Fragile kollektive Identitäten: Wie sich soziale Bewegungen radikalisieren 9783839454350

Warum radikalisieren sich politische Akteur*innen? Die Antworten darauf sind vielschichtig und werden nicht selten kontr

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Table of contents :
Inhalt
1. Warum radikalisieren sich politische Akteure? Eine Einleitung
2. Theorien politischer Radikalisierung
3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen
4. Erklärungsansätze zur Radikalisierung des SNCC
5. 1960-1962 – Die Anfangsjahre
6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment
7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power
8. Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen
Abbildungsverzeichnis
Annex: Kategorienbildung Themen und Aktionsformen
Quellennachweis
Literatur
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Fragile kollektive Identitäten: Wie sich soziale Bewegungen radikalisieren
 9783839454350

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Martin Wilk Fragile kollektive Identitäten

Edition Kulturwissenschaft  | Band 238

Für meine Eltern

Martin Wilk, geb. 1981, promovierte an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder. Er arbeitete u.a. als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag und ist zurzeit in der Berliner Senatskanzlei tätig.

Martin Wilk

Fragile kollektive Identitäten Wie sich soziale Bewegungen radikalisieren

Diese Publikation basiert auf einer Dissertation mit dem Titel »Die Konstruktion kollektiver Identitäten und ihr Wandel in Radikalisierungsprozessen sozialer Bewegungen – Eine Fallstudie zum Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC)«, die an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) bei Prof. Dr. Michael Minkenberg eingereicht worden ist. Die Disputation der Arbeit fand am 09. Mai 2019 statt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5435-6 PDF-ISBN 978-3-8394-5435-0 https://doi.org/10.14361/9783839454350 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5.

Warum radikalisieren sich politische Akteure? Eine Einleitung ..................... 7 Schwerpunksetzung und Fragestellung ............................................... 10 Fallstudie: Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) ................... 11 Die Radikalisierung des SNCC ........................................................13 Thesenbildung und Methode ......................................................... 16 Aufbau der Forschungsarbeit ........................................................ 19

2. 2.1. 2.2. 2.3.

Theorien politischer Radikalisierung................................................ 21 Radikalisierung – Die Schwierigkeit einer Definition ................................. 22 Erklärungsansätze für Radikalisierung aus der Bewegungsforschung ................ 29 Fazit ............................................................................... 54

3. 3.1. 3.2. 3.3.

Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen........ 59 Kollektive Identitätskonstruktionen in sozialen Bewegungen .......................... 61 Prozesse der Konstruktion kollektiver Identität in radikalen Bewegungen............. 67 Methodisches Vorgehen............................................................. 72

4. 4.1. 4.2. 4.3.

Erklärungsansätze zur Radikalisierung des SNCC .................................. Makroebene ........................................................................ Mesoebene ......................................................................... Mikroebene.........................................................................

5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4.

1960-1962 – Die Anfangsjahre ...................................................... 99 Die Gründung des SNCC ............................................................ 100 Freedom Rides ...................................................................... 101 Die Diskurse in SNCC in den Anfangsjahren......................................... 103 Fazit ............................................................................... 118

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6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment........................ 121 6.1. Wählerregistrierung und Community Organizing ..................................... 122 6.2. Der Mississippi Freedom Summer und die Mississippi Freedom Democratic Party ...... 126

6.3. Die Konferenz in Waveland.......................................................... 131 6.4. Die Diskurse zwischen 1962 und 1965 ............................................... 132 6.5. Fazit .............................................................................. 162 7. 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5.

1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power ........................................167 Selma und der Voting Rights Act .................................................... 169 Vom Community Organizing zu Black Power ..........................................170 Personelle und finanzielle Ressourcen des SNCC..................................... 177 Die Diskurse zwischen 1965 und 1968............................................... 178 Fazit ...............................................................................216

8. Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen ................................221 8.1. Prozesse kollektiver Identitätskonstruktion in der Radikalisierung sozialer Bewegungen...................................................................... 223 8.2. Der Wandel kollektiver Identitäten im SNCC......................................... 226 8.3. Fazit .............................................................................. 230 Abbildungsverzeichnis ..................................................................235 Annex: Kategorienbildung Themen und Aktionsformen ................................. 237 Quellennachweis ....................................................................... 243 Literatur ............................................................................... 261

1. Warum radikalisieren sich politische Akteure? Eine Einleitung

Die Frage, warum sich politische Akteure1 radikalisieren, beschäftigt die sozialwissenschaftliche Forschung seit einigen Jahrzehnten. Dabei dürften nur wenige Begriffe politisch wie auch wissenschaftlich ähnlich kontrovers diskutiert worden sein wie der Begriff der Radikalisierung. Während einige Wissenschaftler*innen das soziale Phänomen der Radikalisierung für einen Mythos halten, gibt es andernorts ganze Forschungseinrichtungen, die ausschließlich seiner Erforschung gewidmet sind.2 In öffentlichen Debatten wird Radikalisierung häufig als politischer Kampfbegriff verwendet. Nicht selten wird er dazu genutzt, sicherheitspolitische Handlungszwänge nahezulegen, die wiederum entsprechende Maßnahmen legitimieren sollen. Ruud Koopmans (1993) hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Definitionsmacht darüber, was als radikal gilt, in der Regel bei den staatlichen Akteuren liegt und erheblich von den jeweiligen politisch-sozialen Rahmenbedingungen abhängt.3 Was in dem einen politischen Regime als moderate Protestform verstanden wird, kann in einem anderen als radikal gelten. Das macht eine Verwendung des Begriffs in vielerlei Hinsicht schwierig. Diese Schwierigkeiten hat der Begriff der Radikalisierung im Übrigen mit dem Begriff des Terrorismus gemeinsam. Auch dieser Terminus dient häufig mehr einer politischen Agenda als der Beschreibung eines sozialen Phänomens. Während man sich jedoch beim Terrorismus zumindest darauf verständigen kann, dass es sich um eine Taktik oder vielleicht sogar um eine Strategie handelt, die man von anderen Möglichkeiten der Gewaltausübung in gewaltsamen Konflikten unterscheidet, gestaltet sich die Definition des

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Wenn in dieser Arbeit der Begriff des Akteures genutzt wird, dann sind damit ausschließlich kollektive Akteure und nicht individuelle Akteure gemeint. Es handelt sich dabei um Gruppen oder Organisationen, also um Individuen, die sich zu Kollektiven zusammenschließen, um gemeinsame Handlungen zu tätigen. Neumann, Peter R. (2013): The Trouble with Radicalization, in: International Affairs 89/4, S. 873893, hier S. 873. Koopmans, Ruud (1993): The Dynamics of Protest Waves: West Germany 1965 to 1989, in: American Sociological Review 58, S. 637-658.

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Fragile kollektive Identitäten

Begriffs der Radikalisierung wesentlich komplexer, da seine Bedeutung im hohen Maße kontextabhängig und umstritten ist.4 Peter Neumann (2013) hat darauf hingewiesen, dass viele Probleme, die mit dem Begriff der Radikalisierung verbunden werden, auf eine ihm inhärente konzeptionelle Unschärfe zurückzuführen sind. Dabei geht es im Grundsatz um die Frage: Was ist radikal? Beginnt Radikalität bereits bei den Einstellungen und Ideen von Menschen oder kann Radikalität ausschließlich am konkreten Handeln festgemacht werden? Gibt es so etwas wie eine kognitive Radikalisierung oder sollte man erst dann von Radikalisierung sprechen, wenn Handelnde tatsächlich zu Gewalt greifen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen? Je nachdem, wie man diese Fragen beantwortet, folgen daraus unterschiedliche Definitionen und sogar Handlungsoptionen für die Policy-Ebene, die weitreichende Konsequenzen haben können.5 Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass nicht alle, die sich an kollektiver Gewalt (bis hin zu terroristischen Anschlägen) beteiligten, eine gefestigte radikale Ideologie besaßen.6 Andererseits verfolgt auch nicht jede Person, die sich radikalen politischen Ideen verschrieben hat, ihre Ziele immer mit gewaltsamen Mitteln. So gibt es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den politischen oder auch religiösen Einstellungen von Aktivist*innen und ihrer Bereitschaft, gewaltsam zu handeln.7 Es wäre folglich ein analytischer Fehlschluss, die Radikalisierung von Aktivist*innen ausschließlich aus bestimmten Weltbildern und Ideen ableiten zu wollen. Zudem hat die Bewegungsforschung immer wieder darauf hingewiesen, dass die Existenz von sozialen Konflikten und ein hohes Maß an gesellschaftlicher Unzufriedenheit nicht notwendigerweise Proteste nach sich ziehen. Ähnliches gilt auch für die Radikalisierung von Protestbewegungen. Die unmittelbare Betroffenheit von Menschen führt nicht zwangsläufig dazu, dass diese sich kollektiv organisieren oder sogar dazu übergehen, Gewalt anzuwenden.8

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Neumann (2013): The Trouble with Radicalization, S. 878. Ebd., S. 873-874. Borum, Randy (2011): Radicalization into Violent Extremism I: A Review of Social Science Theories, in: Journal of Strategic Security 4/4; Neumann (2013): The Trouble with Radicalization, S. 882-883. Borum (2011): Radicalization into Violent Extremism I: A Review of Social Science Theories, S. 9; Della Porta, Donatella und Heinz-Gerhard Haupt (2012): Patterns of Radicalization in Political Activism: An Introduction, in: Social Science History 36/3, S. 311-320, hier S. 313; Neumann (2013): The Trouble with Radicalization, S. 879-880. Olzak, Susan, Suzanne Shanahan und Elizabeth H. McEneaney (1996): Poverty, Segregation, and Race Riots: 1960 to 1993, in: American Sociological Review 61/4, S. 590-613, hier S. 603; Tilly, Charles (2003): Politics of Collective Violence, Cambridge: Cambridge University Press, S. 8.Olzak, Susan, Suzanne Shanahan und Elizabeth H. McEneaney (1996): Poverty, Segregation, and Race Riots: 1960 to 1993, in: American Sociological Review 61/4, S. 590–613, hier S. 603; Tilly, Charles (2003): Politics of Collective Violence, Cambridge: Cambridge University Press, S. 8.

1. Warum radikalisieren sich politische Akteure? Eine Einleitung

Sollte man den Begriff der Radikalisierung aufgrund der angesprochenen Probleme gänzlich verwerfen? Es spricht einiges dafür, dies nicht zu tun: Zum einen gibt es nur wenige alternative Konzepte, aber eine Fülle von konkreten historischen Fällen, in denen Aktivist*innen einen Wandel in ihren Überzeugungen und Praktiken durchlaufen haben, der darauf hinausläuft, Gewalt gegenüber anderen zu rechtfertigen.9 Es ist daher naheliegend, diesen Wandel, der sich in unterschiedlichen historischen, politischen und sozialen Kontexten beobachten lässt, auch begrifflich zu fassen. Denn nur so lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Prozesse identifizieren und die Mechanismen herausarbeiten, die die Entstehung von radikalen Bewegungen beeinflussen. Zum anderen zirkuliert der Begriff der Radikalisierung tagtäglich in den Medien und öffentlichen Debatten und wirkt dadurch bis in das politische AgendaSetting hinein. Ihn als ungeeignet für die akademische Debatte abzulehnen, würde an seiner intensiven alltagsweltlichen Verwendung nichts ändern. Sinnvoll, aber auch erforderlich ist daher eine inhaltliche Weiterentwicklung des Begriffs, die es ermöglicht, ihn im Wissen um die Problematik bewusst und präzise einzusetzen. Besonders vielversprechend sind in dieser Hinsicht diejenigen Forschungsansätze der vergangenen Jahre, die sich mit der Dynamik von Radikalisierungsprozessen beschäftigt haben.10 In der Literatur herrscht mittlerweile ein breiter Konsens, dass nicht einzelne Faktoren wie beispielsweise bestimmte Ideologien oder Diskriminierungserfahrungen zu einer Radikalisierung von Aktivist*innen und Gruppen führen. Radikalisierung entsteht vielmehr durch ein Zusammenspiel unterschiedlicher Mechanismen und Prozesse, das den jeweiligen Faktoren erst Wirkungsmacht verleiht. Allein die politischen oder religiösen Einstellungen von Menschen lassen noch keinen Schluss darüber zu, ob sie sich radikalisieren werden. Anstatt weiterhin nach einzelnen Faktoren zu suchen, die für die Radikalisierung von Aktivist*innen verantwortlich gemacht werden können, erscheint es vielen Autor*innen daher inzwischen wesentlich fruchtbarer, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Radikalisierungsprozesse ablaufen. Diese Autor*innen haben gezeigt, dass es notwendig ist, unter anderem auch die persönlichen Netzwerke, die vorausgegangenen Protesterfahrungen, den Zugang zu Ressourcen, die Interaktion mit staatlichen Akteuren oder das Ausmaß an staatlicher Repression zu betrachten, um die Radikalisierung von Aktivist*innen oder Gruppen möglichst umfassend erklären zu können.11 9 10

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Vgl. Della Porta/Haupt (2012): Patterns of Radicalization in Political Activism: An Introduction. Vgl. Della Porta, Donatella und Gary LaFree (2012): Processes of Radicalization and DeRadicalization, in: International Journal of Conflict and Violence 6/1, S. 4-10; Alimi, Eitan Y., Chares Demetriou und Lorenzo Bosi (2015): The Dynamics of Radicalization: A Relational and Comparative Perspective, Oxford University Press. Della Porta, Donatella (1995): Social Movements, Political Violence, and the State: A Comparative Analysis of Italy and Germany, Cambridge u.a.: Cambridge University Press (Cambridge studies

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Fragile kollektive Identitäten

Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werde ich noch einmal ausführlicher auf die Theoriedebatte und den Stand der Bewegungsforschung eingehen.

1.1.

Schwerpunksetzung und Fragestellung

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Beschäftigung mit den kollektiven Identitätskonstruktionen von Aktivist*innen in Radikalisierungsprozessen. Obwohl das Konzept der kollektiven Identität in den vergangenen Jahrzehnten in der Bewegungsforschung verbreitet Eingang gefunden hat, ist es bisher nur selten auf die Untersuchung von Radikalisierungsprozessen angewendet worden.12 Um jedoch die Hinwendung zu radikalen Überzeugungen und Praktiken besser verstehen zu können, ist es aus meiner Sicht notwendig, die Konstruktionsprozesse kollektiver Identitäten in radikalen Gruppen und Organisation genauer zu betrachten: Wie wandeln sich kollektive Identitäten im Laufe eines Radikalisierungsprozesses? Welche Vorgänge spielen dabei eine Rolle? Damit ist letztlich auch die Frage sehr eng verbunden, warum sich Akteure überhaupt radikalen Ideen und Aktionsformen zuwenden. Radikale Gruppen und Organisationen sind kein einfaches Untersuchungsfeld. Häufig ist es nur schwer möglich, Einblick in die internen Debatten und breiteren Diskurse derjenigen Gruppen und Organisation zu erhalten, die radikale Aktionsformen übernommen haben oder sogar in den Untergrund gegangen sind.13 Entsprechend schwierig ist es, Aussagen über die Beschaffenheit oder den Wandel ihrer kollektiven Identität zu machen. Vermutlich sind die schlechte Datenlage, die Unzugänglichkeit der Quellen und die Herausforderung, geeignete Gesprächspartner zu finden, die wesentlichen Gründe dafür, dass die Anzahl von Büchern und Artikeln zu den oben aufgeworfenen Forschungsfragen bisher überschaubar geblieben ist. Dabei sind gerade die Prozesse kollektiver Identitätskonstruktionen von sich radikalisierenden Akteuren besonders relevant. Denn in den meisten Fällen geht ein Radikalisierungsprozess mit einem tiefgreifenden Wandel nicht nur in

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in comparative politics); Wiktorowicz, Quintan (2004): Islamic Activism: A Social Movement Theory Approach, Indiana University Press; Della Porta/LaFree (2012): Processes of Radicalization and De-Radicalization; Alimi/Demetriou/Bosi (2015): The Dynamics of Radicalization: A Relational and Comparative Perspective. Zu den Arbeiten, die sich ausführlich mit den kollektiven Identitätskonstruktionen in Radikalisierungsprozessen beschäftigt haben, gehören u.a.: Della Porta (1995): Social Movements, Political Violence, and the State: A Comparative Analysis of Italy and Germany; Stekelenburg, J. van und P. G. Klandermans (2010): Radicalization, in: Azzi, Assaad E. u.a. (Hg.): Identity and Participation in Culturally Diverse Societies. A Multidisciplinary Perspective, Oxford: Blackwell Wiley, S. 181-194. Stekelenburg/Klandermans (2010): Radicalization, S. 181.

1. Warum radikalisieren sich politische Akteure? Eine Einleitung

den Praktiken, sondern auch in den Überzeugungen der Aktivist*innen einher. So ist die Hinwendung zu gewaltsamen Aktionsformen in der Regel mit einem fundamentalen Bruch in den Weltbildern und Wertvorstellungen der Aktivist*innen verbunden.14 Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht der Wandel der kollektiven Identitätskonstruktionen der Aktivist*innen des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC), einer Organisation innerhalb der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die von 1960 bis Ende 1968 bestand. Obwohl sich die Bewegung schon vor geraumer Zeit aufgelöst hat, bietet sie sich als Fallbeispiel für die Bearbeitung der Fragestellung aus verschiedenen Gründen besonders an. Zum einen lässt sich anhand des SNCC die abgeschlossene Entwicklungsgeschichte einer Organisation betrachten, die Teil einer gut dokumentierten Bewegung war und für deren Untersuchung zahlreiche und relativ gut zugängliche Quellen zur Verfügung stehen. Zum anderen macht es gerade der im Fall des SNCC gegebene zeitliche Abstand zu den häufig aufgeregten tagespolitischen Debatten leichter, das begriffliche und analytische Instrumentarium zu präzisieren und so zu einem besseren wissenschaftlichen Verständnis jener Vielzahl von Radikalisierungsprozessen beizutragen, in denen die Entstehung und Entwicklung kollektiver Identitätskonstruktionen eine zentrale Rolle spielen.

1.2.

Fallstudie: Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC)

Das SNCC gründete sich 1960 und radikalisierte sich in den darauffolgenden Jahren von einer pazifistischen Bürgerrechtsorganisation zu einer Gewalt befürwortenden Gruppe, die eng verbunden war mit der Entstehung der Black-Power-Bewegung und der Gründung der Black Panther Party. Das SNCC war ursprünglich ein Zusammenschluss Schwarzer15 Studierender aus den Südstaaten, die rasch zu einer der wichtigsten Bürgerrechtsorganisatio-

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Della Porta/Haupt (2012): Patterns of Radicalization in Political Activism: An Introduction, S. 314. Schwarz wird in dieser Arbeit durchgehend großgeschrieben, wenn sich der Ausdruck auf Personen, Personengruppen, Zusammenschlüsse von Personen bezieht oder wenn damit Konzepte gemeint sind, die im unmittelbaren Zusammenhang zu diesen Personen stehen, wie z.B. Schwarze Geschichte oder Schwarzes Selbstbewusstsein. Eine solche Schreibweise hebt die Erfahrungen von rassistischer Diskriminierung und Unterdrückung sowie antirassistischen Widerstand hervor. Claudia Unterweger (2016) sieht darin eine »ermächtigend gemeinte (Selbst)Bezeichnung einer gesellschaftlich marginalisierten Gruppe« (Unterweger, Claudia (2016): Talking Back: Strategien Schwarzer österreichischer Geschichtsschreibung, 1. Aufl., Wien: Zaglossus, S. 215) Die Großschreibung des Begriffs »unterstreicht die widerständige Bedeutung eines Wortes, das in seinem ursprünglich rassistischen Sinn umgedeutet wurde« (ebd.).

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Fragile kollektive Identitäten

nen in den USA wurde.16 Zunächst handelte es sich um einen lediglich losen Verbund verschiedener College-Gruppen, die infolge der Anti-Segregations-Proteste im Frühjahr 1960 entstanden waren. Die Aktivist*innen wandten sich vor allem mit Sit-ins und Demonstrationen gegen die unter anderem in Restaurants, Verkehrsmitteln und öffentlichen Einrichtungen in den Südstaaten weit verbreitete Trennung zwischen Schwarzen und Weißen. Maßgebliche Unterstützung erhielt das SNCC bei seiner Gründung durch Martin Luther Kings Southern Christian Leadership Conference (SCLC).17 In dieser Zeit verstand sich die Organisation ausdrücklich als gewaltlose Protestbewegung mit christlich-pazifistischen Grundwerten.18 Nachdem die Proteste einige Erfolge verzeichnen konnten und zahlreiche Ladenketten die Segregation in ihren Geschäften aufhoben, wendete sich das SNCC der Registrierung von Schwarzen Wähler*innen in den ländlichen Gebieten der Südstaaten zu, wo nur ein Bruchteil der Schwarzen Bevölkerung die Möglichkeit besaß, ihr Wahlrecht aktiv ausüben zu können.19 Die Wählerregistrierungskampagnen, die das SNCC zwischen 1962 und 1965 durchführte, erwiesen sich jedoch als ausgesprochen schwierig und nur begrenzt erfolgreich. Immer wieder wurden Mitarbeiter*innen und Unterstützer*innen des SNCC bedroht, inhaftiert, misshandelt oder sogar umgebracht. So wurden während einer Wählerregistrierungskampagne in Mississippi, an der sich das SNCC im Sommer 1964 beteiligte, drei Bürgerrechtsaktivist*innen von Mitgliedern des KuKlux-Klans brutal ermordet. Aus Angst vor Repressalien schreckten viele Schwarze vor einer Registrierung zurück.20 Das änderte sich erst, nachdem der US-Kongress im Sommer 1965 den Voting Rights Act 21 verabschiedet hatte. Danach widmete sich die Organisation gänzlich dem sogenannten Community Organizing, dem Empowerment der Schwarzen Landbevölkerung. Diese erneute Veränderung in der Schwerpunktsetzung ging auch mit einem Wandel des politischen Selbstverständnisses einher. Im Zentrum stand nicht mehr nur die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung, sondern auch der Kampf für die Verbesserung der sozialen Lage vieler Schwarzer sowohl in den nördlichen als auch in den südlichen Bundesstaaten. Seit 1965 kam der Protest gegen den Krieg in Vietnam hinzu, in den sich die USA zu diesem Zeitpunkt zunehmend verstrickte. Aufgrund dieser Opposition

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Carson, Clayborne (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, Cambridge, Mass.u.a.: Harvard Univ. Press, S. 7-18. Zinn, Howard (1964): SNCC: The New Abolitionists, Boston: Beacon (Beacon), S. 33-34. SNCC (1960): SNCC Founding Statement, Southwide Youth Leadership Conference, Shaw University, Raleigh, NC, www.crmvet.org/docs/sncc1.htm (abgerufen am: 26. März 2017). Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 19-44. Ebd., S. 87. (2016): The Voting Rights Act of 1965, August 6, 1965, in: National Archives (15.08.2016), https://www.archives.gov/legislative/features/voting-rights-1965/vra.html (abgerufen am: 17. November 2018).

1. Warum radikalisieren sich politische Akteure? Eine Einleitung

zum Vietnamkrieg verlor das SNCC die Unterstützung seitens der liberalen Kräfte in den Nordstaaten.22 Schließlich brach die Organisation 1966 unter ihrem neuen Vorsitzenden Stokely Carmichael endgültig mit weiten Teilen der liberalen Bürgerrechtsbewegung. Das SNCC übernahm separatistische Positionen und begann, unter dem Slogan Black Power politische Selbstbestimmung für die in den USA lebenden Schwarzen zu fordern.23 Die Organisation schottete sich zunehmend nach außen ab. Weißen wurde 1966 die Mitgliedschaft entzogen. In der darauffolgenden Zeit verstärkte sich die Gewalt befürwortende Rhetorik aus den Reihen der Organisation bei öffentlichen Auftritten. Darüber hinaus gab es eine große politische Nähe zwischen dem SNCC und der sozialistischen, revolutionären Black Panther Party, die 1966 gegründet worden war.24 Das SNCC radikalisiert sich in den folgenden Jahren weiter, bis die Organisation Ende der 1960er-Jahre schließlich völlig von der Bildfläche verschwindet. In der kurzen Zeit ihres Bestehens hatte die Organisation eine beeindruckende Entwicklung zurückgelegt. 1969 fand das letzte offizielle SNCC-Treffen statt. Auf diesem Treffen wurde beschlossen, das SNCC in eine paramilitärische Organisation umzuwandeln. Ein Teil der Aktivist*innen ging in den Untergrund, andere verließen die Organisation. Kurz darauf löste sich die restliche Gruppe auf.25

1.3.

Die Radikalisierung des SNCC

Sich mit der Radikalisierung gerade des SNCC zu beschäftigen, ist aus verschiedenen Gründen interessant. Erstens verlief seine Entwicklung rasant: Innerhalb weniger Jahre wandelte sich das SNCC von einer dezidiert pazifistischen zu einer Gewalt befürwortenden Organisation. Während in der Anfangszeit gewaltlose Sit-ins und Freedom Rides, die sich gegen die Segregation in den Verkehrsmitteln und Fernbusstationen der Südstaaten richteten, die Protestaktivitäten prägten, wurde das SNCC später zu einer der treibenden Kräfte der militanten Black-Power-Bewegung und eine Inspiration für viele separatistische Organisationen in der Schwarzen Bewegung. Wie konnte es zu diesem raschen Wandel kommen? Was beförderte diesen Wandel? Und warum war es ausgerechnet das SNCC, das diesen Wandel vollzog,

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Vgl. Lucks, Daniel S. (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, University Press of Kentucky; Hogan, Wesley C. (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, Chapel Hill: Univ. of North Carolina Press, S. 233-234; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 188-190. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 191-211. Bloom, Joshua und Waldo E Martin (2013): Black Against Empire: The History and Politics of the Black Panther Party, S. 43-44; Austin, Curtis J (2006): Up Against the Wall: Violence in the Making and Unmaking of the Black Panther Party, Fayetteville: University of Arkansas Press, S. 15. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 287-303.

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Fragile kollektive Identitäten

während sich andere Bürgerrechtsorganisationen nicht in diesem Maße veränderten? Zweitens ist die Radikalisierung von SNCC besonders bemerkenswert, weil sie sich nicht aufgrund mangelnder Erfolge einstellt, sondern zu einem Zeitpunkt an Fahrt aufnahm, als die Organisation wichtige politische Ziele erreicht hatte. Aus diesem Grund stoßen die gängigen Ansätze der Bewegungsforschung, im Fall der Radikalisierung des SNCC schnell an ihre Grenzen. So waren die SNCC-Aktivist*innen weder vereinzelt noch frustriert, und standen auch nicht unter einer besonderen psychologischen Belastung, wie manche der strukturfunktionalistischen Ansätze aus der Bewegungsforschung bei der Erklärung von Radikalisierungsprozessen nahelegen. Auch die Antworten der Political-ProcessTheory26 und der Ressourcenmobilisierungsansätze, die vor allem auf den Zugang zum politischen System und auf das Ausmaß staatlicher Repression abstellen,27 greifen im Falle des SNCC nicht: Zum einen erscheint es nicht plausibel, die Radikalisierung des SNCC auf einen mangelnden Zugang zum politischen System zurückzuführen. Das SNCC wurde relativ schnell nach seiner Gründung zu einer der bedeutendsten Organisationen der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Zwar war die Distanz zu den politischen Eliten größer als bei anderen Bürgerrechtsorganisationen, es gab aber dennoch regelmäßige Kontakte zwischen der Bundesregierung und dem SNCC. Zudem wurden in der ersten Hälfte der 1960erJahre einige wichtige politische Ziele des SNCC erreicht. Die Verabschiedung des Civil Rights Act 28 und des Voting Rights Act waren Erfolge, an denen auch das SNCC durch seine politische Arbeit in den Südstaaten wesentlichen Anteil hatte. Mit Blick auf das SNCC etwas schlüssiger klingt dagegen zumindest zunächst die These der Political-Process-Theory, dass zunehmende Repression zu einer Radika-

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Die Political-Process-Theory, die besonders im angelsächsischen Raum weit verbreitet ist, wird in Kapitel 2.2.4 noch ausführlich vorgestellt. Für diesen Ansatz findet sich in der wissenschaftlichen Debatte noch eine Reihe von anderen Begriffen, wie etwa Theorie politischer Gelegenheitsstrukturen (political opportunity theory) oder Politische-Prozess-Modelle (political process model). Der englische Originalbegriff hat jedoch den Vorteil, sich eindeutig auf die genannte Theorieschule zu beziehen. Um Missverständnissen und inhaltlichen Akzentverschiebungen durch die deutsche Übersetzung vorzubeugen, ist im Folgenden ausschließlich von Political-Process-Theory die Rede. Vgl. Koopmans, Ruud (2004): Protest in Time and Space: The Evolution of Waves of Contention, in: Snow, David A., Sarah A. Soule und Hanspeter Kriesi (Hg.): The Blackwell Companion to Social Movements, Blackwell Publishing Ltd, S. 19-46, hier S. 29; Tarrow, Sidney (2011): Power in Movement: Social Movements and Contentious Politics, Cambridge University Press, S. 207; Della Porta, Donatella (2013): Clandestine Political Violence, Cambridge University Press, S. 34. (2016): Civil Rights Act, July 2, 1964, in: National Archives (15.08.2016), https://www. archives.gov/legislative/features/civil-rights-1964/civil-rights-act-1964.html (abgerufen am: 17. November 2018).

1. Warum radikalisieren sich politische Akteure? Eine Einleitung

lisierung von Akteuren führen kann.29 Tatsächlich waren die SNCC-Aktivist*innen durch ihre Arbeit in den ländlichen Gebieten der Südstaaten im besonderen Maße der Gewalt seitens des Ku-Klux-Klans und der Repression durch bundesstaatliche und lokale Behörden ausgesetzt. Diese Gewalterfahrungen prägten das Handeln und das Denken der Aktivist*innen und hatten dadurch auch Einfluss auf die Radikalisierung der Organisation. Allein die Feststellung, dass es Repression und Gewalt gab, reicht allerdings nicht aus, um Radikalisierungsprozesse zu erklären, denn andere Organisation wie die SCLC oder die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), die in dieser Zeit ebenfalls in den Südstaaten aktiv waren und in einem ähnlichen Umfeld arbeiteten, radikalisierten sich nicht.30 Die Erfahrungen von Gewalt und Repression können daher die Radikalisierung des SNCC nicht gänzlich erklären. Der starke Zusammenhang zwischen Repression und verweigertem Zugang zu politischen Institutionen einerseits sowie der Entstehung von radikalen Bewegungen andererseits, den die Political-Process-Theory nahelegt, bestätigt sich im Falle des SNCC nicht. Die Radikalisierung des SNCC erweist sich vielmehr als ein vielschichtiger und komplexer Prozess, für dessen Verständnis nicht nur die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die organisationsinternen und identitätsbildenden Prozesse von entscheidender Bedeutung sind. Schließlich muss an dieser Stelle auch die längst nicht so bedeutende, aber dennoch häufig anzutreffende struktur-funktionalistische These vorgestellt werden, wonach die Radikalisierung der Schwarzen Bewegung in den USA auf die prekäre soziale und wirtschaftliche Lage vieler Schwarzer zurückgeführt werden kann.31 Tatsächlich war die Lage vieler Schwarzer Amerikaner*innen in den 1960er-Jahren von Diskriminierung und Armut geprägt – besonders in den Südstaaten. Allerdings begann sich diese Lage zu diesem Zeitpunkt tendenziell zum Positiven zu verändern. Zwischen 1960 und 1969 ging die Arbeitslosigkeit unter der Schwarzen Bevölkerung zurück und gleichzeitig stieg das Durchschnittseinkommen Schwarzer Familien an.32 Darüber hinaus erhielten viele Schwarze in dieser Zeit mehr Zugang zu staatlichen Sozialleistungen und erlangten durch die Bürgerrechtsge-

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Koopmans (2004): Protest in Time and Space: The Evolution of Waves of Contention, S. 29. Umoja, Akinyele O. (1999): The Ballot and the Bullet: A Comparative Analysis of Armed Resistance in the Civil Rights Movement, in: Journal of Black Studies 29/4, S. 558-578, hier S. 564. Vgl. in der Bewegungsforschung: Davies, James C. (1962): Toward a Theory of Revolution, in: American Sociological Review 27/1, S. 5-19; Gurr, Ted Robert (1970): Why Men Rebel, Princeton, N.J: Published for the Center of International Studies, Princeton University [by] Princeton University Press; Meier, August und Elliott Rudwick (1976): Along the Color Line: Explorations in the Black Experience, Urbana, Ill: Univ. of Illinois Press (Blacks in the New World). Farley, Reynolds (1977): Trends in Racial Inequalities: Have the Gains of the 1960s Disappeared in the 1970s?, in: American Sociological Review 42/2, S. 189.

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Fragile kollektive Identitäten

setzgebung mehr demokratische Rechte.33 Das Aufkommen des black nationalism34 und militanter Gruppen Mitte der 1960er-Jahre – wie auch die Radikalisierung des SNCC – fiel daher im Grunde mit einer Verbesserung der Lebenssituation der Schwarzen Bevölkerung zusammen. Die Gleichzeitigkeit dieser beiden auf den ersten Blick gegensätzlichen Entwicklungen scheint zunächst nur schwer erklärbar. Piven und Cloward (1979) haben deshalb vorgeschlagen, die Radikalisierung der Schwarzen Bewegung als Gegenreaktion auf die voranschreitende Integration der Schwarzen Bevölkerung in die weiße Mehrheitsgesellschaft zu verstehen.35 Erst die Verbesserung der Lebenssituation vieler Schwarzer und die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung hätten die Ausbildung eines neuen Schwarzen Selbstbewusstseins ermöglicht, durch das sich schließlich neue Selbstbilder innerhalb der Schwarzen Bewegung in Abgrenzung zur weißen Mehrheitsgesellschaft entwickeln konnten. Anders gesagt: Erst die verstärkte Integration der Schwarzen Minderheitsgesellschaft in die weiße Mehrheitsgesellschaft führte in Teilen der Bürgerrechtsbewegung zu einer Radikalisierung der politischen Forderungen und Aktionsformen.

1.4.

Thesenbildung und Methode

Ich möchte in dieser Arbeit zeigen, dass es mithilfe der Untersuchung von Prozessen kollektiver Identitätskonstruktion möglich ist, Radikalisierungsprozessen in sozialen Bewegungen besser zu verstehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Political-Process-Theory und ihre Betrachtung der jeweiligen politischen Gelegenheitsstrukturen – also die Möglichkeiten und Beschränkung, die das Handeln einer Gruppe oder einer Organisation in einer bestimmten sozialen Umwelt bestimmen – für die Radikalisierung von Aktivist*innen und Gruppen keine Rolle spielen. Im Gegenteil: Ein umfassendes Verständnis von Radikalisierungsprozessen kann es ohne die Betrachtung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen radikale Gruppen und Aktivist*innen agieren und reagieren, nicht geben. Es wird deshalb in dieser Arbeit vor allem darum gehen, die existierenden Forschungsarbeiten zur Radikalisierung zu ergänzen, indem der Blick auf die kognitiven Aspek33 34

35

Piven, Frances Fox und Richard A. Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, Vintage books, S. 255. In dieser Arbeit wird der englische Originalbegriff black nationalism verwendet, da dieser Begriff in der deutschen Übersetzung eine problematische Konnotation besitzt, die seine Verwendung im Rahmen dieser Arbeit ungeeignet macht. Eine erschöpfende Auseinandersetzung mit der Ideengeschichte des black nationalism kann diese Arbeit nicht leisten. Weiterführend siehe auch dazu: Robinson, Dean E. (2001): Black Nationalism in American Politics and Thought, Cambridge University Press. Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, S. 253.

1. Warum radikalisieren sich politische Akteure? Eine Einleitung

te der Radikalisierung von Aktivist*innen und darauf gelenkt wird, wie bestimmte kollektive Identitätskonstruktionen das Handeln von Akteuren vorab prägen. Dabei möchte ich darlegen, dass eine Auseinandersetzung mit kollektiven Identitäten möglich ist, ohne den oben bereits beschriebenen analytischen Kurzschluss zu begehen und sie als Ursache für Radikalisierung an sich zu begreifen. Ich verfolge in der vorliegenden Arbeit insbesondere zwei konkrete Ziele: Einerseits möchte ich auf der Grundlage einer Diskursanalyse zeigen, wie sich die Prozesse der Konstruktion kollektiver Identitäten der SNCC-Aktivist*innen wandelten. Ich gehe davon aus, dass es zu einer grundlegenden Transformation der Konstruktion kollektiver Identitäten innerhalb des SNCC zwischen 1960 und 1967 kam. Es soll also darum gehen, die Radikalisierung des SNCC entlang der Prozesse kollektiver Identitätskonstruktion nachzuvollziehen und die zentralen Merkmale dieser Transformation herauszuarbeiten. Zweitens möchte ich die Prozesse der Konstruktion kollektiver Identitäten nicht nur offenlegen und beschreiben, sondern auch erklären. Wie kam es zu dieser Transformation und welche Dynamiken lassen sich hier identifizieren? Damit eng verbunden ist die Frage, wie die oben genannten Lücken in der Bewegungsforschung bei der Erklärung von Radikalisierungsprozessen in sozialen Bewegungen, wie sie am Beispiel des SNCC offenbar werden, geschlossen werden können. Dabei lassen sich in der Bewegungsforschung selbst interessante Ansätze ausmachen, die in den letzten Jahren in der kritischen Auseinandersetzung mit der rationalistischen Handlungslogik der Political-Process-Theory und der Ressourcenmobilisierungsansätze entstanden sind. Diese Beiträge heben hervor, dass Handlungsoptionen und Entscheidungen von Aktivist*innen in Definitionen kollektiver Identitäten eingebettet sind.36 Es stellt sich konkret die Frage, warum sich das SNCC radikalisierte, obwohl die Organisation eigentlich ›günstige‹ Gelegenheitsstrukturen vorfand, die nach den theoretischen Annahmen der Political-Process-Theory zu einer anderen Entwicklung hätten führen müssen. Die vorliegende Arbeit wird sich daher im Kern mit der Frage beschäftigen: Warum radikalisieren sich politische Akteure, obwohl ihnen auch andere Handlungsalternativen offenstehen, die nach einem instrumentell-rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül ein günstigeres Ergebnis liefern könnten? Diese Debatte hat Erik Ringmar (1996) um eine wichtige Erkenntnis bereichert, die auch für die Erklärung von Radikalisierungsprozessen relevant sein könnte. Ringmar geht davon aus, dass Identitätskonstruktionen vor allem dann für das Handeln von

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Vgl. Daphi, Priska (2011): Soziale Bewegungen und kollektive Identität, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 24/4, S. 13-26; Polletta, Francesca und James M. Jasper (2001): Collective Identity and Social Movements, in: Annual Review of Sociology 27, S. 283-305; Melucci, Alberto (1989): Nomads of the Present: Social Movements and Individual Needs in Contemporary Society, Hutchinson Radius.

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Fragile kollektive Identitäten

Akteur*innen bedeutend werden, wenn sich alte Identitätsbezüge allmählich auflösen. In solchen Situationen trete die Kosten-Nutzen-Kalkulation von Akteur*innen in den Hintergrund und die Verteidigung der eigenen persönlichen oder kollektiven Identität gewinne an Bedeutung.37 Ich möchte in dieser Arbeit den Ansatz Ringmars aufgreifen und ihn für die Erklärung von Radikalisierungsprozessen in sozialen Bewegungen nutzen. Ich verfolge dabei die These, dass die Auflösung alter Identitätsbezüge in der Organisation die Radikalisierung des SNCC befördert haben könnte. Die eingehende Beschäftigung mit den Prozessen kollektiver Identitätskonstruktion im SNCC dürfte daher auch zu einem besseren Verständnis ihrer Radikalisierung beitragen. Im dritten Kapitel dieser Arbeit werde ich diese Thesen ausführlich vorstellen. Methodisch soll mithilfe einer Diskursanalyse die Entwicklung der Organisation in den Jahren von 1960 bis 1968 nachgezeichnet. Dabei nutze ich Siegfried Jägers (1999, 2001) Ansatz einer Kritischen Diskursanalyse, die darauf abzielt, Diskursstränge und Argumentationslinien in Diskursen herauszuarbeiten. Das empirische Ausgangsmaterial besteht aus SNCC-internen Protokollen, Dokumenten, Positionspapieren und anderen Veröffentlichungen, sowie Zeitungsartikeln in denen SNCC-Aktivist*innen zu Wort kamen. Ergänzend wird zudem auf die umfangreiche Sekundärliteratur zur US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und zum SNCC zurückgegriffen. Unterschieden werden drei Phasen: Der erste Untersuchungszeitraum erstreckt sich von der Gründung der Organisation im April 1960 bis zum Juni 1962. In dieser Phase konzentrierte sich das SNCC vor allem auf die Proteste gegen die rassistische Segregation in weiten Teilen der Südstaaten. Der zweite Untersuchungsabschnitt umfasst den Zeitraum von Juni 1962 bis zum Inkrafttreten des Voting Rights Act im August 1965. Diese Phase war stark geprägt von der Wählerregistrierung und dem Community Organizing. Einen Höhepunkt stellte dabei der Freedom Summer 1964 im Bundesstaat Mississippi dar. Bei dieser großangelegten Kampagne versuchten das SNCC und andere Bürgerrechtsorganisationen, möglichst viele Schwarze für die Präsidentschaftswahlen 1964 zu registrieren. In der darauffolgenden Zeit wendete sich das SNCC dem Protest gegen den Vietnamkrieg und der Black-Power-Idee zu. Diese dritte Phase, in der viele Aktivist*innen die Organisation verließen, endet mit dem Jahr 1968, in dessen Verlauf sich das SNCC schließlich auflöste.

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Ringmar, Erik (1996): Identity, Interest and Action - A cultural explanation of Sweden´s intervention in the Thirty Years war, Cambridge University Press.

1. Warum radikalisieren sich politische Akteure? Eine Einleitung

1.5.

Aufbau der Forschungsarbeit

Am Ende dieses einleitenden Kapitels möchte ich den Aufbau dieser Forschungsarbeit kurz beschreiben und die weiteren Schritte vorstellen. Im anschließenden zweiten Kapitel wird die bereits skizzierte theoretische Verortung weiter vertieft. Zunächst wird der Radikalisierungsbegriff, der dieser Arbeit zugrunde liegt, hergeleitet und diskutiert. Darüber hinaus werden verschiedene Beiträge aus der sozialen Bewegungsforschung vorgestellt, die sich mit der Radikalisierung von Gruppen auseinandergesetzt haben. Unter Rückgriff auf die oben aufgeworfenen Fragestellungen wird aus diesen unterschiedlichen Forschungsbeiträgen schließlich ein eigenes Verständnis von Radikalisierungsprozessen entwickelt. Im dritten Kapitel wird dann das konzeptionelle Vorgehen ausführlich dargestellt und insbesondere das theoretische Fundament meiner Arbeit erläutert. Neben der Thesenbildung werde ich die Forschungsmethodik und das empirische Ausgangsmaterial sowie mein Verständnis kollektiver Identität darlegen. Im darauffolgenden vierten Kapitel werden die einschlägigen Ansätze aus der historischen und sozialwissenschaftlichen Forschungsliteratur referiert, die sich bisher mit der Radikalisierung der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung im Allgemeinen und des SNCC im Besonderen beschäftigt haben. In den anschließenden fünften bis siebten Kapiteln werden dann schließlich die organisationsinternen Diskurse innerhalb des SNCC herausgearbeitet und beschrieben. Allen Kapiteln ist eine kurze Entwicklungsgeschichte SNCCs in der jeweiligen Phase vorangestellt, um der Leser*in einen Überblick über die wichtigsten historischen Eckdaten der Organisation zu geben. Dabei orientiere ich mich an den oben bereits vorgestellten drei Analysephasen: Die erste Phase (Kapitel 5) umfasst den Zeitraum von der Gründung des SNCC bis zum Beginn der Wählerregistrierungsprojekte in den ländlichen Gebieten der Südstaaten im Juni 1962. Die darauffolgende Phase (Kapitel 6) umfasst den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des Voting Rights Act im August 1965. Die dritte Untersuchungsphase (Kapitel 7) schließlich erstreckt sich auf die Zeit von 1965 bis zur Auflösung der Organisation im Jahr 1968.Im abschließenden achten Kapitel werden die Ergebnisse aus der vorangegangenen Diskuranalyse noch einmal zusammengefasst, eingeordnet und bewertet.

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2. Theorien politischer Radikalisierung

Was als radikal wahrgenommen und bezeichnet wird, ist immer im hohen Maße abhängig vom jeweiligen politischen, historischen und kulturellen Kontext. Ein Blick in die Geschichte macht das greifbar: Die Proteste auf den Tiananmen-Platz in Peking 1989 waren in den Augen der chinesischen Staatsführung ohne Weiteres als radikal einzustufen, während die gleichen Praktiken in einem anderen gesellschaftlichen Kontext als gewöhnliche und routinemäßige Formen politischer Aktivität anerkannt sind. Aber auch in westlichen Demokratien gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen und Einschätzungen darüber, welche Formen des politischen Protests als akzeptabel und legitim gelten können. So sind Studierenden- und Gewerkschaftsproteste in Frankreich traditionell wesentlich militanter als beispielsweise in Deutschland oder den USA.1 In Frankreich wurden im Frühjahr 2013 solche Aktionsformen sogar im Nachhinein politisch legitimiert, indem die sozialistische Regierung ein Amnestiegesetz für Gewerkschafter verabschiedete, die zwischen 2007 und 2013 an gewaltsamen Protesten gegen ihre Arbeitgeber oder staatliche Behörden teilgenommen hatten.2 Ein solcher Vorgang wäre vermutlich in vielen anderen Ländern völlig undenkbar. Er zeigt jedoch exemplarisch, wie sich die Vorstellungen über gesellschaftlich akzeptierte Formen der politischen Auseinandersetzung selbst im europäischen Kontext erheblich unterscheiden können. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der Radikalisierung macht daher zunächst eine sorgfältige und eingehende Auseinandersetzung mit den existierenden Konzepten von Radikalität und Radikalisierung notwendig. Zwar lassen sich dadurch nicht alle Widersprüche auflösen, die diese Begriffe in sich tragen, allerdings werden dadurch ihre analytischen Grenzen und Möglichkeiten aufgezeigt und für die weitere Diskussion aufbereitet. Das scheint gerade angesichts einer oftmals aufgeheizten öffentlichen Debatte über die Radikalisierung von unterschiedlichsten Akteuren geboten.

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Rucht, Dieter (1991): Research on Social Movements: The State of the Art in Western Europe and the USA, Frankfurt a.M.: Campus-Verlag, S. 157ff. Hanke, Thomas (2013): Straffreiheit für militante Gewerkschafter, in: Handelsblatt (05.03.2013).

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Fragile kollektive Identitäten

2.1.

Radikalisierung – Die Schwierigkeit einer Definition

Die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Begriff der Radikalisierung ist vor allem durch Beiträge aus der Terrorismusforschung und der sozialen Bewegungsforschung geprägt. Dabei nähern sich die beiden Forschungszweige dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven, beziehen sich jedoch nur äußerst selten aufeinander.3 Die Terrorismusforschung, der es vor allem darum geht, gewaltsames Handeln von terroristischen Akteuren zu verstehen und Strategien zur Verhinderung von terroristischen Angriffen zu entwickeln, konzentriert sich meist auf die psychologischen Prozesse in solchen Gruppen. Die Bewegungsforschung untersucht demgegenübervorrangig politische Gelegenheitsstrukturen und Prozesse, die die Radikalisierung sozialer Bewegungen befördern.4 Gegen etliche Studien aus der Terrorismusforschung wurde dabei eingewandt, es mangle ihnen an wissenschaftlicher Qualität und empirischer Fundierung ihrer Ergebnisse.5 Historisch wandelte sich der Begriff radikal im Laufe der letzten Jahrhunderte stetig. Das heutige populäre Verständnis entspricht nicht mehr seiner ursprünglichen Bedeutung.6 Das Wort radikal stammt vom mittelalterlichen lateinischen Wort radicalis ›an die Wurzel gehend‹, das sich wiederum vom lateinischen Wort für Wurzel rādīx (Gen. rādīcis) ableitet.7 Im 16. Jahrhundert bezeichnete man fundamentale Naturgesetze oder das tiefere Wesen von Dingen und Personen als radikal. Bereits im 18. Jahrhundert diente der Begriff radikal dann auch zur Bezeichnung derjenigen Kräfte und Prozesse, die zu einer Veränderung dieser fundamentalen Eigenschaften von Dingen oder Personen führen. Am Ende des 18. Jahrhunderts tauchte das Konzept der ›radikalen Reform‹ erstmals in der englischen Politik auf, um politischen Wandel zu beschreiben. Im 19. Jahrhundert verstanden sich insbesondere die liberalen Reformer in England als politisch radikal. Seine gegenwärtige Bedeutung erlangte der Begriff schließlich im 20. Jahrhundert: Als radikal galten dabei vor allem revolutionäre Bewegungen und Gruppen, die sich auf sozialistische oder faschistische Überzeugungen beriefen. Heutzutage wird das Wort radikal im

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Della Porta (2013): Clandestine Political Violence, S. 11. Della Porta/LaFree (2012): Processes of Radicalization and De-Radicalization, S. 6; Vgl. auch: Sedgwick, Mark (2010): The Concept of Radicalization as a Source of Confusion, in: Terrorism and Political Violence 22/4, S. 479-494; Schmid, Alex P. (2013): Radicalisation, De-Radicalisation, Counter-Radicalisation: A Conceptual Discussion and Literature Review. Für eine ausführliche Kritik an der aktuellen Terrorismusforschung siehe: Della Porta (2013): Clandestine Political Violence, S. 11ff. Mandel, David R. (2009): Radicalization: What does it mean?, Home-grown terrorism: Understanding and addressing the root causes of radicalisation among groups with an immigrant heritage in Europe, S. 101-113, hier S. 104. Pfeifer, Wolfgang (1997): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

2. Theorien politischer Radikalisierung

Hinblick auf politisch-weltanschauliche Haltungen und Verhaltensweisen als Synonym für kompromisslos, unnachgiebig oder extrem eingestellt verwendet.8 Stand der Begriff radikal anfangs noch für die fundamentalen Eigenschaften der Natur oder von Personen, so wandelte er sich seit dem 18. Jahrhundert zu einem politischen Begriff, der die Überwindung der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse beschreibt.9 Mark Sedgwick (2010) hat darauf aufmerksam gemacht, dass man zwischen einer relativen und einer absoluten Bedeutung des Radikalismus-Begriffes differenzieren muss. Ein relatives Verständnis definiert das Radikale in Abgrenzung zum Moderaten. In einem festen Spektrum von verschiedenen politischen Meinungen kann beispielsweise eine radikale Position von einer moderaten Meinung unterschieden werden. Beide Positionen besitzen eine relative Differenz zueinander und folgerichtig kann man die Bewegung von einer moderaten zu einer radikalen Position als Radikalisierung bezeichnen. Das setzt allerdings voraus, dass sich sagen lässt, was unter moderat zu verstehen ist.10 Darüber hinaus gibt es auch eine absolute Definition von Radikalismus. Der häufig anzutreffenden Differenzierung zwischen Radikalismus und Reformismus liegt beispielsweise eine solche Definition zugrunde. Während Reformer*innen die gesellschaftlichen Strukturen intakt lassen möchten und ihr politisches Handeln darauf ausgerichtet ist, bestimmte Zustände oder Prozeduren zu ändern bzw. zu verbessern, stellen Radikale diese Strukturen grundsätzlich infrage. Das Ziel der Radikalen ist die Überwindung der herrschenden politischen Ordnung und nicht deren Modifizierung.11 Eine solche Definition ist jedoch nicht unproblematisch, da sie weit gefasst ist und keineswegs trennscharf festlegt, was Radikalismus ist und was nicht. Insbesondere wenn wir über den Kreis westlicher Demokratien hinausgehen, werden ihre Schwächen offenbar. So wären Menschen, die in autoritären Staaten auf einen demokratischen Regimewechsel hoffen, nach diesem Verständnis Radikale. Auch sieht eine solche Definition darüber hinweg, ob Aktivisten*innen bestimmte politische Ziele mit friedlichen oder mit gewaltsamen Mittel erreichen wollen, denn entscheidend ist vor allem ihre Gesinnung. Nicht zuletzt aufgrund der Schwierigkeiten, radikale und moderate Überzeugungen voneinander zu unterscheiden, haben zahlreiche Autor*innen damit begonnen, sich nicht ausschließlich mit den Überzeugungen radikaler Akteure auseinanderzusetzen, sondern vor allem auch mit ihren Praktiken. Sie gehen davon aus, dass sich Radikalismus nicht in einer bestimmten psychologischen Verfasstheit oder in einem bestimmten Denken von Akteuren, sondern vielmehr in einem bestimmten Handeln äußert.12 Die Ausbildung von radi8 9 10 11 12

Ebd. Mandel (2009): Radicalization: What does it mean?, S. 104. Sedgwick (2010): The Concept of Radicalization as a Source of Confusion, S. 481. Ebd., S. 482; Paz, Octavio (1978): The Labyrinth of Solitude, New York: Grove Press, S. 21-22. Sedgwick (2010): The Concept of Radicalization as a Source of Confusion, S. 483.

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Fragile kollektive Identitäten

kalen Überzeugungen und der Übergang zu radikalen Praktiken kann wiederum als ein Prozess der Radikalisierung beschrieben werden. Es lassen sich daher in der aktuellen Forschung drei verschiedene Aspekte von Radikalismus ausmachen: Man kann unterscheiden zwischen radikalen Überzeugungen, radikalen Praktiken und einem Prozess der Radikalisierung.13 Was genau diesen Radikalisierungsprozess ausmacht, ist allerdings Gegenstand von kontroversen Diskussionen. Konsensfähig scheint nur zu sein, dass Radikalisierung ein Prozess ist, in dessen Verlauf Aktivist*innen zu der Überzeugung gelangen, dass ein erstrebenswerter politischer Wandel nicht im Rahmen der herrschenden politischen Ordnung umsetzbar ist, und deshalb auf bestimmte Praktiken zurückgreifen, die außerhalb des gesellschaftlich akzeptierten Rahmens für politischen Protest liegen und oftmals die Grenze zur Illegalität überschreiten. Uneinigkeit herrscht hingegen darüber, wann dieser Prozess beginnt und wodurch er ausgelöst wird. Damit verbunden ist die Frage, welchen Zusammenhang es zwischen radikalen Ideen und radikalem Handeln gibt.14 In der Auseinandersetzung mit islamistischem Terrorismus ist diesbezüglich in den vergangenen Jahren eine Debatte darüber entstanden, inwiefern bestimmte islamische Denkschulen, wie der Salafismus und der Wahabismus, die Entstehung von terroristischen Gruppen befördert haben. Im Kern geht es hierbei um die Frage, ob bestimmte Ideen und Weltbilder, die beispielweise in Ideologien oder religiösen Glaubensgrundsätzen angelegt sind, die Radikalisierung von Individuen und Gruppen in besonderer Weise vorantreiben können.15 Die sozialwissenschaftliche Forschung konnte bisher keine empirischen Belege für einen solchen Zusammenhang finden. So haben Sophia Moskalenko und Clark McCauley (2017) darauf hingewiesen, dass eine deutliche Mehrheit der Salafisten und Wahabisten trotz ihres fundamentalistischen Weltbildes den Einsatz von Gewalt oder Terrorismus ablehnt.16 Darüber hinaus haben sie gezeigt, dass terroristische Taktiken in verschiedensten politischen Konflikten und historischen Szenarien anzutreffen sind. Radikalisierung auf bestimmte ›schlechte Ideologien‹ zurückführen 13

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Cross, Remy (2012): Radicalism, in: Snow, David A. u.a. (Hg.): The Wiley-Blackwell Encyclopedia of Social and Political Movements, Blackwell Publishing Ltd; Snow, David und Remy Cross (2011): Radicalism within the Context of Social Movements: Processes and Types, in: JSS Journal of Strategic Security 4/4, S. 115-130, hier S. 117. Cross (2012): Radicalism, S. 1050. Vgl. Kepel, Gilles (2006): Jihad: The Trail of Political Islam, I.B.Tauris; Eckert, Roland (2012): Die Dynamik der Radikalisierung: über Konfliktregulierung, Demokratie und die Logik der Gewalt, Weinheim u.a.: Beltz; Kepel, Gilles (2016): Terror in Frankreich: Der neue Dschihad in Europa; Roy, Olivier (2017): »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod«: Der Dschihad und die Wurzeln des Terrors, Siedler Verlag; Neumann (2013): The Trouble with Radicalization. McCauley, Clark R. und Sophia Moskalenko (2016): Friction: How Conflict Radicalizes Them and Us, Oxford University Press, S. 279; Roy (2017): »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod«: Der Dschihad und die Wurzeln des Terrors, S. 15; Neumann (2013): The Trouble with Radicalization; Borum (2011): Radicalization into Violent Extremism I: A Review of Social Science Theories, S. 8.

2. Theorien politischer Radikalisierung

zu wollen, die eine besondere Prädisposition zu gewaltsamen Handeln aufweisen,17 ist schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil sich Radikalisierungsprozesse in Gruppen mit ganz unterschiedlichen ideologischen Hintergründen, sei es beispielsweise nationalistischer, marxistisch-sozialistischer oder auch christlichfundamentalistischer Provenienz, wiederfinden lassen. Die beiden Autor*innen halten daher fest: »Radicalization is not something that happens only to others – the mentally ill person or the evil character. It is a psychological trajectory that given the right circumstances, can happen to any person, group, or nation.«18 Eine weitere, in der Forschung kontrovers diskutierte Frage lautet, ob man bereits bei der Zustimmung zu einer bestimmten Ideologie von einer Radikalisierung sprechen kann oder ob ausschließlich das tatsächliche Handeln als entscheidendes Kriterium begriffen werden sollte. Diese Debatte kommt vor allem in der Verwendung des Gewaltbegriffs zum Ausdruck. Während einige Ansätze Gewalt nur als einen Aspekt von Radikalisierung verstehen, sehen andere darin ein zentrales Merkmal radikaler Bewegungen. Beispielsweise geht Roland Eckert (2012) in seiner Definition nur am Rande auf die Rolle von Gewalt ein: »In gesellschaftlichen Konflikten bezeichnet Radikalisierung einen Prozess, in dem die Abgrenzung zwischen Gruppen zunehmend verschärft und mit feindseligen Gefühlen aufgeladen wird. Dieser Prozess ist zumeist verbunden mit einer Betonung der sozialen Identität, die durch die positive Bewertung der Eigengruppe und die Ablehnung einer anderen Gruppe verbunden ist. […] Radikalisierung muss nicht notwendig zu Gewalt führen«.19 Eckert plädiert dafür, die »Begriffe Radikalisierung und Gewalt nicht zu konfundieren«.20 Ob es zu Gewalt komme und diese Gewalt dann wieder Radikalisierung vorantreibe oder ob Gewalt vermieden werden könne, hänge davon ab, ob sich gegnerische Gruppen auf übergreifende Werte oder prozedurale Normen von Politik verpflichten lassen würden.21 Im Gegensatz dazu steht die Definition von Eitan Y. Alimi, Chares Demetriou und Lorenzo Bosi (2015). Sie verstehen Radikalisierung ausschließlich als einen Prozess des Übergangs von gewaltlosen zu gewaltsamen Taktiken politischer Auseinandersetzung: »By radicalization we mean the process through which a social movement organization (SMO) shifts from predominantly nonviolent tactics of contention to tactics that include violent means, as well as the subsequent process of contentious maintaining and possibly intensifying the newly introduced

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McCauley/Moskalenko (2016): Friction: How Conflict Radicalizes Them and Us, S. 5. McCauley und Moskalenko: Friction: How Conflict Radicalizes Them and Us, Oxford University Press 2016, S. 4. Eckert (2012): Die Dynamik der Radikalisierung: über Konfliktregulierung, Demokratie und die Logik der Gewalt, S. 10. Ebd. Ebd., S. 10-11.

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Fragile kollektive Identitäten

violence.«22 Zwar würden in der Frühphase von Radikalisierungsprozessen durchaus auch nicht-institutionalisierte gewaltlose Formen des Protestes, wie etwa Demonstrationen, Lobbyismus, Petitionen, Streiks, Blockaden und Besetzungen, eine wichtige Rolle spielen, allerdings sei letztlich das Ausmaß der Gewalt das entscheidende Kriterium für Radikalisierung. Es sei falsch, den Intentionen der Aktivist*innen analytisch Priorität einzuräumen.23 Deshalb halten die Autoren fest: »What matters the most is ultimately the actual outcome of violence because this always enters the course of the interactions that comprise a contention.«24 Während Roland Eckert Radikalisierung als Begleiterscheinung sich zuspitzender Gruppenkonflikte versteht, die wiederum in unterschiedlichen Weltanschauungen und Ideologien wurzeln, stellen Alimi, Demetriou und Bosi die konkreten Praktiken der Handelnden in den Mittelpunkt ihrer Definition von Radikalisierung. In der Literatur über die Radikalisierung sozialer Bewegungen ist diese enge Verknüpfung von Gewalt und Radikalisierung weit verbreitet.25 Auch Donatella della Porta und Gary LaFree (2012) halten in diesem Zusammenhang fest: »Many researchers conceptualize radicalization as process characterized by increasing commitment to and use of violent means and strategies in political conflicts.«26 Im Gegensatz zu Alimi, Demetriou und Bosi gehen sie jedoch nicht davon aus, dass Gewalt und Radikalisierung zwangsläufig miteinander einhergehen: »Radicalization from this point of view entails a change in perception towards polarizing and absolute definitions of a given situation, and the articulation of increasingly ›radical‹ aims and objectives. It may evolve from enmity towards certain social groups, or societal institutions and structures. It may also entail the increasing use of violent means.«27 Gewalt kann ein Resultat von Radikalisierung sein, muss es aber nicht. In der Terrorismusforschung lässt sich eine ähnliche Debatte nachzeichnen. Hier hat sich seit Längerem die konzeptionelle Unterscheidung zwischen kognitiver Radikalisierung und radikalem Handeln etabliert.28 Kontrovers diskutiert wird, ob und wie eine kognitive Radikalisierung dazu führt, gewaltsam zu handeln. Die Terrorismusforschung kreist somit um die gleiche Fragestellung wie auch die Ansätze aus der Bewegungsforschung, allerdings mit einer spezifischen Zielrichtung: 22 23 24 25

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Alimi/Demetriou/Bosi (2015): The Dynamics of Radicalization: A Relational and Comparative Perspective, S. 13. Ebd., S. 12-13. Ebd., S. 13. Daphi, Priska und Felix Anderl (2016): Radicalization and Deradicalization in Transnational Social Movements: A Relative and Multi-level Model of Repertoire Change; Della Porta (2013): Clandestine Political Violence. Della Porta/LaFree (2012): Processes of Radicalization and De-Radicalization, S. 6. Ebd., S. 7. Vgl. Neumann, Peter R. (2013): The Trouble with Radicalization, in: International Affairs 89/4, S. 873-893, hier S. 874.

2. Theorien politischer Radikalisierung

Lohnt es sich, sich mit den Überzeugungen von Handelnden zu beschäftigen, oder sollte man sich vor allem auf das konkrete Handeln konzentrieren, wenn es gilt, die Erwartung von Sicherheitsbehörden zu erfüllen, Gewalttaten durch potenzielle Straftäter möglichst effizient zu verhindern?29 Im Grunde geht es auch hier um die Frage, wann ein Radikalisierungsprozess beginnt. Ist die kognitive Radikalisierung eine zentrale Voraussetzung für späteres radikales, möglicherweise sogar gewaltsames Handeln oder ist sie nur einer von zahlreichen Wegen, der in ein solches Handeln mündet? Dem Psychologen Randy Borum (2011) zufolge trägt die Beschäftigung mit den Überzeugungen von Handelnden nur wenig zum Verständnis von Radikalisierungsprozessen bei. Er führt an, dass die meisten islamistischen Terrorist*innen keine Ideologen oder tief religiöse Menschen sind, sondern sich auf anderen Wegen radikalisiert haben.30 Auch der Politikwissenschaftler Olivier Roy (2017) argumentiert in diese Richtung. Er sieht in einer Ideologie lediglich einen narrativen Rahmen, der ohnehin schon radikalisierten Individuen dazu dient, ihr eigenes (gewaltsames) Handeln zu rechtfertigen. Nur die wenigsten islamistischen Terrorist*innen der letzten Jahre sind über eine intensive Beschäftigung mit dem Islam (insbesondere dem Salafismus) zu radikalen Islamisten geworden.31 Borum plädiert deshalb dafür, dass sich die Terrorismusforschung verstärkt untersucht, wie sich Handelnde radikalisieren, anstatt ständig zu fragen, warum sich Menschen terroristischen Taktiken werden.32 Peter Neumann (2013) wiederum hat sich gegen die Tendenz in der aktuellen Forschung gewendet, ausschließlich gewaltsames Handeln als Kriterium für eine Radikalisierung heranzuziehen. Seiner Ansicht nach ist es nicht sinnvoll, das Handeln von verschiedenen Einzelpersonen oder Gruppen in erheblich unterschiedlichen Situationen miteinander gleichzusetzen, nur weil sie die gleichen Taktiken verwenden. Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung zu nutzen, sei nur »a thin crust atop a very deep pie«.33 Daher blieben Erklärungsansätze von politischer Gewalt, die einzig und allein auf das Handeln der Beteiligten abstellen, nur oberflächlich, wenn sie nicht den politischen und sozialen Kontext betrachteten.34 Damit kritisiert Neumann auch dominierende Debatten in den Sozialwissenschaften, die die Frage danach, wie Aktivist*innen in sozialen Bewegungen oder radikalen Gruppen aktiv werden, in den Mittelpunkt rücken und die Frage nach

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Ebd., S. 883. Borum (2011): Radicalization into Violent Extremism I: A Review of Social Science Theories, S. 9. Roy (2017): »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod«: Der Dschihad und die Wurzeln des Terrors, S. 69ff. Borum (2011): Radicalization into Violent Extremism I: A Review of Social Science Theories, S. 2. Neumann (2013): The Trouble with Radicalization, S. 883; bezieht sich auf Brian Jenkins: ›Foreword‹ in: Lesser, Ian O. u.a. (1999): Countering the New Terrorism (1999), https://www.rand.org/ pubs/monograph_reports/MR989.html (abgerufen am: 9. Juli 2017). Neumann (2013): The Trouble with Radicalization, S. 883.

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Fragile kollektive Identitäten

dem Warum vernachlässigen. Das Forschungsinteresse lediglich darauf zu richten, übergreifende Mechanismen zu identifizieren, die Radikalisierungsprozesse in unterschiedlichen historischen und politischen Kontexten erklären, greift aus seiner Sicht zu kurz, um das Phänomen der Radikalisierung umfassend verstehen zu können.35 Moskalenko und McCauley (2008) haben eine Definition von Radikalisierung vorgeschlagen, die eine Brücke zwischen diesen beiden Polen in der Debatte schlagen kann. Sie lautet folgendermaßen: »Functionally, political radicalization is increased preparation for and commitment to intergroup conflict. Descriptively, radicalization means change in beliefs, feelings, and behavior in directions that increasingly justify intergroup violence and demand sacrifice in defense of the ingroup.«36 Aus Sicht von Moskalenko und McCauley ist Radikalisierung nicht einfach nur das Resultat sich zuspitzender Gruppenkonflikte bzw. Ausdruck einer zunehmenden Bereitschaft, Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer Ziele einzusetzen, sondern beschreibt vielmehr einen Wandel in den Überzeugungen und Praktiken von Handelnden, der zur Folge hat, dass Gewalt gegenüber anderen Gruppen gerechtfertigt wird und die Tendenz wächst, die eigene Gruppe – auch gewaltsam – zu verteidigen. Obwohl sich die Definitionen von Della Porta und LaFree auf der einen und Moskalenko und McCauley auf der anderen Seite sehr ähneln, verfolgen letztere einen weiter gefassten Ansatz. Für Moskalenko und McCauley ist nicht das Aufkommen von Gewalt, sondern die Zunahme von Gruppenkonflikten das zentrale Merkmal von Radikalisierungsprozessen. Dabei sind diese Prozesse immer unmittelbar verbunden mit einer verstärkten Neigung der Handelnden zu gewaltsamem Handeln. In diesem Punkt unterscheiden sich Moskalenko und McCauley von Eckart, dessen Definition diesen engen Zusammenhang nicht enthält.37 Vieles spricht dafür, in dieser zentralen Debatte der Radikalisierungsforschung, die sich entlang der Frage formiert, ob nun Überzeugungen oder Praktiken die treibenden Kräfte in Radikalisierungsprozessen sind, einen Mittelweg einzuschlagen. Deshalb möchte ich mich in dieser Arbeit auf die Definition von Moskalenko und McCauley beziehen. Ihre Definition erkennt einerseits an, dass der Einsatz von Gewalt ein wichtiges Merkmal zahlreicher radikaler Gruppierungen ist, räumt andererseits jedoch auch ein, dass Radikalisierungsprozesse nicht zwangsläufig von Gewalt geprägt sein müssen.38 Besonders bei der Betrachtung von sozialen Bewegungen ist die Verengung auf Gewalt nicht hilfreich. Im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, auf diese Weise alle sozialen Bewegungen, die 35 36 37 38

Ebd., S. 881. McCauley, Clark und Sophia Moskalenko (2008): Mechanisms of Political Radicalization: Pathways Toward Terrorism, in: Terrorism and Political Violence 20/3, S. 415-433, hier S. 416. Eckert (2012): Die Dynamik der Radikalisierung: über Konfliktregulierung, Demokratie und die Logik der Gewalt, S. 10-11. Neumann (2013): The Trouble with Radicalization.

2. Theorien politischer Radikalisierung

radikale politische Forderungen äußern, in die Nähe von gewaltbereiten oder terroristischen Gruppen zu rücken. Deshalb kritisieren Priska Daphi und Felix Anderl (2016) zu Recht: »The depiction of a clear sequence from a radical analysis of society towards violent and even terrorist behaviour is not helpful in analytic terms; in fact, it can even function as a disciplining tool with a conservative tendency.«39 Darüber hinaus verhindert der einseitige Blick auf die gewaltsamen Praktiken von Handelnden die Beschäftigung mit der Frage, warum überhaupt bestimmte radikale Überzeugungen bei diesen Handelnden entstehen. Das bedeutet auch, dass eine intensivere Auseinandersetzung damit stattfinden muss, wie radikale Akteure kollektive Identitäten ausbilden und wie diese sich im Laufe eines Radikalisierungsprozesses verändern.

2.2.

Erklärungsansätze für Radikalisierung aus der Bewegungsforschung

Nachdem die Begrifflichkeit diskutiert worden ist, werden im Folgenden die unterschiedlichen Ansätze vorgestellt, die die Bewegungsforschung entwickelt hat, um die Radikalisierung von individuellen und kollektiven Akteuren zu erklären. Dabei sollen der existierende Forschungsstand überblickshaft skizziert und einige zentrale Forschungserkenntnisse dargestellt werden.

2.2.1.

Struktur-funktionalistische Ansätze

Der Soziologe Egon Bittner (1963) beschäftigte sich bereits in den 1960er-Jahren mit der Entstehung von Radikalismus und den Bedingungen für Radikalisierung. Er prägte mit seinem Konzept die struktur-funktionalistische Debatte in den darauffolgenden Jahren. Dabei unterscheidet er zwischen ›normalen‹, d.h. traditionellen Weltanschauungen (»common-sense outlook«) und radikalen Überzeugungen (»radical outlook«).40 Nach Bittner sind radikale Bewegungen durch Doktrinen und Überzeugungen geprägt, die einen einheitlichen, in sich absolut konsistenten Rahmen zur Interpretation der Welt liefern und die ›normale‹ Weltanschauung ablehnen oder sogar bekämpfen. Sein Konzept entwickelt Bittner vor dem Hintergrund des Aufstiegs der nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland, die ihm als eine Art Blaupause für seine Untersuchung zu radikalen Bewegungen dient. Die

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Daphi/Anderl (2016): Radicalization and Deradicalization in Transnational Social Movements: A Relative and Multi-level Model of Repertoire Change, S. 14. Bittner, Egon (1963): Radicalism and the Organization of Radical Movements, in: American Sociological Review 28/6, S. 928-940, hier S. 929.

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Fragile kollektive Identitäten

Nationalsozialisten hätten es geschafft, so Bittner, ihr geschlossenes, ›radikales‹ Weltbild zu einer Staatsdoktrin zu erheben. In Anlehnung an Max Weber räumt Bittner zudem einer charismatischen Führungspersönlichkeit eine wichtige Rolle bei der Entstehung von radikalen Bewegungen ein.41 Radikale Führer nutzen mystische Elemente, die sich den Erfahrungsmöglichkeiten des Einzelnen entziehen, um eine radikale Doktrin zu begründen. Zudem zeichnen sich radikale Bewegungen durch eine ausgeprägte Bereitschaft ihrer Mitglieder zur Selbstaufgabe aus: Kein Bereich des Lebens liegt außerhalb der Reichweite der radikalen Doktrin. Es gibt keine persönliche Freiheit. Die eigenen Bedürfnisse müssen hinter die Interessen der Bewegung zurückgestellt werden, so Bittner.42 In der Folge brechen viele Mitglieder radikaler Gruppen alle Verbindungen zur Welt außerhalb der Organisation ab. Auch die persönliche Opferbereitschaft eines jeden Mitglieds der Gruppe ist integraler Bestandteil einer radikalen Doktrin. Sie ist aus Sicht der Anhänger zentrale Voraussetzung für den Fortschritt und den Erfolg der Bewegung. Diese Vorstellungen kulminieren mitunter im Ideal des Märtyrers, der sich für die Gemeinschaft oder im Kampf gegen das Böse opfert. Der Widerstand von außen, auf den eine Bewegung stößt, kann die radikale Gemeinschaft noch enger zusammenschweißen und somit den Weg zurück in die ›normale‹ Welt für die einzelnen Mitglieder unmöglich machen.43 Bittner entwirft eine sozialpsychologische Erklärung für die Entstehung von radikalen Bewegungen, die er vor allem auf zwei Faktoren zurückführt: Einerseits geht er davon aus, dass sozial ausgegrenzte Schichten der Gesellschaft für Radikalismus besonders anfällig sind. Ob Menschen eine Affinität zu radikalen Überzeugungen haben, hängt demnach von ihrer sozialen Position bzw. ihrer Klassenzugehörigkeit ab. Bittner ist jedoch davon überzeugt, dass Radikalismus nicht nur durch die soziale Position oder eine besondere Betroffenheit, beispielsweise von gesellschaftlicher Ausgrenzung, erklärt werden kann. Vielmehr schreibt er auch den persönlichen Charaktereigenschaften des Einzelnen eine große Bedeutung zu. Ihm zufolge tendieren Menschen zu radikalen Überzeugungen, weil ihre psychische Konstitution sie dafür empfänglich macht. So sind es vor allem das Bedürfnis nach Abhängigkeit und sadomasochistische Neigungen, die Menschen in radikale Bewegungen treiben. Für Bittner hat Radikalismus also immer eine soziale und eine psychologische Dimension, die nicht getrennt voneinander behandelt werden können, und beide Dimensionen müssen genauer betrachtet werden, um die Entstehung von radikalen Überzeugungen besser zu verstehen.44 Dabei entwirft Bittner ein Bild von radikalen Bewegungen, in denen Individuen ausschließlich

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Ebd., S. 937. Ebd., S. 938. Ebd., S. 939. Ebd.

2. Theorien politischer Radikalisierung

reaktiv handeln. Er versteht sie nicht als interessengesteuerte Akteure, sondern leitet ihr Handeln aus den sozialen Strukturen und ihren persönlichen Charaktereigenschaften ab. Diejenigen, die in radikalen Bewegungen aktiv sind, werden dadurch implizit zu pathologischen Fällen erklärt. Mit dieser Vorstellung stand Bittner in den 1960er-Jahren keineswegs allein. Damals bestimmte der strukturfunktionalistische Ansatz von Talcott Parsons die sozialwissenschaftliche Debatte. Parsons verstand soziale Bewegungen vor allem als eine Bedrohung für die moderne westliche Zivilisation.45 Protestbewegungen stellten aus seiner Sicht eine Reaktion auf gesellschaftliche Rationalisierungsprozesse dar. Sein Schüler Neil Smelser (1962) systematisierte diesen Ansatz in einer Arbeit über die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts weiter und fasste ihn in einer »Theorie kollektiven Verhaltens« zusammen. Er erklärt die Entstehung von Bewegungen durch soziale Transformationsprozesse, die sich so schnell vollziehen, dass sie das gesellschaftliche Gleichgewicht aus den Angeln heben. In Zeiten von gesellschaftlichen Umbrüchen reflektierten soziale Bewegungen – wie im Übrigen jegliches kollektive Verhalten – die Unfähigkeit der Institutionen und sozialen Kontrollmechanismen, soziale Kohäsion (wieder-)herzustellen. Gleichzeitig seien sie aber auch Versuche, auf Krisensituationen mit der Entwicklung gemeinsamer Glaubensgrundsätze zu reagieren, um auf dieser Basis eine neue kollektive Identität zu begründen. Kollektives Handeln, sowohl in sozialen Bewegungen als auch bei gewaltsamen Unruhen, ist folglich nur eine Reaktion auf Störungen im sozialen System, die durch Industrialisierung, Urbanisierung oder plötzlich ansteigende Arbeitslosigkeit verursacht werden können.46 Diesem Verständnis nach sind soziale Bewegungen nichts anders als der Versuch von Individuen, mit ihrer durch gesellschaftliche Unsicherheit hervorgerufenen Statusinkonsistenz umzugehen. Bewegungen haben somit keinen politischen, sondern vielmehr einen therapeutischen Charakter. Die Entfremdung und die Unzufriedenheit des Einzelnen wird zum ausschlaggebenden Moment für die Beteiligung an Protesten.47 Damit verfolgt Smelser einen ähnlichen Grundansatz wie Bittner. Während jedoch Smelser einen makro-theoretischen

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Parson, Talcott (1993): Max Weber and the Contemporary Crisis, in: Gerhardt, Uta (Hg.): On National Socialism, 1. Aufl., New York: Aldine Transaction, S. 159-187, hier S. 184; zitiert in: Pettenkofer, Andreas (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, Frankfurt a.M.: Campus-Verl (Theorie und Gesellschaft; 67), S. 21. Smelser, Neil J (1962): Theory of Collective Behavior, New York: Free Press; zitiert in: Della Porta, Donatella und Mario Diani (2006): Social Movements: An Introduction, 2. Aufl., Malden, Mass.u.a.: Blackwell, S. 7; McAdam, Doug (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, 2. Aufl., Chicago: University of Chicago Press, S. 8f. McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 10. Vgl. auch: Della Porta/Diani (2006): Social Movements: An Introduction, S. 7; Herkenrath, Mark (2011): Die Globalisierung der sozialen Bewegungen, Verlag für Sozialwissenschaften, S. 40ff.

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Fragile kollektive Identitäten

Rahmen für die Entstehung von Protestbewegungen entwarf, arbeitete Bittner die psychosozialen Merkmale radikaler Bewegungen heraus. In seinem Buch »Why Men Rebel« versucht Ted Gurr (1970 [2015]), diese beiden Ebenen zusammenführen. Er entwirft ein Konzept, das strukturelle und psychosoziale Faktoren miteinander verbindet. Dabei beschäftigt sich Gurr jedoch weniger mit radikalen Bewegungen im Allgemeinen, sondern wendet sich vor alllem der Entstehung von Aufständen und kollektiver Gewalt zu. Er kommt zu dem Ergebnis, dass eine wachsende Diskrepanz zwischen den persönlichen Erwartungen und der tatsächlichen Lebenssituation von Menschen zu Frustration und schließlich zu Aggression führen kann. Diesen Mechanismus bezeichnet Gurr in als »relative deprivation«.48 Damit greift er einen Begriff von James Davies (1962) auf, der zeigen konnte, dass die Wahrscheinlichkeit von Revolutionen vor allem dann zunimmt, wenn nach einer langen Phase objektiver ökonomischer und sozialer Verbesserung ein heftiger Rückschlag folgt. Die Chancen für einen gewaltsamen Aufstand steigen demzufolge insbesondere dann, wenn die Erwartungen der Handelnden konstant bleiben oder sogar weiter wachsen, sich ihre tatsächliche Lebenssituation aber rapide verschlechtert.49 Gurr sieht also einen direkten Zusammenhang zwischen der Entstehung von Frustration und Unzufriedenheit in der Gesellschaft und dem Aufkommen von Unruhen und kollektiver Gewalt. Für das einzelne Individuum erfülle diese Aggression zwei Funktionen: Einerseits erhofft es sich dadurch eine konkrete Verbesserung seiner Situation. Aggression ist also eine rational nachvollziehbare Handlungsoption für das Individuum. Andererseits muss die Ausübung von Gewalt nicht unbedingt einem rationalen Kalkül folgen. Denn schon allein die Ausübung von Aggression verschafft den frustrierten Individuen laut Gurr eine gewisse Befriedigung. Die eigentlichen Motive von Gewalt seien in diesen Fällen rational häufig nicht fassbar.50 Frustration und Unzufriedenheit können wiederum unterschiedliche soziale Ursachen haben. Gurr zufolge haben Wirtschaftskrisen nur einen geringen Einfluss auf den Ausbruch von Unruhen;51 auf der Grundlage einer statistischen Auswertung von Aufständen und Unruhen in 21 Ländern zwischen 1961 und 1965 lässt sich seiner Ansicht nach allerdings ein Zusammenhang zwischen der Entstehung dieser Unruhen und dem Grad der staatlichen Repression und der gesellschaftlichen Diskriminierung von Minderheiten belegen.

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50 51

Gurr, Ted Robert (1970): Why Men Rebel, Routledge, S. 24-30. Gurr, Ted Robert (1970): Sources of Rebellion in Western Societies: Some Quantitative Evidence, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science 391, S. 128-144; Davies (1962): Toward a Theory of Revolution. Gurr (1970): Sources of Rebellion in Western Societies: Some Quantitative Evidence, S. 130. Ebd., S. 133.

2. Theorien politischer Radikalisierung

Gurrs zentrale These, dass mit der Unzufriedenheit in einer Gesellschaft auch die Neigung zu Protesten wächst,52 wurde jedoch von einer Reihe von Autor*innen angezweifelt und kritisiert.53 Bereits Hannah Arendt hat in ihrem Essay »Macht und Gewalt« (1970), der sich eingehend mit der politischen Situation in den 1960erJahren in den USA und Deutschland beschäftigt, einen solchen struktur-funktionalistischen Blick auf die sich radikalisierenden Proteste in den westlichen Industrieländern infrage gestellt. Sie wendet sich gegen die Auffassung, dass Protest und Gewalt nur eine Reaktion auf Elend und Leiden darstellen. Arendt betont: »[N]iemand reagiert mit Wut auf eine Krankheit, der die Medizin machtlos gegenübersteht, oder auf ein Erdbeben oder auf an sich unerträgliche gesellschaftliche Zustände, solange sie unabänderlich scheinen. Nur wo der begründete Verdacht besteht, daß Bedingungen geändert werden könnten und dennoch nichts geschieht, stellt Wut sich ein. Erst wenn unser Gerechtigkeitssinn verletzt wird, reagieren wir mit Empörung […] und diese Reaktion muß sich keineswegs unbedingt an persönlichen Leiden entzünden. Die gesamte Geschichte der Revolutionen beweist, daß es immer wieder Angehörige der oberen Klassen waren, die den Anstoß zu Empörung gaben und dann die Rebellion der Erniedrigten und Beleidigten anführten.«54 Die Teilnahme an Protesten ist demzufolge keine dysfunktionale Reaktion einer Masse auf anomische gesellschaftliche Zustände, sondern kann dem rationalen Kalkül der Aktivist*innen entspringen. Denn auch utopische oder radikale Forderungen, so Arendt, können darauf abzielen, weniger weitreichenden Forderungen in der politischen Auseinandersetzung den Weg zu ebnen: »To ask for the impossible in order to obtain the possible is not always counterproductive.«55

2.2.2.

Ressourcenmobilisierungsansätze

Die Kritik an den Ansätzen von Bittner, Smelser und Gurr konzentrierte sich vor allem auf drei Punkte: Erstens wurde die struktur-funktionalistische Prämisse angezweifelt, wonach Protesthandeln als rein reaktives Gruppenverhalten gilt, das nicht das Ergebnis von rationalen Entscheidungen darstellt.56 Zwar kann gesellschaft52 53

54 55 56

Ebd., S. 134; siehe auch: Morgan, William R. und Terry Nichols Clark (1973): The Causes of Racial Disorders: A Grievance-Level Explanation, in: American Sociological Review 38/5, S. 611-624. McCarthy, John D. und Mayer N. Zald (1977): Resource Mobilization and Social Movements: A Partial Theory, in: The American Journal of Sociology 82/6, S. 1212-1241, hier S. 1214-1215; McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 14; Tilly, Charles (1971): Review: Gurr, Ted: Why Men Rebel., in: Journal of Social History 4/4, S. 416-420; Tilly, Charles (1973): Does Modernization Breed Revolution?, in: Comparative Politics 5/3, S. 425-447. Arendt, Hannah (1970): Macht und Gewalt, übers. von. Gisela Uellenberg, München: Piper Verlag, S. 63 (Änderungen durch den Verfasser). Arendt, Hannah (1970): On Violence, New York: Harcourt Brace Jovanovich, S. 79. Coleman, James Samuel (1990): Foundations of Social Theory, 1. print Aufl., Cambridge, Mass.u.a: Belknap Press of Harvard Univ. Press, S. 479.

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Fragile kollektive Identitäten

liche Unzufriedenheit der Ausgangspunkt für Protestbewegungen sein, sie kann jedoch nicht erklären, warum es letztlich zu Protesten kommt. Denn staatliche Repression, das Agieren des politischen Gegners und das Verhalten von möglichen Verbündeten können die Entstehung von Protest ebenfalls beeinflussen.57 Zweitens gehen struktur-funktionalistische Ansätze implizit davon aus, dass es sich bei Protestierenden um entwurzelte, sozial kaum integrierte Individuen handelt. Eine Reihe von Studien hat diese Grundannahme jedoch eindeutig widerlegt. Anthony Orum (1972) konnte beispielsweise zeigen, dass die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung nicht in der gesellschaftlichen und ökonomischen Unterschicht der afroamerikanischen Bevölkerung ihren Ausgang nahm, sondern zunächst eine Bewegung der Schwarzen Mittelschicht war.58 Andere mikrosoziologische Studien stellten wiederum fest, dass Aktivist*innen häufig keineswegs bindungslos und psychisch besonders belastet, sondern im Gegenteil meist sehr gut in die Gesellschaft eingebunden sind.59 Drittens wendete sich die Kritik gegen die Vorstellung, dass Bewegungen in struktur-funktionalistischen Konzepten nicht als politisch, sondern als psychologisch motiviert verstanden werden. Arbeiter, die beispielsweise gegen den Verlust ihres Arbeitsplatzes protestieren, hätten demnach weniger politisch-ökonomische, als vielmehr psychische Beweggründe.60 Diese Infragestellung der struktur-funktionalistischen Ansätze trug letztlich auch dazu bei, Protestbewegungen zu entdämonisieren. Während die strukturfunktionalistischen Ansätze noch stark vom Aufstieg der faschistischen Bewegungen der 1930er- und 1940er-Jahre in Europa geprägt waren, orientiert sich die jüngere Bewegungsforschung an der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und den Studierendenprotesten der 1950er- und 1960er-Jahre. Das hatte auch Konsequenzen für die Perzeption von Protestbewegungen überhaupt. Sie wurden nicht mehr als etwas Bedrohliches und Irrationales wahrgenommen, das eine Gefahr für die politische Ordnung darstellt, sondern galten nun als ein elementarer Bestandteil der demokratischen Kultur, sogar als demokratisches Korrektiv, das notwendige politische Erneuerungen anstoßen kann. Die kritische Auseinandersetzung mit den struktur-funktionalistischen Ansätzen führte zu einer rationalistischen Wende in der US-amerikanischen Bewegungsforschung. Als Gegenentwurf entstanden die Ressourcenmobilisierungsansätze, die Protestbewegungen nicht mehr als bloße Reaktion auf dysfunk57 58

59

60

McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 17. Orum, Anthony (1972): Black Students in Protest: A Study of the Origins of the Black Student Movement, [Washington]: American Sociological Association, S. 45; zitiert in: McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 15. Della Porta, Donatella (2002): Gewalt und die Neue Linke, in: Heitmeyer, Wilhelm und John Hagan (Hg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 479-500, hier S. 484. McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 17.

2. Theorien politischer Radikalisierung

tionalen sozialen Wandel, sondern als bewusste und zielorientierte Aktivität von Aktivist*innen verstanden.61 Seit Mitte der 1970er-Jahre bestimmten diese Ansätze die Debatten in der US-amerikanischen Bewegungsforschung.62 Sie gehen von der Annahme aus, dass allein durch sozialen Wandel hervorgerufene strukturelle Unzufriedenheit keine hinreichende Bedingung für das Entstehen von Protest ist. Vielmehr wird Unzufriedenheit als eine mehr oder weniger konstante Variable in der Geschichte angesehen. Was sich je nach historischer Situation allerdings unterscheidet, ist das Ausmaß der sozialen Ressourcen, die Gruppen zur Verfügung stehen, um sich als Protestbewegung zu formieren. So müssen Bewegungen in der Lage sein, gesellschaftliche Probleme zu thematisieren, Menschen zu Protesten zu motivieren, für Kampagnen Infrastruktur bereitzustellen und Finanzmittel zu beschaffen:63 »[T]he amount of activity toward goal accomplishment is crudely a function of the resource controlled by an organization.«64 Protestgruppen werden nun erstmals als eigenständige politische Akteure verstanden, die Kosten und Nutzen abwägen und auf den Zugang zu Ressourcen angewiesen sind. Es gilt daher, die Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen Unzufriedenheit zur Entstehung einer Bewegung führt. Aktivist*innen seien in einem hohen Maße von materiellen Ressourcen (Arbeit, Geld, Dienstleistungen etc.), aber auch von immateriellen Ressourcen (wie Autorität, Engagement, Glaube, Freundschaft) abhängig. Ob und in welchem Umfang Ressourcen verfügbar sind, bestimmt dann wiederum die strategischen und taktischen Überlegungen innerhalb einer Bewegung.65 So zeigten McCarthy und Zald (1977), dass die verstärkte Protestmobilisierung in den 1960er-Jahren vor allem auf die zunehmende Institutionalisierung und Professionalisierung von Bewegungsorganisationen und auf verbesserte Fundraising-Strategien zurückgeführt werden kann.66 Nach den Ressourcenmobilisierungsansätzen spielt der Zugang zu Ressourcen auch für die Radikalisierung von sozialen Bewegungen eine entscheidende Rolle. Ihre zentrale These lautet dabei, dass die Radikalisierung einer Bewegung dann wahrscheinlich wird, wenn ihr der Zugang zu bestimmten Ressourcen verschlossen bleibt. Ein Mangel an Ressourcen und unzureichender Kontakt zu politischen Eliten kann demnach Radikalisierung befördern. Die Anwendung von Gewalt auf einer Demonstration oder auch andere radikale Protestformen seien mit einem relativ geringen Ressourceneinsatz umsetzbar und könnten in bestimmten Fällen

61 62 63 64 65 66

Meyer, David S. (2004): Protest and Political Opportunities, in: Annual Review of Sociology 30/1, S. 125-145, hier S. 126f. Vgl. McCarthy/Zald (1977): Resource Mobilization and Social Movements: A Partial Theory. McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 21. McCarthy/Zald (1977): Resource Mobilization and Social Movements: A Partial Theory, S. 1221. Della Porta/Diani (2006): Social Movements: An Introduction, S. 7ff. McCarthy/Zald (1977): Resource Mobilization and Social Movements: A Partial Theory.

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Fragile kollektive Identitäten

einen großen Effekt erzielen. Für Bewegungen, die politisch und ökonomisch marginalisiert seien, liege es daher nahe, auf solche Aktionsformen zurückzugreifen.67 So konnte William Gamson (1975) belegen, dass der Einsatz von Gewalt die Wahrscheinlichkeit erhöht, sich in einer politischen Auseinandersetzung durchzusetzen.68 Auch Piven und Cloward (1979) kommen in ihren viel beachteten Buch über Protestbewegungen in den USA zu dem Ergebnis, dass Gewalt häufig einen Ersatz für fehlende Ressourcen darstellt.69 Eine weitere prominente Annahme der Ressourcenmobilisierungsansätze geht davon aus, dass sich Radikalisierung durch die Ressourcenkonkurrenz zwischen unterschiedlichen Gruppen innerhalb einer Bewegung erklären lässt. So erhöhe der Wettbewerb um Unterstützer*innen und finanzielle Ressourcen den Druck auf einzelne Gruppen, politische Nischen zu schaffen und radikale Positionen einzunehmen.70 Das erkläre auch das Phänomen, dass Organisationen, die sich programmatisch nahestehen, mitunter in besonders harte Konflikte miteinander geraten. Diese Konflikte gingen häufig nicht auf politische Differenzen, sondern auf die Konkurrenz um einen ähnlichen Unterstützerkreis zurück. Der Konkurrenzkampf um eine gleiche Basis führe dazu, dass bestimmte Organisationen zunehmend radikalere Positionen beziehen, um dadurch neue potenzielle Unterstützer*innen zu rekrutieren.71 Dieses Phänomen wurde erstmals von Herbert Haines (1988) im Rahmen seiner Untersuchung der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung ausführlicher erforscht. Haines beschreibt in diesem Zusammenhang den radical flank effect: So kann innerhalb einer Bewegung das Auftreten eines radikalen Konkurrenten den moderaten Flügel unter Druck setzen. Allerdings kann ein radikaler Flügel den Moderaten auch nützen, da deren Forderungen dann als weniger weitgehend erscheinen und letztlich die Unterstützung für die Moderaten dadurch sogar noch wächst. Die Entstehung eines radikalen Flügels kann also dazu führen, dass die moderaten Kräfte in einer Bewegung stärkere (finanzielle) Unterstützung erhalten.72 Durch die Fokussierung auf die Frage der Ressourcenkonkurrenz verlieren die Ressourcenmobilisierungsansätze allerdings die Motive der jeweiligen Aktvist*innen aus den Augen, die ausschlaggebend für die Übernahme bestimmter radika67 68 69 70

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72

Cross (2012): Radicalism, S. 1051. Gamson, William A. (1975): The Strategy of Social Protest, Dorsey Press. Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail. Zald, Mayer N. und John David McCarthy (1987): Social Movements in an Organizational Society: Collected Essays, Transaction Publishers, S. 169; Vgl. Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, S. 35. Zald/McCarthy (1987): Social Movements in an Organizational Society: Collected Essays, S. 164 f; Vgl. Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, S. 35. Haines, Herbert H (1988): Black Radicals and the Civil Rights Mainstream, 1954-1970, Knoxville: University of Tennessee Press.

2. Theorien politischer Radikalisierung

ler Positionen sind. Die These, Radikalisierung sei ein Produkt der Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Organisationen innerhalb einer Bewegung, wird dann fragwürdig, wenn Gruppen einen Eskalationsprozess in Gang setzen, der ihnen – zumindest aus einer rein zweckrationalen Perspektive – selbst massiv schadet. Ein solches Handeln könnte nur dann als zweckrational gelten, wenn die jeweiligen Aktivist*innen unter einer »verzerrten Situationswahrnehmung leiden oder mit einem sehr kurzen Zeithorizont operieren«73 . Der Blick der Ressourcenmobilisierungsansätze auf Protestbewegungen ist eindimensional, weil sie eine instrumentelle Handlungslogik in den Mittelpunkt stellen. Sie beschäftigen sich weder mit kollektiven Identitätskonstruktion von Aktivist*innen noch können sie erklären, warum Aktvist*innen auch dann protestieren, wenn ihre Aussichten, sich politisch durchzusetzen, eher gering sind. In der angelsächsischen Bewegungsforschung wurden die Ressourcenmobilisierungsansätze in den vergangenen Jahrzehnten daher von der Political-Process-Theory und den Framing-Ansätzen abgelöst. Beide Ansätze werde ich weiter unten in diesem Kapitel ausführlich vorstellen.

2.2.3.

Theorien der ›Neuen sozialen Bewegungen‹

Die Theorien der ›Neuen sozialen Bewegungen‹ (NSB) repräsentieren einen weiteren Strang in der Protestforschung, der insbesondere für die europäische Debatte von großer Bedeutung ist. Während die Ressourcenmobilisierungsansätze in der US-amerikanischen Diskussion aus einer Kritik an den vorherrschenden strukturfunktionalistischen Ansätzen hervorgegangen sind, entstanden die NSB-Theorien zur selben Zeit in Europa vor allem in Auseinandersetzung mit den dominierenden marxistischen Ansätzen. Aus Sicht der NSB-Theorien konnten die marxistischen Ansätze die gesellschaftlichen Konfliktlinien seit den 1960er-Jahren nur noch unzureichend erfassen und erklären. Probleme hatten die marxistischen Ansätze insbesondere damit, solche Akteure in ihre Modelle zu integrieren, die sich nicht entlang von Klassenverhältnissen organisierten, und gesellschaftliche Konflikte zu erkennen, die sich nicht unmittelbar auf den Antagonismus von Arbeit und Kapital zurückführen ließen. Außerdem richtete sich die Kritik gegen den deterministischen Charakter marxistischer Theorien, die einen starken Zusammenhang zwischen dem Aufkommen von sozialen Konflikten und der Entwicklung der Produktivkräfte sowie der Dynamik von Klassenkämpfen herstellten, um die Entwicklungen in den westlichen Gesellschaften zu beschreiben.74 Die NSB-Ansätze zweifelten hingegen an der Prämisse, dass das Handeln von Menschen zwangsläufig von

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Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, S. 39. Della Porta/Diani (2006): Social Movements: An Introduction, S. 6; Buechler, Steven M. (1995): New Social Movement Theories, in: The Sociological Quarterly 36/3, S. 441-464, hier S. 441.

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Fragile kollektive Identitäten

ihrer Klassenposition bestimmt wird.75 Sie kritisierten den ökonomischen Reduktionismus der marxistischen Ansätze und betonten die Bedeutung von anderen Handlungslogiken. Das Konzept der kollektiven Identität avancierte dabei zu einem entscheidenden Element innerhalb der NSB-Theorien. Protesthandeln, so die Kernthese vieler Ansätze, muss sich nicht aus der sozio-ökonomischen Position der Beteiligten ableiten, sondern kann auch auf kulturell konstruierten Identitäten wie Ethnizität, Gender oder Sexualität basieren. Dementsprechend würden nicht-materielle Werte und Interessen, die auf die Erlangung von Autonomie und Selbstbestimmung abzielen, eine ebenso wichtige Rolle für die Entstehung und Stabilisierung von Bewegungen spielen wie das Ziel, den eigenen politischen Macht- und Einflussbereich zu erweitern.76 Auch räumen die NSB-Ansätze nichtrationalen Faktoren wie Gefühlen und Neigungen eine größere Bedeutung für soziales Handeln ein und erkennen an, dass Aktivist*innen in Protestbewegungen Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen für sie nicht immer absehbar sind.77 Bestimmte NSB-Ansätze gehen zudem davon aus, dass die Bildung von kollektiven Identitäten einem ständigen Wandel unterliegt, der nach der Gründung einer Protestgruppe nicht abgeschlossen sein muss. Es kann sogar sein, dass die Entwicklung oder die Bewahrung einer kollektiven Identität für die Protestierenden zum Protestziel werden. So können die institutionellen Arrangements und Arbeitsabläufe einer Protestbewegung für Aktivist*innen einen eigenständigen Wert annehmen und ihre politische Zielsetzung beeinflussen. Dadurch kann die Erhaltung der eigenen kollektiven Identität zu einem ausschlaggebenden Moment für politisches Handeln werden.78 Die Auseinandersetzung mit Radikalisierungsprozessen ist innerhalb der NSBTheorien insgesamt nur schwach ausgeprägt. Nur wenige Arbeiten beschäftigen sich mit dem Phänomen der Radikalisierung von Protestbewegungen. Ein Autor, der die Bedeutung von kollektiver Identität in Radikalisierungsprozessen herausgearbeitet hat, ist Roland Eckert (2012). Ausgehend von Ted Gurrs (1970) Ansatz der relative deprivation, der bereits weiter oben vorgestellt wurde, und Samuel D. Huntingtons These eines ›Kampfes der Kulturen‹ entwickelt er ein Modell politischer Radikalisierung, in dessen Zentrum die kollektiven Identitätskonstruktionen von Handelnden stehen. Aus Eckerts Sicht bildet die kollektive Erfahrung von Benachteiligung, Demütigung, Bedrohung, Fremdherrschaft oder Vertreibung häufig den Ausgangspunkt für eine Radikalisierung. Aus diesen Erfahrungen könnten sich Ideologien entwickeln, deren Kern in der Verteidigung des eigenen Kollektivs bestünde. Solidarität, Kameradschaft und Brüderlichkeit seien die Leitmotive solcher

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Buechler (1995): New Social Movement Theories, S. 441-442. Ebd., S. 442. Della Porta/Diani (2006): Social Movements: An Introduction, S. 106ff. Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, S. 84.

2. Theorien politischer Radikalisierung

Ideologien, die oftmals mit einem Heilsversprechen einhergingen, das sich in der Regel aber auf eine noch zu erkämpfende Zukunftsgesellschaft beziehe. Die anhaltende ökonomische, kulturelle und politische Benachteiligung einer Gruppe stärke das Zugehörigkeitsgefühl der Mitglieder zu dieser Gruppe und befördere dadurch Radikalisierung. Gleichzeitig steige die Akzeptanz von Gewalt, die mit dem Anspruch verbunden werde, das Fortbestehen der eigenen Gemeinschaft zu sichern und zu verteidigen. Wenn es zu Gewaltereignissen komme, hätten sie oftmals eine weitere Solidarisierung mit der jeweiligen Gruppe zur Folge. Konflikte könnten sich dadurch weiter verhärten und zu einem wichtigen Bezugspunkt der Kultur einer ethnischen, politischen oder religiösen Gemeinschaft werden. Schließlich könne am Ende sogar die Bereitschaft der Mitglieder einer Gruppe stehen, für die eigene Überzeugung zu töten und zu sterben.79 Um sein Modell von Radikalisierung noch zu erweitern, ergänzt Eckert es mit der These des Kulturkonflikts. Dieses Konzept geht davon aus, dass sich Menschen bedingt durch Globalisierung und Migrationsströme vermehrt auf ihre kulturellen Kernbestände besinnen, ihre kulturelle Einzigartigkeit betonen und sich von anderen Kulturen abgrenzen. Konflikte seien auf eine quasi ›natürliche‹ Art und Weise bereits in der Unverträglichkeit unterschiedlicher Kulturkreise angelegt. Eckert räumt zwar ein, dass religiöse oder kulturelle Unterschiede nicht zwangsläufig zur Radikalisierung von Gruppen oder zur Gewalt führen. Allerdings würden diese Unterschiede bestimmte Gruppengrenzen definieren, die Kollektive konstituieren und zum Ausgangspunkt für Konflikte werden könnten. Eine stärkere Bezugnahme auf die eigenen kulturellen Wurzeln könne daher bedeuten, andere kulturelle Gruppen nicht mehr als gleichwertig anzuerkennen. Im Zusammenspiel mit Erfahrungen von Benachteiligung könnten solche Gruppen schließlich radikalisiert werden. Als Beispiel nennt Eckert die Radikalisierung von Muslim*innen in westlichen Gesellschaften.80 Zentral für Eckerts Modell ist der Grundgedanke, dass die anhaltende Benachteiligung einer Gruppe zum Teil des kollektiven Bewusstseins dieser Gruppe wird. Die Verfestigung der Erfahrung von Unterdrückung im kollektiven Gedächtnis einer Gruppe kann zu einer Radikalisierung von Individuen beitragen und aus ihrer Sicht die Anwendung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung legitimieren. Eckerts Ansatz bleibt jedoch der Makroebene verhaftet. So kann er nicht erklären, warum sich oftmals nur ein kleiner Teil einer unterdrückten Gruppe oder Bewegung radikalisiert, während der überwiegende Teil sich dieser Entwicklung in der Regel nicht anschließt. Eckart wiederholt damit einen Kurzschluss, den die Bewegungsforschung schon seit geraumer Zeit aufgedeckt und zurückgewiesen hat: Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den politischen oder 79 80

Eckert (2012): Die Dynamik der Radikalisierung: über Konfliktregulierung, Demokratie und die Logik der Gewalt, S. 14. Ebd., S. 15.

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Fragile kollektive Identitäten

religiösen Einstellungen von Individuen und ihrer Bereitschaft, gewaltsam zu handeln, gibt es nicht. Selbst die Existenz von sozialen Konflikten und der Grad gesellschaftlicher Unzufriedenheit lassen nur selten eine Prognose darüber zu, ob sich Individuen tatsächlich an Protesten beteiligen.81

2.2.4.

Political-Process-Theory

Seit den 1980er-Jahren wurden die Ressourcenmobilisierungsansätze durch die Political-Process-Theory erweitert. Gegenwärtig stellt das Political-Process-Modell das wohl einflussreichste Konzept in der Protestforschung dar. Es geht ebenfalls von der Prämisse aus, dass es sich bei Bewegungen um rational und bewusst agierende Gruppen handelt. Statt sich jedoch vor allem auf den Zugang zu Ressourcen zu konzentrieren, beziehen diese Ansätze verstärkt auch politische Kontextbedingungen mit ein. Demnach wählen Aktivist*innen ihre Ziele, Strategien und Taktiken nicht im luftleeren Raum aus, sondern sie treffen Entscheidungen in Interaktion mit ihrer sozialen Umwelt. Neben der Frage nach den verfügbaren Ressourcen hänge die Mobilisierung einer Bewegung daher auch von einer ganzen Bandbreite unterschiedlicher sozialer, kultureller und politischer Variablen ab, die häufig unter dem Begriff der politischen Gelegenheitsstrukturen zusammengefasst werden. Die Political-Process-Theory versucht daher, Bedingungen zu identifizieren, die politische Gelegenheitsstrukturen schaffen und verändern. Das Konzept der politischen Gelegenheitsstrukturen knüpft dabei unmittelbar an Robert Mertons Konzept des ›innovativen Verhaltens‹ an, das ursprünglich vor allem in der Kriminologie Anwendung fand und der Erklärung von Devianz diente. Eine Sozialstruktur, so Mertons Ansatz, verteilt die Chancen auf die Erreichung eines Zieles für verschiedene Individuen ungleich. Diese ungleiche Verteilung von Gelegenheiten in politischen Konflikten erzeugt ›innovatives Verhalten‹ in Form eines außerparlamentarischen, Regel verletzenden politischen Aktivismus, der dann in Gang kommt, wenn Individuen aus strukturellen Gründen der Weg versperrt bleibt, ihre politischen Ziele auf konventionelle Art und Weise zu verfolgen.82 Diese zentrale These teilt auch die Political-Process-Theory, die ebenfalls davon ausgeht, dass Protestbewegungen dann entstehen, wenn Individuen von politischen Entscheidungsstrukturen weitgehend ausgeschlossen sind und auf nicht-institutionalisierten Wegen versuchen, kollektive Interessen zu mobilisieren, um politisch Einfluss zu nehmen. Hierbei seien

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Tilly (2003): Politics of Collective Violence, S. 8; Borum (2011): Radicalization into Violent Extremism I: A Review of Social Science Theories, S. 9; Della Porta/Haupt (2012): Patterns of Radicalization in Political Activism: An Introduction, S. 313; Neumann (2013): The Trouble with Radicalization, S. 879-880. Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, S. 43ff.

2. Theorien politischer Radikalisierung

eine Vielzahl von Faktoren von Bedeutung: Neben der institutionellen Beschaffenheit des politischen Systems zählen hierzu unter anderem auch das Repressionspotenzial des Staates, der Grad wirtschaftlicher Entwicklung, die Verbreitung von Massenmedien, die Stärke der Zivilgesellschaft und die Rolle von Gegner*innen und Bündnispartner*innen von Bewegungen. Diese sehr umfassende Herangehensweise hat die Political-Process-Theory zum dominierenden Erklärungsansatz in der Bewegungsforschung werden lassen.83 Doug McAdam (1982, 1999) nutzt beispielsweise in seiner Studie über die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung ein Modell der Political-Process-Theory und arbeitet eine Reihe Mechanismen heraus, die deren Entstehung in den 1960er-Jahren befördert haben. In kritischer Abgrenzung zu den struktur-funktionalistischen und den Ressourcenmobilisierungsansätzen zeigt er, dass die Bürgerrechtsbewegung vor allem dort erfolgreich war, wo externe Faktoren die Mobilisierung ermöglicht und zu einer grundlegenden Veränderung der politischen Gelegenheitsstruktur geführt haben. Ausgelöst durch den Zusammenbruch der Baumwollindustrien in den US-Südstaaten, migrierten seit den 1930er-Jahren viele Schwarze aus dem Süden der USA in den Norden des Landes. Dadurch erhielten viele von ihnen erstmals die Möglichkeit, ihr Wahlrecht wahrzunehmen, und die Schwarze Bevölkerung wurde zu einer relevanten Gruppe bei den Wahlen auf Bundesebene. Auf diese Zunahme an politischem Einfluss konnte die spätere Bürgerrechtsbewegung im Süden aufbauen. Hinzu traten jedoch noch einer Reihe von anderen ›günstigen‹ Faktoren. McAdam macht beispielsweise auf die Bedeutung des Kalten Krieges aufmerksam. So setzte sich seit Mitte der 1950er-Jahre bei vielen Beamten in den Bundesbehörden zunehmend die Überzeugung durch, dass die USA Freiheitsrechte gegenüber der Sowjetunion nur dann glaubwürdig einfordern könnten, wenn diese Rechte auch in den USA uneingeschränkten Geltungsanspruch besäßen. Die rassistische Diskriminierung in Teilen der USA, die in vielen Bundesstaaten im Süden sogar gesetzlich verankert war, wurde daher von der Bundesebene verstärkt als Gefahr für die US-amerikanische Außenpolitik wahrgenommen. Dadurch kam es zu einer gewissen Interessensüberschneidung zwischen der Bürgerrechtsbewegung und der US-Bundesregierung. Schließlich betont McAdam die Bedeutung von bereits existierenden Institutionen, um für einen breiten Protest mobilisieren zu können. So nutzten die Aktivist*innen in der Bürgerrechtsbewegung vor allem die Infrastruktur der Schwarzen Kirchen im Süden der USA, um ihre Aktivitäten zu organisieren. Trotz ihrer ursprünglich

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Della Porta/Diani (2006): Social Movements: An Introduction, S. 195; Meyer (2004): Protest and Political Opportunities, S. 127-128; McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 39; Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, S. 42ff.

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Fragile kollektive Identitäten

konservativen Orientierung bildeten sie das Vehikel für die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung.84 Wie erklärt jedoch die Political-Process-Theory die Radikalisierung von Protestbewegungen? David Snyder und Charles Tilly (1972) gingen in einer der ersten Arbeiten, die sich mit den Gelegenheitsstrukturen sozialer Bewegungen beschäftigten, der Frage nach, wie es zum Ausbruch von gewaltsamen Unruhen und Aufständen in Frankreich zwischen 1860 und 1960 kam.85 Sie wendeten sich direkt gegen die These von Ted Gurr und James Davies, dass objektive oder subjektive Deprivation unmittelbar zu gewaltsamen Protest führt.86 Ihnen zufolge ist kollektive Gewalt vielmehr das Resultat sich verändernder Machtstrukturen und Beziehungen zwischen Gruppen. Anhand ihres empirischen Materials widerlegen sie nicht nur die Ergebnisse Gurrs, sondern können darüber hinaus zeigen, dass eine Mobilisierung für gewaltsamen Protest nur möglich ist, wenn die Beteiligten in der Lage sind, bestimmte Ressourcen zu kontrollieren und sich für sie bestimmte Gelegenheitsstrukturen auftuen. Gewaltsame Aufstände, so Snyder und Tilly, scheinen vor allem dann aufzutreten, wenn eine Gruppe den Zugriff auf bestimmte Ressourcen fordert und mindestens eine andere Gruppe sich diesen Ansprüchen entgegenstellt. Staatliche Akteur*innen können derlei Ansprüche mithilfe von professionellen Akteur*innen wie Armee oder der Polizei eindämmen. Je größer die Möglichkeiten und je stärker der Wille von staatlichen Akteuren, repressiv gegen Forderungen von oppositionellen Gruppen vorzugehen, desto höher sind auch die Kosten für kollektives Handeln aufseiten der Herausforderer. Repression reduziert die kollektive Handlungsfähigkeit dieser Gruppen und somit auch die Wahrscheinlichkeit für das Ausbrechen von kollektiver Gewalt.87 So verzeichnen extrem repressive Regime, wie das nationalsozialistische Deutschland oder das faschistische Italien, nur sehr wenige Proteste und kollektive Gewaltausbrüche, da hier die Kosten für ein solches Handeln enorm hoch sind. Andererseits kommt es auch in sehr liberalen und demokratisch organisierten Staaten verhältnismäßig selten zu kollektiver Gewalt. Nach Tilly nehmen Proteste und kollektive Gewaltausbrüche in derartigen Kontexten ab, weil den Individuen unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten günstigere Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Während also in repressiven Regimen die Mobilisierungsfähigkeit von Protestbewegungen unterdrückt wird, räumt

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McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970. Snyder, David und Charles Tilly (1972): Hardship and Collective Violence in France, 1830 to 1960, in: American Sociological Review 37/5, S. 520-532; Eisinger, Peter K. (1973): The Conditions of Protest Behavior in American Cities, in: The American Political Science Review 67/1, S. 11-28; Tilly, Charles (1978): From Mobilization to Revolution, Reading Mass.: Addison-Wesley Pub. Co.; siehe auch: Meyer (2004): Protest and Political Opportunities. Snyder/Tilly (1972): Hardship and Collective Violence in France, 1830 to 1960, S. 521-522. Ebd., S. 526.

2. Theorien politischer Radikalisierung

man ihnen in demokratischen Staaten einen besseren Zugang zu bestimmten Ressourcen ein, sodass gewaltsame Auseinandersetzungen unwahrscheinlicher werden. Die meisten existierenden Regime lassen sich zwischen diesen beiden Idealtypen einordnen.88 Doug McAdam, Sidney Tarrow und Charles Tilly (2001) haben diesen Ansatz in ihrem Konzept der »contentious politics«89 aufgenommen und weiterentwickelt. Wie Individuen in einer politischen Umwelt ihre Forderungen artikulieren, hängt von den politischen Gelegenheitsstrukturen ab, die sich diesen Individuen für eine politische Auseinandersetzung bieten. Eine solche Gelegenheitsstruktur schafft Grenzen und Anreize, die Einfluss auf die jeweiligen Protestrepertoires der Aktivist*innen haben.90 Dementsprechend hängt die Entstehung von Protest wie auch der Ausbruch von Gewalt nicht davon ab, ob Individuen in besonderer Weise in ihren Bürger- und Menschenrechten benachteiligt sind, ob sie sich als Interessenvertreter*innen bestimmter Gruppen sehen oder ob sie einer ethnischen oder religiösen Gemeinschaft angehören. Konkrete Betroffenheit führt nicht unmittelbar dazu, dass sich Menschen kollektiv organisieren. Sie bestimmt auch nicht das Handlungsrepertoire, das Aktvist*innen nutzen, um ihren politischen Forderungen öffentlich Nachdruck zu verleihen.91 Vielmehr organisieren sich politische Akteure häufig entlang von vorab existierenden Bindungen und Gelegenheitsstrukturen. Sie formulieren ihre kollektiven Forderungen innerhalb von sozialen Clustern, in denen Individuen auch schon vorher miteinander verbunden waren. Innerhalb dieser Cluster entwickeln die Individuen auch Vorstellungen über ihre strategische Situation und ihre potenziellen Handlungsmöglichkeiten. Aufgrund von gemeinsamen Erfahrungen aus vorangegangenen Auseinandersetzungen wissen sie darüber hinaus, welche Handlungsoptionen ihnen zur Verfügung stehen und welche Konsequenzen ihr Handeln voraussichtlich haben wird.92 Deshalb suchen McAdam, Tarrow und Tilly nicht nach den Ursachen für die Entstehung von Protest, sondern identifizieren vielmehr verschiedene Prozesse und Mechanismen, die sich in sogenannten Protestkreisläufen (»cycles of contenti-

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Ebd., S. 527. Unter contentious politics verstehen McAdam, Tarrow und Tilly das öffentliche Erheben von kollektiven Forderungen durch politische Kontrahenten: »By contentious politics we mean: episodic, public, collective interaction among makers of claims and their objects when (a) at least one government is a claimant, an object of claims, or a party to the claims and (b) the claims would, if realized, affect the interests of at least one of the claimants.« McAdam, Doug, Sidney G. Tarrow und Charles Tilly (2001): Dynamics of contention, Cambridge University Press, S. 5. McAdam/Tarrow/Tilly (2001): Dynamics of contention. Tilly (2003): Politics of Collective Violence. Ebd., S. 31.

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Fragile kollektive Identitäten

on«)93 wiederfinden. Radikalisierung ist einer der Mechanismen, den die Autoren dabei ausmachen. Darunter verstehen sie die Übernahme einer »extremen politischen Agenda« und die Nutzung unkonventioneller Formen des Protests.94 Charles Tilly und Sidney Tarrow (2015) haben diesen Ansatz später konkretisiert. Sie gehen davon aus, dass sich Protestbewegungen nach geglückter Mobilisierung in vier verschiedene Richtungen entwickeln können: Sie können sich institutionalisieren, kommerzialisieren, integrieren oder radikalisieren.95 Unter Radikalisierung sei dabei eine »wiederbelebte Mobilisierung« (»reinvigorated mobilization«)96 zu verstehen, die empirisch eng mit einer Eskalation von Gewalt verbunden sei.97 Im Rahmen dieses Konzepts gelang es verschiedenen Vertretern des Political-ProcessAnsatzes, eine Reihe von Erkenntnissen über die Entstehung von radikalem Protest herauszuarbeiten. So wies Sidney Tarrow (2011) darauf hin, dass es zum besseren Verständnis solcher Radikalisierungsprozesse notwendig sei, die Wechselwirkung zwischen moderaten und radikalen Flügeln einer Bewegung in den Blick zu nehmen. In Protestkreisläufen komme es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Mitgliedern einer Bewegung über Ressourcen, Ideologien oder die Machtstellung einzelner Führungspersönlichkeiten. Diese Konkurrenzsituation kann dann zur Radikalisierung eines Teils dieser Bewegung führen, während sich der andere Teil der Bewegung in das politische System integriert bzw. sich institutionalisiert. Obwohl sie an sich gegenläufige Prozesse darstellen, würden deshalb Radikalisierung und Institutionalisierung einer Bewegung häufig parallel zueinander stattfinden.98 Dass Radikalisierung auf eine Konkurrenz um Ressourcen zwischen Akteuren innerhalb einer Bewegung zurückgeführt werden kann, hatten bereits die Vertreter der Ressourcenmobilisierungsansätze herausgearbeitet.99 Die Political-ProcessTheory erweitert nun diese Sicht und fragt nicht mehr nur nach dem Zugang zu bestimmten Ressourcen (z.B. Unterstützer*innen und Finanzen), sondern auch

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Tarrow (2011): Power in Movement: Social Movements and Contentious Politics, S. 199 definiert »cycles of contention« wie folgt: »By a ›cycle of contention,‹ I mean a phase of heightened conflict across the social system, with rapid diffusion of collective action from more mobilized to less mobilized sectors, a rapid pace of innovation in the forms of contention employed, the action frames, a combination of organized and unorganized participation, and sequences of intensified information flow and interaction between challengers and authorities.« McAdam/Tarrow/Tilly (2001): Dynamics of contention, S. 69. Tilly, Charles und Sidney Tarrow (2015): Contentious Politics, Oxford University Press, S. 163. Kriesi, Hanspeter (1996): The Organizational Structure of New Social Movements in a Political Context, in: McAdam, Doug, John D. McCarthy und Mayer N. Zald (Hg.): Comparative perspectives on social movements: political opportunities, mobilizing structures, and cultural framings, New York: Cambridge University Press, S. 152-184, hier S. 157. Tilly/Tarrow (2007): Contentious Politics, S. 164. Tarrow (2011): Power in Movement: Social Movements and Contentious Politics, S. 207. Zald/McCarthy (1987): Social Movements in an Organizational Society: Collected Essays, S. 168.

2. Theorien politischer Radikalisierung

nach dem Zugang zu politischen Institutionen und dem Ausmaß der staatlicher Repression, der politische Akteure ausgesetzt sind. Radikalisierung resultiert demnach nicht nur aus einem bewegungsinternen Konkurrenzkampf um Ressourcen, sondern ist auch das Ergebnis eines mangelnden Zugangs zu politischen Entscheidungsstrukturen für Aktivist*innen und von erhöhter Repression gegen eine Bewegung. Ruud Koopmans (2004) hält fest: »If the regime offers few channels of access, responds by repression and is unwilling to reform, radicalization will be the dominant outcome.«100 Demzufolge kann die Weigerung einer Regierung, den Forderungen einer Bewegung nachzukommen und Reformen einzuleiten, sowie die Anwendung repressiver Maßnahmen eine Bewegung in die Radikalität treiben. In den meisten Fällen reagieren Regierungen auf Protestwellen jedoch mit Reformanstrengungen und stärken dadurch den moderaten und kompromissbereiten Flügel einer Bewegung, wodurch der radikale Flügel wiederum an Einfluss verliert. Eine Ausnahme sind Revolutionen. In diesen gesellschaftlichen Umbruchsmomenten sind es gerade radikale Akteure, die sich innerhalb einer Bewegung durchzusetzen vermögen.101 Repression gegen Bewegungen seitens staatliche Akteure kann unterschiedliche Formen annehmen. Jack Goldstone (1998) zeigt, dass die gezielte Unterdrückung einer bestimmten Bewegung häufig dazu führt, dass diese Bewegung verschwindet oder in den Untergrund geht. Ist die Repression hingegen willkürlich und nicht fokussiert, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass sich Dritte mit einer davon betroffenen Bewegung solidarisieren, wodurch sie größeren Zulauf erhält und sich ihre politischen Ziele und Aktionsformen radikalisieren.102 Allerdings kann auch die Kombination aus Reformanstrengungen und selektiver Repression zur Radikalisierung von isolierten Gruppen führen. Während sich die moderaten Teile einer Bewegung von den radikalen Aktivist*innen abwenden, gehen staatliche Akteure bewusst gegen die Radikalen vor, um ihren Handlungsspielraum einzuschränken. Dadurch werden die radikalen Teile einer Bewegung weiter in die Isolation getrieben. Sie nutzen häufiger Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung und können sich im äußersten Fall zu Terror-Gruppen entwickeln.103 Donatella della Porta (2013) beschreibt diesen Prozess als das Resultat von fehlenden Zugangsmöglichkeiten für Aktivist*innen zum politischen System: »When normal channels of access to the political system are blocked, activists perceive terrorism as necessary, as there is ›no other way out‹.«104 100 Koopmans (2004): Protest in Time and Space: The Evolution of Waves of Contention, S. 29. 101 Tarrow (2011): Power in Movement: Social Movements and Contentious Politics, S. 209-210. 102 Goldstone, Jack A. (1998): Social Movements or Revolutions? On Evolution and Outcomes of Collective Action, From Contention to Democracy, Rowman & Littlefield (, hg. v. Marco Giugni, Doug McAdam und Charles Tilly), S. 125-145, hier S. 130. 103 Tarrow (2011): Power in Movement: Social Movements and Contentious Politics, S. 209. 104 Della Porta (2013): Clandestine Political Violence, S. 34; Goodwin, Jeff (2001): No Other Way Out: States and Revolutionary Movements, 1945-1991, Cambridge University Press.

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Gegen die Political-Process-Theory wurde unter anderem eingewandt, dass der Begriff der politischen Gelegenheitsstrukturen zu vage definiert sei. Letztlich würde alles, was erfolgreich zur Mobilisierung oder zur Erreichung eines politischen Ziels einer Bewegung beigetragen habe, im Nachhinein als politische Gelegenheitsstruktur bezeichnet.105 Ein Beispiel hierfür ist die Debatte um die Auswirkungen von staatlicher Repression gegen soziale Bewegungen. Während einige Autor*innen davon ausgehen, dass Repression die Mobilisierung einer Bewegung hemmt, sehen andere Autor*innen darin eine politische Gelegenheit, die Mobilisierung befördern kann.106 Jasper und Goodwin (2004) haben deshalb die Political-ProcessTheory kritisiert, weil die Mobilisierung einer sozialen Bewegung nicht zwangsläufig auf die Ausweitung von politischen Gelegenheiten zurückgeführt werden kann, sondern häufig aus einer situativen und spezifischen Kombination politischer Prozesse resultiert.107 Während manche Bewegungen eine politische Öffnung nutzten, um zu mobilisieren, verhielt es sich bei anderen Bewegungen genau umgekehrt. Erst die Einschränkung von politischen Möglichkeiten bzw. Gelegenheiten führte zur Mobilisierung einer Bewegung.108 Die Political-Process-Theory kann wiederum nicht vorhersagen, welche dieser Dynamiken letztlich zum Tragen kommt.109 Auch die Einbeziehung von organisationalen und kulturellen Faktoren mit dem Ziel, ein Modell für die Mobilisierung sozialer Bewegung zu entwerfen, konnten die zentralen Kritikpunkte an der Political-Process-Theory nicht ausräumen.

2.2.5.

Framing-Ansätze

Ein Versuch, Konzepte von Kultur und Identität an die Political-Process-Theory anschlussfähig zu machen, sind die Framing-Ansätze. Sie gehen ursprünglich auf Erving Goffman (1974) zurück. Goffman beschreibt frames als Interpretationsschemata, die Individuen in die Lage versetzen, bestimmte Phänomene in ihrer sozialen Umwelt zu identifizieren und einzuordnen. Diese kollektiven Handlungsrahmen bieten Orientierungspunkte für soziales Handeln, die unser Wissen vorab organisieren und in einen Sinnzusammenhang stellen. Ausgangspunkt bleibt allerdings ein akteurszentrierter Ansatz. Denn die Framing-Ansätze sprechen den Aktivist*innen eine aktive Rolle bei der Konstruktion von Identitäten, Ideen und Ideologien zu. So heben Benford und Snow (2000) hervor, dass die Produktion von Bedeutung

105 Della Porta (2013): Clandestine Political Violence, S. 34; vgl. auch Goodwin, Jeff und James M. Jasper (2004): Rethinking Social Movements: Structure, Meaning, and Emotion, Rowman & Littlefield, S. 11. 106 Goodwin/Jasper (2004): Rethinking Social Movements: Structure, Meaning, and Emotion, S. 13. 107 Ebd. 108 Meyer, David S. und Suzanne Staggenborg (1996): Movements, Countermovements, and the Structure of Political Opportunity, in: American Journal of Sociology 101/6, S. 1628-1660. 109 Goodwin/Jasper (2004): Rethinking Social Movements: Structure, Meaning, and Emotion, S. 14.

2. Theorien politischer Radikalisierung

(meaning work) durch die Konstruktion von Identitäten, Ideen und Ideologien, für die Deutung der Wirklichkeit in sozialen Bewegungen eine große Bedeutung besitzt. Allerdings sind sie nicht vorab festgelegt oder durch eine Gesellschaftsstruktur vorgegeben, sondern das Resultat der Produktionsleistung bestimmter Bewegungsaktivist*innen. Sie können dazu genutzt werden, neue Unterstützer*innen oder Anhänger*innen zu mobilisieren, sich von Gegner*innen abzugrenzen oder sich neue Ressourcen zu erschließen. Sie werden durch bestimmte Eliten innerhalb einer Bewegung planvoll produziert und stabilisiert.110 Sie sind Teil von strategischen Überlegungen und durch die Individuen veränderbar. Dementsprechend werden frames in Bewegungen ständig reproduziert, infrage gestellt, neu interpretiert und modifiziert.111 Framing wird daher definiert als »the conscious, strategic efforts of movement groups to fashion meaningful accounts of themselves and the issues at hand in order to motivate and legitimate their efforts«.112 Nur wenige Autor*innen, die einen Framing-Ansatz verwenden, haben sich konzeptionell mit der Frage der Radikalisierung von sozialen Bewegungen auseinandergesetzt. Eine Ausnahme stellen Snow und Byrd (2007) dar, die sich mit der ideologischen Dimension von islamistischen Bewegungen und deren Radikalisierung beschäftigen. Sie zeigen in ihrer Arbeit, wie islamistische Terrororganisationen gezielt bestimmte Ideen, Werte, Überzeugungen und soziale Ereignisse dazu genutzt haben, Anhänger und Unterstützer zu mobilisieren. So versuchten diese Organisationen, strategisch einen Diskurs zu prägen, der Anhänger dazu motivieren sollte, militante Aktionen und aufsehenerregende Gewaltakte wie beispielsweise Selbstmordattentate auszuführen. Die Konstruktionsleistung, die solchen Diskursen zugrunde liegt, ist allerdings hochkomplex und gründet nicht auf einer stabilen, unveränderbaren Ideologie, sondern wurde im Falle der untersuchten islamistischen Terrorgruppen an die jeweiligen diskursiven Kontexte angepasst. Dadurch konnten existierende Ideen, Werte und Überzeugungen unter Rückbezug auf bestimmte soziale Ereignisse zu einer Ideologie verknüpft werden, die zum Ziel hatte, zu terroristischen Anschlägen aufzurufen und sie zu rechtfertigen. Byrd und Snow kommen daher zu dem Ergebnis, dass die Radikalisierung der untersuchten islamistischen Gruppen nicht auf festen ideologischen Konfliktlinien und Identitätsbildern aufbaute, sondern das Resultat einer strategischen 110

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Benford, Robert D. und David A. Snow (2000): Framing Processes and Social Movements: An Overview and Assessment, in: Annual Review of Sociology 26, S. 611-639, hier S. 613 ff; Della Porta/Diani (2006): Social Movements: An Introduction, S. 69f. Benford/Snow (2000): Framing Processes and Social Movements: An Overview and Assessment, S. 628. McAdam, Doug (1996): The Framing Function of Movement Tactics: Strategic Dramaturgy in the American Civil Rights Movement, in: McAdam, Doug, John D. McCarthy und Mayer N. Zald (Hg.): Comparative perspectives on social movements: political opportunities, mobilizing structures, and cultural framings, New York: Cambridge University Press, S. 338-356, hier S. 339.

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Fragile kollektive Identitäten

Konstruktionsleistung war. Sie stellen sich damit dezidiert gegen die These vom ›Kampf der Kulturen‹ und der Existenz von vermeintlich essenziellen, historischkulturellen Konfliktlinien, die für das Erstarken eines islamistischen Terrorismus konstitutiv sein sollen. Die radikalen Ideologien von islamistischen Gruppen basieren also nicht auf einem kohärenten Kanon bestimmter Ideen und Glaubensgrundsätze, sondern sind im hohen Maß von bestimmten Eliten konstruiert, um gezielt bestimmte Akteure für bestimmte Aktionen zu mobilisieren.113 Das Kulturverständnis der Framing-Ansätze wurde allerdings auch stark kritisiert, da es Kultur letztlich als bloße Strategie begreift. Jasper und Goodwin (2004) zufolge ignorieren die Framing-Ansätze, dass es kollektives Handeln gibt, das nicht immer intentional oder instrumentell ist. Traditionen, Rituale, kulturelle Praktiken oder kollektive Identitäten lediglich als strategisches Handeln zu interpretieren, vernachlässige, dass Kultur häufig unbewusst in das Handeln von Aktivist*innen eingelagert sei.114 So hat Erik Ringmar (1996) darauf hingewiesen, dass die Entwicklung einer kollektiven Identität der strategischen Verfolgung von Interessen vorausginge, da eine Gruppe zunächst wissen müsse, wer sie sei, bevor sie eigene Interessen formulieren könne.115 Weiter unten werde ich zeigen, dass sich diese grundsätzliche Kritik an den Framing-Ansätzen bei deren Anwendung auf Radikalisierungsprozesse noch weiter verstärkt. Zuvor möchte ich jedoch noch zwei Arbeiten vorstellen, die sich mit der Radikalisierung von sozialen Bewegungen befassen und sich dabei kritisch mit der Political-Process-Theory und den Framing-Ansätzen auseinandersetzen. Beide Analysen haben wichtige Erkenntnisse zum Verständnis von Radikalisierungsprozessen beigetragen. Es handelt sich dabei um Donatella della Portas Studie »Social movements, political violence, and the state: a comparative analysis of Italy and Germany« (1996) und die von Eitan Y. Alimi, Chares Demetriou und Lorenzo Bosi verfasste Untersuchung »The Dynamics of Radicalization« (2015).

2.2.6.

Makro-, Meso- und Mikroebene in Radikalisierungsprozessen

Einen der wichtigsten Beiträge zum Verständnis von Radikalisierungsprozessen in sozialen Bewegungen hat Donatella della Porta (1995) in ihrem Buch »Social movements, political violence, and the state« vorgelegt. Darin entwickelt sie einen analytischen Rahmen, um die Entstehung von radikalen Bewegungen besser verstehen zu können. Sie schlägt vor, für die Betrachtung von Radikalisierungsprozessen zwischen einer Makro-, einer Meso- und einer Mikroebene zu unterscheiden. 113 114 115

Snow, David und Scott Byrd (2007): Ideology, Framing Processes, and Islamic Terrorist Movements, in: Mobilization: An International Quarterly 12/2, S. 119-136, hier S. 132-133. Goodwin/Jasper (2004): Rethinking Social Movements: Structure, Meaning, and Emotion, S. 24. Ringmar, Erik (1996): Identity, Interest and Action – A cultural explanation of Sweden´s intervention in the Thirty Years war, Cambridge University Press.

2. Theorien politischer Radikalisierung

Dabei greift sie sowohl auf die Political-Process-Theory (Makroebene) wie auch auf Ressourcenmobilisierungsansätze (Mesoebene) und Framing-Ansätze (Mikroebene) zurück. Sie integriert diese drei Analyseebenen in ein übergreifendes Konzept116 und versucht dadurch die Frage zu beantworten, ob der Einsatz von Gewalt durch radikale Gruppen strategisch erfolgt oder das Resultat von schwer nachvollziehbaren internen Dynamiken und erratischen Mustern ist. Oder anders formuliert: Ist die Gewalt, die radikale Gruppen verüben, das Produkt intentionalen Handelns oder ungeplante Konsequenz?117 Della Porta untersucht dabei die Entwicklung der Rote Armee Fraktion (RAF) in Westdeutschland und der Brigate Rosse (BR) in Italien von den 1970er- bis zu den 1980er-Jahren. Für della Porta ist Radikalisierung das Resultat von verschiedenen Prozessen auf unterschiedlichen Ebenen. Aus ihrer Sicht kann die Entstehung radikaler Bewegungen nicht allein auf den sozialen Strukturwandel in Gesellschaften oder auf psychische Dispositionen der Individuen zurückgeführt werden. Solche Ansätze können nicht plausibel erklären, warum beispielsweise politische Radikalisierung in verschiedenen Gesellschaften sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann, auch wenn sie vergleichbaren Transformationsprozessen unterlagen. So zeigt della Porta, dass das Ausmaß der politischen Gewalt im Italien der 1970er- und 1980er-Jahre wesentlich größer war als in Westdeutschland, obwohl beide Länder einen ähnlichen Strukturwandel durchliefen.118 Um diese Differenz näher zu untersuchen, betrachtet sie zunächst auf der Makroebene die strukturellen Bedingungen, die das Handeln von radikalen Gruppen beeinflussen. Darunter fasst sie die politischen Gelegenheitsstrukturen, wie dem Zugang zu politischen Institutionen oder die Intensität der Repression eines politischen Regimes gegenüber Protestbewegungen. Della Porta geht davon aus, dass diese Gelegenheitsstrukturen den Handlungsrahmen der Individuen festlegen und auch ihre strategischen Entscheidungen prägen. Die politische Gewalt in Italien und Westdeutschland resultierte nach della Portas Ansicht nicht aus existierenden sozialen Konflikten, sondern war eng verknüpft mit dem Reformwillen der jeweiligen politischen Eliten in den beiden jungen Demokratien. So trug eine innergesellschaftliche Polarisierung zwischen den jeweiligen Eliten und der Opposition in beiden Ländern zur Eskalation der Gewalt bei. Der Ausschluss sozialer Bewegungen aus den politischen Systemen beider Länder begünstigte die Entstehung von politisch radikalen Positionen und einer revolutionären Rhetorik. In den

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117 118

Della Porta (1995): Social Movements, Political Violence, and the State: A Comparative Analysis of Italy and Germany, S. 9; Della Porta/LaFree (2012): Processes of Radicalization and DeRadicalization, S. 7. Della Porta (1995): Social Movements, Political Violence, and the State: A Comparative Analysis of Italy and Germany, S. 13. Ebd., S. 188.

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politischen Auseinandersetzungen ging es nicht nur um die Durchsetzung sozialer Reformen, sondern vor allem auch um die Demokratisierung des politischen Systems.119 In einem zweiten Schritt analysiert della Porta auf der Mesoebene die bewegungsinternen Entwicklungen und Dynamiken, die zur Radikalisierung eines Teiles der Bewegung führten. Sie beobachtet, dass bestimmte politische Gruppen zu überleben versuchten, indem sie ihre politische Agenda radikalisierten.120 Interne Konflikte und der Wettbewerb um Ressourcen zwischen den Angehörigen einer Bewegung spielten dabei eine wichtige Rolle. Bewegungsorganisationen stehen immer auch im Konkurrenzkampf zueinander, der bestimmte Teile einer Bewegung dazu treibt, radikale Positionen einzunehmen, um weiterhin gegenüber anderen Gruppen und Organisation der Bewegung ›konkurrenzfähig‹ zu bleiben. Solche Dynamiken können dann zur Isolierung und zu einer weiteren Radikalisierung dieser Teile einer Bewegung führen.121 Dabei waren es besonders die Organisationen, denen es an Ressourcen und einem Zugang zum politischen System mangelte, die dazu neigten, politisch radikal und gewaltbereit zu werden. Als eine Art Kompensation für ihr Ressourcendefizit entwickelten diese Organisationen militärische Fähigkeiten.122 Damit bestätigt della Porta mit ihrer Untersuchung die These der Ressourcenmobilisierungsansätze, die davon ausgehen, dass ein Wettbewerb um Ressourcen die Radikalisierung von Teilen einer Bewegung forcieren kann. Della Porta zufolge geht mit dieser Entwicklung auch eine politische und soziale Isolierung der in diesen Organisationen engagierten Personen einher, in deren Folge sie ihre sozialen Kontakte auf ein sehr enges soziales Netzwerk von Aktivist*innen beschränken, die ihre politischen Grundüberzeugungen teilen. Je isolierter eine radikale Gruppe war, desto abstrakter, ritualisierter und abgeschotteter gegenüber sachlichen Argumenten war ihre Ideologie.123 Schließlich zeigt della Porta, dass die Bildung einer kollektiven Identität von zentraler Bedeutung für die Radikalisierung der westdeutschen und italienischen Aktivist*innen war. Auf der Mikroebene beschäftigt sie sich mit den Motiven, die für die Beteiligten ausschlaggebend dafür waren, sich radikalen Gruppen und Organisationen anzuschließen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Rolle von kollektiven Identitäten, durch die Aktivist*innen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe entwickeln und die ihnen gleichzeitig einen Rahmen zur Rechtfertigung ihres Handelns bieten. In radikalen Gruppen entstehen diese Identitäten in persönlichen und freundschaftlichen Netzwerken, in denen die

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Ebd., S. 194. Ebd., S. 196. Ebd., S. 12. Ebd., S. 198. Ebd., S. 201-204.

2. Theorien politischer Radikalisierung

gruppeninterne Solidarität besonders ausgeprägt ist.124 Sowohl die westdeutsche RAF als auch die italienischen BR bauten auf engen Netzwerken auf, in denen sich die Angehörigen gemeinsam radikalisierten. Della Porta bezeichnet diesen Mechanismus als »block recruitment« (Block-Rekrutierung).125 Je mehr sich eine Gruppe isolierte, desto größer wurde die gruppeninterne Solidarität und desto intensiver wurde der Gegner dämonisiert. Die Isolation von der Außenwelt einerseits und die starke Kohäsion nach innen andererseits prägten die identitären frames der Aktivist*innen und trugen zur Rechtfertigung von Gewalt bei. Insofern kommt der kollektiven Identitätskonstruktion eine Schlüsselrolle bei der fortschreitenden Radikalisierung von Gruppen zu.126 Darüber hinaus bemerkt della Porta, dass sich eine solche »radikale Identität«127 vor allem in jenen historischen Situationen ausbildete, in denen Organisationen kaum noch Zugang zu Ressourcen hatten und von ihrer Umwelt quasi völlig isoliert waren.128 Aus ihrer Sicht leitet sich also die Entwicklung dieser ›radikalen Identität‹ aus den politischen Gelegenheitsstrukturen und dem bewegungsinternen Wettbewerb ab. Della Porta plädiert dafür, die Radikalisierung von sozialen Bewegungen und den Ausbruch von kollektiver Gewalt als einen interaktiven Prozess zwischen Gruppen und ihrer sozialen Umwelt bzw. zwischen miteinander verfeindeten Gruppen zu begreifen. Zwar sind soziale und politische Konflikte in einer Gesellschaft eine Voraussetzung für die Entstehung von radikalen Bewegungen, allerdings reichen sie allein nicht aus, um die Radikalisierung von Akteuren zu erklären. Della Porta erweitert den Blick und versucht, verschiedene Erklärungsansätze in ein übergreifendes Modell zu integrieren. Radikalisierung ist demnach auch das Resultat von bestimmten Interaktionsprozessen zwischen Sicherheitsbehörden und Aktivist*innen und hängt von den Zugangsmöglichkeiten der Individuen zu bestimmten Ressourcen ab sowie von dem Willen der politischen Eliten, auf bestimmte politische Forderungen sozialer Bewegungen einzugehen. So ist ihr zentrales Argument, dass der Ausschluss von Akteuren vom Zugang zu politischer Macht ihre Radikalisierung beförderte.

2.2.7.

Relationale Ansätze

In jüngerer Zeit wurde die Political-Process-Theory verstärkt genutzt, die Dynamik von Radikalisierungsprozessen herauszuarbeiten. So haben die Autoren Eitan Y. 124 125 126 127 128

Ebd., S. 13. Ebd., S. 168. Ebd., S. 204. Della Porta, Donatella (2006): Social Movements, Political Violence, and the State: A Comparative Analysis of Italy and Germany, Cambridge u.a.: Cambridge University Press, S. 202. Della Porta (1995): Social Movements, Political Violence, and the State: A Comparative Analysis of Italy and Germany, S. 206.

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Fragile kollektive Identitäten

Alimi, Chares Demetriou und Lorenzo Bosi (2015) einen Ansatz entwickelt, um die Radikalisierung verschiedener Organisationen vergleichend untersuchen zu können.129 In Anlehnung an Doug McAdam, Sydney Tarrow und Charles Tilly (2001) versuchen sie dabei, übergreifende Mechanismen bei der Radikalisierung von Akteuren in unterschiedlichen historischen und sozialen Kontexten auszumachen. Sie unterscheiden dabei kognitive, umweltbedingte und relationale Mechanismen, wobei sie Letzteren eine besondere Bedeutung zuschreiben, weil sie zwischen den anderen beiden vermittelnd wirken.130 Alimi, Demetriou und Bosi benennen insgesamt fünf zentrale Mechanismen, von denen nahezu alle in der existierenden Bewegungsliteratur zu Radikalisierung bereits diskutiert wurden. In dieser Hinsicht bietet ihre Arbeit nur wenig Neues. Allerdings zeigen sie, wie bedeutend das Zusammenspiel unterschiedlicher Mechanismen in Radikalisierungsprozesse ist. Radikalisierungsprozesse, so ihre zentrale Erkenntnis, lassen sich nicht auf einzelne Mechanismen zurückführen. Allein die bloße Existenz bestimmter sozialer, ökonomischer oder politischer Faktoren (z.B. soziale Diskriminierung oder mangelnder Zugang zum politischen System) befördert noch keine Radikalisierung von Individuen und Gruppen. Anders formuliert: Die Suche nach einzelnen Ursachen für Radikalisierung ist nur wenig Erfolg versprechend, wenn nicht die historischen und gesellschaftlichen Prozesse in die Analyse mit einbezogen werden, in denen diese Faktoren wirkungsmächtig werden.131 Alimi, Demetriou und Bosi schlagen deshalb vor, die relationalen Mechanismen, die zwischen den unterschiedlichen kognitiven und umweltbedingten Mechanismen vermitteln, in den Mittelpunkt der Analyse von Radikalisierungsprozessen zu stellen.132 Sie selbst benennen in ihrer Arbeit einige dieser Mechanismen und können nachweisen, dass sich in unterschiedlichen historischen Phase eine ähnliche Abfolge von relationalen Mechanismen beobachten lässt.133 Damit machen sie Radikalisierungsprozesse vergleichbar, die in unterschiedlichen historischen und gesellschaftlichen Kontexten stattfanden.134 Alimi/Demetriou/Bosi (2015): The Dynamics of Radicalization: A Relational and Comparative Perspective, S. 9. 130 Ebd., S. 15. 131 Ebd., S. 274. 132 Ebd. 133 Ebd., S. 40. 134 Alimi, Demetriou und Bosi untersuchen drei Organisationen: die Roten Brigaden in Italien (1969-1978), die Ethniki Organosis Kyprion Agoniston (EOKA) in Zypern (1945-1969) und die islamistische Al-Kaida (1984-2001). Dabei steht der Übergang dieser Organisationen von einer gewaltlosen zu einer gewaltsamen Form der politischen Auseinandersetzung im Mittelpunkt ihrer Analyse. Obwohl alle drei Fälle spezifische historische Eigenschaften und Pfadabhängigkeiten aufweisen, zeigen die Autoren, dass in allen Fällen ähnliche relationale Mechanismen den jeweiligen Radikalisierungsprozess vorangetrieben haben. Dabei sind es nicht einzelne relationale Mechanismen, sondern die Kombinationen verschiedener Mechanismen 129

2. Theorien politischer Radikalisierung

Den ersten Mechanismus bezeichnen die Autoren als »upward spiral of political opportunities«135 . Darunter verstehen sie die Veränderung in der politischen Gelegenheitsstruktur, also das Auftreten von neuen Gefahren, Möglichkeiten oder Einschränkungen für die politische Arbeit der Aktivist*innen, die ihr kollektives Handeln beeinflussen und die das Erreichen eines bestimmten politischen Zieles befördern oder verhindern können.136 Eine solche Veränderung kann aus Sicht der Bewegung sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die strategische Position der Bewegung haben.137 Der zweite Mechanismus des sogenannten »Outbidding«138 zielt auf die Interaktion zwischen staatlichen Sicherheitskräften und der Bewegung. Dabei geht es um die Dynamik von Aktion und Reaktion, in der beide Seiten versuchen, die Kontrolle über eine Situation zu erlangen, was zu stetig steigenden Kosten für sämtliche Beteiligten führt. Infolgedessen kann es nicht nur zu Gewaltdrohungen, sondern auch zum Einsatz von Gewalt auf allen Seiten kommen. Es handelt sich also um eine Taktik, die sowohl die Sicherheitskräfte als auch die Bewegungsakteure anwenden.139 Der dritte Mechanismus betrifft das Verhältnis der Aktivist*innen zueinander. Oppositionsbewegungen sind in der Regel nicht homogen und monolithisch organisiert, sondern setzen sich häufig aus einer Vielzahl unterschiedlicher Gruppen zusammen. Auch in Bewegungen kommt es daher zu Machtkämpfen und strategischen und taktischen Auseinandersetzungen, die sich auf das Handeln nach außen auswirken können. Solche Auseinandersetzungen innerhalb von Bewegungen können auch Gewalt befördern, wenn es beispielsweise darum geht, Konkurrenten im eigenen Lager auszuschalten. Alimi, Demetriou und Bosi bezeichnen diesen Mechanismus als »competition for power«140 . Ein vierter Mechanismus lässt sich in der Interaktion zwischen der Öffentlichkeit und der Bewegung ausmachen. Aus Sicht der Bewegung existieren in der Öffentlichkeit unterschiedliche Gruppen, wie Gegner*innen, Unterstützer*innen, aber auch beobachtende Dritte, die politisch nicht festgelegt sind, für die sich die Bewegung jedoch einsetzt und deren politische Unterstützung sie gewinnen will. Dieses Interaktionsverhältnis zwischen Öffentlichkeit und Bewegung ist jedoch keineswegs stabil und kann sich unter bestimmten Bedingungen auch verändern. So kann sich eine Bewegung oder ein Teil einer Bewegung von den potenziellen Unterstützern

und die Art und Weise, mit der sich diese gegenseitig beeinflusst und verstärkt haben, die die Radikalisierung dieser Organisationen prägten. 135 Alimi/Demetriou/Bosi (2015): The Dynamics of Radicalization: A Relational and Comparative Perspective, S. 42. 136 Ebd. 137 Ebd., S. 43. 138 Ebd. 139 Ebd., S. 44-45. 140 Ebd., S. 45-46.

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Fragile kollektive Identitäten

und den indifferenten Dritten distanzieren bzw. abgrenzen. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn durch Abgrenzung bestimmte Teile der indifferenten Dritten zu Gegnern der Bewegung erklärt werden oder wenn bestimmten Unterstützer*innen der Zugang zu bewegungsinternen organisationalen Strukturen verwehrt wird. Diese Loslösung der Bewegung (oder einzelner Teile) von ihren gesellschaftlichen Bezugsgruppen kann auch zu einer größeren Gewaltoffenheit innerhalb der jeweiligen Gruppe oder Organisation führen. In jedem Fall geht sie mit einem Verlust an Pluralismus innerhalb der Bewegung einher. Diesen Mechanismus bezeichnen die Autoren als »dissociation«.141 Der fünfte Mechanismus, der von den Autoren als »object shift«142 bezeichnet wird, betrifft das Verhältnis der Bewegung zum politischen Gegner bzw. zu Gegenbewegungen. Die Interaktion zwischen Bewegung und Gegenbewegung kann unterschiedliche Formen annehmen und durchaus friedlich und gewaltfrei sein. Allerdings kann das Aufkommen einer Gegenbewegung die Bewegung auch dazu zwingen, ihre Forderungen und Ziele zu überdenken und neu zu definieren. Dies kann schließlich dazu führen, dass sich Bewegungen neue Felder der politischen Betätigung suchen müssen. Eine solche Veränderung der Ziele der Bewegungen kann die Radikalisierung einer Bewegung befördern.143 Der Ansatz von Alimi, Demetriou und Bosi ermöglicht es, Radikalisierungsprozesse von verschiedenen Gruppen in unterschiedlichen historischen Kontexten nachvollziehbar und vergleichbar zu machen.144 Damit bieten sie ein Instrument für die systematische Untersuchung von Radikalisierungsprozessen.145 Ihre Forschungsarbeit hat daher nicht nur den Blick auf Radikalisierung erweitert, sondern auch die Komplexität der Materie deutlich gemacht.

2.3.

Fazit

In diesem Kapitel wurden verschiedene Ansätzen vorgestellt, die Erklärungen für die Radikalisierung von Bewegungen anbieten. Um sie besser einordnen zu können, soll im Folgenden kurz diskutiert werden, welche Rationalitätsprinzipien sozialen Handelns ihnen zugrunde liegen und welche Konsequenzen für die Auseinandersetzung mit Radikalisierung sich daraus ableiten. Max Webers Klassifikation sozialen Handelns bietet sich hierfür als Ausgangspunkt besonders an. Weber unterscheidet zwischen irrationalen und rationalen Handeln, wobei er affektuelles und traditionales Handeln vornehmlich als irrationales Handeln versteht und 141 142 143 144 145

Ebd., S. 46-47. Ebd., S. 48. Ebd., S. 48-49. Ebd., S. 53. Ebd., S. 52.

2. Theorien politischer Radikalisierung

zweckrationales und wertrationales Handeln als rationales Handeln begreift.146 Fragt man sich nun, wo radikales Handeln in dieser Klassifikation zu verorten sei, stellt man fest, dass den in diesem Kapitel vorgestellten Ansätzen unterschiedliche Rationalitätsverständnisse zugrunde liegen. Auf der einen Seite stehen sich die struktur-funktionalistischen Ansätze, die in der akademischen Debatte nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bei ihnen findet sich die Tendenz, die Radikalisierung von Individuen zu pathologisieren und somit als irrationales Handeln zu verstehen. In der Weberschen Klassifikation wäre radikales Handeln demnach nichts anderes als affektuelles Handeln. Wie ich bereits weiter oben ausführlich dargelegt habe, wurde diese These mehrfach widerlegt und findet heutzutage in der Forschung keine Resonanz mehr. Auf der anderen Seite steht die Political-ProcessTheory, die gemeinsam mit den Framing-Ansätzen die gegenwärtige Bewegungsforschung dominiert. Beide Ansätze legen bei der Erklärung von Radikalisierungsprozessen in sozialen Bewegungen eine instrumentelle Handlungslogik zugrunde, bei der Kultur, Ideen oder Identität letztlich vom Kosten-Nutzen-Kalkül der Individuen und Akteure abgeleitet wird. Sie greifen somit im Weberschen Sinne auf einen rein zweckrationalen Handlungsbegriff zurück. Weber versteht darunter Handeln, dass Zweck, Mittel und Nebenfolgen gegeneinander rational abwägen. Ob es zur Radikalisierung einer Bewegung kommt, hängt demnach vor allem vom Zugang zu Ressourcen und dem Grad der Repression gegen eine Bewegung ab. Dabei wird davon ausgegangen, dass Individuen – im Sinne einer instrumentell-rationalen Logik – immer nach der für sie günstigsten Handlungsoption suchen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Gerade diese Grundannahme ist jedoch in hohem Maße fragwürdig, denn es gibt eine Reihe von empirischen Fällen, in denen eine Radikalisierung beobachtet werden kann, obwohl den jeweiligen Beteiligten durchaus günstigere Handlungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten. Ich habe bereits deutlich gemacht, dass die Radikalisierung von SNCC ein solcher Fall ist. Auch im Falle des SNCC standen günstigere Handlungsoptionen zur Verfügung. Die Organisation, deren Entwicklung ich in späteren Kapiteln ausführlich vorstellen werde, radikalisierte sich zwischen 1960 und 1968. Weder der Zugang zu Ressourcen noch zu den politischen Institutionen war dem SNCC versperrt. Bereits kurz nach der Gründung wurde das SNCC zu einer der wichtigsten Organisationen der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Die finanzielle Unterstützung durch Spenden und Stiftungen nahm bis 1965 stetig zu.147 Zwar pflegte SNCC schon immer eine größere Distanz zu den politischen Eliten als andere Bürgerrechtsorganisation, trotzdem gab es in den Anfangsjahren regelmäßig Kontakte zwischen der US-Bundesregierung und SNCC-Aktivist*innen. Zudem erreichte das SNCC

146 Weber, Max (1984): Soziologische Grundbegriffe, UTB, S. 44. 147 Haines (1988): Black Radicals and the Civil Rights Mainstream, 1954-1970, S. 84.

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Fragile kollektive Identitäten

in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre einige wichtige politische Ziele. Dazu zählte etwa die Verabschiedung des Civil Rights Act und des Voting Rights Act, die auch durch die politische Arbeit des SNCC in den Südstaaten ermöglicht worden war. Das SNCC konnte also nur kurze Zeit nach seiner Gründung bereits erhebliche politische Erfolge verzeichnen. Auch das Ausmaß der Repression, das die SNCCAktivist*innen in den Südstaaten durch staatliche Stellen und Organisationen wie den Ku-Klux-Klan erlebten, lässt sich nicht ohne weiteres zur Erklärung der Radikalisierung heranziehen. Denn auch andere Bürgerrechtsorganisationen, wie etwa die SCLC, waren damals Repression und Gewalt ausgesetzt und radikalisierten sich nicht in vergleichbaren Maße.148 Politische Gelegenheitsstrukturen können häufig nicht erklären, ob sich eine Gruppe radikalisiert. So zeigt Andreas Pettenkofer (2010), dass die Befürwortung und Anwendung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung nur schwer in die Political-Process-Theory zu integrieren sei. Denn aus der Logik der Gelegenheitsstrukturen ist gewaltsames Handeln in den meisten Fällen nicht rational. Der Erfolg dieses Handelns ist nur schwer kalkulierbar und in der Regel stehen den Aktivist*innen immer auch ›günstigere‹ Alternativen zur Verfügung. So betrachtet wird Gewalt erst dann zu einer Option, wenn sich durch ihre Anwendung konkrete Erfolgsaussichten abzeichnen würden. Zahlreiche Fallbeispiele zeigen jedoch, dass Aktivist*innen auch dann gewaltsam handeln, wenn ihre unmittelbaren Erfolgsaussichten relativ gering sind.149 Man kann daher festhalten, dass die aktuelle Fokussierung in der Bewegungsforschung auf einen zweckrationalen Handlungsbegriff in Hinblick auf die Erklärung von Radikalisierungsprozessen nur begrenzt sinnvoll ist. Folglich erscheint es nicht plausibel im Rahmen der Weberschen Klassifikation, radikales Handeln als irrational abzutun oder es als rein zweckrational zu verstehen. Beide Zugänge liefern keinen befriedigenden Ansatz, um Radikalisierungsprozesse erklären zu können. Weber nennt in seinen Arbeiten zum sozialen Handeln allerdings nicht nur eine Möglichkeit rationalen Handelns. Vielmehr geht er von zwei Typen rationalen Handelns aus. Neben dem zweckrationalen benennt er auch das wertrationale Handeln. Weber definiert dies folgendermaßen: »Rein wertrational handelt, wer ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen handelt im Dienst seiner Überzeugung von dem, was Pflicht, Würde, Schönheit, religiöse Weisung, Pietät, oder die Wichtigkeit einer ›Sache‹ gleichviel welcher Art ihm zu gebieten scheinen.«150 Er grenzt es dabei vom affektuellen Handeln ab, das er als vornehmlich irrational einstuft. So zeichnet sich das werterationale Handeln durch

148 Umoja (1999): The Ballot and the Bullet: A Comparative Analysis of Armed Resistance in the Civil Rights Movement. 149 Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen. 150 Weber (1984): Soziologische Grundbegriffe, S. 45.

2. Theorien politischer Radikalisierung

eine ›konsequente planvolle Orientierung‹ und durch die bewusste Herausarbeitung ›letzter Richtpunkte des Handelns‹ aus. Trotzdem ist es kein zweckrationales Handeln, da es hier nicht zu einer Abwägung von Zweck, Mittel und Nebenfolgen kommt. Webers Typologie ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil er die beiden Typen rationalen Handelns nebeneinanderstellt und keinen der beiden mit einem besonderen Exklusivanspruch versieht.151 Weber hält fest: »Sehr selten ist Handeln, insbesondere soziales Handeln, nur in der einen oder der anderen Art orientiert.«152 Er geht also davon aus, dass Menschen in verschiedenen Situationen auf unterschiedliche Handlungsrationalitäten zurückgreifen und folglich beide Typen für die Erklärung von gesellschaftlichen Phänomen in Betracht gezogen werden müssen. Anstatt sich zu fragen, welches Rationalitätsprinzip radikalem Handeln denn nun zugrunde liegt, wird diese Arbeit deshalb versuchen, herauszuarbeiten, unter welchen Umständen radikale Akteure ein am Kosten-Nutzen-Kalkül orientiertes Handeln aufgeben und zu anderen Rationalitätsprinzipien übergehen.

151

152

Hahn, Susanne (2010): Rationalitätsbegriffe – Von Max Weber lernen?, in: Behnke, Joachim, Thomas Bräuninger und Susumu Shikano (Hg.): Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie: Band 6: Schwerpunkt Neuere Entwicklungen des Konzepts der Rationalität und ihre Anwendungen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 47-68, hier S. 49. Weber (1984): Soziologische Grundbegriffe, S. 46 (Hervorh. im Orginal).

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3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Im vorangegangenen Kapitel habe ich gezeigt, dass die Bewegungsforschung in den vergangenen Jahrzehnten einige wichtige Erkenntnisse über die Radikalisierung von politischen Akteuren gewinnen konnte. Eine zentrale Erkenntnis dieser Ansätze ist, dass die Radikalisierung von Individuen und Gruppen einen Prozess darstellt. Kein Mensch wird als Radikale oder Radikaler geboren. Während sich die Ressourcenmobilisierungsansätze und die älteren Arbeiten der Political-Process-Theory vor allem darauf konzentriert haben, die politischen Gelegenheitsstrukturen (z.B. Ressourcenzugang, Ausmaß staatlicher Repression) herauszuarbeiten, die Radikalisierungsprozesse beeinflussen,1 haben die neuere Political-Process-Theory und die Framing-Ansätze den Analyserahmen erweitert und versucht, gemeinsame Prozesse und Mechanismen in sich radikalisierenden Bewegungen über verschiedene historische Zeiträume hinweg zu identifizieren. Im Mittelpunkt dieser Arbeiten steht weniger die Frage, warum sich soziale Bewegungen oder Protestgruppen radikalisieren, als vielmehr wie und wann sie das tun.2 Obwohl diese Ansätze erheblich zum Verständnis von Radikalisierungsprozessen beitragen konnten, weisen sie auch Defizite und Probleme auf. So hat die PoliticalProcess-Theory massive Schwierigkeiten, die Entstehung von radikalen Gruppen und Organisation zu erklären, wenn die Gelegenheitsstrukturen für politische Bewegungen günstig sind und eine Radikalisierung deshalb eher unwahrscheinlich ist.3 Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung des SNCC. Denn trotz eines

1

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3

Haines (1988): Black Radicals and the Civil Rights Mainstream, 1954-1970; Della Porta (1995): Social Movements, Political Violence, and the State: A Comparative Analysis of Italy and Germany; Goldstone (1998): Social Movements or Revolutions? On Evolution and Outcomes of Collective Action; Tarrow, Sidney (1998): Power in Movement: Social Movements and Contentious Politics, 2. Aufl., Cambridge u.a.: Cambridge University Press; Tilly, Charles und Sidney Tarrow (2007): Contentious politics, Boulder, Colo: Paradigm Publishers. Vgl. Alimi/Demetriou/Bosi (2015): The Dynamics of Radicalization: A Relational and Comparative Perspective; Della Porta/LaFree (2012): Processes of Radicalization and De-Radicalization; Della Porta (2013): Clandestine Political Violence. Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen.

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Fragile kollektive Identitäten

guten Zugangs zu Ressourcen und politischen Institutionen radikalisierte sich die Organisation zwischen 1960 und 1968. Das widerspricht im Kern der These der Political-Process-Theory, die implizit davon ausgeht, dass Individuen zur Verfolgung ihrer Interessen immer denjenigen Weg einschlagen, der mit den geringsten Kosten verbunden ist. Auch das Ausmaß der Repression, das viele Vertreter*innen der Political-Process-Theory heranziehen, ist im Falle des SNCC nur begrenzt geeignet, seine Radikalisierung zu erklären. Zwar stießen die SNCC-Aktivist*innen bei ihrer Arbeit in den Südstaaten auf massive Repression, allerdings waren davon auch andere Bürgerrechtsorganisationen betroffen, die sich später nicht radikalisieren sollten.4 Es stellt sich also die Frage, warum sich nur Teile der Bürgerrechtsbewegung radikalisierten, obwohl die Rahmenbedingungen für alle Bürgerrechtsorganisationen in den Südstaaten relativ ähnlich waren. Allein die Veränderung der Gelegenheitsstrukturen kann die Radikalisierung der Organisation jedenfalls nicht gänzlich erklären. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen erscheint es sinnvoll, sich noch einmal intensiver mit der Entwicklung des SNCC zu beschäftigen und zu fragen, inwiefern die Political-Process-Theory auch im Hinblick auf die Erklärung von Radikalisierungsprozessen einer Erweiterung bedürfen. Dabei lassen sich in der Bewegungsforschung selbst fruchtbare Ansätze ausmachen, die sich in den letzten Jahren als Kritik an der rationalistischen Handlungslogik der Political-Process-Theory und Ressourcenmobilisierungsansätze und ihren Erklärungslücken entwickelt haben. Es handelt sich dabei um Ansätze, die sich mit der Konstruktion von kollektiver Identität beschäftigt haben und dabei der Frage nachgegangen sind, wie Individuen und Gruppen strategische Entscheidungen jenseits einer instrumentellen Rationalität treffen. Eine zentrale Erkenntnis der verschiedenen Beiträge war dabei, dass Handlungsoptionen und Entscheidungen in kollektive Identitätsdefinitionen eingebettet sind.5 Durch die Einbeziehung der kollektiven Identitätskonstruktion bei der Untersuchung von Radikalisierungsprozessen, so der Leitgedanke dieser Arbeit, kann das Rätsel, warum sich in bestimmten Situationen trotz ähnlicher politischer Gelegenheitsstrukturen nur bestimmte Teile einer Bewegung oder Gruppe radikalisieren, zumindest teilweise aufgelöst werden. Diese Idee möchte ich in diesem Kapitel weiter ausformulieren und konkreter fassen.

4 5

Umoja (1999): The Ballot and the Bullet: A Comparative Analysis of Armed Resistance in the Civil Rights Movement. Melucci (1989): Nomads of the Present: Social Movements and Individual Needs in Contemporary Society; Polletta/Jasper (2001): Collective Identity and Social Movements; Daphi (2011): Soziale Bewegungen und kollektive Identität.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

3.1.

Kollektive Identitätskonstruktionen in sozialen Bewegungen

Ich möchte in dieser Arbeit zeigen, dass sich Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen mithilfe von Ansätzen kollektiver Identitätskonstruktion besser verstehen lassen. Obwohl in der Bewegungsforschung die Konzepte kollektiver Identitätskonstruktion in den vergangenen Jahren zunehmend populärer geworden sind,6 ist die Anzahl entsprechender Forschungsbeiträge relativ überschaubar geblieben.7 Ich möchte daher in einem ersten Schritt zunächst eine kurze Übersicht über drei zentrale Stränge in der akademischen Debatte geben, in deren Rahmen die Auseinandersetzung mit kollektiven Identitäten in sozialen Bewegungen in den letzten Jahren stattfand. Es handelt sich dabei um Framing-Ansätze, handlungspraktische Ansätze und Ansätze, die sich mit den Narrationen in sozialen Bewegungen beschäftigt haben.8 Danach soll in einem zweiten Schritt gezeigt werden, welche Ansätze aus meiner Sicht besonders geeignet sind, Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen zu analysieren. Seit einigen Jahren kommen in der Bewegungsforschung verstärkt Identitätskonzepte zur Anwendung, um unterschiedlichste Dynamiken und Dimensionen sozialen Protests zu erschließen.9 Allerdings haben die existierenden Ansätze Schwierigkeiten, ein einheitliches Verständnis darüber zu entwickeln, was unter kollektiver Identität zu verstehen ist. So merkt Bert Klandermans (2014) an, dass die grundlegende Frage, wie sich Identität kollektiv forme, wie sie wirkungsmächtig werde und sich politisiere, weder beantwortet noch jemals auch nur gestellt worden sei.10 Bereits Polletta und Jasper (2001) haben diese Unbestimmtheit des Identitätskonzepts in der Bewegungsforschung kritisiert. Es sei häufig völlig überladen und diene oftmals nur dazu, die Lücke zu füllen, die entstehe, wenn die Aussagekraft der jeweiligen Modelle an ihre Grenzen stoße.11 Polletta und Jasper geben einen Überblick über die Diskussion des Identitätsansatzes in der Bewegungsforschung und zeigen, dass die verwendeten Konzepte eine große Spannbreite aufweisen. So geht die Forschung zu ›Neuen sozialen Bewegungen‹

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11

Daphi (2011): Soziale Bewegungen und kollektive Identität; Daphi, Priska (2017): Becoming a Movement: Identity, Narrative and Memory in the European Global Justice Movement. Ausnahmen sind: Della Porta (1995): Social Movements, Political Violence, and the State: A Comparative Analysis of Italy and Germany; Klandermans, P. G. (2014): Identity Politics and Politicized Identities: Identity Processes and the Dynamics of Protest, in: Political Psychology 35/1, S. 1-22. Vgl. Daphi (2011): Soziale Bewegungen und kollektive Identität. Vgl. Polletta/Jasper (2001): Collective Identity and Social Movements; Daphi (2011): Soziale Bewegungen und kollektive Identität. Klandermans (2014): Identity Politics and Politicized Identities: Identity Processes and the Dynamics of Protest, S. 2; Haunss, Sebastian (2004): Identität in Bewegung: Prozesse kollektiver Identität bei den Autonomen und in der Schwulenbewegung, Springer-Verlag, S. 55. Polletta/Jasper (2001): Collective Identity and Social Movements, S. 285.

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Fragile kollektive Identitäten

(NSB) davon aus, dass kollektive Identitäten eine Voraussetzung für die Mobilisierung zu politischen Aktivitäten, insbesondere zu Protesthandeln, sein können. Die Framing-Ansätze haben sich wiederum vor allem damit beschäftigt, wie Identitäten durch Individuen strategisch eingesetzt werden, um für Protest zu mobilisieren. Hierbei treffen strukturalistische und rationalistische Grundannahmen aufeinander: Eher strukturalistisch orientierte Konzepte, zu denen die NSB-Ansätze zählen, heben die unabhängige Rolle von Kultur und den Konstruktionscharakter von Identitäten in Protestbewegungen hervor.12 Die eher rationalistisch orientierten Konzepte, wie die Framing-Ansätze, sind dagegen wesentlich skeptischer gegenüber einem solchen Verständnis kollektiver Identitätskonstruktion. Zwar leugnen sie nicht die Bedeutung von kollektiven Identitäten für Protestbewegungen, allerdings nehmen sie an, dass diese Identitäten in der Regel von politischen Eliten strategisch entwickelt werden, um Individuen zur Teilnahme an Protestbewegungen zu motivieren.13 Ob sie wirkungsmächtig werden oder nicht, hängt letztlich von den politischen Gelegenheitsstrukturen ab, in denen sich die jeweiligen Individuen bewegen.14 Diese Grundannahme, die vielen Framing-Ansätzen zugrunde liegt, wurde zu Recht infrage gestellt. Zum einen wurden Zweifel an der Figur des strategisch kalkulierenden Bewegungsakteurs geäußert und zum anderen wurde darauf hingewiesen, dass verschiedene Individuen trotz gleicher Gelegenheitsstrukturen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf ihr Handeln kommen können.15 Die strukturalistische Grundannahme war ebenfalls Gegenstand von Kritik. Aus Sicht von Polletta und Jasper (2001) wurde das Konzept kollektiver Identität durch manche Autor*innen insofern übermäßig strapaziert, als die rationalistische Argumentationsrichtung einfach umgedreht wurde. Einige poststrukturalistische Ansätze würden kollektive Identität als eine kulturelle Konstruktion begreifen, welche die Interessen und Beziehungen Individuen gänzlich bestimme und dadurch die soziale Struktur, in der Menschen leben, determiniere, ohne den Individuen auch absichtsvolles, strategisches Handeln zuzugestehen.16

12 13 14

15 16

Ebd., S. 289. Ebd., S. 291. Siehe hier insbesondere die Arbeiten von Vertretern der Political-Process-Theory: Tilly/Tarrow (2007): Contentious Politics, S. 106-110; Tilly (2003): Politics of Collective Violence, S. 31-32; McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970; McAdam, Doug (2003): Revisiting the U.S. Civil Rights Movement: Toward a More Synthetic Understanding of the Origins of Contention, in: Jasper, James M. und Jeff Goodwin (Hg.): Rethinking social movements: structure meaning and emotion, S. 201-232, hier S. 226-227. Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, S. 6774. Vgl. Joyce, Patrick (1994): Democratic Subjects: The Self and the Social in Nineteenth-Century England; Polletta/Jasper (2001): Collective Identity and Social Movements, S. 285.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Aus der Kritik an den rationalistischen wie auch den strukturalistischen Grundannahmen in der Bewegungsforschung sind Ansätze hervorgegangen, die versucht haben, beide Positionen miteinander in Einklang zu bringen.17 So konnten Jasper und Polletta (2001) anhand der Auswertung verschiedener Forschungsergebnisse belegen, dass Akteure in sozialen Bewegungen kollektive Identität strategisch einsetzen und dass die verschiedenen strategischen Optionen, die eine Gruppe bei der Umsetzung ihrer politischen Ziele in Betracht zieht, eng mit dem jeweiligen Selbstbild der Individuen verknüpft sind. Diese Verknüpfung kann auf unterschiedliche Art und Weise hergestellt werden. Einige Autor*innen haben gezeigt, dass kollektive Identitätskonstruktion tief in die Strategien und Taktiken von Aktivist*innen eingelassen sind und deren Entscheidungsoptionen vorab strukturieren. Ein Beispiel ist die Konsensorientierung, die manche Bewegungsorganisationen bei Entscheidungsprozessen an den Tag legen und die sie auch dann nicht aufgeben, wenn sie die Organisation in ihrer Entscheidungsfindung erheblich lähmt. Der gruppeninterne Wert der Konsensorientierung ist in diesen Fällen wichtiger als die unmittelbare Umsetzung eines politischen Zieles.18 Andererseits können kollektive Identitätskonstruktionen auch selbst zum Teil einer Proteststrategie werden. Je nach Protestsituation können Aktivist*innen ihre kollektive Identität anders präsentieren, indem sie entweder die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten mit dem Adressaten des Protests betonen.19 Polletta und Jasper wenden sich schließlich gegen die strikte Trennung zwischen einem Verständnis von Identität als expressivem Handeln auf der einen und als Strategie bzw. als instrumentelles Handeln auf der anderen Seite. Sie machen stattdessen deutlich, dass Aktivist*innen Identität zwar strategisch einsetzen, die strategische Optionen aber durch die Selbstbilder von Gruppen vorgeprägt sind.20 Interessant sei vor diesem Hintergrund vor allem die Frage, in welchen Kontexten entweder Identitäten oder strategisches Handeln besonders zum Tragen kommen.21 Es erscheint sinnvoll, eine Definition kollektiver Identität zu verwenden, welche die beiden oben beschriebenen Dimensionen in der Forschungsdebatte am besten verbinden und abbilden kann. Dabei erweist sich aus meiner Sicht das handlungstheoretische Konzept von Alberto Melucci (1996) als besonders nützlich. Melucci grenzt sich mit seiner Definition zum einen von einem essenzialistischen Identitätsverständnis ab, demzufolge Identitäten ausschließlich Ausgangspunkt für kollektives Handeln sind. Zum anderen schlägt er eine Brücke zu jenen Ansätzen der Bewegungsforschung, die sich vor allem mit den politischen Gelegen17 18 19 20 21

Vgl. Polletta/Jasper (2001): Collective Identity and Social Movements. Ebd., S. 293. Ebd., S. 292-296. Ebd., S. 296. Ebd., S. 299.

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Fragile kollektive Identitäten

heitsstrukturen beschäftigen. Entscheidend ist dabei, dass für Melucci der Begriff der kollektiven Identität nicht auf der Makroebene angesiedelt ist. Er nutzt diesen Begriff also nicht, um strukturellen Wandel innerhalb von Gesellschaften zu beschreiben, sondern als analytisches Werkzeug, um zu erklären, wie Individuen in sozialen Bewegungen ihre Gemeinsamkeiten erkennen und wie sie zusammen handeln. Melucci definiert kollektive Identität folgendermaßen: »Collective identity is an interactive and shared definition produced by a number of individuals (or groups at a more complex level) concerning the orientations of their action and the field of opportunities and constraints in which such action is to take place.«22 Dabei zeichnet sich für Melucci der Prozess der Herausbildung einer kollektiven Identität durch drei Merkmale aus: Es bedarf einer kognitiven Definition (»cognitive definition«) gemeinsamer Ziele, der Mittel und des Aktionsrahmens, eines aktiven Beziehungsnetzwerkes (»active relationship«) zwischen den Aktivist*innen und eines gewissen Maßes an emotionalen Investitionen (»emotional investment«), das den Aktivist*innen ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft vermittelt. Kollektive Identitäten in sozialen Bewegungen verbinden die politischen Überzeugungen mit dem politischen Handeln. Identitäten müssen nicht zwangsläufig im Mittelpunkt der Politik stehen, sondern dienen in erster Linie dazu, eine Gemeinschaft zwischen den Aktivist*innen einer Bewegung herzustellen.23 Melucci verortet die Entstehung von solchen kollektiven Identitäten allerdings nicht auf der Makroebene, beispielsweise auf der Ebene von Nation oder Ethnizität, sondern in der alltäglichen Lebensführung der Aktivist*innen, in der die erwünschte politische Veränderung bereits vorweggenommen werde. Gleichzeitig grenzt sich Melucci von der überzogenen rationalistischen Vorstellung ab, wonach diese Identitätskonstruktionen ausschließlich aus den Interessen der Individuen ableitbar und nur auf das Erreichen eines politischen Erfolges ausgerichtet seien.24 Ausgehend von diesem Verständnis kollektiver Identitätskonstruktion haben sich in den letzten Jahren verschiedene Ansätze in der Literatur zu sozialen Bewegungen herausgebildet, die unterschiedliche empirische Zugänge anbieten. Dabei lassen sich grundsätzlich drei Zugänge unterscheiden: Neben den bereits oben ausführlich vorgestellten Framing-Ansätzen25 gibt es eine Reihe von Arbeiten, die sich mit Emotionen wie auch mit Narrationen in sozialen Bewegungen beschäftigt

22 23 24 25

Melucci, Alberto (1996): Challenging Codes: Collective Action in the Information Age, Cambridge University Press, S. 70 (Hervorh. im Orginal). Haunss (2004): Identität in Bewegung: Prozesse kollektiver Identität bei den Autonomen und in der Schwulenbewegung, S. 66. Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, S. 78. Siehe Kapitel 2.2.5 in dieser Arbeit.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

haben und darüber die Formierung und Stabilisierung von kollektiven Identitäten erklären.26 Besonders die letztgenannten Ansätze zur Rolle von Narrationen eröffnen interessante Perspektiven zur Analyse von Prozessen kollektiver Identitätskonstruktion in sich radikalisierenden sozialen Bewegungen.

3.1.1.

Handlungspraktische Ansätze

Einen Strang in der akademischen Debatte um kollektive Identitätskonstruktionen stellen die handlungspraktischen Ansätze dar. Diese Ansätze gehen davon aus, dass sich Protestgemeinschaften erst durch ritualisiertes gemeinsames Tun formieren und stabilisieren können. Die Tatsache allein, dass die Aktivist*innen Ideen, Kultur und Ziele teilen, reicht demnach nicht aus, denn nur das gemeinsame Handeln der Protestteilnehmer*innen schafft das für eine Protestgemeinschaft erforderliche Zusammengehörigkeitsgefühl.27 Ein solches Zusammengehörigkeitsgefühl kann durch gemeinsames Handeln bei Protestaktionen, aber auch durch die Alltagspraxen von Aktivist*innen entstehen. So kann einerseits ein bestimmtes rituelles Handeln, beispielsweise während einer Demonstration, eine emotionale Nähe zwischen den Aktivist*innen erzeugen, die dazu führt, dass diese ihr Engagement aufrechterhalten und verstärken.28 Andererseits können rituelle Handlungen auch in die Alltagspraxen der Aktivist*innen in bestimmten ›Szenen‹ eingehen und dadurch die Bildung von kollektiven Identitäten befördern. Diese szenespezifischen Alltagspraxen prägen wiederum die Bewegungsdiskurse und strukturieren dadurch den strategischen Entscheidungsraum der Individuen.29 Die handlungspraktischen Ansätze gehen davon aus, dass Bindung und Loyalität zwischen den Aktivist*innen nicht nur durch geteilte Ideen und Ziele hergestellt werden, sondern auch durch ritualisiertes und emotional aufgeladenes Handeln.

3.1.2.

Narrative Ansätze

Einen weiteren Strang repräsentieren narrative Ansätze, die sich mit der Rolle von Erzählungen in sozialen Bewegungen beschäftigen. Diese Ansätze gehen davon aus, dass Identitäten durch Narrationen konstituiert werden. Narrationen sind

26 27 28 29

Daphi (2017): Becoming a Movement: Identity, Narrative and Memory in the European Global Justice Movement, S. 20-24. Daphi (2011): Soziale Bewegungen und kollektive Identität, S. 11; Daphi (2017): Becoming a Movement: Identity, Narrative and Memory in the European Global Justice Movement, S. 21-22. Vgl. Jeffrey S. Juris (2008): Performing politics: Image, embodiment, and affective solidarity during anti-corporate globalization protests, in: Ethnography 9/1, S. 61-97. Vgl. Haunss (2004): Identität in Bewegung: Prozesse kollektiver Identität bei den Autonomen und in der Schwulenbewegung.

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Fragile kollektive Identitäten

demnach kommunikative Praktiken, mit deren Hilfe Individuen Bedeutung konstruieren und verändern und Sinn erzeugen.30 Wie Bewegungen sich selbst und die Welt um sich sehen, wird also durch Erzählungen geprägt, die nicht nur ein Medium für etwas sind, das unabhängig von ihnen existiert, sondern die auch aktiv die Wirklichkeit formen, indem sie die Grundlage für das Handeln und den Zusammenhalt von Gemeinschaften bilden.31 Diese Ansätze heben hervor, dass Erzählungen Ereignisse nicht einfach nur wiedergeben, sondern diese Ereignisse in sinnstiftende Sequenzen ordnen und einbetten. Joseph Davies (2002) definiert Narrationen wie folgt: »In narrative, as contrasted with other discursive forms, past events are selected and configured into a plot, which portrays them as a meaningful sequence and schematic whole with beginning, middle, and end.«32 Somit stellt also die chronologische Ordnung von Ereignissen in Sequenzen ein zentrales Merkmal von Narrationen dar. Diese Einbeziehung einer zeitlichen Dimension ist auch der entscheidende Unterschied zwischen Narrationen und frames. Letztere konstituieren Bedeutung durch Analogie und Differenz, ohne die zeitliche Abfolge von Ereignissen zu beachten. Narrative Ansätze hingegen erzeugen Sinn, indem sie Ereignisse innerhalb eines Handlungsgerüsts (Plot) anordnen.33 David Carr (1991) beschreibt den narrativen Ansatz treffend, wie folgt: »The actions and sufferings of life can be viewed as a process of telling ourselves stories, listening to those stories, and acting them out or living them through.«34 Einer Narration fällt dabei die Aufgabe zu, verschiedene Positionen mithilfe einer möglichst kohärenten Erzählung zusammenzuführen, welche die Einheit einer Gruppe unterstreicht.35 Andere Autor*innen bezweifeln dagegen, dass es einer kohärenten Erzählung bedarf, um einen Gruppenzusammenhalt herstellen zu können. Sie betonen stattdessen die Bedeutung von übergreifenden Themen, damit Narrationen durch interpretatorische Offenheit eine möglichst große Anschlussfähigkeit erreichen können.36

30

31 32 33 34 35 36

Somers, M. R (1994): The Narrative Constitution of Identity: A Relational and Network Approach, in: THEORY AND SOCIETY 23/5, S. 605; Viehöver, Willy (2001): Diskurse als Narrationen, Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 177-206, hier S. 178. Carr, David (1986): Narrative and the Real World: An Argument for Continuity, in: History and Theory 25/2, S. 117-131, hier S. 126. Davis, Joseph E (2002): Stories of change: narrative and social movements, Albany: State University of New York Press, S. 11. Daphi (2017): Becoming a Movement: Identity, Narrative and Memory in the European Global Justice Movement, S. 23. Carr, David (1991): Time, Narrative, and History, Indiana University Press, S. 61. Vgl. Carr (1986): Narrative and the Real World: An Argument for Continuity. Vgl. Polletta, Francesca (2006): It was like a fever: storytelling in protest and politics, Chicago: University of Chicago Press; Prins, Jacomijne u.a. (2013): Telling the Collective Story? MoroccanDutch Young Adults‹ Negotiation of a Collective Identity through Storytelling, in: Qualitative Sociology 36/1, S. 81-99.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

In der vorliegenden Arbeit soll auf einen narrativen Ansatz zurückgegriffen werden, da dieser analytisch am besten dazu geeignet ist, zwischen den von Melucci vorgeschlagenen drei Dimensionen (kognitiv, relational und emotional) kollektiver Identitätskonstruktion zu vermitteln. Denn erst durch Narrationen bestimmen Individuen, welche gemeinsame Ziele und Mittel (Aktionsformen), welche sozialen Grenzen und welche emotionale Nähe zwischen den Aktivist*innen für ihre Bewegung von Bedeutung sind und welche nicht. Zwar können diese Elemente auch unabhängig voneinander existieren, sie werden allerdings erst dann wirkungsmächtig, wenn sie in eine Erzählung eingewoben sind.37

3.2.

Prozesse der Konstruktion kollektiver Identität in radikalen Bewegungen

Donatella della Porta (1996) hat gezeigt, dass Radikalisierungsprozesse auf verschiedenen Ebenen stattfinden und dass ein übergreifender Ansatz notwendig ist, um die unterschiedlichen Dynamiken in ein umfassendes Erklärungsmodell einpassen zu können. Ich möchte mich an diesem analytischen Rahmen orientieren und della Portas Unterscheidung zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene zum Ausgangspunkt für meine konzeptionellen Überlegungen machen, um die Radikalisierung des SNCC zu untersuchen. Weiter oben habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Political-Process-Theory und die Ressourcenmobilisierungsansätze bestimmte Radikalisierungsdynamiken, wie sie im SNCC zu beobachten sind, nicht plausibel zu erklären vermögen. Wie ich im Folgenden darlegen werde, geht dieses Problem darauf zurück, dass diese Ansätze die Mikroebene, genauer: die Prozesse kollektiver Identitätskonstruktion vernachlässigen. Della Porta hat mit ihrer Studie (1995) wichtige Impulse geliefert, um die Rolle von kollektiven Identitäten in Radikalisierungsprozessen besser verstehen zu können. Sie zeigt, dass sich Aktivist*innen vor allem innerhalb von persönlichen Netzwerken radikalisieren, in denen die Gruppensolidarität sehr hoch ist. Radikale Gruppen zeichnen sich durch einen starken inneren Zusammenhalt und eine starke Isolation von der Außenwelt aus. Aufgrund ihrer Isolation kommen die Gruppenmitglieder nur noch mit solchen Aktivist*innen in Kontakt, die ihre eigenen Ansichten und ihre Weltanschauung teilen. Die Folge ist eine Dämonisierung des Gegners und eine verstärkte Rechtfertigung von gewaltsamen Aktionsformen.38 Della Porta beschreibt damit einen wichtigen Mechanismus: Die Isolation

37 38

Daphi (2017): Becoming a Movement: Identity, Narrative and Memory in the European Global Justice Movement, S. 24. Della Porta (1995): Social Movements, Political Violence, and the State: A Comparative Analysis of Italy and Germany, S. 204.

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68

Fragile kollektive Identitäten

einer Gruppe führt zu Radikalisierung. Allerdings erklärt sie nicht, warum solche kollektiven Identitäten entstehen oder sich in diese Richtung verändern und warum radikale Gruppen sich infolgedessen isolieren. Stattdessen geht sie davon aus, dass die politischen Gelegenheitsstrukturen, in denen sich Individuen bewegen, die eigentlich treibenden Kräfte für Radikalisierungsprozesse sind. Um Radikalisierungsprozesse erklärten zu können, ist es aber durchaus sinnvoll, sich auch die konkreten Transformationsprozesse anzuschauen, die die kollektiven Identitäten von radikale Akteure durchlaufen haben. Bert Klandermans (2014) bietet dafür einen vielversprechenden Ansatz. Zwar betont auch er, dass Radikalisierung in der Regel auf den mangelnden Zugang einer Gruppe zu politischen Institutionen zurückzuführen ist. Die Radikalisierung einer Gruppe beginne meist damit, dass eine Gruppe erfolglos versuche, auf Entscheidungsprozesse in einem politischen System Einfluss zu nehmen. Wenn dann die Identität dieser Gruppe durch die Mehrheit oder ein repressives Regime infrage gestellt werde, bestehe die Gefahr, dass sich diese Gruppe radikalisiere.39 Allerdings hebt er gleichfalls hervor, dass Radikalisierungsprozesse auch unmittelbar durch kollektive Identitätskonstruktionen geprägt werden. Jeder Mensch gehöre nicht nur einer Gruppe, sondern mehreren Gruppen an und sei somit auch Träger*in verschiedener kollektiver Identitäten.40 Diese kollektiven Identitäten blieben die meiste Zeit latent. Sie würden dann politisiert, wenn Individuen mit ihrer Gruppe in politischen Protest involviert würden. Ausgelöst würde diese Politisierung kollektiver Identität häufig durch Machtkämpfe zwischen sozialen Gruppen, etwa wenn eine Gruppe versuche, eine politische Machtstruktur zu etablieren, zu verändern oder zu verteidigen. Infolgedessen verstärke sich die Identifikation einzelner Gruppenmitglieder mit der gesamten Gruppe. In seinen quantitativen Analysen konnte Klandermans zeigen, dass eine starke Gruppenidentifikation die Wahrscheinlichkeit für die Teilnahme an Aktionen erhöht. Auf der anderen Seite fördert aber auch die Teilnahme an Aktionen die Gruppenidentifikation. Diese Ergebnisse legen nahe, dass verstärkte Gruppenidentifikation eine Bereitschaft entstehen lässt, sich an Aktionen zu beteiligen. Wenn sich schließlich die Möglichkeit ergibt, an Aktionen teilzunehmen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass aus dieser Bereitschaft auch tatsächliches Handeln wird. Die Teilnahme an Aktionen stärkt wiederum die Identifikation mit der eigenen Gruppe und die kollektive Identität. Klandermans geht deshalb davon aus, dass kollektive Identitäten und Aktionsteilnahme rekursiv sind, sich also gegenseitig befördern und verstärken. Ob kollektive Identitäten aber politisiert werden, hängt unmittelbar von den Gelegenheitsstrukturen ab, die die Rahmenbedingungen für das

39 40

Klandermans (2014): Identity Politics and Politicized Identities: Identity Processes and the Dynamics of Protest, S. 2-3. Ebd., S. 3.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Handeln vorgeben.41 In Radikalisierungsprozessen kommt es jedoch nicht nur zu einer Politisierung der Gruppenidentifikation, sondern auch zu einer wachsenden Polarisierung zwischen Gruppen. Ein Merkmal einer solchen Polarisierung ist die strikte Unterscheidung zwischen einer Ingroup und einer Outgroup – zwischen ›wir‹ und ›ihnen‹. Dabei entsteht bei den Individuen die Wahrnehmung, dass die Existenz der eigenen Gruppe durch die jeweils gegnerische Gruppe bedroht ist. Infolgedessen etablieren sich gruppenspezifische Symboliken und Werte. Die eigene Gruppenidentität wird aufgewertet, während die Mitglieder der Outgroup abgewertet werden. Tritt nun eine Gegenbewegung auf den Plan oder greifen staatliche Institutionen zu repressiven Maßnahmen gegen die eigene Gruppe, kann dies den Zusammenhalt und die Gruppenidentifikation nochmals weiter stärken. Dadurch entsteht eine Spirale der Polarisierung, welche die Radikalisierung der Gruppe vorantreibt.42 Klandermans zeigt damit einen Mechanismus auf, der in der Forschung bisher kaum Beachtung gefunden hat: Radikalisierung kann dadurch forciert werden, dass Individuen ihre eigene Gruppenidentität durch eine Outgroup bedroht sehen und meinen, ihre bedrohte Identität bestätigen oder verteidigen zu müssen. Das kann durchaus mit einer starken emotionalen Aufladung des Konflikts und einer scharfen Abgrenzung zwischen Ingroup und Outgroup einhergehen. Das Resultat ist dann häufig eine noch stärkere Polarisierung zwischen Gruppen, die eine weitere Radikalisierung der Akteure befördert.43 Erik Ringmar (1996) liefert einen interessanten Erklärungsansatz dafür, warum Akteure ihre Identität als bedroht wahrnehmen. Aus seiner Sicht spielt die Frage von Anerkennung der eignen Persönlichkeit eine zentrale Rolle bei der Ausbildung einer eigenen Identität. Folglich verbringen Individuen und Gruppen sehr viel Zeit mit der Suche nach Anerkennung. Diese Anerkennung kommt häufig nicht automatisch, sondern zwingt Akteure zum Handeln, um auch Andere von einem bestimmten Selbstbild zu überzeugen. Ein solcher ›Kampf um Anerkennung‹ sei weder rational noch irrational. Auch ist er nicht durch ein unmittelbares Nutzenkalkül getrieben, da erst die Anerkennung eines Individuums oder einer Gruppe eine Vorrausetzung dafür ist, dass Menschen überhaupt ein Nutzenkalkül entwickeln können. Dieses Handeln ist folglich nicht darauf ausgerichtet, bestimmte Interessen zu verteidigen, sondern eine Identität.44 Es zielt nicht darauf, Nutzen zu erhöhen oder Verlust zu begrenzen, sondern zunächst einmal nur darauf, einen ›Standard‹ zu entwickeln nach dem Gewinn und Verlust gemessen werden kann. In ›normalen Zeiten‹, so Ringmar, sind Identitäten einfach nur da und bieten eine – meist sogar unhinterfragte – Grundlage für das Handeln von Individuen und Akteuren. Anders 41 42 43 44

Ebd., S. 11. Ebd., S. 17-18. Ebd., S. 19. Ringmar, Erik (1996): Identity, Interest and Action – A cultural explanation of Sweden´s intervention in the Thirty Years war, Cambridge University Press, S. 13-14.

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stellt sich das in Zeiten dar, in denen diese Identitäten zerbrechen, neue Narrationen entstehen und neue Forderungen nach Anerkennung aufkommen. Diese Zeiten nennt Ringmar ›formative Momente‹.45 Damit meint er, dass Aufkommen von alternativen Weltvorstellungen, die die alten Weltvorstellungen herausfordern und das Vertrauen in diejenigen politischen und sozialen Institutionen schwinden lässt, die auf jenen alten Weltvorstellungen gründen. Ein solcher Übergang finde nicht nach festgelegten Regeln statt, sondern sei ein sehr umkämpftes Feld, bei denen Akteure mithilfe von Rhetorik und Propaganda über Bedeutungen ringen.46 Ausgangspunkt von Ringmars Überlegungen ist ein narrative Handlungstheorie, die rationalistische und essenzalisitische Konzepte ersetzen will. Dieser Ansatz geht im Kern davon aus, dass Wirklichkeit über das Erzählen von Geschichten, sogenannten stories, erzeugt wird. Damit gemeint sind Sequenzen von Metaphern, die in einen Plot eingebettet sind und durch die sich Menschen die Welt erschließen. Diese stories bestimmen wiederum nicht nur unsere Interessen, sondern konstituieren auch unser Selbstbild: »The stories we tell define not only what we want, but also who or what we are like.«47 Dabei schreibt Ringmar den stories über unser Selbstbild eine konstituierende Funktion zu. Denn bevor wir erzählen können, was unsere Interessen sind, müssen wir wissen wer wir eigentlich selbst sind: »It is only as some-one that we can have an interest in some-thing.«48 Ringmar sieht in der narrativen Handlungstheorie vor allem eine Erweiterung der ›orthodoxen Handlungstheorie‹, die sich vornehmlich auf die Interessenskonstellationen von Akteuren und Individuen konzentriert. So bestreitet er zwar nicht, dass Menschen in vielen Situationen überwiegend zweckrational, nutzenmaximierend handeln, allerdings unterscheidet er hiervon Situationen, in denen die Identität von Gruppen und Individuen zur Disposition steht. In solchen besonderen Situationen handeln Menschen nicht um ihre Interessen, sondern um ihr Selbstbild zu verteidigen. Die Ausbildung eines Selbstbilds geht dabei der Formulierung von Interessen immer voran, denn ohne zu wissen, wer man selbst ist, ist es nicht möglich zu definieren, was man selbst will.49 Folglich werden Identitätskonstruktionen vor allem dann für das Handeln von Akteuren bedeutsam, wenn alte Identitätsbezüge durch politischen, ökonomischen und sozialen Wandel in Auflösung begriffen sind, sprich die Narrationen über das eigene Selbstbild prekär werden. In solchen Situationen trete die bloße Kosten-Nutzen-Kalkulation in den Hintergrund und die Stabilisierung des eigenen Selbstbildes wird handlungsleitend. Dieses Handeln ist weder rational noch irrational, auch unterliegt es keinem Nützlichkeitskalkül der Akteure. Ringmars zentrales Argument ist, dass wenn Identitäten fragil werden, Akteure den 45 46 47 48 49

Ebd., S. 81-82. Ebd., S. 85. Ebd., S. 76 (Hervorh. im Orginal). Ebd. (Hervorh. im Orginal). Ebd., S. 88.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Raum zweckrationaler Kosten-Nutzen-Kalküle verlassen und ihr Handeln in erster Linie darauf ausrichtet, ihre persönliche oder kollektive Identität zu verteidigen.50 Kritisch kann man gegenüber Ringmars Ansatz einwenden, dass auch die Suche nach einem stabilen Selbstbild einen Kosten-Nutzen-Kalkül folgt. Zum einen kann Ringmar mit seinem Ansatz nicht ausschließen, dass die Verteidigung einer kollektiven Identität nicht doch im Interesse von einzelnen Gruppenmitglieder war, deren Interessenkonstellation anhand des historischen Materials nur schwer oder gar nicht rekonstruierbar ist. Zum anderen kann ein solches Handeln nachträglich immer auch als interessensgeleitet angesehen werden, da Ringmar selbst davon ausgeht, dass die Verteidigung einer Identität eine Voraussetzung für die Formulierung von Interessen ist. Man könnte es daher auch als einen Teil der Interessensausbildung der Akteure verstehen. Obwohl solche Einwände durchaus nachvollziehbar sind, können sie keinen Beitrag dafür leisten das Puzzle aufzulösen, das dieser Arbeit zugrundliegt: Wie sind soziale Phänomene erklärbar, in denen sich Akteure trotz günstiger Gelegenheitsstrukturen für Handlungsoptionen entscheiden, die ihrer unmittelbaren Nutzenerwartung eher entgegenstehen, also eigentlich nicht im Interesse der handelnden Akteure liegen können. Die Etablierung bestimmter kollektiven Identitätskonstruktionen nachträglich als Durchsetzung von bestimmten Interessenskonstellationen zu rekonstruieren, hilft hier nur eingeschränkt weiter, weil es den Blick auf die Dynamiken verstellt, die Identitätsbildungsprozesse annehmen können. Schließlich leugnet Ringmar nicht die Bedeutung von Interessen zur Erklärung des Handelns von Akteuren. Er weist lediglich darauf hin, dass es historische Situationen gibt, in denen nicht die Verteidigung von Interessen bei den Akteuren im Mittelpunkt steht, sondern die Stabilisierung ihrer eigenen Identität. Dieses Handeln kann natürlich im Nachhinein als interessensgesteuert abgetan werden, weil diese Konstruktionsprozesse kollektiver Identitäten in der historischen Rückschau als Voraussetzung für Formulierung von Interessen gedeutet werden. Allerdings verwischt man dadurch die komplexe Gemengelage, in die Akteure geraten, deren ursprünglichen Selbstbild massiv destabilisiert wurde. In eine ähnliche Richtung wie Ringmar argumentiert auch Roger V. Gould (2003), der durch die empirische Untersuchung ganz unterschiedlicher historischer Ereignisse zu dem Ergebnis kommt, dass Konflikte und Gewalt dann zunehmen, wenn Hierarchien zwischen Individuen unklar sind oder zur Disposition stehen. In Zeiten politischer Krisen häuft sich Gewalt also nicht nur aufgrund von Konkurrenzkämpfen um Ressourcen und Ideen, sondern auch weil die etablierten Netzwerke, die vormals eine bestimmte gesellschaftliche Ordnung abbildeten und von allen Individuen als legitim anerkannt wurden, von einer Partei infrage gestellt werden. In solchen Situationen kommt der Verteidigung der symbolischen Ehre von Einzelperson wie auch von Gruppen eine entscheidende Rolle 50

Ebd., S. 13-14.

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zu. Gewalt stellt in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit dar, die eigene Ehre, der die Anerkennung versagt wurde, wiederherzustellen.51 Zwar benutzt Gould den Begriff der kollektiven Identität nicht, er kommt aber analytisch zu einem ähnlichen Ergebnis wie Ringmar: Wenn die etablierte Ordnung einer Gemeinschaft angezweifelt wird und einer Gruppe die Anerkennung einer Gruppenidentität versagt bleibt, dann kann die Verteidigung der Identität (Ringmar) oder der Ehre (Gould) der eigenen Gruppe zum Antrieb für ihr Handeln werden. In der vorliegenden Arbeit möchte ich Ringmars These, die er am Beispiel des Eintritts Schwedens in den Dreißigjährigen Krieg entwickelt hat, auf Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen anwenden. Die Radikalisierung des SNCC, so meine Vermutung, wurde durch eine Destabilisierung alter Identitätsbezüge in der Organisation befördert, die zwar durch externe Entwicklungen in der politischen Umwelt des SNCC ausgelöst wurden, allerdings sehr schnell Prozesse kollektiver Identitätskonstruktion anstießen, die wiederum eine gewisse Eigendynamik entwickelten. Die Auflösung alter Identitätsbezüge führte dazu, dass die Frage nach dem eigenen Selbstbild bei den SNCC-Aktivist*innen in den Mittelpunkt rückte. Anders formuliert: Nicht mehr die Frage Was wollen wir?, sondern die Frage Wer sind wir? stand nun im Zentrum der strategischen Überlegungen der Aktivist*innen. Es war also die Fragilität der kollektiven Identitätskonstruktionen der Aktivist*innen, die die Radikalisierung beförderten. Anhand des Fallbeispiels SNCC werde ich untersuchen, wie die Verteidigung einer Gruppenidentität, die von außen infrage gestellt wird und deren Existenz aus Sicht der Akteure bedroht erscheint, zu einem Leitmotiv für Protesthandeln wurde. Anders formuliert: Ich möchte in dieser Arbeit zeigen, dass in solchen, für die Akteure existenziellen Situationen die Verteidigung der eigenen Identität zum Ausgangspunkt politischer Radikalisierung werden kann. Dazu möchte ich mir den Wandel der Narrationen kollektiver Identitätskonstruktion innerhalb von SNCC betrachten. Insbesondere soll gefragt werden, welche neuen Themen und Aktionsformen in die Debatten der Aktivist*innen auftraten und welche neuen Narrationen mit ihnen verbunden wurden?

3.3.

Methodisches Vorgehen

Im Zentrum dieser Arbeit steht die Auseinandersetzung mit den bewegungsinternen Diskursen im SNCC. Aktivist*innen in sozialen Bewegungen erzeugen beständig Diskurse über sich selbst, ihre Ziele, Strategien und Protesttaktiken. Eine

51

Gould, Roger (2003): Collision of Wills: How Ambiguity about Social Rank Breeds Conflict, Chicago: University of Chicago Press, S. 6-7.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

entscheidende Rolle kommt dabei Narrationen zu, denn sie sind ein zentrales diskurstrukturierendes Regelsystem. Individuen machen – bewusst oder unbewusst – ständig Gebrauch von Narrationen und verleihen dadurch ihren Weltdeutungen und ihren sozialen Praktiken Kohärenz, Bedeutung und qua Wiederholung eine gewisse Beständigkeit.52 Das Ziel dieser Arbeit soll es daher sein, die wesentlichen Narrationen herauszuarbeiten, die konstitutiv für die Konstruktion kollektiver Identitäten im SNCC waren. Hierzu werden vor allem interne Dokumente des SNCC im Hinblick darauf ausgewertet, welche Themen und welche politischen Aktionsformen darin angesprochen und diskutiert wurden. Diese Auswertung erfolgt mithilfe einer Kritischen Diskursanalyse nach Jäger (1999, 2001). Diese Methode eignet sich besonders gut für die Analyse größerer Textmengen. Sie wurde von Siegfried Jäger in Anschluss an Michel Foucaults Diskursanalyse entwickelt, um Diskurse, Diskursfragmente und Argumentationsstrukturen in der Medienöffentlichkeit zu analysieren. Ergänzend dazu verwende ich eine Analysemethode, mit der ich die Narrationen aufzeigen möchte, die diese Diskurse durchzogen haben und dadurch die kollektive Identität konstituierten. Bevor ich jedoch mein methodisches Vorgehen weiter vorstelle, möchte ich zunächst den Diskursbegriff, der dieser Arbeit zugrunde liegt, in den Grundzügen umreißen. SNCC radikalisierte sich in der Hochzeit der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Diese Entwicklung durchlief allerdings nicht nur das SNCC, sondern betraf auch andere Teile der Bürgerrechtsbewegung. Eine vergleichbare Entwicklung durchlief in den 1960er Jahren beispielsweise auch die Bürgerrechtsorganisation Congress of Racial Equality (CORE). Darüber hinaus gründeten sich Mitte der 1960er Jahre eine Reihe von Schwarzen Organisationen, die SNCCs Black Power-Slogan aufgriffen oder die ähnliche Positionen zum black nationalism vertraten und sich damit von der Bürgerrechtsbewegung abgrenzten. Das Revolutionary Action Movement (RAM) oder die Black Panther Party (BPP) sind hierfür Beispiele.53 Die Radikalisierung der Bewegung beschränkte sich also nicht allein auf SNCC, sondern war ein Merkmal eines Teils der Schwarzen Bewegung in den USA. SNCC bietet sich als Untersuchungsgegenstand für eine Diskursanalyse allerdings besonders an, weil seine Entwicklungsgeschichte vergleichsweise gut dokumentiert ist und die Entwicklung von Teilen der Bewegung, von einem absolut pazifistischen zu einem gewaltbefürwortenden Protest, wie durch ein Brennglas nachvollzogen werden kann. Keine andere Organisation der Bürgerrechtsbewegung vollzog einen derartig radikalen Bruch in ihrer eigenen Geschichte. Gleichzeitig kann man SNCC von anderen Organisationen der Bürgerrechtsbewegung abgrenzen, die sich nicht

52 53

Viehöver (2001): Diskurse als Narrationen, S. 178. Die Nation of Islam, die vor allem durch Malcom X bekannt, vertrat bereits vorher Positionen des black nationalism. Malcom X fiel 1965 einem Attentat zum Opfer und konnte somit nicht mehr die Hochzeit der Black Power-Debatte im Jahre 1966 miterleben.

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radikalisierten. Neben CORE existierten in den 1960er Jahren drei weitere große Organisationen, die National Association for Advancement of Colored People (NAACP), die National Urban League sowie die Southern Christian Leadership Conference (SCLC)54 , die in den Anfangsjahren mit SNCC eng verbunden war. Diese Organisationen, die alle wesentlich mitglieder- und finanzstärker waren als SNCC55 , nahmen eine vergleichsweise moderate Entwicklung, distanzierten sich nicht von gewaltfreien Protestformen und wendeten sich auch nicht von den liberalen Demokraten ab. Die Radikalisierung des SNCC steht somit nur für die Entwicklung eines kleinen Teils der Bürgerrechtsbewegung. Dennoch ist dieser Fall besonders interessant, weil sich SNCC radikalisiert, obwohl die politischen Gelegenheitsstrukturen, wie bereits von mir weiter oben dargestellt, eine solche Entwicklung nahgelegt haben.

3.3.1.

Diskursanalyse

In dieser Arbeit greife ich auf den von Jürgen Link (2011) ausgearbeiteten Diskursbegriff zurück. Für Link, der wie Jäger ebenfalls an die Begrifflichkeit von Foucault anknüpft, legen Diskurse die Grenzen »spezifischer Sagbarkeits- und Wissensräume«56 fest. »Es sind institutionalisierte, geregelte Redeweisen als Räume möglicher Aussagen, die an Handlungen gekoppelt sind. Dazu gehört insbesondere die Konstitution von spezifischen historischen Objektivitäten und Subjektivitäten […].«57 Unter Objektivitäten versteht er soziale Gegenstände und Themen sowie Begriffe, Klassifikationen und Argumente. Subjektivitäten sind hingegen legitime Sprechpositionen sowie Gender- und andere Sprecher- und Rezipientenrollen. Es ist diese Verbindung aus Eingrenzung von Sagbarkeits- und Wissensräumen, Objektivitäten und Sprechersubjektivtäten, aus denen Diskurse ihre Machteffekte generieren.58 Doch wie lässt sich die Struktur solcher Diskurse herausarbeiten? Siegfried Jäger (2011) hat hierfür eine Methode entwickelt, die in der vorliegenden Arbeit weitgehend übernommen werden soll. Er schlägt vor, den jeweiligen Diskurs in Untereinheiten aufzuteilen. Dabei unterscheidet er zwischen Diskurssträngen und Diskursfragmenten. Diskursstränge sind eine Abfolge von Texten, die ein gemeinsames 54

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57 58

Die Organisationen der Bürgerrechtsbewegung, NAACP, National Urban League, SCLC, CORE und SNCC wurde häufig auch als die Big Five bezeichnet. Sie waren die mitgliederstärksten und einflussreichsten Organisationen der Schwarzen Bewegung bis Mitte der 1960er Jahre in den USA. Haines, Herbert H. (1984): Black Radicalization and the Funding of Civil Rights: 1957-1970, in: Social Problems 32/1, S. 31-43, hier S. 36. Link, Jürgen (2011): Diskursanalyse unter besonderer Berücksichtigung von Interdiskurs und Kollektivsymbolik, in: Keller, Reiner u.a. (Hg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, Band 1, Theorien und Methoden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 407-430, hier S. 407. Ebd. Ebd., S. 407-408.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Thema haben. Ein solcher Diskursstrang zeigt auf »[…] was zu einem bestimmten gegenwärtigen oder früheren Zeitpunkt bzw. jeweilige Gegenwarten [sic!] in seiner gesamten Bandbreite gesagt wurde bzw. sagbar ist bzw. war.«59 Ein Diskursstrang setzt sich wiederum aus vielen einzelnen Elementen zusammen, die Jäger als Diskursfragmente bezeichnet. Dabei kann es sich um Textteile, aber auch um mehrere einzelne Texte handeln. Diejenigen Diskursfragmente, die ein gemeinsames Thema behandeln, bilden einen Diskursstrang. Meist enthalten Texte mehrere Diskursfragmente, sodass in einem Text in der Regel unterschiedliche Diskursstränge miteinander verbunden sind. Eine solche Verschränkung von Diskurssträngen liegt vor, wenn ein Text klar verschiedene Themen oder neben einem Hauptthema noch weitere Themen anspricht. Auch kommt es vor, dass ein monothematischer Text auf andere Themen mehr oder minder losen Bezug nimmt. Diesen Fall bezeichnet Jäger als diskursiven Knoten, durch den Diskursstränge miteinander vernetzt werden.60 Es stellt sich allerdings die Frage, welche Datenmenge in die Analyse einbezogen werden muss, um ein möglichst vollständiges Bild des Diskurses zu erhalten. Siegfried Jäger geht davon aus, dass Vollständigkeit dann erreicht ist, wenn die Analyse keine inhaltlich und formal neuen Erkenntnisse liefert. »Die Vollständigkeit ergibt sich – zum Ärger primär quantitativ arbeitender Sozialwissenschaft, die in der Regel mit riesigen Materialmengen hantiert – meist erstaunlich bald, denn der Diskursanalyse geht es um die Erfassung des Sagbarkeitsfelder.«61 Für die Aussagefähigkeit einer Diskursanalyse ist ihre quantitative Dimension daher grundsätzlich von einer geringeren Relevanz als der qualitative Aspekt.62 Der methodische Ansatz von Siegfried Jäger soll genutzt werden, um Diskursstränge in der internen Kommunikation des SNCC in den Jahren von 1960 bis 1967 zu identifizieren und zu analysieren. Dabei sollen zunächst vor allem die Themen ausgemacht werden, die prägend für die Debatten waren und die Meinungsbildung formten. Doch in den internen Diskussionen tauschte man sich nicht nur über politische Themen und Positionen aus, sondern es wurde auch über konkrete Handlungsmöglichkeiten und Formen des Protests diskutiert. In den Berichten, Diskussionen und Meinungsbeiträgen wurden bestimmte Aktionsformen für zukünftige Proteste antizipiert, in der Nachschau reflektiert oder einfach nur an andere Mitglieder der Organisation weitergeben. Das Reden über Aktionsformen nahm einen nicht unbedeutenden Anteil in der innerorganisationalen Kommunikation ein. Auch für die Auseinandersetzung mit politischer Radikalisierung spie59

60 61 62

Jäger, Siegfried (2011): Diskurs und Wissen, in: Keller, Reiner u.a. (Hg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, Band 1, Theorien und Methoden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 91-124, hier S. 108. Ebd., S. 108-109. Ebd., S. 113. Ebd.

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len Aktionsformen eine wichtige Rolle. Denn politische Radikalität spiegelt sich nicht nur in den Weltanschauungen der Individuen wider, sondern drückt sich auch in ihrem konkreten Handeln aus. Deshalb sollen in dieser Arbeit neben den diskutierten politischen Themen und Positionen auch die in den jeweiligen Artikeln, Protokollen und Positionspapieren von den Aktivist*innen unterstützten und favorisierten Formen des Protests herausgearbeitet werden. Die Diskursanalyse wird sich also nicht nur auf die Diskussionen über politische Ziele und Ideen (Themen) beschränken, sondern auch die angesprochenen Aktionsformen betrachten.

3.3.2.

Das Ausgangsmaterial

Wie bereits angesprochen, sind vor allem SNCC-interne Dokumente Gegenstand der Analyse. Sie eignen sich besonders gut, um die Diskussionsstränge zu Themen und Protestrepertoires zu identifizieren und zu analysieren. Dabei wird auf unterschiedliche Sorten von Dokumenten zurückgegriffen. Neben Protokollen von Sitzungen und Konferenzen sowie Briefen gehören auch Positionspapiere und Presseerklärungen sowie Zeitungen, die vom SNCC selbst oder von Unterstützern herausgegeben wurden, zur Materialgrundlage. Obwohl das SNCC sich bereits Ende der 1960er-Jahre auflöste, sind zahlreiche interne Dokumente erhalten geblieben. Ein Großteil der Materialien ist am Schomburg Center for Research in Black Culture in New York auf Mikrofilm zugänglich. Viele Dokumente können jedoch auch online abgerufen werden.63 Besonders die Protokolle der internen Treffen vermitteln ein eindrückliches Bild von den strategischen Überlegungen der damaligen Aktivist*innen. Allerdings ist die inhaltliche Qualität der Protokolle sehr unterschiedlich. Zudem wurden nicht alle SNCC-Treffen lückenlos dokumentiert und es sind nicht alle Protokolle erhalten geblieben. Manche Protokolle enthalten nur Stichpunkte, sind offensichtlich lückenhaft oder teilweise schwer lesbar. Andere wiederum sind über dreißig Seiten lang und sehr detailliert. Über die inhaltlichen Diskussionen hinaus geben die Protokolle aber auch einen guten Einblick in den Alltag der Aktivist*innen und die Probleme und Herausforderungen bei der schwierigen Arbeit in den Südstaaten. Sie enthalten wichtige Informationen über ihre Ideen und Debatten und stellen daher für diese Arbeit eine der wertvollsten Materialgrundlagen dar. 63

The Martin Luther King, Jr. Research and Education Institute, Stanford University: https://kinginstitute.stanford.edu/(abgerufen am 14.12.2018); Civil Rights Movement Veterans, Tougaloo College, Jackson, Mississippi: www.crmvet.org/docs/orgsdocs.htm#docssncc (abgerufen am 14.12.2018). Das King Institute der Stanford University bietet mit dem King Paper Project eine Datenbank über die Schwarze Geschichte in den USA und über die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Die Website der Civil Rights Movement Veterans, die vom Tougaloo College in Mississippi betrieben wird, stellt eine umfassende Sammlung von Originaldokumenten insbesondere über das SNCC zu Verfügung.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Eine weitere wichtige Ressource dieser Arbeit sind zwei Zeitungen mit engem Bezug zum SNCC: Die Student Voice bzw. The Voice, wie sie in den letzten Ausgaben hieß, erschien erstmals im Juni 1960 und war ursprünglich eine Art Newsletter, der die verschiedenen SNCC-Gruppen gegenseitig über ihre Arbeit und Aktionen informieren sollte. Die Zeitung gehörte offiziell zum SNCC, wurde auch von ihm finanziert und erschien unregelmäßig in Atlanta, wo das SNCC seinen Hauptsitz hatte. Die Artikel beschäftigten sich vor allem mit den Sit-ins, den Bürgerrechtsdemonstrationen und später zunehmend auch mit der Wählerregistrierung in den ländlichen Südstaaten. Dabei wollte die Student Voice vor allem auf Ereignisse aufmerksam machen, die in den Mainstream-Medien keine Beachtung fanden. Die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit war also eines der wichtigsten Anliegen der Zeitung.64 Inhaltlich konzentrierte man sich vornehmlich auf die Berichterstattung über Protestaktivitäten und weniger auf politische Meinungsäußerungen. Die Student Voice diente allerdings nicht nur zur Mobilisierung der Schwarzen Gemeinschaften in den Südstaaten, sondern hielt auch die Unterstützer in den Nordstaaten über die Aktivitäten des SNCC auf dem Laufenden und warb so für Spenden an die Organisation. In späteren Jahren veränderte sich die Zeitung zunehmend. An die Stelle von sachorientierten Berichten traten immer häufiger politische und kulturelle Analysen, in denen zu unterschiedlichsten Fragen politisch Position bezogen wurde. Im Dezember 1965 erschien die letzte Ausgabe der Student Voice.65 Eine weitere Zeitung, die in die Analyse miteinbezogen wurde, ist The Movement. Sie erschien zum ersten Mal im April 1965 und wurde in San Francisco herausgegeben.66 Die Zeitung war ursprünglich als Newsletter für die Unterstützer des SNCC in Kalifornien konzipiert worden, entwickelt sich aber schnell zu einer der wichtigsten Zeitung der Neuen Linken (New Left) in den USA. Ihre Auflage erreichte zeitweise 25.000 Exemplare.67 Gegründet wurde die Zeitung von dem SNCCAktivist*innen Mike Miller. Im Unterschied zur Student Voice enthielt The Movement von Beginn an eine Vielzahl von Meinungsbeiträgen. Zwar wurden auch viele Berichte in der Zeitung publiziert, allerdings war der Anteil an kulturellen und politischen Analysen wesentlich größer und erhöhte sich im Laufe der Zeit auch noch deutlich. Im Gegensatz zur Student Voice gehörte The Movement nie offiziell zum SNCC. Dennoch gibt es einige Hinweise, dass die Beziehungen zwischen der Organisation und der Zeitung sehr eng waren. So war die Titelseite von The Movement 64 65 66 67

Murphiee, Vanessa (2003): The Student Voice: »Purging the Rabies of Racism«, in: American Journalism 20/1, S. 73-91. Carson, Clayborne (1990): The Student Voice, 1960-1965: Periodical of the Student Nonviolent Coordinating Committee, Greenwood Publishing Group, S. 7. Carson, Clayborne (1993): The Movement: 1964-1970, Westport, Conn.: Greenwood Press. Cannon, Terrence und Joseph A. Blum: Introduction to »The Movement«, S. 1, https://libraries. ucsd.edu/farmworkermovement/archives/#sncc (abgerufen am: 22. Dezember 2014).

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bis Mitte 1968 mit dem Schriftzug »Published by The Student Nonviolent Coordinating Committee of California« bzw. »Affiliated with the Student Nonviolent Coordinating Committee« versehen. Auch veröffentlichten die damaligen SNCCVorsitzenden Stokely Carmichael und H. Rap Brown regelmäßig in The Movement. Darüber hinaus gab es offensichtlich auch direkte Verbindungen zur Student Voice. So erschienen im Jahr 1965 einzelne Artikel sowohl in The Movement als auch in der Student Voice bzw. in The Voice. Aufgrund dieser vielfältigen Bezüge zwischen dem SNCC und The Movement ist davon auszugehen, dass sich die Debatten innerhalb der Organisation auch in der Zeitung wiederfinden.Allerdings verstanden sich die Movement-Redakteur*innen als Sprachrohr nicht nur des SNCC, sondern auch von zahlreichen anderen linken Gruppen. Deshalb deckte The Movement wesentlich mehr Themen und Debatten des linken Meinungsspektrums dieser Zeit ab als die Student Voice. Neben Artikeln über die Situation der Schwarzen in den Südstaaten und die Black-Power-Bewegung gab es auch Berichte über Gewerkschaftsaktionen, die Frauenbewegung und die Studierendenproteste. The Movement nahm somit eine Art Scharnierfunktion zwischen Schwarzer Bürgerrechtsbewegung und der Neuen Linken in den USA ein. Besonders deutlich wird dies daran, dass zunächst eine Reihe von Artikeln über die Students for a Democratic Society (SDS) und ihre Protestaktionen erschien und ab Dezember 1967 auf dem Titelblatt auch auf die Verbindung zu dieser Organisation hingewiesen wurde. Diese Verbindung war allerdings nicht von langer Dauer. Denn schon ab Mitte 1968 fehlten dann jegliche Verweise auf das SNCC oder die SDS auf dem Titelblatt der Zeitung. Scheinbar wollte sich die Movement-Redaktion ab 1968 unabhängiger von konkreten einzelnen Bewegungsorganisationen präsentieren. Stattdessen gab sie verschiedenen linken Strömungen und Ideologien dieser Jahre Raum für Diskussionen.68 Diese Entwicklung ging einher mit der schwindenden Bedeutung des SNCC. Vermutlich hatte The Movement in den späten Jahren (1969/1970) deshalb nur noch wenig oder sogar überhaupt nichts mehr mit dem SNCC zu tun. Daher wurden nur diejenigen Exemplare der Zeitung ausgewertet, die unmittelbar auf das SNCC Bezug nehmen. Das sind alle Ausgaben von Juni 1965 bis August 1968. Neben den Protokollen und Zeitungen sind eine Reihe von Briefen, Positionspapieren, Reden, Flugblättern, Pressemitteilungen und sonstigen Dokumenten aus dem SNCC-Nachlass erhalten. Trotz ihres häufig fragmentarischen Charakters ergänzen sie das Gesamtbild der Organisation und bieten einen guten Einblick in die tagtägliche Arbeit der SNCC-Aktivist*innen. Darüber hinaus geben sie auch einen Überblick über wichtige politische Forderungen des SNCC und dessen Beziehung zu anderen Organisationen der Bürgerrechtsbewegung. Ergänzend zu diesem Material wurden auch Zeitungsartikel aus der New York Times zwischen März 1960 und Oktober 1968 ausgewertet, die einen Bezug zum 68

Ebd., S. 4.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

SNCC aufweisen. Dabei wurden nur solche Artikel in die Auswertung mit aufgenommen, die beispielsweise direkt (in Form eines wörtlichen Zitats) oder indirekt eine Aussage wiedergeben, die eindeutig SNCC-Aktivist*innen zugeordnet werden konnte. Nicht in die Auswertung eingegangen sind hingegen Aussagen, die von den jeweiligen Autor*innen des Artikels oder von Dritten über das SNCC getroffen worden sind. Gegen die Nutzung dieses Materials lässt sich einwenden, dass die darin enthaltenen Beiträge und Meinungen nicht unmittelbar einen bewegungsinternen Diskurs repräsentieren. Sie wurden dennoch in die Auswertung miteinbezogen, weil sie zwar nicht die Innensicht des SNCC, wohl aber dessen Rezeption in der medialen Öffentlichkeit in den USA widerspiegeln. Die Kritische Diskursanalyse zielt darauf, das Sagbarkeitsfeld abzustecken. Hierzu gehören auch Aussagen, die SNCC-Aktivist*innen im öffentlichen Raum getätigt haben. Sie sind Teil des Diskurses innerhalb der Organisation und haben teilweise auch in den internen Debatten eine Rolle gespielt. Schon aus diesem Grund sind die genannten Zeitungsartikel hilfreich, um das Gesamtbild der damaligen diskursiven Konstellationen in Bezug auf die Schwarze Bürgerrechtsbewegung zu rekonstruieren. Darüber hinaus können sie aber auch Lücken in der Materiallage schließen. Während von der Gründung bis ins Jahr 1966 relativ viele SNCC-interne Dokumente erhalten sind, gibt es aus der Endphase der Organisation nur wenig Material. Besonders die üblichen Sitzungsprotokolle fehlen, sodass für diesen Zeitraum fast ausschließlich Ausgaben von The Movement als Quelle zur Verfügung standen. In Zeitungen wie der New York Times kamen SNCC-Aktivist*innen mit einer großen Regelmäßigkeit zu Wort, so auch in den Jahren zwischen 1966 und 1968. Es ist daher sinnvoll, sie in die Analyse zu integrieren, um ein möglichst vollständiges Bild über das SNCC zu erhalten. Doch auch wenn Zeitungsartikel eine wichtige Materialquelle für die vorliegende Arbeit sind, haben sie dennoch nur einen ergänzenden Charakter. Für die Analyse der Diskurse innerhalb des SNCC sind die internen Dokumente prioritär. Insgesamt wurden 319 Dokumente, die zwischen dem 20.03.1960 und dem 22.10.1968 erstellt wurden oder erschienen sind, in die Auswertung einbezogen: 18 Protokolle von verschiedenen SNCC-Treffen, 74 sonstige Dokumente (z.B. Pressemitteilungen, Briefe, Positionspapiere), 56 Ausgaben der Student Voice/The Voice, 25 Ausgaben von The Movement und 146 Artikel aus der New York Times.

3.3.3.

Erhebungsmethode und Erhebungskategorien

Nach der Beschreibung des empirischen Ausgangsmaterials werden nun die Erhebungsmethode und die Erhebungskategorien erläutert.

79

80

Fragile kollektive Identitäten

Zunächst wurde jedes Dokument in eine Datenbanktabelle aufgenommen.69 Die unterschiedlichen Konzepte, die in diesen Beiträgen genannt worden sind, wurden dann Schlagworten zugeordnet. Die mit diesen Schlagworten beschriebenen Konzepte repräsentieren dabei die bereits angesprochenen Diskursfragmente. Dabei wurden die Schlagwörter vorab durch stichpunktartige Auswertung von 50 Dokumenten der insgesamt 319 Dokumente des Ausgangsmaterials festgelegt. Bei dieser ersten Sichtung wurden alle in den Dokumenten genannten Konzepte herausgearbeitet. Für die weitere Auswertung wurden dann nur noch diejenigen Konzepte für die Verschlagwortung berücksichtigt, die in mindestens fünf Dokumenten genannt wurden. Danach wurden die Konzepte nach Häufigkeit der Nennung priorisiert und gegebenenfalls in übergreifende Schlagwortkategorien zusammengefasst. Darüber hinaus wurden zwei übergreifende Bereiche gebildet, die jeweils ein eigenes Set an Schlagwörtern umfassen. Diese Bereiche sind: diskutierte Themen und politische Aktionsformen. Die durch die Stichprobe in beiden Sets ermittelten Schlagwortkategorien wurden daraufhin für die Untersuchung aller 319 Dokumente genutzt. Diese Bereiche und die dazugehörigen Konzepte werden im Folgenden vorgestellt. In einem ersten Auswertungsschritt wurden die Dokumente zunächst im Hinblick auf die diskutierten Themen verschlagwortet. Da die Aktivist*innen häufig nicht nur ein politisches Thema oder eine Aktionsform ansprachen, konnten einem Dokument auch mehrere Schlagworte zugeordnet werden. Die folgenden thematischen Schlagworte wurden bei der Durchsicht der Dokumente und mithilfe der verfügbaren Literatur zum SNCC gebildet:70 • • • • • • • • • • •

69

70

Segregation und Integration Rechtliche Gleichstellung Politische und ökonomische Macht Schwarze Kultur und Selbstbewusstsein Weiße in der Schwarzen Bewegung Organisatorisches Finanzlage und Fundraising Beschäftigung, Armut, soziale Lage und Ghettos Community Organizing und Bildungsarbeit Wahlrecht Gewaltlosigkeit und Selbstverteidigung

In die Datenbanktabelle wurde das jeweilige Erstellungsdatum (Tag/Monat/Jahr), die Autorenschaft (falls bekannt) und der Dokumententyp (Zeitung, Positionspapier, Protokoll etc.) aufgenommen. Eine detaillierte Beschreibung der jeweiligen Kategorien findet sich im Annex Kategorienbildung Themen und Aktionsformen.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

• • • • • •

Polizeigewalt, Gewalt durch Weiße und Rolle des FBI71 Riots und Law-and-Order Außenpolitik und Kolonialismus Sozialismus, Kommunismus und Klassenfrage Vietnamkrieg und Wehrpflicht Black Power, black nationalism und Schwarze Selbstbestimmung.

Neben den diskutierten Themen wurden auch Schlagworte zu den politischen Aktionsformen erarbeitet, zu denen SNCC-Aktivist*innen bei internen Treffen, auf Konferenzen oder in öffentlichen Äußerungen aufgerufen haben. Auch hier repräsentieren die Schlagworte die unterschiedlichen Diskursfragmente. Bei der Auswertung wurden jedoch nur diejenigen Aktionsformen miteinbezogen, die SNCC-Aktivist*innen selbst erwähnten, die sie explizit unterstützten bzw. an denen sie aktiv teilnahmen. Erwähnt ein Zeitungsartikel beispielsweise, dass SNCC-Aktivist*innen an einer Demonstration oder Kundgebung teilgenommen haben, so wurde dies als aktive Unterstützung dieser Aktionsform durch das SNCC gewertet und deshalb diesem Dokument das entsprechende Schlagwort zugeordnet. Dadurch konnte ein Spektrum an politischen Aktionsformen erfasst werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass immer alle SNCC-Aktivist*innen jede dieser Aktionsformen unterstützten, sich zu ihnen bekannten oder sie selbst praktizierten. Bei der Durchsicht der Dokumente und mithilfe der Literatur zum SNCC konnten die folgenden Schlagworte für den Bereich der politischen Aktionsformen gebildet werden:72 • • • • • • • • • • •

71 72

Rechtliche Maßnahmen und Lobbying Kommunikationsplattform Sit-ins Boykott Konferenzen Demonstrationen und Kundgebungen Freedom Rides Wählerregistrierung Freedom Ballots Selbsthilfeprojekte und Bildungsprogramme Streik und Gewerkschaftsarbeit

FBI – Federal Bureau of Investigation. Das FBI ist die zentrale Sicherheitsbehörde in den USA. Sie ist sowohl Strafverfolgungsbehörde als auch Inlandsgeheimdienst. Eine detaillierte Beschreibung der jeweiligen Kategorien findet sich im Annex Kategorienbildung Themen und Aktionsformen.

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Fragile kollektive Identitäten

• • •

Parteiarbeit und Parteigründung Selbstverteidigung Offensiv-gewaltsame Aktionen.

3.3.4.

Analyse der Makro- und Mesoebene

Ich gehe in dieser Arbeit davon aus, dass eine Reihe von Ereignissen auf der Makround Mesoebene erheblichen Einfluss auf die SNCC-internen Diskurse hatte. Insofern bieten die historischen und gesellschaftlichen Kontextbedingungen den Rahmen für die Diskursanalyse auf der Mikroebene. Im Anschluss an den bereits erwähnten Vorschlag Siegfried Jägers (2011), Diskursstränge mithilfe von Chroniken diskursiver Ereignisse zu analysieren,73 soll die Diskursanalyse entlang einschneidender Ereignisse in der historischen Entwicklung des SNCC erfolgen. Diese Ereignisse stellen Bruchstellen in der Geschichte der Organisation dar, sie prägten Diskussionen und wirkten sich auf die Aktionsformen der Aktivist*innen aus. Solche Ereignisse zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie sich mehr oder weniger der direkten Steuerung durch die Bewegungsaktivist*innen entzogen und gleichzeitig einen gewissen Handlungsdruck bei ihnen auslösten. Hinsichtlich der Entwicklung von SNCC stechen in der einschlägigen Literatur aus meiner Sicht fünf Ereignisse heraus, denen in der anschließenden Diskursanalyse besondere Aufmerksamkeit zuteil werden soll. Es handelt sich dabei um den Beginn der finanziellen Unterstützung der Wählerregistrierungsprojekte des SNCC und anderer Bürgerrechtsorganisation in den Südstaaten durch öffentliche Geldgeber (Juni 1962), die unter der Bezeichnung Mississippi Freedom Summer bekannt gewordene Kampagne (Juni bis August 1964), den Parteitag der Demokratischen Partei in Atlantic City (August 1964), den aktiven Eintritt der USA in den Vietnamkrieg (Februar 1965) und das Inkrafttreten des Voting Rights Act (August 1965). Die historische und sozialwissenschaftliche Literatur zu diesen Ereignissen soll die Analyse der Diskurse auf der Mikroebene ergänzen. Dabei möchte ich argumentieren, dass allen diesen Ereignissen eine entscheidende Rolle für die Transformationsprozesse innerhalb des SNCC zukam: Sie hatten Einfluss auf die Diskurse und die Narrationen und trugen damit zum Wandel kollektiver Identität des SNCC bei. Nichtsdestotrotz ergibt die bloße Prozessanalyse dieser Ereignisse kein schlüssiges Erklärungsmodell für die Radikalisierung des SNCC. Denn all diese Ereignisse wirkten sich zwar auf das Handeln der Aktivist*innen aus, ließen allerdings durchaus noch alternative Handlungsoptionen offen. So möchte ich zeigen, dass es immer auch weitere, den SNCC-Aktivist*innen oftmals sehr nahestehende Aktivisten*innen gab, die zu anderen Deutungen der jeweiligen Ereignisse kamen und andere Schlüsse aus ihnen zogen. 73

Jäger (2011): Diskurs und Wissen, S. 109-110.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

3.3.5.

Analyse der Mikroebene

In dieser Arbeit soll der These nachgegangen werden, inwiefern die Destabilisierung von alten Identitätsbezügen zu einer Radikalisierung des SNCC geführt hat und ob bestimmte Prozesse, wie die Politisierung kollektiver Identität und die Polarisierung zwischen einer Ingroup und einer Outgroup, diese Radikalisierung befördert haben. Ich vertrete dabei, in Anschluss an Erik Ringmar (1996), die These, dass Individuen und Gruppen in bestimmten Situationen dazu übergehen die Stabilisierung ihres Selbstbildes als handlungsleitend anzusehen. Das Handeln von Akteuren kann dann nicht mehr als bloße Nutzenmaximierung begriffen werden, sondern als der Versuch bestimmte neue Narrationen durchzusetzen, die ein bestimmtes Selbstbild dieser Akteure gegenüber anderen Akteuren verfestigen. In dieser Arbeit steht deshalb die Auseinandersetzung mit den Narrationen im Mittelpunkt, die der Konstruktion kollektiver Identität in SNCC zugrunde lagen. Insbesondere soll der Wandel nachvollzogen werden, den diese Narrationen in Folge der Radikalisierung von Organisation durchliefen. Dazu ist es zunächst sinnvoll, die Diskurse innerhalb des SNCC zu betrachten, sich also den Wandel von Diskurssträngen und Aktionsformen auf der Mikroebene anzuschauen, die im Laufe der Zeit die Debatten in der Organisation besonders intensiv geprägt haben. In einem ersten Schritt sollen daher die diskutierten Themen und präferierten Aktionsformen betrachtet werden, die sich dem ausgewerteten Material entnehmen lassen. Methodisch möchte ich dabei Ansätze einer narrativen Diskursanalyse aufgreifen,74 um dadurch die Narrationen kollektiver Identitätskonstruktionen herausarbeiten zu können. Das Ziel einer narrativen Diskursanalyse ist es, inhaltliche Strukturprinzipien von Narrationen zu identifizieren. Narrationen kennzeichnen sich durch die Verknüpfung von Elementen zu einem mehr oder weniger dramatischen Plot, der Geschichten zeitlich, räumlich und episodische strukturiert und die Rolle von Akteuren arrangiert. Im Anschluss an Paul Ricoeur (1991) möchte ich argumentieren, dass erst durch einen solchen Plot jenes Regelsystem entsteht, das aus den Beziehungen zwischen Objekten, Ereignissen, Akteuren etc. eine bedeutungsvolle Konfiguration macht.75 Ich möchte diesen narrativen Ansatz mit der bereits vorgestellten methodischen Konzeption von Diskursfragmenten und Diskurssträngen bei Siegfried Jäger (2011) verbinden. Dabei lege ich Annahme zugrunde, dass die Zusammenfügung von Diskursfragmenten zu einem Diskursstrang vornehmlich über Narrationen erfolgt. Dazu werden zunächst die zentralen Themen und Aktionsformen identifiziert und in ihrem diskursiven Kontext analysiert. Ich 74 75

Viehöver (2001): Diskurse als Narrationen. Ricoeur, Paul (1991): The Human Experience of Time and Narrative, in: Valdés, Mario J. (Hg.): Reflection and Imagination, University of Toronto Press, S. 99-116, hier S. 105.

83

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Fragile kollektive Identitäten

gehe davon aus, dass sich hinter den zu Schlagworten zusammengefassten Themen und Aktionsformen bestimmte Narrationen der SNCC-Aktivist*innen verbergen, die Auskunft über bestimmte Problemanalysen der Aktivist*innen geben und offenlegen, welche Lösungsmöglichkeiten innerhalb der Gruppe diskutiert worden sind.76 Es können im Rahmen dieser Arbeit nicht alle Narrationen aus dem Untersuchungsmaterial eingehender betrachtet werden, die sich hinter den identifizierten Schlagworten, also den diskutierten Themen und Aktionsformen, verbergen. Deshalb habe ich mich darauf beschränkt, die zwei bis vier in der jeweiligen Untersuchungsphasen am häufigsten genannten Schlagworte in den Mittelpunkt der Auswertung zu rücken. Das Ziel soll sein, die zentralen Diskurse und ihre Narrationen kollektiver Identitätskonstruktion in den jeweiligen Untersuchungsphasen zu identifizieren und herauszuarbeiten. Die Diskursanalyse wird daher nur entlang derjenigen Schlagworte angewendet, die besonders häufig im Untersuchungsmaterial genannt wurden. Im Sinne einer narrativen Diskursanalyse werden sodann die folgenden Fragen an die untersuchten Dokumente gerichtet: Welche Problemaufrisse, Ursachenanalysen, Akteurskonstellationen und Lösungsvorschläge lassen sich in Bezug auf die Protestaktivitäten zu den am häufigsten genannten Themen in den Dokumenten entdecken? Wie sind sie mit den am häufigsten genannten Aktionsformen verknüpft? Welche Narrationen wurden in den jeweiligen Phasen besonders häufig wiederholt und wurden sie mit einer spezifischen Gemeinschaftsvorstellung in Verbindung gebracht? Dadurch soll ein Einblick in die Gemeinschaftsvorstellung der Aktivist*innen in den unterschiedlichen Phasen der Entwicklung von SNCC gegeben werden.

3.3.6.

Untersuchungsphasen

Die untersuchten Dokumente stammen aus der Zeit zwischen März 1960 und April 1968. In diesem Zeitraum soll die Veränderung der diskutierten thematischen Schwerpunkte innerhalb der Organisation untersucht werden. Um die Entwicklung des Diskurses möglichst genau analysieren zu können, wurde die Datenbanktabelle so angelegt, dass die Verteilung der Themen und Aktionsformen nicht nur über den gesamten Zeitraum, sondern auch für einzelne Zeitabschnitte ausgewertet werden kann. Dadurch wird es möglich, die Themen und Aktionsformen zu identifizieren, die in einer bestimmten Entwicklungsphase des SNCC besonders intensiv diskutiert worden sind. Dabei möchte ich drei Untersuchungsphasen unterschieden. In der ersten Phase, die sich von der Gründung der Organisation im Jahr 1960 bis ins Jahr 1962 erstreckt und den ersten Untersuchungszeitraum bildet, konzentrierte sich das SNCC schwerpunktmäßig auf die Proteste gegen die rassistische 76

Ebd., S. 191-192.

3. Kollektive Identität und Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Segregation in weiten Teilen der Südstaaten. Folglich standen vor allem Fragen der rechtlichen Gleichstellung und die Abschaffung der Segregation im Mittelpunkt der Debatten. SNCC-Aktivist*innen beteiligten sich vor allem an Demonstrationen, Sit-ins und den Freedom Rides. Die zweite Untersuchungsphase wurde von sozialpolitischen Themen und damit eng verknüpft von der Diskussion um das Wahlrecht für Schwarze dominiert. Sie umfasst den Zeitraum von der Gründung der ersten Wählerregistrierungsprojekte im Juni 1962 bis zum Inkrafttreten des Voting Rights Act im August 1965. Diese Phase war stark geprägt von der Registrierung Schwarzer Wähler*innen in den ländlichen Gegenden der Südstaaten und vom Community Organizing. Einen Höhepunkt markierte dabei der Freedom Summer 1964 im Bundesstaat Mississippi. Bei dieser großangelegten Kampagne versuchten das SNCC und andere Bürgerrechtsorganisationen, möglichst viele Schwarze für die anstehenden Präsidentschaftswahlen 1964 zu registrieren. Schließlich trat das SNCC mit dem Inkrafttreten des Voting Rights Act im August 1965 in eine neue Phase ein. Das Gesetz eröffnete vielen Schwarzen in den Südstaaten erstmals die Möglichkeit, ihr Wahlrecht tatsächlich wahrzunehmen. Die vom SNCC überall in den Südstaaten initiierten Wählerregistrierungsprojekte wurden dadurch in der Regel jedoch hinfällig, da das Gesetz die Entsendung von Bundesbeamten vorsah, die die Registrierung der Wähler*innen übernahmen. Für die Arbeit des SNCC hatte der Erlass des Gesetzes also insofern weitreichende Folgen, als sich die Organisation nun neue Aufgabenfelder suchen musste. In der Konsequenz weitete sich das SNCC-Themenspektrums massiv aus. Im Zuge dessen wurden erstmals auch über black nationalism und sozialrevolutionäre Ideen diskutiert. Das SNCC wendete sich In der darauffolgenden Zeit dem Protest gegen den Vietnamkrieg und der BlackPower-Idee zu, zudem kehrte die Organisation zu den Direct-Action-Aktionsformen zurück. Diese dritte Phase bildet den abschließenden Untersuchungszeitraum, die unter anderem davon gekennzeichnet war, dass viele Aktivist*innen die Organisation verließen. Sie endet mit dem Jahr 1968, in dessen Verlauf sich das SNCC allmählich aufzulösen begann. Im Folgenden möchte ich entlang der vorgestellten Untersuchungsphasen die verschiedenen Themen und Aktionsformen herausarbeiten, die innerhalb des SNCC besonders intensiv diskutiert worden sind, und die jeweiligen zentralen Narrationen identifizieren, welche die Gemeinschaftsvorstellung der Aktivist*innen geprägt haben. Ich gehe davon aus, dass sich sowohl die Themen und Aktionsformen als auch die dahinterstehenden Narrationen kollektiver Identitätskonstruktion im Untersuchungszeitraum erheblich veränderten. Bevor ich allerdings die Diskurse innerhalb des SNCC betrachte, möchte ich im folgenden Kapitel einen Überblick über die einschlägigen Erklärungsansätze zur Radikalisierung des SNCC geben.

85

4. Erklärungsansätze zur Radikalisierung des SNCC

In der geschichts- und sozialwissenschaftlichen Literatur finden sich unterschiedliche Antworten auf die Frage, warum sich das SNCC zwischen 1960 und 1968 radikalisierte. In diesem Kapitel möchte ich einige der einschlägigen Arbeiten vorstellen. Bevor diese Arbeiten jedoch vorgestellt werden sollen, möchte ich auf die Ergebnisse von Doug McAdams (1999 [1982]) wegweisender Arbeit »Political Process of Black Insurgency« eingehen, in der er Faktoren und Rahmenbedingung für die Entstehung und den Niedergang der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung herausarbeitete. Zwar betrachtet er in seiner Arbeit die Entwicklung der gesamten Bürgerrechtsbewegung, bei der SNCC nicht herausgehoben behandelt wird, dennoch baut seine Studie auf einer breiten empirische Datenbasis, die einen hervorragenden Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit der Radikalisierung auch von SNCC bietet. McAdam zeigt unter anderem in seiner Arbeit, dass der Bedeutungsverlust der Bürgerrechtsbewegung, welcher Ende der 1960er Jahre einsetzte, nicht allein durch einen Rückgang an finanziellen Ressourcen erklärbar ist. Obwohl ihre politische Bedeutung und öffentliche Wahrnehmbarkeit stark nachließen, stieg die Spendenbereitschaft für die Bewegung in dieser Zeit sogar noch einmal an. Allerdings profitierte von diesem Spendenanstieg vor allem eine Organisation: die NAACP. SNCCs Einnahmen brachen hingegen seit 1965 massiv ein.1 McAdam sieht darin einen Hinweis, dass neben dem Zugang zu Ressourcen, auch noch andere Faktoren für den Niedergang der Bürgerrechtsbewegung verantwortlich sein müssen. Er kommt mithilfe seines umfangreichen empirischen Materials zu dem Ergebnis, dass hierfür vier Faktoren zentral sind: Erstens macht er einen erheblichen Verlust von Organisationskraft innerhalb der Bewegung aus. Die zentralisierten Entscheidungsstrukturen erodierten und der übergreifende Konsens zwischen den großen Bürgerrechtsorganisationen zerbrach.2 Zweitens veränderte sich die politische Gelegenheitsstruktur für die Bürgerrechtsorganisationen. So formierte sich ein massiver konservativer Widerstand aus der bürgerlichen Mittelschicht gegen die Schwarze Bewegung, der erstmals zu den Kongresswahlen 1966 und wenig

1 2

McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 209. Ebd., S. 182ff.

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Fragile kollektive Identitäten

später durch den Wahlsieg Richard Nixons deutlich wurde. Dieser Widerstand gegen die Schwarze Bewegung, zusammen mit dem Aufkommen anderer politischer Themen, die die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zogen, beinträchtige die politische Schlagkraft der Bewegung erheblich.3 Drittens, nahm McAdam seit dem Ende der 1960er Jahren eine wachsende Frustration über die Erfolge der Bewegung wahr. Nicht zuletzt aufgrund des Zusammenbruchs zahlreicher Organisationsstrukturen und einer veränderten politischen Gelegenheitsstruktur, schätzten viele Aktivist*innen die Wirksamkeit ihres Handelns deutlich negativer ein als noch Anfang der 1960er Jahre.4 Dem vierten Faktor räumt McAdam allerdings die größter Bedeutung ein: Durch die Aufgabe der ursprünglichen Reformagenda und des Grundsatzes des gewaltlosen Protests beförderten die Aktivist*innen eine massive Veränderung in der gesellschaftlichen Reaktion auf die Bewegung. Diese Reaktion zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass sich viele Unterstützer*innen von der Bewegung abwendeten, sondern auch dadurch, dass die Opposition gegen die Bewegung im erheblichen Maße anstieg. Das veränderte die taktischen Rahmenbedingungen substantiell und beförderte aus der Sicht McAdams im bedeutenden Maße den Niedergang der gesamten Bewegung.5 McAdam hebt zwar die Bedeutung hervor, die neue Ideen und Taktiken innerhalb der Bürgerrechtsbewegung hatten, er geht allerdings nicht näher auf die Ursachen ein, die dazu führten, dass sich diese Ideen und Taktiken in der Bewegung überhaupt durchsetzen konnten. Auch liefert er keine Erklärung dafür, warum die seit Mitte der 1960er Jahre empirisch messbare Selbstwirksamkeitserwartung der Aktivist*innen abnahm. Diese Ergebnisse sind insofern bemerkenswert, weil die Bürgerrechtsbewegung kurz vorher zahlreiche politische Erfolge zu verzeichnen hatte. Weder geht McAdam auf dieses Paradox näher ein noch liefert er eine Erklärung, warum es zu diesem Wandel kam. Er vermeidet zudem den Begriff der Radikalisierung, obwohl er beschreibt, wie sich Aktivist*innen in der Bewegung spätestens seit 1966 von ihren ›reformistischen Zielen‹ und dem ›gewaltfreien Protest‹ entfernten.6 Damit benennt er zwar die zentralen Merkmale des Radikalisierungsprozesses von SNCC, den er als Teil des ›Niedergangs‹ der Bewegung beschreibt, er lässt jedoch offen, warum einzelne Organisation und Gruppen in der Bewegung diesen Weg einschlugen und welche Motive die Aktivist*innen dabei hatten. Diese Arbeit möchte bei diesen Leerstellen ansetzen. Es soll der Versuch unternommen werden, die Prozesse innerhalb von SNCC herauszuarbeiten, die die Radikalisierung der Organisation befördert haben. Zunächst soll jedoch in diesem Kapitel

3 4 5 6

Ebd., S. 192ff. Ebd., S. 204. Ebd., S. 228. Ebd.

4. Erklärungsansätze zur Radikalisierung des SNCC

diejenige Literatur vorgestellt und eingeordnet werden, die sich bisher mit dieser Frage beschäftigt hat.

4.1.

Makroebene

Der Soziologe Elliott Rudwick und der Historiker August Meier (1976) sehen in der wachsenden Frustration der Schwarzen Bevölkerung aufgrund ihrer anhaltenden politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Diskriminierung gegenüber der weißen Mehrheitsgesellschaft die Ursache für die politische Radikalisierung von Organisationen wie dem SNCC in den 1960er-Jahren. Ausschlaggebend seien vor allem die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit zwischen Schwarzen und Weißen sowie die rasch wachsenden ökonomischen und politischen Erwartungen vieler Schwarzer gewesen, die vor allem durch die Bürgerrechtsbewegung und ihre frühen Erfolge erzeugt worden seien. Obwohl die Radikalisierung der Bürgerrechtsbewegung und die späteren Riots in vielen amerikanischen Großstädten ab Mitte der 1960er-Jahre nicht in einer unmittelbaren Verbindung miteinander stünden, seien sie doch gemeinsam das Ergebnis einer wachsenden Frustration innerhalb der gesamten Schwarzen Bevölkerung gewesen.7 In der wirtschaftlichen Aufschwungsphase zwischen 1941 und 1954/55 habe sich die soziale Lage vieler Schwarzer Arbeiter in den USA relativ verbessert. Proteste der Schwarzen Bevölkerung habe es in dieser Zeit nur selten gegeben. Erst mit der anschließenden wirtschaftlichen Rezession sei es dann auch zu einem Anstieg von Protestaktivitäten gekommen.8 Rudwick und Meier bestreiten, dass es eine Schwarze Tradition des gewaltlosen Protests gegeben habe. Vielmehr gehen sie davon aus, dass sich die Bewegung vor allem den Gegebenheiten angepasst und ihre Protesttaktik an den jeweiligen Umständen ausgerichtet hat. Der gewaltlose Protest sei lange Zeit sehr effektiv gewesen, da er die Unterstützung vonseiten der weißen Mittelschicht in den Nordstaaten sichergestellt habe.9 Bei der historischen Betrachtung von Schwarzen Protestbewegungen der vergangenen Jahrhunderte, einschließlich der Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre kommen Rudwick und Meier zu dem Ergebnis, dass sowohl gewaltlose als auch gewaltsame Protestaktivitäten insbesondere dann zugenommen hätten, wenn Schwarze entweder einen erheblichen Statusverlust zu befürchten hatten oder wenn sie wachsende Erwartungen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft entwickelten:

7 8 9

Meier/Rudwick (1976): Along the Color Line: Explorations in the Black Experience, S. 225-226. Ebd., S. 235. Ebd., S. 388.

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Fragile kollektive Identitäten

»In the former situation, blacks were seeking to resist social change and preserve a more favorable status quo; in the latter, they are trying to promote social change and destroy the status quo.«10 Auch Piven und Cloward (1979) führen die Radikalisierung des SNCC und des CORE auf die wachsende Frustration der jungen Aktivist*innen zurück. Allerdings machen sie darauf aufmerksam, dass diese Frustration paradoxerweise zunahm, als es zu einer substanziellen Verbesserung der rechtlichen Gleichstellung und einer Ausweitung der staatlichen Sozialleistungen für Schwarze gekommen sei. Die Schwarze Unterschicht habe sich seit Anfang der 1960er-Jahre schrittweise in die US-amerikanische Mehrheitsgesellschaft integriert. Bereits die Regierung unter Kennedy habe die staatlichen Programme zur Armutsbekämpfung ausgeweitet. Präsident Johnson führte diesen Weg weiter und verbesserte insbesondere für Schwarze den Zugang zu staatlichen Sozialleistungen. Gleichzeitig konnten immer mehr Schwarze ihre demokratischen Rechte wahrnehmen und sich für Wahlen registrieren lassen. Der vorläufige Endpunkt dieser Entwicklung sei mit der Verabschiedung des Voting Rights Act 1965 erreicht worden. Piven und Cloward zufolge wurde die Bürgerrechtsbewegung vom politischen System und der Mehrheitsgesellschaft gewissermaßen aufgesogen. Im Zuge dieser Entwicklung erhielten Bürgerrechtsaktivist*innen unter anderem auch Jobs in staatlichen Armutsbekämpfungsprogrammen, bei der staatlich organisierten Wählerregistrierung oder in staatlichen Institutionen. Doch diese Entwicklung ging auch noch weit darüber hinaus: »The movement was not only absorbed by electoral systems and related governmental institutions alone. Many other institutions in the society began to admit blacks: business and industry responded to mass unrest by hiring blacks; institutions of higher education […] revised their admission policies to admit more minority group members, some of whom had been in the front ranks of the civil rights struggle.«11 Diese Integration der Bürgerrechtsbewegung in die weiße Mehrheitsgesellschaft habe jedoch eine Gegenreaktion ausgelöst. Trotz der erreichten Fortschritte sei die Enttäuschung insbesondere bei den jüngeren Mitgliedern von SNCC und CORE über die vermeintlich schleppende Reform der gesellschaftlichen Institutionen nach wie vor sehr hoch gewesen. Das Black-Power-Konzept habe bestimmten Schwarzen Führungseliten die Möglichkeit geboten, dieser Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Dadurch habe sie ihre eigenen Handlungsspielräume erweitern und ihren politischen Einfluss vergrößern können.12 Nach Piven und Cloward stellte die Radikalisierung des SNCC und des CORE insofern lediglich 10 11 12

Ebd. Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, S. 255. Ebd., S. 253.

4. Erklärungsansätze zur Radikalisierung des SNCC

eine Reaktion auf die voranschreitende Integration der Bürgerrechtsbewegung in die Mehrheitsgesellschaft dar. So verstanden, ist Radikalisierung lediglich eine Strategie von bestimmten Eliten, um der integrativen Sogwirkung demokratischer Systeme etwas entgegenzusetzen und um attraktiver für neue potenzielle Unterstützer zu werden. Aus Sicht von Piven und Cloward hielt diese Phase im Falle der Black-Power-Bewegung allerdings nicht lange an. Schon nach kurzer Zeit wurde Black Power selbst zum Teil des gesellschaftlichen Mainstreams und der politischen Kultur der USA. Jack Bloom (1987) hebt die Bedeutung hervor, die den sozio-strukturellen Veränderungen innerhalb des SNCC und der Bürgerrechtsbewegung für die Radikalisierungsprozesse zukam. So engagierten sich Anfang der 1960er-Jahre in der Bürgerrechtsbewegung zunächst vor allem Schwarze Studierende aus der Mittelschicht. Auch die Sit-in-Bewegung und das SNCC rekrutierten sich überwiegend aus dieser sozialen Gruppe. Allerdings verbreiterte sich diese soziale Basis rasch. Durch die Wählerregistrierung und das Community Organizing hätten sich seit Anfang der 1960er-Jahre zunehmend auch Aktivist*innen aus der Schwarzen Unterschicht der Bürgerrechtsbewegung angeschlossen. Das veränderte den Charakter der Bewegung erheblich. SNCC war davon in besonderer Weise betroffen, weil es sich schwerpunktmäßig in den ärmlichen ländlichen Regionen der Südstaaten engagierte. Die Aktivist*innen aus der Schwarzen Unterschicht hätten neue Themen auf die Agenda der Bürgerrechtsbewegung gesetzt.13 Sie bezogen sich darauf, dass das Leben vieler Schwarzer sowohl in den Süd- als auch in den Nordstaaten noch immer von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, schlechten Wohnbedingungen und einem mangelnden Zugang zum politischen System bestimmt gewesen sei. Die neuen politischen Forderungen, die im Zuge dessen entstanden, hätten die liberale amerikanische Mittelschicht herausgefordert und die Radikalisierung der Organisation weiter vorangetrieben, so Bloom. Die politische Mobilisierung der Schwarzen Unterschicht sei von großer Bedeutung für die politische Radikalisierung des SNCC gewesen.14 Simon Hall (2012) stellt die Radikalisierung des SNCC in den Kontext außenpolitischer Entwicklungen. Er hält fest, dass das SNCC in den Anfangsjahren durch einen für die USA in der Zeit des Kalten Krieges typischen Patriotismus geprägt war. Viele SNCC-Aktivist*innen hätten in der Gleichstellung der US-amerikanischen Schwarzen einen Beitrag zum Kampf gegen den Kommunismus gesehen. Um die USA glaubwürdig vom dem autoritären System der Sowjetunion abgrenzen zu können, sei es aus Sicht vieler Bürgerrechtler*innen unumgänglich gewe-

13 14

Bloom, Jack M. (1987): Class, Race, and the Civil Rights Movement, Indiana University Press, S. 171-173. Ebd., S. 187-192.

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Fragile kollektive Identitäten

sen, allen US-Bürgern die gleichen Rechte und Freiheiten einzuräumen.15 Das Bekenntnis des SNCC zu den USA und ihrer freiheitlichen Grundordnung habe sich allerdings Mitte der 1960er-Jahre gewandelt und sei mit der Eskalation des Vietnamkrieges in eine offene Kritik am politischen System umgeschlagen. Das SNCC habe den Krieg abgelehnt und die Johnson-Regierung für ihre Intervention in Indochina kritisiert. In den Mittelpunkt der Weltanschauung des SNCC sei nun ein »militanter Internationalismus« gerückt. Das SNCC habe den eigenen Kampf im Kontext der Freiheitskämpfe überall auf der Welt verortet und die US-amerikanische Außenpolitik als rassistisch, expansionistisch und imperialistisch verurteilt.16

4.2.

Mesoebene

Im Gegensatz zu den eben vorgestellten Arbeiten, die auf der Makroebene verortet sind, vertreten einige Autor*innen die Auffassung, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen das Phänomen der Radikalisierung des SNCC nicht befriedigend zu erklären vermögen. Diese Autor*innen haben sich daher mit ihren Erklärungsansätzen besonders auf Prozesse innerhalb der Organisation konzentriert. So geht Akinyele Umoja (1999) in seiner Untersuchung zu mehreren Bürgerrechtsorganisationen zwar davon aus, dass externe Faktoren eine wichtige Rolle bei der Radikalisierung von SNCC und CORE gespielt haben; sie allein genügen allerdings nicht, um die Transformation der beiden Organisationen vollständig erklären zu können. Umoja zufolge mussten alle Bürgerrechtsgruppen in dieser Zeit unter mehr oder weniger ähnlichen Umweltbedingungen arbeiten. Dennoch radikalisierte sich nur ein kleiner Teil der gesamten Bewegung. Die SCLC sei beispielsweise mit den nahezu gleichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie SNCC und CORE konfrontiert gewesen und habe trotzdem am Grundsatz des gewaltlosen Protests festgehalten. Daher müsse man, so Umoja, neben den externen Faktoren besonders die internen organisationalen Prozesse in den Blick nehmen, um zu einer aussagekräftigen Erklärung zu gelangen.17 Umoja nennt drei Faktoren, die bei der Radikalisierung von SNCC und CORE eine Schlüsselrolle gespielt haben: Erstens sei der Kontakt zur US-Administration vonseiten des SNCC und des CORE niemals besonders eng gewesen. Andere Bürgerrechtsorganisationen pflegten einen intensiveren Austausch mit der Regierung und hielten sich deshalb mit Kritik am politischen System zurück. Gleich15

16 17

Hall, Simon (2012): The Sit-Ins, SNCC, and Cold War Patriotism, in: Morgan, Iwan W. und Philip Davies (Hg.): From Sit-Ins to SNCC: The Student Civil Rights Movement in the 1960s, University Press of Florida. Ebd., S. 147. Umoja (1999): The Ballot and the Bullet: A Comparative Analysis of Armed Resistance in the Civil Rights Movement, S. 564.

4. Erklärungsansätze zur Radikalisierung des SNCC

zeitig sahen sich SNCC und CORE als Sprachrohre der Schwarzen linksliberalen Mittelschicht und der Schwarzen Unterschicht. Dagegen seien NAACP und SCLC vor allem mit der Schwarzen bürgerlichen Mittelschicht verbunden gewesen. Diese Unterschiede in der ideologischen Orientierung hätten SNCC und CORE für die Idee des bewaffneten Widerstands empfänglicher gemacht.18 Zweitens verfolgten CORE und SNCC einen Politikansatz, der zum Ziel hatte, die Schwarze Unterschicht zur politischen Teilhabe zu befähigen (Empowerment). Besonders das SNCC habe schon sehr zeitig damit begonnen, mit dem Konzept des Community Organizing in den ländlichen Regionen der Südstaaten zu arbeiten. Führungspersönlichkeiten sollten aus der Gemeinschaft heraus rekrutiert werden und nicht von außen kommen. Statt Einzelne an die Spitze der Bewegung zu stellen, sollten innerhalb der Organisation basisdemokratische und gruppenorientierte Entscheidungsprozesse bestimmend sein. Auch CORE übernahm später diesen Ansatz für seine Arbeit in den Südstaaten.19 Im Gegensatz dazu sei die SCLC vor allem auf Martin Luther King zugeschnitten gewesen. Er sei in den gesamten USA bekannt und in der Lage gewesen, medienwirksame Kampagnen umsetzen. Dadurch habe die SCLC zwar wesentlich mehr Schlagkraft besessen als andere Organisationen, Entscheidungsprozesse seien allerdings auch stark zentralisiert abgelaufen. Die politische Arbeit habe sich vor allem auf punktuelle Kampagnen konzentriert, die aufgrund einer hohen medialen Aufmerksamkeit sehr erfolgreich waren. Dagegen hätten die SNCC- und CORE-Aktivist*innen eng mit den Menschen vor Ort zusammengearbeitet und dadurch schon früh akzeptiert, dass die Bewaffnung der Schwarzen Communitys zum Alltag in den ländlichen Gebieten der Südstaaten gehörte.20 Am Grundsatz der Gewaltlosigkeit festzuhalten, sei angesichts der rassistischen Gewalt durch die Weißen realitätsfern gewesen. Der SCLC habe dieser direkte Bezug zu den Menschen vor Ort gefehlt. Gleichzeitig sei der Ansatz der Gewaltlosigkeit ein wesentlicher Teil der Strategie der SCLC gewesen, um sich die Unterstützung der US-Regierung und der Liberalen aus dem Norden zu sichern.21 Als dritter Faktor trugen nach Umojas Ansicht auch die basisdemokratischen und nichthierarchischen Entscheidungsstrukturen innerhalb von SNCC und CORE dazu bei, dass das Prinzip des gewaltlosen Widerstands in den beiden Organisationen aufgegeben wurde. Die Führungsapparate von SNCC und CORE waren schlank. Die meisten Entscheidungen trafen die Gruppen vor Ort. Als immer mehr Aktivist*innen in den einzelnen Gruppen den Grundsatz der Gewaltlosigkeit zunehmend infrage stellten, hätten auch die Führungsspitzen von SNCC und CORE

18 19 20 21

Ebd., S. 567-569. Ebd., S. 569. Ebd., S. 570. Ebd., S. 570-571.

93

94

Fragile kollektive Identitäten

nicht länger daran festhalten können.22 Die Entscheidungsstrukturen in der SCLC seien hingegen auf Martin Luther King ausgerichtet gewesen. Aufgrund seiner Popularität und seines Einflusses habe King grundlegende Entscheidungen innerhalb der SCLC quasi alleine treffen können. Im Alleingang, also ohne King einzubeziehen, sei die Aufgabe des Gewaltlosigkeitsprinzips für die SCLC undenkbar gewesen.23 Charles Payne (1995) und Joe Street (2012) wiederum führen die Radikalisierung des SNCC auf das schnelle Wachstum der Organisation zwischen 1964 und 1965 zurück. Das SNCC habe es in dieser Zeit nicht geschafft, seine Organisations- und Entscheidungsstrukturen an die große Anzahl neuer Aktivist*innen, die überwiegend weiß waren und aus den Nordstaaten kamen, anzupassen. Die ursprünglich basisdemokratische Struktur des SNCC, in der lokale Campus- oder Projektgruppen ihre Entscheidungen vor Ort autonom trafen, sei dadurch aufgebrochen worden. Street geht davon aus, dass die neuen Aktivist*innen weniger intensive Beziehungen zu den älteren Mitgliedern besaßen und radikalere Ideen in die Organisation trugen. Gleichzeitig habe der Zustrom an Neumitgliedern zu einer Fragmentierung der bisher engen SNCC-Netzwerke geführt und dadurch diesen radikalen Positionen mehr Raum gegeben.24 Payne macht darauf aufmerksam, dass das Wachstum des SNCC bei vielen Schwarzen Aktivist*innen mit einer zunehmenden Frustration über die eher zögerlichen Fortschritte bei der Wählerregistrierung zusammenkam. Neben den Strukturproblemen aufgrund des organisationalen Wachstums habe diese Frustration dazu geführt, dass viele SNCC-Aktivist*innen ihren »moralischen Anker« verloren. Payne beschreibt die Entwicklung des SNCC als eine Art moralischen Verfall, an dessen Ende ein radikaler politischer Kurs stand.25

4.3.

Mikroebene

Andere Arbeiten betonen hingegen die Bedeutung von Erfahrungen rassistischer Diskriminierung und Gewalt bei den Aktivist*innen als Erklärungsfaktoren für die Radikalisierung des SNCC. Angesichts der Erfahrungen in den Südstaaten habe sich bei den SNCC-Aktivist*innen und anderen Bürgerrechtler*innen der Eindruck verfestigt, dass die anstrebten Reformen zu langsam vorankommen. Der

22 23 24

25

Ebd., S. 572-573. Ebd. Street, Joe (2012): From Beloved Community to Imagined Community: SNCC’s Intellectual Transformation, in: Morgan, Iwan W. und Philip Davies (Hg.): From sit-ins to SNCC the student civil rights movement in the 1960s. Payne, Charles M. (1995): I’ve Got the Light of Freedom: The Organizing Tradition and the Mississippi Freedom Struggle, University of California Press, S. 375-390.

4. Erklärungsansätze zur Radikalisierung des SNCC

Historiker Harvard Sitkoff (1981) geht beispielsweise davon aus, dass die traumatisierenden Erlebnisse in den Südstaaten ausschlaggebend dafür waren, dass viele SNCC- und CORE-Aktivist*innen Gewalt zusehends als eine legitime Form des Protests betrachteten. Viele verloren die Hoffnung, dass grundlegende Veränderungen überhaupt möglich seien und Schwarze und Weiße in einer Gesellschaft gleichberechtigt miteinander leben könnten. Deshalb, so Sitkoff, wurde aus dem Kampf gegen die Segregation in dieser Zeit ein Kampf um Selbstbestimmung: »The reaction against nonviolence as a tactic and integration as a goal similarly grew out of frustration over limited pace and scope of racial change and out of bitterness toward unceasing brutal white opposition to the most minimal black advances.«26 Auch Clayton Carson (1994), der die wohl umfassendste Arbeit über das SNCC vorgelegt hat, sieht in den persönlichen Erfahrungen der SNCC-Aktivist*innen in den Südstaaten eine zentrale Ursache für die Radikalisierung der gesamten Organisation. Dabei stellt er eine direkte Verbindung zwischen dem Community Organizing und dem späteren Aufkommen der Black-Power-Bewegung her: Es seien weniger die Ideen von Malcom X oder des black nationalism als vielmehr der unmittelbare Kontakt mit der Schwarzen Landbevölkerung in den Südstaaten gewesen, der das Bewusstsein der SNCC-Aktivist*innen für ihre eigene Schwarze Identität geschärft und sie politisch radikalisiert habe. Besonders die Haltung vieler SNCC-Aktivist*innen zu Gewaltlosigkeit habe sich durch die Schwarze Südstaaten-Tradition der bewaffneten Selbstverteidigung verändert. Die Einstellung vieler SNCC-Aktivist*innen, die in den ländlichen Regionen der Südstaaten arbeiteten, fasst Carson wie folgt zusammen: »They [SNCC workers] affirmed the legitimacy of a long-standing tradition of armed self-defense among blacks in the rural deep South. They saw the black power slogan as a logical outgrowth of SNCC’s previous attempts to instill in the minds of black people the notion that they could create a better world for themselves.«27 Emily Stoper (1968, 1977), die eine der ersten Arbeiten über das SNCC veröffentlichte, macht demgegenüber vor allem die weltanschauliche Verfasstheit des SNCC für die spätere Radikalisierung der Organisation verantwortlich. Für Stoper zeichneten sich die SNCC-Aktivist*innen durch ein einzigartiges Ethos aus, der sie von anderen politischen Gruppen unterschied und immer wieder mit der Realpolitik

26 27

Sitkoff, Harvard (1993): The Struggle for Black Equality 1954-1992, New York: Hill and Wang, S. 194. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 299.

95

96

Fragile kollektive Identitäten

in Konflikt brachte. Das SNCC sei eine »redemptive organization«28 gewesen. Tatsächlich bezeichnete sich das SNCC selbst bereits in seiner Gründungserklärung als »redemptive community«.29 Die SNCC-Aktivist*innen haben nicht nur die Gesellschaft und ihre Institutionen zu verändern versucht, sondern auch ihre eigenen Mitglieder dazu verpflichtet, die ›neue Ordnung‹ selbst vorzuleben, um den fortwirkenden Rassismus zu überwinden und ›Erlösung‹ zu erlangen. Moralische und politische Überzeugungen seien unmittelbar in die täglichen Routinen und die Organisationsabläufe eingegangen.30 Aus der Sicht von Stoper zeichnete sich das SNCC durch einen nahezu totalitären Charakter aus, den die Autorin wie folgt beschreibt: »[A] redemptive ethos involves seeing everyone in the world as either ›sinners‹ or ›saved.‹ Partial salvation, partial commitment is not possible.«31 Stoper zufolge besaß das SNCC zunächst weder eine kohärente politische Weltanschauung, noch konnte die Organisation Vollzeit-Aktivist*innen besondere materielle Anreize bieten.32 Stattdessen sei die Organisation in ihren ersten Jahren allein durch den ›erlösenden Anspruch‹ zusammengehalten worden. Das SNCC habe damals mehr einer religiösen Sekte als einer politischen Organisation geglichen. Dieser sektenähnliche Charakter und der politische Anspruch des SNCC seien allerdings zunehmend in Konflikt miteinander geraten und hätten das SNCC letztlich in eine schwere Krise gestürzt.33 Stoper, deren Arbeit als einzige zu einem Zeitpunkt entstand, als die Organisation noch existierte, nennt jedoch noch weitere Faktoren, die die Radikalisierung des SNCC befördert haben. So habe der Mississippi Freedom Summer 1964 die Organisation vor große Herausforderungen gestellt: Im Verlauf der Kampagne verdreifachte sich schätzungsweise die Anzahl der SNCC-Aktivist*innen. Die egalitären Entscheidungsstrukturen des SNCC hätten dieses enorme Wachstum nicht auffangen können. Viele der neuen Aktivist*innen stammten aus der weißen Mittelschicht der Nordstaaten. Das habe bereits während des Freedom Summer immer wieder für Spannungen zwischen Schwarzen und weißen Aktivist*innen gesorgt, sodass die Rolle von Weißen in der Bürgerrechtsbewegung immer öfter infrage

28 29 30 31 32 33

Stoper, Emily (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, Brooklyn, N.Y.: Carlson Pub., S. 24. SNCC (1960): SNCC Founding Statement, Southwide Youth Leadership Conference, Shaw University, Raleigh, NC. Stoper, Emily (1977): The Student Nonviolent Coordinating Committee: Rise and Fall of a Redemptive Organization, in: Journal of Black Studies 8/1, S. 13-34, hier S. 14. Ebd., S. 24. Ebd., S. 15. Ebd., S. 17-18.

4. Erklärungsansätze zur Radikalisierung des SNCC

gestellt worden sei.34 Aber auch die Verabschiedung des Voting Rights Act, der an sich ein großer Erfolg der Bürgerrechtsbewegung war, führte laut Stoper zu einer Destabilisierung der Organisation und beförderte so deren Radikalisierung. Das Gesetz machte viele SNCC-Projekte in den Südstaaten letztlich überflüssig und zwang die Organisation dazu, einen grundlegenden Wandel einzuleiten: »Of course the Voting Rights Act opened up previously undreamed-of possibilities for self-organization of black people in the South – but not all in the way SNCC had been hoping. […] The Voting Rights Act in effect co-opted the people whom SNCC had counted on to build the new politics by luring them into standard two-party politics.«35 Nach Ansicht von Stoper hätte das SNCC all diese Krisen und Herausforderungen vermutlich überwinden können, wenn sie eine gewöhnliche Organisation ohne einen ›erlösendem Anspruch‹ gewesen wäre. Die Kompromisslosigkeit, mit der SNCC-Aktivist*innen ihre politischen Forderungen verfolgten, und der Anspruch des SNCC, eine neue politische Ordnung im alltäglichen Handeln vorzuleben, isolierte das SNCC jedoch von anderen Bürgerrechtsgruppen, die einen pragmatischeren Politikstil verfolgten. Das politische Leitmotiv des SNCC habe von Anfang an im Widerspruch zu einem liberalen Politikverständnis gestanden. Insofern sei die Radikalisierung und das Scheitern des SNCC bereits bei seiner Gründung angelegt gewesen.36 Mit Ausnahme der Arbeit von Emily Stoper konzentrieren sich alle Untersuchungen, die sich mit der Radikalisierung des SNCC beschäftigt haben, auf eine bestimmte Erklärungsebene, ohne ein übergreifendes Analysekonzept vorzulegen. Zwar werde ich in dieser Arbeit den Schwerpunkt auf die Untersuchung der Mikroebene legen, allerdings sollen die Prozesse auf der Makro- und Mesoebene ebenfalls eine wichtige Rolle einnehmen. In der nun folgenden Diskursanalyse werden deshalb die gesellschaftlichen und organisationsinternen Entwicklungen unter anderem insofern berücksichtigt, als sie sich in der Einteilung der Untersuchungsphasen widerspiegeln. Darüber hinaus wird vor allem Prozessen kollektiver Identitätskonstruktion besondere Aufmerksamkeit gewidmet – ein Aspekt, den die vorliegende Literatur unbeachtet lässt.

34 35 36

Ebd., S. 22-25. Ebd., S. 27. Ebd., S. 29-33.

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5. 1960-1962 – Die Anfangsjahre

Im Februar 1960 protestierten in Greensboro vier Schwarze College-Studenten mit einem Sit-in gegen die rassistische Segregation in einem örtlichen Schnellrestaurant. Sie setzen sich in den ausschließlich für Weiße vorgesehenen Bereich des Restaurants, um dort zu essen. Nachdem ihnen die Bedienung verwehrt wurde, blieben sie dort bis zur Schließung des Restaurants sitzen. Eine kleine Aktion, die große Wirkung haben sollte. Schnell breiteten sich die Proteste aus. Nach fast einer Woche beteiligten sich über 300 Student*innen an Aktionen gegen verschiedene örtliche Restaurantketten. In den folgenden Monaten schlossen sich Tausende überall in den Südstaaten den sogenannten Lunch-Counter-Protesten an, die bald auch eine breite Öffentlichkeit erreichten.1 Die Sit-ins wurden zu einer Art von Initialzündung für die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA zu Brown v. Board of Education (1952-1954) und dem Montgomery Bus Boycott (1955-1956)2 hatte die Schwarze Bürgerrechtsbewegung Ende der 1950er Jahre bereits wieder an Dynamik verloren. Erst die Lunch-Counter-Proteste riefen der US-amerikanischen Öffentlichkeit die anhaltende Diskriminierung der Schwarzen in den Südstaaten wieder nachdrücklich in Erinnerung.3 Armut, Analphabetismus und politische Marginalisierung bestimmten die Lebenssituation vieler Schwarzer in den Südstaaten zu dieser Zeit. 1960 richteten sich die Proteste jedoch zunächst vor allem gegen die rassistische Segregation von Schwarzen und Weißen in den Südstaaten. In weiten

1 2

3

Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 6. Das Urteil im Rechtsstreit Brown v. Board of Education vor dem Obersten Gerichtshof stellte im Jahre 1954 fest, dass die Trennung nach Hautfarbe an öffentlichen Schulen den Gleichheitsgrundsatz der US-Verfassung verletzt. Es gilt als richtungsweisendes Urteil für die Gleichstellung von Schwarzen in den USA. Der Montgomery Bus Boycott, der zwischen 1955 und 1956 stattfand, war ein erfolgreicher Protest gegen die Segregation in öffentlichen Bussen im Ort Montgomery, Alabama. Der von Martin Luther King mitinitiierte Boykott gilt als herausragendes Ereignis der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Cook, Robert (1998): Sweet Land of Liberty? The African-American Struggle for Civil Rights in the Twentieth Century, Longman, S. 114-115.

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Fragile kollektive Identitäten

Teilen herrschte dort Anfang der 1960er-Jahre noch eine gesetzlich verankerte Trennung zwischen Orten, die entweder nur von Schwarzen oder nur von Weißen betreten oder benutzt werden durften. Dies betraf sowohl öffentliche Einrichtungen, wie Schulen, Universität oder öffentliche Toiletten, als auch private Unternehmen, wie beispielweise Restaurants und Kinos.

5.1.

Die Gründung des SNCC

Es waren vor allem Schwarze Student*innen aus der Mittelschicht, von denen die Sit-in-Bewegung zunächst ausging. Doch schon bald erhielten sie auch Unterstützung aus anderen Teilen der Gesellschaft.4 Die Bewegung wuchs schnell und überall in den Südstaaten bildeten sich an den Universitäten und Colleges kleine Aktionsgruppen, die mit Sit-ins, Demonstrationen und Boykottaufrufen an die Öffentlichkeit gingen. Zunächst agierten die unterschiedlichen Gruppen unabhängig voneinander, doch schon bald entstand das Bedürfnis, sich über politische Aktivitäten auszutauschen und untereinander zu vernetzen. Ella Baker, die damalige Geschäftsführerin des SCLC, sah als Erste diese Notwendigkeit einer Koordination der Sit-in-Protestgruppen und organisierte mit finanzieller Unterstützung des SCLC im April 1960 eine gemeinsame Konferenz all dieser Gruppen in Raleigh, North Carolina. Es sollte die Gründungkonferenz des SNCC werden.5 Die SCLC übte zu Beginn einen großen Einfluss auf die junge Organisation aus. Martin Luther King war einer der Hauptredner*innen auf der Konferenz. Zunächst gab es sogar Überlegungen, das SNCC enger an die SCLC anzugliedern. Man einigte sich schließlich auf eine Zusammenarbeit in »friendly relationship«.6 Wie zahlreiche andere Schwarze Bürgerrechtsgruppen in dieser Zeit, stellte auch das SNCC seinen politischen Protest explizit in eine christlich-pazifistische Tradition. Viele SNCC-Aktivist*innen identifizierten sich in dieser Phase stark mit der Idee der prinzipiellen Gewaltlosigkeit. Sie war das Leitmotiv der Sit-inBewegung gewesen und wurde in dieser Frühphase zu einem zentralen Baustein in der Weltanschauung des SNCC. Das drückte sich nicht zuletzt darin aus, dass sich die Organisation schon im Namen explizit als »nonviolent« bezeichnete.7 Die Welle an Sit-ins ebbte ab, nachdem es bereits im Oktober 1960 gelungen war, sich mit verschiedenen nationalen Ladenketten auf eine schrittweise Aufhebung der rassistischen Segregation zu verständigen. Das SNCC blieb aber als Koordinationsnetzwerk vieler kleiner Basisgruppen an Schwarzen Universitäten und 4 5 6 7

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 7. Zinn (1964): SNCC: The New Abolitionists, S. 32-33; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 19-20. Zinn (1964): SNCC: The New Abolitionists, S. 33-34. Ebd., S. 34; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 21-22.

5. 1960-1962 – Die Anfangsjahre

Colleges der Südstaaten8 erhalten, die schon bald begannen, ihre Proteste gegen die Segregation auf andere Orte auszuweiten.9 SNCC führte keine Mitgliederlisten, so dass seine genaue Mitgliederzahl nicht mehr genau rekonstruiert werden kann. Die College-Studierenden, die sich in ihrer Freizeit politisch engagierten, prägten stark die Anfangsjahre der Organisation. Erst ab 1963/1964 änderte sich der Charakter der Organisation, nachdem die Student*innen zunehmend zu professionell arbeitenden Vollzeit-Aktivist*innen geworden waren.

5.2.

Freedom Rides

Erst im Frühjahr 1961 begann das SNCC, sich neuen Aktivitäten zuzuwenden. Der Protest richtete sich nun gegen die verfassungswidrige Praxis der Segregation von nationalen Fernbusverbindungen und Busbahnhöfen in den Südstaaten. Im Mai organisierte der Congress of Racial Equality (CORE)10 erstmals eine Gruppe aus weißen und Schwarzen Aktivist*innen für eine gemeinsame Busreise von Washington D.C. nach New Orleans. Mit dabei waren zahlreiche spätere SNCC-Aktivist*innen. Zudem wurde die Gruppe von einer Reihe Journalisten begleitet. Die Fahrt verlief zunächst friedlich, doch schon bald sah sich die Gruppe massiver Gewalt ausgesetzt. Immer wieder wurde die Gruppe von weißen Schlägertrupps angegriffen, ohne dass die örtliche Polizei eingriff. Nachdem bei diesen Vorfällen einige Teilnehmer ernsthaft verletzt worden waren, musste die Fahrt vorzeitig abgebrochen werden. Schnell formierten sich jedoch weitere Gruppen, um die Busfahrt fortzusetzen. Dabei wurden sie unter anderem von Martin Luther King unterstützt.11 In den folgenden Monaten kamen hunderte Aktivist*innen in die Südstaaten, um an den Freedom Rides teilzunehmen. Viele gingen bewusst das Risiko ein, von weißen Segregationsbefürworter*innen zusammengeschlagen oder von den lokalen Polizeibehörden verhaftet zu werden. Die Festgenommenen mussten teilweise mehrmonatige Haftstrafen absitzen.12 SNCC, CORE und SCLC arbeiteten in dieser Zeit

8

9 10 11

12

Damit sind die Historically black colleges and universities (HBCU) in den USA gemeint, die ursprünglich für die Ausbildung und Lehre von Schwarzen gegründet wurden. Ihr Status wurde 1965 offiziell im US-amerikanischen Hochschulgesetz festgelegt. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 7. Der Congress of Racial Equality (CORE) ist eine 1942 gegründete Bürgerrechtsorganisation, die in den 1960er-Jahren die Bürgerrechtsbewegung in den USA stark prägte. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 8; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 34-36. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 8.

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Fragile kollektive Identitäten

eng zusammen und gründeten das Freedom Riders Coordinating Committee, das die Aktivitäten der verschiedenen Gruppen abstimmte.13 Die US-Regierung befürchtete durch die Freedom Rides eine ernsthafte Eskalation in den Südstaaten. Sie unterstützte zwar das Anliegen der Freedom-RidesAktivist*innen, hatte allerdings auf die Gesetzgebung und die Polizeibehörden in den Südstaaten nur wenig Einfluss. Präsident Kennedy schaltete sich schließlich persönlich ein, um die Lage zu beruhigen, und schickte die Bundespolizei, um die Freedom-Riders zu schützen.14 Nach mehreren Monaten konnten sich die Freedom-Rides-Aktivist*innen schließlich durchsetzen. Im November 1961 beschloss die Interstate Commerce Commission auf Druck der Kennedy-Regierung, die Trennung von Schwarzen und Weißen in öffentlichen Bus- und Bahnstationen zu verbieten. Die Bürgerrechtsbewegung hatte erneut ein wichtiges Teilziel erreicht.15 Im Sommer 1961 war das SNCC gerade ein Jahr alt geworden. Es hatte bisher nur ein Büro in Atlanta und hielt verschiedene Gruppen überall in den Südstaaten lose zusammen. Die Freedom Rides waren für die Organisation von großer Bedeutung, denn viele Aktivist*innen, die sich an ihnen beteiligt hatten, schlossen sich nach Verbüßung ihrer Haftstrafen dem SNCC an und wurden zu zentralen Figuren in der Organisation. Gleichzeitig waren die Freedom Rides der erste Kontakt der Bürgerrechtsbewegung mit jenen ländlichen Gegenden in den Südstaaten, die das SNCC kurze Zeit später in den Mittelpunkt seiner politischen Arbeiten stellte.16 Mit dem Engagement bei den Freedom Rides begann eine neue Phase in der Entwicklung des SNCC. Die Grundstimmung in dieser Zeit war optimistisch, viele Mitglieder befürworteten einen reformistischen Politikansatz und waren zuversichtlich, dass die rassistische Diskriminierung in den USA schnell überwunden werden könne. Die ersten Erfolge bei der Abschaffung der Segregation betrachteten die SNCC-Aktivist*innen als einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Allerdings gab es unterschiedliche Auffassungen über die zukünftige strategische Ausrichtung der Organisation.17 Noch während der Freedom Rides begann die Kennedy-Regierung nach Wegen zu suchen, wie die konfrontativen Proteste von Bürgerrechtsgruppen wie SNCC und CORE eingehegt werden könnten. Die US-Bundesregierung wollte unter allen

13 14 15 16 17

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 36. Zinn (1964): SNCC: The New Abolitionists, S. 49-50; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 35. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 37; Hogan (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, S. 50. Zinn (1964): SNCC: The New Abolitionists, S. 40-41; Hogan (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, S. 55. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 8-9.

5. 1960-1962 – Die Anfangsjahre

Umständen weitere Gewalt in den Südstaaten verhindern und es der Bürgerrechtsbewegung gleichzeitig ermöglichen, ihre politischen Ziele zu verfolgen.18 Daher versuchte sie seit dem Sommer 1961, verschiedene Bürgerrechtsorganisationen wie SNCC, SCLC und CORE davon zu überzeugen, die Wählerregistrierung in den Mittelpunkt ihrer politischen Arbeit zu stellen. Im Gegenzug sicherte sie den Bürgerrechtsorganisationen zu, über private Stiftungen ausreichende Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. In der Regierung erhoffte man sich, dass die Wählerregistrierung bei der weißen Bevölkerung in den Südstaaten auf weniger Widerstand stoßen würde als die Freedom Rides und weitere gewaltsame Konfrontationen dadurch vermieden werden könnten.19 Innerhalb des SNCC sorgte das Angebot zunächst für heftige Diskussionen, da einige Aktivist*innen darin einen Versuch der Regierung sahen, die Bewegung zu spalten und die Direct-Action-Proteste zu schwächen. Nach langen Debatten entschlossen sich die SNCC-Aktivist*innen, zwei Untergruppen innerhalb der Organisation zu bilden. Die eine Gruppe führte die DirectAction-Proteste weiter, während sich die andere auf die Arbeit der Wählerregistrierung konzentrierte.20

5.3.

Die Diskurse in SNCC in den Anfangsjahren

Im Folgenden werden die SNCC-internen Diskurse zwischen April 1960 und Juni 1962 mit dem Ziel betrachtet, die zentralen Narrationen herauszuarbeiten, die das kollektive Selbstverständnis der SNCC-Aktivist*innen in dieser Zeit geprägt haben. Die Analyse wendet sich hierfür in einem ersten Schritt den Themen und Aktionsformen zu, auf die die SNCC-Aktivist*innen in den untersuchten Dokumenten21 Bezug genommen haben. In einem zweiten Schritt werden dann anhand der am häufigsten genannten Themen und Aktionsformen die zentralen Narrationen beschrieben. Die Anti-Segregations-Proteste standen in den ersten Jahren im Mittelpunkt der Aktivitäten des SNCC. Das spiegelt sich auch in den internen Diskursen wider (vgl. Abbildung 1). In knapp einem Viertel (24,2 Prozent) der zwischen Früh-

18 19 20

21

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 39. Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, S. 232; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 38-39. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 40-42; Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 9. Das umfasst alle Dokumente, die in Kapitel 3.3.2 als Materialgrundlage genannt worden sind. Dabei wurden auch alle Artikel aus der New York Times im Untersuchungszeitraum vom 20.03.1960 und dem 22.10.1968 berücksichtigt, insofern dort SNCC-Aktivist*innen direkt oder indirekt zitiert wurden.

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Fragile kollektive Identitäten

jahr 1960 und Sommer 1962 untersuchten Dokumente nahmen die Sprecher*innen bzw. die Autor*innen auf dieses Thema Bezug. Bei fast 22 Prozent der genannten Aktionsformen in dieser Zeit (vgl. Abbildung 2) handelte es sich um gewaltlose Sit-ins in Restaurants, Geschäften, Theatern oder Kinos, aber auch in öffentlichen Verkehrsmitteln. Im Jahr 1960 lag deren Anteil an den Aktionsformen sogar bei 31 Prozent. Die Sit-in-Bewegung wurde überwiegend von Schwarzen CollegeStudierenden aus den Südstaaten getragen, die sich einem gewaltlosen Protest verpflichtet fühlten. Auch das SNCC war deshalb von einem Diskurs über Gewaltlosigkeit und gewaltlose Protestformen geprägt. Knapp 13 Prozent der untersuchten Texte bezogen sich auf das Thema Gewaltlosigkeit. Besonders in den ersten Monaten nahm dieses Thema erheblichen Raum in den SNCC-internen Debatten ein. Erst nach dem Abflauen der Sit-in-Proteste gegen Ende des Jahres 1960 begann sich das SNCC auch anderen politischen Anliegen zuzuwenden. Nun wurde auch über Themen wie die gesetzliche Verankerung der Gleichstellung von Schwarzen (12,4 Prozent), das Wahlrecht für Schwarze (11,8 Prozent) oder die Repression durch staatliche Institution und weiße Segregationist*innen (6,5 Prozent) diskutiert. Bei einer im Aufbau begriffenen Organisation nicht weiter verwunderlich, sprach man intern auch viel über organisatorische Fragen (11,8 Prozent) und die Finanzierung der eigenen Arbeit (10,5 Prozent). Es ist auffällig, dass der Frage der sozialen Gerechtigkeit in den Debatten nur eine untergeordnete Bedeutung zukam. Lediglich 3,3 Prozent der Beiträge befassen sich mit diesem Thema. Die in den Beiträgen erwähnten Aktionsformen (vgl. Abbildung 2) spiegeln die starke pazifistische Grundhaltung vieler Aktivist*innen wider. Demnach nutzen die Aktivist*innen neben den Sit-ins vor allem Demonstrationen und Kundgebungen, um gegen die Segregationspolitik zu protestieren. Diese beiden Aktionsformen machten in den Anfangsjahren zusammen fast 43 Prozent aller Protestaktivitäten aus. Es ging den Aktivist*innen in diesen Jahren demnach vor allem darum, das eigene Anliegen in den öffentlichen Raum zu tragen. Andere Aktivitäten, wie beispielsweise Klagen (14,2 Prozent), die Organisation von öffentlichen Konferenzen und Treffen (10,2 Prozent), Boykottaufrufe (9,4 Prozent) oder die Wählerregistrierung (7,1 Prozent) fanden hingegen wesentlich seltener Erwähnung. Das SNCC konzentrierte sich also vor allem auf sogenannte Direct-Action-Proteste, die öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen sollten. Dazu zählen auch die sogenannten Freedom Rides, die sich gegen die Diskriminierung von Schwarzen in öffentlichen Verkehrsmitteln richteten. Die Freedom Rides wurden vor allem in den Jahren 1961 und 1962 mit 8,5 bzw. 7 Prozent besonders häufig als Aktionsform der SNCCAktivist*innen genannt. Die Betrachtung der diskutierten Themen und Aktionsformen zwischen 1960 und Mitte 1962 zeigt, dass sich der Diskurs innerhalb des SNCC durch drei Merk-

5. 1960-1962 – Die Anfangsjahre

Abbildung 1: Themen des SNCC-Diskurses (20.03.1960-30.06.1962) nach Häufigkeit in Prozent*

* N = 152 Nennungen in 50 Dokumenten

male auszeichnete: Erstens kam dem Thema Segregation und der Integration der Schwarzen Bevölkerung in die US-amerikanische Mehrheitsgesellschaft eine herausragende Bedeutung zu. Die Proteste gegen die Segregation in den Südstaaten waren ein zentraler Bestandteil der Gründungserzählung des SNCC. Zweitens spielte die Frage von Gewaltlosigkeit des eigenen Protests eine zentrale Rolle. Gewaltlosigkeit wurde dabei von vielen SNCC-Aktivist*innen nicht als bloße Taktik verstanden, um öffentliche Unterstützung für die eigenen Anliegen zu mobilisieren, sondern war auch ein Way of Life, also eine grundlegende Lebensweise, die sich aus den religiösen und philosophischen Überzeugungen der Aktivist*innen speiste. Man kann festhalten, dass diese beiden Themen die Diskurse im SNCC in den ersten Jahren entscheidend prägten. Das dritte Merkmal bezieht sich auf die Aktionsformen. So wurde bei der Auswertung des Materials deutlich, dass die Aktivist*innen bei ihren Protestaktivitäten überwiegend auf Direct-ActionAktionsformen zurückgriffen. Dabei war die Anwendung dieser Aktionsformen eng verbunden mit der gewaltlosen Grundhaltung der SNCC-Aktivist*innen. Dem überwiegenden Teil der Aktivist*innen war die Gewaltlosigkeit der genutzten Aktionsformen enorm wichtig, denn es gehörte in dieser Zeit zu ihrem grundlegenden und tief verankerten Selbstverständnis, absolut gewaltfrei zu protestieren.

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Abbildung 2: Aktionsformen im SNCC-Diskurs (20.03.1960–30.06.1962) nach Häufigkeit in Prozent*

* N = 126 Nennungen in 50 Dokumenten

Im Folgenden sollen deshalb die zentralen, besonders häufig wiederholten Narrationen herausgearbeitet werden, die die bewegungsinterne Diskussion über Gewaltlosigkeit sowie Segregation und Integration prägte. Dabei werden die untersuchten Texte nochmals daraufhin befragt, welche Problemaufrisse, Ursachenanalysen und Lösungsvorschläge die Redner*innen bzw. Autor*innen in ihren Beiträgen nahelegen. Was waren die politischen Leitmotive in den Erzählungen der Aktivist*innen und wie verband sich das mit der Nutzung bestimmter Aktionsformen? Gleichzeitig wird jedoch auch darauf eingegangen, wie diese Narrationen in den Diskursen wiederum infrage gestellt wurden und welchen Veränderungen sie unterlagen.

5.3.1.

Das Prinzip des absoluten Gewaltverzichts

Bei seiner Gründung auf der Konferenz in Raleigh im Frühjahr 1960 verpflichtete sich das SNCC auf einen strikt gewaltfreien Protestansatz. Das SNCC war unmittelbar aus der Sit-in-Bewegung entstanden und viele SNCC-Aktivist*innen der Gründungszeit fühlten sich auch persönlich einer solchen Protestform stark verbunden. Mit der Bezeichnung als Student Nonviolent Coordinating Committee hielt das SNCC diesen Anspruch sogar im eigenen Namen fest und knüpfte damit an den

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Geist der Bürgerrechtsbewegung an. Denn der dezidiert gewaltfreie Ansatz und der Verzicht auf ein martialisches Auftreten standen in der Kontinuität der Protestpraktiken anderer Bürgerrechtsorganisationen. Nicht nur Martin Luther King und seine SCLC, die den Aufbau des SNCC anfangs finanziell unterstützte, sondern auch der CORE, der bereits in den 1940er-Jahren gewaltlose Sit-ins organisierte, um gegen segregierte Restaurants zu protestieren, waren Verfechter eines moderaten und gewaltlosen Protests.22 Das SNCC unterschied sich also in dieser Hinsicht nicht von anderen Bürgerrechtsorganisation, die in den Südstaaten aktiv waren. Bereits in der Gründungserklärung des SNCC aus dem Mai 1960 wurde der Grundsatz der Gewaltlosigkeit ausdrücklich festgeschrieben: »We affirm the philosophical and religious ideal of nonviolence as the foundation of our purpose, the presupposition of our faith, and the manner of our action. By appealing to conscience and standing on the moral nature of human existence, nonviolence nurtures the atmosphere in which reconciliation and justice become actual possibilities.«23 Besonders für die SNCC-Aktivist*innen, die aus der Sit-in-Bewegung kamen, war Gewaltlosigkeit eine grundsätzliche Lebenseinstellung. Etliche von ihnen bezogen sich dabei auf James ›Jim‹ Lawson. Der damalige Theologiestudent und Kriegsdienstverweigerer hatte eine Philosophie der Gewaltlosigkeit und des gewaltfreien Protests entwickelt, die durch die Sit-in-Proteste 1960 sehr populär geworden war. Obwohl Lawson nie selbst SNCC-Mitglied war, hielt er auf den ersten beiden SNCC-Konferenzen Workshops zur Gewaltlosigkeit ab und beeinflusste dadurch in dieser frühen Phase viele SNCC-Aktivist*innen. John Lewis, der spätere SNCCVorsitzende, beschreibt Lawson als ausgesprochen charismatische Person: »I was an eager student for this stuff, just voracious, and I couldn’t have found a better teacher than Jim Lawson. I truly felt – and I still feel today – that he was God-sent.«24 Auch betont Lewis Lawsons kompromissloses Verständnis von Gewaltlosigkeit: »And it is a way of life. This is something Lawson stressed over and over again, that this is not simply a technique or tactic or strategy or a tool to be pulled out when needed. It is not something you turn on or off like a faucet. This sense of love, this

22 23 24

Wendt, Simon (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights, Berlin: Freie Universität Berlin, S. 21. Zitiert in: Carson (1990): The Student Voice, 1960-1965: Periodical of the Student Nonviolent Coordinating Committee, S. 2. Lewis, John (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, New York, NY: Simon & Schuster, S. 76.

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sense of peace, the capacity for compassion, is something you carry inside yourself every waking minute of the day.«25 Dieser Ansatz lehnt auch jegliche Form der Gewalt zum Zweck der Selbstverteidigung ab. So erklärt der SNCC-Aktivist James Bevel, der 1963 das SNCC verließ, rückblickend in einem Interview: »I believe that carrying a gun for ›self-defense‹ is a hostile act and therefore not a nonviolent act. Man should present himself naked and defenseless to those who threaten him with violence and then he can love and live.«26 Dass gerade in den Anfangsjahren eher ein grundsätzlicher, philosophisch motivierter Zugang zu Gewaltlosigkeit innerhalb des SNCC vorherrschend war, lag auch am Einfluss der Schwarzen Kirchen, mit denen die Organisation eng verbunden war. Seit den 1950er-Jahren hatten die Kirchen eine besondere Rolle in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung eingenommen. Obwohl sie ursprünglich als zutiefst konservative Institutionen galten, bildeten sie durch ihre Netzwerke die Basis für die Mobilisierung der Bewegung.27 In ihnen entwickelte sich ein »oppositionelles Bewusstsein«28 , das sich insbesondere auf biblische Erzählungen stützte, in denen Gott den Unterdrückten zu Hilfe kam.29 Auf der einen Seite bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass man sich der anhaltenden Diskriminierung von Schwarzen widersetzen müsse, andererseits wurde aber immer wieder die Loyalität zur existierenden gesellschaftlichen Ordnung betont. Eine Maxime der Kirchen war deshalb, dass sich Proteste immer im Rahmen des geltenden Rechts bewegen müssen und nicht die staatliche Ordnung gefährden dürfen. Die Bürgerrechtsbewegung knüpfte an diese Idee der ›Kultur einer zivilen Opposition‹ an und entwickelte daraus das Prinzip des gewaltlosen Protests.30 Das SNCC unterhielt enge Verbindungen zu Schwarzen Kirchen und theologischen Colleges in den Südstaaten. Gerade in den ersten Jahren erhielt die Organi-

25 26 27

28 29 30

Ebd., S. 77. Interview in Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 274. McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970; CalhounBrown, Allison (2000): Upon This Rock: The Black Church, Nonviolence, and the Civil Rights Movement, in: PS: Political Science and Politics 33/2, S. 169-174; Morris, Aldon D. (1984): The Origins of the Civil Rights Movement: Black Communities Organizing for Change, New York: Free Press, S. 4; Harris, Fredrick C. (1999): Something Within: Religion in African-American Political Activism: Religion in African-American Political Activism, Oxford University Press. Morris (1984): The Origins of the Civil Rights Movement: Black Communities Organizing for Change, S. 4. Calhoun-Brown (2000): Upon This Rock: The Black Church, Nonviolence, and the Civil Rights Movement, S. 172. Ebd., S. 173.

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sation besonders viel Unterstützung durch Priester und Geistliche. Diese stellten den Aktivist*innen Räume für Versammlungen und Workshops zur Verfügung und vermittelten Kontakte zu den Communitys, in denen das SNCC Aktionen plante.31 Für viele SNCC-Aktivist*innen waren die Kirchen aber mehr als nur ein Raum, um Proteste vorzubereiten, sie hatten häufig selbst einen kirchlich-religiösen Hintergrund. Sie verstanden Gewaltlosigkeit nicht nur als taktisches Manöver, sondern als eine Haltung, die aus ihrem christlichen Glauben resultierte. Zu ihnen zählte auch John Lewis. Der langjährige SNCC-Vorsitzende studierte am American Baptist Theological Seminary, einem Schwarzen kirchlich-religiösen College in Nashville. Er gehörte zusammen mit James Lawson und der Aktivistin Diane Nash und dem Aktivisten Marion Barry einer Gruppe von Studierenden an, deren politisches Weltbild sich an der Lehre Gandhis und einer christlichen Ethik der Gewaltlosigkeit orientierte.32 Diese Gruppe war stark von der Idee der »Beloved Community« inspiriert, die John Lewis in seiner Autobiografie wie folgt beschreibt: »[…] the Beloved Community was nothing less than the Christian concept of the kingdom of God on earth. […] [B]elievers in the Beloved Community insist that it is the moral responsibility of men and women with soul force, people of goodwill, to respond and to struggle nonviolently against the forces that stand between a society and the harmony it naturally seeks.«33 Von der Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt kaum wahrgenommen, hatte es bereits vor dem Aufkommen der Sit-in-Bewegung in Nashville Sit-ins gegeben. Der Schwarzen Baptisten-Kirche in Nashville war eine wichtige Funktion zugekommen: Sie bot den Studierenden nicht nur einen Raum der Organisation und Vorbereitung von Protesten, sondern motivierte sie gleichzeitig auch, gewaltlose Protestformen zu nutzen. So wurden in den verschiedenen Kirchen der Stadt bereits seit Längerem Workshops zu gewaltlosem Protest veranstaltet.34 Als im Frühjahr 1960 überall in den Südstaaten die Sit-ins begannen, wurde Nashville zu einer Art Nukleus der rasch wachsenden Bewegung. Dort und auch andernorts unterstützten kirchliche Gruppen die Organisation und Finanzierung der Aktionen. Sie sammelten Spenden, um die Kaution für inhaftierte Sit-in-Aktivist*innen aufbringen zu können, oder organisierten Boykotte gegen Geschäfte, die Schwarze und Weiße getrennt bedienten.35

31 32 33 34 35

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 58; Calhoun-Brown (2000): Upon This Rock: The Black Church, Nonviolence, and the Civil Rights Movement, S. 171. Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 84-85. Ebd., S. 78. Hogan (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, S. 17. Calhoun-Brown (2000): Upon This Rock: The Black Church, Nonviolence, and the Civil Rights Movement, S. 171.

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Auf der Gründungskonferenz stellte die Gruppe aus Nashville die größte Delegation und prägte dadurch vorerst die weitere Entwicklung des SNCC. Sie war maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Grundsatz der Gewaltlosigkeit als Teil der christlichen Tradition in der Gründungserklärung des SNCC besonders hervorgehoben wurde.36 So heißt es dort gleich zu Beginn: »Nonviolence as it grows from Judaic-Christian traditions seeks a social order of justice permeated by love. Integration of human endeavor represents the crucial first step towards such a society.«37 Das SNCC war zudem in seiner Gründungsphase auch institutionell eng an die SCLC angebunden. Die SCLC war zu dieser Zeit der »politische Arm der Schwarzen Kirchen«38 in den Südstaaten und eine der einflussreichsten Organisationen in der Bürgerrechtsbewegung. Vorsitzender der SCLC war Martin Luther King, der seit dem Montgomery Bus Boycott als einer der wichtigsten Vertreter des gewaltlosen Protestes galt. King sprach immer wieder als Gastredner auf SNCC-Konferenzen und die damalige SCLC-Direktorin und erfahrene Bürgerrechtlerin Ella Baker beriet das SNCC intensiv beim Aufbau der Organisation. Darüber hinaus wurde das SNCC von der SCLC in der Anfangszeit auch finanziell unterstützt und nutzte deren Büroräume in Atalanta.39 Es ist davon auszugehen, dass diese engen formellen und informellen Kontakte des SNCC zu den politisch moderat auftretenden Schwarzen Kirchen und der SCLC einen mäßigenden Einfluss auf die jungen Aktivist*innen beim SNCC hatten. Doch bereits in den ersten Jahren des SNCC stellten viele Aktivist*innen den Ansatz der prinzipiellen Gewaltlosigkeit immer mehr infrage. Zwar war die Nashville-Philosophie in der Gründungszeit des SNCC sehr einflussreich gewesen, allerdings verließen viele ihrer Vertreter die Organisation nach dem Ende der Sit-ins wieder oder setzten ihr Engagement ausschließlich auf lokaler Ebene fort. Obwohl sich die Idee des gewaltlosen Protests in der Organisation auch in der darauffolgenden Zeit weiter hielt, wurde sie zunehmend säkularer ausgelegt.40 Denn nicht alle Mitglieder des SNCC stimmten mit dem dogmatischen Ansatz

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Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 21-23; Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization. Zitiert in: Carson (1990): The Student Voice, 1960-1965: Periodical of the Student Nonviolent Coordinating Committee, S. 2. Morris (1984): The Origins of the Civil Rights Movement: Black Communities Organizing for Change, S. 91. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 19; Sitkoff (1993): The Struggle for Black Equality 1954-1992, S. 84-85. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 24-25.

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der Nashville-Gruppe überein, für die Gewaltlosigkeit ein »historisches und universales Prinzip«41 darstellte.42 Etliche SNCC-Aktivist*innen hatten ein wesentlich pragmatischeres Verhältnis zu Gewaltlosigkeit. Sie sahen darin keine philosophische oder religiöse Richtschnur für jegliches Handeln, sondern vor allem ein Mittel zum Zweck: Die gewaltsamen Reaktionen von Gegner*innen der Bürgerrechtsbewegung auf die gewaltlosen Proteste sollten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Anliegen der Bewegung lenken. So erklärte James Forman sein taktisch orientiertes Verständnis von Gewaltlosigkeit: »My willingness to submit to the discipline of nonviolence arose from my view of it as a means to build a mass movement and to build the self-confidence of our people as a whole. […] I knew that nonviolence would not work, but hopefully the witnessing of terror and police brutality would help create a mass consciousness that eventually would lead to more militancy and action for revolution on the part of the black people.«43 Dementsprechend formuliert Forman seine zurückhaltende Einstellung gegenüber gewaltlosem Protest und nimmt gleichzeitig für sich das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch: »I believed that in a demonstration, you never knew when you would have to hit back and nonviolence did not commit you not to strike back ever. My nonviolence has always been the most tactical of all possible tactical nonviolence.«44 Auch Jane Stembridge, die dem SNCC bis 1964 angehörte, betont den taktischen Charakter, den der gewaltlose Protest für viele SNCC-Aktivist*innen wie sie hatte: »Well, it was always a tactic. It was never for SNCC. That is to say for most people in SNCC. That’s what I guess I mean by SNCC. It was never a philosophy of life or a way of life. I think people felt that it was. Some people outside, maybe some people inside, felt that it was because that’s the way the statement of purpose was stated. Jim [James] Lawson wrote that statement of purpose and I don’t think SNCC people really thought in terms of love and reconciliation.«45 Obwohl der Ansatz des gewaltlosen Protests in den Anfangsjahren innerhalb der Organisation unhinterfragt blieb, gab es bereits in dieser Zeit konkurrierende Begründungen dafür. Die religiös motivierte Herleitung eines absoluten Gewaltver41 42 43 44 45

Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 85. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 27. Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 149. Ebd., S. 150. Interview in: Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 258-259.

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zichts, wie er auf der Raleigh-Konferenz beschworen und bei den Sit-ins und den Freedom Rides praktiziert worden war, wurde zunehmend von einem eher taktischen Verständnis von gewaltlosem Protest abgelöst. Das hatte auch mit einer veränderten Schwerpunktsetzung in der politischen Arbeit zu tun: Die Organisation engagierte sich seit 1961 wesentlich intensiver in den ländlichen Gebieten der Südstaaten, in denen die anderen Bürgerrechtsorganisationen nur wenig oder überhaupt nicht aktiv waren, und organisierte dort Wahlrechtskampagnen.46 Ähnlich wie bei den Anti-Segregations-Protesten in den größeren Städten der Südstaaten setzte man zunächst auf Sit-ins und Demonstrationen. Allerdings erwiesen sich diese gewaltlosen Aktionsformen in den abgelegenen Gegenden der Südstaaten als relativ erfolglos. Die Proteste stießen hier auf wesentlich weniger Interesse in der Medienöffentlichkeit. Polizeigewalt und Festnahmen bei Demonstrationen erzeugten keinen nationalen Aufschrei, wie es in Städten wie Nashville oder Atlanta der Fall gewesen war. Howard Zinn erklärt in seinem 1964 erschienenen Buch über das SNCC rückblickend dazu: »The plunge into Alabama, Mississippi, and Southwest Georgia, first in the Freedom Rides and then in the prolonged voter registration campaign, disclosed a different kind of situation, where usual techniques of nonviolent direct action were simply crushed by the police power. […] The devices that had proved effective elsewhere met with variety of reprisal from brutal beatings to murder. […] We see, therefore, that experience itself has brought certain qualifications to the pure notion of ›nonviolence‹ […].«47 Darüber hinaus konnten die Schwarzen Farmer in den Südstaaten dem gewaltlosen Ansatz der Bürgerrechtsbewegung häufig nicht viel abgewinnen. Nach dem Ende des Bürgerkrieges wurde die politische und wirtschaftliche Macht der Weißen in den Südstaaten durch ein rassistisches Unterdrückungsregime gegen die Schwarze Bevölkerung aufrechterhalten. Die soziale Benachteiligung der Schwarzen Bevölkerung war häufig von gewaltsamen Übergriffen begleitet, die vom KuKlux-Klan und anderen rassistischen Organisationen ausgingen. Als Reaktion auf diese Gewalt waren schon seit Längerem in einigen Gegenden der Südstaaten bewaffnete Selbstverteidigungsgruppen entstanden, die versuchten, sich gegen diese Angriffe zur Wehr zu setzen.48 Bob Moses beschrieb die Situation, auf die SNCCAktivist*innen zu Beginn ihrer Arbeit in Mississippi stießen, folgendermaßen:

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Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 45. Zinn (1964): SNCC: The New Abolitionists, S. 222-223. Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 158; Wendt (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights; Umoja, Akinyele Omowale (2013): We Will Shoot Back: Armed Resistance in the Mississippi Freedom Movement, New York: NYU Press.

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»I could never talk about it [non-violence] to people we were working with, they carried guns. To the farmers in Mississippi, carrying a gun, protecting your home, was a way of life.«49 Damit das SNCC dort überhaupt arbeiten konnte, war eine Abkehr vom Ansatz der prinzipiellen Gewaltlosigkeit im Grunde unumgänglich. Der SNCC-Aktivist Julian Bond erklärte dazu in einem Interview: »For some people, like Charles Sherrod or John Lewis, nonviolence was a way of life. For others, it was a tactic. The situation in Mississippi – where local Negroes carried guns for self-defense as a matter of custom – raised difficult questions. From 1960 on, the number of people in SNCC who believed in nonviolence as a tactic began to increase, as new members joined SNCC and the sit-in people faded out.«50 Manche SNCC-Aktivist*innen gingen sogar noch weiter, indem sie der Schwarzen Landbevölkerung dabei halfen, sich gegen Angriffe weißer Segregationist*innen zu wehren. Chuck McDew, der erste Vorsitzende des SNCC, stand im Oktober 1961 nach einer erfolglosen SNCC-Kampagne in McComb, Mississippi, einem lokalem NAACP-Aktivist*innen bei der Verteidigung seines Hauses zur Seite: »Everybody pulled out one night [but] […] Dr. Anderson and I stayed and we armed ourselves. I remember we stayed up all night sitting at the window with guns, watching for anybody to come by. […] I had no qualms, whatsoever, about accepting the gun from Dr. Anderson and sitting in the window prepared to shoot anybody who would try and harm us.«51 Auch andere SNCC-Aktivist*innen berichteten davon, die Schwarze Landbevölkerung bei der bewaffneten Selbstverteidigung unterstützt zu haben. Als der SNCCAktivist Hollis Watkins entdeckte, dass die Familie, bei der er untergekommen war, jede Nacht bewaffnet ihr Haus bewachte, bot er dem Farmer an, sich an den Nachtschichten zu beteiligen: »He asked me if I knew how to use a gun. I said, Yes sir, I do. We don’t use them in the movement but I know how. But will you use guns? He asked. I said, if necessary I’ll us [sic!] ʼem.«52

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Zitiert in: Wendt (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights, S. 175. Interview in: Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 279. Zitiert in: Wendt (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights, S. 168. Zitiert in: Cobb, Charles E. (2014): This Nonviolent Stuff ’ll Get You Killed: How Guns Made the Civil Rights Movement Possible, Basic Books, S. 140-141 (Hervorh. im Original).

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Die Abkehr vieler SNCC-Aktivist*innen vom Prinzip des absoluten Gewaltverzichts begann also unter dem Eindruck der Erfahrungen in den ländlichen Gebieten der Südstaaten. Der SNCC-Aktivist Don Harris schätze, dass bereits 1961 und 1962 ungefähr 50 bis 70 Prozent der SNCC-Aktivist*innen, die in der Wählerregistrierung arbeiteten, den Grundsatz der strikten Gewaltlosigkeit eigentlich ablehnten.53 In der Öffentlichkeit bemühte sich das SNCC hingegen, den Anspruch aufrechtzuerhalten, eine gewaltlose Protestbewegung zu sein. Das war besonders dann der Fall, wenn das SNCC öffentlichkeitswirksam auftreten wollte.54 Diese Differenz zwischen dem Handeln Einzelner und den öffentlichen Äußerungen der Organisation zeigt, dass sich bei vielen Aktivist*innen bereits in diesen ersten Jahren ein sehr taktisch orientiertes Verständnis von gewaltlosem Protest entwickelt hatte. Einerseits war für die Arbeit in der Wählerregistrierung ein gewisser Selbstschutz unumgänglich, andererseits lief man Gefahr, jegliche finanzielle und politische Unterstützung seitens der liberalen Mittelschicht zu verlieren, wenn man sich öffentlich vom Ansatz der Gewaltlosigkeit distanziert hätte. Die einzelnen Aktivist*innen wie auch das SNCC als Organisation gingen jahrelang pragmatisch mit diesem Widerspruch um. Den meisten war durchaus bewusst, dass sie die Sympathie der Öffentlichkeit verlieren würden, wenn sie auf die Gewalt der Polizei und der weißen Segregationist*innen mit Gegengewalt reagiert hätten. Der gewaltfreie Protestansatz verschaffte der Bürgerrechtsbewegung einen moralischen Vorteil, der den Handlungsdruck auf die US-Administration erhöhte.55 Solange man mithilfe von gewaltlosen Protesten politische Forderungen durchsetzen konnte, erschien es daher den meisten Aktivist*innen als durchaus sinnvoll, weiter an diesem Ansatz festzuhalten.

5.3.2.

Integration in die weiße Mehrheitsgesellschaft

Der Kampf gegen die Segregation in den Südstaaten speiste sich aus dem politischen Anspruch, dass Schwarze die gleichen Rechte und den gleichen Zugang zu politischen Institutionen erhalten sollten wie Weiße. Durch die rechtliche Gleichstellung sollte die Integration der Schwarzen Bevölkerung in die weiße Mehrheitsgesellschaft vorangetrieben werden. Das SNCC und andere Bürgerrechtsgruppen bedienten sich einer überaus patriotischen Rhetorik, um ihre politischen Forderungen zu begründen. Immer wieder nahmen SNCC-Aktivist*innen Bezug auf die

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Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 28. Wendt (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights, S. 177. McAdam, Doug und Sidney Tarrow (2000): Nonviolence as Contentious Interaction, in: PS: Political Science and Politics 33/2, S. 149-154, hier S. 151.

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US-amerikanische Verfassung und den ›amerikanischen Traum‹ von Freiheit und Gerechtigkeit. In einem SNCC-Papier aus dem Jahre 1961 heißt es: »We believe that the effects of racial discrimination are contrary to the American dream that all men are born equal and are therefore entitled to free and unquestioned access to all public facilities. SNCC is dedicated to ridding America of second class citizenship. We believe that we must work toward this end because our destinies as individuals, as Americans, and as citizens of the world will inevitably be determined by whether we conquer racial prejudice or race prejudice conquers us.«56 Das SNCC vermied in dieser Zeit scharfe Kritik an der Regierung und den politischen Eliten. Stattdessen versuchte man, durch wohlmeinende Appelle zu überzeugen. So bemühte sich das SNCC mit einer Initiative, bei den im Kongress vertretenen Parteien für ihre Forderungen zu werben. In einer Rede vor dem Platform Committee auf dem Parteitag der Demokraten betonte der damalige SNCCRepräsentant Marion Barry im Juli 1960: »We […] represent the thinking of thousands of Negro and white Americans who have participated in, and supported student efforts that have been characterized, generally, as Sit-ins, but which in truth were peaceful petitions to the conscience of our fellow citizens for redress of the old grievance that stem from racial segregation and discrimination. […] In a larger sense, we represent hundreds of thousands of freedom loving people, for whom our limited efforts have revitalized the great American dream of ›liberty and justice for all‹.«57 Auch Edward King, der zwischen 1960 und 1961 zeitweilig Sprecher des SNCC war, schlug in einem Telegramm an Präsident Kennedy anlässlich der Freedom Rides einen sehr moderaten Ton an und formulierte nur sehr vorsichtig Forderungen: »Speaking as the South-wide spokesman for the student nonviolent sit-in movement, we hereby, request that you, the President of the United States, speak to the American people on the issue that Negro Americans are in fact, first-class citizens of this nation; […] And finally, that your high office issue a firm and unequivocal statement in support of the right of free travel for all citizens without interference by any segment of the American people.«58

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SNCC (1961): This is SNCC. Barry, Marion (1960): Statement submitted by the Student Nonviolent Coordinating Committee to the Platform Committee of the National Democratic Convention Thursday, Morning, July 7, 1960, Los Angeles, California, S. 1, https://www.crmvet.org/docs/6007_sncc_demconv-platform.pdf. King, Edward B. (1961): Telegram to President John F. Kennedy.

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In einem Beitrag vom März 1961 gibt sich die Student Voice zwar kämpferisch, aber auch sie vermeidet es, die Regierung direkt zu kritisieren, und greift stattdessen zu einer sehr patriotisch gefärbten Rhetorik: »It is time that our nation, and particularly our Southern states, recognize our responsibility to the world, to mankind, and to ourselves by ridding our country of the cancer that is segregation. This sense of urgency is accentuated by the ever increasing momentum of world events. […] On the time-table of the world, tomorrow is today; and only forthright action can square America’s racial practices with the coveted role of world’s champion advocate of democratic human rights.«59 Ein Grund für dieses zurückhaltende Auftreten dürfte die gerade zu Ende gegangene McCarthy-Ära gewesen sein, in der Zeit sich der Raum für politischen Protest deutlich verringert hatte.60 Jegliche Kritik an der Regierung lief schnell Gefahr, als kommunistisch diffamiert zu werden. Davon war auch die Schwarze Bürgerrechtsbewegung betroffen. Viele Bürgerrechtsorganisationen gaben sich deshalb bereits in den 1950er-Jahren in ihren öffentlichen Äußerungen besonders patriotisch, um nicht in den Verdacht zu geraten, durch Kommunist*innen unterwandert zu sein.61 Das SNCC schloss in seinen Anfangsjahren nahtlos daran an. Als der frühere US-Präsident Harry Truman zu Beginn der Sit-in-Bewegung den Verdacht äußerte, diese Aktionen seien von Kommunist*innen organisiert,62 widersprach das gerade neu gegründete SNCC vehement und betonte die Gewaltlosigkeit des Protests.63 So erklärte Marion Barry vor dem Platform Committee auf dem Parteitag der Demokraten zu den Vorwürfen: »The Student movement, despite the accusation of some public figures, is neither Communist-controlled nor inspired. […] Communism seeks power, ignores people, and thrives on social conflict. […] What we, the participants in the movement,

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Carson (1990): The Student Voice, 1960-1965: Periodical of the Student Nonviolent Coordinating Committee, S. 35. Die Anfangsphase des Kalten Krieges war in den USA durch einen starken Antikommunismus geprägt. Mit Bezug auf den antikommunistischen US-amerikanischen Senator Joseph McCarthy wird sie häufig als McCarthy-Ära bezeichnet. Ling, Peter (2012): SNCC: Not One Committee, but Several, in: Morgan, Iwan W. und Philip Davies (Hg.): From Sit-Ins to SNCC: The Student Civil Rights Movement in the 1960s, University Press of Florida. Knowles, Clayton (1960): Truman Believes Reds Lead Sit-ins, in: New York Times (19.04.1960). Ling (2012): SNCC: Not One Committee, but Several, S. 138; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s.

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have in common are our beliefs in the dignity of the individual, our hope in the democratic form of government, and our devotion to our homeland.«64 Das SNCC vermied es sogar, mit relativ gemäßigten sozialistischen Positionen in Zusammenhang gebracht zu werden. Im Oktober 1960 zog die Organisation eine Einladung an Bayard Rustin, Bürgerrechtler und Mitglied der League for Industrial Democracy, auf der Herbstkonferenz zu sprechen, wieder zurück, da er einigen in der Organisation als zu radikal galt.65 Dieses Ereignis macht deutlich, dass das SNCC in seiner Anfangszeit sehr darauf bedacht war, wie es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde und möglichste keine Unterstützung zu verlieren. In seinen Anfangsjahren unterließ das SNCC jegliche unmittelbare Kritik an der Bundesregierung oder dem US-Präsidenten und verwies stattdessen immer wieder auf den Widerspruch zwischen den in der US-amerikanischen Verfassung verbürgten Rechten und der realen Situation in den Südstaaten, wo es Schwarzen nicht erlaubt war, bestimmte, Weißen vorbehaltene öffentliche Räume zu betreten oder ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Vor dem Hintergrund des in dieser Zeit virulenten Kalten Krieges betonten SNCC-Aktivist*innen immer wieder, dass dieser Widerspruch die Glaubwürdigkeit der US-Politik untergrabe. Die Segregation und Diskriminierung der Schwarzen in den Südstaaten spiele letztlich der sowjetischen Propaganda in die Hände, weil durch sie wichtige gesellschaftliche Grundwerte verletzt würden.66 So forderte der damalige SNCC-Repräsentant Edward B. King in seinem bereits erwähnten Telegramm an Kennedy vom Mai 1961 nach einem gewaltsamen Angriff auf Freedom-Rides-Aktivist*innen den Präsidenten dazu auf, gegen die Gewalt von weißen Segregationist*innen gegenüber den Aktivist*innen Stellung zu beziehen. Dabei rekurriert er ausdrücklich auf die internationale Rolle der USA: »At a time in the history of our great nation, when we are telling the people of Asia, Africa, Latin America and the free world in general that we desire to be friends, Negro Americans continue to be assaulted by the Southern reactionaries.«67 Der US-Regierung war durchaus bewusst, dass die rassistische Diskriminierung in den Südstaaten für sie politisch eine offene Flanke darstellte. Bereits im Dezember

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Barry (1960): Statement submitted by the Student Nonviolent Coordinating Committee to the Platform Committee of the National Democratic Convention Thursday, Morning, July 7, 1960, Los Angeles, California, S. 3. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 29; Ironischerweise warf der langjährige Geschäftsführer des SNCC James Forman Bayard Rustin später vor, er habe versucht, das SNCC politisch in das liberale, sozialdemokratische Lager zu ziehen. Vgl. auch: Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 358-359. Ling (2012): SNCC: Not One Committee, but Several, S. 136. King (1961): Telegram to President John F. Kennedy.

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Fragile kollektive Identitäten

1952 wies das Justizministerium in einem internen Briefing aufgrund der zahlreichen vor dem Obersten Gerichtshof anhängigen Verfahren wegen Verletzungen der Bürgerrechte auf dieses Problem hin: »Racial discrimination furnishes grist for Communist propaganda mills, and it raises doubt even among friendly nations as to the intensity of our devotion to the democratic faith.«68 Die Situation in den Südstaaten stellte auch in den Augen vieler Liberaler einen Schandfleck für die Demokratie der USA dar. Die USA befanden sich mitten im Kalten Krieg und versuchten sich als Repräsentant der ›freien Welt‹ gegenüber der Sowjetunion abzugrenzen. Die Diskriminierung von Schwarzen in den Südstaaten trübte dieses Bild erheblich und stellte die Glaubwürdigkeit des demokratischen Systems in den USA infrage.69 Wie andere Organisationen der Bürgerrechtsbewegung nutzte auch das SNCC deshalb gezielt eine patriotische Rhetorik, um diesen Widerspruch weiter zuzuspitzen und die US-Bundesregierung zum Handeln gegenüber den Bundesstaaten im Süden zu zwingen. Gerade bei der rechtlichen Gleichstellung von Schwarzen standen der US-Präsident und die Bundesbehörden somit unter politischem Druck. Weil sich in diesem Bereich relativ leicht konkrete Erfolge erzielen ließen, war es für die Bürgerrechtsbewegung eine naheliegende Strategie, den politischen Protest zunächst auf diese Themen zu konzentrieren und beispielsweise Fragen der Armuts-, Bildungs- oder Außenpolitik demgegenüber weniger Beachtung zu schenken.70 Um jedoch die Regierung in den Bereichen Gleichstellung und Integration zum Handeln zu bewegen, erschien es wiederum taktisch klüger, die Gemeinsamkeiten zwischen der Bewegung und der Regierung in den Vordergrund zu stellen, statt eine konfrontative Politik zu verfolgen. Hinter dem pazifistischen und politisch moderaten Auftreten des SNCC stand also auch das strategische Kalkül, den politischen Handlungsdruck auf die US-Bundesregierung weiter zu erhöhen.

5.4.

Fazit

In den Anfangsjahren waren die Diskurse innerhalb des SNCC von zwei zentralen Narrationen gekennzeichnet: Die eine Erzählung lautete, dass man der anhaltenden Diskriminierung von Schwarzen in den Südstaaten nur durch gewaltlosen Protest entgegentreten könne. Während einige Aktivist*innen aufgrund einer sehr

68 69 70

Zitiert in: McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 83. Ebd. Ebd., S. 152-153.

5. 1960-1962 – Die Anfangsjahre

starken religiös-philosophischen Grundhaltung jegliches gewaltsame Handeln ablehnten, sahen andere in der Gewaltlosigkeit des Protests eher eine Art taktischen Vorteil. Letztere setzten darauf, sich die Unterstützung der bürgerlichen Liberalen und Schwarzen Kirchen zu sichern, indem man der brutalen Gewalt der weißen Segregationist*innen ein positives Bild der gewaltlosen Bürgerrechtsbewegung entgegenstellte. Diese Strategie erwies sich teilweise als sehr erfolgreich. Die Gewalt, auf die friedlich demonstrierende Bürgerrechtler*innen trafen, wurde über die Massenmedien in den gesamten USA verbreitet und sorgte bei vielen Liberalen in den USA für Bestürzung und Empörung. Der Schock, den die Bilder von solchen Übergriffen häufig auslösten, erhöhte wiederum den politischen Druck auf die Regierung in Washington, sich gegenüber den Südstaaten für eine Beendigung der institutionalisierten Diskriminierung von Schwarzen einzusetzen. Obwohl es durchaus Unterschiede in der Begründung gab, herrschte in diesen Anfangsjahren ein breiter Konsens darüber, dass nur gewaltloser Protest geeignet ist, die gesetzten politischen Ziele zu erreichen. Gewaltlosigkeit als Handlungsmaxime wurde zum Leitmotiv der Bewegung und prägte das Selbstverständnis der Aktivist*innen. Die zweite dominierende Narration betraf das Ziel des Protests. Die Forderungen und der Anspruch des SNCC waren auf die Verwirklichung der rechtlichen Gleichstellung gerichtet, wie sie in der US-amerikanischen Verfassung verankert ist. Diese Bezugnahme auf die verfassungsmäßigen Rechte zeigen die Erwartung und die Hoffnung, die die Aktivist*innen zu diesem Zeitpunkt in die Durchsetzung dieser Ordnung durch die Bundesregierung setzten. Die patriotische Rhetorik vieler Aktivist*innen in diesen Jahren legt nahe, dass die Bewegung ihre Ziele vor allem im Rahmen des bestehenden politischen Systems zu erreichen suchte. Nicht das System war der Fehler, sondern die unzureichende Durchsetzung der Ordnung. Darüber hinaus machte sich die Bewegung auf diese Weise weniger angreifbar. Indem man lediglich die Geltung von bürgerlichen liberalen Rechten einforderte, trat man in gewisser Hinsicht dem Vorwurf entgegen, die Bewegung sei durch Kommunist*innen unterwandert. Das SNCC und die gesamte Bürgerrechtsbewegung machten sich damit anschlussfähig an die bürgerliche, liberale Mittelschicht der USA, die den Protest der Schwarzen in den Südstaaten ideell und finanziell unterstützte.

119

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

Im Sommer 1961 begannen SNCC-Aktivist*innen erstmals damit, das Wahlrecht von Schwarzen in den Mittelpunkt ihrer politischen Arbeit zu rücken. Dadurch betrat die Organisation ein neues politisches Betätigungsfeld in den abgelegenen ländlichen Gebieten der Südstaaten, in denen die Diskriminierung von Schwarzen besonders ausgeprägt war. Dort schlug den Aktivist*innen bei ihren Kundgebungen oder Demonstrationen häufig massive Gewalt seitens der Polizei und weißer Segregationsbefürworter*innen entgegen. Für die Schwarzen in diesen Gegenden gehörte die Gewalt durch Gruppen wie den Ku-Klux-Klan zum Alltag. Der Besitz von Waffen war sehr verbreitet. Selbstverteidigung war häufig überlebensnotwendig.1 Dieser Realität konnten sich auch SNCC-Aktivist*innen, die vor Ort arbeiteten, nicht verschließen. Sie begannen sich daher mit den jeweiligen Gegebenheiten zu arrangieren2 und den Grundsatz der prinzipiellen Gewaltlosigkeit infrage zu stellen. Viele gingen nun dazu über, gewaltlosen Protest vor allem als taktisches Mittel in politischen Auseinandersetzungen zu begreifen. Zu Beginn der 1960er-Jahre war der Anteil der registrierten Schwarzen Wähler*innen in den Südstaaten3 besonders niedrig.4 1962 waren dort durchschnittlich nur 29 Prozent der Schwarzen für Wahlen registriert. Nur 5,3 Prozent der im Wahlregister von Mississippi verzeichneten Personen waren Schwarz. Von schätzungsweise 500.000 Schwarzen Wahlberechtigten waren 1962 dort lediglich 23.920 für Wahlen registriert.5 In den meisten Südstaaten wurden Schwarze systematisch davon abgehalten, das ihnen formal zustehende Wahlrecht auch tatsächlich wahrzunehmen: Wahlsteuern sowie Schreib- und Leseprüfungen bei der Registrierung 1 2 3

4 5

Wendt (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 27-28. Lawson, Steven F. (1999): Black Ballots: Voting Rights in the South, 1944-1969, Lexington Books zählt dazu die US Bundesstaaten Alabama, Arkansas, Florida, Georgia, Louisiana, Mississippi, North Carolina, South Carolina, Tennessee, Texas und Virginia. Ebd., S. 283. Ebd., S. 284.

122

Fragile kollektive Identitäten

erschwerten die Teilnahme an Wahlen erheblich. Die Registrierung der Wähler*innen findet in den USA auf Ebene der Bundesstaaten bzw. der County-Ebene (Gemeinde) statt. Bis zum Inkrafttreten des Voting Rights Act 1965 besaß die US-Bundesregierung daher nur sehr wenige rechtliche Möglichkeiten, auf die konkrete Ausgestaltung der Wählerregistrierung Einfluss zu nehmen und die diskriminierende Praxis in einigen Bundesstaaten zu beenden.6

6.1.

Wählerregistrierung und Community Organizing

Ein erste Maßnahme der US-Bundesregierung war in dieser Hinsicht das Voter Education Project (VEP), dass im Frühjahr 1962 begann und über verschiedene Stiftungen mit insgesamt 870.000 US-Dollar ausgestattet wurde. Das Programm war auf zweieinhalb Jahre angelegt und sollte bis zu den Präsidentschaftswahlen 1964 zu einer substanziellen Verbesserung des Anteils registrierter Schwarzer in den Südstaaten führen.7 Allerdings erhielt das SNCC im Vergleich zu den anderen Bürgerrechtsorganisationen nur relativ wenig Geld für seine Projekte. Das lag vor allem daran, dass der Schwerpunkt der Arbeit des SNCC in den ländlichen Gebieten lag. Da das VEP in kurzer Zeit möglichst viele Schwarze registrieren wollte, boten die Projekte in den ländlichen Gebieten nicht ausreichend Potenzial. Es gab dort nur wenige Einwohner*innen und viele von ihnen waren schwer zu erreichen. Da sich in den Städten schneller Erfolge erzielen ließen, konzentrierte sich das VEP vor allem auf die Registrierung der dortigen Wähler*innen. Das SNCC musste sich daher schon sehr frühzeitig eigene Unterstützungs-Netzwerke aufbauen, um die Finanzierung seiner Projekte sicherzustellen.8 Im Spätsommer und Herbst 1961 begann das SNCC, in McComb, Mississippi, und Albany, Georgia, die ersten Wählerregistrierungsprojekte auf die Beine zu stellen. In den darauffolgenden Jahren wurde die Arbeit des SNCC zusehends professioneller. Bald schon verfügten die mittlerweile zahlreichen SNCC-Projekte überall in den Südstaaten über angestellte Mitarbeiter. Gleichzeitig professionalisierte sich auch die Arbeit nach außen. In der Geschäftsstelle in Atlanta wurde Personal eingestellt, das sich ausschließlich um Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit kümmerte. Das SNCC entwickelte sich in dieser Zeit von einem losen Aktivist*innen-Netzwerk zu einer professionell arbeitenden Organisation mit Vollzeit-Angestellten und einem bürokratischen Apparat.9

6 7 8 9

Colby, David C. (1986): The Voting Rights Act and Black Registration in Mississippi, in: Publius 16/4, S. 123-137. Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, S. 233-234. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 70. Ebd., S. 66.

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

Innerhalb des SNCC fanden die Projekte zur Wählerregistrierung immer mehr Unterstützung. Bei vielen SNCC-Aktivist*innen setzte sich seit dem Frühjahr 1962 die Einsicht durch, dass der tiefsitzende Rassismus in den Südstaaten durch punktuelle Proteste nicht nachhaltig genug bekämpft werden könne. Viele waren mittlerweile davon überzeugt, dass das SNCC eine schlagkräftige und professionell arbeitende Organisation werden müsse, um effektiv gegen rassistische Segregation und Diskriminierung vorgehen zu können. Die Wählerregistrierung galt daher den meisten als gewissermaßen natürlicher nächster Schritt in ihrer politischen Arbeit.10 Im Sommer 1962 entstanden zahlreiche SNCC-Wählerregistrierungsprojekte vor allem in Alabama und Mississippi. Das SNCC ging in Gegenden, die den anderen Bürgerrechtsorganisationen als hoffnungslos oder zu gefährlich galten. Die Projekte waren häufig langfristig angelegt, die SNCC-Projektmitarbeiter (field secretaries) lebten mit den Menschen vor Ort und zogen von Tür zu Tür, um die Schwarze Bevölkerung davon zu überzeugen, sich für Wahlen registrieren zu lassen. Für viele SNCC-Aktivist*innen war die Wählerregistrierung jedoch nicht das einzige Anliegen. Sie wollten die Schwarze Bevölkerung dazu befähigen, soziale Netzwerke aufzubauen und politische Mitspracherechte einzufordern.11 Die soziale und ökonomische Situation der Schwarzen war enorm prekär. In Mississippi waren 1960 circa 43 Prozent der Bevölkerung Schwarz. Keine Schwarze Person hatte ein politisches Amt inne. Das mittlere Einkommen in der weißen Bevölkerung war dreimal so hoch wie das der Schwarzen Bevölkerung. Ihre Wohn- und Lebensbedingungen in den ländlichen Regionen waren meist extrem ärmlich.12 Die SNCC-Aktivist*innen begriffen daher sehr schnell, dass die Wählerregistrierung in diesen Gegenden nicht das vordringlichste Problem war, sondern dass es vielmehr zuallererst darum ging, die unmittelbare Not der Menschen zu lindern. SNCC-Aktivist*innen organisierten deshalb schon bald Nahrungsmittelhilfen und Kleiderspenden für die in Armut lebende Schwarze Landbevölkerung in den Südstaaten.13 Infolgedessen setzte das SNCC bei seiner politischen Arbeit in diesen Teilen der Südstaaten immer stärker auf das Community Organizing, während die Anti-SegregationsProteste zunehmend in den Hintergrund traten. Das Ziel war es, langfristige und nachhaltige Strukturen in den Schwarzen Gemeinschaften aufzubauen, die eine selbstständige politische Organisation – auch unabhängig vom SNCC – ermöglichen sollten. Der Bildungsstand der Schwarzen Bevölkerung in den ländlichen Gebieten war häufig sehr niedrig und die Analphabeten-Quote hoch. In vielen Countys gehörte das Bestehen von (auch schriftlichen) Prüfungen zu den Vorausset10 11 12 13

Ebd., S. 69. Ebd., S. 66. Zinn (1964): SNCC: The New Abolitionists, S. 64. Dittmer, John (1994): Local People: The Struggle for Civil Rights in Mississippi, Urbana: University of Illinois Press, S. 145.

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Fragile kollektive Identitäten

zungen für die Eintragung ins Wählerverzeichnis. Für viele Schwarze war es deshalb nahezu unmöglich, diese Anforderungen zu erfüllen. Da Lese- und Schreibprüfungen für viele Schwarze die größte Hürde bei der Registrierung darstellten, unterstützte das SNCC auch Bildungsprogramme für die Schwarze Landbevölkerung. SNCC-Aktivist*innen gründeten Schulen oder organisierten ergänzende Bildungsangebote, um die Grundbildung der Schwarzen Bevölkerung zu verbessern.14 Diese Hinwendung zu sozial- und bildungspolitischen Fragen war demnach eine Konsequenz aus der Überlegung, dass – unabhängig vom Wahlrecht – eine völlige Gleichstellung der Schwarzen ohne eine Verbesserung ihrer Bildungssituation nicht zu erreichen sein würde. Die Wählerregistrierungsprojekte stießen jedoch schnell auf Widerstand vonseiten der lokalen Behörden wie auch eines Großteils der weißen Bevölkerung und von gegnerischen politischen Gruppen wie dem Ku-Klux-Klan. Viele Schwarze scheuten aufgrund ihrer starken ökonomischen Abhängigkeit von Weißen davor zurück, sich registrieren zu lassen oder politisch aktiv zu werden. SNCCAktivist*innen und diejenigen, die sich registrieren ließen, lebten in ständiger Angst vor Übergriffen durch die weiße Bevölkerung. Immer wieder wurden Mitarbeiter*innen oder Sympathisant*innen des SNCC bedroht, misshandelt, kamen ins Gefängnis oder wurden sogar umgebracht.15 In den ersten Jahren konnten deshalb nicht einmal 5 Prozent der Schwarzen in Mississippi registriert werden.16 Als die Gewalt weiter zunahm, wurden die Forderungen nach mehr Sicherheit für die Aktivist*innen vor Ort innerhalb des SNCC immer lauter. Die Bundesregierung hatte teilweise nur eingeschränkte rechtlichen Befugnisse, um vor Ort intervenieren zu können. Doch selbst diese Befugnisse schöpfte sie nicht immer vollständig aus.17 Im Sommer 1962 verlangte der damalige SNCC-Sprecher Charles McDew, Präsident Kennedy solle Bundespolizei nach Mississippi schicken, um die dortigen Wählerregistrierungsprojekte zu schützen.18 Die Bundesregierung kam dieser Forderung aber nicht nach. Zwar schickte sie FBI-Beamte in die Südstaaten, die gewaltsame Übergriffe auf Bürgerrechtsaktivist*innen protokollieren sollten; sie unterbanden gewaltsame Vorfälle jedoch nicht und griffen auch nicht ein. Häufig fehlten ihnen auch die rechtlichen Grundlagen, um aktiv werden zu können. Angesichts dieser Situation wuchs innerhalb des SNCC der Unmut über die Bundes-

14 15 16 17 18

Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 10-13. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 87. Ebd., S. 97. Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, S. 234-235. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 85.

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

behörden.19 Viele SNCC-Aktivist*innen waren davon überzeugt, dass die Bundesregierung sehr wohl in der Lage gewesen wäre, mehr für die Bürgerrechtsbewegung zu tun. Um den Handlungsdruck auf die Politik zu erhöhen, versuchten sie deshalb, die Situation in den Südstaaten in der US-amerikanischen Öffentlichkeit zu skandalisieren. Demonstrationen, Sit-ins und Boykotte erzeugten mediale Aufmerksamkeit und ließen die Unterstützung für das SNCC und die Bürgerrechtsbewegung weiterwachsen.20 Die häufig schockierenden Berichte über die Proteste hatten darüber hinaus eine große Wirkung auf die Spendenbereitschaft von Sympathisant*innen aus dem Norden.21 Im Frühjahr und Sommer 1963 erreichte eine neue Protestwelle die Südstaaten der USA, wodurch die Bürgerrechtsbewegung noch einmal neuen Auftrieb erhielt. Auch viele SNCC-Aktivist*innen beteiligten sich an den Protesten, bei denen es erstmals zu gewaltsamen Aktionen auch vonseiten Schwarzer Aktivist*innen kam. So fanden in Cambridge, Maryland, im Anschluss an Demonstrationen, die vom SNCC unterstützt worden waren, schwere Straßenschlachten statt. Erst der Einsatz der US-Nationalgarde konnte die Lage in der Stadt wieder beruhigen. Im Anschluss an eine Demonstration in Danville, Virgina, die ebenfalls gewalttätige Formen angenommen hatte, wurden mehrere aktive SNCC-Aktivist*innen unter dem Vorwurf angeklagt, zu Gewalt aufgerufen zu haben.22 Gleichzeitig professionalisierte SNCC seine Organisation in diesen Jahren. Im August 1963 beschäftigte es 12 Büroangestellte in der Geschäftsstelle in Atlanta und 60 field secretaries. Darüber hinaus gab es 121 unbezahlte Freiwillige. Alle arbeiteten Vollzeit für die Organisation.23 Im Jahre 1966 waren circa 130 field secretaries und 100 unbezahlte Freiwillige für die Organisation tätig.24 Der Anteil von Weißen, der sich nicht mehr genau feststellen lässt, war in dieser Zeit relativ hoch. So waren beispielsweise auf einem SNCC-Treffen im April 1962 um die 30 Prozent der Anwesenden weiß.25 Gleichzeitig stieg zwischen 1961 und 1964 auch der Anteil von Schwarzen und weißen Aktivist*innen aus den Nordstaaten kontinuierlich an.26 Im August 1963 fand mit dem March on Washington die bis dahin größte Demonstration der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung statt, an der

19 20 21 22 23 24 25 26

Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 39. Ebd., S. 10-11. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 71. Ebd., S. 90. Ebd., S. 72. SNCC (1966): The Story of SNCC, www.crmvet.org/docs/sncc66.pdf (abgerufen am: 16. April 2016). Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 67. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 94.

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circa 300.000 Menschen teilnahmen. Die Initiative hierzu war von den größten Bürgerrechtsorganisationen ausgegangen. Auch das SNCC beteiligt sich an der Vorbereitung und stellte mit John Lewis, der seit Kurzem Vorsitzender des SNCC war, einen der Hauptredner auf der Abschlusskundgebung vor dem Lincoln Memorial. Anlässlich dieser Demonstration hielt Martin Luther King jene berühmte Rede »I have a dream«, die zum Symbol für den Optimismus in der damaligen Bürgerrechtsbewegung werden sollte.27 Die Ansprache von Lewis war dagegen sehr umstritten, da er die US-Bundesregierung verhältnismäßig unverblümt kritisierte und die Gewalt gegenüber Bürgerrechtler*innen in den Südstaaten anprangerte. Ein erster Entwurf der Rede musste von Lewis und dem SNCC-Geschäftsführer James Forman sogar umgeschrieben werden, weil die anderen teilnehmenden Organisationen Vorbehalte gegenüber bestimmten Passagen geäußert hatten. In diesem Redeentwurf hatte Lewis dem Civil Rights Act, der zu diesem Zeitpunkt vorbereitet und debattiert wurde, die Unterstützung versagt und der Bundesregierung vorgeworfen, dass sie die Bürgerrechtsaktivist*innen in den Südstaaten nicht ausreichend schützen würde. Die scharfen Angriffe auf die Kennedy-Regierung mündeten schließlich in der provokanten Frage: »I want to know, which side is the federal government on?« Letztlich ließen sich Lewis und die anderen an der Vorbereitung der Demonstration beteiligten SNCC-Aktivist*innen davon überzeugen, die heiklen Passagen zu überarbeiten. Doch trotz der Änderungen hob sich die Rede von John Lewis in ihrer Radikalität von den anderen Beiträgen ab. Das SNCC wurde zunehmend zum enfant terrible im Kreise der Bürgerrechtsorganisationen.28

6.2.

Der Mississippi Freedom Summer und die Mississippi Freedom Democratic Party

Seit Ende 1963 suchte das SNCC nach Möglichkeiten, den Wählerregistrierungsprojekten in Mississippi neuen Schwung zu geben. Da die Arbeit in diesem Bundesstaat nur schleppend voranging und die Repression besonders groß war, machte sich bei den Aktivist*innen zusehends Unzufriedenheit und Frustration breit.29 Mississippi galt als der Bundesstaat, in dem die Bürgerrechtsbewegung bisher auf den härtesten Widerstand gestoßen war. Deshalb entschloss sich das SNCC auf Vorschlag von Bob Moses und mithilfe des Council of Federated Organizations (COFO), im Sommer 1964 eine großangelegte Kampagne unter dem Motto »One man – one

27 28 29

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 91. Zinn (1964): SNCC: The New Abolitionists, S. 190; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 93. Dittmer (1994): Local People: The Struggle for Civil Rights in Mississippi, S. 198-199.

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

vote« zu organisieren. Der COFO wurde durch das VEP finanziert und setzte sich hauptsächlich aus SNCC-Mitarbeiter*innen zusammen. Co-Direktor war Robert Moses, der seit 1961 Wählerregistrierungsprojekte für das SNCC koordiniert hatte. Neben dem SNCC waren auch die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) und der Congress of Racial Equality (CORE) im COFO vertreten. Nur wenig später schloss sich auch die SCLC der Organisation an.30 Die Kampagne hatte das Ziel, mithilfe von sozial- und bildungspolitischen Projekten möglichst viele Schwarze in den ländlichen Regionen Mississippis für die Präsidentschaftswahlen im November 1964 zu registrieren. Dabei entstand die Idee, im Rahmen des COFO Freiwillige aus den nördlichen Bundesstaaten über den Sommer nach Mississippi zu holen, die bei der Wählerregistrierung und beim Aufbau von sogenannten Freedom Schools mithelfen sollten. Durch diese Kampagne, die später als Mississippi Freedom Summer bezeichnet wurde, versprach sich das SNCC nicht nur neue Impulse für die Wählerregistrierungsprojekte, sondern auch eine größere öffentliche Aufmerksamkeit für die Arbeit der Bürgerrechtsgruppen in Mississippi und den gesamten Südstaaten. Zu diesem Zeitpunkt wurde in der amerikanischen Öffentlichkeit kaum noch über Gewalt gegen Bürgerrechtsaktivist*innen berichtet. Das SNCC hoffte, dass das Medieninteresse an der Arbeit aufgrund der vornehmlich weißen Freiwilligen aus dem Norden steigen würde und die Bundesregierung dadurch gezwungen wäre, verstärkt für die Sicherheit der Projekte zu sorgen.31 Am Freedom Summer, der im Juni 1964 begann, nahmen über den COFO insgesamt circa 1.200 Freiwillige von Universtäten und Colleges aus den Nordstaaten teil. Der Großteil von ihnen waren weiße Student*innen aus der Mittelklasse. Sie waren mittels eines Bewerbungsverfahrens ausgesucht worden und mussten für ihre Ausgaben selbst aufkommen.32 Viele dieser Freiwilligen arbeiteten in SNCC-Projekten. Der Zustrom von Aktivist*innen aus dem Norden führte Ende 1964 zu einigen Debatten über die Rolle von Weißen innerhalb des SNCC.33 Doch trotz der Freedom-Summer-Kampagne schreckten viele Schwarze in Mississippi aufgrund ihrer ökonomischen Abhängigkeit von den weißen Eliten und aus Angst vor Repressionen noch immer davor zurück, sich durch SNCC- oder COFO-Aktivist*innen registrieren zu lassen. Und selbst wenn die Aktivist*innen sie davon überzeugen konnten, sich für die Wahlen einzuschreiben, stellte der 30 31 32

33

Dittmer (1994): Local People: The Struggle for Civil Rights in Mississippi, S. 118-119; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 78. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 112. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 13; Dittmer (1994): Local People: The Struggle for Civil Rights in Mississippi, S. 242-285. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 97; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 112-114.

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Registrierungsprozess für viele eine unüberwindbare Hürde dar. Von den 17.000 Schwarzen Bewerbern, die während des Kampagnen-Sommers ein Registrierungsformular ausgefüllt hatten, wurden lediglich 1.600 zugelassen.34 Demgegenüber waren die Freedom Schools sehr erfolgreich. Sie legten in vielen Countys den Grundstein für den Aufbau von sozialen Netzwerken und leisteten einen wichtigen Beitrag zum Community Organizing. Die Freiwilligen des COFO unterrichteten Kinder und Erwachsene in unterschiedlichen Fächern. Neben Lese- und Schreibunterricht wurden auch Fremdsprachenkurse, Theater-Workshops und Gesundheitsschulungen angeboten. Dabei nutzten die Freedom Schools häufig alternative pädagogische Methoden, mit deren Hilfe die politische und ökonomische Diskriminierung der Schwarzen thematisiert werden konnte.35 Dass die politische Arbeit in Mississippi sehr gefährlich war, erfuhren die Aktivist*innen schon kurz nach dem Beginn des Summer Projects. Am 21. Juni 1964 verschwanden drei Freiwillige des Projekts spurlos. Es handelte sich um James Chaney, Michael Schwerner und Andrew Goodman, die zuvor im Neshoba County unterwegs gewesen waren. Das Verschwinden und die Suche nach den Bürgerrechtlern erzeugte erhebliche Aufmerksamkeit in den nationalen Medien, nicht zuletzt weil zwei der drei Vermissten weiß waren. Da die Behörden in Mississippi die Aufklärung verschleppt hatten, nahm der öffentliche Druck zu und führte schließlich zu einer groß angelegten Suchaktion durch das FBI. Mehrere Wochen später wurden die drei vermissten Bürgerrechtler tot aufgefunden. Sie waren durch Mitglieder des Ku-Klux-Klans in eine Falle gelockt und ermordet worden.36 Die Morde an den Bürgerrechtlern sorgten für einen nationalen Aufschrei. Die erhöhte Präsenz von FBI-Beamten, die aufgrund der Suche nach den Vermissten nach Mississippi geschickt worden waren, verhalf den Aktivist*innen des Freedom Summer aber nicht zu mehr Sicherheit. Die Bundesregierung machte noch Ende Juni 1964 deutlich, dass sie den Bürgerrechtler*innen keinen Schutz bieten könne, da Strafverfolgung in die Kompetenz der Bundesstaaten falle.37 Die Aktivist*innen in Mississippi sahen sich unterdessen einer ungeheuren Welle von Gewalt und Repression ausgesetzt. Das FBI weigerte sich auch weiterhin, die Bürgerrechtler*innen in den Südstaaten vor der Gewalt weißer Segregationsbefürworter*innen und der lokalen Polizeibehörden zu schützen. Offensichtlich befürchtete die Bundesregierung, dass eine Intervention zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Südstaaten hätte führen können. Dieses Risiko wollte man unter keinen Umständen eingehen. 34 35 36 37

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 117. Dittmer (1994): Local People: The Struggle for Civil Rights in Mississippi, S. 258-259; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 120. Dittmer (1994): Local People: The Struggle for Civil Rights in Mississippi, S. 247; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 114-115. Dittmer (1994): Local People: The Struggle for Civil Rights in Mississippi, S. 250; Wendt (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights, S. 185.

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

Im Hintergrund versuchte das FBI, auf den Gouverneur von Mississippi Druck auszuüben. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg.38 Während der zehn Wochen des Freedom Summer wurden sieben Bürgerrechtler*innen ermordet, 80 Aktivist*innen wurden gewaltsam angegriffen, 1.062 wurden festgenommen und 67 Kirchen, Geschäfte oder Häuser von Schwarzen wurden durch Bomben- oder Brandanschläge zerstört.39 Neben der Wählerregistrierung und dem Community Organizing durch Freedom Schools nutzte das SNCC in Mississippi noch weitere politische Aktionsformen. Seit Ende 1963 führte das SNCC in Mississippi sogenannte Freedom Votes durch. Bei den Freedom Votes handelte es sich, wie bei den Freedom Ballots, nicht um echte Wahlen, sondern um selbstorganisierte Abstimmungen, an denen folglich auch diejenigen teilnehmen konnten, die nicht im Wählerregister eingetragen waren. Obwohl die Freedom Votes rein symbolischen Wert hatten, sorgten sie dafür, dass die Wählerregistrierungskampagnen mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhielten. Darüber hinaus unterstützte das SNCC seit dem Frühjahr 1964 auch den Aufbau einer dritten politischen Partei in Mississippi. Diese sogenannte Mississippi Democratic Freedom Party (MFDP) wollte im Jahr der Präsidentschaftswahl die etablierte Demokratische Partei im Bundesstaat herausfordern. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner in Mississippi schlossen damals Schwarze systematisch von der politischen Partizipation aus und verfolgten eine rassistische und segregationistische Politik.40 Die Demokraten in Mississippi und anderen Südstaaten standen der bürgerrechtsfreundlichen Politik der demokratischen Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson ablehnend gegenüber. Trotzdem entsandte die Demokratische Partei Mississippis Delegierte zu den Parteitagen der Demokraten auf Bundesebene und stellte die Kandidat*innen für die Kongresswahlen. Um diesen Alleinvertretungsanspruch der Mississippi-Demokraten zu brechen, wurde die MFDP mithilfe des COFO im April 1964 gegründet.41 Formal war die MFDP eine unabhängige Organisation, doch gab es zwischen ihr und dem SNCC zahlreiche informelle Beziehungen. Das SNCC beteiligte sich an der Finanzierung der MFDP und viele SNCC-Aktivist*innen engagierten sich in der Partei. So war der Vorsitzende der MFDP, Lawrence Guyot, auch ein Mitglied des Executive Committee des SNCC. Weil die MFDP sehr viel Zuspruch aus den Nordstaaten erhielt, wurde sie für die angestammte Demokratische Partei in Mississippi zu einer realen Konkurrenz. Die MFDP sah sich selbst als ein Teil der Demokratischen Partei der USA und als legitime Vertreterin der Demokraten in Mississippi.

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Dittmer (1994): Local People: The Struggle for Civil Rights in Mississippi, S. 250-151. McAdam, Doug (1988): Freedom Summer, 1. Aufl., New York u.a: Oxford University Press. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 109. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 48.

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Im Gegensatz zu den etablierten Demokraten unterstützte die MFDP den Präsidentschaftskandidaten Johnson. Die regulären Demokraten weigerten sich dagegen, eine solche Zusage zu machen.42 Auf dem Parteitag zur Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten im August 1964 kam es schließlich zu einer Auseinandersetzung zwischen den zwei Parteien aus Mississippi, die beide den Anspruch erhoben, die Demokratische Partei in ihrem Bundesstaat zu repräsentieren. Die MFDP, die sich die Unterstützung einiger Delegierter aus den Nordstaaten sichern konnte, forderte die Stimmrechte der angestammten Demokraten aus Mississippi. Johnson, der sich auf diesem Parteitag als Präsidentschaftskandidat nominieren lassen wollte, sprach sich aber gegen eine solche Veränderung aus. Er befürchtete, dadurch die Unterstützung sämtlicher Delegierter aus den Südstaaten zu verlieren, und weigerte sich deshalb, die MFDP anzuerkennen. In langen Verhandlungen wurde schließlich ein Kompromiss vorgeschlagen, dem zufolge zwei der insgesamt 86 angereisten MFDP-Delegierten ein Stimmrecht zuerkannt werden sollte. Obwohl die MFDP-Delegierten von vielen Bürgerrechtler*innen, darunter auch Martin Luther King, gedrängt wurden, diesen Kompromiss zu akzeptieren, versagten sie ihm schließlich die Zustimmung und verließen den Parteitag vorzeitig. Die ablehnende Haltung der anwesenden SNCC-Aktivist*innen gegenüber dem Kompromiss dürfte dabei eine große Rolle gespielt haben.43 Während des Freedom Summer 1964 waren zahlreiche neue Mitarbeiter*innen und Freiwillige aus den nördlichen Bundestaaten zum SNCC gestoßen. Das hatte die Organisation verändert und in der Folge wurden Forderungen nach einer Neugestaltung der internen Entscheidungsstrukturen laut. Im Herbst und Winter 1964 ging das SNCC durch eine Phase des internen Umbruchs. Einige Mitglieder waren frustriert über den begrenzten Erfolg der politischen Arbeit.44 Obwohl beim Community Organizing viel erreicht werden konnte, blieb die Wählerregistrierungskampagne in Mississippi hinter den Erwartungen zurück. Darüber hinaus mussten einige Freedom Schools und Community Centers nach wenigen Monaten bereits wieder schließen. Da die freiwilligen Unterstützer*innen teilweise nur temporär für das SNCC arbeiteten konnten und nach dem Sommer wieder anderen Beschäftigungen nachgingen, gab es bald nicht mehr ausreichend Personal, um diese Einrichtungen effektiv weitzuführen. Das SNCC wurde von anderen Bürgerrechtsorganisationen heftig dafür kritisiert, dass es den Kompromiss auf dem Parteitag der Demokraten abgelehnt hatte. Insbesondere das Verhältnis zur NAACP und zur 42 43

44

Bloom (1987): Class, Race, and the Civil Rights Movement, S. 182. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 126-127; Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 21. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 14-15.

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

SCLC verschlechterte sich in dieser Zeit stetig. Die NAACP zog sich beispielsweise im November 1964 aus dem COFO zurück, da ihr der Einfluss des SNCC innerhalb Organisation zu groß geworden war.45 Die Mitgliederzahl des SNCC war gewachsen und es hatte bewiesen, dass es mobilisierungsfähig und politisch schlagkräftig sein konnte. All das machte es für einige andere Bürgerrechtsorganisationen wie NAACP und SCLC zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten bei der Akquise von Spenden.46

6.3.

Die Konferenz in Waveland

Nach den Erfahrungen aus dem Mississippi Freedom Summer Project und der Atlantic City Convention setzte im SNCC eine Phase der Reflexion über die eigenen politischen Ziele ein. Dabei kamen Konflikte und Widersprüche zum Vorschein, die schon seit einiger Zeit in der Organisation schwelten und die schließlich bei einer Konferenz im November 1964 in Waveland, Mississippi, aufbrechen sollten.47 Im Mittelpunkt der einwöchigen Konferenz stand vor allem die zukünftige Organisationsstruktur des SNCC. SNCC-Geschäftsführer James Forman schlug vor, die Entscheidungsstrukturen innerhalb der Organisation stärker zu zentralisieren, um das SNCC schlagkräftiger nach außen zu machen. Das Vorhaben Formans, das SNCC in eine Top-down-Organisation umzubauen, stieß allerdings auf erheblichen Widerstand. Insbesondere die beiden angesehenen SNCC-Mitglieder Bob Moses und Charles Sherrod sahen die Pläne kritisch.48 Das SNCC war von Anfang an eine dezentrale Organisation gewesen und das Executive Committee verfügte nur über geringe Entscheidungskompetenzen. Forman wollte das ändern und die politische Macht stärker bündeln. Darüber hinaus wollte er die Arbeit der Organisation mehr auf soziale und ökonomische Aspekte von Diskriminierung ausrichten.49 Sherrod und Moses dagegen verstanden das SNCC vor allem als eine Grassroots-Bewegung, die Menschen politisches Handeln ermöglichen sollte. Das SNCC sollte kein klassischer politischer Verband mit einer spezifischen Agenda werden, der auf politische Macht aus war, sondern sich auf Sozialarbeit für Menschen konzentrieren, die von demokratischer und sozialer

45 46 47 48

49

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 149. Ebd., S. 137. Ebd., S. 134. Hogan (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, S. 200; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 139. Moses leitete die SNCC-Projekte in Mississippi und hatte den Mississippi Freedom Summer koordiniert. Sherrod organisierte für das SNCC die Wählerregistrierung in Alabama. Forman, James (1964): Speech James Forman to SNCC Staff Retreat, Waveland, November 6, 1964; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 139.

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Fragile kollektive Identitäten

Teilhabe ausgeschlossen waren. Forman konnte sich mit seinem Vorschlag letztlich nicht durchsetzen, da es ihm nicht gelang seine Pläne zur Abstimmung zu stellen.50 Das Treffen in Waveland war über diese Debatte hinaus noch durch eine Reihe weiterer Diskussionen geprägt. Neben dem Verhältnis von Schwarzen und Weißen in der Organisation ging es unter anderem um die Rolle von Frauen im SNCC und die Abhängigkeit von Spendengeldern. Der Versuch, auf der Konferenz eine Vielzahl von aktuellen Themen und Debattensträngen aufzunehmen und zu bearbeiten, war aus Sicht einiger Beobachter*innen zu ambitioniert und daher von vornherein zum Scheitern verurteilt.51 Einige Aktivist*innen sprachen sich dafür aus, sich nicht mit organisatorischen Fragen aufzuhalten und stattdessen über grundlegende Themen wie die ideologische Vorortung und die zukünftigen Ziele des SNCC zu diskutieren.52 Die breite Agenda der Waveland-Konferenz und die zahlreichen Positionspapiere, die dazu eingereicht wurden, zeigen, dass viele Aktivist*innen großes Interesse an einer Grundsatzdebatte über die Zukunft der Organisation hatten. Das Bedürfnis nach einer Neuorientierung war spürbar – über die Zielrichtung gab es allerdings unterschiedliche Auffassungen.53

6.4.

Die Diskurse zwischen 1962 und 1965

Im Sommer 1962 begann das SNCC damit, seine politische Arbeit neu auszurichten. Die Aktivist*innen konzentrierten sich nun stärker auf die Arbeit in der Wählerregistrierung in den ländlichen Gebieten der Südstaaten. Zwar hatte das SNCC bereits seit 1961 vereinzelt Kampagnen zur Wählerregistrierung organisiert,54 sie waren gegenüber den sogenannten Direct-Action-Protesten wie den Freedom Rides oder den Sit-ins jedoch von wesentlich geringerer Bedeutung. Ausgehend von dieser zentralen Veränderung in der Arbeit des SNCC möchte ich im Folgenden den damit einhergehenden Wandel in den Diskursen der Organisation im Zeitraum von Juli 1962 – bis August 1965 genauer betrachten. Es sind drei Veränderungen in den diskutierten Themen (vgl. Abbildung 3) und Aktionsformen (vgl. Abbildung 4), die besonders auffallen: In der Untersuchungsphase von Mitte 1962 bis Mitte 1965 kann erstens ein erheblicher Bedeutungsverlust der Anti-Segregations-Agenda beobachtet werden, die eng mit den

50 51 52 53 54

Hogan (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, S. 217. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 145. Vgl. Sherrod, Charles (1964): From Sherrod; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 141. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 152. Ebd., S. 47.

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

Sit-in-Protesten der frühen 1960er-Jahre verbunden war. Während bei der Gründung des SNCC der Kampf gegen Segregation, die damals besonders in den Südstaaten praktiziert wurde, noch im Mittelpunkt der politischen Arbeit der Organisation stand, trat das Thema danach zunehmend in den Hintergrund. In lediglich 12,1 Prozent der untersuchten Materialien tauchte das Thema Segregation und Integration zwischen 1962 und 1965 noch auf. Gleichzeitig nahmen auch die Debatten um die rechtliche Gleichstellung von Schwarzen ab. Während dieses Thema in der Anfangsphase von 1960 bis Mitte 1962 in 12,4 Prozent der untersuchten Materialien zur Sprache kam, wurde es in der darauffolgenden Phase nur noch in 10,6 Prozent der untersuchten Artikel thematisiert. Eine gegenläufige Tendenz lässt sich bei sozial- und bildungspolitischen Themen ausmachen. Fast 7,8 Prozent der untersuchten Materialien beschäftigen sich mit Fragen des Community Organizing und der Bildungsarbeit und 9,6 Prozent setzen sich mit sozialpolitischen Themen auseinander. Sozial- und bildungspolitische Themen gewannen demnach an Bedeutung, während Fragen der rechtlichen Gleichstellung an Bedeutung verloren. Abbildung 3: Themen des SNCC-Diskurses (15.07.62-05.08.1965) nach Häufigkeit in Prozent*

* N = 499 Nennungen in 140 Dokumenten

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Allerdings scheint der Bedeutungszuwachs des Themas Wahlrecht diesem Trend zu widersprechen. Schließlich handelt es sich dabei um ein Thema, das man eher einer gleichstellungspolitischen statt einer sozial- oder verteilungspolitischen Agenda zuordnen würde. Tatsächlich war das Wahlrecht im gesellschaftlichen Kontext der Südstaaten Anfang der 1960er-Jahre im hohen Maß von der sozialen Position eines Wahlberechtigten abhängig. Schwarze wurden zwar nicht de jure aufgrund ihrer Hautfarbe, wohl aber in ihrer großen Mehrheit de facto aufgrund ihrer sozialen Stellung von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen. Durch Prüfungen (z.B. Lese- und Schreibtests) und andere Zulassungsverfahren sowie durch soziale Abhängigkeitsverhältnisse wurde sichergestellt, dass es für Schwarze in den Südstaaten nahezu unmöglich war, sich für Wahlen registrieren zu lassen. Deshalb beschränkten sich viele Bürgerrechtsaktivst*innen beim Kampf um das Wahlrecht für Schwarze nicht auf den Aspekt der rechtlichen Gleichstellung, die es schließlich auf dem Papier in den gesamten USA bereits gab, sondern verbanden das Thema mit sozial- und verteilungspolitischen Fragen. Auch der Civil Rights Act 1964 und der Voting Rights Act 1965 sorgten letztlich lediglich dafür, die Möglichkeiten zu verbessern, die existierende Rechtslage auch in allen US-Bundestaaten tatsächlich durchzusetzen. Dementsprechend werde ich das Wahlrechtsthema im Folgenden auch als Teil einer sozialpolitischen und nicht nur einer gleichstellungspolitischen Agenda behandeln. 17,6 Prozent des untersuchten Materials beschäftigten sich in diesem Zeitraum mit dem Thema Wahlrecht. Im vorangegangenen Zeitraum waren es nur 11,8 Prozent des Materials gewesen. Die zweite auffällige Veränderung zeigt sich auf der Ebene der Aktionsformen, wo sich die stärkere sozialpolitische Orientierung des SNCC ebenfalls nachvollziehen lässt. Die Wählerregistrierung (19 Prozent) wurde nach Demonstrationen bzw. Kundgebungen (21,7 Prozent) als Aktionsform von den SNCC-Aktivist*innen am häufigsten diskutiert. Die Sit-ins, die wie keine andere Protestform für Gewaltlosigkeit und die Anti-Segregations-Proteste standen, traten zunehmend in den Hintergrund (7,4 Prozent). Das SNCC engagierte sich aber nicht nur in Form von Wählerregistrierungsprojekten, sondern gründete zunehmend auch Selbsthilfeorganisationen und organisierte Bildungsprogramme (9,6 Prozent). Darüber hinaus hielten viele SNCC-Aktivist*innen die Gründung neuer politischer Organisationen für notwendig. Da die republikanische und die demokratische Partei in vielen Bundesstaaten des Südens für Schwarze nahezu keine Möglichkeiten der politischen Partizipation boten, begann das SNCC damit, in Mississippi eine Alternative zur Demokratischen Partei aufzubauen. Dieses parteipolitische Engagement wurde in dieser Zeit ebenfalls intensiv diskutiert (9,6 Prozent). Nachdem im SNCC die formelle rechtliche Gleichstellung von Schwarzen immer seltener thematisiert wurde und sozial- und bildungspolitische Fragen sowie das Wahlrecht in den Mittelpunkt der Debatten rückten, verlagerte sich

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

Abbildung 4: Aktionsformen im SNCC-Diskurs (15.07.62-05.08.1965) nach Häufigkeit in Prozent*

* N = 378 Nennungen in 140 Dokumenten

der Schwerpunkt auch bei den Aktionsformen vom eher Direct-Action-orientierten Engagement, wie Demonstrationen, Kundgebungen und Sit-ins, hin zu Empowerment-orientierten Formen der politischen Aktivität, wie Wählerregistrierung, Parteiarbeit sowie der Aufbau von Selbsthilfeorganisationen und Bildungsprogrammen. Insgesamt machten diese Empowerment-orientierten Aktionsformen zwischen Mitte 1962 und Mitte 1965 41,4 Prozent der politischen Aktivitäten des SNCC aus. In den ersten Jahren waren es dagegen durchschnittlich nur 9,5 Prozent gewesen.55 Abbildung 5 verdeutlicht diesen Wandel der Aktionsformen: 1964 dominierten im SNCC erstmals überwiegend Empowerment-orientierte Aktionsformen. Die Direct-Action verlor dagegen an Bedeutung. Darüber hinaus ist drittens bemerkenswert, dass die Anzahl der Beiträge zu Repression und Gewalt in den SNCC-internen Debatten ab 1962 signifikant anstieg. Knapp 14,6 Prozent der Beiträge in den untersuchten Materialien setzten sich mit dieser Frage auseinander. In der Anfangsphase waren es dagegen lediglich 6,5 Prozent. Gleichzeitig gab es immer weniger Beiträge, die sich mit dem Thema Gewaltlosigkeit befassten. Während dieses Thema in der ersten Untersuchungsphase noch 55

Zum Vergleich: 1960 waren es 2,2 Prozent, 1961 dann 13,6 Prozent und 1962 schließlich 25,6 Prozent.

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Abbildung 5: Häufigkeit von Direct-Action- und Empowerment-orientierten Aktionsformen in SNCC-Diskursen (1960-1965) in Prozent

* N = 563 Nennungen in 214 Dokumenten

in 13,1 Prozent der untersuchten Dokumente angesprochen wurde, verschwand es nach 1962 allmählich aus den SNCC-internen Diskursen (4 Prozent zwischen Mitte 1962 und Mitte 1965). Nach diesem groben Überblick über die Entwicklungen innerhalb der bewegungsinternen Diskurse zwischen 1962 und 1965 möchte ich mich nun anhand der vorliegenden Materialien noch einmal intensiver den konkreten Debatten widmen. Wie begründeten die SNCC-Aktivist*innen den Wandel von einer eher gleichstellungsorientierten zu einer eher sozialpolitisch orientierten Agenda? Warum veränderten sich die Aktionsformen? Und warum verlor der gewaltlose Protest erheblich an Bedeutung? Schließlich soll im Anschluss daran die Frage gestellt werden, welchen Einfluss diese Veränderungen auf die Konstruktion kollektiver Identitäten innerhalb des SNCC hatte. Wieder soll es also darum gehen, die Erzählungen die Aktivist*innen herauszuarbeiten, die diese nutzten, um ihr eigenes Handeln zu begründen oder zu rechtfertigen.

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

6.4.1.

Die sozialpolitische Agenda des SNCC: »From hamburgers to bread«

Seit dem Frühjahr 1963 wuchs innerhalb des SNCC die Überzeugung, dass arme und weniger gebildete Schwarze im Zentrum der politischen Arbeit stehen müssten.56 Aus Sicht von Clayborne Carson (1995) war das Frühjahr 1963 in dieser Hinsicht bereits ein entscheidender Wendepunkt. In dieser Zeit entwickelte das SNCC ein neues politisches Bewusstsein. Allein die rechtliche Gleichstellung erschien vielen Aktivist*innen nicht mehr ausreichend, um die Diskriminierung von Schwarzen zu überwinden. Besonders mangelnde Bildungsmöglichkeiten sahen viele als die eigentliche Ursache für den Ausschluss der Mehrheit der Schwarzen Bevölkerung von politischen Beteiligungsmöglichkeiten. So erklärte Bob Moses im April 1963 auf einer SNCC-Konferenz, dass die Anstrengungen der Regierung über die Durchsetzung bestehender Gesetze hinausgehen müssen: »[…] most of these Negroes have not had the opportunity to get a decent education, so they have been denied equal protection under the laws […] the country owes them either the right to vote as a literate or the right to learn how to read and write now.«57 Auf der Sitzung des Executive Committee des SNCC im Dezember 1963 kam es erstmals zu einer ausführlichen Diskussion über die grundsätzliche sozial- und wirtschaftspolitische Ausrichtung der Arbeit des SNCC. In dieser Diskussion drängten mehrere Mitglieder darauf, dass sich das SNCC stärker mit den politischen und wirtschaftlichen Grundlagen von Armut und Arbeitslosigkeit beschäftigen und darauf aufbauend ein politisches Programm entwickeln solle. So betonte der Aktivist Howard Zinn in dieser Debatte: »We need a) national economic planning for a full and rational allocation of nation resources. […] b) an attack on the notion of the profit motive as great good. […] c) to work with people in short-range projects but at the same time to develop in them a long range revolutionary perspective.«58 Bill Mahoney, gleichfalls SNCC-Aktivist, betonte die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, die in den Südstaaten gerade im Begriff seien, sich zu formieren. Seiner Ansicht nach sollte das SNCC gezielt den Kontakt mit den progressiven Gewerkschaften suchen.59 Andere formulierten in ihren Redebeiträgen noch weitergehende Ideen. So sprach der SNCC-Aktivist Frank Smith davon, 56 57 58

59

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 82. Zitiert in: Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 305. SNCC (1963): Minutes of the Meeting of the SNCC Executive Committee, December 27-31, 1963, S. 6, https://www.crmvet.org/docs/6312_sncc_excom_min.pdf (abgerufen am: 14. Dezember 2018). Ebd., S. 5.

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dass alle Sozialprogramme in den USA immer nur das Ziel gehabt hätten, eine Revolution zu verhindern. Das SNCC müsse sich deshalb darauf konzentrieren, die verarmte Schwarze Bevölkerung zu organisieren und sie zum Aufstand gegen die Regierung zu bewegen: »Let the people come together: perhaps we should take all the Negroes from the rural areas into the cities and force the revolution. Hungry people need to be massed to turn over government.«60 Frank Smith dürfte damals nicht für die Mehrheit der anwesenden SNCCAktivist*innen gesprochen haben, dennoch macht sein Beitrag deutlich, dass sich das SNCC im Dezember 1963 mitten in einem politischen Richtungswechsel befand. In den folgenden Monaten sollten sozial- und verteilungspolitische Fragen immer größeren Raum einnehmen. In einem Artikel in der Student Voice aus dem Mai 1964 beschreibt ein Aktivist die Veränderung, die sich seit dem Sommer 1963 innerhalb einer SNCC-Gruppe vollzogen hatte: »[The movement has] shifted from hamburgers to bread.« Im Mittelpunkt stände nun nicht mehr die Aufhebung der Segregation in Hamburger-Restaurants und öffentlichen Einrichtungen, sondern vor allem die Beschäftigungssituation von Schwarzen, also die Frage: »[H]ow to put bread in peoples stomachs.«61 In einem Positionspapier aus dem Frühjahr 1964 vertrat auch Ruby Robinson, die einige Jahre später für kurze Zeit zur Nachfolgerin des SNCC-Geschäftsführers James Forman werden sollte, eine ähnliche Argumentation: »[…] civil rights in this country is a dead issue. It is dead as defined by our Federal Government and major civil rights organizations, because in such a context, it does not mean anything to the average individual; on the contrary the average individual is concerned with the basic necessities of life – and why shouldn’t he be; in a country which strives on exploitation and racism.«62 Im gleichen Positionspapier empfahl Robinson ihrer Organisation, eine ›Ideologie‹ zu entwickeln, sich also Ziele zu setzen, wie man die Gesellschaft verändern wolle.63 Sie stellte die Frage: »What do we say that we are? What do others think of us? And, moreover, what do we think of ourselves?«64

60 61 62 63 64

Ebd. Zitiert in: Carson (1990): The Student Voice, 1960-1965: Periodical of the Student Nonviolent Coordinating Committee, S. 148. Robinson, Ruby Doris (1964): The SNCC Explosion, www.crmvet.org/docs/64_sncc_ruby_future.pdf (abgerufen am: 15. Dezember 2015). Ebd. Ebd., S. 7.

6. 1962-1965 – Neue Wege: Von Direct Action zu Empowerment

Robinson beantwortete die Frage gleich selbst: Sie sah im SNCC die einzige Organisation innerhalb der Bürgerrechtsbewegung, die in der Lage sei, den Status quo herauszufordern. In dieser Hinsicht stelle das SNCC für das ›Establishment‹ eine Gefahr dar. Diese Position könne das SNCC jedoch nur behalten, wenn es der Organisation gelinge, revolutionäre Ziele zu entwickeln und radikale Positionen einzunehmen. Das SNCC habe zwar seit 1960 seine Taktiken, nicht aber seine Ziele weiterentwickelt.65 »We have failed to take ›creative‹ advantage of the revolutionary trend of the world; we have been afraid or unwilling to identify with oppressed peoples of the world […] even though they identify, and feel a sense of solidarity with us. […] [W]e have not understood radicalism and why it must exist.«66 Robinson formulierte in ihrem Papier viele Ideen, die den zukünftigen Weg des SNCC bereits zu diesem Zeitpunkt vorwegnahmen. Aus ihrer Sicht bedurfte es einer radikalen politischen Kraft in der US-amerikanischen Gesellschaft und sie hielt das SNCC für diejenige Organisation, die diese Rolle einnehmen könnte und sollte. Robinson dürfte damit eine der ersten SNCC-Aktivist*innen gewesen sein, die das SNCC in eine radikale und revolutionäre Organisation umgestalten wollten, um eine avantgardistische Politik in die Gesellschaft zu tragen. Gleichzeitig sah Robinson die Gefahr, dass das SNCC von außen in eine bestimmte Rolle gedrängt werden und diese Rolle von den SNCC-Aktivist*innen einfach übernommen werden könnte. Selbstironisch hinterfragt sie das Selbstbild vieler Aktivist*innen als ›Radikale‹, indem sie schreibt: »The Press projects us as radicals; some even say that we use revolutionary tactics. Sometimes I think that we actually believe that the press believes what they print about us.«67 Das Papier von Robinson ist ein Beispiel dafür, wie reflektiert und selbstkritisch die eigene Radikalität im SNCC mitunter betrachtet wurde. Es zeigt zudem, dass bestimmte Ideen die Grundlage für radikale Politiken in Bewegungen legen können. Im Falle des Robinson-Papiers nehmen diese Ideen die kommende Radikalisierung in sehr konkreter Form vorweg. Zwar ist unklar, welchen Einfluss es in den SNCC-internen Diskussionen hatte, aber angesichts der Stellung, die Robinson in der Organisation einnahm, dürfte ihr Beitrag nicht unbeachtet geblieben sein. Zum anderen enthielt das Positionspapier eine strategische Begründung für radikale Politik. Denn Robinson argumentiert, dass es in einer Gesellschaft eines radikalen Korrektivs bedürfe, um in eben dieser Gesellschaft notwendige politische

65 66 67

Ebd., S. 2. Ebd. Ebd. (Hervorh. im Original).

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Veränderungen durchsetzen zu können. Sie nutzt also ein instrumentelles Argument für die Rechtfertigung des eigenen Handelns. Das Robinson-Papier zeigt, dass Radikalisierungsprozesse auch auf das strategische Handeln bestimmter Eliten zurückzuführen sein können und kein rein reaktives Verhalten von Akteur*innen auf äußere Umstände darstellen. Im Juli 1964 trat der Civil Rights Act in Kraft. Eine der größten Errungenschaften dieses Gesetzes war es, die Segregation von öffentlichen und privaten Einrichtungen in den gesamten USA zu untersagen. Für dieses Ziel hatte das SNCC seit Jahren gekämpft. Dennoch reagierten die SNCC-Aktivist*innen nur sehr verhalten positiv auf den Erlass des Gesetzes. Bereits anlässlich des March on Washington im Sommer 1963 hatte der damalige SNCC-Vorsitzende John Lewis das Gesetzesvorhaben als zu wenig ambitioniert kritisiert. Ein Jahr später steckte das SNCC mitten im Mississippi Summer Project und Lewis reiste trotz einer Einladung durch das Weiße Haus nicht nach Washington, um bei der Unterzeichnung des neuen Gesetzes dabei zu sein.68 Stattdessen warf das SNCC anderen Bürgerrechtsorganisationen vor, sich zu sehr mit der rechtlichen Gleichstellung von Schwarzen und zu wenig mit deren sozialer Diskriminierung zu beschäftigen. Innerhalb des SNCC erkannte man zwar an, dass bestimmte Aspekte des Civil Rights Act zu substanziellen Verbesserungen beitragen könnten, allerdings war das Gesetz aus der Sicht vieler Aktivist*innen nicht mehr und nicht weniger als ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Verwirklichung echter Gleichstellung und sozialer Teilhabe von Schwarzen. Nach dem Freedom Summer wurden die Stimmen, die eine noch stärkere sozialrevolutionäre Ausrichtung des SNCC forderten, immer lauter. Ralph Featherstone und andere Aktivist*innen mahnten auf dem Executive-Committee-Treffen des SNCC im April 1965 an, dass sich die Organisation nicht allein auf das Thema Wahlrecht und Wählerregistrierung konzentrieren solle. Stattdessen schlägt Featherstone in seinem Redebeitrag auf dem Treffen indirekt vor, das SNCC solle eine Landreform in den Südstaaten vorantreiben: »Let’s get deeper. I think SNCC should pick up a new motto: ›One man – Three Squares‹. We are as radical as we can be. I think we should talk about economics therefore people have diverted us to politics. Food is more important than politics.«69 Zwischen 1962 und 1965 konzentrierte sich das SNCC in seiner Arbeit mit der Schwarzen Landbevölkerung zunehmend auf soziale Fragen. Diese neue Agenda ließ das SNCC jedoch zunehmend mit den liberalen Eliten aus dem Norden

68 69

Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 274. SNCC (1965): Minutes of the Meeting of the SNCC Executive Committee, April 12-14, 1965, S. 23, https://www.crmvet.org/docs/6504_sncc_excom_min.pdf (abgerufen am: 14. Dezember 2018).

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und moderateren Bürgerrechtsorganisationen in Konflikt geraten, die die ursprüngliche Bürgerrechtsagenda des SNCC unterstützt hatten. Immer mehr SNCC-Aktivist*innen bezweifelten, dass die liberale Bürgerrechtsgesetzgebung zur Lösung der eigentlichen Probleme beitragen könne.70 So begann die politische Distanz zwischen dem SNCC und den liberalen Eliten in diesen Jahren zu wachsen. Nach dem Sommer 1963 und infolge der Vorbereitungen auf den Mississippi Freedom Summer nahmen diese Spannungen weiter zu. Das zeigte sich unter anderem am Verhältnis des SNCC zum House of Un-American Activities Committee (HUAC). Das HUAC war ein Kongress-Ausschuss, der seit den 1930er-Jahren die Aufgabe hatte, ›unamerikanische Umtriebe‹, die eine Bedrohung für die US-amerikanische Gesellschaft darstellen könnten, aufzudecken und geeignete Gesetzesvorschläge zu unterbreiten, um diesen Bedrohungen zu begegnen. In den 1950er- und 1960er-Jahren war das Komitee vor allem damit beschäftigt, vermeintliche kommunistische Komplotte aufzudecken. Das SNCC hatte zunächst keinen offiziellen Beschluss zum Thema HUAC gefasst, wohl aber hatten John Lewis und James Forman das Komitee öffentlich scharf kritisiert. Lewis und Forman befürchteten deshalb, dass zukünftig auch SNCC-Aktivist*innen vor das Komitee geladen werden könnten.71 Das Executive Committee diskutierte im September 1963 sehr ausführlich die Frage, ob das SNCC sich offiziell gegen das HUAC positionieren sollte. Zwar wurden Lewis und Forman darin bestärkt, sich gegen das HUAC auszusprechen. Kontrovers diskutiert wurde jedoch, ob man bei der Einstellung von SNCC-Mitarbeiter*innen politische Auswahlkriterien einführen sollte. Hinter dieser Kontroverse stand die Frage, ob das SNCC auch Personen einstellen sollte, die im Verdacht standen, Kommunist*innen zu sein, oder ob man dies durch einen entsprechenden Unvereinbarkeitsbeschluss verhindert werden müsse. Bob Moses und einige andere SNCC-Aktivist*innen befürchteten, dass die gesamte Organisation durch eine vermeintliche Nähe zu Kommunist*innen in Schwierigkeiten geraten könnte. Letztlich plädierte er allerdings für eine ›pragmatische‹ Lösung in dieser Frage, bei der von Fall zu Fall entschieden werde.72 Andere Aktivist*innen wiederum betonten, dass es keine politischen Gründe für eine Verweigerung der Mitarbeit beim SNCC geben dürfe. Ivanhoe Donaldson erklärte: »We must have total personal freedom since this is what we are working for, and we must choose people on the basis of ability rather than politics.«73

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Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 82. SNCC (1963): Minutes of the Meeting of the SNCC Executive Committee, December 27-31, 1963, S. 12. Ebd., S. 14. Ebd., S. 15.

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Auch Howard Zinn erklärte, dass es nicht darauf ankäme, ob die Personen, die in der Organisation arbeiten würden, tatsächlich Kommunist*innen seien, sondern welche Positionen und Ziele sie vertreten würden. Daher sprach er sich klar gegen politische Kriterien bei der Einstellung von Mitarbeitern aus: »We must take a principled stand against political criteria for hiring in a public statement.«74 Bob Moses machte dagegen darauf aufmerksam, dass eine solche Entscheidung auch finanzielle Konsequenzen haben könnte: »There are practical matters involved: e.g. money. We have, when necessary, accepted money with strings: e.g. VEP money, and we may to again. We have to be practical.«75 Andere SNCC-Aktivist*innen wie Lawrence ›Larry‹ Guyot hielten dieses Argumente für grundsätzlich falsch: »[…] We must reject money and support with strings. We must support the principle and not accept conditions which embody what we are trying to fight.«76 Auch James Forman nahm in der Diskussion eine zurückhaltende Haltung ein und unterstützte das von Moses vorgeschlagene pragmatische Vorgehen: »There is another very practical side to the issue. One of our goals is to involve the Justice Department. Therefore we need, in some sense, to cooperate with them. We must have people in court without threatening the whole situation because of another issue.«77 Die Debatte endete ohne ein konkretes Ergebnis. Das Protokoll der Sitzung hält fest, es habe Einigkeit darüber gegeben, dass das SNCC unabhängig arbeite und keine »politischen Tests« bei Mitgliedern durchführen werde. Die Debatte zeigte einerseits, dass das SNCC von seiner patriotischen Grundhaltung der Anfangsjahre zunehmend abrückte und viele Aktivist*innen bereit waren, eine konfrontative Haltung gegenüber der Bundesregierung einzunehmen. Andererseits wird deutlich, dass der Übergang zu politisch radikaleren Positionen mit einem Abwägungsund Aushandlungsprozess einherging, in dem die strategischen Vor- und Nachteile intensiv diskutiert wurden. Einen ähnlich gelagerten Fall betraf die Debatte auf einer Sitzung des Executive Committee im April 1964 über die Zusammenarbeit mit der Lawyers Guild, einer

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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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linken Anwaltsvereinigung, die besonders in der McCarthy-Ära häufig dem Vorwurf ausgesetzt war, von Kommunist*innen unterwandert zu sein. Der Direktor des NAACP Legal Defense Fund Jack Greenberg drohte dem SNCC damit, sich aus der rechtlichen Beratung des Mississippi Freedom Projects zurückzuziehen, wenn das SNCC die Zusammenarbeit mit der Lawyers Guild nicht beende. Das SNCC wies die Forderung von Greenberg zurück und betonte, dass das SNCC beim Freedom Summer mit allen kooperationswilligen Anwälten zusammenarbeiten werde.78 Im Unterschied zur Diskussion um das HUAC gab es unter den SNCC-Aktivist*innen in dieser Frage offenbar keine tiefgreifende Kontroverse. Dennoch entspann sich eine lange Diskussion um einen Ersatz bei einem möglichen Rückzug des NAACP Legal Defense Fund, der – im Vergleich zur Lawyers Guild – über größere Ressourcen und mehr Erfahrung in Bürgerrechtsverfahren verfügte. Schließlich einigte man sich innerhalb des Executive Committees darauf, Forderungen wie derjenigen von Greenberg nicht nachzukommen. Das Protokoll hält dazu fest: »After lengthy discussion in which general opinion was that we could not allow the legal establishment to make policy for us […].«79 Das SNCC ging damit auf Distanz zu den liberalen Eliten und riskierte dadurch, eine wichtige Quelle finanzieller Unterstützung zu verlieren. Obwohl Greenberg schließlich einlenkte und nur noch verlangte, dass sich die Teilnehmer des Summer Projects zwischen vom NAACP Legal Defense Fund oder von der Lawyers Guild finanzierten Anwälten entscheiden müssten, zeigt dieser Vorfall, dass die SNCCAktivist*innen es zunehmend in Kauf nahmen, Unterstützung einzubüßen, auch wenn es in diesem konkreten Fall zu keinen negativen Konsequenzen kam. Dass das SNCC durchaus bereit war, in dieser Frage in der Öffentlichkeit klar Stellung zu beziehen, wurde bereits kurze Zeit später deutlich, als John Lewis im April 1964 Äußerungen von FBI-Direktor J. Edgar Hoover scharf kritisierte. Hoover hatte behauptet, dass Kommunist*innen in der Bürgerrechtsbewegung an Einfluss gewinnen würden.80 Anstatt die Vorwürfe zu dementieren, erklärte der SNCCVorsitzende daraufhin, dass Hoover mit diesen Äußerungen indirekt den Rassisten in die Hände spielen würde. Die FBI-Mitarbeiter könnten ihre Zeit besser nutzen, indem sie »Bombenleger, Mörder und brutale Rassisten« finden, die tagtäglich die US-Verfassung verhöhnen würden.81 Nur wenige Jahre zuvor hatte das SNCC auf ähnliche Angriffe durch US-Präsident Truman noch wesentlich zurückhaltender 78

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SNCC (1964): Minutes of the Meeting of the SNCC Executive Committee, April 18-19, 1964, S. 21, https://www.crmvet.org/docs/6404_sncc_excom_min.pdf (abgerufen am: 14. Dezember 2018). Ebd., S. 22. New York Times (1966): Hoover Says Reds Exploit Negros, in: The New York Times (22.04.1966). San Antonio Register (San Antonio, Tex.) (1964): SNCC Charges Hoover, FBI Aid Racists (08.05.1964).

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reagiert. Damals distanzierte sich der SNCC-Sprecher Marion Barry von kommunistischen Ideen und betonte die patriotische Gesinnung des SNCC.82 Mittlerweile waren SNCC-Aktivist*innen wie Stokely Carmichael jedoch der Ansicht, die Bürgerrechtsbewegung solle damit aufhören, sich ständig gegen den Vorwurf zu verteidigen, kommunistisch zu sein. Diese defensive Haltung würde vom eigentlichen Kampf um Bürgerrechte ablenken und lediglich dazu führen, alles in die Kategorien von amerikanisch versus antiamerikanisch einzuordnen.83 Die wachsende Distanz des SNCC zu etablierten Bürgerrechtsorganisationen wie NAACP, National Urban League84 und SCLC wurde schließlich im Juli 1964 deutlich, als das SNCC wie auch der CORE es ablehnten, sich einer gemeinsamen Erklärung der Bürgerrechtsorganisationen für ein Protest-Moratorium bis zu den Präsidentschaftswahlen anzuschließen. Auch eine weitere Stellungnahme, die gewaltsame Ausschreitungen und Plünderungen verurteilte und lokale Repräsentanten der Schwarzen Communitys aufforderte, sich offen gegen solche Aktivitäten auszusprechen, wurde vom SNCC nicht unterstützt. John Lewis begründete die Ablehnung damit, das SNCC mische sich grundsätzlich nicht in die Belange von lokalen Gruppen und Gemeinschaften ein. Der Versuch von Lewis, die Verweigerung einer gemeinsamen Erklärung elegant zu rechtfertigen, konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das SNCC mit dieser Ablehnung erstmals öffentlich in einer sensiblen Frage gegen die anderen Bürgerrechtsorganisationen stellte.85

6.4.2.

Aktionsformen: Von Direct-Action zu Empowerment

Die Neuorientierung in der Protestagenda spiegelt sich auch im Wandel des Protestrepertoires wider. Das SNCC beschäftigte sich nun vornehmlich mit Wählerregistrierung sowie Sozial- und Bildungsarbeit. Zwar war das SNCC schon seit Längerem auch in der Wählerregistrierung aktiv, sie rückte jedoch erst 1964 in den Mittelpunkt der politischen Arbeit der Organisation. Der Grund hierfür war, dass sich die Direct-Action-Strategie des SNCC als nicht besonders erfolgreich erwiesen hatte. Im Gegenteil: Der Versuch, an verschiedenen Orten in den ländlichen Südstaaten, insbesondere in Mississippi, Proteste gegen

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Barry (1960): Statement submitted by the Student Nonviolent Coordinating Committee to the Platform Committee of the National Democratic Convention Thursday, Morning, July 7, 1960, Los Angeles, California, S. 3. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 105. Die National Urban League (NUL) ist eine der ältesten Bürgerrechtsorganisationen der USA, die sich zunächst vor allem für die Rechte von Schwarzen einsetzte, die aus den Südstaaten in die Nordstaaten ausgewandert waren und dort in Großstädten Arbeit fanden. In den 1960erJahren gehörte sie zu den fünf größten Bürgerrechtsorganisationen der USA. New York Times (1964): Key Negro Groups Call on Members to Curb Protests, in: New York Times (30.07.1964).

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Segregation und Diskriminierung zu organisieren, war ausgesprochen wirkungslos geblieben. Oft schlug den Aktivist*innen massive Gewalt und Repression entgegen. Viele Aktivist*innen waren darüber frustriert und suchten deshalb nach neuen Wegen für die politische Arbeit des SNCC. In einem internen Brief machte der SNCC-Aktivist Courtland Cox im September 1963 auf die wachsende Gewalt gegen das SNCC aufmerksam: »The results of Birmingham, Danville, Cambridge, and Mississippi movements illustrates that demonstrations in the hardcore areas where SNCC usually operates is frustrating at best. […] SNCC should explore more fully the reasons […] why direct action does not work in Mississippi.«86 Aus dieser Unzufriedenheit mit den bisherigen Ergebnissen der Direct-Action-Proteste in den ländlichen Gebieten und den dortigen Wählerregistrierungsprojekten gelangten einige SNCC-Aktivist*innen zu der Einsicht, dass es neben öffentlichkeitswirksamen Kampagnen auch sozialer Projekte bedürfe. Denn um überhaupt politische Arbeit in diesen Gegenden leisten zu können, müsse zuallererst sichergestellt sein, dass die existenziellen Grundbedürfnisse der Landbevölkerung befriedigt werden.87 Der Zeitpunkt dieser Neuausrichtung der Proteststrategie lässt sich in den SNCC-internen Debatten relativ gut bestimmen. Bereits im September 1963 machte Bob Moses, der damals für das SNCC die Wählerregistrierungsprojekte in Mississippi koordinierte, den Vorschlag für eine umfassende Wählerregistrierungskampagne unter dem Slogan »One man – one vote«, die später Mississippi Freedom Summer heißen sollte. Mit dem Freedom Summer wendete sich das SNCC erstmals schwerpunktmäßig einer Empowerment-orientierten Protestform zu. Bob Moses selbst war offenbar wichtig, dass eine solche Kampagne in besonderer Weise die soziale Situation in Mississippi adressierte und sich nicht allein auf die Wählerregistrierung beschränkte. Er erklärte deshalb schon bei der ersten Vorstellung seiner Idee: »The projection would be around vote and jobs and food.«88 Das SNCC sollte sich darauf konzentrieren, langfristig angelegte Sozialprogramme anzustoßen,89 damit sich die Schwarze Landbevölkerung von weißen Landbesitzern emanzipieren könne. Moses hielt es für unabdingbar, zunächst eine gewisse Grundversorgung der verarmten Bevölkerung in den ländlichen Gebieten der Südstaaten mit Nahrungsmit-

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Cox, Courtland (1963): Letter to SNCC about Direct Action, www.crmvet.org/lets/63_sncc_courtland.pdf. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 82. SNCC (1963): Minutes SNCC Executive Committee, September 6-9, 1963, Atlanta, Georgia, S. 4, https://www.crmvet.org/docs/6309_sncc_excom.pdf (abgerufen am: 14. Dezember 2018). Ebd., S. 9.

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teln und Kleidung sicherzustellen, ehe man mit dem Aufbau politischer Strukturen beginne: »The programs of food and clothing are very important […]. If we can guarantee food and clothing to people, they won’t move north in search of support and we can organize them to act politically to force the kind of changes that must come.«90 Im Gegensatz zur Bundesregierung, die sich nur wenige Jahre zuvor erhoffte hatte, durch die Unterstützung von Wählerregistrierungskampagnen das Risiko einer gewaltsamen Eskalation in den Südstaaten reduzieren zu können, war den SNCCAktivist*innen damals bewusst, dass solche Kampagnen auf großen Widerstand in der weißen Bevölkerung stoßen würden. Dies gehörte sogar zum taktischen Kalkül des Freedom Summer. Die Aktivist*innen waren davon überzeugt, dass es notwendig sei, vor Ort politischen Druck aufzubauen, statt darauf zu warten, die Bundesregierung über öffentliche Appelle zu einem Eingreifen von außen zu bewegen. Das SNCC wollte die Schwarze Bevölkerung in Mississippi deshalb darauf vorbereiten, in eine direkte Auseinandersetzung mit dem Bundesstaat Mississippi zu treten. Erklärtes Ziel war es, die Bundesregierung durch eine Zuspitzung der Situation in Mississippi zu einer Intervention zu zwingen. In dem Protokoll für die Sitzung des Executive Committee vom September 1963 wird dazu festgehalten: »Now SNCC in Miss[issippi] is telling people to prepare themselves for a political take-over. The state will not crack without federal intervention: it will probably take troops to register voters in Mississippi. Proposal would force a breakdown so that the government is forced to move in and support court order for registration.«91 John Lewis betont in Bezug auf den geplanten Freedom Summer auf der Sitzung im Dezember 1963 daher: »[…] organized strictly around the issue of voting, can force a physical showdown between federal and local governments, which is needed at the time of the conventions [Parteitage der Demokraten und Republikaner im Sommer 1964, auf denen die jeweiligen Präsidentschaftskandidaten nominiert wurden; d. Verf.]. Johnson cannot fail to respond.«92 Um das Eingreifen der Bundesregierung zu provozieren, wollte das SNCC auch Freiwillige aus dem Norden des Landes einsetzen. Vor allem weiße CollegeStudent*innen sollten dabei mithelfen, Schwarze in den ländlichen Gebieten dazu zu bewegen, sich in die Wählerregister einzuschreiben. Neben Engagement

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SNCC (1963): Minutes of the Meeting of the SNCC Executive Committee, December 27-31, 1963, S. 4. SNCC (1963): Minutes SNCC Executive Committee, September 6-9, 1963, Atlanta, Georgia, S. 4. SNCC (1963): Minutes of the Meeting of the SNCC Executive Committee, December 27-31, 1963, S. 28.

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brachten die weißen Freiwilligen jedoch auch öffentliche Aufmerksamkeit für das Projekt mit. Diese Öffentlichkeit sollte wiederum die Bundesregierung dazu bringen, bei einer möglichen Gewalteskalation schneller zu handeln. Dass es sich dabei nicht nur um einen ungewollten, aber dankbar in Kauf genommenen Nebeneffekt des Freedom Summer handelte, sondern dass dies von Anfang an ein Teil der strategischen Überlegung der SNCC-Aktivist*innen war, zeigt ein Auszug aus dem Protokoll des Staff Meeting vom November 1963: »It was argued that by flooding Mississippi with Northern whites, the entire country would [be] made dramatically aware of the denial of freedom which existed in the state and that federal government would inevitably faced with a crisis of sufficient magnitude that it would have to act.«93 Die Strategie, zunächst eine politische Eskalation zu provozieren, um dadurch ein Eingreifen der Bundesregierung zu erzwingen, stammte eigentlich aus den DirectAction-Protesten. Mit der Idee zum Freedom Summer verband das SNCC nun diese Protestform mit der Wählerregistrierung und dem Community Organizing – also mit eher auf Empowerment ausgelegten Aktionsformen. Insofern war der Freedom Summer eine Mischung aus beiden Aktionsformen. Zwar lag der Schwerpunkt auf dem langfristigen Aufbau von sozialen Strukturen in den Südstaaten, allerdings war das unmittelbare strategische Kalkül der Kampagne deutlich erkennbar. Bob Moses, der spätere Koordinator des Mississippi Summer Projects, fasste auf dem Treffen des Executive Committee im September 1963 die Zielrichtung der Kampagne nach längerer Diskussion folgendermaßen zusammen: »[…] we can force some kind of confrontation, which will not create change at this time, but can be a platform, an opening wedge for future pressure. […] the plans will force some move to buy it off, some negotiations, which will result in some change at least from totally status quo situation of the present.«94 Die politische Organisation von sozial benachteiligten Gesellschaftsgruppen durch Empowerment-orientierte Sozialarbeit war in den 1960er-Jahren in den USA politisches Neuland. Der Ansatz forderte den klassischen US-amerikanischen Liberalismus heraus, der das Individuum als Markteilnehmende verstand. Zwar wurde auf rechtliche Gleichheit gepocht, den Prinzipien demokratischer und sozialer Teilhabe aber nur wenig Beachtung geschenkt. Das Konzept der politischen Selbstorganisation, von dem viele SNCC-Aktivist*innen wie Bob Moses inspiriert waren, fußte unter anderem auf den Ideen von Paul Goodman, die er in seinem Buch »Growing Up Absurd« (1960) dargelegt hatte, und Saul Alinsky, der insbesondere mit seinem

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SNCC (1963): Minutes SNCC Staff Meeting, Novembver 14-16, 1963, Greenville, South Carolina. SNCC (1963): Minutes of the Meeting of the SNCC Executive Committee, December 27-31, 1963, S. 29.

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Buch »Reveille for Radicals« (1946) als einer der Begründer des Community Organizing gilt.95 Alinsky betrachtet es als Aufgabe der Community Organizer, sich in den »Morast der Resignation, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung zu begeben und mit der lokalen Bevölkerung zu arbeiten.« Gleichzeitig müsse man Menschen bis zum »Konfliktpunkt agitieren«, um sie dazu zu bewegen, sich aufzulehnen und so die Macht zu entwickeln, die existierenden Strukturen zu überwinden.96 In dieser Hinsicht nahm Alinsky die Zielsetzung des Mississippi Freedom Summer vorweg. Die Ähnlichkeiten zwischen Alinskys Anleitungen und Bob Mosesʼ Vorschlägen für die Kampagne »One man – one vote« 1964 dürften wohl nicht ganz zufällig gewesen sein.

6.4.3.

Parteiarbeit: Die Mississippi Democratic Freedom Party und die Atlantic City Convention

Neben der Wählerregistrierung und dem Community Organizing beschäftige sich das SNCC auch mit Parteipolitik. Dieses Thema nahm besonderes 1964 eine herausragende Rolle ein. In jenem Jahr versuchten das SNCC und andere Organisationen in den Südstaaten, die Mississippi Freedom Democratic Party (MFDP) als Alternative zur etablierten Demokratischen Partei in Mississippi aufzubauen. Der Versuch, den Delegierten der neuen Partei auf dem nationalen Parteitag der Demokraten in Atlantic City ein vollwertiges Stimmrecht zu verschaffen, scheiterte allerdings am Widerstand von US-Präsident Johnson. Diese Niederlage hinterließ in den Diskursen im SNCC beträchtliche Spuren. Viele SNCC-Aktivist*innen waren durch die Machtdemonstration Johnsons ernüchtert und gingen daraufhin auf Distanz zur Bundesregierung.97 Rückblickend beschrieben die beiden MFDPMitglieder und SNCC-Aktivist*innen Lawrence Guyot und Mike Thelwell in einem Artikel im Frühjahr 1966 die Enttäuschung vieler Aktivist*innen wie folgt: »In retrospect, this represented a confidence in the ultimate morality in national political institutions and practices – ›They really couldn’t know and once we bring the facts about Mississippi to national attention justice must surely be swift and irrevocable‹, – which was a simplistic faith somewhat akin to that of the Russian peasants under the Czars. Caught in the direct kind of oppression and deprivation

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Vgl. Matlin, Daniel (2013): On the C orner: African American Intellectuals and the Urban C risis. Vgl. Silberman, C harles E. (1964): Up from Apathy-The Woodlawn Experiment, in: C ommentary Magazine . Stoper (1977): The Student Nonviolent Coordinating Committee: Rise and Fall of a Redemptive Organization, S. 52; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 128.

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– the peasants would moan, ›If the Czar only knew how we suffer. He is good and would give us justice. If he only knew.‹ The fact was that he knew only too well.«98 Auch John Lewis kommentierte die Ereignisse im Jahre 1964 später mit bitteren Worten: »We had played by the rules, done everything we were supposed to do, had played the game exactly as required, had arrived at the doorstep and found the door slammed in our face.«99 Innerhalb des SNCC wurden die Ereignisse in Atlantic City in den drauffolgenden Monaten und Jahren zu einem Wendepunkt für die Bewegung stilisiert. Die Erzählung, dass Atlantic City eine Niederlage gewesen sei und dass dort das ›weiße Establishment‹ die Schwarze Bewegung verraten habe, wurde schnell zur dominierenden Interpretation.100 So erklärte der SNCC-Aktivist Charles Sherrod im Oktober 1964 in einem Artikel für die Studierendenzeitung Grain of Salt des Theological Union Seminary in New York City: »Our society is famous for its whitewashing, buck-passing tactics. That is one reason the MFDP could not accept the administration’s compromise. It was made to look like something and it was nothing. It was made to pacify the blacks in this country. It did not work.«101 Ein anderer Aktivist wies der Niederlage auf dem Parteitag sogar historische Bedeutung zu: »If that one event had gone the other way, the history of America could have been changed. But no, the calls went out from the White House […].«102 Im selben Artikel, in dem Sherrod den Kompromissvorschlag für die MFDP als inakzeptabel ablehnte, forderte er mit drastischen Worten auch mehr politische Macht für die Schwarzen in den USA und nahm damit in Ansätzen die Idee einer Black Power vorweg: »The real question is whether America is willing to pay its dues. We are not only demanding meat and bread and a job but we are also demanding power, a share

Guyot, Lawrence und Mike Thelwell (1966): The Politics of Necessity and Survival in Mississippi, in: Freedomways 6/Spring 2, S. 120-132, hier S. 132. 99 Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement. 100 Carmichael, Stokely und Charles V. Hamilton (1967): Black Power: The Politics of Liberation in America, New York: Random House, S. 106. 101 Sherrod, Charles (1964): Mississippi at Atlantic City, in: Grain of Salt (Union Theological Seminary) (12.10.1964), S. 6. 102 Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 54. 98

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in power! Will we share power in this country together in reconciliation or, out of frustration, take a share of power and show it, or the need for it, in rioting and blood?«103 Auch Stokely Carmichael und Charles Hamilton nahmen in ihrem 1966 erschienen Buch »Black Power« Bezug auf den Parteitag in Atlantic City. Sie widmeten den Ereignissen ein ganzes Kapitel und versuchten an diesem Beispiel zu belegen, dass das ›liberale Establishment‹ immer versuchen werde, seinen Machtanspruch zu erhalten, selbst wenn es sich als Verbündeter ausgebe. Die Niederlage auf dem Parteitag habe gezeigt, dass sich Schwarze nicht auf solche Verbündete verlassen könnten. Dem ›liberalen Establishment‹ habe in Atlantic City ein Machtverlust gedroht, weshalb es die MFDP-Delegation nicht unterstützt habe: »To seat the MFDP over ›regulars‹ would have meant a displacement of power, and it became crystal clear that in order to combat power, one needed power.«104 Ähnlich rigoros urteilte auch James Forman. Er warf den liberalen Eliten rückblickend vor, das SNCC auf dem Parteitag verraten zu haben: »But it was only after the convention that we began to understand […] that some people we had thought to be friendly or at least neutral were in fact constantly operating against us and the people we worked with most closely. Their name for the game was ›politics‹. Our name for it was treachery.«105 Forman kommt zu der Einschätzung, dass das SNCC eine Gefahr für die Demokratische Partei und ihre Machtposition geworden sei. Das SNCC habe zu viel Macht erlangt und das ›liberale Establishment‹ zum Handeln gezwungen: »Therefore, the destruction of SNCC’s power became a must for the Democratic Party in 1964. […] If this newly emerging political force led by SNCC were allowed to grow in strength, its influence […] would further weaken the influence of oldtime brokers between the masses of black people and the Democratic Party.«106 Diese Deutung erhebt die Ereignisse in Atlantic City zu einem zentralen Bezugspunkt nicht nur für das SNCC, sondern für die gesamte Schwarze Bewegung. Der Parteitag der Demokraten stand damit exemplarisch für die Janusköpfigkeit des ›liberalen Establishments‹ und der Rekurs darauf diente als Begründung für die Notwendigkeit, unabhängige politische Institutionen für Schwarze aufzubauen. Die Narration vom Verrat des ›liberalen Establishments‹ rechtfertigte die politische Selbstorganisation der Schwarzen in den USA. Carmichael und Hamilton beenden 103 104 105 106

Sherrod (1964): Mississippi at Atlantic City. Carmichael/Hamilton (1967): Black Power: The Politics of Liberation in America, S. 106. Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 397. Ebd.

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das Kapitel über die MFDP in ihrem Buch mit dem Fazit, dass Schwarze zuerst eine unabhängige Machtbasis schaffen müssten, bevor sie in der Lage seien, mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten: »It’s absolutely imperative that black people strive to form an independent base of political power first. When they can control their own communities – however large or small – then other groups will make overtures to them based on a wise calculation of self-interest.«107 Schon bald dominierte diese wirkungsmächtige Erzählung der Ereignisse die Diskurse innerhalb des SNCC. Die Narration vom Verrat des ›liberalen Establishments‹ ließ den Aufbau von unabhängigen politischen Institutionen alternativlos erscheinen. Atlantic City wurde für viele SNCC-Aktivist*innen zu einem Symbol und prägte dadurch die weitere Entwicklung der Organisation auf entscheidende Weise. John Lewis, der knapp zwei Jahre später den SNCC-Vorsitz an Stokely Carmichael abgeben musste, da er vielen innerhalb des SNCC als zu moderat galt, sah Atlantic City als einen entscheidenden Wendepunkt für die Organisation und die Bürgerrechtsbewegung: »That crisis of confidence, […] began, I firmly believe, that week in Atlantic City. […] It was a major letdown for hundreds and thousands of civil rights workers […] who had given everything they had to prove that you could work through the system. They felt cheated. They felt robbed. It sent a lot of them outside the system. It turned many of them into radicals and revolutionaries.«108 Die Erzählung über den ›Verrat‹ wurde zu einem Teil des SNCC-Diskurses und trug erheblich dazu bei, die Radikalisierung der Bewegung zu erklären oder zu rechtfertigen. Doch obwohl diese Erzählung derart wirkungsmächtig wurde und den Stellenwert eines Leitmotives bekam, war die Bewertung der Ereignisse kurz nach dem Parteitag durchaus umstritten. Denn nicht alle sahen Atlantic City als einen Misserfolg an. So betonte Lawrence Guyot noch kurz nach dem Rückzug der MFDP-Delegation: »Despite the Convention’s decision, Atlantic City was for us a great victory, because for the first time it told our story to the country and demonstrated our growing strength.«109 Auch Emily Stoper hielt in ihrem Buch über das SNCC fest, nicht alle SNCCAktivist*innen, mit denen sie Interviews geführt habe, hätten die Einschätzung

107 Carmichael/Hamilton (1967): Black Power: The Politics of Liberation in America, S. 106 (Hervorh. im Original). 108 Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 291. 109 Zitiert in: Hogan (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, S. 198.

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geteilt, dass Atlantic City ein derartig herausragender Wendepunkt für die Bewegung gewesen sei. Für einige war der Parteitag nur ein Ereignis unter vielen, das zu einer zunehmenden Frustration unter den SNCC-Aktivist*innen geführt habe, wenngleich Stoper auch konstatierte, dass Atlantic City in ihren Gesprächen mit den Aktivist*innen besonders häufig erwähnt worden sei.110 So zeigte sich beispielsweise Ella Baker, langjährige Beraterin des SNCC und ständiges Mitglied im Executive Committee, wenig überrascht über die Weigerung der Demokraten, die MFDP nicht als legitime demokratische Partei Mississippis anzuerkennen. »Some people had been extremely optimistic; others weren’t at all surprised at the outcome. […] I myself had never expected that we’d be seated. The fact that liberals and most of the civil rights leadership were committed first to electing Johnson was crucial. […] But it wasn’t the convention that caused SNCC to lose a lot of vigor.«111 Auch die SNCC-Aktivistin Betty Garman berichtet davon, dass der Ausgang des Parteitags alles andere als eine Überraschung war und viele Aktivist*innen sich auf ein solches Ergebnis eingestellt hatten: »I can only say that I think that most SNCC people expected it and they weren’t completely disappointed and demolished and so forth. […] I think most of the fulltime SNCC people who’d been there before the summer knew even at that point that the federal government was just […] a fake to the extent that they didn’t come through ever and that the Democratic Party wasn’t really serious about shaking the power structure in Mississippi because so much depended on it.«112 Ebenfalls sehr nüchtern blickte Barney Frank – ehemals Freiwilliger im Mississippi Summer Project – in einem Gespräch mit Emily Stoper auf die Ereignisse zurück. Die Aktivist*innen in Atlantic City hätten nur wenig Hoffnung gehabt, dass sie sich tatsächlich gegen die Mississippi-Demokraten durchsetzen können. Einige hätten jedoch unbedingt die Auseinandersetzung gewollt, um die Demokratische Partei vorführen zu können: »Actually, by early ›64, the radicals […] were already in power in SNCC. Staughton Lynd had opposed from the start going to Atlantic City. The motive of those who favored the convention challenge was to prove the Democrats didn’t mean what they said.«113 110 111 112 113

Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 52. Interview mit Ella Baker in: Ebd., S. 251 (Hervorh. im Original). Interview mit Betty Garman in: Ebd., S. 302. Interview mit Barney Frank in: Ebd., S. 282 (Hervorh. im Original).

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Auch die weitere Geschichte der MFDP, die in den darauffolgenden Jahren einen anderen Weg als das SNCC einschlug, zeigt, dass viele MFDP-Aktivist*innen den Parteitag zwar als einen Rückschlag betrachteten, die Erzählung vom ›Verrat des liberalen Establishments‹ aber offensichtlich nicht teilten. So unterstützte die MFDP öffentlich die Kandidatur des Demokraten Lyndon B. Johnson und organisierte im November in Mississippi symbolische Wahlen für Schwarze. In einem Artikel des Newsletters der Bay Area Friends of Student Nonviolent Coordinating Committee aus dem November 1964 wird aus einem Bericht der MFDP zitiert: »The [M]FDP is supporting Johnson and Humphrey [Kandidat für die Vizepräsidentschaft; d. Verf.] because it recognizes the importance of a Johnson-Humphrey victory in November; and because it believes, despite Atlantic City, in the ultimate ability of the Democratic Party to meet the challenge of the [M]FDP and eliminate racism from its ranks.«114 Darüber hinaus setzten viele Aktivist*innen auch nach der Convention in Atlantic City ihre Parteiarbeit fort und initiierten im Januar 1965 eine Klage zur Absetzung der in den Kongress gewählten demokratischen Abgeordneten aus Mississippi. Sie gingen allerdings nie so weit, die demokratische Partei abzulehnen, sondern versuchten weiter, im Rahmen der politischen und rechtlichen Möglichkeiten auf die Demokraten Druck auszuüben. Die reguläre Demokratische Partei Mississippis öffnete sich in den folgenden Jahren für Schwarze, was schließlich dazu führte, dass die MFDP bereits 1968 zu einem Teil der Demokratischen Partei Mississippis wurde. Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten für die Präsidentschaftswahlen 1968 gehörten dann auch zahlreiche ehemalige MFDP-Mitglieder der regulären Delegation aus Mississippi an. Das SNCC hatte zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr viel mit der MFDP zu tun.115

6.4.4.

Zwischen dem Prinzip der Gewaltlosigkeit und dem Recht auf Selbstverteidigung

Zwischen 1962 und 1965 nahm die Bedeutung des Themas Gewaltlosigkeit in den Diskussionen des SNCC ab, während das Thema Repression und Polizeigewalt wesentlich öfter angesprochenen wurde. Tatsächlich machten die SNCC-Aktivist*innen seit 1962 vermehrt Gewalterfahrungen und schienen im Zuge dessen ihre pazifistische Grundhaltung abzulegen. So zeigen die Daten von McAdam (1999) und Boutcher u.a. (2017), dass die Aktivitäten weißer Segregationist*innen zwischen

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Carson, Clayborne (1993): The Movement: 1964-1970, Westport, Conn.: Greenwood Press, S. 6. Payne (1995): I’ve Got the Light of Freedom: The Organizing Tradition and the Mississippi Freedom Struggle.

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1962 und 1966 erheblich zunahmen.116 SNCC-Aktivist*innen waren von diesen oftmals gewaltsamen Aktionen besonders betroffen, da sie häufig in ländlichen Gegenden der Südstaaten arbeiteten, wo der Widerstand gegen die Bürgerrechtsbewegung besonders ausgeprägt war. Das SNCC kritisierte seit Längerem die mangelnde Bereitschaft der Bundesregierung, sich für den Schutz der Bürgerrechtsaktivist*innen in den Südstaaten einzusetzen. Immer wieder kam es zu Gewalt und Repression gegen Aktivist*innen durch weiße Segregationsbefürworter*innen, die oftmals mit den Behörden und der Polizei vor Ort gemeinsame Sache machten. Diese Erfahrungen, die besonders SNCC-Aktivist*innen machen mussten, führten dazu, dass bei den Aktivist*innen der Grundsatz der Gewaltlosigkeit immer öfter zur Diskussion gestellte wurde. Bob Moses, der im Auftrag des SNCC das erste Wählerregistrierungsprojekt in Mississippi aufbaute, stellt in einem Interview im Februar 1964 klar, dass es hierzu keinen Konsens innerhalb der Organisation gebe: »We don`t agree with it, in a sense. […] The majority of the students are not sympathetic to the idea that they have to love the white people that they are struggling against. But there are a few who have a very religious orientation. And there’s a constant dialogue at meetings about nonviolence and the meaning of nonviolence.«117 Bereits 1963 wiesen einige Aktivist*innen auch öffentlich auf die Grenzen des gewaltlosen Protests hin. Ohne sich vom Prinzip des gewaltlosen Protests zu distanzieren, hob James Forman in einem Interview mit der New York Times im Juni 1963 hervor, dass eine große Mehrheit der Schwarzen den Ansatz der Gewaltlosigkeit nicht unterstützen würden und es deshalb im Interesse der US-Bundesregierung liege, dass der gewaltlose Protest der Bürgerrechtsbewegung Erfolge verzeichne: »I dare say that 85 per cent of Negro population, if not 95 per cent, does not adhere to nonviolence or does not believe in it. They are allowing the nonviolent movement to go ahead because it’s working, and I think it’s imperative for the Government to permit it to work.«118 Anfangs drehten sich diese Debatten vornehmlich um die Frage, wie sich das SNCC zu lokalen Selbstverteidigungsgruppen verhalten solle. Einige Aktivist*innen wie Marion Barry oder Julian Bond sprachen sich dafür aus, die Existenz von Selbstverteidigungsgruppen in den Gemeinschaften zu akzeptieren. Allerdings wende116

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McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 173; Boutcher, Steven A., J. Craig Jenkins und Nella Van Dyke (2017): Strain, Ethnic Competition and Power Devaluation: White Supremacist Protest in the U.S., 1948-1997, in: Social Movement Studies 16/6, S. 686-703, hier S. 3-4. Warren, Robert Penn (2014): Who Speaks for the Negro?, Yale University Press, S. 91. Sitton (1963): »Not Token Freedom, Full Freedom«, in: New York Times (09.06.1963).

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ten sie sich ausdrücklich gegen eine Bewaffnung des SNCC. So wird Julian Bond im Protokoll zur Sitzung des Executive Committees des SNCC im April 1964 mit den Worten zitiert: »[T]here’s a difference between a man arming himself and his neighbors and SNCC person doing [the] same. SNCC [is] still nonviolent.«119 Der damalige SNCC-Vorsitzende John Lewis, der im besonderen Maße von der Philosophie der Gewaltlosigkeit der Nashville-Gruppe geprägt war, warf die Frage auf, ob das SNCC das Recht habe, Menschen zu verurteilen, die sich und ihre Familie bewaffnet verteidigen. Andere wie Bob Moses wiederum sahen das SNCC hier in einem Dilemma. Ihm zufolge war es den Befürwortern des gewaltlosen Protests bisher nicht gelungen, den Menschen vor Ort die Philosophie der Gewaltlosigkeit zu vermitteln. Indem Moses herausstellte, dass das SNCC zwischen aggressiver und defensiver Gewalt unterscheiden müsse, deutete er allerdings an, dass Selbstverteidigung seiner Ansicht nach durchaus legitim sein könne. Auf demselben Treffen äußerte auch die SNCC-Aktivistin Prathia Hall die Ansicht, dass es das SNCC nicht geschafft habe, die Menschen mit der Idee der Gewaltlosigkeit zu erreichen. Viele Schwarze in den Südstaaten nähmen diesen Ansatz vielmehr als völlig realitätsfern wahr.120 Diese Debatte zeigte, dass sich viele SNCC-Aktivist*innen angesichts der Situation in den Südstaaten zunehmend vom Prinzip absoluter Gewaltlosigkeit distanzierten. Diese Entwicklung sollte sich in den folgenden Wochen und Monaten noch verstärken. Kurz vor dem Beginn der Mississippi Freedom Summer Projekts im Juni 1964 kam es bei einem weiteren SNCC-Treffen erneut zu einer intensiven Diskussion über bewaffnete Selbstverteidigung. Die Problemlage war dieses Mal wesentlich konkreter: Das SNCC hatte Hinweise erhalten, dass Segregationist*innen gezielt Anschläge auf die Büros des SNCC in der Stadt Greenwood planen würden, die als Hauptquartier des Freedom-Summer-Projektes dienen sollten. Daraufhin hatten sich die SNCC-Aktivist*innen in Greenwood Waffen besorgt und auch die Schwarze Bevölkerung in Greenwood hatte damit begonnen, sich mit Waffen einzudecken. Solange das FBI nicht für Sicherheit sorge, seien die Schwarzen in Greenwood darauf angewiesen, sich selbst zu verteidigen, argumentierte der Aktivist Willie Peacock auf diesem Treffen. Andere Diskussionsteilnehmer*innen stellten die rhetorische Frage, ob das SNCC das Recht habe, Menschen zu verbieten, sich und ihre Familien zu verteidigen, und forderten, dass sich das SNCC öffentlich zur bewaffneten Selbstverteidigung bekenne. Bob Moses betonte abermals, dass man im Hinblick auf den Anspruch der Gewaltlosigkeit zwischen der Landbevölkerung und dem SNCC unterscheiden müsse: 119 SNCC (1964): Minutes of the Meeting of the SNCC Executive Committee, April 18-19, 1964, S. 5. 120 Ebd., S. 5-6.

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»Self-defense is so deeply ingrained in rural Southern America, that we as a small group can’t affect it. It’s not contradictory for a farmer to say he’s nonviolent and also pledge to shoot a marauder’s head off.«121 Im Gegensatz zur lokalen Bevölkerung sollten SNCC-Aktivist*innen keine Waffen tragen, so Bob Moses. Vor dem Treffen hatte er Stokely Carmichael damit beauftragt, alle Waffen aus dem SNCC-Büro in Greenwood entfernen zu lassen. Diese Entscheidung war jedoch weniger einer grundlegend pazifistischen Haltung geschuldet, sondern resultierte unter anderem aus der Befürchtung, dass die Waffen als Vorwand für eine Durchsuchung des SNCC-Büros dienen könnten.122 In seiner Autobiografie erklärte James Forman später zu den Vorgängen in Greenwood: »[…] Bob Moses, with whom I agreed, sent Stokely Carmichael there to remove the guns and insist they not be kept [sic!] in the office. My reasons were not that selfdefense was wrong, but that having guns in an office so open to the public was a warm invitation for the police to crack down and raid the office. Moses was also not opposed to self-defense, but felt that too much repression would come down on SNCC people if it were widely known that we had a policy of arming ourselves.«123 Ohne jeden Schutz wollte man das Büro in Greenwood aber nicht lassen. Zwar entfernte man alle Waffen aus dem Büro, es wurden jedoch nächtliche Wachen außerhalb des Gebäudes eingesetzt, die bewaffnet waren. Diese Wachen setzte Forman sogar gegen John Lewis durch, der solche Maßnahmen ablehnte: »I personally never supported the idea of armed guards […] But Forman insisted on this, and so the guards were put in place.«124 Die Situation in Greenwood war der Anlass für eine intensive Debatte über bewaffnete Selbstverteidigung auf dem Juni-Treffen des Executive Committees. Zahlreiche Aktivist*innen unterstützten nach wie vor den Ansatz prinzipieller Gewaltlosigkeit. Auch die SNCC-Aktivistin Prathia Hall sprach sich gegen eine Bewaffnung der SNCC-Büros aus, wenn auch aus eher pragmatischen Gründen: »[…] if you kill an attacker […] you will lose your home anyway because [White] townsmen will come to the aid of the attacker and take everything [life and property] away from you.«125 Executive Committee Minutes SNCC June 11, 1964, zitiert in: Wendt (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights, S. 180. 122 Ebd.; Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 374. 123 Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 374-375. 124 Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 255. 125 Executive Committee Minutes SNCC June 11, 1964, zitiert in: Umoja (2013): We Will Shoot Back: Armed Resistance in the Mississippi Freedom Movement, S. 87. [Die redaktionellen Anmerkungen stammen von Umoja]. 121

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Befürworter*innen der bewaffneten Selbstverteidigung bestritten allerdings, dass der bewaffnete Schutz des SNCC-Büros wie von Hall befürchtet zu einer gewaltsamen Eskalation führen könne. Sie verwiesen darauf, dass es beispielsweise einer Schwarzen Selbstverteidigungsgruppe um Robert Williams in Monroe, North Carolina, gelungen sei, die Aktivitäten des Ku-Klux-Klans einzudämmen.126 James Forman erinnerte sich später folgendermaßen an diese Debatten: »At that meeting, the lines of debate were complex and intermingled, but generally speaking there was one contingent arguing that SNCC should publicly proclaim its belief in self-defense while others, including myself, argued that selfdefense was something people should just do and not proclaim – for announcement alerted the opposition.«127 Nach einer längeren Diskussion beschloss das Executive Committee schließlich, keine Waffen in den Räumen von SNCC-Projekten zu dulden. Zudem sollten SNCC-Aktivist*innen aufgefordert werden, keine Waffen zu tragen. Freiwillige des Freedom-Summer-Projekts wurden ebenfalls dazu angehalten, keine Waffen zu tragen oder andernfalls das Projekt zu verlassen.128 Außerdem wurde auf dem Treffen beschlossen, dass das SNCC keine öffentliche Stellungnahme zur Frage der bewaffneten Selbstverteidigung abgeben würde.129 Obwohl das SNCC damit seiner gewaltlosen Grundhaltung nach außen hin treu geblieben war, war allein die Tatsache, dass eine solche Diskussion in dieser Form stattfinden konnte, ein Hinweis darauf, dass viele SNCC-Aktivist*innen bereit waren, Ausnahmen vom Prinzip der Gewaltlosigkeit zu akzeptieren. Auch spielten Positionen, die aus philosophischen oder religiösen Gründen heraus einen ausnahmslos gewaltlosen Protest befürworteten, innerhalb des SNCC mittlerweile überhaupt keine Rolle mehr. John Lewis gehört zu denen, die die wachsende Militanz innerhalb des SNCC mit Sorge betrachteten. Zum Einsatz bewaffneter Sicherheitskräfte vor dem SNCC-Büro in Greenwood erklärte er rückblickend: »The issue of self-defense had continued growing within our organization. Forman was already committed to the idea of coming armed struggle in America, and that idea was creeping into SNCC day by day. We were still an organization committed to nonviolence, but the edges of that commitment were crumbling.«130

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Ebd., S. 88. Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 374. Umoja (2013): We Will Shoot Back: Armed Resistance in the Mississippi Freedom Movement, S. 8889. 129 Wendt (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights, S. 181. 130 Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 255.

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Wenngleich aus einer anderen Perspektive, beobachtete auch James Forman in dieser Hinsicht im Sommer 1964 einen Wandel beim SNCC. Er erklärte wenige Jahre später dazu: »The Mississippi Summer Project was clearly a popular struggle. It confirmed the absolute necessity for armed self-defense – a necessity that existed before the project but which became overwhelmingly clear to SNCC people during and after it.«131 Dass die Diskussionen über Gewaltlosigkeit und Selbstverteidigung innerhalb des SNCC in dieser Zeit immer mehr Raum einnahmen, lag vor allem an der immer größer werdenden Frustration vieler SNCC-Aktivist*innen über die Untätigkeit der US-Bundesregierung, die die Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten nicht angemessen vor Gewalt schützte. Darüber hinaus kam das SNCC in dieser Zeit zunehmend mit Organisationen in Kontakt, die öffentlich ein wesentlich radikaleres politisches Programm vertraten. So unterstützen Aktivisten des Revolutionary Action Movement (RAM) die Arbeit des SNCC beim Mississippi Freedom Summer. RAM sprach sich offen für einen revolutionären black nationalism aus und verfolgte das Ziel, eine Befreiungsbewegung zu organisieren, um die ›kolonisierten Schwarzen‹ in den USA zu befreien.132 RAM hielt eine Integration der Schwarzen in die US-amerikanische Gesellschaft und in das politische System für unmöglich. Die Organisation vertrat die Auffassung, dass Schwarze stattdessen in die Lage versetzt werden müssten, sich selbst zu regieren. RAM war zudem stark von sozialistischen und marxistischen Ideen geprägt.133 Zwei Aktivisten der Organisation, Max Stanford und Roland Snellings, unterstützen im Sommer 1964 das SNCC-Büro in Greenwood und halfen im Rahmen der Wählerregistrierung beim Aufbau einer Freedom School. RAM wollte in Mississippi ein Selbstverteidigungsnetzwerk aufbauen und vor allem jüngere Schwarze dazu motivieren, sich dem bewaffneten Widerstand anzuschließen.134 Während die lokalen SNCC-Aktivist*innen in Greenwood sehr empfänglich für die Ideen von RAM waren, stand das Executive Committee der Organisation sehr skeptisch gegenüber. Der bewaffnete Schutz des Greenwood-Büros, der zu einer längeren Diskussion auf der Juni-Sitzung geführt hatte, ging scheinbar auch auf die Aktivitäten der beiden RAM-Aktivisten zurück. Nachdem das SNCC beschlossen hatte, keine Waffen in SNCC-Büros zu akzeptieren, verließen die RAM-Aktivisten das Projekt wieder. Auch der Beschluss des Executive Committee,

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Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 375. Umoja (2013): We Will Shoot Back: Armed Resistance in the Mississippi Freedom Movement, S. 89. Ebd., S. 90. Ebd., S. 93.

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der SNCC-Aktivisten und die Freiwilligen ausdrücklich aufforderte, im FreedomSummer-Projekt keine Waffen zu tragen oder es andernfalls zu verlassen, hing mutmaßlich mit der Präsenz von RAM-Aktivisten in Greenwood zusammen.135 Trotz dieser Differenzen war die Zusammenarbeit mit dem RAM damit jedoch nicht beendet. Die Anwesenheit von Stanford und Snellings hatte bei einigen SNCC-Aktivist*innen durchaus Spuren hinterlassen. So veranstaltete das SNCC zusammen mit dem RAM im Februar 1965 eine Pressekonferenz anlässlich der Ermordung von Malcolm X in Washington. James Forman hielt dazu rückblickend fest: »The association of SNCC with an organization advocating armed struggle created no problem for most of us in SNCC.«136 Einige Jahre später waren viele Positionen, die RAM zuvor im Mississippi Freedom Summer populär zu machen versucht hatte, bereits zu einem festen Bestandteil der politischen Praxis des SNCC geworden. Wenige Tage nach der Sitzung des Executive Committee im Juni 1964 begann der Mississippi Freedom Summer. Hunderte von Freiwilligen engagierten sich im SNCC und im COFO bei der Wählerregistrierung sowie beim Aufbau von Schulen (Freedom Schools) und Gemeinschaftszentren (Community Centers). Das SNCC und der COFO setzten dabei besonders auf die Unterstützung von weißen College-Studierenden aus den Nordstaaten, deren Anwesenheit keineswegs unumstritten war. Bis dahin hatten vor allem Schwarze in den SNCC-Projekten in den Südstaaten gearbeitet. Viele SNCC-Aktivist*innen standen der Idee grundsätzlich skeptisch gegenüber, dass Weiße aus den Nordstaaten den Schwarzen aus den Südstaaten dabei helfen sollten, sich selbst zu organisieren. Insbesondere Bob Moses setzte sich jedoch damals dafür ein, Weiße für den Freedom Summer zu rekrutieren. Dahinter stand das Kalkül, dass die Rekrutierung von Weißen eine größere Medienöffentlichkeit erzeugen würde und dadurch die US-Bundesregierung im Falle einer Eskalation der Gewalt zu einem schnellen Eingreifen in Mississippi gezwungen werden könnte. Die Annahme, dass weiße Freiwillige der Arbeit der Bürgerrechtsbewegung mehr Aufmerksamkeit verschaffen und die Bundesbehörden dazu bewegen würden, in Mississippi mehr Präsenz zu zeigen, sollte sich zwar bestätigen, allerdings nicht in dem Maße, wie vom SNCC erhofft. Das ursprüngliche Kalkül einiger SNCC-Aktivist*innen, dass eine Krisensituation in Mississippi zu einer umfassenden Intervention der Bundesbehörden führen würde, erfüllte sich nicht. Insbesondere nach dem Verschwinden von Chaney, Schwerner und Goodman im Juni 1964 stellte sich für viele SNCC-Aktivist*innen gar nicht mehr die Frage, ob sie zu ihrem

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Ebd., S. 93-94. Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 440.

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eigenen Schutz Waffen tragen sollten – bewaffnete Selbstverteidigung erschien zunehmend als eine Notwendigkeit. Chuck McDew erklärte dazu: »Chaney, Goodman, and Schwerner were missing and we assumed they were dead. We also thought that there was a statewide plan to get rid of us all, or at least to kill as many of us as they could get away with killing. Now, I was not an advocate of going out and killing white people, but I did know how to use a gun, and when it came down to thee or me, you were going to die before me. I didn’t think about the effect on the organization [SNCC] – a ›nonviolent‹ organization.«137 Andere Aktivist*innen des Freedom Summer stellten nach den Vorfällen den Ansatz der taktischen Gewaltlosigkeit infrage: »This country discouraged nonviolence. There was a real loss of faith in it by Negroes after Medgar [Evers] and [James] Chaney were murdered. Very few of us accept nonviolence as a way of life. It’s an unnatural discipline on a natural response. We were willing to accept it as a tactic as long as it was sanity, but it’s just not sanity to give your life away. Now it’s not a question of violence and nonviolence, but one of survival.«138 Diese Haltung setzte sich allmählich in der gesamten Organisation durch. Auf der Sitzung des Executive Committee im April 1965 ging es wieder um die Frage, ob sich SNCC-Aktivist*innen zum Zweck der Selbstverteidigung bewaffnen dürften. Es wurde berichtet, dass ein Aktivist in Georgia wegen Waffenbesitzes festgenommen worden sei und sich nun in Haft befände. Der relativ breite Widerstand gegen das Tragen von Waffen, der noch auf der Sitzung im Jahr zuvor deutlich geworden war, war inzwischen verschwunden. Zwar lehnten einige Anwesende das Tragen von Waffen nach wie vor ab, wesentlich mehr Aktivist*innen betonten jetzt aber die Notwendigkeit, sich selbst verteidigen zu können. Stokely Carmichael begründete diese Haltung folgendermaßen: »We are not King or SCLC. They don’t do the kind of work we do nor do they live in the areas we live in. They don’t ride highways at night.«139

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Zitiert in: Cobb (2014): This Nonviolent Stuff ’ll Get You Killed: How Guns Made the Civil Rights Movement Possible, S. 184-185. (Hervorh. und redaktionelle Anmerkungen im Original). Unbekannter Teilnehmer des Mississippi Summer Project zitiert in: Bloom (1987): Class, Race, and the Civil Rights Movement, S. 182. Anm. d. Verf.: Medgar Evers war ein Bürgerrechtsaktivist, der im Juni 1963 durch einen weißen Segregationisten ermordet wurde. James Chaney war einer von drei Bürgerrechtsaktivisten, die im Juni 1964 während des Mississippi Freedom Summers umgebracht wurden . SNCC (1964): Minutes SNCC Executive Committee, April 12-14, 1964, Holy Springs, Mississippi, S. 9.

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Ruby Robinson ging sogar so weit zu fordern, dass das SNCC Selbstverteidigungstraining einschließlich Schießübungen für Aktivist*innen anbieten sollte: »We should have training in judo and karate and gun firing.«140 Diese deutliche Distanzierung von einem gewaltlosen Protestansatz widersprach allerdings dem Bild, das die Organisation von sich nach außen vermitteln wollte. Obwohl viele SNCC-Aktivist*innen schon längst ihren Anspruch der Gewaltlosigkeit aufgegeben hatten, versuchte die Organisation, in der US-amerikanischen Öffentlichkeit den Eindruck aufrechtzuerhalten, eine gewaltlose Protestbewegung zu sein. So reagierte Marion Barry bei der Sitzung im April 1965 sehr besorgt auf die Festnahme des SNCC-Aktivist*innen in Georgia. Ihn störte allerdings weniger, dass der Aktivist eine Waffe besaß, als vielmehr die Tatsache, dass solche Vorfälle der Organisation hinsichtlich des Spendenbereitschaft erheblich schaden könnten: »I feel this is very serious and that if staff is carrying guns, this could be very bad for the organization.«141 Das SNCC war schon öfter in der Öffentlichkeit dem Vorwurf ausgesetzt gewesen, es habe sich vom Prinzip der Gewaltlosigkeit verabschiedet. So war beispielsweise Ende Juni 1964 in einem Artikel in der Washington Post über den Mississippi Freedom Summer berichtet worden, dass das COFO-Büro in Jackson nachts von bewaffneten Schwarzen geschützt werde. Daraufhin wies Julian Bond, zuständig für die Presseund Öffentlichkeitsarbeit beim SNCC, in einem Brief an den Autor des Artikels diese Darstellung scharf zurück. Er schrieb unter anderem: »[T]here are no armed guards outside, inside or around the COFO office in Jackson, or any civil rights office in the state of Mississippi.«142 Vermutlich wusste Julian Bond es besser, denn ihm dürften die Diskussionen nur wenige Wochen zuvor nicht entgangen sein. Er war laut Protokoll auf dem Treffen Anfang Juni anwesend und müsste auch davon Kenntnis gehabt haben, dass Forman in Greenwood eine bewaffnete Nachtwache eingesetzt hatte. Ein weiteres Beispiel ist ein Bericht der Zeitung New York Journal-American, in dem Lewis unterstellt wurde, er unterstütze die Organization of Afro-American Unity (OAAU), eine von Malcom X gegründete Organisation, die sich für Schwarze Selbstbestimmung einsetzte. Nur kurz nachdem der Bericht erschienen war, widersprach Lewis in einer Pressemitteilung am 1. Juli 1964 den Vorwürfen und fügte darüber hinaus hinzu:

140 Ebd., S. 10. 141 Ebd., S. 9. 142 Zitiert in: Wendt (2004): The Spirit and the Shotgun: Armed Resistance and the Struggle for Civil Rights, S. 195.

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»I would like to reaffirm my philosophical adherence to nonviolence, both as a means of protest and as a way of life. […] SNCC believes today, as it has since its formation in 1960, in achieving an interracial democracy through peaceful protest.«143 Dass das SNCC darum bemüht war, seine fortschreitende Radikalisierung zu kaschieren, wird auch an der Reaktion von Julian Bond auf einen Artikel von Bayard Rustin deutlich, der im Juli 1964 in der pazifistischen Zeitschrift Fellowship erschienen war.144 Darin hatte Rustin – nicht gerade ohne Grund – behauptet, dass viele Aktivist*innen des SNCC den Anspruch der Gewaltlosigkeit aufgegeben hätten und nun begrenzte Formen von Gewalt befürworten würden. Bond zeigte sich »irritiert« und widersprach den Darstellungen von Rustin in einem Brief an den Herausgeber Alfred Hassler im Oktober 1964 vehement: »We hold true to our original statement of purpose, drafted at our founding conference in Raleigh, North Carolina, April 17, 1960 […].«145 Auch in seinem 1964 veröffentlichten Buch über das SNCC bemüht sich das aktive SNCC-Mitglied Howard Zinn darum, das Bild einer gewaltlosen Organisation aufrechtzuerhalten. Eine Mehrheit innerhalb des SNCC sei nach wie vor gegen jegliche Form von Gewalt, einschließlich bewaffneter Selbstverteidigung, und nur Einzelne würden »Sympathien« für andere Positionen bekunden: »The recent calls by Malcolm X and others for Negroes to use self-defense, and even retaliation, against acts of violence by whites, have not found approval by the SNCC organization. Yet individual SNCC members have sometimes expressed sympathy for this position.«146 Während sich das SNCC in der Öffentlichkeit mit aller Kraft dagegen wehrte, als eine Organisation dargestellt zu werden, die mit ihrem gewaltlosen Ansatz gebrochen hatte, sah die Realität vor Ort in den Südstaaten anders aus. Dort betrachteten es viele Aktivist*innen als Notwendigkeit, sich selbst gegebenenfalls auch bewaffnet vor gewaltsamen Angriffen zu schützen.

6.5.

Fazit

Seit 1963 wandten sich viele SNCC-Aktivist*innen vermehrt sozialen und wirtschaftlichen Fragen zu, um die Situation der Schwarzen Bevölkerung zu verbes143 144 145 146

Zitiert in: Ebd., S. 196. Ebd., S. 196-197. Ebd., S. 196. Zinn (1964): SNCC: The New Abolitionists, S. 222.

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sern. Gleichzeitig traten Themen der rechtlichen Gleichstellung von Schwarzen zunehmend in den Hintergrund. Die Ursache hierfür lag vor allem an den Bedingungen, die SNCC-Aktivist*innen in den ländlichen Gegenden der Südstaaten antrafen. Viele Schwarze lebten dort in Armut und Abhängigkeit von weißen Großgrundbesitzern. Um dieses Abhängigkeitsverhältnis zu durchbrechen, erschien es unabdingbar, nicht nur gleiche Rechte durchzusetzen, sondern auch soziale und ökonomische Ausgrenzung zu überwinden. Aus diesem Grunde ergänzte das SNCC seine Projekte in der Wählerregistrierung immer häufiger durch soziale Programme. Ein Ergebnis dieser strategischen Neuausrichtung war das Projekt des Mississippi Freedom Summer, das die Selbstorganisation und politische Selbstbestimmung der Schwarzen Bevölkerung mithilfe von Methoden des Community Organizing stärken sollte. Mit dieser Konzeption knüpfte das SNCC an Überlegungen von linksliberalen Intellektuellen wie Saul Alinsky oder Paul Goodman aus den 1940er- und 1950er-Jahren an, die sich vom Empowerment benachteiligter Bevölkerungsgruppen wichtige politische Impulse für gesellschaftliche Veränderungen versprachen. Damit unterschied sich das SNCC in seiner politischen Zielsetzung von den meisten anderen Bürgerrechtsorganisationen dieser Zeit. Das SNCC erweiterte seine Bürgerrechtsagenda um sozial- und bildungspolitische Fragen und geriet dadurch in Konflikt mit gesellschaftlichen Gruppen, die ursprünglich Verbündete der Organisation waren. Die Hinwendung zu Selbstorganisation und Empowerment markiert einen Vertrauensverlust gegenüber dem politischen System und den liberalen Eliten aufseiten der SNCC-Aktivist*innen. Sie hingen nicht mehr der liberalen Vorstellung an, dass die Durchsetzung gleicher Rechte mit der Verwirklichung gleicher Chancen und Teilhabe einhergehen würde. In der anhaltenden Diskriminierung von Schwarzen sahen sie ein Versagen des politischen Systems, das nur von außen behoben werden konnte. Die Organisation von Nahrungsmittelhilfen und Kleiderspenden, der Aufbau von eigenen Schulen, die Einrichtung von lokalen Selbstverwaltungszentren bis hin zur Gründung einer eigenen Partei machen deutlich, dass viele Aktivist*innen nicht mehr länger darauf warten wollten, dass die politischen Eliten handeln. Sie wollten konkrete Veränderungen erreichen und waren bereit, parallele Strukturen aufzubauen, um den Status quo herauszufordern. Dieser Anspruch wurde zwischen 1962 und 1965 zu einem zentralen Leitmotiv des politischen Handelns vieler SNCC-Aktivist*innen. Neben der Neuausrichtung der politischen Agenda und einer Schwerpunktverlagerung bei den Aktionsformen war diese Protestphase geprägt von dem politischen Ziel, die US-Bundesregierung dazu zu bewegen, in den Südstaaten zu intervenieren. Immer wieder forderten SNCC-Aktivist*innen die Bundesregierung auf, sich bei Gewalt, Repression und Diskriminierung durch Segregationsbefürworter*innen auf die Seite der Bürgerrechtler*innen zu stellen und einzugreifen. Das zeigte sich im Mississippi Freedom Summer. Diese Kampagne sollte unter an-

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derem die US-amerikanische Öffentlichkeit auf die Lage der Schwarzen in den Südstaaten aufmerksam machen und eine Intervention der Bundesregierung provozieren. Das SNCC suchte also bewusst die Konfrontation und Eskalation mit den Segregationist*innen und wollte dadurch eine Reaktion herausfordern, die schließlich zu einer Änderung des Status quo führen sollte. Die Taktik, absichtlich eine krisenartige Situation zu erzeugen, um Handlungsdruck bei der Bundesregierung hervorzurufen, hatte sich das SNCC bereits bei den Freedom Rides zunutze gemacht. Auch Bürgerrechtler wie Martin Luther King hatten diese Taktik in ihren Anti-Segregations-Kampagnen angewendet.147 Das SNCC verband sie jedoch erstmals mit einer Empowerment-orientierten Protestform. Generell legten es solche Protesttaktiken darauf an, eine Eskalationsspirale zu starten mit dem Kalkül, die Chancen für gesellschaftliche Veränderungen zu erhöhen, indem die Kosten der Gegenseite für den Erhalt des Status quo in die Höhe getrieben werden. Daraus kann jedoch auch eine Dynamik von Handeln und Gegenhandeln entstehen, die im Einsatz von Gewalt auf allen Seiten mündet. Eine solche Entwicklung ließ sich im Sommer 1964 beobachten. Das Freedom Summer Project stieß bei weißen Segregationsbefürworter*innen auf erheblichen Widerstand und löste bereits zu Beginn eine Welle der Gewalt aus: Aktivist*innen und Schwarze, die mit der Bürgerrechtsbewegung in Verbindung gebracht wurden, und auch deren Einrichtungen wurden von Segregationist*innen massiv angegriffen. Dies führte wiederum dazu, dass sich mehr und mehr Bürgerrechtsaktivist*innen bewaffneten, um sich gegen diese Angriffe zu schützen. Die dadurch entstehende Spirale von Reaktion und Gegenreaktion forcierte die Polarisierung auf beiden Seiten – ein Mechanismus, der in der Radikalisierungsforschung bekannt ist.148 Angesichts der Gewalt und der Brutalität, die viele SNCC-Aktivist*innen bei ihrer Arbeit vor Ort erfahren mussten, sank bei den SNCC-Aktivist*innen die Bereitschaft, den Anspruch der absoluten Gewaltlosigkeit beizubehalten. Immer wieder gab es öffentliche Berichte, dass sich Aktivist*innen bewaffnet hätten. Dies wiederum führte zu Kritik bei der liberalen Mittelschicht aus den Nordstaaten, von deren Spendengeldern das SNCC zu einem gewissen Teil abhängig war. Die SNCCFührung bemühte sich deshalb darum, in der Öffentlichkeit weiter das Bild einer gewaltfreien Bewegung aufrechtzuerhalten, während intern bereits über Selbstverteidigung diskutiert wurde und einige SNCC-Aktivist*innen keinen Hehl daraus machten, dass sie Waffen besaßen. Entsprechend unterschiedlich fielen in den untersuchten Materialien die öffentlichen und organisationsinternen Äußerungen

147 Sifton, John (2015): Violence All Around, Harvard University Press, S. 190. 148 Alimi/Demetriou/Bosi (2015): The Dynamics of Radicalization: A Relational and Comparative Perspective, S. 44-45; Klandermans (2014): Identity Politics and Politicized Identities: Identity Processes and the Dynamics of Protest, S. 17.

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der SNCC-Aktivist*innen zur Gewaltfrage aus. Diese Differenz zwischen Außenauftritt und internen Diskussionen macht deutlich, dass die SNCC-Führung im Executive Committee ein Interesse an der Steuerung der öffentlichen Debatten hatte. Dabei wurden – wie beispielsweise im Fall des Greenwood-Büros – konkrete Handlungsoptionen abgewogen und diskutiert. Trotzdem kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Haltung des SNCC zur Gewaltfrage in dieser Phase nicht frei von Widersprüchen und Ambivalenzen war. Es gab ein offensichtliches Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch, gewaltlos zu protestieren, und der Realität, mit der sich viele Aktivist*innen in den ländlichen Gebieten der Südstaaten konfrontiert sahen. Doch obwohl das SNCC darum bemüht war, sein Image als gewaltlose Bewegung in der Öffentlichkeit und bei den liberalen Eliten nicht zu gefährden, wuchs die Distanz zwischen dem SNCC und den politischen Eliten. SNCC-Aktivist*innen kritisierten immer öfter die ›Heuchelei‹ der US-Bundesregierung und der anderen Bürgerrechtsorganisationen, denen sie Verrat an den Ideen der Bewegung vorwarfen. Die Narration, wonach die liberalen Eliten und die Regierung in Washington die Bewegung verraten oder es mit deren Unterstützung nie wirklich ernst gemeint hätten, findet sich sowohl in den Reaktionen auf die Morde an den Bürgerrechtsaktivist*innen beim Freedom Summer als auch nach dem Parteitag der Demokraten in Atlantic City. Das SNCC grenzte sich damit zunehmend von gesellschaftlichen Gruppen ab, die ursprünglich als seine Unterstützer*innen galten. Sicherlich kann man in dieser Zeit noch nicht von einem Bruch mit den liberalen Eliten sprechen, dieser sollte erst einige Zeit später erfolgen; dennoch sind in dieser Phase bereits bestimmte kollektive Deutungsmuster geprägt worden, die später sehr wirkungsmächtig werden sollten. Zusammenfassend können also drei zentrale Narrationen im internen Diskurs des SNCC zwischen Mitte 1962 und Mitte 1965 ausgemacht werden. Politische Veränderung, so die Erste dieser Narrationen, kann nicht mehr allein dadurch erreicht werden, dass man Druck auf die politischen Eliten ausübt; dieser Ansatz muss vielmehr um Instrumente des Empowerment ergänzt werden, durch die sich die Unterdrückten selbst ermächtigen können. Im Wege des Community Organizing rückte die Schwarze Bevölkerung in den Südstaaten daher in den Mittelpunkt der politischen Arbeit des SNCC. Zweitens ging damit eine zunehmende Skepsis gegenüber den politischen Eliten einher. Das Motiv des Verrats taucht immer häufiger in den Beiträgen der Aktivist*innen auf. Die erreichten politischen Reformen wurden als nicht ausreichend und wirkungslos bewertet. Viele SNCC-Aktivist*innen zogen daraus die politische Konsequenz, dass sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und eigene politische Strukturen aufbauen müssen, die unabhängig vom weißen Machtsystem Bestand hatten – eine Idee, die sich in den folgenden Jahren immer stärker durchsetzen sollte. Schließlich lässt sich drittens ein sehr taktisch motivierter Umgang mit der Gewaltfrage beobachten. Der philosophisch-

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religiös geprägte völlige Gewaltverzicht der Sit-in-Proteste wurde durch ein taktisches Verständnis von Gewaltlosigkeit abgelöst. Die ursprüngliche Narration von der Schaffung einer gewaltlosen Gesellschaft durch gewaltloses Handeln wurde abgelöst durch eine Narration, die Selbstverteidigung als notwendiges Mittel ansah, um in bestimmten Gegenden der Südstaaten überhaupt politisch arbeiten zu können. Der dogmatische Ansatz der prinzipiellen Gewaltlosigkeit wich also einem pragmatischen Umgang mit der Gewaltfrage. Unter anderem aus Furcht vor einem Einbruch beim Spendenaufkommen waren die SNCC-Aktivist*innen im Executive Committee sehr darauf bedacht, das Bild des SNCC als einer gewaltlos arbeitenden Organisation aufrechtzuerhalten. Andererseits konnten sie sich auch nicht davor verschließen, dass etliche derjenigen, die sich im SNCC engagierten oder mit denen das SNCC zusammenarbeitete, den Anspruch der Gewaltlosigkeit schon längst aufgegeben hatten. Dementsprechend erodierte das Verständnis von Gewaltlosigkeit als einem ohne Ausnahme geltenden Prinzip allmählich. Die Bewaffnung zum Zwecke der Selbstverteidigung wurde nun stillschweigend akzeptiert, auch wenn man versuchte, nach außen ein anderes Bild zu vermitteln. Eine Mehrheit der SNCC-Aktivist*innen schien die bewaffnete Selbstverteidigung für die Arbeit in den ländlichen Gebieten für notwendig oder zumindest für unvermeidlich zu halten.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

Es ist der 16. Juni 1966. Trotz der Bürgerrechtsgesetzgebung der vorangegangenen Jahre ist der Alltag vieler Schwarzer noch immer von rassistischer Diskriminierung geprägt. Stokely Carmichael, seit einigen Monaten frisch gewählter Vorsitzender des SNCC, ist gerade auf Kaution aus dem Gefängnis von Greenwood, Mississippi, entlassen worden. Fast 600 Demonstranten empfangen ihn begeistert am Broad Street Park der kleinen Stadt. Carmichael, dessen Foto von der Festnahme am nächsten Tag auf der Titelseite der New York Times erscheinen sollte, wendet sich an die Menge und setzt zu einer elektrisierenden Rede an. Es ist der zehnte Tag eines Marsches, der von Memphis, Tennessee, nach Jackson, Mississippi, führt. Der Marsch war eine spontane Reaktion auf die Schüsse, die auf den Schwarzen Bürgerrechtler James Meredith abgegeben worden waren. Meredith hatte sich alleine auf den Weg von Memphis nach Jackson gemacht, um gegen den anhaltenden Rassismus in den Südstaaten zu protestieren. Am zweiten Tag seines Marsches wurde er von einem weißen Rassisten niedergeschossen, überlebte den Angriff jedoch. Noch am gleichen Tag formierte sich ein Bündnis aus verschiedenen Bürgerrechtsorganisationen, um den Marsch von Meredith fortzusetzen. Neben Martin Luther Kings SCLC gehörte auch das SNCC dazu. Am 16. Juni erreicht der March Against Fear Greenwood im Herzen Mississippis. Auch in Greenwood gehören rassistische Diskriminierung und Gewalt gegen Schwarze zu diesem Zeitpunkt noch immer zum Alltag. Allerdings haben sich in der Gegend auch bewaffnete Selbstverteidigungsgruppen formiert, die von Schwarzen bewohnte Nachbarschaften sichern. Carmichael kennt den kleinen Ort gut. Das SNCC arbeitet hier schon seit einigen Jahren und unterstützt Projekte zur Wählerregistrierung. An diesem Abend in Greenwood richtet sich der 24-jährige Carmichael mit sehr klaren Worten an die wartenden Demonstranten: »This is the twenty-seventh time that I’ve been arrested. I ain’t going to jail no more.« Unter dem Applaus der tobenden Menge ruft er fünf Mal: »We want Black Power!« und

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fügt hinzu: »Every courthouse in Mississippi should be burnt down tomorrow so we can get rid of the dirt.«1 Mit dieser Rede löst Carmichael eine nationale Debatte über die Militanz der Schwarzen Bewegung aus. Erstmals kursiert öffentlich der Begriff der Black Power, der sich rasend schnell verbreitet und zum Kampfruf einer ganzen Generation von Schwarzen Aktivist*innen werden sollte.2 Die Jahre zwischen 1965 und 1968 waren in den USA eine Zeit erheblicher gesellschaftlicher Umbrüche. Im Sommer 1965 trat der Voting Rights Act in Kraft, der es vielen Schwarzen in den Südstaaten ermöglichte, an Wahlen teilzunehmen. Nur kurze Zeit später kam es in dem überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtteil Watts in Los Angeles zu über mehrere Tage andauernden Unruhen, bei denen 34 Menschen getötet und 1.032 Menschen verletzt wurden. Während der Ausschreitungen wurden zudem hunderte von Gebäuden völlig zerstört. Watts war nur der Anfang einer ganzen Reihe von Riots, die besonders die Sommermonate der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre bestimmen sollten. Sie lösten eine intensive Debatte über Ausgrenzung und Diskriminierung in den USA aus.3 Zudem waren die USA seit 1965 aktiv in den Krieg in Vietnam involviert. Nachdem US-Präsident Johnson im Juli 1965 angekündigt hatte, verstärkt Wehrpflichtige einziehen zu wollen, formierte sich der Widerstand gegen den Krieg in der US-amerikanischen Gesellschaft. Ende 1966 befanden sich bereits fast 400.000 US-Soldaten in Vietnam, darunter knapp 60.000 Schwarze.4 Diese Ereignisse prägten zusammen mit den antikolonialen Bewegungen, die in den 1960er-Jahren in vielen Teilen der Welt entstanden, die Diskurse innerhalb des SNCC. Der Protest gegen den Vietnamkrieg wurde schon bald zu einem zentralen Ankerpunkt der wachsenden Studierendenbewegung wie auch der Black-PowerBewegung. Das SNCC löste sich in dieser Zeit von der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung und suchte den Schulterschluss mit der Neuen Linken.

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Roberts, Gene (1966): Mississippi Reduces Police Protection for Marchers, in: New York Times (17.06.1966), S. 1,33; Garrow, David J. (1986): Bearing the Cross: Martin Luther King, Jr. and the Southern Christian Leadership Conference, S. 479; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 209. Joseph, Peniel E (2014): Stokely: A Life, S. 114. Vgl. Rustin, Bayard (1966): The Watts, in: Commentary Magazine ; United States/Kerner Commission (1968): Report of the National Advisory Commission on Civil Disorders, New York: Bantam Books. Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 97, 140.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

7.1.

Selma und der Voting Rights Act

Am 6. August 1965 unterzeichnete Präsident Johnson den Voting Rights Act. Nur wenige Monate zuvor war der Marsch von Selma nach Montgomery in Alabama zu Ende gegangen. Die Demonstration, die von Martin Luther King initiiert worden war, hatte die entscheidenden Impulse für die Einbringung des Voting Rights Act gesetzt. Das SNCC war schon seit einigen Jahren in Selma aktiv gewesen. Die dortige Wählerregistrierung kam allerdings nur schleppend voran. Lediglich zwei Prozent der wahlberechtigten Schwarzen waren damals im County für Wahlen registriert.5 Als sich die SCLC im Frühjahr 1965 entschloss, in Selma eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zu starten, standen die SNCC-Aktivist*innen diesen Plänen zunächst sehr skeptisch gegenüber, weil sie mit gewaltsamen Aktionen von Segregationsbefürworter*innen gegen ihre Projekte rechneten. Sie befürchteten, dass ihre in jahrelanger Arbeit mühsam erzielten Fortschritte beim Community Organizing durch die Kampagne zunichte gemacht werden könnten. Die lokale SNCCGruppe unterstützte die Demonstration daher zunächst nicht, jedoch nahm der SNCC-Vorsitzende John Lewis an den Protesten teil. Der erste Versuch, die Strecke von Selma nach Montgomery zu laufen, wurde von der lokalen Polizei verhindert: Nach nur wenigen hundert Metern wurden die Demonstrant*innen vor laufenden Kameras von lokalen Polizeieinheiten brutal niedergeknüppelt und mit Tränengas attackiert. Die Bilder von diesen Übergriffen sorgten in den USA für einen nationalen Aufschrei und verstärkten den Druck auf Präsident Johnson, die Wahlgesetzgebung zu ändern. Auch beim zweiten Versuch mussten die Demonstrierenden nach wenigen Metern wieder umkehren. Erst beim dritten Versuch erreichte der Marsch, der infolge des öffentlichen Drucks inzwischen von der Nationalgarde geschützt wurde, am 25. März 1965 Montgomery. Nur wenige Tage danach begannen die Beratungen zum Voting Rights Act im Kongress.6 Die Verabschiedung des Voting Rights Act war ein Meilenstein für die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Das Gesetz suspendierte Tests oder ähnliche Anforderungen für die Wählerregistrierung in denjenigen Bundesstaaten und Countys, in denen weniger als 50 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung registriert waren oder an der Präsidentschaftswahl 1964 teilgenommen hatten, und erlaubte es in diesen Fällen Bundesbeamten, die Wählerregistrierung vorzunehmen. Die Regelungen wurden auf die Bundesstaaten Alabama, Alaska, Georgia, Louisiana, 5 6

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 158. Vgl. Lawson, Steven F (2005): Civil Rights Crossroads: Nation, Community, and the Black Freedom Struggle, Lexington: University Press of Kentucky, S. 67-68; McAdam (1999): Political Process and the Development of Black Insurgency, 1930-1970, S. 178-179; Sitkoff (1993): The Struggle for Black Equality 1954-1992, S. 173-183; Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, S. 249-251.

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Fragile kollektive Identitäten

Mississippi, South Carolina und Virginia sowie auf 26 Countys in North Carolina angewendet.7 Bereits in den ersten Jahren waren die Auswirkungen des Gesetzes auf die Wählerregistrierung in den Südstaaten enorm: Während 1964 nur 35,5 Prozent der wahlberechtigten Schwarzen in den Südstaaten registriert waren, lag der Anteil 1969 bereits bei 64,8 Prozent. Besonders in Mississippi war das Gesetz sehr erfolgreich. 1964 waren in dem Bundesstaat lediglich 6,7 Prozent der Schwarzen in den Wählerregistern eingetragen. Fünf Jahre später waren es bereits 66,5 Prozent. Obwohl der Anteil der registrierten Wähler*innen in der Schwarzen Bevölkerung noch immer deutlich unter dem der weißen Bevölkerung lag, konnte die Schwarze Wahlbeteiligung durch das Gesetz doch erheblich gesteigert werden.8 Erst der Voting Rights Act 1965 zerschlug das quasi-feudale Regime, das sich seit der Ära der Reconstruction in den Südstaaten erhalten hatte, und ordnete das politische System der Südstaaten neu.9 Das neue Gesetz hatte aber auch weitreichende Auswirkungen auf die Arbeit des SNCC. Durch die nunmehr flächendeckende Wählerregistrierung vonseiten der Bundesbehörden verschwanden innerhalb eines Jahres nahezu alle SNCC-Wählerregistrierungsprojekte in den Südstaaten.10

7.2.

Vom Community Organizing zu Black Power

Die Proteste in Selma führten unter anderem auch zu einem intensiveren Engagement des SNCC in der Gegend zwischen Selma und Montgomery im Lowndes County. Dort unterstützte der SNCC-Aktivist Stokely Carmichael im November 1965 die Gründung der Lowndes County Freedom Organization (LCFO), einer politischen Gruppierung, die wenig später als Black Panther Party zu Wahlen im County antreten sollte. Die LCFO war ein SNCC-Projekt und stand für eine politische Neuausrichtung des SNCC. Nach dem Bedeutungsverlust der Wählerregistrierungsprojekte konzentrierte man sich verstärkt auf das Community Organizing mit dem Ziel, die politische Selbstorganisation der Schwarzen Bevölkerung zu stärken, Schwarze Kandidaten für politische Ämter aufzustellen und notfalls auch die Selbstverteidigung von Nachbarschaften sicherzustellen, in denen vornehmlich Schwarze lebten.11 Die Idee der Black Panther Party breitete sich sehr schnell aus. Auch die Black Panther Party for Self-Defense, die von Huey Newton und Bobby Seale im Oktober 1966

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Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, S. 251-252. Lawson (1999): Black Ballots: Voting Rights in the South, 1944-1969, S. 331. Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, S. 252. Stoper (1977): The Student Nonviolent Coordinating Committee: Rise and Fall of a Redemptive Organization, S. 27. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 162; Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 15.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

in Oakland, Kalifornien, gegründet worden war und die später weitaus größere Bekanntheit erlangte, wurde durch die LCFO und Carmichaels Ansatz der Schwarzen Selbstorganisation inspiriert. Die kalifornischen Black Panther übernahmen sogar den schwarzen Panter, das offizielle Symbol der LCFO, als eigenes Parteilogo.12 Die Beziehungen zwischen dem SNCC und den Black Panther sollten sich später noch weiter intensivieren.13 1965 begann das SNCC erstmals, auch in den nördlichen Bundesstaaten Programme umzusetzen. Zwar gab es schon seit Längerem als Friends of SNCC bezeichnete Unterstützergruppen in den Nordstaaten und an der Westküste, deren Arbeit beschränkte sich jedoch vor allem auf das Fundraising und die Förderung der Südstaaten-Projekte. Nun entwickelten auch diese Gruppen eigene politische Aktivitäten vor allem mit sozial- und bildungspolitischem Schwerpunkt. So organisierte die Gruppe Free D.C. bereits im Januar 1966 einen Busboykott gegen Fahrpreiserhöhungen in Washington D.C. Andere Programme und Kampagnen zu Themen wie Arbeitslosigkeit oder der Wohn- und Bildungssituation von Schwarzen folgten bald darauf in verschiedenen Städten im Norden.14 Zudem trat im Jahre 1965 ein neues Thema auf den Plan: Der Vietnamkrieg begann die US-amerikanische Gesellschaft zu polarisieren und sorgte auch innerhalb der Bürgerrechtsbewegung für intensive Auseinandersetzungen. Bereits im August 1965 hatte sich der SNCC-Aktivist Howard Zinn in einem Artikel kritisch zur Intervention der USA in Vietnam geäußert und die Bürgerrechtsbewegung aufgerufen, sich gegen den Krieg auszusprechen.15 SNCC-Aktivist*innen wie Bob Moses oder Staughton Lynd hatten an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg teilgenommen.16 Obwohl viele SNCC-Aktivist*innen diese Überzeugung teilten, hielt sich das SNCC als Organisation mit einer öffentlichen Stellungnahme zurück. In den internen Diskussionen ging es dabei vor allem um die Frage, inwiefern eine Anti-Kriegs-Position zu einem Einbruch bei den Spenden für das SNCC führen könne. Der Mord an dem Schwarzen SNCC-Aktivist*innen und Vietnam-Veteranen Sammy Younge17 im Januar 1966 war dann jedoch der Auslöser dafür, dass sich das

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Bloom/Martin (2013): Black Against Empire: The History and Politics of the Black Panther Party, S. 43-44; Austin (2006): Up Against the Wall: Violence in the Making and Unmaking of the Black Panther Party, S. 15. Austin (2006): Up Against the Wall: Violence in the Making and Unmaking of the Black Panther Party, S. 129. Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 36. Carson (1990): The Student Voice, 1960-1965: Periodical of the Student Nonviolent Coordinating Committee, S. 229. Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 94. Sammy Younge war ein Angehöriger der US-Streitkräfte, der sich nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst beim SNCC engagiert hatte. Er wurde im Januar 1966 durch einen weißen

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Fragile kollektive Identitäten

SNCC erstmals öffentlich gegen den Krieg in Vietnam positionierte. In einer Erklärung zum Tod von Younge rief das SNCC zur Wehrdienstverweigerung auf und löste damit eine Welle der Empörung beim liberalen Mainstream aus. Zahlreiche andere Bürgerrechtsorganisationen gingen öffentlich auf Distanz zum SNCC.18 Von diesem Zeitpunkt an sprach sich das SNCC regelmäßig gegen den Vietnamkrieg und für Wehrdienstverweigerung aus. Nur wenige Monate später sorgte die Wahl von Stokely Carmichael zum neuen SNCC-Vorsitzenden wieder für Aufsehen in der US-amerikanischen Öffentlichkeit. Im Mai 1966 setzte sich Carmichael gegen John Lewis durch, der die Organisation drei Jahre lang geführt hatte. Kurz zuvor war Lewis innerhalb des SNCC dafür angegriffen worden, dass er sich im Frühjahr an den Planungen für eine Bürgerrechtskonferenz des Weißen Hauses19 beteiligt hatte. Carmichael hingegen hatte der Erfolg der LCFO sehr viel Reputation eingebracht.20 Nach der Wahl von Carmichael sagte das SNCC die Beteiligung an der Bürgerrechtskonferenz im Weißen Haus ab. In der Öffentlichkeit stieß dieser Rückzug auf heftige Kritik. Dem SNCC wurde vorgeworfen, in black nationalism und Extremismus abzudriften.21 Ihren Höhepunkt erreicht die öffentliche Debatte allerdings erst einige Woche später, nachdem der Schwarze Bürgerrechtsaktivist James Meredith im Juni 1966 bei einem Protestmarsch durch Mississippi angeschossen worden war. SNCC, CORE und SCLC organisierten kurz darauf die Fortsetzung von Merediths Marsch nach Jackson. Der Marsch wurde durch die Deacon for Defense and Justice, eine militant auftretenden Schwarzen Selbstverteidigungsgruppe, begleitet. Auf einer Kundgebung während des Marsches durch Mississippi benutzt Carmichael erstmals öffentlich den Begriff Black Power, der schnell erhebliche mediale Aufmerksamkeit erhielt und eine Debatte über die Zukunft der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung auslöste.22 Martin Luther King distanzierte sich deutlich von der Black-Power-Agenda des SNCC und warnte davor, dass dadurch die öffentliche Unterstützung für die gesamte Bürgerrechtsbewegung aufs Spiel gesetzt würde.

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Angestellten einer Tankstelle ermordet, als er versuchte, die dortige Toilette zu benutzen, die Weißen vorbehalten war. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 188-189; Hogan (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, S. 233-334. Diese White House Conference on Civil Rights fand im Juni 1966 im Weißen Haus statt und sollte die Gleichstellung und Antidiskriminierung von Schwarzen nach dem Civil Rights Act (1964) und dem Voting Rights Act (1965) weiter voranbringen. An der Konferenz nahmen mit Ausnahme des SNCC alle großen Bürgerrechtsorganisationen teil. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 200; Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 17; Lawson (2005): Civil Rights Crossroads: Nation, Community, and the Black Freedom Struggle, S. 80-81. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 204-205. Ebd., S. 207-209.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

Auch der NAACP-Vorsitzender Roy Wilkins übte scharfe Kritik an Carmichael und dem SNCC. Lediglich der CORE äußerte sich zustimmend.23 Carmichaels Haltung zum Grundsatz der Gewaltlosigkeit wurde zusehends unklarer. Das zeigte sich im Sommer 1966 in zahlreichen Reden und Zeitungsinterviews. Immer wieder wurde er mit gewaltsamen Demonstrationen in Verbindung gebracht. So beriefen sich beispielsweise Demonstranten bei gewaltsamen Unruhen in Chicago auf den Black-Power-Slogan, nachdem Carmichael in der Stadt gesprochen hatte.24 Im September 1966 wurde er in Atlanta festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, durch eine Rede den Ausbruch von Unruhen in der Stadt ausgelöst zu haben. Carmichael konnte letztlich nicht nachgewiesen werden, direkt zu Gewalt aufgerufen zu haben. Nach einer Woche im Gefängnis wurde er gegen Zahlung einer Kaution freigelassen.25 Gleichzeitig verließen immer mehr weiße SNCC-Aktivist*innen die Organisation. Innerhalb des SNCC hatte sich seit einiger Zeit eine Gruppe gebildet, die das SNCC zu einer ausschließlich von Schwarzen geführten, kontrollierten und finanzierten Organisation machen wollte. Zunächst konnte sich diese Gruppe mit ihrer Forderung nicht durchsetzen. Auf einem SNCC-Treffen im Dezember 1966 stimmten die anwesenden SNCC-Mitglieder nach langer Debatte jedoch mit knapper Mehrheit dafür, die noch im SNCC verbliebenen Weißen aus der Organisation auszuschließen.26 Zudem wurde auf dem Treffen beschlossen, nach dem Vorbild der LCFO und der Black Panther Party in Lowndes County überall in den USA Organisationen mit dem Ziel zu gründen, politische Parteien und soziale Aktionsgruppen aufzubauen.27 Carmichael war in kürzester Zeit zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten der Schwarzen Bewegung aufgestiegen. Im SNCC hingegen wuchs die Kritik an Carmichael und seiner Rolle. Aus Sicht einiger Aktivist*innen war er aufgrund seiner Medienpräsenz und der Vielzahl an öffentlichen Auftritten inzwischen zu mächtig und unkontrollierbar geworden. Zudem hatte Carmichaels konfrontative und polarisierende Art das SNCC angreifbarer gemacht. Das SNCC stand mittlerweile unter ständiger Beobachtung durch das FBI. Präsident Johnson selbst soll eine scharfe Überwachung Carmichaels angeordnet haben. Bereits kurz nach dem March Against Fear in Mississippi im Sommer 1966 hatte das Weiße Haus beim FBI einen wöchentlichen Bericht über die Aktivitäten Carmichaels und des

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Ebd., S. 219-221. Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 129-130. Ebd., S. 146. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 240-241; Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 167-168. Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 168.

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Fragile kollektive Identitäten

SNCC angefordert.28 Darüber hinaus wendeten sich immer mehr langjährige Aktivist*innen vom SNCC ab. Im Januar 1967 verließ mit Marion Barry ein weiterer prominenter Aktivist die Organisation. In einem internen Bericht schrieb SNCC-Geschäftsführerin Ruby Robinson bereits im Oktober 1966, Carmichael tue alles dafür, der Presse ausreichend Munition zu liefern, um das SNCC zerstören zu können.29 Vor diesem Hintergrund erklärte Carmichael schon Anfang 1967, dass er nicht wieder als Vorsitzender antreten werde. Mit der Wahl des zu diesem Zeitpunkt relativ unbekannten H. Rap Brown sollte das SNCC weniger angreifbar und dem Personenkult, der sich um Carmichael gebildet hatte, entgegengesteuert werden. Carmichael selbst trat nach seinem Ausscheiden als Vorsitzender eine mehrmonatige Reise nach Kuba, Vietnam und in verschiedene andere europäische, asiatische und afrikanische Länder an, die seine nationale wie internationale Bekanntheit nochmals gesteigert haben dürfte.30 Die Erwartung, dass Brown in der Öffentlichkeit weniger polarisieren würde, erfüllt sich allerdings nicht. Im Vergleich zu Carmichael verhielt sich Brown bei seinen Reden weniger taktisch und kontrolliert. Auch war er nicht in der Lage, seine Botschaften bewusst so mehrdeutig zu formulieren, dass er vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt war.31 Stattdessen übertraf die Militanz von Browns Rhetorik bald diejenige von Carmichael. Nachdem es im Jahr 1965 in Los Angeles und 1966 auch in Chicago zu schweren Riots in mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Stadtvierteln gekommen war, eskalierte die Gewalt immer mehr und erreichte schließlich im Sommer 1967 einen neuen Höhepunkt. Das SNCC wurde dabei immer wieder für den Ausbruch von Gewalt mitverantwortlich gemacht. Besonders Carmichael und Brown wurde vorgeworfen, dass sie auf Demonstrationen zu Gewalt aufgerufen hätten. Tatsächlich hatte es im Anschluss an einige dieser Demonstrationen gewaltsame Ausschreitungen gegeben.32 Das SNCC wurde daraufhin im Sommer 1967 in das Counterin28 29 30 31 32

Joseph, Peniel E (2006): Waiting ›til the Midnight Hour: A Narrative History of Black Power in America, New York: Henry Holt and Co., S. 150, 159. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 230. Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 197ff. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 253. Vgl. Reed, Roy (1966): S.N.C.C. Assailed on Atlanta Riots, in: New York Times (08.09.1966), S. 1; Chicago Tribune (1966): Carmichael Denies Trying to Incite Atlanta Negroes to Riot, in: Chicago Tribune (02.10.1966), S. 7; New York Times (1966): Carmichael Freed on Bond In Selma, Ala., Riot Charge, in: New York Times (08.11.1966), S. 23; New York Times (1966): Carmichael Gets 60-Day Sentence, in: New York Times (30.11.1966), S. 23; New York Times (1967): Guard Withdrawn From Cincinnati; Riot Threat Over, in: New York Times (19.06.1967), S. 23; Franklin, Ben A. (1967): Chief of S.N.C.C. Hunted by F.B.I.; Missing Leader Accused of »Inciting to Riot« in Arson and Gunfire in Maryland, in: New York Times (26.07.1967), S. 1; Los Angeles Times (1967): Riots in 3 Cities Laid to Brown and Carmichael, in: Los Angeles Times (03.08.1967), S. 1; Siddon, Arthur

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

telligence Program (COINTELPRO) des FBI aufgenommen. Zwar beobachtet das FBI das SNCC bereits seit 1960 sporadisch und seit 1964 etwas intensiver; allerdings ging COINTELPRO über die bloße Überwachung von Organisationen hinaus und sah auch die gezielte Desinformation, Deskreditierung und Ausschaltung politisch ›gefährlicher‹ Gruppen vor. Im Fokus standen dabei vor allem die Aktivitäten von vermeintlich kommunistischen Gruppen in den USA. Die vom FBI dabei verwendeten Methoden wurden nach dem öffentlichen Bekanntwerden des Programms 1971 als illegal eingestuft.33 Im Oktober 1966 wurde in Oakland, Kalifornien, die Black Panther Party for SelfDefense (BPP) gegründet. Den Namen und das Symbol des schwarzen Panthers übernahm die kalifornische Black Panther Party von der LCFO in Alabama.34 Die BPP sprach sich für Schwarze Selbstbestimmung und Selbstorganisation aus und verfolgte ein sozialrevolutionäres Programm. Gleichzeitig unterstützte sie ausdrücklich die Bewaffnung Schwarzer Gemeinschaften in den USA, um diese in die Lage zu versetzen, sich vor weißer Gewalt und Polizeibrutalität zu schützen. Die BPP war strikt hierarchisch und paramilitärisch aufgebaut. Sie organisierte Nachbarschaftspatrouillen und martialisch anmutende Demonstrationen, bei denen BlackPanther-Mitglieder ihre Waffen offen zur Schau stellten. Regelmäßig kam es zu Schusswechseln zwischen einzelnen Mitgliedern der BPP und der Polizei. Eine Unterorganisation der BPP war die Black Liberation Army, die später in den Untergrund ging und durch bewaffnete Raubüberfälle und gezielte Polizistenmorde von sich reden machte.35 Innerhalb der BPP gab es durchaus unterschiedliche Ansichten darüber, was unter Selbstverteidigung zu verstehen sei. Für einige Mitglieder fielen darunter auch gewaltsame Angriffe auf Polizisten, denen Gewalttaten und Morde an Schwarzen vorgeworfen wurden.36 Die Verbindung zwischen der BPP und dem SNCC war von Beginn an sehr eng. Besonders Stokely Carmichael setzte sich dafür ein, die Beziehungen zwischen den Organisationen zu intensivieren. Viele SNCC-Aktivist*innen wechselten zur BPP oder engagierten sich hier wie dort. So koordinierte die ehemalige SNCC-Aktivistin

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(1967): 3 Black Power Groups Linked to Chicago Riots, in: Chicago Tribune (06.08.1967), S. 8; Bigart, Homer (1967): Rap Brown Calls Riots »Rehearsal For Revolution«, in: New York Times (07.08.1967), S. 1; Roberts, Gene (1967): Students at Fisk Stressing Blackness After Riot, in: New York Times (30.09.1967), S. 20; Herbers, John (1967): Riot Inquiry Hunts Lawless Elements; Senate Riot Inquiry Seeking Lawless Elements in Outbreaks, in: New York Times (02.11.1967), S. 1,53. Carson (1990): The Student Voice, 1960-1965: Periodical of the Student Nonviolent Coordinating Committee, S. 261-263. Austin (2006): Up Against the Wall: Violence in the Making and Unmaking of the Black Panther Party, S. 129. Ebd., S. 308. Ebd., S. 336.

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Fragile kollektive Identitäten

Kathleen Cleaver, die mit dem bekannten BPP-Aktivist*innen Eldridge Cleaver verheiratet war, die interne Kommunikation der BPP.37 Auch nahmen Carmichael, Brown und Forman im Sommer 1967 für kurze Zeit hochrangige Positionen innerhalb der BPP ein. Es gab sogar Verhandlungen über eine Zusammenführung der beiden Organisationen, die sich allerdings nie in die Tat umgesetzt wurden, da das SNCC dem Grundsatzprogramm der BPP die Zustimmung verweigerte. Trotz einer ähnlichen Agenda waren die beiden Organisationen unterschiedlichen politischen Grundsätzen verpflichtet. Während die sozialistisch orientierten Black Panther die Bedeutung von Klassenkonflikten in den Mittelpunkt stellten, betonte das SNCC zunehmend die Stärkung Schwarzer Identität in Abgrenzung zur weißen Mehrheitsgesellschaft.38 Obwohl das SNCC im Juni 1968 noch eine Erklärung verabschiedete, die der BPP ausdrücklich Unterstützung zusicherte, kam es nie zu einer Vereinigung der beiden Organisationen.39 Auf dem diesem Treffen wählte das SNCC eine neue Führung. Brown trat nicht wieder als Vorsitzender an. Aufgrund von gegen ihn laufenden Strafverfahren konnte er nicht einmal persönlich an dem Treffen teilnehmen. In den vorangegangenen Monaten hatten viele SNCCProjekte aufgeben müssen, weil die dort tätigen Aktivist*innen die Organisation verlassen hatten. Viele wichtige Führungspersönlichkeiten wie John Lewis, Julian Bond oder Bob Moses hatten sich ebenfalls längst von der Organisation abgewandt. Auch Stokely Carmichael kam nicht mehr zu SNCC-Treffen und wurde im Juli 1968 aus dem SNCC ausgeschlossen. Das SNCC begründete diesen Schritt damit, dass sich Carmichael und das SNCC in »unterschiedliche Richtungen« bewegen würden. Vermutlich stand jedoch ein Machtkampf zwischen Forman und Carmichael dahinter. Nach seinem Ausschluss aus dem SNCC engagierte sich Carmichael intensiver in der BPP. Doch auch diese Zusammenarbeit war nicht von langer Dauer. Nur ein Jahr später verließ er die BPP wieder und wanderte 1969 in das westafrikanische Guinea aus.40 Im Juni 1969, als auch die finanzielle Unterstützung des SNCC durch Spenden bereits merklich nachgelassen hatte, fand eines der letzten offiziellen SNCCTreffen statt. Das SNCC benannte sich dabei in Student National Coordinating Committee um. Auf dem gleichen Treffen schlug Brown vor, die Gruppe in eine paramilitärische Organisation umzuwandeln, die Black Revolutionary Action Party heißen solle. Browns Vorschläge wurden angenommen. Daraufhin erklärte der langjährige SNCC-Geschäftsführer James Forman seinen Austritt und Brown übernahm wieder die Führung der Organisation. Gegen Brown, der zu diesem Zeitpunkt schon

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Ebd., S. 39. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 280-282. Ebd., S. 284. Ebd., S. 290-292; Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 277.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

einige Monate im Gefängnis verbracht hatte, waren weitere Strafverfahren anhängig.41 Kurz vor Beginn einer für März 1970 anberaumten Gerichtsverhandlung gegen Brown explodierte eine Bombe in einem Fahrzeug der beiden langjährigen SNCC-Aktivisten Ralph Featherstone und William H. Payne in der Nähe des Ortes, an dem die Verhandlung gegen Brown stattfinden sollte. Beide Aktivisten starben bei der Explosion. Bis heute konnte nicht aufgeklärt werden, ob es sich bei dem Vorfall um einen Anschlag auf die beiden handelte oder ob sie selbst einen Anschlag auf das Gerichtsgebäude geplant hatten, die Bombe aber vorher unabsichtlich zündete. Brown verschwand daraufhin für 18 Monate und wurde erst im Oktober 1971 nach einem Raubüberfall in New York festgenommen. Er verbrachte fünf Jahre im Gefängnis.42 Auch wenn es nie zu einem formellen Auflösungsbeschluss kam, zerfiel das SNCC in den darauffolgenden Monaten und Jahren völlig. Im Dezember 1973 stellte das FBI die Überwachung des SNCC ein, weil von der Organisation in den »vergangen Jahren« keine bedeutenden Aktivitäten mehr ausgegangen seien.43

7.3.

Personelle und finanzielle Ressourcen des SNCC

Im Vergleich zu anderen Bürgerrechtsorganisationen verfügte das SNCC nur über relativ begrenzte finanzielle Ressourcen (vgl. Abbildung 6).44 Obwohl das SNCC lediglich 24.000 der insgesamt 500.000 US-Dollar der durch das VEP zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel für die Wählerregistrierung erhielt, beschäftigte die Organisation 1963 im Vergleich zu allen anderen Bürgerrechtsorganisationen die meisten Vollzeit-Mitarbeiter in der Wählerregistrierung in den Südstaaten. Das SNCC war in den Anfangsjahren mit einem verhältnismäßig geringen Budget ausgekommen. Das änderte sich, als die Organisation wuchs und sich stärker professionalisierte. Das SNCC war nun darauf angewiesen, sich alternative Finanzierungsquellen zu erschließen, und organisierte deshalb seit Anfang 1963 eigene Unterstützergruppen in den Nordstaaten. Diese als Friends of SNCC bezeichneten Gruppen, die private Spenden für das SNCC sammelten, hatten erheblichen Anteil an der Finanzierung der Organisation.45 Die Unterstützung durch Kirchen, Gewerkschaften und Stiftungen war dagegen nicht besonders ausgeprägt.46 Die mit

41 42 43 44 45 46

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 295-296. Ebd., S. 297-298. Ebd., S. 298. Vgl. Haines (1988): Black Radicals and the Civil Rights Mainstream, 1954-1970, S. 84. Hogan (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, S. 114-115; Haines (1988): Black Radicals and the Civil Rights Mainstream, 1954-1970, S. 104. Haines (1988): Black Radicals and the Civil Rights Mainstream, 1954-1970, S. 195.

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Fragile kollektive Identitäten

Abbildung 6: Jährliche Einnahmen des SNCC in US-Dollar

* = geschätzt. Quelle: Haines (1988), S. 84.

Abstand meisten Gelder erhielt das SNCC zwischen 1964 und 1965. Nach der Positionierung gegen den Vietnamkrieg, dem Aufkommen des Black-Power-Slogans und dem Ausschluss aller weißen Mitglieder aus der Organisation im Jahre 1966 brachen die Spendeneinnahmen des SNCC jedoch ein. Die neuen radikalen Positionen des SNCC hatten viele Spender zurückhaltender werden lassen. Das SNCC geriet dadurch seit 1966 in immer größere finanzielle Schwierigkeiten, die letztlich auch zur Auflösung der Organisation beitrugen.47

7.4.

Die Diskurse zwischen 1965 und 1968

Wie in den beiden Kapiteln zu den ersten beiden Untersuchungszeiträumen geht es auch in diesem Kapitel über die Zeit zwischen Mitte 1965 und Ende 1967 darum, auf Grundlage der am häufigsten genutzten Themen und Aktionsformen in den internen Diskursen des SNCC die für diese Phase zentralen Narrationen zu identifizieren und deren Veränderungen herauszuarbeiten. Zwischen Mitte 1965 und Ende 1967 waren die am häufigsten diskutierten Themen innerhalb des SNCC der Vietnamkrieg (11,3 Prozent), Black Power (10,5 Pro-

47

Ebd., S. 97-98.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

zent), Armut und soziale Lage (9,7 Prozent), Riots und Law-and-Order (8,3 Prozent), politische und ökonomische Macht (7,3 Prozent) sowie Community Organizing und Bildungsarbeit (7,7 Prozent) (vgl. Abbildung 7). Bemerkenswert ist dabei zunächst vor allem, dass alle diese Themen vergleichbar häufig diskutierten wurden. Das war in vorangegangen Phasen noch anders gewesen. In der ersten Untersuchungsphase (1960 – Mitte 1962) machten lediglich drei Themen (Segregation, Wahlrecht und Rechtliche Gleichstellung) über die Hälfte der diskutierten Themen aus, in der zweiten Untersuchungsphase (Mitte 1962 – Mitte 1965) waren dies dann bereits vier Themen (Wahlrecht, Repression und Gewalt, Community Organizing und Bildungsarbeit sowie Rechtliche Gleichstellung). In der letzten Untersuchungsphase gab es insgesamt sechs Themen, die in über der Hälfte aller Debatten angesprochen wurden. Es änderten sich also nicht nur die Themen, über die diskutiert wurde, sondern auch die Diversität der Themenpalette. Während sich in der ersten Phase noch klare Schwerpunkte bei den diskutierten Themen erkennen lassen, wurde das Spektrum der diskutierten Themen in der letzten Untersuchungsphase zunehmend breiter. Darüber hinaus erhöhte sich die Anzahl der insgesamt diskutierten Themen zwischen der ersten und der letzten Untersuchungsphase von 13 auf 17. Die Ausdifferenzierung der Themenpalette ist demnach ein hervorstechendes Merkmal in der Entwicklung des SNCC in dieser Phase. Aber auch in qualitativer Hinsicht kann von einem Umbruch in den SNCCinternen Diskussionen gesprochen werden. Die Themen Segregation und Integration (1,8 Prozent) sowie Rechtliche Gleichstellung (3,8 Prozent) versanken nahezu in der Bedeutungslosigkeit. Diese beiden Themen, die vor allem die Anfangsjahre der Organisation erheblich geprägt hatten, wurden nun zu Nischenthemen, die für viele SNCC-Aktivist*innen jegliche politische Relevanz verloren hatten. Ähnliches gilt auch für das Thema Wahlrecht. Obwohl es in der zweiten Untersuchungsphase (Mitte 1962 – Mitte 1965) noch das mit Abstand am häufigsten diskutierte Thema gewesen war, verlor es mit der Verabschiedung des Voting Rights Act substanziell an Bedeutung. Lediglich 4,7 Prozent der untersuchten Dokumente beschäftigten sich in dieser Phase mit der Frage des Wahlrechts für Schwarze. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch bei den politischen Aktionsformen beobachten (vgl. Abbildung 8). So erhielt die Arbeit in der Wählerregistrierung nach dem Inkrafttreten des Voting Rights Act deutlich weniger Zuspruch. Diese Aktionsform wurde gerade einmal noch in 5 Prozent der Dokumente angesprochen. Diese Entwicklung zeigt, dass der Voting Rights Act unmittelbar nach seiner Unterzeichnung eine spürbare Wirkung entfaltete. Die Registrierung von Wähler*innen durch bundesstaatliche Beamte ließ viele SNCC-Projekte in den Südstaaten überflüssig werden. Die SNCC-Aktivist*innen riefen in dieser Zeit neue politische Projekte ins Leben oder wechselten in staatliche Registrierungsprogramme. Aber auch das The-

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Abbildung 7: Themen des SNCC-Diskurses (07.08.1965-22.10.1968) nach Häufigkeit in Prozent*

* N = 530 Nennungen in 129 Dokumenten

ma Polizeigewalt und Gewalt von Weißen gegen das SNCC kommt nur noch auf einen Anteil von knapp 6,1 Prozent in den Debatten (vgl. Abbildung 7). Auch diese Entwicklung stand im unmittelbaren Zusammenhang mit der Auflösung zahlreicher SNCC-Projekte. Andere Themen erfuhren hingegen in den Debatten eine erhebliche Aufwertung. Nachdem die USA seit Anfang 1965 mit Bodentruppen stärker in den Vietnamkrieg involviert waren und immer mehr junge Männer zum Wehrdienst eingezogen wurden, kam die damit verbundene Kontroverse auch in den SNCC-internen Debatten an und avancierte innerhalb kürzester Zeit zum am häufigsten diskutierten Thema in der Organisation (11,3 Prozent). Die US-Intervention in Indochina beschäftigte die SNCC-Aktivist*innen wie kein anderes Thema zwischen 1965 und 1967. An zweite Stelle rückte die Debatte um Black Power und black nationalism. Diese Debatte, die Stokely Carmichael mit seiner Rede im Juni 1966 in Jackson ausgelöst hatte, prägte das SNCC in der gesamten letzten Untersuchungsphase. Über 10,5 Prozent der untersuchten Dokumente beschäftigten sich damit. Auch Beschäftigung, Armut, soziale Lage und Ghettos (9,7 Prozent) sowie Community Organizing und Bildungsarbeit (7,7 Prozent) blieben von annähernd gleich hoher Relevanz. Der Wandel in Bezug auf die Inhalte spiegelt sich auch in der Schwerpunktsetzung bei den politischen Aktionsformen wider, die in den bewegungsinternen

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

Debatten in dieser Untersuchungsphase eine Rolle spielten (vgl. Abbildung 8). Demonstrationen und Kundgebungen wurden wieder zu den beliebtesten Aktionsformen (20,7 Prozent) der SNCC-Aktivist*innen. Aber auch die Gründung von Schwarzen Selbsthilfeorganisationen und Bildungsprojekten wurde in dieser Zeit in der Organisation intensiv besprochen (18,6 Prozent). Anhaltend populär war die Parteiarbeit (12,0 Prozent). Nach wie vor engagierten sich viele SNCC-Aktivist*innen in der MFDP, aber auch in anderen Parteien, wie etwa den verschiedenen Ablegern der Black Panther Party.

Abbildung 8: Aktionsformen im SNCC-Diskurs (07.08.1965-22.10.1968) nach Häufigkeit in Prozent*

* N = 261 Nennungen in 129 Dokumenten

Darüber hinaus trat eine weitere politische Aktionsform auf den Plan, die vorher innerhalb des SNCC nahezu keine Rolle gespielt hatte: Die Gründung und Organisation von sogenannten Selbstverteidigungsgruppen, die in Schwarzen Communitys patrouillierten und Schwarze vor Übergriffen vor allem durch weiße Polizist*innen schützen sollten, wurde seit 1965 zu einem bedeutenden Feld politischer Betätigung von SNCC-Aktivist*innen (11,6 Prozent). Diese Entwicklung ist vor allem insofern bemerkenswert, als auf der Ebene der bewegungsinternen Diskurse die Debatten über Repression und Gewalt gegen das SNCC im gleichen Zeitraum zurückgingen. Dies deutet darauf hin, dass die SNCC-Aktivist*innen ihre Forderung nach mehr Schutz für Schwarze nicht mehr länger an staatliche Behörden

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adressierten und stattdessen damit begannen, diese Aufgabe selbst in die Hand zu nehmen und dazu eigene Selbstverteidigungsstrukturen aufzubauen. Statistisch zu vernachlässig ist hingegen die Nennung von offensiv-gewaltsamen Aktionsformen. Zwar wurde in dieser Untersuchungsphase erstmals über diese Aktionsformen (3,7 Prozent) diskutiert, allerdings stand diese Aktionsform beim SNCC niemals im Mittelpunkt und stellte daher nur eine Randerscheinung dar. Folglich können drei größere Veränderungen auf der Ebene der diskutierten Themen und der genannten politischen Aktionsformen ausgemacht werden: Erstens kam es nach dem Inkrafttreten des Voting Rights Act zu einem erheblichen Bedeutungsverlust des Wahlrechts als einem ursprünglichen Kernthema der Organisation. Das ging einher mit einem Niedergang der meisten Wählerregistrierungsprojekte des SNCC. In den Mittelpunkt rückten nun zunehmend soziale Fragen wie Armut, Bildung, Wohn- und Lebensbedingungen sowie Arbeitsmöglichkeiten der Schwarzen Bevölkerung. Diese neuen Themen beeinflussten auch die politische Arbeit des SNCC. SNCC-Aktivist*innen gründeten in dieser Zeit Schwarze Selbsthilfeorganisationen auf lokaler Ebene und unterstützen den Aufbau von Schwarzen Parteien wie der Black Panther Party in Lowndes County. Zweitens wurde die Opposition zum Vietnamkrieg zu einem zentralen Bezugspunkt in den Diskussionen für die SNCC-Aktivist*innen. Das SNCC unterstützte Wehrdienstverweigerer und rief zu Protestdemonstrationen gegen den Krieg auf. Auch war sie die erste Bürgerrechtsorganisation, die sich gegen den Vietnamkrieg aussprach. Drittens wurde im SNCC vermehrt über Schwarzes Selbstbewusstsein (black consciousness) und Separatismus diskutiert. Diese Debatte sollte schließlich mit der Kontroverse um Black Power im Juni 1966 auch die breite US-amerikanische Öffentlichkeit erreichen. Viele SNCC-Aktivist*innen vertraten nun zunehmend Positionen des black nationalism und forderten politische Selbstbestimmung für die in den USA lebenden Schwarzen. Gleichzeitig verband sich diese Debatte mit der Auseinandersetzung über die antikolonialen Bewegungen in den afrikanischen Staaten. Dadurch erhielt der SNCC-interne Diskurs eine stärker internationale Ausrichtung.

7.4.1.

Von der Wählerregistrierung zur Stärkung von Selbsthilfe

Rückblickend war die Verabschiedung des Voting Rights Act einer der folgenschwersten Momente in der Geschichte des SNCC. Durch die neue Gesetzgebung verlor die Wählerregistrierung, die das SNCC und andere Bürgerrechtsorganisationen in den Südstaaten betrieben, innerhalb weniger Jahre an Bedeutung. Zahlreiche der SNCC-Projekte wurden nach dem Inkrafttreten des Gesetzes aufgegeben,48 da nun die Bundesbehörden ermächtigt waren, die Wählerregistrierung unabhängig 48

Stoper (1977): The Student Nonviolent Coordinating Committee: Rise and Fall of a Redemptive Organization, S. 27.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

von den jeweiligen lokalen oder den Behörden der jeweiligen Bundesstaaten vorzunehmen. Auch war das Bestehen von speziellen Tests nun keine Voraussetzung für die Registrierung mehr. In der Folge stieg der Anteil Schwarzer Wahlberechtigter enorm an, wodurch das politische System in den Südstaaten de facto völlig neu geordnet wurde.49 John Lewis beschrieb den Voting Rights Act wenige Jahre später als den vermutlich bedeutendsten Wendepunkt für die Schwarze Bewegung. Erstmals waren Hunderttausende Schwarze in den Südstaaten in der Lage, wählen zu gehen.50 Allerdings änderte die neue Gesetzgebung auch die politische Ausgangslage für den SNCC: Ein nicht unbedeutender Teil der politischen Arbeit des SNCC wurde nun quasi über Nacht obsolet.51 James Forman, der im Jahre 1965 SNCCGeschäftsführer war, beschrieb die Auswirkungen des Voting Rights Act einige Jahre später folgendermaßen: »[I]n 1965 the Voting Rights Act did eliminate the literacy requirements, and therefore a lot of people began to register to vote. And that’s directly related to the work of the Student Nonviolent Coordinating Committee as well as allied groups.«52 Das SNCC hatte jahrelang den Schwerpunkt seines Engagements auf Wählerregistrierung und Community Organizing gelegt. Die neue Wahlrechtsgesetzgebung und Präsident Johnsons großes sozialpolitisches Reformprogramm der Great Society, das zu einer Ausweitung der Armutsbekämpfungsprogramme insbesondere in den Südstaaten führte, stellten die Organisation jedoch vor große Herausforderungen. Die SNCC-Projekte wurden in dieser Zeit durch Bundesprogramme regelrecht aufgekauft. So wurde vielen SNCC-Aktivist*innen angeboten, zu staatlich finanzierten Wählerregistrierung- und Armutsbekämpfungsprogrammen zu wechseln. Viele nahmen dieses Angebot an. Nicht zuletzt auch deswegen, weil man in den staatlichen Programmen wesentlich mehr verdienen konnte als beim SNCC. Während das SNCC seinem field staff ungefähr 10 US-Dollar pro Woche zahlen konnte, erhielten die Aktivist*innen in den Bundesprogrammen bis zu 125 US-Dollar pro Woche. Für viele war das ein Anreiz aus den SNCC-Projekten auszusteigen und

49

50 51 52

Piven/Cloward (1979): Poor People’s Movements: Why They Succeed, How they Fail, S. 252; Stoper (1977): The Student Nonviolent Coordinating Committee: Rise and Fall of a Redemptive Organization, S. 27. Lewis, John (1973): Interview: John Lewis, Atlanta, Georgia, www.crmvet.org/nars/lewis73.htm (abgerufen am: 15. April 2016). Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 448. Forman, James (1988): SNCC, Voter Registration & the Consequences Remembrance of James Forman, From Trinity College SNCC Reunion, April 1988, www.crmvet.org/nars/forman88.htm (abgerufen am: 14. Dezember 2018).

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in staatlichen Projekten weiterzuarbeiten.53 In einem Interview äußerte sich der SNCC-Aktivist Charles Cobb zur Situation nach 1965: »[A] lot more money came into the states we were working in. A lot of the people we were working with became a part of Head Start [Programm des US-Gesundheitsministeriums zur frühkindlichen Bildung, das Kinder aus einkommensschwachen Familien in ihrer Vorschulzeit unterstützt; d. Verf.] and various kinds of poverty programs. We were too young to really know how to respond effectively. How could we tell poor sharecroppers or maids making a few dollars a day to walk away from poverty program salaries or stipends?«54 Auch die vom SNCC angestoßenen politischen Projekte wie etwa die MFDP wurden nach dem Voting Rights Act schrittweise vom etablierten politischen System aufgesogen. Das SNCC hatte in wenigen Jahren wichtige politische Erfolge erzielt. Die strikte Segregation war in vielen Teilen der Südstaaten aufgebrochen und das Wahlrecht für Schwarze de facto geöffnet worden. Trotz oder vielmehr gerade wegen dieser bemerkenswerten politischen Bilanz befand sich das SNCC in einer schwierigen Situation. Cobb merkte dazu an: »After we got the Civil Rights Act in 1964 and the Voting Rights Act in 1965, a lot of groups that we had cultivated were absorbed into the Democratic Party. […] Further, we were struggling to figure out what to do with our own organization. We were struggling with what to do with success, what to do with victory. We had accomplished what we set out to do initially to get a voting rights act and bring down the racial barriers in public accommodations. So the question was, as MLK [Martin Luther King] put it in the title of his book in 1967, where do we go from here? We never really solved that problem.«55 Der Voting Rights Act und die Armutsbekämpfungsprogramme waren ein Einschnitt für die politische Arbeit des SNCC. Die Frage »Where do we go from here?« rückte in den Mittelpunkt der SNCC-internen Diskussionen. Deutlich wurde dies bereits auf dem Staff Meeting des SNCC im November 1965. Dort wurde über die jüngsten Erfolge der Lowndes County Freedom Organization (LCFO) berichtet und diskutiert. Ursprünglich war die LCFO im März 1965 von SNCC-Aktivist*innen als Wählerregistrierungsprojekt gegründet worden. Nur wenige Monate später trat jedoch der Voting Rights Act in Kraft und Lowndes County gehörte zu einem von neun Südstaaten-Countys, in denen kurz darauf bereits die ersten Bundesbeamten ihre

53 54 55

Stoper (1989): The Student Nonviolent Coordinating Committee: The Growth of Radicalism in a Civil Rights Organization, S. 42. Cobb, Charles E. (2012): Black Politics and the Establishment: An Interview With Charles E. Cobb, Jr., www.crmvet.org/nars/cobb12.htm (abgerufen am: 15. April 2016). Ebd.

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Arbeit bei der Wählerregistrierung aufnahmen.56 Obwohl der Anteil der Schwarzen Bevölkerung im County bei circa 80 Prozent lag, gab es im Frühjahr 1965 nicht eine einzige Schwarze Person, die dort zu Wahlen zugelassen war. Nach dem Voting Rights Act änderte sich das sehr schnell. Bereits im Oktober 1965 war die Hälfte der Schwarzen Bevölkerung durch Bundesbeamte registriert worden.57 Daraufhin wandelte sich das SNCC-Projekt unter Stokely Carmichael als Koordinator zu einer Selbsthilfeorganisation und wenig später auch zu einer politischen Partei. Im Mittelpunkt stand nicht mehr die Wählerregistrierung, sondern das politische Empowerment der vornehmlich Schwarzen Bevölkerung, um diese zur aktiven politischen Teilhabe zu bewegen. Es war das erklärte Ziel der LCFO, durch die Gründung der sogenannten Black Panther Party und das Aufstellen von Kandidaten für Wahlen die etablierten Machtstrukturen aufzubrechen und wichtige politische Schlüsselpositionen im County zu besetzen.58 Die Gründung einer eigenen Partei war nur aufgrund einer Besonderheit im Wahlgesetz in Alabama möglich. Dieses Gesetz erlaubte es, dass neben den beiden etablierten Parteien auch andere politische Parteien auf County-Ebene zu Wahlen antreten durften. Um die Partei offiziell registrieren zu können, benötigte sie lediglich ein offizielles Erkennungssymbol. Die Aktivist*innen in Lowndes County wählten einen schwarzen Panther als Parteisymbol – ein Erkennungsmerkmal, das durch eine Gruppe in Oakland, Kalifornien, adoptiert wurde, die später als Black Panther Party bekannt werden sollte. In einer Ausgabe von der Zeitung The Movement aus dem Januar 1966 wurden die neue politische Partei aus Alabama und ihre politischen Ziele ausführlich vorgestellt: »The Voting Rights Bill opened the door for the party of the black panther, and helped to make Alabama the scene of new direction inside the movement. The word now is political power: the way getting a sheriff who protects people instead of murdering them; the way of getting a school board that will educate Negro children.«59 Wie die Mississippi Democratic Freedom Party (MFDP) in Mississippi, so trat auch die Lowndes County Black Panther Party, die aus der LCFO entstanden war, als Alternative zur Demokratischen Partei in ihrem Bundesstaat an. Denn auch die Demokraten in Alabama hatten Schwarzen systematisch die Teilnahme an parteiinternen Wahlen oder Kandidatenaufstellungen verwehrt. Im Gegensatz zur MFDP zielte die 56 57 58

59

Garrow, David J. (1978): Protest at Selma: Martin Luther King, Jr., and the Voting Rights Act of 1965, Yale University Press, S. 178. Jeffries, Hasan Kwame (2006): SNCC, Black Power, and Independent Political Party Organizing in Alabama, 1964-1966, in: The Journal of African American History 91/2, S. 171-193, hier S. 181. SNCC (1965): Minutes Student Nonviolent Coordinating Commmittee, Staff Meeting, 24-29. November 1965, Atlanta, S. 4, https://www.crmvet.org/docs/6511_sncc_staff_min.pdf (abgerufen am: 14. Dezember 2018). SNCC of California (1966): The Movement – January 1966 VOL. 2 NO. 1, S. 1,8.

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Lowndes County Black Panther Party jedoch nicht darauf ab, die Demokratische Partei Alabamas irgendwann abzulösen oder zu beerben. Vielmehr verstand sie sich als Graswurzel-Bewegung, die außerhalb des Parteiensystems stand und die sich das Ziel gesetzt hatte, politische Macht zu erlangen, um dadurch die Lebensbedingungen von ökonomisch und politisch marginalisierten Schwarzen substanziell zu verbessern.60 Sich weiter innerhalb der etablierten Strukturen des politischen Systems zu bewegen, schien den Aktivist*innen in Lowndes County nicht Erfolg versprechend. Stokely Carmichael und Charles V. Hamilton beschrieben in ihrem Buch »Black Power – The Politics of Liberation in America« (1967) die Rolle der neuen Partei wie folgt: »The lessons of the Mississippi Freedom Party’s experience were all too clear. […] If the Democratic (or any other) party was not to recognize and respect the mobilized power of black people, those people would have to organize independently.«61 In einem Gespräch mit der New York Times begründet der SNCC-Aktivist Courtland Cox im Dezember 1965 die Gründung des LCFO damit, dass die Teilnahme von Schwarzen an den Vorwahlen der Demokraten auf lokaler Ebene einer Farce gleichkommen würde. Letztlich würden sich bei solchen Wahlen immer weiße Kandidaten durchsetzen, die nicht die Interessen der Schwarzen Bevölkerung vertreten.62 Ähnlich begründet auch die Student Voice in ihrer Ausgabe im Dezember 1965 die Legitimität der neuen politischen Partei in Alabama: »Knowing that they will be unable to pierce the present white power structure, they came up with what they considered a viable alternative – an independent political organization, organized on county level.«63 Die Menschen in Lowndes County, so die Student Voice, hätten sich geweigert, lediglich darüber abstimmen zu können, wer ihr Unterdrücker sein solle. Ihr gerade erkämpftes Wahlrecht wäre dadurch bedeutungslos geworden.64 Stokely Carmichael wurde in einem Interview, das kurz vor seiner Wahl zum SNCC-Vorsitzenden 1966 in The Movement erschien, noch deutlicher. Seiner Ansicht nach stellen die etablierten Machtstrukturen weißer Grundbesitzer die größte Hürde für Schwarze dar, an politische Macht zu gelangen: 60 61 62 63 64

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 165-166; Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 92-93. Carmichael/Hamilton (1967): Black Power: The Politics of Liberation in America, S. 106. Roberts, Gene (1965): Student Rights Group Lacks Money and Help but Not Projects, in: New York Times (10.12.1965). Carson (1990): The Student Voice, 1960-1965: Periodical of the Student Nonviolent Coordinating Committee, S. 232. Ebd.

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»Now we’re going to change that, and the only way to change that is to get rid of all those whites. It’s very simple – we’re taking over the political machinery.«65 Carmichael kritisiert in diesem Interview die Demokratische Partei heftig und schließt eine Zusammenarbeit mit ihr aus. Sie habe in Mississippi deutlich gemacht, für was sie stehe, indem sie die MFDP nicht habe anerkennen wollen. Die führenden Demokraten hätten ihren Machtanspruch auf Kosten der Schwarzen Bevölkerung sichern wollen: »So we said to them – fine, in Alabama we don’t recognize you. We’re the power in these counties and that’s the way it has to be.«66 Im Namen der LCFO lehnte Carmichael eine Zusammenarbeit auch mit anderen etablierten Gruppen ab. Nur mit anderen »aufständischen Kräften« aus dem Spektrum der »neuen Bewegungen« könne er sich Koalitionen vorstellen. Das SNCC habe bereits damit begonnen, indem es beispielsweise in Kalifornien die Bewegung streikender Landarbeiter unterstütze.67 Zum Jahreswechsel 1965/1966 kursierte ein von Courtland Cox verfasstes Positionspapier mit dem Titel »What Would it Profit a Man to Have the Vote and Not be Able to Control it?« innerhalb des SNCC, das den neuen politischen Weg der Organisation vorzeichnete. Cox argumentierte darin, dass allein das Wahlrecht die Lebenssituation vieler Schwarzer kaum verbessern werde. Solange Schwarze – sowohl in den Süd- als auch in den Nordstaaten – nicht in der Lage seien, politische Macht zu erlangen, würden viele von ihnen auch weiterhin in Armut leben müssen. Daher sei es jetzt an der Zeit, dass die Bewegung den »Raum der Politik« betrete. Die Kraft für diesen Schritt komme allerdings von den »Opfern der politischen Ausgrenzung im Lande« und nicht von den etablierten Bürgerrechtsorganisationen wie CORE, SNCC oder SCLC. Diese Organisationen können jedoch einen Rahmen für die politische Selbstorganisation dieser Menschen bieten.68 Ausgehend von der Idee der Lowndes County Freedom Organization, beschrieb Cox in dem Positionspapier eine politische Philosophie Schwarzer Selbstbestimmung, die nicht nur das SNCC, sondern auch andere Schwarze Gruppen, wie später die Black Panther in Oakland, prägen sollte. Die Forderung nach Schwarzer Selbstbestimmung löste die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung und sozialer Teilhabe ab und war eine Kampfansage an die liberale politische Elite, die jahrelang das SNCC unterstützt hatte. Für Carmichael und Cox ging es nicht mehr darum, einen Platz in dem von Weißen dominierten System einzunehmen, sondern eigene Strukturen der politischen 65 66 67 68

SNCC of California (1966): The Movement – Feburary 1966 VOL. 2 NO. 2, S. 8. Ebd. SNCC of California (1966): The Movement – March 1966 VOL. 2 NO. 3, S. 1. Cox, Courtland (1965): What Would it Profit a Man to Have the Vote and Not be Able to Control it?, www.crmvet.org/docs/courtcox.htm (abgerufen am: 6. Mai 2016).

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Organisation zu schaffen. Lowndes County war ein erster Schritt, um diesem Ziel näher zu kommen. Cox stellt dazu in seinem Papier fest: »The right of people to make decisions about their own lives is the most fundamental right that a member of a democratic society can have. And this is the perspective from which the concept of freedom organizations evolved.«69 Obwohl es sich bei der LCFO nur um eine Partei auf County-Ebene handelt, sah sie sich schon bald einer Welle an Kritik vonseiten etlicher Bürgerrechtsorganisationen, der Demokratischen Partei und der liberalen Presse ausgesetzt. Da das Wahlrecht in Alabama nur die Teilnahme an einer einzigen Vorwahl vorsah, konnten Wahlberechtigte nur entweder bei den Demokraten oder bei der LCFO abstimmen. Martin Luther Kings SCLC kritisierte offen den Aufruf des SNCC und unterstützte bei den Vorwahlen die moderaten Bewerber der Demokratischen Partei.70 Der LCFO wurde vorgeworfen, die gerade neu gewonnenen Schwarzen Wählerstimmen zu spalten und dadurch die liberalen Kräfte im Bundesstaat zu schwächen. Der Aufruf des SNCC, die Vorwahlen der Demokratischen Partei im Lowndes County zu boykottieren und stattdessen bei der LCFO abzustimmen, brachte dem SNCC harsche Kritik ein. Stokely Carmichael wiederum hielt dagegen und erklärte kurz vor den Vorwahlen in der New York Times: »To ask Negroes to get in the Democratic Party is like asking Jews to join the Nazi party.«71 Nur einen Tag später erschien ein Kommentar in der New York Times, in dem der Boykottaufruf des SNCC in Alabama als »destruktive Hetzerei« bezeichnet wurde. Der Autor sah darin einen Akt der politischen Sabotage an den Reformbemühungen in dem Bundestaat. Erstmals hätten Schwarze die Möglichkeit, in den Vorwahlen der Demokraten die Segregationist*innen innerhalb der Partei abzuwählen und für moderate, liberale Kandidat*innen zu stimmen. Die Mobilisierung für eine dritte Partei spalte jedoch die Schwarze Wählerschaft und könne dadurch letztlich den Segregationist*innen zum Wahlsieg verhelfen. Die »Alles-oder-nichts«Haltung der »Extremisten« werde nur zu Frustration und Enttäuschung führen, so der Kommentar.72 Obwohl der Widerstand vonseiten der liberalen Eliten gegen das SNCC und die LCFO enorm war, fanden die Vorwahlen planmäßig am 3. Mai 1966 in Lowndes County statt. Die große Anzahl Wahlberechtigter, die an den Vorwahlen für die Black Panther Party teilnahmen, und die wenigen Schwarzen Kandidat*innen, die für die Demokratische Partei angetreten waren, machten die 69 70 71 72

Ebd. Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 97-98. Roberts, Gene (1966): Alabama Negroes Urged Not to Vote, in: New York Times (20.04.1966), S. 27. New York Times (1966): Sabotage in Alabama, in: New York Times (21.04.1966), S. 38.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

Vorwahlen zu einem großen Erfolg für die junge Bewegung in Lowndes County, der landesweit für großes Aufsehen sorgte. Carmichael berichtete später in dem Buch »Ready for Revolution« (2003)73 , dass die Vorwahlen nur deswegen stattfinden konnten, weil die LCFO mit der gewaltsamen Durchsetzung der Wahlen gedroht hatte. Bis zum Schluss hätten der County-Sheriff, der Gouverneur und die Bundesregierung versucht, den Parteikongress zu verhindern. Erst als Carmichael offen eine Gewalteskalation in Aussicht stellte, konnte der Kongress zur Aufstellung der Kandidat*innen stattfinden.74 Nach den Vorwahlen verschärfte Carmichael seinen Ton weiter und griff die Demokratische Partei immer wieder an. So erklärte er im Juni 1966 in einem Interview: »The Democratic Party in this country is the most treacherous enemy of the Negro, period. […]. The only way the Negro in Alabama will get justice is to smash the Democratic Party.«75 Carmichael brach durch diese Aussage offen mit der Demokratischen Partei, die auf Bundesebene den Civil Rights Act und den Voting Rights Act ermöglicht hatte und die jahrelang als ein wichtiger Verbündeter der Bürgerrechtsbewegung galt. Einen Sieg der Segregationsbefürworter*innen bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei nahm Carmichael bewusst in Kauf. Für ihn war das Konzept der Integration an sich gescheitert und nur noch ein Hindernis für die weitere Emanzipation der Schwarzen Bevölkerung: »We’ve been caught in what I call the pitfall of integration. […] The reason the Negro is in the position he’s in today is not because he’s not integrated, but because he doesn’t have ›power‹. Integration is an insidious subterfuge for white supremacy.«76 Im gleichen Interview sprach sich Carmichael dafür aus, dass Schwarze und Weiße getrennt voneinander in der Bewegung »kämpfen« müssten. Für eine gemeinsame Bewegung sieht er keine Zukunft mehr. Wichtig sei nun, dass Schwarze allein ihre Interessen verfolgten. Er hält fest: »We have to have control over our own fight right now. In this country anything all black could never be worse than it has been all white. Things have been all white too long. We’re going to change that.«77

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Carmichael, Stokely und Michael Thelwell (2003): Ready for Revolution: The Life and Struggles of Stokely Carmichael (Kwame Ture), Simon and Schuster. Ebd., S. 471-472. Hulett, John, Stokely Carmichael und John Benson (1966): The Black Panther Party, New York: Merit Publishers (Books and Pamphlets on the Afro-American Struggle), S. 25-26. Ebd., S. 28. Ebd., S. 27.

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Fragile kollektive Identitäten

Im September 1966 führt er seine Kritik am Integrationsansatz in einem Artikel für die New York Review of Books weiter aus. Integration sei ein Problem des Schwarzen Selbstbewusstseins. Es gehe davon aus, dass Schwarze in weiße Nachbarschaften ziehen müssten, um annehmbare Wohnbedingungen und gute Bildung erhalten zu können. Das führe automatisch dazu, dass »Weißsein« als etwas Besseres als »Schwarzsein« wahrgenommen werde – auch innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft. Deshalb sei das Konzept von Integration eine Täuschung zur Aufrechterhaltung der weißen Überlegenheit.78 Auf dem SNCC-Staff-Meeting, das nur wenige Tage nach den Vorwahlen am 8. Mai 1966 in Kingston Springs, Tennessee, stattfand, dominierte die LCFO die Diskussionen. Enthusiastisch wurde der Erfolg der Black Panther Party aufgenommen. Das politische Programm, das in Lowndes entwickelt worden war, sahen viele nun als Grundlage für die zukünftige Arbeit des SNCC. Die seit dem WavelandTreffen und dem Voting Rights Act anhaltende Phase der Neuorientierung des SNCC schien zu einem Ende gekommen zu sein. Der SNCC-Aktivist Cleveland Sellers erklärte im Rückblick auf dieses Treffen: »We were convinced that we had found the lever we had been searching for.«79 Nachdem viele SNCC-Wählerregistrierungsprojekte nach Inkrafttreten des Voting Rights Act verschwanden, bot der Aufbau von politischen Graswurzelorganisationen den Aktivist*innen ein neues Feld zur politischen Betätigung. Gleichzeitig ließ die trotz der errungenen politischen Erfolge anhaltende rassistische Diskriminierung viele SNCC-Aktivist*innen gegenüber dem politischen System auf Distanz gehen. Das ging einher mit einer wachsenden Ablehnung des Integrationsansatzes und mit einer stärkeren Bezugnahme auf die eigene Schwarze Identität, auf die weiter unten noch einmal eingegangen werden soll. Dieser Diskurs wiederum vermischte sich mit dem Widerstand gegen den Vietnamkrieg, der sich seit Mitte 1965 zu organisieren begann.

7.4.2.

Vietnamkrieg

Am 4. August 1964, dem Tag, an dem die Leichname der drei Freedom-SummerAktivisten Goodman, Schwerner und Chaney in Mississippi gefunden worden waren, erklärte US-Präsident Johnson den Beginn von Luftangriffen auf Nordvietnam als Vergeltung für einen vermeintlichen nordvietnamesischen Angriff auf ein US-Kriegsschiff im Golf von Tonkin. Die USA traten damit erstmals direkt auf der Seite von Südvietnam in den Krieg gegen das kommunistische Nordvietnam

78 79

Carmichael, Stokely (1966): What We Want, in: The New York Review of Books 7/4, S. 5-6,8. Jeffries, Hasan Kwame (2006): SNCC, Black Power, and Independent Political Party Organizing in Alabama, 1964-1966, in: The Journal of African American History 91/2, S. 171-193, hier S. 183.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

ein. Indirekt hatte die USA diesen Krieg zwar schon seit Längerem unterstützt, allerdings ohne selbst Soldaten in Kämpfen einzusetzen. Der Krieg in Südostasien rückte durch diese Intervention erstmals in den Fokus der US-amerikanische Öffentlichkeit. Bereits während des Freedom Summer gab es erste Kritik an der Kriegsbeteiligung. Einige SNCC-Aktivist*innen äußerten Unverständnis drüber, dass die Bundesregierung nicht willens war, Bürgerrechtler*innen in den Südstaaten vor Übergriffen zu schützen, stattdessen aber die Streitkräfte ohne Weiteres um die halbe Welt schicke, ohne dass es dafür nachvollziehbare Gründe gebe.80 Es sollte allerdings noch einige Zeit dauern, bis sich die Friedensbewegung gegen den Krieg in Vietnam formierte. Erst im April 1965 kam es zu einer ersten großen Protestdemonstration der Students for a Democratic Society (SDS) in Washington mit knapp 20.000 Teilnehmer*innen, an der sich auch SNCC-Aktivist*innen wie Staughton Lynd und Bob Moses beteiligten. Obwohl sich einzelne SNCCAktivist*innen immer wieder gegen den Krieg aussprachen, war die Zurückhaltung innerhalb der Organisation zunächst groß, offiziell zum Vietnamkrieg Stellung zu beziehen. Hintergrund war die Befürchtung, dass das SNCC mit einer kritischen Position zum Vietnamkrieg in der Öffentlichkeit leicht als kommunistisch unterwandert gebrandmarkt werden könne. Zudem war es im Sommer 1965 nicht gut um die Finanzen des SNCC nicht gut bestellt. Auch weil eine Erklärung des SNCC gegen den Krieg einen Einbruch von Spendengeldern zur Folge hätte haben können, rieten einige Aktivist*innen davon ab.81 Etliche SNCC-Aktivist*innen sprachen sich dennoch öffentlich gegen den Vietnamkrieg aus. Das erste Flugblatt, das Schwarze dazu aufrief, nicht in Vietnam in zu kämpfen, wurde im Juli 1965 durch die SNCC-Aktivisten Joe Martin und Clint Hoppson in McComb in Umlauf gebracht, nachdem John Shaw, ein ehemaliger lokaler SNCC-Aktivist, in Vietnam getötet worden war. Das Flugblatt selbst wurde wenig später im MFDP-Newsletter veröffentlicht und sorgte für heftige Kritik.82 So verurteilten die beiden Bürgerrechtler und NAACP-Mitglieder Charles Evers und Aaron Henry bereits kurz nach dem Erscheinen des Aufrufes diese Haltung und forderten alle Schwarzen und weißen US-Bürger dazu auf, den Kampf für die Freiheit auch außerhalb der USA zu unterstützen.83 Die beiden Autoren des Flugblattes argumentierten allerdings nicht aus einer pazifistischen Grundhaltung heraus gegen den Vietnamkrieg, sondern wendeten

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82 83

Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 60-61. Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 372; Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 101-102; Sellers, Cleveland (1990): The River of No Return: The Autobiography of a Black Militant and the Life and Death of SNCC, Reprint Aufl., Jackson u.a.: Univ. Press of Mississippi, S. 148-149. Dittmer (1994): Local People: The Struggle for Civil Rights in Mississippi, S. 350. Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 99-100.

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sich gegen eine Beteiligung der Schwarzen US-Amerikaner an diesem vermeintlichen Krieg für die Freiheit. Solange Schwarze in Mississippi nicht frei seien, so die Autoren, sollten sie sich nicht an diesem Krieg der Weißen beteiligen: »No one has a right to ask us to risk our lives and kill other Colored People in Santo Domingo and Vietnam, so that the White American can get richer.«84 John Lewis, der persönlich dem Krieg ebenfalls ablehnend gegenüberstand, merkte später in seiner Autobiografie an, dass die meisten Aktivist*innen innerhalb des SNCC nicht aus pazifistischen Gründen gegen den Vietnamkrieg waren, sondern ihn als einen Krieg des weißen Amerikas begriffen, das sie ausbeute und unterdrücke: »To me, the principle of nonviolence was paramount. Most of the others were angered more by the idea that black men were being sent to fight a war for a white society that oppressed and exploited them.«85 Lewis erinnerte sich in diesem Zusammenhang an ein Poster, das in dieser Zeit im SNCC-Büro in Atlanta hing und auf dem stand: »No Vietnamese ever called me Nigger.« Im Juli 1965, nur wenige Tage vor dem Inkrafttreten des Voting Rights Act, entschied US-Präsident Johnson, den Krieg in Vietnam auszuweiten und mehr Männer zum Wehrdienst einzuziehen. Der Krieg begann nun in der US-amerikanischen Gesellschaft anzukommen. Universitäts- und College-Studierende – vornehmlich weiß – waren in der Regel vom Wehrdienst freigestellt. Schwarze hingegen konnten aufgrund ihrer niedrigeren Bildungsabschlüsse vergleichsweise selten Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen und wurden deshalb überproportional häufig zum Wehrdienst eingezogen. Zudem sahen viele Schwarze im Wehrdienst eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs und meldeten sich freiwillig für den Krieg in Vietnam. Deshalb sollten in den folgenden Jahren überproportional viele Schwarze in Vietnam kämpfen und sterben.86 Auch die Debatten innerhalb des SNCC darüber, ob man offiziell zum Vietnamkrieg Stellung nehmen sollte oder nicht, wurden im Sommer 1965 intensiver. Im August 1965 veröffentlichte Howard Zinn einen Artikel in der Student Voice, in dem er die Bürgerrechtsbewegung aufforderte, sich öffentlich gegen den Krieg in Vietnam zu stellen. Sein Beitrag richtete sich jedoch nicht an vermeintliche Befürworter*innen des Krieges, sondern an diejenigen, die eigentlich gegen die US-amerikanische Intervention waren, eine öffentliche Positionierung der Bürgerrechtsbewegung aber für falsch hielten. Zinn argumentierte, dass man vor Ungerechtigkei-

84 85 86

Ebd., S. 98. Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 372. Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 97-98.

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ten nicht die Augen verschließen dürfe, weder in den USA noch in anderen Teilen der Welt. Er zog eine Parallele zwischen den vietnamesischen Bauern, die gegen ihre Unterdrücker aufbegehrten, und der Schwarzen Bewegung in den Südstaaten, die für rechtliche Gleichstellung und gegen Diskriminierung kämpfe. Deshalb müsse die Bürgerrechtsbewegung eine internationale Perspektive einnehmen und sich nicht nur für die Armen und Unterdrückten in den USA, sondern überall auf der Welt einsetzen. Zinn stellte in seinem Artikel die rhetorische Frage: »Isn’t all human suffering our concern? Aren’t war and discrimination twin evils of modern society? What if all people of conscience separated into many different causes, and insisted on sticking only to their own causes, not giving aid to others?«87 Im November 1965 wurde die Haltung zum Vietnamkrieg auch auf dem Staff Meeting des SNCC diskutiert. Nur wenige standen zu diesem Zeitpunkt einer öffentlichen Stellungnahme gegen den Vietnamkrieg noch zurückhaltend gegenüber. Schließlich einigte man sich auf Eckpunkte für eine solche Erklärung, die nach dem Treffen geschrieben werden sollte. Im Mittelpunkt des Treffens stand eine intensive Debatte über die US-Außenpolitik, in der nicht nur der Vietnamkrieg, sondern auch die US-Intervention in der Dominikanischen Republik sowie die Situation in Südafrika, im Kongo und in Rhodesien angesprochen wurden.88 Der SNCCAktivist Cleveland Sellers erinnerte sich später daran, dass man in diesen Diskussionen sehr viel Zeit darauf verwendete, eine Verbindung zwischen dem Vietnamkrieg und den eigenen Kämpfen in den USA zu finden.89 Die Aktivitäten des SNCC, so der Tenor vieler Beiträge auf dem November-Treffen, sollte stärker mit antikolonialen Befreiungsbewegungen in Afrika und anderen Teilen der Welt verknüpft werden. Die eigene politische Arbeit in den USA wurde nun als ein Teil der antikolonialen Kämpfe überall auf der Welt angesehen, in denen sich nicht-weiße Menschen gegen ihre weißen Unterdrücker zur Wehr setzten.90 So umriss Courtland Cox vermeintliche Gemeinsamkeiten zwischen der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung und der vietnamesischen Befreiungsbewegung: »Mississippi and Vietnam; they are very much alike. […] Think about the problems of Mississippi’s poor, disfranchised blacks and the problems of Vietnam’s poor,

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Carson (1990): The Student Voice, 1960-1965: Periodical of the Student Nonviolent Coordinating Committee, S. 229. (Hervorh. im Original). SNCC (1965): Minutes Student Nonviolent Coordinating Commmittee, Staff Meeting, 24-29. November 1965, Atlanta, S. 19-26. Sellers (1990): The River of No Return: The Autobiography of a Black Militant and the Life and Death of SNCC, S. 148-149. SNCC (1965): Minutes Student Nonviolent Coordinating Commmittee, Staff Meeting, 24-29. November 1965, Atlanta, S. 19-26.

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disfranchised peasants; big business is making a killing places. Also, consider the similarities between Vietnam’s National Liberation Front and SNCC. They ought to be very much alike.«91 Die Stellungnahme zum Vietnamkrieg wurde allerdings nicht wie geplant unmittelbar nach dem Treffen veröffentlicht. Erst nachdem Sammy Younge Jr., ein SNCC-Aktivist aus Tuskegee, Alabama, kurz nach Neujahr 1966 an einer Tankstelle durch einen weißen Segregationisten erschossen worden war, wurde die bereits vorbereitete Erklärung rasch veröffentlicht. Younge wurde ermordet, als er eine Toilette benutzen wollte, die gesetzeswidrig noch immer für Weiße ausgewiesen war. Er hatte in Vietnam gedient und war schon länger in der Bürgerrechtsbewegung aktiv gewesen. Sein Mörder wurde später durch eine ausschließlich durch Weiße besetzte Jury freigesprochen.92 Der Mord an Younge war der Auslöser dafür, dass sich mit dem SNCC erstmals eine Bürgerrechtsorganisation offiziell gegen den Krieg in Vietnam aussprach. Younges bürgerrechtliches Engagement beim SNCC und sein Einsatz in Vietnam machten den Mord an ihm zu einem Symbol für die vermeintlichen Widersprüche und die Heuchelei der Johnson-Regierung. Das SNCC griff in dieser Erklärung die US-Bundesregierung scharf an: »Vietnamese are murdered because the United States is pursuing an aggressive policy of violation of international law.«93 Gleichzeitig unterstrich die Erklärung, dass es einen inhärenten Zusammenhang zwischen dem Kampf der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA und der Befreiungsbewegung in Vietnam gebe. In der Erklärung wird der Mord an Younge und der Krieg gegen die vietnamesische Bevölkerung unmittelbar in Verbindung zueinander gebracht: »The murder of Samuel Young[e] in Tuskegee, Alabama, is no different than the murder of peasants in Vietnam, […]. In each case, the United States government bears a great part of the responsibility for these deaths.«94 Für besonders große Empörung bei der liberalen Presse und in Washington sorgte die Tatsache, dass das SNCC in dem Aufruf seine Sympathie und Unterstützung

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Zitierte in: Sellers (1990): The River of No Return: The Autobiography of a Black Militant and the Life and Death of SNCC, S. 149. Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 108; Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 445-446; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 188-189. SNCC (1966): SNCC Statement on Vietnam, January 6, 1966, www.crmvet.org/docs/snccviet.htm (abgerufen am: 10. August 2016). Ebd.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

gegenüber denjenigen Männern erklärte, die nicht willens waren, der Einberufung zum Militärdienst in Vietnam Folge zu leisten. Die US-Regierung plante in dieser Zeit eine massive Ausweitung des Vietnamkrieges. Dabei rekrutierte sie die notwendigen Soldaten vor allem aus der weniger gut ausgebildeten Unterschicht, der überproportional viele Schwarze angehörten. Im Weißen Haus verfolgte man die Aktivtäten im SNCC mit großer Sorge, da man befürchtete, dass sich die gesamte Schwarze Bürgerrechtsbewegung den Protesten anschließen könnte.95 Der SNCC-Aktivist Cleveland Sellers erklärte später rückblickend, der Mord an Younge habe im SNCC einen Reflexionsprozess über die eigene Arbeit in Gang gesetzt. Erst zu diesem Zeitpunkt sei das SNCC bereit gewesen, die Realitäten zu sehen, mit denen man konfrontiert gewesen sei, und es hätte sich zunehmend die Einsicht durchsetzt, dass man seinen eigenen politischen Fokus erweitern müsse: »And that’s where the statement comes, the statement against the war in Vietnam. We just figured that our efforts to focus primarily on civil rights were no longer valid, and we needed to move to the, to another level, and that area was the whole issue of human rights. We needed to broaden our scope. We didn’t need to look at just America and Alabama. We needed to be looking at Cape Town and Sharpsville [South Africa] [gemeint ist Sharpeville in Südafrika; d. Verf.]. We needed to be looking at other kinds of progressive movements and countries around. That our struggle was a much larger struggle than we had all anticipated in the beginning.«96 Auch James Forman hielt den Mord an Younge im Januar 1966 für einen Wendepunkt: Aus seiner Sicht markierte er das Ende der Gewaltlosigkeit des SNCC. Er selbst bezeichnete Younge als den ersten Schwarzen College-Studenten, der im Schwarzen Befreiungskampf gestorben sei. Forman konstatierte in seiner Autobiografie nüchtern: »Sammy’s murder marked the final end of any patience with nonviolence – even as a tactic.«97 Die SNCC-Erklärung wurde sowohl von Kommentatoren in den nationalen Medien als auch von anderen Bürgerrechtsorganisationen massiv kritisiert. Besonders der Aufruf zur Wehrdienstverweigerung sorgte in liberalen Kreisen für Unmut. Nur 48 Stunden nach der Veröffentlichung brachte die NAACP eine Erwiderung heraus, in der sie sich vom SNCC distanzierte und erklärte, dass das SNCC nicht für 95 96

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Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 114-115. Sellers, Cleveland (1989): Interview: Cleveland Sellers, http://libcdm1.uncg.edu/cdm/search/ collection/CivilRights/searchterm/575/field/pkitem/mode/exact/(abgerufen am: 11. August 2016). Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 445; Forman, James (1968): Sammy Younge, Jr.: The First Black College Student to Die in the Black Liberation movement, Grove Press.

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die Mehrheit in der Bürgerrechtsbewegung sprechen würde.98 Das SNCC dürfte nicht überrascht gewesen sein, als einige größere Spender gleich nach der Veröffentlichung ihre finanzielle Unterstützung einstellten.99 Für die neue politische Positionierung wurde der Verlust von Spendeneinnahmen in Kauf genommen. In den folgenden Monaten sollte die Mobilisierung gegen den Wehrdienst ein Schwerpunkt der politischen Arbeit des SNCC werden. Gleichzeitig verband sich die Opposition zum Vietnamkrieg mit einem aufkeimenden Schwarzen Selbstbewusstsein innerhalb des SNCC. Dass diese beiden Protestthemen innerhalb des SNCC derart eng miteinander im Zusammenhang gebracht wurden, war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Schwarze überproportional häufig zum Wehrdienst eingezogen wurden. Auch Stokely Carmichael verknüpfte später die Black-PowerPhilosophie mit dem Widerstand gegen den Wehrdienst: »This Vietnam War ain’t nothing but white men sending black men to kill brown men, to defend, so they claim, a country they stole from red men.«100 Der Widerstand gegen den Vietnamkrieg wurde zu einem wichtigen Mobilisierungsfaktor der im Entstehen begriffenen Black-Power-Bewegung. Der überwiegende Teil der SNCC-Aktivist*innen berief sich dabei nicht auf eine pazifistische Grundhaltung, die Krieg an sich ablehnte, sondern begründete seine Kriegsgegnerschaft mit der Unterdrückung der Schwarzen in den USA. So stellte Carmichael, kurz nachdem sein Black-Power-Slogan eine öffentliche Kontroverse ausgelöst hatte, die rhetorische Frage, warum Schwarze in einem Krieg für freie Wahlen in Vietnam kämpfen sollten, wenn sie selbst in ihrem eigenen Land nicht frei wählen dürften. Schwarze sollten selbst entscheiden dürfen, ob sie an diesem Krieg teilnehmen wollen. »I feel that they should have free election in their country, and then decide whether or not they in fact want to participate in that war.«101 Später stellten Carmichael und andere SNCC-Aktivist*innen den Widerstand gegen den Vietnamkrieg in einen Zusammenhang mit dem weltweiten Kampf gegen Kolonialismus. Schwarze seien nichts anders als kolonisierte Subjekte in den von Weißen dominierten USA. Deshalb müssten sie sich an die Spitze der Bewegung gegen den Wehrdienst setzen. Carmichael betonte, dass es nicht darum ginge, sich mit der Friedensbewegung zu verbünden, sondern darum, eine Anti-Wehrdienst-

Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 114. Sellers (1990): The River of No Return: The Autobiography of a Black Militant and the Life and Death of SNCC, S. 150. 100 Carmichael/Thelwell (2003): Ready for Revolution: The Life and Struggles of Stokely Carmichael (Kwame Ture), S. 547. 101 Carmichael, Stokely (1966): Interview: Stokely Carmichaely – Face the Nation, CBS. 98 99

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

Bewegung aufzubauen.102 Der Widerstand gegen den Vietnamkrieg wurde damit zu einem zentralen Bestandteil der neuen Protestnarration des SNCC. Diese Narration war anschlussfähig an separatistische Ideen, die bereits in der Organisation zirkulierten, und bot zudem eine Verknüpfung zu den antikolonialen Bewegungen in afrikanischen und asiatischen Staaten in den 1960er-Jahren. Dadurch erfüllte der Vietnamkrieg auf der diskursiven Ebene wichtige Funktionen: Zum einen ermöglichte er es, große Teile der Schwarzen Bevölkerung zu mobilisieren, die den Wehrdienst mehrheitlich ablehnte, und zum anderen erlaubte er es, den Widerstand der Schwarzen in den USA in den weltweiten Kampf gegen koloniale Ausbeutung einzureihen. Der Vietnamkrieg und seine Gegenmobilisierung funktionierten als Katalysator für die aufstrebende Strömung des black nationalism innerhalb des SNCC.

7.4.3.

Black nationalism und Black Power

Separatistische Ideen innerhalb des SNCC erhielten nicht nur in der LCFO großen Zuspruch. Auch die Aktivist*innen im SNCC-Projekt in Atlanta sahen in der Integration der Schwarzen in die weiße Mehrheitsgesellschaft nicht länger ein erstrebenswertes politisches Ziel und forderten in einem Positionspapier den Aufbau von politischen Institutionen ausschließlich für Schwarze. Das Projekt in Atlanta widmete sich vor allem der Sozialarbeit in urbanen Gegenden. Im Mittelpunkt stand insbesondere die soziale Ausgrenzung von Schwarzen in bestimmten Stadtquartieren. Die Atlanta-Gruppe bezog schon bald innerhalb des SNCC sehr radikale Positionen. Sie war die erste Gruppe, die ausdrücklich den Ausschluss aller Weißen aus der Organisation forderte. In einem Positionspapier der Gruppe aus dem Frühjahr 1966, das innerhalb des SNCC kursierte, heißt es: »If we are to proceed toward true liberation, we must cut ourselves off from white people. We must form our own institutions, credit unions, co-ops, political parties, write our own histories.«103 Notwendig sei die Befreiung von den weißen Machtstrukturen und die Schaffung einer eigenen Machtbasis, um die politische, ökonomische und soziale Ausgrenzung der Schwarzen in den USA überwinden zu können. Um diese Machtbasis zu schaffen, müsse das SNCC zu einer von Schwarzen kontrollierten Organisation mit ausschließlich Schwarzen Mitgliedern und einer von Weißen unabhängigen Finanzierung werden. Eine vergleichbare Forderung hatten die SNCC-Aktivist*innen in Lowndes County bis dahin noch nicht aufgestellt. Formal schloss die LCFO keine

102 Carson (1993): The Movement: 1964-1970, S. 200. 103 SNCC (1966): Basis of Black Power (SNCC Position Paper), www.crmvet.org/docs/blackpwr.htm (abgerufen am: 18. Mai 2016).

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Weißen aus. In dem Papier betonten die SNCC-Aktivist*innen aus Atlanta, dass sogar der Umgang mit Weißen eine stetige Stärkung der weißen Vormachtstellung darstellt: »[…] our everyday contact with whites is a reinforcement of the myth of white supremacy.«104 Die Situation der Schwarzen in den USA sei vergleichbar mit kolonisierten Gruppen in afrikanischen oder asiatischen Ländern. Weiße in der Bürgerrechtsbewegung würden sich nicht von weißen Beamten und Missionaren in kolonisierten Ländern unterscheiden, die eine paternalistische Einstellung gegenüber den Kolonisierten entwickelt hätten. Wie die Kolonisierten müssten auch die Schwarzen in den USA damit beginnen, ihr Leben und ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Dies sei ein natürlicher Prozess, der als Bewegung in Richtung Selbstbestimmung gesehen werden müsse.105 Während das SNCC in den vorangegangenen Jahren immer wieder an das Motiv des ›amerikanischen Traums‹ anknüpft hatte, um rechtliche Gleichstellung und Aufstiegschancen für Schwarze einzufordern,106 wendete sich die Atlanta-Gruppe in ihrem Papier ausdrücklich gegen diese Idee: »We reject the American dream as defined by white people and must work to construct an American reality defined by Afro-Americans.«107 Im Frühjahr 1966 waren diese separatistischen Positionen innerhalb des SNCC noch nicht mehrheitsfähig. Das war der Gruppe allerdings durchaus bewusst. Das provokative Positionspapier zielte vor allem darauf, eine Diskussion innerhalb des SNCC anzustoßen und sich gegen den Vorwurf des Rassismus zu verteidigen.108 Auf dem SNCC-Staff-Meeting in Kingston Springs im Mai 1966 war die Gruppe nicht vertreten. Dennoch blieben ihre Ideen dort nicht unbeachtet. So verfasste der langjährige SNCC-Aktivist Ivanhoe Donaldson ein Positionspapier für dieses Treffen, in dem er vorschlug, dass das SNCC »neue radikale Aktionsformen« entwickeln müsse. Black nationalism könne helfen, Schwarze Communitys zu organisieren. Dazu müsse man aber auch seine »positive Ausprägung« verstehen. Konkret empfahl er, eine Guerilla-Gruppe nach dem Vorbild süd- und zentralafrikanischer Befreiungsbewegungen zu gründen:

104 Ebd. 105 Ebd. 106 Vgl. Barry (1960): Statement submitted by the Student Nonviolent Coordinating Committee to the Platform Committee of the National Democratic Convention Thursday, Morning, July 7, 1960, Los Angeles, California, S. 1; SNCC (1961): This is SNCC. 107 SNCC (1966): Basis of Black Power (SNCC Position Paper). 108 Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 196, 199.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

»We must begin to think of ourselves as guerillas. A lot is to be learned from actions in other countries in past histories. I think we have to build a resistance movement in this country.«109 Donaldsons Papier enthielt noch weitere radikale Vorschläge. So regte er an, ab jetzt keine Kautionen mehr aufzubringen, um Gefangene aus der Haft freizubekommen, sondern stattdessen ihren Ausbruch zu organisieren. Das SNCC müsse mit einem radikalen Aktionsplan vorangehen, damit andere Organisationen der Bürgerrechtsbewegung folgen könnten. Nur eine solche konfrontative Politik konnte nach Donaldsons Ansicht politische Veränderungen voranbringen.110 Sein Papier, das später in The Movement abgedruckt wurde, spiegelt die Stimmung eines Teils der SNCC-Aktivist*innen im Frühjahr 1966 wider. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatten separatistische Ideen einen großen Einfluss in der Organisation.111 Die Impulse der Atalanta-Gruppe wie auch die Erfolge der LCFO führten zu intensiven Debatten über den weiteren Weg des SNCC und die zukünftige Ausgestaltung der Projekte. Zwar war die Mehrheit innerhalb des SNCC nicht bereit, der Atlanta-Gruppe in ihren Positionen zu folgen, dennoch zeigten sich viele SNCCAktivist*innen für die Argumente der Gruppe aufgeschlossen. Auch die Erfolge der LCFO beflügelten viele SNCC-Aktivist*innen und motivierten sie, sich für separatistische Positionen zu öffnen. Die Debatten mündeten in dem für das SNCC wegweisenden Beschluss, weiße Aktivist*innen nicht mehr für die Arbeit in Schwarzen Communitys einzusetzen.112 In einer Fundraising-Broschüre der Organisation, die im Sommer 1966 veröffentlicht wurde, wird diese Entscheidung folgendermaßen begründet: »With a view to stimulating such self-respect, SNCC believes that organizers in a Negro community should be Negro because they demonstrate most effectively that black people can do things for themselves. There are, however, many other important ways in which white people can work with and help SNCC.«113 Darüber hinaus wurde auf dem Treffen beschlossen, auch in weiteren Bundesstaaten unabhängige Schwarze Parteien aufzubauen und eine Schwarze Identitätspolitik in der Programmarbeit des SNCC zu verankern. Dazu wurde unter anderem ein Bildungsprogramm initiiert, das zum Ziel hatte, Schwarzes Selbstbewusstsein und die Geschichte der Schwarzen in den Schulunterricht zu integrieren.114 Die 109 110 111 112

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SNCC of California (1966): The Movement – July 1966 VOL. 2 NO. 5, S. 5. Ebd. Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 451. Jeffries (2006): SNCC, Black Power, and Independent Political Party Organizing in Alabama, 19641966, S. 183; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 201; Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 451-152. SNCC (1966): The Story of SNCC. Ebd.

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Entscheidung in Kingston bildete die Basis für die neue programmatische Ausrichtung des SNCC, die nur wenige Monate später unter dem Schlagwort Black Power eine mediale Debatte auslösen sollte.115 Auf dem Staff Meeting in Kingston fällten die SNCC-Aktivist*innen jedoch noch einen weiteren bedeutenden Beschluss: Bei der Wahl zum Central Committee, wie das Executive Committee nun hieß, votierten sie für Stokely Carmichael als neuen Vorsitzenden. Carmichael löste John Lewis ab, der überraschend nicht wiedergewählt wurde. Während Carmichael durch die Erfolge der LCFO innerhalb des SNCC an Popularität gewonnen hatte, war Lewis zunehmend in die Kritik geraten.116 Die von ihm geplante Teilnahme an der Bürgerrechtskonferenz im Weißen Haus, die wenige Wochen später stattfinden sollte, wurde vom Central Committee nicht befürwortet. James Forman, der selbst nicht erneut als Geschäftsführer kandidierte, legte Lewis einen »wachsenden Konservatismus« zur Last.117 Die Wahl von Carmichael löste ein enormes Medienecho aus. Dem SNCC wurde vorgeworfen, sich von der Bürgerrechtsbewegung zu entfernen und sich Positionen des black nationalism zuzuwenden. Tatsächlich wurde die Kluft zwischen dem SNCC und den gemäßigteren Teilen der Bürgerrechtsbewegung und der US-Bundesregierung zunehmend größer. Nach dem Kingston-Treffen vollzog das SNCC einen Paradigmenwechsel.118 Dass die separatistischen Kräfte innerhalb des SNCC durch die Wahl von Carmichael gestärkt worden waren, zeigte sich besonders deutlich an der Haltung zu der erwähnten Bürgerrechtskonferenz im Weißen Haus. In einer Erklärung bezeichnete das SNCC die Konferenz als »absolut überflüssig« und lehnte eine Teilnahme an diesem »nutzlosen Bemühen« ab. Der Präsident und das zuständige Ministerium seien nicht ernsthaft darum bemüht, den US-amerikanischen Schwarzen ihre verfassungsmäßigen Rechte zuzugestehen. Die Konferenz diene nur dazu, dass internationale Ansehen der USA aufzupolieren. Die USA würden in Vietnam die Menschenrechte verletzen und könne deshalb nicht mit gutem Gewissen über Menschenrechte im eigenen Land reden. Das SNCC lehne den Krieg in Vietnam ab und fordere alle Schwarzen dazu auf, unabhängige politische, ökonomische und kulturelle Institutionen aufzubauen.119 Obwohl John Lewis diese Stellungnahme noch unterschrieben hatte, distanzierte auch er sich immer mehr von der neuen SNCC-Führung. Wenige Wochen 115 116 117 118 119

Jeffries (2006): SNCC, Black Power, and Independent Political Party Organizing in Alabama, 19641966, S. 183-184. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 200. Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 453. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 204-205. SNCC Central Committee (1966): SNCC Statement on White House Conference, www.crmvet.org/docs/66_sncc_whitehouseconf.pdf (abgerufen am: 9. Juli 2016); Reed, Roy (1966): Rights Unit Quits Parley in Capital, in: New York Times (24.05.1966), S. 28.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

später verkündete er seinen Rückzug aus der Organisation. In der New York Times kritisierte Lewis die neue Ausrichtung des SNCC auch öffentlich. Besonders skeptisch äußerte er sich zur Black-Power-Idee, um die gerade eine Debatte in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgebrochen war.120 Er war nicht der einzige langjährige SNCC-Aktivist, der sich in dieser Zeit vom SNCC abwendete. Gleich nach dem Treffen in Kingston hatte sich Charles Sherrod, der viele Jahre die Wählerregistrierungsprojekte des SNCC in Georgia koordiniert hatte, bereits aus der Organisation verabschiedet. Sherrod wollte weiße Unterstützer für sein Projekt nach Georgia holen. Nachdem das SNCC in Kingston den Beschluss gefasst hatte, keine weißen Aktivist*innen in Schwarzen Communitys arbeiten zu lassen, entschied er sich, das Projekte ohne die Unterstützung des SNCC fortzuführen.121 Nur wenige Monate nach dem Austritt von Lewis beendete auch Julian Bond, langjähriger Kommunikationsdirektor und prominenter Vertreter des SNCC, seine Arbeit für die Organisation. Bond, der damals auch Abgeordneter im Repräsentantenhaus des Bundesstaates Georgia war, erklärte seinen Austritt, nachdem es bei einer Rede von Stokely Carmichael in Atlanta zu schweren Ausschreitungen gekommen war.122 Andere, wie Diane Nash, verließen die Organisation in Richtung Friedensbewegung, da sie die neuen SNCC-Positionen des black nationalism nicht unterstützen wollten.123 James Forman beschrieb die damaligen Entwicklungen wie folgt: »As 1966 began SNCC stood at the end of a period of internal crisis that had lasted less than a year and a half but had shaken the organization profoundly […]. Now we did seem to have entered a new day, and SNCC had clearly begun moving towards Black Power and the anti-imperialist position that it would later apply in all areas.«124 Nachdem Carmichael an die Spitze des SNCC aufgestiegen war, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den moderateren Kräften in der Bürgerrechtsbewegung und dem SNCC weiter. Wie bereits beschrieben, wurde im Juni 1966 nach den Schüssen auf den Bürgerrechtler James Meredith ein Protestmarsch durch Mississippi organisiert. Kurz vor dem Marsch kam es zu einem Eklat zwischen dem SNCC und den beiden konservativeren Bürgerrechtsorganisationen NAACP und National Urban League. Deren jeweilige Vorsitzende, Roy Wilkins und Whitney Young, verweigerten die Unterzeichnung des Demonstrationsaufrufs und reisten noch vor Beginn des Marsches wieder ab. Zu dem Zerwürfnis hatte auch beigetragen, dass 120 New York Times (1966): Lewis Quits S.N.C.C., in: New York Times (01.07.1966), S. 1,18. 121 Roberts, Gene (1966): Black Power Idea Long in Planning, in: New York Times (05.08.1966), S. 1,10. 122 New York Times (1966): Carmichael Held In Riot Aftermath, in: New York Times (09.09.1966), S. 1,30. 123 Lucks (2014): Selma to Saigon: The Civil Rights Movement and the Vietnam War, S. 130. 124 Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 447.

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das SNCC auf die Begleitung des Marsches durch die Deacon for Defense und Justice, eine bewaffnete Selbstverteidigungsgruppe aus Louisiana, gedrungen hatte. Während SCLC und CORE sich damit einverstanden erklärten, lehnten NACCP und National Urban League die Teilnahme von bewaffneten Gruppen ab. SCLC, CORE und SNCC begannen daraufhin den Protestmarsch durch den Bundestaat Mississippi ohne die Unterstützung der beiden großen und einflussreichen Organisationen. Die Spaltung der Bürgerrechtsbewegung, die wenige Jahre zuvor beim March on Washington noch geschlossen aufgetreten war, wurde dadurch manifest.125 Nationale Beachtung fand der March Against Fear allerdings erst, nachdem Stokely Carmichael auf einer Kundgebung in Greenwood am 15. Juni 1966 erstmals von Black Power gesprochen hatte. Diese Rede markierte einen Bruch in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Als Reaktion auf den Auftritt von Carmichael setzte eine hitzige öffentliche Debatte über Militanz in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung ein.126 Obwohl Black Power zunächst nur ein Slogan war, den Carmichael wie auch andere in Reden einbauten oder der bei Demonstrationen skandierte wurde, entwickelte sich daraus schnell ein umstrittenes Konzept für Schwarze Selbstbestimmung in den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereichen der Gesellschaft. Nur wenige Tage nach der Greenwood-Rede – der March Against Fear in Mississippi war noch nicht beendet – trat Carmichael in der Fernsehsendung Face the Nation auf und beantwortet dort die Fragen einiger Journalisten zu Black Power. Als Carmichael gefragt wurde, was die Demonstranten denn tun müssten, um Black Power zu erreichen, antwortete Carmichael: »I think what they have to do to get Black Power is to organize themselves politically, to register to vote and to form independent political basis, which will then allow them the chance to carry out and make effective changes they need to bring about decent lives in Mississippi.«127 In der darauffolgenden Zeit sollte Carmichael die Idee von Black Power immer weiter ausformulieren. Ein zentraler Grundgedanke war dabei, dass Schwarze zunächst ein Bewusstsein ihrer eigenen Gemeinschaft entwickeln müssten, bevor sie ihre politischen Ziele definieren könnten. Ein solches Schwarzes Bewusstsein sei eine notwendige Voraussetzung, um mit dem Problem des Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft umgehen zu können.128 Schwarze sollten sich nicht an den rassistischen Institutionen der weißen Mehrheitsgesellschaft beteiligen, sondern ihre eigenen politischen Organisationen aufbauen. Weil die

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Joseph (2006): Waiting ›til the Midnight Hour: A Narrative History of Black Power in America, S. 135-136. Ebd., S. 146. Carmichael (1966): Interview: Stokely Carmichaely – Face the Nation, CBS. Carmichael/Hamilton (1967): Black Power: The Politics of Liberation in America, S. 53.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

existierenden politischen Strukturen die politische Komplexität der US-amerikanischen Gesellschaft nicht repräsentieren würden, müssten sie durch neue Strukturen außerhalb des politischen Systems ersetzt werden.129 Carmichael hielt in seinem 1967 erschienen Buch über Black Power fest: »The concept of Black Power rests on fundamental premise: Before a group can enter the open society, it must first close ranks. By this we mean that group solidarity is necessary before a group can operate effectively from bargaining position of strength in a pluralistic society.«130 Die Kontroverse um Black Power ließ Carmichael über Nacht zu einer nationalen Berühmtheit werden und trieb gleichzeitig die Spaltung der Bürgerrechtsbewegung weiter voran. Die konservativeren Teile der Bürgerrechtsbewegung wiesen den Begriff zurück, weil er implizit zur Gewalt aufrufe. So bezeichnete Roy Wilkins Black Power als »umgekehrten Rassismus«.131 Der Bürgerrechtler Bayard Rustin, der einst von einer SNCC-Konferenz ausgeladen worden war, da er als politisch zu radikal galt, kritisierte die Black-Power-Idee scharf. Aus seiner Sicht war der Versuch, außerhalb des bestehenden politischen System eine politische Machtstellung aufzubauen, zum Scheitern verurteilt, da Schwarze aufgrund ihrer Minderheitenposition in den USA darauf angewiesen seien, ihre Interessen zusammen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen durchzusetzen. Mit Black Power könne die soziale und politische Diskriminierung von Schwarzen nicht überwunden werden.132 Auch Martin Luther King lehnte den Begriff Black Power ab. Der Begriff sei unglücklich, denn er vermittle den Eindruckt einer Hinwendung zum black nationalism. Im Mittelpunkt Schwarzer Politik müsse jedoch nicht das Streben nach Macht, sondern das Teilen von Macht stehen.133 Dennoch warb King um Verständnis für die Positionen von SNCC und CORE, um die Bürgerrechtsbewegung zusammenzuhalten.134 In einer öffentlichen Erklärung, die am 14. Oktober in der New York Times erschien, wendeten sich sieben prominente Bürgerrechtler, darunter Rustin, Wilkins und der Vorsitzende der National Urban League Whitney Young, gegen die BlackPower-Philosophie. Die Unterzeichner betonten darin die Bedeutung von Integration und ihre Ablehnung von Gewalt als Strategie, ohne dabei jedoch das Recht auf

129 Ebd., S. 58. 130 Ebd. 131 Handler, M.S. (1966): Wilkins Says Black Power Leads Only to Black Death, in: New York Times (06.07.1966), S. 1,14. 132 Joseph (2006): Waiting ›til the Midnight Hour: A Narrative History of Black Power in America, S. 162-163. 133 New York Times (1966): Dr. King Deplores »Black Power« Bid, in: New York Times (21.06.1966), S. 30. 134 Gene Roberts (1966): Dr. King Declares Rights Movement Is »Close« to a Split; Dr. King Fears Split in Rights Groups, in: New York Times (09.07.1966).

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Selbstverteidigung infrage zu stellen.135 Martin Luther King, der versuchte, einer Spaltung der Bewegung entgegenzuwirken, unterschrieb die Erklärung allerdings nicht. Obwohl er der Black-Power-Philosophie ablehnend gegenüberstand, war er dagegen, Gruppen wie SNCC oder CORE zu isolieren und damit die Einheit der Bürgerrechtsbewegung zu gefährden.136 Gegenwind schlug Carmichael und dem SNCC auch vonseiten der liberalen Presse entgegen, die in den Jahren zuvor immer sehr wohlwollend über die Schwarze Bürgerrechtsbewegung berichtet hatte. So bezeichnete das Time-Magazin Black Power als »eine rassistische Philosophie«, die von »jungen Demagogen« betrieben werde.137 Die konservative Saturday Evening Post scheute nicht einmal davor zurück, eine indirekte Warnung auszusprechen: Sie erinnerte an die gegen Schwarze gerichteten Ausschreitungen in Detroit im Jahre 1943 und verwies darauf, dass im Vergleich dazu die Watts-Unruhen im Sommer 1965 eine »musical-comedy« gewesen seien.138 In seinem Gastbeitrag für die New York Review of Books mit dem programmatischen Titel »What we want«, wendete sich Carmichael im September 1966 an seine liberalen Kritiker. Er beschrieb die Frustration und Unzufriedenheit in der Schwarzen Bevölkerung: »Each time the people in those cities saw Martin Luther King get slapped, they became angry, when they saw four little black girls bombed to death, they were angrier; and when nothing happened, they were steaming.«139 Das SNCC, so Carmichael, habe aufgehört, sich an weiße Liberale anzubiedern. Es spreche nun für die Belange der Schwarzen. Inzwischen seien Schwarze bereit, das zu sagen, was sie sagen wollen, und nicht das, was die Weißen gerne hören möchten. Sie täten dies, obwohl die Presse versuche, Black Power als Rassismus und Separatismus zu diskreditieren. Eine Organisation wie das SNCC, die den Anspruch habe, sich für die Belange der Schwarzen Community einzusetzen, müsse das Sprachrohr dieser Community sein. Schwarze in den USA hätten vor allem zwei Probleme: Sie seien arm und Schwarz. Diese beiden Realitäten müssten alle begreifen, deren Ziel es sei, den Rassismus in den USA zu beenden. Black

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Rustin, Bayard u.a. (1966): Crisis and Commitment, in: New York Times (14.10.1966), S. 35. Johnson, Thomas A. (1966): Negro Leaders Issue a Statement of Principles Repudiating »Black Power« Concepts, in: New York Times (14.10.1966), S. 27; New York Times (1966): Dr. King Clarifies His Racial Stand; Says He Backs Only Part of Black Power Statement, in: New York Times (17.10.1966), S. 42. Time (1966): Civil Rights: The New Racism, in: Time, 1. Juni 1966 . Saturday Evening Post (1966): A New White Backlash, in: Saturday Evening Post 239/19. Carmichael (1966): What We Want.

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Power und der Aufbau von unabhängigen Schwarzen Institutionen seien ein Weg für Schwarze, mit dem weißen Amerika auf Augenhöhe zu kommen.140 In den folgenden Monaten wurde Carmichael zu einer Art Superstar der Schwarzen Bewegung. Er hatte Auftritte in verschiedenen Städten überall in den USA, hielt Vorträge in Harvard, Yale und Berkeley und trat in Radio- und Fernsehsendungen auf. Seine Bekanntheit in dieser Zeit war mit der von Malcolm X und Martin Luther King vergleichbar. Im August 1966 veröffentlichte die New York Times ein Portrait von Carmichael, in der er als »Black Power Prophet« betitelt wurde. Dazu druckte die Zeitung das vollständige Positionspapier der SNCC-Atalanta Gruppe aus dem Frühjahr 1966.141 Die New York Times bezeichnete das Papier als Grundlage für die Black-Power-Philosophie und legte damit nahe, dass die neue politische Ausrichtung des SNCC in Richtung Black Power seit Längerem geplant gewesen war. Dass es sich dabei um das Positionspapier einer kleinen Gruppe innerhalb des SNCC handelte, das niemals durch ein Gremium des SNCC beschlossen worden war, wurde in dem Artikel hingegen nicht erwähnt.142 Black Power sorgte im Sommer 1966 für eine breite Debatte in der amerikanischen Öffentlichkeit. Allerdings war der Slogan nicht neu und auch keine Erfindung Carmichaels. Bereits vor ihm hatten verschiedene politische Aktivist*innen, Schriftsteller*innen und Intellektuelle in unterschiedlichen Zusammenhängen den Begriff benutzt. Erstmals hatte ihn Richard Wright im Jahre 1954 in seinem Buch »Black Power« über die Unabhängigkeitsbewegung in den ehemaligen afrikanischen Kolonien verwendet.143 Nach den Unruhen in Watts im Sommer 1965 hatte der Aktivist und Begründer der Organisation Us, Ron »Karenga« Everett,144 öffentlich erklärt, dass seine Organisation Black Power in Watts unterstützen würde.145 Kurz vor dem March Against Fear hatte der Schwarze Kongressabgeordnete Adam Clayton Powell in einer Rede gefordert, Schwarze sollten ihre eigenen Institutionen aufbauen, und in diesem Zusammenhang von Black Power gesprochen, ohne damit eine öffentliche Debatte auszulösen.146 Nur vier Tage vor Carmichaels Rede tauchte der Begriff in einem Bericht über den March Against Fear in der New York Times

140 Ebd. 141 New York Times (1966): Black Power Prophet: Stokely Carmichael, in: New York Times (05.08.1966), S. 10. 142 Ebd. 143 Joseph (2006): Waiting ›til the Midnight Hour: A Narrative History of Black Power in America, S. 147. 144 Ron »Karenga« Everett hat mittlerweile seinen Namen in Maulana Ndabezitha Karenga ändern lassen. 145 Johnson, Thomas A. (1966): Watts, a District Without Bootstraps, in: New York Times (20.03.1966), S. 1,84. 146 New York Times (1966): Powell Bids Negro Take Fighting View, in: New York Times (30.05.1966), S. 10.

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auf. In dem Artikel wird die Stimmung unter vielen Schwarzen aus den Südstaaten beschrieben, die sich zunehmend der Black-Power-Idee zuwenden würden.147 Auch der Herausgeber des afroamerikanischen Magazins Ebony Lerone Bennett, Jr. stellte im September 1966 rückblickend fest, dass Black Power nicht einfach aus dem Nichts entstanden sei, sondern schon länger »in der Luft lag«.148 Viele Aktivist*innen in der unmittelbaren Umgebung von Carmichael verwendeten offenbar bereits vor und während des Marsches den Begriff. Er selbst hatte auf einer SNCCSitzung kurz vor Beginn der Veranstaltung dafür plädiert, den Marsch dazu zu nutzen, Unterstützung für das Konzept von Black Power zu gewinnen.149 In einem Interview ließ er wissen, dass er den Slogan absichtlich lanciert habe und über die Reaktionen nicht überrascht gewesen sei: »I intended to use the phrase all along. […] And I bided my time till the moment was ripe, […]. The feeling was always there in the black community. The feeling was always there, but people were afraid to speak out.«150 Während des Marsches soll der SNCC-Aktivist Willie Ricks den Slogan erstmals in Diskussionen und Reden eingesetzt haben. Ricks war ein guter Redner, der sich selbst als »black nationalist« bezeichnete und sich einer aggressiven Rhetorik bediente.151 Carmichael übernahm den Black-Power-Begriff von ihm und baute ihn in seine eigenen Reden ein.152 Der Black-Power-Slogan gelangte demnach also nicht spontan und zufällig in die US-amerikanische Öffentlichkeit. Carmichael und die anderen SNCC-Aktivist*innen auf dem Marsch eigneten sich diesen Begriff, der für eine militante und separatistische Politik Schwarzer Selbstbestimmung stand, bewusst an. Das SNCC machte sich dadurch anschlussfähig für die Ideen des black nationalism und manifestierte dadurch endgültig den Bruch mit dem liberalen Mainstream in der Bürgerrechtsbewegung. Mit der Einführung des Black-Power-Begriffs vollzog das SNCC eine strategische Wende. Die Organisation löste sich aus dem moderaten Spektrum der Bürgerrechtsbewegung und suchte den Anschluss zu separatistisch orientierten Gruppen innerhalb der Schwarzen Bewegung, die bis dahin politisch eher marginalisiert gewesen waren. New York Times (1966): Mississippi Story: The Word Is Fear, in: New York Times (12.06.1966), S. 207. 148 Bennett, Jr., Lerone (1966): Stockely Carmichael: Architect of Black Power, in: Ebony, S. 25-32, hier S. 32. 149 Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 209. 150 Bennett, Jr. (1966): Stockely Carmichael: Architect of Black Power, S. 32. 151 Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 388. 152 Joseph (2006): Waiting ›til the Midnight Hour: A Narrative History of Black Power in America, S. 141; Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 456-457; Austin (2006): Up Against the Wall: Violence in the Making and Unmaking of the Black Panther Party, S. 20-22; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 209; Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 388-389.

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Diese Wende ging mit einer zunehmend ambivalenten Haltung zur Gewaltfrage einher, wie sich auch anhand von Äußerungen Carmichaels in dieser Zeit zeigt. So antwortete er im Interview bei Face the Nation auf die Frage, ob er Gewalt für ein akzeptables Mittel halte, um Machtstrukturen zu stürzen, zunächst ausweichend: »I don’t organize around violence or around non-violence. The Student Nonviolent Coordinating Committee organizes black people to get certain things that they have to get, decent houses, decent jobs, decent schooling and a right to participate in decisions that effect their lives. Now that is what we are organizing for. The question of violence and non-violence just happens to be tactical as far as we are concerned.«153 Die Journalisten gaben sich mit dieser Antwort allerdings nicht zufrieden und hakten mit der weiteren Frage nach, ob er als Vorsitzender des Student Nonviolent Coordinating Committee, das Gewaltlosigkeit schon im Namen trage, denn Gewalt nicht grundsätzlich ablehnen würde. Dieses Mal antwortete Carmichael etwas deutlicher: »I have never rejected violence. […] Nonviolence is always been a tactic with Student Nonviolent Coordinating Committee and it has never been a way of live. We made that classing 1960.«154 Carmichael spielte bewusst mit der Ambivalenz seiner Äußerungen. Seine öffentlichen politischen Stellungnahmen blieben häufig mehrdeutig. Er lehnte Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung nicht ab, unterstützte sie aber auch nicht explizit. Stattdessen bediente er sich einer Rhetorik, die die bisherigen Erfolge der Bürgerrechtsbewegung relativierte und einen gewissen Handlungsdruck nahelegte. So schloss er beispielsweise in einem Interview über die LCFO, das im Juni 1966 in einer Veröffentlichung der Young Socialist Alliance erschien, die Anwendung von Gewalt nicht grundsätzlich aus, ohne sie jedoch ausdrücklich zu befürworten: »The Lowndes County Freedom Organization is not nonviolent. Nonviolence is irrelevant. […] We’re out to take power legally, but if we’re stopped by the government from doing it legally, we’re going to take it the way everyone else took it including the way the Americans took it in the American Revolution.«155 Ähnlich argumentierte Carmichael in einem ebenfalls im Juni 1966 erschienen Artikel in der Zeitung The Movement:

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Carmichael (1966): Interview: Stokely Carmichaely – Face the Nation, CBS. Ebd. Hulett/Carmichael/Benson (1966): The Black Panther Party, S. 27.

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»When you go for power, moral force and non-violence become completely irrelevant. When you go for power you go for it the way everyone in the country goes for it.«156 Ein wenig moderater formulierte er nur wenige Monate später in dem bereits erwähnten Artikel für die New York Review of Books. Dort stellt er Macht und Gewaltlosigkeit einander gegenüber und gibt gleichzeitig zu verstehen, dass es nicht die Gewaltlosigkeit sei, mit der man politischen Veränderungen vortreiben könne: »We had to work for power, because this country does not function by morality, love and nonviolence, but by power.«157 Carmichael bewegte sich immer an der Grenze des politisch Sagbaren. Seine absichtsvolle Ambivalenz erlaubte es sowohl seinen Unterstützer*innen als auch seinen Gegner*innen, ein jeweils eigenes Verständnis von Black Power zu entwickeln. Zwar vermied er meistens eine klare Positionierung zur Gewaltfrage, allerdings ließen sich viele seiner Äußerung so deuten, als würde er Gewalt implizit gutheißen, obwohl er explizit nur moderate Aktionsformen unterstützte.158 Das Spiel mit der Doppeldeutigkeit durchzog viele seiner politischen Beiträge und zeigte sich nicht nur am Umgang mit der Gewaltfrage. Der Journalist Robert L. Allen merkte in seinem 1969 erschienen Buch »Black Awakening in Capitalist America« an, Carmichael habe häufig eine mehrdeutige politische Haltung eingenommen und sich immer zwischen den Extremen des Reformers und Revolutionärs bewegt: »Stokely Carmichael, for example, never moved beyond ambiguity. Sometimes his words were those of a reformer, who only wanted to adjust the social system and make it work better. Sometimes he sounded like a committed revolutionary, who sought to topple the whole system.«159 Während seiner Tour durch die USA und die nationalen Medien versuchte Carmichael, das Black-Power-Konzept weiter auszuformulieren und zu erweitern. Black Power wurde infolgedessen nicht nur zu einem Symbol des Widerstandes gegen den Vietnamkrieg, sondern schlug auch eine Brücke zu den antikolonialen Bewegungen in den afrikanischen Staaten. So trat Carmichael im September 1966 in einem afrikanischen Gewand, das er vom guineischen Präsidenten Ahmed Sékou Touré geschenkt bekommen hatte, beim Fernsehsender CBS auf. Er wendet sich in der Sendung mit deutlichen Worten an das weiße Amerika. Der »weiße Mann« solle aufhören, über die zivilisatorischen Defizite Afrikas zu predigen: 156 157 158 159

SNCC of California (1966): The Movement – July 1966 VOL. 2 NO. 5, S. 4. Carmichael (1966): What We Want. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 219. Allen, Robert L (1969): Black Awakening in Capitalist America: an Analytic History, Garden City, N.Y.: Doubleday, S. 208.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

»You have moved to destroy and disrupt. You have taken people away, you have broken down their systems, and you have called all this civilization, and we, who have suffered at this, are now saying to you, you are the killers of the dreams, you are the savages. Civilize yourself.«160 Carmichael war nur ein Jahr lang Vorsitzender des SNCC. Er trat schon im Mai 1967 zurück. In der kurzen Zeit seines Vorsitzes wurde der Einfluss der separatistischen Kräfte innerhalb des SNCC spürbar stärker. Bereits im Frühjahr 1966 hatte die Atlanta-Gruppe in ihrem Positionspapier vorgeschlagen, das SNCC in eine Schwarze Organisation umzuwandeln, die ausschließlich durch Schwarze kontrolliert und finanziert werden sollte. Diese Position fand im SNCC zunächst keinen Zuspruch. Nach dem Rückzug moderater SNCC-Aktivist*innen wie John Lewis, Julian Bond und Charles Sherrod sollten allerdings diejenigen innerhalb des SNCC die Oberhand gewinnen, die davon überzeugt waren, dass man alle Verbindungen zu Weißen abbrechen müsse. Sie wollten die politische Agenda des SNCC vor allem entlang einer vermeintlichen ethnischen Zusammengehörigkeit ausrichten. Dagegen traten Klassenzugehörigkeit und soziale Fragen zunehmend in den Hintergrund. Der Hauptbezugspunkt ihrer Identität wurde für viele SNCC-Aktivist*innen nun das Schwarzsein (blackness).161 Carmichael selbst nahm diesbezüglich zunächst eine Zwischenposition ein. In seinen Beiträgen war er – trotz scharfer Rhetorik – immer darum bemüht, die Zusammenarbeit mit Weißen nicht gänzlich aufzukündigen. Mit Auftritten an weißen Elite-Universitäten und in diversen Fernsehsendungen sowie mit verschiedenen Artikeln in linksliberalen Publikationen versuchte er im Sommer und Herbst 1966 sogar, auf die liberale Kritik an Black Power zu reagieren. Die häufigen Präsentationen vor weißem Publikum trugen ihm allerdings auch interne Kritik ein. Carmichael, so die Meinung einiger SNCC-Aktivist*innen, solle nicht ständig vor Weißen, sondern öfter in Schwarzen Communitys sprechen.162 Obwohl er die Zusammenarbeit mit der Demokratischen Partei kategorisch ausschloss, betonte Carmichael in dieser Zeit mehrmals, dass weiße Aktivist*innen wichtige antirassistische Arbeit in den weißen Communitys leisten könnten. Auch hielt Carmichael eine Koalition zwischen armen Schwarzen und armen Weißen für vorstellbar. In seinem Artikel für die New York Review of Books im September 1966 führte Carmichael dazu aus:

160 Zitiert in: Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 151. 161 Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 227. 162 SNCC of California (1966): The Movement – November 1966 VOL. 2 NO. 10, S. 2.

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»We hope to see, eventually, a coalition between poor blacks and poor whites. That is the only coalition which seems acceptable to us, and we see such a coalition as the major internal instrument of change in American society.«163 Im SNCC wurden jedoch im Laufe des Jahres 1966 die separatistischen Stimmen immer lauter, die das SNCC in eine ausschließlich Schwarze Organisation umwandeln wollten. Auch langjährige SNCC-Aktivist*innen wie Ivanhoe Donaldson oder Charles Cobb wendeten sich nun der Idee des black nationalism zu. Donaldson hatte bereits beim Kingston-Treffen im Mai angemahnt, dass ein besseres Verständnis des black nationalism notwendig sei, und Cobb erklärte im Sommer auf einer Konferenz der Students for a Democratic Society: »I think that black people should not try and change this country; black people should not accept responsibility for this country; black people should aspire to a sense of nationhood.«164 Der Aktivist Julius Lester, der erst 1966 zum SNCC gekommen war, veröffentlichte im Dezember 1966 einen Artikel unter der Überschrift »Angry Children of Malcom X«. In seinem Text geht er auf Distanz zu den gewaltlosen Protesten der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der ersten Hälfte der 1960er-Jahre und zieht eine ernüchternde Bilanz ihrer bisherigen Fortschritte. Die Geduld vieler Schwarzen sei nun am Ende, so Lester: »Now it is over. America has had chance after chance to show that it really meant ›that all men are endowed with certain inalienable rights‹. America has had precious chances in this decade to make it come true. Now it is over.«165 Stattdessen betonte Lester die große Bedeutung einer im Entstehen begriffenen Schwarzen Identität. Oft hätten Schwarze ihr Schwarzsein geleugnet und versucht, sich in der Mehrheitsgesellschaft zu assimilieren. Nun sei man aber dabei, die eigene Geschichte, die von den Weißen in den letzten Jahrhunderten zerstört worden sei, wiederzuentdecken und die Bindung an den afrikanischen Kontinent wiederherzustellen.166 Dabei griff Lester auf eine primordiale Vorstellung von ethnischer Identität zurück:167

163 Carmichael (1966): What We Want. 164 Cobb (2014): This Nonviolent Stuff ’ll Get You Killed: How Guns Made the Civil Rights Movement Possible. 165 Lester, Julius (1971): The Angry Children of Malcolm X (1966), in: Meier, August, Elliott M. Rudwick und Francis L. Broderick (Hg.): Black protest thought in the twentieth century, Indianapolis: Bobbs-Merrill (The American Heritage Series), S. 469-484, hier S. 482. 166 Ebd., S. 480. 167 Vgl. dazu: Giesen, Bernhard (1999): Die Intellektuellen und die Nation. 2. Kollektive Identität 2. Kollektive Identität, Frankfurt: Suhrkamp, S. 32ff.

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»Negroes do have a language of their own. The words may be English, but the way a Negro puts them together and the meaning that he gives them creates a new language, too, and that language is rhythm. It is obvious in music, but it is also expressed in the way he walks and the way he talks. There is music and rhythm in the way he dresses and the way he cooks.«168 Lester zufolge stand der Anbruch einer neuen Zeit bevor. Schwarze hätten damit begonnen, sich von Weißen zu emanzipieren, um die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu erlangen. Als Richtschnur für den Umgang mit Weißen schlägt Lester vor: Man müsse weder mit ihnen leben, noch müsse man sie vernichten, man könne sie einfach ignorieren. Statt mit Weißen solle sich die Schwarze Bewegung mit anderen um ihre Befreiung und Selbstbestimmung kämpfenden Gruppen, etwa den peruanischen Indianern oder den bolivianischen Minenarbeitern, oder mit sonstigen Befreiungsbewegungen in Afrika und Vietnam verbünden.169 Auf dem Staff Meeting des SNCC im Dezember 1966 sollten diese Debatten einen unmittelbaren Niederschlag finden. Obwohl sich Carmichael bereits zu Beginn des Treffens für die in der Organisation verbliebenen weißen SNCC-Aktivist*innen eingesetzt hatte, drängte besonders die Atlanta-Gruppe auf deren Ausschluss. George Ware, ein Mitglied der Atlanta-Gruppe, bemängelte in seinem Redebeitrag, die Schwarzen SNCC-Aktivist*innen hätten das Konzept von Black Power offenbar nicht verstanden, denn wenn sie es verstanden hätten, würde es im SNCC schon längst keine Weißen mehr geben. Nach tagelangen Debatten entschied eine knappe Mehrheit der Versammlung letztlich, die Weißen aus der Organisation auszuschließen. Zu diesem Zeitpunkt war deren Anzahl aber ohnehin bereits sehr überschaubar: Nur noch sieben Weiße arbeiteten für die Organisation.170 James Forman verortete daher die wahren Gründe für den Beschluss in einem grundsätzlichen Dissens zwischen den Aktivist*innen über die Ursachen Schwarzer Unterdrückung: »The cause sprang from SNCC’s unresolved disagreement about the nature of problems that black people faced: Did our oppression spring from exclusively racial causes or from a combination of racial and class factors?«171 In den folgenden Monaten entwickelte sich diese Debatte weiter. Nach dem Staff Meeting wendete sich Carmichael im Februar 1967 in einem Interview mit The Movement gegen die separatistischen Tendenzen im SNCC. Er erklärte, dass blackness in der politischen Arbeit zwar notwendig, aber nicht ausreichend sei. Eine Bewegung 168 Lester (1971): The Angry Children of Malcolm X (1966), S. 480-481. 169 Ebd., S. 483. 170 Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 167; Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 475; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 240. 171 Forman (1972): The Making of Black Revolutionaries, S. 476.

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funktioniere nicht allein auf der Grundlage von blackness sondern durch Politik, so Carmichael.172 Doch nur wenige Monate später begann auch Carmichael, sich langsam genau für diese Positionen zu öffnen. So appellierte er in einer seiner letzten Reden als SNCC-Vorsitzender an die Schwarzen Studierenden des Morgan State College, sich ihrer Schwarzen Wurzeln stärker bewusst zu werden. Blackness wurde nun auch für ihn zu einem zentralen Ankerpunkt seines politischen Denkens. In dieser sehr grundsätzlichen Rede, in der er von den französischen Philosophen Albert Camus und Jean-Paul Sartre ausgehend über das Black-Power-Konzept und den Krieg in Vietnam bis hin zu Aufständen in den Schwarzen Ghettos eine ganze Reihe von Themen behandelt, werden die Einflüsse des black nationalism auf Carmichaels Denken deutlich. Gleich zu Beginn seiner Rede richtete er sich an die anwesenden Schwarzen Studierenden und erklärte: »[W]e must be united as people; […] That means that we must stop imitating white society and begin to create for ourselves and our own and begin to embody our own cultural patterns […].«173 In dem im Sommer 1967 erschienen Buch »Black Power«, das er zusammen mit dem Politikwissenschaftler Charles V. Hamilton veröffentlichte, zeigte sich Carmichael wesentlich reservierter als zuvor, was eine politische Zusammenarbeit zwischen armen Schwarzen und armen Weißen angeht. Zwar sah er darin nach wie vor ein zentrales Projekt zur Überwindung von Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft, allerdings stand er politischen Koalitionen auf Grundlage von Klassenzugehörigkeit zunehmend skeptischer gegenüber: »It is purely academic today to talk about bringing poor blacks and poor whites together, but the task of creating a poor-white power block dedicated to the goals of a free, open society – not based on racism and subordination – must be attempted. The main responsibility for this task falls upon whites.«174 Wiederum einige Monate später trat der Wandel, den Carmichael in seinem politischen Denken vollzogen hatte, noch deutlicher hervor. Carmichael – zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr Vorsitzender des SNCC – war gerade von einer mehrmonatigen Weltreise zurückgekehrt, die ihn auch nach Afrika geführt hatte. Die Treffen mit Vertretern verschiedener afrikanischer Befreiungsbewegungen hatten ihn nachhaltig beeindruckt. Carmichael machte nun klar, dass die Klassenfrage für ihn nicht im Mittelpunkt der Politik stehe. Schwarze Solidarität gehe vor Klassensolidarität. Die Schwarzen seien nicht nur Ausgebeutete, sondern auch Opfer von

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SNCC of California (1967): The Movement – February 1967 VOL. 3 NO. 2, S. 5. Haig, Bosmajian A. und Bosmajian Hamida (1969): The Rhetoric of the Civil-Rights Movement, New York: Random House, S. 114-115. Carmichael/Hamilton (1967): Black Power: The Politics of Liberation in America, S. 95.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

Rassismus. Weder Kommunismus noch Sozialismus würden Rassismus thematisieren. Rassismus sei aber für die Schwarzen in den USA ein wesentlich größeres Problem als ökonomische Ausbeutung: »No matter how much money you make in the black community, when you go into the white world you are still a nigger. The question of racism must be uppermost in our minds. How do we destroy those institutions that seek to keep us dehumanized?«175 In einer Rede im Februar 1968 erteilte Carmichael schließlich jeglichen Allianzen mit Weißen eine klare Absage: »When you talk about alliances you recognize that you form alliances with people who are trying to rebuild their culture, trying to rebuild their history, trying to rebuild their dignity, people who are fighting for their humanity. Poor white people are not fighting for their humanity, they’re fighting for money. There are a lot of poor white people in this country, you ain’t seen none of them rebel yet, have you?«176 Carmichael zufolge besitzen alle Weißen einen Überlegenheitskomplex. Daher sei es an der Zeit zu erkennen, wer der eigentliche Hauptfeind der Schwarzen Bewegung sei: »The major enemy is not your brother, flesh of your flesh and blood of your blood. The major enemy is the honky [abwertender Ausdruck für eine weiße Person; d. Verf.] and his institutions of racism.«177 In dieser Zeit kristallisierte sich ein neues Leitmotiv der politischen Arbeit im SNCC heraus. Für die Aktivist*innen rückte das Ziel in den Mittelpunkt, die US-amerikanischen Schwarzen in die Lage zu versetzten, politisch handlungsfähig zu werden. Angesichts der Watts Riots in Los Angeles beschrieb Courtland Cox in einem Positionspapier die politische Ausgangslage der US-amerikanischen Schwarzen im Jahre 1965 folgendermaßen: »The tragedy is that when Negroes riot they are politically seen but not heard. So the story of the plot often remains the same. And they are continually excluded.«178

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Zitiert in: Joseph (2014): Stokely: A Life, S. 242. Zitiert in: Allen (1969): Black Awakening in Capitalist America: an Analytic History, S. 211. Zitiert in: Ebd., S. 210-211. Cox (1965): What Would it Profit a Man to Have the Vote and Not be Able to Control it?

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Die Ausgrenzung und Diskriminierung der amerikanischen Schwarzen könnten nur dann überwunden werden, wenn die Schwarze Bewegung eine neue Richtung einschlagen würde: »It is now time for the protest movement to enter the realms of politics. […] The energy for this political thrust has to come from the victims of this country’s political exclusion. It now becomes necessary to develop a political environment where the organization and organizational participation of people becomes more important than the politiciansʼ platform.«179 Auch Carmichael und Hamilton betonen in »Black Power«, dass jede Gruppe zunächst die »eigenen Reihen« schließen müsse, bevor sie in der Lage sei, in die »offene Gesellschaft« treten zu können. Die Entwicklung von Gruppensolidarität, so Carmichael, sei eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt Interessenpolitik betreiben zu können.180 Beide Autoren halten es nicht für möglich, die anhaltende Ausgrenzung und Diskriminierung der Schwarzen im Rahmen der bestehenden Ordnung zu überwinden. Selbstorganisation und Gruppensolidarität, die zu einer Selbstvergewisserung und einer Stärkung politischer Handlungsfähigkeit führen, seien vielmehr zunächst notwendig, um die nächsten Schritte politischer Emanzipation gehen zu können. Bei den Wahlen zum Central Committee des SNCC im Mai 1967 trat Carmichael nicht mehr an. Viele SNCC-Aktivist*innen hatten kritisiert, dass Carmichael als Person die Arbeit der gesamten Organisation überstrahle. Seine ständige Medienpräsenz beinträchtige die Aktivitäten des SNCC und ließe die Organisation angreifbar werden.181 Carmichael verzichtete deshalb darauf, bei den Wahlen im Frühjahr 1967 noch einmal als Vorsitzender zu kandidieren. Sein Nachfolger wurde H. Rap Brown, von dem sich viele SNCC-Aktivist*innen weniger kontroverse und zugespitzte öffentliche Stellungnahmen erhofften.182 Diese Erwartungen erfüllte Brown allerdings nicht. Die Militanz seiner Rhetorik sollte schon bald diejenige von Carmichael übertreffen. Im Juli 1967 hielt Brown auf einer Demonstration in Cambridge im Bundesstaat Maryland eine hasserfüllte Rede, die später auch Gegenstand einer Anklage gegen Brown werden sollte. In dieser Rede beschwor er einen aufziehenden Krieg zwischen Schwarzen und Weißen:

179 180 181 182

Ebd. (Hervorh. im Original). Carmichael/Hamilton (1967): Black Power: The Politics of Liberation in America, S. 58. Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 230. Ebd., S. 251.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

»Brothers, you better get some guns. The [white] man has declared war on the black people.«183 Am Ende seiner Rede fordert Brown die Teilnehmer unmissverständlich dazu auf, Weiße zu töten und ihre Geschäfte zu zerstören: »I mean, don’t be trying to love that honky to death. Shoot him to death. Shoot him to death, brother. Because that’s what he is out to do to you. Do to him like he would do to you, but do it to him first. Like I said in the beginning, if this town don’t come around, this town should be burned down.«184 Allerdings nicht ohne den Demonstranten den Hinweis mitzugeben, dass sie nur das Eigentum von Weißen, keinesfalls aber ihre eigenen Sachen zerstören sollten: »But do this brother – don’t burn up your own stuff. Don’t tear up your own stuff. Whenever you decide to fight the man, take it to his battleground. It’s one thing that man respects. It’s money. That’s his god. When you tear down his store, you hit his religion. […] So, when you move to get him, don’t tear up your stuff, don’t tear up your brother’s stuff, hear?«185 Nach dieser Rede kam es zu heftigen Ausschreitungen in Cambridge, in deren Verlauf zahlreiche Geschäfte und eine Schule niedergebrannt wurden. Brown wurde kurz darauf vom FBI festgenommen und wegen Aufrufs zur Gewalt angeklagt.186 Nur wenige Monate später, während in verschiedenen US-amerikanischen Städten tagelange Unruhen tobten, veröffentlichte die SNCC-Gruppe in Chicago ein Flugblatt mit einer Kampfansage an das »weiße Amerika«: »We have to learn that black is so much better than belonging to the white race with the blood of millions dripping from their hands that goes far beyond any prejudice or resentment. We must fill ourselves with hate for all white things.«187 Die Gruppe nahm in ihrem Flugblatt direkt Bezug auf die afrikanischen Befreiungsbewegungen und propagierte die Infiltrierung und Sabotage von Regierungsbehörden und wichtiger Infrastrukturen nach dem Vorbild einer Guerilla-Kampfführung. Dazu gehöre auch die Unterwanderung aller Bürgerrechtsorganisation, um deren Arbeit zu chaotisieren und zu neutralisieren. Das Brown, H. Rap (1967): Transcription: Speech in Cambridge on July 24, 1967, Attorney General, http://msa.maryland.gov/megafile/msa/speccol/sc2200/sc2221/000012/000008/html/ speech1.html (abgerufen am: 3. August 2016). 184 Ebd. 185 Ebd. 186 Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 255-256. 187 Chicago Office of SNCC (1971): We want Black Power (1967), in: Meier, August, Elliott M. Rudwick und Francis L. Broderick (Hg.): Black protest thought in the twentieth century, Indianapolis: Bobbs-Merrill (The American Heritage Series), S. 484-490. 183

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Fragile kollektive Identitäten

sei notwendig, so die Verfasser des Flugblattes, weil sich diese Organisationen nur bei den Weißen anbiedern würden und nichts anderes als Werkzeuge weißer Machtpolitik seien. Gleichzeitig gingen die Autor*innen auf Distanz zum Kommunismus. Denn auch der Kommunismus sei nur eine weiße Doktrin, die für Schwarze nicht funktioniere. Aus diesem Grund könne man keine Unterstützung vonseiten kommunistischer Länder annehmen. Stattdessen müsse man Allianzen mit den Armen in den südamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Ländern bilden, um eigene Systeme, Doktrinen und Kulturen entwickeln zu können.188 Im Juni 1969 fand eines der letzten offiziellen SNCC-Treffen statt. Auf diesem Treffen wurde auf Anregung von Brown der Beschluss gefasst, eine paramilitärische Organisation zu gründen, die Black Revolutionary Action Party heißen sollte. Daraufhin erklärte James Forman seinen Austritt aus der Organisation. Zudem beschloss SNCC auf seiner letzten Sitzung, sich selbst in Student National Coordinating Committee umzubenennen und unterstrich damit die neue Ausrichtung der Organisation in Richtung eines black nationalism. In den darauffolgenden Monaten und Jahren zerfiel das SNCC völlig. Zuletzt war das SNCC nur noch in den drei Städten New York City, Atlanta und Cincinnati aktiv. Im Dezember 1973 stellte das FBI die Überwachung des SNCC ein, weil von der Organisation »in den vergangenen Jahren« keine bedeutenden Aktivitäten mehr ausgegangen seien.189

7.5.

Fazit

Das SNCC durchlief zwischen 1965 und 1967 einen Prozess politischer Radikalisierung. Dabei stechen vor allem zwei Entwicklungen besonders hervor, die die Radikalisierung des SNCC befördert und vorangetrieben haben und im Folgenden noch einmal zusammenfassend betrachtet werden. An erster Stelle sind die folgenschweren Veränderungen in der politischen Umwelt der Organisation zu nennen. Vor allem zwei Ereignisse im Jahre 1965 waren für die Bürgerrechtsbewegung von einschneidender Bedeutung. Das Inkrafttreten des Voting Rights Act und der Eintritt der USA in den Vietnamkrieg im Jahre 1965 veränderten die politischen Rahmenbedingungen, unter denen die Bewegung agierte, grundlegend. Beide Ereignisse betrafen das SNCC in besonderer Weise und destabilisierten sein bisheriges politisches Selbstverständnis. Zum einen mobilisierten der Vietnamkrieg und die damit verbundene Wehrpflicht, von der Schwarze, junge Männer überproportional häufig betroffen waren, in kurzer Zeit großen Widerstand bei vielen SNCC-Aktivist*innen. Zum anderen machte der Voting

188 Ebd. 189 Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 295-298.

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

Rights Act zahlreiche SNCC-Wählerregistrierungsprojekte überflüssig. Die SNCCAktivist*innen verloren einen zentralen Ankerpunkt ihrer eigenen politischen Arbeit und gerieten dadurch unter einen gewissen Erneuerungsdruck. Das beförderte wiederum eine intensive Auseinandersetzung über die politische Zukunft und die ›nächsten Schritte‹ der Bewegung. Das SNCC befand sich in dieser Zeit in einer Art politischem Vakuum. Dieses Vakuum wurde letztlich durch eine politisierte Form des Community Organizing gefüllt, wie es erstmals in Lowndes County praktiziert worden war. Diese Projekte verfolgten die Zielsetzung, die Schwarze Bevölkerung politisch zu organisieren und ihr eine Stimme zu geben. Mit seiner Grundidee einer Mischung von sozialer Selbstorganisation und politischen Empowerment bot der Ansatz des Community Organizing einen Anknüpfungspunkt an die separatistischen Ideen, die zu dieser Zeit bereits in der Schwarzen Bewegung virulent waren. Diese Ideen gingen von der Prämisse aus, dass die politische Organisation der Schwarzen Bevölkerung nur im Rahmen unabhängiger Institutionen und Strukturen möglich sei. So war für Aktivist*innen wie Stokely Carmichael die politische und soziale Abgrenzung von der weißen Mehrheitsgesellschaft eine notwendige Voraussetzung, um den bestehenden Machtstrukturen etwas entgegensetzen zu können. Das Ideal der gesellschaftlichen Integration der US-amerikanischen Schwarzen in die weiße Mehrheitsgesellschaft, das in den Anfangsjahren des SNCC diskusprägend gewesenwar,wurde nun vonvielenAktivist*innenverworfen.An seiner StellerücktenPositionen in den Mittelpunkt des Diskurses, die das Ziel der Integration in die weiße Mehrheitsgesellschaft infrage stellten und stattdessen den Aufbau von Schwarzen Machtbasen propagierten. Nicht ganz zufällig waren es die SNCC-Aktivist*innen der Community-Organizing-Projekte in Lowndes County und in Atlanta, die erstmals separatistische Positionen aufgriffen. Das SNCC begab sich damit in direkte Opposition zu den liberalen Eliten und den meisten anderen Bürgerrechtsorganisationen. Hatte man der US-Bundesregierung auf dem Parteitag der Demokraten in Atlantic City lediglich »Heuchelei« vorgeworfen, sah man in ihr mittlerweile nicht einmal mehr eine entfernte Bündnispartnerin, sondern nur noch eine politische Gegnerin. Eine Zusammenarbeit wurde nun kategorisch ausgeschlossen. Auch andere vormals Verbündete und Unterstützer wurden zunehmend als politische Gegner betrachtet, die es zu bekämpfen galt. Das SNCC befand sich also mitten in einem Prozess der politischen Polarisierung. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Narrationen, mit deren Hilfe Gemeinschaft im SNCC hergestellt wurde, so fällt auf, dass die narrativen Ankerpunkte über den gesamten Zeitraum der Existenz des SNCC sehr fragil und unsicher waren. Während die alten Narrationen kollektiver Identitätskonstruktionen (Gewaltverzicht, Integration) durch die tatsächlichen Verhältnisse in den Südstaaten massiv infrage gestellt wurden und für die SNCC-Aktivist*innen keine ausreichende Bindekraft mehr entfalten konnten, wurde die Bezugnahme auf eine Schwarze Identität in der letzten Phase zu einem zentralen Leitmotiv in der Organisation.

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Fragile kollektive Identitäten

Schwarzsein (blackness) entwickelte sich zum dominierenden Ankerpunkt für die politische Arbeit. So stellte man den Widerstand gegen den Vietnamkrieg, die soziale Lage der Schwarzen in den sogenannten Ghettos der Nordstaaten und die kolonialen Befreiungskämpfe in den afrikanischen Ländern in einen narrativen Zusammenhang zur übergeordneten Frage der Schwarzen Identität. Bemerkenswert ist, dass nicht etwa sozialistische oder kommunistische Gesellschaftsentwürfe, von denen andere Gruppen der neuen Linken in dieser Zeit stark inspiriert worden waren, zu einem ideologischen Bezugspunkt des SNCC wurden. Stattdessen setzte sich eine Schwarze Identitätspolitik durch, die sich durch Abgrenzung und Distanz zur weißen Mehrheitsgesellschaft auszeichnete, also die Polarisierung zwischen dem Innen und dem Außen der Organisation vorantrieb. Obwohl man sich im SNCC durchaus mit Ansätzen beschäftigt hatte, die stärker die Frage von Klassenverhältnissen betonten, waren es separatistische Positionen und die Idee des black nationalism, die sich letztlich im bewegungsinternen Diskurs durchsetzten. Spätestens nach dem Ausschluss der weißen SNCC-Aktivist*innen im Dezember 1966 sah sich das SNCC als eine rein Schwarze revolutionäre Organisation, die es zu einer Voraussetzung der gesellschaftlichen und politischen Befreiung der US-amerikanischen Schwarzen erklärte, jegliche Beziehung zur weißen Mehrheitsgesellschaft abzubrechen. Mit der Hinwendung zu einer Schwarzen Identitätspolitik kam es jedoch zu einer zweiten markanten Entwicklung: SNCC-Aktivist*innen öffneten sich in dieser Zeit für gewaltorientierte Aktionsformen. In ihren Äußerungen nahmen manche, wie beispielsweise Carmichael, nicht mehr nur ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt ein, sondern riefen wie etwa Brown teilweise auch offen zur Anwendung von Gewalt auf. Die schrittweise Verankerung separatistischer Ideen und des black nationalism innerhalb des SNCC führte also zu einer größeren Akzeptanz von Gewalt als einem legitimen Mittel der politischen Auseinandersetzung. Das tatsächliche Gewaltpotenzial des SNCC in dieser Zeit ist schwer einzuschätzen; der radikale Wandel in den diskutierten Themen und den Diskursen findet sich jedenfalls in dieser Deutlichkeit bei den politischen Aktionsformen nicht wieder. Daher kann angenommen werden, dass sich die auf der sprachlichen Ebene zu beobachtende Radikalisierung nicht im selben Maße im konkreten Handeln dieser Aktivist*innen niederschlug. Lediglich eine sehr kleine Gruppe ehemaliger SNCC-Aktivist*innen ging Ende der 1960er-Jahre in den Untergrund und nahm aktiv an gewaltsamen Aktionen teil. Nichtsdestotrotz deuten viele Äußerungen verschiedener Gruppenmitglieder darauf hin, dass Gewalt zunehmend als ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung betrachtet wurde. Der Grundsatz der Gewaltlosigkeit fiel als moralische Bezugsgröße weg und wurde durch eine aggressive Rhetorik ersetzt, die Gewalt befürwortete. Die Auflösung bestehender Identitätsbezüge im SNCC ab 1965 ging demnach mit einer verstärkten Hinwendung zu separatistischen Ideen einher. Diese Ide-

7. 1965-1968 – Vietnamkrieg und Black Power

en waren im Konzept der politischen Selbstbestimmung und Selbstorganisation des Community Organizing, das sich durch die Arbeit in der Wählerregistrierung in den Südstaaten herausgebildet hatte, bereits angelegt. Allerdings spielten sie erst nach der Auflösung der SNCC-Wählerregistrierungsprojekte eine größere Rolle für die Organisation. Der Bedeutungszuwachs separatistischer Ideen führte bei den SNCC-Aktivist*innen zu einer schärferen Unterscheidung zwischen einer Ingroup und einer Outgroup. Dadurch änderte sich die Narration über das Ziel und das Wesen des eigenen Protests grundlegend. Weiße wurden nicht mehr – wie noch in den Anfangsjahren – als potenzielle Verbündete im Kampf gegen Diskriminierung von Schwarzen wahrgenommen, sondern per se als politischer Gegner angesehen, die die eigene (Schwarze) Gruppenidentität bedrohen. In dieser Situation wurde die Verteidigung dieser Gruppenidentität zur handlungsleitenden Maxime und ließ eine zunehmende Offenheit für Gewalt entstehen. Dieser Prozess kann als Radikalisierung bezeichnet werden. Ausschlaggebend dafür war allerdings nicht die Durchsetzung von bestimmten Interessen oder der Kampf um Ressourcen, sondern die Verteidigung oder auch Stabilisierung der eigenen Gruppenidentität. Erst als die bisherigen Narrationen, wie der Grundsatz des gewaltlosen Protests oder der Integrationsansatz, nicht mehr ausreichten, um Gruppenkohäsion herzustellen, wurden neue Narrationen notwendig, die den Praxen und Erfahrungen der Aktivist*innen eine zusammenhängende und sinnhafte Deutungsstruktur verliehen. Im Falle des SNCC waren es separatistische Ideen, die Abgrenzung gegenüber anderen politischen Gruppen und Parteien vorantrieben, die Polarisierung zwischen innen und außen verstärkten und dadurch schließlich die Radikalisierung der Gruppe beförderten.

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8. Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Wie konnte das Student Nonviolent Coordinating Committee im Laufe seiner kurzen Geschichte von einer christlich-pazifistischen Bürgerrechtsorganisation zu einer Gewalt befürwortenden, separatistischen Bewegung werden – also einen Weg einschlagen, den man gemeinhin als einen Prozess der politischen Radikalisierung beschreiben kann? In der vorliegenden Arbeit wurde dargelegt, inwiefern Theorieansätze aus der Bewegungsforschung die Radikalisierung sozialer Bewegungen thematisieren und erklären. Dabei wurde deutlich, dass sowohl die älteren struktur-funktionalistischen Ansätze als auch die jüngeren Ressourcenmobilisierungsansätze und die Political-Process-Theory erhebliche Schwierigkeiten haben, die Radikalisierung von sozialen Bewegungen konzeptionell zu erfassen. Da sich in Radikalisierungsprozessen häufig kein klares Kosten-Nutzen-Kalkül der Akteure ausmachen lässt, neigen diese Ansätze dazu, radikale Bewegungen als bloße Reaktion auf bestimmte politische Gelegenheitsstrukturen zu betrachten oder sie als eine irrationale Restgröße menschlichen Handelns zu begreifen. Die einzelnen Individuen werden dabei entweder zum Spielball äußerer Umstände erklärt oder ihr Handeln wird verkürzt als pathologisch eingestuft.1 Das Fallbeispiel des SNCC zeigt hingegen: Bei den Aktivist*innen handelte es sich nicht um entwurzelte oder in besonderer Weise psychologisch belastete Individuen, sondern um gesellschaftlich gut integrierte Menschen, die in der Lage waren, ihr Handeln in hohem Maße zu reflektierten. Auch bestimmte Merkmale in der Strukturierung politischer Gelegenheiten, wie der Zugang zu Ressourcen und das Ausmaß der Repression gegenüber sozialen Bewegungen, die in der Forschungsliteratur klassischerweise als treibende Kräfte für Radikalisierung angeführt werden,2 können im Falle des SNCC die Radikalisierung der Aktivist*innen nur begrenzt erklären. Hinzu kommt, dass die beschriebene Radikalisierung des SNCC stattfand, obwohl die Organisation durchaus politische Erfolge für sich verbuchen konnte. So kann das Zustandekommen des Civil Rights Acts oder des Voting Rights Acts ein stückweit auch der Arbeit der SNCC-Aktivist*innen in 1 2

Pettenkofer (2010): Radikaler Protest: zur soziologischen Theorie politischer Bewegungen, S. 49. Vgl. Koopmans (2004): Protest in Time and Space: The Evolution of Waves of Contention, S. 29; Tarrow (2011): Power in Movement: Social Movements and Contentious Politics, S. 207.

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Fragile kollektive Identitäten

den Südstaaten zugeschrieben werden. Zumindest wurden durch diese beiden Gesetze einige zentrale politische Forderungen des SNCCs eingelöst. Auch wenn die Diskriminierung der Schwarzen in den USA nach wie enorm war, lässt sich schwer bestreiten, dass die Schwarze Bewegung damit zumindest einen Teilerfolg errungen hatte. Es ist daher eine zentrale Beobachtung dieser Arbeit, dass im Falle des SNCC ein Radikalisierungsprozess stattfand, obwohl die Organisation eigentlich politisch erfolgreich war und die Gelegenheitsstrukturen eine solche Entwicklung nicht hätten vermuten lassen. Eine Erkenntnis, die in der einschlägigen Literatur zur Geschichte der Bürgerrechtsorganisation bisher keine ausreichende Würdigung fand. Aus diesem Grund habe ich in dieser Arbeit versucht, die bestehenden Erklärungsmodelle zu erweitern und die Rolle von kollektiven Identitätskonstruktionen verstärkt in den Blick zu nehmen. Im Mittelpunkt stand dabei die Fragestellung, ob und wie die Destabilisierung von kollektiven Identitätskonstruktionen die Radikalisierung von Akteuren befördern kann. Ausgangspunkt meiner Überlegungen war dabei die These von Erik Ringmar (1996), dass sowohl Individuen als auch kollektive Akteure den Raum des rationalen Kosten-Nutzen-Kalküls verlassen, wenn ihre Identitäten fragil und unsicher werden. Ins Zentrum des Handelns rückt dann die Verteidigung der persönlichen oder kollektiven Identität. Das Ziel ihres Handelns ist dann nicht mehr notwendigerweise die Maximierung eigener Vorteile, sondern die Anerkennung der eigenen Gruppe durch andere.3 In diesem Zusammenhang habe ich argumentiert, dass die Destabilisierung der kollektiven Identitätsbezüge im SNCC die Radikalisierung der Organisation befördert hat. Dabei wird nicht die These vertreten, dass Akteure, deren Identität prekär geworden ist, das Rationalitätsprinzip aufgeben und einfach damit beginnen irrational zu handeln. Vielmehr wurde in dieser Arbeit darauf hingewiesen, dass die Aktivist*innen sehr reflektiert und abwägend ihre Entscheidungen trafen. Die Entscheidung sich gegen den Vietnamkrieg auszusprechen oder auch die mediale Inszenierung des Black-Power-Slogans erfolgten wohl kalkuliert, allerdings nicht im Sinne eines Kosten-Nutzen-Kalküls für die Organisation. Denn den Aktivist*innen war bewusst, dass durch die Verlautbarung bestimmter Positionen (z.B. zu Vietnam oder zu Black-Power) die öffentliche und finanzielle Unterstützung massiv schwinden würde. Das wurde in einzelnen Fällen sogar intensiv diskutiert. Trotzdem entschieden sich die Aktivist*innen für diesen Weg, da sie es für politisch notwendig und geboten hielten, um den inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft, für die sie zu sprechen vorgaben, zu festigen. In manchen Fällen wurde der Verlust der finanziellen Abhängigkeit sogar begrüßt, da damit eine größere politische Unabhängigkeit einherging, auch wenn die Organisation selbst damit zerstört wer-

3

Ringmar (1996): Identity, Interest and Action – A cultural explanation of Sweden´s intervention in the Thirty Years war.

8. Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

den würde. Die Aktivist*innen gaben also keineswegs das Rationalitätsprinzip auf, sondern legten für ihr Handeln nur eine andere Rationalität zugrunde.

8.1.

Prozesse kollektiver Identitätskonstruktion in der Radikalisierung sozialer Bewegungen

Ich habe in dieser Arbeit gezeigt, dass es zwischen 1960 und 1968 zu einer grundlegenden Transformation der kollektiven Identitätsbezüge der SNCC-Aktivist*innen kam. Dabei konnten die Auflösung alter Identitätsbezüge und die zunehmende Polarisierung von kollektiven Identitäten verschiedener Gruppen als diejenigen Prozesse ausgemacht werden, die diese Transformation im hohen Maße prägten und eine wichtige Rolle bei der Radikalisierung des SNCC spielten. Einerseits wurde deutlich, dass die alten Narrationen zur Herstellung von kollektiver Identität im SNCC nicht mehr ausreichend Bindekraft entfalteten, um die Aktivist*innen in die Gruppe integrieren zu können. Der Grundsatz des gewaltlosen Protests und die Vorstellung, dass die Schwarze Minderheit durch umfassende Gleichstellungsmaßnahmen in die weiße Mehrheitsgesellschaft integriert werden müsse, die als zentrale Narrationen in den Anfangsjahren das Selbstverständnis und das politische Handeln der Gruppe bestimmten, verloren in der darauffolgenden Zeit stark an Bedeutung. Beide Narrationen wurden bereits in der zweiten Untersuchungsphase (Mitte 1962 – Mitte 1965) in den organisationsinternen Diskussionen massiv infrage gestellt und verschwanden nach 1965 nahezu völlig aus dem Diskurs. Das Inkrafttreten des Voting Rights Act im Jahr 1965 beschleunigte schließlich diese Auflösung der alten Identitätsbezüge, sodass sich das SNCC in einer Art politischem Vakuum wiederfand. Das politische Ziel des SNCC, den Schwarzen in den Südstaaten die Wahrnehmung ihres Wahlrechts zu ermöglichen, hatte viele unterschiedliche Aktivist*innen zusammengebracht. Die Projekte zur Wählerregistrierung wurden infolge der neuen Gesetzeslage jedoch weitgehend obsolet, da nun Bundesbehörden diese Aufgabe übernahmen. Viele SNCC-Projekte stellten daraufhin ihre Arbeit ein. Zwar hatte die Organisation eines ihrer zentralen politischen Ziele erreicht, allerdings entfiel dadurch auch der wichtigste Bezugspunkt ihrer politischen Arbeit. Das SNCC sah sich daraufhin mit der grundsätzlichen Frage nach ihrer zukünftigen politischen Ausrichtung konfrontiert. Nachdem die Wählerregistrierung als politisches Betätigungsfeld weggefallen war, musste ein neues Bindeglied gefunden werden, mithilfe dessen die Organisation ihr Innen-Außen-Verhältnis stabilisieren und sich gleichzeitig als eine Protestgemeinschaft identifizieren konnte. Die Schwarze Identitätspolitik bot in dieser Situation eine Möglichkeit, die entstandene Lücke zu füllen. Dabei war es vor allem die Idee der Schwarzen Selbstbestimmung, die auch durch die Arbeit im Community Organizing inspiriert war, die dazu führte, dass sich das SNCC für se-

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Fragile kollektive Identitäten

paratistische Positionen und die Idee des black nationalism öffnete. So waren es zunächst die Gruppen in Atalanta und Lowndes County, die Selbsthilfegruppen für die Schwarze Bevölkerung organisierten, aus denen heraus separatistische Positionen in die SNCC-internen Diskussionen getragen wurden. Diese Ansätze gingen im Kern davon aus, dass für eine Schwarze Emanzipation zunächst der Aufbau einer eigenen Machtbasis notwendig sei. Mit dem Black-Power-Slogan erlangten diese Ansätze große öffentliche Aufmerksamkeit und blieben bis zur Auflösung der Organisation ihr zentrales Leitmotiv. Unterstützt wurde dieser Wandel kollektiver Identitätskonstruktion in der Organisation vor allem durch die Größe des SNCCs und seine nicht-hierarchischen Entscheidungsstrukturen. Andere Bürgerrechtsorganisationen, wie die SCLC oder die NAACP, waren wesentlich mitgliederstärker und besaßen wesentlich zentralisiertere Entscheidungsstrukturen. Eine mögliche Destabilisierung kollektiver Identitätskonstruktion wäre in diesen Organisationen wesentlich schwerfälliger vonstattengegangen. Im Vergleich zur NAACP, die im Jahre 1963 circa 400.000 Mitglieder zählte4 , war das SNCC eine sehr kleine Organisation mit einer überschaubaren Bürokratie. Das SCLC wiederum war gänzlich auf Martin Luther King zugeschnitten. Alle strategischen Entscheidungen wurden von ihm getroffen. Die Bindekraft, die er aufgrund seiner Persönlcihkeit in die Organisation hinein entfaltete, war bis zu seinem Tod 1968 von enormer Bedeutung.5 Die Organisationsstruktur des SNCCs war dagegen sehr informell und basisdemokratisch ausgelegt. Die damit eingehergehende Fragilität machte es für die Organisation schwer auf Veränderungen in ihrer Umwelt zu reagieren. Die Destabilisierung kollektiver Identität dürfte dadurch noch einmal verstärkt worden sein. Diese Organisationsstruktur ermöglichte es wiederum, dass einzelne Entscheidungen, wie zum Beispiel die Wahl von Stokely Carmichael zum SNCCVorsitzenden oder der Ausschluss aller weißen SNCC-Aktivist*innen, eine erhebliche Tragweite für die Organisation erhielten. Insofern konnte diese Arbeit die Einschätzung bestätigen, dass die spezifische Arbeitsweise bzw. Organisationsstruktur des SNCCs einen Einfluss auf seine Radikalisierung hatte. Allerdings reicht allein der Blick auf die Organisationsstrukturen nicht aus, um den Radikalisierungsprozess fassen zu können. Als zweiter zentraler Prozess lässt sich andererseits eine wachsende Polarisierung zwischen dem SNCC auf der einen Seite und anderen Bürgerrechtsorganisationen sowie den politischen Eliten auf der anderen Seite ausmachen. Bert Klandermans (2014) beschreibt solche Polarisierungsprozesse zwischen kollektiven

4 5

Meier, August und John H. Bracey (1993): The NAACP as a Reform Movement, 1909-1965: »To Reach the Conscience of America«, in: The Journal of Southern History 59/1, S. 3-30. Umoja (1999): The Ballot and the Bullet: A Comparative Analysis of Armed Resistance in the Civil Rights Movement, S. 570-571.

8. Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Identitäten als das In-Gang-Setzen einer Dynamik, bei der sich zwei Gruppen als Antipoden ›gegenseitig am Leben erhalten‹. Beide Seiten bestätigen sich wechselseitig, indem sie sich als in Opposition zueinanderstehend identifizieren und einander als die Hauptadressaten ihres kollektiven Handelns betrachten. Durch diese fortlaufende Konfrontation können sich Gruppen immer weiter radikalisieren. Dabei entsteht eine scharfe Unterscheidung zwischen der Ingroup und der Outgroup. Wenn Individuen dann das Gefühl haben, dass durch eine Konfrontation ihre eigene Gruppenidentität bedroht oder infrage gestellt wird, verstärkt dies die Identifikation mit ihrer eigenen Gruppe. Es kann sogar sein, dass sich Individuen erst im Laufe einer Auseinandersetzung einer bestimmten sozialen Kategorisierung bewusst werden. Gruppenmitglieder versuchen dann, ihr bedrohtes Selbstwertgefühl durch die Betonung der eigenen Gruppenidentität und die Herabsetzung der Outgroup zu ›reparieren‹. Es beginnt ein Kreislauf, in dem jeder konflikthafte Vorfall (z.B. eine Gewalt- oder Diskriminierungserfahrung) einen Beweis für die bedrohte Identität darstellt und danach verlangt, ›repariert‹ zu werden. Dieser zyklische Prozess befördert die weitere Radikalisierung des gruppeninternen Diskurses.6 Beim SNCC lässt sich dieser Polarisierungsprozess entlang einer Reihe von Ereignissen gut nachzeichnen. Besonders einschneidend waren die Erfahrungen mit Repression und Gewalt in den ländlichen Gegenden der Südstaaten. Im Gegensatz zu anderen Bürgerrechtsorganisationen arbeitete das SNCC in der Wählerregistrierung mit Menschen zusammen, die tagtäglich rassistischer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt waren. Der Ku-Klux-Klan, Segregationsbefürworter*innen und die lokale Polizei bedrohten und attackierten regelmäßig SNCC-Aktivist*innen bei ihrer Arbeit. Wie weit sie dabei zu gehen bereit waren, zeigte der Mord an drei Aktivist*innen während des Mississippi Freedom Summer 1964, der in der Öffentlichkeit besondere Aufmerksamkeit erlangte. Die schließlich seit 1964 zunehmende Diskussion über Selbstverteidigung und die Bewaffnung von SNCC-Gruppen macht deutlich, wie bedroht sich die SNCCAktivist*innen bei ihrer Arbeit in den Südstaaten fühlten. Während in den Anfangsjahren das Tragen von Waffen noch grundsätzlich abgelehnt worden war, gab es spätestens seit 1965 eine Art Grundkonsens über die Legitimität bewaffneter Selbstverteidigung in der Organisation. Doch nicht nur die unmittelbare physische Bedrohung prägte die Diskurse im SNCC. Auch der Parteitag der Demokraten in Atlantic City im Sommer 1964, bei dem es den SNCC-Aktivist*innen nicht gelungen war, ein volles Stimmrecht für die Delegierten der Mississippi Democratic Freedom Party (MFDP) zu erstreiten, führte zu einer Entfremdung zwischen dem SNCC und denjenigen politischen Eliten, mit denen die Organisation zuvor zusammengearbeitet hatte. Viele SNCC-Aktivist*innen empfanden die Ereignisse in 6

Klandermans (2014): Identity Politics and Politicized Identities: Identity Processes and the Dynamics of Protest, S. 17-18.

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Fragile kollektive Identitäten

Atlantic City als Verrat an der Schwarzen Bewegung. Diese Erzählung schrieb sich tief in den Diskurs innerhalb des SNCC ein. Weitere Ereignisse führten infolgedessen ebenfalls zu einer verstärkten Abgrenzung der SNCC-Aktivist*innen gegenüber der weißen Mehrheitsgesellschaft und zu einer schärferen Trennung zwischen Ingroup und Outgroup. So trafen die Ablehnung des Vietnamkrieges durch das SNCC und die Debatte um Black Power im Jahre 1966 in der Öffentlichkeit und bei den politischen Eliten auf scharfe Kritik, die sich auch in einem Einbruch der Spendeneinnahmen niederschlug. Innerhalb des SNCC stärkten diese Debatten jedoch die separatistischen Strömungen. Im Dezember 1966 wurden schließlich alle weißen Mitglieder aus der Organisation ausgeschlossen.

8.2.

Der Wandel kollektiver Identitäten im SNCC

Betrachtet man nun diese Wandel der Narrationen kollektiver Identitätskonstruktion im SNCC, so kann man feststellen, dass sich die symbolischen Codes zur Herstellung einer Grenze zwischen dem Innen und dem Außen der Gemeinschaft grundlegend veränderten. Für ein besseres Verständnis dieses Wandels ist die von Bernhard Giesen (1999) vorgeschlagene Typologie der Codierung kollektiver Identität hilfreich. Das SNCC bezeichnete sich selbst bei seiner Gründung im Frühjahr 1960 als eine redemptive community,7 als eine erlösende Gemeinschaft. Im Zentrum stand die Schaffung einer beloved community, einer Gemeinschaft ohne rassistische Diskriminierung und Gewalt.8 Dabei mischten sich im SNCC politischer Aktivismus und (religiöses) Heilsversprechen. Emily Stoper (1977) schrieb deshalb dem SNCC in den Anfangsjahren einen fast schon sektenähnlichen Charakter zu.9 Dennoch war die Gemeinschaft nicht exklusiv, sondern offen für alle, die die Ideale und die Ziele der Organisationen teilten. Um ein Teil der SNCC-Gemeinschaft zu werden, war vor allem das Bekenntnis und das eigene Handeln wichtig, nicht die formelle Mitgliedschaft. Das SNCC selbst führte keine Mitgliederlisten.10 Die Grenzen zwischen der Gemeinschaft und der Außenwelt waren durchlässig. Giesen bezeichnet diese Form der Konstruktion von Gemeinschaft als »universalisti-

7 8

9 10

SNCC (1960): SNCC Founding Statement, Southwide Youth Leadership Conference, Shaw University, Raleigh, NC. Hogan (2007): Many Minds, one Heart: SNCC’s Dream for a New America, S. 22-23; Lewis (1998): Walking with the Wind: A Memoir of the Movement, S. 78; Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, S. 21. Stoper (1977): The Student Nonviolent Coordinating Committee: Rise and Fall of a Redemptive Organization. Ling (2012): SNCC: Not One Committee, but Several.

8. Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

sche Codierung«11 von kollektiver Identität. Im Zentrum dieser Identitätsbildung steht die Transformierung des Weltlichen im Namen des Heiligen. Das Bekenntnis zu einer besonderen Idee der Erlösung lässt einen Menschen zum Teil einer Gemeinschaft werden. Es ist also weder die Herkunft noch sind es bestimmte praktizierte Traditionen oder bestimmte geteilte Erinnerungen, die für die Identität einer Gruppe konstitutiv sind. Diese Codierung bezeichnet Giesen deshalb als universalistisch, da die Aufnahme in die Gemeinschaft und die Chance auf Erlösung grundsätzlich jedem Menschen offensteht. Es sind besonders die missionarischen Erlösungsreligionen, wie das Christentum, der Islam und der Hinduismus, bei denen typischerweise eine solche universalistische Konstruktion von Gemeinschaft zu finden ist. Aber auch in säkularen Bewegungen, wie der Aufklärung oder dem Sozialismus, die im Namen des Fortschritts, der Vernunft oder der Emanzipation die Welt verändern oder erlösen wollen, ist diese universalistische Codierung kollektiver Identität zu entdecken.12 Spätestens mit dem Ausschluss der weißen SNCC-Aktivist*innen im Dezember 1966 hatte sich die Identitätskonstruktion der Organisation grundlegend verändert. Die Idee einer politischen Bewegung, die inklusiv und offen für alle ist, wurde durch eine exklusive und ausgrenzende Gemeinschaftsvorstellung abgelöst. Schwarzsein wurde zur Voraussetzung dafür, ein Teil der Protestgemeinschaft für die Emanzipation der Schwarzen zu sein. Das ging auch einher mit einer Abwertung von Weißen, die nun durchweg als Gegner und nicht mehr als potenzielle Bündnispartner angesehen wurden. Die neue politische Richtung, die das SNCC damals einschlug, war an eine spezifische Vorstellung von kollektiver Identität gekoppelt. An die Stelle der universalistischen Konstruktion von Gemeinschaft trat eine »primordiale Codierung«13 kollektiver Identität. Darunter versteht Giesen die Unterscheidung zwischen innen und außen einer Gemeinschaft, die wiederum an Unterscheidungen anknüpft, die wir als ursprünglich gegeben betrachten und die (scheinbar) nicht durch »Diskurs, Tausch und Wahl«14 verändert werden können. Wenn sich Gemeinschaften durch Rückgriff auf Kategorien wie Geschlecht oder Generation, Verwandtschaft oder Herkunft, Ethnizität oder ›Rasse‹ von einer Außenwelt abgrenzen, liegt eine solche primordiale Codierung von kollektiver Identität vor. Dabei werden die Gemeinschaftsgrenzen nicht als etwas sozial Geschaffenes, sondern als Teil der natürlichen Ordnung begriffen, sodass ihre Überschreitung so gut wie unmöglich erscheint. Anders gesagt: Aufnahme in diese Art von Gemeinschaft kann man nur durch Geburt und nicht durch ein bestimmtes Handeln oder die Übernahme von 11 12 13 14

Giesen (1999): Die Intellektuellen und die Nation. 2. Kollektive Identität 2. Kollektive Identität, S. 54. Ebd., S. 54-55. Ebd., S. 32. Ebd.

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Normen und Werten finden. Der Gegensatz zwischen ›Natur‹ und ›Gesellschaft‹ wird dabei besonders hervorgehoben. Während die Gesellschaft als wandelbar und instabil wahrgenommen wird, ist die Natur der Ort des Nichthinterfragbaren und Heiligen. Dies geht einher mit der Vorstellung, dass Geschichte und Gesellschaft erst dann zur Ruhe kommen, wenn eine Gemeinschaft auf ihre ›natürlichen‹ Grenzen zurückgeführt wird.15 Seit 1965 lässt sich in den Diskursen innerhalb des SNCC eine zunehmend härtere Grenzziehung zwischen der Schwarzen Gemeinschaft, als deren Sprachrohr sich das SNCC verstand, und der Außenwelt beobachten. Bei der Konstruktion dieser Gemeinschaftsvorstellung spielte die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte und die Rückbesinnung auf die afrikanischen Wurzeln der US-amerikanischen Schwarzen eine wichtige Rolle. So wurden diese Themen seit 1965 immer häufiger in den internen Diskussionen aufgegriffen und mit den eigenen Protesterfahrungen in Zusammenhang gebracht. Das SNCC selbst sah sich als Teil der antikolonialen Befreiungsbewegungen, die sich seit den 1950er- bzw. 1960er-Jahren in vielen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern formierten. Der Bezug auf eine Schwarze Identitätspolitik im Kontext der kolonialen Befreiungskämpfe ermöglichte eine Abgrenzung von der dominierenden weißen Geschichtsschreibung der US-amerikanischen Mehrheitsgesellschaft und stärkte die Vorstellung von einer Schwarzen Gemeinschaft, deren Mitglieder die gemeinsame afrikanische Herkunft verbindet. In den SNCC-internen Diskursen wurde immer wieder betont, dass man zunächst die ›eigenen Reihen‹ schließen müsse, bevor man in weitere gesellschaftliche Auseinandersetzung gehen könne. Effektive politische Einflussnahme sei nur dann möglich, wenn zuvor eine unabhängige politische Basis geschaffen worden sei. Anders könne Schwarze Selbstbestimmung nicht erreicht werden. Die Gründung der LCFO im Jahre 1965 war der erste Versuch, eine ausschließlich von Schwarzen kontrollierte und finanzierte Organisation aufzubauen. Gleichzeitig geriet der Integrationsansatz, der jahrelang das Leitbild der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung gewesen war, immer stärker in Kritik. Den SNCC-Aktivist*innen ging es nun nicht mehr darum, in dem von Weißen dominierten politischen System einen Platz einzunehmen, sondern um den Aufbau von eigenen, parallelen Strukturen, um die althergebrachten Machtverhältnisse zu durchbrechen. Stokely Carmichael und Charles V. Hamilton (1967) formulierten diesen neuen Anspruch in ihrem Buch zu Black Power folgendermaßen: »Before a group can enter the open society, it must first close ranks. By this we mean that group solidarity is necessary before a group can operate effectively from a bargaining position of strength in a pluralistic society.«16

15 16

Ebd., S. 32-33. Carmichael/Hamilton (1967): Black Power: The Politics of Liberation in America, S. 58.

8. Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Carmichael sah in der Schließung der eigenen Gruppengrenzen die Voraussetzung dafür, als Gruppe effektiv handeln zu können. Für ihn war klar, dass eine Gruppe, die sich aus gesellschaftlich und politisch Marginalisierten zusammensetzt, nur dann zu einem handelnden Subjekt werden kann, wenn sie zunächst in der Lage ist, sich eindeutig von ihrer Außenwelt abzugrenzen. Erst dann könne eine solche Gruppe eine starke Verhandlungsposition gegenüber Außenstehenden einnehmen. Diese Transformation von einer universalistischen zu einer primordialen Codierung kollektiver Identität war ein zentrales Merkmal der Radikalisierung des SNCC. Die alten Narrationen konnten nicht mehr die notwendige Bindekraft für die Gruppe entwickeln. Ihre zunehmende Destabilisierung führte dazu, dass die Sicherung bzw. Verteidigung der eigenen Gruppenidentität, deren Bezugspunkt das Schwarzsein war, zur handlungsleitenden Maxime der SNCC-Aktivist*innen wurde. Im Mittelpunkt stand nicht mehr das politische Ziel, das erreicht werden sollte, sondern die Konsolidierung der eigenen Gruppengrenzen. Diese Grenzen der eigenen Gemeinschaft wurden als ein Teil der natürlichen Ordnung begriffen. Ihre Überschreitung wurde dadurch für Außenstehende, die nicht der Gemeinschaft angehören, quasi unmöglich. Damit rückt die Frage nach der eigenen Identität ins Zentrum der Politik und stellte das Handeln der Individuen auf eine neue Grundlage. Doch warum kam es überhaupt zu einer solchen Transformation kollektiver Identität? Warum setzte sich im SNCC gerade eine solche primordiale Codierung kollektiver Identitätskonstruktion durch? Warum wendeten sich die SNCC-Aktivist*innen separatistischen und nicht etwa sozialistischen Ideen zu? Letztere spielten damals in der Organisation durchaus eine Rolle und hätten eine wesentliche weniger strikte Grenzziehung zur Definition von Gemeinschaft zugelassen. Stattdessen dominierten schon bald Ideen die SNCC-intern Debatten, die im strukturellen Rassismus der US-Gesellschaft die zentrale Ursache für die Armut und die soziale Ausgrenzung der amerikanischen Schwarzen sahen. Demgegenüber wurde der Klassenzugehörigkeit von Individuen schon bald eine nachgeordnete Bedeutung zugeschrieben. Das zeigte sich beispielsweise an der Frage, ob eine strategische Zusammenarbeit des SNCC mit der weißen Unterschicht denkbar wäre. Zunächst plädierten einige SNCC-Aktivist*innen – so beispielsweise auch Stokely Carmichael – für ein solches Bündnis. Es wurden sogar entsprechende Programme geplant.17 Allerdings verwarfen die SNCCAktivist*innen diese Möglichkeit schon bald wieder und bezogen sich stattdessen nur noch auf separatistische Konzepte. Eine mögliche Erklärung dafür, warum sich das SNCC dieser primordialen Codierung kollektiver Identität zuwendete, könnte darin liegen, dass die Essenzialisierung der Gemeinschaftsgrenzen in Phasen gesellschaftlicher Instabilität eine relativ einfache Möglichkeit bietet, den 17

Carson (1994): In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s.

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Fragile kollektive Identitäten

Zusammenhalt einer Gruppe zu sichern und sie handlungsfähig zu machen. So argumentiert die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak, dass eine Essenzialisierung der Beziehungen von Angehörigen einer Gemeinschaft eine naheliegende Strategie von gesellschaftlich marginalisierten Individuen sein kann, um existierende individuelle Unterschiede innerhalb einer Gruppe zu überwinden und sie zu einem handelnden Subjekt zusammenschließen zu können. Obwohl die Bezugnahme auf eine Essenz wie ›Rasse‹, Sexualität, Religion, Sprache oder Geschlecht, so Spivak, nur konstruiert und somit fiktional sei, besitze sie in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen einen hohen strategischen Wert, da sie Gruppengrenzen konsolidiere und Ausgangspunkt für kollektives Handeln sein könne.18 Im Falle des SNCC kann man daher die Bezugnahme auf eine primordiale Identitätskonstruktion als einen Versuch interpretieren, die Gruppenkohäsion zu stärken und politische Handlungsfähigkeit (wieder-)herzustellen. In den SNCC-Diskursen dominierte die Vorstellung, dass die politische Emanzipation der Schwarzen nicht primär durch die Lösung der Klassenfrage, sondern vor allem durch politische Selbstbestimmung zu erreichen sei. Schwarze müssten zum Subjekt ihres eigenen Handelns werden. Voraussetzung hierfür war jedoch Klarheit darüber, wer eigentlich Teil der Gemeinschaft ist und wer nicht. Wer gehörte zum Kollektiv, für wen sprach das SNCC? Um diese Frage zu beantworten, mussten die Gemeinschaftsgrenzen eindeutig gezogen werden. Die ursprünglich universalistische Codierung kollektiver Identität des SNCC war für eine solche Grenzziehung unzureichend. Denn die Imagination eines handelnden kollektiven Subjektes, das für seine Selbstbestimmung kämpft, machte eine strikte Festlegung der Gemeinschaftsgrenzen notwendig. In den Diskursen innerhalb des SNCC war deshalb in den letzten Jahren zu beobachten, dass die Aktivist*innen immer stärker auf eine Schwarze Identität bezugnahmen. Dadurch wurden eine natürliche Gleichheit und Homogenität zwischen den Angehörigen der Gemeinschaft geschaffen, allerdings auch eine scharfe Differenz zwischen innen und außen aufgebaut.

8.3.

Fazit

Der Fall des SNCCs ist vor allem deshalb interessant, weil die politischen Gelegenheitsstrukturen eine Radikalisierung der Organisation eigentlich nicht hätten vermuten lassen. Wie bereits dargestellt, war die Organisation angesichts der sich selbst gesteckten Ziele, durchaus erfolgreich gewesen. Statt einer Institutionalisierung der Bewegung und einer denkbaren Annäherung an die politischen Eliten 18

Spivak, Gayatri Chakravorty (2006): In Other Worlds: Essays in Cultural Politics, New York: Routledge, Taylor & Francis Group, S. 280-281.

8. Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

beschritt die Organisation eine gegenläufige Entwicklung. Nachdem der Organisation durch das Inkrafttreten des Civil Rights Act und Voting Rights Act wichtige Ziele abhandengekommen waren, stellte sich für viele Aktivist*innen die Frage, auf welcher Grundlage die Organisation fortbestehen könne. SNCC radikalisierte sich und diejenigen Aktivisten, wie Julian Bond, John Lewis oder Marion Barry, die nicht bereit waren diesen Weg mitzugehen, verließen die Organisationen. Damit einher ging eine Destabilisierung kollektiver Identitätskonstruktion, die letztlich dazu führte, dass die Auseinandersetzung mit Schwarzer Identität verstärkt in den Mittelpunkt der organisationsinternen Debatten rückte. Es ist die zentrale Erkenntnis dieser Arbeit, dass diese Destabilisierung die Radikalisierung des SNCCs beförderte. Den Blick allein auf die politischen Gelegenheitsstrukturen – sich also vor allem den Zugang zum politischen System einer Bewegungsorganisation oder den Grad der Repression zu betrachten – ist nicht ausreichend, um die Entwicklung der Organisation zu erklären. Dass es trotz der politischen Erfolge zur Radikalisierung kam, ist nur erklärbar, wenn man sich die Prozesse kollektiver Identitätskonstruktion betrachtet. Was sagen uns die Ergebnisse dieser Arbeit mit Blick auf andere Szenarien von Radikalisierung? Zu Beginn dieser Arbeit hatte ich auf eine zentrale Debatte in der Radikalisierungs- bzw. Terrorismusforschung hingewiesen. Es ging dabei um die Frage, ob bestimmte Ideen und Weltbilder, die beispielswiese in Ideologien oder religiösen Glaubensgrundsätzen angelegt sind, die Radikalisierung von Individuen und Gruppen vorantreiben können.19 Im Mittelpunkt steht dabei häufig die Auseinandersetzung mit islamistischem Terrorismus, die sich damit beschäftigt, inwiefern bestimmte islamische Denkschulen, wie der Salafismus und der Wahabismus, die Entstehung von terroristischen Gruppen befördert haben. Diese Diskussion hat es in Gestalt eines öffentlichen Disputs zwischen den beiden französischen Soziologen Gilles Kepel und Olivier Roy in den vergangenen Jahren zu einer erheblichen Popularität gebracht.20 Trotz dieser im Feuilleton heftig und leidenschaftlich geführten Debatte bleibt jedoch festzuhalten: In der bisherigen sozialwissenschaftlichen Forschung herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass es keinen Zusammenhang zwischen bestimmten Ideologien oder religiösen

19

20

Kepel (2006): Jihad: The Trail of Political Islam; Eckert (2012): Die Dynamik der Radikalisierung: über Konfliktregulierung, Demokratie und die Logik der Gewalt; Kepel (2016): Terror in Frankreich: Der neue Dschihad in Europa; Roy (2017): »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod«: Der Dschihad und die Wurzeln des Terrors. Ayad, Christophe (2016): Pour Olivier Roy, l’islam n’explique pas le terrorisme, in: Le Monde.fr ; Graf, Friedrich Wilhelm (2016): Ursachen des Terrors: Töten im Namen Gottes, in: FAZ.NET ; Nossiter, Adam (2016): ›That Ignoramus‹: 2 French Scholars of Radical Islam Turn Bitter Rivals, in: The New York Times ; Heyer, Julia Amalia (2016): Islamforscher-Streit in Frankreich: Duell der Denker, in: Der Spiegel 30/2016.

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Fragile kollektive Identitäten

Glaubensgrundsätzen und der Radikalisierung von Akteuren gibt.21 Die meisten Menschen, die radikale Ideen unterstützen, sind keine Terrorist*innen. Auf der anderen Seite sind Terrorist*innen oftmals nicht besonders ideologisch gefestigt.22 Auch Studien zu islamistischen Terrorist*innen, die sich aktiv an Anschlägen beteiligt haben, stützen diese Beobachtung.23 Moskalenko und McCauley haben darüber hinaus darauf hingewiesen, dass die meisten Wahabisten oder Salafisten Terrorismus nicht befürworten, obwohl ihnen in der öffentlichen Debatte sehr häufig eine ausgeprägte Affinität zu dschihadistischer Gewalt zugeschrieben wird. Auch machen sie darauf aufmerksam, dass die Verwendung terroristischer Taktiken keine Besonderheit bestimmter Ideologien (wie z.B. des Islamismus) darstellt, sondern in unterschiedlichen historischen, sozialen und kulturellen Kontexten auftritt.24 Die Anschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds in Deutschland (1999-2011), der rechtsterroristische Anschlag von Anders Breivik (2011) in Norwegen, die Aktivitäten der Weather Underground in den USA (1969-1977), die Anschläge der sozialrevolutionären Gruppe Narodnaya Volya in Russland (1879-1884) oder der Giftgasanschlag der Endzeitsekte Aum in Japan (1995) fanden in verschieden historischen und sozialen Kontexten statt und waren ideologisch sehr unterschiedlich motiviert. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist, dass alle Akteure zu terroristischer Gewalt griffen. In der Terrorismusforschung hat diese Erkenntnis in den vergangenen Jahren bei einigen Autor*innen dazu geführt, die sozialen oder religiösen Ursachen von Radikalisierung völlig auszuklammern und sich stattdessen vor allem auf die Untersuchung von Mechanismen oder Prozessen zu konzentrieren, die der Radikalisierung von Akteuren in verschiedenen historischen, sozialen und kulturellen Kontexten zugrunde liegen.25 Nicht warum, sondern wie sich Akteure radikalisieren oder gewaltsame Aktionsformen übernehmen, ist aus Sicht dieser Autor*innen relevant, um Radikalisierungsprozesse verstehen und erklären zu können. Sie konzentrieren sich daher vornehmlich auf die Analyse von Handlungsmustern, die diese Akteure an den Tag legen. Der kognitiven Radikalisierung wird hingegen nur eine nachgeordnete Bedeutung zugeschrieben. Peter Neumann (2014) hat diese Tendenz in der Radikalisierungsforschung kritisiert. Aus seiner Sicht ist der politische und soziale Kontext, in dem sich radikale Akteure bewegen, von wesentlicher Bedeutung für

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22 23 24 25

Borum (2011): Radicalization into Violent Extremism I: A Review of Social Science Theories, S. 8; McCauley/Moskalenko (2016): Friction: How Conflict Radicalizes Them and Us, S. 5; Neumann (2013): The Trouble with Radicalization. Borum (2011): Radicalization into Violent Extremism I: A Review of Social Science Theories, S. 8. Neumann (2013): The Trouble with Radicalization, S. 882. McCauley/Moskalenko (2016): Friction: How Conflict Radicalizes Them and Us, S. 5. McCauley/Moskalenko (2016): Friction: How Conflict Radicalizes Them and Us; Alimi/Demetriou/Bosi (2015): The Dynamics of Radicalization: A Relational and Comparative Perspective; Borum (2011): Radicalization into Violent Extremism I: A Review of Social Science Theories.

8. Radikalisierungsprozesse in sozialen Bewegungen

Radikalisierungsprozesse, ohne den diese Prozesse nicht angemessen analysiert, geschweige denn begriffen werden können. So seien beispielsweise die Gewalt und der Terror des Ku-Klux-Klans nicht durch Mechanismen und Prozesse anderer radikaler Gruppen erklärbar, die ähnliche Taktiken wie der Ku-Klux-Klan nutzen. Vielmehr brauche es dafür ein gewisses Verständnis der Politik und der Geschichte des amerikanischen Südens.26 In Bezug auf die kognitive Dimension von Radikalisierung wird eine bisher nur wenig bearbeitete Schwierigkeit deutlich: Die bloße Überzeugung, etwa in Form einer Ideologie, reicht nicht aus, um die Radikalisierung von Akteuren zu erklären. Allerdings ist es auch nicht sinnvoll, das Konzept einer kognitiven Radikalisierung völlig zu verwerfen oder darin nur eine Begleiterscheinung der Radikalisierung auf der Verhaltensebene zu sehen. Obwohl aus den Überzeugungen von Individuen kein unmittelbares Handeln ableitbar ist, wäre es verkürzt, daraus zu schlussfolgern, dass Überzeugungen überhaupt keine Rolle in Radikalisierungsprozessen spielen und man sich daher vor allem auf ihr konkretes Handeln konzentrieren sollte – eine Tendenz, die in der aktuellen Forschungsliteratur zu beobachten ist. Aus diesem Grund habe ich in dieser Arbeit vorgeschlagen, Überzeugungen und Handeln nicht gegeneinander zu stellen, sondern zu fragen, wann und wie Überzeugungen für das Handeln von Akteuren in Radikalisierungsprozessen relevant werden. Nicht zuletzt um die schwammige Begrifflichkeit von Ideen und Ideologien zu vermeiden, habe ich darüber hinaus vorgeschlagen, das Konzept kollektiver Identität für die Analyse von Radikalisierungsprozessen nutzbar zu machen. Alberto Meluccis (1996) Begriff kollektiver Identität erscheint dafür besonders geeignet. Melluci nutzt ihn nicht, um strukturellen Wandel innerhalb von Gesellschaften zu beschreiben, sondern als analytisches Werkzeug, um zu erklären, wie Individuen in sozialen Bewegungen ihre Gemeinsamkeiten erkennen und wie sie zusammen handeln. Er grenzt sich von einem essentialistischen Identitätsverständnis ab, da er kollektive Identität nicht als Ausgangspunkt für jegliches kollektive Handeln begreift. Für Melucci sind kollektive Identitäten von verschiedenen Individuen geteilte Definitionen, an denen diese ihr Handeln orientieren und die die Möglichkeiten und Grenzen ihres Tuns abstecken.27 Durch die Betrachtung der Diskurse innerhalb einer Gruppe können diese geteilten Definitionen innerhalb von Gruppen, beispielsweise in Form von gemeinsamen Narrationen, identifiziert werden. Am Beispiel des SNCC habe ich daher versucht zu zeigen, wie bestimmte Narrationen das Gemeinschaftsverständnis prägten, wie sich diese Narrationen veränderten und wie sich dadurch auch das Handeln wandelte. Die Radikalisierung des SNCC wäre ohne die Destabilisierung der kollektiven Identitätskonstruktion der Aktivist*innen nicht denkbar

26 27

Neumann (2013): The Trouble with Radicalization, S. 883-884. Melucci (1996): Challenging Codes: Collective Action in the Information Age, S. 70.

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gewesen. Die Narrationen kollektiver Identität, die in den Anfangsjahren die Organisation zusammengehalten hatten, verloren im Laufe der Zeit ihre Wirkungsmächtigkeit. Der Ansatz des gewaltlosen Protests und die Vorstellung, dass sich die Schwarze Minderheit in die US-Mehrheitsgesellschaft im Sinne einer rechtlichen und sozialen Gleichstellung integrieren könne, waren als Narrationen nicht mehr ausreichend, um eine umfassende Bindekraft für die Gruppe entfalten zu können. Ausschlaggebend dafür waren die Gewalterfahrungen in den Südstaaten, die viele SNCC-Aktivist*innen zunehmend am Prinzip der Gewaltlosigkeit zweifeln ließ. Die Unzulänglichkeit der alten Identitätsbezüge wurde spätestens im Jahre 1965 offenbar, als die politische Arbeit des SNCC in den Südstaaten durch den Voting Rights Act quasi obsolet wurde. Obwohl die Organisation mit der Verabschiedung des Gesetzes einen wichtigen politischen Sieg errungen hatte, radikalisierte sich SNCC in den darauffolgenden Jahren. In den Mittelpunkt rückte nun eine neue Narration, nämlich die der Schwarzen Selbstbestimmung. Damit wendeten sich die SNCC-Aktivist*innen einer primoridalen Codierung kollektiver Identität zu, in deren Mittelpunkt eine Schwarze Identitätspolitik stand, die eine scharfe Grenzziehung zwischen der Außen- und der Innenwelt der Gemeinschaft vorsah. Infolgedessen löste sich das SNCC von ehemaligen Verbündeten und ein Prozess der Polarisierung setzte ein, der schließlich in die Radikalisierung der Aktivist*innen mündete. In diesem Sinn wäre es angezeigt, die Debatte über kognitive Radikalisierung um die Konzepte und Ansätze zu erweitern, die sich mit der Konstruktion kollektiver Identität beschäftigen. Dabei wäre es meines Erachtens von besonderem Interesse, zu untersuchen, ob auch in anderen Szenarien ein Zusammenhang zwischen der Destabilisierung von kollektiven Identitätskonstruktionen und der Radikalisierung von Akteuren ausgemacht werden kann. Dabei geht es nicht darum, bestehende Konzepte wie beispielsweise die Political-Process-Theory oder relationale Ansätze zu verwerfen. Die Analyse von Prozessen und Mechanismen ist für das Verständnis von radikalen Gruppen und Akteur*innen zentral. Die Erweiterung dieser Ansätze um die Dimension der kollektiven Identität kann, wie ich in dieser Arbeit gezeigt habe, jedoch eine fruchtbare Bereicherung für die Auseinandersetzung mit radikalen Akteuren sein.

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Themen des SNCC-Diskurses (20.03.1960-30.06.1962) nach Häufigkeit in Prozent* ................................................................................... 105 Abbildung 2: Aktionsformen im SNCC-Diskurs (20.03.1960–30.06.1962) nach Häufigkeit in Prozent* ................................................................................ 106 Abbildung 3: Themen des SNCC-Diskurses (15.07.62-05.08.1965) nach Häufigkeit in Prozent*133 Abbildung 4: Aktionsformen im SNCC-Diskurs (15.07.62-05.08.1965) nach Häufigkeit in Prozent* ................................................................................ 135 Abbildung 5: Häufigkeit von Direct-Action- und Empowerment-orientierten Aktionsformen in SNCC-Diskursen (1960-1965) in Prozent ........................................... 136 Abbildung 6: Jährliche Einnahmen des SNCC in US-Dollar................................. 178 Abbildung 7: Themen des SNCC-Diskurses (07.08.1965-22.10.1968) nach Häufigkeit in Prozent*180 Abbildung 8: Aktionsformen im SNCC-Diskurs (07.08.1965-22.10.1968) nach Häufigkeit in Prozent* ................................................................................. 181

Annex: Kategorienbildung Themen und Aktionsformen

Die Konzepte, die in der vorgestellten Diskursnetzwerkanalyse genutzt worden sind, werden im Folgenden detaillierter beschrieben.

Themen •







Segregation und Integration: In dieser Kategorie wurden die Beiträge um rassistische Segregation und die Bemühungen der Bürgerrechtsbewegung zur Überwindung diskriminierender Praktiken und Gesetze zusammengefasst. Hierbei geht es vor allem um konkrete Diskriminierung, wie z.B. die Trennung zwischen Schwarzen und Weißen in öffentlichen Verkehrsmitteln, Restaurants, an Schulen und anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen, wie sie besonders in den amerikanischen Südstaaten praktiziert wurde. Rassistische Segregation wird umgangssprachlich häufig als »Rassentrennung« bezeichnet. Dieser Begriff soll in dieser Arbeit jedoch nicht verwendet werden, da er implizit auf ein überholtes Verständnis von »Rasse« rekurriert und es dadurch gewollt oder ungewollt reproduziert. Rechtliche Gleichstellung: In dieser Kategorie wurden Debattenbeiträge über rechtliche und gesetzliche Gleichstellung zusammengefasst. Die Frage der rechtlichen Gleichstellung von Schwarzen und Weißen spielte in der Bürgerrechtsbewegung eine zentrale Rolle. Dabei ging es nicht nur um die konkrete Diskriminierung, z.B. in Form von rassistischer Segregation in den Südstaaten, sondern auch um die rechtliche Gleichstellung von Schwarzen im Bildungssystem, im Arbeitsleben oder bei der Ausübung von demokratischen Rechten. Politische und ökonomische Macht: In dieser Kategorie wurden die Beiträge zusammengefasst, die sich mit der Frage beschäftigten, inwiefern Schwarze aktiv politische und ökonomische Macht, beispielsweise durch die Gründung von Schwarzen Parteien oder die Solidarisierung mit Schwarzen Arbeitern, um ihre Diskriminierung in der US-amerikanischen überwinden zu können. Schwarze Kultur und Selbstbewusstsein: Diese Kategorie umfasst Beiträge, die sich für eine ›Rückbesinnung‹ der amerikanischen Schwarzen auf eine ›afrikanische Kultur‹ ausgesprochen haben. Dafür wurden beispielsweise die his-

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torischen und kulturellen Wurzeln der afroamerikanischen Schwarzen rekonstruiert und der Kultur der weißen Mehrheitsgesellschaft entgegengestellt. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere die Geschichte der Sklaverei, die Unabhängigkeit vieler afrikanischer Staaten seit den 1950er-Jahren oder die Arbeiten von Schwarzen Intellektuellen, Schriftsteller*innen und Musiker*innen thematisiert und hervorgehoben. Häufig waren diese Beiträge auch mit einem Appell verbunden, die »eigene« Schwarze Kultur stärker wertzuschätzen und zu fördern. Weiße in der Schwarzen Bewegung: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die die Rolle von Weißen in der Schwarzen Bewegung oder im SNCC thematisierten. Weiße traten innerhalb der Bürgerrechtsbewegung und in SNCC in unterschiedlichen Rollen auf. Sie unterstützten die Bewegung finanziell durch Spenden oder sie engagierten sich selbst aktiv in der Bewegung z.B. bei der Wählerregistrierung in den Südstaaten. Organisatorisches: Diese Kategorie umfasst Beiträge, die sich mit organisatorischen Fragen des SNCC befassten. Dabei ging es um die Besetzung von Stellen, um Arbeitsabläufe oder einfach nur um das Begleichen von Rechnungen. Finanzlage und Fundraising: In dieser Kategorie wurden die FundraisingAktivitäten von SNCC zusammengefasst. SNCC finanzierte sich fast ausschließlich durch Spenden. Fundraising spielte daher eine wichtige Rolle für die Organisation. Die Unterstützer*innen kamen häufig aus den Nordstaaten und waren entweder private Spender*innen oder Stiftungen. Beschäftigung, Armut, soziale Lage und Ghettos: In dieser Kategorie wurden die Debattenbeiträge zusammengefasst, die sich mit der sozialen Lage, der Armut und der Lebenssituation von Schwarzen befassten. In diesem Zusammenhang wurde beispielsweise die Wohnsituation, die schlechte öffentliche Infrastruktur, die schlechte Einkommenssituation, die mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten und die fehlenden sozialen Sicherungssysteme thematisiert. Community Organizing und Bildungsarbeit: Diese Kategorie fasst Beiträge zusammen, die sich mit der politischen Organisation der schwarzen Unterschicht beschäftigten. Neben der Wählerregistrierung in den Südstaaten gehörten der Aufbau von Gemeinschaftsstrukturen durch Community Houses, die Einrichtung von Freedom Schools oder die Gründung von Parteien und Vereinen zu den wichtigsten Betätigungsfeldern von SNCC. Dahinter stand die Idee des Empowerments und der Selbstorganisation von Schwarzen in einer Gesellschaft, in der sie ansonsten nur Ausgrenzung und Diskriminierung erfuhren. Wahlrecht: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die das Wahlrecht von Schwarzen und die Arbeit in der Wählerregistrierung thematisierten. Es gehörte zu einer der zentralen Forderungen von SNCC und anderer Bürgerrechtsorganisation, den Schwarzen in den USA den Zugang zu Wahlen zu ermöglichen. Besonders die Registrierung für Wahlen stellte häufig in den

Annex: Kategorienbildung Themen und Aktionsformen













Südstaaten eine unüberwindliche Hürde dar. SNCC-Aktivist*innen engagierten sich besonders in der Wählerregistrierung in den ländlichen Gebieten der Südstaaten. Gewaltlosigkeit und Selbstverteidigung: Diese Kategorie umfasst Beiträge, die sich mit der Frage von gewaltlosem und gewaltsamem Protest beschäftigen. Dabei ging es sowohl um Gewaltlosigkeit als Prinzip als auch um den taktischen Einsatz von Gewaltlosigkeit bei Protestaktionen. In den späteren Jahren kamen dann auch Beiträge und Debatten über das Recht auf Selbstverteidigung und über die Frage ob Gewalt ein legitimes Mittel des Protests sei, hinzu. Polizeigewalt, Gewalt durch Weiße und Rolle des FBI: In dieser Kategorie wurden die Beiträge zusammengefasst, die über Gewalterfahrungen durch Weiße, durch rassistische Gruppe, wie dem Ku-Klux-Klan oder dem White Citizen Council, oder durch die Polizei berichteten. SNCC-Aktivst*innen berichteten häufig über willkürliche Festnahmen, Demütigungen und körperlicher Gewalt, die sie oder andere Bürgerrechtsaktivist*innen bei ihrer Arbeit in den Südstaaten erfahren mussten. Riots und Law-and-Order: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die sich mit den Ausschreitungen in vielen amerikanischen Großstädten, wie in Los Angeles im Stadtteil Watts (1965), in Chicago (1966) und in Detroit und Newark (1967), seit Mitte der 1960er Jahre beschäftigt haben. Innerhalb des SNCC wurden diese gewaltsamen Proteste thematisiert und diskutiert. Gleichzeitig wurden SNCC-Aktivist*innen immer wieder verdächtigt, selbst zu Gewalt aufgerufen zu haben. Neben der Debatte über die Ausschreitungen wurde in einigen Beiträgen auch die Reaktion der Behörden und der Politik thematisiert. Auch diese wurden in dieser Kategorie mit aufgenommen. Außenpolitik und Kolonialismus: In diese Kategorie wurden Beiträge aufgenommen, die sich mit der Außenpolitik und Kolonialismus befassten. Dabei wurden Beiträge berücksichtigt, die beispielsweise zu den antikolonialen Unabhängigkeitsbewegungen in Afrika, zur US-Außenpolitik gegenüber anderen Ländern, zu dem Verhältnis zu den sozialistischen Staaten oder zum Nahost-Konflikt Stellung bezogen haben. Sozialismus, Kommunismus und Klassenfrage: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die sich mit sozialistischen oder kommunistischen Denkansätzen befasst haben. Dabei handelte es sich oftmals um Beiträge über revolutionäre Gesellschaftsentwürfe, die die Klassenfrage mit der Ausbeutung und Unterdrückung von Schwarzen in den USA in Verbindung brachten. Vietnamkrieg und Wehrpflicht: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die sich mit dem Vietnamkrieg oder der Wehrpflicht in Vietnam beschäftigten. Besonders die Wehrpflicht für schwarze Männer, die über-

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proportional häufig zum Wehrdienst eingezogen wurden, spielte in den SNCC-Debatten eine wichtige Rolle. Black Power, black nationalism und Schwarze Selbstbestimmung: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die sich mit den Ideen von Black-Power, black nationalism und Schwarzer Selbstbestimmung beschäftigt haben. Diese Konzepte heben alle gemeinsam hervor, dass Schwarze nur durch unabhängige Institutionen der Diskriminierung und dem Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft entgegentreten können. Im Mittelpunkt steht hier die Idee, dass durch politische Selbstbestimmung, die Voraussetzung für eine unabhängige gesellschaftliche, politische und kulturelle Repräsentation ist.

Aktionsformen •







Rechtliche Maßnahmen und Lobbying: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, in denen die Beteiligung von SNCC-Aktivist*innen an Aktionsformen thematisiert wurden, die vor allem das Ergreifen von rechtliche Maßnahmen gegen rassistische und diskriminierende Praktiken zum Gegenstand hatten. Das umfasste beispielsweise Klagen oder das Anfechten von Wahlergebnissen oder Gerichtsurteilen, sowie Lobbying-Aktivitäten in Parlamenten für Gesetzesvorhaben. Kommunikationsplattform: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, in denen Aktionsformen thematisiert wurden, die sich mit der Vernetzung und dem Austausch zwischen den SNCC nahen Campus-Gruppen an den Universitäten in den Südstaaten zum Gegenstand hatten. Besonders in den Anfangsjahren sah das SNCC seine Aufgabe vor allem darin, kleinere Protestgruppen miteinander zu vernetzen und den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen diesen Gruppen sicherzustellen. So veröffentlichte SNCC regelmäßig die Zeitung Student Voice und koordinierte Treffen zwischen diesen Gruppen. Sit-ins: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die die Beteiligung oder den Aufruf von SNCC-Aktivist*innen an Sit-in-Proteste thematisiert haben. Bei den Sit-ins handelte es sich um eine gewaltlose Protestform des passiven Widerstandes, die in den 1960er-Jahren besonders bei den AntiSegregation-Protesten in den Südstaaten populär wurden. Dabei gingen die Aktivist*innen in Einrichtungen, wie z.B. Restaurants oder Geschäften, in denen Schwarzen der Zutritt nicht gestattet war und protestierten mit ihrer Anwesenheit gegen die rassistische Segregation. Später wurden Sit-ins in Form von Sitzblockaden auch auf Straßen und Plätze ausgeweitet. Boykott: Diese Kategorie fasst Beiträge zusammen, in denen SNCC-Aktivist*innen Boykotte unterstützten oder dazu aufriefen. Der Boykott von Geschäften oder Unternehmen wurde genutzt, um auf die Diskriminierung von Schwarzen

Annex: Kategorienbildung Themen und Aktionsformen













in Südstaaten aufmerksam zu machen. Häufig wurden Unternehmen boykottiert, die US-weit aktiv waren und in ihren Filialen in den Südstaaten Schwarze diskriminierten, indem sie die rassistische Segregation durchsetzen. Durch nationale Boykottaufrufe wurde der Druck auf diese Unternehmen erhöht, diese diskriminierende Praxis aufzugeben. Konferenzen: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, in denen SNCC-Aktivist*innen Konferenzen oder größere Treffen organisierten. Konferenzen waren Treffpunkte für SNCC-Aktivist*innen und Sympathisant*innen. Es war der Ort für Diskussionen und politische Richtungsentscheidungen. Konferenzen nahmen aber auch eine wichtige Funktion innerhalb der Organisation ein, weil dort auch neue Unterstützer*innen mobilisiert werden konnten. Demonstrationen und Kundgebungen: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, in denen SNCC-Aktivist*innen Demonstrationen oder Kundgebungen unterstützen oder dazu aufriefen. SNCC unterstütze ständig Demonstrationen und Kundgebungen. Darunter auch einige, die für die Bürgerrechtsbewegung von großer Bedeutung waren, wie den March on Washington (1963), die Demonstrationen in Selma (1965) oder der March Against Fear (1966). Freedom Rides: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die die Beteiligung von SNCC-Aktivist*innen an den sogenannten Freedom Rides im Jahre 1961 thematisieren. Viele SNCC-Aktivist*innen unterstützen die Freedom Rides und beteiligten. sich daran. Sie hatten das Ziel auf die rassistische Segregation von Schwarzen und Weißen in Busbahnhöfen von nationalen Fernbusverbindungen aufmerksam zu machen und die Bundesregierung dazu zu drängen, diese Praxis gesetzlich zu beenden. Wählerregistrierung: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, in denen die Beteiligung von SNCC-Aktivist*innen an der Registrierung von Schwarzen Wähler*innen Bezug thematisiert wurde. Das SNCC engagierte sich besonders in den ländlichen Gebieten der Südstaaten in der Wählerregistrierung. So unterstützten die SNCC-Aktivist*innen die Schwarze Bevölkerung beispielsweise beim Ausfüllen der Anträge oder bei der Vorbereitung auf Prüfungen, die teilweise für die Registrierung absolviert werden mussten. Freedom Ballots: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die die Beteiligung von SNCC-Aktivist*innen an den Freedom Ballots thematisierten. SNCC veranstaltet immer wieder, meist zeitgleich zu regulären Wahlen, Primaries und Abstimmungen mit schwarzen Kandidat*innen, an denen auch diejenigen teilnehmen konnten, die offiziell nicht als Wähler*innen registriert waren. Das politische Ziel dieser Aktionen bestand darin, öffentliche Aufmerksamkeit für die Wählerregistrierung zu erzeugen. Selbsthilfeprojekt und Bildungsprogramme: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die die Beteiligung von SNCC-Aktivist*innen an

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Selbsthilfeprojekten und Bildungsprogrammen in den ländlichen Gebieten der Südstaaten thematisieren. SNCC ergänzte seine Projekte zur Wählerregistrierung schon bald mit weitergehenden sozialen Projekten. SNCC initiierte Nachbarschaftsprojekte, um den Zusammenhalt der schwarzen Gemeinschaften zu fördern, und Bildungsprojekte, um den Anteil von Analphabet*innen in der Schwarzen Landbevölkerung zu senken. Streik und Gewerkschaftsarbeit: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die das gewerkschaftliche Engagement von SNCC-Aktivist*innen thematisierten. SNCC unterstützte Schwarze Arbeiter*innen, beispielsweise durch die Gründung der Mississippi Freedom Labor Union (MFLU). Diese Gewerkschaft setzte sich vor allem für die Rechte von Schwarzen Arbeiter*innen ein. Darüber hinaus halfen SNCC-Aktivist*innen auch bei der Durchführung von Streiks und anderen Protestaktionen für bessere Arbeitsbedingungen. Parteiarbeit und Parteigründung: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die das parteipolitische Engagement von SNCC-Aktivist*innen thematisierten. In den Südstaaten waren Schwarze bis Mitte der 1960er-Jahre oftmals formell oder informell von der Mitarbeit in der Demokratischen oder der Republikanischen Partei ausgeschlossen. Nur selten kam es vor, dass die beiden Parteien Schwarzen Kandidat*innen aufstellten. Das SNCC gründete daher auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene alternative Parteien, die zu Wahlen antraten. Besonders bedeutend wurden vor allem die Mississippi Democratic Freedom Party (MFDP) und die Black Panther Party (BPP) in Alabama. Selbstverteidigung: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, die die Beteiligung oder den Aufruf von SNCC-Aktivist*innen an Aktionen bewaffneter Selbstverteidigung thematisierten. Durch die Arbeit in den Südstaaten, wurde die Frage von Selbstverteidigung zunehmend bedeutender. Offensiv-gewaltsame Aktionen: In dieser Kategorie wurden Beiträge zusammengefasst, in denen SNCC-Aktivist*innen offensive-gewaltsame Aktionen unterstützen oder dazu aufriefen. Insbesondere in den letzten Jahren des Bestehens der Organisation, beteiligten sich SNCC-Aktivist*innen immer wieder an gewaltsamen Aktionen oder unterstützen sie mit öffentlichen Erklärungen, in denen zur Gewalt aufgerufen wurde.

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Kulturwissenschaft Gabriele Dietze

Sexueller Exzeptionalismus Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus 2019, 222 S., kart., Dispersionsbindung, 32 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4708-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4708-6

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