4.2 Die politische Situation in Frankreich Der Kriegseintritt Frankreichs am 3. September 1939 brachte acht Monate Warten, die „drôle de guerre“. Als am 10. Mai 1940 die Offensive der Wehrmacht begann, dauerte es nur eineinhalb Monate bis zum Waffenstillstand, der am 22. Juni im Wald von Compiègne geschlossen wurde. In dieser kurzen Zeit verzeichnete Frankreich 100.000 Tote, 200.000 Verletzte und mehr als 1,5 Millionen Kriegsgefangene.86 Am 17. Juni, dem Tag, an dem die französische Regierung Paris verließ, rief deren neuer Ministerpräsident Philippe Pétain zur Einstellung der Kampfhandlungen auf.87 Die 24 Artikel des Waffenstillstandsabkommens traten am 25. Juni in Kraft und stellten das Land vor vollendete Tatsachen. Die französische Armee wurde entwaffnet, demobilisiert und auf eine 100.000 Mann starke Berufsarmee reduziert. Die politischen Klauseln sahen die Aufteilung Frankreichs in zwei durch eine Demarkationslinie getrennte Zonen vor. Die deutschen Besatzer verfügten damit über den größten Teil der Küste, fast alle Energiequellen und Industriegebiete. Dieses von der Wehrmacht kontrollierte Gebiet wurde vom Militärbefehlshaber in Frankreich verwaltet. Wenig später wurden die Départements Nord und Pas-de-Calais der Kommandantur in Brüssel unterstellt, während die angepasst (vgl. Homze, Foreign Labor [1967]: 116). Zur Organisation des Arbeitsmarktes vgl. auch Hornung/Langthaler/Schweitzer, Landwirtschaft (2004): 107–138. 85 Siehe Kap. 4.3. 86 Vgl. Bachelier, Christian: „L’armée française entre la victoire et la défaite“. In: Azéma, Jean-Pierre/ Bédarida, François (Hg): La France des années noires. Bd. 1. Paris: Seuil. (1993): 71–77. 87 Der bekannte Aufruf von General de Gaulle, der aus dem Londoner Exil zur Fortsetzung des Krieges aufrief, war hauptsächlich an die Offiziere und Soldaten gerichtet (vgl. Bachelier, L’armée française [1993]: 77).
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Der Hintergrund
Abbildung 1: Zoneneinteilung Frankreichs
Départements Moselle, Bas-Rhin und Haut-Rhin de facto annektiert wurden (Gründung der Gaue Westmark und Oberrhein). Einige kleine Gebiete im Südosten wurden durch italienische Truppen besetzt.88 Der Großteil der insgesamt 1,85 Millionen Kriegsgefangenen wurde nach Deutschland gebracht.89 88 Nach der Besetzung der „Freien Zone“ am 11. November 1942 wurde eine weit größere Zone im Südosten Frankreichs von Italien kontrolliert. 89 Vgl. Azéma, Jean-Pierre: „Le choc armé et ses débandades“. In: Azéma, Jean-Pierre/Bédarida, François (Hg): La France des années noires. Bd. 1. Paris: Seuil (1993): 120f; Spoerer, Zwangsarbeit (2001):
Die politische Situation in Frankreich
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Das Gebiet südlich der Demarkationslinie und die Kolonialgebiete wurden von der französischen Regierung von ihrem Sitz in Vichy aus verwaltet.90 In den Augen der Vertreter des Vichy-Regimes konnte damit zumindest ein Teil der französischen Souveränität gewahrt und Frankreich zum gleichberechtigten Partner eines künftig deutschen Europa werden. Hauptproponent dieser Linie war Pierre Laval, der am 23. Juni zum Vice-Président du Conseil wurde.91 Am 10. Juli übertrug das französische Parlament Pétain sämtliche Vollmachten für die Erstellung einer neuen Verfassung.92 Im Verlauf der darauffolgenden „nationalen Revolution“ wurde der Staat nach dem Schlagwort „Travail, Famille, Patrie“ umgeformt.93 Ein Treffen von Pétain und Hitler am 24. Oktober in Montoire-sur-le-Loir (Département Loir-et-Cher) bekräftigte die bereits in Artikel 3 des Waffenstillstandsabkommens erwähnte Losung von der „collaboration“. Der französische Staat verpflichtete sich, die Behörden und Beamten anzuweisen, in der besetzten Zone mit den deutschen Militärbehörden zusammenzuarbeiten.94 Im Unterschied zur rein technischen „Zusammenarbeit“ des Waffenstillstandsabkommens wurde in Montoire aber der Weg Richtung „collaboration d’Etat“, also eine Zusammenarbeit zwischen scheinbar gleichberechtigten Staaten eingeschlagen.95
90 91 92 93 94
95
62. 1,58 Millionen Kriegsgefangene wurden nach Deutschland gebracht. Neben etwa 110.000 weißen französischen Kriegsgefangenen verblieben rund 90.000 Kriegsgefangene mit dunkler Hautfarbe aus rassepolitischen Gründen in Front-Stalags (vgl. Spoerer, Zwangsarbeit [2001]: 63f.; Herbert, Fremdarbeiter [1986]: 96; Pfahlmann, Fremdarbeiter [1968]: 89). Von ersteren wurden bei Wintereinbruch 1940 einige entlassen. Von denjenigen, die nach Deutschland gebracht wurden, wurden im Verlauf des Krieges einige Kategorien befreit: Soldaten des Ersten Weltkriegs, Väter von mindestens vier Kindern, Kranke oder jene, die von der Relève betroffen waren (vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française [1971]: 73); Zielinski, Bernd: „L’exploitation de la main-d’œuvre française par l’Allemagne et la politique de collaboration (1940–1944)“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.): La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003): 48. Vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 185. Laval wurde allerdings Ende 1940 seiner Funktion enthoben und verhaftet. Vgl. Paxton, Robert: „La collaboration d’Etat“. In: Azéma, Jean-Pierre/Bédarida, François (Hg): La France des années noires. Bd. 1. Paris: Seuil (1993): 335. Vgl. Bachelier, L’armée française (1993): 82f.; Azéma, Jean-Pierre: „Le régime de Vichy“. In: Azéma, Jean-Pierre/Bédarida, François (Hg): La France des années noires. Bd. 1. Paris: Seuil (1993): 151–179. Vgl. Frank, Robert: „Pétain, Laval, Darlan“. In: Azéma, Jean-Pierre/Bédarida, François (Hg). La France des années noires. Bd. 1. Paris: Seuil (1993): 306ff.; Paxton, Collaboration (1993): 335; Vittori, Eux, les STO (1982): 19; Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 185. Vgl. Harbulot, Administration (2003): 221; Zielinski, L’exploitation (2003): 47.
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Der Hintergrund Zu diesem Zeitpunkt erschien Marschall Pétain, der Sieger von Verdun, dem überwiegenden Teil der Bevölkerung als Retter der Nation.96
Die rasche Demobilisierung von etwa drei Millionen Soldaten hatte Folgen. Begründet mit der Angst vor chaotischen Zuständen beschloss die Vichy-Regierung, die in den Monaten Mai und Juni einberufenen 100.000 Soldaten in einer neu zu gründenden Organisation zusammenzufassen. Mit dieser Aufgabe wurde General La Porte du Theil betraut, der, seiner Vergangenheit als Pfadfinderführer entsprechend, ab Ende Juli 1940 in der unbesetzten Zone die Abbildung 2: Abzeichen der Chantiers de Jeunesse Chantiers de la Jeunesse Française97 (C.J.F., (C.J.F.) meist Chantiers de Jeunesse genannt) aufbaute. Nach Ablauf eines sechsmonatigen Probelaufs wurde diese Organisation, die sich durch strikte Hierarchie, (grüne) Uniform und Fahnengruß auszeichnete, am 18. Jänner 1941 institutionalisiert: Alle 20-jährigen wurden zu einem achtmonatigen Dienst verpflichtet; insgesamt mehr als 400.000 Franzosen gingen durch diese Schule, die dem Gesellschaftsbild Pétains entsprach. Die zu verrichtende Arbeit (Baumfällen, Gelände begradigen, Forstarbeit) folgte dem selbst auferlegten Anspruch, neben den positiven Auswirkungen körperlicher Ertüchtigung auch Erziehungscharakter zu haben: „Le travail, ce travail payé 1 fr. 50 par jour au jeune équipier, n’est certes pas la raison essentielle des chantiers. […] [L]es chefs se préoccupent davantage des résultats moraux que de la ‚récolte’ du charbon de bois.“98 Linksgerichtete Jugendorganisationen verschwanden hingegen im Sog der „nationalen Revolution“.99 96 Vgl. Azéma, Choc armé (1993): 124, 128. 97 Siehe dazu Martin, Chantiers de Jeunesse (2001); Giolitto, Pierre: Histoire de la jeunesse sous Vichy. Paris: le Grand livre du mois (1991): 548–609; Amoureux, Henri: La vie des Français sous l’Occupation. Bd. 6. Paris: Fayard (1961): 292–315. 98 Amoureux, Occupation (1961): 296; vgl. Andrieu, Claire: „Démographie, famille, jeunesse“. In: Azéma, Jean-Pierre/Bédarida, François (Hg): La France des années noires. Bd. 1. Paris: Seuil (1993): 474; Giolitto, Jeunesse (1991): 548ff. 99 Vgl. Giolitto, Jeunesse (1991): 497.
Die politische Situation in Frankreich
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Die französische Situation unterschied sich damit in einem wichtigen Punkt von anderen besetzten Gebieten: Es gab weiterhin eine (kollaborierende) französische Regierung, die auch den Großteil der Kolonialgebiete unter sich hatte und sich der Vorstellung hingab, mit dieser Politik die französischen Interessen wahren zu können.100 Die Haltung der Vichy-Regierung änderte sich mit den Umständen und der allgemeinen Kriegsentwicklung.101 Der Einsatz von Gewalt bildete im Vergleich zu den Methoden der besetzten Gebiete in Osteuropa die Ausnahme.102 In der politischen Praxis war das Vichy-Regime aber dem ständigen Druck Hitler-Deutschlands ausgeliefert. Im Unterschied zu den meisten anderen von Deutschland besetzten Staaten besaß Frankreich während dieser ganzen Zeit eine eigene, im Lande residierende Regierung, die bis zum No-
vember 1942 eine mehr oder weniger große Handlungsfreiheit genoss. Insofern war es nicht einfach Objekt, sondern zugleich Partner Hitlerscher Politik, und das deutsche Verhältnis zu
Frankreich war daher verwickelter und vielschichtiger, als es unter uneingeschränkter Fremdherrschaft gewesen wäre.103
Nach der militärischen Niederlage Frankreichs befanden sich 1,5 Millionen Franzosen in deutscher Kriegsgefangenschaft.104 Bereits im September 1940 war auf Druck Hitlers Georges Scapini, „ein kriegsblinder Veteran, Abgeordneter der Rechten und einer der Gründer des Französisch-Deutschen Komitees“,105 mit der Aufgabe betraut worden, die Interessen Vichys in Bezug auf die Kriegsgefangenen wahrzunehmen. Nach den Bestimmungen der Genfer Konvention waren sie dem Schutz einer neutralen Drittmacht unterstellt, im gegebenen Fall den Vereinigten Staaten. Nach kurzen Verhandlungen übernahm jedoch Frankreich selbst diese Aufgabe und versetzte damit die Kriegsgefangenen in eine schlechtere Lage: C’est ainsi que Vichy va demander et obtenir des Allemands le droit d’assumer lui-même la ‚protection’ de ses propres prisonniers, prévue par la convention de Genève, mais que celle-ci
confiait à une puissance neutre – en l’occurrence, les Etats-Unis. Un protocole signé à Berlin
le 16 novembre 1940 entérinait l’accord et, du côté français, fut créé pour remplir la tâche
prévue, un Service diplomatique des prisonniers de guerre. Son siège était à Paris, mais il avait 100 101 102 103 104 105
Vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 185; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 74. Vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 185. Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 201. Jäckel, Frankreich (1966): 11. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 63. Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 186.
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Der Hintergrund à Berlin une Délégation formée d’officiers recrutés dans les Oflags, dont la tâche était double : contrôler, par des inspections, le traitement accordé aux P.G. [prisonniers de guerre] dans les
camps et Kommandos, et promouvoir auprès d’eux, avec l’accord des Allemands, l’esprit de la Révolution nationale.106
So war es den Deutschen möglich, die Klauseln der Genfer Konvention mit dem Einverständnis des französischen Staates zu verletzen.107 Im Oktober 1940 gab es in Frankreich knapp eine Million Arbeitslose, von denen sich 90 Prozent im besetzten Gebiet befanden. Die französischen Behörden waren bemüht, die Zahlen zu senken. Dies war aus zwei Gründen im Interesse der deutschen Besatzungsmacht: Einerseits wollte sie die freie Arbeitskraft für die eigene Kriegswirtschaft nützen, andererseits fürchtete sie aber auch soziale Unruhen in den Städten. Daher forderte die Militärverwaltung rasche Maßnahmen. Die französischen Behörden wurden umstrukturiert, um den Arbeitsmarkt besser und autoritärer lenken zu können. Als Begleiterscheinung entwickelte man so immer genauere Erfassungsmethoden, die später die Arbeit der Rekrutierung erleichtern sollten.108 Die Senkung der Arbeitslosenzahlen war aber letztlich nicht auf die Maßnahmen der Behörden zurückzuführen, sondern vielmehr auf die rasche Eingliederung Frankreichs in die deutsche Kriegswirtschaft. Im Frühjahr 1942 arbeiteten in Frankreich 170.000 Franzosen in Wehrmachtdienststellen, Werkstätten und so weiter, 275.000 beim Bau von Befestigungsanlagen wie dem Atlantikwall
und von Flugplätzen sowie 400.000 in der Rüstungsindustrie für Deutschland. An Frankreich waren Industrieaufträge in Höhe von 4,5 Milliarden Reichsmark vergeben worden. Der franzö-
sische Lokomotivbau arbeitete zum Beispiel ausschließlich für Deutschland, die Werkzeugmaschinenindustrie zu 95 Prozent. Die Werften dienten der deutschen Marine, Frankreich hatte
seit dem Waffenstillstand für 1,27 Milliarden Reichsmark Waren an Deutschland geliefert, da-
runter Stahl und Molybdän (aus Marokko), Lebensmittel und Pferde, weiterhin 21 % seines Vorkriegsbestandes an Lokomotiven, 27 % an Personenwagen und 38 % an Güterwagen.109
106 Durand, Yves: Les prisonniers de guerre: dans les stalags, les oflags et les kommandos: 1939–1945. Paris: Hachette (1994): 197. 107 Vgl. Durand, Prisonniers de guerre (1994): 197–204; Billig, Prisonniers de guerre (1960): 61; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 87; Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 186f. 108 Vgl. Zielinski, L’exploitation (2003): 49; Jäckel, Frankreich (1966): 223; Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 7; Harbulot, Administration (2003): 224–229. 109 Jäckel, Frankreich (1966): 223f.; vgl. auch Zielinski, L’exploitation (2003): 50f.
Die politische Situation in Frankreich
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Bezieht man die französische Staatsbahn SNCF ein, so erhöhten sich die Zahlen bis Mitte 1944 auf zwei Millionen für Deutschland arbeitende Franzosen.110 Bereits im Dezember 1941 war dadurch die Zahl der Arbeitslosen auf 200.000 gesunken.111 Unter dem Eindruck der raschen militärischen Siege sahen die deutschen Besatzer zunächst noch keine Notwendigkeit für einen massenhaften Einsatz französischer Arbeiter in Deutschland, zumal ideologische Bedenken dagegen sprachen. Es wurde daher am Anfang auf die Rekrutierung von Freiwilligen gesetzt. Seit August 1940 wurden in den besetzten Gebieten sogenannte „offices de placement“ eingerichtet, um die Anwerbung französischer Arbeitskräfte voranzutreiben. In der bis November 1942 unbesetzten Zone wurden die Freiwilligen in jedem Département von den für Wirtschaft und Arbeitskräfte zuständigen französischen Behörden selbst ange-
worben. In der besetzten Zone kooperierten deutsche und französische Behörden in den Werbestellen für die ‚Relève‘, bei der Rekrutierung von Freiwilligen und wenig später bei ihrer Dienstverpflichtung.112
Begleitet wurde diese Maßnahme von massiver Propaganda für die freiwillige Verpflichtung. Gelobt wurden vor allem die angeblichen sozialen Errungenschaften und vorteilhaften Arbeitsbedingungen im Deutschen Reich. Unzählige Broschüren kündeten von der Sauberkeit und Hygiene in deutschen Betrieben, von der medizinischen Versorgung, der Freizeitgestaltung und der lohnenden Bezahlung.113 Neben freiwilligen Anwerbungen kam es aber schon zwischen 1940 und 1942 vereinzelt zu Zwangsmaßnahmen.114 Schon sehr früh wurden insbesondere Bauarbeiter zum Arbeitsdienst am „Atlantikwall“ verpflichtet, der von der Organisation Todt (O.T.) ent110 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 62; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 77. 111 Vgl. Zielinski, L’exploitation (2003): 50. Jäckel spricht für die besetzte Zone von 80.000 männlichen Arbeitslosen im August 1941 (vgl. Jäckel, Frankreich [1966]: 223f ). 112 Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 190. 113 Vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 77; Evrard, Déportation (1972): 28. Für eine genaue Darstellung der Propaganda in Bezug auf die Rekrutierung von Arbeitern vgl. Rossignol, Dominique. „La propagande et le travail en Allemagne“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.): La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003): 87–106. Die ersten Plakate wurden am 10. Dezember 1940 gedruckt (vgl. ebda.). 114 Vgl. Commission, Exploitation (1948): 24.
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Der Hintergrund
lang der nordfranzösischen Küste errichtet wurde.115 Unter Berufung auf die Haager Landkriegsordnung von 1907 forderten neben der O.T. aber auch die Wehrmacht, die Luftwaffe und die Kriegsmarine Arbeiter.116 Das Verhältnis zwischen den deutschen Besatzern und der Vichy-Regierung war in Bezug auf die Rekrutierung von Arbeitskräften zwiespältig. Die Vertreter Vichys waren der Auffassung, mit ihrer Politik Schlimmeres verhindern zu können, und versuchten, die Zahl der nach Deutschland verschickten Arbeiter gering zu halten. Gleichzeitig war es aber gerade jene Kollaboration, welche die Überführung nach Deutschland in geordneten (und daher vielleicht effizienteren) Bahnen verlaufen ließ. Die deutschen Besatzer waren sich dessen bewusst, dass mit der Vichy-Regierung Einfluss auf die öffentliche Meinung ausgeübt werden konnte. Es wurde daher wiederholt Druck ausgeübt, um von Vichy eine positive Stellungnahme zum Volontariat zu erreichen. Bis 1942 versuchte Vichy, eine neutrale Position zu bewahren und die Rekrutierung von Freiwilligen nicht zu fördern. Nichtsdestotrotz wurde das Regime aber unter dem Druck der deutschen Forderungen zum Komplizen.117 Dieser Zwiespalt führte zu zweideutigen Situationen, wie ein denkwürdiger Zwischenfall zeigt: Als die Waffenstillstandskommission erfuhr, dass französische Techniker sich nach Kanada begeben hatten, um dort einen Rüstungsbetrieb zu errichten, verlangte sie die sofortige Einstellung solcher Praktiken. Die Vichy-Regierung erließ daraufhin am 13. September 1940 ein Gesetz, das es Franzosen verbat, das Land zu verlassen, um bei der Produktion von Kriegsmaterial mitzuwirken. Dies war allerdings keineswegs, was man sich von deutscher Seite erwartet hatte, weil es ja auch den Einsatz französischer Arbeiter in Deutschland verhinderte. Nach dementsprechenden Protesten gab Vichy am 20. November sein Einverständnis für die Rekrutierung von Freiwilligen in der besetzten Zone.118 Am 29. März 1941 hielt ein Rundschreiben an die Präfekte fest: Le recrutement sera effectué par les services spéciaux de placement organisés par les autorités
d’occupation. Celles-ci feront appel qu’à des ouvriers français ou étrangers qui accepteront de leur plein gré d’aller travailler en Allemagne aux conditions qui leur seront proposées.119
115 Als Grundlage für solche Verpflichtungen wurde Art. 52 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907 angegeben (vgl. Commission, Exploitation [1948]: 23). Für den Text dieses Artikels, siehe URL: www.ns-zwangsarbeiterlohn.de/zwangsar/sachverhalt/5_1_01.html (1. 3. 2010). 116 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 62; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 75–78. 117 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 32. 118 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 25f., 29; Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 188. 119 Vittori, Eux, les STO (1982): 20f.
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Auch wenn Vichy sich bemühte, die Arbeit in Deutschland ausschließlich auf Freiwilligkeit zu beschränken und damit Zwangsrekrutierungen (wie im Norden Frankreichs) zu verhindern, so waren diese Bestimmungen dennoch ein erstes Zugeständnis in der Frage der Bereitstellung von Arbeitskräften.120 Besonders deutlich wurde die Machtlosigkeit Vichy-Frankreichs, als Mitte April 1942 Pierre Laval auf Druck Deutschlands wieder die Funktion des Regierungschefs übernahm.121 Dieser traf nun mit dem eben erst ernannten G.B.A. Sauckel zusammen, der bei seinem ersten Besuch in Paris „einen einmaligen Beitrag von 250.000 französischen Arbeitskräften“122 forderte. Die Militärverwaltung hielt Zwangsarbeit für völkerrechtswidrig. Man begnügte sich daher zunächst damit, die Werbung auf das unbesetzte Gebiet auszudehnen. Mit dem Einverständnis von Vichy wurden in Lyon, Marseille und Toulouse Werbestellen errichtet. Es entstand ein umfangreicher Verwaltungsapparat, dem unter der Führung des zentralen Arbeitseinsatzleiters Julius Ritter in Paris am 1. August 1942 bereits 165 deutsche Beamte und Sonderführer sowie 574 weitere deutsche Zivilkräfte unterstanden.123 Alle Anstrengung erzielte aber nicht die erhofften Ergebnisse. Die Rekrutierung freiwilliger Arbeiter muss angesichts der herrschenden Arbeitslosigkeit trotz aller propagandistischer Bemühungen als Misserfolg gewertet werden.124 In neuerlichen Verhandlungen schlug Laval nun die Relève (Ablöse) vor, d. h. die Freilassung eines französischen Kriegsgefangenen für jeden angeworbenen Zivilarbeiter.125 Am 6. Juni erklärte sich Hitler bereit, 50.000 in der Landwirtschaft tätige französische Kriegsgefangene gegen 150.000 französische Zivilarbeiter auszutauschen. Dies entsprach zwar nur zu einem Drittel den Vorstellungen Lavals, wurde von ihm aber mit dem Argument verteidigt, man habe so die Franzosen vor dem direkten Zugriff der deutschen Besatzer ge-
120 Vgl. auch D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 77; Vittori, Eux, les STO (1982): 21. 121 Vgl. Bachelier, L’armée française (1993): 89; Homze, Foreign Labor (1967): 179; Vittori, Eux, les STO (1982): 29. 122 Jäckel, Frankreich (1966): 224. 123 Vgl. Jäckel, Frankreich (1966): 224; Herbert, Fremdarbeiter (1986): 183; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 79. 124 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 34; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 77f. 125 Die Idee der Relève wurde schon Ende September 1940 von Georges Scapini vorgebracht. Zum damaligen Zeitpunkt hatten die Deutschen aber noch kein Interesse daran, Kriegsgefangene freizulassen (vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz [1991]: 186; Vittori, Eux, les STO [1982]: 29).
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Der Hintergrund
schützt.126 Plakate verkündeten: „Ils donnent leur sang – donnez votre travail.“ Am 10. Juni 1942 sandte der französische Arbeitsminister ein vertrauliches Schreiben an die Präfekte und zuständigen Beamten, in dem sie aufgefordert wurden, den Deutschen bei der Errichtung von Anwerbestellen behilflich zu sein. Die französischen Arbeitsämter sollten den Deutschen außerdem eine Liste von Facharbeitern der jeweiligen Gebiete zur Verfügung stellen.127 Am 22. Juni ermutigte Laval die französischen Arbeiter in einer im Radio ausge strahlten Rede zur freiwilligen Arbeit in Deutschland unter dem Hinweis auf die patriotische Verpflichtung, die Kriegsgefangenen heimzuholen. Dabei fiel auch der häufig zitierte Satz: „Je souhaite la victoire de l’Allemagne…“128 – „Ich erhoffe mir den Sieg Deutschlands, weil sich sonst der Bolschewismus überall ausbreiten wird“.129 Als am 11. August der erste Transport von entlassenen Kriegsgefangenen in Frankreich ankam, wurde er von Laval begrüßt. Die Relève erforderte eine enge Zusammenarbeit französischer und deutscher Behörden. Die Verlängerung der Wochenarbeitszeit und Betriebsschließungen sollten zusätzliche Arbeitskräfte für Deutschland freistellen. Außerdem wurden die Betriebe im Zuge der ersten sogenannten Auskämmungen systematisch auf Facharbeiter überprüft.130 Aber auch die Relève sollte kein Erfolg werden. Sauckel beschloss daraufhin, alle Männer und Frauen in den besetzten Gebieten einem Zwangssystem zu unterwerfen. In einem Rundschreiben wurde dies am 22. August mitgeteilt. In neuerlichen Verhandlungen setzte Elmar Michel, der Leiter des Verwaltungsstabes des deutschen Militäroberkommandos in Frankreich, dem französischen Minister für Produktion, Jean Bichelonne, die neue Lage auseinander.131 Unter diesem Druck beschloss Laval wenige Tage später, am 4. September 1942, ein Gesetz, das von den deutschen Forderungen nur geringfügig abwich.132 Demnach wurden Männer zwischen 18 und 50 Jahren und unverheiratete Frauen zwischen 21 und 35 Jahren unabhängig von ihrem Wohnort zur Arbeit verpflichtet. Frauen sollten allerdings
126 Vgl. Jäckel, Frankreich (1966): 224; Herbert, Fremdarbeiter (1986): 183f.; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 71. 127 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 179f. 128 Vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 85. 129 Vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 189; Vittori, Eux, les STO (1982): 31; Gratier de Saint Louis, Retour (1993): 263. 130 Vgl. Zielinski, L’exploitation (2003): 54. 131 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 182f; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 79; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 33. 132 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 54.
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ausschließlich zur Arbeit in Frankreich verpflichtet werden dürfen.133 Außerdem wurde die Kündigung einer Arbeitsstelle von der Zustimmung der französischen Arbeitsämter abhängig gemacht. Arbeitsverhältnisse mit weniger als 30 Stunden Wochenarbeitszeit mussten gemeldet werden.134 Die französischen Behörden erstellten nun Namenslisten, die den Betrieben übergeben wurden. Erleichtert wurde diese Vorgangsweise durch die seit 1940 erfolgte immer genauere Erfassung des Arbeitsmarktes.135 Von nun an konnte man eine regelrechte Mobilmachung der französischen Verwaltung zur Erfüllung des mit Sauckel ‚ausgehandelten‘ Vertrags erleben. Selbst die Bürgermeister wurden
herangezogen, um Listen der Männer zu erstellen, die keine Arbeit oder nicht für eine Familie zu sorgen hatten und die nach Deutschland verschickt werden könnten.136
Der Gesetzestext blieb vage: die Verpflichtung war nicht expressis verbis auf Deutschland gemünzt. Tatsächlich wurden aber durch die erste „Sauckel-Aktion“ fast 240.000 französische Arbeiter nach Deutschland verbracht, die meisten von ihnen aus der besetzten Zone.137 Dies blieb allerdings immer noch hinter den Erwartungen zurück. Anfang 1943 sprach Sauckel in einer Rede von den Grundsätzen der Werbung: Wo die Freiwilligkeit versagt (und nach den Erfahrungen versagt sie überall), tritt die Dienst-
verpflichtung an ihre Stelle. Das ist nun das eiserne Gesetz des Jahres 1943 beim Arbeitseinsatz: Es darf in wenigen Wochen kein besetztes Gebiet mehr geben, in dem nicht die Dienst-
verpflichtung für Deutschland das Selbstverständlichste von der Welt ist. Wir werden die letzten Schlacken unserer Humanitätsduselei ablegen.138
In den besetzten Gebieten sollten über eine Million Arbeiter angeworben werden. Sauckel erhöhte den Druck auf die Vichy-Regierung und forderte am 11. Jänner die Freistellung jedes dritten der in Frankreich noch beschäftigten 450.000 Metallarbeiter und insgesamt „die Bereitstellung von weiteren 250.000 Kräften für die deutsche Rüstungswirtschaft“,139 133 Vgl. Kedward, H. Roderick: „STO et maquis“. In: Azéma, Jean-Pierre/Bédarida, François (Hg): La France des années noires. Bd. 2. Paris: Seuil (1993): 273. 134 Vgl. Rémy, Dominique: Les lois de Vichy. Paris: ed. romillat (1992): 193–196. Die Bestimmungen wurden am 25. November 1942 durch ein Dekret ergänzt (vgl. Rémy, Lois [1992]: 201–205). 135 Vgl. Harbulot, Administration (2003): 220–230. 136 Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 190. 137 Vgl. Jäckel, Frankreich (1966): 224; Evrard, Déportation (1972): 70. 138 Jäckel, Frankreich (1966): 269. 139 Sauckel zit. nach Herbert, Fremdarbeiter (1986): 251.
42
Der Hintergrund
die bis zum 15. März durch 20 französisch-deutsche Sonderkommissionen erfasst werden sollten.140 Laval lehnte sofort ab und verlangte im Gegenzug politische Konzessionen, die in dieser Lage kaum zu erreichen waren.141 Sauckel konnte sich durchsetzen; für Laval aber schien das Ziel nur über eine jahrgangsweise Mobilisierung erreichbar zu sein:142 im Februar wurde in Frankreich mittels zweier Dekrete die „Dienstverpflichtung“ eingeführt. Das erste Dekret vom 2. Februar 1943 sah die allgemeine Zählung aller zwischen dem 1. Jänner 1912 und dem 1. Jänner 1921 geborenen männlichen Franzosen vor. Kaum wurde damit begonnen, folgte am 16. Februar auch schon ein zweites Gesetz, das den Service du Travail Obligatoire (S.T.O.) einführte. Die zweijährige „Dienstverpflichtung“ betraf zunächst alle in den Jahren 1920, 1921 und 1922 geborenen männlichen Franzosen.143 Ausgenommen davon waren vorerst Landwirte, Minenarbeiter, Polizeibeamte und Bahnarbeiter. Studenten wurde bis zum 1. September 1943 Aufschub gewährt. Auch hier wurde kein Wort darüber verloren, dass diese Arbeit in Deutschland geleistet werden müsse.144 Eine Durchführungsverordnung des gleichen Tages regelte den Vorgang: bis zum 28. Februar sollten die Präfekten mittels öffentlicher Anschläge die Betroffenen zur Meldung und Erfassung auffordern, bis zum 5. März sollten sie dann individuell zu einer ärztlichen Untersuchung geladen werden.145 Zur Ausführung dieser Bestimmungen wurde ein neues Amt gegründet, das Commissariat Général au Service du Travail Obligatoire, dem nun die wesentlichen Aufgaben in der „Arbeitsmarktpolitik“ zukamen: Ein Stab auf Regionenund Départementebene sorgte für die Umsetzung der immer komplizierter werdenden Gesetzeslage, die durch die Fülle an Folgeerlässen entstand.146 140 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 251; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 37f. 141 Einem Bericht Sauckels an Hitler zufolge handelte es sich dabei um die Rückgabe der zwei von Belgien verwalteten Départements im Norden sowie die Aufgabe der Bürokratie entlang der Demarkationslinie (vgl. Homze, Foreign Labor [1967]: 185f.). 142 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 251; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 38. 143 Jacques Desmarest wiederholt auch noch nach Kriegsende das mehr als fragwürdige Argument, die jahrgangsweise Rekrutierung sei gerechter gewesen, weil das vorhergehende System verschiedene Betriebe ungleich betroffen habe und außerdem fast ausschließlich Industriearbeiter ausgewählt worden waren. Er schließt: „Pour pallier ces inconvénients, le Gouvernement tenta de rendre les départs plus équitables et moins préjudiciables à l’intérêt économique. Pour associer toute la Nation aux sacrifices qu’il estimait indispensables, il décida tout d’abord que les départs se feraient par classes d’âge“ (Desmarest, Politique de la main-d’œuvre [1946]: 183). 144 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 185–187; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 41; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 80. Die Bestimmungen für Studenten wurden im Verlauf der folgenden Monate verschärft (vgl. Rémy, Lois [1992]: 224f.). 145 Vgl. Rémy, Lois (1992): 221–225. 146 Vgl. Desmarest, Politique de la main-d’œuvre (1946): 184f.
Die politische Situation in Frankreich
43
Gleichzeitig blieb die Idee der Relève aufrecht und wurde im April 1943 durch die Transformation französischer Kriegsgefangener ergänzt.147 Für jeden Franzosen, den Frankreich im Rahmen des S.T.O. nach Deutschland schickte, sollte ein französischer Kriegsgefangener in den Status eines Zivilarbeiters überführt werden.148 Er war dann im Prinzip den anderen französischen zivilen Zwangsarbeitern gleichgestellt und
erhielt für vergleichbare Arbeit den gleichen Lohn wie ein Deutscher. Diese Regelung brachte dem einzelnen Kriegsgefangenen also individuelle Vorteile, wenn er für den Kriegsgegner als
‚Freiwilliger‘ arbeitete. Allerdings lief er dann Gefahr, von seinen Landsleuten als Kollaborateur angesehen zu werden. Außerdem verlor er dadurch endgültig den Schutz der Genfer
Konvention und des Internationalen Roten Kreuzes, das die Kriegsgefangenen betreute. Bis Mitte 1944 machten daher von den knapp 800.000 verbliebenen französischen Kriegsgefan-
genen nur 222.000 von dem Angebot Gebrauch. Für einen Teil von ihnen geschah dies unter Zwang, weil Arbeitskommandos geschlossen in den Zivilstatus überführt wurden, wenn sich die Mehrheit dafür aussprach.149
Die Umwandlung von Kriegsgefangenen in den Status von zivilen Arbeitern wurde in den Kriegsgefangenenlagern mit dem Hinweis auf erleichterte Arbeitsbedingungen und Bewegungsfreiheit stark beworben. Das Oberkommando der Wehrmacht (O.K.W.) seinerseits konnte damit die an die Bewachung der Gefangenen gebundenen Kräfte der Wehrmacht freisetzen.150 Dennoch hatte die Transformation relativ wenig Erfolg: Die Kriegsgefangenen waren vorsichtig, denn sie wollten weder Deutschland helfen, dessen Ende sie nahen fühlten, noch die Wehrmacht gegen die Gestapo eintauschen, noch auch den Schutz des Roten Kreuzes aufgeben. Relève und Transformation stießen bei der Mehrheit der Kriegsgefangenen auf Ablehnung und trugen dazu bei, Vichy und Pétain endgültig zu diskreditieren.151 Als am 11. November 1942 die Besetzung der „freien“ Zone erfolgte, fiel das Augenmerk Sauckels auch auf die zahlreichen Jugendorganisationen, von denen die Chantiers de la Jeunesse (C.J.F.) zahlenmäßig am bedeutendsten waren. Hier gab es eine Arbeitskraftre147 Auch die Idee der Transformation von Kriegsgefangenen wurde bereits im März 1941 von Scapini vorgebracht (vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz [1991]: 186). 148 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 187f. 149 Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 65. 150 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 251. 151 Vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 194; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 80.
44
Der Hintergrund
serve, die sich nun dem stärker werdenden Druck des G.B.A. ausgesetzt sah. Bereits im März 1943 wurden 15.000 junge Männer direkt von den Chantiers aus verpflichtet, im Mai folgten weitere 4.000.152 Als Sauckel bereits im August wieder 4.000 Männer von La Porte du Theil verlangte, verweigerte dieser sich erstmals. Er wurde am 5. Jänner 1944 verhaftet und nach Deutschland gebracht. Die Auflösung der C.J.F. war nur eine Frage der Zeit.153 Bereits am 26. März 1942 war der Service de la main-d’œuvre française en Allemagne gegründet worden, der sich unter der Leitung der Deutschen Arbeitsfront (D.A.F.) um die französischen Freiwilligen kümmern sollte, in diesem Bereich aber nicht viel bewirken konnte.154 Die unter der Leitung von Gaston Bruneton stehende, an Personalmangel leidende Stelle erreichte Anfang Februar 1943 ihre (Neu-)Gründung als Délégation Officielle française en Allemagne (D.O.F.):155 Cet accord prévoyait que toutes les activités ressortissant du problème de la main-d’œuvre française en Allemagne incomberaient désormais à la nouvelle DOF, qu’il s’agisse de
l’assistance des travailleurs dans les camps et les entreprises, ou du contrôle direct des amicales. […] Il allait, pendant l’année 1943, s’efforcer de mettre en place, en Allemagne, un réseau serré de délégués de camps, d’entreprises, et régionaux, ainsi que des organismes logistiques indis-
pensables en choisissant ses cadres parmi les prisonniers de guerre français, comme aussi parmi
les travailleurs avec le seul souci de leur efficacité sociale, de leur désintéressement et de leur
capacité d’organisation. En 1944, la nouvelle DOF comportera près de onze mille délégués (administration centrale, régions, districts, camps et usines).156
152 Es ist schwierig, die genannten Zahlen zu bewerten. Die offiziellen Zahlen sprechen davon, dass 14.540 Arbeiter aus den Reihen der C.J.F. nach Deutschland gekommen wären. Eine Aufstellung vom 5. August 1943 gibt eine Gesamtzahl von 19.911 vorstellig gewordenen Arbeitern an, von denen 16.372 tatsächlich nach Deutschland gegangen wären. Das bedeutet eine Zahl von 7.148 Verweigerern (réfractaires) (35,9 %). Andere Angaben über Verweigerer bewegen sich zwischen 25 und 30 Prozent (vgl. Martin, Chantiers de jeunesse [2001]: 25f ). Giolitto meint, im Jahr 1943 wären 16.586 junge Arbeiter aus den Reihen der C.J.F. nach Deutschland deportiert worden (vgl. Giolitto, Jeunesse [1991]: 599). In jedem Fall handelt es sich aber um eine kleine Minderheit. 153 Vgl. Andrieu, Démographie (1993): 480. 154 Vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 87; Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 191. 155 Vgl. Dazu Arnaud, Patrice: La délégation officielle française auprès de la Deutsche Arbeitsfront (1943– 1945). Paris: Diplomarbeit Université Paris I-Sorbonne (1995). 156 Bruneton zit. nach Vittori, Eux, les STO (1982): 158f.
Die politische Situation in Frankreich
45
Als nun auch junge Männer aus den Reihen der C.J.F. rekrutiert wurden, entstand innerhalb der D.O.F. ein Bereich, der sich speziell um sie kümmern sollte:157 „Rapidement, nous avons tenté de mettre un délégué ‚chantiers‘ auprès de chaque délégué ‚Bruneton‘.“158 Das Gesetz vom 16. Februar 1943 und die darauffolgenden Verordnungen wurden von den französischen Behörden sehr unterschiedlich vollzogen: Die Verantwortlichen handelten oft nach eigenem Gutdünken, da die komplexe Rechtslage den Entscheidungsträgern Interpretationsspielraum eröffnete: En raison de la complexité de la loi, ils disposaient d’une marge de manœuvre considérable
leur permettant de pratiquer une résistance administrative d’ordre technique. Quant à la gendarmerie, chargée de la chasse aux insoumis et aux défaillants, elle se trouvait dans une situation identique où il revenait à chaque individu de prendre ses propres décisions.159
Wie auch immer im Einzelfall gehandelt wurde, bis Ende März 1943 war das gesteckte Ziel von 250.000 Arbeitern erreicht. Über 150.000 davon waren Facharbeiter. Nach diesem Erfolg kam Sauckel bereits am 9. April nach Paris zurück, um weitere 220.000 Arbeiter zu verlangen, die in den Monaten Mai und Juni rekrutiert werden sollten.160 Im Mai verließen aber nur 21.000 Arbeiter Frankreich. Sauckel wies daraufhin die Militärbefehlshaber an, die Rekrutierung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Am 3. Juni wurde der S.T.O. auf das letzte Quartal der „Klasse 1939“ (Geburtsjahr 1919) ausgedehnt und sämtliche Ausnahmeregelungen des Gesetzes vom 16. Februar wurden aufgehoben.161 Und wieder sprach Laval im Radio: Les défaillants, qu’ils le sachent bien, et je tiens à le leur répéter, ne seront pas des profiteurs. Des instructions ont été données, et des mesures seront prises, même contre leurs familles ou
des tiers s’ils sont complices. Elles les mettront dans l’impossibilité de se soustraire longtemps à un devoir qui s’impose à tous.162
157 158 159 160
Siehe Kap. 5.3.10. Martin, zit. nach Vittori, Eux, les STO (1982): 165. Kedward, STO et maquis (1993): 277. Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 253; Homze, Foreign Labor (1967): 188; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 42. 161 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 189; Evrard, Déportation (1972): 84f. 162 Laval zit. nach Evrard, Déportation (1972): 85.
46
Der Hintergrund
Im Juni wurden nahezu 80.000, im Juli weitere 36.000 Arbeiter rekrutiert,163 insgesamt also bis Juli rund 150.000.164 Im Abflauen der Transporte bis zum Jahr 1944 kann man zwei Entwicklungen erkennen. Erstens hatte die nun offen betriebene Kollaboration ein Ansteigen der Zahl von Verweigerern (réfractaires) zur Folge, die sich in manchen Fällen dem bewaffneten Widerstand anschlossen und mehr und mehr Unterstützung aus der Bevölkerung erfuhren.165 Die Rekrutierungen von Arbeitern und die Deportationen von Juden ließen die Kollaborationsbereitschaft in der französischen öffentlichen Meinung endgültig ersterben. So hatten
sich selbst die deutschfreundlichen Franzosen, von ein paar Fanatikern abgesehen, das neue Europa nicht vorgestellt.166
Bis zum Ende des Jahres 1943 hatte die Zahl der Verweigerer jene der verschleppten Arbeiter überholt.167 Die Rekrutierung war die sichtbare Ausführung der Kollaborationspolitik und führte manchmal zu heftigen Reaktionen seitens der Bevölkerung. Es kam zu spontanen Demonstrationen bei der Abfahrt von Zügen, wie zum Beispiel im Jänner 1943 in Montluçon (Département Allier). Die Marseillaise wurde gesungen und mit Kreide wurde auf die Zugtüren geschrieben: „Laval assassin, Laval au poteau, Vive de Gaulle.“ Den Familienangehörigen wurde ab März 1943 der Zugang zu den Bahnhöfen zum Zeitpunkt der Abfahrt untersagt. Auch die Widerstandspresse und die BBC stießen in dieses Horn und forderten zur Verweigerung des S.T.O. auf.168
163 164 165 166 167
Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 189. Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 252. Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 252; Kedward, STO et maquis (1993): 271, 281. Jäckel, Frankreich (1966): 228. Vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 191. Bereits Ende 1942 hatte der Militärverwaltungschef geurteilt, dass die Stimmung in der Bevölkerung „als ausgesprochen schlecht bezeichnet werden kann. Wenn sich das auch noch nicht in offener Ablehnung äußert, so ist doch die Gefahr unverkennbar, dass ein wesentlicher Teil der Bevölkerung für die Feindagitation noch empfänglicher geworden ist als bisher“ (zit. nach Pfahlmann, Fremdarbeiter [1968]: 34). 168 Ein 1983 errichtetes Denkmal erinnert daran: „Le 6 janvier 1943, à l’appel de la Résistance, les Montluçonnais s’opposèrent au départ d’un train de requis pour le STO vers l’Allemagne nazie.“ (Vgl. Barcellini, Serge: „Les requis du STO devant la (les) mémoire(s)“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.): La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003): 599; D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 84; Kedward, STO et maquis (1993): 279ff.; Amoureux, Occupation (1961): 314f.).
Die politische Situation in Frankreich
47
Zweitens hängt die plötzliche Abnahme der Zahlen ab August aber auch mit dem sich zuspitzenden Konflikt zwischen Sauckel und dem Minister für Rüstung und Kriegsproduktion, Albert Speer, zusammen. Die andauernden Rekrutierungen von nach Deutschland zu entsendenden Arbeitern hatten den Rückgang der Produktion in Frankreich selbst zur Folge. Dieser Umstand wurde den deutschen Behörden vom französischen Industrieminister Jean Bichelonne nicht ganz uneigennützig auseinandergesetzt. Auch in Speers Ministerium war man mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass zusätzliche Rekrutierungen nur unter immer größerer Gewalt zu erreichen waren. Die positiven Signale aus Speers Umfeld veranlassten Laval dazu, den Stopp der Rekrutierungen zu veranlassen. Sauckels Proteste fielen Lavals Hinhaltetaktik zum Opfer und Mitte September stimmte Speer der Einrichtung von geschützten Betrieben, den S-Betrieben (Sperrbetrieben), zu, die vor Aushebungen geschützt waren und von den Dienststellen des G.B.A. verzweifelt „le Maquis légal“ genannt wurden. Die Bestimmung der S-Betriebe wurde einem deutsch-französischen Komitee überlassen.169 Bis Oktober waren so fast 10.000, Anfang 1944 bereits mehr als 14.000 französische Unternehmen dem Zugriff Sauckels entzogen. Aufgrund dieser Entwicklung konnte die Rekrutierung bis Anfang 1944 nur weniger intensiv betrieben werden.170 Mit allen Mitteln versuchte Sauckel, gegen die S-Betriebe aufzutreten, doch spielte neben Speers Einfluss auf Hitler auch Zeit eine Rolle. Zwar konnte Sauckel Laval noch einmal zu einem neuen Gesetz bewegen, das am 1. Februar 1944 die Anwendung des Gesetzes vom 4. September 1942 auf alle Männer zwischen 16 und 60 und alle Frauen zwischen 18 und 45 ausdehnte, doch der Erfolg war gering: Nur 30.000 Arbeiter konnten in den ersten beiden Monaten des Jahres 1944 rekrutiert werden, und Laval gelang es, Sauckel bis zur Landung der Alliierten hinzuhalten.171 Daran änderten auch die seit Anfang 1944 verstärkt eingesetzten Auskämmkommissionen nichts: Die vierte Aktion Sauckels in den Westgebieten ist durch zwei Maßnahmen gekennzeich-
net: die sogenannte Auskämmung der Industrie und die Veröffentlichung eines Gesetzes
vom 1. Februar 1944. Die Praxis der Auskämmung der Industrie selbst stellte die Verwirkli169 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 189–193; Herbert, Fremdarbeiter (1986): 253ff.; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 67ff. 170 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 193; Herbert, Fremdarbeiter (1986): 254. 171 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 196–200.
48
Der Hintergrund chung von Plänen dar, die Sauckel schon seit dem Jahre 1943 ausgearbeitet hatte. Gemischte
deutsch-französische Kommissionen hatten den Prozentsatz der Arbeiter festzusetzen, die
zum Arbeitseinsatz nach Deutschland überführt werden sollten. Das Gesetz vom 1. Februar 1944 erweiterte den Anwendungsbereich des Gesetzes vom 4. September 1942. Vom Feb-
ruar 1944 an waren alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren und alle Frauen zwischen 18 und 45 Jahren der Arbeitsdienstpflicht unterworfen.172
Auch hier blieben die Ergebnisse vergleichsweise bescheiden: Im ersten Halbjahr 1944 zählt man 40.000 Abreisen, darunter 22.000 Freiwillige.173 Der überwiegende Teil der nach Deutschland (und auch in die „Ostmark“) verschleppten Zwangsarbeiter verließ Frankreich im Jahr 1943, wie sich anhand der Zahlen leicht ablesen lässt.
4.3 Das Bild in Zahlen: geographische und berufliche Streuung Aus Sicht der NS-Behörden war ein Überblick über Zahl und Verteilung der ausländischen Zwangsarbeiter unerlässlich, um Zuweisungen vornehmen zu können. Es wurden daher umfangreiche Statistiken angelegt und in der Zeitschrift „Der Arbeitseinsatz im Großdeutschen Reich“ abgedruckt.174 Die Erfassung der Geschehnisse in Zahlen ist grundsätzlich schwierig: nicht nur sind die jeweiligen Quellen politisch motiviert entstanden, rechnerische Schwierigkeiten ergeben sich allein schon aufgrund der unterschiedlichen Statistiken, teilweise künstlich aufgeblasenen Zahlen und auch der Fluktuation der Arbeiter, die sich aus den Heimaturlauben, der Transformation von Kriegsgefangenen und den Nichtrückkehrern ergab.175 Außerdem wurden manche Quellen vernichtet.176 172 173 174 175 176
Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 67. Vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 81. Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 21. Vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 73, 78; Herbert, Fremdarbeiter (1986): 180ff. Im Februar 1944 setzte eine Widerstandsgruppe die Akten über den S.T.O. im französischen Arbeitsministerium in Brand und zerstörte damit wahrscheinlich mehr als 200.000 Aktenkarten (vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 85). Eine Gedenktafel am heutigen Ministère de la mer erinnert daran: „Dans ce bâtiment, qui abritait le commissariat général au travail obligatoire le 25 février 1944, un commando des groupes francs du monument de Libération Nationale conduit par Léo Hamon détruisit le fichier des jeunes français de la classe 42 susceptibles d’être appelés pour le Service du Travail Obligatoire.“ (Vgl. Barcellini, Mémoire(s) [2003]: 599). Eine ähnliche Aktion fand am 14. Jänner 1944 in Quimper (Département Finistère) statt (vgl. ebda.).
Geographische und berufliche Streuung
49
Evrard spricht das Problem an: Selon l’Arbeitseinsatz, l’Office central de recrutement de la main-d’œuvre, le total (y compris les ‚transformés’) est de 852.278, dont 184.652 volontaires. De source française, on indique 723.162 entrées en Allemagne du 1er juin 1942 au 31 juillet 1944, plus 43.000 ‚volontaires’ re-
tenus jusqu’à la capitulation de l’Allemagne, soit 766.162 ; plus 197.000 ‚transformés’, soit un
total général de 963.162. Les divergences proviennent avant tout de bases de calcul différentes. La source française citée considère le nombre des entrées, ce qui conduit à compter deux fois
les permissionnaires qui ont rejoint leur usine ou les ouvriers qui ont renouvelé leur contrat. L’Arbeitseinsatz envisage le nombre de Français présents à une date donnée ; son estimation
paraîtrait à première vue plus valable, mais il faudrait être certain que ses statistiques étaient bien tenues et qu’il n’a pas, lui non plus, fait de doubles décomptes.177
Nach dem heutigen Stand der Forschung geht man von rund 650.000 unter Zwang nach Deutschland deportierten französischen zivilen Arbeitern aus. Entgegen gängiger Meinungen wurde etwa die Hälfte aller Deportierten unter Bezugnahme auf das Gesetz vom 4. September 1942 verpflichtet. Die Bedeutung dieses Gesetzes ist daher zumindest ebenso groß wie jenes vom 16. Februar 1943. Eine Stichprobenmessung ergibt, dass in besonderem Maße junge Arbeiter betroffen waren, während Landwirte unterrepräsentiert waren. Die geographische Herkunft ist nicht einheitlich, grob gesprochen war aber die besetzte (industrialisierte) Zone im Norden insbesondere bis Februar 1943 stärker betroffen als der Süden Frankreichs.178 Spoerer gibt an, dass im Zuge der vier Sauckel-Aktionen und im weiteren Verlauf des Jahres 1944 insgesamt 728.000 französische Zivilarbeiter ins Reich gekommen seien.179 Mit den 185.000 „freiwilligen“ Arbeitern und den 222.000 transformierten Kriegsgefangenen komme man abzüglich der Doppelzählungen auf etwa 1,05 Millionen Franzosen, die als Zivilarbeiter im Deutschen Reich arbeiteten.180 177 178 179 180
Evrard, Déportation (1972): 161. Vgl. Quellien, Approche statistique (2003): 71–76. Vgl. Spoerer, 2001: 66. Spoerer stützt sich dabei auf Billig, Prisonniers de guerre (1960): 71; Durand, Captivité (1980); Durand, La vie quotidienne (1987); Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991) und Bories-Sawala, Helga: Franzosen im „Reichseinsatz“. Deportation, Zwangsarbeit, Alltag; Erfahrungen und Erinnerungen von Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern. Bd. 1. Frankfurt/Main/Wien: Lang (1996): 220–222, welche die unterschiedlichen Zahlenangaben zusammengetragen hat. Die Abweichungen sind aber geringfügig (vgl. Spoerer, Zwangsarbeit [2001]: 275, Fn. 78).
50
Der Hintergrund
Nach den von Freund/Perz verwendeten Statistiken liegt die Zahl der im Deutschen Reich arbeitenden zivilen Franzosen Ende 1943 bei 666.610. 181 9,4 Prozent davon (62.394) wurden in der „Ostmark“ eingesetzt: Franzosen in der „Ostmark“ im Vergleich zum gesamten Deutschen Reich* „Ostmark“
in %
Deutsches Reich
25.04.1941
589
2,4 %
24884
25.09.1941
1094
2,3 %
48567
10.07.1942
2592
3,4 %
76493
30.06.1943
40757
8,2 %
497303
31.12.1943
62394
9,4 %
666610
31.03.1944
60524
9,4 %
643205
30.09.1944
57628
8,9 %
646421
Abbildung 3: Franzosen in der „Ostmark“ im Vergleich zum gesamten Deutschen Reich
Bezieht man die Fluktuation (Nichtrückkehr von Urlaubern) in die Rechnung ein, so kann man nach Spoerer davon ausgehen, dass es Mitte 1945 70.000 Franzosen gab, die ehemals in der „Ostmark“ als zivile Arbeitskräfte eingesetzt waren.182 Die Zahlenentwicklung spiegelt deutlich die französischen Verhältnisse wider. Die Relève war zunächst ein Misserfolg. Erst das Gesetz vom 4. September 1942, dann jenes vom 181 Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 37. „Im Allgemeinen dürften die Zahlen verlässlich sein, auch wenn davon ausgegangen werden muss, dass die Arbeitsämter und die Behörde des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz bemüht waren, die eigene Arbeit möglichst günstig darzustellen – und diese bestand letztendlich darin, eine möglichst große Zahl von Arbeitskräften freiwillig oder unter Zwang in das Deutsche Reich zu bringen.“ (Freund/Perz, Zahlenentwicklung [2004]: 22). Die Unterschiede in den Zahlen sind vermutlich auf in Frankreich gebliebene beurlaubte Zwangsarbeiter bzw. auf die Transformation von Kriegsgefangenen in den Zivilarbeiterstatus zurückzuführen. „Für eine Gesamterhebung aller in Österreich eingesetzten Zwangsarbeitskräfte wäre es wichtig zu wissen, wie viele der Kriegsgefangenen entlassen und danach als Zivilarbeiter in Österreich weiter eingesetzt worden sind, um Doppelzählungen zu vermeiden. Diese Berechnung ist aber mit den verfügbaren Daten nur schwer durchzuführen.“ (Freund/Perz, Zahlenentwicklung [2004]: 158) * Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 78. 182 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeiter (2004): 325.
Geographische und berufliche Streuung
51
16. Februar 1943 ermöglichten die massenweise Deportation von Arbeitskräften, auch in die „Ostmark“. Dementsprechend war bis Mitte 1942 die Anzahl französischer Zivilarbeiter verschwindend gering; in den folgenden Monaten wurden die Franzosen aber zum größten Kontingent der westlichen zivilen Zwangsarbeiter und stellten Ende 1943 12 Prozent der Gesamtzahl. Franzosen in Prozent aller zivilen AusländerInnen* „Ostmark“
Franzosen in der „Ostmark“ in % aller zivilen AusländerInnen Alle zivilen AusländerInnen Männer Frauen gesamt Männer Frauen
gesamt
Männer
Frauen
gesamt
25.04.1941
530
59
589
0,5 %
0,2 %
0,5 %
100372
28358
128730
25.09.1941
976
118
1094
0,6 %
0,3 %
0,5 %
166331
43798
210129
73953
280145
10.07.1942
1702
890
2592
0,8 %
1,2 %
0,9 %
206192
30.06.1943
37711
3046
40757
11,3 %
2,2 %
8,6 %
334903 139212 474115
31.12.1943
58991
3403
62394
16,1 %
2,2 %
12,0 %
365642 153014 518656
31.03.1944
57191
3333
60524
15,3 %
2,1 %
11,4 %
373168 157657 530825
30.09.1944
53952
3676
57628
13,4 %
2,1 %
9,9 %
404097 176543 580640
Abbildung 4: Franzosen in Prozent aller zivilen Ausländer
Die für die geographische Verteilung der französischen Zwangsarbeiter ausgewiesenen Zahlen spiegeln die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wider, die anhand der Industrieprojekte in Erinnerung gerufen sei: Die Bedeutung der österreichischen Rüstungsbetriebe wurde auch durch zahlreiche Besuche Berliner Nazi-Größen unterstrichen. Hitler selbst reiste im März nach Linz: Er besuchte die
Hütte, die Eisenwerke Oberdonau (Panzerteile), die Schiffswerften sowie die Stickstoffwerke (Munitionsfabrikation). Das „Jägerwerk“ Wiener Neustadt arbeitete nun bereits auf vollen
Touren, seit Frühjahr 1941 arbeitete das Nibelungenwerk in St. Valentin, das später einer der größten Panzerhersteller des Reichs werden sollte, an Panzerteilen. Im Herbst 1941 wurde in
Linz der erste Hochofen angeblasen, eine Reihe anderer Fabriken war im intensiven Aufbau begriffen bzw. produzierte bereits: Flugmotorenwerke Ost in Wiener Neudorf, Raffinerien in Moosbierbaum und der Wiener Lobau, die Panzererzeugung in St. Valentin und die Teilepro-
duktion in Wiener und steirischen Fabriken. Großbaustellen zur Energieerzeugung und für
* Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 78.
52
Der Hintergrund weitere industrielle Kapazitäten waren ebenfalls in vollem Betrieb, etwa jene für die Illkraft-
werke in Vorarlberg, weitere Kraftwerke an der Enns, die Zellwollefabrik Lenzing sowie die Aluminiumhütte Ranshofen.183
Der überragende Teil arbeitete ab 1943 in den Gauen Wien und Niederdonau, der Rest teilte sich relativ gleichmäßig auf die übrigen Gaue auf: Verteilung der Franzosen auf die AA-Bezirke* Franzosen / Frankreich
Wien-Niederdonau
25.04.1941
103
355
25.09.1941
377
520
Oberdonau
Alpenland / Tirol (mit VerwaltungsSteiermark-Kärnten bezirk Vorarlberg)Salzburg 112 19 146
51
10.07.1942
1114
1282
98
98
30.06.1943
23338
7703
6626
3090 5302
31.12.1943
39386
9335
8371
31.03.1944
38837
8170
8150
5367
30.09.1944
35271
8083
8630
5644
Abbildung 5: Verteilung der Franzosen auf die Arbeitsamtsbezirke
In der rassistischen Hierarchie der Nationalsozialisten nahmen Franzosen einen höheren Rang als anderen Nationalitäten ein. Sie waren daher als Facharbeiter nachgefragt, wenn auch oft als Hilfsarbeiter eingesetzt. Dies zeigt sich auch in ihrer Verwendung in den verschiedenen Wirtschaftssektoren: Im Reichsgau Wien arbeiteten 79,9 Prozent der Franzosen in Industrie und Handwerk (Durchschnitt aller AusländerInnen 71,4 Prozent), in Niederdonau 71,7 Prozent (Durchschnitt 44,4 Prozent).184 In diesen beiden Gauen arbeitete die Mehrheit der Franzosen. So führte die Bevorzugung durch die Arbeitgeber im Endeffekt zu einer Benachteiligung, da der Großteil der Franzosen in jenen Bereichen tätig war, in denen die Arbeits- und Lebensbedingungen vergleichsweise schlecht waren.185 183 Engel/Radzyner, Sklavenarbeit (1999): 107f. * Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 77. 184 Demgegenüber waren im Gau Niederdonau nur 16,7 Prozent der Franzosen in der Landwirtschaft tätig (Durchschnitt aller Ausländer 46,7 Prozent). 185 Siehe Kap. 5.3.
Geographische und berufliche Streuung
53
Über 90 Prozent der französischen Zwangsarbeiter waren männlich. „Viele Franzosen wurden aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, aber sofort als Zivilarbeiter weiter verpflichtet. Dies erklärt den geringen Anteil von Frauen unter ihnen (6,4 Prozent)“ (Stand September 1944).186 Ob die plötzliche Zunahme des Anteils an Arbeiterinnen zwischen Ende 1941 und Mitte 1942 aus ankommenden Freiwilligen zu erklären ist, lässt sich aus der Literatur leider nicht einwandfrei erschließen. Der Anstieg bis Mitte 1943 lässt sich vielleicht teilweise daraus erklären, dass Frauen, deren Männer nach dem Gesetz vom 4. September 1942 rekrutiert worden waren, diese in manchen Fällen freiwillig begleiteten, weil man ihnen den gleichen Arbeitsplatz in Aussicht gestellt hatte. Dieses Phänomen scheint aber bereits ab November 1942 wieder abgenommen zu haben.187 Anteil von Männern und Frauen unter den Franzosen* Männer 25.4.1941
Frauen
530
90,0 %
25.9.1941
976
89,2 %
10.7.1942
1702
65,7 %
Zusammen
Frauen im DR
10,0 %
589
24,1 %
118
10,8 %
1094
29,9 %
890
34,3 %
2592
29,7 %
59
30.6.1943
37711
92,5 %
3046
7,5 %
40757
8,7 %
31.12.1943
58991
94,5 %
3403
5,5 %
62394
6,6 %
31.3.1944
57191
94,5 %
3333
5,5 %
60524
6,4 %
30.9.1944
53952
93,6 %
3676
6,4 %
57628
6,6 %
Abbildung 6: Geschlechterverhältnis bei den zivilen französischen AusländerInnen in der „Ostmark“
Von diesen Zahlen ausgehend hat Spoerer mittels demographischer Methoden errechnet, dass Mitte 2000 noch 19.767 Franzosen, die ehemals auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, am Leben gewesen sein sollten.188 186 Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 41. 187 Vgl. Arnaud, Patrice/Bories-Sawala, Helga: „Les Français et Françaises volontaires pour le travail en Allemagne: recrutement et dimensions statistiques, images et représentations, mythes et réalités“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.). La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003): 112. * Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 44. 188 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeiter (2004): 351.
54
Der Hintergrund
4.4 Exkurs: Französische ZwangsarbeiterInnen in Österreich Zu Beginn der Studie wurde darauf hingewiesen, dass die Situation ausländischer Frauen ein mangelhaft erforschtes Kapitel darstellt.189 Auch die Sichtung der für unsere Zwecke benutzten Quellen ergibt, dass es sich dabei ausschließlich um Erinnerungen männlicher Personen handelt. In diesem Exkurs sollen Erklärungsansätze für die besonderen Schwierigkeiten in der Erforschung des Schicksals französischer Zwangsarbeiterinnen geliefert werden. Es wurde bereits erwähnt, dass das Gesetz vom 4. September 1942 auch unverheiratete Frauen im Alter von 21 bis 35 Jahren erfasste.190 Dabei wurde in Bezug auf die Zuweisung zwischen Frauen und Männern kein Unterschied gemacht. Gemäß Artikel 4 des Gesetzes sollten die genauen Durchführungsbestimmungen in Dekreten festgelegt werden.191 Kedward erläutert, dass Frauen nur innerhalb Frankreichs „dienstverpflichtet“ werden sollten.192 Dieser Auffassung entspricht auch ein Dekret vom 25. November 1942, das die Anwendung des Gesetzes regelt und in Artikel 5 festhält, dass Frauen nur Arbeiten in Frankreich („sur le territoire métropolitain“) zugewiesen werden sollten.193 Das Gesetz vom 16. Februar 1943 schließlich bezieht sich ausschließlich auf Männer. Auch hier folgt dem Gesetz eine Reihe von Durchführungsdekreten.194 Erst Anfang 1944, als der Erfolg der Rekrutierungen bereits deutlich abgenommen hatte, wurden die Bestimmungen auf Frauen im Alter von 18 bis 45 Jahren ausgedehnt.195 Aber auch hier ist unklar, ob dabei an Arbeit im Deutschen Reich gedacht war. Dies würde eigentlich bedeuten, dass Frauen vor 1944 nicht zu Zwangsarbeit im Deutschen Reich „dienstverpflichtet“ werden sollten. Dem widersprechen aber scheinbar die von Freund/Perz angeführten Zahlen. Zwar stellten Frauen, wie bereits erwähnt, nur einen kleinen Teil der französischen Arbeiter (unter 10 Prozent), doch ist nicht zu übersehen, 189 Vgl. dazu Langthaler, Ernst/Schweitzer, Sabine. „Das Geschlecht der landwirtschaftlichen Zwangsarbeit – am Beispiel des Reichsgaues Niederdonau 1939–1945“. Gehmacher, Johanna (Hg.). Frauen- und Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus. Innsbruck/Wien u. a.: Studienverlag (2007), 87–113. 190 Siehe Kap. 4.2. 191 Vgl. Rémy, Lois (1992): 193–196. 192 Vgl. Kedward, STO et maquis (1993): 273 193 Vgl. Rémy, Lois (1992): 202. 194 Vgl. Rémy, Lois (1992): 224f. 195 Vgl. Zielinski, L’exploitation (2003): 63.
Französische ZwangsarbeiterInnen in Österreich
55
dass die Zahl der ankommenden Frauen grosso modo zeitlich mit jener der Männer übereinstimmt.196 Es sind also zwischen Herbst 1942 und Mitte 1943 erhöhte Ankunftszahlen festzustellen, die auf den ersten Blick durchaus in Zusammenhang mit den beiden Gesetzen vom 4. September 1942 und 16. Februar 1943 zu stehen scheinen. Gerade in diesem Zeitraum sollten Frauen aber, den einschlägigen „Gesetzen“ nach, nur innerhalb Frankreichs zugewiesen werden. Weiter oben wurde bereits als Erklärungsansatz angeführt, dass manche Frauen möglicherweise freiwillig ihre rekrutierten oder kriegsgefangenen Männer begleiteten, da man ihnen in Aussicht gestellt hatte, in ihrer Nähe arbeiten zu können. Dieses Phänomen drückt sich in einem starken Anstieg der Abreisen im Oktober 1942 aus. 197 Es war aber von kurzer Dauer und ist daher als Erklärung unbefriedigend. Es ist auch denkbar, dass Frauen, die zunächst als Freiwillige nach Österreich gekommen waren, in der Folge vor Ort „dienstverpflichtet“ wurden. Auch hier bewegt man sich ohne genauere Untersuchung im Reich der Spekulation. Das bloße Zahlenmaterial sagt nichts über Einzelschicksale aus. Die Frage, unter welchen genauen Umständen diese Frauen nach Österreich kamen, ist ohne eingehendes Archivstudium – soweit überhaupt Quellen vorhanden sind – nicht zu beantworten. Zusätzlich erschwert wird die Problematik durch die Stigmatisierung der im Deutschen Reich arbeitenden französischen Frauen, die – unabhängig von ihrem Status – von der französischen Nachkriegsgesellschaft nicht nur als Verräterinnen betrachtet, sondern auch als Prostituierte gebrandmarkt wurden. Zwar gab es unter den freiwillig ins Deutsche Reich gegangenen Frauen tatsächlich auch Prostituierte, doch war ihre Zahl sehr gering. Auch die Tatsache, dass eine wirtschaftliche Notlage gegebenenfalls zu Prostitution führen konnte, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein Randphänomen handelte. 198 Der Mythos wurde allerdings auch durch die deutsche Berichterstattung verstärkt, die den Unterschied zwischen der Verhaltensweise französischer und deutscher Frauen hervorhob: In aller Öffentlichkeit […] seien diese ‚französischen Weiber‘ häufig Gegenstand abfälliger
Äusserungen [sic!] der deutschen Volksgenossen, weil sie ‚in echt französischer Manier pous196 Siehe Kap. 4.3. 197 Im Oktober 1942 gingen mehr als 6.000 Frauen freiwillig ins Deutsche Reich. In den Monaten zuvor waren es durchschnittlich etwa 2.500 und in keinem Monat mehr als 5.000 (vgl. Arnaud/ Sawala, Volontaires [2003]: 112). 198 Vgl. Arnaud/Sawala, Volontaires (2003): 123–126.
56
Der Hintergrund sierend durch die Strassen [sic!] ziehen‘. Nach Berichten aus allen Teilen des Reiches bestehe zwischen den Französinnen und den männlichen fremdvölkischen Arbeitern eine rege geschlechtliche Betätigung. Vielfach bestünden auch mit deutschen Männern, vor allem aber
Wehrmachtsangehörigen, intime Verhältnisse. Ihr aufdringliches und auffälliges Benehmen, dazu der Hang zur Leichtlebigkeit und Arbeitsbummelei hatten den Französinnen den sehr
abträglichen Ruf eingebracht […]. Gegenüber den anderen Ausländerinnen fallen diese Französinnen durch ihr Schminken, durch das Tragen von kurzen Hosen und ihr sonstiges allgemeines Verhalten bei der deutschen Bevölkerung missliebig auf. Die Tatsache, dass vielfach
Französinnen geschlechtskrank seien und hierdurch deutsche Männer angesteckt hatten, habe in der deutschen Bevölkerung besonderen Anstoss [sic!] erregt.199
Die Vorstellung, dass eine beträchtliche Anzahl französischer Prostituierter im Deutschen Reich gewesen sei, herrschte aber nach Kriegsende 1945 auch bei den französischen Behörden, die Pläne zu deren Reintegration in die französische Gesellschaft ausarbeiteten. Wie die Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt über die weiblichen Freiwilligen dachte, zeigt die Tatsache, dass es zwischen Mai und Juli 1945 in mehreren Départements zu einer Welle von Zwangstonsuren kam. Diese öffentlichen Demütigungen sind als Bestrafung für vermeintliche „Verräterinnen“ zu verstehen. Inwiefern dabei eine Unterscheidung zwischen Freiwilligen und Zwangsarbeiterinnen getroffen wurde, sei dahingestellt.200 Diese Stigmatisierung erschwert es, Spuren von noch lebenden Betroffenen zu finden.201 Im Zuge dieser Arbeit konnte kein einziges von einer Zwangsarbeiterin verfasstes Erinnerungswerk gesichtet werden.202 Auch unter den gefundenen Kontaktadressen fand sich keine einzige Frau. So war es nicht möglich, ein Interview mit einer französischen Zwangsarbeiterin zu führen. Aus all den genannten Gründen muss leider festgestellt werden, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum Aussagen über das Schicksal französischer Zwangsarbeiterinnen in Österreich getroffen werden können.
199 Stimmung und Haltung der im Reich eingesetzten französischen Zivilarbeiter, April 1943, Deutsches Bundesarchiv BA 58R182, zit. nach Arnaud/Sawala, Volontaires (2003): 124. 200 Vgl. Arnaud/Sawala, Volontaires (2003): 124f. 201 Auch Arnaud/Sawala waren erfolglos (vgl. Arnaud/Sawala, Volontaires [2003]: 125, Fn. 78). 202 Von Freiwilligen sind nur zwei Werke zu nennen: Chambroux, Odette: L’exilée. Treignac: Les Monédières (1990); Goublet, Juliette: Les cahiers de sœur Gertrude – Oder-Neisse 43 – Volontaire pour la Relève. Aurillac: Edition du Centre (1971).
5
Zwangsarbeit in Österreich
Der folgende Abschnitt zielt nicht darauf ab, bereits bestehende Erkenntnisse zu wiederholen.203 Es wird daher auch nicht der Anspruch erhoben, ein umfassendes Bild der Lebensumstände der französischen Zwangsarbeiter zu zeichnen, das sich in vielen Punkten außerdem mit dem anderer Nationalitäten überschneiden und daher keinen Mehrwert erzeugen würde. Es erscheint vielmehr sinnvoll darzustellen, wie sich die Erlebnisse dieser Gruppe in ihren Erinnerungen widerspiegeln, um auf diese Weise typische Erfahrungen herauslesen zu können. Zu diesem Zweck wird auf die in Frankreich greifbare Erinnerungsliteratur sowie auf Erkenntnisse der vom Verfasser geführten Interviews zurückgegriffen. Zur Bewertung der verwendeten Quellen muss auf ihre Eigenheiten hingewiesen werden: Sie unterscheiden sich insbesondere nach den sozialen Bedingungen ihrer Entstehung. Im Falle der Erinnerungsliteratur beschließen Überlebende eigenständig zu erzählen, während es in anderen Fällen zu einer Aufforderung durch Außenstehende kommt (Prozessaussagen, Interviews).204 Die für diese Arbeit verwendeten Interviews entstanden auf Anfrage des Autors. Die gesichtete Memoirenliteratur ist im Unterschied dazu als Wille zur öffentlichen Stellungnahme zu begreifen.
5.1 Rekrutierung Die Anwerbung der Arbeitskräfte sollte eigentlich in geregelten Bahnen erfolgen. 205 Ein an ausländischen Arbeitskräften interessierter Einsatzträger (private und öffentliche ge203 Für das gesamte Deutsche Reich siehe Spoerer, Mark: „Zwangsarbeit im Dritten Reich und Entschädigung: ein Überblick“. In: Barwig, Klaus/Bauer, Dieter R. (Hg.): Zwangsarbeit in der Kirche. Entschädigung, Versöhnung und historische Aufarbeitung (Hohenheimer Protokolle, vol. 56). Stuttgart: Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart (2001), 15–46. Für Österreich im Speziellen siehe Freund/Perz, Zwangsarbeit (2001). Für die Erfahrungen französischer Zwangsarbeiter im gesamten Deutschen Reich siehe Bories-Sawala, Franzosen (1996). 204 Vgl. Pollak, Michael. Die Grenzen des Sagbaren: Lebensgeschichte von KZ-Überlebenden als Augenzeugenberichte und als Identitätsarbeit. Frankfurt/Main/New York, Campus Verlag (1988): 95. 205 Viele größere deutsche Unternehmen wie Krupp oder I.G. Farben versuchten allerdings, selbst französische Facharbeiter für ihre Betriebe zu verpflichten. Die Verwaltung reagierte darauf in Frankreich und anderen besetzten Gebieten mit dem Verbot der Aufnahme von Stellenanzeigen aus dem Reich in den dort erscheinenden deutschen und ausländischen Druckschriften (vgl. Spoerer, Zwangsarbeit [2001]: 62; Pfahlmann, Fremdarbeiter [1968]: 15; Evrard, Déportation [1972]: 25).
58
Zwangsarbeit in Österreich
werbliche Unternehmen, Bauern, kommunale Behörden und von den Kirchen betriebene Einrichtungen) musste deren Vermittlung mithilfe eines Vordrucks beim zuständigen Arbeitsamt beantragen. Der Auftrag wurde daraufhin geprüft, ob die angeforderten Arbeiter in kriegswichtigen Bereichen eingesetzt werden sollten. Im Falle positiver Beurteilung wurde der Auftrag an das Landesarbeitsamt weitergeleitet, das wiederum prüfte, ob der Bedarf nicht durch Maßnahmen innerhalb eines Bezirks gedeckt werden konnte. Falls das nicht möglich war, ging der Auftrag an das R.A.M., das zu entscheiden hatte, aus welchem Anwerbeland die Arbeiter angefordert werden sollten.206 Aus der Sicht des Anwerbelandes stellte sich die umgekehrte Problematik. In Frankreich ergab sich durch die Kollaborationspolitik von Vichy ein anderes Bild als in anderen besetzten Gebieten: Die für die Rekrutierung zuständigen Behörden waren die Arbeitsämter, und der Transport bis an die Grenze des Deutschen Reichs oblag den örtlichen (französischen) Behörden.207 Die Aufforderung, sich zur Zwangsarbeit zu melden, wurde von den Präfekten plakatiert und individuell zugestellt. Ein komplexes Bündel an Maßnahmen sollte bereits seit September 1942 jede Verweigerung ausschließen, wenn auch vor 1943 noch nicht systematisch darauf zurückgegriffen wurde.208 Als hauptsächliche Zwangsmaßnahme im Falle von Nichtbeachtung nennt Pfahlmann unter anderem die Verweigerung von Lebensmittelkarten, die nach einem Führerbefehl vom 8. September 1942 weder an Personen ohne Arbeitsnachweise noch an solche Personen ausgegeben werden durften, welche die Arbeitsaufnahme verweigerten. In Aussicht gestellt wurden auch Repressalien gegen die Familienangehörigen der Arbeitsverweigerer.209 Die Entscheidung, ob der Aufforderung Folge geleistet werden sollte, war demnach auch eine Gewissensfrage. Der Stellungsaufforderung nachzukommen, bedeutete, den Deutschen zu helfen; sie zu verweigern aber, das französische Gesetz zu brechen210 und die eigene Familie in Gefahr zu bringen. Der Weg in den Widerstand war nicht zu allen Zeiten und in allen Gebieten Frankreichs gleichermaßen leicht, zudem war das Wissen um eine örtliche Widerstandsgruppe oft gar nicht vorhanden.
206 207 208 209 210
Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 15f.; Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 96. Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 119. Vgl. Harbulot, Administration (2003): 222–230. Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 20; Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 63. Vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 86.
Rekrutierung
59
Das Wissen um allfällige Repressalien wird in der Erinnerungsliteratur wiederholt betont: Pris dans cet engrenage, il nous était presque impossible de se soustraire à ce départ en Alle-
magne. Dans certains cas c’était un gardien de la paix qui vous apportait une convocation mais qui à cette époque put nous dire il y a un maquis à tel endroit où se cacher. Nous étions mal informés. La convocation nous précisait la date et le lieu où nous devions nous rendre pour passer une visite médicale où il aurait fallu avoir perdu bras et jambes pour être inapte. Dans
le bureau où se faisaient les papiers pour chaque S.T.O., l’on nous recommandait de ne pas se
sauver car des sanctions très sévères, des représailles ou déportations seraient faites sur nous familles en France.211
Michel Caignard beschreibt die Zustellung der Vorladung folgendermaßen: En bas, deux gendarmes français attendaient patiemment ma signature et dans le cas d’un
refus, ils avaient menacé de réquisitionner mon père. Pris à la gorge, je n’avais aucune alterna-
tive et devais donc signer. Après cette formalité, ma mère redescendit, remit le papier aux gendarmes qui disparurent dans la nuit pour continuer leur sale besogne à travers toute la ville.212
Außerdem konnte versucht werden, in einem der von der „Dienstverpflichtung“ ausgenommenen Bereiche Arbeit zu finden. Ignace Salvo versucht gemeinsam mit einem Freund, auf einem Bauernhof im Dorf seiner Tante unterzukommen, doch der Landwirt kann die beiden nicht bei sich behalten: er war bereits aufgefallen.213 Studenten konnten sich um Aufschub bemühen. André Michel schreibt: La menace de représailles contre les parents de ceux qui se déroberaient au S.T.O. me décida à chercher à Paris une autre échappatoire avant l’expiration d’un nouveau sursis au 10 juillet puis au 1er août 1943.214
Anfang Februar 1943 wurde die Geschäftsleitung von Peugeot dazu aufgefordert, eine Gruppe von zehn Arbeitern zu stellen – weitere fünf wurden für den Fall von Verweigerung 211 Febvet, Jean: STO en camp disciplinaire : mes mémoires 1939–1945. Paris: la Pensée universelle (1988): 30. 212 Caignard, Michel: Les sacrifiés: récit d’un ancien S.T.O. Périgueux: Eigenverlag (1985): 22. 213 Siehe Kap. 7.6. 214 Michel, André: En liberté dans cette cage, en cage dans ces libertés: journal d’un étudiant contraint au S.T.O. en Allemagne, 4 août 1943–2 juin 1945, Gentilly: Eigenverlag (1995): 13f.
60
Zwangsarbeit in Österreich Abbildung 7: Telegramm der Präfektur Corrèze, März 1943
Abbildung 8: Vorladung des Gemeindeamtes von Éauze (Gers), März 1943
Rekrutierung
Abbildung 9: Vorladung der Kommandantur von Béziers (Hérault), Jänner 1943
61
62
Zwangsarbeit in Österreich
als Reserve bestimmt. Pierre Bohin, der Teil dieser Gruppe war, wird zunächst in das Arbeitsamt in Boulogne-Billancourt geführt, wo eine oberflächliche ärztliche Untersuchung durchgeführt wird. Der Tag der Abfahrt wird auf den 27. Februar festgelegt.215 Zielort: „Vienne, Autriche“. Bezüglich der vorgeschriebenen ärztlichen Untersuchung findet man unterschiedliche Aussagen. Den Ärzten wurde per Rundschreiben befohlen, eine rasche Untersuchung durchzuführen.216 Das tatsächliche Verhalten konnte aber angesichts des Handlungsspielraums stark variieren.217 Der Transport erfolgte mit dem Zug – in Personenwagen. Die Zwangsarbeiter hatten sich zu einem bestimmten Termin am nächstgelegenen Sammelbahnhof einzufinden.218 Die Route führte je nach Ursprungsort direkt zur deutsch-französischen Grenze oder aber nach Paris, wo vor der Weiterreise in Kasernen übernachtet wurde.219 Auf die Frage, ob die rekrutierten Arbeiter über ihren Zielort Bescheid wussten, findet man verschiedene Antworten: Zahlen, Buchstaben, Farben oder Schilder mit Kürzel legten die Route fest, die aber erst entziffert werden musste. In manchen Fällen scheint es nur Gerüchte gegeben zu haben. Ohne Zweifel kann gesagt werden, dass kein Wert darauf gelegt wurde, die abfahrenden Männer zu informieren.220 215 Vgl. Bohin, Pierre. Il y a cinquante ans. Gournay-en-Bray: l’Éclaireur Brayon (1996): 6f. 216 Vgl. Vittori, Eux, les STO (1982): 74. 217 Ignace Salvo täuscht einen Gehörschaden vor, wird aber trotzdem für tauglich befunden (siehe Kap. 7.6). 218 Vgl. auch Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 66. 219 Z. B. in den Kasernen Mortier/Tourelles nahe der Porte des Lilas oder der Kaserne La Pépinière (vgl. Joyon, Jeunesse [1957]: 23; Evrard, Déportation [1972]: 169). 220 Georges Caussé schreibt in seinen Erinnerungen: „Puis nous passons devant un guichet où on nous tamponne nos fiches. J’ai falsifié la mienne en remplaçant la destination primitive Oppel, près de Breslau, par celle de Stuttgart où va Jacques. […] Roland désigné pour Linz, en Autriche, en fait autant.“ (Caussé, Georges: Mémoires d’un Tarnais STO en Allemagne: 1943–1945. Toulouse: Graphie Midi-Pyrénées [1997]: 13). Roger Rossignol erzählt davon, dass ein Deutscher in Mulhouse einfach ein Schild mit der Aufschrift „FOW-Wien“ am Waggon befestigt habe (vgl. Rossignol, Roger. Transhumance. Paris: Éd. La Bruyère [1997]: 11f.). Ignace Salvo berichtet, dass der Zielort mit Farbe gekennzeichnet war. Wie er später erfuhr, bedeutete rote Farbe Königsberg, blaue aber Linz. In seinem Tagebuch wiederum gibt er an, die Zahl 17 habe Königsberg, 16 aber Linz bedeutet (siehe Kap. 7.6). Charles Joyon erinnert sich an eine Szene am Pariser Gare de l’Est: „Toujours énormément de police et d’uniformes feldgrau. Au contrôle, on accroche à notre boutonnière une petite étiquette portant le numéro 18. C’est la direction de Vienne (Autriche)“ ( Joyon, Jeunesse [1957]: 23.) Picard-Gilbertier
Ankunft und Zuweisung
63
5.2 Ankunft und Zuweisung Die für den Einsatz vorgesehenen Arbeiter wurden zunächst in von der Deutschen Arbeitsfront (D.A.F.) verwaltete Durchgangslager verbracht.221 Für die Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft war der Reichsnährstand zuständig, für alle übrigen Bereiche die Deutsche Arbeitsfront.222 Eines dieser Lager im Osten Österreichs war das ca. 30 Kilometer nordöstlich von Wien gelegene Strasshof. Grund für die Standortwahl dürfte die Bedeutung des Bahnhofs der damals 2.500 Einwohner zählenden Gemeinde und die hauptsächlich aus Wäldern bestehende Umgebung gewesen sein. Das 1941 vom Gauarbeitsamt Niederdonau für deutschsprachige „Umsiedler“ und „freiwillige“ Arbeitnehmer aus dem Osten errichtete Lager lag auf einem etwa acht Hektar großen Gelände an der Nordbahnlinie. Ursprünglich war es für etwa 6.000 Personen vorgesehen, die in langgestreckten, niederen Holzbaracken untergebracht werden sollten. Im nördlichen Teil des Lagers befanden sich drei gemauerte, eingeschoßige Verwaltungsgebäude für die Lagerleitung. Das gesamte Lager war von einem Maschendrahtzaun auf Betonstehern umgeben. Der Haupteingang war der Eisenbahnlinie zugewandt, ein weiteres Tor an der Nordseite führte zu einem Feldweg. Der größte Teil der Ankünfte erfolgte über das Anschlussgleis der (Baufirma) Universale Bau AG. Die Verwaltung des Lagers war autonom, bewacht wurde es zunächst vom Südostdeutschen Wachdienst, einem privaten Bewachungsunternehmen, spätestens seit 1944 aber vom Staatssicherheitsdienst. Für die Beerdigung verstorbener Lagerbewohner und die Führung des Sterbebuches war die Gemeinde Strasshof zuständig: Insgesamt wurden 231 Menschen in Massengräbern auf dem Strasshofer Friedhof begraben.223 Die Geschichte des Lagers ist noch ungenügend erforscht. 224 In den Listen des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes wird Strasshof als Durchgangslager
221 222 223
224
bildet hingegen ein Schriftstück des Commissariat général au service du travail obligatoire ab, das ihn von seinem im Juni 1943 ausgeübten Beruf in Frankreich direkt an das L.A.A. Wien versetzt (vgl. Picard-Gilbertier, Pierre: Armée Rouge et Danube Bleu. Dijon: Eigenverlag [1993]: 37). Jacques Seignole wird am Pariser Gare de l’Est nach Ulm zugewiesen. Da sein Bruder bereits in Wien ist, bittet er darum, ebenfalls nach Wien zu kommen. Das kleine Stück Karton, auf dem zwei Buchstaben unterschiedlicher Farbe Ulm kennzeichneten, wurde einfach ausgetauscht (siehe Kap. 7.4). Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 96. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 95f.; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 211. Vgl. Neidhart, Josef: Strasshofer Heimatbuch. Strasshof: Gemeinde (1989): 112ff.; Szita, Szabolcs: „Ungarische Zwangsarbeiter in Niederösterreich (Niederdonau) 1944/45“. In: Unsere Heimat. Zeitschrift des Vereins für Landeskunde in Niederösterreich 63(1992): 34. Die Lagerleitung setzte sich einige Wochen vor dem Einmarsch der Russen nach Bayern ab und nahm alle schriftlichen Unterlagen mit (vgl. Neidhart, Strasshofer Heimatbuch [1989]: 113).
64
Zwangsarbeit in Österreich
geführt, das nach Angaben ehemaliger Häftlinge erst im April 1944 Erwähnung findet und durchschnittlich 800 bis 1.000 Personen fasste.225 Unter den Insassen dürften die Ukrainer die größte Gruppe gestellt haben.226 Ab 1944 spielt Strasshof im Zusammenhang mit der Deportation und Zwangsarbeit ungarischer Juden eine Rolle. Im Falle der ab Ende 1942 in den Osten Österreichs verbrachten französischen Zwangsarbeiter dürften fast alle dieses Lager passiert haben. In den Interviews wurde nie ein anderer Name genannt, oft „Strasshof “, „Strathof “ oder auch „Strafhof “. Für die Franzosen ergibt sich abgesehen vom Namen eine zusätzliche Möglichkeit der Ortung des Lagers: die Gemeinde Strasshof grenzt an Deutsch-Wagram – diese Tatsache ermöglichte den im Zug vorbeifahrenden Franzosen eine Assoziation mit der französischen Geschichte (napoleonische Kriege)227, die einen bleibenden Eindruck hinterließ. Die in Strasshof gemachten Erfahrungen werden durchaus unterschiedlich beschrieben, in manchen Fällen als „Lager des schleichenden Todes“, in anderen Fällen wiederum als Ort, der im Vergleich mit anderen Lagern keinen besonderen Eindruck hinterlassen hat.228 Ein Extrem bilden die Berichte von Charles Joyon und Jean-Louis Quereillahc. Joyon erinnert sich an seine angsteinflößende Ankunft am 20. März 1943: Nous traversons tout Vienne et nous voici de nouveau dans la campagne. Que se passe-t-il
donc ? Nous apprenons bientôt que nous sommes dirigés sur un camp de triage situé près
de Wagram. C’est un ancien camp de prisonniers de guerre. Il faut aller plus loin que le petit
village qui s’appelle Strassof [sic!]. Le camp dresse sa silhouette, hérissée de fils de fer barbelés. Les baraques se serrent, trapues et décolorées. On nous fait descendre du train. […] Des centaines de gars se pressent derrière les treillages et font un tapage infernal. Ils nous crient
de ne pas entrer, que ce lieu est un bagne, qu’on y crève de faim littéralement. […] Soudain, d’une baraque voisine de la barrière d’entrée sortent en courant une quinzaine de gardiens
225 „Transit Camp: first mentioned April 44, 4–5000 prisoners passed through it, receiving Deportation-Numbers, average strength 800–1000 pris., working with firm Biro & Wagner, liberated 6. 4. 45 (former inmates).“ Weinmann, Martin (Hg.). Das nationalsozialistische Lagersystem (CCP). Frankfurt/Main: Zweitausendeins (2001): 610. 226 Vgl. Neidhart, Strasshofer Heimatbuch (1989): 113. 227 Am 5./6. Juli 1809 besiegten Napoleons Truppen die österreichische Armee unter Erzherzog Karl in der Nähe von Deutsch-Wagram. In Paris ist die Avenue de Wagram, die auf den Triumphbogen zuführt, nach der Schlacht benannt. 228 Interessant dazu auch die in Österreich veröffentlichten Erinnerungen von Quintilla, Gallier (2006), 15–19.
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vieux et bedonnants, brandissant des matraques et des revolvers. Ils chargent les garçons qui
manifestent et commencent à frapper. Mais quelques Français se rebiffent ; alors, affolés, les gardiens tirent dans le tas. Quelques camarades tombent blessés.229
Und er fährt mit der Beschreibung der Missstände fort; besonders beeindruckten ihn das Leid und der Hunger der zahlreichen „Russen“.230 Quereillahc verbrachte Mitte August 1943 zwei bis drei Tage in Strasshof und beschreibt das Lager mit den folgenden Worten: Un immense camp retranché, entouré de palissades hautes de deux mètres et doublées d’un
réseau encore plus haut de gros barbelés où passe la haute tension. Une entrée minuscule en chicanes, gardée par des SS mitraillette au point ; […] Lorsque nous sommes entrés, un millier d’hommes et de femmes étaient rangés dans l’immense cour tandis qu’un personnage botté et casqué hurlait des ordres ou des menaces qu’un interprète répétait, après lui, en imitant la
voix et les gestes. […] Au milieu de la cour, une potence toute équipée dressait sa silhouette effroyable. Il règne dans le camp une promiscuité totale et à côté de mon châlit, des femmes et des jeunes filles se déshabillent sans pudeur.231
Den Höhepunkt der Erzählung bildet aber ein Streit zwischen zwei jungen Polen, der damit endet, dass beide von den Wachen zu Tode geprügelt werden.232 Eine handschriftliche Aufzeichnung am Ende der gesichteten Auflage von Quereillahc gibt die Erinnerungen eines Zwangsarbeiters wieder, der am 9. Juli 1943 in Strasshof ankommt: Au milieu de la plaine un camp apparaît c’est Strathof. Camp de triage paraît-il, mais en fait pour la majorité de ceux qui y survivent c’est le camp de la mort lente. Nous franchissons
les portes grillagées. Des murs et fils de fer barbelés, dont certains sont electrifiés entourent cet immense espace d’une cinquantaine de baraques. Chacune d’elles est aussi entourée d’une
clôture grillagée. De chaque enclos se dégage une épouvantable puanteur du sol boueux. […]
Nous apprendrons dans les heures qui suivent notre arrivée que les hommes relativement
valides sont au travail, seuls restent au camp, malades ou épuisés qui vont bientôt mourir. Polonais, Russes, Tchèques forment la majorité de la population de ces lieux dont certains baraquements sont destinés aux convois de passage.233 229 230 231 232 233
Joyon, Jeunesse (1957): 26. Vgl. Joyon, Jeunesse (1957): 26f. Quereillahc, Mémoires (1998): 30f. Vgl. Quereillahc, Mémoires (1998): 33f. Quereillahc, Mémoires (1998): Anhang, keine Seitenzahl.
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Zwangsarbeit in Österreich
In diese Richtung geht auch die Aussage von Francis Jeanno, der in Bezug auf den unsicheren Namen des Lagers meint, es könne auch „Strafhof “ gewesen sein.234 Jacques Bertrand schrieb am 5. Februar 1943 einen Brief an seine Verlobte: Le camp de triage est un véritable camp de prisonniers: baraques en bois entourées avec interdiction de sortir. Pour la soupe, tout le monde dehors avec une gamelle de carton que l’on nous
donne. Il faut faire la queue pour toucher un peu d’eau de vaisselle où surnage un petit bout de pain. Nous avons attendu deux jours qu’un patron se présente. Nous sommes des bestiaux.235
In manchen Fällen wiederum hat das Lager keinen bleibenden Eindruck hinterlassen: für Roger Nakhamkes, der danach in einem Lager für 3.000–4.000 Personen unterschiedlicher Nationalitäten (seine Einschätzung) untergebracht war, war Strasshof ein „kleines Lager“. Das Grundgefühl wäre aber Angst, Hunger und Kälte gewesen. Jacques Seignole blieb aufgrund einer Epidemie fast zwei Wochen in Strasshof, erwähnt aber nichts Besonderes.236 Der Schluss liegt nahe, dass die unterschiedlichen Erfahrungen unter anderem auf die Kürze des Aufenthalts zurückzuführen sind, der in der Regel auf wenige Tage beschränkt war, da das Durchgangslager dazu genutzt wurde, die Arbeiter auf die Betriebe oder Arbeitsämter aufzuteilen. Im Westen diente das D.A.F.-Durchgangslager Wörgl dem gleichen Zweck. Es wird in den Listen des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes nicht geführt,237 wurde aber als einziges Lager neben Strasshof sowohl in der Erinnerungsliteratur als auch in einem Interview namentlich erwähnt. Lucien Andréani, der im April 1943 ankam und später bei der Reichsbahn in Innsbruck arbeitete, erzählt: Un arrêt qui se prolonge, des ordres brefs, il faut descendre; je lis un nom „Wörgl“, empoigne
ma valise; hors de la gare une route épouvantable ; la boue colle aux semelles ; durant trois ki-
lomètres nous marchons, laissant une petite ville derrière nous et nous dirigeant vers un centre, 234 Siehe Kap. 7.8: Der Interviewpartner verfügt über genügend Deutschkenntnisse, um diese Assoziation herzustellen und zu verstehen. Das könnte bedeuten, dass er, unabhängig vom tatsächlichen Namen des Lagers, einen qualitativen Unterschied zwischen diesem Lager und den anderen Wohnlagern für Zwangsarbeiter deutlich machen will. 235 Zit. nach Vittori, Eux, les STO (1982): 133. Vittoris Ausführungen zu Jacques Bertrand stützen sich auf die Auswertung von etwa 100 Briefen (vgl. Vittori, Eux, les STO (1982): Endnote 96. 236 Siehe Kap. 7.4. 237 Vgl. Weinmann, Lagersystem (2001).
Ankunft und Zuweisung
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dit-on ! De loin je vois le camp et, le cœur serré, je le détaille à mesure que mes pas me portent
en avant. Rien n’y manque, barbelés, sentinelles ; à l’intérieur une foule de Russes, hirsutes, minables ; un coiffeur opère et trace une croix sur les têtes à grands coups de tondeuse. Parfois
de grands cris, une envolée d’êtres faméliques, en haillons, sortent d’une baraque suivis d’un farde écumant ; cela m’impressionne. Où sommes-nous tombés ; que va-t-on faire de nous ?
[…] Une queue interminable pour obtenir une écuellée d’eau où surnagent des côtes de choux. […] Ce camp renferme des Russes Ukrainiens ; trois à quatre mille, gosses, femmes, hommes
jeunes et vieux, sordides, pouilleux, dont les ongles sales grattent, grattent sous les chemises.
Tout cela mendie : pain, cigarettes ; des vieilles nous adressent des sourires édentés, horribles. […] Dans la baraques, promiscuité effroyable : jeunes, vieux, jeunes filles et jeunes femmes
[…] dont certaines qui, sans la moindre gêne, s’offrent et partagent la couche, oh combien rudimentaires, de ces châlits de misère.238
Von ähnlichen Erfahrungen berichten auch Xavier Charpin 239 und 23 Lehrer aus dem Département Loire, die am 29. März 1943 von St. Etienne nach Wörgl fahren, wo sie im Durchgangslager die Nacht verbringen.240 Einige Tage später werden sie nach Ebmatten (1.800 Meter Höhe) gebracht,241 um an der Kraftwerksbaustelle Kaprun242 zu arbeiten. 238 Andréani zit. nach Daures, Nos vingt ans volés (1993): 103. 239 Siehe Kap. 7.7. 240 „Mon ami Tary et moi, nous avons couché à Wörgl, dans un camp trempé, directement sur le bois des châlits“ (Roger Richard). „Après une marche harassante, sur le long trajet du train au camp, nous avons passé la nuit sur des bats-flancs.“ (Barthélémy Granger) „Arrivée à Wörgl dans un camp de prisonniers désaffecté: on fait connaissances avec la soupe 100 % liquide, le coucher directement sur lattes de bous, et les WC collectifs.“ (Antoine Delaroa) Von Wörgl aus werden sie Richtung Montafon (Gaschurn, Lager Schruns), z. B. zur Fa. Gebrüder Feierle, und Kaprun (Lager Wasserfallboden) gebracht, wo der französische Betrieb Sainrapt et Brice einen Teil der Arbeiten übernommen hat (vgl. Aventurier, Gérard/Cellier, Albert: Les instituteurs de la Loire au Service du Travail Obligatoire (S.T.O.) dans le Troisième Reich 1943–1945. Supplément de Village de Forez, n° 69–70 (1997): 50). 241 Von der Ebmattener Baracke aus hält ein Foto das Lager Wasserfallboden fest (abgedruckt in Aventurier/Cellier, Instituteurs de la Loire [1997]: 50). 242 Zum Kraftwerksbau in Kaprun siehe Reiter, Margit: „Das Tauernkraftwerk Kaprun“. In: Rathkolb, Oliver/Freund, Florian (Hg.): NS-Zwangsarbeit in der Elektrizitätswirtschaft der „Ostmark“, 1938–1945. Wien/Köln/Weimar: Böhlau (2002), 127–198. Der Spatenstich für den Kraftwerksbau Kaprun erfolgte am 16. Mai 1938 durch Hermann Göring. Das Projekt stammte aus der Zwischenkriegszeit, war aber aus finanziellen Gründen nicht ausgeführt worden. Mitte Oktober 1939 trafen die ersten, polnischen Kriegsgefangenen auf der Baustelle ein. Im Verlauf des Jahres 1941 bildeten die Ausländer mit dem Eintreffen französischer und belgischer Kriegsgefangener bereits die Mehrheit der Arbeiter. Der kriegsbedingte Mangel an Arbeitskräften, Baumaterial und Treib-
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Zwangsarbeit in Österreich
Ein anderer findet sich in Schwarzach wieder. Da wie dort werden sie als Hilfsarbeiter eingesetzt.243 Namen weiterer Durchgangslager wurden in der Erinnerungsliteratur und den Interviews nicht erwähnt. Der Ablauf dürfte aber überall derselbe gewesen sein. Francis Blein, der Anfang Juni 1943 in Linz ankommt, beschreibt Ankunft und Zuweisung folgendermaßen: Nous traversons Stuttgart, Ausburg [sic!] et bien d’autres villes et puis voilà Munich et enfin
Linz, lieu de notre destination. Il est 18 heures, on nous emmène (à pied, bien sûr !) vers
des camps pour passer la nuit. […] Dans ces camps étaient déjà enfermés des Ukrainiens, hommes, femmes et enfants qui hurlaient la faim et qui sautaient après les grillages pour avoir
un morceau de pain. On nous a servi un peu de bouillon et nous sommes couchés sur le sol très
dur, mais avec la fatigue, nous avons réussi quand même à dormir. Le lendemain, c’est le triage. Certains sont partis dans de petites fermes, d’autres, dont deux de mes copains, sont désignés pour Saint Valentin [sic!] à 20 km d’ici, et enfin la majeure partie est restée à Linz pour travailler aux usines Ermann Goëring [sic!].244
Jene Arbeiter, die in Durchgangslager gebracht wurden, wurden in der Folge auf die Arbeitsamtsbezirke aufgeteilt.245 Joyon berichtet, dass in Strasshof auf dem Appellplatz Namenslisten verlesen wurden. Als er endlich aufgerufen wird, erhält er einen Stempel auf
stoff führte zu Bauverzögerungen, die nur mithilfe der Zuweisung von zusätzlichen ausländischen Arbeitern wettgemacht werden konnten. Im Verlauf des Jahres 1942 stieg deren Anteil auf vier Fünftel aus mehr als 20 verschiedenen Nationen an. Insgesamt waren in Kaprun laut jüngsten Forschungsergebnissen 988 Franzosen (zivile Arbeiter und Kriegsgefangene) beschäftigt, also 15,6 Prozent aller Ausländer, von denen mehr als zwei Drittel (680) im Verlauf des Jahres 1943 eintrafen. Steinschläge, Erdrutsche und Lawinen waren eine ständige Bedrohung und forderten zahlreiche Todesopfer. Zwischen 1939 und 1945 kamen sechs französische Zivilarbeiter und drei französische Kriegsgefangene ums Leben. Trotz der raschen Fortschritte 1942 und 1943 wurde das Projekt u. a. aus Angst vor Bombenangriffen vorzeitig beendet. Die Belegschaft wurde daraufhin woanders eingesetzt (vgl. Reiter, Kaprun [2002]: 127–139, 144, 148, 169); Engel/Radzyner, Sklavenarbeit [1999]: 219–223). 243 Vgl. Aventurier/Cellier, Instituteurs de la Loire (1997): 37–42. 244 Blein, Francis: „Le journal de F. Blein“. In: Nous avions 20 ans. Des monts du Lyonnais aux usines de l’Allemagne nazie en passant pas les chantiers de jeunesse. Saint-Laurent de Chamousset: Centre social et culturel (1994): 131. 245 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 96.
Ankunft und Zuweisung
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das Handgelenk: „W“ (Wien).246 Roger Nakhamkes’ Ziel ist hingegen „St“ (Stockerau).247 Ganz unterschiedlich im Vergleich dazu die Ankunft der zehn Arbeiter von Peugeot. Sie kamen nach 43-stündiger Fahrt Ende Februar 1943 in Wien an und wurden in Bussen zum Arbeitsamt gebracht. Auf der Fahrt wurde ihnen die Stadt erklärt, der Stephansdom, die Oper, Schönbrunn… Nach einigen Stunden wurden sie zugewiesen: Flugmotorenwerke Ostmark, Wiener Neudorf, Unterkunft im Barackenlager Brunn am Gebirge.248 Auch Caignard berichtet nicht von einem Aufenthalt in einem Durchgangslager. Nach seiner Abfahrt von Périgueux am 5. März 1943 kam er am Wiener Westbahnhof an. Nach einstündiger Wartezeit wurde er mit anderen in einem Lastwagen direkt nach Floridsdorf ins Lager „Nordpol“249 gebracht. Nach seiner Beschreibung bestand das Lager aus etwa 20 in zwei Reihen angeordneten Baracken. Sein Arbeitsplatz: die Lokomotivfabrik.250 Jacques Poigny, Commissaire-Assistant der „Mission Chantiers“, wiederum erwähnt, dass er erst nach einem Aufenthalt in einem Durchgangslager der Lokomotivfabrik und dem Lager „Nordpol“ zugewiesen wurde.251 Entgegen der rassistischen Hierarchie, die in den Franzosen von vornherein größere Fähigkeiten als in anderen Nationalitäten sah, wurden die Arbeiter oft nicht nach ihrer Qualifikation, sondern nach den momentanen Erfordernissen zugewiesen. Zwar wurde anscheinend nach der Ausbildung gefragt, doch änderte das nichts daran, dass viele letztlich als einfache Hilfsarbeiter eingesetzt wurden. Gilbert Tourenne, ein Friseur, findet sich an der Drehbank wieder,252 Roger Nakhamkes, ein Buchhalter, „bureaucrate“, landet auf der Baustelle.253 Man kann feststellen, „dass die Gewöhnung an die Arbeit umso schwieriger war, je weniger der einzelne, der dazu abgeordnet wurde, bereits entsprechende Erfahrungen besaß.“254 Ab dem Zeitpunkt der Zuweisung war der aufnehmende Einsatzträger verantwortlich; Dieser musste mit Ernährungsamt, Wirtschaftsamt, Gewerbeaufsichtsamt, Sozialversicherung und Finanzamt Fragen der Verpflegung, Bekleidung, Unterkunft, Sozialversiche246 247 248 249 250 251 252 253 254
Vgl. Joyon, Jeunesse (1957): 27f. Siehe Kap. 7.9. Vgl. Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 14f. Caignard bildet den Lagerausweis ab. Es handelt sich um das „Gemeinschaftslager Nr. 2013, Wien XXI, Siemensstraße 26“ (vgl. Caignard, Les Sacrifiés [1985]: 49). Vgl. Caignard, Les sacrifiés (1985): 39–47. Vgl. Martin, Chantiers de Jeunesse (2001): 297. Siehe Kap. 7.2. Siehe Kap. 7.9. Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 192.
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Zwangsarbeit in Österreich
rungsbeiträge und Steuern klären. Die Sicherheitsbehörden waren für die Überwachung der Ausländer zuständig.255 Zu den üblichen Formalitäten gehörten insbesondere die Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages und die Ausstellung eines Ausweises, der Zugang zu Lager und Betrieb gewährte und die Überprüfung ermöglichte.256
5.3 Arbeitsbedingungen Allgemeine Aussagen über die Lebens- und Arbeitsbedingungen können nur schwer getroffen werden: Die Lebensverhältnisse jener AusländerInnen, die von NS-Behörden zur Arbeit gezwungen
wurden, waren aber in sich höchst unterschiedlich. Der ausgeübte Zwang war maßgeblich durch die rassistische Hierarchisierung durch die Nationalsozialisten bestimmt, die Perso-
nen je nach Herkunft, Geschlecht und Verfolgungsgrund unterschiedlichsten polizeilichen, arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen unterwarf. Die Schwere der Arbeit, materielle
Versorgung, Ernährung und Unterkünfte, Arbeitszeiten sowie Form und Höhe der Entloh-
nung und die Art der Behandlung durch deutsche und österreichische Vorgesetzte, Bewacher
oder Arbeitskollegen war eng mit dem den ausländischen Arbeitskräften zugewiesenen Status verbunden. Die Bedingungen, unter denen Personen aus ganz Europa für NS-Deutschland
arbeiten mussten, und der für viele Gruppen lebensbedrohende Charakter der Zwangsarbeit
differierte aber auch beträchtlich nach Region, nach Stadt und Land, Wirtschaftssektoren, Branchen und Betrieben und nach dem Zeitpunkt des Zwangsarbeitseinsatzes.257
Für alle ausländischen Zwangsarbeiter waren unabhängig von ihrer Nationalität zwei Faktoren von Bedeutung: einerseits der rechtliche Rahmen, andererseits die Art und Weise, in der die vorgegebenen Normen von den Beteiligten im Alltag umgesetzt wurden.258 Franzosen unterstanden arbeitsrechtlich im Wesentlichen denselben Richtlinien wie ihre deutschen Kollegen. Ein Merkblatt des G.B.A. vom Mai 1942 hielt fest, dass den Westarbeitern die gleichen Rechte wie deutschen Arbeitern zustanden, sowohl bei Lohn- und 255 Die rechtlichen Rahmenbedingungen veränderten sich allerdings im zeitlichen Verlauf. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 97f. 256 Vgl. Blein, Journal (1994): 131; Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 17. Dieser Ausweis hatte kein einheitliches Aussehen. 257 Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 16. 258 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 90.
Arbeitsbedingungen
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Arbeitsbedingungen, Trennungszulage und Arbeitszeit als auch bei Mehrarbeitszuschlägen und Steuern. Auch die Lebensmittelrationen sollten formell denen von Deutschen entsprechen. Diese Fiktion eines ganz normalen Arbeitsverhältnisses sollte auch nach 1942 aufrechterhalten werden.259 Dennoch unterschied sich die Situation der Westarbeiter von derjenigen der Deutschen nach wie vor erheblich – nicht allein durch die materiellen Bedingungen, sondern auch durch
Demütigungen und Diskriminierungen: erniedrigende Strafen wie Prügel bei Urlaubsüber schreitung führten auch den Westarbeitern vor Augen, dass sie nicht als willkommene ‚Gast
arbeiter‘ in Deutschland waren, sondern als Angehörige besiegter Feindstaaten in einem faschistisch regierten Land.260
Tendenziell wird man davon ausgehen können, dass Franzosen, der nationalsozialistischen Hierarchisierung entsprechend, besser behandelt wurden als andere Nationalitätengruppen. Demgegenüber steht aber die aus der „positiven“ Einstellung resultierende Zuweisung auf die einzelnen Wirtschaftssektoren: der Großteil der französischen Zwangsarbeiter wurde in Industrieunternehmen, gefolgt von Handels- oder Handwerksbetrieben eingesetzt. Dies hatte zur Folge, dass sie im Allgemeinen gerade in jenen Bereichen tätig waren, in denen die Lebensverhältnisse weniger günstig waren als beispielsweise auf dem Land und in denen der Alltag von Barackenlagern, Lagerküchen, Nacht- und Schichtarbeit und Bombenangriffen geprägt war.261 D’Hoop beschreibt die typische Erfahrung eines französischen Zwangsarbeiters im Deutschen Reich262 : Ils ont été affectés au hasard, au cours d’un véritable marché d’esclaves qui se renouvelle à l’arrivée de chaque convoi, et où on voit accourir tous les entrepreneurs de la région. S’ils ont une expérience ou des aptitudes particulières, il en est rarement tenu compte. Les plus malheureux
sont comme toujours ceux qui travaillent dans des grandes entreprises industrielles: la journée
de travail y est longue, souvent de 12 heures, la discipline rude, le rythme de la chaîne épuisant. 259 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 182; Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 91–95. 260 Herbert, Fremdarbeiter (1986): 287. 261 Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 108, 128; Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 191; Engel/Radzyner, Sklavenarbeit (1999): 108. Siehe auch Kap. 4.3. 262 Auch er betont, dass keine allgemeinen Aussagen zulässig seien (vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française [1971]: 83).
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Zwangsarbeit in Österreich S’ils cherchent à s’échapper, ils risquent d’être repris par la Gestapo et envoyés dans un camp
de concentration. Même quand ils tombent moins mal, beaucoup sont déçus par le logement, par la nourriture, par toute la vie matérielle, bien que la France qu’ils ont quittée soit loin d’être dans une situation brillante.263
Ein im November 1943 erstellter Bericht des Départements Var fasst die Einstellung von Arbeitern zum Heimaturlaub zusammen: nicht nur die Arbeitsbedingungen seien mittelmäßig, auch wüssten die meisten nicht, was sie in der Freizeit tun sollten: Aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse könne man weder Zeitungen lesen noch ins Kino gehen. Gehe man in ein Kaffeehaus, so sei man dort nicht willkommen. Der Briefverkehr funktioniere schlecht, das Leben sei teuer, man müsse alles am Schwarzmarkt besorgen; es sei schwierig, Geld anzusparen und nach Hause zu überweisen. Hinzu komme die Angst vor den zunehmenden Bombenangriffen.264 D’Hoop schließt, es zeichne sich – bei allen individuellen Unterschieden – ein düsteres Bild: „Toute généralisation serait arbitraire. Mais le tableau est toujours sombre, même s’il l’est inégalement.“265 Zu dem Zeitpunkt, als der überwiegende Teil der Franzosen ins Deutsche Reich bzw. in die „Ostmark“ kam, hatten sich Wohnsituation und Ernährung bereits verschlechtert. Am meisten waren davon die sowjetischen Zwangsarbeiter betroffen, 266 aber auch für Franzosen waren nach oft zwölfstündiger, harter körperlicher Arbeit die Barackenlager, das ständige Kommen und Gehen der Schichtarbeiter und die geringen Essensrationen der nötigen Erholung abträglich.267
5.3.1 Unterkunft Für die Unterkunft war ab dem Zeitpunkt der Aufnahme der Betrieb verantwortlich.268 Zu Beginn wurden zur Unterbringung der massenhaft eintreffenden Arbeitskräfte alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen: Säle, leerstehende Lager, Schuppen, Turn- und Sporthallen, Heime und auch Schulen. Als der Großteil der französischen Zwangsarbeiter 263 264 265 266 267
D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 83. Vgl. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 83f. D’Hoop, Main d’œuvre française (1971): 84. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 117, 123ff. Eine sehr genaue Beschreibung seines Arbeitsalltages gibt Jean Louis Quereillahc (vgl. Quereillahc, Mémoires [1998]). 268 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 97f.
Arbeitsbedingungen
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ab Ende 1942 eintraf, hatte man bereits Barackenlager errichtet, die aber oft die Unterbringung großer Zahlen von Arbeitern auf engem Raum bedeuteten, was aufgrund der hygienischen Verhältnisse zu Befall mit Ungeziefer und im Winter zu erhöhter Krankheitsgefahr führen konnte.269 Das Risiko, dass eine Baracke von Ungeziefer befallen wurde, nahm mit steigender Belegung überproportional zu. Wenn sich auch nur ein Insasse nicht sauberhielt, konnte die ganze Baracke schnell verseucht sein.270
Abgesehen davon verschlechterte sich die Wohnsituation in den letzten zwei Kriegsjahren insbesondere in Stadtgebieten merklich.271 Wenn es auch zutreffen mag, dass Ostarbeiter, die auf engerem Raum untergebracht wurden, 272 stärker von diesem Umstand betroffen waren, so gilt doch auch in geringerem Ausmaß für die französischen Zwangsarbeiter, dass sie lange Anmarschwege und ungeeignete Unterkünfte hatten.273 Die von Albert Speer vorgesehenen typischen Baracken sollten Platz für 18 (Modell A) bzw. 36 Arbeiter (Modell B, für russische Kriegsgefangene) bieten.274 Nach der Auswertung von etwa 700 Fragebögen kommt Vittori zu dem Schluss, dass in den wenigsten Fällen akzeptable Verhältnisse herrschten. Die meisten lebten in Barackenlagern in Zimmern für 16, 20 und in Extremfällen 50 bis 80 Personen. Mehr als die Hälfte erwähnen den Befall mit Ungeziefer.275 Auch in der Erinnerungsliteratur und den Interviews gibt es dafür Beispiele: Dans les débuts, ça se passe tant bien que mal. Mais au bout d’un certain temps, on ne peut même plus se reposer, pas moyen de dormir, donc plus de repos possible. On était dévoré par les ‚petites bêtes’, vermines en tous genres.276
Im Lager Nordpol gehörte Ungeziefer zum Alltag: 269 270 271 272 273 274 275 276
Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 203f. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 119. Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 270. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 119. Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 204f. Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 265. Vittori, Eux, les STO (1982): 136. Blein, Journal (1994): 132.
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Zwangsarbeit in Österreich La nuit, les punaises réveillées par la chaleur du corps, continuaient de nous dévorer, troublant notre sommeil. Ces petites bestioles couraient sur notre corps, nous suçaient et se réfugiaient dans la paillasse devenue un tas de fumier. Enfin un dimanche, les autorités du lager décidèrent de procéder à la désinfection des baraques.277
Ignace Salvo hingegen meint in Bezug auf seiner Linzer Baracke: „Dans la baraque c’était impeccable. […] Ils ont désinfectés une fois la première baraque […] mais nous, on ne nous a jamais touché, jamais on n’a rien eu dans les baraques“278 Die Größe der Lager variierte mit dem Einsatzort: In Felixdorf waren 300 Franzosen in einer ehemaligen Spinnerei untergebracht.279 Das Lager „Messerschmitt“ in Wiener Neustadt fasste hingegen 3.000 Mann.280 In unwegsamem Gelände war es vielleicht nicht möglich, direkt neben der Baustelle ein Barackenlager zu errichten, der tägliche Weg zur Arbeit konnte dann bereits eine große Anstrengung darstellen. Grandmesnils Erinnerungssammlung enthält folgende Aussage: De Salzbourg : Mon travail, c’est le terrassement, le ciment, les coups de mines. Mes outils
sont la pelle, la pioche, le pistolet à air. Rassure-toi, je n’ai pas encore usé de manche ! Ce qui
nous est surtout dur, pour tous, ce sont les conditions dans lesquelles il faut ‚bosser’ : froid, eau, neige, etc. Ce qui est également très fatigant, c’est le long trajet dans les sentiers de la
montagne pour se rendre aux chantiers… Bien que, ce soir, je sois littéralement sur les genoux,
je t’écris tout de même, de crainte de n’avoir le temps de le faire un autre jour. Mon travail ou, plutôt, notre travail ne s’améliore pas. Aujourd’hui, j’ai traîné des rails tout le jour ; j’ai reçu un
coup de trique et un coup de poing du chef de chantier. Les premiers départs pour le camp de concentration vont avoir lieu. Il faut travailler, travailler. Nous sommes à la tâche et ne partons du chantier que le boulot terminé…281
Nach einem langen Arbeitstag folgte oft nicht die nötige Erholung – schon allein die aus den Tag- und Nachtschichten resultierende unterschiedliche Zeiteinteilung der Barackenbewohner erschwerte die Verhältnisse: 277 Caignard, Les sacrifiés (1985): 73. Das Franzosenlager fasste nach Auskunft Jacques Poignys etwa 1.500 Arbeiter. Die Zimmer der Baracken waren auf 18 Mann in sechs dreistöckigen Betten ausgelegt (vgl. Martin, Chantiers de Jeunesse [2001]: 297). 278 Interview M. Ignace Salvo (Bessan, Hérault), 21. Juli 2002. 279 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 199. 280 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 200. 281 Zit. nach Grandmesnil, Action catholique (1947: 24).
Arbeitsbedingungen
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De Vienne : Après avoir passé sa nuit ou sa journée auprès des fours, des pilons, des riveteuses, ou
après s’être asphyxié auprès des acides et dans la fumée, on espérait trouver quelque temps de re-
pos dans une chambrée de vingt hommes qui se bousculaient, se lamentaient ou hurlaient. Ceci était impossible. Sans compter la vermine qui harcelait le corps et ne lui laissait aucun repos …
… On nous dit que nous aurons des baraquements, mais la construction n’est pas encore amor-
cée. Et pour le moment, nous faisons équipe ; tout comme les machines, les paillasses sont occupées nuit et jour. Inutile de te parler d’hygiène. Elle est plus que lamentable …282
Zweifellos waren die Ansprüche auch von der jeweiligen Nationalität abhängig. Die Behörden hatten dies erkannt und daher eigene Lager je nach Herkunft eingerichtet. Die offizielle Begründung war, dass damit den unterschiedlichen Wünschen besser entsprochen werden könne.283 Die Unterbringung großer Zahlen von Arbeitern auf engem Raum brachte notwendigerweise auch zwischenmenschliche Spannungen mit sich, die in der folgenden Beschreibung einer Baracke in Wiener Neustadt zum Ausdruck kommen: De Neustadt : Henry pénétra dans sa chambrée. Une odeur lourde de sueur humaine le prit à la gorge. Il eut un regard vers ce qui servait de boîte aux lettres : rien de France. Sur la table grais-
seuse, des gamelles noircies voisinaient avec des os de poulets échappés d’une boîte de conserves ; des couteaux, des journaux, deux sacs encharbonnés, des pains et des pommes de terre … Un gars avait repoussé ces ordures pour tâcher d’écrire … Un équipier entra, posa sa musette sur la table entre deux tas d’épluchures et s’étendit sur son
lit, sans dire un mot. Ses yeux injectés de sang pleuraient de lourdes larmes : il ne devait pas dormir de la nuit car ses yeux le brûlaient ; d’instituteurs il était devenu soudeurs à l’arc …
Dans un coin, deux gars s’injuriaient parce que l’un avait déplacé la caisse de l’autre. Cela
cachait le drame de jeunes qui n’avaient plus rien à aimer que cette paillasse, cette caisse, ces
deux photos, l’une de ses parents, l’autre d’une femme nue. Affalé sur un lit, un troisième, indifférent, entièrement nu, regardait mélancoliquement une gravure qui pendait lamentable
après une seule punaise. Elle avait été mise là par ordre du chef de camp, mais personne n’avait le courage de la fixer correctement.
282 Zit. nach Grandmesnil, Action catholique (1947): 28. 283 Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 266.
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Zwangsarbeit in Österreich Henry calma sa faim d’un morceau de saucisse, acheté avec de faux tickets, et d’une tranche de pain troquée contre des cigarettes.284
Zweifellos gab es große Unterschiede von Lager zu Lager und auch im zeitlichen Verlauf.285 Charles Joyon, der als Hilfsarbeiter für die Firma Holzmann am Bau eines Flakturms tätig war, wurde nach seiner Ankunft im Lager „Schleuse 1“, im 20. Wiener Gemeindebezirk, untergebracht: Tout le monde où presque connaît l’intérieur d’une baraque, tout au moins par ouï-dire ; je n’insisterai donc pas trop là-dessus. Une baraque contient en principe quatre chambres de sept mètres sur cinq, soit trente-cinq mètres carrés environ. Dans chaque chambre, neuf châlits à étage, soit dix-huit couchettes avec une paillasse et deux couvertures, une table et dix-huit
tabourets. Entre deux châlits, à la tête, le long du galandage, un petit placard à deux comparti-
ments. Au milieu de la pièce, un poêle surmonté d’un long tuyau qui disparaît dans le plafond. Plancher, murs et plafond sont en bois, à double paroi. Quatre fenêtres et une porte s’ouvrent sur l’extérieur. Pas de volets, mais pour le camouflage des rideaux en papier noir que l’on baisse tous les soirs, lorsque tombe la nuit.286
Die Ankunft der italienischen Militärinternierten bewirkte seine Versetzung zum Bau von Luftschutzeinrichtungen und damit auch in ein Lager, das gänzlich anders war: Pour le Gemeinschaftlager [sic!], ce fut autre chose. C’était un immense camp de 2.000 locataires de toutes races. Les baraques étaient infectes et sombres ; l’air froid pénétrait par tous les joints et par toutes les fentes du bois. La plupart des vitres étaient cassées et la vermine grouillait dans les paillasses. Nous y passâmes un hiver rigoureux. Les conditions matérielles
étaient très dures. Il y avait constamment de la boue dans les cours et les cabinets d’aisance étaient une infection. Les douches marchaient très mal et l’eau était toujours froide. La nourriture assez abondante était préparée sans goût et l’été elle moisissait très vite et causa parfois
des empoisonnements. Le camp était mixte. Beaucoup de femmes de toutes races y logeaient. Inutile de vous dire que c’était une orgie et que la prostitution y fleurissait ainsi que les maladies vénériennes.287
284 285 286 287
Zit. nach Grandmesnil, Action catholique (1947): 28f. Die Unterschiede zwischen den Lagern bestätigt auch Rossignol, Transhumance (1997): 13–16, 21. Joyon, Jeunesse (1957): 39f. Joyon, Jeunesse (1957): 69.
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Schließlich wechselt er noch ein letztes Mal, diesmal in das Lager „Freihaus“ (4. Bezirk). In diesem Gebäude im Besitz der Stadt Wien waren Franzosen im zweiten Stock untergebracht.288 Für die in der Landwirtschaft tätigen französischen Arbeiter ergab sich ein völlig anderes Bild. Sie waren einzeln untergebracht; ihre Wohnsituation hing damit vom Verhältnis zum Arbeitgeber ab, war aber zumindest nicht von den Nachteilen der Massenunterkünfte geprägt.289
5.3.2 Verpflegung Bereits vier Tage vor Kriegsbeginn war im Deutschen Reich die Rationierung von Lebensmitteln eingeführt worden.290 Davon waren a fortiori auch die ausländischen Zwangsarbeiter betroffen. Die Art der Verpflegung hing von der Zuweisung ab. Soweit die Arbeiter in Lagern untergebracht waren, bekamen sie Gemeinschaftsverpflegung. Musste man sich selbst verpflegen, so erhielt man Lebensmittelkarten. Ab Mitte 1942 gab es für ausländische Zivilarbeiter, die nicht in landwirtschaftlichen Betrieben tätig waren, die „Wochenkarte für ausländische Zivilarbeiter“, die durch die Betriebe ausgegeben wurde. Jene, die Schwerarbeit verrichteten, sollten zusätzliche Rationen erhalten. In der Regel wurden pauschal 1,50 RM am Tag für Unterkunft und Verpflegung vom Lohn abgezogen.291 Ob die vorgesehenen Wochenrationen in den Lagerküchen tatsächlich eingehalten wurden, war schwer zu überprüfen: die Lagerverpflegung bestand meist aus Eintopf; Fleischund Fettgehalt waren nicht eindeutig feststellbar.292 Wenn auch die Kritik an der Qualität der Gemeinschaftsverpflegung teilweise auf unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten zurückzuführen sein mag,293 so lässt sich doch sagen, dass die tatsächlich erhaltenen Essensrationen von den offiziellen meist nach unten abwichen. Grund dafür war die Unterschlagung von Lebensmitteln oder entsprechenden Berechtigungsscheinen sowie die weit verbreitete Korruption.294 288 289 290 291
Vgl. Joyon, Jeunesse (1957): 70f. Vgl. Hornung/Langthaler/Schweitzer, Landwirtschaft (2004): 242–254. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 123. Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 193; Homze, Foreign Labor (1967): 272ff.; Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 123. 292 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 126. 293 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 123. 294 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 132; Homze, Foreign Labor (1967): 274f.
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Beschreibungen in der Erinnerungsliteratur geben Aufschluss über die Beurteilung der Verpflegung: De Vienne : Pour les repas, nous savons ce que c’est que de faire ‚queues’ pour ne pas avoir
grand’chose : heureusement que nous pouvons manger, dans les restaurants, des plats supplémentaires, mais c’est le portefeuille qui en prend un coup …
De Salzbourg : … La croûte est toujours de même. A midi, nous avons simplement une heure de pause car nous ne touchons rien à manger et cassons simplement la croûte avec un bout de
pain et de graisse que l’on garde du petit déjeuner. Les premiers temps, on mangeait mieux, maintenant, tu peux juger : j’échange mon tabac avec les Polonais contre du pain ! ! Alors, tu comprends, moi qui n’aimais pas fumer ! ! ! …
…Ce n’est pas le filon d’être ici en terre étrangère ; de ne pas arriver à se faire comprendre et ne pas avoir beaucoup à manger. Midi, une soupe qui n’a ni goût, ni beurre, avec des orties ou de la choucroute qui n’est pas mangeable ; deux papinettes de pomme de terre et le mardi, le jeudi, le dimanche un morceau de viande gros comme un œuf …295
Zweifellos hing die Qualität der Verpflegung vom jeweiligen Betrieb ab. B. Granger, der von Wasserfallboden nach Schwarzach versetzt wird, findet dort schlechteres Essen vor: Nous devons assez souvent jeter des soupes de choux-rouges immangeables pour nous. Le
responsable du groupe de déportés polonais nous dénonce au Lagerführer. Nous nous rendons
vite compte que ce dernier empoche une partie de l’alimentation à laquelle la carte nous donne
droit. De timides démarches auprès de l’ingénieur (il parle français) restent sans effet. Alors nous décidons un matin de rester à la baraque !296
Der umgekehrte Fall tritt für François Roméas ein, der nach dem Lager Wasserfallboden mit der Verpflegung im Lager Maiskogel zufrieden ist.297 Auch Zivilarbeiter aus Westeuropa konnten also Hunger leiden, wenn dieser auch nicht existenzgefährdend war. Als Folge davon entwickelten sie Strategien, die ihnen die Beschaffung zusätzlicher Lebensmittel ermöglichten: „Als letzte Möglichkeit, an Essbares zu 295 Zit. nach Grandmesnil, Action catholique (1947): 27. 296 Zit. nach Aventurier/Cellier, Instituteurs de la Loire (1997): 47ff. 297 Vgl. Aventurier/Cellier, Instituteurs de la Loire (1997): 49.
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kommen, blieben nur die individuelle Beschaffung durch Kauf von nichtrationierten Lebensmitteln, Kauf und Tausch auf dem Schwarzmarkt, freiwillige Zusatzarbeit bei Bauern, Betteln, Diebstahl und Raub.“298 Dafür findet man sowohl in der Erinnerungsliteratur als auch in den vom Verfasser geführten Interviews Bestätigungen: Un groupe de quarante jeunes français de Purkersdorf-Vienne, parmi lesquels notre camarade Laurent Loubière [aus Cassuéjouls], utilisait quand l’occasion s’en présentait un autre moyen
de se ravitailler à bon marché. Lorsqu’un wagon de pommes de terre ou de fruits s’attardait un
peu trop sur une voie de garage, ils allaient ‚en douceur’ le délester d’une partie de son chargement. D’autres allaient se servir directement dans les champs.299
Und Francis Blein: „La nourriture diminue et devient de plus en plus ‚dégueulasse’. Il faudra pourtant manger pour vivre, si bien qu’à partir du mois d’octobre, nous partons à la tombée de la nuit piller les champs de pommes de terre pour faire une petite provision (opération qui n’est pas sans risque!).“300 Eine andere Möglichkeit war das relativ günstige „Stammgericht“, für das man keine Lebensmittelkarten brauchte.301 Sonst ermöglichte der bis Mitte 1944 aufrechte Postverkehr den Erhalt von Paketen, die meist geteilt wurden und so die Essenslage wesentlich verbessern konnten.302 Pierre Bohin erwähnt, einen Tag vor Weihnachten 1943 ein Paket mit Schokolade, Zigaretten und Tabak erhalten zu haben.303 Auch Quereillahc beschreibt eine geschmückte Baracke und geteilte Pakete: „Les colis arrivés de France étalent sur la nappe de papier blanc des richesses oubliées et fabuleuses.“304 Nach Mitte 1944 fiel auch diese Möglichkeit weg, die Situation verschlimmerte sich.305 298 299 300 301 302 303 304 305
Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 133. Daures, Nos vingt ans volés (1993): 156. Blein, Journal (1994): 133. Vgl. Evrard, Déportation (1972): 191. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 134. Vgl. auch Joyon, Jeunesse (1957): 65. Vgl. Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 30. Quereillahc, Mémoires (1998): 101. Vgl. Bories-Sawala, Helga: „Aspects de la vie quotidienne des requis du travail forcé en Allemagne“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.). La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003): 132.
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Auch von gefälschten Brotkarten, Fasanjagden306 und dem Verzehr von Igeln und Wildkatzen307 wird berichtet. Jacques Seignole ernährte sich während seines Aufenthaltes bei der Fa. Mann & Co. (Wien III) hauptsächlich von Emmentaler, der ihm von Kriegsgefangenen verschafft wurde, die in der benachbarten MIAG (Molkerei) arbeiteten.308 In der Landwirtschaft hingegen kann man von qualitativ höherwertigen Nahrungsmitteln ausgehen, sofern es ein gutes Übereinkommen mit dem Arbeitgeber gab. Die Portionen waren dann trotz der schweren körperlichen Arbeit in der Regel ausreichend.309 Die Zwangsarbeiter aßen üblicherweise am selben Tisch wie der Landwirt und erhielten die gleiche Nahrung.310 So kommt es zum Beispiel, dass Roger Lamothe in Neuruppersdorf nie Hunger leiden musste, während Gilbert Tourenne in Enzesfeld davon berichtet, dass Essen ständiges Gesprächsthema war.311
5.3.3 Entlohnung „Arbeiter aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark und Kroatien erhielten im Prinzip denselben Lohn wie deutsche Arbeiter, nur dass ihnen wegen der Lagerverpflegung ein höherer Betrag abgezogen wurde.“312 Formal sollten französische Zivilarbeiter hinsichtlich Lohn und Besteuerung also wie Deutsche behandelt werden.313 In der Praxis mussten sie aber im Vergleich zu Letzteren mehrere Nachteile in Kauf nehmen, unter anderem zu entrichtende Beiträge für „im internationalen Vergleich recht hohe (und daher teure) Sozialversicherungsleistungen, […] die sie nicht in vollem Umfang in Anspruch nehmen konnten, wie selbst die Deutsche Arbeitsfront (streng vertraulich) einräumte.“314 Neben den Abzügen für die Sozialversicherung wurde in den Betrieben, die selbst Barackenlager unterhielten und Lagerküchen hatten, pauschal 1,50 RM am Tag für Unterkunft und Verpflegung einbehalten.315 306 307 308 309 310 311 312 313 314 315
Siehe Kap. 7.6. Siehe Kap. 7.8. Siehe Kap. 7.4. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 134. Eine differenzierte Darstellung bieten Hornung/ Langthaler/ Schweitzer, Landwirtschaft (2004): 222–242. Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 292. Siehe Kap. 7.2 und 7.3. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 185. Vgl. auch Herbert, Fremdarbeiter (1986): 287; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 161. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 162. Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 274.
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Abbildung 10: Überweisungsquittungen, 1943/1944
Viele Möglichkeiten, das erworbene Geld auszugeben, gab es aufgrund der Rationierung ohnehin nicht. Wurde das Geld gespart, so konnte man es theoretisch nach Frankreich überweisen.316 Dies bedeutete aber in der Praxis einen starken Kaufkraftverlust, da die Inflation in Frankreich wesentlich höher war als in Deutschland, wo der Kurs der Reichsmark künstlich niedrig gehalten wurde.317 Da die meisten Zivilarbeiter im Wesentlichen gleich hohe Löhne erhielten wie die Deutschen, verfügten sie über durchaus ansehnliche Reichsmarkbeträge. Einen Teil davon konnten sie zur Unterstützung ihrer Angehörigen nach Hause überweisen, wobei für die meisten Gruppen ein
monatlicher Höchstbetrag festgelegt war, um nicht auf dem Schwarzmarkt verdientes Geld
ins Ausland abfließen zu lassen. Den Rest konnten sie ausgeben wie Deutsche, wenn auch 316 Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 167f. 317 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 162f.
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Zwangsarbeit in Österreich mit gewissen Einschränkungen. Ohne über ‚harte‘ empirische Belege zu verfügen, wird man
annehmen dürfen, dass ein Großteil des Geldes für den Erwerb zusätzlicher Nahrungsmittel, Kleider und Schuhe ausgegeben wurde. Es gab immer noch bezugsscheinfreie Lebensmittel und vor allem die Möglichkeit, in Gaststätten zu essen.318
Jean-Marie Delort spricht über sein Gehalt: Combien on gagnait? Je ne m’en préoccupais pas; ce qui comptait avant tout c’était de survivre et de manger. Ce que je gagnais me permettait d’acheter au marché noir de faux tickets d’alimentation vendus par des grecs qui allaient les chercher à Vienne (Autriche) à soixante kilomètres de St-Pölten où je me trouvais.319
Pierre Bohin nimmt die Möglichkeit der Überweisung wahr, um seinen Eltern das Geld zurückzugeben, das sie ihm bei seiner Abfahrt zugesteckt hatten: „Depuis l’Autriche, il nous était possible d’envoyer de l’argent en France. Après quelques mois de travail, j’ai adressé à mes parents un virement de valeur équivalent, considérant que c’était un prêt qu’ils m’avaient accordé“.320 Ignace Salvo beschloss, nach dreimaligem Anlauf keine Überweisungen mehr vorzunehmen, weil das Geld offensichtlich nicht ankam.321 Bei der Rückkehr in die Heimat konnte man das angesparte Geld auch nicht unbedingt verwerten, da ausländisches Geld oft bei der Einreise gegen Quittung abgegeben werden musste.322
5.3.4 Freizeit Wenn auch der Großteil ihres Aufenthalts aus Arbeit bestand, hatten in der Regel doch auch ausländische Arbeiter Freizeit.323 Soweit sie dazu nach der Arbeit noch in der Lage waren, hatten französische Zwangsarbeiter auch Bewegungsfreiheit.324 Jacques Evrard 318 319 320 321 322 323 324
Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 197. Zit. nach Daures, Nos vingt ans volés (1993): 127. Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 37f. Siehe Kap. 7.6. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 163f. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 197. Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 285. Tatsächlich konnten Zwangsarbeiter, die besonders anstrengende Tätigkeiten verrichten mussten, es bevorzugen, zusätzlichen Schlaf zu genießen. Que-
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meint, im Allgemeinen habe man sich innerhalb seines Kreises uneingeschränkt bewegen dürfen. Davon habe es aber Ausnahmen gegeben, oder aber man habe einen Fremdenpass oder eine Bescheinigung des Lagerführers benötigt.325 Schließlich gibt es auch Beispiele dafür, dass sich die Bestimmungen mit der Kriegsentwicklung veränderten. In einem Fall gibt ein Zeitzeuge an, seit dem Zeitpunkt der Landung der Alliierten in der Normandie habe es im Lager eine Ausgangssperre gegeben.326 Ausflüge wurden meist in kleinen Gruppen gemacht und führten oft in die unmittelbare Umgebung (Rax, Schneeberg), manchmal aber auch weiter (Wien, Salzkammergut).327 Sprachprobleme einerseits, die Haltung einer im Kriegszustand befindlichen Bevölkerung andererseits reduzierten aber die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.328 Die Freizeit konnte auch dazu genützt werden, um Freunde oder sogar Verwandte in anderen Lagern zu besuchen. Jacques Seignole besuchte seinen Bruder, der in der Fa. C.P. Goertz (optische Geräte) in der Gudrunstraße tätig war.329 Auch Charles Joyon hatte dort Freunde: J’avais, dans le 10e arrondissement, dans le haut de la Goudrumstrasse [sic!], de bons camarades de mon village. J’allais fréquemment les voir. Deux d’entre eux travaillaient dans une
usine de verres et d’appareils optiques […]. Je passais souvent dans leur camp et, ensemble, nous allions tout auprès de l’Arsenal, dans le même arrondissement, rendre visite à d’autres copains qui, eux, étaient employés à la Wagonfabrik.330
325
326 327 328 329 330
reillahc meint zu seinem zweiten Wien-Besuch: „C’est la seconde fois que je viens à Vienne… nos journées de repos sont plutôt rares et puis, je suis si fatigué que je préfère dormir dans mon châlit des heures entières. D’autres camarades, plus favorisés que moi sur le chapitre travail, excursionnent quelquefois dans la toute la contrée.“ (Quereillahc, Mémoires [1998]: 88). Vgl. Evrard, Déportation (1972): 309. Der Besitz eines Fremdenpasses wurde unter den befragten Zeitzeugen bei Jacques Seignole und Gilbert Tourenne festgestellt. Seignole verließ Deutschland auf legale Weise. Im Falle Tourennes konnte nicht geklärt werden, wie er in den Besitz eines solchen Passes kam. Siehe Kap. 7.2. Vgl. Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 36. Vgl. Homze, Foreign Labor (1967): 285. Interview Jacques Seignole, 18. 7. 2002. Joyon, Jeunesse (1957): 92.
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Neben individueller Freizeitgestaltung wurde aber auch die Gründung von Gesellschaften gefördert, die eine Annäherung von Franzosen und Deutschen verfolgten. Eine Bewertung dieser Aktivitäten fällt quantitativ und qualitativ schwer. Die angegebenen Beispiele sollten keineswegs als repräsentativ angesehen werden, sondern allenfalls Aufschluss über in manchen Fällen mögliche Freizeitgestaltung geben. Jacques Bertrand schreibt aus Wien seiner Verlobten, dass er am 16. Mai von der Amicale de Vienne vorgeladen wurde, um eine Fußballmannschaft zusammenzustellen, die gegen tschechische Zwangsarbeiter aus Berlin spielen sollte.331 Michel Caignard gehört einem im Lager gegründeten Chor an. Gemeinsam mit neun anderen S.T.O. vertritt er Frankreich bei einem am 11. Mai 1944 vom „Deutsch-Ausländischen Studentenklub Wien“ organisierten Gesangswettbewerb im Wiener Konzerthaus.332 Erwähnenswert sind auch die Aktivitäten der Amicale des Travailleurs, in deren Rahmen eine Art deutsch-französischer Freundschaftsklub gegründet worden war. Charles Joyon, der für eine Widerstandsorganisation pro-deutsche Aktivitäten ausspüren sollte, hielt sich in diesen Kreisen auf und fällt ein uneingeschränkt negatives Urteil: L’Amicale était le Foyer de la Collaboration. C’était là que s’embusquaient les petits protégés de la K.D.F. [Kraft durch Freude] et de la délégation française auprès de la Deutcharbeitfront [sic!]. La K.D.F. […] prétendait organiser les loisirs des étrangers résidant outre-Rhin. Elle
n’était en réalité qu’une vaste entreprise de débauche et d’immoralité et ne tendait qu’à développer les instincts sournois et primitifs des hommes soumis à son autorité. L’Amicale possédait une salle de spectacle située dans le centre de Vienne. C’était un caveau d’aspect sym-
pathique où toutes les semaines, samedi et dimanche, se donnaient des spectacles de théâtre
ou de variétés. La salle n’était pas très grande, aussi il était difficile d’y trouver place. Pendant longtemps, les volontaires y furent les grands maîtres et l’organisation de l’Amicale leur appartenait.333
Auch für das Lager Wasserfallboden wird von Konzerten, Klavierabenden und Chören sowie von einer recht gut ausgestatteten Bibliothek berichtet.334 331 332 333 334
Vgl. Vittori, Eux, les STO (1982): 151f. Vgl. Caignard, Les Sacrifiés (1985): 74. Joyon, Jeunesse (1957): 80. Aventurier, Gérard/Cellier, Albert. Des S.T.O. de la Loire dans la tourmente. Supplément à Village de Forez, n° 73–74(1998): 55.
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5.3.5 Widerstand Die Frage, welche Verhaltensweisen als „Widerstand“ bezeichnet werden können, erfordert eine Differenzierung des Begriffs. Nicht nur die Tat ist dabei von Bedeutung, sondern auch das Motiv. Die beiden am weitesten verbreiteten Delikte, „Bummelantentum“ und Flucht, wurden nicht nur als Arbeitsvertragsbruch, sondern auch als Angriff auf die innere Sicherheit gewertet. Nicht selten aber wurde Widerstand weniger aus politischer Überzeugung als vielmehr als Reaktion auf Arbeits- oder Lebensbedingungen, die als unfair empfunden wurden, geleistet.335 Der Handlungsspielraum des Einzelnen war je nach Art und Weise der Arbeit und des Einsatzortes unterschiedlich groß: In einem Industriebetrieb war es unter Aufsicht des Werkschutzes wohl schwieriger, die Produktion zu beeinträchtigen, als in Bereichen, in denen der Zwangsarbeiter über mehr Freiraum verfügte, wie dies bei Xavier Charpin der Fall war.336 In der Nacht gab es weniger Kontrollen: Jacques Seignole erwähnt, dass in seinem Betrieb, der zwei- bis dreihundert Beschäftigte hatte, in der Nacht nur etwa 15 Personen arbeiteten.337 Aber, ob bei Tag oder Nacht, wesentlich war, die kausale Kette nach Möglichkeit zu sprengen, um den Verdacht abzulenken. Wurde erst nach langer Zeit festgestellt, dass ein Produkt fehlerhaft gefertigt war, so konnte oft nicht mehr zurückverfolgt werden, wer daran Schuld trug. Arbeiter, die einschlägige Erfahrungen hatten, konnten mit geringerem Risiko die Produktion sabotieren, sodass der Fehler der Kontrolle entging und es im Nachhinein schwierig war, dessen Verursacher festzustellen.338 Jacques Seignole berichtet von einem Freund, der ihm nach dem Krieg erzählte: „Ce qu’ils n’ont jamais contrôlé, c’est que l’épaisseur derrière, je la diminuais de moitié […]. L’obus a eu neuf chances sur dix d’éclater du mauvais côté…“339 Durand meint, die meisten französischen Zwangsarbeiter hätten passiven Widerstand geleistet.340 Darunter fällt auch die besonders langsame Ausführung der aufgetragenen Arbeit. Grandmesnil meint:
335 336 337 338 339 340
Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 170f. Siehe Kap. 7.7. Siehe Kap. 7.4. Vgl. zum Beispiel Caignard, Les sacrifiés (1985): 54–59. Interview Jacques Seignole, 18. 7. 2002. Vgl. Durand, Vichy und der Reichseinsatz (1991): 193.
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Zwangsarbeit in Österreich Notons toutefois ce que produisit systématiquement l’effet du retard apporté à la production par tous les étrangers et ils étaient des millions. Chaque Français a connu ce perpétuel ‚Langsam’ de l’effet des actes de sabotage, de la fabrication des faux tickets en toutes denrées (50.000
kilos de pain par semaine dans la région viennoise, par exemple) absorbant et affaiblissant les
stocks. Citons les postes clandestins de Slovaquie et d’ailleurs, les chaînes d’évasion remarquablement organisées à Vienne …341
Sabotage im engeren Sinn richtete sich gegen das System. Auch wenn das Motiv dafür nicht politisch sein musste, waren doch die Konsequenzen eindeutig und wurden folglich in Kauf genommen.342 Beispiele für kleinere, aber regelmäßige Sabotageakte gibt es genügend. Es handelt sich meist um die Beschädigung von Einzelteilen im Produktionsprozess oder um die bewusste Verzögerung der Arbeit. Xavier Charpin, der in Vorarlberg für die Reichspost arbeitete, berichtet zum Beispiel davon, Telefonleitungen falsch befestigt zu haben.343 Pierre Bohin sammelte Eisenfeilicht und beschädigte damit die Maschinenmotoren. Nach kurzer Zeit blockierte der Motor, die Maschinen standen still, und die Reparatur dauerte Tage. 344 Michel Caignard, der in der Wiener Lokomotivfabrik zunächst einfach nur Eisenstangen geschleppt hatte, ersetzte einen Ukrainer am Bolzenschneider. Indem er die Schraubbolzen einfach unregelmäßig in den Schubkarren fallen ließ, verzögerte er den Arbeitsprozess und musste manchmal von Neuem beginnen.345 Auch für offenen Widerstand findet man Beispiele: André Faye, der als Schweißer in der Wiener Lokomotivfabrik arbeitete, verweigerte die Arbeit. Zunächst versuchte der Betrieb, ihn umzustimmen, dann drohte man ihm. Nachdem ein Freund bei einem Bombenangriff verletzt wurde, besuchte er ihn ohne Erlaubnis im Spital. Am Morgen des 27. Oktober 1943 gehörte er gemeinsam mit anderen Arbeitern einer Gruppe von 30 Geiseln an, die zuerst im Betrieb eingesperrt wurden und dann zwei Monate lang ins Gefängnis kamen. Nach seiner Rückkehr verweigerte er sich erneut: Es folgten weitere zwei Wochen Gefängnis, von denen er krank zurückkam.346 341 342 343 344 345 346
Grandmesnil, Action catholique (1947): 63. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 171. Interview Xavier Charpin, 23. 7. 2002. Vgl. Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 27. Vgl. Caignard, Les sacrifiés (1985): 54. Vgl. Vittori, Eux, les STO (1982): 187.
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Caignard berichtet von einem Streik der Franzosen, um gegen die schlechte Verpflegung zu protestieren. Um Punkt 15 Uhr wurden die Maschinen abgeschaltet: etwa 200 S.T.O. versammelten sich im Hof der Fabrik, um mittels Dolmetscher bessere Verpflegung zu fordern. „Nous étions là depuis dix minutes, lorsqu’un détachement de S.S. fit irruption, se rua sur nous en hurlant et se mit à matraquer dans le tas avec la crosse des fusils. Après cette avalanche de coups, cette schlague appliquée à tort et à travers, nombreux durent être hospitalisés.“347 Auch Evrard berichtet von einem Protest der Arbeiter in der Lokomotivfabrik am 16. Juli 1943.348 In St. Pölten dürfte Ende November 1943 ein Streik abgehalten worden sein. Die ausländischen Bahnarbeiter protestierten gegen die abnehmenden Essensrationen. Sie erreichten Besserung. Als sich der Vorfall wiederholte, wurde der Dolmetscher beauftragt, die Zubereitung während zweier Wochen zu überwachen: Zwei Angestellte hatten Zucker unterschlagen.349 Erwähnt sei auch, dass zehn französische Zwangsarbeiter im August 1944 in Wien verurteilt wurden, vier davon zum Tode.350 Bewusster politischer Widerstand wurde nur von einem sehr kleinen Teil der französischen Zwangsarbeiter geleistet.351 Über die Mitgliedschaft von ausländischen Zivilarbeitern in Widerstandsorganisationen ist mit Ausnahme der Ostarbeiter sehr wenig bekannt.352 Der vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes herausgegebene dritte Band zu Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945 enthält einige Dokumente über französische Widerstandsgruppen, die auch Fremdarbeiter involvieren. Als Begründung der Verhaftungen durch die Gestapo werden kommunistische Betätigung, geplante Terror- und Sabotageakte, deutschfeindliche Propaganda und versuchte Ausreise mit gefälschten Papieren genannt.353 Über Umfang, Auswirkung und unterschiedliche Formen des Widerstandes lassen diese wenigen Dokumente aber keinen Schluss zu. 347 348 349 350
Caignard, Les Sacrifiés (1985): 69. Vgl. Evrard, Déportation (1972): 336. Vgl. Evrard, Déportation (1972): 336. Vgl. Fédération Nationale des Victimes et Rescapés des Camps Nazis du Travail Forcé (F.N.V.R.C.N.T.F.). Le Livre blanc de la déportation du travail. Le DT, Sondernummer 263 (1987): 23; Arnaud, Patrice: „Les logiques d’opposition des travailleurs civils français en Allemagne pendant la seconde guerre mondiale : une résistance civile ?“ In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.): La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003), 153. 351 Vgl. Arnaud, Logiques d’opposition (2003): 148ff. 352 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 172. 353 Vgl. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW ): Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945. Bd. 3. Wien: Österreichischer Bundesverlag (19842): 375f.
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Charles Joyon, der bereits in Frankreich dem Widerstand („Libération Sud“) angehört hatte, nahm in Wien Kontakt mit einer Widerstandsgruppe auf, die aber unmittelbar darauf aufflog. Einige Monate später beschloss er, eine eigene Gruppe zu gründen, der sich einige transformierte Kriegsgefangene anschlossen. „Quelques autrichiens étaient dans l’affaire et c’est par leur intermédiaire que nous adhérâmes tous à ‚Libre Autriche‘.“354 In einer Wohnung in der Nähe des Praters wurde die Arbeit vorbereitet: Ziel der Bemühungen war Propaganda, Rekrutierung und schließlich der Aufbau einer kleinen Widerstandsgruppe in jedem Lager.355 Daures’ Erinnerungssammlung enthält einen Bericht über eine Gruppe französischer und griechischer Zwangsarbeiter, die in einer Wiener Wohnung untergebracht waren. In einem versiegelten Raum, in dem die Möbel der Vorbewohner, einer vertriebenen jüdischen Familie, aufbewahrt wurden, konnten sie Nahrungsmittel, Radiogeräte und auch Waffen verstecken. Außerdem wurden in den letzten Kriegsmonaten auch einige geflüchtete französische Zwangsarbeiter darin untergebracht.356 Maurice Chabant, après un séjour au camp disciplinaire d’Oberlauzendorf [sic!], en banlieue
de Vienne, pour refus de travail et rébellion à l’usine de la Reichsbahn de Florisdorf [sic!], avait été envoyé, selon sa spécialité, dans une imprimerie de Vienne. Les étrangers de cette entreprise, trois ou quatre Français et autant de Grecs, étaient logés dans un appartement situé
Herminegasse, n° 21, qui était auparavant habité par une famille juive disparue. Les meubles de cette famille avaient été regroupés, sous scellés, dans une des pièces.
C’est là, les sceaux délicatement décollés, qu’était ‚planqué‘ du ravitaillement pris dans les gares de triage proches, ainsi que quelques armes et casques de tankistes dont les doublures étaient
bien utiles aux prisonniers russes travaillant dans le froid sur les voies. Il y avait aussi des
postes de radio apportés par des Autrichiens, parmi lesquels une dame, Directrice des Ballets de l’Opéra de Vienne paraît-il, pour que l’un des Français, radio de formation, rétablisse les ondes courtes, supprimées par mesure de police dans les années 38/39, lors de l’annexion de l’Autriche au grand Reich allemand. Au passage cela nous permettait d’avoir les informations
anglaises, la nuit en particulier. Il est vrai que même avant cet épisode nous avions de petits postes à galène avec écouteurs qui se trouvaient, sous le manteau, assez facilement.
354 Joyon, Jeunesse (1957): 79. 355 Vgl. Joyon, Jeunesse (1957): 74f., 95 ; Vittori, Eux, les STO (1982): 188f. 356 Vgl. Daures, Nos vingt ans volés (1993): 196f.
Arbeitsbedingungen
89
Cet appartement et plus particulièrement la pièce sous scellés, servit d’abri à des S.T.O. évadés de leur camp ; ils vécurent là les trois ou quatre derniers mois de la guerre. Mon camarade
Soula y vécut deux mois ; il avait été porté ‚disparu‘ après le bombardement de la Préfecture de police où il était censé se trouver pour faire renouveler ses ‚papiers d’identité’. Il avait en
effet déclaré les avoir perdus lors d’un précédent bombardement de la gare de banlieue où il
lavait les wagons. Cette cachette, on s’en doute, n’était pas sans danger pour tous les habitants de l’appartement.
Ainsi, un jour, la police vint effectuer un contrôle d’identité au petit matin. Heureusement les scellés avaient été remis à temps grâce à la présence d’esprit de Chabant. Cela donna toute
confiance à nous indésirables visiteurs. S’ils avaient vu ce qu’il y avait derrière la porte !… Il est
vrai qu’avec Soula, qui s’y trouvait, ils n’auraient peut-être pas eu le temps de voir grand chose ; Soula était capable de se servir des armes disponibles… une folie sans doute, mais avec lui il fallait s’attendre à tout.
[…] En ce qui concerne les armes de la ‚planque‘, je ne sais pas précisément ce qu’il en est advenu à la fin ; peut-être ont-elles été vendues pour assurer la subsistance des S.T.O. qui résidaient dans la pièce sous scellés. De plus, les Russes ayant rapidement occupé le quartier lors de leur entrée dans Vienne, mes camarades n’eurent pas à s’en servir…357
Ein besonderer Sabotageakt ist schließlich auch jener Xavier Charpins, den er selbst „le premier vrai faux sabotage d’Autriche“ (der erste echte vorgetäuschte Sabotageakt Österreichs) nennt. Gemeinsam mit Freunden täuscht er einen Anschlag auf die Reichsbahn vor und erreicht damit den Stillstand des gesamten Bahnnetzes von Vorarlberg.358 Angesichts der Allgegenwart des Repressionsapparates kann vermutet werden, dass bewusste Sabotage aber die Ausnahme darstellte und in der Erinnerung daher auch übersteigert haften blieb: „Le phénomène a sans doute été grossi dans la mémoire collective des requis du travail pour lui faire jouer un rôle de compensation.“359
357 Daures, Nos vingt ans volés (1993): 196f. 358 Siehe Kap. 7.7. 359 Arnaud, Logiques d’opposition (2003): 159. Vgl. auch Bories-Sawala, Vie quotidienne (2003): 138ff.
90
Zwangsarbeit in Österreich
5.3.6 Heimkehr und Flucht Der Gedanke an Rückkehr war allgegenwärtig: Wie konnte man sie herbeiführen? Die Urlaubsansprüche der ausländischen Zivilarbeiter wurden in einer Verordnung von August 1941 geregelt, der zufolge die in Industrie, Handwerk und Bergbau tätigen Ausländer nach einem Jahr (Verheiratete nach sechs Monaten) etwa zwei Wochen Heimaturlaub nehmen konnten. In diesem Urlaub sahen viele die Möglichkeit, in ihrer Heimat unterzutauchen.360 Als Reaktion darauf wurden ab Mitte Oktober 1943 Urlaubssperren immer häufiger. Neue Druckmittel wurden eingeführt: Kam ein Arbeiter nicht aus dem Urlaub zurück, durften andere als Folge den ihren nicht antreten; in der gleichen Logik konnte als Bedingung für den Antritt eines Heimaturlaubs die Nennung eines Bürgen verlangt werden, der bei Nichtrückkehr seinen eigenen Anspruch verlieren würde.361 Ab März 1944 verfügte Sauckel schließlich eine allgemeine Urlaubssperre für Arbeiter aus den nichtverbündeten Staaten.362 Eine weitverbreitete Praxis zur Erlangung von Sonderurlaub war die Aufgabe von Telegrammen über schwere Erkrankungen oder Todesfälle der Familienangehörigen.363 Jacques Seignole erreichte dadurch einen einwöchigen Heimaturlaub, für ihn der erste Schritt auf dem Weg zur „legalen“ Rückkehr. Er kehrte mit einem falschen Attest nach Österreich zurück und erwirkte binnen weniger Wochen seine definitive Rückkehr nach Frankreich.364 Auch Francis Jeanno ließ sich ein falsches Attest ausstellen und reichte es ein – sein Versuch blieb allerdings erfolglos.365 Xavier Charpin, der bereits verheiratet war, erhielt tatsächlich nach sechs Monaten Heimaturlaub. Schwierigkeiten, einen Bürgen zu finden, hatte er nicht. Er meint, die Junggesellen seien sich bewusst gewesen, dass der Urlaub ohnehin bald abgeschafft würde und sie nicht darauf hoffen konnten.366
360 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 295. 361 Die Idee einer Bürgschaft wurde vom Vichy-Regime vorgeschlagen und von den deutschen Behörden angenommen (vgl. Bories-Sawala, Vie quotidienne [2003]: 142). 362 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 166f.; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 170f. 363 Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 173. 364 Siehe Kap. 7.4. 365 Siehe Kap. 7.8. 366 Interview Xavier Charpin, 23. 7. 2002.
Arbeitsbedingungen
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Abbildung 11: Rückkehrschein, November 1943
92
Zwangsarbeit in Österreich
Jacques Bertrand versucht ab dem Zeitpunkt seiner Ankunft in Wien, nach Frankreich zurückzukehren. Da er nicht verheiratet ist, rechnet er nicht mit einer Urlaubsgenehmigung: „Quelques jours après, il envisage sérieusement de tenter le ‚coup‘ du certificat médical“.367 Er erhält einen Brief seiner Vaters mit einem ärztlichen Attest. Aber es gibt viele ärztliche Atteste, und der Versuch schlägt fehl. Einige Wochen später versucht er es wieder, diesmal mit einer Bestätigung, dass seine Mutter im Sterben liege. Und es gelingt: Er kehrt nie wieder aus Frankreich zurück.368 Als letzter Ausweg bot sich die Flucht. Die Zahlen geben keinen Aufschluss darüber, ob Franzosen österreichweit mehr als andere Nationalitäten das Risiko der Flucht auf sich nahmen. In den von Freund/Perz für den Gau Niederdonau zusammengestellten Zahlen bilden die Franzosen allerdings im Zeitraum Jänner bis Mai 1944 mit 21,07 Prozent aller Geflüchteten einen überproportional hohen Anteil.369 Die Erinnerungsliteratur bietet Einblicke in bestehende Fluchtketten. In Linz gründete Robert Bayon ein Netzwerk, das zwischen Mai und September 1943 60 Kriegsgefangenen zur Flucht verhalf. Als es aufflog, wurden 19 Männer am 20. November 1944 verurteilt. En avril 1943, plusieurs P.G. français sont venus demander l’aide de l’accusé Mercier pour favoriser leur évasion. Celui-ci s’est concerté avec Bayon des possibilités et ce dernier se souvint
en mai 1943, que des wagons de marchandises détériorées devaient partir de Linz en direction de la France pour réparation et décida de les utiliser pour l’évasion des PG. C’est ainsi qu’en mai
1943, à deux reprises, quatre et cinq PG ont été mis en route. Le premier groupe a été conduit par Mercier lui-même à la gare de triage où il les introduisait dans un wagon en direction de la France. La deuxième fois Mercier et Bayon travaillèrent ensemble. C’est Bayon qui accompagna
les PG au train. En juin 1942 Bayon partit trois semaines en permission en France à Chatou. Là-bas, il entra en contact, par l’intermédiaire de l’avocat Oudin, avec l’organisation ‚France d’abord‘. Cette organisation travaillait en commun avec certains employés de la Croix-Rouge
dans l’illégalité, afin d’aider les PG français à s’évader d’Allemagne. A leur arrivée en France, les
évadés étaient pourvus de faux papiers de travailleurs agricoles et pour certains, acheminés par
l’Espagne vers l’Afrique du Nord. A son retour Bayon prit toutes les dispositions pour aider les
évasions; d’après ses propres déclarations, il aida quarante-sept PG soit par un, soit par groupes, à s’évader par le moyen des wagons partant à la réparation en France.370 367 368 369 370
Vittori, Eux, les STO (1982): 170. Vgl. Vittori, Eux, les STO (1982): 170. Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 107. Vittori, Eux, les STO (1982): 190.
149
274
163
33
Feb.44
Mär.44
Apr.44
Mai 44
1
2
14
4
139
F
34
165
288
153
220
Z
57
32
111
101
130
M
0
0
16
0
33
F
Kroatien
57
32
127
101
163
Z
162
148
* Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 107.
Abbildung 12: Herkunft geflüchteter AusländerInnen im Gau Niederdonau
37
29
79
45
42
F 56
Z
199
177
357
139
Ostarbeiter
278
94
14
M
Der Arbeitseinsatz im Gau Niederdonau, Nr. 6 vom 23. 6. 1944, S. 3.
81
M
Frankreich
Jän.44
M = Männer F = Frauen Z = Zusammen
59
43
74
80
37
M
8
7
21
14
8
F
67
50
95
94
45
Z
Generalgouvernement
101
90
135
170
102
M
4
8
5
2
6
F
sonstige
105
98
140
172
108
Z
Staatsangehörigkeit oder Herkunft der geflüchteten AusländerInnen im Gau Niederdonau *
196
119
117
143
196
M
2
4
20
10
32
F
Z
198
123
137
153
228
Protektoratsangehörige
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Zwangsarbeit in Österreich
Daures schreibt dazu: De nombreux autres Requis, comme Henri Martin, ont aidé des Prisonniers de guerre français
dans leurs tentatives d’évasion et l’ont payé de leur vie ou de la prison. Je pense aux dix-neuf
travailleurs de Linz accusés d’avoir aidé une soixantaine de Prisonniers de guerre à s’évader. Quatre seront condamnés à mort, le 21 Novembre 1944 et les autres à des peines de travaux forcés. 371
5.3.7 Repression Herbert bezeichnet den sogenannten „Arbeitsvertragsbruch“ „geradezu als Strukturmerkmal der Beschäftigung von Ausländern in der deutschen Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkrieges“.372 Darunter fielen zum Beispiel die „pflichtwidrige Arbeitsverweigerung durch unbegründete Nichtaufnahme der Arbeit, durch unbegründetes Fehlen und durch pflichtwidriges Zurückhalten mit der Arbeit“.373 Ende 1942 legte Hitler in einem Erlass fest: „Es ist notwendig, die Anzahl der Arbeitserziehungslager zu schaffen, die für eine wirksame Bekämpfung des Arbeitsvertragsbruches ausländischer Arbeitskräfte unerlässlich ist. Es soll nicht deshalb mit unwirksamen leichteren Mitteln eingeschritten werden, weil Arbeitserziehungslager fehlen.“374 Die Zahlen der Verhaftungen wegen „Flucht“ oder „Bummelei“ müssen aber auch so interpretiert werden, dass sie der Gestapo dazu dienten, die Gefährlichkeit der Ausländer zu beweisen. Direkte Rückschlüsse auf den Oppositions- oder Widerstandsgeist sind daher schwierig.375 Für disziplinarische Maßnahmen gegenüber ausländischen Zivilarbeitern war zunächst der Betrieb zuständig. Zunächst sprach das Unternehmen eine Verwarnung aus, gegebenenfalls mit Lohnabzug
gekoppelt, und veranlasste im Wiederholungsfall eine Verwarnung durch das Arbeitsamt, dann eine weitere durch die Kriminalpolizei. Bei gravierenden Fällen leitete das Arbeitsamt
den Fall an die zuständige Stapostelle weiter, die ohne Einschaltung der Justiz eine maxi371 372 373 374 375
Daures, Nos vingt ans volés (1993): 202. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 112. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 158. Zit. nach Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 157f. Vgl. Herbert, Fremdarbeiter (1986): 113.
Arbeitsbedingungen
95
mal dreiwöchige Polizeihaft verhängen konnte. Erst dann erstattete das Arbeitsamt über den Reichstreuhänder der Arbeit Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft, die bald völlig überlastet war.376
Seit April 1942 waren die Einsatzträger berechtigt, bei „Arbeitsbummelei“ Zulage- oder Zusatzkarten zu entziehen, was aber von vielen Betrieben angesichts der ohnehin knappen Lebensmittelrationen vermieden wurde. Während für Ostarbeiter die alltägliche Strafe mit körperlicher Züchtigung gleichzusetzen war, war es eher eine Ausnahme, dass Westarbeiter oder westliche Kriegsgefangene geschlagen wurden.377 Eine Verwarnung konnte auch in der Einbehaltung eines Teils des Gehalts bestehen, wie folgender Text zeigt, der Eugène Lemarchand von der Firma Schoeller-Bleckmann in Ternitz auf Französisch übergeben wurde: 26. 1. 1944. Vous avez commis une faute grave sur la loi requis civil. Comme sanctions, nous vous punissons par une retenue sur votre salaire. En cas de réticence, nous vous mettrons à la disposition de la police d’Etat.378
Im Vergleich zu betrieblichen Strafen waren staatliche Repressalien ungleich ernster. Ein Rundschreiben des Reichsstatthalters in Niederdonau von 1943 hielt den Umgang der Kreispolizeibehörden mit Ausländern fest. Die Kreispolizeibehörden wurden im Namen der Staatspolizei-Leitstelle Wien ermächtigt, ‚deutsche‘ ArbeiterInnen bei ‚Arbeitsuntreue‘ mit bis zu acht Tagen, polnische Zivilarbei-
terInnen aber mit bis zu 21 Tagen ‚Erziehungshaft‘ zu bestrafen. Gemeint war dabei die Haft in ‚Arbeitserziehungslagern‘. ‚Bei Angehörigen germanischer Völker (Flamen, Dä-
nen, Norweger, Holländer, neuerdings auch Finnen und Wallonen)‘ sollte ‚bei leichteren Verfehlungen‘ lediglich eine entsprechende Belehrung erfolgen. ‚Das gleiche gilt für die
Angehörigen von Völkern, mit denen das Großdeutsche Reich verbündet ist oder mit de-
nen aufgrund ihrer kulturellen und gesamteuropäischen Bedeutung besondere Bindungen bestehen. Hierunter fallen die Slowaken, Kroaten, Rumänen, Bulgaren, Ungarn, Spanier und Franzosen.‘379 376 377 378 379
Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 173; vgl. auch Herbert, Fremdarbeiter (1986): 116. Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 174ff. Zit. nach Evrard, Déportation (1972): 271. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 105.
96
Zwangsarbeit in Österreich
In der Hierarchie der Strafmaßnahmen stand die Einweisung in ein Arbeitserziehungslager380 an der Spitze. Die Einweisung erfolgte grundsätzlich befristet, meist für drei, sechs oder acht Wochen. Die
den AEL-Häftlingen aufgebürdete Arbeit war in der Regel ausgesprochen hart. Nach der Haft kamen die Delinquenten ausgemergelt, erschöpft, oft physisch und psychisch zerstört
in denselben Betrieb zurück, von dem aus sie eingewiesen worden waren. Nicht nur war ihr
Widerstandswille gebrochen, vielmehr wirkten sie auch abschreckend und disziplinierend auf die übrige Belegschaft, Deutsche wie Ausländer.381
Zur Geschichte der Arbeitserziehungslager (A.E.L.) in Österreich liegt noch keine Gesamtdarstellung vor, es fehlen daher auch Zahlen über Einweisungen.382 Lotfi nennt für die „Ostmark“ insgesamt acht A.E.L. (Oberlanzendorf, Moosbierbaum [NÖ], St. Dionys, Niklasdorf [Stmk.], Schörgenhub [OÖ], Frauenberg [Stmk.], Kraut [Kärnten] und Innsbruck-Reichenau) und zwei betriebliche Erziehungs- oder kommunale Auffanglager (St. Valentin und Siebenhirten).383 Für die in den Gauen Wien und Niederdonau arbei380 Siehe dazu Lotfi, Gabriele: KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich. Stuttgart/München: Deutsche Verlags-Anstalt (2000). 381 Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 114f. 382 Vgl. Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 216. Für Einzelstudien vgl. Albrich, Thomas. „Ein KZ der Gestapo: Das Arbeitserziehungslager Reichenau bei Innsbruck“. In: Eisterer, Klaus (Hg.): Tirol zwischen Diktatur und Demokratie (1930–1950). Beiträge für Rolf Steininger zum 60. Geburtstag. Innsbruck/Wien u. a.: Studienverlag (2002): 77–114. Arnberger, Heinz: „Das Arbeitserziehungslager Oberlanzendorf“. In: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (Hg.). Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934–1945. 2 Bde. Wien: Österreichischer Bundesverlag/Jugend und Volk (1987): 573–586. Laher, Ludwig: „Das Arbeitserziehungs- und Zigeuner anhaltelager Weyer-St. Pantaleon des Reichsgaues Oberdonau (1940–1942). In: Oberösterreichische Heimatblätter 37 (1983) 69–73. Prinz, Josef: „Erziehung durch Arbeit – Arbeit durch Erziehung? Ein Beitrag zur Geschichte des Arbeitserziehungslagers Oberlanzendorf bei Wien 1940–1945“. In: Rosner, Willibald/Motz-Linhart, Reinelde (Hg.): Forschungen zur NS-Zeit in Niederösterreich 1938–1945. St. Pölten: Selbstverl. des NÖ Inst. für Landeskunde (2007): 185. Rafetseder, Hermann. „Das „KZ der Linzer Gestapo“. Neue Quellen im Rahmen des Österreichischen Versöhnungsfonds zum „Arbeitserziehungslager Schörgenhub“. In: Schuster, Walter et al. (Hg.): Stadtarchiv und Stadtgeschichte. Forschungen und Innovationen. Festschrift für Fritz Mayrhofer zur Vollendung seines 60. Lebensjahres. (Historisches Jahrbuch des Stadt Linz 2003/04). Linz: Archiv der Stadt Linz (2004): 523–539. 383 Vgl. Lotfi, Arbeitserziehungslager (2000): 441. In den Listen des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes werden für Österreich die Lager Oberlanzendorf, Innsbruck-Reichenau und
Arbeitsbedingungen
97
tenden Zwangsarbeiter dürfte vor allem das A.E.L. Oberlanzendorf nördlich von Wien eine bedeutende Rolle gespielt haben. Im März 1940 eröffnete die Polizei dort in einem ehemaligen Behindertenheim in Oberlanzendorf ein „Erziehungslager“, in das eine aus Angehörigen der Wiener Stadtverwaltung und der NSDAP bestehende „Asozialen-Kommission“ Einweisungen verfügen konnte. Erst Mitte 1942 übernahm die Wiener Gestapo das Lager in eigener Verantwortung. In Oberlanzendorf waren überwiegend ausländische Zwangsarbeiter inhaftiert.384 Evrard gibt einen Bericht von Robert Malus wieder, der eine Bestrafung in Oberlanzendorf miterlebt hat: Un chef d’équipe s’assied au pied d’un arbre, serrant entre ses jambes la tête du fautif et lui
maintenant les bras. Celui-ci est à quatre pattes, le dos découvert. Si le S.S. se fatigue ou faiblit
avant les vingt-cinq coups, on le remplace. Le puni pousse des cris semblables à ceux d’un
lapin qu’on assomme. Il souffre pendant plusieurs jours et, ne pouvant se coucher ou s’asseoir, n’arrive pas à se reposer.385
Charles Joyon war zwar nicht selbst in Oberlanzendorf, behauptet aber, mehrere seiner Freunde seien dort gewesen: Il existait un camp disciplinaire dans la région de Vienne. Il se dressait auprès d’un petit village nommé Landzendorf [sic!]. Les internés étaient menés à la trique et les coups y pleuvaient de tous côtés. La discipline était assurée par les S.S., presque tous étrangers […] Le réveil était
sonné à 4 h du matin et les prisonniers partaient travailler à l’extérieur toute la journée pour ne rentrer que le soir au camp. Il y avait, comme il se doit, des rassemblements interminables sous la neige par tous les temps. Les S.S. braillaient et frappaient brutalement. Le régime alimen-
taire était réduit à sa plus simple expression, tout juste pour ne pas laisser les hommes mourir. On couchait sur des planches, sans paillasses et même sans couvertures.386
Schörgenhub bei Linz als A.E.L. genannt (vgl. Weinmann, Lagersystem [2001]). Zu Zwangsarbeit in Linz vgl. John, Michael: „Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz“. In: Rathkolb, Oliver (Hg.): NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938–1945. Bd. 1. Wien/Köln/Weimar: Böhlau (2001): 23–146. 384 Vgl. Lotfi, Arbeitserziehungslager (2000): 80. 385 Zit. nach Evrard, Déportation (1972): 370. 386 Joyon, Jeunesse (1957): 77f.
98
Zwangsarbeit in Österreich
Er selbst war im Gefängnis „Kaiserin-Elisabeth-Promenade“387 eingesperrt, von wo aus seiner Auskunft nach zweimal pro Woche, Mittwoch und Samstag, Transporte nach Oberlanzendorf gingen.388 Vom Standpunkt der Betriebe aus waren die A.E.L. ein wirksames Mittel der Repression, das ohne juristische und bürokratische Hürden harte Strafen zuließ und so eine abschreckende Wirkung hatte.389 Dieser Effekt wird in der Erinnerungsliteratur bezeugt. Daures schreibt: La menace d’un séjour en A.E.L. était fréquemment brandie par les chefs, dans les usines
allemandes, et chacun savait ce que cela représentait. Nous avions tous vu, plus ou moins, des camarades qui en sortaient après six ou huit semaines d’internement, durée moyenne de détention en A.E.L. 390
Pierre Bohin erinnert sich: Dans les jours qui ont suivi, ils m’ont menacé à différentes reprises du camp de travail. Il faut
signaler que ces camps, bien que n’étant pas aussi durs que les camps de concentration, sont une épreuve terrible. Les hommes y travaillent plus de 15 heures par jour et la nourriture est
à peine suffisante pour ne pas mourir de faim. Un camarade y est allé pour avoir bousculé un Allemand. A son retour, trois mois plus tard, il avait perdu 15 kg et pourtant, il n’était pas énorme au départ.391
Die Drohung dürfte aber nicht überall gleich stark gewesen sein – Roger Lamothe, der auf einem Bauernhof im Weinviertel arbeitete, erfuhr davon erst nach seiner Rückkehr nach Frankreich.392 Häufige Erwähnung finden in den Erinnerungen auch allfällige Verhöre durch die Gestapo.393 Ein Mitglied der Jeunesse Ouvrière Chrétienne ( J.O.C.) wird am 26. April 387 Das Polizeigefangenenhaus in der Elisabeth-Promenade („Liesl“) – heute Rossauer Lände. 388 Vgl. Joyon, Jeunesse (1957): 140f. 389 Vgl. Lotfi, Arbeitserziehungslager (2000): 314; Herbert, Fremdarbeiter (1986): 119ff.; Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 179. 390 Daures, Nos vingt ans volés (1993): 206. 391 Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 54. 392 Interview Roger Lamothe, 14. 7. 2002. 393 Vgl. Joyon, Jeunesse (1957): 122–140; Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 52; Picard-Gilbertier, Danube Bleu (1993): 45. Siehe auch Kap. 7.6, 7.7 und 7.8.
Arbeitsbedingungen
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1944 verhaftet und von der Gestapo verhört. Er wird daraufhin für eine Dauer von einem Monat in die „Strafkompanie“ Hallein eingewiesen, von wo er später nach Dachau und schließlich Flossenbürg überstellt wird. Seine Beschreibung von Hallein: La ‚Strafkompanie’ (compagnie de punition) était une ‚succursale’, récemment créée, de l’ ‚Ar-
beitserziechungslager’ [sic!] d’Innsbruck. Elle était réservée aux travailleurs étrangers ayant commis des délits contre les lois de travail.
Le travail était l’extraction et le chargement des pierres de la carrière. Les détenus étaient en plusieurs équipes, commandés par une ‚capo’ choisi parmi eux pour ses qualités d’interprète en
général, mais qui, pour conserver sa place avantageuse et ses rations alimentaires supérieures, était obligé de frapper ses camarades.
La nourriture, composée de soupe, de légumes verts ou secs, et du pain … Le seul moyen punitif était les coups de cravache, de matraque, de crosse. Ils étaient distri
bués à toute occasion. Quand le rassemblement était mal fait, le travail insuffisant, on faisait, le soir, deux heures de marche à l’allemande ou bien du rampage dans la boue avec obliga-
tion de se présenter propre quelques minutes après. Comme beaucoup ne comprenaient pas l’allemand, il y avait du désordre et les coups pleuvaient. Dans ces conditions, le sentiment dominant était la terreur. Cependant, tout cela était diminué par l’espoir fou de voir que ça
allait finir. Tous savaient pour combien de temps ils étaient là: trois, quatre, cinq, jusqu’à douze semaines.394
Dass die Bestraften über die Dauer des Aufenthaltes in A.E.L. oder ähnlichen Anstalten Bescheid wussten, stellt einen wesentlichen Unterschied zu Konzentrationslagern dar.
5.3.8 Die „Reichsschutzstellung“ Im Juli 1944 wurde der Befehl zum Bau des „Ostwalls“ erteilt, der in seiner endgültigen, offiziellen Bezeichnung „Reichsschutzstellung“ heißen sollte. Von den Karpaten bis in den Raum Zagreb sollte eine Verteidigungslinie entstehen, die noch im September 1943 entlang des Dnjepr vorgesehen gewesen war. An der österreichisch-ungarischen Grenze waren zwei Befestigungslinien geplant, die „Linie Niederdonau“ und die „Linie Steiermark“. Erstere führte von Hainburg-Bratislava über Weiden (am Nordufer des Neusiedler Sees) 394 Zit. nach Grandmesnil, Action catholique (1947): 78f.
100
Zwangsarbeit in Österreich
und Sopron bis zum Geschriebenstein. Im Oktober 1944 begannen die Bauarbeiten, bei denen aufgrund des Arbeitskräftemangels Deportierte und Kriegsgefangene aus mindestens zwölf Nationen beschäftigt waren:395 Sie hoben Schutzgräben und Unterstände aus, errichteten verschiedene Arten von Stellungen;
zahlreiche Erdwälle und Bunker stürzten allerdings kurz nach ihrer Fertigstellung wieder ein. Gräben, die sich mit Grundwasser füllten, mussten ausgeschöpft und neu gebaut werden. Man versuchte die Stellungen möglichst mit vor Ort vorhandenem Baumaterial, wie Steinen oder Faschinen, zu befestigen.396
In der Erinnerungsliteratur und auch in einem der vom Verfasser geführten Interviews397 findet man Beispiele dafür, dass auch französische (zivile) Zwangsarbeiter Ende des Jahres 1944 am „Südostwall“ eingesetzt wurden. Evrard berichtet, dass am 11. November 1944 eine Gruppe in Wien arbeitender Franzosen an die ungarische Grenze gebracht wurden.398 Paul Pistre hatte nicht die richtige Kleidung: Zuerst regnete es zwei Monate, dann kamen Frost und Schnee. „On met de la paille dans ses vêtements pour avoir moins froid, et l’on est si épuisés qu’on en arrive à ne plus porter secours aux camarades qui s’écroulent sans force.“399 Diese Erfahrung wird von Michel Caignard geteilt. Ende Oktober 1944 wurde in der Wiener Lokomotivfabrik jeden Tag eine Namensliste am Eingang angebracht. Die darin genannten Arbeiter wurden mit Lastwagen an einen unbekannten Ort gebracht. Am dritten Tag war Caignard dabei; er kam nach Parndorf. Erst am 27. März 1945 wird er mit anderen mit dem Zug nach Wien zurückgebracht.400 Am Abend des 2. November 1944 wurde Roger Rossignol aus seiner Baracke geholt und noch in der selben Nacht, gemeinsam mit anderen Franzosen, nach Prellenkirchen (bei Bratislava) gebracht, wo er bis zu seiner Flucht Anfang März 1945 blieb. Er schlug sich bis 395 Vgl. Szita, Szabolcs: „Die Arbeitslager von Engerau 1944/45“. In: Unsere Heimat. Zeitschrift des Vereins für Landeskunde in Niederösterreich 64(1993): 173f. 396 Szita, Arbeitslager (1993): 174. 397 Siehe Kap. 7.3. 398 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 337. 399 Evrard, Déportation (1972): 401. 400 Vgl. Caignard, Les Sacrifiés (1985): 89–117, 145.
Arbeitsbedingungen
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nach Wien durch und erreichte sein ursprüngliches Lager. Nur wenige Tage später wurde er Opfer einer neuerlichen Razzia und fand sich in Eisenberg wieder. Ende des Monats wurden die Arbeiter angesichts der heranrückenden Roten Armee zu Fuß Richtung Wien getrieben.401 Ebenfalls im November 1944 wurden die zwei Lehrer Louis Vives und Malet von Mauer bei Wien nach Weiden am See gebracht.402 Picard-Gilbertier, der seit Juni 1943 in der Atzgersdorfer Schuhfabrik, M. Weber & Co. KG tätig war, erzählt von Arbeitskollegen, die Ende 1944 an die ungarische Grenze gebracht wurden: Alors toute une partie des hommes fut envoyée aux Grabens, tranchées de défense creu-
sées à la frontière Hongroise, dans la plaine, le long du lac de Neuesil [sic!] en prévision de
l’arrivée des Russes. […] il fallait creuser dans la boue, sous la pluie, à quatre ou cinq kilomètres du village où les hommes étaient hébergés dans des granges aux murs de planches mal jointes.403
5.3.9 Der Alltag neben der Arbeit Im Allgemeinen ist im Vergleich zu außergewöhnlichen Ereignissen schwer festzustellen, wie sich der „normale“ Alltag der Zwangsarbeiter gestaltete. Täglich wiederkehrende Tätigkeiten scheinen banal und wurden nur unter besonderen Umständen aufgeschrieben. Häufig wurde erst zum Zeitpunkt der Befreiung ein Notizheft angelegt. Im Verlauf der Recherche für diese Arbeit konnte allerdings eine nennenswerte Ausnahme gefunden werden: Ignace Salvo, der von Jänner 1943 bis April 1945 in den Linzer Hermann Göring Werken arbeitete, führte über den gesamten Zeitraum ein Tagebuch.404 Während die Beschreibung des ersten Arbeitstages noch vom Schock der Ankunft zeugt,405 werden die darauffolgenden Eintragungen immer mehr zur Routine. Von der täglichen Rasur bis zu den Essensrationen wurde alles akribisch vermerkt. Dimanche 7-2-43. Aujourd’hui nous nous levons à 8 h, nous allons au lavabo nous débar-
bouiller, et chercher le déjeuner, […] Lundi 8-2-43. Ce matin je me lève, il est 5h ½ je vais au 401 402 403 404 405
Vgl. Rossignol, Transhumance (1997): 33–45. Vgl. Aventurier/Cellier, STO dans la tourmente (1998): 88. Picard-Gilbertier, Danube Bleu (1993): 44. Der Verfasser verfügt über eine Kopie des Tagebuchs. Siehe Kap. 7.6.
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Zwangsarbeit in Österreich
Abbildung 13: Tagebucheintragungen Hermann Göring Werke, 19.–21. Februar 1943 lavabo me débarbouiller, puis tous ensemble nous allons chercher le déjeuner, soit un morceau de beurre, le jus et du pain pour toute la journée, à 6 h nous partons pour l’usine, nous arrivons
à l’usine, […] Jeudi 11-2-43. Aujourd’hui je ne me lève qu’à 7 heures car je ne vais pas travailler, j’ai l’œil qui me pleure, je vais me débarbouiller, et prendre mon déjeuner, nous avons de la confiture, 500 grammes de pain et le café.406
Und auch 1945 noch: „Lundi 22-1-45 Lever à 5 h, je vais me débarbouiller et prendre le déjeuner, nous avons 500 g de pain et jus.“407 Die genaue Wiedergabe des Tagesge schehens zielt nicht auf das Besondere ab: Ignace Salvo war es von seiner früheren Tätigkeit als Installateur gewohnt, seinem Arbeitgeber tagtäglich Rechenschaft über die Arbeit abzulegen, eine Gewohnheit, die er auch nach dem Krieg beibehielt. Um nachzuvollziehen, welchen Entscheidungssituationen französische Zwangsarbeiter ausgesetzt sein konnten, müssen neben dieser außergewöhnlichen Quelle aber auch die Rahmenbedingungen beschrieben werden. Dazu zählen die vorgegebenen Arbeitszeiten, 406 Tagebuch Ignace Salvo. 407 Tagebuch Ignace Salvo.
Arbeitsbedingungen
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die oft unzureichende Kleidung, Strategien der Problembehebung (Schwarzmarkt, Informationsbeschaffung, Organisation) und nicht zuletzt auch die ständige Bedrohung durch Bombenangriffe. 5.3.9.1 Arbeitszeiten Auch die Arbeitszeiten stehen in direktem Zusammenhang mit der Art und Weise der Arbeit. In der Rüstungsindustrie gab es unterschiedliche Formen der Einteilung: Wechselschicht („3 x 8“) oder Tag- und Nachtschicht (je zwölf Stunden). In der Regel gab es einen freien Tag in der Woche, d. h. von Samstagnachmittag bis Sonntagabend.408 Die Schlafprobleme, die durch wechselnde Schichten entstehen konnten, erhöhten die durch die schwere körperliche Arbeit bedingte Müdigkeit. Mit dem Kriegsverlauf änderten sich auch die Arbeitszeiten. Einerseits wurden sie ausgedehnt, andererseits konnte wegen der Bombenangriffe vielfach gar nicht gearbeitet werden; trotzdem mussten die geforderten Anwesenheitszahlen erfüllt werden: La durée du travail, précédemment fixée à 50 heures de présence hebdomadaire, fut portée, dans la région viennoise, dans une usine d’aviation, à 90 heures. Pendant la période du mois de
mars au mois de juin 1944, nous n’avons bénéficié que d’une seule journée de repos et encore, la direction de l’usine a exigé de nous une présence de 36 heures consécutive dans les deux
jours qui précédèrent le repos ! Avions-nous une occupation? Non. L’activité presque nulle, les
bombardements répétés muselèrent une production effrénée. Malgré cela, les statistiques de présence furent exigées et la propagande pouvait continuer de dire :
Nous gagnerons la guerre, nos usines produisent de jour et de nuit! …409
5.3.9.2 Kleidung Den überwiegend freiwilligen Zivilarbeitern, die bis 1941 ins Deutsche Reich kamen, war bei der Anwerbung gesagt worden, dass sie ausreichend Bekleidung (nach Möglichkeit auch Arbeitskleidung) und Schuhwerk mitnehmen sollten. In Belgien und Frankreich erhielten sie 1942 sogar eine „Ausrüstungsbeihilfe“, um sich die nötige Ausstattung vor der Abfahrt zulegen zu können. Im Deutschen Reich selbst hatten Ausländer keinen Anspruch auf Bezugsscheine für Kleidung. Mit der steigenden Zahl der zivilen Zwangsarbeiter kamen immer mehr schlecht ausgerüstete Arbeitskräfte nach Deutschland. Wenn 408 Vgl. Blein, Journal (1994): 131. 409 Zit. nach Grandmesnil, Action catholique (1947): 25.
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sich auch die Haltung der Wirtschaftsämter im Verlauf der Zeit ändern mochte, so genoss doch die deutsche Bevölkerung absolute Priorität. Folglich war es für ausländische Zwangsarbeiter schwer, zu Kleidung zu kommen. Als Ende 1942 mit der Fertigung besonders robuster (und dementsprechend einfacher) Kleidung für Ostarbeiter begonnen wurde, um deren Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten, kamen solche Kleidungsstücke und Schuhe über den Schwarzmarkt auch in den Besitz von Westarbeitern.410 Lucien Andréani erinnert sich an die harten Winter 1943 und 1944: Le climat ajoutait à la rudesse de notre emploi. Il me souvient de ces hivers terribles de 1943 et 1944 où, perdus dans cette immensité blanche, haillonneux, chaussés de nos inévitables
galoches de bois, de vagues chiffons enroulés autour de nos pieds, nous tirions et poussions nos
diables sur le quai de la Guterabfertigung [sic!]. Nous connaissions couramment des tempéra-
tures de l’ordre de –25 à –30° ; et nous allions sous la neige qui noyait tout, des journées durant,
dans ces rafales glacées qui nous courbaient en deux, trempés jusqu’aux os, sous l’éternelle, l’inlassable pluie du Tyrol, toujours présente.411
Jene 23 Lehrer aus dem Département Loire, die nach Kaprun und in den Montafon gebracht wurden, kamen mit normaler Kleidung an. Sie waren auf die Schneeverhältnisse auf 1.800 Metern Höhe in keiner Weise vorbereitet.412 Die Pakete, die man bis Mitte 1944 erhalten konnte, enthielten daher nicht nur Verpflegung, sondern, soweit möglich, auch Kleidungsstücke.413 5.3.9.3 Schwarzmarkt Als sich im Verlauf des Jahres 1942 die Zahl ausländischer Zwangsarbeiter auf mehrere Millionen erhöhte, entwickelte sich in allen größeren Städten ein Schwarzmarkt beträchtlichen Ausmaßes, der den Ausländern den Erwerb von Nahrungsmitteln und Kleidung, aber auch anderer Güter ermöglichte.414 410 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 135ff.; Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 198; Homze, Foreign Labor (1967): 277. 411 Andréani zit. nach Daures, Nos vingt ans volés (1993): 116. 412 Vgl. Aventurier/Cellier, STO de la Loire (1998): 49–53. Zu Kaprun siehe Fn. 242. Siehe auch die Aussage Salvos, Kap. 7.6. 413 Vgl. Bories-Sawala, Vie quotidienne (2003): 131f. 414 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 197ff.
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Der zunehmende Mangel an Gütern des täglichen Bedarfs und der geringe Verfolgungsdruck, der sich in gelegentlichen exemplarischen Bestrafungen erschöpfte, ließ Schwarzmarktge-
schäfte bald zum Kavaliersdelikt werden. Insbesondere die schlecht ernährten Ausländer hat-
ten kaum etwas zu verlieren. Zudem konnten sie bestimmte Güter, wie etwa Schuhe und Kleidung, fast nur auf dem Schwarzmarkt erwerben. Die illegalen Transaktionen fanden in den Lagern statt, zunehmend aber auch in Gaststätten und öffentlichen Parkanlagen.415
Als Zahlungsmittel dienten falsche Lebensmittelkarten, vor allem aber Zigaretten: Précieuses cigarettes! Dans ce monde bizarre qui obéit à des règles inconnues, les cigarettes
sont comparables au fameux trésor d’Ali-Baba… Il n’est pas une porte qu’elles ne puissent
ouvrir, un gardien qui ne se laisse soudoyer par elles… Leur apparition calme les querelles, réveille les sourires et toutes les difficultés disparaissent. Elles servent de monnaie internationale pour les échanges et personne n’ose contester cette précieuse valeur.416
Besonders häufig werden in den Erinnerungen griechische Zwangsarbeiter mit Schwarzmarkt in Zusammenhang gebracht.417 Auch Joyon beschreibt die Griechen mit folgenden Worten: „Autre pauvre race, mais combien débrouillarde ! Les Grecs ont la bosse du commerce. Toutes les occasions leur sont bonnes pour essayer d’exploiter leurs voisins.“418 Immer wieder wird der Wiener Prater genannt, aber auch das Opernkaffee (OK): Il y avait également en face de l’opéra, de l’autre côté de l’avenue, l’ ’O.K.’, un grand café dans
lequel se pratiquait le plus grand trafic de marché noir de la capitale autrichienne. Ce marché noir s’effectuait entre étrangers à la barbe des Autrichiens et des autorités allemandes en place.419
Auch Jacques Seignole hat in Wien den regen Handel im OK kennengelernt: En face de l’Opéra – on traversait le Ring, et il y avait ce pâté de maisons où le tram tournait autour […] – et à côté de ce pâté de maisons il y avait un café qui s’appelait l’OK […]. Ce que ça voulait dire, je ne sais pas, et puis c’était – moi, c’est le seul centre de marché noir que j’ai connu. Alors, il y avait des tables, rondes, des tables, 415 416 417 418 419
Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 199. Quereillahc, Mémoires (1998): 67. Siehe Kap. 7.2 und 7.9. Joyon, Jeunesse (1957): 90. Caignard, Les Sacrifiés (1985): 53.
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Zwangsarbeit in Österreich
enfin, assez hautes – vous voyez, personne n’était assis, tout le monde était debout. Moi, j’y étais qu’une ou deux fois, parce que ces coins-là, je ne tenais pas à y traîner, mais enfin, je le savais que c’était là – et alors, les gens, les gars forcément étrangers – il y avait peut-être des Allemands, enfin des Autrichiens, dans le lot sûrement qui achetaient ou qui vendaient, le trafic … voilà, c’est ce que j’avais su.420 5.3.9.4 Informationsfluss Als Informationsquellen standen den Arbeitern Zeitungen, Korrespondenz und in manchen Fällen das Radio des Betriebes zur Verfügung – in diesen Bereichen hatten sie gegenüber Deutschen keine Nachteile. Der Briefverkehr mit dem nichtfeindlichen Ausland war (unter Zensur)421 erlaubt, wurde aber mit Frankreich aufgrund der Kriegsentwicklung in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 eingestellt.422 Briefe nichtgeschäftlichen Inhalts durften höchstens vier Seiten umfassen. „Den Betriebsführern wurde empfohlen, die Briefe ihrer ausländischen Arbeitskräfte zu sammeln, auf die Beachtung der Vorschriften hin zu prüfen und selbst an einem Postschalter einzuliefern.“423 In den Erinnerungen spiegeln sich diese Regelungen unterschiedlich wider: Lamothe erwähnt, in Neuruppersdorf Zeitung gelesen zu haben,424 Nakhamkes betont hingegen, dass man damals so gut wie keine Informationen gehabt habe: Zeitungen seien kaum aufzutreiben gewesen, Radioapparate sehr selten.425 Häufig wird die Verwendung von Bleikristalldetektorgeräten angesprochen, mit denen man die BBC empfangen konnte.426 Pierre Bohin erinnert sich: „Un gars de la chambrée, qui s’y connaît, a construit un poste à galène. Cet appareil nous permet d’écouter la B.B.C. grâce à un relais, situé dans la région de Vienne“.427 So erfahren sie am 6. Juni 1944 von der Landung in der Normandie. 420 Interview mit Jacques Seignole, 18. 7. 2002. 421 Laut Evrard enthält ein Geheimbericht der Wiener Zensurstelle vom 4. September 1942 die Einschätzung, dass zum damaligen Zeitpunkt die Arbeiter nur den Wunsch hätten, so schnell wie möglich Deutschland zu verlassen. Sie beschwerten sich hauptsächlich über Verpflegung und die Institutionen (vgl. Evrard, Déportation [1972]: 293f.). 422 Vgl. Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 217; Herbert, Fremdarbeiter (1986): 286. 423 Pfahlmann, Fremdarbeiter (1968): 216. 424 Interview Roger Lamothe, 14. 7. 2002. 425 Interview Roger Nakhamkes, 7. 12. 2002. 426 Siehe etwa Kap. 7.7. 427 Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 49.
Arbeitsbedingungen
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Michel Caignard seinerseits: Un prisonnier russe, qui avait fait des études d’ingénieur, se mit à confectionner des petits
postes radio à galenne [sic!] avec du matériel de l’usine. Ces postes étaient revendus, bien
entendu secrètement, dans le camp. Malgré le prix fort élevé qu’il en demandait, je fis l’acqui-
sition d’un de ces appareils qui me permit de capter la radio de Londres. Chaque soir, camou-
flé sous la couverture, à l’aide d’écouteurs arrachés dans les cabines téléphoniques de la ville, j’écoutais les émissions en langue française après avoir tâtonné un bon moment sur la galène avec le bout de fil que servait de contacteur.428
5.3.9.5
Medizinische Versorgung und Sozialversicherung
Abgesehen von den Ostarbeitern (bis 1944) waren grundsätzlich alle ausländischen Zivilarbeiter sozialversicherungspflichtig und genossen daher formal Krankenversicherungsschutz. Sicherlich war die Gefahr einer Seuchenbildung in den Baracken der französischen Zwangsarbeiter weniger groß als bei den Ostarbeitern, die infolge der Benachteiligung in allen Bereichen unter mangelnder Hygiene und dem daraus folgenden erhöhten Krankheitsrisiko zu leiden hatten. Doch es gab auch unter den Franzosen Fälle von Tuberkulose, und auch in ihren Baracken gab es Ungeziefer. Jedenfalls kann gesagt werden, dass die medizinische Versorgung für ausländische Zivilarbeiter zweitklassig war. Soweit möglich sollten die Arbeiter von Lagerärzten untersucht werden. In letzter Inst anz war die Betriebs-, Orts- oder Landeskrankenkasse für den Einzelfall zuständig, von deren Ermessensspielraum die ausländischen Zivilarbeiter abhängig waren. Entscheidend für die Einweisung in ein Krankenhaus war die Frage, ob der Betroffene innerhalb einer bestimmten Frist (drei Wochen, ab Februar 1944 sechs bis acht Wochen) wieder genesen könne. War dem nicht so, war die Abschiebung in die Heimat geplant, wobei diese Vorgabe nicht strikt eingehalten wurde.429 Im Falle von Jacques Seignole war es eben dieser Ermessensspielraum, der es ihm ermöglichte, auf scheinbar legale Weise nach Frankreich zurückzukehren: nach einigem Hin und Her wurde ihm von der Krankenkasse ein Rückkehrschein ausgestellt, der ihm die Rückreise gestattete.430
428 Caignard, Les Sacrifiés (1985): 68. 429 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 138ff.; Homze, Foreign Labor (1967): 280–283. 430 Siehe Kap. 7.4.
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5.3.9.6 Bombenangriffe Mit der Zunahme der Luftangriffe befanden sich die ausländischen Zivilarbeiter in ständiger Lebensgefahr, da sie oft gerade in jenen Industriebetrieben arbeiteten, die Ziel dieser Angriffe waren.431 Entsprechend der nationalsozialistischen Hierarchie waren sie auch hier benachteiligt: In der Regel gab es für die öffentlichen Bunker Sondervorschriften, und auch die Werksbunker konnten Abstufungen vornehmen. Für die ausländischen Arbeiter bedeuteten die Luftangriffe einerseits ein Zeichen ihrer bevorstehenden Befreiung, andererseits aber eben Lebensgefahr. Die Zwangsarbeiterlager befanden sich zudem meist in unmittelbarer Nähe der Betriebe und waren damit ebenso gefährdet. Bombenangriffe spielen daher in der Erinnerung der Zeitzeugen eine bedeutende Rolle.432 Die Bomben machten auch vor den Franzosen nicht halt, auch unter ihnen gab es Tote. Glaubt man den von der Fédération Nationale des Victimes et Rescapés des Camps Nazis du Travail Forcé (F.N.V.R.C.N.T.F.) vorgebrachten Zahlen, so könnten von den über 600.000 zivilen französischen Zwangsarbeitern im gesamten Deutschen Reich bis zu 45.000 durch Bombenangriffe ums Leben gekommen sein. Abgesehen davon, dass die Zahlen vermutlich überhöht sind, lassen sich daraus keine Rückschlüsse auf die Anzahl französischer Bombenopfer auf dem Gebiet der heutigen Republik Österreich ziehen. Es zeigt aber doch, dass die Gefahr, durch Bomben ums Leben zu kommen, beträchtlich gewesen sein muss, zumal die Mehrheit französischer Zwangsarbeiter in jenen (Industrie-)Betrieben beschäftigt war, die als strategische Ziele der Alliierten gelten konnten.433 In zahlreichen Erinnerungsberichten werden Todeszahlen genannt. Lucien Andréani berichtet von den Bombenangriffen vom 15. Dezember 1943 und vom 26. Oktober 1944 auf Innsbruck.434 Evrard gibt für den Angriff auf Wien am 16. Juni 1944 20 französische Tote an.435
431 Vgl. dazu Friedrich, Jörg: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg. Berlin/München: Propyläen (2002). 432 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 143. Bories-Sawala, Vie quotidienne (2003): 129ff. 433 Siehe Kap. 4.3. 434 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 229–235. 435 Vgl. Evrard, Déportation (1972): 237.
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Francis Blein beschreibt den Angriff auf Linz am 25. Juli 1944: Très souvent les appareils lancent du brouillard artificiel pour camoufler les objectifs, ainsi souvent les avions manquent leur cible. […] Le 25 février, dix septième bombardement qui
durera plus de deux heures, le plus meurtrier, que nous ayons connu à ce jour. Il y aura de nombreuses victimes. Les camps ont beaucoup soufferts. Heureusement, nous nous en tirons bien: aucun blessé parmi les copains. Il faut dire que les abris que nous avons dans ce camp
sont de simples tranchées recouvertes en plaques de béton qui avaient été construits contre les éclats de DCA et non pour les bombes. Ces terrassements avaient été faits par des femmes russes.436
Am 4. März 1944 begann in einem Franzosenlager eine Baracke zu brennen, eine Bombe explodierte, ein Schwerverletzter starb einige Stunden später.437 „Le 17 avril, des bombes russes tombent sur la Geserschmit [sic!] et des français au travail en sont les victimes […].“438 Nach dem Angriff vom 25. April 1945 hörte Blein im Radio, dass die Franzosenlager 51 und 53 – auch er war in einem dieser Lager untergebracht – getroffen worden seien: On se demandait ce que nous allions trouver au camp. En effet, des bombes étaient tombées
sur l’abri où l’on avait l’habitude d’aller. Plusieurs camarades avaient trouvé la mort […]. Le
camp voisin avait subi le même sort. […] Le bilan est lourd, 18 français ne reverront pas le
pays ! Même le moral à zéro, il fallait quand même tenir le coup. Dans la nuit du 26 au 27, un avion russe lâche ses bombes sur les voies où travaillaient des détenus politiques : 50 morts! 439
Am 30. April sollte die Bestattung der französischen Opfer der Bombenangriffe in Sankt Martin erfolgen; sie wurde aber aufgrund der zahlreichen ukrainischen Opfer auf einen späteren Tag verschoben.440 Michel Caignard erlebt den ersten Bombenangriff auf Floridsdorf am 16. Juni 1944. Zehn Tage später ist auch sein Lager betroffen: 436 Blein, Journal (1994): 133f. 437 Vgl. ebda. 438 Blein, Journal (1994): 135. 439 Ebda. 440 Vgl. Blein, Journal (1994): 136.
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Le spectacle qui s’offrit à mes yeux était abominable. La moitié des baraques du lager avaient
flambé et l’abri du béton s’était écroulé sur toute sa longueur sous l’effet d’une bombe souf-
flante qui était tombée juste à l’entrée. Vingt et un camarades gisaient là sous les énormes blocs de ciment.441
In der Woche darauf beobachtet er von einem die Stadt überragenden Hügel, wie bis auf drei Baracken der Rest des Lagers zerstört wird.442 Das Chaos bedeutete aber auch, dass in dieser Zeit nicht gearbeitet werden musste und man sich eventuell ein wenig ausruhen konnte. Seignole, der von März bis November 1943 in Wien eingesetzt war, erwähnt, der regelmäßige Fliegeralarm habe ihnen eine halbe bis ganze Stunde mehr Erholung gebracht.443 5.3.9.7
Kontakte zur örtlichen Bevölkerung
Der Kontakt von Deutschen und ausländischen Arbeitern war sowohl ein ideologisches als auch ein Sicherheitsproblem. In den Erinnerungen der Zwangsarbeiter zeigt sich vielleicht am ehesten, wie die Einstellung der Bevölkerung von den verschiedenen Nationalitätengruppen rezipiert wurde. Der Grundtenor der Erinnerungen bei den Franzosen ist eher positiv. Joyon, der sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen hatte, verteidigt und verklärt sogar die Österreicher in ihrer Gesamtheit: Les étrangers ne peuvent pas se plaindre des Autrichiens, car ils étaient en général bien considérés par ceux-ci, les Français surtout. L’Autrichien est francophile. On apprenait, avant
l’Anschluss, le français dans les écoles et beaucoup de gens étaient heureux de parler notre langue. Je connais beaucoup de Français qui étaient reçus dans des familles viennoises et même
cachés lorsqu’ils étaient recherchés par la Gestapo. […] Cacher un réfractaire exposait à la
peine de mort. Or, les Autrichiens ont affronté les dangers et sont allés dans les camps de concentration et à la mort pour s’être montrés francophiles ou tout simplement humains.444
Pierre Bohin meint: „Brun-am-Gebierg [sic!] est agréable et, en général, les Français y sont 441 Caignard, Les sacrifiés (1985): 81. 442 Vgl. Caignard, Les sacrifiés (1985): 81f. Von ähnlichen Ereignissen weiß auch Joyon zu berichten (vgl. Joyon, Jeunesse [1957]: 101–105). 443 Siehe Kap. 7.4. 444 Joyon, Jeunesse (1957): 58.
Arbeitsbedingungen
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bien tolérés, sauf par les enfants qui voient en nous ‚l’ennemi’. Nous trouvons ce dont nous avons besoin, moyennant finances, bien sûr, et les commerçants se montrent accueillants.“445 In vielen Erinnerungen zeigen sich die Franzosen davon überrascht, wie viele Wiener Französisch sprachen.446 In St. Pölten gab der Personalchef der Reichsbahn manchen französischen Zwangsarbeitern Deutschunterricht.447 Lucien Andréani, der bei der Reichsbahn in Innsbruck arbeitete, meint, die Kontakte wären „épisodiques… Beaucoup de gens nous aidèrent par des paroles de réconfort, par des actes matériels aussi. Certains allemands prirent des risques pour nous venir en aide et nous donner quelque nourriture ; nous eûmes parmi eux de véritables amis“.448 Eine Bäckerin habe ihm über Monate hinweg ein zusätzliches Stück Brot gegeben, für das er meist nicht bezahlen musste. 449 Louis Gazel meint: „ Dans le coin d’Autriche où je me trouvais, la population civile était assez „sympa“ avec nous, ce qui nous aidait à mieux supporter notre „exil“.450 Insbesondere der Kontakt zu Frauen war den Behörden ein Dorn im Auge.451 Wie verbreitet solche Kontakte tatsächlich waren, lässt sich schwer feststellen, doch findet man in den Erinnerungen einige Beispiele. Pendant plusieurs mois, je suis sorti en compagnie d’une jeune fille qui s’appelait Anny H. C’était une jolie Viennoise de 22 ans, elle était charmante et souriante. Quelquefois, elle venait
m’attendre à l’entrée du camp, le dimanche après-midi et nous allions nous promener dans les collines qui dominent Mödling. D’autres fois, je descendais à Vienne et nous nous retrouve-
rions à l’arrivée du train. Nous en profitions pour visiter la ville ou aller saluer quelques-uns de ses amis. Avant de nous quitter, nous allions prendre une consommation dans un café de la capitale autrichienne. […] Plus tard, j’ai rencontré une autre jeune fille de Mödling, Gerda
W. qui tenait la maison d’un officier supérieur de l’armée allemande, affecté dans la région
de Vienne. Nous avons fait de nombreuses promenades ensemble. Il ne fallait pas sortir avec
une Allemande ou une Autrichienne, c’était interdit ; c’est ainsi qu’un ouvrier, pris sur le fait, alors qu’il présentait ses hommages à une jeune femme (si vous voyez ce que je veux dire) a été
445 446 447 448 449 450 451
Bohin, Il y a cinquante ans (1996): 18. Vgl. Evrard, Déportation (1972): 311. Vgl. Evrard, Déportation (1972): 315. Daures, Nos vingt ans volés (1993): 180. Vgl. Evrard, Déportation (1972): 314. Zit. nach Daures, Nos vingt ans volés (1993): 179. Vgl. Bories-Sawala, Vie quotidienne (2003): 144f.
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Zwangsarbeit in Österreich
pendu sans autre forme de procès. Par contre, un Français, (ah ! ces Français !) qui livrait des produits dans la région et ne rencontrait pratiquement que des femmes, était père de plusieurs enfants.452
Auch Joyon erzählt von ähnlichen Erlebnissen mit einer 19-jährigen Österreicherin.453 Victor Enot, Zwangsarbeiter in Traiskirchen, meint, der Personalchef konnte nicht mehr tun, als Verwarnungen auszusprechen. Ihm persönlich sei es hauptsächlich um saubere und geflickte Kleidung gegangen. Den Mädchen sei es gegen Ende des Krieges auch darum gegangen, bei Herannahen der russischen Truppen jemanden zu haben, der sie gegebenenfalls beschützen könne.454 Caignard weist auf die Angst vor Repressalien hin: „Mais si les jeunes filles montraient une certaine sympathie envers les Français, elles n’en étaient pas moins farouches par peur des représailles qu’elles encouraient. En effet il leur était formellement interdit d’avoir des relations avec les étrangers exilés dans leur pays.“455
5.3.10 Organisation(en) In der Regel blieben die französischen Arbeiter unter sich oder bildeten kleine Gruppen (z. B. mit demjenigen, mit dem man das Stockbett teilte). In einschlägigen Sammlungen von Erinnerungen456 wird aber auch auf Organisationen verwiesen, die ihre Mitglieder während ihrer Tätigkeit als Zwangsarbeiter durch aktive Vertretung zu schützen suchten. Einerseits handelte es sich dabei um christliche Vereine wie die Jeunesse Ouvrière Chrétienne ( J.O.C.),457 andererseits um die Chantiers de la Jeunesse, die bei der Délégation Officielle Française en Allemagne (D.O.F.) die Einrichtung einer Unterabteilung für die jungen Arbeiter erwirkt hatten.458 Daures schreibt: Avec les quelques très jeunes, requis au titre du S.T.O., il y aura, dans le Reich, vers la fin de
1943, un peu plus de trois cents prêtres français, camouflés en travailleurs. Aidés par 3.200 452 453 454 455 456 457
Bohin, Il y cinquante ans (1996): 40f. Vgl. Joyon, Jeunesse (1957): 93ff. Vgl. Evrard, Déportation (1972): 317. Caignard, Les Sacrifiés (1985): 51. Siehe Grandmesnil, Action catholique (1947); Martin, Chantiers de Jeunesse (2001). Vgl. dazu Eikel, Markus: Französische Katholiken im Dritten Reich – Die religiöse Betreuung der französischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter 1940–1945. Freiburg: Rombach (1999). 458 Siehe Kap. 4.2.
Arbeitsbedingungen
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séminaristes S.T.O. et plus de 7.000 militants de la J.O.C. ou d’autres mouvements d’Action Catholique, ils constitueront le cœur de cette Eglise clandestine au service des Travailleurs
français dans l’Allemagne nazie. […] Cette activité religieuse va se heurter bientôt à de nou-
velles difficultés. Au cours de l’été de 1943, à la suite d’imprudences ou de dénonciations, des prêtres et des militants sont arrêtés. Le 3 Décembre 1943, Kaltenbrunner, Chef du Service de
sécurité du Reich, demande à la Gestapo de rechercher les prêtres et séminaristes clandestins ;
suivant leur comportement ou l’activité qu’ils ont eu, ils seront soit expulsés, soit emprisonnés, soit envoyés dans un camp de concentration. Les groupes de J.O.C. sont interdits ; les militants chrétiens les plus actifs doivent être envoyés en camp disciplinaire ; les prêtres allemands complices seront punis …459
Und Grandmesnil meint: „Ce fut l’épopée jociste [von J.O.C. abgeleitet] du S.T.O., en Allemagne.“460 Neben der Aufrechterhaltung der Moral und der gemeinsamen Freizeitgestaltung wird in der Erinnerungsliteratur auch auf den Aufbau von Hilfswerken, kulturellen Einrichtungen (einer Bibliothek) und der Wahrung der Interessen französischer Arbeiter gegenüber der Deutschen Arbeitsfront (D.A.F.) eingegangen: De Graz : Notre but était l’entr’aide et l’amitié pour tous, par-dessus les races et les nationalités, la mise en garde contre la nazification et la formation des militants pour l’après-guerre.
Une bibliothèque alimentée par l’Aumônerie et le Fond de secours aux Etudiants (Genève), comprenait six cents bouquins qui circulaient à travers les camps. ‚Corps et Ames’ fut le plus lu
et le plus discuté des bouquins. Des jeux, reçus de l’Aumônerie, distrayaient les gars de l’infir-
merie et des hôpitaux. Des concours de belote, bridge, échecs faisaient passer le temps. Par les
belles journées, des balades permirent à de nombreux travailleurs de connaître les environs et même, au début, de voyager assez loin. […]
De Salzbourg : Sur le plan de l’usine, sept mois après mon arrivée, j’ai été nommé par mes
camarades délégué des Français (prisonniers et S.T.O.). Ceci m’a permis de prendre plusieurs
fois la défense de nos compatriotes auprès de la direction et du Front du travail. Résultats ob-
tenus : amélioration des salaires de deux camarades, approvisionnement en chaussures, bleus, chemises, savon, modification des horaires de travail …461 459 Daures, Nos vingt ans volés (1993): 215ff. 460 Grandmesnil, Action catholique (1947): 10. 461 Zit. nach Grandmesnil, Action catholique (1947): 57ff.
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Zwangsarbeit in Österreich
In Wien wurde ein Krankendienst eingerichtet, der unter anderem Lebensmittel verteilte und Krankenbesuche organisierte. Außerdem wurden die Gräber der bei Bombenangriffen umgekommenen Arbeiter gepflegt : De Vienne : Notre Service malades fut le plus important. Complètement mis sur pied par Paul C… (jiciste), qui constitua des équipes de visites dans les différents hôpitaux, ce service prendra de l’extension jusqu’à l’arrestation de Paul par la Gestapo, qui fut déporté dans un camp d’extermination. […]
Notre Service marcha admirablement. Ce furent des tonnes de vivres et des milliers de francs qui furent distribués par les militants jocistes en grande partie. Des visites régulières dans les
infirmeries, les hôpitaux. Environ quatre à cinq cents malades visités par semaine. Dépistage des malades déshérités; distribution de colis, de chaussures, de vêtements. Pour la plupart, tout
cela venait des gars eux-mêmes qui les avait collectés dans les camps. Des caisses mutuelles furent montées, puis interdites par les ‚chleux’. L’entretien des tombes fut organisé. En no-
vembre 44, il y avait, à Vienne, cent deux morts par maladie, quarante-quatre par bombardements, dont vingt et un pour la ‚Locofabrik’. Des croix furent faites et, le 5 novembre 44, une importante manifestation eut lieu au cimetière pour tous nos morts.462
Auf der Suche nach gleichgesinnten Glaubensgenossen kam es zu Gruppenbildung und auch Kontakten mit der örtlichen Bevölkerung. De Vienne : Je cherchais tout de suite des jocistes (c’était en 1942). L’aumônerie m’avait signalé
un dirigeant fédéral de Lille qui travaillait dans la même usine ; je mis trois jours à le trouver : il couchait à dix mètres de moi !… Je trouvai deux autres jocistes et un ancien militant, dont
Antoine Arnaud vous a certainement parlé. Antoine a dû vous parler du P. Reisinger et de l’église Sainte-Anne, que je découvris trois semaines après et avec bien du mal. Les jocistes de
Vienne lui doivent beaucoup. Et ce fut à la messe du dimanche, à Sainte-Anne, que je convoquai les jocistes qui m’étaient signalés par l’Aumônerie. Tout de suite j’ai pensé qu’il fallait que
tous les militants disséminés dans cette grande ville puissent s’épauler et, au fond, c’est tout ce que j’ai fait. […]463
Ein gewisser Pater Reisinger464 dürfte in der Annagasse im ersten Wiener Gemeindebe462 Zit. nach Grandmesnil, Action catholique (1947): 60. 463 Zit. nach Grandmesnil, Action catholique (1947): 41. 464 In den vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes herausgegebenen Bänden
Arbeitsbedingungen
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zirk in der Kirche St. Anna jeden Sonntag eine Messe für Franzosen abgehalten haben.465 In Kaprun wurde den Arbeitern die Kirche für die Feier der Ostermesse zur Verfügung gestellt.466 In Berndorf wiederum stellten Mitglieder der J.O.C. einen Kalvarienberg wieder her, der zuvor von den Nationalsozialisten zerstört worden war. Aus Bäumen wurden Kreuze gefertigt und der eiserne Christus wurde wieder aufgestellt. An der Weihe nahmen auch zahlreiche Anwohner teil.467 Die Präsenz von Priestern und der J.O.C. stellte zunächst für die Gestapo kein Problem dar. Wenn sich in diesen Kreisen Widerstand entwickelte, so war er meist rein spiritueller Natur und führte eher dazu, dass diese Arbeiter sich ruhig verhielten und mit ihrem Schicksal abfanden. Dennoch sei erwähnt, dass ein Dekret Kaltenbrunners Anfang Dezember 1943 vorsah, Priester und Seminaristen nach Frankreich zurückzuschicken und die Verantwortlichen der J.O.C. für eine Dauer von drei Wochen in ein A.E.L. einzuweisen. Jene, die sich weigerten, ihre Arbeit einzustellen, mussten auch mit der Einweisung in Konzentrationslager rechnen.468 Die Délégation officielle en Allemagne (D.O.F.) ihrerseits umfasste 1944 ungefähr 11.000 Delegierte und stellte damit einen eigenen Verwaltungsapparat dar, der mit der D.A.F. und dem Reichsnährstand zusammenarbeitete und allerlei gesellschaftliche, kulturelle (Sprachkurse, Vorträge, Bibliotheken, Zeitschriften) und sportliche Veranstaltungen organisierte. So konnte die Freizeitgestaltung der Arbeiter in geregelte und daher kontrollierbare Bahnen gelenkt werden.469 In Bezug auf die Aktivitäten der Vertreter der C.J.F., die sich im Rahmen der D.O.F. um das Wohlergehen der jungen Arbeiter kümmern sollten, schreibt Pierre Martin, der selbst eine wichtige Funktion innehatte: Pendant deux ans, en pays ennemi et en pleine guerre, quelque 70.000 (on parle même de
100.000) jeunes Français, travailleurs requis, ont pu s’organiser, s’entr’aider, créer des communautés vivantes, bénéficier de la protection et des avantages moraux et matériels d’une Mission comprenant plus de 500 cadres et s’étendant à tout le territoire allemand.470
465 466 467 468 469 470
zu Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945 wird unter dem Namen „Reisinger“ keine Person genannt, die auf den ersten Blick im Zusammenhang mit der Kirche St. Anna stehen könnte. Vgl. Picard-Gilbertier, Danube Bleu (1993): 42. Vgl. Grandmesnil, Action catholique (1947): 65. Zu Zwangsarbeit in Kaprun siehe Fn. 242. Vgl. Grandmesnil, Action catholique (1947): 70. Vgl. Arnaud, Logiques d’opposition (2003) : 154f. und Fn. 38. Vgl. Arnaud, Délégation officielle (1995); Bories-Sawala, Vie quotidienne (2003): 134ff. Martin, Chantiers de jeunesse (2001): 7; Vittori, Eux, les STO (1982): 159.
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Zwangsarbeit in Österreich
Martin kehrt Ende 1944 mit Unterlagen nach Frankreich zurück.471 Die Aufstellung im Anhang472 gibt einen Überblick über die Vertreter der Chantiers de la Jeunesse Française oder verwandter Organisationen in Österreich. Die Funktionäre wurden dabei nicht in allen Fällen schon in Frankreich bestimmt. Manchmal kamen Zwangsarbeiter im Lager mit der Organisation in Berührung und übernahmen daraufhin Funktionen.473 Die vom Deutschen Reich im Frühjahr 1943 geforderten Arbeiter aus den Reihen der C.J.F. waren in geordneten Bahnen nach Deutschland gebracht worden. So glaubte General de la Porte du Theil, die Interessen der C.J.F. wahren zu können und ein Chaos zu verhindern. Die Vermutung liegt nahe, dass der systematische Ablauf den erfassten jungen Männern kaum eine Möglichkeit ließ, sich der Zwangsarbeit zu entziehen. Für die Ende Mai 1943 erfolgten Abfahrten waren drei Sammelzentren eingerichtet worden: in Limoges für den Südwesten Frankreichs, in Pont-de-Claix (nahe Grenoble) und in Avignon für den Südosten.474 Bereits Ende Mai 1943 begleiteten zwei Chefs pro Zug die abfahrenden Zwangsarbeiter der C.J.F. Die anfänglich unklare Situation wurde durch Ende Juli ausgehandelte endgültige Modalitäten beendet: Mit je 300 Mann sollte ein Vertreter (Chef ) entsandt werden, der sich vor Ort für bessere Lebensbedingungen seiner Gruppe einsetzen sollte. In der besetzten Zone (in der es keine Chantiers de la Jeunesse gab) wurden im Rahmen der Organisation Jeunes Ouvriers Français Travaillant en Allemagne ( J.O.F.T.A) ebenfalls Vertreter entsandt. Diese Organisation empfahl den Rekrutierten, sich ihr anzuschließen, um in Deutschland zusammenbleiben zu können und
471 Das sogenannte Dossier Cottin wurde in die Archives du Service Historique de l’Armée de Terre (Vincennes) gebracht (Côte I K 301). Die Bestandsaufnahme des Dossiers – das Centre de Documentation Juive Contemporaine (C.D.J.C.) in Paris besitzt davon eine Abschrift – gibt Einblick in eventuelle Informationen über Österreich: „516 cadres de tous grades sous l’autorité unique du Colonel Furioux d’abord, puis du Commissaire Cottin à Berlin, animent et guident les 39.130 jeunes regroupés en 276 camps.“ Die Aufarbeitung der Unterlagen der D.O.F. sowie des Dossiers Cottin könnte wertvolle Einsichten in die Struktur der Zwangsarbeiterlager gewähren. Unter anderem sind Informationen zu Lagern (Enzesfeld, Neunkirchen, Amstetten) und Betrieben (Wiener Lokomotivfabrik, Sprengstoffwerk Blumau, Steyr Werke, Siemens Alske, Gräf und Stift, Simmering Graz Pauker, Messerschmidt (Bad Fischau) nach geographischen Kriterien geordnet. 472 Dokumente und Erinnerungen zu den Aktivitäten in Österreich sind abgedruckt in Martin, Chantiers de Jeunesse (2001): 174–184 (Niederdonau und Wien), 264–275 (Wiener Neustädter Lokomotivfabrik), 284–302 (Lager Heidfeld, Weinberggasse Wiener Neustadt, Nordpol Wien). 473 Vgl. Martin, Chantiers de Jeunesse (2001): 48. 474 Vgl. Martin, Chantiers de jeunesse (2001): 28, 34.
Arbeitsbedingungen
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eventuell auch adäquate Tätigkeiten auszuüben.475 Bei der Abfahrt erhielten die Gruppen meist Uniformen (waldgrün für die C.J.F., blau für jene, die in die Kategorie J.O.F.T.A. fielen).476 Pierre Martin behauptet, dass der geordnete Ablauf es ermöglicht habe, weitere Forderungen zu unterbinden. Die jungen Männer hätten auch noch nach Übergabe an die deutschen Behörden die Möglichkeit gehabt, unterzutauchen. Sie seien dann aber in den offiziellen Statistiken vermerkt gewesen und hätten so dazu beigetragen, die von den Deutschen geforderte Zahl zu erreichen: [Ce rôle de coordination] leur a permis surtout, ayant connaissance des intentions de certains jeunes, de les maintenir dans le circuit jusqu’à la prise en compte officielle par les autorités
allemandes, après quoi rien ne s’opposait plus à leur défaillance. C’est ainsi qu’à Limoges les
chiffres de prise en compte de l’O.P.A. (Office de Placement Allemand) ont toujours été supé-
rieurs à la réalité. En agissant ainsi, on évitait le recours à de nouvelles réquisitions destinées à parfaire le total imposé.477
Nach Meinung Martins war die Beibehaltung der Organisation ein einzigartiger Fall, der den Geist der C.J.F. aufrechterhalten und so zu größerer Widerstandsfähigkeit geführt habe.478 Les Jeunes Français d’origine C.J.F. sont donc fortement structurés, cas unique dans l’immense
troupeau des travailleurs français et étrangers en Allemagne. Ils forment bien vite des commu-
nautés, soudées par l’amitié et les souvenirs, animées par l’ ’esprit Chantiers’, plus fortes pour résister aux difficultés morales et matérielles de leur exil, naturellement opposées aux exigences allemandes et aux pressions collaborationnistes. […]
A tous les échelons, les Chefs des Chantiers s’efforcent d’adoucir les conditions morales et matérielles de cette déportation en fournissant les équipements indispensables. Ce grand élan se concrétise par l’envoi de milliers de lettres et de colis, regroupés par l’A.D.A.C. (Association des Anciens des Chantiers) sous l’impulsion du Commissaire Kunstler.479 475 476 477 478 479
Vgl. Evrard, Déportation (1972): 169. Vgl. Martin, Chantiers de jeunesse (2001): 35ff. Martin, Chantiers de jeunesse (2001): 34. Vgl. Martin, Chantiers de jeunesse (2001): 36. Martin, Chantiers de jeunesse (2001): 36.
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Zwangsarbeit in Österreich
Jacques Evrard berichtet davon, dass der Vertreter der C.J.F. in Wiener Neustadt, Ginisty, sich beständig für bessere Arbeitsbedingungen und Verpflegung einsetzte und sogar einen Sportplatz forderte.480 In manchen Fällen wurden die Chefs de Chantiers der Spionage bezichtigt und in Konzentrationslager eingewiesen. Charles Joyon traf im Gefängnis Elisabeth-Promenade auf den C.J.F.-Funktionär Hugues de la Celle, der mit dem gleichen Transport wie er nach Dachau gebracht wurde.481 Welche Präsenz und Wirkungskraft solche Organisationen im konkreten Umfeld tatsächlich haben konnten, ist schwer festzustellen. Es steht zu befürchten, dass die einschlägige Literatur die Rolle der jeweiligen Vertretung stark übertreibt. Die Existenz organisierter Arbeiter mag in der Endphase die Organisation der Repatriierung erleichtert haben. Insgesamt befanden sich die Délégation officielle en Allemagne und die „Mission Chantiers“ aber an der Schnittstelle von Kollaboration, Widerstand und dem Versuch, die eigenen Lebensverhältnisse zu bessern.482 Si les cadres des Chantiers de la Jeunesse avaient l’impression de faire le devoir de „chef“ et de Français sans appartenir à une organisation de Résistance, leur attitude qui conciliait le respect
pour le Maréchal Pétain, un profond patriotisme et souvent le rejet de valeurs nationales-socialistes peut apparaître comme une forme d’action patriotique fondée sur le souci de défendre
„leurs“ jeunes, dans leur corps comme dans leur esprit. D’ailleurs, leur organisation suscita rapidement une profonde méfiance des autorités allemandes qui aboutit à de nombreuses arrestations et au décès en Allemagne de 28 cadres des Chantiers, le plus souvent des suites d’un internement en camp de concentration ou en AEL.483
Dieser Sachverhalt erschwert die Bewertung. Beispielhaft sei die Einschätzung Joyons wiedergegeben, der den Chantiers insgesamt kritisch gegenüberstand aber erwähnt, dass in seinem Lager der Großteil der Franzosen freiwillig beitrat, weil sie dadurch neue Kleidung und Schuhe bekamen. Er selbst lehnte das zunächst ab, schloss sich aber dann aus Solidarität doch an, ohne je die Uniform anzuziehen. Dennoch: J’étais pourtant en contact avec beaucoup de chefs de l’organisation Chantiers de Vienne. Presque tous étaient en liaison avec „Libre Autriche“ et je devais en retrouver la plupart dans les prisons et les camps d’extermination.484 480 481 482 483 484
Vgl. Evrard, Déportation (1972): 221. Vgl. Joyon, Jeunesse, (1957): 141f. Vgl. dazu Vittori, Eux, les STO (1982): 162–167. Arnaud, Logiques d’opposition (2003): 151. Joyon, Jeunesse (1957): 100.
Befreiung und Repatriierung
119
Die Reaktionen auf die Anwesenheit der „Mission Chantiers“ mögen durchaus unterschiedlich gewesen sein, von Indifferenz bis offene Abneigung oder aber auch Anerkennung von erreichten Verbesserungen in den Lebens- und Arbeitsbedingungen. 485 In den Interviews kamen die Gesprächspartner fast nie von selbst auf die Präsenz dieser Gruppierungen zu sprechen. Darauf angesprochen, verneinten die meisten, dass es reelle Auswirkungen gegeben habe.
5.4 Befreiung und Repatriierung Das Problem der „Displaced persons“ (D.P.) genannten, aus ihrer Heimat verschleppten KZ-Häftlinge, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter wurde von den Alliierten rechtzeitig erkannt. Von besonderer politischer Brisanz war einerseits die Rückführung sowjetischer Kriegsgefangener, die erfolgen sollte, ohne auf individuelle Wünsche einzugehen,486 andererseits aber auch die Frage der von den sowjetischen Truppen befreiten amerikanischen Kriegsgefangenen. Bei der Konferenz von Jalta wurde im Februar 1945 beschlossen, sogenannte „concentration points“ einzurichten, um die Organisation der Repatriierung zu erleichtern. Im Verlauf der nächsten Monate scheiterte die vollständige Umsetzung allerdings an Differenzen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten. Als einzig funktionstüchtiger „Konzentrationspunkt“ verblieb die Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer, von wo aus ab März 1945 der Großteil der von den russischen Truppen befreiten westlichen D.P.s repatriiert wurde. Für die Repatriierung bis zur französischen Grenze waren im Falle der Franzosen die Amerikaner und Engländer zuständig. Die Einheit „G1“ kümmerte sich um die Kriegsgefangenen, „G5“ um D.P.s. Die ursprünglich gesetzten Prioritäten mussten aber angesichts der Befreiung der ersten Konzentrationslager geändert werden, um das Überleben der ehemaligen KZ-Häftlinge zu gewährleisten.487 Je nach dem Aufenthaltsort zur Zeit der Befreiung durch die Alliierten ergaben sich für die Repatriierung verschiedene Möglichkeiten. Eine erste Entscheidung musste bereits im Hinblick auf die herannahenden Truppen getroffen werden: Sollte man die Gebiete (mit den deutschen Truppen) evakuieren oder auf die Besatzungsmacht warten?
485 Vgl. dazu Evrard, Déportation (1972): 223. 486 Vgl. Spoerer, Zwangsarbeit (2001): 212f. 487 Vgl. Cochet, François. „Un retour non soldé: les requis de 1945 à nos jours“. In: Garnier, Bernard/ Quellien, Jean (Hg.). La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003): 538.
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Zwangsarbeit in Österreich
Die Dauer und Art der Repatriierung hing von zwei Faktoren ab, erstens von der geographischen Lage und zweitens von den befreienden Truppen. Allgemein kann gesagt werden, dass die von den Westmächten befreiten französischen Zwangsarbeiter schneller in ihr Heimatland zurückkehrten als die von sowjetischen Truppen repatriierten.488 Für Zwangsarbeiter in dem von sowjetischen Truppen besetzten Gebiet war die Repatriierung über Odessa vorgesehen. Dies wurde den Zwangsarbeitern Anfang Mai 1945 auf verschiedene Weise mitgeteilt, meist von sowjetischen Soldaten. Von einem Sammellager an der österreichisch-ungarischen Grenze (Àgfalva) fuhren Züge über Veszprèm und Budapest nach Odessa. Die Züge wurden oft auf abenteuerliche Weise erreicht, aber auch die folgende Reise war geprägt von Unsicherheit über Dauer und Ziel; insbesondere in Veszprèm war ein Aufenthalt von mehreren Wochen keine Seltenheit.489 Die Erinnerungen zeigen, dass neben den Zügen nach Odessa auch manche nach Norden Richtung Baltikum fuhren, andere wiederum zurück nach Österreich. Von jenen Zwangsarbeitern, die nach Odessa gelangten, wurden manche mit englischen Schiffen repatriiert, andere wieder fuhren dann doch mit dem Zug über die Ukraine, Polen und Deutschland nach Frankreich.490 Für dieses augenscheinliche Chaos ist vermutlich in erster Linie die Herausforderung verantwortlich, innerhalb kurzer Zeit eine so große Zahl von Menschen in ihr jeweiliges 488 François Cochet gibt als Referenzwert einen Durchschnitt von 116 Tagen für die Repatriierung über von den sowjetischen Truppen besetztes Gebiet an, gegenüber einer durchschnittlichen Dauer von 17 Tagen im Falle der Befreiung durch die Westmächte (vgl. Cochet, François: Les exclus de la victoire. Histoire des prisonniers de guerre, déportés et S.T.O. (1945–1985). Paris: Kronos (1992): 68f.. 489 Vgl. dazu auch die Erinnerungen von Quintilla, Gallier (2006): 169–174. 490 Der Vollständigkeit halber seien einige Routen aus der Erinnerungsliteratur wiedergegeben. Michel Caignard: Bratislava, Hegyeshalom, Budapest, Odessa, am 22. Mai 1945 mit dem englischen Schiff „Arawa“ nach Marseille; vgl. Caignard, Les sacrifiés (1985): 145–201; Pierre Picard-Gilbertier: zu Fuß nach Àgfalva, dann mit dem Zug nach Budapest, Bukarest, Odessa (Mitte Mai), Tarnopol, Lvov, Krakau, Holland, Brüssel, Paris; vgl. Picard-Gilbertier, Danube bleu (1993): 53–245; Roger Rossignol: Szombathely, Sopron, Agfalga [sic!], Vestprem [sic!], Budapest, Odessa (23. Mai 1945). 2. August Abfahrt: Tarnopol, Lvov, Krakau, Dresden, Prag, Nürnberg, München, Kehl, Paris; vgl. Rossignol, Transhumance (1997): 50–77. Jean-Louis Quereillahc: Sopron (15. April 1945), Veszprèm (Abfahrt 10. Mai), Budapest, Temesvar, Odessa (4. Juni). 27. Juli Abfahrt: Lwow, Prag, Pilsen, Paris am 22. August 1945; vgl. Quereillahc, Mémoires (1998): 229–306; Henri Calmettes: zu Fuß über Szombathely nach Veszprèm (15. April). Am 15. Mai mit dem Zug über Szeged, Temesvar, Bukarest nach Odessa. Am 1. August mit dem Zug nach Ternopol, Krakau, Breslau, Dresden, Prag, Pilsen, Nürnberg, Frankfurt, Mainz, Saarland, Metz; vgl. Martin, Chantiers de Jeunesse (2001): 346–351. Vgl. auch Evrard, Déportation (1972): 416f. Siehe auch Interviews Kap. 7.
Befreiung und Repatriierung
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Herkunftsland zurückzubringen. Möglicherweise ist im konkreten Fall aber auch ein politischer Zwischenfall von Interesse. Die Verschiffung von Odessa nach Marseille wurde von englischen Schiffen übernommen. Quereillahc berichtet: „Simon, renseigné par un membre de la mission française, nous a raconté à midi que les Anglais se sont à nouveau brouillés avec la France à propos des récents événements de Syrie.“ 491 Tatsächlich könnte die Verzögerung der Repatriierung von Franzosen durch englische Schiffe mit dem wieder aufgeflammten Konflikt im ehemals französischen Völkerbund-Mandatsgebiet und nun – auf dem Weg zur Unabhängigkeit – von Briten und Franzosen gemeinsam besetzten Syrien zusammenhängen. Nach antifranzösischen Ausschreitungen forderte die britische Regierung Frankreich dazu auf, die Streitkräfte bis zum 31. Mai 1945 aus Damaskus abzuziehen.492 Abgesehen davon stellt sich aber auch die Frage der französischsowjetischen Beziehungen im Jahr 1945.493 Nicht alle von den sowjetischen Truppen befreiten Zwangsarbeiter folgten deren Aufforderung; einige machten sich zu Fuß in Richtung Westen auf. Daures erzählt von einer Gruppe, die am 8. Mai 1945 von zwei sowjetischen Soldaten in Aggsbach-Markt befreit wurde. Nach einigen Tagen gelangten sie nach Linz, wo sie wegen der Gefahr einer Typhusepidemie zum Militärflughafen gebracht wurden. Dort verbrachten sie einige Tage in einem Lager mit etwa 5.000 anderen Franzosen, bevor sie am 25. Mai nach Paris geflogen wurden.494 Die Repatriierung von Linz mit dem Flugzeug wird auch in anderen Berichten erwähnt. Francis Blein wurde am 5. Mai 1945 befreit. Am 21. Mai musste seine Gruppe das Lager verlassen. In Bussen wurden sie zum Flughafen gebracht, wo sie vier Tage in einem Hangar auf dem Betonboden auf das Ende eines Sturmes über dem Ärmelkanal warteten. Am 25. Mai kamen sie in Merville an und wurden in Bussen zu einem Aufnahmelager in Valenciennes an der französisch-belgischen Grenze gebracht. An diesem Tag flogen laut Blein etwa 300 Flugzeuge hin und her.495 Der Sturm über dem Ärmelkanal wird auch von Ignace Salvo erwähnt, der drei Tage am Flughafen verbrachte.496 Der Weg Richtung Westen scheint auch von den Verantwortlichen der Chantiers de la Jeunesse bevorzugt worden zu sein: Sie versuchten, die Repatriierung der Franzosen mitzuor491 Quereillahc, Mémoires (1998): 279. 492 Vgl. Duroselle, Jean-Baptiste/Kaspi, André: Histoires des relations internationales de 1945 à nos jours. Paris : Armand Colin (200213), 39f. [13. 01. 2003]. 493 Vgl. Cochet, Retour non soldé (2003): 541. 494 Daures, Nos vingt ans volés (1993): 233–238. 495 Vgl. Blein, Journal 1994: 137f. 496 Siehe Kap. 7.6.
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Zwangsarbeit in Österreich
ganisieren. Jacques Baratier verwandelte einen Bahnhofswartesaal in Hieflau in ein Sammelzentrum, von wo aus Franzosen über Innsbruck nach Vorarlberg und in die Schweiz gebracht wurden. Jean Ginisty seinerseits richtete zunächst in Klein-Pöchlarn, dann in Enns Aufnahmezentren ein.497 „Le centre d’Enns particulièrement, un autre à Hieflau à 100 km au Sud, étaient appelés à jouer un rôle important dans l’hébergement et le rapatriement des Français (prisonniers, déportés, travailleurs).“498 Im Westen Österreichs schließlich dürfte die Bahn das häufigste Transportmittel gewesen sein. Die Gruppe rund um Lucien Andréani verließ Innsbruck mit dem Zug. Sie fuhren die ganze Nacht, erreichten in der Früh St. Anton und schließlich Feldkirch. Von da ging es zu Fuß Richtung Schweiz. Nach der Aufnahme und einer ersten Verpflegung wurden sie mit einem anderen Zug nach Frankreich gebracht.499 Der Vollständigkeit halber sei abschließend noch der kuriose Fall Roger Nakhamkes erwähnt, der mit einer Ambulanz von Konstanz nach Paris überführt wurde, um seine im Sterben liegende Mutter noch rechtzeitig wiedersehen zu können.500
497 Vgl. Martin, Chantiers de Jeunesse (2001): 326–339. 498 Ginisty zit. nach Martin, Chantiers de Jeunesse (2001): 332. Vgl. auch Evrard, Déportation (1972): 429. 499 Vgl. Daures, Nos vingt ans volés (1993): 240f. 500 Siehe Kap. 7.9.
6
Reintegration und Erinnerungskultur
Der französische Staat war im Frühjahr/Sommer 1945 mit einer Vielzahl von heimkehrenden KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern konfrontiert, die unmittelbar versorgt werden mussten. Zu diesem Zweck war bereits 1943 das Ministère des Prisonniers, Déportés et Rapatriés (P.D.R.) gegründet worden, das unter der Leitung von Henri Frenay ein Netz von Auffanglagern und administrativen Formalitäten entwickelt hatte, das die Reintegration der Heimkehrer erleichtern sollte. In der Praxis konnte die Herausforderung aber nur unzureichend bewältigt werden: Die Kapazitäten reichten nicht aus und die Verwaltung litt unter Personalmangel.501 Die Heimkehrer sollten sich nach einer ärztlichen Untersuchung502 einer Befragung stellen, die den Sinn hatte, die Opfer des Nationalsozialismus von etwaigen Kollaborateuren (und v. a. von Freiwilligen) zu trennen. Bei positiver Beurteilung erhielten die Rückkehrer die carte de rapatrié, die ihnen einige Rechte sicherte: zusätzlich zu einer Prämie von 1.000 Francs sollten gegen die Übergabe von 100 Mark und 60 Gramm Tabak weitere 2.000 Francs ausgezahlt werden. Außerdem konnte ein standardisiertes Telegramm an die Familie geschickt werden: „Rentre en France, bonne santé. Arrivée imminente.“503 Die Abwicklung dieser Formalitäten wurde von den Heimkehrern jedoch sehr unterschiedlich erlebt. In Bezug auf die berufliche Wiedereingliederung scheint es keine großen Schwierigkeiten gegeben zu haben, auch deshalb, weil es an Arbeitskräften mangelte.504 Zwischen Mai und Oktober 1945 wurden zusätzlich mehrere Verordnungen erlassen, die im Wesentlichen darauf abzielten, jedem Heimkehrer innerhalb einer Frist von drei Monaten505 die Wiedereinstellung in jenen Betrieb zu ermöglichen, in dem er vor der Abfahrt gearbeitet hatte. Im Falle der Unmöglichkeit war ihm bei der Einstellung in anderen Berufen Vorrang gegenüber Nicht-Heimkehrern zu gewähren. Außerdem sollten finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, um neue Betriebe zu gründen und bestehende Betriebe wiederzubeleben. Günstige Kredite sollten auch landwirtschaftlichen Betrieben zugutekommen. Zusätzlich gab es Sonderbestimmungen für Heimkehrer, die eine Ausbildung 501 Vgl. Cochet, Exclus (1992): 123–135. 502 Diese Untersuchung wurde unter den schwierigen Umständen häufig sehr oberflächlich durchgeführt, was bei später auftretenden Erkrankungen zu Beweisnotstand führen konnte, wenn es darum ging, Rechtsansprüche geltend zu machen. 503 Vgl. Gratier de Saint Louis, Retour (1994): 258. Für Erinnerungen an die Ankunft vgl. Blein, Journal (1994): 138; Picard-Gilbertier, Danube bleu (1993): 235. 504 Vgl. Cochet, Retour non soldé (2003): 542. 505 Für die Zwangsarbeiter allerdings nur zwei Wochen.
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Reintegration und Erinnerungskultur
Abbildung 14: Carte de rapatrié, Frankreich 1945
Reintegration und Erinnerungskultur
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beginnen wollten.506 All diese Bestimmungen führten zum ersten Mal Kategorien von Heimkehrern ein, die davor unterschiedslos „absents“ (Abwesende) genannt wurden. Die Nuancen ergaben sich aber aus rein materiellen Erwägungen, die mit der Gesundheit und den Rechten der jeweiligen Heimkehrer bzw. ihrer Angehörigen (Witwen und Waisen) zusammenhingen.507 Trotz des sichtlich vorhandenen Willens des zuständigen Ministeriums gab es beträchtliche Hindernisse: Die Durchführungsverordnungen ließen auf sich warten, die finanziellen Grenzen waren rasch erreicht und Kompetenzstreitigkeiten erschwerten die praktische Umsetzung. Das Ministerium Henri Frenays (P.D.R.) wurde im November 1945 aufgelöst und am 19. Jänner 1946 durch das neue Ministère des Anciens Combattants et Victimes de Guerre ersetzt, das nun für sämtliche ehemals eingesetzten Soldaten und Kriegsopfer, inklusive jene des Ersten Weltkriegs, zuständig war. Die Reintegrationspolitik verlor damit den Vorrangcharakter, der ihr anfänglich noch zugekommen war. Der Wille, zur Normalität zurückzukehren, und der sich abzeichnende wirtschaftliche Aufschwung ließen Frankreich in die Zukunft blicken.508 Nach teilweise mehr als zweijähriger Abwesenheit kamen viele Heimkehrer in ein verändertes Umfeld zurück. Am meisten entfremdet waren zweifellos die ehemaligen KZHäftlinge, aber auch viele Zwangsarbeiter hatten traumatisierende Erfahrungen gemacht (vielfach Bedrohung durch Krankheit und Tod, Repressionsmaßnahmen, Trennung bzw. Entfremdung von der Familie …).509 Vor der Verschleppung entstandene Lebensentwürfe konnten zunichtegemacht worden sein,510 andere Lebensentwürfe kamen eventuell erst durch die Verschleppung zustande.511 Die Schwierigkeit, das Erlebte mitzuteilen, konn506 Vgl. Cochet, Exclus (1992): 124–129; Gratier de Saint Louis, Retour (1994): 260f. 507 Vgl. Wieviorka, Annette: „La bataille du statut“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.): La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ ), Université Caen (2003): 619. 508 Vgl. Cochet, Exclus (1992): 128–132. 509 Es liegen zur Zeit keine psychologischen Studien über die spezifischen Schwierigkeiten von Zwangsarbeitern vor. Bestehende Studien zur allgemeinen Traumabewältigung sowie eine Reihe von spezialisierten Schriften, welche die physischen und psychischen Folgewirkungen einer KZHaft untersuchen, könnten aber in manchen Bereichen Analogien aufweisen (vgl. Spoerer, Zwangsarbeit [2001]: 216–219). 510 Jacques Seignole hatte sich vor seiner Deportation gerade auf eine wichtige Juweliersprüfung vorbereitet. Nach seiner Rückkehr blieb er dem Beruf zwar treu, konnte diese Prüfung aber nicht mehr ablegen (Interview Jacques Seignole, 18. 7. 2002). 511 Jean-Louis Quereillahc, der im dritten Jahr seines Rechtsstudiums deportiert wurde, fragt sich nach seiner Rückkehr: „Qu’ai-je encore de commun avec la jeunesse du Boul’Mich, après deux ans de Service du Travail Obligatoire, de STO? Après les misères, après les jours de bagne et d’enfer…
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Reintegration und Erinnerungskultur
te den Verfall in Schweigen bewirken. Oft stieß man auch einfach nur auf Unverständnis. Zweifellos war es für Zwangsarbeiter in der Regel leichter als für KZ-Häftlinge oder Kriegsgefangene: sie hatten im Allgemeinen weniger gelitten als die KZ-Häftlinge, und sie hatten Frankreich später verlassen als die Kriegsgefangenen, die sich daher mehr entfremdet hatten.512 Für das Département Rhône meint Gratier de Saint Louis, die Wiedereingliederung in Familie und Beruf sei in den meisten Fällen nicht problematisch gewesen. Dies mag durch den Umstand begünstigt worden sein, dass die meisten Zwangsarbeiter ledig waren und es an Arbeitsplätzen nicht mangelte.513 Versuchsweise könnte man jene Faktoren ermitteln, welche die Fähigkeit der Bewältigung der Erlebnisse bestimmen. Beispielhaft seien die Dauer der Abwesenheit, das Bestehen eines sozialen Netzes (Familie, Freunde) oder auch eine mögliche Krankheit genannt. Diese Aufzählung hat hier nur heuristischen Wert und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine seriöse Auseinandersetzung müsste sich soziologischer und psychologischer Methoden bedienen und kann daher an dieser Stelle nicht geboten werden. Annäherungsweise kann aber versucht werden, sich die genannten, in Wirklichkeit eng verwobenen Faktoren anzusehen. Ein (auch bei ehemaligen KZ-Häftlingen) herausragender Aspekt ist die Bildung von Vereinen, die neben der besseren Interessenvertretung auch ein Forum für die gemeinsame Bewältigung der Erinnerungen bieten und damit einem sozialen Netz gleichkommen. Die Erarbeitung einer kollektiven Erinnerung im institutionellen Rahmen einer Verfolgten-
vereinigung hat sicher Überlebenden auch individuell geholfen, die Last traumatischer Erinnerungen zumindest teilweise zu bewältigen.514
Die Gründung des französischen Zwangsarbeiterverbandes erfolgte im März 1945 aus dem Zusammenschluss zweier Vorgängerorganisationen; seit November gab er sich den Namen Fédération Nationale des Déportés du Travail (F.N.D.T.).515 Der Verband und seine
512 513 514 515
Rien. Ma place n’est pas ici… Je me suis levé pour partir“ (Quereillahc, Mémoires (1998): 312). Er kehrte daraufhin in den Südwesten Frankreichs zurück. Auch Roger Nakhamkes meinte in seinem Interview, er habe durch seine Erfahrungen in Österreich neue Welten kennengelernt und wollte daher nicht längerfristig seinen Beruf als Buchhalter ausüben (Siehe Kap. 7.9). Vgl. Cochet, Exclus (1992): 177ff. Vgl. Gratier de Saint Louis, Retour (1994): 260f.; Cochet, Retour non soldé (2003): 542. Pollak, Die Grenzen des Sagbaren (1988): 138. Einen detaillierten Überblick über die Geschichte des Verbandes bietet Schlippi, Arnaud: „La Fé-
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regionalen Ableger hatten die Aufgabe, die wirtschaftlichen und moralischen Interessen der Opfer zu wahren.516 Die Hauptanliegen der Opfervertreter waren zunächst wirtschaftlicher und sozialer Natur (Witwen- und Invaliditätspensionen, Kleidung, Anrechnung des Militärdienstes) und fielen damit mit den Aktivitäten des Staates zusammen. Alle Rückkehrer sollten in Kategorien erfasst und ihre Rechtsansprüche daraus abgeleitet werden. Die Verbandszeitung „Le D.T.“ wurde 1946 gegründet.517 Nach einigen Übergangsregelungen518 wurde am 14. Mai 1951 ein Gesetz verabschiedet, das den wirtschaftlichen Forderungen gerecht wurde, aber ein neues Problem aufwarf: Die ursprüngliche Kategorienbezeichnung „Déporté du Travail“ wurde im Gesetzestext durch das Provisorium „Personne Contrainte au Travail en pays ennemi“ ersetzt. Der Verband war mit dieser Bezeichnung nicht zufrieden, weil damit in seinen Augen eine ungebührende Abschwächung des Opfercharakters suggeriert wurde, und hat seit diesem Zeitpunkt versucht, sie in seinem Sinne zu verändern.519 Die Geschichte des Verbandes ist wesentlich von der daraus resultierenden Auseinandersetzung mit den zuständigen Behörden und anderen Opfergruppen geprägt, der sogenannten „bataille du statut“. Tatsächlich war 1951 vorgesehen gewesen, das Provisorium durch eine vom Parlament zu verabschiedende Bezeichnung zu ersetzen.520
dération nationale des victimes et rescapés des camps nazis du travail forcé : histoire et combats“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.). La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ), Université Caen (2003): 603–616. 516 Vgl. Gratier de Saint-Louis, Retour (1994): 263. In einer Dokumentensammlung der F.N.D.T. gibt ein Forderungskatalog (Cahier de revendications) vom 1. Mai 1946 Aufschluss über die Art der Forderungen (siehe Fn. 531). 517 Vgl. Compte-rendu du Congrès National de la Fédération Nationale des Déportés du Travail du 15 au 18 Novembre 1946. Zugänglich an der Bibliothèque Nationale de France, Doc. BNF FOL-R PIECE-317, S. 8. 518 Am 11. Mai 1945 regelte eine Verordnung provisorisch die Lage. Es folgte ein am 5. September 1947 verabschiedetes Gesetz, und 1948 gab es insgesamt zehn Kategorien (statuts), die vom Verteidigungsministerium bzw. vom Ministère des Anciens Combattants vergeben wurden (vgl. Wieviorka, Annette. Déportation et génocide : entre la mémoire et l’oubli. Paris: Plan [1992]: 141–150). 519 Erst 2008 konnte erreicht werden, dass die Bezeichnung „Victime du travail forcé en Allemagne nazie“ auf dem Ausweis dieser Opfergruppe Verwendung fand, eine Tatsache, die vom Verband als großer Sieg gefeiert wurde. Vgl. Journal officiel de la République française, n°0258, 5. 11. 2008, 16882; URL: http://www.requis-deportes-sto.com/reconnaissance/index.html (01.03.2010). 520 Vgl. Wieviorka, Bataille du statut (2003): 621; Gratier de Saint Louis, Retour (1994): 264ff.
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Der offen ausgetragene Konflikt lässt sich an einem Rechtsstreit festmachen, der erst mit einem Spruch der cour de cassation (Oberster Gerichtshof ) im Jahre 1979 bzw. für vier regionale Ableger 1992521 endete und damit den Gebrauch der Bezeichnung „déportation“ und „déportés“ ausschließlich den Verbänden ehemaliger KZ-Häftlinge vorbehält.522 Die Klage war 1974 von fünf Opferverbänden (vor allem ehemaliger KZ-Häftlinge) eingebracht worden, die in den jahrzehntelangen widersprüchlichen Aussagen bei Kongressen und in der Presse die Gefahr sahen, dass bei zukünftigen Generationen Verwirrung über den eigentlichen Charakter der „déportation“ entstehen könnte.523 Der Verband wurde nach der Entscheidung 1979 in Fédération Nationale des Victimes et Rescapés des Camps Nazis du Travail Forcé (F.N.V.R.C.N.T.F.) umbenannt, die frankreichweit verbreitete Verbandszeitung „Le D.T.“ – leicht als „Déporté du Travail“ zu entschlüsseln – 1992 in „Le Proscrit“.524 Damit ergeben sich zwei mögliche Frustrationsquellen: einerseits die eigentliche Erfahrung der Zwangsarbeit, andererseits die gerichtlich festgelegte Aberkennung einer Bezeichnung, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit allgemein gebräuchlich war und den Zwangscharakter der Verschleppung ausdrückt.525 La première est celle de la douloureuse expérience de l’exil forcé. La Seconde est celle du
temps de l’après-guerre: le retour ‚manqué‘, empoisonné par la suspicion et éclipsé par la gloire des Résistants et par la vision d’horreur des Déportés Concentrationnaires; le statut dont la
joie de l’obtenir est aussitôt gâchée par la perte du Titre ; la longue lutte pour reconquérir celui-ci et les procès qui la concluent pour l’instant… .526
521 Spruch 33P der Cour de Cassation vom 10. 2. 1992. 522 Vgl. Martin, Chantiers de jeunesse (2001): 11. 523 Einer der Hauptbeweggründe scheint zu sein, im Bewusstsein der französischen Gesellschaft kein falsches Bild erzeugen zu wollen. Seitens der Opferverbände ehemaliger Konzentrationslagerhäftlinge wird immer wieder vorgebracht, dass eine Vermischung der Leidensgeschichten zu einer Verharmlosung des Nationalsozialismus führe. Nicht alle Verbände ehemaliger KZ-Häftlinge haben sich allerdings im gleichen Ausmaß mit dieser Frage beschäftigt. Es sollte auch nicht der Eindruck zweier eindeutig abgegrenzter und unversöhnlicher Lager entstehen. Auch der Zwangsarbeiterverband war nicht von der Absicht getrieben, die Unterschiede zwischen den eigenen Erfahrungen und denen der KZ-Häftlinge zu leugnen. 524 Vgl. Gratier de Saint Louis, Retour (1994): 268f.; vgl. auch den Kommentar von Martin, Chantiers de jeunesse (2001): 525–527. 525 Vgl. Gratier de Saint Louis, Retour (1994): 270. Die Bezeichnung „Déportation“ wurde insbesondere ab 1943 von der Résistance und der BBC verwendet, um gegen die massenhafte Rekrutierung der Arbeiter zu protestieren; vgl. Barcellini, Mémoire(s) (2003): 583–590; Wieviorka, Bataille du statut (2003): 617f. 526 Gratier de Saint-Louis, Retour (1994): 270.
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Hinter diesem semantischen Schlagabtausch verbirgt sich das Gefühl, die eigenen Erfahrungen würden nicht genügend Anerkennung finden. Diese Unsicherheit geht schon auf die unmittelbare Nachkriegszeit zurück, in der allgemein bewiesen werden musste, dass man in irgendeiner Form zur Befreiung Frankreichs beigetragen hatte.527 Gratier de Saint-Louis meint, man habe es dem Zwangsarbeiterverband auch verübelt, dass er für die Rekrutenjahrgänge 1940–1942 eine Befreiung von der allgemeinen Wehrpflicht (für jene, die mehr als ein Jahr in Deutschland waren) erwirkt hätte. Ce corporatisme étroit de catégorie de victimes de guerre empêche la Fédération de percevoir
l’atmosphère particulière qui baigne le pays. Dans l’ambiance de libération armée de celui-ci, l’acte guerrier devient l’acte fondateur de toute reconnaissance. Etre soldat et revêtir l’uniforme participent de la même symbolique.528
Das Umfeld der Reintegration ist also von Verwirrung und Unsicherheit über die verschiedenen Gruppen von Heimkehrern gekennzeichnet. Dieser Kontext hatte auch Auswirkungen auf das Zustandekommen eines kollektiven Gedächtnisses der Zwangsarbeiter. Ein wesentliches Symbol ist ein Plakat, das 1945 von der Fédération Nationale des Déportés Internés Résistants Patriotes (F.N.D.I.R.P.), der Fédération Nationale des Prisionniers de Guerre (F.N.P.G.) und der F.N.D.T. gedruckt wurde und auf dem ein Kriegsgefangener und ein Zwangsarbeiter einen KZ-Häftling stützen.529
527 Beim 1946 stattgefundenen Congrès National de la Fédération Nationale des Déportés du Travail meldete sich ein Sprecher zu Wort: „Je ne veux pas vous dire que la situation est la même dans toutes les parties de la France, mais il se trouve, dans bien des endroits, comme dans notre région, que les Anciens Combattants sont hostiles aux déportés du travail et c’est principalement pour l’orientation des débats futurs que je veux votre attention. Vous savez quelle est la position des Anciens Combattants, vous savez qu’ils ont formé des cartels issus des deux guerres, qu’ils ont parfois négligé et rejeté les Déportés du Travail de ces cartels; maintenant, nous pouvons constater, dans bien des endroits lorsque par exemple il y a des veillées aux morts, à l’occasion du 11 Novembre ou d’autres fêtes, que les Déportés du Travail sont exclus de ces manifestations. Nous voulons que nos morts soient honorés au même titre que tous ceux qui sont tombés pour la France. Leur manœuvre de division est bien préparée. Il s’agit d’englober dans les Anciens Combattants les prisonniers de guerre; ainsi que les déportés politiques et de rejeter les déportés du travail.“ (Vgl. Compte-rendu du Congrès National de la Fédération Nationale des Déportés du Travail du 15 au 18 Novembre 1946. Zugänglich an der Bibliothèque Nationale de France, Doc. BNF FOL-R PIECE-317, S. 19.) 528 Gratier de Saint-Louis, Retour (1994): 262. 529 Abgedruckt z. B. in Caignard, Les sacrifiés (1985): 268f.
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Reintegration und Erinnerungskultur Abbildung 15: „Ils sont unis – ne les divisez pas“
Dieses Zeichen der Einheit der Opfer des Nationalsozialismus wurde in der Nachkriegszeit durch die auftretenden Konflikte zerstört. 1985 zeigte ein Plakat anlässlich der 40-Jahr-Feier des Kriegsendes nur noch einen KZ-Häftling und einen Kriegsgefangenen. Nicht, dass der Zeichner die Zwangsarbeiter vergessen hätte – der Beschluss zu dessen Entfernung wurde im Ministerrat gefällt.530 Immer wieder wird auf das Plakat von 1945 verwiesen, wie zum Beispiel beim Congrès départemental in Castres 1981: Elle illustrait la nécessité communément admise à cette époque de l’union des rapatriés, victimes à la fois du nazisme, de la défaite et de la trahison. Depuis, des hommes ont cru pouvoir
délibérément briser cette union, d’abord dans leurs propres rangs. Puis, en août 1950, ils se sont attaqués aux Victimes de la Déportation du Travail. Sous le faux prétexte d’éviter une confusion entre les déportés concentrationnaires et les déportés du travail, ils contestent à
ces derniers le droit à un titre comportant les mots „Déporté“ ou „Déportation“. Or, jamais
les déportés du travail n’ont cherché à établir le moindre parallèle entre leurs souffrances et le 530 Vgl. Barcellini, Mémoire(s) (2003): 596.
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génocide hitlérien que fut l’univers du monde concentrationnaire. Jamais ils n’ont recherché
la confusion avec leurs camarades déportés de la Résistance. Jamais ils n’ont brigué le partage
d’une auréole qui n’appartient qu’à eux seuls. […] Ceci posé, il n’en demeure pas moins qu’il y a eu dans la longue liste des crimes nazis […] une entreprise d’esclavage à l’échelon européen
qui s’appelle la Déportation du Travail. […] Et c’est pourquoi nous nous élevons avec indigna-
tion contre cette floraison de déclarations, de motions, d’appels et de tracts qui tendent à faire des victimes de la déportation du travail des hommes sans courage, sans conscience et sans dignité, qui se seraient mis à la disposition de l’ennemi et auraient été des collaborateurs de l’Allemagne hitlérienne.531
Jean Daures, der in seinem Erinnerungswerk das Plakat ebenfalls abdruckt, stellt darunter die Frage: „Où en sommes nous de cette Unité, cinquante ans après?“532 Für die Erinnerungskultur bedeutet dieser Umstand, dass gemeinsame Bezugspunkte gefunden werden müssen, die einen Grund für den Kampf um Rehabilitierung liefern: „Combat pour le titre et combat pour la mémoire sont indissociables et convergent vers l’objectif commun qui est la reconnaissance de ce qu’a été le Travail Obligatoire dans le Reich: une déportation.“533 Entscheidend bei dieser Suche nach Bezugspunkten konnten nicht alltägliche, durchschnittliche Erlebnisse von Zwangsarbeitern (Unterkunft, Verpflegung, Arbeit) sein, weil diese nicht mit denen der KZ-Häftlinge vergleichbar waren. Hervorgehoben werden daher jene Ereignisse, bei denen der Opfercharakter unzweifelhaft zum Ausdruck kommt: Repression (Arbeitserziehungslager), Sabotage, Bombenangriffe und Erschießungen. Mit diesen Argumenten wird versucht, verschiedene ausgesprochene und unausgesprochene Vorwürfe (Freiwilligkeit, Gewinnsucht, Vaterlandsverrat durch Nichteintritt in den Widerstand, Kollaboration) zu entkräften.534 L’héroïsme demeure le fait d’une minorité de la communauté – les meilleurs, bien sûr. Mais il
existe et prouve donc que les gars de la Relève forcée et du S.T.O. n’ont pas été des collabora-
teurs, surtout pas des volontaires ; qu’ils ont gardé le sens de l’honneur de la France ; qu’ils ont 531 Eine Sammlung von Dokumenten der F.N.D.T. ist an der Bibliothèque Nationale de France (BNF) zugänglich: Doc. BNF 4-WZ-11492. Enthalten sind unter anderem Unterlagen zu Kongressen auf Département-Ebene (1974, 1976, 1978, 1981), ein Forderungskatalog, der von der F.N.D.T. am 1. Mai 1946 den Behörden übergeben wurde. 532 Daures, Nos vingt ans volés (1993): Abbildung vor Seite 161. 533 Gratier de Saint Louis, Retour (1994): 267. 534 Vgl. dazu auch die Internet-Seite des Verbandes: URL: www.requis-deportes-sto.com (01.03.2010); vgl. auch FNVRCNTF, Livre blanc (1987).
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su même résister, à leur façon, en sabotant la production et en subissant parfois la répression
nazie jusqu’à en mourir. Cette petite fleur dans le terrain vague du Reich est exaltée, amplifiée. Elle fait l’objet de commémorations solennelles en Allemagne (Dortmund, Grossbeeren) ainsi qu’en France (monuments au D.T. inconnu de Lyon et Paris).535
Die dabei regelmäßig vorgebrachten Referenzzahlen sind: 600.000 Zwangsarbeiter, 60.000 Tote (darunter 15.000 Erschossene, Erhängte oder Geköpfte) und 59.500 Tuberkulosekranke. Die Zahl der Toten wird nach dem heutigen Forschungsstand als überhöht angesehen, und auch die angegebenen Todesarten sind zu hinterfragen, weil neben den Opfern von Bombenangriffen Tote wohl hauptsächlich auf Einweisungen in Arbeitserziehungslager oder KZ zurückzuführen sind.536 Diese Zahlen findet man seit 1945 nicht nur in der Erinnerungsliteratur und der vereinsinternen Zeitung,537 sondern auch auf dem 1970 am Pariser Friedhof Père Lachaise errichteten Mahnmal mit folgender Inschrift.538 600 000 français déportés pour le travail forcé en Allemagne 60 000 morts 15 000 fusillés, pendus ou décapités pour acte de résistance 1945–1970 50 000 disparus des suites de cette déportation FNDT Das Denkmal ersetzt ein älteres Denkmal, das 1947 anlässlich der offiziellen Bestattung der Leiche eines „unbekannten Zwangsarbeiters“ errichtet wurde.539 535 Gratier de Saint Louis, Retour (1994): 268. 536 Vgl. Arnaud, Logiques d’opposition (2003): 148. 537 Vgl. Barcellini, Mémoire(s) (2003): 583ff. Als Beispiel vgl. FNVRCNTF, Livre blanc (1987); Ayot, Michel: Comment on joue sous la botte nazie ou la Trilogie antagonique au S.T.O. : histoire et poèmes. Aspiran (Clermont-l’Hérault): Eigenverlag (1985): 5, 24. 538 Das Denkmal steht in unmittelbarer Nähe der Mahnmäler der KZ-Lagergemeinschaften. Es wurde unter Anwesenheit führender Politiker am 21. Juni 1970 eingeweiht (vgl. Schlippi, FNVRCNTF [2003]: 607f. Vgl. auch URL: www.souviens-toi.org/photo_sto.html (01.03.2010) 539 Vgl. Le DT, n° 253 (Mai 1985): 14f. Im Mai 1947 wurde auch in Lyon am Friedhof La Guillotière ein Denkmal für die verstorbenen Zwangsarbeiter errichtet. 1953 wurde darin die Leiche eines „unbekannten Zwangsarbeiters“ bestattet (vgl. Le DT, n° 253 [Mai 1985]: 20).
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Links und rechts des Mahnmals ergänzen zwei Urnen den Text: „Cette urne contient de la terre sacrée du BITTERMARCK [sic!] de DORTMUND où furent massacrés 347 déportés du travail“ und „Cette urne contient de la terre sacrée de l’ARBEITSTRAFLAGER [sic!] de GROSSBEEREN où furent exterminés 800 déportés du travail“.540 Zwischen 1945 und 1950 wurden ähnliche Gedenktafeln in Troyes, Pau, Nîmes, Décines, Marseille, Bordeaux, Toulouse, Béziers, Casseneuil und Lyon angebracht. Stelen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit findet man in Saint-Jean-de-Luz, Nantes, Tours und Beaugency, denen in späteren Jahren noch weitere Stelen und Gedenktafeln folgten.541 Am 19. Jänner 1980 brachte die Kommunistische Partei in der Assemblée Nationale einen Gesetzesentwurf ein, der die Bezeichnung „victimes de la déportation du travail“ einführen sollte. Auch in diesem Text wird an 60.000 Tote, darunter 15.000 wegen Widerstands Erschossene, erinnert. Weiter heißt es: „5.000 sont revenus tuberculeux“ und „entre 1945 et 1980, 25 % sont morts, par suite de handicaps divers.“542 Diese gemeinsamen Bezugspunkte werden bei jährlich stattfindenden Kongressen auf nationaler und Départementebene weitergegeben. Zusätzlich findet alle drei Jahre eine Pilgerfahrt nach Lourdes statt.543 Bereits 1945 entsteht die These vom Widerstand der Zwangsarbeiter in Deutschland. Eine Broschüre enthält folgende Sätze: Vichy et les Allemands avaient tenté de faire croire que tu étais volontairement parti travailler dans le Reich. De Sigmaringen, un pseudo-gouvernement et sa clique ont fait pression sur toi
en t’affirmant que tu serais maltraité à ton retour. Par notre action dans la Résistance et par 540 1960 wurde in der Bittermark (bei Dortmund) ein Mahnmal eingeweiht, das an die Erschießung von 280 Widerstandskämpfern und ausländischen Zwangsarbeitern durch die Gestapo zwischen 7. März und 12. April 1945 erinnert. Der französische Verband F.N.V.R.C.N.T.F. beteiligte sich an den Kosten (siehe dazu URL: www.mein-dortmund.de/bittermark.html [1. 3. 2010]). Jährlich am Karfreitag findet gemeinsam mit Vertretern des FNVRCNTF eine Gedenkfeier statt. In Großbeeren (Brandenburg) kamen 183 Franzosen ums Leben – eine Gedenktafel erinnert daran. Eine weitere Tafel in Brandenburg erinnert an elf ermordete französische Bahnarbeiter (vgl. Le DT, n° 253 [Mai 1985]: 20). 541 Vgl. Barcellini, Mémoire(s) (2003): 586ff. 542 Zit. nach Michel, Journal d’un étudiant (1995): 145. 543 Vgl. Schlippi, FNVRCNTF (2003): 610ff. 1987 wurde ein ehemaliger STO von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen (vgl. ebda.).
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le sabotage que tu as accompli en Allemagne, le Peuple Français sait aujourd’hui que tu étais
seulement un condamné aux travaux forcés. Il sait aussi que tu as refusé de te soumettre aux négriers de la machine de guerre allemande, ceux-là même que nous avons combattus sur le sol de France les armes à la main.544
Das Gefühl der ungerechten Behandlung und mangelnden Anerkennung lässt sich auch andernorts nachlesen: In einer Rede ruft Michel Ayot, Präsident einer örtlichen Sektion der Fédération des Départements Hérault, die Worte de Gaulles bei den Nürnberger Prozessen in Erinnerung: „Les déportés du travail ont droit à la considération du pays.“ Zur Frage, ob man sich der Rekrutierung entziehen hätte können, meint er: „Ce qui a été possible fin 43, 1944 et 1945 ne l’était pas au printemps 1943, la création du C.A.D. (comité d’action contre la déportation du travail) date seulement de juillet 1943.“ Weiters verweist er auf die Rolle und Autorität Vichys: „La loi scélérate de Laval (16 février 43) largement diffusée, instituant le STO (service du travail obligatoire) avait le même caractère d’obligation qu’aujourd’hui le service militaire.“ Zur Beteiligung der Gendarmen: „Les gendarmes de Clermont-l’Hérault savaient bien venir nous trouver là où nous étions.“ Und schließlich: „40 ans après, nous sommes brimés par nos anciens amis des camps concentrationnaires, nous ne sommes pas des collaborateurs!“545 Die Vertreter der französischen Behörden versuchen seit 1985 mit wechselndem Erfolg, bei den jährlichen Gedenkfeiern am Père Lachaise diesem Gefühl der Verbitterung entgegenzuwirken.546 Auch in der Erinnerungsliteratur wird das Problem häufig thematisiert: Depuis mon retour dans ma douce France, le 26 mai 1945, et après de longues années de
réflexion, je me suis toujours posé cette question: qui sommes-nous les S.T.O.? Presque une
catégorie de volontaires, des non-compris, des refoulés, aucune association d’internés et dé-
portés ne voulait nous reconnaître. Nous étions de pauvres gars qui contraints par un travail
obligatoire puisque Pierre Laval ce collaborateur nazis [sic!] nous avait vendu à nos occupants. C’était soit [sic!] disant la relève des prisonniers, quelle honte et quelle tromperie.547
544 Zit. nach Cochet, Exclus (1992): 192. Vgl. auch Cochet, Retour non soldé (2003): 543. 545 Ayot, Sous la botte nazie (1985): 24. Die Worte bei den Nürnberger Prozessen werden bereits 1961 in der von der F.N.D.T. veröffentlichten Broschüre Pourquoi nous sommes des victimes de la déportation du travail in Erinnerung gerufen (vgl. Schlippi, FNVRCNTF (2003): 606). 546 Vgl. Barcellini, Mémoire(s) (2003): 596f. 547 Febvet, STO (1988): 27.
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Und schließlich tauchen die gleichen Referenzen auch in Gedichten auf. In einem (angeblich) bereits 1943 verfassten Gedicht werden die Bezeichnungen „exil“, „déporté du travail“, „contre ma volonté“, „contraints“, „rien de volontaire“ verwendet.548 Eine letzte Möglichkeit der Rehabilitierung wird im Ruf nach objektiver historischer Aufarbeitung gesehen. Seit Beginn der 80er-Jahre hat sich der Verband in Anbetracht der verlorenen Prozesse mehr auf aktive Aufklärungsarbeit verlegt. 1987 erschien das „Weißbuch“,549 das neben historischen Fakten auch zahlreiche Dokumente wiedergibt. 1998 wurde im Fernsehen ein – leider nur unbefriedigender – Dokumentarfilm ausgestrahlt, 1999 schließlich eine Internetseite eingerichtet. 550 Angesichts des damals bevorstehenden Historikerkolloquiums551 titelt die Zeitschrift „Le Proscrit“ im Jahre 2001: „‘La main-d’œuvre française exploitée par l’Allemagne Nazie‘. Trois jours de Colloque d’HISTORIENS [sic!] pour dissiper cinquante-six ans d’obscurantisme“.552 Tatsächlich ist das lange anhaltende Desinteresse am Forschungsbereich „S.T.O.“ nicht unbeteiligt am mangelnden gesellschaftlichen Bewusstsein.553 Die Konflikte zwischen den Opfergruppen, die aus der Aufarbeitung ein heikles Thema machen, mögen zu besonderer Vorsicht und in weiterer Folge Tabuisierung geführt haben. In der Wahrnehmung des Verbands ehemaliger Zwangsarbeiter erfährt diese Opfergruppe in der französischen Nachkriegsgeschichte nicht die ihr gebührende Anerkennung: „Aucun pays, hormis l’URSS, n’a comme la France manifesté une telle défiance à l’égard de ses ressortissants partis travailler en Allemagne durant la Seconde Guerre mondiale.“554 Grob gesprochen wird das kurze Zeit bestehende Bild einer Solidarität der Opfergruppen (veranschaulicht durch das von der F.N.D.I.R.P. erzeugte Plakat „Ils sont unis – ne les divisez pas“) langsam durch eine differenziertere Sichtweise abgelöst, die auf Kosten der Zwangsarbeiter geht: vorsichtig formuliert genießen ehemalige Häftlinge von Konzentrationslagern heute in Frankreich höheres Ansehen, während der zahlenmäßig weit bedeu548 Vgl. Unterlagen eines Kongresses von 1978. Zugänglich an der Bibliothèque Nationale de France, Doc. 4-WZ-11492, S. 19. 549 Vgl. FNVRCNTF, Livre blanc (1987). 550 Vgl. URL: www. requis-deportes-sto.com (01.03.2010). 551 Einen Einblick, wie das Thema in Assemblée nationale und Sénat diskutiert wurden, geben URL: www.groupe-communiste.assemblee-nationale.fr/questions/QO990302_1.html (01.03.2010) und URL: www.senat.fr/seances/s199803/s19980331/sc19980331004.html (01.03.2010). 552 Le Proscrit, no. 36(2001): 1. 553 Siehe Kap. 2.2. 554 Arnaud, Logiques d’opposition (2003): 147.
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tendere Einsatz von Zwangsarbeitern kaum wahrgenommen zu werden scheint (das trifft im Übrigen auch auf die Kriegsgefangenen zu) oder sogar mit negativen Assoziationen verbunden ist. In Wahrheit scheint es so zu sein, dass die öffentliche Meinung kaum von den Konflikten der Opfergruppen betroffen ist. Gratier de Saint Louis meint dazu: Il apparaît, en tout cas, que les décisions de justice ne semblent pas avoir atténué les tensions
entre mémoire, histoire et vérité, de même qu’entre les communautés de victimes de guerre. Nous ne sommes pas persuadé que l’opinion publique se sente réellement concernée par ce
conflit de mémoires, dans le Rhône comme ailleurs semble-t-il. Si elle ne s’en désintéresse pas
par principe, elle a une connaissance plutôt fragmentaires des enjeux. Cette méconnaissance, particulièrement parmi les jeunes générations, souligne, s’il en est besoin, la responsabilité de l’Ecole dans la formation de cette mémoire. En définitive, l’enjeu capital que signifie la revendication du titre de ‚Déporté‘ n’est réellement compréhensible que par un cercle trop restreint
d’individus: les intéressés bien sûr, les enseignants d’histoire, quelques étudiants et trop peu de journalistes.555
Ob das Ende 2001 in Caen abgehaltene Historikerkolloquium und die damit verbundene Erzielung eines wissenschaftlichen Konsenses an dieser Einschätzung etwas ändern wird, hängt davon ab, in welcher Form die Ergebnisse einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Das Fehlen eines Anlassfalles für eine mögliche Debatte legt aber den Schluss nahe, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung nur einem kleinen Personenkreis bekannt werden wird. So ergibt sich mehr als 60 Jahre nach Kriegsende das aus österreichischer Sicht interessante Phänomen, dass nicht Deutschland und Österreich im Mittelpunkt der Debatte stehen, sondern vielmehr der eigene, französische Umgang mit diesem Kapitel der Geschichte: Près de soixante ans plus tard, les anciens requis n’ont plus aucune haine envers l’Allemagne
et beaucoup sont devenus de fervents partisans de la construction européenne. Leur ressentiment, cristallisé dans une querelle de mots, s’est tourné vers les autorités françaises qui ne leur ont toujours pas trouvé de place dans sa mémoire collective, mémoire qui continue à mettre en concurrence et diviser les victimes du nazisme.556 555 Gratier de Saint Louis, Retour (1994): 270. 556 Arnaud, Logiqes d’opposition (2003): 166.
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Zumindest aber erlebte der Verband im Jahre 2008 eine große Befriedigung: Durch den Erlass einer seit 1952 ausstehenden Durchführungsbestimmung wird die Druckvorlage eines Opferausweises festgelegt, der als Zusatz zum eigentlich verhassten Provisorium „Personne Contrainte au Travail en pays ennemi“ nun die Bezeichnung „Victime du travail forcé en Allemagne nazie“ trägt und damit indirekt den so stark ersehnten Opferstatus offiziell bestätigt.
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Dokumente
Abbildung 16: Arbeitsvertrag Enzesfelder Metallwerke
Dokumente Abbildung 17: Arbeitskarte Enzesfelder Metallwerke
Abbildung 18: Ausweis Berndorfer Metallwarenfabrik (BMF)
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Dokumente Abbildung 19: Ausweis Fa. Mann & Co., Wien
Dokumente
Abbildung 20: Ausweis Enzesfelder Metallwerke – Vorderseite Abbildung 21: Ausweis Enzesfelder Metallwerke – Rückseite
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Dokumente
Abbildung 22: Ausweis Hermann Göring Werke – Vorderseite Abbildung 23: Ausweis Hermann Göring Werke – Rückseite
Dokumente
Abbildung 24: Vorläufiger Fremdenpass
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7
Typische Einzelschicksale
Hinter dem Versuch, die Unmenge von Erfahrungen thematisch zu ordnen, verbergen sich über 600.000 Einzelschicksale französischer Zwangsarbeiter, die im Zeitraum von 1943 bis 1945 nach Deutschland verbracht wurden, knapp 70.000 davon in das heutige Österreich. Um auch Einblicke in mögliche Lebenswelten und typische Entscheidungssituationen französischer Zwangsarbeiter in Österreich gewähren zu können, wurden neben den in den vorangegangenen Abschnitt eingearbeiteten Quellen insgesamt acht Interviews geführt, die im folgenden Abschnitt mittels qualitativer Methoden untersucht werden.557
7.1 Methode Bereits Ulrich Herbert hatte die stärkere Einbeziehung der Erfahrungen der Betroffenen gefordert.558 Diese sind als Quelle allerdings flüchtig und gehen verloren, wenn sie nicht systematisch „gespeichert“ werden. Mit fortschreitender Zeit schwindet die Möglichkeit der Erfassung von Erinnerungen. Erfolgt hingegen eine Aufzeichnung von Erinnerungen in Form von Tonband- oder Videoaufnahmen, ist wiederum besondere Vorsicht bei der Quellenkritik geboten; diese Notwendigkeit ergibt sich aus den allgemeinen methodologischen Schwierigkeiten der Oral History. Die in der Literatur erörterten Überlegungen konzentrieren sich meist auf die folgenden Probleme,559 nämlich auf: –– –– –– ––
den Zufallsfaktor des Überlebens die Eigenheiten des Gedächtnisses den Quellencharakter die Repräsentativität der Erkenntnisse
557 Die Liste der durchgeführten Interviews ist dem Quellenverzeichnis zu entnehmen. Die Tonbandaufnahmen und weitere Unterlagen befinden sich in: Archiv der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte, Wien, Inv.-Nr. 1.061. WS 12: Material zur Diplomarbeit v. Paul Schieder: Fran zösische Zwangsarbeiter im „Reichseinsatz“ auf dem Gebiet der Republik Österreich. 558 Herbert, Fremdarbeiter (1986): 22 559 Vgl. Botz, Gerhard/Weidenholzer, Josef (Hg.): Mündliche Geschichte und Arbeiterbewegung. Eine Einführung in Arbeitsweisen und Themenbereiche der Geschichte „geschichtsloser“ Sozialgruppen, Wien/Köln, Böhlau (1984); Kotre, John. Weiße Handschuhe: Wie das Gedächtnis Lebensgeschichten schreibt. München/Wien, Hanser (1996); Vorländer, Herwart (Hg.): Oral History. Mündlich erfragte Geschichte. Göttingen, Vandenhoeck u. Ruprecht (1990); Niethammer, Lutz (Hg.): Lebenserfahrung als kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“. Frankfurt/Main, Syndikat (1980).
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Typische Einzelschicksale
Der Zufallsfaktor des Überlebens ist im konkreten Fall von untergeordneter Bedeutung: Bei KZ-Häftlingen mag sich durch den Wegfall bereits verstorbener, älterer Geburtenjahrgänge eine Verzerrung ergeben, im Falle der Zwangsarbeiter bewirkte die jahrgangsweise Rekrutierung des S.T.O. aber in den meisten Fällen ein einheitliches Alter zwischen 20 und 22 Jahren.560 Die Gedächtnisforschung zeigt, dass Erinnerungen oft mit Details und Deutungen wiedergegeben werden, über deren authentischen Charakter sich der Befragte absolut sicher zu sein scheint, die jedoch nicht unbedingt der historischen Realität entsprechen. Erinnerungen werden durch die jeweils gültige Weltsicht bestimmt, sind eine Rekonstruktion aus einer anderen Perspektive und daher grundsätzlich zu hinterfragen. Um die Quellen in irgendeiner Form fassen zu können, müssen Kriterien gefunden werden, welche die Interpretation nachvollziehbar machen.561 Damit soll keineswegs der Quellencharakter des produzierten Materials infrage gestellt werden: „Texte, die aus der Verschriftlichung von mündlichen Erzählungen entstanden sind, zählen zur Gruppe der Quellen, denn sie werden ausdrücklich zum Zweck der Überlieferung, also intentional, als Zeugnis produziert.“562 In Bezug auf die Aussagekraft der Interviews ist daher auch die Frage von Bedeutung, warum die befragten Personen sich zu einem Interview bereit erklären, denn auch Schweigen ist eine bewusste Entscheidung.563 Wie eingangs erwähnt, zielt die Auswertung der Interviews nicht darauf ab, quantitative Aussagen zu treffen. Dies wäre angesichts der Zahlen im Rahmen dieser Arbeit nicht zu bewerkstelligen und würde nicht zuletzt wegen der Ressourcenbeschränkungen fehlschlagen: insgesamt waren ca. 70.000 Franzosen als Zwangsarbeiter im Gebiet des heutigen Österreich; Mark Spoerer hat errechnet, dass davon Mitte 2000 noch an die 20.000 am Leben gewesen sein sollten.564 Für eine quantitative Erforschung wäre daher eine weit höhere Zahl an (standardisierten) Interviews/Fragebögen erforderlich. Die vorliegende Studie beschränkt sich daher darauf, einige wenige Interviews qualitativ einzuarbeiten.565 Zur Bewältigung der oben beschriebenen Probleme wurde eine 560 561 562 563 564 565
Vgl. auch Spoerer, Zwangsarbeiter (2004): 324f. Vgl. Kotre, Weiße Handschuhe (1996): 51. Sieder, Erzählungen (2001): 159. Vgl. Pollak, Die Grenzen des Sagbaren (1988): 109. Spoerer, Zwangsarbeiter (2004): 351. Eine ähnliche Vorgangsweise wählte auch Karl Fallend. Rathkolb, Einleitung (2001): 21: „Der Autor führte insgesamt 37 intensive Gespräche mit ZeitzeugInnen (davon 18 ehemalige ZwangsarbeiterInnen und acht KZ-Häftlinge) in Tschechien, Polen, der Ukraine, Moldawien und Italien, in denen zwar die Erlebnisse in Linz im Mittelpunkt standen, aber auch der familiäre Hintergrund,
Methode
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von Reinhard Sieder entworfene Methode verwendet, die frühere Arbeiten unterschiedlicher Ausprägung (Sequentielle Textanalyse, Objektive Hermeneutik, Kritische Methode) verbindet.566 So kann das grundsätzlich schwierige Quellenmaterial systematisch bearbeitet werden. Diese Methode kann mit dem Begriff „narrativ-biographisches Interview“ umschrieben werden. Eine Erörterung des theoretischen Rahmens kann an dieser Stelle nur skizziert werden.567 Von Bedeutung ist jener in den 80er-Jahren erfolgte Paradigmenwechsel in den europäischen Sozial- und Kulturwissenschaften, der sich von einem einfachen Strukturalismus verabschiedet. Der Einzelne tritt als Entscheidungen treffender Akteur wieder in den Vordergrund: Die Akteure strukturieren die gesellschaftlichen Verhältnisse durch ihre Interaktionen und
werden zugleich selbst durch die Regeln der Interaktionen, durch die Verhältnisse, Beziehungen und Ressourcen strukturiert, in denen und mit denen sie tätig sind.568
Sie sind also weder uneingeschränkt in ihren Handlungen, noch vollständig durch externe Strukturen bestimmt. Sie finden fast immer „Handlungs- und Deutungsspielräume vor und müssen sich deshalb immer wieder für eine/ihre Deutung, für eine/ihre Handlung entscheiden.569 Diese Entscheidungen werden durch psychische Strukturen, Gewohnheiten und Dispositionen geleitet, die sich in weiterer Folge auch in den von ihnen produzierten Texten wiederfinden. Es handelt sich dabei um keine Abbildung, wohl aber um eine „Entsprechung von Praktiken und Erfahrungen einerseits und darauf bezogenen Erzählungen andererseits“.570 Davon ausgehend wird eine Methode entwickelt, welche die Handlungsprinzipien des Akteurs aus dem Text herausdestilliert.
der gebrochene Lebensentwurf sowie die Jahre nach der nationalsozialistischen Unterdrückung zum Thema gemacht wurden.“ Die Studie von Karl Fallend erlaubt – allein aufgrund der großen Zeitdistanz konnten nur ehemals jüngere ZwangsarbeitererInnen interviewt werden – keine statistische Repräsentativität. Vielmehr stehen subjektive Sichtweisen von ZeitzeugInnen im Mittelpunkt, die bestimmte – aber nicht untypische – Lebenswelten in den Linzer Hermann Göring Werken im biographischen Kontext näher beleuchten. 566 Vgl. Sieder, Erzählungen (2001): 160. 567 Für die umfassende Darstellung des theoretischen Rahmens, siehe Sieder, Erzählungen (2001). 568 Sieder, Erzählungen (2001): 147. 569 Ebda. 570 Sieder, Erzählungen (2001): 152.
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Zu beachten ist dabei, dass nicht nur die in der Vergangenheit liegenden Ereignisse ein Muster sozialen Handelns sind, sondern auch der Akt des Erzählens während des Interviews.571 „Der Erzähler präsentiert eine Serie von Entscheidungen auf der Handlungsebene des Erzählens, die mit einer Serie von Entscheidungen auf der Ebene des erzählten Geschehens korreliert.“572 Die Erzählung ist also keine bloße Wiedergabe von Erinnerungen, sondern dient auch der Rekonstruktion und Sinngebung von Identität. „Die gegenwärtige Lebenssituation des Erzählers, seine Gegenwartsperspektive bestimmt den Rückblick auf die Vergangenheit.“573 Michael Pollak hat untersucht, welche Auswirkungen die Extremerfahrungen von KZHäftlingen auf deren Identität hatten: KZ-Häftlinge mussten gleich zweimal mit solchen Problemen fertig werden: Festnahme und
Deportation rissen sie zunächst aus der vertrauten familiären und sozialen Umgebung und versetzten sie in eine extrem totalitäre Gefängniswelt, in der Menschen aus vielen verschiedenen
Sprachgruppen und mit äußerst unterschiedlicher sozialer und nationaler Herkunft aufeinandertrafen. Wer überdies im KZ nicht jeden Widerstand aufgab, musste sich die Selbsterhaltung unter besonders schwierigen Bedingungen erkämpfen: Physisches Überleben und moralische
Integrität waren oft nur schwer miteinander zu vereinbaren oder schlossen einander überhaupt aus, sodass sich der Einzelne im KZ und auch danach in einer ständigen Spannung zwischen
diesen beiden Polen befand. Selten fanden dann die Überlebenden bei der Heimkehr aus den Lagern ihren Familien- und Freundeskreis unversehrt vor, sodass sie nicht nur die Last der alles überschattenden Erinnerungen bewältigen, sondern wiederum große Anpassungsleistungen bei der Wiedereingliederung in das normale Leben vollbringen mussten.574
Diese Beschreibung ist nur bedingt auf die Erfahrungen von französischen Zwangsarbeitern anwendbar. Sie teilen mit den KZ-Häftlingen, dass sie aus dem vertrauten sozialen Umfeld gerissen wurden. Sie verfügten aber außerhalb der Arbeitszeiten über Bewegungsfreiheit und konnten (zumindest bis August 1944) mit ihren Angehörigen (unter Zensur) Briefver571 Vgl. Sieder, Erzählungen (2001): 151. 572 Ebda. 573 Rosenthal, Gabriele: „Die erzählte Lebensgeschichte als historisch-soziale Realität. Methodologische Implikationen für die Analyse biographischer Texte“. In: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.). Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte: zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte. Münster: Westfälisches Dampfboot (1994): 132. 574 Pollak, Die Grenzen des Sagbaren (1988): 88.
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kehr halten. Die Tatsache, dass sie nicht unmittelbar um physisches Überleben kämpften, erleichterte auch das Festhalten an moralischer Integrität. Bei der Heimkehr schließlich hatten sie wohl bessere Chancen, Familie und Freunde wiederzufinden, mussten aber, ähnlich den KZ-Häftlingen, Anpassungsleistungen zur Wiedereingliederung vollbringen. Für die Interpretation der Zeugenberichte ist daher von Bedeutung, dass [es] [u]nter solchen Umständen […] natürlich schwer [ist], sich das Gefühl der eigenen Iden-
tität zu erhalten. […] Aus diesem Grund geben die Zeugenberichte nicht nur Informationen über Tatsachen wieder, sondern erfüllen eine echte Funktion bei der Wiederherstellung der Identität, was bei ihrer Interpretation berücksichtigt werden muss.575
Aus dem Zusammenhang von Erzählung und Praktiken ergibt sich, dass bestimmte Arten von Handlungen und Erfahrungen bestimmten Erzählformen entsprechen, die man in der Transkription als Textsorten wiederfindet: Ein mehr oder minder turbulentes Geschehen (das zumindest ein Minimum an signifikanten
Veränderungen impliziert) privilegiert seine Präsentation in Gestalt der in sich strukturierten Geschichte oder des knapperen Berichts, der das Ich des Erzählers weniger exponiert.
Die Charaktereigenschaft einer Person oder ein andauernder Zustand (eine dauerhafte Situation) privilegieren ihre Präsentation in Gestalt der Beschreibung.
Eine für den Erzähler ex post relevant scheinende Entscheidungsfindung zieht häufig ihre
Präsentation in Gestalt von Argumentationen nach sich, die oft in Geschichten oder Berichte, nicht selten in Gestalt von Rede und Gegenrede der Akteure, eingebaut werden.
Die resümierende Deutung oder Bilanzierung eines Geschehens privilegiert ihre Präsentation
in Gestalt einer Evaluation oder Maxime, häufig als Ankündigung oder als Coda einer erzählten Geschichte, eines Berichts oder einer Beschreibung.576
All diese Merkmale haben sich in den geführten Interviews bestätigt. Die Einteilung des Textes in Geschichte/Bericht, Beschreibung, Argumentation und Evaluation ist ein anwendungsfreundliches Instrument zur Bearbeitung des transkribierten Textes. Erst das Zu575 Pollak, Die Grenzen des Sagbaren (1988): 89. 576 Sieder, Erzählungen (2001): 151.
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sammenspiel aus Disposition, Gewohnheiten und psychischen Strukturen einerseits und den vorgegebenen Strukturen andererseits ergibt den Handlungsspielraum, in dem der Akteur seine Entscheidungen trifft. Von wesentlicher Bedeutung für die Erfassung dieser Merkmale ist, dass der Befragte frei assoziativ und detailreich erzählen kann.577 In der Praxis folgte einer ersten schriftlichen Kontaktaufnahme578 mit dem Interviewpartner ein Telefongespräch, in dem die genaueren Beweggründe erläutert wurden und ein Termin vereinbart wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt oder aber unmittelbar vor dem Interview erfolgten einige wenige „Regieanweisungen“, die auch eventuelle Missverständnisse vermeiden sollten, zum Beispiel: „Ich werde Sie nicht unterbrechen, nur einige Aufzeichnungen machen, um eventuell später auf ungeklärte Fragen zurückzukommen“, oder aber: „Es gibt keine Zeitschranke“. Das Interview wurde in allen Fällen bei den betreffenden Personen zu Hause durchgeführt, womit sich diese auch in ihrer gewohnten Umgebung befanden. Oft war die Ehefrau anwesend – ein Ausschluss verbat sich durch die Situation –, nur selten allerdings schaltete sie sich ins Gespräch ein. Das Aufnahmegerät konnte meist so aufgestellt werden, dass es sich dem Blickfeld des Interviewpartners entzog. Ein Ansteckmikrofon wurde am Kragen befestigt. In allen Fällen waren sich die Befragten bald nicht mehr dessen bewusst, dass das Gespräch aufgenommen wurde.579 Die Eingangsfrage wurde dann bewusst vage formuliert, um den Gang der Erzählung nicht zu stark zu beeinflussen. Meist war es eine Aufforderung der Art: „Vielleicht könnten Sie erzählen, wie Ihre Lebensverhältnisse vor der Zwangsarbeit in Österreich aussahen…“ Nach der ersten, in der Regel 90 Minuten anhaltenden Erzählung folgte eine Reihe von Fragen, die sich unmittelbar auf die Erzählung bezogen („immanente Fragen“). Abschließend gab es noch eine Reihe von Fragen, die im Gespräch nicht thematisiert worden waren („exmanente Fragen“).
577 Vgl. Sieder, Erzählungen (2001), 152. 578 Sieben Kontakte kamen über persönliche Vermittlung zustande. Bei sechs davon handelt es sich um Adressen, die im Rahmen eines Projekts der Historikerkommission über die frankreichweit von der Fédération zirkulierte Zeitschrift Le Proscrit vermittelt wurde. Eine weitere Adresse wurde privat über eine Mitarbeiterin des Centre de Documentation Juive Contemporaine vermittelt. Der achte Kontakt kam mithilfe der Österreichischen Botschaft in Frankreich zustande, die im Zusammenhang mit den Anträgen für Entschädigungszahlungen über Adressenmaterial verfügt und die Zeitzeugen über das Interesse des Autors an einem Gespräch informierte. Der Verfasser verfügt über weitere Adressen, die aber wegen Zeit- und Budgetbeschränkungen nicht genutzt werden konnten. 579 Vgl. Dittmar, Norbert. Transkription. Opladen: Leske + Budrich (2002): 57.
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Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: –– –– –– –– ––
Vorstellung des Forschers, Gesprächsvereinbarung und Regieanweisungen Einladung zur/und Eingangserzählung Immanentes (rückgreifendes) Nachfragen Exmanentes Nachfragen Nachgespräch und Verabschiedung 580
Bei den exmanenten Fragen wurde der Interviewpartner in manchen Fällen auch dazu aufgefordert, einen typischen Arbeitstag zu beschreiben, weil solche Routinen des Alltags meist in assoziativen Erzählungen nicht vorkommen.581 Es wurde – soweit möglich – versucht, die Sichtung von Dokumenten und Fotomaterial, die bei der Ankunft bereitlagen und teilweise die Erzählung illustrierend begleiteten, auf das Ende des Gesprächs zu verschieben. Unmittelbar nach dem Interview wurde ein Situationsprotokoll angefertigt, welches das Umfeld des Gespräches festhalten sollte. Dem Interview folgte dann die Transkription, die sich streng an die Tonbandaufnahme hält – mit der Ausnahme, dass phatische Einwürfe des Verfassers nicht erwähnt werden, weil sie nur den Sinn verfolgen, zur Fortführung der Erzählung aufzumuntern. Natürlich kann der so entstehende Text kein getreues Abbild des Gesprächs sein, weil dabei Informationen wie Intonation, Klangfärbung, Mimik und Gestik verloren gehen.582 Die Darstellungsform der Einzelfälle ist die erklärende Erzählung (oder erzählendes Erklären),583 wobei im konkreten Fall mehrere Fälle im Vergleich präsentiert werden. In Form eines Aufsatzes werden der familiäre Hintergrund, Jugend und Werdegang, Zwangsarbeit und Rückkehr der betreffenden Person beschrieben. Dabei werden, soweit möglich, Daten vermittelt, die für das Verständnis individueller Entscheidungssituationen notwendig sind, und Hypothesen formuliert, welche die getroffenen Entscheidungen zu erklären suchen. Die eingebauten Zitate veranschaulichen die eindrucksvollsten Erfahrungen. 580 Vgl. Sieder, Erzählungen (2001): 150. 581 Vgl. Sieder, Erzählungen (2001): 155. Beispielhaft gezeigt wird dieser Umstand an den Tagebuchaufzeichnungen von Herrn Ignace Salvo: Jeder Morgen beginnt mit der Körperpflege und Rasur. In den Erzählungen wird dies aber ohne Nachfragen kaum erwähnt. 582 Vgl. Sieder, Erzählungen (2001): 159. 583 Vgl. Sieder, Erzählungen (2001): 164.
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Typische Einzelschicksale
Es ist an dieser Stelle zwar nicht möglich, jeden Einzelfall im Detail zu analysieren, doch gibt der Vergleich der Fälle zumindest Aufschluss darüber, wie die jeweilige Prädisposition, Vorgeschichte und externe Faktoren einen individuellen Handlungsspielraum erzeugen. Dieser Vergleich ist wesentlich, um theoretisch begründete Aussagen der Falldarstellungen erkennbar zu machen: Die Darstellung der Fälle soll nicht zu einer reinen Nacherzählung der Lebensgeschichten werden. Das Ziel der Verwendung biographischer Selbstrepräsentationen kann […] nicht darin lie-
gen, zusätzliche Quellen zu produzieren, die die Funktion haben, ein bestehendes Defizit an herkömmlichen und weniger ‚subjektiven’ auszugleichen oder unsere trockenen Darstellungen
mit Illustrationen unterhaltsamer zu gestalten oder gar aus anderen Quellen abgeleitete Hypothesen zu belegen.584
Aus dem Vergleich der Fälle sollen vielmehr Schlussfolgerungen gezogen werden, welche die unterschiedlichen Lebenswelten und Handlungsspielräume verdeutlichen.
7.2 Gilbert Tourenne: zwei Jahre, ein Monat, 19 Tage in Enzesfeld 585 Gilbert Tourenne wird am 23. August 1921 in Libourne (Département Gironde) geboren. Seine Eltern sind Weinbauern. Sein Vater stirbt bereits 1928 an den Folgen seiner Verletzungen aus dem Ersten Weltkrieg, ebenso sein Onkel; ein weiterer Onkel fällt im Krieg. So ist Tourenne bereits früh von den Folgen des Krieges betroffen. Nach dem Abschluss der Pflichtschule arbeitet er in Coutras (Gironde) als Friseur. Als die Deutschen 1940 auch das Département Gironde besetzen, beschließt er, in die unbesetzte Zone umzuziehen, wo er in Eauze (Gers) weiter als Friseur tätig ist. Unterbrochen wird diese Tätigkeit nur durch den achtmonatigen Aufenthalt bei den Chantiers de Jeunesse (11. November 1941 bis zum 15. Juni 1942). Nach der Verabschiedung des Gesetzes über den S.T.O. erhält er Anfang März 1943 eine Vorladung zu einer ärztlichen Untersuchung, bei welcher der örtliche Arzt ihn „arbeitsuntauglich“ schreibt. Die Atteste werden aber von der Kommandantur in Auch (Gers) revidiert. Knappe zwei Wochen später sitzt er bereits in einem Zug nach Paris, am Tag darauf geht es weiter Richtung Osten: Es werden genau zwei Jahre, ein Monat und 19 Tage bis zu seiner Rückkehr vergehen. 584 Rosenthal, Lebensgeschichte (1994): 131f. 585 Alle Ausführungen der folgenden Abschnitte stützen sich, falls nicht anders angegeben, auf die im Anhang angeführten Interviews.
Zwei Jahre, ein Monat, 19 Tage in Enzesfeld
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Auf der Fahrt wird Breslau (Oberschlesien) als Zielort genannt. Umso größer ist seine Überraschung, als er plötzlich „Wien“ liest. Wenig später kommt er im Durchgangslager Strasshof an: „[N]ous avons débarqués en pleine campagne dans un camp, un camp où il y avait beaucoup de captifs russes.“ Noch haben sie Verpflegung aus Frankreich und können die erhaltene Verpflegung an jene weitergeben, die sie dringender brauchen: „[O]n a rejeté les choux rouges à des malheureux captifs russes qui se battaient pour […] lamper ça.“ Nach einer Nacht auf dem Holzboden werden sie am nächsten Tag auf dem Appellplatz versammelt: „[N]ous avons aperçu des gens qui étaient là, ça rappelait un peu la foire aux bestiaux.“ Ein Stempel auf das Handgelenk bestimmt ihre Richtung: Arbeitsamtsbezirk Wiener Neustadt, zunächst in das Lager Brunn am Gebirge, am Tag darauf zur Firma Enzesfelder Metallwerke AG.586 Am 27. März 1943 unterschreibt Tourenne seinen Vertrag. Die Fabrik ist für seine Begriffe riesengroß, und es wimmelt von Arbeitern verschiedener Nationalitäten und Sprachen. In der etwa 16 Mann fassenden Stube seiner Baracke lernt er schon in der ersten Nacht die Wanzen kennen. Kein Mittel hilft: „[O]n démontait les châlits, […] on les passait à la flamme, on remontait tout, on changeait la paille des paillasses – la première nuit, les punaises étaient là, incroyable ! […] Périodiquement on désinfectait les baraques, […] ça n’y faisait rien, c’est des bestioles indestructibles.“ In den ersten drei Monaten hat er Glück und wird zum Bodenkehren eingeteilt. Dann landet er an einer Drehbank, an der 155-mm-Kaliber-Granaten bearbeitet werden, jede etwa 30 Kilo schwer. An körperliche Arbeit ist er als Friseur nicht gewöhnt. „[L]e travail évidemment, très dur […] pour des gars qui n’étaient pas manuels“, „un coiffeur – une paire de ciseaux, ça ne pèse pas lourd.“ Nach einiger Zeit macht er einen Leistenbruch geltend und wird an eine andere Drehbank versetzt, an der leichtere Sprengköpfe produziert werden. Seine Arbeitszeiten: zwölf Stunden Tag- oder Nachtschicht, Wechselschicht (3 x 8): „Le plus pénible, c’était le travail de nuit.“ Nicht die Nachtarbeit selbst, bei der man sich aufgrund der weniger starken Kontrolle vielleicht sogar einmal ausruhen konnte, sondern die den Schlaf unterbrechenden Fliegeralarme am Tag darauf empfindet er als anstrengend. 586 1905 errichtete A. Keller in Enzesfeld ein Unternehmen zur Herstellung von Guss- und Walzfabrikaten und Metallwaren aller Art. Seit 1922 trug der Betrieb den Namen „Enzesfelder Metallwerke AG“. 1939 erwarb die Firma Gebrüder Böhler & Co. 85 Prozent der Aktien und machte aus dem Unternehmen eines der größten Leichtmetallwerke Europas, in dem ein Höchststand von 17.000 Beschäftigten erreicht wurde. 1944 wurde der Großteil des Werkes durch eine Explosion und die Hochwasserkatastrophe vom 4. Juli 1944 vernichtet (vgl. URL: http://www.enz-caro.at/internet/de/ firmeninfo/geschichte/geschichte.jsp [01.03.2010]).
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Typische Einzelschicksale
Von Anfang an leidet Tourenne Hunger: „[L]a faim a commencé dès le début, une faim terrible. […] La nourriture, […] c’était épouvantable. Nous nous serions battus comme des fauves pour [un] bout de pain. […] Le problème, c’était manger, ça tournait d’ailleurs à l’obsession. Les conversations à la chambrée tournaient inévitablement sur le plat typique français: le bifteck, les frites.“ Zusätzliche Nahrung kann man auf dem Schwarzmarkt beschaffen. Die Tauschwährung: Zigaretten, Margarine, Schokolade. Besonders bleiben ihm die Griechen in Erinnerung: „C’étaient les rois du marché noir. Ils partaient à Vienne, ils revenaient avec de tout, des gâteaux, des cigarettes qu’ils revendaient évidemment à prix d’or.“ Die Lebensmittelkarten, auf denen manche Güter Zwangsarbeitern nicht zustehen und daher ausgekreuzt sind, reichen nicht aus. Als sie eines Tages bemerken, dass man die Karten nur ins Wasser halten muss, um die Kreuze zum Verschwinden zu bringen, haben sie auf einfache Weise zusätzliche Verpflegung. Um die Wellen zu beseitigen, bügeln sie die Karten wieder glatt und können sie so wiederverwenden. So lange, bis der Trick bemerkt wird und man sich besser unauffällig verhält. Zu Weihnachten 1943 erhalten sie zu Tourennes Überraschung eine ganze Woche Urlaub: „Ein pleine guerre, nous sommes restés une semaine en vacances, impensable dans une usine d’armement.“ Einige erhalten Pakete aus der Heimat: „Confits d’oie, de canard, y compris […] foie de canard, foie d’oie, et tous avaient reçu une bouteille d’Armagnac.“ Dazu Wein aus Bordeaux. Eine seltene Feier, die in Erinnerung bleibt. Bis zur Landung der alliierten Truppen in der Normandie hat er Bewegungsfreiheit. Am freien Sonntag kann man den Zug nehmen und nach Wien fahren, in den Prater gehen. Ab Mitte 1944 dürfen er und seine Arbeitskollegen das Lager allerdings nicht mehr verlassen. Die Überlegung zu fliehen, mag ihm gekommen sein, die Erfahrung geflüchteter Arbeitskollegen, die gefasst worden sind und nach Wochen in einem völlig erschöpften Zustand in den Betrieb zurückkehren, kühlen ihn allerdings ab. Doch zweifelt er trotz der anhaltenden Bombenangriffe und der damit verbundenen Gefahr nie an seiner Rückkehr: „Je n’ai jamais douté de mon retour, […], je n’ai jamais pensé que je risquais de… .“ Nur ein einziges Mal werden Brandbomben rund um den Betrieb und das Lager abgeworfen, sonst aber fällt der Betrieb den Russen intakt in die Hände. Fliegeralarme sind häufig. Schlimm bleibt ihm in Erinnerung, dass ab Frühling 1945 die Sirenen erst im allerletzten Moment heulen: „Bien souvent les avions étaient au-dessus. S’ils avaient bombardé l’usine, on y avait droit.“ Den Luftschutzräumen des Betriebes traut er nicht: „C’était tout juste bon pour […] se faire enterrer vivant.“ Am anderen Ufer der Triesting hingegen waren Luftschutzeinrichtungen in den Felsen gebaut: „Là, on était à l’abri, il y avait quand même cent mètres de rocher au-dessus.“
Zwei Jahre, ein Monat, 19 Tage in Enzesfeld
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Am Ostermontag, den 2. April 1945 wird der Betrieb evakuiert. Die siebenköpfige Gruppe rund um Tourenne füllt einen Wagen mit Verpflegung und macht sich auf. Bald müssen sie den Wagen zurücklassen, Essen gibt es keines mehr, und sie schlagen sich, abwechselnd zu Fuß und mit dem Zug, Richtung Westen durch. Über das Triestingtal geht es nach Mariazell, von dort nach Scheibbs, Waidhofen/Ybbs, Bischofshofen nach Innsbruck, wo sie am Bahnhof übernachten wollen. Doch vom Bahnhof bleibt nicht viel: „Il n’y avait plus Innsbruck, la gare rasée, il y avait des trous dans la ville.“ Schließlich landet Tourenne in Landeck. In dieser Zeit legt er ein Tagebuch an, in dem Essen eine wichtige Rolle spielt. Kurz vor Bischofshofen, am 7. April.: „Escaladons une rude pente afin de trouver une ferme, où nous sommes ravitaillés et où nous passons la nuit. Sommes restés un jour et demi sans repas.“ Am 9. April kommt er in Landeck an: „Arrivée à Landeck à 9 h: nous réchauffons un peu dans la salle d’attente, puis nous prenons un thé et errons dans la ville, le moral bas et le ventre plat. A 11h 30 alarme, gagnons les abris, là nous trouvons des K.G. qui nous conseillent d’aller manger au centre d’accueil. Là, l’on nous renvoie promener de bureau en bureau pour finalement ne rien manger.“ Er bewertet die Odyssee mit folgenden Worten: „Dans cette épisode, qui aura duré huit jours, si j’ai passé de rudes journées où la faim et la fatigue auront quelque fois abaissé mon moral, j’aurai malgré tout eu la joie de connaître un pays magnifique, le ‚Tyrol.’“587 Doch ein Problem bleibt bestehen: Kein Geld bedeutet kein Essen. Deshalb beschließt er, Arbeit zu suchen. Das Arbeitsamt vermittelt ihn einem Friseur, bei dem er drei Wochen lang arbeitet. Drei Tage die Woche wird er einem Militärspital in Zams abgestellt.588 Dort lernt er eine Ordensschwester kennen, die ihn regelmäßig mit Nahrung versorgt. Am 29. April 1945 ist es endlich soweit: Um 18.30 Uhr verlässt die Gruppe rund um Tourenne Landeck und trifft um drei Uhr früh in Feldkirch ein, wo er bis um 5.30 Uhr im Wartesaal schläft. Dann kommt der lang ersehnte Moment der Grenzüberschreitung: „Nous franchissons la fameuse barrière, nous jetons un dernier regard vers cette terre d’Autriche où nous aurons gaspillé deux de nos plus belles années, où nous aurons vécu la vie abrutissante des déportés, où l’on ne connaît que le travail, peu de repos, peu de nourriture, aucun plaisir, 587 Aufzeichnungen Gilbert Tourenne. 588 Es handelt sich vermutlich um das Krankenhaus St. Vinzenz, das von den „Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul“ geführt wurde und während des Krieges als Lazarett diente (vgl. URL: www.bhs.at/orden/prodon.asp?Seite=81 [01.03.2010]).
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aucune joie. Ceci est terminé, ce n’est qu’un mauvais rêve.“ Drei Tage sollte es dauern, bevor sie in Frankreich ankommen, „trois jours en Suisse où on a crevé de faim“. Die Behörden können den nicht anhaltenden Strom von Flüchtlingen nicht ausreichend mit Nahrung versorgen. Als Tourenne am 4. Mai 1945 wieder französischen Boden betritt, wiegt er 40 Kilogramm. In einem Hotel in Annecy erwartet ihn ein Aufnahmezentrum: „Il nous faut faire 4h de file d’attente pour gagner les bureaux où nous remplissons les formalités d’usage, ensuite douche et désinfection.“ Hier werden die Freiwilligen von den Zwangsarbeitern getrennt und provisorische Papiere ausgestellt. Erst am nächsten Tag geht es nach Lyon in ein weiteres Aufnahmezentrum. Als er am 6. Mai in seiner Heimatstadt Libourne ankommt, schreibt er die Erinnerungen an den vergangenen Monat nieder: „En ce jour mémorable du dimanche 6 mai 1945 prenait fin un exil de deux années dans le bagne allemand.“ Gilbert Tourenne scheint von allen Interviewpartnern derjenige zu sein, der am meisten gelitten hat: an Hunger, an der Tatsache, dass er nicht in der körperlichen Verfassung war, schwere körperliche Arbeit auszuführen… Er weiß auf den Tag genau, wie lange seine Zeit als Zwangsarbeiter gedauert hat. Wenn er gewusst hätte, was ihn erwartet, wäre er in den Widerstand gegangen: Oft hat er sich vorgeworfen, es nicht getan zu haben. Aber seine Erfahrung ist kein Einzelschicksal, sondern in seinen Augen eine der vielen Folgen des Krieges: „La guerre, c’est la guerre – il ne devrait pas y avoir la guerre.“ Die Tatsache, dass Tourenne seinen Vater und zwei Onkel durch den Ersten Weltkrieg verloren hat und selbst wegen eines Krieges zwei Jahre leiden musste, bestimmt seine Sicht. Er wird zu einem uneingeschränkten Pazifisten: „Je suis, par idée politique, anti-militariste, je suis contre l’armée, contre la guerre, parce que la guerre, elle a fait du mal: chez nous, mon père, deux oncles, un tué au front en 14-18, mon père des suites et un autre oncle des suites. Trois morts […], ‚morts pour la France’, c’est beau! Donc les guerres, il faudrait les éviter, c’est tout…“ Die Erinnerung an die zwei Jahre in Österreich ist ihm wichtig. Die Verbandsabteilung Libourne war nach jener von Bordeaux die wichtigste in seiner Gegend, Tourenne hat regelmäßig an den Treffen teilgenommen. Als Ende 2001 der Kassier stirbt, wird die Abteilung aufgelassen. Tourenne ist darüber zutiefst betroffen.
7.3 Roger Lamothe: ein Landwirt in der Landwirtschaft Roger Lamothe wurde am 23. November 1922 als Sohn von Landwirten in Montgaillard (Département Landes) geboren, wo er auch seine gesamte Jugend verbringt. Da Montgaillard in der unbesetzten Zone lag (etwa acht Kilometer von der Demarkationslinie entfernt), wird er für acht Monate für die C.J.F. verpflichtet und kehrt danach wieder auf den elterlichen Hof zurück.
Ein Landwirt in der Landwirtschaft
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Nach erhaltener Vorladung verlässt er am 20. März 1943 den Bahnhof Pau und kommt über Paris in das Durchgangslager Strasshof, wo er etwa drei Tage verbringt. Seine Gruppe von sieben oder acht Franzosen wird der Landwirtschaft zugewiesen. Lamothe wird nach Staatz gebracht und dort vom Landwirt abgeholt. Von April 1943 bis Mai 1945 wird er in Neuruppersdorf (Weinviertel) arbeiten. Wie erlebte Roger Lamothe das Leben im nördlichen Weinviertel? An der Arbeit fand er nichts Besonderes: sie unterschied sich nur geringfügig von seiner Heimat: im Sommer am Feld, im Winter im Wald. Dazu kommen noch etwa sechs, sieben Milchkühe. Mit dem Arbeitgeber hatte er ein gutes Verhältnis: „Les conditions étaient assez familiales.“ Er wohnt in einem kleinen Zimmer im Haus, isst mit den Bauern am Tisch und bekommt die gleichen Mahlzeiten. Da es genug zu essen gibt, muss Lamothe auch keine Strategien der Nahrungsmittelbeschaffung entwickeln. In den Briefen, die er ein bis zwei Mal pro Woche schreibt (und erhält), bittet er deshalb auch nicht um die Zusendung von Paketen. Er kommt gar nicht erst in die Lage, über den Schwarzmarkt Verpflegung besorgen zu müssen. Auch Sabotage hat an seinem Arbeitsplatz nicht viel Sinn. Interessant ist am Fall Lamothe, wie sich eine kleine Gruppe von sieben jungen Franzosen in einem kleinen Dorf, in dem es keine jungen Männer mehr gab, verhielt.589 Da wären einmal die Sprachprobleme zu nennen, die dazu führten, dass man immer in der Gruppe blieb. Zu Beginn erhielt Lamothe kaum Geld, dann aber doch ein wenig. Ausgaben hatte man aber ohnehin kaum – was konnte man schon tun? Nach der Arbeit bleibt nur das örtliche Gasthaus. Dort werden die Franzosen anfangs mit Misstrauen beäugt, dann aber doch akzeptiert. Zu Kontakten kam es aber abgesehen vom Arbeitgeber nicht. Am Sonntag hat Lamothe nach der Früharbeit frei. Zweimal fährt er in der Gruppe mit dem Zug nach Wien, wo sie überrascht sind, wie viele Menschen Französisch sprechen. Auf die Idee zu fliehen kommt er nicht: „Pour […] aller où?“ Über welche Informationen konnte man im nördlichen Weinviertel verfügen? Lamothe liest die Zeitung. Gemeinsam ist die Gruppe von Franzosen in der Lage, die wichtigsten Nachrichten zu übersetzen. So erfährt er von der Landung der Alliierten in der Normandie. Mit dem Arbeitgeber können sie allerdings nicht darüber sprechen: „Ils avaient peur entre eux […]: l’un était pour, l’autre était contre.“ Von Repression hört er erst nach 589 Abgesehen von den Franzosen gab es nach Auskunft von Roger Lamothe noch einen Ukrainer und zwei, drei Russinnen.
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dem Krieg. An Oberlanzendorf kann er sich nicht erinnern. Da es sichtlich zu keinen Konflikten mit dem Arbeitgeber gekommen ist, fällt der gesamte Einschüchterungs- und Repressionsapparat weg. Dieses scheinbar „normale“ Leben wird unterbrochen, als Lamothe im Februar 1945 für den Bau des Südostwalls herangezogen wird. Das war der härteste Teil seines Aufenthalts. Er erinnert sich an die vielen Nationalitäten und daran, dass die Mahlzeiten spärlich waren. Wo sie nur konnten, machten sie sich auf die Suche nach Kartoffeln in den Feldern. Bei Heranrücken der russischen Truppen wird er nach Neuruppersdorf zurückgebracht, wo er nur noch acht bis zehn Tage bleibt, bevor er erneut Richtung Westen gebracht wird. Nach drei bis vier Tagen Marsch mit den verschiedensten Nationalitäten kommen sie in ein anderes Dorf, wo sie eine Woche bleiben und dann von den Amerikanern befreit und nach Linz gebracht werden. Von dort aus werden sie mit dem Zug repatriiert; sie erreichen am 6. Juni 1945 Frankreich. Lamothe kehrt nach Montgaillard zurück und verbringt sein Leben als Landwirt. Seine Frau stammt von einem benachbarten Bauernhof. Lamothe kann sich oft nicht im Detail an seine Erlebnisse erinnern. Das wertet seine Geschichte aber nicht ab, sondern spricht im Gegenteil vermutlich dafür, dass er kaum traumatisierende Erfahrungen gemacht hat. Hat er in Neuruppersdorf gelitten? Er meint: „Je n’ai pas été malheureux, là-bas […], j’ai mangé à ma faim […]. Il y avait la séparation de la famille, mais autrement… .“ Diese Trennung von der Familie ist es, die ihn, abgesehen von den eineinhalb Monaten am Südostwall, am meisten belastete. Sonst war sein Leben nicht grundlegend anders als vor der Deportation. Es sind vor allem die feinen Unterschiede zu seiner Heimat, die ihm auffallen. Im Gegensatz zu Montgaillard gibt es in Neuruppersdorf keine freistehenden Bauernhöfe; die Felder sind parzelliert; er fragt sich, wie man die Grenze so genau ziehen kann; um Streitigkeiten zu vermeiden, braucht man Grenzsteine; die Kühe stehen das ganze Jahr über im Stall und sind samt und sonders Milchkühe… Von der Existenz des Verbandes ehemaliger Zwangsarbeiter will er unmittelbar nach dem Krieg erfahren haben. Er tritt zwar sofort bei, meint dann aber, es lohne sich nicht mehr. Über die Verbandszeitung ist er aber nach wie vor auf dem Laufenden. Was hat ihn zum Beitritt bewegt? „C’est surtout la question d’être mal vu“. Er wollte nicht als Freiwilliger gelten. Er erwähnt auch den Konflikt um die verweigerte Bezeichnung „Déporté du Travail“. Lamothe scheint also weniger von der Zwangsarbeit per se traumatisiert zu sein als vielmehr von der Art und Weise, wie diese Gruppe im Nachkriegsfrankreich behandelt wurde. Möglicherweise gibt es im konkreten Fall auch einen
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Zusammenhang zur Lokalgeschichte: eine Widerstandsaktion im nahen Ort Grenadesur-Adour führte am 13. Juni 1944 dazu, dass die Stadt niedergebrannt wurde. Es wurden 50 junge Männer als Geiseln genommen und ein Gutteil in Konzentrationslager deportiert. Dieser Vorfall ist der Stadt in Erinnerung geblieben.590 Es gibt eindeutige Opfer – die Geschichte der S.T.O. scheint dagegen komplexer zu sein und ist noch dazu kein Symbol für geleisteten Widerstand.
7.4 Jacques Seignole: die legale Rückkehr Jacques Seignole wurde am 17. 2. 1921 in Brive-la-Gaillarde (Département Corrèze) als Sohn eines Uhrmachers und Juweliers geboren. Er wächst mit zwei Geschwistern auf, von denen die Schwester bereits 1936 heiratet, nach Afrika geht und erst 1945 zurückkehrt. Nach seiner Zeit bei den C.J.F. (Winter 1941/42) geht er nach Chambéry, wo er bei einem Juwelier arbeitet und sich auf eine einschlägige Prüfung vorbereitet. Er bleibt dort bis zur Besetzung durch italienische Truppen. Bereits davor erreichte seine Eltern ein Telegramm des Präfekten, das ihm die Abfahrtsstunde mitteilt: 18. März 1943, 10 Uhr. Sein Vater informiert ihn und Seignole kommt nach Brive zurück, erstens, weil er dazu aufgefordert wurde, zweitens aber auch, weil es in Chambéry zu Schwierigkeiten mit den Besatzungstruppen kommt. Gegen das Telegramm kann man wohl kaum Einwand erheben: „[C]’est les gendarmes qui ont porté le télégramme officiel, alors vous ne pouvez rien y faire“. Sein Bruder war zwei, drei Monate vorher auf die gleiche Weise rekrutiert worden. Am 18. März 1943 fährt er vom Bahnhof Brive ab, versorgt mit einem großen Koffer, warmer Kleidung, vor allem aber Verpflegung. Am Pariser Gare de l’Est bekommt er die Zuweisung: Ulm! Der Zug fährt aber erst am Abend ab. Er geht daraufhin in die Büros und bittet um eine andere Zuweisung: „Voilà […], je suis réquisitionné, mon frère est à Vienne, est-ce que par hasard vous pourriez me changer d’affectation?“ Das Stück Karton mit zwei Buchstaben verschiedener Farbe wird einfach ausgetauscht. Sie kommen nach Wien, fahren aber weiter, an Wagram vorbei und kommen in Strasshof an: „[I]l y avaient quatre baraquements en bois, […] ceinturés par un chemin de ronde assez large, le tout avec des barbelés énormes – alors qu’on ne voulait pas s’en aller, donc le camp n’était pas fait pour nous.“ Noch ist Hunger kein Problem: Er hat noch Schinken von daheim. Die Wachen des Lagers seien Kriegsveteranen gewesen, zwar nicht gesprächig, aber auch nicht besonders brutal. Aufgrund einer Epidemie wird das Lager unter 590 Vgl. URL: www.tourismegrenadois.com/patrimoineculturelmusees.htm (01.03.2010)
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Quarantäne gestellt. Erst nach zwei Wochen wird Seignole von Strasshof ins Lager Brunn am Gebirge gebracht und von dort der Fa. Mann & Co., Dietrichgasse 23 (Wien III) als Hilfsarbeiter zugewiesen. Untergebracht wurde er im Gemeinschaftslager, Dietrichgasse 37, Stube 2, Bett 2: „Deux baraquements côte à côte“, „les baraquements comprenaient […] trois chambrées, […] des châlits en bois à deux étages […]. [O]n était logé sur des paillasses, en toile garnie de paille. […] C’était bien les [..] quinze premiers jours, et puis après il y a eu une invasion […] de puces.“ Der Betrieb, der Ölfilter für Motoren (vom Moped bis zum U-Boot) herstellte, war nur 50 Meter entfernt und beschäftigte etwa zwei- bis dreihundert Mitarbeiter. Seignole wird für verschiedene Arbeiten in der Instandhaltung, an der Drehbank oder an der Schleifmaschine eingesetzt. Wöchentlich wechseln sich Tag- und Nachtschicht ab. Eines Tages landet er an einer Maschine zur Metallscheibenfertigung. Die Maschine muss regelmäßig gereinigt und gefettet werden. In der Nacht sind nur etwa 15 Arbeiter im Werk und die Kontrollen dementsprechend schwach. In solchen Fällen kann er schon dazu beitragen, die Produktion zu beeinträchtigen. Erst eine Woche oder gar ein bis zwei Monate später stellt man fest, dass die Metallscheiben unbrauchbar sind. Dann landet er in der Qualitätskontrolle. In einer Halle bauen 70 österreichische Frauen die Filter zusammen. Seignoles Aufgabe ist es, mittels spezieller Kontrollgeräte die Tauglichkeit zu überprüfen. Nun kann er selbst miterleben, wie die fertigen Teile auseinanderbrechen. Unmöglich festzustellen, wann und von wem dieser bestimmte Teil gefertigt wurde … Bezüglich der Verpflegung ist Seignole ein Sonderfall: es gab zwar eine Mahlzeit am Tag, er hat aber fast nie in der Werksküche gegessen. Seine Baracke war von der Milchwirtschafts AG (MIAG) (Erdberger Lände) nur durch eine Mauer getrennt. Dort arbeiteten französische Kriegsgefangene (Unteroffiziere) aus Rawa-Ruska. 591 Da diese keine Bewegungsfreiheit genossen, wurden sie am Abend nach dem Appell eingesperrt. Über die Toiletten gelangen sie allerdings in den Hof und über die Mauer zur Baracke Seignoles. Die Zivilarbeiter halten für sie normale Kleidung bereit; im Gegenzug erhalten sie Käse von der MIAG. Seignole isst während seines Aufenthaltes am Tag durchschnittlich eine A4-große und drei Zentimeter dicke Scheibe Emmentaler, die er unter dem Holzboden 591 Nachdem diesen Kriegsgefangenen in Rawa-Ruska nichts mehr zu essen gegeben worden war, meldeten sie sich freiwillig zur Arbeit und wurden der MIAG zugeteilt.
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versteckt hält. Dadurch leidet er nicht Hunger. Er geht nie in ein Gasthaus, wo er ein Stammgericht hätte bekommen können. Samstag 13.00 bis Montag 6.30 Uhr hat er Freizeit: „[O]n avait une totale liberté […] – comme on travaillait une semaine de jour, une semaine de nuit, et qu’on ne se fatigait pas trop la semaine de nuit, on était en pleine forme pour aller […]“ Er erzählt von der Oper, dem Burgtheater, Schönbrunn, dem Prater, Grinzing, der Urania, Schneeberg und Rax, auch Baden, und einmal sieht er im Stadion Rapid-Wien spielen. Bombenangriffe bedeuten für Seignole meist zusätzliche Erholung: „[T]ous les jours on avait ‚Fliegeralarm‘ aux environs d’une heure, une heure et demi – on attendait avec impatience, […] ça nous faisait une demi-heure ou une heure de repos de plus – des avions passaient, mais il n’y avait rien, jusqu’au jour où ils ont bombardé Wiener Neustadt – […] sur Vienne ça a été un vent de folie.“ Während der Angriffe halten sie sich im Keller des Werkes auf: „[N]ous on descendait dans le deuxième sous-sol de l’usine – obligatoire […]! il n’était pas question de rester dedans.“ Mit der Begründung, seine Mutter sei schwer erkrankt, erhält Seignole nach ca. sechs Monaten eine Woche Urlaub, fährt nach Frankreich und will auf keinen Fall wieder zurückkehren. Wie will er das erreichen? Sein Bruder, der ebenfalls Urlaub bekommen hatte, war in der Zwischenzeit untergetaucht und landete letztendlich bei der Organisation Todt am Atlantikwall in der Nähe von Bordeaux. Im Falle Jacques Seignoles allerdings steht ihm ein befreundeter Lungenarzt zur Seite. Dieser sagt ihm, er habe in Frankreich keine Chance, von der Verpflichtung befreit zu werden. Er könne ihm, Seignole, aber falsche Atteste und Röntgenbilder mitgeben, die eine schwere Lungenkrankheit beweisen sollten – davor hätten die Deutschen am meisten Angst. Seignole überlegt und befolgt schweren Herzens den Rat. Seine Rückkehr gilt als Beweis für seine Loyalität. Die Röntgenbilder überzeugen, die Ärztin schickt ihn mit einem Brief an die Krankenkasse weiter. Der dortige Arzt untersucht ihn allerdings und schreibt ihn arbeitsfähig. Der Plan geht also schief. Doch Seignole lässt nicht locker: Er geht zur Ärztin zurück und erzählt ihr, der Krankenkassenarzt habe ihren Brief gelesen, zerknüllt und weggeschmissen. Offensichtlich verärgert, schreibt sie einen neuen Brief, den er diesmal persönlich an einen bestimmten Arzt der Krankenkasse übergeben soll. Von diesem erhält er auf „legale“ Weise einen Rückkehrschein: „[A]lors donc, je suis rentré, rapatrié officiellement, avec passeport.“ Er reist am 20. November 1943 aus und erhält in der Folge auch in Frankreich die Bestätigung, dass er arbeitsunfähig sei.
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Nach dem Krieg tritt er zwar irgendwann dem Verband ehemaliger Zwangsarbeiter bei, scheint ihm aber nicht besonders verbunden zu sein. Schon seit mehreren Jahren hat er keinen Mitgliedsbeitrag mehr geleistet und weiß gar nicht, ob es den Verband überhaupt noch gibt. Für ihn ist dieses Kapitel abgeschlossen: „[Ç]a fait partie du passé.“ Zwar hat er die Originaldokumente sorgfältig aufbewahrt, doch gibt er sie dem Verfasser mit. Er scheint keine starke Bindung daran zu haben. Wie hat die Erfahrung der Zwangsarbeit Jacques Seignole geprägt? Zweifellos hat sie ihn aus seinen ursprünglichen Plänen herausgerissen, denn er hatte sich auf eine Juweliersprüfung vorbereitet. Doch seine Abwesenheit war relativ kurz, das Ende des Krieges erlebt er in Frankreich. An Hunger hat er nicht gelitten, und auch Arbeit und Unterkunft dürften erträglicher gewesen sein als in den Massenquartieren der Industriebetriebe. Tendenziell ist er ein vorsichtiger Mensch – zwar versucht auch er, die Produktion zu beeinträchtigen, doch hält er sich im Allgemeinen an die Regeln und sucht eine Lösung innerhalb des Systems. Er nimmt das Risiko der Rückkehr nach Wien auf sich… und hat damit Erfolg. Er reist Ende 1943 auf vollkommen „legale“ Weise nach Frankreich. Dort steigt er wieder in das Juweliersgeschäft ein, dem er bis in die Pension treu bleibt und in dem er zweifellos erfolgreich war. Sein zentrales Erlebnis ist daher wohl eher der Juweliersberuf als seine Zeit als Zwangsarbeiter und dies könnte dazu beitragen, dass Letzteres für ihn eher den Charakter einer Anekdote in seinem Leben hat, an die er sich allerdings mit beeindruckender Klarheit zu erinnern scheint.
7.5 Gérard Prosper: Arthur Krupp Berndorf Gérard Prosper wurde am 21. September 1922 im kleinen Dorf Pampelonne (Département Tarn) geboren, wo er aufwächst und in die Schule geht. Sein Vater war Zimmermann. Nach ihm wurden zwei Töchter geboren, eine vier, eine 14 Jahre jünger als er. Nach dem Abschluss der Pflichtschule arbeitet er zunächst mit seinem Vater, dann aber als Maschinist im örtlichen Elektrizitätswerk. Statt zu den C.J.F. zu gehen, verpflichtet er sich im November 1942, als die Deutschen gerade die „freie“ Zone besetzt hatten, ein Jahr freiwillig zur Armee, die kurz darauf aufgelöst wird. Seine Motivation: „Tu penses, je ne vais pas aller couper du bois […]! Je vais m’engager.“ Nicht lange nach seiner Rückkehr nach Pampelonne erhält er eine Vorladung. Er berät sich mit einem Arbeitskollegen, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte – aus Angst vor Repressalien gegen die Familie beschließt er letztlich doch, sich zu beugen. Einmal noch wird er unsicher: Einer aus der Gruppe der Vorgeladenen flieht… er denkt, das hätte er auch tun können. Doch es ergibt sich keine Gelegenheit mehr.
Arthur Krupp Berndorf
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Von Albi geht es mit dem Zug nach Paris, wo Prosper eine Nacht in der Kaserne Mortier verbringt. Man gibt den Zwangsarbeitern Nummern, ihm 12, einem Freund 13. So wird sein Zielort bestimmt: Strasshof: „[C]’était immense, il y avait des baraques […], un immense terrain avec des baraques. […] Il fallait faire le contour pour rentrer.“ Nach einigen Tagen werden sie nach ihrer Ausbildung gefragt und zugewiesen. In einer Stadt (Wiener Neustadt?) wartet er in einer Wohnung auf die endgültige Zuweisung: Am 11. März 1943 tritt er seine Arbeit bei Arthur Krupp Berndorf an, wo laut Prosper etwa 800 Franzosen arbeiten. In seiner Abteilung werden Eisenplatten für Flugzeuge gefertigt. In einer Vierergruppe holen sie das Eisen aus dem Ofen und schneiden es zurecht. Im ersten Jahr wechselt er wöchentlich von der Tag- zur Nachtschicht (je zwölf Stunden), im Jahr darauf ist es Wechselschicht (3 x 8). Zunächst wird er im vier Kilometer entfernten Lager Grillenberg untergebracht, von wo er täglich mit Holzschuhen zum Betrieb kommt. Danach wird er nach „Rüess“ verlegt, in Baracken neben dem Betrieb. Im Allgemeinen wird er gut verpflegt, Hunger muss er nicht leiden: „On était assez bien nourri quand même.“ In der Gemeinschaftsküche sind die Tische nach Nationalitäten getrennt. Als ein Franzose allerdings den Verantwortlichen provoziert, gewährt dieser ihnen ein Privileg: Mit dem Hinweis auf den Unabhängigkeitsdrang der Franzosen weist er ihnen eine eigene Küche zu, in der das Essen schlechter ist – aber auch da empfindet er es noch als erträglich. Solange man zur Arbeit erscheint, hat man Bewegungsfreiheit: „Il y avait une certaine liberté, […] on était tranquille, simplement on n’était pas à la maison, on n’était pas en France…“ In der Freizeit besucht Prosper ein- oder zweimal die Pfarrkirche, manchmal geht er ins Gasthaus – ein bisschen Geld hat er. Ein weiteres Mal fährt er nach Wien und lernt den Prater und den dortigen Schwarzmarkt kennen. Weitere Ausflüge unternimmt er aber nicht. Als er sich eines Tages in der Nähe des Bahnhofs aufhält, begegnet er einer Gruppe der Chantiers de Jeunesse: etwa 15 in grüner Uniform. Im Lager selbst gab es aber keinerlei Aktivitäten der C.J.F. . Was konnte man in Berndorf wissen? Ein Arbeitskollege hatte ein Radio, das er in seiner Baracke unter dem Holzboden versteckt hatte. Zeitungen las Prosper nicht. Man konnte Briefe schreiben, er selbst dürfte davon aber nicht ausgiebig Gebrauch gemacht haben. Er erinnert sich an Widerstand. Schlägereien werden vorgetäuscht, um Zeit zu verlieren, und seien es nur zehn Minuten. Nicht jeder hat den gleichen Handlungsspielraum: „Moi je ne pouvais pas le faire […], c’était pas pareil.“ Wird der Laufkran nicht rechtzeitig ange-
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halten, schießen die damit transportierten Gegenständen in voller Geschwindigkeit gegen die Mauer. Und wieder vergeht eine Stunde… Eines Tages begeht er eine Kurzschlussaktion. Im Moment der Arbeitsaufnahme beschließt er, den Betrieb wieder zu verlassen. Gemeinsam mit der Nachtschicht schmuggelt er sich hinaus, legt sich in der Baracke nieder und stellt sich krank. Der Lagerarzt gibt ihm eine Aspirintablette und schickt ihn wieder zur Arbeit, doch Prosper legt sich trotzdem wieder hin und nimmt erst am nächsten Tag wieder die Arbeit auf. Als einige seiner Kollegen auf andere Arbeitsplätze aufgeteilt werden, aber dennoch in Berndorf die Karten lochen müssen, bitten sie ihn, es für sie zu tun. Er locht die Karten für Arbeitskollegen – doch jemand beobachtet ihn dabei und meldet es. Es kommt zu einem Verhör durch die Gestapo, die ihn aber wieder gehen lässt. In Erinnerung bleibt ihm auch ein Hochwasser. Als die Triesting am 4. Juli 1944 über die Ufer tritt, werden die Barackenlager weggeschwemmt. Prosper verliert sämtliche Papiere, eine Tatsache, die bei seiner Rückkehr nach Frankreich nicht unerheblich sein wird. Bei Herannahen der Front gilt es eine Entscheidung zu treffen. Prosper möchte den Bomben entgehen und macht sich daher nach Grillenberg auf, wo bereits etwa 30 Franzosen warten. Bis zum Eintreffen der Russen am 8. April versorgen sie sich unter anderem in der Konservenfabrik Zimmermann. Die darauffolgende Repatriierung schreibt Prosper in einem Tagebuch nieder: Am 11. April abends erreichen sie Ágfalva, am 13. Veszprém, wo sie über einen Monat in einem großen Lager warten. Am 2. Mai trägt Prosper in sein Tagebuch ein: „La Radio annonce la mort d’Hitler, la capitulation des armées d’Italie.“ Am 6. Mai wird das Lager wegen einer Typhusepidemie unter Quarantäne gestellt. Am 8. Mai „Cessation des Hostilités à minuit 1 minute“. Am Tag darauf wird ihnen mitgeteilt, dass sie über Italien repatriiert werden. Als sie am 13. Mai abfahren, bewegt sich der Zug allerdings Richtung Budapest. Sie hoffen auf Einschiffung in Odessa. Man wartet auf englische Schiffe, doch es gibt keine: „On nous dit non, vous n’allez plus là, il n’y a plus de bateaux anglais.“ Stattdessen wird nun an die Ostsee gedacht. Es geht weiter nach L’viv (Lemberg) und Richtung Minsk. Sie hoffen auf Einschiffung in Königsberg, finden sich aber in einem Lager in „Starie Doroghy“ in der Nähe von Minsk wieder, wo sie von 3. Juni bis 5. Juli einen weiteren Monat mit Warten verbringen. Erst dann geht es über Warschau nach Berlin und in weiterer Folge über Holland nach Paris. Die Ankunft besteht aus einer Trennung von Freiwilligen und STO: „On nous contrôle pour savoir s’il y avait des volontaires parmi nous.“ Doch er hat keine Papiere mehr… „Alors une minute de silence, puis il y en a un qui se penche sur l’autre, il lui dit quelque chose – l’autre lui murmure ‚Laisse le passer‘.“ Er kehrt nach Pampelonne zurück. Im
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Gemeindeamt kann man ihm ohne Papiere allerdings keine Essensgutscheine aushändigen. Erst als er sich von der Armee eine Bestätigung über seine 1942 erfolgte freiwillige Meldung ausstellen lässt, erhält er Gutscheine. Bis zu seiner Pensionierung bleibt er den E-Werken treu, zuerst in seinem Geburtsort Pampelonne. 18 Jahren lang hatte er auch eine Funktion im Gemeindeamt. Nach der Schließung des kleinen Kraftwerks wird er ins 70 Kilometer entfernte St-Affrique (Département Aveyron) versetzt, wo er sich zwölf Jahre später zur Ruhe setzt. Hier heiratet er seine Frau. Gemeinsam adoptieren sie ein vierjähriges südkoreanisches Kind. War die Zwangsarbeit in Österreich ein zentrales Ereignis im Leben Gérard Prospers? Er meint, er habe immer an die Erlebnisse in Österreich gedacht. Er ist auch Mitglied des örtlichen Zweiges des Verbandes und erhält die Zeitung „Le Proscrit“. Prosper ist der Meinung, dass es wichtig sei, über die Geschehnisse Bescheid zu wissen, daher hatte er sich auch zum Gespräch bereit erklärt. So besitzt er auch Jacques Evrards 1972 erschienenes Werk über die französischen Zwangsarbeiter. Prosper ist Mitglied in einem Gesangsverein und nahm früher auch häufig an Ausflügen des französischen Stromkonzerns EDF teil. Er scheint sich mit seiner beruflichen Vergangenheit bei EDF mindestens ebenso stark identifizieren zu können wie mit seiner Vergangenheit als Zwangsarbeiter. War das eine ein besonderes, zeitlich beschränktes Erlebnis, so war das andere Inhalt seines ganzen Lebens. Zweifellos spielt also „Zwangsarbeit“ eine Rolle, ist aber nicht die allein sinngebende Referenz in seinem Leben.
7.6 Ignace Salvo: Alltag in den Linzer H.G.W. Ignace Salvo wurde am 11. Dezember 1920 als Sohn spanischer Eltern in Penalba (Spanien) geboren. Seine Familie wanderte 1921 nach Frankreich aus, wo der Vater schon während des Ersten Weltkriegs gearbeitet hatte. Er wächst in Bessan (Hérault) auf, besucht dort bis zum Alter von 14 Jahren die Schule und macht dann eine Installateurlehre. Mit 18 Jahren wechselt er in einen Betrieb ins 15 Kilometer entfernte Servian. In seiner Freizeit betreibt er viel Sport. Nach dem Fußballspiel wäscht er sich sogar im Winter im Freien, eine Gewohnheit, die ihm später von Nutzen sein sollte: „J’avais pris cette habitude – et même quand il faisait […] –20 […]: à la douche! […] le froid, je ne l’ai jamais craint!“ Bei Kriegsausbruch hat er nach wie vor die spanische Staatsbürgerschaft. Um sich in Frankreich einbürgern zu lassen, meldet er sich freiwillig zur Armee, um in den Kolonien zu dienen, und erhält schließlich eine Vorladung für den 29. Juni 1940. Zum Zeitpunkt
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der Stellung in Montpellier ist der Krieg allerdings bereits zu Ende; Salvo aber ist seit 25. Mai französischer Staatsbürger und daher auch zu einem achtmonatigen Aufenthalt bei den Chantiers de Jeunesse verpflichtet. Nach seiner Rückkehr nimmt er seine Arbeit in Servian wieder auf. Als er Anfang 1943 Gendarmen aus seinem Betrieb herauskommen sieht, weiß er sofort, was ihn erwartet. Er erhält eine mit 11. Jänner datierte Aufforderung, sich am 13. Jänner um 14 Uhr einer ärztlichen Untersuchung im Krankenhaus von Béziers zu unterziehen. Damit steht er vor einer Entscheidung: „Alors, partira, partira pas, partira pas – […] on cherchait à ne pas y aller, mais après on avait dit qu’on s’en prenait aux parents ou aux frères, alors…“ Er hat zwei kleine Schwestern, sein Vater ist der einzige in der Familie, der sie erhält: „On était cinq quand même et il fallait manger, alors? S’ils avaient à me planquer, moi, si on prend mon père, qu’est-ce que…?“ Zunächst versucht er mit einem Freund, Arbeit auf dem Land zu finden. Der Landwirt, der sie einstellen hätte sollen, wird aber bereits von den Behörden überwacht und kann sie nicht behalten – sie kehren nach Bessan zurück. Daraufhin lässt sich Salvo falsche Atteste ausstellen und stellt sich bei der am 13. Jänner 1943 erfolgenden ärztlichen Untersuchung schwerhörig. Doch der Arzt meint, wenn er in Frankreich arbeiten könne, könne er das auch in Deutschland. Sein Abfahrtstermin wird auf den 20. Jänner festgelegt. Von der möglichen Existenz einer Widerstandsgruppe weiß er nichts. Gemeinsam mit einer Gruppe von Bahnarbeitern und Matrosen fahren sie nach Dijon, wo ein Deutsch sprechender Matrose zufällig die Bedeutung der Farbmarkierungen der Waggons erfährt – „il est revenu, il est arrivé avec un crayon bleu et une gomme. Alors le trait rouge que nous avions, nous l’avons effacé et nous avons marqué un trait bleu. Et en arrivant à Munich […], tous ceux qui avaient le trait rouge étaient d’un côté du quai, tous ceux qui étaient bleu d’un autre côté du quai.“ So kommen sie statt nach Königsberg nach Linz. In seinem Tagebuch verzeichnet er: „Nous devons faire vérifier nos papiers pour savoir si nous devons aller à Linz ou à Königsberg, sur les contrats on nous marque à 5 d’entre nous le numéro 16, aux autres le numéro 17“.592 Er kommt am 22. Jänner in Linz an und ist zunächst froh, nicht in Königsberg gelandet zu sein. Er trägt in sein Tagebuch ein: „Après avoir attendu une bonne heure, nous mettons nos valises en consigne car il nous faut faire 5 km à pied pour aller au camp, nous faisons ce chemin à pied sur la neige glacée.“ Auf die 50 cm Schnee war Salvo, der nur Fahrradschuhe trug, nicht vorbereitet: „Arrivés au camp, on nous apprend que nous sommes au centre d’accueil des ouvriers, on nous sert le souper, du café dans une assiette, de la confiture dans
592 Tagebuch Ignace Salvo, 21. 1. 1945.
Alltag in den Linzer H.G.W.
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une autre et un morceau de pain.“593 Er beschreibt die Baracke: „C’est un grand baraquement en planche construit en pleine campagne, entouré de barbelés, en face notre carré se trouvent les cabinets, à droite des cabinets, il y a lavabos, douches et le chauffage central, donc eau chaude partout, dans la [sic!] carré il y a un poêle et il ronfle car le charbon n’est pas rationné, tous les murs et le plafond sont peints au blanc, c’est très propre.“594 Schon bald lernt er seinen neuen Arbeitsplatz kennen: H.G.W.,595 Hauptwerkstatt, Wagonfertigung. In einer großen Halle mit Laufkran werden Teile geschweißt, genietet und zusammengebaut. Die Beschreibung seines ersten Arbeitstages: „Nous voilà partis pour l’usine Hermann Göring Werke qui est à 4 km du camp. Il nous faut une heure pour y arriver car sur la neige gelée on ne peut se tenir que difficilement, […] nous
allons au bureau de l’usine, […] on nous fait une fiche et nous voilà dans notre atelier, […] on nous donne des outils, […] ce n’est pas du travail que nous faisons, c’est des coups de marteau par ici, par là […] c’est honteux, je me demande pourquoi on nous a fait venir car il n’y a rien
à faire, […] enfin arrive l’heure de la soupe, il est midi […], notre menu est maigre, un plat de pommes de terre avec des carottes, nous buvons un demi de bière que nous payons 35 Pfennig […] nous recommençons à 1h ½. […] Il est 5 h ½ lorsque nous quittons […], nous mettons 30 minutes pour monter au camp, nous allons à la cantine pour la soupe il y a une queue de cent mètres de long qui attend, nous allons au lavabo, puis nous allons faire la feuille pour toucher
le tabac, on nous donnera les cartes demain soir à l’arrivée du travail. Lorsque nous allons à la
soupe, il n’y a personne mais il est tard, voilà notre menu: soupe, pommes de terre et sauce avec viande mais très peu, café, nous regagnons notre baraque et je vais écrire ma première lettre à mes parents, je fais mon lit en attendant l’heure de nous coucher, et voilà ma première journée de travail.“596
593 Tagebuch Ignace Salvo, 22. 1. 1945. 594 Tagebuch Ignace Salvo, 23. 1. 1945. 595 Die Hermann Göring Werke (H.G.W.) wurden ab 1938 errichtet und gingen 1941 in Betrieb. Durch den großen Arbeitskräftemangel waren 1944 62 % der fast 18.000 Beschäftigten Ausländer. Die Franzosen zählten zu den größten Kontingenten. An der Geburtentabelle erkennt man, dass die Geburtenjahrgänge 1920, 1921 und 1922 – also jene, die im Rahmen des S.T.O. rekrutiert wurden – mit Abstand die höchsten Zahlen aufweisen (vgl. Rathkolb, Einleitung [2001]: 13; Schober, Michaela C: „ZwangsarbeiterInnen der Reichswerke Hermann Göring am Standort Linz – Statis tikbericht unter Berücksichtigung der deutschen Staatsangehörigen“. In: Rathkolb, Oliver (Hg.): NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938–1945. Bd. 1. Wien/Köln/Weimar: Böhlau [2001]: 158f ). 596 Tagebuch Ignace Salvo, 28. 1. 1943.
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Untergebracht wird er im „Lager 53“, wo fast nur Franzosen, laut Salvo 21 Mann pro Stube, wohnten.597 Am Anfang hat er ab Samstagnachmittag bis Sonntagabend frei. Nach und nach wird aber auch Samstagnachmittag gearbeitet, dann Sonntagvormittag, und schließlich wird er auch einmal zu Aufräumarbeiten an der Eisenbahnlinie eingesetzt. Was konnte er in der Freizeit tun? „[L]e samedi ou le dimanche, si on voulait sortir, on allait au théâtre, on allait au cinéma – bon, on ne comprenait rien, ma foi, on passait un moment!“ Heimaturlaub bekommt Salvo nicht: Zu viele waren schon nicht mehr zurückgekehrt. Im Juli 1944 bekommt er eine Woche frei, in der er mit anderen nach Wien, Salzburg und ins Salzkammergut fährt: „On allait voir des copains, on logeait dans des baraques ou on couchait sur les quais de la gare.“ Um seiner Familie zu helfen, spart Salvo Geld an und ordnet Überweisungen nach Frankreich an. Als er nach drei Versuchen feststellt, dass das Geld nicht ankommt, stellt er die Überweisungen ein. Welche Strategien hat er entwickelt, um Alltagsprobleme zu lösen? Aus Leintüchern lassen sich Salvo und seine Freunde von einem Italiener Kleidung schneidern, werden dabei erwischt und vor die Wahl gestellt, entweder eine Reichsmark Strafe zu zahlen oder eine Haftstrafe zu verbüßen. Als der Chefingenieur dies erfährt, gibt er ihnen am nächsten Tag Karten für Hemd, Anzug und Schuhe. Die Verpflegung wird unter anderem durch Fasanjagden aufgebessert. Ein Mitarbeiter aus Savoyen stellt am Waldrand Fallen auf und erlegt einmal ein Reh, das am Weihnachtsabend gegessen wird. Später fälscht ein italienischer Militärinternierter Brotkarten, die entweder eingelöst oder aber auf dem Schwarzmarkt gegen andere Lebensmittelkarten eingetauscht werden, mit denen man auch dann und wann ins Gasthaus gehen kann. Ein Tschechoslowake, der von Linz angeblich regelmäßig nach Hause fährt, verkauft ihnen Tabakblätter, die sie zu Zigaretten rollen und damit Gewinn machen. Am 17. August 1943, nur wenige Tage nach dem ersten Luftangriff auf Wiener Neustadt, vermerkt Salvo in seinem Tagebuch: „Il y a alerte, nous regagnons les abris à deux heures c’est terminé, nous ne sommes pas tranquilles avec ces abris car ils sont dans l’usine même et pas trop aérés. La semaine dernière Vienne a été bombardé, il y a 50 ouvriers Français de tué mais paraît que l’usine est rasée.“598 597 In diesem Lager waren fast ausschließlich Franzosen registriert – 254 Mann (vgl. Schober, Statistikbericht [2001]: 266). 598 Tagebuch Ignace Salvo, 17. 8. 1943.
Alltag in den Linzer H.G.W.
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Monate später erfolgt am 23. Februar 1944 der erste Bombenangriff auf Oberösterreich (Steyr). Für Salvo scheinen zu diesem Zeitpunkt die Luftschutzräume bereits zur Routine geworden zu sein: „À Midi la sirène de l’usine se met à siffler, aussi tout le monde en courant va aux abris. La DCA599 rentre en action. A 1 h l’alerte est terminée, aussi nous allons manger. Après dîner, il nous faut regagner les abris car le canon tonne et nous y restons jusqu’à 3 h.“600 Bis zum Jahresende folgen zwölf Bombenangriffe auf Linz. Am 25. Juli 1944 wird der Bombenangriff eindrücklich festgehalten: Il y a alerte et nous allons aux abris. La DCA rentre en action, puis les abris vibrent, cette fois on n’y coupe pas, pendant une demi-heure ce n’est que des bruits sourds mais pas loin et dans les abris il y a un déplacement d’air lorsque la fin de l’alerte sonne – nous sortons. A ma grande surprise, les maisons qu’il y a, il n’y a pas une vitre et les tuiles ne valent pas mieux – nous allons à l’usine […], des vitres sont tombées et le plafond et tout percé – il y a un avion
à côté de l’usine dont le pilote a été pris dessous […], il n’y a pas un espace de 20 mètres où
ne soit tombée une bombe. Malheureusement il y a des morts. […] Les hauts fourneaux sont
intacts mais il y a des bâtiments où il ne reste rien. Un abris a été touché par les bombes et
l’eau l’enfoui, aussi presque tous ceux qui les occupaient sont morts noyés – il y en a qui sont vraiment mutilés.601
Bei den ersten Bombenangriffen bevorzugt er es, gemeinsam mit anderen Franzosen ins Freie zu flüchten und sich flach in die Wiese zu legen. Der Luftschutzraum befindet sich innerhalb der Fabrik, er fühlt sich darin nicht sicher. Eines Tages werden sie aber gezwungen, in die Luftschutzkeller zu gehen. Die Bomben fallen genau auf jene Wiese, auf der sie sonst Zuflucht suchen. Als sie beauftragt werden, ein abgeschossenes amerikanisches Flugzeug auseinanderzubauen, verwendet er Teile davon als Umschlag für sein Tagebuch, das er von Beginn an geführt hatte – eine Angewohnheit, die er aus seiner Zeit als Installateurlehrling übernommen hatte. Das nötige Material dazu lag in der Baracke, versteckt unter einem ausgeschnittenen Bodenstück, auf dem der Ofen stand. Der Gefahr, die mit Widerstand verbunden ist, ist er sich bewusst. Die Repression ist allgegenwärtig: Ein Freund, der einen falschen Ausweis hatte, verschwindet drei Monate lang. Drei Tschechen, die einen Fluchtversuch wagen, werden auf der Stelle erschossen. Trotzdem gelingt es seiner Gruppe, Verbotenes zu tun. In seiner Einheit arbeitet auch eine 599 Défense contre aéronefs (DCA): frz. Bezeichnung für „Fliegerabwehrkanone“ (FLAK). 600 Tagebuch Ignace Salvo, 25. 2. 1944. 601 Tagebuch Ignace Salvo, 25. 7. 1944.
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Typische Einzelschicksale
Gruppe von drei bis fünf KZ-Häftlingen. Als sich herausstellt, dass einer davon aus derselben Gegend in Frankreich stammt wie er, schließen sie Freundschaft. Ein Jahr lang verstecken sie ihn jeden Morgen in einem Waggon, waschen seine Wäsche, trocknen sie und geben ihm zu essen. Damit die anderen Häftlinge sie nicht verraten, geben sie auch ihnen zu essen. Die Angst vor Denunziation war allgegenwärtig: „Il n’y avait que la peur là-bas, même les Allemands qui étaient avec nous, ils ne nous parlaient pas ni bien de celui-là ni mal de celui-là, ni rien! Tout le monde se méfiait de tout le monde…“ Zu Informationen über die Kriegslage kommt Salvo über Lagerbewohner, die Detektorgeräte mit Bleikristall verwenden: „Il y en a dans la baraque qui montaient des postes à galène, alors ils écoutaient, ils voyaient que les armées avançaient.“ Auch in der Betriebskantine gibt es ein Radio, das sie verbotenerweise benutzen. Nach der Befreiung durch die Amerikaner bleibt Salvo noch zwei, drei Wochen im Lager, wo die Franzosen die Leitung übernommen haben. Einige setzen sich mit dem Zug Richtung Schweiz ab, er und einige andere bleiben aber: „Nous, comme on était jeune, on a dit qu’on partira quand on partira.“ Eines Tages werden sie auf einen Flugplatz gebracht, wo sie drei Tage warten müssen, weil ein Sturm über dem Ärmelkanal den Abflug verhindert. In amerikanischen Flugzeugen werden sie dann nach Maubeuge gebracht, wo er bei seiner Ankunft noch über 500 Reichsmark verfügt, die in französisches Geld umgetauscht werden. Salvo fühlt sich nicht in der Lage, die Arbeit gleich wieder aufzunehmen. Er bleibt im Garten seiner Eltern und verdient sich hie und da bei der Weinlese etwas Geld dazu: „Ils voulaient me reprendre de suite, mais moi j’ai dit non, je vais prendre quelque temps pour être tranquille […] à la maison […]. Ce qu’on ressent, du jour au lendemain, être là tranquille chez soi, voir la famille, c’est pas… […]. Je voulais la paix.“ Nach der Weinlese nimmt er seine Arbeit als Installateur wieder auf. 1946 heiratet er, zieht nach Bessan und betreibt dort bis zu seiner Pensionierung einen Installateursbetrieb. Erst 1994 hört er zufällig von der Existenz des Verbandes ehemaliger Zwangsarbeiter. Seitdem nimmt er bei den regelmäßigen Treffen teil und ist mittlerweile der örtliche Leiter in Bessan. Von den ursprünglich etwa 30 Mitgliedern bleiben nur noch sieben oder acht.
7.7 Xavier Charpin: Sabotage in Vorarlberg Xavier Charpin wurde am 18. Dezember 1921 in Saint-Etienne (Département Loire) geboren. Nach der Pflichtschule beschloss sein Vater, ihn ins „Lycée“ zu schicken, weil er als guter Schüler galt. Als aber der Vater, ein ehemaliger Minenarbeiter und Gewerkschaftsführer,
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chronisch erkrankt, kann er die Familie – neben Xavier gibt es noch einen Sohn – nicht mehr alleine erhalten. Xavier Charpin beginnt daher im Alter von 15 Jahren in der Fleischund Wurstwarenabteilung der Fa. Casino (St. Etienne) zu arbeiten, wo nunmehr auch sein Vater beschäftigt ist. Als nach der französischen Niederlage die Arbeiter gebeten werden, ihre Arbeitsplätze für die Frauen von Kriegsgefangenen zu räumen, meldet sich Charpin freiwillig als Minenarbeiter. Im März 1941 findet er sich in der Grube „La Chana“ wieder, wo er mit Arbeitern unterschiedlichster Herkunft (Arabern, Spaniern, Portugiesen, Italienern, Polen und Franzosen) zusammentrifft. Das Motto: „Jette, jette, Maroc“ – „Marokko“ als Metapher für all jene, die durch die Schwärze der Kohle zu einer Einheit verschmelzen. Die 14. Schicht, wo er arbeitet, erweist sich als gefährlich: Mehrere Male stürzt die Mine im zweiten Halbjahr 1941 ein, Gas strömt aus, die Arbeiter sind angespannt. Charpin beschließt daraufhin, seiner erst für März 1943 erwarteten Einberufung zu den Chantiers de la Jeunesse (C.J.F.) zuvorzukommen. Der 1. November ist sein erster Tag, ein harter Winter in der Auvergne steht ihm bevor. An harte Arbeit und frühes Aufstehen gewöhnt, tut ihm die frische Luft aber vorerst gut: „Courir, sauter, bondir dans la neige auvergnate immaculée me procurait un réel bonheur.“602 Nur das Hungergefühl ist neu. Als er eines Tages erfährt, dass in einem eigenen Gebäude Schweine für die Gruppenleiter versteckt werden, ist sein Gerechtigkeitssinn getroffen: Monate später hat er es immer noch nicht vergessen und beschließt, einen Brief an General de la Porte du Theil zu schreiben, um den Vertrauensbruch zu melden. Am 21. Jänner 1942 fordert das Grubenunglück von „La Chana“ 69 Tote. Dieses Ereignis prägt ihn: Er sieht seine ehemaligen Arbeitskollegen vor seinem geistigen Auge. Als die C.J.F. nach Nordafrika ausgedehnt werden und man nach Freiwilligen sucht, meldet er sich: Er möchte möglichst weit weg. Kurze Zeit später findet er sich in Tunesien wieder, wo seine Einheit an der Küste Sümpfe trockenlegen soll. Nach seiner Rückkehr Ende Juni 1942 bleibt ihm nur wenig Zeit, bevor das Produktionsministerium ihn wieder zur Arbeit in der Mine verpflichtet. Nur wenige Tage später wird die Zuweisung allerdings rückgängig gemacht: Sein Vater hatte Monate zuvor alles in Bewegung gesetzt, um ihm dieses Schicksal zu ersparen, und erreicht, dass er im Lagerhaus der Fa. Casino unterkommt. Er ist zufrieden, doch es fehlt ihm jene Kollegialität, die er von der Mine gewohnt war. Nur wenige Zeit später lernt er seine zukünftige Frau kennen und heiratet sie Ende Oktober 1942. März 1943 liest er auf einem Plakat vom S.T.O., zwei Tage später erhält er eine eigene Vorladung. Wäre er Minenarbeiter gewesen, wäre ihm aufgrund der Ausnahmeregelungen dieses Schicksal erspart geblieben. Am 25. März verlässt der Zug St. Etienne. Niemand weiß, wohin. 602 Charpin, Xavier: Amères pilules à Saint-Etienne en 1940.Saint-Etienne: Action Graphique (1989): 13.
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Typische Einzelschicksale
Der Zug bleibt in Wörgl stehen. Es ist Ende März und kalt. Charpin und die anderen Ankömmlinge werden in ein Lager gebracht: „[O]n est débarqué dans un premier temps à la gare de […] Wörgl, […] il y a eu une marche assez longue […] par des chemins boueux pour rejoindre le camp de Wörgl, un camp au bord d’une rivière avec des barbelés, des miradors […], il y avait double rangée de barbelés, des chiens.“ Auf der anderen Seite des Flusses waren die Bäume geschlägert worden. Im Hintergrund hört man das Geräusch des Generators für Scheinwerfer und den elektrischen Stacheldraht. Im Gegensatz zu den meisten anderen ist Charpin, wie üblich, mit festem Schuhwerk und guter Kleidung ausgestattet. Über Lautsprecher werden Befehle verlautet. Nach einigen Tagen werden die Insassen ihren Arbeitsstellen zugewiesen. Für viele heißt der Zielort Kaprun, Charpin selbst aber beschließt nach einem Blick auf die Landkarte, nach Bregenz zu fahren: Komme was wolle, er will sich der Schweiz annähern. Mit dem Zug geht es Richtung Westen, und Charpin steigt nicht aus. Am Endbahnhof Bregenz sind noch nahezu 200 Arbeiter im Zug, die zum Arbeitsamt gebracht werden. Als potenzielle Arbeitgeber erscheinen, meldet sich Charpin als Fahrer zur Reichspost, da er 1939 den LKW-Führerschein in Villars gemacht hatte. Ein zweiter Franzose schließt sich ihm an. Die ersten Nächte verbringen sie im Lager Riedenburg, doch werden sie eines Tages tatsächlich vom Lagerführer vor die Tür gesetzt: Die Reichspost hatte vergessen, für die Unterkunft ihrer Beamten zu zahlen. Was tun? Die Sprachkenntnisse Charpins, die er sich seit 1938 in einem Abendkurs erarbeitet hatte, sind den beiden Franzosen nützlich: In Bregenz-Lauterach (Gasthaus Bären) überreden sie die Besitzerin, ihnen ein zwei-Bett-Zimmer zu vermieten. Ab dem folgenden Morgen übernimmt die Reichspost die Kosten. Von nun an fahren sie jeden Morgen mit dem Bus nach Bregenz zur Arbeit. Charpins ca. zehnköpfige Gruppe besteht hauptsächlich aus Franzosen und ist für die Instandhaltung des Telefonnetzwerkes zuständig. Als Fahrer dient am Anfang noch ein Österreicher; als dieser aber einberufen wird, ersetzt ihn Charpin. Von Bregenz aus geht es nach ganz Vorarlberg und weiter, oft sind sie mehrere Tage, manchmal sogar zwei Wochen unterwegs. Wie schätzt Charpin seine Arbeit ein? „Le travail était plutôt agréable surtout à cause de l’environnement, le Bregenzerwald […], des paysages magnifiques, des routes dangereuses au flanc de la montagne, une mer de nuages quand le camion perforant le brouillard découvrait au bout du capot un soleil radieux.“603 Mit ihren Lebensmittelkarten bestellen sie fast immer das Stammgericht. Das Geld wird ausgegeben, was sollte er – sagt Charpin – auch sonst damit tun? Da sie Beamte sind, wird 603 Schriftliche Verständigung Xavier Charpin.
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ihr Zimmer von der Reichspost bezahlt. Durch diese außergewöhnliche Situation erfreuen sich Charpin und der zweite Franzose bald eines gewissen Bekanntheitsgrades: „On était un peu célèbre, nous les deux gros de la Reichspost“.„Toujours en déplacement, munis de nos cartes d’alimentation, […] nous avions une petite chambre à l’hôtel.“604 Trotzdem wird an Flucht gedacht: Die nahe Schweiz ist eine ständige Versuchung – wie aber soll man fliehen? Mit dem Boot über den Bodensee in die Schweiz? Die Grenze zu erreichen ist kein Leichtes. Selbst als sie den letzten Telegrafenmasten vor der Grenze reparieren und sie nur eine Brücke trennt, zögern sie: Man behauptet, die Schweizer nähmen einen nicht ohne Weiteres auf. Vor Bombenangriffen glaubt sich Charpin halbwegs in Sicherheit: „Brégenz [sic!] était une petite ville stratégiquement sans importance. Avec l’ami Courié, nous étions tranquillement restés allongés sur nos lits.“605 Vom Zimmer aus können sie einen Angriff auf Friedrichshafen beobachten, sie selbst sehen sich aber außer Gefahr. Charpin verfügte über einen großen Handlungsspielraum. Er war in einer kleinen Gruppe und hatte Zugang zu den unterschiedlichsten Orten und Einrichtungen. Seine jugendliche Unbeschwertheit, gepaart mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, erweckte in ihm einen Widerstandsgeist, der sich im Kleinen wie im Großen widerspiegelt. Einerseits betreiben die beiden Franzosen da und dort eine Zermürbungstaktik: Sie erzählen beispielsweise, dass Generalfeldmarschall Paulus nicht tot sei, sondern von den Russen gefangen, oder dass mehr als 300.000 deutsche Soldaten vor Leningrad gestorben seien… Wenn der Vorarbeiter daraufhin wütend wird, ist er in der Minderheit: Plötzlich stellen sich alle sieben Franzosen gleichzeitig um ihn herum auf… Eines Tages arbeiten sie in der Nähe von Krumbach und übernachten dort in der Scheune eines Bauernhofes. Die Bäuerin ist Witwe, der Sohn einberufen. Sie erklärt sich bereit, das Abendessen zuzubereiten. Charpin und sein Kollege gehen, ohne vom diesbezüglichen Verbot zu wissen, Forellen fischen. Als der Vorarbeiter dies erfährt, will er die Polizei informieren. Ohne lange nachzudenken, wird ihm die Situation auseinandergesetzt: „Il était obligé de se rendre compte qu’il… – on lui disait qu’on avait pris ces truites, c’était formellement interdit et il ne pouvait rien dire parce que si on nous met en prison, […] ma foi, qui est-ce qui allait conduire le camion ? Il ne savait pas conduire, lui !“ Erst Jahre später wird sich Charpin der Gefahr bewusst. 604 Charpin, Amères pilules (1989): 55. 605 Charpin, Amères pilules (1989): 90.
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Im Gasthaus Bären hört er jeden Tag um 7.15 Uhr früh die BBC. Auch Briefe kann er mehr oder weniger regelmäßig erhalten, wenn auch manchmal mit Verspätung und von der Zensur geöffnet. Als sie eine Zeit lang oft in der Hauptpost in Bregenz sind, machen sie sich einen Sport daraus, möglichst viele Türen zu verschließen und die Schlüssel in den Bodensee zu werfen: „C’était des petites vengeances, des histoires de gamins, plutôt.“ Eines Tages wird es ernst: Charpin wird am Strand des Bodensees von einem Franzosen angesprochen, der ihn fragt, ob er wisse, was im Hafen vorginge. Er hatte nach ihm und seinem Arbeitskollegen Ausschau gehalten und stellt sehr gezielte Fragen: „Ça l’intéressait parce que… on circulait – on circulait partout.“ Wenig später wird ihm nahegelegt, etwas Ernsthaftes zu organisieren. Die Züge, die von der italienischen Front kommend Vorarlberg durchquerten, sollten aufgehalten werden. Ein Zug sollte entgleisen und damit auch alle nachkommenden Züge zum Stehen bringen. Charpin ist skeptisch, einerseits wegen der drohenden Repressalien, andererseits aber auch deshalb, weil er auf keinen Fall am Tod unschuldiger Menschen beteiligt sein möchte – das Minenunglück von „La Chana“ hat ihn geprägt. Nach einigem Zureden einigen sie sich darauf, zumindest den Eindruck zu erwecken, es gebe Sabotage und damit ernst zu nehmenden Widerstand: „C’est le premier vrai faux sabotage que l’Autriche avait jamais connu.“ Charpin überredet zwei Arbeitskollegen und legt das Ziel fest: die Weiche der Linie nach St. Margrethen (Lauterach-Nord). Wie gehen sie vor? Einer der drei bleibt zurück, Charpin und der andere nähern sich der Weiche. Charpins Kollege lockert mit Handschuhen die Bolzen der Weiche. Den Schraubenschlüssel dafür haben sie vorsorglich nicht aus der Garage der Reichspost, sondern von einem Bauern besorgt. Als sie fertig sind, lässt sich Charpin ein blaues Auge schlagen. Sie verständigen den Bahnwärter, der die Polizei ruft: Die gesamte Linie wird angehalten. Nach viel Geschrei und Auflauf geben sie im Gefängnis während des Verhörs die offizielle Version bekannt. Charpin habe seine beiden Freunde getroffen, die auf dem Weg zum Lager Riedenburg gewesen seien. Der Pfad entlang der Gleise sei eine viel benutzte Abkürzung auf dem Weg von der Arbeit zum Lager. Als einer der drei zum Urinieren zurückgeblieben sei, hätten die beiden anderen plötzlich zwei Menschen auf den Gleisen bemerkt. Sie hätten nachgesehen, ob sich ein Unfall ereignet habe. Dabei wäre Charpin niedergeschlagen worden. Als der dritte Freund schreiend nachgekommen sei, habe dies die Saboteure aufgeschreckt und sie in die Flucht geschlagen. Aus Angst davor, ein Zug könne entgleisen, hätten sie den Bahnwärter verständigt. Weder Charpin noch seine zwei Freunde weisen auch nur die geringsten Fettspuren von den Bolzen auf. Man glaubt ihnen und entlässt sie. Für die Behörden sieht es so aus, als ob ein Attentat verhindert worden wäre. Diese Version ist so glaubwürdig, dass die drei Freunde sogar von den Kriegsgefangenen mit Misstrauen gestraft werden.
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Was könnte das strategische Interesse des vorgetäuschten Attentats gewesen sein? Den Nachschub aus Deutschland an die italienische Front zu unterbrechen? Ein Ablenkungsmanöver? Gibt es einen Zusammenhang mit der Explosion, die man kurz darauf hört? Charpin kann es nicht mit Sicherheit sagen. War er sich des Risikos bewusst? Er denkt schon: „Alors là, de toute façon, […] en temps de guerre, si vous faites un sabotage de la voie ferré, il n’y a pas d’histoires…“ Nur wenig später erhält Charpin, weil er verheiratet ist, Heimaturlaub. Einen Junggesellen als Bürgen zu finden, ist nicht weiter schwer: „Ils nous donnaient facilement parce qu’ils étaient tous convaincus qu’avant un an les permissions n’existeraient plus.“ Am 27. November 1943 kommt er nach Villars zurück und will auf jeden Fall in Frankreich bleiben: „Je n’avais nullement l’intention de partir mais que faire?“ Er hatte bereits im Zug mit seinem Arbeitskollegen über die Möglichkeiten gesprochen – sie wollten versuchen, sich dem Widerstand anzuschließen. Als sie dann tatsächlich jemanden ansprechen, klärt sie dieser über die Gefahren auf. Charpin beschließt daraufhin, seine Familie nicht in Gefahr zu bringen. Eine Chance gibt es allerdings noch: Ein befreundeter Doktor (h.c., nicht der Medizin) stellt ihm falsche Atteste aus, mit denen er noch einmal beim „office de placement“ in St-Etienne erscheint. Zusätzlich ist er im Besitz eines in deutscher Schrift verfassten Schreibens eines Arztes aus Vorarlberg, das er sich zuvor besorgt hatte. Tatsächlich wird er daraufhin tauglich geschrieben, tauglich, in Frankreich zu arbeiten … So landet er wieder in der Fa. Casino, diesmal in der Versandabteilung. Nach dem Krieg steigt Charpin ins Geschäft seines Schwiegervaters ein und wird Gemüsehändler. Gleichzeitig arbeitet er während der nächsten sieben Jahre zwei Tage die Woche als LKW-Fahrer für die Mine. Dann widmet er sich nur noch der Gemüsegärtnerei und verkauft seine Produkte auf dem Markt. Als es immer schwieriger wird, wandelt er seinen Grund in Garagenplätze um und vermietet diese. Seit den 80er-Jahren versucht er sich außerdem als Erfinder mehrerer Behelfsgeräte für Körperbehinderte, mit denen er bis nach Japan Bekanntheit erlangt hat. Erst vor wenigen Jahren hat er die Patente verkauft. Zurzeit richtet Charpin gerade ein Museum ein, das der Jugend zeigen soll, wie sich eine Erfindung von der ursprünglichen Idee bis zur endgültigen Ausführung entwickelt. Die Geschichte Xavier Charpins ist in mehrerer Hinsicht außergewöhnlich. Ein an harte Arbeit gewöhnter, von einer Extremerfahrung geprägter junger Mann mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn und Widerstandsgeist wird zur Zwangsarbeit verpflichtet. Die Arbeit per se ist allerdings körperlich weniger fordernd als die ihm vertraute Minenar-
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beit, seine Unterkunft ist ein Zwei-Bett-Zimmer, und er bewegt sich in ganz Vorarlberg. Sein Handlungsspielraum ist groß, und er füllt ihn mit einer gewagten Widerstandsaktion aus. Auch nach seiner Rückkehr nach Frankreich gibt es zahlreiche Belege für seine Nichtkonformität. Als Beispiel sei seine vehemente Kritik an einem amerikanischen Bombenangriff auf Saint-Etienne genannt: „Assassins, assassins, c’est le seul mot qui me soit monté aux lèvres. […] Qui sont ces gens qui ont ordonné un bombardement massif à plus de 3000 mètres de hauteur ? C’est une volonté systématique de détruire, de saccager, d’anéantir. Ceux qui condamnent à mort des centaines voire des milliers d’hommes, de femmes, d’enfants innocents, sont de criminels sans foi, ni loi. Que l’on ne vienne pas parler des contraintes de la guerre des impératifs militaires.“606 Zu denken gibt Charpin nicht der Angriff per se, sondern die Art der Ausführung, die zum Tod unschuldiger Menschen führte. Er will Zeugnis ablegen – nichts hasst er mehr als falsche Berichte. Das betrifft sowohl seine Zeit als Zwangsarbeiter als auch das Grubenunglück von „La Chana“. Er hat bereits mehrere Interviews in Radio und Fernsehen gegeben und dazu auch Bücher geschrieben. Bei einer Gedenkfeier zur Minenkatastrophe ergreift er unaufgefordert das Wort: „Je ne me suis pas fait que des amis.“ Er meint, er habe kaum schlechte Erinnerungen an Österreich, auch wenn die Zeit insgesamt schwierig gewesen sei. Er habe Glück gehabt, denn nach seiner Rückkehr nach Frankreich hätten sich die Arbeitsbedingungen in Vorarlberg verschlechtert: Im Winter konnte man nicht mehr mit dem LKW in entlegene Täler fahren, da war man in der Kälte zu Fuß mit einem Schlitten unterwegs…
7.8 Francis Jeanno: Schoeller-Bleckmann Ternitz Francis Jeanno wurde am 2. August 1922 in Paris geboren. Sein Vater, der in der Schlacht von Verdun durch Granatensplitter am Kopf verwundet worden war, arbeitete als Schuhschneider in der Schuhfabrik Dressoir. Ein älterer Bruder war noch vor 1914 zur Welt gekommen. Jeanno wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Nach dem Abschluss der Pflichtschule ermutigen ihn die Lehrer, weiter zur Schule zu gehen, doch seine Eltern können sich das nur schwer leisten – die Weltwirtschaftskrise macht auch ihnen zu schaffen. Jeanno kann letztendlich aber doch bis zum Kriegsausbruch in eine Chemieschule außerhalb von Paris gehen. Als sein Vater nach Issoudun (Département Indre) versetzt wird, be606 Charpin, Amères pilules (1989): 98.
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gleitet ihn Francis und verrichtet dort alle möglichen Arbeiten: in der Weißgerberei, als Zeitungsverkäufer und auch als Holzfäller. Das Département Indre lag südlich der Demarkationslinie, Issoudun war „Grenzstadt“. Um den Chantiers de la Jeunesse Française (C.J.F.) zu entgehen, wird er Landarbeiter: „Retour à la terre […], c’est une certaine résistance à Monsieur Pétain, au Maréchal Pétain […] qui avait mis sur pied […] les Chantiers de Jeunesse. […] Pour ne pas aller aux Chantiers de Jeunesse, il y avait une possibilité, c’est de faire le ‚retour à la terre’.“ Wegen der vielen französischen Kriegsgefangenen in Deutschland fehlten auf dem Land Arbeitskräfte, Landarbeitern wurde daher Aufschub für den Pflichtdienst bei den C.J.F. gewährt. Als dieser ausläuft, beschließt Jeanno, sich freiwillig zur Armee zu melden, nicht aus Militarismus, sondern weil die Erste (französische) Armee ihr Quartier in Issoudun hatte. Nur zwei Wochen später besetzen die Deutschen die „freie Zone“, die Armee wird aufgelöst. Er hilft zwar noch einigen Offizieren dabei, Treibstoff und Waffen am Land zu verstecken, doch hat dies keine Auswirkungen mehr. Wenige Monate später trifft ihn das Gesetz über den S.T.O. . Die Gerüchte besagen, dass für jeden Arbeiter ein Kriegsgefangener zurückkomme (‚Relève‘) und man sich daher nicht entziehen sollte. „On aurait pu s’échapper.“ Aber es wurde vermittelt, dass es ihre Pflicht sei, die Kriegsgefangenen heimzuholen. Jeannos Vater, selbst Kriegsveteran, war sehr streng: „La loi c’est la loi“, und schließlich war es ein französisches Gesetz, das den S.T.O. eingeführt hatte. Jeanno denkt zwar kurz daran, sich nicht zu beugen, die Gesetzestreue seines Vaters setzt sich aber durch. Nach der Aufnahme der Personalien im Rathaus von Issoudun sitzt Jeanno bereits am 18. März 1943 in einem Zug nach Paris. Einige Tage später kommt er in Strasshof an, „en pleine campagne […]. Nous sommes arrivés en train. C’était en fait un camp de déportation. […] La chute, pour moi, était brutale. […] A la limite, je ne croyais pas à la relève des prisonniers, mais ce que je pensais c’est qu’on allait travailler et être accueillis tant bien que mal, mais là, mis dans un camp entouré de miradors, de barbelés etc. […] La chute était terrible, à tel point que […] j’ai fait ce que j’appelle ‚une fièvre de conscience‘“ Eine Welt bricht für ihn zusammen. „C’était vraiment très pénible. Je suis resté sur le châlit […] sans matelas, pendant des heures, avec […] une température très élevé, j’étais vraiment très mal“. Seiner Meinung nach muss das Lager „Strafhof“ geheißen haben. Fünf Tage bleibt er in diesem Lager, „dans des conditions excessivement détestables […], j’étais terriblement secoué“. Kein Haus weit und breit, „les hommes étaient totalement dégradées“, Frauen tanzen nackt auf den Tischen, Schlägereien, die Latrinen sind Löcher. Dann kommt es zur Zuweisung: „[O]n est sorti de là comme les cochons à la sortie de l’abattoir.“ Ein Stempel auf dem Arm bestimmt sein Ziel.
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Am 26. März 1943 beginnt er bei Schoeller-Bleckmann607 in Ternitz zu arbeiten. Die Arbeit im Mittelwerk besteht daraus, bei einer Temperatur von 450 Grad Landewerke von Flugzeugen oder Panzerkettenglieder aus dem Ofen zu holen und in Wasser zu tauchen. Unter ständiger Verbrennungsgefahr läuft der Ofen sieben Tage die Woche, selbst zu Zeiten, als es kein Dach mehr über dem Kopf gibt. Jeannos Arbeitszeiten richten sich danach: Wechselschicht (3 x 8) ohne freien Tag, zwei Jahre lang. Erst gegen Ende des Krieges bessert sich die Lage und manchmal gibt es einen freien Tag pro Woche. Versucht man, sich bei der Nachtarbeit zwischendurch zu erholen, wird man mit Wassereimern geweckt: „Nous étions très mal traités par les Werkschutz.“ Untergebracht war Jeanno am Anfang im ca. drei Kilometer entfernten „Rohrbachlager“, einem reinen Franzosenlager. Anfang September werden die Insassen allerdings in das direkt neben dem Werk gelegene „Schneeberglager“ überstellt, 18 Mann pro Stube. Dort beschließt der Lagerführer, dass, weil am Sonntag nicht gearbeitet werde, auch nicht gegessen werde müsse. Dass Jeanno auch sonntags arbeiten muss, wird dabei nicht berücksichtigt. Wie also kommt Jeanno zu Essen? Abgesehen von den üblichen Methoden, die darin bestanden, am Land Zigaretten gegen Kartoffel und Äpfel einzutauschen, ist vor allem ein Vorfall bestimmend. Eine Lebensmittelvergiftung beschert ihm ein Zwölffingerdarmgeschwür – dadurch werden ihm Lebensmittelkarten für Zivilisten gewährt, die er regelmäßig im Ternitzer Rathaus abholen muss. Zusätzlich erhält er eine Schwerarbeiterkarte, die Anrecht auf 300 Gramm Schmalz im Monat gibt. Jeanno muss sich also selbst versorgen, nur das Brot bekommt er weiterhin vom Lagerführer. Abgesehen davon kommen viele seiner Mitbewohner aus dem Südwesten Frankreichs und den Vogesen: Sie sind begabte Jäger, ihren Jagdkünsten verdankt er es, Wildkatzen und Igel serviert zu bekommen. Im Rathaus von Ternitz lernt er einen französischen Kriegsgefangenen namens Poisson kennen, der dort als Geometer arbeitet und gut Deutsch spricht. Bei einem gemeinsamen Essen bietet Poisson, der auch Reisescheine für flüchtige Kriegsgefangene fälscht, Jeanno an, ihm ein falsches Attest auszustellen, das aus dem Vater einen sterbenskranken Mann 607 Schoeller-Bleckmann war ein alteingesessenes Unternehmen in Ternitz, das mit Kriegsausbruch Aufträge bekam (vgl. Engel/Radzyner, Sklavenarbeit [1999]: 104). Ein Drittel der Belegschaft waren ausländische Zwangsarbeiter, die in Lagern in Blindendorf und Rohrbach untergebracht wurden (vgl. URL: http://www.ternitz.gv.at/ueberblick_infos/geschichte.php [01.03.2010]).
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macht und so Heimaturlaub erwirken soll. Als es zur Ausführung kommt, setzt er allerdings auf dem Briefkopf den falschen Namen ein. Jeanno reicht seine Anfrage trotzdem ein, bekommt aber nie den erhofften Urlaub. Das verdiente Geld kann man nicht ausgeben, daher schickt es Jeanno an seine Eltern. Er selbst, Nichtraucher, zahlt mit Zigaretten. So erwirbt er auch ein Lehrbuch und lernt nach der „Assimil“-Methode Deutsch. Alle drei Monate kommt die Polizei in die Baracken, um nach versteckten Waffen zu suchen. Eines Tages entdeckt sie aber Gummistiefel an einem Arbeiter. Bei genauerer Betrachtung stellt die Polizei fest, dass eine Menge Arbeiter Stiefel hatten, die daraufhin alle konfisziert werden. Woher waren sie? Aus Wimpassing! Über die Arbeiter von Semperit kamen sie in den Schwarzmarkt. Der Existenz von „Straflagern“ ist man sich bewusst: „Il y a des gens qui sont partis et qui sont revenus dans un état lamentable.“ Einige wollten flüchten und wurden dabei verhaftet: „C’était bien connu.“ Es gibt auch Gerüchte, dass der Kontakt zu österreichischen Frauen zur Verhaftung führen kann. Jeanno geht heute davon aus, dass es auch unter den Franzosen Spione gegeben habe. Direkten Kontakt mit dem Repressionsapparat hat er erst im März 1945, als er von der Polizei vernommen wird. Der Grund: sein Umgang mit Poisson, den er danach niemals wiedersehen sollte. Bis August 1944 kann man regelmäßig schreiben, einen Brief alle drei Monate, Karten so viel man will: Jeanno schreibt seinen Eltern alle zehn Tage, um ihnen Halt zu geben. Nach August 1944 schafft es Jeanno, über seinen Freund Poisson Nachrichten über das Rote Kreuz zu verschicken. Ein Arbeitskollege bewahrte in einer Zigarrenkiste ein Detektorgerät mit Bleikristall auf, mit dem man die BBC empfangen konnte. Ab der Landung der Alliierten in der Normandie verfolgen sie alle Truppenbewegungen. Sie kaufen Europakarten und stecken darauf die Fronten ab. Bei Bombenangriffen verlassen Jeanno und andere Franzosen das Werk und gehen auf einen Hügel bei Pottschach: „On savait très bien que notre usine aussi aurait pu être bombardée.“ In die Luftschutzkeller des Werks haben sie kein Vertrauen: „Il y avait des abris sous l’usine, mais nous, on ne voulait pas y rester, […] c’était plus dangereux que d’aller dans la nature.“ Einige Male sehen sie, wie angreifende Flugzeuge gegen die Berge fliegen, weil sie nicht mehr an Höhe gewinnen können. Er meint aber, es habe wenige Angriffe auf Schoeller-Bleckmann gegeben.
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Typische Einzelschicksale
Gegen Ende des Krieges verbessern sich die Arbeitsbedingungen. Das Verhältnis zu den Vorarbeitern wird freundlicher, die Kohle-Knappheit führt dazu, dass die Öfen nicht mehr ohne Unterbrechung in Betrieb sein können: Jeanno hat mehr Zeit und lernt Hilde kennen… Als die Franzosen eines Tages bei einem Fliegeralarm wieder einmal auf den Hügel bei Pottschach kommen, beschließen sie, ein bisschen weiterzugehen und landen so in Buchbach, wo sie in einem Gasthaus einkehren und Most trinken. Die Wirtin, Hilde, hat ihren Mann in Stalingrad verloren und lebt allein mit ihrer Schwiegermutter und ihrer vierjährigen Tochter. Immer wieder kehrt die Gruppe Franzosen zurück, und als eines Tages ein Geburtstag gefeiert wird, freunden sie sich mit Hilde an. Diese Freundschaft, die dann bei der Ankunft der russischen Truppen für beide Seiten von Vorteil sein wird, dauert ihr Leben lang an. Am 31. März 1945 – mit diesem Tag ist kurioserweise auch Jeannos Vertrag befristet – wird um sieben Uhr früh „Arbeitsschluss“ verkündet. Die Franzosen beschließen, auf die Ankunft der Russen zu warten und gehen zu Hilde, wo sie 13 Tage lang, vor Polizei und SS geschützt, verpflegt werden und im Heu schlafen. Als die Russen kommen, übernehmen die beiden Franzosen die Wirtschaft, und die Frauen verstecken sich am Heuboden. Zwischendurch versorgen sie sich in Ternitz und Wimpassing (Semperit). Am 11. April erfahren sie in Ternitz, dass man zu Fuß nach Wiener Neustadt aufbrechen solle, von wo aus Züge und Lastwagen Richtung Odessa fahren würden. Erst zwei Tage später bricht die Gruppe Franzosen auf. Über Ternitz geht es nach Wiener Neustadt und weiter über Mattersburg nach Ágfalva, wo sie am 17. April ankommen. Am 19. fahren sie mit dem Zug weiter nach Veszprém, wo sie nacheinander in einem Kino, einem Hotel und einer Kaserne untergebracht werden und nichts anderes tun als warten, warten, warten… „Mardi 22 Mai. Voici un mois que nous sommes à Weszprem [sic!]. Le moral est au plus bas. J’en ai marre d’être ici et le voyage par Odessa ne me plaît pas du tout. J’ai envie de retourner en arrière, de m’échapper de cette caserne où la nourriture est mauvaise: haricots, pois immangeables, orge cuit. Les bobards les plus idiots circulent. J’ai maintenant la certitude que le commandement russe se paie notre tête. Ils nous ont fait croire aussi qu’ils nous dirigeaient vers Minsk.“608 Am 25. Mai erhalten sie die Nachricht, dass es einen Konvoi Richtung Graz geben soll: „Il paraît qu’il n’y a que 20 heures de voyage.“609 Tatsächlich überqueren sie am 26. Mai um 19 Uhr wieder die österreichische Grenze bei Mogersdorf. Über Graz, Leoben, Selzthal kommen sie am 608 Aufzeichnungen Francis Jeanno, 22. Mai 1945. 609 Aufzeichnungen Francis Jeanno, 25. Mai 1945.
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2. Juni am Linzer Flughafen Hörsching an. Wieder warten sie zwei Tage, bis es heißt: kein Flugzeug mehr! Mit dem Zug fahren sie Richtung Passau, wo der Inn auf der Straße überquert werden muss, weil die Eisenbahnbrücke zerstört ist. Erst am 9. Juni überqueren sie die französische Grenze und werden im Aufnahmezentrum Mézières Charleville empfangen, um dort die Formalitäten zu erledigen. Fragen werden gestellt, eine „carte de rapatrié“ ausgehändigt, bevor jeder Einzelne in seine Heimat zurückgeschickt wird. Francis Jeanno kommt am 11. Juni in Paris an und trifft dort seinen an Halskrebs leidenden Vater an… Die Zeit vom 31. März bis 11. Juni 1945 hat Jeanno in einem berührenden Tagebuch festgehalten.610 Von der Gründung des Verbandes erfährt Jeanno gleich nach seiner Rückkehr, möchte aber nicht Mitglied sein. Durch die Erfahrungen in Ungarn, die vielen Nationalitäten, die Konflikte, war er der Auffassung, dass jede Kategorisierung Probleme mit sich bringt: „Je prétendais que dans une association, il y avait automatiquement un germe de racisme.“ Erst später tritt er bei. Der Kontakt hält aber nicht lange, weil er auch anderen Vereinen angehört, insbesondere im Bereich Krebsbekämpfung. Einmal nimmt er an einer Veranstaltung im Südwesten Frankreichs teil und lernt auch Quereillahc kennen. Er schätzt ihn, findet sein Buch aber ein bisschen zu literarisch. Wie schätzt Jeanno seine Erlebnisse ein? Er hat keine grundsätzlich negative Einstellung zu Österreich, im Gegenteil: Seit 1961 hat er mit seiner Frau mehrere Urlaube in Kärnten und Niederösterreich verbracht, das letzte Mal im Jahr 2001. Bis zuletzt hält er trotz der Sprachschwierigkeiten Briefkontakt mit der Österreicherin Hilde, die ihn 1995 auch einmal in Frankreich besuchte. Mehr als Österreich per se hat ihn die Erfahrung geprägt, dass die Menschen nicht viel wert seien: „[V]oir que les hommes ne valaient pas grand-chose“ „ce n’était pas beau, ce n’était pas l’Europe.“ Die verschiedenen Kulturen und Nationalitäten rufen Konflikte hervor: „Je suis devenu Européen au maximum.“ In Veszprém wurden Fußballspiele veranstaltet, die sofort wieder zu einem Wettkampf der Nationen verkamen. Nach dem Krieg wollte er deshalb auch nicht dem Verband ehemaliger Zwangsarbeiter angehören, weil er nicht für eine bestimmte Gruppierung Partei ergreifen wollte.
610 Vgl. Schieder, Paul, „Francis Jeanno. Ein Zwangsarbeiter in Ternitz“. In: Haberl, Christoph (Hg.), Das Tagebuch des Zwangsarbeiters Francis Jeanno. Ternitz: Verein Triangel Eigenverlag (2005): 87–98.
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Bereut er es, nicht Widerstand geleistet zu haben? Er hatte es sich kurz überlegt, sich dann aber doch dem gesetzestreuen Vater untergeordnet. Er steht zu Sabotage, aber nur dann, wenn sie reelle Auswirkungen hat. Dafür hatte er selbst nicht genügend Handlungsspielraum. Der Konflikte zwischen den Opfergruppen ist er sich bewusst: „Si on fait bouger 600.000 personnes et ça ne s’appelle pas déportation, […] alors comment on va l’appeler ?“ STO und freiwillige Arbeiter seien oft nicht unterschieden worden. Das Argument, jeder in Paris habe einen Verwandten am Land und hätte sich daher entziehen können, zählt für ihn nicht. Als echter Pariser war er zum ersten Mal im Alter von 14 Jahren aufs Land gekommen…
7.9 Roger Nakhamkes: ein jüdischer S.T.O. in Zwentendorf Roger Nakhamkes wurde am 8. Jänner 1920 als Sohn jüdischer Eltern in Paris Montmartre geboren und wuchs in diesem Viertel auf. Sein Vater war 1910 aus dem Baltikum eingewandert, hatte aber nach wie vor die russische Staatsbürgerschaft. Seine Mutter, die als Buchhalterin arbeitete, war Französin, doch auch ihre Familie war russischer Herkunft. 1918 heirateten sie und bekamen kurz darauf ihr einziges Kind: Roger. Bereits neben der Pflichtschule lernt er in einem Abendkurs vier Jahre lang Deutsch und setzt dies dann auch in der „Ecole primaire supérieure Colbert“ fort. Nach dem Schulabschluss arbeitet er bei der französischen Bahngesellschaft SNCF als Buchhalter. Als er 1939 mobilisiert wird, findet er sich in einer Schule für Rüstungsmechaniker in der Nähe von Bordeaux wieder. Als die Deutschen dieses Gebiet besetzen, wird er nach Port Vendre nahe Perpignan evakuiert. 24 Stunden später ist der Krieg beendet. Die Soldaten warten drei Monate lang, zunächst in Baracken ehemaliger Flüchtlinge aus Spanien, dann in einem kleinen Dorf. Als sie von dort aufbrechen, heißt es für Nakhamkes, eine fünftägige Reise Richtung Paris antreten. An der Demarkationslinie Richtung Vierzon hört er: „Alle Juden raus.“ Nakhamkes aber deklariert sich nicht als solcher und nimmt nach seiner Ankunft wieder die Arbeit bei der SNCF auf. Mitte 1941 wird er allerdings aufgrund des zweiten Gesetzes über den „statut des Juifs“ entlassen. Bis Mai 1942 schlägt er sich mit kleineren Arbeiten in Paris durch, geht dann aber doch in die „Freie Zone“ nach Aire-sur-l’Adour (Département Gers). Zwei Wochen vor dem Gesetz über das Tragen des Judensterns überquert er so, mit SNCFAusweis, -Armbinde und Militärpapieren, problemlos die Demarkationslinie. Seinen Identitätsausweis, in dem bereits „Juif“ vermerkt worden war, hatte er wohlweislich in
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Paris zurückgelassen. In Aire-sur-l’Adour arbeitet er in einer Ziegelei und hilft bei einem älteren Ehepaar aus, das ihm Unterkunft gewährt. Erst als er sich eines Tages einen neuen Ausweis besorgen muss, wird er von den Behörden erfasst. Nur wenig später, im März 1943, stellen ihm Gendarmen eine Vorladung zum STO zu. Nach einer ärztlichen Untersuchung folgt seine Abreise: wieder geht es Richtung Paris. Nach einer einmaligen Übernachtung in der Kaserne Mortier sitzt er in einem Zug Richtung Osten, Zielort unbekannt… Drei Tage später kommt Nakhamkes in Strasshof, „à côté de Wagram“, an, wo zu dieser Jahreszeit noch 80 Zentimeter Schnee liegen: „Dans ce camp, nous ne sommes pas restés longtemps, cinq ou six jours. On nous a enregistré, et tous les jours, par hautparleur, on appelait dix, quinze, vingt, cinquante types, on se présentait, et là il y avait des civils, allemands, […], qui étaient des représentants d’entreprises qui travaillaient là et qui avaient besoin de main-d’œuvre, alors ils nous choisissaient…[…] Moi je suis parti […] avec un groupe d’une vingtaine.“ Das Grundgefühl: „Une grande peur […] Il y avait pas grand-chose à manger, et on nous a mis dans des baraquements où il y avait un poêle mais il n’y avait pas de quoi faire du feu.“ Sie verwenden das Holz der Betten, um Feuer zu machen. Es war ein hartes, im Vergleich zu seinen späteren Erfahrungen aber kleines Lager: „C’était un petit camp de rien du tout.“ Mittels Lautsprecher werden Namen verlesen. Am 24. März erhält auch er einen Stempel auf den Arm: „St“ (Arbeitsamt Stockerau). Als sie dort ankommen, gibt er als Beruf Bäcker an. Mit seiner tatsächlichen Zuweisung hat das nicht viel zu tun: Er kommt nach Zwentendorf, wo die IG Farben synthetisches Flugbenzin herstellt.611 Jeden Tag verlassen 20, 30 Waggons den Betrieb. Nakhamkes landet 611 „In Moosbierbaum (westlich von Tulln) befand sich eine bedeutende Treibstoffproduktionsstätte für Flugbenzin. In den Anlagen wurde aus schlechtem rumänischem Treibstoff mittels ‚Hydroforming Process‘ hochoktaniges Flugzeugbenzin erzeugt, d. h. unter hohem Druck wurde unter Zusatz von Aromaten das Benzin verbessert. Die Betriebsanlagen befanden sich nördlich des Ortes Moosbierbaum, auf halber Strecke zur Donau. Markant waren vor allem die beiden 60 Meter hohen Schornsteine, die aus der Zeit zwischen 1916 und 1938 stammten. Sie gehörten ursprünglich zu einer großen Chemieanlage zur Produktion von Schwefelsäure, Phosphorsäure, Salzsäure, Bleicherde, Kartoffelstärke u.v.a.m. Im ZweitenWeltkrieg waren die Schornsteine integrierte Bestandteile der notwendigen Kraftzentralen wie Dampf-, Warmwasser- und Energieerzeugung. Diese Anlagen wurden bis 1945 betrieben. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges stieg die Bedeutung der Anlage in Moosbierbaum durch den Wegfall wichtiger anderer Treibstoffproduzenten des Dritten Reiches. So gab es schließlich 16 Bombenalarme und zwölf oder 13 Bombenangriffe. Alleine am 1. Februar 1945 gingen 1.200 Bomben auf das Werk nieder. Dies führte natürlich zu erheblichen Produkti-
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im Bauunternehmen Völker, das für die Erweiterung des IG-Farben-Werks zuständig ist. So wird Nakhamkes zum Hilfsarbeiter auf der Baustelle Moosbierbaum. Gemeinsam mit einem deutschen Vorarbeiter aus Dortmund, zwei Russen und einem Franzosen arbeitet er in den Donauauen an einem großen Bagger, mit dem Kies ausgehoben wird. Nakhamkes ist für das Fetten des Geräts zuständig. Der Kies wird auf einer Schmalspurbahn zum etwa fünf bis sechs Kilometer entfernten Betrieb gebracht und für die Bauarbeiten verwendet. Der Arbeitstag beginnt im Sommer um sechs, im Winter um sieben Uhr früh und endet um 18 Uhr bzw. bei Einbruch der Nacht. Dem Mittagessen war eine Stunde eingeräumt. Samstag ab 16 Uhr und Sonntag war Freizeit. Weitere freie Tage waren Weihnachten, Neujahr und der 1. Mai. In dringenden Fällen konnte der Werkschutz einen aber auch da zum Kohleabladen verpflichten. Nakhamkes’ Lager ist ca. 500 x 200 Meter groß. Es liegt etwa drei bis vier Kilometer vom Arbeitsplatz entfernt. Unter den drei- bis viertausend Bewohnern aller Nationalitäten gibt es ungefähr 150 französische STO und auch einige Freiwillige, die aber getrennt untergebracht und nach Möglichkeit gemieden werden. Eine Baracke zählt sechs Stuben, eine Stube 14 Franzosen. Die Russen und Ukrainer werden wesentlich schlechter behandelt: „Ils étaient beaucoup, beaucoup, beaucoup plus mal lotis que nous, puisqu’il faut reconnaître que les Français étaient les gens les mieux vus sur place. Les Français, les Belges aussi… […] Mais petit à petit, au fil des ans, […] au fur et à mesure que l’Armée Rouge […] avançait vers l’Europe, il y avait beaucoup d’amélioration pour [les Russes et les Ukrainiens].“ Die Russen und Ukrainer haben im Unterschied zu den Franzosen anfangs keinen Ausgang, erst gegen Ende des Krieges werden die Bestimmungen aufgeweicht. Flöhe und Wanzen sind im Lager allgegenwärtig. Während aber sein Bettnachbar fast von ihnen zerfressen wird, hat Nakhamkes komischerweise kaum unter ihnen zu leiden. Verpflegung gibt es kaum: „Il n’y avait pas grand-chose à manger.“ Zu Mittag stellt der Betrieb das Essen am Arbeitsplatz, am Abend wird in der Küchenbaracke des Lagers ge-
onsausfällen, was sich auch dramatisch auf die Treibstoffversorgung der deutschen Luftwaffe in den letzten Kriegsmonaten auswirkte. Die Anlagen in Moosbierbaum waren durch starke Flakeinheiten (vor allem 8,8-cm-Flak) geschützt. Bei den Kämpfen um das Tullnerfeld in den letzten Kriegstagen wurden die Flakeinheiten ins sog. Korps Schultz (Teil der 6. SS Pz.Armee) eingegliedert und beteiligten sich so verhältnismäßig erfolgreich an den Bodenkämpfen“ URL: http://www.geheimprojekte.at/ (01.03.2010). Die günstige Lage direkt an der Donau gepaart mit der Infrastruktur des Tullnerfeldes wird auch heute noch geschätzt: In Pischelsdorf befindet sich noch heute ein Werk der Donau Chemie AG (vgl. URL: www.donau-chemie.at [01.03.2010]).
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gessen. Meist ist es Gemüse und Suppe, nur einmal in der Woche gibt es Fleisch: „Pour l’alimentation, c’était difficile.“ Essen ist also eines der Hauptprobleme, auch wenn es den Franzosen im Vergleich zu anderen Nationalitäten besser geht: „Comparativement aux autres, on était bien.“ Da die Franzosen Bewegungsfreiheit genießen, können sie nach anderen Lösungen suchen. In den Dörfern der Gegend erstehen sie mit ihrem Gehalt („c’était peu, mais c’était un petit peu d’argent“) Kartoffeln und anderes. Manchmal wird auch mit Hämmern und Nägeln bezahlt, welche wiederum für die Bauern von Nutzen sind. Hinzu kommen die Pakete, die manche Franzosen aus dem Südwesten Frankreichs bis Mitte 1944 erhalten können. Nakhamkes selbst bekommt, weil aus Paris stammend, nichts, es wird aber geteilt. Im Lager waren auch Griechen: „Ils étaient très commerçants […], ils avaient toujours quelque chose comme ravitaillement, des gâteaux, quelques boîtes de conserve…“ Aus Wien bringen sie alle möglichen Dinge zurück. Am Abend kommen sie, um zu tauschen: Schuhe, Kleidung, Seife… Kleidung hatte man aus Frankreich mitgenommen, zu schaffen macht Nakhamkes aber sein Schuhwerk: „Le problème, c’était les chaussures: […] des galoches avec des semelles en bois.“ Vor allem im Winter ist dies ein großes Problem. Als vorteilhaft erweist sich in diesem Fall, dass er Nichtraucher ist. Im Tauschhandel bekommt er das notwendige Paar Schuhe: „Avec des cigarettes, vous aviez ce que vous vouliez.“ Neben seiner eigenen Raucherkarte schickt ihm auch noch sein in Deutschland gefangener Onkel ab und zu Zigaretten: „Vingt paquets de cigarettes, c’était une fortune.“ Während seiner zwei Jahre Zwangsarbeit fährt Nakhamkes auch zwei, drei Mal nach Wien. Er erinnert sich vor allem an die vielen Hakenkreuzfahnen in der Innenstadt: „C’était rempli de drapeaux à croix gammée.“ Trifft man auf Franzosen, dreht sich das Gespräch auch hier schnell wieder um Essen: „C’était uniquement pour manger, parce que c’était très difficile de trouver de la nourriture. On avait des tickets, mais […] ce n’était pas grand-chose.“ Kann Nakhamkes Widerstand leisten? Sabotage? Viele Möglichkeiten gibt es auf seiner Baustelle nicht. Er kann hin und wieder „unabsichtlich“ den Inhalt der Waggons auskippen. Das passiert zwei Mal pro Woche. Bis wieder alles in Ordnung ist, vergeht ein halber Tag: „On faisait ce qu’on pouvait, […] on se rendait bien compte de ce qui se passait.“ Im Winter kann der Bagger bei gefrorener Erde kaum eingesetzt werden. Als die Arbeiter es trotzdem einmal versuchen, dauert die Schadensbehebung einen Monat, bis wieder normal gearbeitet werden kann.
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Ab dem Zeitpunkt der alliierten Landung in Italien gibt es fast jeden Tag Fliegeralarm: „Tous les jours, tous les jours, tous les jours.“ Auch so wird die Arbeit beeinträchtigt. Auf Angriffe ist man angesichts der Bedeutung des Betriebs nicht ganz unvorbereitet: In einem Umkreis von sieben Kilometern befinden sich Flugabwehrkanonen (FLAK) und Nebelwerfer. Da Nakhamkes’ Arbeitsplatz aber fünf Kilometer vom Betrieb entfernt ist, graben die Arbeiter einfach ein Loch, um sich zumindest vor Bombensplittern zu schützen. Im Lager in der Nacht ängstigt er sich mehr als am Arbeitsplatz: „J’avais plus la trouille la nuit que le jour.“ Es kommt für ihn aber nie zu einer wirklich ernsten Situation. Mehr noch als Nakhamkes befinden sich jene, die unmittelbar im IG-Farben-Werk arbeiten, in ständiger Gefahr. Es gibt zwar Luftschutzeinrichtungen, aber „l’abri attirait la bombe“. Auch einige Franzosen kommen bei den Angriffen um. Ab Anfang 1944 kommen Vertreter Vichys ins Lager. Eines Abends fordern sie die Franzosen auf, in die Deutsche Wehrmacht einzutreten, stoßen dabei aber auf starke Ablehnung. Ein, zwei Monate später versuchen sie es noch einmal – niemand erscheint zur Versammlung. Informationen kann man kaum beschaffen. Es gibt kein Radio, und nur über den Vorarbeiter erfährt Nakhamkes hie und da Berichte aus der Zeitung. Gegen Ende des Krieges kann man die Rote Armee aber schon hören. Der Lagerführer kündigt ihnen die Evakuierung Richtung Salzburg an. Gemeinsam mit einigen anderen Franzosen beschließt Nakhamkes, stattdessen in einem nahen Dorf zu bleiben. Dort wartet die aus drei Franzosen, zwei Polen und einem Belgier bestehende Gruppe auf das Eintreffen der russischen Truppen. Um nicht von der sich zurückziehenden SS aufgegriffen zu werden, verstecken sie sich im Keller von wohlgesinnten Bauern. Am Ostermontag (9. April 1945) treffen die ersten sowjetischen Truppen ein. Als sie den Zwangsarbeitern mitteilen, dass ihre Repatriierung über den Osten erfolgen sollte und sie sich daher Richtung Ungarn begeben sollten, machen sie sich Richtung Wiener Neustadt auf. Davor wollen sie sich aber noch in Zwentendorf beim Bäcker versorgen. Ein russischer Soldat nimmt sie auf einem Pferdewagen mit, und so fahren sie die Donau entlang Richtung Zwentendorf. Am anderen Donauufer befinden sich allerdings noch die deutschen Truppen: Bei einem Schusswechsel wird Roger Nakhamkes am Bein verletzt. In Zwentendorf bringt man ihn zunächst zu einem Arzt, dann beherbergt ihn drei Wochen lang sein ehemaliger Polier, mit dem er aufgrund seiner Sprachkenntnisse ein gutes Verhältnis aufgebaut hatte. Danach verbringt er weitere zwei Monate im Spital
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von Wiener Neustadt. Die Ärzte sind Russen, er ist der einzige Franzose. Nach zwei Monaten holen ihn französische Offiziere ab und bringen ihn für weitere zwei Wochen in ein Wiener Spital. Schließlich wird er mit einem Lastwagen zum Linzer Flughafen gebracht: angekündigter Zielort Lyon. Aber das Flugzeug fliegt in Wirklichkeit nach Konstanz, in die französische Besatzungszone. Im dortigen Spital verfasst er zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr umgehend einen Brief an seine Familie. Als ihn nach knappen zwei Wochen die Nachricht erreicht, dass seine Mutter im Sterben liegt, wird er mit der Ambulanz nach Paris überführt. In Strasbourg erhält er eine „carte de rapatrié“ und scheinbar großzügige 1.000 französische Francs (vor seiner Deportierung verdiente er etwa 800 Francs/Monat). Er wird nicht befragt. Als er in Paris ankommt, lädt er die zwei jungen Frauen, die ihn fahren, auf ein Getränk ein. Die Ernüchterung: Die Getränke kosten 400 Francs! Zwei Tage nach seiner Ankunft, am 14. August 1945, stirbt seine Mutter; sein Vater war nach Auschwitz deportiert worden… Erst drei Monate später, nach der Heilung der Wunde, nimmt er seine Arbeit als Buchhalter bei der SNCF wieder auf, beschließt aber nach eineinhalb Jahren einen Berufswechsel, den er unter anderem damit begründet, dass er sich nicht vorstellen habe können, sein Leben so zu verbringen. Diese Einsicht sei ihm gekommen, weil er in den zwei Jahren in Österreich etwas anderes erlebt habe: „J’avais envie de changer. […] J’avais vu autre chose que la vie que je menais jusqu’avant, […] j’ai vu d’autres mondes“. Er lernt seine Frau kennen und wird in seinem Leben insgesamt vier verschiedene Berufe ausüben. Seiner Einschätzung nach wurde das Thema S.T.O. in der französischen Nachkriegsgeschichte nie erwähnt: „On n’a jamais parlé de S.T.O. depuis 60 ans.“ Frankreich schäme sich dafür. Man habe keinerlei Rechtsansprüche gehabt. Von der Existenz des Vereins habe er erst vor vier Jahren durch einen Zufall gehört: „C’était pratiquement inexistant“, „C’est comme si ça n’avait jamais existé.“ Nach Österreich fährt er bereits 1955 zurück, zunächst auf Winterurlaub nach Seefeld. 1970 fährt er mit Frau und Tochter nach Wien und kommt dabei nach Zwentendorf. Als er in die Bäckerei eintritt, wird er sofort wiedererkannt. Dort, wo das Lager war, befindet sich ein Maisfeld. Als Jude im S.T.O. ist er natürlich eine Ausnahme. Ist ihm das wichtig? Einerseits scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Er betont, dass es nicht nur Juden, sondern alle Ausländer in Frankreich von 1920 bis 1940 schwer gehabt hätten. Andererseits wurde sein Vater
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nach Auschwitz deportiert. Daher ist es ihm natürlich ein Bedürfnis, dessen Namen auf einem Denkmal zu sehen, das zur Zeit des Interviews vom Centre de Documentation Juive Contemporaine in Paris errichtet wurde.612
7.10 Schlussfolgerungen Die vorangegangene Analyse der Einzelfälle erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Die Fälle sind aber nicht untypisch, weil aufgezeigt wird, in welch unterschiedliche Entscheidungssituationen französische Zwangsarbeiter in Österreich kommen konnten. Je nach Fall erzeugen Prädisposition, Vorgeschichte und Rahmenbedingungen einen individuellen Handlungsspielraum, der unterschiedlich genützt wird. Die schon aus der Erinnerungsliteratur bekannten Hauptthemen finden auch in den Interviews Bestätigung: Verpflegung, Unterkunft und Arbeit. Das sind jene Kernbereiche, aus denen sich die Möglichkeiten und Notwendigkeiten des täglichen Lebens ergeben. Bei schlechter Verpflegung müssen Strategien der Nahrungsbeschaffung entwickelt werden und der Schwarzmarkt gewinnt an Bedeutung. Hatte man Freizeit, so konnten französische Zwangsarbeiter diese aufgrund der vorhandenen Bewegungsfreiheit besser nützen als andere Nationalitäten. Bewegungsfreiheit wiederum bedeutete, dass man Freunde besuchen oder Bekanntschaften schließen oder auch außerhalb der Arbeit Widerstand leisten konnte. Diese Überlegungen zeigen, dass Schlagwörter wie „Verpflegung“, „Unterkunft“ oder „Widerstand“ je nach Arbeit und Einsatzort ganz unterschiedliche Bedeutung haben konnten: Nicht jeder war gleichermaßen von Bombenangriffen bedroht, nicht alle Gesprächspartner blieben bis zum Ende des Krieges in Österreich, nicht immer spielte Verpflegung die Hauptrolle. Die Erfahrungen spiegeln sich in den Erinnerungen der Betroffenen aber auch deshalb anders wider, weil die Zeit als „Zwangsarbeiter“ nicht in jedem Fall das zentrale Ereignis der Lebensgeschichte bildet. Für die abschließende Einordnung der Erlebnisse spielt sowohl der berufliche als auch der persönliche Werdegang nach der Rückkehr eine Rolle. Lebensentwürfe konnten zunichte gemacht worden sein, andere konnten sich durch einschneidende Erfahrungen entwickeln. Die Fragen, die aus der vorangehenden Analyse der Einzelfälle und deren Vergleich folgen, können wie folgt formuliert werden: 612 Der Name von Nakhamkes’ Vater wurde tatsächlich auf der „Mur des noms“ eingetragen. Er wurde am 19. Juli 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert.
Schlussfolgerungen
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Wie unterschied sich das Leben vor der Deportation von der Zeit der „Zwangsarbeit“? Gilbert Tourenne, der als Friseur keine schwere körperliche Arbeit gewohnt war, landet in einem Industriebetrieb, in dem er mehr als zwei Jahre verbringt. Dieser krasse Gegensatz manifestiert sich in einem sehr traumatisierenden Erleben und folglich genauem Erinnern an die für ihn äußerst schweren Arbeitsbedingungen. Roger Lamothe war hingegen auf einem Bauernhof aufgewachsen und hatte dort im Wesentlichen die gleiche Arbeit zu verrichten wie in Neuruppersdorf. Ihm fielen hauptsächlich die Unterschiede in der Art der Bewirtschaftung auf. Xavier Charpin war ehemaliger Minenarbeiter und an schwere körperliche Arbeit gewöhnt. Im Vergleich dazu empfindet er die Arbeit bei der Reichspost in Vorarlberg nicht als Anstrengung. Ignace Salvo war es gewohnt, sich mit kaltem Wasser an der frischen Luft zu waschen: Er fürchtete folglich die Kälte nicht. Eine größere Belastung ist zunächst das Gefühl, keine sinnvolle Arbeit zu verrichten („C’est honteux“), ein Gefühl, das er bei seiner vorangehenden Arbeitserfahrung als Installateur nicht hatte. Wie wirkte sich die jeweilige Prädisposition auf Entscheidungen aus? Jacques Seignole, der sich selbst als eher risikoscheu bezeichnet, versucht, auf legalem Wege nach Frankreich zurückzukehren, und hat damit Erfolg. Seine Erinnerungen beziehen sich daher auf das Jahr 1943. Charpin hingegen ist risikofreudig. Er gibt an, selbst beschlossen zu haben, von Wörgl nach Bregenz zu fahren. Gleichzeitig hat das prägende Erlebnis des Grubenunglücks von „La Chana“ ihn zur festen Überzeugung gebracht, dass der Tod unschuldiger Menschen unter keinen Umständen gerechtfertigt ist. Als Charpin ein Attentat verüben soll, findet er eine Lösung, die dieser Überzeugung gerecht wird. Welche Strategien mussten entwickelt werden? Gilbert Tourenne leidet von Anfang an Hunger; zusätzliche Nahrung muss er sich auf dem Schwarzmarkt oder mit gefälschten Lebensmittelkarten besorgen. In Briefen konnte man Verwandte um die Zusendung von Lebensmittelpaketen bitten. In diese Situation kommt Roger Lamothe erst gar nicht. Er isst mit den Bauern am Tisch, die Nahrung ist bescheiden, aber ausreichend. Xavier Charpin wiederum kommt viel herum und isst meistens in Gasthäusern das „Stammgericht“, das er als ausreichend empfindet. Welcher Handlungsspielraum konnte entstehen? Die meisten Befragten waren immer am selben Ort. Bei der Arbeit wurden sie vom Werkschutz überwacht. Xavier Charpin war hingegen oft unterwegs. Weil in seiner Arbeitsgruppe die Franzosen die Mehrheit stellten, konnte sogar direkt auf den Vorarbeiter Druck ausgeübt werden. Sein Aktionsradius erstreckte sich über ganz Vorarlberg, er kam daher in
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Orte und Lagen, in die der überwiegende Teil ausländischer Arbeiter schon aufgrund des immer gleichen Arbeitsplatzes nicht kam. Welche Rolle spielte die Erfahrung als Zwangsarbeiter im späteren Leben der Betroffenen? Zunächst muss daran erinnert werden, dass die Dauer des Aufenthaltes nicht für alle Befragten gleich war. Jacques Seignole erlebt die Landung der Alliierten und das Kriegsende bereits in Frankreich. Auch Xavier Charpin kehrt bereits 1943 zurück – er lernte also die winterlichen Arbeitsbedingungen in Vorarlberg nicht kennen. Die in Österreich gemachten Erfahrungen konnten Lebensentwürfe zerstört haben, umgekehrt aber auch zu Einsichten führen, die das zukünftige Leben beeinflussen sollten. Für Gilbert Tourenne sind die Ereignisse ein weiterer Beweis für die furchtbaren Folgen des Krieges. Bereits sein Vater und zwei Onkel waren durch den Ersten Weltkrieg ums Leben gekommen. Er selbst hatte durch den Zweiten Weltkrieg zu leiden gehabt. Roger Nakhamkes ist nach seiner Rückkehr nicht mehr mit seinem Arbeitsplatz zufrieden. Er hatte eine andere Welt kennengelernt. Jacques Seignole konnte zu der geplanten Juweliersprüfung nicht mehr antreten. Er wurde aber trotzdem Juwelier und scheint sich sehr stark mit diesem Beruf zu identifizieren. Für Francis Jeanno ist die Zeit als Zwangsarbeiter und auch die Repatriierung ein Beweis für die Konflikte, die mangels Verständigung zwischen verschiedenen Nationen auftreten können. Er wird zum überzeugten Europäer. Der Kontakt zu Österreich ist nicht abgebrochen: Seine Freundschaft zu Hilde, die er in der Nähe von Ternitz kennengelernt hatte, dauert bis heute an. Gérard Prosper arbeitete den Großteil seines Lebens für den französischen Stromkonzern EDF – die daraus entstandene Bindung spielt für ihn eine ebenso große Rolle wie seine Zeit als Zwangsarbeiter in Österreich. Die Frage, welche Bedeutung die Zeit als Zwangsarbeiter für die individuelle Lebensgeschichte spielt, hängt auch mit der jeweiligen Erinnerungskultur zusammen. Auch auf dieser Ebene manifestieren sich die unterschiedlichen Erfahrungen. Jacques Seignole gibt an, er wisse gar nicht, ob der Zwangsarbeiterverband überhaupt noch existiere. Auch gibt er dem Verfasser Originaldokumente mit, an denen er nicht sehr zu hängen scheint. Gilbert Tourenne hingegen, der der örtlichen Sektion des Verbandes bis zu deren Auflösung angehört, hat sämtliche Dokumente sorgfältig aufbewahrt. Zwischen diesen beiden Fällen bewegen sich die anderen Befragten, die dem Verband zeitweise angehört haben und aus Interesse dessen Zeitschrift lesen, selbst aber, mit Ausnahme Ignace Salvos, keinen aktiven Beitrag leisten.
8 Zusammenfassung Ziel dieser Studie war es, aufzuzeigen, wie sich die Erfahrungen französischer Zwangsarbeiter in der „Ostmark“ in ihren Erinnerungen widerspiegeln. Mit dieser Fragestellung soll ein Beitrag zur qualitativen Forschung im Bereich „Zwangsarbeit“ geleistet werden. Tatsächlich liegt aufgrund aktueller Forschungen sowohl in Österreich als auch in Frankreich nun ein Erkenntnisstand vor, der es sinnvoll erscheinen lässt, die unterschiedlichen Erfahrungen der nach Österreich deportierten Nationalitätengruppen zu untersuchen. „Westarbeiter“ wurden bislang weniger beachtet, weil ihre Arbeits- und Lebensbedingungen in der Regel vorteilhafter waren als jene von „Ostarbeitern“ oder Polen. Sieht man sich die Zahlen an, wird aber deutlich, dass eine so große Gruppe wie die der Franzosen nicht außer Acht gelassen werden kann. Ein vergleichender Überblick über den Forschungsverlauf in Deutschland, Österreich und Frankreich lässt die Aktualität des Themas erkennen: Während lange Zeit der Themenkomplex „Zwangsarbeiter“ eine Nebenrolle eingenommen hat, rückte er in den letzten Jahren in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, nicht zuletzt auch der Medien. Auch in Frankreich wurde das Thema erst spät aufgegriffen; durch ein im Dezember 2001 veranstaltetes Historikerkolloquium gibt es aber nun auch auf französischer Seite umfassende Forschungsergebnisse. Der Kriegsausbruch und die Besetzung Frankreichs waren nicht unmittelbar Anlass für eine massenhafte Zwangsrekrutierung von Arbeitern. 1940 und 1941 bestand dafür angesichts des Kriegsverlaufes noch keine Notwendigkeit, und die Besatzungstruppen bevorzugten es, die Franzosen in ihrem Heimatland in die deutsche Kriegswirtschaft einzugliedern. Erst durch den Krieg gegen die Sowjetunion und die damit verbundenen steigenden Einberufungszahlen waren alle Bereiche der Wirtschaft auf den Einsatz von ausländischen Arbeitskräften angewiesen. Dies galt insbesondere auch für die „Ostmark“, wo der Aufbau neuer Rüstungsbetriebe und der Ausbau der Grundstoffindustrie betrieben wurde. Statt Freiwillige zu rekrutieren, wurde daher ab 1942 damit begonnen, auch in Westeuropa die „Dienstverpflichtung“ einzuführen, die in Frankreich im Verlauf der vier „SauckelAktionen“ zur Deportation von etwa 650.000 zivilen Zwangsarbeitern führte. Für die Gruppe der in der „Ostmark“ eingesetzten Franzosen sind einige Besonderheiten festzuhalten. Die Tatsache, dass die Deportation der Zwangsarbeiter in Zusammenarbeit mit dem Vichy-Regime erfolgte, erinnert an dessen Mitverantwortung. Die Zwangsarbeiter wurden durch französische Gesetze rekrutiert: Französische Präfekten stellten die
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Vorladungen aus, französische Gendarmen überbrachten sie und französische Ärzte bescheinigten die Tauglichkeit. Bis zur Grenze wurden sämtliche Aufgaben von den französischen Behörden übernommen. Auch in Frankreich selbst arbeitete ein großer Teil der Bevölkerung für die Kriegswirtschaft Nazi-Deutschlands. Der Großteil der Franzosen kam zwischen September 1942 und dem Frühjahr 1943 ins Deutsche Reich und damit auch in die „Ostmark“. Die als „STO“ bezeichneten französischen Zwangsarbeiter waren als Facharbeiter nachgefragt, wurden dann aber mehrheitlich als Hilfsarbeiter in Industrie und Handwerk eingesetzt. Die Aufarbeitung der Erinnerungsliteratur und der vom Verfasser geführten Interviews ergab kein einheitliches Bild. In besonderer Erinnerung blieb oft die Ankunft in Durchgangslagern wie Strasshof oder Wörgl und die darauffolgende Zuweisung zum Arbeitsplatz. Der Alltag ergab sich dann aus den Rahmenbedingungen, die im Wesentlichen von der Arbeit, der Unterkunft und der Verpflegung abhingen. In der Industrie arbeitete man meist im Schichtbetrieb (Tag- und Nachtschicht, Wechselschicht). Das tägliche Leben war geprägt von der Unterbringung in großen Barackenlagern mit den damit einhergehenden hygienischen Problemen, Verpflegung durch die Lagerküche und schwerer körperliche Arbeit. Arbeiter, die diesen Rahmenbedingungen ausgesetzt waren, hatten wohl dem größten physischen und psychischen Leidensdruck zu widerstehen. Die Lage wechselte aber von Lager zu Lager und im zeitlichen Verlauf. Im Allgemeinen gab es ein Bewusstsein dafür, dass die Lage der Franzosen besser war als jene von „Ostarbeitern“ und Polen. Auch die Bewegungsfreiheit eröffnete den Franzosen andere Möglichkeiten in allen Bereichen (Widerstand, Freizeitgestaltung, Erwerb zusätzlicher Verpflegung). Die Bedrohung der physischen Existenz war, abgesehen von den Bombenangriffen, die auch unter den Franzosen zahlreiche Todesfälle forderten, die Ausnahme. Aber auch Franzosen konnten Hunger leiden. Es galt daher, Strategien zu finden, das Leben erträglicher zu gestalten. Auf dem Schwarzmarkt oder mittels gefälschter Lebensmittelkarten wurde zusätzliche Nahrung oder auch Kleidung, insbesondere Schuhwerk, besorgt. Besonders häufig erwähnt wurde auch, dass die Überlegung der Heimkehr und in manchen Fällen der Flucht ständig gegenwärtig war. Mit der Abschaffung des Heimaturlaubes blieb allerdings kaum noch eine „legale“ Möglichkeit der Rückkehr offen. Der Kontakt zur Familie konnte bis Mitte 1944 noch durch den Briefverkehr aufrechterhalten werden, der auch moralischen Halt gab, Informationen über den Kriegsverlauf waren darin wegen der Zensur aber nicht enthalten. Häufig wurde aber von Arbeitskollegen berichtet, die mit einem Detektorgerät die BBC empfangen konnten. Die Freizeit konnte dazu genutzt werden, hin und wieder Ausflüge zu machen. Manchmal ergab sich so auch die Gelegenheit, die
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einheimische Bevölkerung kennenzulernen. Die Sprachprobleme verhinderten aber in der Regel den Kontakt, der überdies von den Behörden als sicherheitspolitisches Problem erkannt wurde. Auch für kulturelle Veranstaltungen gibt es Beispiele, die auf die Aktivitäten von Organisationen wie der Délégation officielle française en Allemagne (D.O.F.), der Mission Chantiers oder auch der Jeunesse Ouvrière Chrétienne ( J.O.C.) zurückgingen. Diese schwer zu bewertenden Einrichtungen fanden sich oft im Zwiespalt zwischen Widerstand und Kollaboration. Widerstand konnte die unterschiedlichsten Formen annehmen. Am meisten verbreitet war der passive Widerstand, der darin bestand, möglichst langsam zu arbeiten. Diese Form des Widerstands wurde auch von deutschen Arbeitern angewandt und folgte nicht unbedingt politischen Motiven. Der bewusste Widerstand aus politischen Motiven bildete hingegen die Ausnahme. Der mit Widerstand verbundenen Gefahr war man sich meistens bewusst, zumal der Repressionsapparat auch Wert darauf legte, eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Berichte über Arbeitskollegen, die in Arbeitserziehungslager eingewiesen wurden und einige Wochen später zurückkamen, sind keine Seltenheit. Erwähnt sei schließlich auch die Möglichkeit der Zwangsverpflichtung zum Südostwallbau, die in der Literatur häufig Erwähnung findet und auch einen vom Verfasser befragten Zwangsarbeiter betraf. Besondere Bedeutung genießt in den Erinnerungen die Befreiung und Repatriierung. Die oft monatelange Odyssee, der die Zwangsarbeiter (wie alle anderen D.P.s) ausgesetzt waren, führte oft dazu, dass Tagebücher angelegt wurden, die ein Grundgefühl vermitteln: warten, warten, warten… Die Erinnerungen an die Erfahrung als Zwangsarbeiter werden davon bestimmt, was davor, währenddessen und danach geschehen ist. Welche Arbeit hatte man davor? Danach? Bedeutete die Deportation einen Bruch in der Lebensplanung? Die Analyse der Einzelfälle zeigt auf, welch unterschiedliche Handlungsspielräume durch die Beantwortung dieser Fragen entstehen konnten. War man körperliche Arbeit gewohnt, so konnte man sich auch in Österreich leichter damit abfinden. Wurde man in einem Bereich eingesetzt, der der Ausbildung entsprach, so war die Arbeit leichter. Im umgekehrten Fall konnte der starke Gegensatz aber zu Schockerlebnissen und Traumata führen. Je nach Einsatzort und Art der Arbeit konnte man in unterschiedliche Entscheidungssituationen kommen. Wer durch die Art der Arbeit mehr Bewegungsfreiheit genoss, hatte auch mehr Möglichkeiten, Widerstand zu leisten. Wer die Sprache beherrschte, konnte leichter Verpflegung beschaffen. Wer ausreichend Verpflegung bekam, brauchte nicht auf den Schwarzmarkt zurückzugreifen.
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Zusammenfassung
Von besonderem Interesse ist schließlich auch der Umgang mit dieser Opfergruppe in der Nachkriegszeit. Die Geschichte des 1945 gegründeten französischen Zwangsarbeiterverbandes ist geprägt von Konflikten mit anderen Opfergruppen. Dahinter verbirgt sich die Schwierigkeit, die Geschichte der französischen Zwangsarbeiter in den französischen Mythos der Befreiung zu integrieren. In der unmittelbaren Nachkriegszeit galt es zu beweisen, dass man an der Befreiung Frankreichs mitgewirkt hatte. Widerstand und Heldentum waren Konzepte, die man nur schwerlich mit dem Service du Travail Obligatoire in Verbindung bringen konnte. Zu eng war diese massenhafte Deportierung junger Männer mit der französischen Kollaborationspolitik verbunden. Eines der Hauptanliegen des Zwangsarbeiterverbandes war es deshalb, neben rechtlichen Ansprüchen der Opfer auch ihre moralische Integrität zu verteidigen. Die Errichtung von Denkmälern und Gedenktafeln in ganz Frankreich zeugt von dem Bestreben, die Erinnerung an diese Opfergruppe aufrechtzuerhalten. Die dabei vorgebrachten Zahlen dienen dabei ebenso als Bezugspunkte wie das Bemühen, zu dokumentieren, dass Zwangsarbeiter auch in Deutschland Widerstand gegen das NS-Regime leisteten. Das Gefühl mangelnder Anerkennung wurde durch den 1979 verlorenen Rechtsstreit über den Begriff „Déportation“ noch verstärkt. Die fühlbare Verbitterung führte zu einem Bedürfnis nach Aufklärungsarbeit, die in letzter Konsequenz in das 2001 veranstaltete Historikerkolloquium mündete. Wenn nun auch eine umfassende Darstellung vorliegt, so stellt sich dennoch die Frage, ob deren Ergebnisse auch in die breite Öffentlichkeit getragen werden. Im Unterschied zu Österreich und Deutschland ist das Thema „Zwangsarbeit“ nämlich nicht Teil des öffentlichen Diskurses. Für die Betroffenen ergibt sich mehr als 60 Jahre nach Kriegsende das aus österreichischer Sicht interessante Phänomen, dass nicht Deutschland und Österreich im Mittelpunkt der Debatte stehen, sondern vielmehr der eigene, Umgang Frankreichs mit diesem Kapitel der Geschichte. Die vorliegende Studie zeigt auch, dass einige Bereiche noch der Aufarbeitung harren. Auf die schwierige Frage, unter welchen Bedingungen Französinnen als Zwangsarbeiterinnen in Österreich eingesetzt wurden, wurde in einem Exkurs bereits hingewiesen. Weitere wertvolle Erkenntnisse könnten insbesondere aus der systematischen Bearbeitung des sogenannten Dossier Cottin („Mission Chantiers“) gewonnen werden. Auch eine Untersuchung der Rolle der Délégation officielle française (D.O.F.) und ihre Zusammenarbeit mit der Deutschen Arbeitsfront in Österreich wäre von Interesse. Schließlich könnte auch das Wirken französischer Katholiken in den Zwangsarbeiterlagern Österreichs erforscht werden. All diese Bereiche konnten hier nur angedeutet werden. Nach der Erarbeitung
Zusammenfassung
195
von Überblicksdarstellungen, dem Vorliegen von Zahlenmaterial und dem Abschlussbericht der österreichischen Historikerkommission hat die qualitative Forschung nach wie vor viel zu leisten.
Abkürzungen
A.E.L.
Arbeitserziehungslager
C.D.J.C.
Centre de Documentation Juive Contemporaine
A.E.W. C.J.F.
D.A.F.
D.O.F. D.P.
F.N.D.I.R.P.
Alpen-Elektro-Werke
Chantiers de la Jeunesse Française Deutsche Arbeitsfront
Délégation Officielle Française en Allemagne Displaced Person
Fédération Nationale des Déportés Internés Résistants Patriotes
F.N.D.T.
Fédération Nationale des Déportés du Travail
F.N.V.R.C.N.T.F.
Fédération Nationale des Victimes et Rescapés des Camps Nazis du Travail Forcé
F.N.P.G.
Fédération Nationale des Prisonniers de Guerre
F.O.W.
Flugmotorenwerke Ost Wiener Neudorf
G.B.A.
Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz
G.A.A. H.G.W. J.O.C.
J.O.F.T.A. L.A.A.
O.K.W. O.T.
P.D.R.
R.A.M. S.E.T.
S.T.O.
Gauarbeitsamt
Hermann Göring Werke
Jeunesse Ouvrière Chrétienne
Jeunes Ouvriers Français Travaillant en Allemagne Landesarbeitsamt
Oberkommando der Wehrmacht Organisation Todt
Ministère des Prisonniers, Déportés et Rapatriés Reichsarbeitsministerium
Service encadré du Travail
Service du Travail Obligatoire
Erwähnte Betriebe und Unterkünfte 613 614 615
Quelle
Erwähnte Betriebe
Erwähnte Unterkunft
Jean-Louis Quereillahc613
Schoeller-BleckmannRohrwerk (Ternitz)
Strasshof „Blindendorflager“ „Rohrbachlager“
Gilbert Tourenne
Enzesfelder Metallfabrik
Lager „Brunn am Gebirge“, Betriebslager
Roger Lamothe
Landwirtschaft (Neuruppersdorf)
Strasshof, privat
Jacques Seignole
Fa. Mann & Co. (Wien III)
Strasshof, Lager „Brunn am Gebirge“, Betriebslager
Gérard Prosper
Arthur Krupp (Berndorf)
Strasshof, Lager „Grillenberg“, Lager „Rüess“
Ignace Salvo
Hermann Göring Werke (Linz)
Lager 53
Xavier Charpin
Reichspost (Vorarlberg)
Lager „Riedenburg“ Gasthaus Bären (Lauterach)
Roger Nakhamkes
Bauunternehmen Völker IG Farben Moosbierbaum
Roger Rossignol614
F.O.W.
Pierre Picard-Gilbertier615
Atzgersdorfer Schuhfabrik Max Weber & Co. (Wien XXV)
Michel Caignard
Lokomotivfabrik Floridsdorf
Pierre Bohin
613 Vgl. Quereillahc, Mémoires (1998). 614 Vgl. Rossignol, Transhumance (1997). 615 Vgl Picard-Gilbertier, Danube Bleu (1993).
Lager „Pischelsdorf“?
Lager „Nordpol“ Lager „Brunn am Gebirge“
202
Anhang
Charles Joyon
Fa. Holzmann (Wien)
Strasshof, Lager „Schleuse 1“ Lager „Freihaus“
Francis Jeanno
Schoeller-BleckmanMittelwerk (Ternitz)
Strasshof, Rohrbachlager, Schneeberglager
Lehrer des Dept. Loire616
Tauernkraftwerke A.E.W. (Alpen-Elektro-Werke) (Kaprun, Wasserfallboden)
Lager „Wasserfallboden“, „Ebmatten“, „Maiskogel“, „Schruns“
Jacques Evrard617
Felixdorf, Lager „Messerschmitt“ Wiener Neustadt, Lager WNF (Mollersdorf – Wiener Neustadt), Lager WNF Fischamend, Lager Lobau
616 617
616 Vgl. Aventurier/Cellier, Instituteurs de la Loire (1997); Aventurier/Cellier, STO dans la tourmente (1998). 617 Vgl. Evrard, Déportation (1972).
Aktivitäten der C.J.F. oder verwandter Organisationen 618 liste der chefs „chantiers“, stand 14. februar 1945: COMMISSAIRES-ADJOINTS BERNADOY Eugène, Salzburg, délégué Jeunesse Tirol/Kärnten DEYT Jean, Linz, chef de camp GINISTY, Jean, Wien, délégué Jeunesse Wien et Niederdonau GRISON Jean, WienerNeustadt, délégué de Kreis LA CELLE Hugues (de), Wien, délégué Jeunesse Wien et NiederDonau, en prison ou K.L. COMMISSAIRES-ASSISTANTS BARATIER, Jacques, WienerNeustadt, chef de camp BEDEL Jacques, Marburg a/Drau, délégué Jeunesse Steiermark BUISSON Louis, Wien, chef de camp. CAVE Jacques, Marburg a/Drau, chef de camp. CHAMBORD Hervé (de), Saint-Valentin, chef de camp LUNG Jean, Wien, chef de camp. MORIN Jacques, Berndorfstadt (N.D.), chef de camp. POIGNY Jacques, Wien, chef de camp. ASSISTANTS AGENET, Wien, chef de camp BECHU Louis, Enzesfeld (N.D.), chef de camp adj. BECOUSSE Raoul, Wien, chef de camp. BERNERON Pierre, Wien, chef de camp adj. BERTRAND René, Wien, chef de camp BONNET René, Wien, chef de camp BOUDROT, secrét. délég. Wien. BOUTONNET Raymond, Wien, chef de camp- COSSE Marcel, Wien, secrét. délég. Niederdonau. DEBEYNE René, Wien, chef de camp DERONNE, Jean, Ternitz (N.D.), délégué de Kreis. 618 Zusammengestellt aus Martin, Chantiers de Jeunesse (2001): 511–522. 619 Zahlenangaben: Franzosen/Gesamtzahl.
1200/1200619
350/300 512/99 401/304 1010/1010 /70 /545 1500/450 /51 150/50 128/101 /116 480/50 /250
204
Anhang
DUBOIS Marcel, Wien, délégué Jeunesse adjoint, Niederdonau DUFOUR André, Saint-Valentin (N.D.), chef de camp adj DUPONT François, Berndorfstadt (N.D.), chef de camp adj. DURLET Henri, Wien, chef de camp. FRANÇON Jean, Marburg a/Drau, chef de camp adj. GINDRE Claude, Neusield [sic!], délégué de Kreis. GUILHEM Philippe, Wien, chef de camp, en prison ou K.L. KERN Jean-Marie, Marburg a/Drau, chef de camp adj. LAURENT Hubert, Linz, chef de camp adj. LAVERGNE Pierre, Wien, chef de camp MOSER Charles, ?/NiederDonau NANCY Guy, Wien, chef de camp adj. PLEZIAT Robert, Gmünd (N.D.), chef de camp adj. PRADEL Jean, Enzesfeld (N.D.), chef de camp. ROGNON Louis, Saint-Valentin (N.D.), chef de camp adj. SALLES Robert, Pettensstein (N.D.), chef de camp. TEISSEIRE Georges, Gmund [sic!] (N.D.), chef de camp. TESSEYRE Roger, Saint-Valentin (N.D.), chef de camp adj. TERRADE Fernand, Saint-Valentin (N.D.), chef de camp adj. VAULX Alain (de), Marburg a/Drau, chef de camp adj.
131/31
400/185
/102 /54 /273
Liste der CHEFS „J.O.F.T.A.-S.E.T.“: COMMISSAIRES-ASSISTANTS CIRON André, Marburg a/Drau, chef de camp CLEMENT Robert, Enzesfeld (N.D.), chef de camp FRANCE Pierre, Hirtenberg (N.D.), chef de camp. GIOFFREDY Roger, Traiskirchen, délégué de Kreis MARMIER Christian, Neukirchen (N.D.), chef de camp. MERY Lucien, S.T. Pölten (N.D.), chef de camp. ASSISTANTS AREXY Henri (d’), S.T. Pölten (N.D.), chef de camp AUDIE André, S.T. Pölten (N.D.), chef de camp adj. BREAU Pierre, Hirtenberg (N.D.), chef de camp adj. CHANTERET Pierre, Traiskirchen, chef de camp adj. COURTADE Jean, Neudörfl (N.D.), chef de camp adj.
87/74 /176 /133 /131 /70 93/72
Liste der Chefs „chantiers“ FARGUES André, Enzesfeld (N.D.), chef de camp adj. FOSSE Jacques, Enzelfeld [sic!] (N.D.), chef de camp. HOFFMANN René, Marburg a/Drau, chef de camp adj. LAPEYRONIE Georges, Hirtenberg (N.D.), chef de camp adj. MAISONNEUVE Henri, Hirtenberg (N.D.), chef de camo adj. PASTOUREL Georges, Traiskirchen (N.D.), chef de camp./84
205
/118
Liste DEr CHEFS „CIVILS“ BARRALIS Robert, Anstetten [sic!] (N.D.), chef de camp. BIDAUD Alexandre, Niederdonau, stagiaire CHEMEL Pierre, Wien, délégué Jeunesse Wien. COIN Marcel, Herzogenburg, chef de camp. PETITPAS Raymond, Innsbrück [sic!], chef de camp. ROGIER René, Zistersdorf, chef de camp VAUGEOIS Roger, Traisen (N.D.), chef de camp. VELAY Louis, Böhlerwerk, chef de camp VIDEAU Fernand, Linz, délégué Jeunesse OberDonau
/142 /35 350/250 /55 [Österreich ?] /75 /145 [wo ?]
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208
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13. Juli 2002 14. Juli 2002 18. Juli 2002 20. Juli 2002 21. Juli 2002 23. Juli 2002 16. November 2002 07. Dezember 2002
Libourne (Gironde) Montgaillard (Landes) Brive-la-Gaillarde (Corrèze) St-Affrique (Aveyron) Bessan (Hérault) Villars (Loire) Paris Paris
Unveröffentlichte Quellen Aufzeichnungen von M. Gérard Prosper 2.4.45–10.7.45 Aufzeichnungen von M. Gilbert Tourenne 2.4.45–6.5.45 Tagebuch von M. Ignace Salvo 1943–45 H.G.W. Aufzeichnungen von M. Francis Jeanno 31.4.45–11.6.45 Die Tonbandaufnahmen der Interviews und weitere Quellen befinden sich in: Archiv der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte, Wien Inv.-Nr. 1.061. WS 12: Material zur Diplomarbeit v. Paul Schieder: Französische Zwangs arbeiter im „Reichseinsatz“ auf dem Gebiet der Republik Österreich
Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1: Zoneneinteilung Frankreichs. Quelle: Blanc, Brigitte/Rousso, Henry/Tourtier-Bonazzi, Chantal de, 1994. La Seconde Guerre Mondiale. Guide des sources conservées en France 1939–1945. Paris: Archives Nationales. Abbildung 2: Abzeichen der Chantiers de Jeunesse (C.J.F.). Quelle: Privatbesitz Ignace Salvo Abbildung 3: Franzosen in der „Ostmark“ im Vergleich zum gesamten Deutschen Reich Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 78. Abbildung 4: Franzosen in Prozent aller zivilen Ausländer Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 78. Abbildung 5: Verteilung der Franzosen auf die Arbeitsamtsbezirke Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 77. Abbildung 6: Geschlechterverhältnis bei den zivilen französischen AusländerInnen in der „Ostmark“ Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 44. Abbildung 7: Telegramm der Präfektur Corrèze, März 1943. Quelle : Privatbesitz Jacques Seignole Abbildung 8: Vorladung des Gemeindeamtes von Éauze (Gers), März 1943. Quelle: Privatbesitz Gilbert Tourenne Abbildung 9: Vorladung der Kommandantur von Béziers (Hérault), Jänner 1943. Quelle: Privatbesitz Ignace Salvo Abbildung 10: Überweisungsquittungen, 1943–44. Quelle: Privatbesitz Ignace Salvo Abbildung 11: Rückkehrschein, November 1943. Quelle: Privatbesitz Jacques Seignole Abbildung 12: Herkunft geflüchteter AusländerInnen im Gau Niederdonau Quelle: Freund/Perz, Zahlenentwicklung (2004): 107. Abbildung 13: Tagebucheintragungen Hermann Göring Werke, 19.–21. Februar 1943. Quelle: Privatbesitz Ignace Salvo Abbildung 14: Carte de rapatrié, Frankreich 1945. Quelle: Privatbesitz Gérard Prosper Abbildung 15: „Ils sont unis – ne les divisez pas“. Quelle: Barcellini, Serge. „Les requis du STO devant la (les) mémoire(s)“. In: Garnier, Bernard/Quellien, Jean (Hg.). La main-d’œuvre française exploitée par le IIIe Reich. Akten des Kolloquiums. Caen: Centre de Recherches Quantitative (CRHQ ), Université Caen (2003), 595.
210
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 16: Arbeitsvertrag Enzesfelder Metallwerke. Quelle: Privatbesitz Gilbert Tourenne Abbildung 17: Arbeitskarte Enzesfelder Metallwerke. Quelle: Privatbesitz Gilbert Tourenne Abbildung 18: Ausweis Berndorfer Metallwarenfabrik (BMF). Quelle: Privatbesitz Gérard Prosper Abbildung 19: Ausweis Fa. Mann & Co., Wien. Quelle: Privatbesitz Jacques Seignole Abbildung 20: Ausweis Enzesfelder Metallwerke – Vorderseite Abbildung 21: Ausweis Enzesfelder Metallwerke – Rückseite. Quelle: Privatbesitz Gilbert Tourenne Abbildung 22: Ausweis Hermann Göring Werke – Vorderseite Abbildung 23: Ausweis Hermann Göring Werke – Rückseite. Quelle: Privatbesitz Ignace Salvo Abbildung 24: Vorläufiger Fremdenpass. Quelle: Privatbesitz Gilbert Tourenne
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AnnA MAriA Grünfelder
ArbeitseinsAtz für die neuordnunG europAs zivil- und zwAnGsArbeiterinnen Aus JuGosl Awien in der „ostMArk“ 1938/41–1945
Thema dieser ersten Einzeluntersuchung sind die jugoslawischen »Fremdarbeiter« im Deutschen Reich. Die Studie umfasst die Arbeitsemigration vor dem deutschen Angriff auf Jugoslawien und während des Zweiten Weltkrieges, wie auch die gewaltsame Rekrutierung durch Besatzer und einheimische Kollaborateure. Die Quellen dazu mussten in den Archiven der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien erst identifiziert werden. Zusätzlich wurden Überlebende des Arbeitseinsatzes in Kroatien befragt. Das Ergebnis ist die erste Darstellung der (zumeist) gewaltsamen Umstände der Rekrutierung in Jugoslawien und ihres Einsatzes in Österreich. Dieser wird insbesondere vor dem Hintergrund des Luftkrieges und der Partisanentätigkeit in Südkärnten gewertet. 2010. 262 S. Br. 155 x 235 MM. ISBN 978-3-205-78453-1
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43(0)1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
Oliver r athkOlb, Maria Wirth, Michael Wl adik a
die „reichsfOrste“ in Österreich 1938–1945 arisierung, restitutiOn, ZWangsarbeit und entnaZifiZierung studie iM auftr ag der Österreichischen bundesfOrste
Im Zentrum stehen Forschungen mit umfangreichen neuen Quellen zur Geschichte der »Reichsforste« während der NS-Zeit in Österreich: Erstens die internen Karriereverläufe der leitenden und mittleren Ebene der Reichsforstverwaltung unter Berücksichtigung von Widerstand und politischer Maßregelung bzw. der Entnazifizierung nach 1945. Schwergewicht wird auf die Interpretation der personellen (Dis-)Kontinuitäten 1938–1945ff gelegt. Im Kapitel »Arisierung« und Restitution von Liegenschaften konnten sowohl Umfang als auch Einzelfälle des Entzugs von Grundstücken und Immobilien durch die Reichsforste rekonstruiert und eine Bestandsaufnahme der Restitutionspolitik vorgelegt werden. Im dritten Teil erfolgt eine Bewertung des Einsatzes von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Betrieben der Reichsforste. 2010. 407 S. Gb. mit Su. 21 S/w-Abb. u. 14 tAb. 170 x 240 mm. | iSbN 978-3-205-78482-1
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43(0)1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
Alex Ander von Pl Ato, Almut leh, ChristoPh thonfeld (hg.)
hitlers skl Aven lebensgesChiChtliChe AnAlysen zur zwAngsArbeit im internAtionAlen vergleiCh
Dieses Buch präsentiert die Ergebnisse eines einzigartigen internationalen Projektes: Fast 600 frühere Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus 27 Ländern in Ost- und Westeuropa, den USA und Israel wurden befragt. Männer und Frauen, Juden und Roma, Kriegsgefangene und zivile »Fremdarbeiter«, Militärinternierte und KZ-Häftlinge. Ihre Biographien werden in den Zusammenhang der nationalsozialistischen Kriegs- und Besetzungspolitik gestellt. Ihre Erinnerungen und Erfahrungen werden analysiert, ihre unterschiedliche Behandlung in der Nachkriegszeit in den verschiedenen Ländern untersucht. Ein Buch für die Wissenschaft ebenso wie für die Jugend- und Erwachsenenbildung. Ein »Denkmal anderer Art« für diese Sklaven der nationalsozialistischen Diktatur. 2009. 498 S. GB. 170 x 240 mm. ISBN 978-3-205-77753-3
»Der Leser erhält einen Einblick in das komplizierte Geflecht des Themas, das eben nicht 1945 mit der Heimkehr der Verschleppten einfach abgeschlossen war.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Politische Bücher böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43 (0) 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
K athrin JanK a (BearB.)
Ger auBte LeBen ZwanGsarBeiter Berichten
Über sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte der Bundestag mit einem Gesetz zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einen Prozess in Gang, mit dem die Leiden dieser Menschen symbolisch kompensiert werden sollten. In den Anträgen, die die Betroffenen ausfüllten, spiegeln sich deren individuelle Schicksale während und nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur wider. Eine Auswahl solcher Erinnerungstexte präsentiert der vorliegende Band. Die Texte weisen dabei über die persönlichen Leidenserfahrungen hinaus: Sie machen die internationale Dimension und das gewaltige Ausmaß des Zwangsarbeitssystems exemplarisch sichtbar, das die Nationalsozialisten in Deutschland und in allen besetzten Gebieten installierten. Damit werfen die Erinnerungsberichte der Opfer eindrückliche Schlaglichter in ein lange beschwiegenes Kapitel der deutschen Geschichte. 2008. 357 S. 85 S/w-Abb. Gb. mit SU. 155 x 230 mm. iSbN 978-3-412-20092-3
böhlau verlag, ursulaplatz 1, 50668 köln. t : + 49(0)221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | köln weimar wien