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German Pages 176 Year 2006
Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik
Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik Bericht über das wissenschaftliche Kolloquium zum 65. Geburtstag von Professor Dr. Dieter Reuter am 15. und 16. Oktober 2005 in Kiel Mit Beiträgen von
Franz Bydlinski, Wernhard Möschel, Karsten Schmidt und Franz Jürgen Säcker Herausgegeben von
Sibylle Kessal-Wulf, Michael Martinek und Peter Rawert
De Gruyter Recht · Berlin
∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 13: 978-3-89949-1111-1 ISBN 10: 3-89949-1111-4
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Besonderer Dank gilt der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Hamburg, sowie dem Verlag Dr. A. L. Sellier & Co. Walter de Gruyter GmbH, München/Berlin, und der Notar Johann Heinrich HübbeStiftung, Hamburg, für freundliche Unterstützung.
Inhalt Vorwort der Herausgeber
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Michael Martinek Laudatio für Dieter Reuter zum 65. Geburtstag am 16. Oktober 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Karsten Schmidt Satzungsfreiheit, Individualrechte und Bindung von Rechtsnachfolgern – „Nach“-Denken über Dieter Reuters Grundlagenwerk von 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Torsten Volkholz Diskussionsbericht (Diskussionsleitung: Joachim Jickeli) . . . .
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Franz Jürgen Säcker Juristische Auslegung und linguistische Pragmatik . . . . . . .
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Per Christiansen Diskussionsbericht (Diskussionsleitung: Birgit Weitemeyer)
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Wernhard Möschel Kündigungsschutz und Beschäftigung – ein Scheinproblem? . .
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Henning Plöger Diskussionsbericht (Diskussionsleitung: Peter Kreutz)
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Franz Bydlinski Formale Freiheitsethik und andere Ethiken im Privatrecht . . .
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Sebastian Klausch Diskussionsbericht (Diskussionsleitung: Susanne Wimmer-Leonhardt) . . . . . . .
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Peter Rawert FAZ-Artikel – Stifterunruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Lebenslauf von Dieter Reuter . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Dieter Reuter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Teilnehmer am wissenschaftlichen Kolloquium in Kiel am 15. und 16. Oktober 2005 . . . . . . . . . . . . . .
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Photo: Plöger
Vorwort der Herausgeber Am Sonntag, den 16. Oktober 2005, beging Professor Dr. Dieter Reuter seinen 65. Geburtstag. Er sollte ihn nicht allein feiern. Drei seiner Schüler, die Herausgeber des vorliegenden Bandes, hatten zu einem wissenschaftlichen Kolloquium nach Kiel geladen, das schon am Samstag, den 15. Oktober 2005, nachmittags begann und am folgenden Sonntagvormittag fortgesetzt wurde. Zwischen den wissenschaftlichen Teilen der beiden Tage konnten die Teilnehmer gemeinsam mit Dieter Reuter im Anschluss an ein festliches Abendessen in seinen Geburtstag „hineinfeiern“, weshalb man auch mit gutem Grund von einem Symposion sprechen kann. Rund fünfzig Gäste waren von nah und fern gekommen: frühere und heutige Professoren-Kollegen, Schüler und Freunde, Richter und Rechtsanwälte und viele andere „fellow travellers“ aus den rückliegenden Jahrzehnten von Dieter Reuters Berufsleben. Ihnen wurden am Samstagnachmittag Vorträge von Karsten Schmidt und Franz Jürgen Säcker, am Sonntagvormittag Beiträge von Wernhard Möschel und Franz Bydlinski geboten, die jeweils anschließend diskutiert wurden. Mit unserem kleinen Tagungsband wollen wir einer erweiterten Fachöffentlichkeit die rechtswissenschaftlichen Erträge unseres Symposions zugänglich machen. Zugleich soll damit, in erster Linie für den Jubilar sowie für die Teilnehmer und Gäste unseres Kolloquiums, eine bleibende Erinnerung an ein schönes, würdiges und fruchtbares akademisches Ereignis geschaffen werden. Auch wenn ein paar bedruckte Seiten den Geist hoher akademischer Kultur und die tiefe freundschaftliche Verbundenheit, von denen das Kieler Kolloquium beherrscht war, allenfalls schattenhaft erahnen lassen können, sollen doch die juristischen Gegenstände und Inhalte unserer Tagung hier festgehalten werden. Die Tagung in Kiel stand – und unser Tagungsband steht – unter der Überschrift „Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik“. Dies ist der Titel, genauer: der Untertitel einer Abhandlung unseres Jubilars Dieter Reuter über „Die ethischen Grundlagen des Privatrechts“ (so der Haupttitel); sie ist im Jahre 1989 im Archiv für civilistische Praxis (Band 189, S. 199 bis 222) erschienen und geht auf
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Vorwort der Herausgeber
einen Vortrag zurück, den Dieter Reuter im Rahmen des Symposions „Wirtschaftsethik“ der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel am 18.11.1988 gehalten hat. Diese Abhandlung hat eine ungewöhnliche Ausstrahlungskraft entfaltet. Wir möchten auch an dieser Stelle allen Mitwirkenden, Vortragenden, Diskussionsleitern und Diskutanten, allen Teilnehmern und Gästen unseres Kieler Kolloquiums sehr herzlichen Dank für Ihre Beiträge sagen. Der Dank schließt die zahlreichen Helfer „hinter den Kulissen“ ein, die vor allem bei der Organisation und Administration der Tagung Unterstützung geleistet haben. Ein ganz besonderer Dank aber gilt der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Hamburg, sowie dem Verlag Dr. A. L. Sellier & Co. Walter de Gruyter GmbH, München/Berlin, und der Notar Johann Heinrich Hübbe-Stiftung, Hamburg, für ihre materielle Unterstützung; ohne sie hätte unser Kieler Kolloquium nicht stattfinden können. Karlsruhe, Saarbrücken und Hamburg, im April 2006 Sibylle Kessal-Wulf
Michael Martinek
Peter Rawert
Laudatio für Dieter Reuter zum 65. Geburtstag am 16. Oktober 2005 Michael Martinek
Wenn man auf der Autobahn von Frankfurt am Main kommend in Richtung Dortmund fährt – die im Winter berüchtigte Sauerlandstrecke –, die Ausfahrt Siegen-Süd nimmt, sich durch die Stadt Siegen auf der B 54 hält, kommt man in die Ortschaft Dahlbruch, inzwischen Hilchenbach-Dahlbruch – ein Nest! Im Gebrüder-Busch-Theater am Bernhard-Weiss-Platz, das zugleich Veranstaltungsort für das Viktoria-Kino ist (444 Plätze, davon 123 Balkon) läuft derzeit Spiderman III – ein Nest!, erst recht vor 65 Jahren. Dort wurde am 16.Oktober 1940 Dieter Reuter geboren. Und er fand dort Nestwärme. 65 Jahre später sind wir hier versammelt: Freunde, Schüler, Kollegen, Mitarbeiter, die ihn in den vergangenen Jahrzehnten auf mancher Wegstrecke begleitet haben oder die ihn heute begleiten – und die er begleitet hat oder heute begleitet. Die Veranstalter unseres Geburtstags-Symposions sind mit der Präsenz zufrieden. Die mit Abstand meisten Eingeladenen sind heute gekommen – ein schöner Erfolg, bedenkt man, dass Mitteleuropäer Einladungen nach Kiel oft unabhängig vom Anlass rundheraus ablehnen, ähnlich wie Einladungen nach Narsarsuak auf Grönland. Wir sind gekommen und hier versammelt, weil wir Dieter Reuter und sein bisheriges Lebenswerk feiern, loben und würdigen wollen, weil wir Respekt und Verbundenheit bezeugen wollen. Eine kleine launige Laudatio gebührt seinem – numerisch – ersten Doktoranden und Habilitanden – und es ist mir eine große Freude und Ehre, lieber Dieter. Als eine Laudatio versteht sich unser Symposion freilich insgesamt, denn bei den Vorträgen und Diskussionen steht – wie wir schon gehört haben – das rechtswissenschaftliche Werk Dieter Reuters im Mittelpunkt. Aber unsere Gäste haben Anspruch auf ein wenig persönliches Kolorit, zumal unser Jubilar, in dessen Geburtstag wir heute hineinfeiern wie man in der Silvesternacht ins neue Jahr hineinfeiert, oft allzu bescheiden und schüchtern erscheint und selten Persönliches preisgibt – man weiß ja recht wenig über ihn.
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Michael Martinek
In die Wiege gelegt war ihm eine Professorenkarriere wohl nicht. Erst die humanistische Schulzeit dürfte ihn intellektuell geprägt haben, vor allem der Besuch des privaten Heilig-Geist-Gymnasiums in Knechtsteden bzw. Menden, damals noch in der Trägerschaft der Missionsgesellschaft vom Heiligen Geist – der Spiritaner. Dieser Orden fühlt sich nach seiner Selbstdarstellung der ganzheitlichen Befreiung des Menschen verpflichtet und kämpft für Gerechtigkeit und Frieden, „wo die Not am größten ist“, setzt sich insbesondere für Menschengruppen ein, die von der Gesellschaft ausgegrenzt wurden wie straffällig gewordene Jugendliche, Arbeitslose und für Menschen, „die keine Lobby haben“. Wer Dieter Reuter näher kennt, wie manche von uns, weiß, dass er diese Werte der Spiritaner verinnerlicht hat. Vom einjährigen Wehrdienst Anfang der sechziger Jahre gibt es vor allem zu berichten, dass Dieter Reuter, so sagt er selbst, als der miserabelste Schütze der Kompagnie belächelt wurde. Das hat sich in den folgenden Jahren mitsamt der Kompagnie geändert: Heute ist er einer unserer treffsichersten Schützen. Nach dem Jurastudium in Münster und – zwischendurch – Berlin bestand er das Erste Juristische Staatsexamen mit „ausgezeichnet“. Einserjurist also. Aus der Zeit des Vorbereitungsdienstes erzählt er gern von den Fällen aus dem Pferderecht, mit denen er im münsterländischen Wachendorf zu tun hatte. Auch das hat ihn geprägt. Jedenfalls hat er sich auf dem Gebiet des Pferderechts, das aufgrund der Schuldrechtsreform und der Aufhebung der Viehmängelverordnung überraschenderweise wieder juristisch brisant und kompliziert geworden ist, erst unlängst mit seinem Beitrag „Pferdeauktion und Verbrauchsgüterkauf“, in ZGS 2005, Heft 3, S. 88ff zu Wort gemeldet – Nummer 147 in seiner Publikationsliste Abteilung III „Aufsätze“. Nach der Vorbereitungszeit kam schon die Doktorarbeit – jedenfalls wenn man von dem Beitrag in NJW 1965, 2037 zur „Herausgabe von Kindern in die Sowjetzone“ (gemeinsam mit Franz Jürgen Säcker) absieht (ich sehe, wie Sie merken, nicht davon ab). Diese 1968 veröffentlichte Doktorarbeit trägt den Titel „Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt“; es geht um das Spannungsverhältnis zwischen
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dem grundgesetzlich geschützten Selbstbestimmungsanspruch des urteilsfähig werdenden Menschen und der Selbstorganisation der familiären Intimsphäre. Eine Rezensentin, Verwaltungsgerichtsrätin Hildegard Krüger aus Köln, schreibt im DVBl 1970, 946, sie „verstehe … diese Argumentation nicht“ und meint abschließend: „Die Schrift liest sich wegen ihrer Umständlichkeit nicht allzu gut, die Verwendung des pluralis majestatis wirkt leicht komisch. Die Ergebnisse, zu denen der Verf. gelangt, befriedigen nur teilweise.“ – Kein guter Start, Dieter? Nun, die von Dieter Nörr betreute Arbeit (summa cum laude) erhielt den Fakultätspreis in Münster. Übrigens: Im August 2005 traf ich auf dem jährlichen legendären Sommerfest unseres Kollegen Klaus Vieweg und seiner Frau Cornelia den emeritierten Professor Reinhold Zippelius, kam mit ihm ins Gespräch, antwortete auf seine grandseigneurale Frage, „von wem kommen Sie eigentlich?“, mit „Dieter Reuter“ und hörte sofort: „Ah, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt.“ Dies mehr als 35 Jahre nach dem Erscheinen der Arbeit – in diesem Licht wirkt der pluralis majestatis keineswegs mehr komisch. Nach dem Zweiten Juristischen Staatsexamen („gut“) wurde Dieter Reuter von der schulbildenden Kraft Ernst-Joachim Mestmäckers ergriffen, als dessen Assistent er in Bielefeld vier Jahre lang bis Mitte 1972 tätig war. Dies hat ihm zum ordoliberalen Denker gemacht, der er – mit immer wieder hervortretendem Fundament in der katholischen Soziallehre – bis heute geblieben ist. Für seine Habilitationsschrift mit dem – nach den Worten Thomas Raisers – „nicht ganz glücklich formulierten“ Titel „Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen – Ein Beitrag zum Problem der Gestaltungsfreiheit im Recht der Unternehmensformen“ (1973) erhielt er die Venia legendi für Bürgerliches Recht, Handelsrecht und Arbeitsrecht. Zum Wintersemester 1974 nahm er den Ruf auf die Nachfolge von Wilhelm Dütz an der Freien Universität Berlin an. Den Ruf nach Göttingen auf die Nachfolge Neumann-Duesberg (1977) lehnte er zugunsten des Rufes auf den Lehrstuhl von Josef Esser in Tübingen ab. Josef Esser, mit dem er oft gemeinsam zum rechtsphilosophischen und methodologischen Kolloquium nach Besenfeld gereist ist, soll übrigens, so erzählt Dieter Reuter gern, keinen Hehl daraus gemacht
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haben, dass er seinen Nachfolger für eine „absolute Fehlbesetzung“ des Lehrstuhls gehalten hat. In Tübingen blieb Dieter Reuter bis zum Sommersemester 1985, um dann die Nachfolge von Werner Thiele in Kiel anzutreten. Von Tübingen nach Kiel – das hat die Fachwelt ziemlich überrascht, die den umgekehrten Weg für eine Einbahnstraße hielt (Stichwort: Narsarsuak). Nun, dort traf er alte Freunde aus der Münsteraner Studienzeit wie Franz Jürgen Säcker und auch Jürgen Sonnenschein, mit dem ihm bis zu seinem allzu frühen Tod eine fachlich fruchtbare und persönlich herzliche Freundschaft verband. Den Ruf nach Bielefeld im Jahre 1991 auf die Nachfolge von Peter Hommelhoff lehnte er ab – und ist bis heute in Kiel. Dort ist er nicht nur Hochschullehrer. Im zweiten Hauptamt war er ab 1985 für fast zwei Jahrzehnte auch Richter am OLG Schleswig; erst vor wenigen Tagen wurde er dort feierlich verabschiedet. Die Rede vom „zweiten Hauptamt“ hat eine tiefere Bewandtnis: Der richterlichen Tätigkeit hat sich Dieter Reuter immer in besonderem Masse verbunden gefühlt. Manches Mal hat man ihn seufzen hören, dass er eigentlich auch sehr gern eine Karriere in der Justiz gemacht hätte. Das hätten seine Studenten nicht gern gesehen. Denn Professor Reuter war an allen Orten seines Wirkens und ist bis heute ein außerordentlich beliebter und höchst respektierter Hochschullehrer. Die Studenten spüren, dass er sich in der akademischen Unterweisung geradezu kämpferisch Mühe gibt, ihnen den Stoff zu vermitteln und in seiner konzentrierten, stets freien Rede darum ringt, Wissen und Verständnis zu „erregen“. Das tritt mehr noch als in den Vorlesungen in der überschaubaren Seminaratmosphäre oder in bilateralen Privatissima hervor, in denen er äußerst artikuliert und instruktiv, manchmal grüblerisch-sinnierend, manchmal ironisch-humorvoll spricht und im Wortsinn „(be)lehrt“ – oft mit der für ihn typischen Geste der einen Gedanken aufspürenden, ihn gleichsam physisch ergreifenden und gestaltenden Hand- und Fingerbewegungen. Als Prüfer – übrigens nicht nur für Juristen im Staatsexamen, sondern in der Tübinger Zeit auch für Wirtschaftsprüfer – gilt er als „fair“ – das ist das höchste Kompliment von Prüflingen an einen Prüfer – es meint soviel wie anspruchsvoll, aber unangreifbar gerecht und
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im Zweifel immer wohlwollend. Seine Klausuren sind in der Sprache unserer Studenten „machbar“, das heißt: mit besonderer didaktischer Einfühlsamkeit konzipiert, ohne Tücken und Fallstricke. Als Prüfer zeichnet ihn – wie auch als wissenschaftlicher Schriftsteller – die kompromisslose Gewissenhaftigkeit im Dienst an seinen Aufgaben unter Verzicht auf alle Mätzchen und Marotten aus. Das wissenschaftliche Schrifttum ist nicht nur thematisch breit über das klassische Privatrecht, das Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht sowie das Arbeitsrecht gefächert, sondern auch vom Genre her ungewöhnlich vielfältig. Jeder seiner rund 150 Aufsätze löst den Anspruch eines innovativen Diskussionsbeitrags ein. Etwa ein Dutzend selbständige Veröffentlichungen haben die Wissenschaft und die Praxis wegweisend beeinflusst. Das rechtswissenschaftliche Kommentieren im Staudinger und im Münchener Kommentar, die Erläuterung von Normen, die systematische Durchdringung und Aufbereitung des Stoffes, die Sinngebung und Sinnentfaltung normativer Zusammenhänge, auch die Anleitung und Überwachung von Kommentierungen als Redaktor sind sein souverän beherrschtes Metier. Von Beginn seiner Tätigkeit in Berlin an und bis heute in Kiel hat Dieter Reuter eine bewundernswerte wissenschaftliche Schaffenskraft entfaltet. Deshalb gilt er in der Kollegenschaft als „guter Mann“ – und auch dies ist ein ganz besonderes Kompliment, ja im Grunde das höchste, zu dem sich die Kollegenschaft überhaupt zu entschließen vermag – wie jeder weiß, der die Kollegenschaft kennt. Dieter Reuter kann auf eine Karriere mit vielen Höhepunkten zurückblicken, zu denen etwa seine Gutachter- und Referententätigkeit beim Deutschen Juristentag (1984 und 1996) und für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (ab 1992) und seine Anhörungen als Sachverständiger zur Deregulierung des Arbeitsmarkts bei der Monopolkommission oder als Sachverständiger zur Reform des Stiftungsrechts etwa beim Innenausschuss des Bundestags oder bei der Enquetekommission gehören. Dieter Reuter als Fachmann und Innovator des Stiftungsrechts wurde in der FAZ vom vergangenen Donnerstag (13. Oktober) von Peter Rawert feinsinnig gewürdigt. Sie haben das hoffentlich alle gelesen: Dieter Reuter als Unruhestifter, der für Stifterunruhe sorgt. Man kann seine zahlreichen weiteren Interessenschwerpunkte kaum auf-
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zählen, zu denen etwa seine aktive Mitgliedschaft in der Hamburger Jungius-Gesellschaft oder sein Engagement in der Bucerius Law School gehören. Unter seinen Veröffentlichungen finden sich auch vereinzelte Kuriosa. Schönes Beispiel ist seine Einführung in das Familienrecht von 1980 – leider vergriffen –, ein Begleitbuch zur gleichnamigen ZDF- und SWF-Fernsehserie. Ja, man konnte ihn in seiner Tübinger Zeit wochenlang regelmäßig im Fernsehen sehen, hinter dem juristisch, mit rotem Schönfelder und Sartorius drapierten Schreibtisch, wo er – wieder mit der typischen, einen Gedanken ertastenden und sodann förmlich aus der Luft herausmelkenden Hand- und Fingerbewegung – familienrechtliche Filmszenen populärwissenschaftlich erläuterte. Er sagte einmal, er habe dies seiner Mutter zuliebe getan, die meinte, ein berühmter Mann sei er erst, wenn er regelmäßig ins Fernsehen komme. Kein Kuriosum ist das Bereicherungsrecht, gleichfalls aus der Tübinger Zeit (1983). Mit einem hier nicht weiter interessierenden KoAutoren hat Dieter Reuter auf etwa 800 Seiten das Recht der Ungerechtfertigten Bereicherung, insbesondere die bereicherungsrechtlichen Dreiecks-Verhältnisse und den Umfang des Bereicherungsanspruchs grundlegend und maßgeblich dargestellt und die Dreiteilung in Leistungs-, Eingriffs- und Abschöpfungskondiktion ausgeformt. Werner Flume hat sich in einer Fußnote darüber entsetzt, dass man über das Bereicherungsrecht 800 Seiten schreiben kann. In der Homepage des Lehrstuhls Reuter wird seit längerem die 2. Auflage angekündigt. Wann immer sie erscheint, sie wird gewiss nicht kürzer. Apropos Homepage: Einen Personal Computer hat Dieter Reuter nicht, ebenso wenig wie ein Mobiltelephon. Er mag nicht einmal Diktiergeräte. Was er schreibt, schreibt er von Hand, dabei sitzt er leicht gebückt am Schreibtisch, zieht den Kugelschreiber über das Papier und kritzelt Seite um Seite fast randlos voll. Dieter Reuter ist auf eine sehr geduldige Sekretärin angewiesen – und er hat sie, sie ist heute unter uns: Edeltraut Strzelecki. Und bei der Nennung dieses Namens darf das Protokoll einen lang anhaltenden, nicht enden wollenden Applaus verzeichnen.
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Unser inzwischen zum Symposion geratenes Kolloquium hier in Kiel steht unter der Überschrift „Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik“. Dieses Leitmotiv geht auf den Untertitel einer Abhandlung unseres Jubilars über „Die ethischen Grundlagen des Privatrechts“ (so der Haupttitel) aus dem Jahre 1989 zurück (Archiv für civilistische Praxis Bd. 189, S. 199 bis 222), die man gewiss als eine der wichtigsten und ernstesten seiner privatrechtstheoretischen Veröffentlichungen ansehen und deren Lektüre man nicht nachdrücklich genug empfehlen kann. Dort heißt es im abschließenden Fazit unter anderem (S. 222): „Weder ist ein Privatrecht auf der Basis formaler Freiheitsethik so defizitär noch ein Privatrecht auf der Basis materialer Verantwortungsethik so leistungsfähig, wie manche glauben machen wollen. Im Gegenteil: Die Defekte eines Privatrechts auf der Grundlage formaler Freiheitsethik, von denen in der einschlägigen Literatur die Rede ist, sind in wesentlichen Teilen nicht Erbe des 19. Jahrhunderts, sondern Ergebnis verengter Problemhorizonte in der Rechtsentwicklung des 20.Jahrhunderts. Wer im traditionellen Privatrecht Reaktionen auf soziale Regulierung durch Private, mangelnde Fähigkeit zur Selbstbestimmung und sozial schädliche Effekte vermisst, muss das Heil nicht in einem grundlegenden Wandel suchen, sondern braucht sich lediglich auf Einsichten zurückzubesinnen, die das Privatrecht des 19.Jahrhunderts noch zu seinem Allgemeingut gezählt hat. Diese Einsichten lassen sich durchaus in einer Weise fortentwickeln, die den aktuellen Problemlagen entspricht.“ – Ach, wenn nur alle so dächten! Mit 65 Jahren wird ein Hochschullehrer heute emeritiert oder pensioniert, wenn die Landesregierung ihm und seinen Studenten nicht noch ein paar Jahre weiteren Einsatzes in der Universität gönnt. Dieter Reuter wird sich künftig wohl kaum ins Privatleben zurückziehen und Hobbies pflegen. Mit Hobbies sieht es ohnehin mager bei ihm aus, denn ein Mann wie er hat ja praktisch keine Freizeit. Immerhin, zwei kleine Ausnahmen sind erwähnenswert: Erstens liest er gern historische Bücher und erzählt auch gern darüber. Zweitens ist er seit je fußballbegeistert und kann stundenlang Sportsendungen im Fernsehen anschauen, weiß Spielergebnisse auch aus zurückliegenden Jahren aufzusagen und kann komplette Spielverläufe nacherzählen. Seine Doktoranden waren vielfach klug genug, sich auf diese Leidenschaft einzustellen, denn mit dem Thema „Fußball“ kann man Dieter
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Reuters Stimmung, wenn nötig, schlagartig aufhellen. Aber einen Ruhestand mit neuen Aktivitäten wie Golfspielen, Fesselballonfliegen oder etwa Seereisen auf der M.S. Europa plant er nicht. Er findet dergleichen, wie er einmal sagte, „töricht“. Ihm ist die Zeit dafür zu schade. Was er plant, ist, weiterhin am Schreibtisch zu sitzen, leicht gebückt, um den Kugelschreiber über das Papier zu ziehen und Seite um Seite fast randlos vollzukritzeln, einsam wie ein Mönch, z.B. vom Orden der Spiritaner. Und das ist gut so. Wir alle wollen das nämlich unbedingt alles lesen. Wir dürfen und wollen hier nicht allzu persönlich werden; wir wissen und respektieren: das mag er nicht. Wir wünschen unserem lieben Kollegen, Lehrer und Freund Dieter Reuter von Herzen weiterhin alles Gute, vor allem weiterhin gute Gesundheit und unbändige Schaffenskraft. Gaudeamus igitur! – ad multos annos!
Satzungsfreiheit, Individualrechte und Bindung von Rechtsnachfolgern – „Nach“-Denken über Dieter Reuters Grundlagenwerk von 1973* – Karsten Schmidt
Gliederung I. Grundlagen, oder: Worum es geht 1. Buchlektüre als Expedition: eine Annäherung 2. Gesellschaftsrecht zwischen Formenstrenge und Typenvielfalt 3. Unternehmen im Kraftfeld von Veränderung und Bestand 4. Perpetuierung von Unternehmen als Gegenstand von individualund gesellschaftspolitischen Interessen 5. Satzung und Vertrag: Was sind „Satzungsgesellschaften“? 6. Vertragsfreiheit und Satzungsautonomie zwischen Freiheitsgewährleistung und Bindungsinstrumentarien? 7. Perpetuierung von Unternehmen: Segen oder Fluch? II. Einzelfragen, oder: Reuters Magna Charta der Gesellschafterrechte 1. Entnahmerechte und deren Behinderung 2. Auflösungsrechte der Gesellschafter 3. Austritts- und Abfindungsrechte 4. Nachfolgeprobleme im Todesfall 5. Mediatisierung von Gesellschafterrechten? 6. Schwierigkeiten mit atypischen Personengesellschaften (Komplementär ohne Kapitalanteil; GmbH & Co. KG) III.Wo man steht, oder: Versuch einer Gesamtwürdigung 1. Hat das Buch eine Wirkungsgeschichte? 2. Annäherung an Reuters Ideenwelt 3. Kritik 4. Lehren aus einer jahrzehntelangen Diskussion
* Vollständige Fassung des am 15. Oktober 2005 in Kiel auf dem Dieter-ReuterSymposion gehaltenen Vortrags; die Vortragsform wurde für die Druckfassung nur geringfügig geändert.
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I. Grundlagen, oder: Worum es geht 1. Buchlektüre als Expedition: eine Annäherung a) Vor 33 Jahren, wir schrieben das Jahr 1972, fand bei der Universität Bielefeld ein von Ernst-Joachim Mestmäcker betreutes Habilitationsverfahren statt. Subjekt dieses Verfahrens war unser Jubilar Dieter Reuter, Objekt war dessen Habilitationsschrift über „Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen“. Diese Schrift, ein Jahr später im Athenäum-Verlag erschienen 1, war anderer Art als die Mehrzahl der Habilitationsschriften oder gar Dissertationen, die entweder einen immerwährenden Streitfall in neuem Licht umständlich beleuchten oder einem aktuellen Trend eine monographische Note verleihen oder – dies ist der schlimmere, leider der häufigste, Fall – vorhandene Literaturmeinungen so lange drehen und wenden, bis dem Ganzen der Anschein des Neuen verliehen ist. Von solcher Art Monographien unterschied und unterscheidet sich das Werk über Schranken der Perpetuierung von Unternehmen in mehrerlei Hinsicht: – durch einen vorher wie nachher so nicht zu Tage geförderten Denkansatz, – durch eine Durchbildung des Textes, die hinter jedem Satz ein kleines Universum des Geistes aufscheinen ließ, und schließlich – durch Bekennermut. Kurzum: Der Autor hatte dem unaufhörlich fließenden Strom der juristischen Literatur einen mächtigen Brocken in das Flussbett gewälzt. Die Wissenschaft vom Gesellschaftsrecht sollte denn auch mit ihm ihre liebe Mühe haben. Auch die hier unternommene Präsentation wird die Frage aufwerfen, ob sich ihr Verfasser nicht an seiner selbstgewählten Aufgabe vielleicht doch verhoben hat. Das Buch ist nun einmal keine Trouvaille der Gesellschaftsrechtsliteratur, die man eben mal aufheben, von allen Seiten betrachten, hier1 Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen. Ein Beitrag zum Problem der Gestaltungsfreiheit im Recht der Unternehmensformen, 1973.
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nach beschreiben und dann mehr oder weniger befriedigt beiseitelegen kann. Die Arbeit am Thema ließ mich sogar fragen, ob man nicht das ganze Symposion diesem einen Buch hätte widmen und dessen Tiefen gründlicher hätte ausleuchten sollen, doch will ich in den gesteckten Grenzen mein Bestes zu tun versuchen. b) Bei der Gestaltung des Referats habe ich mich dagegen entschieden, das Werk kapitelweise abzuarbeiten und zu kommentieren. Ich werde vielmehr, auf die Gefahr, nicht immer ins Schwarze zu treffen, Akzente setzen. Diese zielen weithin auf das, was wir als mittelständisches Unternehmen begreifen. Ausblicke auf Großunternehmen sind zwar nicht ganz vermeidbar, weil ja Reuter selbst ganzheitlich denkt. Aber das Thema sei doch beschränkt. Beiseitelassen will ich vor allem Überlegungen über das Aktienrecht 2. Sie sind allemal ein Thema für sich. Dasselbe gilt für die auf die Stiftung als Rechtsform unter Einschluss der Stiftung & Co. bezogenen Überlegungen3, obwohl sie aus dem Lebenswerk unseres Jubilars nicht hinfort zu denken sind. Diese Einschränkungen dürfen aber nicht bedeuten, dass die sich aus den genannten Bereichen ergebenden Grundüberlegungen vollständig ausgeblendet würden. Das ginge nicht an, denn Reuters Gedankenwelt ist, wie schon angemerkt, nicht nach Belieben segmentierbar. Wir müssen uns also seiner ganzheitlichen Sicht bewusst bleiben, auch wo die hier vorgelegte Analyse verengt und verkürzt. c) Noch etwas ist zu bemerken. Man kann sich einem Grundlagenwerk wie diesem nur nähern, wenn man es einerseits in seiner Überzeitlichkeit und zugleich anderseits in seiner historischen Bedingtheit wahrnimmt. Wichtig ist dann aber auch, dass wir uns die historische Situation vergegenwärtigen, in die es gestellt ist. Im Jahr 1973 war die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerade einmal bei Band 60 der Amtlichen Sammlung angelangt, hatte beispielsweise hinsichtlich der Erbfolge in Personengesellschaftsanteile 4 erst die erste Stufe der Rechtsfortbildung im 22. Band 5, aber noch nicht die Grundsatzentscheidung im 68. Band 6 erreicht. Uns heute vertraute Neubesinnungen 2 3 4 5 6
Reuter, Schranken, S. 245 ff., 430 ff. Reuter, Schranken, S. 100 ff., 232 ff., 251 ff., 257 ff., 346 ff., 419 ff., 446 ff. Vgl. zur erbrechtlichen Nachfolgeklausel Reuter, Schranken, S. 329 ff. BGHZ 22, 186 = NJW 1957, 180. BGHZ 68, 225 = NJW 1977, 1339 = JZ 1977, 685 m. Anm. Wiedemann.
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im Recht der Personengesellschaften – ich meine die HGB-Novelle, die Verselbständigung der Personengesellschaften und das, was ich im eigenen Lehrbuch als Institutionenbildung propagiere – standen noch aus. Die Standardliteratur basierte noch auf fortgeschriebenen Werken der Vorkriegszeit. Sie war damit in den Details durchaus auf der Höhe der Zeit, jedoch in den Grundlagen verkrustet und sturmreif für neue Ideen. Schließlich und endlich befand sich das geistige Leben in einer besonderen Situation. Man muss kein Verherrlicher der 68er-Welle sein, um zu erkennen, dass sich Recht und Gesellschaft ab 1970 auf der Suche nach Neuem befanden, bereit zu sozialer Gestaltung, nicht bloß, wie es inzwischen Mode geworden ist, zur Reaktion auf Gegebenheiten der Wirtschaftswirklichkeit, Gesetzgebung und Rechtspraxis. Gesellschaft und Rechtspolitik sahen sich vor großen Veränderungen. Es wurde im besten wie auch manchmal im schlechtesten Sinne noch an Perspektiven, ja an Visionen gearbeitet. Selbst wer daran aktiv nicht teilnahm, war doch auf Reflexion eingerichtet, nicht bloß auf eine rechtswissenschaftliche Aktualitätenschau. 2. Gesellschaftsrecht zwischen Formenstrenge und Typenvielfalt
Als Reuters Werk erschien, war ein Thema in Mode, mit dem auch sein Werk in engstem Zusammenhang steht: Gestaltungsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personen- und geschlossenen Kapitalgesellschaften. Die Habilitationsschriften von Nitschke 7, Teichmann 8, Westermann 9, aber auch Immenga10 und partiell auch von Huber11 markieren die überfällige Aufbereitung dieses Themas12. Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970. Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970. 9 Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970. 10 Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970. 11 Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970. 12 Verf. hatte dieses Thema anfangs gleichfalls in Angriff genommen, gab dieses aber unter der Übermacht der erscheinenden Arbeiten auf; vgl. das Vorwort bei Karsten Schmidt, Zur Stellung der oHG im System der Handelsgesellschaften, 1972; zur Themenabgrenzung vgl. ebd., S. 83 ff. 7 8
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Weitgehend schloss diese Welle der Diskussion an die Literatur der Vor- und Nachkriegszeit an, und weitgehend verebbte sie später in ergebener Resignation13. Aus Typengesetzlichkeit wurde instrumentelle Beliebigkeit. Anything goes! Vollständig anderes gilt für unser Buch, denn es verfolgt einen eigenen, auf Franz Böhm und Mestmäcker weisenden ordnungspolitischen Ansatz. Nicht die krude Unterscheidung von zwingendem und dispositivem Gesellschaftsrecht ist das Thema. Thema ist vielmehr ein sozial- und wirtschaftspolitisch verantwortetes Gesellschaftsrecht. Das Buch zieht zu Felde gegen die Versteinerung – Reuter sagt: „Institutionalisierung“ – von Unternehmern mit kautelarjuristischen Mitteln.
3. Unternehmen im Kraftfeld von Veränderung und Bestand
a) Als Unternehmensperpetuierung bezeichnet Dieter Reuter das Bestreben der Kautelarpraxis bzw. der Unternehmensinhaber, durch die Wahl der Unternehmensform und die Ausgestaltung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen bestandsgefährdende Einflüsse möglichst dauerhaft auszuschalten und in ihrem Sinne langfristig auf eine Unternehmenspolitik hinzuwirken 14. Namen wie Robert Bosch, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Friedrich Flick, Peter Klöckner und Max Grundig stehen für Dieter Reuter als mahnende Beispiele für diesen Versuch, Unternehmen über die Gründergeneration hinaus zu „verewigen“15 (einen Teil dieser Namen müsste Dieter Reuter heute wohl streichen), und natürlich steht auch Ernst Abbé – er gilt ja als „Mr. Zeiss und Schott“ – für diese Strategie16. b) Nun befinden wir uns beim Reuter-Symposion an einem Standort im nördlichsten Bundesland, wo von solcherlei großindustriellen Visionen kaum geträumt werden kann. Aber nicht nur die Großindustrie wird durch die von Reuter beobachteten Perpetuierungsbestrebungen geprägt, sondern nichts anderes gilt auch für die Fami13 14 15 16
Vgl. Schultze-v. Lasaulx, ZGen. 21 (1977), 334 ff. Reuter, Schranken, S. 15. Reuter, Schranken, S. 15 f. Reuter, Schranken, S. 16 f.
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lienunternehmen, auf die ich mich weitgehend beschränken will. Man braucht nur an juristische Traditionsverlage zu denken oder die Formularbücher anzusehen oder die Programme der gegenwärtig zu Nachfolgeproblemen angebotenen Praktikerseminare, um allüberall das Perpetuierungsbestreben zu erkennen. Unser Thema – es ist Reuters Thema seit 33 Jahren! – ist also hochaktuell. Wer Reuter nicht kennt, wird jetzt vielleicht fragen: Wo ist das Problem, wenn gute Vertragsgestalter im Interesse der Unternehmensperpetuierung zu Werke gehen? Reuter mahnt uns, hier ein Problem zu erkennen. c) Unternehmen, das soll wohl der Ausgangspunkt sein, sind von Natur aus nicht perpetuierlich, sondern überaus zerbrechlich. Davon geht Reuter aus. Er schildert zunächst die der Perpetuierung entgegenwirkenden Naturkräfte, wie ich dies einmal nennen möchte: – die auf Desinvestition drängenden Eigeninteressen der GründerNachfolger 17, – das Gewinnentnahmeinteresse der Inhaber 18 und das Abfindungsinteresse weichender Nachfolger 19, – die Unternehmens-Mitbestimmung von Arbeitnehmern 20, – die sich immer erneuernde Willensbildung durch eine funktionsfähige Unternehmensleitung und durch die Mitsprache der jeweiligen Kapitaleigner 21, – ein sich ständig wandelndes Steuerrecht 22, – vor allem die mit der Unternehmensperpetuierung oft unverträglichen Vorgaben des Marktes23. d) Die auf Perpetuierung von Unternehmen hinwirkenden Gegenkräfte sind anderer – für Reuter spezifisch juristischer – Art. Das prägt sein Urteil. 17 18 19 20 21 22 23
Reuter, Schranken, S.17 f. Reuter, Schranken, S.24. Reuter, Schranken, S.24 f. Reuter, Schranken, S.19 f. Reuter, Schranken, S.22. Reuter, Schranken, S.25. Reuter, Schranken, S.27 ff.
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Da sich Reuter mit privatrechtlichen Schranken befasst, entzieht sich ein vielleicht gleichfalls naturwüchsiger Corpsgeist der Inhaber – etwa in einer noch unzerrissenen und unverschlissenen Familiengesellschaft – teils seiner Aufmerksamkeit, teils wird er als Ausdruck eines der Gesellschaft von heute inadäquaten Sozialmodells vernachlässigt24. Rechtliche Unternehmensperpetuierung durch Satzung und Vertrag: das ist Reuters Thema! Sie aber wirkt – so verstehe ich Reuter – dem freien Spiel der Kräfte entgegen25: Das perpetuierte Unternehmen gewinnt institutionellen Charakter i.S. der Institutionenlehre von Hauriou, Renard und Schelsky, denn seine Verfassung verwirklicht, so fasst Reuter zusammen, „eine Idee, und zwar mit dem Ziel des dauerhaften Bestandes“26. Damit erscheint die Unternehmensperpetuierung als ein Produkt der Kautelarjurisprudenz: mithin als ein artifizielles Produkt. Und es stellt sich die Frage: Ist dieser Widerstand gegen die Kräfte der Natur – auch der menschlichen Natur – eigentlich erwünscht oder nicht? Reuter zwingt uns, hierüber nachzudenken. 4. Perpetuierung von Unternehmen als Gegenstand von individual- und gesellschaftspolitischen Interessen
Spontan wird man in Perpetuierungsgestaltungen nichts Angreifbares erkennen. Wenn Unternehmensperpetuierung ein Produkt von Vertragsgestaltung ist, muss es wohl Privatrechtssubjekte geben, die diese Perpetuierung wollen, und ist dieses Wollen nicht gar zu verständlich? Dies zu verkennen, liegt nun auch Reuter fern. Was ihn beschäftigt, ist vielmehr die Auswirkung solcher Perpetuierung auf Dritte, insbesondere auf Nachgeborene, m.a.W. das Bedürfnis nach Rechtfertigung solcher Drittwirkung. Ist, was in dieser Hinsicht gewollt und rechtsgeschäftlich geordnet ist, allein deshalb auch gut? Leicht könnte man es sich mit diesem Legitimationsanliegen machen, wenn man die Perpetuierung gleichsam als Ausdruck sozial gebundener Unternehmerverantwortung sehen wollte, als Dienst am Großen Reuter (Schranken, S.107f.) bemerkt allerdings einen „Wegfall der ökonomischen und sozialpolitischen Funktionen der Familie“, übrigens mit durchaus angreifbaren Folgerungen; darüber später. 25 Reuter, Schranken, S. 54 ff. 26 Reuter, Schranken, S. 56. 24
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Ganzen. Aber Reuter hält das öffentliche Interesse an einer Perpetuierung von Unternehmen für gering27. Das bedarf der Erklärung und findet diese in einem ideologiekritischen Ansatz. Den vor allem zwischen den Weltkriegen geprägten – in den 70er Jahren dann gar zu gern für rechtspolitische Zwecke aufgegriffenen – Ideen vom „Unternehmen an sich“, von seiner Überhöhung zum Amalgam von Kapital und Arbeit und von der vermeintlichen Aufhebung individueller Interessengegensätze im Inhaberkreis vermag Reuter wenig abzugewinnen28. Allen Versuchen, die Perpetuierung von Unternehmen durch ein öffentliches Interesse an deren Bestand zu legitimieren, gilt sein entschiedenes Misstrauen29. Das aber bedeutet: Privatrechtliche Perpetuierungsstrategien müssen privatrechtlich legitimiert sein. Sind sie es nicht, so ist ihnen, folgt man Reuter, die Legitimation abzustreiten. Offen zutage liegt damit ein elementares Problem der Privatautonomie.
5. Satzung und Vertrag: Was sind „Satzungsgesellschaften“?
a) Vorab ist hier eine teils terminologische, teils aber auch sachliche Klarstellung vorzunehmen. Im Titel dieses Beitrags habe ich von der „Satzungsfreiheit“ gesprochen, obwohl doch ein Großteil der Perpetuierungsprobleme bei Personengesellschaften und bei personalistischen Gesellschaften mbH auftreten. Wäre nicht „Vertragsfreiheit“ das bessere Wort? Wohl nicht nach Reuter. Reuter fordert uns zwar nicht etwa auf, die Unterscheidung von Satzungen und Gesellschaftsverträgen beiseite zu schieben, besteht vielmehr – in scharfem Gegensatz zu seinem früh verstorbenen Altersgenossen Manfred Nitschke 30 – nachhaltig auf diesem Gegensatz 31. Aber er hantiert dabei nicht mit den Begriffen des BGB, des HGB, des GmbH-, Aktien- und Genossenschaftsgesetzes, sondern definiert Satzungsautonomie materiell. Die Ausübung von Satzungsautonomie ist nach Reuter gekennzeichnet 32: 27 28 29 30 31 32
Reuter, Schranken, S.86. Reuter, Schranken, S.79 ff. Reuter, Schranken, S.86. Nitschke, S. 159 ff. Reuter, Schranken, S.59 ff. Reuter, Schranken, S.62 f.
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„(1) durch den Bezug auf einen noch unbestimmten Personenkreis, wobei es keine Rolle spielt, ob sich dieser Personenkreis aus dem allgemeinen Publikum oder aus mehr oder weniger engen Gruppen, Sippen und Familien rekrutieren soll, (2) durch den Bezug auf eine dauerhafte Leitidee, die idealistisch (z.B. Krankenbeförderung) oder materialistisch (z.B. Gewinnerzielung) sein und sowohl den Altruismus als auch den Egoismus der Trägerpersonen ansprechen kann.“ b) Hieraus folgt: Die Satzung als abstrakt generelle Regelung geht mit einem Verewigungszweck einher33. Dieser ist ihr durchaus adäquates Ziel, doch der Preis besteht in einer Ent-Individualisierung der Gesellschafterrolle34: „Ihre Träger können mehr oder weniger reibungslos ausgetauscht werden. Der Gesellschafterwechsel vollzieht sich, ohne dass der Bestand der Gesellschaft durch Verhandlungen einer Bewährungsprobe ausgesetzt ist. Am deutlichsten zeigt sich das in der Publikums-AG.“ Dem wird wohl jedermann zustimmen. Aber nach Reuter können auch geschlossene, personalistische Gesellschaften Verfassungselemente aufweisen, die sie nach Reuter zu „Satzungsgesellschaften“ stempeln. Damit hat Reuter auf einen qualitativen Unterschied aufmerksam gemacht35. Er unterscheidet bei Personengesellschaften und bei Gesellschaften m.b.H. zwischen „Vertragsgesellschaften“ und „Satzungsgesellschaften“. Eine „Vertragsgesellschaft“ liegt nach Reuter vor, wenn „mehrere Personen sich (entsprechend der Vorstellung des historischen Gesetzgebers des Personengesellschaftsrechts) zu einer Personengesellschaft oder GmbH zusammenschließen, um auf diese Weise ihre Interessen zu verfolgen“. Dagegen handelt es sich um eine „Satzungsgesellschaft“, wenn „eine Personengesellschaft oder GmbH unabhängig von den Interessen bestimmter Personen zur dauerhaften Verwirklichung einer (idealistischen oder materialistischen) Leitidee gegründet wird“. Reuter, Schranken, S. 74. Reuter, Schranken, S. 74. 35 Reuter, Schranken, S.62 und dazu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 81f. 33 34
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Man muss sich den noch zu diskutierenden Folgerungen Reuters nicht anschließen36, um anzuerkennen, dass überpersonal angelegte Verbandsregelungen anderen Grundsätzen unterworfen werden müssen als Verträge, die nur die Beteiligten untereinander binden37. Sehen muss man auch, dass überpersonale Wirkungen dieser Art nicht auf Körperschaften beschränkt sind. Die typische Handelsgesellschaft – durchaus auch als Personengesellschaft – ist also in Reuters Sinn durch Satzungsregelungen geprägt. Ein Personengesellschaftsvertrag, der das Nachrücken eines Dritten ohne allseitige Vereinbarung durch Anteilserwerb oder Erbfolge zulässt, hat in diesem Sinn materiell Satzungsqualität (so etwa, wie § 177 HGB zeigt, die meisten KG-Verträge!). Dasselbe gilt, wie § 15 GmbHG zeigt, für die gesetzestypische GmbH. Zwar geht es nicht an, „Satzungsgesellschaften“ und „Vertragsgesellschaften“ in toto unterschiedlichen Regeln zu unterwerfen38, sie gar in „harmlose“ Vertragsgesellschaften und „gefährliche“ Satzungsgesellschaften zu teilen39, aber wir dürfen Reuter doch abnehmen, dass das Perpetuierungsproblem ein Problem der satzungsähnlichen Wirkungen von Gesellschaftsverträgen ist. Welche Wertungen sich daran knüpfen, ist eine noch offene Frage.
6. Vertragsfreiheit und Satzungsautonomie zwischen Freiheitsgewährleistung und Bindungsinstrumentarien?
a) Hier nun meldet sich der Ordnungspolitiker Reuter zu Wort. Die Drittwirkung der Satzung wirft privatrechtliche Legitimationsprobleme auf und verweist uns auf die vor allem zwischen Flume und Schmidt-Rimpler geführte gleichermaßen rechtsphilosophische wie rechtspolitische Kontroverse über das Wesen von Privatautonomie
Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 114 ff. Vgl. hierzu und zum Folgenden wörtlich Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 82. 38 Der Gegensatz trägt eigentlich nicht die Teilung der Gesellschaften in verschiedene Kategorien, sondern die Unterscheidung zwischen „vertragstypischen“ und „satzungstypischen“ Regelungen im Gesellschaftsvertrag. 39 So die Kritik von Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 76 f. 36 37
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und Privatrechtsordnung 40. Schmidt-Rimpler hatte der Privatautonomie die instrumentelle Rolle zugewiesen, durch vertraglichen Interessenausgleich ohne hoheitlich-staatliche Intervention inhaltlich „richtige“ Ergebnisse zu generieren 41. Flume hält ihm entgegen: „Stat pro ratione voluntas“42, lehnt also eine am Ende auf Rechtfertigungsbedürfnis und Inhaltskontrolle hinauslaufende Instrumentalisierung der Privatautonomie ab. In den Augen Reuters leiden, wie ich es ausdrücken möchte, die beiden so genialisch zugespitzten Positionen an ärmlicher Einseitigkeit. Mit Flume hält er Schmidt-Rimpler den unverzichtbaren Rechtswert der Selbstbestimmung entgegen 43, lehnt aber die absichtsvolle Ausblendung der gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Implikationen in Flumes Privatautonomieverständnis mit gleicher Entschiedenheit ab44. Als Methode nicht-autoritärer Rechtserzeugung – hier sind wir wieder bei Schmidt-Rimpler – ist die Privatautonomie nach Reuter auf dasselbe „Sozialmodell“ (Wieacker) verpflichtet wie das Gesetz und muss um ihrer unvermeidlichen sozialen Auswirkungen willen „gesteuert und notfalls begrenzt“ werden 45. Wir dürfen demnach, so verstehe ich Reuter, nicht daran vorbeisehen, dass Privatautonomie politisch aufgeladene Materie ist, an der nicht nach Belieben manipuliert werden darf. b) Reuters ordnungspolitischer Ansatz, der hier zu erkennen ist, verweist auf seine wissenschaftliche Heimat im Kreis um Ernst-Joachim Mestmäcker 46. Ein Exkurs in die Wettbewerbstheorie 47 führt zu dem Ergebnis, dass unabdingbare Voraussetzung für die Gerechtigkeitsgewähr nicht-autoritärer, also rechtsgeschäftlicher Rechtsetzung der Wettbewerb, m.a.W. die durch Individualinteressen bestimmte Teilnahme der Beteiligten an einem kompetitiven Privatrechtsgeschehen ist 48. Das in allen Fragen der Privatautonomie aufscheinende NebenReuter, Schranken, S. 32 ff. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff.; ders., in: FS Raiser, 1974, S. 5 ff. 42 Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, S. 6 f. 43 Reuter, Schranken, S. 34. 44 Ebd. mit Bezugnahme auf Mestmäcker, JZ 1964, 441. 45 Reuter, Schranken, S. 36. 46 Im Vorwort (S. 6) bemerkt Reuter mit Bezug auf Mestmäcker, dass die „schulbildende Ausstrahlungskraft seiner wissenschaftlichen Arbeit die Auswahl meiner Fragestellungen sowie die Methode ihrer Erörterung wesentlich beeinflusst hat“. 47 Reuter, Schranken, S. 41 ff. 48 Reuter, Schranken, S. 54 ff. 40 41
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einander von Freiheit und Bindung lässt nun nach diesem Ansatz die „Vertragsgesellschaft“ in hellem Licht, die von Reuter so genannte „Satzungsgesellschaft“ aber in eher zwielichtiger Beleuchtung erscheinen. Die Freiheit der Mitgliedschaft und mit ihr die Freiheit jedes Gesellschafters, über die Konditionen seiner Mitgliedschaft selbst zu entscheiden, gerät durch Satzungsregeln in Gefahr. Und wenn das der Preis der Unternehmensperpetuierung ist, lässt Reuter uns fragen: Ist dieser Preis nicht zu hoch? 7. Perpetuierung von Unternehmen: Segen oder Fluch?
Ersichtlich liegen Segen und Unheil im Bereich der Unternehmensperpetuierung nah beieinander. Was gut für das Unternehmen ist, kann sich für künftige Gesellschafter als paternalistische Einengung erweisen. Das Instrument der Satzungsgesellschaft erscheint dann als Vehikel der Zementierung von Organisationen und Rechtsverhältnissen, mithin als Fremdkörper in einer offenen Privatrechtsgesellschaft. Nicht ohne Ironie spricht Wiedemann mit Bezug auf die von Reuter vorgenommene Klassifizierung von vermeintlich „guten“ Vertragsgesellschaften und „bösen“ Satzungsgesellschaften 49. Darüber zu schmunzeln, ist wohlfeil. Sehen wir uns lieber, bevor wir auf Distanz gehen, ausgewählte Beispiele an. II. Einzelfragen, oder: Reuters Magna Charta der Gesellschafterrechte 1. Entnahmerechte und deren Behinderung
Die Entnahmerechte von Gesellschaftern sind gesetzlich nur fragmentarisch geregelt (§§ 122 HGB, 29 GmbHG), und die einschlägige Bestimmung im GmbHG war nach dem Stand von 1973 noch wesentlich unklarer als heute 50. Das gibt und gab Raum für gesellWiedemann, Gesellschaftsrecht, Band I, 1980, § 1 IV 1b aa. § 29 GmbHG lautete bis 1985 noch: „Die Gesellschafter haben Anspruch auf den nach der jährlichen Bilanz sich ergebenden Reingewinn, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist. Die Verteilung erfolgt nach Verhältnis der Geschäftsanteile. Im Gesellschaftsvertrag kann ein anderer Maßstab der Verteilung festgesetzt werden.“ 49 50
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schaftsvertragliche (satzungsmäßige) Regelungen. Im Fall der Personengesellschaft regelt sich vieles über die Kapitalkonten51. Entnahmebehinderungen, wie wir sie aus der Vertragspraxis kennen, sind Reuter ein Dorn im Auge52. Das gilt beispielsweise für die Regelung, wonach Entnahmerechte – nicht selten zahlenmäßig pauschaliert – auf gesellschaftlich veranlasste Steuern (§ 15 EStG) und das für einen angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche beschränkt sind53. Dass hier aus der Sicht der Betroffenen ein Problem liegt, ist unverkennbar. Zu bemerken ist allerdings, dass eine beharrlich herrschende Auffassung nicht einmal ein gesetzliches Steuerentnahmerecht anerkennt54, so dass der Gesellschafter mit der von Reuter angegriffenen Regelung im Vergleich zur herrschenden Auffassung eventuell sogar noch recht gut dasteht. Aber Zwangsthesaurierungen im Unternehmensinteresse tun nun einmal weh. Reuter will sie bei der Satzungsgesellschaft grundsätzlich nur anerkennen, soweit sie der Vorsorge für (relativ) konstante Beteiligungsverhältnisse dienen55, bei Personengesellschaften wohl auch zum Zweck der Unternehmenserhaltung56. Generelle Entnahmebeschränkungen sieht Reuter dagegen als Hindernisse für eine bessere Verteilung von Produktivvermögen und damit als gesellschafts- und wirtschaftspolitisch bedenklich an57. Kapitalbindung wird damit, verstehe ich Reuter richtig, wie eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Kapitalmarkt verstanden: gleichsam als merkantilistische Exportbeschränkung, verhängt über die Liquidität im Unternehmen. Ganz allgemein meint Reuter, wenn er vom Kapitalproblem spricht, nahezu durchgehend nicht die sonst so vieldiskutierte gläubigerschützende Kapitalbindung, sondern den Konflikt zwischen dem Unternehmensinteresse an Eigenfinanzierung und dem Individualinteresse der Gesellschafter an freier Verfügung über die investierten bzw. erwirtschafteten Mittel. Dem letzteren will er offenkundig den Vorrang gewähren.
Vgl. über Rücklagenkonten Huber, ZGR 1988, 1, 89 ff. Reuter, Schranken, S. 304 ff. 53 Ebd., S. 30. 54 Vgl. nur BGHZ 132, 263, 277 = NJW 1996, 1678 ff.; ausführlich zum Stand der Meinungen Priester, in: MünchKommHGB, 2004, § 122 Rdnrn. 59 ff. 55 Reuter, Schranken, S. 315. 56 Ebd. 57 Reuter, Schranken, S. 316. 51 52
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2. Auflösungsrechte der Gesellschafter
a) Nach dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Rechtsbild des HGB und des BGB, wohl auch des Aktiengesetzes ist die Auflösung der Gesellschaft ein wesentliches Mittel zur Begrenzung von Perpetuierungsgestaltungen. Die Gesellschaft steht zur Disposition ihrer Eigner. Für Reuter gehören Auflösungs- und Satzungsänderungsbeschlüsse zu den entscheidenden Optionen für individuelle Desinvestitionsinteressen58. Ihrer Beschränkung durch den Gründerwillen steht er deshalb mit besonderer Skepsis gegenüber. Das gilt insbesondere für die Einführung oder Erhaltung von Stiftungs- und Fideikommissgedanken im Unternehmensrecht59. Reuter will aber schon den Anfängen wehren: Schon die Etablierung besonderer Auflösungs- und Satzungs- oder Vertragsänderungsquoren in sog. Satzungsgesellschaften weist in seinen Augen auf unerwünschte Unternehmensperpetuierung hin60. Ihr hält er dem Bürgerlichen Gesetzbuch entnommene Gedanken entgegen, die ich in Schlagworten kennzeichnen möchte: – das aus § 137 BGB entnommene Verbot, Rechtsgegenstände mit Wirkung gegen Dritte dem Markt zu entziehen61 und – das aus § 39 BGB entnommene Verbot, Mitglieder in einer perpetuierlichen Organisation einzusperren62. Über die Tragfähigkeit dieser Überlegungen wird zu diskutieren sein, insbesondere über die Frage, inwieweit der unbestreitbaren kollektiven Dispositionsbefugnis der Gesellschafterversammlung individuelle Desinvestitionsbefugnisse jedes einzelnen Teilhabers zur Seite gestellt werden müssen. b) Besondere Bedeutung haben für Reuter die in § 133 HGB und § 61 GmbHG niedergelegten Rechte jedes Gesellschafters, die Gesellschaft aus wichtigem Grund durch Klage und Urteil zur Auflösung zu brin-
Vgl. nur Reuter, Schranken, S. 138: „Verfügungsfreiheit über Produktionsvermögen“. 59 Reuter, Schranken, S. 87 ff., 103 ff. 60 Reuter, Schranken, S.112 ff. 61 Reuter, Schranken, S.130 ff., 138 f. 62 Reuter, Schranken, S.116 ff., 125 ff., 139 (auch zu § 65 GenG). 58
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gen63. Nach § 133 Abs. 3 HGB ist dieses Auflösungsrecht sogar der Disposition durch den Gesellschaftsvertrag entzogen, also zwingend. Reuter hält deshalb entgegen der h.M. eine Vertragsklausel für unzulässig, die im Fall der Auflösungsklage eine bloße Austrittswirkung bzw. Einziehungswirkung anordnet64. Sogar eine Vertrags- oder Satzungsklausel, die die außerordentlichen Auflösungsrechte lediglich limitiert oder der Umwandlung Vorrang gibt, hält Reuter für gesetzwidrig65. Er stellt sich damit bereits klar gegen die herrschende und seit 1998 auch durch das Gesetz, nämlich durch § 131 Abs. 3 Nr. 3 HGB, unterstrichene 66 Meinung, die die Auflösung aus wichtigem Grund nur als ultima ratio gelten lässt. c) Auch über diesen Standpunkt wird zu diskutieren sein. Einwände unter dem Gesichtspunkt der Unternehmenserhaltung und der Abwehr von Unternehmenskonzentration will Reuter u.a. deshalb nicht gelten lassen, weil ja die Abwicklung der Gesellschaft durchaus mit der Erhaltung und Übertragung des Unternehmens einhergehen kann, dann also ohne Zerstörung des Unternehmens verteilbare Liquidität frei macht67. Er stellt sich den Vorgang so vor, dass das Unternehmen in wirtschaftspolitisch verträglicher Weise zum Höchstpreis zu Geld gemacht, ggf. auch von den fortführungswilligen Gesellschaftern übernommen und die so generierte Liquidität an alle oder an weichende Gesellschafter verteilt wird 68. Der Beitrag wird darauf bei der Schlusswürdigung zurückkommen.
3. Austritts- und Abfindungsrechte
a) Grundrecht des Gesellschafters ist nach Reuter das ordentliche Austrittsrecht nach §§ 723 BGB, 132 HGB 69. Naturgemäß beschäftigt Reuter, Schranken, S. 140 ff. Ebd. (mit Einschränkungen für die GmbH auf S.147, 149). 65 Vgl. Reuter, Schranken, S.147 ff. 66 Vgl. nur BGHZ 31, 295, 300 = NJW 1960, 625, 626; BGHZ 69, 160, 169 = NJW 1977, 2160, 2162; BGH, NJW 1990, 2573; Karsten Schmidt, in: MünchKommHGB § 133 Rdnrn. 6 ff., 13. 67 Reuter, Schranken, S. 142 f. 68 Reuter, Schranken, S. 142. 69 Reuter, Schranken, S. 278 ff. 63 64
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ihn deshalb die Frage, inwieweit dieses Recht vertraglich beschnitten werden kann. Im Recht der Personengesellschaften, in dem diese Frage besonders praktisch wird, haben die §§ 724 BGB, 134 HGB (Kündigung einer auf Lebenszeit eingegangenen Gesellschaft) und § 723 Abs. 3 BGB (Nichtigkeit eines Kündigungsausschlusses) viel Verwirrung angerichtet, nicht allerdings bei Dieter Reuter. Er kann für seinen Standpunkt aus dem Gesetzeswortlaut direkte Konsequenzen ziehen70: Als gesetzeskonform sieht er nur die Bestimmung von Kündigungsfristen im Gesellschaftsvertrag an, nicht dagegen den Ausschluss der ordentlichen Kündigung oder auch nur die lebenszeitige Bindung. Reuter muss dann aber natürlich auch vertragliche Regelungen der Kündigungsfrist, jedenfalls in einer „Satzungsgesellschaft“71, einer Inhaltskontrolle unterwerfen. Den Maßstab hierfür entnimmt er der von Fall zu Fall zu entscheidenden Frage, welchen zeitlichen Spielraum die Gesellschaft braucht, um sich ohne unverhältnismäßige Nachteile auf das Ausscheiden des kündigungswilligen Gesellschafters einstellen zu können72. Nur eine Vertragsregelung, die vor dieser Frage Bestand hat, besteht auch vor den Augen von Dieter Reuter. b) Kaum notwendig hervorzuheben, dass Reuter auch Abfindungsklauseln in das Visier nimmt73. Er gibt sie zwar nicht einfach zum Abschuss frei, meint aber, bei der von ihm sog. Satzungsgesellschaft verbiete der zwingende Charakter der Austrittsrechte Regelungen, die dem „wahren“ Mitgliedschaftswert nicht wenigstens tendenziell entsprechen74. Präventive, d.h. einschüchternde Beschränkungen des Abfindungsrechts verstoßen nach ihm gegen die Unabdingbarkeit der Austrittsrechte75. Hier glaubt man zunächst den Standpunkt der Rechtsprechung wiederzuerkennen76, aber Reuter ist strenger. BuchReuter, Schranken, S.283. Eine Verallgemeinerung lehnt Reuter (Schranken, S. 284) entgegen Planck/ Lobe, BGB, 4. Aufl. 1928, § 723 Abs. 6 und Würdinger, AcP 144 (1938), 129, 144 ff. ab. 72 Reuter, Schranken, S. 285. 73 Reuter, Schranken, S. 287 ff. 74 Reuter, Schranken, S. 294. 75 Reuter, Schranken, S. 299. 76 Vgl. nur BGH, NJW 1979, 104; dazu Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl. 2003, § 131 Rdnr. 54; Ulmer, NJW 1979, 82. 70 71
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wertklauseln müssen nach ihm mit einem Verbot, stille Reserven zu legen, einhergehen (ein in der Praxis kaum je erfülltes, wenn nicht gar unerfüllbares Petitum)77, und selbst Klauseln über Auszahlungsmodalitäten werden einer rigiden Kontrolle unterworfen, die von der herausfordernden Reuter-Maxime geleitet ist78: „Maßstab darf allein das Interesse der Mitgesellschafter an Schutz vor unverhältnismäßigen Schäden sein. Die gesellschaftsrechtliche Treupflicht verpflichtet den – ich ergänze: ausscheidenden – Gesellschafter nicht, den verbleibenden Mitgesellschaftern die alleinige Fortführung des Unternehmens zu ermöglichen oder gar zu erleichtern. Vielmehr kann er erwarten, dass die Gesellschaft den Kapitalverlust auch durch Beteiligungsfinanzierung (u.U. in Form der Umwandlung in eine AG mit börsengängigen Aktien) ausgleicht und notfalls Unternehmensteile, z.B. einzelne Betriebe, veräußert.“ Dass Reuter mit dieser These Diskussionsbedarf ausgelöst hat, versteht sich von selbst.
4. Nachfolgeprobleme im Todesfall
a) Mit Freuden wirkt die Kautelarpraxis den zentripetalen Wirkungen von Erbfällen entgegen. Soweit es um klassische Nachfolgeklauseln und qualifizierte Nachfolgeklauseln geht, setzt sich Reuter mit der überholten Entscheidung BGHZ 22, 186 auseinander79. Das sei hier nicht ausgebreitet, weil der Bundesgerichtshof, wie schon eingangs erwähnt, im Jahr 1977 nachgelegt hat80. Die rechtstechnischen Schwächen seiner Ursprungskonstruktion sind seither behoben. Im Mittelpunkt des Interesses unseres Jubilars haben sie ohnedies nicht gestanden. b) Gar nicht gefallen will Reuter dagegen die lebzeitig-gesellschaftsrechtliche Fortsetzungsklausel 81. Es geht um die sog. rechtsgeschäftliche Nachfolgeklausel, mit der der Gesellschafter die Mitgliedschaft durch aufschiebend bedingte lebzeitige Verfügung einem Mitgesellschafter oder einem diesem Schenkungsvertrag beitretenden Dritten 77 78 79 80 81
Reuter, Schranken, S. 299 (im Anschluss an Huber?). Reuter, Schranken, S. 302. Reuter, Schranken, S. 331 ff. BGHZ 68, 225. Reuter, Schranken, S. 319 ff.
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zuwendet 82. Die Vorschrift des § 2301 BGB lässt sich auf diese Weise überwinden 83. Die Folge ist, dass der Anteil zum Nachteil der Erben am Nachlass vorbeigesteuert wird, aber Reuter zieht statt des versagenden § 2301 zum Schutz der Erben den § 2302 BGB aus dem Köcher 84: Die lebzeitige Vorwegverfügung über den Anteil als künftigen Nachlassgegenstand ist ein die Testierfreiheit tangierender, für Reuter folglich nach § 2302 BGB nichtiger Vertrag 85. Es lässt sich denken, dass die abfindungslose Vorbeiführung des Anteils am Nachlass die Diskussion noch heute beschäftigt und auch in der künftigen Literatur noch beschäftigen wird. Unverkennbar hat Reuter hier auf einen neuralgischen Punkt hingewiesen.
5. Mediatisierung von Gesellschafterrechten
Weitgehend unzulässig sind nach Reuter Manipulationen des Stimmrechts 86, insbesondere in Gestalt der obligatorischen Gruppenvertretung 87, also die damals noch sog. Vertreterklausel88, ebenso die obligatorische Zusammenfassung von Gesellschaftergruppen durch Treuhandkonstruktionen89. Richtig ist daran, dass den einzelnen Gesellschaftern auf diese Weise Individualrechte genommen werden. Der Anteil wird gleichsam in „fortgesetzter Gütergemeinschaft“ von Generation zu Generation mit ungeteiltem Stimmrecht weitergereicht. Richtig ist auch, dass dies echte Perpetuierung ist. Wie schlimm das ist, kann man unterschiedlich beurteilen90.
82 Nachweise bei Karsten Schmidt, in: MünchKommHGB, § 139 Rdnr. 23; ausführlich Ulmer, in: MünchKommBGB, 4. Aufl. 2004, § 727 Rdnrn. 49 ff. 83 Vgl. nur Ebenroth/Boujong/Joost/Lorz, HGB 2001, § 139 Rdnr. 24. 84 Reuter, Schranken, S. 321 ff. 85 Eingehend Reuter, Schranken, S. 323 ff., 325 ff. 86 Reuter, Schranken, S. 201 ff. 87 Dieser Terminus geht zurück auf Karsten Schmidt, ZHR 146 (1982), 525 ff.; zur heutigen Üblichkeit dieser Terminologie vgl. etwa Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, S. 326 ff. 88 Reuter, Schranken, S. 210 ff. 89 Reuter, Schranken, S. 224 ff. 90 Verf. hat sich dieser Frage im Jahr 2006 auf dem den Familiengesellschaften gewidmeten Westermann-Symposion zugewendet; der Tagungsband erscheint 2006 im Verlag Mohr-Siebeck.
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6. Schwierigkeiten mit atypischen Personengesellschaften (Komplementär ohne Kapitalanteil; GmbH & Co. KG)
a) Eine Figur, die Dieter Reuter ganz und gar nicht liebt, ist der Gesellschafter-Geschäftsführer ohne Kapitalanteil 91, – insbesondere in Gestalt der typischen GmbH & Co. KG 92, bei der ja bekanntlich die GmbH weder Kapitalanteil noch Stimmrecht noch echte Gewinnbeteiligung hat, – oder in Gestalt des angestellten Gesellschafter-Geschäftsführers 93. Reuter erkennt treffend, dass diese Gestaltung – viel mehr als die sonst in der akademischen Lehre herausgekehrten Atypizitäten im Personengesellschaftsrecht – ein entscheidender Schlüssel zur Divergenz zwischen gesetzgeberischem und kautelarjuristischem Modell der Personengesellschaft ist. Er hält sie dann in einer etwas kompliziert ausgefallenen Ableitung aus § 336 Abs. 2 HGB für unvereinbar mit der, wie er meint, zwingenden Korrelation von Einfluss und Risiko94. b) Entsprechend kritisch ist auch Reuters Einschätzung der GmbH & Co. KG, insbesondere sein Urteil über den elementaren Unterschied zwischen der personenidentischen und der nicht personenidentischen GmbH & Co. KG95. Wir erinnern uns: Es geht um die Frage, ob allen Kommanditisten auch quotale Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH zustehen96. Die nicht personengleiche GmbH & Co. KG schätzt Reuter – da es ja doch um nicht mehr gehe als um die Komplementärfähigkeit einer juristischen Person – als noch vergleichsweise unproblematisch ein97, die personengleiche GmbH & Co. KG dagegen ist in seinen Augen höchst angreifbar 98. Reuter verneint im Ergebnis ein anerkennenswertes Interesse an dieser Gestal91 92 93 94 95 96 97 98
Reuter, Schranken, S. 192 ff.; grundlegend zu dieser Rechtsfigur Huber, S. 289 ff. Reuter, Schranken, S. 194 f. Reuter, Schranken, S. 195 f. Reuter, Schranken, S. 200 f. Reuter, Schranken, S. 239. Dazu etwa Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 10. Aufl. 2005, § 1 Rdnr. 30. Reuter, Schranken, S. 239, 240. Reuter, Schranken, S. 237.
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tung 99 und plädiert deshalb – wenn eine solche Gestaltung schon sein müsse – für die vom Arbeitskreis GmbH-Reform 100 damals vorgeschlagene – dann aber folgenlosem Vergessen anheimgefallene101 – Handelsgesellschaft auf Einlagen, also für eine besonderen Regeln zu unterwerfende Kommanditgesellschaft ohne Komplementär102.
III. Wo wir stehen, oder: Versuch einer Gesamtwürdigung 1. Hat das Buch eine Wirkungsgeschichte?
Reuters Buch ist ein schwieriger Fall. Die Wirkungsgeschichte der Monographie ist nicht leicht einzuschätzen. Hier und da haben die etwas ketzerischen Thesen eine Art Gegenreformation ausgelöst, bevor die von Reuter an die Tür des Gesellschaftsrechts geschlagenen Thesen auch nur aufgenommen und verstanden worden waren. Sympathie aus dem ordnungspolitischen Lager muss ihm sicher gewesen sein, aber diese Sympathie ließ es an Lautstärke fehlen. Im Standardschrifttum hinterließ das Buch immerhin tiefere Spuren als die mit ihm seinerzeit konkurrierenden Habilitationsschriften103. Überwiegend spielte der Autor darin allerdings die Rolle des Bösewichts und wurde als kautelarjuristischer Spielverderber diskreditiert104. Gedankliche Auseinandersetzungen blieben die Ausnahme. Auch ein im Jahr 1980 erschienenes Anti-Reuter-Buch über „Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Perpetuierung von Unternehmen“105 konnte diese Rolle nicht wirklich für sich in Anspruch nehmen. Woran mochte dies liegen? Ich denke, es liegt an der geistigen Kraft, die dieses Werk seinem Autor abverlangt haben muss und jedem Leser auf’s Neue abverlangt. Dies ist ein Werk, das zum „Nach“-Denken zwingt, kein Buch zum Aufblättern und Zitieren. Reuter, Schranken, S. 242. Arbeitskreis GmbH-Reform, Die Handelsgesellschaft auf Einlagen. Eine Alternative zur GmbH & Co. KG, 1971; krit. dazu Barz, NJW 1972, 465. 101 Vgl. dazu Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1624. 102 Reuter, Schranken, S. 243. 103 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S.116 f.; keine Erwähnung freilich bei Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, S.130 ff. 104 Vgl. beispielsweise Flume, Die Personengesellschaft, 1977, S. 190, § 13 I; H. P. Westermann, in: Handbuch der Personengesellschaften, Lfg. 2000, Rdnr. I 5 ff. 105 Michalski, 1980. 99
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Satzungsfreiheit, Individualrechte u. Bindung von Rechtsnachfolgern
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Auch ein Schlagwortregister fehlt, weil eben Schlagworte nicht Reuters Sache sind.
2. Annäherung an Reuters Ideenwelt
Reuters Schrift beginnt mit der Feststellung, dass die Frage nach Zulässigkeitsschranken für die Unternehmensperpetuierung nicht eben mit festen Vorstellungen der Zivilrechtsdiskussion einhergeht 106. Niemand wird ihm da widersprechen. Heute wie vor 32 Jahren setzt jede Würdigung eine Annäherung an Reuters Ideenwelt voraus. Ich sage Annäherung, denn das Nachdenken über Reuters Thesen zwingt zu immer neuer Lektüre und lässt den Leser selbst dann noch über das Erreichte im Unklaren, ob er sich schon auf Reuter’sche Höhen emporgearbeitet hat. Das Buch ist, wie schon bemerkt, ein schwieriger Fall: jeder Satz ein Gedanke, jede These ein Wagnis und das Ganze ein großer Entwurf! Es entfaltet ein aufklärerisches Privatrechts- und Menschenbild, ein individualistisches Freiheitskonzept, eingebettet in eine Einheit der Rechtsordnung 107, eine Lehre vom material richtigen Recht. Für Menschen, die das Nachdenken lieben, ist es unmöglich, nicht von Reuter gefesselt zu sein.
3. Kritik
Aber Wissenschaftler sind kritische Köpfe. Sie möchten, auch wenn sie die Tiefen von Reuters Gedankenwelt nur teilweise auszuloten vermögen, nicht bloß gefesselt, sondern auch von Ergebnissen überzeugt sein. Dies ist der Punkt – der Jubilar weiß es –, in dem meine Zustimmung in wichtigen Punkten versagt. Ihm, der mich wohl unter die bloßen Instrumentalisten zählt 108, sehe ich mich zwar wesentlich näher, als er selbst zugeben möchte 109. Aber ich habe doch kritische Fragen, mit denen ich zur Diskussion einladen möchte. Reuter, Schranken, S.15. Vgl. über Privatrecht und öffentliches Recht Reuter, Schranken, S. 36, 39, 55 f. 108 Vgl. Reuter, FS Mestmäcker, 1996, S. 271, 277. 109 Vgl. nur die Position des Verf. vor Anerkennung der GmbH (AG) & Co. KGaA durch BGHZ 134, 392 = NJW 1997, 1923: Karsten Schmidt, ZHR 160 (1996), 265 ff. 106 107
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Karsten Schmidt
– Da gibt es Bestimmungen im Gesetz, denen Reuter das Pathos einer Magna Charta der Individualfreiheit ablauschen will: im BGB etwa §§ 39 (Austrittsrecht), 137 (keine verfügende Drittwirkung), 2301 und 2302 (kein lebzeitiger Eingriff in die Testierfreiheit)110. Doch ist, was er wie das Raunen der Pythia vernimmt, vielleicht doch nichts als die abergläubische Überhöhung einer Alltagswahrnehmung? Geben die Regeln m.a.W. her, was er in ihnen sieht? Andere von Reuter durchaus hochgehaltenen Regeln, z.B. die §§ 724 BGB, 134 HGB über die lebzeitige Gesellschaftsdauer111, erscheinen dem Praktiker von heute nur noch als nutzloser Plunder einer die Generationenfolge noch nicht bedenkenden Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts. Wieder andere, nämlich die Auflösungstatbestände der §§ 133 HGB und 61 GmbHG, sind aus der Praxis de facto verschwunden. Der Grund liegt darin, dass eben dem Gesellschafteraustritt gegenüber der Auflösung das Prae gegeben wird 112. Und wenn es Reuter besser gefällt, dass die Gesellschaft aufgelöst und das Unternehmen ohne Zerschlagung in Liquidität umgetauscht wird, dann ist zu fragen: Werden nicht gerade Auflösungsbeschlüsse allzu gern verwendet, um Minderheitsgesellschafter unter Wert aus dem Unternehmen zu drängen 113? – Sodann frage ich mich, ob nicht das Recht der personalistischen Gesellschaft immer mehr zum Modellfall der von Reuter entdeckten und diskreditierten Satzungsgesellschaft hindrängt. Im Jahr 1892 hatte das Gesetz uns die GmbH als eine geschlossene Gesellschaft mit übertragbaren Anteilen jedoch ohne jederzeitige Kündigungsmöglichkeiten geschenkt. Das Handelsgesetzbuch von 1897 blieb aber noch bei den Regelungen des ADHGB von 1861. Die KG-Gestaltungspraxis hat dann jedoch faktisch nachgezogen, und im Jahr 1998 hat sich auch der Reformgesetzgeber zu einem Primat der Unternehmenserhaltung bekannt (z.B. durch die Änderung des § 131 HGB). Man braucht auch nur auf das sonst so uninteressante Vgl. Reuter, Schranken, S. 69 ff., 135 ff., 130 ff., 138 f. (zu §§ 39, 137 BGB), S. 320 f. (zu §§ 2301, 2302 BGB). 111 Reuter, Schranken, S. 283 ff. 112 Vgl. Fn. 66. 113 Vgl. BGHZ 76, 352 = NJW 1980, 1278; BGHZ 103, 184 = JZ 1989, 443 m. Anm. Wiedemann = JR 1988, 505 m. Anm. Bommert = NJW 1988, 1589 m. Anm. Timm. 110
Satzungsfreiheit, Individualrechte u. Bindung von Rechtsnachfolgern
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Firmenrecht zu blicken, um den GmbH-orientierten Wandel zum perpetuierungsfähigen Unternehmen wahrzunehmen: Die entsubjektivierte Sachfirma steht der mitunternehmerisch gedachten Personalfirma längst gleich114. – Das perpetuierliche Unternehmen hat also Fuß gefasst und mit ihm die Satzungsgesellschaft, und wenn Reuter ein öffentliches Interesse an der mit ihr einhergehenden Perpetuierung verneint: warum respektiert er nicht wenigstens das doch offenkundig vorhandene private Interesse an solcher Gestaltung? Sein Satz, dass die Zusammenhaltung des Gesellschafterkreises und dessen Fähigkeit zum Weiterbetrieb des Unternehmens nicht Gegenstände der Treupflicht sind 115, will doch nur schwer über die Lippen kommen. – Ich bin, wie man erkennt, durchaus für perpetuierungsfähige Gesellschaften, die das Desinvestitionsinteresse von Nachfolgern beschränken. Nun gebe ich zu, dass man auch gegenläufige Entwicklungen feststellen kann: Wenn das Management einer börsennotierten Gesellschaft an zwei Märkten tätig ist – an seinem brand market und daneben am Kapitalmarkt –, dann kann man sich naturgemäß fragen, ob nicht auch geschlossene Gesellschaften den Markt für Investment- und für Desinvestitionsinteressen gleichermaßen offen halten, sich also der Reuter’schen Wettbewerbsvorstellung beugen, folglich Kündigungs-, Austritts- und Abfindungsrechte von Gesellschaftern unberührt lassen müssen. Gleichwohl bin ich auch hier anderer Ansicht, meine nämlich, dass es Gesellschaften geben darf und sogar sollte, die sich diesem Mitgliedschaftswettbewerb nicht stellen. – Der Befürchtung, der von Reuter hervorgehobenen Wettbewerbsgedanke könne hier zum Erliegen kommen, möchte ich mit einem Hinweis auf den Wettbewerb unter den Rechtsformen entgegentreten. Warum soll nicht der Markt auch darüber entscheiden, welche Unternehmen und Unternehmensformen sich in puncto Kapitalbeschaffung dauerhaft durchsetzen. Auf ihren brand markets konGesetz vom 22.6. 1998, BGBl. I S. 1474; dazu Wiedemann, GedSchr. Lüderitz, 2000, S. 842. 115 Reuter, Schranken, S. 86. 114
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Karsten Schmidt
kurrieren die Gesellschaften sowieso, und warum soll nicht den Investoren die geschlossene Satzungsgesellschaft als Alternative zum fungiblen Investment angeboten werden? – Mit diesen Überlegungen ist auch schon der Kritik am Komplementär ohne Kapitalanteil und an der personenidentischen GmbH & Co. KG widersprochen (diese Tatbestände fallen übrigens in der Mehrzahl der Fälle zusammen). Es handelt sich hierbei um erprobte kautelarjuristische Wege, den von Reuter so sehr kritisierten Weg der Perpetuierung sicher zu beschreiten. Und da meine ich eben: gut so!
4. Lehren aus einer jahrzehntelangen Diskussion
Dieter Reuter wird sich über den hier eingenommenen Standpunkt nicht verwundern, wird vermutlich darauf fundiert erwidern, wird aber den wissenschaftlichen Wert seiner Schrift richtig eingeschätzt sehen. Denn (um ihn zu zitieren)116: „Auf uneingeschränkte Zustimmung kann nur rechnen, was zu uninteressant ist, um von kritischen Lesern wirklich ernst genommen zu werden.“ Reuters Schrift ist der seltene Fall, dass ein Habilitationsereignis das rechtswissenschaftliche Gespräch noch nach Jahrzehnten in ungeahnte Bahnen zu lenken weiß. Werke dieser Art sind selten, zumal in der Zivilrechtswissenschaft. Diese entzieht sich meistens der wirtschafts- und sozialpolitischen oder gar rechtsphilosophischen Diskussion. Nicht so Dieter Reuter, und das macht die Größe seines Werks aus!
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Reuter, ZHR 151 (1987), 237, 257.
Bericht über die Diskussion des Vortrags von Karsten Schmidt „Satzungsfreiheit, Individualrechte und Bindung von Rechtnachfolgern – ‚Nach‘-Denken über Dieter Reuters Grundlagenwerk von 1973“ Torsten Volkholz
(Diskussionsleitung: Joachim Jickeli) In seiner Erwiderung auf Karsten Schmidt stellt Dieter Reuter noch einmal dar, weshalb er zwischen Vertragsfreiheit und Satzungsfreiheit unterscheiden will. Nur soweit sich der Gesellschaftsvertrag in der Koordination der wirtschaftlichen Interessen der an seinem Abschluss Beteiligten erschöpfe, das Gesellschaftsunternehmen also Mittel der Verwirklichung des gemeinsamen Gesellschafterinteresses sei, könne sich die Rechtskontrolle auf die Grenzkontrolle nach den §§ 134, 138 BGB beschränken. Demgegenüber schüfen die auf Unternehmensperpetuierung zielenden Gesellschaftsverträge Verfassungen für die Leitung und die Eigenkapitalversorgung der (dadurch quasi vom Objekt zum Subjekt beförderten) Gesellschaftsunternehmen, die Verbindlichkeit auch und vor allem für die nach Person und Anzahl noch unbestimmten zukünftigen Gesellschafter beanspruchten. Der Blick auf das Recht der Körperschaften und Stiftungen zeige, dass die Rechtsordnung seit jeher für solche Verfassungen engere Grenzen der Gestaltungsfreiheit vorsehe, und zwar sowohl im Interesse der Allgemeinheit (Normativbedingungen bzw. Konzessionssystem) als auch im Interesse der (zukünftigen) Gesellschafter (zwingende Austrittsfreiheit einschließlich der Desinvestitionsfreiheit). Man dürfe nicht unter Berufung auf die gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit – wie dies die h.M. im Gesellschaftsrecht praktisch tue – die freie Körperschafts- und (Familien-)Stiftungsbildung einführen. Die von ihm, Reuter, propagierten engen Grenzen für die Unternehmensperpetuierung insbesondere in Personengesellschaftsform, sollten die Unternehmensperpetuierung vor diesem Hintergrund nicht absolut verhindern, sondern auf die Wahl von Rechtsformen verwei-
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sen, die – wie insbesondere die AG – die Beachtung der Normativbedingungen für wirtschaftliche Körperschaften sichern und die wirtschaftlichen Grundlagen des Unternehmens ohne Beschränkung der Freiheit der Gesellschafter zur Desinvestition schützen. Die von Karsten Schmidt sogenannte Magna Charta der Gesellschafterrechte Reuters habe sich aus dem Versuch ergeben, nachzuweisen, dass die von der h.M. wegen angeblicher wirtschaftlicher Bedürfnisse gebilligten vielfältigen Beschränkungen dieser Rechte in Personengesellschaftsund GmbH-Verträgen zu wesentlichen Teilen im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben stehen, wenn man diese im Lichte der zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch lebendigen Vorbehalte gegen die freie Körperschaftsbildung und die freie Stiftungsbildung interpretiere. Der Diskussionsleiter Joachim Jickeli bringt dagegen das schon von Karsten Schmidt in dessen Referat begründete Bedürfnis der Praxis nach Gestaltungsfreiheit auch in Bezug auf gesellschaftsvertragliche Nachfolgeregelungen mit dem Satz „Je älter man wird, umso mehr verfällt man dem Hang, sich zu perpetuieren“ auf den Punkt. Nicht gespart wird daher mit Kritik an den Aussagen des Jubilars. So merkt Rainer Walz an, dass Reuters Abwägung von Unternehmens- gegenüber den Gesellschafterinteressen die Fragestellung, wie viel Statik man erlauben und wie viel Dynamik man brauchen könne, offen lasse. Auch auf europäischer Ebene sei das von Reuter propagierte Durchhalten eines numerus clausus der Rechtsformen wenig wahrscheinlich. Entscheidend, so Jickeli, sei vielmehr, ob die gewollte Organisationsform lege artis durchführbar ist. Viele der von Reuter beklagten Fehlentwicklungen resultierten aus der rechtsformabhängigen Besteuerung. So beklagt beispielsweise Birgit Weitemeyer die Organisation geschlossener Immobilienfonds in Form der GbR. Eine rechtsformunabhängige Besteuerung könne dagegen einen Großteil der Fehlentwicklungen beseitigen. In seinen abschließenden Worten stellt Karsten Schmidt dementsprechend auch fest, das Steuerrecht beherrsche „in einem vielleicht desaströsen Sinne das Gesellschaftsrecht“. Trotz der von den meisten Diskutanten vorgebrachten Kritik an Reuters Ergebnissen im Detail gesteht ihm die Mehrheit aber auch zu, in
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der rechtswissenschaftlichen Diskussion nachhaltig Impulse gesetzt zu haben. So sieht Werner Schubert Reuters Grundlagenwerk und den darin propagierten ORDO-Liberalismus in der Tradition derer, die, wie etwa Hans Großmann-Doerth, bereits in den 1920iger und -30iger Jahren den Missbrauch der Rechtsformen anprangerten. Es handele sich um ein „Recht, das sich die Wirtschaft selbst geschaffen hat“. Reuter habe eine Bestandsaufnahme der bis dahin geübten Kritik gefertigt und diese einer kritischen Würdigung unterzogen. Nunmehr sei eigentlich der Gesetzgeber in der Pflicht, dafür zu sorgen, Gesellschaftsformen so auszugestalten, dass sie angemessen funktionierten und ein Ausweichen in Alternativformen unterbleibe. Sein nach eigenen Worten an der Fragestellung Reuters nicht ganz unschuldiger akademischer Lehrer, Ernst-Joachim Mestmäcker, hebt den methodischen Schwerpunkt der Habilitationsschrift hervor. Ausgehend von einer ökonomischen Analyse des Rechts werde darin dessen Ordnungsfunktion begründet. Während die Praxis vornehmlich mit wirtschaftlichen Kriterien argumentiere, gelinge es Reuter, die Kernfrage zu stellen: Inwieweit ist das Privatrecht imstande, seiner Ordnungsfunktion gerecht zu werden? Etwa zum Schutz der Gläubiger seien, so Mestmäcker, zwei Ansätze mit vollkommen gegenläufigen Rechtsentwicklungen zu verzeichnen: Einerseits die anglo-amerikanischen fiduciary duties der Treuhänder als Dreh- und Angelpunkt allen fremdnützigen Tätigwerdens. Andererseits sei dieser Schutz in Deutschland nur teilweise mithilfe der Instrumente des Amtsbegriffs (etwa für Testamentsvollstrecker) und dem allgemeinen Gesellschaftsrecht gewährleistet. Gerade hierbei würden Reuters Überlegungen helfen, das geltende Recht konstruktiv weiterzuentwickeln. Gleiches gelte für das Stiftungsrecht, wo Reuter die Beschränkung der Rechtsform der selbständigen Stiftung auf gesellschaftlich sinnvolle Zwecke propagiere. K. Schmidt stellt in seiner Erwiderung auf Mestmäcker darauf ab, dass die Rechtsfortbildung der Praxis und dem Gesetzgeber obläge. Letzterer habe etwa durch die HGB-Novelle von 1998 bestehende Perpetuierungstendenzen gebilligt. Obgleich die Gestaltungsfreiheit sehr wichtig sei, so Hans-Joachim Priester, fordere das diskutierte Werk vom Praktiker regelmäßiges „Nach“-Denken darüber, wie die jeweilige Gestaltungsaufgabe vollzogen werden könne. Beispielhaft sei der Ordnungsauftrag des Rechts,
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wenn es um Bestrebungen zur Absenkung oder Abschaffung des erforderlichen Mindesthaftungskapitals der GmbH gehe. Die mit dieser Rechtsform bezweckte Haftungsbeschränkung könne es zum Nulltarif gerade nicht geben. Vergleichbares stellt Wolfgang Ewer für die Ordnungsfunktion im öffentlichen Organisationsrecht heraus. Gegenwärtig herrsche beispielsweise eine „institutionelle Selbsteinschnürung“ der Zweckverbände im öffentlichen Recht teilweise mit regulären Austrittsfristen von 50 Jahren und mehr, denen lediglich mit Hilfe von auf Art. 14, 12 und 2 GG gestützten Austrittsrechten, wie etwa denen der Freiberufler, begegnet werden könne. Dieses funktioniere, so Karsten Schmidt, vor allem deswegen, da Freiberufler perpetuierungsunabhängig seien. Michael Martinek dagegen sieht Reuters Überlegungen zur Ordnungsfunktion des Rechts angesichts der Entwicklungen seit den 1970iger Jahren als möglicherweise überholt an. Dies zeige sich nicht zuletzt an der fehlenden Beständigkeit der Bedenken Reuters in einer osterweiterterten Europäischen Union. Dort gebe es die von ihm gemachte Unterscheidung zwischen Vertrags- und Satzungsgesellschaften einerseits und Kapital- und Personengesellschaften andererseits nur noch ansatzweise. Angesichts dieser weiterreichenden „Entinstitutionalisierung“ der Praxis komme Reuters „institutionelles Denken“ vom Privatrecht als Ordnungsinstrument vor allem dem Schutz der Gläubiger zugute. Auch Karsten Schmidt macht Probleme mit der praktischen Anwendbarkeit der Ideen Reuters aus. Dennoch werde eine Fehlentwicklung nicht dadurch besser, dass man sie fortsetze. Auch er verweist in diesem Zusammenhang auf den Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser habe tätig zu werden, wenn er Reuters Bedenken teile. Beispielsweise habe es bereits vor Entstehung des Aktiengesetzes größere Publikumspersonengesellschaften gegeben. Als Reaktion hierauf habe der Gesetzgeber für den geordneten Kapitalmarkt die Aktiengesellschaft geschaffen. Nunmehr sei etwa zu überlegen, § 23 Abs. 5 AktG zu streichen. Entgegen Martinek haben sich die Ideen Reuters auch nicht erledigt. K. Schmidts Kritik daran gelte vielmehr den jeweils gefundenen Einzelergebnissen und nicht jenem individuellen
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Denkansatz. Dieser wirke dauerhaft fort, da er methodisch unangreifbar sei. Angesichts der fortdauernden und kontrovers geführten Diskussionen über dessen Thesen resümiert Karsten Schmidt, Dieter Reuter sei „die Perpetuierung gelungen, auch wenn auf einem anderen Feld“.
Juristische Auslegung und linguistische Pragmatik Franz Jürgen Säcker
Gliederung I.
Einleitung
II.
Auslegung und Unvollständigkeit des Gesetzes
III.
Unabhängigkeit des Denkens als Bedingung des wissenschaftlichen Dialogs
IV.
Gesetzestext, Kontext („innere Kohärenz“) und Textintention („Telos“)
V.
Lückenschließende, das Schweigen des Gesetzes überwindende Rechtsfortbildung
VI.
Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung
VII. Auslegung von Normen EG-rechtlichen Ursprungs VIII. Zusammenfassung in Thesen IX.
Schlusswort
I. Einleitung Drei soeben erschienene Bände spiegeln die Ergebnisse des mehrjährigen Wirkens der interdisziplinären Projektgruppe „Sprache und Recht“ der Berlin-Brandenburger Akademie der Wissenschaften wider.1 Die einzelnen Beiträge führen dem Leser in seltener Klarheit 1 Vgl. dazu Austin, Zur Theorie der Sprechakte, 2. Aufl. 1979 (Neudruck 2002, Originalausgabe: How do things with words, 1962); Baldinger, Die Semasiologie, 1957; Breuer, Einführung in die pragmatische Texttheorie, 1974; Bubner, Sprache und Analysis. Texte zur englischen Philosophie der Gegenwart, 1968; Bühler, Sprachtheorie, 1934 (3. Aufl. Neudruck 1999); Bünting, Einführung in die Linguistik, 15. Aufl. 1996; Busse, Textinterpretation, 1992; ders., Juristische Semantik, 1993; ders., Semantik der Praktiker. Sprache, Bedeutungsexplikation und Textauslegung in der Sicht von Richtern, in: Müller/Wimmer (Hrsg.), Neue Studien zur Rechtslinguistik, 2001, S. 45; Carl, Sinn und Bedeutung. Studien zu Frege und Wittgenstein, 1982; Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989; ders., Der Richter als Mund des sprechenden Textes, in: Müller (Hrsg.), Untersuchungen zur Rechtslinguistik, 1989, S. 47; ders./Kudlich, Die Auslegungslehre als implizite Sprachtheorie der Juristen, ARSP 88 (2002), S. 231; Dittel, Intention und Kommunikation. Ein Beitrag zur Theorie der Bedeutung, 1979; Dornseiff,
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Franz Jürgen Säcker
erneut die Probleme intersubjektiver Verständigung mit den Mitteln der Sprache vor Augen. Eine Wissenschaft der Auslegung, d.h. eine wissenschaftliche „Hermeneutik“ kann es nur geben, wenn es eine Bezeichnungswandel unseres Wortschatzes, 7. Aufl. 1966; Dressler, Einführung in die Textlinguistik, 2. Aufl. 1973; Eckmann, Rechtspositivismus und sprachanalytische Philosophie, 1969; Eco, Einführung in die Semiotik, 9. Aufl. 2002 (Originaltitel: La struttura Assente, 1968); Göttert-Herrlitz, Linguistik und Philosophie, 1974; Greve, Bedeutung, Handlung und Interpretation, Zeitschr. f. Soziologie 31 (2002), S. 373; Griller, Gibt es eine intersubjektiv überprüfbare Bedeutung von Normtexten?, in: Festschr. für Rill, 1995, S. 543; Habermas, Hermeneutik und Ideologiekritik, 1971; ders., Sprachspiel, Intention und Bedeutung. Zu Motiven bei Sellars und Wittgenstein, in: Wiggershaus (Hrsg.), Sprachanalyse und Soziologie, 1975, S. 319; Hart, Der Begriff des Rechts, 1973 (engl. Erstausgabe: The Concept of Law, 1961); Heger, Die methodologischen Voraussetzungen von Onomasiologie und begrifflicher Gliederung, Zeitschrift für Romanische Philologie, 1964, S. 486; Henne, Sprachpragmatik, 1975; Herberger-Simon, Wissenschafttheorie für Juristen, 1980; Kainz, Einführung in die Sprachpsychologie, 1946; KamlahLorenzen, Logische Propädeutik, 2. Aufl. 1987; R. Keller, Sprachwandel, 2. Aufl., 1994; Klatt, Semantic normativity and the objectivity of legal argumentation, ARSP 90 (2004), S. 51; Klein, Paradoxales zwischen Rechtssemiotik und Normsemiotik, Semiosis 18 (1993), S. 43; Koch, Das Postulat der Gesetzesbindung im Lichte sprachphilosophischer Überlegungen, ARSP 61 (1975), S. 27; Kronasser, Handbuch der Semasiologie, 1952; v. Kutschera, Sprachphilosophie, 2. Aufl. 1975 (Nachdruck 1993); Langacker, Sprache und ihre Struktur, 2. Aufl. 1976; Lee, Text, meaning and author intention, Journal of literary semantics 19 (1990), S. 167; Leisi, Der Wortinhalt, 5. Aufl. 1975; Lenk, Interpretationskonstrukte, 1993; Lingelbach, Gesetzessprache und Gesetzesauslegung, in Eckert-Hattenhauer (Hrsg.), Sprache, Recht, Geschichte, 1991, S. 95; Maas-Wunderlich, Pragmatik und spachliches Handeln, 3. Aufl. 1974; Mackensen, Deutsches Wörterbuch, 10. Aufl. 1982; Müller, Textarbeit, Rechtsarbeit, in: ders./Wimmer (Hrsg.), Neue Studien zu Rechtslinguistik, 2001, S. 11; Nörr, Von der Textrationalität zur Zweckrationalität, ZRG Kan. Abt. 112 (1995), S. 1; Palmer, Semantik. Eine Einführung, 1977 (Originaltitel: Semantics. A new outline, 1976); Reichmann, Germanistische Lexikologie, 2. Aufl. 1976; v. Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache. Eine kritische Einführung in die „ordinary language philosophy“, 3. Aufl. 1993; ders., (Hrsg.), Probleme der sprachlichen Bedeutung, 1976; Schaff, Sprache und Erkenntnis, 1974; S. J. Schmidt, Texttheorie, Probleme einer Linguistik der sprachlichen Kommunikation, 2. Aufl. 1976; ders., Bedeutung und Begriff, 1969; W. Schmidt, Lexikalische und aktuelle Bedeutung, 1963; Searle, Sprechakte, 6. Aufl. 1994 (Originaltitel: Speech Acts, 1969); Seiffert, Einführung in die Wissenschaftstheorie, Bd. I, 11. Aufl. 1991; ders., Sprache heute, 1977; Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. I–IV, 1969ff.; Ullmann, Grundzüge der Semantik, Die Bedeutung in sprachwissenschaftlicher Sicht, 2. Aufl. 1972 (Originaltitel: The Principles of Semantics. A linguistic approach to meaning, 1957); ders., Semantik. Eine Einführung in die Be-
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Methode gibt, mit deren Hilfe die Objektivität einer aus dem Text abgeleiteten Aussage überprüfbar ist. Soweit dies nicht der Fall ist, bewegen wir uns im Bereich der Gedankenlyrik und nicht der Wissenschaft.2 Der Richter hat nach dem kontinentaleuropäischen Verständnis des Rechtsverweigerungsverbotes3 Antworten allerdings auch da zu geben, wo die Erkenntnisquelle des Juristen, das Gesetz, eine Antwort schuldig bleibt. Der Richter hat bei Schweigen des Gesetzes kein Redeverbot gemäß dem Wissenschaftlichkeit kennzeichnenden Prinzip: „Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen“ (Wittgenstein), sondern muss fallbezogen die Antwort geben, die der Gesetzgeber dezisionistisch gegeben hätte, wenn er das Problem gesehen und nicht geschwiegen hätte. Da der Richter im Gegensatz zum Gesetzgeber seine Entscheidung begründen muss, muss er den von ihm aufgestellten gesetzesergänzenden Sollenssatz angeben, der seine konkrete Entscheidung trägt.4 II. Auslegung und Unvollständigkeit des Gesetzes Der Glaube an das Dogma, dass das Gesetz auf alle in der sozialen Realität sich stellenden rechtserheblichen Sachverhalte Antworten bereithält, ist heute ebenso überwunden5 wie der der Gewaltenteilungslehre Montesquieus 6 zugrunde liegende Glaube daran, dass der Urteilsinhalt immer derselbe sei, gleichgültig, welcher Jurist ihn ausspreche. Die Gesetze geben auf viele Fragen keine, auf viele Fragen nur vage, generalklauselartig formulierte Antworten; sie erweisen sich deutungslehre, 1973 (Originaltitel: Semantics. An Introduction to the Science of Meaning, 1962); Weinberger-Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, 1979; Wittgenstein, Schriften (Tractatus logicophilosophicus; Tagebücher 1914–1916; Philosophische Untersuchungen), 1963; Wunderlich (Hrsg.), Linguistische Pragmatik, 2. Aufl. 1975; ders., Pragmatik, Sprechsituation, Deixis, Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, I/II (1970/71), S. 153; Zäch, Recht und Sprache, in Rechtsanwendung in Theorie und Praxis, 1993, S. 45. 2 H. Albert, in: König, Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. I, 2. Aufl., S. 39 ff., 41. 3 Vgl. dazu E. Schumann, ZZP 81 (1968), S. 83ff. 4 Näher dazu Säcker, ARSP 58 (1972), S. 215 ff. 5 Vgl. dazu die Nachweise bei Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 17 ff. 6 Montesquieu, De l’esprit des lois, Tome premier, 1769, liv. XI, chap. VI, S. 271, der Richter sei nichts anderes als „la bouche, qui prononce les paroles de la loi“.
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auf vielen Gebieten als zu spröde, sie sind mit Leerformeln und Formelkompromissen übersät oder gar nicht vorhanden 7 oder es werden – zum Nachteil der Rechtssicherheit – bestehende Normen überlagert durch Programmsätze, völkerrechtliche Standards („Weichrechtsnormen“, Aspirationsnormen), die als leitende Prinzipien in den Prozess der Auslegung einfachen Rechts eingehen. Fundamentale Institutionen des Privatrechts sind nicht Bestandteil der legifizierten Privatrechtsordnung, sondern verdanken ihre Entstehung richterlicher Fortbildung des Rechts. Es handelt sich bei ihnen nicht um juristische „Entdeckungen“8 i.S. einer Aufhellung von bislang noch unerhelltem Terrain und Entbergung von im Gesetz verborgener Weisheiten, sondern um gesetzesergänzendes Richterrecht. Der Richter kennt die Grenzen des vom Gesetz erhobenen Regelungsanspruchs, die sich auch bei noch so fleißigem Lesen des Gesetzestextes und Nachdenken über seinen Sinn nicht erweitern lassen. Gesetzliche Wertungen können nur da binden, wo sie vorhanden sind. „Die Dringlichkeit einer Frage kann keine Antwort erzwingen, sofern keine wahre zu erlangen ist; weniger noch kann das fehlbare Bedürfnis, auch nicht das verzweifelte, der Antwort die Richtung weisen.“9 Fehlen daher die eine Frage regelnden Normen, so liegt eine Bewertungslücke vor, die nicht durch normative Methodik oder dogmatisches Räsonnement objektiv-richtig, sondern nur unter Aufbietung eines Höchstmaßes an praktischer Vernunft und sozialer Verantwortlichkeit dezisionistisch ausgefüllt werden kann. Diese Einsicht beherrscht seit Überwindung der Begriffsjurisprudenz durch die Interessenjurisprudenz 10 die juristische Methodenlehre; ihr ist bewusst, „dass ein sehr großer Teil, vielleicht der weitaus größte Teil der zweifelhaften Rechtsfragen, auf dem Vorhandensein von Gesetzeslücken beruht“.11 Alles andere wäre romantische Selbsttäuschung.12 Näher zum Folgenden Säcker, ZRP 1971, S. 145 ff. Vgl. Dölle, Juristische Entdeckungen, Kongressvortrag, 42. Deutscher Juristentag, Bd. 2, B1-22 (1957). 9 Adorno, Negative Dialektik, 1966, S. 209. 10 Vgl. dazu eingehend Bucher, ZBernJV 102 (1966), S. 274 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 433 ff. 11 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 174. 12 Giradot, ARSP 1965, Beiheft 41, S. 155 ff.; näher dazu Säcker, in: MünchKomm (Joost), Bd. 1, 4. Aufl. 2001, Einl. RdNr. 81 ff. 7 8
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III. Unabhängigkeit des Denkens als Bedingung des wissenschaftlichen Dialogs „Ein jeder muss eingestehen, dass dasjenige Urteil über Schönheit, worin sich Interesse mengt, sehr parteilich und kein reines Geschmacksurteil ist.“13 Was Kant über das ästhetische Urteil schreibt, gilt auch für das kognitive Urteil. Mengt sich parteiliches Interesse in das Urteil, so liegt kein unabhängiges Urteil vor. Wer seine Parteilichkeit verschweigt, handelt als Richter amtswidrig und als Professor gegen seine Pflicht, die Qualen der Wahrheitssuche unbeeinflusst von parteilichen, partiellen Interessen zu suchen und auszusprechen. Martin Kriele 14 hat deshalb als Voraussetzung für eine wahrheitsorientierte Urteilsfindung im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften die Diskussion in einem universellen, offenen Auditorium gefordert, in dem der keine Stimme hat, der mit interessengebundenem Vorurteil kommt. Jeder, der die Einladung an eine Universität zu einem Vortrag annimmt, akzeptiert damit diese oberste universitäre Spielregel. Die Rechtswissenschaft verträgt und benötigt auf der Suche nach der Wahrheit die Meinungsvielfalt, nicht, weil sie sich einer pluralistischen Wahrheitstheorie als dem wissenschaftlichen Pendant zur politischen Demokratie verschrieben hätte, sondern deshalb, weil sie weiß, dass der Weg zum Urteil nur über Irrtümer führt. Zu bekennen, geirrt zu haben, ziert den Wissenschaftler, mag es auch beim Politiker und Unternehmensführer zur Abberufung aus dem Amte führen. Die Wissenschaft hasst nicht den Irrtum, wohl aber die Lüge, d.h. die Verschwörung gegen Wahrheit, Redlichkeit und Offenheit. Im praktischen Leben mag der Heuchler der angenehmere Zeitgenosse sein, hält er doch wenigstens nach außen hin an den etablierten Normen und Wertvorstellungen der Gesellschaft fest, so sehr er auch innerlich entschlossen ist, sie zu übertreten. In der Wissenschaft ist Heuchelei dagegen die schlimmste Sünde. Der Zyniker, der ohne Rücksicht auf die Folgen die Wahrheit nichts als die Wahrheit – so wie er sie versteht – sagt, genießt an der Universität Narrenfreiheit und muss sie auch haben. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, 2. Auflage 1793: Analytik des Schönen. 14 Kriele, Kriterien der Gerechtigkeit, 1963, S. 78ff.; Perelman, ARSP 51 (1965), S. 167 ff. 13
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IV. Gesetzestext, Kontext („innere Kohärenz“) und Textintention („Telos“) Die moderne Methodenlehre und Rechtspraxis verzichtet heute in Abkehr von dem begriffspyramidalen Denken Puchtas15 auf formalbegriffsjuristisches Argumentieren und versucht nicht mehr, den Anschein zu erwecken, man könne, wenn man einen Gesetzestext nur gründlich genug lese, aus ihm für jeden zu entscheidenden Fall eine eindeutige Lösung herauslesen.16 Texte können semantisch nicht mehr hergeben, als in sie hineingedacht ist. Der Interpret ist keine Sphinx. Demgemäß lassen sich einer Rechtsnorm nicht mehr Wertentscheidungen entnehmen, als der Normenautor durch die Rechtsnorm entschieden hat.17 In Wahrheit geht es darum, notwendige Fortbildungen des Gesetzes, wenn der alte Normtext bestimmte Probleme nicht regelt bzw. auf neue Problemfälle nicht mehr passt, offen zu erörtern und sach- und systemgerechte Lösungen neu zu entwickeln; denn wir brauchen, wie Popper zu Recht festgestellt hat, beides: die Rechtssicherheit der alten Texte und die Gerechtigkeit, der sich die richterliche Rechtsfortbildung verpflichtet weiß. Es muss invariante Gesetze, die Rechtssicherheit garantieren, geben und gleichwohl, wenn nötig, Neuerungen, da das System bestehender Gesetze nie hinlänglich komplett ist.18 Linguistisch gibt es keine hermeneutisch-dialektisch zu entdeckende Wahrheit, die als Antwort auf neue Problemlagen einem Text verstehend entnommen und anderen als allein richtig mitgeteilt werden kann. Der hermeneutische Wahrheitsbegriff ist untauglich, außerhalb des Bereichs der Allgemeingültigkeit und Objektivität naturwissenschaftlicher Erkenntnis für andere verbindliche Wahrheiten festzulegen. Die Situationsbezogenheit der hermeneutischen Wahrheit ist – Puchta, Das Gewohnheitsrecht, Bd. I, 1828, S. 144 ff. Esser, in: Festschrift für Raiser, 1974, S. 517 ff., 525: „Die Begriffe ergeben nicht mehr, als in sie hineingedacht worden ist. Der Syllogismus funktioniert nicht schon durch die Garantie des logischen Denkens, sondern erst durch die Vollständigkeit der Prämissen, die mit der Kasuistik ergänzt und abgewandelt werden müssen.“ 17 Schreiber, Geltung von Rechtsnormen, 1966, S. 156 ff.; Makkonen, Zur Problematik der juristischen Entscheidung, 1965, S. 207 ff. 18 Vgl. Popper/Eccles, The Self and Its Brain, 1977, S. 25. 15 16
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so Gadamer – „so grundlegend, dass das Erkennen eines endlichen Wesens nie nach allen Seiten hin gesichert werden kann. Das Moment der Produktivität des Verstehens tritt somit in sein volles Recht und gewinnt Einlass in die Wahrheitsproblematik. Weil das Verstehen geschichtsbedingt ist, strebt der Mensch nach neuen Einsichten, die seine Welt aufschließen und neu beleuchten können.“19 Die schöpferische Kraft der Verstehenswahrheit lässt deshalb intersubjektiv transmissible Vermittlung des Sinns von Texten über seine unmittelbare semantische Bedeutung hinaus nicht zu.20 Die moderne kritische Interpretationstheorie trägt dem Rechnung, indem sie den Geltungsanspruch des Gesetzes nicht über dessen semantische Bedeutung hinaus ausdehnt, sondern die Rolle des Richters anerkennt, der ein Problem entscheiden muss, das der Gesetzgeber infolge planmäßiger oder planwidriger Unvollständigkeit des Gesetzes nicht gesehen bzw. nicht geregelt hat.21
V. Lückenschließende, das Schweigen des Gesetzes überwindende Rechtsfortbildung Die vorstehende analytische Beschreibung der faktisch unentrinnbaren Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume des Rechtsanwendungsstabs ist als solche methodologisch wertfrei, hat aber gleichwohl politische Implikationen. Der Rechtsanwendungsstab muss seine Entscheidung, soweit sie sich nicht aus dem Gesetz ergibt, durch die Kraft der Begründung an Gesetzgebers Statt legitimieren, d.h. die materiale Verantwortung für die Gerechtigkeit des Ergebnisses übernehmen. Eine Schuldzuweisung an den Gesetzgeber oder ein Achselzucken gegenüber dem erzielten Ergebnis ist nicht möglich.
19 Gadamer, Hermeneutik, Bd. I, 1990, S. 270 ff.; Bd. II, S. 330 ff. in Auseinandersetzung mit der „klassischen“ psychologisch-hermeneutischen Lehre des Verstehens. 20 Brecht, Politische Theorie, 1961, S. 136 ff., 219 ff., 336. 21 Es geht der kritischen Auslegungstheorie nicht um Erweiterung des normativen Aussagegehalts, sondern um die Ermittlung der mit der Norm verbundenen realen Intention des Gesetzgebers.
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Der konservativ orientierte Jurist verbindet mit der geisteswissenschaftlichen Interpretationsmethodik allerdings immer noch die Hoffnung, dass der Umfang richterrechtlicher Neuerungen bei äußerlichem Festhalten an der geisteswissenschaftlichen Interpretationstheorie geringer sein werde als bei offener Rechtsfortbildung. Er hofft, dass der gesellschaftliche und ökonomische Status quo sich auf diesem Wege besser aufrechterhalten lässt als bei offener Anerkennung einer richterlichen Rechtsfortbildungsbefugnis. Es ist das Verdienst von Rawls 22, in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ auf diese Problematik aufmerksam gemacht zu haben. Die Wahl einer bestimmten Methodologie ist nie völlig frei von politischen Fernwirkungen. Für Juristen, die die Bewahrung des Status quo als politisches Ziel ansehen, war die Anerkennung einer offenen Rechtsfortbildungsbefugnis ein politischer Affront; für liberale Positionen war dies dagegen die Grundlage, neue rechtspolitische Lösungen im Rahmen der Lücken des Gesetzes und damit begrenzt in ihrer Tragweite 23 zu erreichen. Karl Popper schrieb damals: „Es scheint mir offenbar nicht falsch zu sagen, dass die Fähigkeit und Befugnis, einen alten Text aktuell anzuwenden, in nuce schon immer bei den Lemuren vorhanden war“, d.h. bei den Wahrsagern des Rechts aus dem Totenreich (Wer erinnert sich nicht an die Grablegungsszene im 4. Akt von Goethes Faust II?). Dies ist – ins Juristische gewandt – die Ablehnung der anglo-amerikanischen Regel: „contemporanea expositio“ und die Anerkennung einer geltungszeitlich orientierten offenen Rechtsfortbildung. Die Frage: „Was soll der Richter, was soll der Gesetzgeber tun?“, lässt sich allerdings nicht anhand einer einfachen, pragmatischen Regel entscheiden. Als die Lex Soraya im Bundestag gescheitert war, entschloss sich der Bundesgerichtshof 24, den Ehrenschutz per Richterrecht entgegen § 253 BGB a.F. abzusichern durch Zuerkennung von Schmerzensgeld bei erheblicher Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung. Erst am 1.7.2002 25 ist das BGB einigermaßen an das RichRawls, Theorie der Gerechtigkeit, 1993. Vgl. dazu zutreffend Reuter, RdA 1985, S. 323. 24 BGHZ 35, S. 363 ff.; BGHZ 39, S. 124, 134 ff. 25 BGBl. I S. 2674; dazu Wagner, NJW 2002, S. 2049, 2053 ff.; Oetker, in: MünchKomm, § 252 RdNr. 2 ff. 22 23
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terrecht angepasst worden. Das Bundesverfassungsgericht 26 hat die richterliche Derogation des § 253 BGB gebilligt und die Verantwortlichkeit der Fachsenate für die Aktualisierung alter Texte anerkannt 27, was es zuvor nicht getan hatte, als der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts – wenig glücklich in der Begründung – „§ 61 Nr. 0“ KonkursO als Rechtsgrundlage für den absoluten Vorrang von Sozialplanansprüchen im Konkurs entdeckt hatte.28 Es bleibt damit dem „Fingerspitzengefühl“ des Richters überlassen, wann er die Anpassung des alten Textes an veränderte Gegebenheiten vornimmt und wann er auf den Gesetzgeber wartet. Ich habe bewusst von „Fingerspitzengefühl“ gesprochen. Das Wort stammt von meinem akademischen Lehrer Nipperdey. Auf meine Frage, was einen guten vom schlechten Richter unterscheide, sagte er: „Das Fingerspitzengefühl“. Ähnlich äußerte sich Robert Fischer, der frühere Präsident des Bundesgerichtshofes und kühne Fortbilder unseres Gesellschaftsrechts,29 als er in einem von Dieter Reuter und mir veranstalteten Seminar zum Problem der richterlichen Rechtsfortbildung an der FU Berlin sprach. Ich fragte ihn, warum er den Zweiten Senat, dem er vorsaß, zu solchen Höchstleistungen auf dem Gebiet der Fortbildung des Personengesellschaftsrechts angespornt und warum er als Vorsitzender des Kartellsenats so restriktive Urteile wie das Teerfarbenurteil gefällt habe, wo der Senat eine realisierte Verhaltensabstimmung nicht dem Vertragsbegriff des § 1 GWB zugeordnet hatte. Seine Antwort war: „Das Kartellrecht unterliegt strenger legislativer Beobachtung und Kontrolle. In nahezu jeder Amtsperiode des Deutschen Bundestags wird dieses Rechtsgebiet novelliert; hier ist eine vorausschauende oder korrigierende richterliche Rechtsfortbildung überflüssig“. Der Gesetzgeber tue doch seine Pflicht und sollte durch den rechtsfortbildend vorpreschenden Richter hierbei nicht entmutigt 26 BVerfGE 34, S. 269 ff.; ferner BVerfGE 59, S. 104 ff.; 88, S. 103 ff.; 95, S. 48 ff.; vgl. dazu Kriele, in: Fuhrmann/Jauß/Pannenberg, Text und Applikation, 1981, S. 163 ff. 27 Allerdings nur in den Grenzen der Beachtung der wertsetzenden Bedeutung und der Schutzfunktion der Grundrechtsnormen für das Privatrecht; vgl. dazu exemplarisch BVerfGE 102 S. 347 ff.; dazu näher Säcker, WRP 2004, S. 1201 ff. 28 Vgl. BVerfGE 65, S. 182 ff. = NJW 1984, S. 475 ff. gegen BAG AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972. 29 Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, 1971, S. 27 ff.; ähnlich Sendler, NJW 1983, S. 1449 ff.; Kissel, NJW 1982, S. 1777 ff.
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werden. Im Gesellschaftsrecht weigere sich der Gesetzgeber dagegen, die ihm zukommende Rolle zu spielen, wie sich aus dem Scheitern der GmbH-Reform und der Abstinenz im Bereich des Personengesellschaftsrechts ergebe. Hier müsse es deshalb der Richter „richten“. Später bei einem Glas Wein fügte er mit dem ihm eigenen aristokratischen Selbstbewusstsein hinzu: „Der könne es ja in aller Regel auch besser!“ Er war also gar nicht unglücklich über die legislative Abstinenz. Ist der Richter aber wirklich Zensor des Gesetzgebers? Ist vom Richter festgestellte Untätigkeit oder ein „Versagen“ des Gesetzgebers bei der Modernisierung der Gesetze eine ausreichende Legitimation für richterliche und wissenschaftliche Fortbildung des Rechts? Dies ist unstreitig eine eminent politische Frage, und genau diese verbirgt sich in subtiler Form hinter der Formel vom Fingerspitzengefühl des Höchstrichters als eines selbstbewussten Mitglieds der aristokratischen Funktionselite dieser Gesellschaft. Ich schließe diesen Teil mit einer Geschichte, die mich sehr beeindruckt und die vielleicht der eine oder andere hier im Saal mit mir beobachtet hat: Nipperdey nahm mich 1968 als „kleinen“ Assistenten mit zur Zivilrechtslehrertagung nach Bad Pyrmont. Es ging um die Frage, ob die Zuerkennung von Schmerzensgeld bei erheblicher Persönlichkeitsrechtsverletzung sich aus Art. 1 und 2 GG ableiten lasse. Die Skepsis überwog; Larenz 30 und Flume 31 feierten bei vielen Triumphe mit dem pathetisch vorgetragenen Argument, dass Ehre sich nicht kommerzialisieren lasse. Das Argument legte aber zugleich klar: Die Kritik hatte ihren Grund nicht in der den Grundsatz der Gesetzesbindung des Richters verletzenden Missachtung des § 253 BGB, sondern allein in ihrem subjektiven Verständnis von Ehre im Sinne der romantischen Philosophie des 19. Jahrhunderts, dem § 253 BGB (glücklicherweise) entsprach. Es kämpften also nicht, wie es so gerne dargestellt wird, gesetzestreue, unpolitische Juristen gegen gesetzesbrechende, politisierende Juristen, sondern es war ein Richtungskampf um einen angemessenen Ehrenschutz im Zeitalter der Boulevardpresse. Das Gegenargument von Nipperdey lautete: Ehre sei der zivilrechtliche Ausdruck für den verfassungsrechtlichen Begriff der Lehrbuch des Schuldrechts, Besonderer Teil 1. Aufl. 1956, S. 369 ff. Kongressvortrag „Richter und Recht“, Deutscher Juristentag 46, K3–35 (Essen 1966), Zur Problematik der höchstrichterlichen Entscheidung 1982, 242– 280 (Wege der Forschung, Bd. 590). 30 31
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Würde des Menschen. Die Ehre sei unantastbar, der Gesetzgeber sei gemäß Art. 1 Abs. 3 GG zu ihrem Schutz berufen. Wenn der Gesetzgeber schlafe, obgleich die Verfassung ihn zum Schutz der Grundrechte aufrufe, müsse der Richter handeln. In ähnlicher Weise setzte Nipperdey sehr früh in seiner Rolle als Präsident des Bundesarbeitsgerichts die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 GG auf Tarifverträge zur Beseitigung von Lohnabschlagsklauseln für Frauen durch, als die Staatsrechtslehrer nahezu unisono die Lehre von der Ausstrahlungsund Schutzfunktion der Grundrechtsnormen noch für eine zivilistische Irrlehre hielten.32 Wer bei diesen beiden exemplarisch angeführten Fällen „Recht“ bekommen hat, wissen wir; Zeitpunkt und Inhalt richterlicher Rechtsfortbildung indes bleiben nach wie vor dem „Fingerspitzengefühl“ überantwortet. Die juristische Methodenlehre wird nie eine Rationalität nach Art des naturwissenschaftlichen Denkens erreichen können. Sie wird sich immer in dem Kräfteparallelogramm zwischen „Rechtssicherheit durch Treue zum invarianten Gesetzestext“ einerseits und „Gerechtigkeit durch Neuerung des Textes“ andererseits bewegen müssen. Die mangelnde materielle Determiniertheit der Interpretation bei Schweigen des Gesetzes bedeutet nun nicht, dass jede beliebige Interpretationshypothese berechtigt ist. Der Text ist keine Spielwiese für unbegrenzte Semiose und unendliche Interpretationsspiralen, wie dies von manchen Linguisten früher angenommen worden ist.33 Interpretation sucht nach der intentio auctoris, nicht nach der intentio lectoris, die den Text selbstherrlich so lange zurechtklopft, bis er den Inhalt annimmt, den der Interpret für seine Zwecke braucht. Es geht um Auslegung, nicht um phantasievolle, kreative Benutzung des Textes für außertextuelle Zwecke.34 Wissenschaftliche Interpretation ist keine konstruktivistische Rechtfertigungslehre, die jede beliebe Interpretation autorisiert; sie dient – mangels entsprechender Möglichkeit dazu – auch nicht der Legitimierung der „guten“ Interpretation, sonVgl. dazu die Nachweise über den historischen Streitstand bei Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl. 1970, Bd. II, 1. Halbbd., S. 373 ff. Fn 14, 15. 33 Derrida, Grammatologie, 1996. 34 Vgl. dazu Umberto Eco, Die Grenzen der Interpretation, 1995, S. 47 ff. 32
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dern der Delegitimierung der „schlechten“; es geht um die Weckung von Zweifeln an voreiliger Inanspruchnahme und Vereinnahmung des Textes.35 Es gibt kein Prinzip der Pluri-Interpretabilität. Vom Standpunkt der inneren Kohärenz ist die Interpretation einer Norm nur dann akzeptabel, wenn sie von keiner anderen Stelle des Gesetzes in Frage gestellt wird, sondern in einer vom Gesamttext her kohärenten Weise Sinn macht.36 Zutreffend stellt J. H. Miller 37, einer der angesehensten Linguisten, fest: „Die Interpretationen der dekonstruktivistischen Kritik sind kein eigenmächtiges Unterwerfen des Textes im Namen der subjektiven Theorie, sondern determiniert vom Text selbst.“ Die Theorie der Auslegung hat der Gefahr zu begegnen, dass der Interpret glaubt, jeden beliebigen Weg einschlagen zu dürfen, weil er das Gefühl hat, alles sei erlaubt, wenn man es nur geschickt begründe.38 Nach dem linguistischen Prinzip der inneren Kohärenz muss der Jurist bemüht sein, innere Zusammenhänge zwischen den einzelnen zu erläuternden Vorschriften herzustellen und die Singularität der einzelnen Vorschriften durch Bildung rechtsdogmatischer Funktionsgrundsätze zu bändigen.39 Er hat neue Normen immer wieder in das bestehende Normengeflecht ggf. unter seiner immanenten Fortbildung zu integrieren, um es durch diese Modernisierung lebendig und anpassungsfähig zu halten. Niemand hat diesen Prozess der Fortbildung des geschriebenen Rechts unter Kontrolle einer prinzipiengeleiteten Rechtsdogmatik so prägnant beschrieben wie Josef Esser in seiner Monographie „Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts“, und Franz Bydlinkski hat daraus eine präskriptive Methodologie abgeleitet.40 Die einzelne Gesetzesvorschrift ist für den Juristen nicht Vgl. Popper/Eccles, The Self and Its Brain, 1977, S. 431. Vgl. dazu Eco, Lektor in fabula, 1992. 37 Miller, Critical Enquiry, 1980, S. 611. 38 Vgl. Derrida, Le Facteur de la Vérité, in: Poétique 1975 Bd. 21, S. 96 ff. 39 Dieter Reuter würde sagen: Der Jurist müsse das „innere System“ i.S. von Heck herausarbeiten. Vgl. Reuter, RdA 1985, S. 321 f. 40 Esser, 2. Aufl. 1964; rechtsvergleichend fortführend Fikentscher, Methoden des Rechts Bd. IV, 1977; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991. 35 36
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ein in sich abgeschlossenes „autonomes Territorium“, sondern Teil eines normübergreifenden Ganzen. Die an Telos und System des BGB gebundene Auslegung soll die Kohärenz der zivilrechtlichen Grundsätze sichern und auf diesem Wege sichtbar machen, wie Windscheid formuliert hat, „wie Recht sein soll, wenn es wahres Recht sein will, streng und doch milde, gebunden und doch frei, fest und doch beweglich“.41 Trotz dieses Spielraums der Entscheidung ist nicht jedes beliebige Resultat des Rechtsfindungsprozesses in gleicher Weise zulässig. Trotz aller Unsicherheit, die mit der Lektüre des Gesetzestextes häufig verbunden ist, darf der Jurist sich nicht zum souveränen Textproduzenten aufschwingen; er ist und bleibt auch gegenüber einer altehrwürdigen Norm Textrezipient.42 Die Interpretationskompetenz berechtigt nicht zu beliebigen Aussagen über den Gesetzesinhalt; sie verbietet das bewusste Misreading. Auslegung ist eine an Regeln gebundene, entziffernde „regulierte Transformation dessen, was bereits geschrieben worden ist“43. Umberto Eco 44 stellt daher zu Recht fest, dass in vielen Fällen niemand daran zweifelt, dass eine bestimmte Interpretation unhaltbar ist. Ein Jurist handelt nicht gerecht und verantwortungsbewusst, wenn er sich auf kein Recht bezieht und keine Regel für vorgegeben hält, vielmehr bar aller Regeln und Prinzipien judiziert.45
VI. Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung Für die rechtswissenschaftliche Interpretationslehre hat der Verzicht auf eine normanreichernde Hermeneutik eine Selbstbeschränkung des Interpreten hinsichtlich der Aussagen zur Folge, die mit dem Windscheid, Gesammelte Reden und Abhandlungen, hrsg. von P. Oertmann, 1904, S. 48. 42 Vgl. Ricœur, Die Interpretation, 1969, S. 33 ff. Derrida, Le Facteur de la Vérité, in: Poétique 1975, Bd. 21, S. 96 ff. gegen die von Peirce vertretene Theorie der unendlichen Interpretation. 43 Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 200, U. Haselstein, Entziffernde Hermeneutik, 1991. 44 Eco, Die Grenzen der Interpretation, 1995, S. 78; ferner Rowe, Recht und sprachlicher Wandel, 1999, S. 31 ff. 45 Derrida, Gesetzeskraft, Der „mystische Grund der Autorität“, 1991, S. 48. 41
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Anspruch auf normative Geltung aus dem Gesetz abgeleitet werden können. Denn vom Standpunkt der Sprachphilosophie und Linguistik geben die Normen, die die in der raumzeitlich abgegrenzten Wirklichkeit vorkommenden Sachverhaltstypen regeln sollen, nicht mehr an Informationsgehalt her, als in sie vom Gesetzgeber hineingedacht ist.46 Kritische Auslegung gestattet nur tautologische Umformung zwecks Klarstellung des vorgegebenen Norminhalts.47 Durch Interpretation kann der durch die gesetzgeberische Wertentscheidung tatbestandlich erfasste und typisierte Erfahrungsbereich nicht erweitert oder verengt werden.48 Entspricht der konkret zu beurteilende Sachverhalt keinem der durch gesetzgeberische Wertentscheidung geregelten Sachverhaltstypen, präziser ausgedrückt, fehlt die Isomorphie zwischen den gesetzlich geregelten und den durch dieses Normsystem zu regelnden Sachverhaltstypen49, so entscheidet der Richter, erkenntnistheoretisch betrachtet, über die ihm zur Entscheidung vorgelegten Fälle, die durch das Normensystem nicht geregelt sind, aber geregelt werden sollen,50 nicht aufgrund einer heteronom bestimmten Kognition, sondern aufgrund autonomer Dezision.51 Die in der rechtswissenschaftlichen Diskussion vorgeschlagenen Lösungen haben bei Schweigen des Gesetzes nur den Charakter rechtspolitischer Empfehlungen an das zur Entscheidung zuständige Organ, wobei zu hoffen ist, dass nach gründVgl. v. Kutschera, Sprachphilosophie, 2. Aufl. 1975 (Neudruck 1993); Naess, Kommunikation und Argumentation, 1975; Rottleuthner, in: Koch, Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 1976, S. 7 ff. 47 Kohler, GrünhutsZ 13 (1886), Bd. 21, S. 1, 10, hat dies vom Standpunkt der objektiven Theorie als „niedere“ Interpretation bezeichnet, während er die richterliche Rechtsfortbildung als „höhere“ Interpretation kennzeichnete; ebenso Häberle, JZ 1975, S. 297. 48 Vgl. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 89; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 5. Aufl. 1997, S. 182; Naucke, Festschr. für Engisch, 1969, S. 274 ff. 49 Vgl. Makkonen, Zur Problematik der juristischen Entscheidung, 1965, S. 207. 50 Ein solcher Regelungsauftrag des Gesetzgebers besteht in all den Fällen, in denen der Gesetzgeber die Entscheidung bewusst Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen hat; dazu Flume, Richterrecht und Steuerrecht, SteuerberaterJahrbuch, 1964/65, S. 53, 59. 51 Das BAG AP HausarbeitstagsG NRW § 1 Nr. 19 spricht von „Willensentscheidung“; ähnlich bereits RG JW 1922, S. 910. 46
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licher Diskussion der Lösungsvorschlag siegreich sein wird, der im Vergleich zu den übrigen in Betracht kommenden Entscheidungsalternativen 52 am „vernünftigsten“ erscheint und sich am besten in das Gefüge der bestehenden normativen Wertentscheidungen einfügt. Der Rechtswissenschaft kommt also in diesem Bereich lediglich die Funktion zu, die rechtlich denkbaren Entscheidungsalternativen und die sich aus dem Rechtssystem ergebenden normativen Wertungen, die den Entscheidungsspielraum eingrenzen, aufzuzeigen, um sicherzustellen, dass das um eine angemessene Problemlösung bemühte Urteil mit den Wertentscheidungen der Rechtsordnung verträglich ist und dies anhand seiner Begründung ausweist. Linguistische Untersuchungen sprechen dafür, Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung dabei nach Maßgabe einer kritischen Auslegungstheorie voneinander abzugrenzen, die die Bindung an eine Norm dann als inexistent erkennt, wenn ihre Anwendung auf den zu entscheidenden Fall nicht von der Intention des Gesetzgebers gedeckt ist. Die Linguistik, die die Bedeutung eines Textes zu ermitteln trachtet, hat das Bewusstsein dafür geschärft, dass Bedeutung („meaning“), die an einen Text gebunden ist, einen empfängerbezogenen Aspekt hat. Wort- und Textbedeutungen unterliegen nicht dem Belieben des Textverwendenden, sondern sind konventionsgebunden; denn Sprechverhalten ist regelbefolgendes Verhalten. Historisch ist die objektive Auslegungstheorie ja aus der Notlage des Gesetzanwenders entstanden, der gezwungen war, angesichts der Begrenzung der richterlichen Funktion auf die Gesetzesauslegung jede Entscheidung formal aus dem Gesetz abzuleiten, woraus sich notwendig Fiktionen ergeben mussten. Da heute die Rechtsfortbildungskompetenz der Gerichte anerkannt ist, besteht kein Zwang mehr, ihre Beteiligung an der Rechtsfindung zu verschweigen.53 Es gehört „zu den legitimen Aufgaben der Gerichte, das Recht fortzubilden, was auch die Befugnis einschließt, rechtsschöpferisch tätig zu werden“.54 Vgl. Kriele, Kriterien der Gerechtigkeit, 1963, S. 172; Ennecerus-Nipperdey, § 56 III; Esser, Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil, 1965, S. 313; Ecker, JZ 1967, S. 265; kritisch Canaris, Systemdenken und Systembegriff, 1983, S. 106; Luhmann, AöR 94 (1969), S. 1, 5; ders., Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974, 31; Dubischar, Vorstudium zur Rechtswissenschaft, 1974, S. 171. 53 Vgl. dazu Haug, DÖV 1962, S. 332. 54 Vgl. BVerfGE 59, S. 330, 334 mit weit. Nachw. 52
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Das Schweigen des Gesetzes sollte daher nicht mehr mittels objektiver Auslegung überbrückt werden. Die objektive Auslegung ist, wie als Ergebnis der Linguistik feststeht, subjektiv; sie transportiert die Vorverständnisse des Interpreten mit den Bordmitteln des „gesunden Menschenverstandes“ in den auszulegenden Text und verdeckt damit den Umstand, dass der Interpret „klüger“ ist als der Textautor. Zutreffend verdeutlicht Gadamer 55 diesen Sachverhalt mit den Worten: „Der Text bringt eine Sache zur Sprache, aber dass er das tut, ist am Ende die Leistung des Interpreten. Beide sind daran beteiligt.“ Die von der Staatsrechtslehre bis in die Weimarer Zeit hinein aufrecht erhaltene Auffassung, dass die Justiz „keine Staatsgewalt“ sei, da sie „lediglich in Akten der Urteilskraft bestehe, mithin jede Willenstätigkeit ausschließe“ 56, basierte auf der fiktiven Annahme, dass der Richter nur der Mund des Gesetzes ist, der dem im Volksgeist vorhandenen Recht „ein äußerlich erkennbares Daseyn“ 57 gebe. Das Bundesverfassungsgericht 58 bewegt sich in manchen Entscheidungen noch in dieser die dezisionistische Komponente der richterlichen Rechtsfortbildung verdeckenden staatsrechtlichen Tradition, wenn es formuliert: „Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt“.59 Der Traum der romantizistisch-geisteswissenschaftlichen Hermeneutik als Fundament der objektiven Auslegung ist ausgeträumt. Eine linguistisch vertretbare Interpretationstheorie kann nur kritisch sein und pseudo-objektive, spekulative Interpretationshypothesen zurückweisen, die mit dem semantischen Sinn des Textes nichts mehr zu tun haben; sie kann aber nicht selber sinngeGadamer, Wahrheit und Methode, 1990, S. 391. Rotteck, Artikel „Justiz“, in: Rotteck/Welkers, Staatslexikon, 2. Aufl. 1847: Die Justiz sei „keine Staatsgewalt, sondern lediglich in Akten der Urteilskraft bestehend, mithin jede Willenstätigkeit ausschließend, mit einem Wort nichts anderes als Ausspruch von Kunstverständigen.“ Ähnlich noch Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl. 1911, S. 178; zur Kritik Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, 1843, S. 84 ff.; Ehrlich, Die Tatsachen des Gewohnheitsrechts, 1907. 57 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. II, 1841, S. 14 ff., 39. 58 BVerfGE 34, S. 269. 59 BVerfG, NJW 1973, S. 1225. 55 56
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bend und sinnerweiternd wirken.60 Die Interpretationstheorie ist eine „Schule des Zweifels“ 61, die sich um den Abbau von Illusionen über die Bedeutung eines Textes bemüht. Die Bedeutung („meaning“) eines empfängerbezogenen Textes ergibt sich aus dem komplexen Zusammenspiel von Text, Kontext und Intention des Autors.62 Vom Standpunkt linguistischer Pragmatik ist es daher zutreffend, wenn die Gerichte ihre Auslegungsmethode wie folgt charakterisieren: „Bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift sind nicht nur der Wortlaut [Text] zu berücksichtigen, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht [Kontext] und die Ziele [Intention], die mit der Regelung verfolgt werden“.63 Ergibt sich hieraus keine Antwort auf die Rechtsfrage, entscheidet der Richter autonom und nicht heteronom. Die Breite richterlicher Rechtsfortbildung wird dadurch in ihrer Bedeutung sichtbar und bleibt nicht hinter einer weiten objektiven Auslegung verborgen. Fraglich können nur die Grenzen sein, die einer solchen schöpferischen Rechtsfindung mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung gezogen werden müssen. Sie lassen sich nicht in einer Formel erfassen, die für alle Rechtsgebiete und für alle Rechtsverhältnisse gleichermaßen gilt.64 Beschränkt man die Frage nach den Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung auf das Gebiet des Privatrechts, so sieht sich der Richter hier der Kodifikation des BGB gegenüber, die seit über 100 Jahren in Kraft ist. Das ist, wie das Bundesverfassungsgericht 65 ausführt, in doppeltem Sinn von Bedeutung: Einmal wächst mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzesbefehl und richterlicher Einzelfallentscheidung notwendig die Freiheit des Richters zur schöpferischen Fortbildung des Rechts. Da die Gesetzesvorschriften ständig im Kontext der ökonomischen Situation und der sozio-politischen Anschauungen stehen, auf die sie wirken sollen, müssen sie sich unter Umständen mit ihnen wandeln. Das gilt insbe60 61 62 63 64 65
Esser, Grundsatz und Norm, aaO. (Fn. 40), S. 102ff. Ricœur, Die Interpretation, 1969, S. 33ff. Näher dazu die in Fn. 1 geannten Autoren. EuGH, EuZW 2005, S. 695 f. BVerfGE 34, S. 269 ff. BVerfGE, aaO. (Fn. 64).
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sondere, wenn sich zwischen Entstehung und Anwendung eines Gesetzes die Rechtsanschauungen tiefgreifend geändert haben. Einem hiernach möglichen Konflikt der Norm mit den materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen einer gewandelten Gesellschaft könne sich der Richter nicht mit dem Hinweis auf den unverändert gebliebenen Gesetzeswortlaut entziehen; er sei zu freierer Handhabung der Rechtsnormen gezwungen, wenn er nicht seine Aufgabe, Recht zu sprechen, verfehlen wolle. Grundlage und Rechtfertigungsgrund der richterlichen Fortbildung des Rechts sei die Erkenntnis, dass der Wille des Gesetzgebers im Hinblick auf den konkret zu beurteilenden Sachverhalt häufig unklar bleibe und zweifelhaft sei, ob der Gesetzgeber, wenn er den Wandel der Normsituation bei seinen Überlegungen hätte einplanen können, die Geltung der Norm auch unter den veränderten Bedingungen noch gewollt hätte. In einem solchen Falle bildet das Gesetz zwar noch einen Rahmen für mehrere mögliche Auslegungshypothesen; es determiniert die „richtige“ Auslegung indes nicht mehr. VII. Auslegung von Normen EG-rechtlichen Ursprungs Die vorstehenden Überlegungen haben Bedeutung erst recht bei Normen EG-rechtlichen Ursprungs. Die zunehmende Durchdringung nationalen Rechts mit Normen EG-rechtlichen Ursprungs durchlöchert die homogene Basis richterlicher Rechtsfortbildung zunehmend. Für Normen EG-rechtlichen Ursprungs, auch wenn sie formal Bestandteil der nationalen Rechtsordnung sind, gilt der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung.66 Die europäische Norm ist nicht Zur richtlinienkonformen Auslegung vgl. Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, Festschr. für Bydlinski, 2002, S. 47; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994; Ehricke, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts vor Ende der Umsetzungsfrist einer Richtlinie, EuZW 1999, S. 553; ders., Die richtlinienkonforme und die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, RabelsZ 59 (1995), S. 598; Flessner, Juristische Methode und europäisches Privatrecht, JZ 2002, S. 14; Grundmann, Richtlinienkonforme Auslegung im Bereich des Privatrechts – insbesondere der Kanon der nationalen Auslegungsmethoden als Grenze?, ZEuP 1996, S. 399; Herberger, Eine Frage des Prinzips. Auslegung, Rechtsfortbildung und die Wirksamkeit nicht umgesetzter Richtlinien, in: Rechtsanwendung in Theorie und Praxis, 1993, S. 35; Hommelhoff, Zivilrecht unter dem Einfluß europäischer Rechtsangleichung, AcP 1992, S. 71; Karpenstein, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und seine für das Arbeits66
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im Wege systematischer Auslegung in die jeweilige mitgliedstaatliche Rechtsordnung zu integrieren, d.h. aus dem Kontext der nationalen Normierung heraus auszulegen, der die europäische Vorschrift umgibt; es ist vielmehr ihre europarechtliche Grundlage zu beachten, und sie muss von dieser Grundlage her in allen Mitgliedstaaten der EG als ursprungsgleiches Recht erhalten bleiben. Art. 36 EGBGB gebietet ausdrücklich, bei der Auslegung der für vertragliche Schuldverhältnisse geltenden Vorschriften der Art. 27 ff. EGBGB zu berücksichtigen, dass diese entsprechend dem ihnen zugrunde liegenden völkerrechtlichen Übereinkommen einheitlich angewandt werden. Der durch die supra- bzw. internationale Regelung erreichte Rechtsvereinheitlichungsstandard darf im Wege mitgliedstaatlicher Auslegung nicht unterschritten werden. Art. 36 EGBGB drückt damit einen an sich selbstverständlichen, allgemeinen Grundsatz aus, der bei den Normen supra- bzw. internationalen Ursprungs beachtet werden muss. Der hermeneutische Zirkel des Verstehens dieser vereinheitlichten Vorschriften ist „europadimensional“ aus der gemeinsamen Seh- und Wertungsweise der Mitgliedstaaten heraus zu definieren. Die EGgeprägte nationale Rechtsordnung ist eingespannt in das Kräfteparallelogramm mitgliedstaatlicher und EG-rechtlicher Zuständigkeiten, und zwar nicht i.S. des klassischen dualistischen Parallelismus von Völkerrecht und nationalem Recht, sondern i.S. einer integrativ-sumrecht relevanten Auslegungsmethoden, in: Tomandl (Hrsg.), Arbeitsrecht in einer sich wandelnden Rechtsordnung, 1993, S. 1; Koller, Die Bedeutung von EGRichtlinien im Zeitraum vor Ablauf der Umsetzungsfrist, 2003; Klamert, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 2001; Lang, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der Integration auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts, SGb 1996, S. 103; Lubitz, Die Angleichung des Privatrechts in den Mitgliedstaaten durch die europäische Richtlinie und Verordnung, 2000; Lutter, Die Auslegung angeglichenen Rechts, JZ 1992, S. 593; Peter Meyer, Die Grundsätze der Auslegung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Jura 1994, S. 455; Nettesheim, Auslegung und Fortbildung nationalen Rechts im Lichte des Gemeinschaftsrechts, AöR 1994, S. 261; Odersky, Harmonisierende Auslegung und europäische Rechtskultur, ZEuP 1994, S. 1; Olbertz, Auslegungsgrundsätze des Europäischen Gerichtshofs, StVj 1992, S. 37; Rodriguez Iglesias/Riechenberg, Zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, Festschr. für Everling, 1995, S. 1213; Sonnenberger, Auf dem Weg zu einer europäischen Rechtsquellenordnung – Das französische Verständnis rechtsvergleichend skizziert, Festschr. für Lerche, 1993, S. 575; Zöckler, Probleme der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Zivilrechts.
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mativen Gesamtordnung.67 Zwar weisen die nationalen Privatrechtsordnungen nach Zerfall des ius commune sowohl in ihrer dogmatischen Struktur als auch in ihren Resultaten zum Teil erhebliche Unterschiede auf, die den Versuch einer Kodifikation des europäischen Privatrechts zum gegenwärtigen Zeitpunkt vielleicht noch zu früh erscheinen lassen. Immerhin entwickeln sich aber im Vorfeld einer solchen Kodifikation allgemeine Prinzipien des europäischen Vertrags-, Schuld- und Kreditsicherungsrechts, die den Ausbau nationaler Sonderlösungen, die europäischen Prinzipien widersprechen, vermeiden helfen.68 Es geht, wie Zimmermann 69 formuliert hat, darum, „durch rationale Diskussion die Divergenzen der nationalen Rechte abzuschleifen und zu überwinden“, und zwar auf der Grundlage gemeinsamer Begriffe, Institutionen, Denkformen, systematischer und ideengeschichtlicher Grundlagen. Die Auslegung der Vorschriften des Bürgerlichen Rechts, die in den ersten einhundert Jahren dank aktualisierender Auslegung und richterlicher Fortbildung ihre Leistungsfähigkeit bewahrt haben, ist deshalb so fortzuentwickeln, dass die Divergenzen zu den übrigen europäischen Rechtsordnungen nicht verbreitert und vertieft werden, sondern möglichst eingeebnet werden. Vor dem Hintergrund einer gemeinsamen europäischen Rechtskultur kommt keiner einzelnen nationalen Rechtsordnung eine Vorbild- oder Leitfunktion zu; es sind vielmehr durch eine gemeineuropäische Rechtswissenschaft die institutionellen Grundlagen für eine Annäherung der Privatrechtsordnungen zu schaffen und diese dann langfristig zusammenzuführen, um in einem europäischen Binnenmarkt die wettbewerbsverzerrenden Barrieren unterschiedlicher Vertrags- und Schuldrechtsordnungen langsam abzubauen. Interpretationen, die eine nationale Rechtsordnung weiter von den sich entwickelnden Prinzipien einer europäischen Privatrechtsordnung abkapseln, sind zu vermeiden.
Vgl. Kimminich, Einführung in das Völkerecht, 1997, S. 199; Ipsen, Völkerrecht: Ein Studienbuch, 5. Aufl. 2004. 68 Vgl. Tilmann, ZOEP 1993, S. 613 ff. 69 Vgl. Zimmermann, ZOEP 1995, S. 732 ff. 67
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VIII. Zusammenfassung in Thesen 1. Nach dem kontinentaleuropäischen Verständnis des Rechtsverweigerungsverbotes hat der Richter Antworten auch da zu geben, wo die Erkenntnisquelle des Juristen, das Gesetz, schweigt. Bei Schweigen des Gesetzes muss das Gericht fallbezogen die Antwort geben, die der Gesetzgeber dezisionistisch gegeben hätte, wenn er das Problem gesehen und nicht geschwiegen hätte. Da der Richter seine Entscheidung zu begründen hat, muss er den von ihm aufgestellten generellen Sollenssatz angeben, der seine konkrete Entscheidung trägt. 2. Das Schweigen des Gesetzes kann nicht mittels objektiver Auslegung überbrückt werden. Die objektive Auslegung ist, wie als Ergebnis der Linguistik feststeht, subjektiv; sie transportiert die Vorverständnisse des Interpreten mit den Bordmitteln des „gesunden Menschenverstandes“ in den auszulegenden Text und verdeckt damit den Umstand, dass der Interpret „klüger“ ist als der Textautor. Vom linguistischen Standpunkt ist nur eine kritische Auslegungsmethode vertretbar, die auf verdeckte Normanreicherungen verzichtet. 3. Bei Schweigen des Gesetzes fällt dem Juristen eine materielle Gesetzgebungsfunktion (Rechtsfortbildungsfunktion) zu. Die von der Staatsrechtslehre bis in die Weimarer Zeit hinein aufrecht erhaltene Auffassung, dass die Justiz „keine Staatsgewalt“ sei, da sie „lediglich in Akten der Urteilskraft bestehe, mithin jede Willenstätigkeit ausschließe“, basierte auf der fiktiven Annahme, dass der Richter nur der Mund des Gesetzes ist, der dem im Volksgeist vorhandenen Recht „ein äußerlich erkennbares Daseyn“ (Savigny) gebe. 4. Der Traum der romantizistisch-geisteswissenschaftlichen Hermeneutik als Fundament der objektiven Auslegung ist ausgeträumt. Eine linguistisch vertretbare Interpretationstheorie kann nur kritisch („destruktiv“) sein und pseudo-objektive, spekulative Interpretationshypothesen zurückweisen, die mit der Intention des Textes nichts mehr zu tun haben; sie kann aber nicht selber sinngebend und sinnerweiternd wirken. Die Interpretationstheorie ist eine „Schule des Zweifels“ (Ricœur), die sich um den Abbau von Illusionen über die Bedeutung eines Textes bemüht. Die Bedeutung („meaning“) eines empfängerbezogenen Textes ergibt sich aus dem komplexen Zusam-
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menspiel von Text, Kontext und Intention des Autors. Vom Standpunkt linguistischer Pragmatik ist es zutreffend, wenn die Gerichte ihre Auslegungsmethode wie folgt charakterisieren: „Bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift sind nicht nur der Wortlaut [Text] zu berücksichtigen, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht [Kontext] und die Ziele [Intention], die mit der Regelung verfolgt werden“ (EuGH, EuZW 2005, S. 695). 5. Die Fortbildung des Rechts bei Schweigen des Gesetzes lässt dem Richter in aller Regel einen nicht unerheblichen Entscheidungsspielraum. Ein „Ja“ ist vielfach genauso gut begründbar wie ein „Nein“. Die wissenschaftliche Diskussion verlagert die Kontroverse um die beste Lösung zwar auf ein höheres Niveau der „Unwissenheit“, ändert in aller Regel aber nichts an der Ergebnisoffenheit, die auch nach gründlicher Beschäftigung mit der Frage bestehen bleibt. Nach dem linguistischen Prinzip der inneren Kohärenz ist das Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung nur dann geglückt, wenn die lückenschließende Norm von keiner anderen Stelle des Gesetzes in Frage gestellt wird, sondern in einer vom Text her kohärenten Weise Sinn macht. Heck hat dafür den von Dieter Reuter rezipierten Begriff des „inneren Systems“ geprägt. 6. Zum „inneren System“ führt nicht die formale Logik, sondern das „Fingerspitzengefühl“ (Nipperdey). Nach Dieter Reuter sollen richterliche Fortbildungen des Privatrechts nur zulässig sein, wenn sie „den Rahmen der Umsetzung im wesentlichen unangefochtener Rechtsüberzeugungen in Neuerungen von geringer sozialer Tragweite nicht überschreiten“. Konsens („im wesentlichen unangefochtene Rechtsüberzeugungen“) soll im Bereich der Rechtsfortbildung an die Stelle der semantischen Ableitung aus dem vorhandenen Text treten. 7. Dem in einengender Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht gebildete Reuter-Kriterium der Rechtsfortbildung ist entgegenzuhalten: Konsens kann keine Voraussetzung für richterliche Rechtsfortbildung sein. Viele Fragen, die Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung waren, waren hoch umstritten – gleichgültig, ob es um fundamentale ethische Probleme oder „nur“ um rechtstechnische Fragen ging. Der Richter kann nicht warten, bis sich eine „im wesent-
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lichen unangefochtene Rechtsüberzeugung“ gebildet hat. (P. Ulmer 70 und K. Schmidt 71 werden sich nie über die Frage verständigen, ob die Innen- oder die Außenhaftung bei der Vor-GmbH das bessere Konzept ist.) Bei der Fortbildung von Normen EG-rechtlichen Ursprungs hätte das Konsenserfordernis (bezogen auf 25 Nationen) ein Rechtsfortbildungsverbot für mehrere Jahrzehnte zur Folge. Dieter Reuter ist auch nicht berechtigt, ein Konsenskriterium aufzustellen. Er hat wie kein anderer mit der ihm eigenen unerbittlichen Argumentationskraft intuitive Sicherheiten geschleift, die eine halbwegs stabile Orientierung im Chaos der Unwägbarkeiten der Interessenabwägung erleichtern sollten; er hat eingelebte rechtliche Überzeugungen immer wieder diskursiv verflüssigt und dabei beinahe sogar Familienstiftungen, betriebliche Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer als unzulässige Sparkassen sowie § 77 Abs. 3 BetrVG zu Grabe getragen.72 Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich im Gesellschafts- und Arbeitsrecht keine unangefochtene Rechtsüberzeugung bilden konnte. Wir können ihm daher – auch nicht zum 65. Geburtstag für das nächste Lebensjahrzehnt – als Geschenk das Recht einräumen, „konsensstörende“ Barrieren für richterliche Rechtsfortbildungen zu errichten. a) Das Kriterium: Befugnis zur richterlichen Rechtsfortbildung nur bei „Neuerungen von geringer sozialer Tragweite“ ist nicht justiziabel. Was ist „gering“ bei Neuerungen? Der Richter kann bei Schweigen des Gesetzes nicht nach der sozialen Bedeutung der zu entscheidenden Frage differenzieren, zumal auch die Verweigerung der Lückenschließung in diesem Falle große soziale Tragweite hat. b) Die rechtsfortbildende Tätigkeit des Richters vollzieht sich heute vor allem intra legem über im Gesetz enthaltene wertausfüllungsbedürftige Generalklauseln (z.B. §§ 138, 242, 307 BGB, §§ 19, 33 GWB, 20ff. EnWG, 32 TKG), deren richterliche Konkretisierung von eminenter sozialer Tragweite ist. Es gibt keinen einleuchtenden Grund, die Rechtsfortbildung praeter legem gegenüber der Rechtsfortbildung intra legem stärker zu kanalisieren und zu delegitimieren, soweit Ent70 71 72
ZIP 1996, S. 733; vgl. BGHZ 134, S. 333 ff. ZIP 1996, S. 353; ZIP 1996, S. 593. Vgl. den in diesem Band abgedruckten Beitrag von Karsten Schmidt.
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scheidungen von großer sozialer Bedeutung zu treffen sind, die der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen hat. 8. Die Teilnahme an der wissenschaftlichen „Konsensfindung“ bedarf gesicherter Spielregeln. Eine fundamentale Spielregel ist die, dass Befangenheit, resultierend aus Interessenkollision, aufgedeckt wird. „Ein jeder muss eingestehen, dass dasjenige Urteil über Schönheit, worin sich Interesse mengt, sehr parteilich und kein reines Geschmacksurteil ist“ (Kant). Was Kant über das ästhetische Urteil schreibt, gilt auch für das kognitive Urteil. Mengt sich parteiliches Interesse in das Urteil, so liegt kein unabhängiges Urteil vor. Wer seine Parteilichkeit verschweigt, handelt als Richter amtswidrig und als Professor gegen seine Pflicht, die Wahrheit unbeeinflusst von parteilichem Interesse zu suchen und zu verkünden. Dieter Reuter hat sich dieser Pflicht stets und uneingeschränkt unterworfen. Auch dafür gebühren ihm Dank und Anerkennung.
IX. Schlusswort Lieber Dieter, wir werden trotz der Grenzen, die du der richterlichen Rechtsfortbildung setzt, weiterhin so arbeiten müssen wie bisher. Mich treibt angesichts erkenntnistheoretischer Skepsis eher die Verzweiflung an, die den Arzt in Albert Camus’ „Pest“ seine Arbeit trotz Pest und Cholera tun lässt. Du tust es, geprägt von deiner naturrechtsnahen Grundüberzeugung, die bemüht ist, das hinter den Normen stehende, innere Wesen der Dinge, das wahre Sein hinter dem flüchtigen Seiendem der Normen zu erkennen. Nachdem heute im Kreis der jüngeren Wissenschaftler die Dozenten zu überwiegen scheinen, die vor lauter Bäumen (Einzelnormen) den Wald als funktionstüchtiges, atmendes Gesamtsystem nicht mehr sehen, bin ich froh, dass du dich nie von u.U. widerstreitenden Normen hast abhalten lassen, ein konsequent durchdachtes, widerspruchsfreies System des Arbeits- und Verbandsrechts zu entwickeln, das auf den freiheitlichen Grundlagen der Grundrechtsnormen aufbaut. Dass das Bundesverfassungsgericht oder das Bundesarbeitsgericht dich dabei gelegentlich mit ihren Entscheidungen gestört haben, hat dich nie beeindruckt. Wie Cato in Rom hast du immer wieder mit einem „Ceterum censeo“ Bundesverfassungsgericht und Bundesarbeitsgericht auf innere
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Konsequenz und Kohärenz verwiesen. Deine bitterböse Kritik „Quo vadis, Bundesverfassungsgericht“ am Ausschluss von Gewerkschaftsmitgliedern73 zeigt, dass Verstand und Vernunft des Herzbluts als Schmierstoff und Antrieb bedürfen.
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Reuter, RdA 1985, S. 323.
Bericht über die Diskussion des Vortrags von Franz Jürgen Säcker „Juristische Auslegung und linguistische Pragmatik“ Per Christiansen
(Diskussionsleitung: Birgit Weitemeyer) Die Diskussion konzentrierte sich darauf, den Aspekt der Rechtsfortbildung durch die Gerichte und deren Grenzen näher zu beleuchten. Reuter leitete die Diskussion mit dem Gedanken ein, die Grenzen einer Rechtsfortbildung seien nicht in allen Rechtsgebieten einheitlich. Im Strafrecht, dort wo der Vorbehalt des Gesetzes gilt, bilde der Gesetzeswortlaut die äußere Grenze der Rechtsanwendung. Im Zivilrecht hingegen bestehe diese Bindung an den Wortlaut nicht. Die Gerichte seien gehalten, in der Rechtsanwendung auch über den Wortlaut hinaus Wertungs- und Wirkungswidersprüche der Gesetze zu vermeiden. Die entscheidende Grenze werde daher im Zivilrecht durch das verfassungsrechtliche Verbot der Rechtsfortbildung gezogen, das Verbot, das Recht contra legem fortzubilden. Diese Grenze sei erheblich weiter und mache eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung im Kern entbehrlich. Im Arbeitsrecht, auf das sich seine auf das Sozialplan-Urteil des BVerfG gestützte These von der Beschränkung der Rechtsfortbildung auf „im wesentlichen unangefochtene Neuerungen von geringer Tragweite“ bezogen habe, schließlich könnte wiederum eine restriktive Haltung angezeigt sein. Denn Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht unterliege in besonderem Maße der Gefahr, als politisch motiviertes Handeln mit einem Autoritätsverlust der Gerichte bestraft zu werden. Letzterem widersprach Reinecke, auf die Rechtsprechung des 3. Senats verweisend, insbesondere auf die Entscheidungen zur fehlenden Widerruflichkeit von Betriebsrentenanwartschaften, die als fast schon gesetzesvertretende Fortbildung generell akzeptiert seien.
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Begriffliche Klarheit wurde von Schmidt-Jortzig angemahnt. Zunächst bezeichne der Terminus „Rechtsfortbildung“ nur die Fortbildung des Gesetzesrechts und sei begrifflich von der Fortbildung an/wegen höheren Stufen des Rechts zu unterscheiden. Sodann seien die begrifflichen Kategorien der Grenzen einer Rechtsfortbildung zu kritisieren. Eine Rechtsfortbildung contra legem sei per se unzulässig; es bestehe die verfassungsrechtliche Pflicht zur Durchführung einer konkreten Normenkontrolle. Im Bereich der Rechtsfortbildung praeter legem bestünde kein Unterschied zur Analogie. Schweige der Gesetzgeber, sei dies der ureigenste Bereich der Analogie. Eine Rechtsfortbildung intra legem schließlich sei in der Sache nichts anderes als eine Form von Auslegung. Rechtsfortbildung sei nicht, wie man meinen könne, die Ausnahme, sondern vielmehr der Normalfall. Hierauf wies K. Schmidt hin. Dies sich zu vergegenwärtigen sei insbesondere wichtig, wenn man nach den Grenzen der Rechtsfortbildung fragt. Entscheidend seien dabei nicht „Details grammatikalischer Auslegung“ sondern die Frage, wo der Verantwortungsbereich des Parlaments beginne. Hier sei auch die Betrachtung des Case Law im Common Law System fruchtbar. Auf die weitere Frage, wer es denn sei, der eigentlich Rechtsfortbildung betreibe, sei mit dem Gedanken zu antworten: Rechtsfortbildung werde von vielen durchgeführt. Die Rolle der Wissenschaft bestehe darin, dem Gesetz und den Gerichten vorzuarbeiten. Kennzeichnend für die Rechtsfortbildung durch die Gerichte sei die autoritative Absicherung der Resultate. In seiner ersten Replik verdeutlichte Säcker noch einmal das Anliegen seines Vortrages, nämlich aus den Methoden anderer Textwissenschaften – den Geschichts- und Literaturwissenschaften sowie der Bibelauslegung – zu lernen und idealerweise zu einem einheitlichen Verständnis von Texterkenntnis und -interpretation zu gelangen. Zentrale Erkenntnis aus der Linguistik sei dabei die strikte Unterscheidung zwischen dem Textinhalt und dem Inhalt, den der Lesende in den Text hineinlese. Und in der Tat lasse sich ein gemeinsames Verständnis herstellen. Die Rechtsfortbildung eines Gesetzestextes habe ihre Grenze im Gesamtzusammenhang, in der Vermeidung von Wertungs- und Wirkungswidersprüchen. Ähnlich sei es bei der Interpretation eines Gedichts: Es komme auf den Gesamtzusammenhang an,
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nicht auf eine Interpretation Zeile pro Zeile, Vers pro Vers. Es zeige sich aber auch: Der Raum für eine Auslegung eines Gesetzestextes, d.h. eine Interpretation ohne „Hineinlesen“ von Informationen, sei äußerst gering, vor allem bei alten Texten. Rechtsfortbildung sei der Normalfall in der Gesetzesanwendung. Bydlinski kritisierte Widersprüchlichkeit in dem Vorgetragenen. Zunächst sei es widersprüchlich, einerseits darauf zu bestehen, dass nicht mehr in einen Text hingelegt werde, als in ihm enthalten sei, und andererseits mit dem zitierten Ausspruch des EuGH zu verlangen, Kontext und Ziele zu berücksichtigen, diese also doch in den Text hineinzulegen. Der zitierte Ausspruch des EuGH sei im Kern trivial und beispielsweise auch in § 6 ÖAGBG bereits angelegt. Säcker vertrete nominell eine subjekte Auslegungstheorie, de facto jedoch eine objektive, und er sei zu skeptisch gegenüber einer Kritik der Leistungsfähigkeit der juristischen Methode. Er fokussiere auf „hard cases“, sage dann aber, man könne in der Rechtsanwendung doch praktisch immer in beide Richtungen argumentieren. Dabei sei es – bei aller Kritik – wichtig, den begrenzten Anwendungsbereich für eine legitime Methodenskepsis zu erkennen, der sich nämlich nur dann eröffne, wenn ein Richter Fälle wirklich gleichwertig in die eine oder andere Richtung entscheiden könne. Schließlich warf Bydlinski den Aspekt der Parteilichkeit auf, der in gerade diesen Konstellationen an besonderer Bedeutung gewinne. Wann ist man parteilich? Sicherlich, wenn ein wirtschaftliches Eigeninteresse gegeben sei. Aber wenn man nur irgendwann mal über einen solchen Fall nachgedacht habe? Vieles in diesem Fragenkreis sei noch ungeklärt. Ob Linguisten die richtigen Gewährsleute für eine richtige Interpretation des Gesetzes sind, stellte Herrmann in Frage. Sie verwies auf die Schwierigkeiten bei der kürzlichen Neuübersetzung des Corpus Iuris durch Altphilologen, deren fehlendes Fachwissen sich als großes Manko herausgestellt habe. Wie sollen Linguisten Savignys Kanon an Interpretationskriterien, aufgeweicht durch Interessenjurisprudenz und die Orientierung an der Natur der Sache erfassen können? Überdies seien die von Säcker angeführte Kriterien des „Fingerspitzengefühls“ und der „inneren Koheränz“ zu unbestimmt. Der Erörterung der Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation fügte Mestmäcker Aspekte der Betrachtung der angelsächsischen
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Rechtstradition und der Rechtssetzung auf EU-Ebene hinzu. Die englische Tradition kenne es nicht, den Autor einer Meinung zu zitieren. Die Entstehungsgeschichte von Gesetzen sei irrelevant. Gesetze würden nicht gelten, bevor sie nicht von einem Gericht anerkannt seien. Folglich sei die Rolle des Richters und der durch Richter vorgenommenen Rechtsfortbildung in der englischen Tradition weitaus zentraler. Auf EU-Ebene sei das Selbstverständnis des EuGH ähnlich weitgehend, nicht nur im Sinne einer Rechtsanwendung, wie in dem im Vortrag angeführten Zitat des EuGH, sondern im Sinne einer durch den EG-Vertrag legitimierten Rechtsbildung und autonomen Auslegung der Verträge. Dabei habe der EuGH kraft der ihm zugedachten Rolle die gesamte Sozial- und Wirtschaftsordnung als Makrokosmos vor Augen. Aus der Perspektive des Grundgesetzes merkte Ewer an, die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbiete es den Richtern, Ersatzgesetzgeber zu sein. Da nun aber der Gesetzgeber nicht immer im gebotenen Umfang tätig sei, würden in der Praxis prozedurale Aspekte an Bedeutung gewinnen: Wenn der Richter in konkreten Fällen mangels gesetzlicher Aussage dazu gezwungen werde, Ersatzgesetzgeber zu sein, so müssten dann erhöhte Anforderungen gelten, nämlich solche aus den Gesetzgebungsverfahren. Hierzu gehörten der Dialog mit den Beteiligten im Verfahren, die sorgsame Erfassung der Wirklichkeit sowie eine realistische Folgenabschätzung (Beobachtungs- und Prognosepflicht). Die letztgenannten Aspekte seien dabei nicht trivial, da Gerichte nur mit „pathologischen Sachverhalten“ befasst würden. Nur die Verfahrensbeteiligten könnten die normalen Abläufe offenlegen. Im Kern der richterlichen Rechtsfortbildung stehe daher die mündliche Verhandlung. Diesen Gedanken widerspreche die aktuelle Bestrebung des Gesetzgebers, aus Gründen der Verfahrungsbeschleunigung nach Möglichkeit auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten. Auch sei abzuleiten, dass eine Rechtsfortbildung nicht im Zulassungsbeschwerdeverfahren getroffen werden könne. In seinem Schlusswort verwies Säcker noch einmal auf die Faktenlage im Umgang mit Gesetzen: Das Gesetz sei lückenhafter als es auf den ersten Blick den Anschein habe. Man müsse es akzeptieren: Meinungsverschiedenheiten in der Interpretation könnten oft trotz aller
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Kunst nicht überwunden werden. In der Konsequenz liege es, schlicht dezisionistisch zu entscheiden. Aber strukturell sei die Problemlage in den anderen Textwissenschaften identisch. Das Wissen der anderen Textwissenschaften kann für die Interpretation juristischer Texte nutzbar gemacht werden und enthüllt zugleich Natur und Umfang der Rechtsfortbildung durch die Gerichte.
Kündigungsschutz und Beschäftigung – ein Scheinproblem? Wernhard Möschel
Gliederung I.
Die Fragestellung
II. Das geltende Recht 1. Der Geltungsbereich des gesetzlichen Kündigungsschutzes 2. Soziale Rechtfertigung 3. Flankierende Regelungen 4. Schutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes III. Struktur der Kündigungsschutzprozesse IV. Kritikpunkte 1. Aus juristischer Sicht 2. Aus ökonomischer Sicht 3. Empirische Nachweise V. Vorschlag des Kronberger Kreises VI. Ergebnisse
I. Die Fragestellung Starrheiten des deutschen Arbeitsrechts gelten verbreitet als eine Ursache für die seit langem bedrückend hohen Arbeitslosenzahlen in unserem Lande. An vorderer Stelle für Fehlsteuerungen des Arbeitsrechts rangiert „der überzogene Kündigungsschutz“. Gleichzeitig gilt dieser als Ausprägung eines Richterrechts, welches nicht nur ökonomischen Fehlverständnissen erliegt, sondern im Verhältnis zum Gesetzgeber die Zuständigkeitsgrenzen deutlich überschreitet. Von respektabler, wenn auch zur verbalen Imposanz neigender Stelle heißt es dazu exemplarisch: „Wichtige Teile des geltenden deutschen Arbeitsrechts wirken entgegen ihrem Normzweck beschäftigungs- und arbeitnehmerfeindlich. Sie sind eine Ursache der Massenarbeitslosigkeit. … In Deutschland ist das rechtswirksam abgeschlossene Arbeitsverhält-
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Wernhard Möschel
nis unter der Führung des Bundesarbeitsgerichts von Rechtsprechung und Lehre zu einem „Lebensbund“ stilisiert worden. Eine Ehe ist in Deutschland einfacher und schneller auflösbar als ein Arbeitsverhältnis. … Überzogener Sozialschutz verhindert neue Arbeitsplätze.“ 1 Dahinter steht ein Gedankengang von der Art: Kündigungsschutz bedeutet Marktausgangssperre. Bei Annahme rationalen Verhaltens eines Arbeitsgebers – er eskomptiert das bei seiner Einstellungsentscheidung – wird dies zugleich zur beschäftigungshemmenden Marktzugangssperre. Dies erscheint bereits als logische Wahrheit. Sie wäre dann einer empirischen Überprüfung nicht bedürftig. Eine solche These beruht freilich auf verkürztem Denken. Aus Sicht der ökonomischen Theorie können vom Kündigungsschutz im Hinblick auf die Beschäftigung vielmehr gegenläufige Effekte ausgehen. Diese machen eine Einschätzung des Nettoeffekts erforderlich.2 So kann ein rigoroser Kündigungsschutz aufgrund der damit verbundenen erhöhten Arbeitsplatzsicherheit Investitionen in betriebsspezifisches Humankapital befördern. Dieses bewirkt tendenziell eine höhere Arbeitsproduktivität und damit geringere Entlassungen. In der Rezession mögen Unternehmen auf Methoden der Kurzarbeit zurückgreifen. Sie vermeiden damit nicht nur Entlassungskosten, sondern erhalten auch das firmenspezifische Humankapital der Belegschaft. Das mag eine Beschäftigung über den Konjunkturzyklus stabilisieren. Verbindet man mit dem Kündigungsschutz eine geringere Wahrscheinlichkeit der Einstellung für Arbeitsuchende, so ließe sich dieser Effekt bei den nächsten Lohnverhandlungen über entsprechend reduzierte Lohnsteigerungen wettmachen. Die Kosten des Kündigungsschutzes werden dann ganz oder teilweise auf die Arbeitnehmer überwälzt. Er wäre dann beschäftigungsneutral. Eine stärkere 1 B. Rüthers, Mehr Beschäftigung durch Arbeitsrechtsreform, FAZ Nr. 47 vom 25.2. 2003, S. 12; siehe auch ders., Mehr Beschäftigung durch Entrümpelung des Arbeitsrechts?, NJW 2003, 546 ff., und ders., Vom Sinn und Unsinn des geltenden Kündigungsschutzrechts, NJW 2002, 1601ff. 2 Vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/2004, Tz. 679 ff., 684 ff.; ferner J. Jerger, Wie wirkt Kündigungsschutz?, Wirtschaftsdienst 2003, 215 ff.; E. Jahn/ C. Schnabel, Bestandsschutz durch Abfindungen: Höhere Rechtssicherheit und Effizienz, Wirtschaftsdienst 2003, 219 ff.; W. Hromadka, Des Kanzlers „Reform“ des Kündigungsrechts, Wirtschaftsdienst 2003, 223 ff.; R. Schettkat, Mehr Arbeit durch weniger Recht?, Wirtschaftsdienst 2003, 225 ff., sämtlich mit weiteren Nachweisen.
Kündigungsschutz und Beschäftigung – ein Scheinproblem?
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Zurückhaltung bei Einstellungen mag zu besseren „matches“, passgenaueren Entsprechungen zwischen Arbeitsplätzen und Arbeitsuchenden führen. Dies wiederum erhöht die Produktivität und damit den Verteilungsspielraum. Er kann auch zur Ausweitung der Beschäftigung eingesetzt werden. Kosteneinsparungen aufgrund von Standardisierungseffekten, geringere Vertragskosten, oder die Vermeidung vielfach hoher Mobilitätskosten bei Arbeitnehmern treten hinzu. Auf der anderen Seite können Rigiditäten des Kündigungsschutzes nicht nur Arbeitskosten in die Höhe treiben, sondern auch die notwendigen Anpassungen im Strukturwandel behindern. Bei gewerkschaftlichen Lohnforderungen kann der Kündigungsschutz dazu beitragen, über den markträumenden Preis hinauszugehen, da der Sanktionsmechanismus der Entlassung durch den Kündigungsschutz beeinträchtigt sein kann. Eine Abschätzung dieses Nettoeffektes ist seriös kaum machbar.3 Sie würde einen Vergleich zweier zeit- und ortsgleicher Zustände erforderlich machen, einmal mit dem bekannten rigiden Kündigungsschutz, einmal mit dem hypothetischen flexibleren Schutz. Methodische Umweglösungen, auf die zurückzukommen ist,4 stoßen auf Grenzen. Was es gibt, sind dagegen „gefühlte“ Wirkungen des Kündigungsschutzes. Bei Befragungen pflegen die Inhaber kleiner und mittlerer Unternehmen mehrheitlich zu bekunden, ohne Kündigungsschutz oder bei gelockertem Kündigungsschutz wären sie eher zu Neueinstellungen bereit. Der Gesetzgeber hat zuletzt 2003 im Rahmen des Gesetzes für Reformen am Arbeitsmarkt das Kündigungsschutzgesetz geändert (u.a. grundsätzliche Anhebung des betrieblichen Schwellenwertes für die Anwendbarkeit des Gesetzes von mehr als fünf auf mehr als zehn Beschäftigte). Er mag sich dabei an der sizilianischen Spruchweisheit orientiert haben: „Man muss möglichst vieles ändern, damit möglichst alles beim Alten bleiben kann.“ CDU/CSU und F.D.P. hatten 3 Vgl. Sachverständigenrat (Fn. 2), Tz. 679; vgl. auch ders., Jahresgutachten 2004/ 2005, Tz. 714. 4 Vgl. unten IV. 3.
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in ihren Programmen zur Bundestagswahl vom September 2005 weitergehende Vorschläge gemacht: Nach dem CDU/CSU-Vorschlag sollte der Kündigungsschutz für Neueinstellungen in Betrieben bis zu 20 Beschäftigten ausgesetzt werden; das wären 90 % der Betriebe mit 28 % der Beschäftigten. In anderen Betrieben sollte der Schutz bei Neueinstellungen erst nach zwei Jahren wirksam werden. Die F.D.P. will die Schwelle bei 50 Beschäftigten setzen. Das wären 96 % der Betriebe mit 42 % der Beschäftigten. Ein Kündigungsschutz soll erst vier Jahre nach Beginn des Arbeitsverhältnisses einsetzen. Ich werde im Folgenden das geltende Kündigungsschutzrecht kurz skizzieren und dann die quantitativen Größenordnungen in Erinnerung rufen. Hier pflegen eher Vorurteile zu herrschen als sorgfältige Kenntnis. Ich gehe dann auf Kritikpunkte ein, aus juristischer Sicht und aus ökonomischer Sicht. Schließlich entwickle ich den Reformvorschlag des Kronberger Kreises,5 dem ich angehöre. Er scheint mir unter den Bedingungen nur begrenzter Kenntnis, die wir einmal mehr vorfinden, noch am ehesten zielführend zu sein.
II. Das geltende Recht 1. Der Geltungsbereich des gesetzlichen Kündigungsschutzes
Zu unterscheiden ist zwischen dem „allgemeinen“ Kündigungsschutz und dem „besonderen“ Kündigungsschutz.6 Der erstere ist im Kündigungsschutzgesetz geregelt und gilt grundsätzlich für sämtliche Arbeitsverhältnisse. Der „besondere“ erfasst im Wege spezieller Regelungen nur einzelne Arbeitnehmergruppen, die als besonders schutzbedürftig gelten (Mutterschutz, Schutz Schwerbehinderter und der Schutz betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger). Nicht hierher gehört die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB. Ein solcher Kündigungsgrund ist Ausfluss des allgemein geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und greift für sämtliche Dauerschuldverhältnisse ein. 5 J. Donges/J. Eekhoff/W. Franz/W. Möschel/M. J. Neumann (Kronberger Kreis), Flexibler Kündigungsschutz am Arbeitsmarkt, Berlin 2004. 6 Das Folgende weitgehend nach Kronberger Kreis (Fn. 5), Tz. 6 ff.
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Als Konsequenz ihrer Vertragsfreiheit können beide Beteiligte jederzeit einverständlich ein Arbeitsverhältnis aufheben (§§ 311 Abs. 1, 623 BGB). Seit dem 1. Mai 2000 bedarf ein solcher Aufhebungsvertrag der Schriftform. Aufhebungsverträge kommen meist auf Anregung des Arbeitnehmers zustande, wenn er den Ausspruch einer ggf. wenig renommierlichen Kündigung vermeiden will. Regelmäßig ruht dabei allerdings nach § 144 Sozialgesetzbuch III ein Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit von 12 Wochen. Die Praxis findet meist einen Weg, diese Rechtsfolge zu vermeiden (über sog. Abwicklungsverträge nach erfolgter Kündigung, sofern sich die „objektive Rechtmäßigkeit“ der Kündigung gegenüber den Agenturen für Arbeit nachweisen lässt). Aufhebungsverträge machen ca. 6–10 % der Beendigungsgründe für Arbeitsverhältnisse aus. Bis zum Jahre 1995 waren Kleinunternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern von der Anwendung des Kündigungsschutzes ausgenommen. Von 1996–1998 war dieser Schwellenwert auf zehn Mitarbeiter heraufgesetzt. Nach dem Regierungswechsel im Jahre 1998 wurde der frühere Rechtszustand wiederhergestellt. Das Reformgesetz vom 19. Dezember 2003 hat den Schwellenwert wieder von fünf auf zehn Beschäftigte angehoben; doch gilt diese Regelung nur für neueingestellte Mitarbeiter. Der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz greift nur für Arbeitsverhältnisse ein, welche länger als sechs Monate in demselben Betrieb oder Unternehmen bestanden haben. 2. Soziale Rechtfertigung
Die Beendigung des Arbeitverhältnisses durch Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein. Das Gesetz unterscheidet dabei drei Gründe: Die verhaltensbedingte Kündigung setzt eine vorwerfbare Störung des Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitnehmers voraus (Vertragsverletzung nach Abmahnung). Bei der personenbedingten Kündigung handelt es sich um eine nicht vorwerfbare Störung ebenfalls aus der Sphäre des Arbeitnehmers (Eignungsmangel mit erheblichen Auswirkungen). Eine Krankheit des Arbeitnehmers führt zum Beispiel dazu, dass er dauerhaft nicht mehr richtig arbeiten kann. Betriebsbedingte Kündigungen stammen aus der Sphäre des Arbeitgebers. Der Arbeit-
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geber kann nicht mehr ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Betriebsbedingte Kündigungen bleiben nach Maßgabe des Gesetzes sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitsnehmers nach zumutbaren Umschulungsoder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis erklärt hat. Derzeit werden in Deutschland jährlich rund 3,7 Mio. Personen aus der Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosigkeit entlassen und ungefähr gleich viel wieder neu eingestellt. Dies gilt bei einer Gesamtzahl der Beschäftigten von über 39 Mio. Rund eine Million der Entlassungen, also ein knappes Drittel, ist arbeitgeberseitig bedingt. In circa 70 % der Fälle handelt es sich um betriebsbedingte Kündigungen. Rund ein Drittel davon wird vor den Arbeitsgerichten angefochten. Diese rund 300.000 Kündigungsschutzprozesse pro Jahr haben in ihrer großen Mehrheit betriebsbedingte Kündigungen zum Gegenstand. Dies sind die Konfliktsfälle der Praxis. Die Rechtsprechung prüft hier in einem Dreierschritt, in dem sich letztlich ein Verhältnismäßigkeitsgrundsatz niederschlägt. – Ist die Kündigung geeignet, auf das geltend gemachte betriebliche Problem zu antworten? Hier muss ein Arbeitgeber substantiiert darlegen, aufgrund welcher unternehmerischen Maßnahme, z.B. Einstellung eines Teilbetriebs, welcher Arbeitsplatz weggefallen ist. – Ist die betriebsbedingte Kündigung erforderlich? Mit anderen Worten: Kann ein Arbeitskräfteüberhang nicht anders als durch Kündigung ausgeglichen werden, etwa durch den Abbau von Überstunden. Kommen Umsetzungen oder eine Weiterbildung als mildere Maßnahme in Betracht? – Ist die erforderliche Kündigung auch personell angemessen? Hier kommt der Gesichtspunkt der Sozialauswahl ins Spiel. Er wird wiederum in einem Dreierschritt geprüft. – Welche Arbeitnehmer sind nach Aufgabe und Bezahlung miteinander so vergleichbar, dass sie in die Auswahl einzubeziehen sind (Auswahlkreis)?
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– Welche Arbeitnehmer aus dem Auswahlkreis werden durch die Kündigungen am wenigsten hart getroffen (soziale Schutzwürdigkeit)? Hier hat das Reformgesetz vom 19. Dezember 2003 eine Begrenzung auf vier Kriterien gebracht: Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers. Das entspricht im Wesentlichen der bisherigen Praxis. – Schließlich ist zu prüfen, ob eine ausreichende Gewichtung erfolgt ist (Auswahlentscheidung). Dabei kann der Arbeitgeber bei berechtigten betrieblichen Bedürfnissen durchaus an der Weiterbeschäftigung Einzelner festhalten, obwohl sie bei ausschließlich sozial bedingten Kriterien zur Kündigung angestanden hätten (§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG). Ist in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung festgelegt, wie diese sozialen Gesichtspunkte im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so können die Gerichte die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfen (§ 1 Abs. 4 KSchG). Ein Betriebsrat hat bei einer ordentlichen Kündigung kein materielles Mitbestimmungsrecht. Er ist allerdings vorher zu hören. Wurde dies versäumt, ist eine Kündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVerfG unwirksam. Wurde der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört und hat einer Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, so kann ein Arbeitnehmer während eines Kündigungsschutzprozesses den besonderen Weiterbeschäftigungsanspruch des § 102 Abs. 5 BetrVerfG bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites geltend machen. Die Einschaltung der betrieblichen Interessenvertretung ist bei jeder zweiten Kündigung nötig. Zwar gibt es nur in rund jedem 10. Betrieb in Deutschland einen Betriebs- oder Personalrat, sei es, weil der Betrieb weniger als fünf Beschäftigte hat, sei es, weil keine Arbeitnehmervertretung gewählt wurde. Doch arbeitet in diesen Betrieben immerhin gut die Hälfte sämtlicher abhängig Beschäftigten. Die betrieblichen Interessenvertretungen gehen eher zurückhaltend mit ihrem Widerspruchsrecht um. Bezieht man die Widersprüche auf sämtliche Arbeitgeberkündigungen, einschließlich derjenigen in Betrieben ohne Betriebsrat, kommt man auf einen Wert von etwa 10 %. Anders formuliert: Rund 90 % aller erfolgreich durchgeführten Arbeit-
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geberkündigungen erfolgten ohne Widerspruch seitens der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen, entweder weil es im Betrieb keinen Betriebs- oder Personalrat gab oder weil dieser nicht (ausreichend) informiert war oder weil er trotz Information nicht widersprochen hat. Das Reformgesetz vom 19. Dezember 2003 gewährt jetzt einem Arbeitnehmer im Falle einer betriebsbedingten Kündigung eine neue Option: Falls er nicht binnen der Dreiwochenfrist Klage erhebt, kann er einen Anspruch auf Abfindung geltend machen (0,5 Monatsverdienst pro Jahr Betriebszugehörigkeit). Dies setzt freilich einen entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers in seiner schriftlich abzugebenden Kündigungserklärung voraus. Unterlässt er den Hinweis, ist diese Option für den Arbeitnehmer nicht eröffnet. In der Praxis ist dies „totes“ Recht. Macht ein Arbeitgeber ein beziffertes Abfindungsangebot, sieht er den Arbeitnehmer gleichwohl vor Gericht wieder. Dort muss er im Wege eines Vergleiches nahezu immer eine noch höhere Abfindung zahlen. Deshalb unterbleibt dieser Hinweis zumeist.
3. Flankierende Regelungen
Im Zusammenhang des Kündigungsschutzrechts ist die Förderung, d.h. hier die erleichterte Aufnahme befristeter Arbeitsverhältnisse zu sehen. Ähnliches gilt für den Ausbau der Zeitarbeit. Beide Instrumente ermöglichen eine gewisse Beweglichkeit. Der Gesetzgeber hat hier in den letzten 20 Jahren immer wieder Änderungen verfügt.7 Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz in seiner geltenden Fassung ist zwar eine Befristung eines Arbeitsvertrages nur mit sachlichem Grund zulässig. Doch geht der einschlägige gesetzliche Katalog recht weit (z.B. Befristung im Anschluss an Ausbildung/Studium, Befristung zur Erprobung). Ebenso gibt es generell keine Beschränkungen mehr für befristete Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr überschritten haben (bis 31.12.2006, sonst wieder 58 7 Vgl. Wichtige Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland, Monatbericht Juli 2005 der Deutschen Bundesbank, S. 25.
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Jahre). Die Befristungshöchstdauer liegt ansonsten bei 24 Monaten. Existenzgründer können indes in den ersten vier Jahren nach Unternehmensgründung befristete Arbeitsverträge ohne sachlichen Befristungsgrund bis zur Dauer von vier Jahren abschließen. Mit vergleichbarer Tendenz sind zahlreiche Beschränkungen innerhalb des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes aufgehoben worden, namentlich durch die Reformgesetzgebung vom Dezember 2003 (Überlassungshöchstdauer, Synchronisations-, Befristungs-, Wiedereinstellungsverbot). Befristete Arbeitsverträge sind bei Arbeitnehmern nicht populär. Bei der eigentlichen Problemgruppe innerhalb der Arbeitslosen, Langzeitarbeitslosen, die gering qualifiziert sind, lassen sie sich freilich am ehesten durchsetzen. Insoweit können Befristungen fehlende Kündigungsmöglichkeiten substituieren.
4. Schutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes
Ein Arbeitnehmer, der außerhalb des Geltungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes bleibt, ist nicht rechtlos gestellt. Es greifen das Verbot einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung nach § 611 a BGB ebenso wie das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB ein. Hinzu treten die Generalklauseln des § 138 BGB und des § 242 BGB. In ihrem Rahmen ist auch der objektive Gehalt der Grundrechte zu beachten, hier namentlich des Art. 12 und des Art. 3 Grundgesetz.8 Auf dieser Grundlage ließe sich ein Schutz vor Willkür und Opportunismus seitens eines Arbeitgebers aufbauen.
III. Struktur der Kündigungsschutzprozesse Im Jahre 2004 wurden vor den Arbeitsgerichten, also in der Ersten Instanz, rund 590.000 Klagen eingereicht. Hinzu kamen 209.000 unerledigte Verfahren am Jahresanfang. Von dieser Gesamtzahl wurden knapp 612.000 Klagen erledigt. Kündigungsschutzklagen waren davon 311.000. Ganz überwiegend betrafen sie, wie erwähnt, betriebsbedingte Kündigungen. Etwa 93 % dieser Kündigungsschutzklagen 8
Vgl. dazu BVerfGE 97, 169, 178 ff.
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wurden nicht durch streitiges Urteil, sondern im Wege eines Vergleichs erledigt. Im Gütetermin pflegt der Einzelrichter Druck in Richtung eines Vergleichs auszuüben. De facto steht er dann häufig scheinbar auf der Seite des Arbeitgebers.9 Die Dauer der Verfahren ist kurz. Die Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen eingereicht werden. Der obligatorische Gütetermin findet bei kleinen Arbeitsgerichten binnen vier Wochen, bei größeren innerhalb von zwei Monaten statt. Die endgültige Entscheidung nach einem Kammertermin, in dem ebenfalls die allermeisten Verfahren durch einen Vergleich beendet werden, folgt nach weiteren zwei Monaten bei kleineren Arbeitsgerichten oder drei bis sechs Monaten bei größeren. Seit 2001 kann der Vergleich auch in einem schriftlichen Verfahren erfolgen (§ 278 Abs. 6 ZPO). Davon wird zunehmend Gebrauch gemacht. Insgesamt werden etwa 68 % aller Kündigungsschutzklagen in einem Vierteljahr erledigt. Nach sechs Monaten sind es bereits 86 %. Davon kann man bei anderen Zivilrechtsstreitigkeiten, Ehescheidungen mit eingeschlossen, nur träumen. Die Verfahrenskosten sind gering. Bei einem Vergleich fallen im Arbeitsgerichtsprozess keine Gerichtskosten an. Große Unternehmen halten sich Rechtsabteilungen. Diese haben den Charakter von fixen Kosten. Die meisten Unternehmen bemühen einen Anwalt. Die Kosten trägt meist die Rechtsschutzversicherung. Die Anwaltsgebühren sind niedrig. Im Durchschnitt belaufen sie sich auf ca. 1200 bis 1500 EURO (Streitwert drei Monatsgehälter, dreieinhalb volle Gebühren). Auf Arbeitnehmerseite ist häufig ein Vertreter der Gewerkschaft tätig, sog. Gewerkschaftssekretäre. Dies sind keine Volljuristen, haben aber in dieser Materie eine solide Reputation. Der Grad der „Belästigung“ des Arbeitgebers bei Einschaltung eines Anwaltes ist gering. Die Zahl der Rechtsfragen ist überschaubar. Die Abfindungshöhe schwankt. Es gibt namentlich bei größeren Arbeitsgerichten wie z.B. dem Arbeitsgericht Frankfurt eine Tendenz zu einer Formalisierung: Pro Jahr Betriebszugehörigkeit wird dort bis 9 Ein Arbeitsrichter hat an 200 Arbeitstagen rund 900 Fälle zu bearbeiten. Es ist für ihn unmöglich, 4,5 Fälle pro Tag durch Urteil abzuschließen. Der Druck in Richtung Vergleich ist von daher elementar.
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zum 40. Lebensjahr 0,5 Monatsgehalt bezahlt. Zwischen 40 und 50 Lebensjahren 0,75 und ab dem 50. Lebensjahr gilt der Faktor 1. Ab dem 55. Lebensjahr fallen die Abfindungen wieder stark wegen der näher liegenden Rentenversorgung. Im Gesamtdurchschnitt werden in Westdeutschland pro Jahr Betriebszugehörigkeit etwa 0,6 Monatsgehalt bezahlt, in Ostdeutschland 0,40 (Unternehmen unter 2000 Beschäftigten). In absoluten Beträgen belief sich dieser Abfindungsdurchschnitt in Westdeutschland auf 9000 EURO, in Ostdeutschland auf rund 4400 EURO. Sehr viel höher pflegen die Abfindungen bei Massenentlassungen nach Maßgabe der §§ 111ff. BetrVerfG zu liegen, jedenfalls im Westen. Hier steigen die Beträge im Durchschnitt auf 13.200 EURO Abfindung pro Entlassenen. Sozialplanregelungen, die an eng definierte Voraussetzungen gebunden sind, betreffen freilich nur rund 8 % der Arbeitgeberkündigungen insgesamt.
IV. Kritikpunkte 1. Aus juristischer Sicht
Auf den ersten Blick könnte man meinen, bei Kündigungsschutzprozessen sei alles bestens bestellt: Die Verfahren vollziehen sich rasch und zu niedrigen Kosten. Bei einer Vergleichsquote von ca. 93 % sind die Ergebnisse überdies genau kalkulierbar. Doch wäre solche Betrachtungsweise unvollständig. Man muss fragen, weshalb Unternehmen sich in solchem Ausmaß auf kostenträchtige Abfindungszahlungen einlassen. Umgekehrt formuliert: Woher entstehen die Anreize für gekündigte Arbeitnehmer, die Kündigung zwar letztlich zu akzeptieren, dafür aber als Gegenleistung eine Abfindung zu kassieren? An dieser Stelle wird erheblich, dass die Rechtsunsicherheiten bei streitigen Kündigungsschutzprozessen, also solchen, die nicht auf eine gütliche Beilegung im Wege eines Abfindungsvergleiches, sondern auf ein streitentscheidendes Urteil zielen, groß sind. Die Unternehmen pflegen die Sicherheit eines Vergleichs, auch wenn dieser teuer ist, der Unsicherheit eines Urteils, welches die Kündigung möglicherweise kassiert, vorzuziehen. Ein solches Urteil hätte zur Folge, dass der gekündigte Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen und ihm der Lohn seit dem Kündigungstermin nachzuzahlen ist. Diese Rechtsunsicher-
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heiten hängen mit den unbestimmten Rechtsbegriffen zusammen, welche das KSchG verwendet. Wichtiger ist: Das gesamte Regelwerk ist auf Einzelfallbeurteilung hin angelegt. Die „Umstände des Einzelfalles“ sind typischerweise in die Bewertung aufzunehmen. Dies erschwert die Entwicklung generalisierbarer und damit verlässlicher Maßstäbe in hohem Maße. Damit verbindet sich eine Schelte, die verbreitet gegen die Arbeitsgerichte geltend gemacht wird: Diese hätten den Kündigungsschutz ohne Not nachgerade ins Extrem getrieben. Doch der eigentlich „böse Bube“ im ganzen Spiel ist der Gesetzgeber. Zwar ist richtig, dass sich in den Materialien zum ursprünglichen Kündigungsschutzgesetz von 1951 Formulierungen finden, wonach das Gesetz sich „lediglich gegen solche Kündigungen (richtet), die hinreichender Begründung entbehren und deshalb als eine willkürliche Durchschneidung des Bandes der Betriebszugehörigkeit erscheinen.“ Solche Formulierungen pflegen aus der Feder von Ministerialbeamten zu stammen. Diese sind nicht „der Gesetzgeber“. Wichtiger: Das KSchG ist über die vergangenen 54 Jahre hin des öfteren geändert worden. Dies geschah durch einen Gesetzgeber, der die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte kannte und keinen Anlass sah, diese irgendwie legislativ zu korrigieren. Hinzu kommt: Über die vergangenen 50 Jahre sind die Arbeitnehmerschutzrechte im weitesten Sinne vom Gesetzgeber deutlich erweitert worden. Die Arbeitsgerichtsrechtsprechung hat nichts anderes getan, als diese Wertungen in die Generalklauseln zu übernehmen, deren Ausfüllung ihre Aufgabe ist. Es ist ein Zweck von Generalklauseln, gegenüber solchen Fortentwicklungen offen zu sein, ohne dass diesbezüglich jedes Mal die schwerfällige Maschinerie der Gesetzgebung in Gang zu setzen wäre. Insoweit hat die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte durchaus lege artis gehandelt. Eine Rede von einer Kadi-Justiz wäre überzogen. Gelegentlich wird dieser Rechtsprechung vorgeworfen, sie berücksichtige nicht hinreichend die negativen Drittwirkungen eines weitgehenden Kündigungsschutzes. Ein solcher gehe zu Lasten von Arbeitslosen, denen ansonsten eine Einstellungschance zuwüchse. Dieser eher für die weniger häufigen Fälle der verhaltens- und der personenbedingten Kündigungen naheliegende Gesichtspunkt hat die Debatte von einem richtig ausgestalteten Kündigungsschutz seit Jahrzehnten begleitet. Adressat eines solchen Petitums ist freilich vorran-
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gig der Gesetzgeber. Er hat den Arbeitsgerichten die oben im Einzelnen aufgezeigten Kriterien vorgegeben. Sie stellen auf das Binnenverhältnis zwischen einem kündigenden Arbeitgeber und dem gekündigten Arbeitnehmer ab. Eine Berücksichtigung der genannten externen Effekte gehört nicht dazu. Für die Gerichte ist eine solche Vorgabe verbindlich. Das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung zu Art. 12 Grundgesetz hat sich – jetzt von Verfassung wegen – in gleicher Weise einer solchen Binnenperspektive angeschlossen.10 In der Rechtslehre ist dies teilweise heftig kritisiert worden, allen voran von Dieter Reuter.11 Man muss freilich sehen, dass diese Kritik auf einem ökonomischen Vorverständnis beruht – abgekürzt formuliert einer Insider-Outsider-Theorie –, deren Tragfähigkeit im Streit ist. Dies habe ich eingangs in Erinnerung gerufen. Bei solcher Sachlage wäre es nicht begründbar, wenn das Bundesverfassungsgericht die politische Entscheidung des Gesetzgebers innerhalb des Kündigungsschutzgesetzes jetzt aufgrund anderer Einschätzung für verfassungswidrig halten wollte. Es ist davon, wie erwähnt, weit entfernt. Aber dies wäre die Alternative, die ihm nach der Logik der zitierten Kritik verbliebe. Kurz: Es handelt sich meines Erachtens um Fragen, welche in die Arena der Politik, sprich des einfachen Gesetzgebers, gehören, weniger auf die Ebene der Verfassung. Zutreffend ist weiter: Mit dem von den Gerichten praktizierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz („ultima ratio“) und mit den erforderlich werdenden „Prognoseentscheidungen“ verbinden sich beträchtliche Rechtsunsicherheiten. Doch auch hier muss man sehen, dass diese Kriterien im Gesetz selbst angelegt sind, z.B. wenn nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten eines Arbeitnehmers im Unternehmen oder nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen gefragt werden muss. Richtig ist weiter, dass die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte im Einzelfall von hohen Beweisanforderungen zu Lasten des Arbeitgebers ausgeht. Doch auch hier muss man sich ein nüchternes Urteil bewahren. Das Gesetz sieht z.B. vor, dass der Arbeitnehmer die Tatsachen zu beweisen hat, die eine Kündigung als 10 11
BVerfGE 97, 169, 176 ff.; 84, 133, 146 ff. Bloße Korrektur der Modalitäten?, Wirtschaftsdienst 2003, 230 ff.
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sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen, falls der Arbeitgeber die „dringenden betrieblichen Erfordernisse“ für diese Kündigung dargetan hat (§ 1 Abs. 3 S. 3 Kündigungsschutzgesetz). Auch ansonsten überprüfen Gerichte nicht die „Richtigkeit“ von unternehmerischen Entscheidungen. In der Rolle eines besserwisserischen „Oberunternehmers“ würden sie sich schlicht lächerlich machen. In den Worten des Bundesarbeitsgerichts kann eine unternehmerische Entscheidung hier nur darauf überprüft werden, ob sie „offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich“ ist und möglicherweise nur als Vorwand dient.12 Dies läuft im Kern auf eine bloße Missbrauchskontrolle hinaus. Gegenläufig sind allerdings vergleichsweise hohe Substantiierungslasten, welche beim Arbeitgeber verbleiben.13
2. Aus ökonomischer Sicht
Eine ökonomische Sicht, dem methodologischen Individualismus verpflichtet, setzt individuelle Handlungsfreiheiten als obersten Wert. Dann gilt der schöne Satz: „Was von selbst geschieht, ist vorteilhaft. Was vorteilhaft ist, geschieht von selbst.“ 14 Das Problem liegt in dem Adverb „von selbst“, gleich „freiwillig“. Es gibt so etwas wie Scheinfreiwilligkeit. Das kann im Sinne eines vergleichenden Institutionenansatzes staatliche Regulierungen sinnvoll machen. Hinzu können schlicht effizienzbefördernde Regulierungen treten, z.B. dispositives Recht mit seiner Wirkung der Standardisierung. Es stellt sich in unserem Zusammenhang mithin die Frage, ob das Angebot an Arbeitsleistungen und die Nachfrage danach über den reinen Wettbewerbsmechanismus, also ohne jede spezielle Regulierung, am besten koordiniert wird oder ob dem Besonderheiten der Arbeitsmärkte entgegenBAG DB 1999, 1910. BAG DB 1999, 1909: Je näher die eigentliche Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss rückt, um so mehr muss der Arbeitgeber durch Tatsachenvortrag verdeutlichen, dass ein Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer entfallen ist. Zwei Varianten sind für den Arbeitgeber einfach: Die Aufgabe entfällt ganz oder sie wird einem Outsourcing überantwortet. Kritisch ist der Fall einer Umverteilung der Arbeit im bestehenden Betrieb. 14 Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, Stuttgart 1991, Tz. 5. 12 13
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stehen.15 Das kann hier nicht entfaltet werden. Es ist bescheidener im Hinblick auf den Kündigungsschutz zu fragen, ob die Marktergebnisse vermutlich besser wären, wenn der Marktaustritt weniger behindert würde. Ich sehe vier Aspekte: (1) Arbeitnehmer sollten vor willkürlichen Kündigungen geschützt sein. Dazu dürften freilich die erwähnten allgemeinen Regeln ausreichen. Das Kündigungsschutzgesetz ist insoweit hypertroph. (2) Jeder Bestandsschutz muss genügend Flexibilität bei den Anpassungserfordernissen in einer international verflochtenen Volkswirtschaft gewährleisten. Naturgemäß ist dies mehr eine Richtungsweisung, kein Maßstab für die Entscheidung von Zielkonflikten im Einzelfall. (3) Ein Bestandsschutz sollte nicht so ausgestaltet sein, dass er einseitig zu Gunsten privilegierter Gruppen von Arbeitnehmern, z.B. der Arbeitsplatzbesitzer, und zu Lasten Dritter, etwa von Arbeitslosen, wirkt. (4) Umstritten aus ökonomischer Sicht ist die Überlegung, ob es so etwas wie eine optimale Allokation von Entlassungsrisiken gibt und diese durch staatliche Regulierung vom Arbeitnehmer weg hin zum Arbeitgeber geschoben werden soll. Hier mischen sich Transaktionskostenargumente und Abhängigkeitsargumente aus der Besonderheitenlehre der Arbeitsmärkte. – Ökonomisch ist es immer sinnvoll, vermeidbare Kosten, in unserem Zusammenhang der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, zu vermeiden. Doch ist dies beim Kündigungsschutzgesetz ein Argument der Handelsklasse C. Das komplizierte Gesetz ist selbst kostentreibend. – Ein Arbeitgeber hat im Allgemeinen keinen Anlass, bei einer Entscheidung Mobilitätskosten zu berücksichtigen, die bei Arbeitnehmern im Falle eines Stellenwechsels entstehen. Diese können hoch sein. Gleichzeitig entstehen Opportunismusgefahren. Ein Arbeitgeber mag versucht sein, dies beim Aushandeln eines Arbeitsvertrages auszunutzen. Ein Bestandsschutz zwingt ihn, je nach Ausgestaltung, solche Kosten zu berücksichtigen. Sie werden in seine Entscheidung internalisiert. Das gilt allerdings nur, wenn dem 15
Hierzu eingehend Deregulierungskommission (Fn. 14), Tz. 556 ff.
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Arbeitnehmer beim Stellenwechsel ein Wohnortwechsel abverlangt wird, der neue Wohnort fern vom bisherigen liegt und obendrein die Verkehrsverhältnisse schlecht sind. „Die meisten Arbeitsplatzwechsel finden nicht unter solchen Bedingungen statt.“16 Mobilitätskosten im weiten Sinne erwachsen ferner aus betriebsspezifischem Humankapital, d.h., wenn ein Arbeitnehmer Fertigkeiten erworben hat, für die er anderswo keine Verwendungsmöglichkeit findet, jedenfalls nicht zu einem vergleichbaren Lohn. Jedermann-Fertigkeiten gehören nicht hierher. Bei echter asset-specificity entsteht freilich eine wechselseitige Abhängigkeit, so dass sich Opportunismusgefahren abschwächen mögen. Wenn Joachim Jickeli in diesem Zusammenhang von Verbundeffekten zwischen den einzelnen Arbeitsverträgen spricht,17 hat er einen ähnlichen Gedanken im Sinn. Unterstellt man, vermutlich realistisch, einem Arbeitgeber verbleibe auch bei wechselseitiger Abhängigkeit ein größerer Handlungsspielraum als einem Arbeitnehmer, gewinnt man ein Argument für einen Bestandsschutz zugunsten des Arbeitnehmers, wenn auch ein bescheidenes. Will man darüber hinaus durch einen strikten Bestandsschutz einen Anreiz für den Aufbau betriebsspezifischen Humankapitals schaffen, einen Anreiz, der in beide Richtungen wirken kann, so bedürfte man eines Urteils über den damit verbundenen Nettoeffekt der Regelung.18 Man kann dies auch in Kategorien der Versicherungstheorie ausdrücken. Danach gehört ein Risiko dorthin, wo es am besten getragen werden kann, d.h. wo die Folgen eines einzelnen Schadensfalles durch Poolung der Risiken an Gewicht verlieren und die Möglichkeiten zur Abwehr oder zur Bekämpfung des Schadens am größten sind. Ein Bestandsschutz zwingt einen Arbeitgeber, allfällige, umfassend zu verstehende Mobilitätskosten seiner Arbeitnehmer bei einer Entlassungsentscheidung in Rechnung zu stellen. Insofern werden sie beim ihm gepoolt. Der Gedanke wird besonders deutlich bei Betriebsänderungen, falls diese mit Massenentlassungen und entsprechenden Sozialplanpflichten verbunden sind. 16 17 18
Deregulierungskommission (Fn. 14), Tz. 564. Der langfristige Vertrag, Baden-Baden 1996, S. 122 und S. 188 ff. Vgl. dazu oben zu Fn. 2.
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Nicht hierher gehört das Risiko des Einkommensausfalls durch temporäre Arbeitslosigkeit. Diese sind in der Arbeitslosenversicherung gepoolt. Das überkommene Kündigungsschutzgesetz mit seiner zentralen Ausrichtung auf soziale Belange hat mit diesen Überlegungen nur begrenzt zu tun.
3. Empirische Nachweise
Ob ein gelockerter Kündigungsschutz positive Effekte auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung hat, ist letztlich eine empirische Frage. Die meisten ökonometrischen Studien sind nicht in der Lage, nennenswerte Effekte festzustellen.19 Dies hängt mit methodischen Schwierigkeiten zusammen. Da, wie eingangs erwähnt, ein Vergleich zweier zeit- und ortsgleicher Zustände nicht möglich ist, muss man auf Umweglösungen rekurrieren. Diese ähneln dem, was Juristen vertikale und horizontale Rechtsvergleichung nennen. Ein Beispiel für erstere war die vorübergehende Anhebung des Schwellenwertes in Deutschland von 5 auf 10 Beschäftigte zwischen 1996 und 1998. Doch war diese Zeitspanne zu kurz, um einen signifikanten statistischen Effekt feststellen zu können. Vertikale Vergleichung mag freilich im Ausland möglich sein. Bei einem Vergleich der Arbeitsmarktsituation in unterschiedlichen Ländern ist die Vergleichbarkeit der länderspezifischen Rahmenbedingungen ein Problem. Die Isolierung des Kündigungsschutzes als Verursachungsfaktor streift das Unmögliche, wenn man die Komplexität der Entstehungsgründe für hohe oder niedrige Beschäftigung bedenkt. Wer gegenüber einem Kündigungsschutz kritisch eingestellt ist, verweist gerne auf das Beispiel Dänemark. Dort hat man auf einen Kündigungsschutz weitgehend verzichtet. Entlassungen sind häufiger geworden, die Arbeitslosigkeit hat sich insgesamt etwa halbiert. Solche Beobachtungen können aus den genannten Gründen keine „Beweise“ in einem strengen Sinne sein.
Vergleiche die Nachweise in Fn. 2 und 3, siehe auch Kronberger Kreis (Fn. 5), Tz. 16 ff.
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Man könnte sich auf das zurückziehen, was ich eingangs „gefühlte Wirkungen“ eines Kündigungsschutzes genannt habe, nach dem Motto, die Zeitläufte werden nicht von Realitäten bestimmt, sondern von dem, was wir dafür halten. Das bliebe ein reichlich resignativer Standpunkt. Geboten wären nicht unbedingt ein kompliziertes Kündigungsschutzrecht, sondern Aufklärungsbemühungen bei den Inhabern kleiner und mittlerer Betriebe. Insgesamt befindet sich ein Gesetzgeber in einer für ihn beinahe schon typischen Situation: Ins Auge gefasste Regulierungen bleiben von ihren Wirkungen her ambivalent, und diese Wirkungen sind nicht verlässlich ermittelbar. Eine Antwort darauf könnten gesetzliche Experimentierklauseln sein, welche z.B. Bundesländer ermächtigen, für eine Zeitspanne von 10 Jahren vom Kündigungsschutzgesetz abzuweichen. Vorschläge dieser Art wurden im Zusammenhang der Wiedervereinigung mit Blickrichtung neue Bundesländer gemacht. Sie wurden vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Es gibt keinen Anhalt, dass dies mittlerweile anders sein könnte.
V. Vorschlag des Kronberger Kreises Vor diesem Hintergrund hat der Kronberger Kreis einen Vorschlag zu einem flexiblen Kündigungsschutz am Arbeitsmarkt gemacht.20 Er lässt die Aussagekraft ökonometrischer Studien bezüglich eines gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseffektes dahingestellt und beschränkt sich auf einen eher schlichten mikroökonomischen Gedankengang. Arbeitnehmer, die beschäftigt sind, werden durch einen neu eingeführten Kündigungsschutz zunächst begünstigt.21 Arbeitgebern, deren Auftragslage erheblichen Schwankungen unterliegt, werden mit Rücksicht auf bereits eingestellte Arbeitnehmer zusätzliche Lasten aufgebürdet. Doch dabei bleibt es nicht. Wurden vor Einführung eines Kündigungsschutzes marktgerechte Löhne bezahlt, berücksichtigen Arbeitgeber in neuen Arbeitsverträgen das Risiko, Arbeitnehmer auch dann weiterbeschäftigen zu müssen, wenn nicht genügend Kronberger Kreis (Fn. 5), Tz. 35 ff. Dies nach W. Möschel, Die Erste Seite: Der arbeitsrechtliche Kündigungsschutz sollte auf der Reformagenda bleiben, BB 2004 (Heft 41), S. I. 20 21
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Aufträge vorliegen. Sie schließen die neuen Verträge nur dann, wenn Arbeitnehmer einen Lohnabschlag hinnehmen, welcher den Kosten des Kündigungsschutzes entspricht. Wenn Lohnverhandlungen anstehen, gilt diese Mechanik auch für die bestehenden Altverträge. Der ursprüngliche Vorteil aus der gesetzlichen Regelung geht im Zeitablauf verloren. Wichtiger und mit Dauerwirkung: Der Kündigungsschutz vermindert die Chancen von Arbeitslosen, einen Arbeitsplatz zu bekommen, in einem präzisen Punkt: Sie haben nicht die Option, sich mit einem geringeren Kündigungsschutz zufriedenzugeben oder vollständig auf diesen zu verzichten. Besonders mobile Arbeitnehmer, die keinen Kündigungsschutz brauchen, können nicht darauf verzichten und im Gegenzug einen Lohnzuschlag vereinbaren. Der Kronberger Kreis hat aufgrund dieser Zusammenhänge vorgeschlagen, für Arbeitsuchende das Ob und das Wie eines Kündigungsschutzes in die Freiheit der Vertragsparteien zurückzugeben. Für eine Vereinbarung bieten sich drei Möglichkeiten an: (1) Der Arbeitnehmer kann eine Abfindung mit dem Arbeitgeber vereinbaren und im Gegenzug auf den Kündigungsschutz jenseits einer Mindestfrist verzichten. (2) Der Arbeitnehmer kann auf den gesetzlichen Kündigungsschutz verzichten und einen höheren Lohn als den sonst gezahlten vereinbaren. Der Arbeitnehmer wäre von Beginn des Vertragsverhältnisses an für den freiwilligen Verzicht auf das Schutzrecht kompensiert. (3) Arbeitsuchende, die unter den bestehenden tariflichen und gesetzlichen Bedingungen keine Beschäftigung finden, können sowohl auf den Kündigungsschutz als auch auf kompensierende Lohnzuschläge verzichten. Solche Flexibilisierung zielt darauf, bei den Unternehmen Anreize zu schaffen, mehr Arbeit nachzufragen. Und solche Anreize gibt es, wenn die Marktaustrittskosten sinken und die Anpassung der Beschäftigung an die betrieblichen Erfordernisse leichter wird. Es gehört zu den segensreichen Eigenschaften einer marktwirtschaftlichen Ordnung, dass Entscheidungen – hier das Einstellen von Personal –, welche sich lohnen, weil sie einen Ertrag versprechen, auch getroffen werden.
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Auf bestehende Arbeitsverhältnisse bezieht sich der Vorschlag nicht, weil hier bereits in Form verringerter Löhne für den Kündigungsschutz gezahlt wird. Auch sprechen Gründe einer erleichterten Durchsetzbarkeit des Vorschlages für solche Begrenzung. Der gesetzliche Kündigungsschutz soll als Auffanglösung eingreifen, wenn sich die Beteiligten – sinnvollerweise nach Ablauf der Probezeit – nicht auf eine individuelle Lösung verständigen können. Es ist denkbar, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass die Arbeitgeberseite hier zu vertraglichen Standardisierungen übergeht. Dann entsteht ein AGB-Problem, welches von den Arbeitsgerichten gelöst werden müsste. Das wäre nur scheinbar paradox. Denn es besteht die gut fundierte Erwartung, dass – in Anlehnung an das berühmte Diktum Friedrich August von Hayeks, welches auf Adam Ferguson zurückgeht – die Ergebnisse menschlichen Handelns, sprich der Gerichte, besser sein werden als die Ergebnisse menschlichen Entwurfs, sprich des Gesetzgebers des Kündigungsschutzgesetzes.
VI. Ergebnisse 1. Das KSchG gilt als beschäftigungsfeindlich. Überdies greife die Rechtsprechung in den Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers ein. 2. Ökonomische Theorie stützt die erstgenannte Aussage nicht. Danach kann ein Bestandsschutz bei Arbeitsverhältnissen sowohl beschäftigungshemmende wie beschäftigungsbefördernde Wirkungen haben. Entscheidend ist eine Einschätzung des Nettoeffektes. Ökonometrische Studien sind bis heute nicht in der Lage, hier ein klares Ergebnis zu belegen. Man kann gesetzliche Experimentierklauseln in Erwägung ziehen. 3. Der Vorwurf eines Eingriffs in den Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers ist überzogen. Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte hat im Wesentlichen bei der Ausfüllung von Generalklauseln die vom Gesetzgeber vorgegebenen Wertungen berücksichtigt. Sie hat lege artis gehandelt. Der „böse Bube“ im Spiel ist der Gesetzgeber.
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4. Hinsichtlich der praktischen Bedeutung des Kündigungsschutzes gibt es manche Fehlvorstellung. Pro Jahr kommt es in Deutschland zu rund 3,7 Mio. Wechsel aus Beschäftigungsverhältnissen. Davon sind circa 1 Mio. arbeitgeberseitige Kündigungen, ganz überwiegend betriebsbedingte. Von diesen werden rund 300.000 in Kündigungsschutzprozessen angefochten. Diese Verfahren vollziehen sich rasch und zu niedrigen Kosten. Bei einer Vergleichsquote von 93 % sind auch die Ergebnisse gut kalkulierbar. Das Gravamen sind Abfindungszahlungen, die in den alten Bundesländern im Durchschnitt 9000 Euro, in den neuen Bundesländern 4.400 Euro erreichen. Der neue § 1a KSchG wird in der Praxis nicht angenommen. 5. Zielwerte eines Kündigungsschutzes sollten aus ökonomischer Sicht sein: – Schutz der Arbeitnehmer vor Willkür (hierfür reichen bereits die allgemeinen Regeln). – Ein Bestandsschutz muss genügend Flexibilität bei den Anpassungserfordernissen in einer international verflochtenen Volkswirtschaft belassen. – Einseitige Privilegierungen zu Gunsten einzelner Gruppen von Arbeitnehmern sollten vermieden werden. – Eine optimale Allokation von Entlassungsrisiken setzt einen (schwachen) Bestandsschutz voraus. Auf diese Weise lassen sich Mobilitätskosten im weitesten Sinne bei Arbeitnehmern in die Entscheidung eines Arbeitgebers internalisieren. Zugleich wird damit einer Opportunismusgefahr entgegengewirkt. 6. Bedenkenswert ist der Vorschlag des Kronberger Kreises: Bei der Vereinbarung eines Kündigungsschutzes sollte Vertragsfreiheit herrschen. Der gesetzliche Kündigungsschutz wirkt als Auffangtatbestand im Falle einer Nichteinigung. Bestehende Arbeitsverhältnisse sollten unberührt bleiben. Falls es zu vertraglichen Standardisierungen kommt, entsteht ein AGB-Problem. Seine Lösung dürfte in Händen der Rechtsprechung besser aufgehoben sein als beim Gesetzgeber des KSchG.
Bericht über die Diskussion des Vortrags von Wernhard Möschel „Kündigungsschutz und Beschäftigung – ein Scheinproblem?“ Henning Plöger
(Diskussionsleitung: Peter Kreutz) In seinem Referat stellte Möschel die These auf den Prüfstand, Starrheiten des deutschen Arbeitsrechts, insbesondere des geltenden Kündigungsschutzrechts, seien eine Ursache für die hohen Arbeitslosenzahlen in Deutschland. Aus Sicht der ökonomischen Theorie könnten vom Kündigungsschutz im Hinblick auf die Beschäftigung auch gegenläufige Effekte ausgehen. Eine Abschätzung des Nettoeffektes sei wegen methodischer Schwierigkeiten der Ökonometrie seriös kaum machbar. So könne ein rigoroser Kündigungsschutz aufgrund der damit verbundenen erhöhten Arbeitsplatzsicherheit Investitionen in betriebsspezifisches Humankapital fördern. Dieses führe tendenziell zu einer höheren Arbeitsproduktivität und damit zu weniger Entlassungen. Auf der anderen Seite könnten Rigiditäten des Kündigungsschutzes nicht nur Arbeitskosten in die Höhe treiben, sondern auch die notwendigen Anpassungen im Strukturwandel behindern. Was es gebe, seien „gefühlte“ Wirkungen des Kündigungsschutzes: Bei Befragungen pflegten Inhaber kleiner und mittlerer Unternehmen mehrheitlich zu bekunden, bei einem Weniger an Kündigungsschutz wären sie eher zu Neueinstellungen bereit. Nach einem Überblick über das geltende Kündigungsschutz- und Befristungsrecht präsentierte Möschel einige Daten aus der Praxis des Kündigungsschutzprozesses: Pro Jahr komme es in Deutschland zu rund 3,7 Mio. Wechsel aus Beschäftigungsverhältnissen. Davon sind circa 1 Mio. arbeitgeberseitige Kündigungen, ganz überwiegend betriebsbedingte. Von diesen würden rund 300.000 in Kündigungsschutzprozessen angefochten. Diese Verfahren vollziehen sich rasch und zu niedrigen Kosten. Bei einer Vergleichsquote von 93 % seien auch die Ergebnisse gut kalkulierbar. Das Gravamen seien die Abfin-
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dungszahlungen, die in den alten Bundesländern im Durchschnitt 9.000 Euro, in den neuen Bundesländern 4.400 Euro erreichen. Der neue § 1a KSchG werde in der Praxis nicht angenommen. Aus juristischer Sicht seien die großen Rechtsunsicherheiten bei streitigen Kündigungsschutzprozessen zu kritisieren. Diese Rechtsunsicherheiten hingen mit den unbestimmten Rechtsbegriffen zusammen, welche das KSchG verwendet. Die Arbeitsgerichte hätten bei der Ausfüllung der Generalklauseln im Wesentlichen die vom Gesetzgeber vorgegebenen Wertungen berücksichtigt. Sie hätten lege artis gehandelt, so dass Vorwürfe wegen negativer (Dritt-)wirkungen des geltenden Kündigungsschutzrechts an den Gesetzgeber zu richten seien. Die von Reuter angestellte Insider-Outsider-Betrachtung sei Arena der Politik, sprich des einfachen Gesetzgebers, und gehöre weniger auf die Ebene der Verfassung. Möschel definierte folgende Zielwerte eines Kündigungsschutzes aus ökonomischer Sicht: (1) Arbeitnehmer sollten vor willkürlichen Kündigungen geschützt sein. Dazu dürften die allgemeinen Regeln ausreichen. (2) Jeder Bestandsschutz müsse genügend Flexibilität bei den Anpassungserfordernissen in einer international verflochtenen Volkswirtschaft gewährleisten. (3) Ein Bestandsschutz solle nicht so ausgestaltet sein, dass er einseitig zu Gunsten privilegierter Gruppen von Arbeitnehmern, z.B. der Arbeitsplatzbesitzer, und zu Lasten Dritter, etwa von Arbeitslosen, wirkt. (4) Eine optimale Allokation von Entlassungsrisiken setze einen (schwachen) Bestandsschutz voraus. Auf diese Weise ließen sich Mobilitätskosten im weitesten Sinne bei Arbeitnehmern in die Entscheidung eines Arbeitgebers internalisieren. Zugleich werde damit einer Opportunismusgefahr entgegengewirkt. Diesen Vorgaben komme der Vorschlag des Kronberger Kreises für einen flexiblen Kündigungsschutz am Arbeitsmarkt sehr nahe. Er bestehe im Kern darin, das Ob und das Wie eines Kündigungsschutzes der Freiheit der Vertragsparteien zu überlassen. Auf bestehende Arbeitsverhältnisse bezieht sich der Vorschlag nicht, weil hier bereits in Form verringerter Löhne für den Kündigungsschutz gezahlt wird.
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Der gesetzliche Kündigungsschutz soll als Auffanglösung eingreifen, wenn sich die Beteiligten nicht auf eine individuelle Lösung verständigen können. Falls es zu vertraglichen Standardisierungen komme, entstehe möglicherweise ein AGB-Problem. Seine Lösung dürfte in Händen der Rechtsprechung besser aufgehoben sein als beim Gesetzgeber des KSchG. In der anschließenden Diskussion wies Reuter den Arbeitsgerichten eine größere Verantwortung für arbeitsrechtsinduzierte Beschäftigungshindernisse zu: Indem sie arbeitsrechtliche Auslegung und Rechtsfortbildung im Kündigungsschutzrecht allein daran orientierten, Arbeitsplatzbesitzern Existenzschutz durch arbeitsrechtlichen Bestandsschutz zu gewähren, verschöben sie die Gewichte zu Lasten der Arbeitssuchenden. Letztere hätten aber ein ebenso ausgeprägtes und schützenswertes Bedürfnis nach Existenzschutz. Die von Möschel so genannten gefühlten Beschäftigungshindernisse des Kündigungsschutzrechts seien daher echte Beschäftigungshindernisse. Die Arbeitsgerichte ließen dabei zum einen die Rechtsprechung des BVerfG im WDR-Beschluss außer Acht. In dieser Entscheidung habe das Gericht ausdrücklich auch den Außenseiterschutz als relevanten Gesichtspunkt für das Kündigungsschutzrecht angesehen, auch wenn in späteren Entscheidungen darauf kein Rekurs mehr genommen worden sei. Zudem sei der Ansatz der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wertungswidersprüchlich. Wenn man den Existenzschutz als telos des Kündigungsschutzrechts ansehe, müsste man in der Konsequenz auch arbeitnehmerähnliche Personen in den Kündigungsschutz einbeziehen. Das geschehe in der Rechtsprechung jedoch nicht. Reuter schlug statt dessen vor, den Zweck des Kündigungsschutzrechts in einem Flankenschutz für die betrieblichen Rechte und Freiheiten der Arbeitnehmer zu sehen. Das Erfordernis der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung sei dann Ausprägung des allgemeinen Willkürverbots, die Tatbestände des § 1 Abs. 2 KSchG seien dessen (abschließende) Vertypung. Konzen sah mit Möschel mehr gefühlte denn echte Beschäftigungshindernisse des Kündigungsschutzrechts. Die Vorschläge des Kronberger Kreises beurteilte Konzen kritisch: Wer einen Arbeitsplatz habe, wechsele nicht in ein unsicheres Arbeitsverhältnis. Außerdem befürchtet er
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durch die vorgeschlagene Wahlmöglichkeit ein „race to the bottom“ für den Arbeitnehmerschutz. Als Beleg für die mangelnde Praxistauglichkeit individualvertraglicher Lösungen im Bereich des Kündigungsschutzrechts führte er die geringe Akzeptanz von § 1a KSchG an. Schließlich warf Konzen die Frage auf, ob das gesellschaftspolitische Ziel der Vollbeschäftigung überhaupt erreichbar sei oder ob man sich in Anbetracht der offenbar begrenzten Nachfrage nach Arbeit dabei nicht einer Illusion hingebe. Bydlinski wandte ein, der Ansatz des Kronberger Kreises passe nicht zur Ausgangsthese Möschels, wonach sich ein negativer Effekt des geltenden Kündigungsschutzrechts auf die Beschäftigung nicht belegen lasse. Die Vorschläge gingen vielmehr gerade davon aus, dass das Kündigungsschutzrecht eine beschäftigungshindernde Wirkung entfalte. Oetker wies darauf hin, dass sich das von Möschel skizzierte AGBProblem für die Lösung des Kronberger Kreises schon nach geltendem Recht stelle, da die Rechtsprechung § 310 BGB auf Arbeitsverträge anwende. Die vorgeschlagene Wahlmöglichkeit sei problematisch, weil sie denjenigen, der vom Normalstatut des Kündigungsschutzrechts abweichen wolle, einem hohen Rechtfertigungsdruck aussetze. Schließlich stellte Oetker die österreichische Abfertigungslösung als Alternative zum deutschen Kündigungsschutzrecht vor. Wadephul und Witzig hoben die Auswirkungen des Kündigungsschutzrechts aus Sicht der Arbeitgeber hervor. Nach Wadephul fühlten sie sich durch das Ergebnis der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG regelmäßig nicht in ihrer Einschätzung der Schutzbedürftigkeit bestätigt. Das geltende Kündigungsschutzrecht bedinge hohe Transaktionskosten bei der Entlassung von Mitarbeitern, was vor allem Kleinbetriebe belaste. Dem Vorschlag des Kronberger Kreises verhieß er geringe Aussichten auf politische Mehrheiten. Nach Witzig belaste die Arbeitgeber vor allem die rechtliche Unsicherheit über den Ausgang eines möglichen Kündigungsrechtsstreits. Wenn eine Kündigungsschutzklage erhoben werde, sei das Arbeitsverhältnis regelmäßig spätestens dadurch zerrüttet. Kreutz wies abschließend auf den Stellenwert einer Reform des Kündigungsschutzrechts für die Bewältigung der herrschenden Krise am Arbeitsmarkt hin.
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In seiner Erwiderung ging Möschel auf die Kernargumente von Reuter, Konzen und Oetker ein. Gegen Reuter sah er die Verantwortung für das Kündigungsschutzrecht beim Gesetzgeber, der unerwünschte Auswirkungen der Rechtsprechung korrigieren könne. In der Praxis könne sich ein Arbeitgeber nach geltendem Recht jedoch von jedem Arbeitnehmer trennen, fraglich nur zu welchen Kosten. Anders als Reuter sah Möschel in der Blockierung eines Arbeitsplatzes durch einen Arbeitnehmer keinen (negativen) externen Effekt auf Arbeitssuchende. Konzen stimmte er in der Einschätzung zu, die wesentlichen Ursachen für die Beschäftigungskrise seien nicht im Kündigungsschutzrecht zu suchen. Vielmehr führe die Globalisierung dazu, dass die wirtschaftliche Situation der deutschen Unternehmen und diejenige der Langzeitarbeitslosen zunehmend unterschiedlich verlaufe. Die von Oetker ins Gespräch gebrachte österreichische Abfertigungslösung steigere die Arbeitskosten, die die Arbeitgeber aber auf die Arbeitnehmer und Dritte abwälzten. Eine vollständige Abschaffung des Kündigungsschutzrechts würde letztlich nur zu Einsparmöglichkeiten bei der Justiz führen.
Formale Freiheitsethik und andere Ethiken im Privatrecht Franz Bydlinski
Erlauben Sie mir mit zwei persönlichen Vorbemerkungen zu beginnen, von denen die zweite schon zu unserem Sachthema hinüberführt. Zunächst: Ich bin mit angenehmen nostalgischen Gefühlen, nämlich mit einer starken Erinnerung an längst vergangene Jugendtage nach Kiel gekommen. Mein erster und bisher einziger Aufenthalt in dieser Stadt liegt schlichte 43 Jahre zurück. Ich kam damals her, um auf Grund meiner ersten Berufung an eine deutsche Universität mit dem Kultusministerium und mit der Fakultät zu verhandeln. Lebhaft ist mir die fürsorgliche Betreuung durch meine damaligen Kieler Fachkollegen im Gedächtnis geblieben. Dass ich dann nach Bonn ging, änderte nichts daran, dass ich die Kieler Berufung als hohe Auszeichnung für die Bemühungen eines damals jungen Mannes empfunden habe. Zum Zweiten will ich bekennen, dass ich die Einladung zur Teilnahme an der heutigen Veranstaltung zu Ehren von Dieter Reuter besonders gern angenommen habe: Reuter gehört zu den heute nicht sehr zahlreichen Privatrechtswissenschaftlern, die sich immer wieder um systematischen Tiefgang durch Zurückgehen auf grundlegende Wertungen und Strukturen bemühen. Aus diesem Grund ungewöhnlich wichtig war mir vor allem sein und Martineks großes Bereicherungsrecht.1 Es hat mir für weite Teile dieses Rechtsgebietes überhaupt erst einen neuerlichen Zugang verschafft, nachdem ich an der Unübersichtlichkeit und Verworrenheit der Diskussion bereits resigniert hatte. Das Werk zeigt exemplarisch, dass der von manchen erhobene Vorwurf, das deutsche Bereicherungsrecht leide unter zu viel Dogmatik, in sein Gegenteil verkehrt werden muss, wenn man unter Dogmatik nicht den Austausch unterschiedlicher und manchmal eher durch Originalität als durch Begründetheit gekennzeichneter Meinungen, sondern systematische Analyse versteht. 1 Reuter-Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung (1983); dazu Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996) 233 ff (laufend).
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Weiter hat mir Reuters Eingehen auf die Grundlagen des Arbeitsrechts2 bei meinen systematischen Bemühungen um dieses Rechtsgebiet einen wertvollen und überzeugenden Ansatz geboten. Auf die Wertungsgrundlagen des Privatrechts am tiefsten hat sich Reuter aber durch seine Plädoyers für eine formale Freiheitsethik gegenüber dem Einfluss einer materialen Verantwortungsethik eingelassen.3 In diesem Zusammenhang bin ich auch unmittelbar angesprochen, weil sich Reuter in energischer Kritik mit einer einschlägigen älteren Arbeit von mir auseinandergesetzt hat.4 Ich konnte darauf bisher nur in einem Satz im Vorwort meines Buches über System und Prinzipien des Privatrechts replizieren.5 Ein näheres Eingehen auf die Kritik scheint mir aber vor allem deshalb angezeigt, weil ich der Überzeugung bin, dass meine Positionen nicht nur in vielen Einzelheiten, sondern auch in der grundsätzlichen Hochschätzung des für das Privatrecht ja jedenfalls prägenden Freiheitsgedankens viel stärker mit seiner eigenen Grundtendenz übereinstimmen als seine Kritik vermuten lässt.6 Das materielle Privatrecht ist ja schon durch sein wesensgemäßes Abstellen auf die rechtlichen Handlungen und Unterlassungen der Privatrechtssubjekte untereinander von unmittelbarer staatlich-hoheitlicher Ingerenz im Ansatz abgehoben und dadurch in der Lage, die Elemente freier Wirtschaftstätigkeit, eigenständiger Persönlichkeitsentfaltung und freier Vereinigungen zu konstituieren, die für unseren Rechtsordnungstyp so kennzeichnend sind. Ein besonderer Reiz des heutigen Themas ist für mich also die Möglichkeit der Frage nachzugehen, ob und wieweit die zwischen Reuter und
Die Stellung des Arbeitsrechts in der Privatrechtsordnung (1985); dazu Bydlinski aaO 555 ff. 3 Die ethischen Grundlagen des Privatrechts – formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik? AcP 189 (1989), 199 ff (künftig: Reuter I; gekürzte Vortragsfassung auch in Pappi (Hrsg), Wirtschaftsethik 1989, 113 ff); Freiheitsethik und Privatrecht in: Bydlinski/Mayer-Maly (Hrsg), Die ethischen Grundlagen des Privatrechts (1994), 105 ff (künftig: Reuter II). 4 Bydlinski, Die praktische Bedeutung der Rechtsethik und die Möglichkeiten ihrer Vermittlung, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Rechtsethik und Rechtspraxis (1990), 11 ff. 5 Vorwort X. 6 Vgl. nur etwa meine kleine Schrift „Das Privatrecht im Rechtssystem einer Privatrechtsgesellschaft“ (1994); zu übereinstimmenden Einzelheiten weiter unten. 2
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mir aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten zu überbrücken oder zu relativieren sind. In der Sache selbst möchte ich überlegen, ob und wie weit die Beschränkung der rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts auf die beiden Kategorien der formalen Freiheitsethik und der materialen Verantwortungsethik und ihre scharfe Kontrastierung sachadäquat sind. Ferner möchte ich der Frage nachgehen, ob und wie der Rückgriff auf die rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts für die bessere Wahrnehmung der juristischen Aufgaben hilfreich sein kann. Solche Zuspitzung auch eher theoretischer Probleme auf die praktische juristische Arbeit ist mir immer besonders wichtig. Im Rahmen dieser Fragestellungen werde ich in der Folge für vier Thesen argumentieren: 1. Scharfe und ausschließliche Gegenüberstellung von formaler Freiheitsethik und materialer Verantwortungsethik entspricht bloß, aber immerhin den Zwecken einprägsamer Verdeutlichung und damit der Förderung eines entsprechenden Problembewusstseins in Bezug auf unnötige oder unverhältnismäßige Freiheitsbeschränkungen. 2. Für die Zwecke der juristischen Arbeit ist solche scharfe Kontrastierung aus mindestens zwei Gründen hingegen nicht am Platz: Die beiden genannten Ethiken sind tatsächlich und notwendigerweise nebeneinander stehende Grundlagen aktueller Rechtsordnungen, weil diese sich auf durchaus unterschiedlichen, aber doch jedenfalls mittleren Linien zwischen den Extremen bewegen. Auch handelt es sich bloß um unscharf umschriebene Wertungstendenzen, sodass der Sinn scharfer Kontrastierung schon an sich problematisch bleibt. 3. Die Beschränkung gerade auf die beiden genannten Ethiken ist zu eng, weil die ethischen Grundlagen des Privatrechts auch bei Präzisierung der beiden ausschließlich gegenübergestellten Ethiken allein mit ihrer Hilfe nicht geklärt werden können. 4. Die praktische rechtliche Verwertbarkeit des Rückgriffs auf die rechtsethischen Grundlagen hängt davon ab, dass man statt ganzer Ethiktheorien oder Ethiksysteme die jeweils rechtlich relevanten nor-
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mativen Grundwertungen der verschiedenen Ethiken untersucht, ihre Auswirkungen im geltenden Recht ermittelt und sie so im Sinne eines rechtlichen Prinzipdenkens7 für die Rechtsanwendung und die Rechtssetzung fruchtbar macht. Das Phänomen der oft bestehenden Prinzipkollisionen steht dem nicht entgegen, weil und soweit es durch optimierende Prinzipienabwägung im Rahmen des Möglichen bewältigt werden kann. Selbstverständlich kann ich diese Thesen nur in einem Rahmen erörtern, der durch die zeitlichen Grenzen eines Vortrages und viel mehr noch durch die Beschränktheit meiner Fachkompetenz sehr eingeschränkt ist. Selbstverständlich kann es nicht etwa darum gehen, alle vielleicht relevanten Ethiktheorien mit allen einschlägigen Problemen des Privatrechts zu konfrontieren. Wenn mein Vortragstitel etwas Derartiges nahelegen sollte, so ist er mir mit Sicherheit viel zu weit geraten. Zu 1.:
Der plakative Hinweis Reuters auf vielfache unnötige oder unverhältnismäßige Freiheitsbeschränkungen im geltenden Recht und in der neueren Rechtsentwicklung ist mE durchaus am Platz. In einer Zeit, in der viele, manchmal auch mit tatsächlichen Folgen, von Privatisierung sprechen und in der anderseits Vorwürfe wie Globalisierung, Turbokapitalismus oder Neoliberalismus (der bekanntlich in Wahrheit ein Liberalismus mit staatlicher Verantwortung für den Wettbewerb ist) die Politik und die Medien weithin beherrschen, mag diese Behauptung auf Verwunderung stoßen. Reuter hat sie jedoch mit zahlreichen Beobachtungen wichtiger Züge der Rechtsentwicklung untermauert.8 Das gilt vor allem für die grundsätzliche Herausarbeitung 7 Die eigene Auffassung dazu ist in Verarbeitung der wichtigsten Stellungnahmen entwickelt und dargestellt in: Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), 121 ff und ergänzend in: System und Prinzipien 24, Anm. 26; vgl. auch die Nachweisungen unten in Anm. 89. 8 Er nennt insbesondere Preiskontrollen, Versuche, die Privatautonomie durch eine „Sozialautonomie“ zu ersetzen, die Vorstellung vom Menschen als Klassenwesen mit uniformen Interessen; die Vorstellung vom Mieter und Arbeitnehmer als dem „geborenen Schwächeren“ mit den Konsequenzen der Versorgungsengpässe für Wohnungssuchende und Arbeitslose; generell von im Namen materialer Verantwortungsethik konzessionierten primären Freiheitsbeschränkungen mit der Verzögerung notwendiger Anpassungsprozesse; die Ausrichtung des Privatrechts
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von erheblichen Effektivitätsverlusten durch falsch dosierte Freiheitsbeschränkungen. Dem lassen sich hier noch einige mehr aphoristische Hinweise anfügen, die die grundsätzliche Kritikrichtung von Reuter weiter plausibel machen können. Vielfache Kalamitäten dürfte vor allem darauf beruhen, dass die Politik (einschließlich der Politik der Verbände) und die von ihr angestoßene Bürokratie mit medialer Assistenz weithin und vor allem immer wieder in zahlreichen Details nach dem Motto: „Immer mehr von demselben“ verfährt. Wo immer rechtliche Grundlagen einschließlich von Regeln zur Missbrauchsabwehr statuiert sind, werden, damit etwas zu geschehen scheint, ununterbrochen Verschärfungen vorgenommen, die irgend eine Seite als „Erfolg“ vorweisen kann und die jedenfalls in ihrer Gesamtheit bedenklich sind. Man denke nur an die laufenden Änderungen etwa im Kartell- und im Verbraucherrecht oder die immer mehr vergrößerte Schadenshaftung, die die Freiheit der Beteiligten einengt. Das vermutliche Ziel, für jeden Schaden einen Haftenden zur Stelle zu schaffen, kann selbstverständlich dennoch nicht erreicht werden. Ähnliches gilt für die ständige Ausweitung verwaltungsrechtlicher Zustimmungsnotwendigkeiten für alles und jedes. Im wirtschaftsrechtlichen Teil des Privatrechts ist es keine allzu große Übertreibung, dass viele Unternehmer bei jeder Preisgestaltung in Gefahr sind, entweder ein kartellrechtlich relevantes abgestimmtes Verhalten angelastet zu bekommen, wenn sie die gleichen Preise verlangen wie ihre Konkurrenten, oder der Preistreiberei bzw des Preismissbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung beschuldigt zu werden, wenn sie mehr verlangen, oder des Dumpings bzw des missbräuchlichen Drucks gegen ihre Lieferanten, wenn sie niedrigere Preise fordern.
auf Unterstützungsfunktionen für soziale Ziele der staatlichen Gemeinschaft oder gar der Menschheit insgesamt; die Sozialplanpflichtigkeit; die Tarifautonomie als marktkonträre Regelung (Reuter I); ferner werden angesprochen der Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, weit getriebene Informationspflichten; die ständige Expansion der „richterlichen Inhaltskontrolle“ bei Verträgen in Verbindung mit hier besonders bedenklichem Rechtsprechungspositivismus; die autoritäre Fürsorge im Körperschaftsrecht und übertriebene Treuepflichten (Reuter II). Unten wird im einzelnen gezeigt, dass die Kritik Reuters bei näherem Zusehen nur die Übertreibungen in den genannten Richtungen trifft.
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Ein klassisches Beispiel für offenbar ohne jede vernünftige Abwägung vorgenommene staatliche Freiheitsbeschränkungen lieferte aktuell ein hoch entwickelter Staat im Landes des angeblich hemmungslosesten Kapitalismus: in Kalifornien hat man es politisch fertig gebracht, wohlfunktionierende Gesellschaften der Elektrizitätswirtschaft und damit die Stromversorgung binnen weniger Monate beinahe zu ruinieren, weil ihre Einstandskosten entsprechend den Marktbewegungen gestiegen sind, aber ihre Verkaufspreise bürokratisch so reglementiert waren, dass sie mit Verlust verkaufen mussten. Die sehr rasch katastrophalen Folgen scheinen dennoch überraschend gekommen zu sein. Vermutlich haben dann nur massive staatliche Subventionen das Ärgste abwenden können. Die Europäische Union, die unter dem Leitziel der freien Wirtschaft angetreten ist und in dieser Beziehung gewiss viel bewirkt hat, ist einerseits der größte Subventionsgeber überhaupt und nimmt andererseits in wirklich erstaunlichem Umfang auf die einzelnen wirtschaftlichen Vorgänge in den Mitgliederstaaten bürokratischen Einfluss, was die zunehmende Skepsis der Europäer zureichend erklärt. Österreich musste zB durch intensive Verhandlungen erwirken, dass die „Marmelade“ weiter so – und nicht „Konfitüre“ – heißen darf; ferner, dass das drohende Verbot der Verwendung von Holzplatten als Unterlage für kalte Speisen, die in den österreichischen Heurigen Tradition hat, abgewendet werden konnte. Diese Fälle haben wegen ihrer Skurrilität und wegen der notwendigen und erfolgreichen Abwehrverhandlungen Aufsehen erregt: In wieviel anderen Fällen vergleichbare bürokratische Reglementierungen in Geltung getreten sind, dürfte kaum mehr jemand überblicken können. Weiter: Erst kürzlich hat der EuGH unter dem Leitziel des freien Hochschulzuganges eine Entscheidung getroffen, die mit Selbstverständlichkeit gerade umgekehrt stark freiheitsbeschränkend wirken muss: In Österreich war Personen mit ausländischem Abitur der Hochschulzugang nur dann eröffnet, wenn sie auch im Staat des Reifezeugnisses für das gewählte Fach studienberechtigt, also nicht etwa durch den numerus clausus ausgeschlossen waren. Für österreichische Maturanten galt dagegen ungeachtet der Überfüllung mancher
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Fächer der ungehemmt freie Hochschulzugang; und zwar geradezu als politisches Tabu. Der EuGH hat es nun für eine europarechtswidrige Ausländerdiskriminierung erklärt, dass auch in Österreich die heimatlichen numerus clausus-Regeln für ausländische Abiturenten wirksam waren. Wieso es freilich eine Diskriminierung sein soll, wenn jedermann, also Ausländer wie Inländer, nach seinem heimatlichen Studienzulassungsrecht behandelt wird, ist bereits unverständlich. Ausländerdiskriminierung wird anscheinend nur vermieden, wenn man den Ausländer besser behandelt als nach seinem Heimatrecht. Das kann wohl nur aus expansionistisch-zentralistischen Tendenzen der Anwendung von Europarecht erklärt werden. Vor allem aber: Es ist offenbar finanziell ganz ausgeschlossen, dass Österreich den schlechteren Teil insbesondere der Medizininteressenten aus dem viel größeren Deutschland zulässt und auf seine Kosten ausbildet. Die selbstverständliche Folge, die nur von einigen Studentenvertretern kraft Wunschdenkens für vermeidbar gehalten wird, muss sein, dass nunmehr in Österreich Studienzugangsbeschränkungen auch für die Österreicher eingeführt werden, die die uferlose Vermehrung der Studentenzahlen im Zaume halten. Im Einzelnen werden dazu unterschiedliche Varianten diskutiert. Wie immer die Lösungen ausfallen, ist doch klar, dass sie den ungehemmten gesamteuropäischen Hochschulzugang in Österreich und die Studentenzahlen in den überlaufenen Fächern etwa auf die bisherige Frequenz beschränken müssen. Der Zugang von Ausländern wird also gewiss nicht wesentlich erleichtert werden können, während für die österreichischen Studenten bisher unbekannte Einschränkungen eintreten werden. Das mag unter manchem Gesichtspunkt ganz vertretbar sein. Doch bleibt es dabei, dass im Namen der Freiheit (von Diskriminierung und des Hochschulzuganges), in Wahrheit freilich im Namen eines zentralistischen Egalitarismus, insgesamt wesentlich stärkere Restriktionen ausgelöst werden. Schon die wenigen vorgetragenen Beobachtungen machen hoffentlich zusätzlich plausibel, wie wichtig es ist, in nachdrücklicher Weise an die Notwendigkeit zu erinnern, einer umfassend verstandenen Freiheit gegenüber der unzureichend reflektierten Gewöhnung an zunehmende Einschränkungen, die unter den verschiedensten Vorwänden
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vorgenommen werden, mit Nachdruck mehr Geltung zu verschaffen. Das Verdienst Reuters, als Gegengewicht zur täglichen Reglementierungsflut den hohen Wert der Freiheit im Privatrecht wieder mit Nachdruck unterstrichen zu haben, ist daher kaum zu überschätzen. Zu 2.:
Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit gewichtiger Beachtung der Freiheitsidee ist bereits der Übergang zur zweiten These erfolgt. Diese Beachtung bedeutet nämlich keineswegs, dass für diese Wertungstendenz Alleinherrschaft beansprucht wird oder beansprucht werden kann. Unverdächtiger Zeuge dafür ist Reuter selbst, der sein Plädoyer für die formale Freiheitsethik zwar zunächst – und zur Bewusstseinsbildung, wie gesagt, zweckmäßig – in voller Antithese zur „materialen Verantwortungsethik“ beginnt. Er grenzt sich im Ansatz gegenüber denen ab, die anstelle seiner scharfen Alternative (vgl das „oder“ im Untertitel seines ersten Aufsatzes) eine Verbindung beider Ethiken konstatieren oder befürworten.9 In den Einzelheiten ist er freilich bei weitem nicht so rigoros. Er bezeichnet die Hoffnung auf eine reibungslose Integration der materialen Verantwortungsethik als „gedämpft“,10 was freilich eine unter einigen Reibungsverlusten erfolgende Integration in das Privatrechtssystem nicht ausschließt. Sodann spricht er nicht nur von den Möglichkeiten, sondern auch von den „Grenzen“ 11 einer Renaissance der formalen Freiheitsethik im Privatrecht. Weiter betont er, dass das Privatrecht keineswegs auf „seine Ordnungsaufgabe verzichten“ solle.12 Im Einzelnen akzeptiert Reuter die Erhöhung staatlicher Beihilfen insbesondere für Mieter in vorübergehender Notlage und die Befriedigung des sozialstaatlichen Anspruches auf ein Mindesteinkommen durch Sozialhilfe,13 was beides durchaus auch eine Umverteilung von Marktergebnissen darstellt, sowie eine staatliche Sorge dafür, dass die
9 10 11 12 13
In der Einleitung seines ersten Aufsatzes. I, 201. I, 205 f. I, 214 ff. I, 209.
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Konzentration von Produktionsvermögen abnimmt,14 was ohne Eingriff in die formale Freiheit der Beteiligten schwerlich abgeht. In diesem Zusammenhang wird die bedeutsame Information gegeben, dass im damaligen Zeitpunkt – 1989 – das Sparvermögen der privaten Haushalte in Deutschland das Vierfache des gesamten Eigenkapitals der deutschen Unternehmen betrug. Organisationen von Märkten durch Kartellabsprachen und für Unternehmensträger durch kautelarjuristische Regelwerke, durch die der Marktgegenseite oder den Gesellschaftsnachfolgern bestimmte Ergebnisse auferlegt werden sollen, können sich nach Reuter – offenbar wegen der angestrebten und erreichten Drittwirkung – nicht auf die formale Freiheitsethik stützen.15 Hier wird die Freiheitsidee selbst mit gutem Grund als stärker „material“ verstanden. Denn für eine rein formale Sicht müsste die Vertrags- und Handlungsfreiheit der Kartellanten bzw der Unternehmensorganisatoren eigentlich ausreichen. Sehr deutlich schreibt aber Reuter diesbezüglich,16 dass Freiheit nicht nur Voraussetzung, sondern auch Aufgabe des Privatrechts sein muss; ebendort wird auch die „rechtliche“ von der „realen“ Freiheit unterschieden. Auch rechtliche Reaktionen auf fehlende Selbstbehauptungsfähigkeit werden für das Privatrecht der formalen Freiheitsethik akzeptiert; auch wenn diese auf wirtschaftlicher Unterlegenheit beruhen. Dafür wird auf das längst bestehende Wucherverbot von § 138 Abs 2 BGB hingewiesen.17 Die Einschränkung soll allerdings nur für nicht näher bestimmte Grenz- und Ausnahmefälle gelten.18 Zutreffend wird bei Reuter weiter unterstrichen, dass Freiheit mit der Verantwortung für die Folgen ihres Gebrauches verbunden sein I, 211. I, 214 ff, ähnlich in II, 209. 16 II, 114. 17 I, 217; vgl. auch II 110. 18 Die paradigmatische Bedeutung des Wucherrechts im vorliegenden Kontext unterstreichen auch deutlich meine einschlägigen Ausführungen; vgl. Bydlinski, System und Prinzipien, 753 f. Dort erfolgt insoweit eine Präzisierung, als – wie in § 138 Abs 2 BGB – neben der fehlenden Selbstbestimmungsfähigkeit für die „Grenz- und Ausnahmefälle“ die massive Inäquivalenz des Vertragsinhaltes hervorgehoben wird. 14 15
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muss.19 Die dadurch geforderte Schadenshaftung begrenzt aber selbstverständlich und mit gutem Grund, insbesondere durch die vorausliegenden, die Rechtswidrigkeit begründenden Verbote oder Gebote, die Handlungsfreiheit der betroffenen Privatrechtssubjekte gegen ihren Willen; freilich nur um die der anderen Beteiligten – oder soziale Interessen20 – zu sichern. Eindrucksvoll ist weiter, dass Reuter die Sozialplanpflichtigkeit mancher Kündigungen als Ausgleichsanspruch bei Betriebsänderungen mit nachteiligen Folgen für wesentliche Teile der Belegschaft rechtfertigt.21 So sehr dies zutrifft, ist doch die Vereinbarkeit mit einer einseitigen formalen Freiheitsethik schwerlich gegeben.22 In der späteren Arbeit postuliert Reuter für die Marktwirtschaft ein maßgeblich auf Freiheitsethik beruhendes Privatrecht.23 Wenn Ungerechtigkeit unerträglich groß sei, müsse das Recht hingegen intervenieren.24 Am Beispiel des Kündigungsschutzes hebt Reuter hervor, dass gegen diesen (ungeachtet seiner Eigenschaft als wichtiges Beschäftigungshindernis) als Schutz vor willkürlicher Entlassung und als Mittel der Anpassung an die typischerweise eingeschränkte Mobilität der Arbeitnehmer kein Einwand zu erheben sei, dass dabei jedoch schwierige Balanceakte zu bewältigen seien. In einem „Entdeckungsverfahren Praxis“ sei zwischen Schutz- und Freiheitsethik die richtige Gangart herauszufinden.25 Auch das ist vollkommen überzeugend, weicht aber explizit von einer einseitigen privatrechtlichen Freiheitsethik ab. Das oder“ im Untertitel des ersten Aufsatzes wird offensichtlich zum „und“. Weiter: Der Schutz des Schwächeren stehe „zu Recht“ im Vordergrund gegenwärtiger ReethisierungstenI, 220. I, 220. 21 I, 221. 22 Völlig zutreffend ist, dass die Defekte des Privatrechts aus dem 19. Jahrhundert durch Fortentwicklung der damals schon gewonnenen Einsichten in einer Weise überbrückt werden können, die den aktuellen Problemlagen entspricht. In diesem Punkt besteht völlige Übereinstimmung; vgl. Bydlinski, System und Prinzipien, 768 f. 23 II, 108. Ich bin ganz derselben Meinung; freilich mit der Bemerkung, dass „maßgeblich“ nicht „ausschließlich“ bedeuten kann. 24 II, 110. 25 II, 113. 19 20
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denzen im geltenden Wirtschaftsprivatrecht. Es sei nicht zu bestreiten, dass dieser Schutz im 19. Jahrhundert allzu oft vernachlässigt wurde.26 Das entspricht in der Sache völlig dem bei mir seinerzeit ausgedrückten Bedauern über den Teilverlust des Naturrechts im 19. Jahrhundert, das auch den Schutz des Schwächeren bezweckte.27 Gegen diese Aussage richtet Reuter jedoch in der Einleitung seines zweiten Aufsatzes zunächst seine energische Kritik.28 Zur Verteidigung dagegen genügt im Grunde der Hinweis auf seine zitierte, im Aufsatz spätere Aussage von der Vernachlässigung des Schutzes des Schwächeren. Seine zusätzlichen, historischen Argumente gegen meine Position schlagen für sich allein nicht durch. Die mir vorgeworfene Vernachlässigung der Schutztendenzen öffentlich-rechtlicher Gesetzgebung ist schon dadurch relativiert, dass die entsprechenden Rechtsakte, vor allem wohl die „Erfindung“ der Sozialversicherung und die Aufhebung des strafrechtlichen Verbotes der Koalitionsbildung, erst spät und mehr aus pragmatischen Gründen ohne besondere Abstützung auf vernunftrechtliche Erkenntnisse erlassen wurden. Die weitere Kritik, ich hätte die Veränderungen der Gesellschaftsund Wirtschaftstheorie (zum Liberalismus) im 19. Jahrhundert übergangen; ein Recht, das sich statt des Schutzes der Freiheit des Menschen die Durchsetzung der Gebote sittlichen Handelns zum Ziel gesetzt hätte, wäre in der sich entwickelnden Marktwirtschaft tendenziell ein Störungsfaktor geworden; meine Kritik sei eigentlich eine Kritik daran, dass sich das Recht nicht als solcher Störungsfaktor profiliert habe,29 trifft aus zwei Gründen nicht zu. Zunächst war das Vernunftrechtsdenken der Kodifikationszeit (des ABGB, des Code civil und des ALR) seinerseits eine umfassende, aber von vornherein rechtsbezogene „Gesellschaftstheorie“. Ihre Weiterentwicklung wäre selbstverständlich notwendig gewesen; ihre völlige Ablehnung und Ignorierung war hingegen fachlich unvertretbar und hatte, jedenfalls 26 27 28 29
II, 113 ff. In der Anm. 4 zitierten Arbeit. II, 105 ff. II, 107 ff.
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als eine Mitursache, die von mir kritisch aufgewiesenen Wirkungen herbeigeführt. Sodann ging es dem Vernunftrecht keineswegs darum, „die“ (welche?) Gebote des sittlichen Handelns per se durchzusetzen, sondern das bestehende Recht zu verbessern, wo dies auf Grund einsichtiger Kriterien geboten erschien. Dabei wurde selbstverständlich in weitem Umfang die vorausgehende reale Rechtsentwicklung, insbesondere das gemeine Recht, berücksichtigt und einbezogen.30 Der eigene Beitrag des Vernunftrechts, wie es sich etwa im österreichischen ABGB niedergeschlagen hat, bestand gerade in der starken Öffnung für die Maximen der Freiheit und Gleichheit, die Zeiller, der Hauptredakteur des ABGB; im Anschluss an Kant übernommen hatte.31 Daher hat das ABGB insbesondere schon 1811 umfassende Persönlichkeitsrechte („angeborene Rechte“) für jedermann eingeführt; unter diesen das „Urrecht“ der Menschenwürde (§ 16 ABGB). Die Bestimmung ist freilich in ihrer geltend gewordenen, nur technisch sehr verkürzten Fassung eine bloße Generalklausel, die aber in historischer Auslegung aus den ausführlicheren Vorentwurfsbestimmungen32 und, was die Menschenwürde anlangt, eindeutig aus den Ausführungen Zeillers33 konkretisiert werden kann und muss. Es handelt sich hier um Regeln und Institute, die als Persönlichkeitsrechte im deutschen Recht erst etwa 11/2 Jahrhunderte später unter dem Eindruck furchtbarer Unrechtserfahrungen aufgenommen wurden. Die privatrechtlichen Persönlichkeitsrechte haben im Zuge der Entwicklung zum Rechtsstaat in der Anwendung ihrer Grundmaxime, des individuellen Persönlichkeitsschutzes, auf die Staatsrichtung die historisch späteren verfassungsrechtlichen Grundrechte nach sich gezogen. Der historische Aspekt von Reuters Kritik trifft also keineswegs zu.
Wesener, Zur Verflechtung von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre, FS Bydlinski (2002), 473 ff. 31 Zu Zeiller jüngst ausführlich Wesener, Franz von Zeiller (1751–1828); Leben und Werk, in: Desput-Kocher (Hrsg), Franz von Zeiller (2003), 67 ff. 32 §§ 29 ff des Entwurfes Martini aus 1797. 33 Das natürliche Privatrecht3 (1819), 65, 70; zur aktuellen Sicht Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), 176; dem zustimmend der österr. VfGH JBl 1995, 105. 30
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Freilich ist sofort hinzuzufügen, dass bei der Erlassung des ABGB der öffentlich-rechtliche Zustand der Absolutismus war, also weit hinter dem Privatrecht zurückblieb. Auch hat leider der Einfluss der – persönlichkeitsrechtsfeindlichen – historischen Rechtsschule im Sinne Savignys auch in Österreich dazu geführt, dass § 16 ABGB als Grundlage für Persönlichkeitsrechte sehr langfristig völlig weginterpretiert wurde.34 Das dauerte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Dies bestätigt freilich nur mein Bedauern über den Verlust der vernunftrechtlichen Grundlagen in der Privatrechtsentwicklung während des 19. Jahrhunderts. Diese Grundlagen hätten durchaus neben Freiheitsund Gleichheitsmaximen auch den Schutz des Schwächeren eingeschlossen.35 In einer ganzen Reihe von Einzelfragen konstatiert Reuter heute zustimmend und ausdrücklich einen Schutz des Schwächeren. Das gilt etwa für die Familienbürgschaft unter dem Gesichtspunkt der Zwangslage36 und für die richterliche Inhaltskontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen als „folgerichtig“.37 Darüber hinaus wird diese Kontrolle mit berechtigter Ablehnung ausufernder Tendenzen über-
Zur Kritik etwa Bydlinski, Der Ersatz ideellen Schadens als sachliches und methodisches Problem, JBl 1965, 173 ff und 237 ff mit vielen weiteren Angaben; zum Judikaturwandel, der eine Rückkehr zum Gesetz bedeutete, vgl. die zahlreichen neueren Entscheidungen, die bei Dittrich-Tades, ABGB36 (2003) zu § 16 unter E 1 ff nachgewiesen sind. 35 Zeiller bestimmt seinen Kodifikationsgrundsatz der „Gerechtigkeit“ des Gesetzes gerade durch die vernunftrechtlichen Hauptgrundsätze, nämlich Freiheit und Gleichheit. Er bezieht aber durchaus den Schutz des Schwächeren ein. Vgl. zu den Kodifikationsgrundsätzen Zeiller im Einführungsvortrag im der Sitzung der Hofkommission in Gesetzessachen am 21.12.1901, publiziert bei Ofner, Protokolle I, 1 ff; ausführlicher später in Zeillers Zeitschrift „Vorbereitung zur neuesten österreichischen Gesetzeskunde“ 1806–1809; wiederabgedruckt I (1810) in den Abhandlungen „Notwendigkeit eines bürgerlichen einheimischen Gesetzbuches“ 1 ff sowie „Eigenschaften eines bürgerlichen Gesetzbuches“ 40 ff; wiederabgedruckt bei E Wolf (Hrsg), Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft (1949), 235 ff und bei demselben (Hrsg), Grundzüge der Gesetzgebung (1944). Jüngst zu den Kodifikationsgrundsätzen Schilcher, Rechtsprinzipien als Grundlage von Kodifikationen, in: Desput-Kocher (Hrsg), Franz von Zeiller (2003), 24 ff. Zum Schutz des Schwächeren schon § 33 des Entwurfes Martini. 36 II, 115. 37 II, 115. 34
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haupt akzeptiert38 und betont, dass die Selbstverantwortung im Rechtsverkehr das Ansinnen zumutbarer Opfer bei der selbständigen Wahrnehmung der eigenen Interessen einschließt. Erst (aber immerhin!) wo die Abwehr unangemessener Vertragsbedingungen durch Ablehnung des Vertragsschlusses unzumutbare Opfer erfordert, müsse das Recht für Angemessenheit sorgen, um seiner ethischen Verantwortung gerecht zu werden.39 Die Unzumutbarkeit ergibt sich mE besonders aus krassen inhaltlichen Inäquivalenzen.40 Auch Aufklärungspflichten des intellektuell Stärkeren werden von Reuter als Mittel realer Freiheit des Unterlegenen beim Abschluss von Verträgen begrüßt.41 Für das Familienrecht, gewiss ein zentrales Systemglied des Privatrechts, konstatiert Reuter die Auswirkungen einer „Nahbereichsmoral“ und dementsprechend höhere ethische Anforderungen. Sie führen dazu, dass dieses Rechtsgebiet auch weiterhin nicht auf der Freiheits-, sondern auf der Verantwortungsethik beruhen sollte.42 Die explizite Aussage zum Familienrecht, aber auch die vorher zitierten Äußerungen Reuters zeigen deutlich, dass er entgegen dem ersten Anschein, der aus seiner scharfen Entgegensetzung von formaler Freiheitsethik und materialer Verantwortungsethik als Grundlagen des Privatrechts resultiert, dieses Rechtsgebiet doch keineswegs ausschließlich der ersteren zurechnet. Auch wird die interne Freiheitsproblematik durch mehrfache Unterscheidung von rechtlicher und – als Aufgabe verstandener – realer Freiheit sehr deutlich gemacht.
II, 115 ff. In diesem Zusammenhang wir der vielfach praktizierte oder propagierte Rechtsprechungspositivismus als im Verhältnis zum wissenschaftlichen und zum Gesetzespositivismus noch bedenklicher betrachtet (II, 117); eine Aussage, die nur nachdrücklich unterstrichen werden kann. 39 II, 118. 40 System und Prinzipien 158 ff, 755 ff. Dazu kommen unverhältnismäßige Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsschutzes und primär freiheitsbeschränkende Wirkungen von Verträgen. 41 II, 122. 42 II, 124, 128. 38
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Eine Aufklärung der wohl nur scheinbaren Disharmonie zwischen der scharfen Antithese der beiden Ethiken als Ansatz und der sachgerechten Differenzierung in der Ausarbeitung könnte darin liegen, dass unter einer Ethiktheorie oder einem Ethiksystem ein durchaus differenziertes Gedankengebilde zu verstehen ist, das man aber nach seinen nicht ausschließlichen, aber doch deutlich im Vordergrund stehenden normativen Maximen benennen kann.43 Dann ist die Neigung verständlich, das Privatrecht schlechthin für das Freiheitsprinzip in Anspruch zu nehmen, wenn der hohe Rang dieses Prinzips in unserem Rechtsgebiet unterstrichen werden soll. Doch entspricht es der Realität besser und ist daher überzeugender, schon im Ansatz von einem Mischungsverhältnis auszugehen, das ständig und jeweils den Umständen entsprechend neu erarbeitet werden muss und das heute aus Gründen des Gegengewichts zu einer selbsttätig expandierenden Bürokratisierung und wegen der zunehmenden Überforderung des Staates wieder mehr in Richtung Freiheit gehen sollte. Dass es im geltenden Recht und auch in früheren rechtshistorischen Epochen sowie in der voraussehbaren Zukunft um die „Balance“ zwischen den zentralen Wertungstendenzen geht, entspricht der Alltags- wie der fachlichen Erfahrung. Das ist aber auch das zentrale Ergebnis einer in mancher Beziehung bemerkenswerten neueren Schrift von Marietta Auer,44 die eine funktionell mE der Antithese von formaler Freiheits- und materialer Verantwortungsethik entsprechende Gegenüberstellung zwischen „Individualismus“ und „Kollektivismus“ als dauernde Antinomie des „Privatrechtsdenkens“ kennt und diesbezüglich das Privatrechtsdenken auf die historisch stets wechselnden Kompromisse zwischen diesen beiden Extremen verweist, die in Reinkultur gar nicht vorkommen können.45 Vgl. Pieper, Einführung in die Ethik3 (1994), 203 ff zu den Grundtypen ethischer Theorien; von der Pfordten, Rechtsethik (2001), 99 und 113 zu den rechtsethischen „Grundkategorien“. 44 Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit. Generalklauseln im Spiegel der Antonomien des Privatrechtsdenkens (2005). 45 AaO 11. Die weiteren von der Verfasserin ins Auge gefassten Gegensätze im „Privatrechtsdenken“ zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit – wobei die Einschränkung durch „Einzelfall“ durchaus problematisch ist – sowie 43
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Das Mischungsverhältnis und seine Variabilität lassen sich in der Tat nicht nur empirisch, sondern auch aus der Unmöglichkeit „reiner“ Gestaltung des Rechts nach einer der beiden Wertungstendenzen theoretisch aufweisen.46 Dem entspricht der zutreffende Schluss, dass die Verfechtung „individualistischer“ (freiheitlicher) und jene „kollektivistischer“ (verantwortungsethischer) Positionen nur bedeuten kann, dass die Entwicklung vom gegenwärtigen Stand aus nach Meinung des Argumentierenden in die eine oder in die andere Richtung gehen sollte, ohne dass je einer der Extrempunkte erreicht würde.47 Der zentralen Position des Buches ist mE voll beizupflichten. Allerdings handelt es sich nicht um eine Antinomie des „Privatrechtsdenkens“, als ob das wissenschaftliche Denken über das Privatrecht dafür verantwortlich wäre, sondern um Spannungen, die im Gegenstand dieses Denkens, nämlich im jeweils geltenden Recht und in seinen rechtsethischen Grundlagen, insgesamt also in den rechtlichen Regeln und Prinzipien, angelegt, somit von den entsprechenden normbildenden Faktoren abhängig sind. Daran lässt sich durch kein wie immer geartetes „Privatrechtsdenken“ etwas ändern. Es handelt sich auch gar nicht um wirkliche normative Antinomien, sondern um durch Abwägung zu bewältigende Prinzipkollisionen. Davon muss unten noch kurz die Rede sein.48 Bei allen zweifellos vorRichterbindung und Richterfreiheit können hier dahinstehen. Der Grundgedanke wird vornehmlich für die Konkretisierung von Generalklauseln entwickelt, am Ende des Buches aber für verallgemeinerungsfähig erklärt. In der Tat ist die These von den notwendigen Kompromissen auf Stand und Entwicklung des Privatrechts im Allgemeinen auszudehnen. 46 Pure Freiheit müsste ja zum „Urzustand“ normlosen Beliebens für jedermann mit allen Folgen zurückführen; pure Verantwortung aber praktisch zur menschenwidrigen Bestimmung aller Lebensäußerungen durch den Willen von übergeordneten besonderen Verantwortungsträgern. 47 AaO 20. 48 Im Übrigen ist der Anspruch der intellektuell reizvollen Arbeit freilich zu hoch und zu sehr von einer schiefen Sicht auf die „überkommene Methodenlehre und das Systemdenken“, also auf die praktische Jurisprudenz geprägt. Diese verfolgt das Ziel, für real aufgetretene oder mögliche Rechtsfragen die jeweils rational am besten begründbare und in diesem bescheidenen Sinn richtige Lösung zu finden. Wie weit diese Aufgabe erfolgreich bewältigt werden kann, hängt natürlich
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liegenden Unvollkommenheiten meiner vorstehenden Ausführungen scheinen mir diese aber doch die These zureichend bestätigt zu haben, dass heutige Privatrechtsordnungen keineswegs auf die alleinige vom geltenden Recht einschließlich seiner rechtsethischen Grundlagen und von den aufgetretenen Rechtsfragen samt dem Ausmaß der möglichen Sachaufklärungen ab. Daher ergibt sich zum Teil nur ein Rahmen mehrerer möglicher Lösungen, in dem sodann die „Eigenwertung“ des hoheitlich zuständigen Beurteilers entscheiden muss. Auf diese nicht mehr rationale und daher nur durch ihre Unvermeidlichkeit, soweit diese besteht, legitimierte Rechtsfindungsmethode wird sehr ausdrücklich zB hingewiesen bei Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff 2 (1991), 19 ff; vgl schon Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, AcP 112 (1914), 159; ders., Das Problem der Rechtsgewinnung (1912), 32. Die Verfasserin argumentiert dagegen in sämtlichen Auseinandersetzungen mit allen dogmatischen Richtungen laufend damit, dass in der jeweils bevorzugten Weise die eigentlich problematischen Fälle nicht gelöst werden können. Dabei wird einerseits übersehen, dass die „eigentlich problematischen Fälle“ nicht von vornherein und unverrückbar definiert sind, sondern gerade durch nachhaltige und wiederholte rechtswissenschaftliche Anstrengungen und Diskussionen reduziert werden können; manchmal allerdings nur durch Ausschaltung einiger zunächst denkbarer Möglichkeiten. Andererseits stellt sich Auer gegen den angeblichen uneinlösbaren Anspruch der Rechtsdogmatik auf vollständige rationale Determinierung der (offenbar aller!) Entscheidungen. Das mag für die Juristen zutreffen, die eine strenge „right-answer-thesis“ vertreten, geht aber an allen Positionen vorbei, die einen Bereich unvermeidlicher richterlicher Eigenwertung anerkennen. Die Verfasserin stellt sogar 216, Anm. 15 in diesem Zusammenhang eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen Dworkin und mir fest, ohne wahrzunehmen, dass wir uns gerade im angesprochenen Kontext durch die völlig konträre Stellung zu der zitierten „thesis“ unterscheiden. Weiter: Die Verfasserin, die eine deskriptive Abhandlung von einem „externen Standpunkt“ aus schreiben will, beugt dem Einwand, dass von einem solchen Standpunkt aus die natürlich „internen“ Bemühungen der Rechtsdogmatik gar nicht kritisierbar sind, vermeintlich dadurch vor, dass sie die Grenzen der Leistungsfähigkeit des internen Ansatzes aufzeigen will, was nur von einem externen, deskriptiven Blickwinkel aus möglich sei (213). Davon kann jedoch gar keine Rede sein. Gerade der „intern“ arbeitende Dogmatiker stößt ohne besonderen gelehrten Aufwand nicht selten auf die Grenzen seiner Möglichkeiten, die allerdings vielfach sehr hinausgeschoben werden können, wenn er, wie geboten, korrekt, also im Bereich des zunächst bestehenden non liquet, auch entsprechendes Richterrecht einbezieht. Die Erfahrung und die Einsicht in den systematisch immer nur rudimentären Charakter der Rechtsordnung schließt den von der Verfasserin kritisierten Anspruch mit Selbstverständlichkeit aus. Hier werden, wie mir scheint, offene Türen eingerannt. Wenn Auer schließlich die Entscheidungen im Spannungsfeld der universalen Wertungskonflikte (insbesondere zwischen Individualismus und Kollektivismus) nicht nur durch rechtliche, sondern – offenbar völlig gleichwertig – durch historische, moralische, ökonomische und soziale, kurz: rechtspolitische Erwägun-
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Grundlage einer formalen Freiheitsethik, aber selbstverständlich erst recht nicht auf die Grundlage einer allumfassenden Verantwortungsethik ständiger wechselseitiger, praktisch aber notwendigerweise hogen determiniert sieht und wenn dieses Spannungsfeld tatsächlich das ganze Privatrecht umfasst, werden alle privatrechtlichen Entscheidungen notwendigerweise vollkommen beliebig. Denn jeder Beurteiler kann offenbar frei unter den rechtlichen und rechtspolitischen Gesichtspunkten diejenigen auswählen, die ihm konvenieren. Auf dieser Grundlage wäre ernsthafte juristische Arbeit vollkommen sinnlos. Tatsächlich müssen aber selbstverständlich die in abstracto unlösbaren fundamentalsten Wertungskonflikte auf der Ebene der zwischen ihnen historisch entwickelten oder positivrechtlich angeordneten Kompromisse nach den Regeln der juristischen Methode und des juristischen Denkens „kleingearbeitet“ werden. Wenn man statt dieser mühsamen methologisch-systematischen Bemühungen schlicht, unter welchen wissenschaftlichen Vorwänden immer, die freihändige Entscheidung, nämlich die Entscheidung nach beliebigen, daher auch von Mensch zu Mensch gegensätzlichen „rechtspolitischen“ Gesichtspunkten setzt, verzichtet man, wie viele Autoren zuvor, auf die mögliche rechtliche Rationalität. Diese setzt keineswegs ein vollständiges logisches System oder eine vollständige Determinierung aller Entscheidungen durch das Recht oder gar bloß durch dessen positive Einzelregeln voraus. Es genügt die Bildung relevanter Teilsysteme aus den auffindbaren Prinzipien, Zwecken und Regeln in ihrem inhaltlichen Begründungszusammenhang und dabei die Ausschöpfung aller anwendbaren methodischen Möglichkeiten. Ultra posse nemo tenetur. Das letzte, was man heute braucht, wäre eine Ermutigung der Richter zur freien Eigenwertung nach beliebigen rechtspolitischen Gesichtspunkten über den Bereich des Unvermeidlichen hinaus. Für die tunlichste Vermeidung bloßer irrationaler Dezisionen im Rahmen seiner rechtsethischen Untersuchungen auch Von der Pforten aaO 98. – Dankenswerterweise stellt die Verfasserin (214 ff) zu einer wichtigen Grundfrage mit aller, auch terminologischen Deutlichkeit klar, dass sie einen „Geltungspositivismus“, den sie bejaht, und einen „Anwendungspositivismus“, den sie ablehnt, unterscheiden will. Der erstere sei durch die These gekennzeichnet, dass sich der Geltungsanspruch des Rechts unabhängig von material-rechtsethischen Voraussetzungen begründen lässt. (Allerdings ist, was die Verfasserin 214, Anm. 10 verkennt, dies bei Kelsen nur mit Hilfe einer keineswegs positiven, sondern „hypothetischen“ oder „fiktiven“ Grundnorm möglich.) Der zweite behaupte zu Unrecht die Möglichkeit eines abschließenden Katalogs (d. h. des positiven Rechts oder auch eines rechtsethisch ergänzten Rechts) als Entscheidungsgrundlage. Dass dies für Gegner der „right-answer-thesis“ eine schlichte Unterstellung ist, wurde bereits dargelegt. Die Gegenüberstellung der „Positivismen“ durch die Verfasserin dürfte eine, terminologisch meist freilich nicht so deutlich formulierte Überzeugung rechtspositivistischer Autoren ausdrücken (vgl. etwa Ringhofer, Interpretation und reine Rechtslehre, FS Kelsen (1971), 198 ff.) Welchen Sinn es aber haben soll, einen relativ präzisen positivistischen Rechtsbegriff, u.U. mit viel theoretischem Aufwand, zu entwickeln, der aber in der Praxis der Rechtsanwendung und daher im Rechtsleben neben allen erdenklichen rechtspolitischen Er-
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heitlich-übergeordneter Fürsorge zurückgeführt werden können. Eine Kurzformel könnte – in präzisierendem Anschluss an Reuter – lauten: Soviel Freiheit wie möglich, soviel soziale Verantwortung wie zum Schutz von Leben, Gesundheit und Menschenwürde jedermanns nötig. Zu 3.:
Die Frage ist jetzt, ob die rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts überhaupt zureichend mit den beiden bisher erörterten Kategorien „formale Freiheitsethik“ und „materiale Verantwortungsethik“ in deren jeweiligem Mischungsverhältnis erfasst werden können. Ihre Beantwortung fordert wohl zunächst die Milderung eines Defizits der bisherigen Überlegungen: die beiden Ethiken wurden bisher nicht umschrieben, sondern in einem allgemein sprachgebräuchlichen und dementsprechend vagen Sinn verwendet. Für das bisherige Ergebnis, den Ausschluss einer scharfen Alternative und die Bejahung eines notwendigen Kompromissverhältnisses, hat das ausgereicht. Denn schon auf dieser Grundlage war deutlich, dass Ausschließlichkeit der einen oder anderen Ethikrichtung im Privatrecht nicht behauptet werden kann. Für die jetzige Fragestellung ist aber entscheidend, wie weit die beiden Begriffe verstanden werden können. Nur bei einer gewissen Präzisierung kann man diskutieren, ob auch weitere ethische Ansätze im Privatrecht wirksam sind oder ob die noch in Betracht kommenden rechtsethischen Systeme den beiden bisher genannten als Unterarten zugerechnet werden können. Reuter beschreibt die Freiheitsethik durch die Vorstellung, die Handlungsfreiheit der Privatrechtssubjekte trage ihre ethische Rechtfertiwägungen eine bescheidene, u.U. auch gar keine Rolle spielt, bleibt vollkommen ungeklärt. Von einem Standpunkt aus, der die Jurisprudenz als praktische, dem Rechtsleben dienende Wissenschaft (meinetwegen im weiteren Sinn) betrachtet, bedarf eine Theorie, die ihre praktische Irrelevanz ausdrücklich betont, gar keiner Kritik von außen mehr. Des Rätsels einfache Lösung bezüglich des Verhältnisses von „Geltungs-“ und „Anwendungspositivismus“ liegt darin, dass gerade ein der Rechtsgewinnungsaufgabe adäquater Rechtsbegriff gebildet werden muss, der die rechtlichen Prämissen der Rechtsgewinnung greifbar macht, die – de lege lata – Vorrang haben müssen, sodass der Einsatz von rechtspolitischer „Eigenwertung“ auf den Bereich des Unvermeidlichen beschränkt wird, d. h. auf die Fälle, in denen auch nach Ausschöpfung aller rational-methodischen Möglichkeiten rechtlich mehrere Entscheidungen als gleichwertig vertretbar übrig bleiben.
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gung in sich selbst.49 Das trifft für einen Kernbereich fehlender ernstlicher Kollisionen mit anderen Grundwertungen durchaus zu. Wie weit diese Rechtfertigung allein mit dem Freiheitsgedanken im Hinblick auf die Existenz und die Freiheit auch anderer Menschen als dessen, der gerade seine Freiheit betätigt, greift, bleibt aber offen. Die gleiche Freiheit aller anderen als begrenzender Faktor entsprechend Kants Rechtsbegriff ist jedenfalls als Gegengewicht mitzudenken. Nach Joerges50 verfügt das „formale Recht“ nicht über ethische Maßstäbe, sondern abstrahiert von konkreten Bedürfnissen und Gerechtigkeitsgesichtspunkten. Konsequent wird man dasselbe wohl für die „formale Freiheitsethik“ sagen müssen mit der Klarstellung, dass in deren Rahmen außer dem formalen Freiheitsprinzip, das selbstverständlich sehr wohl zu ihr gehört, keine ethischen Kriterien enthalten sind. Diese eine und einseitige ethische Grundlage müsste man freilich auch dem „formalen Recht“ zugestehen. Festzuhalten ist jedenfalls, dass eine rein formale Ethik oder ein rein formales Recht im angegebenen Sinn als historische Größe unauffindbar sind. Stets ist ja, wie gesagt, auch die Frage nach den Grenzen der Freiheit gestellt, wenn man nicht an einen vorgesellschaftlichen Zustand normlosen Beliebens und damit an den Kampf aller gegen alle denkt. Die „formale“ Freiheitsidee bedarf, wie angedeutet, auch der Klärung ihres Verhältnisses zur Vorstellung einer „realen“ Freiheit, also zumutbarer Handlungsalternativen. Die erstere kann man als Unabhängigkeit von rechtlichen und von intensiv sanktionierten sozialen Anordnungen und doch wohl auch von gezielt nötigenden Einflussnahmen anderer Menschen definieren; die zweite eben als Freiheit der Wahl zwischen zumutbaren Alternativen. Auer beschreibt in ihrer schon erwähnten Gegenüberstellung von Individualismus und Kollektivismus51 den ersteren dahin, dass er volle Freiheit und Verant-
I, 199. Reuter meint dort, diese Vorstellung gelte zunehmend als überholt. Formale Freiheitsethik, materiale Verantwortungsethik und Diskursethik im Privatrecht, in: Pappi (Hrsg), Wirtschaftsethik (1989), 127 ff. 51 Die Zweckmäßigkeit dieser Terminologie stehe dahin. Von der Pfordten versteht zB unter „normativem Individualismus“ die von ihm mit Recht vertretene Notwendigkeit, die rechtsethische Rechtfertigung von Normen von den betroffenen Individuen her zu denken, also methodologisch, 168, 437. 49 50
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wortung bedeute.52 Durch die „Verantwortung“ werden die Grenzen der Freiheitssphären angesprochen. Das Verhältnis der beiden Begriffe bleibt aber ungeklärt. Freiheit kann doch wohl nicht behauptet werden, wo drückende Verantwortung droht. Man hat keine relevante Freiheit, einen anderen zu verprügeln, wenn man dafür verantwortlich gemacht und eingesperrt sowie mit Schadenersatzpflichten als Folgen der Verbotsverletzung belastet wird. Sogar eine so banale Situation deutet auf die Frage der Grenzen. Keineswegs käme es in Betracht, dem mit Prügel Bedrohten einfach zu sagen, dass er selbst auch über die Freiheit des Verprügelns anderer verfüge. Die materiale, folgenorientierte „Verantwortungsethik“ kennzeichnet Reuter nur punktuell dahin, dass sie bereits den Versuch eines Marktbeherrschers zur Übervorteilung anderer unterbinde.53 Wieacker, der diesen Begriff in die Jurisprudenz eingeführt hat, verdeutlicht ihn durch das Pathos der heutigen Gesellschaft, nämlich das der Solidarität54, das heißt des Einstehens nicht nur der öffentlichen Gewalt, sondern auch der Gesellschaft und jedes einzelnen ihrer Mitglieder für die soziale Existenz (ja mehr und mehr auch für den Wohlstand) jedes anderen Gesellschaftsmitglieds.55 AaO 10. II, 219. 54 Ebenso für den von ihr sogenannten Kollektivismus Auer aaO 10. 55 Privatrechtsgeschichte der Neuzeit2 (1967), 620; ausführlicher derselbe in „Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft“ (1953), 18ff. – Canaris, Wandel des Schuldvertragrechts – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273 ff unterscheidet in sehr förderlicher Weise als Objekte der Analyse des Begriffspaares „formal“ und „material“ vor allem Vertragsfreiheit, Vertragsgerechtigkeit und die dem Vertragsrecht zugrunde liegende weltanschauliche politische Grundhaltung (276 f). In allen Zusammenhängen zeigt sich auch bei ihm das in der vorliegenden Arbeit als stets unvermeidlich behauptete Mischungsverhältnis der Tendenzen sowie eine Prävalenz des „Formalen“ als unvermeidlicher Ausgangspunkt (286). Nicht folgen kann ich ihm bei der Kritik an der teleologischen Reduktion, die ich für den Verbraucher als viel zu abstrakten Anknüpfungspunkt rechtlicher Regelungen vertrete (jetzt näher in: Die Suche nach der Mitte als Daueraufgabe der Privatrechtswissenschaft, AcP 203 (2003) 360 ff, insb. 384 ff). Er wendet ein (348), dass die Reduktion einzelfallbezogen sein müsste. Das ist jedoch nicht zuzugeben; mindestens Berufsausbildung und Berufsstellung eignen sich durchaus als typisierende Reduktionsmerkmale. Es ist ja nicht zu begreifen, wieso ein Unternehmer oder Manager, selbst größten Kalibers, plötzlich zum besonders hilfsbedürftigen, der alten Rentnerin gleichgestellten „Verbraucher“ mutieren sollte, wenn er Pri52 53
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Es ist evident, dass eine solche Verantwortungsethik, schlechthin als die Grundlage eines heutigen Privatrechts verstanden, auf die indiskutable Maxime „jedermanns Hand in jedermanns Tasche“ hinausläuft. So sehr der Gedanke fürsorglicher Solidarität (die man früher Nächstenliebe genannt hat) sorgfältige Beachtung verdient, kann von alleiniger Maßgeblichkeit in der Realität entgegen utopischen Idealen keine Rede sein. Vorrang vor der Verantwortung für andere muss allemal die Verantwortung jedermanns für sich selbst haben, soweit er im Rahmen seiner Freiheit dieser Verantwortung gerecht werden kann. Eine Umkehrung dieses Vorranges führt auf längere Sicht (die freilich in der Politik nicht die vorherrschende ist) zu höchst negativen Ergebnissen, insgesamt nämlich dazu, dass jedermann eine geradezu als uferlos verstandene Freiheit ohne Rücksicht auf andere ausleben, die damit verbundenen konkreten Nachteile aber auf andere verlagern will. Als Zwischenergebnis ist also festzuhalten, dass auch ein etwas näheres Eingehen auf die Begriffe „formale Freiheitsethik“ und „materiale Verantwortungsethik“ bestätigt, dass „reine“ Erklärung oder Ausgestaltung des Privatrechts entsprechend einer dieser Kategorien nicht in Frage kommt. Das Ergebnis eines unvermeidlichen Mischungsverhältnisses aus dem vorigen Abschnitt hat sich also bestätigt. Sucht man in gewissem Umfang begründbare Richtlinien für die Grenzziehung, so führt die bloße Konfrontation der besprochenen beiden Ethiken freilich ins Leere: Es handelt sich ja normativ um Prinzipien, vatgeschäfte tätigt. Übrigens ist durch die Tatsache, dass sich der Geltungsbereich eines „Verbraucherrechts“ durch die Unternehmer-Verbraucher-Beziehung ohne Schwierigkeiten abgrenzen lässt, in meiner Sicht noch kein anzuerkennendes „Sonderprivatrecht“ konstituiert: Das Abgrenzungskriterium erfasst ja auch das Recht der einseitigen Handelsgeschäfte, das gewiss von anderen Grundwertungen beherrscht ist. Daran zeigt sich besonders deutlich, dass die einfache Abgrenzung mit spezifischen rechtlichen Wertungen nicht zur Deckung zu bringen ist. Die grundlegenden Aspekte des Verbraucherrechts, nämlich Informationsgefälle und fehlende oder relativ untergeordnete Wahlfreiheit, sind weiter durchaus nicht auf das Verhältnis von Unternehmern und Verbrauchern beschränkt. Sie können genauso zwischen Unternehmern oder zwischen Privaten wirksam werden. Ein zureichend „material“ verstandenes „Verbraucherschutzrecht“ (das am besten ohne den Begriff des Verbrauchers auskommen, sondern direkt an die genannten grundlegenden Aspekte anknüpfen sollte) gehört daher zum allgemeinen Zivilrecht, auch entsprechend der Tatsache, dass jedermann wenigstens in einer seiner wirtschaftlichen Rollen „Verbraucher“ ist.
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also um allgemeine Wertungstendenzen, die nicht als radikal anzustrebende Ziele wirken, sondern als Optimierungskriterien, deren Kollision durch Abwägung gelöst werden kann und muss. Man denke etwa an den Schutz zentraler Persönlichkeitsgüter wie Leben, Gesundheit, Ehre und Selbstachtung (Nichtdiskriminierung) oder an die im Grunde unvermeidliche Möglichkeit zwingender staatlicher Eingriffe durch Besteuerung, Dienstverpflichtungen oder Gebote und Verbote im Allgemeininteresse. Jedenfalls für die unmittelbar Betroffenen ist die Freiheitsbeschränkung ja nicht zu verkennen, auch wenn sie bei anderen Menschen zu einer Erweiterung mancher ihrer Freiheitsbereiche führt. Über die wünschenswerte Abgrenzung lässt sich abstrakt aus dem Verhältnis von formaler Freiheitsethik und materialer Verantwortungsethik kaum Weiterführendes sagen. Dasselbe gilt für die Kollision zweier unterschiedlicher formaler Freiheitsaspekte; zB im Verhältnis von Eigentums- und Erwerbsfreiheit bei gutgläubigem Erwerb oder Verjährung oder Ersitzung. Es fragt sich also, ob den angedeuteten Schwierigkeiten nicht in gewissem Umfang dadurch abgeholfen werden kann, dass im Privatrecht auch noch andere rechtsethische Grundansätze festgestellt und nutzbar gemacht werden können, die zumindest manche Grenzziehung zwischen den bisher genannten Ethiken nahe legen. Dafür spricht auch, dass in der mir verfügbaren ethischen und rechtsethischen Literatur zwar vielfache Gruppierungen unter den Ethiktheorien oder Ethiksystemen vorgenommen wurden, eine Gegenüberstellung von formaler Freiheitsethik und materialer Verantwortungsethik aber nicht auffindbar ist; auch wenn man diese Begriffe etwa als Oberbegriffe verstehen wollte.56 Joerges hat schon früh auf die Unzulänglichkeit der hier vielzitierten Dichotomie hingewiesen. Er hat auch die vielfachen Abweichungen vom und die Aufweichungen des Formalismus sowie andererseits das Fehlen eines kohärenten „materialen“ Gegenentwurfes moniert und die weitgehenden Abwägungsprozeduren in der Rechtsprechung hervorgehoben. Er findet daher die rechtsethische Grundlage des Privatrechts in der Diskursethik, die Verfahren fordert, in denen alle betrof56
Vgl. nochmals die Belege in Anm. 43.
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fenen Interessen vertreten sind und alle Rechtsforderungen in sorgfältiger Bemühung begründet werden müssen.57 Jeder Schritt der Entscheidungsprozesse werde detailliert erörtert und mit Sacherwägungen und Gerechtigkeitsargumenten untermauert; jeder Kompromiss spezifisch begründet. Bemerkenswert ist das wohl einschränkende Zugeständnis, dass zentrale Institutionen des „Formalrechts“ als Verkörperungen universalistischer Moralprinzipien interpretiert werden können.58 (Dasselbe gilt aber doch wohl von „material“ geprägten Bereichen, etwa dem Familienrecht!) In der Sache soll damit wohl gesagt werden, dass solche institutionell verkörperte Prinzipien bei der Rechtsanwendung Vorrang vor Abwägungen und Argumentationen im Einzelfall haben. Dem wäre sehr zuzustimmen. Erschlossen wird mit solchen Prinzipien – ganz im Sinne des methodologischen „Prinzipienarguments“ – wichtiges und hilfreiches zusätzliches Rechtsgewinnungsmaterial. Dennoch ist der anschließende Satz im Grunde richtig: „Für aktuelle Konfliktsregelungen reicht das nicht aus“; hier gehe es um die Bewältigung normativer und kognitiver Unsicherheiten.59 Das trifft allerdings bloß für besonders schwierige Problemlagen zu; also nicht generell. Folgt man nicht einer strikten „right-answerthesis“, die empirisch m.E. durch Ausprobieren und theoretisch durch die Möglichkeit krassen Auseinandergehens an sich rechtlich relevanter Argumente widerlegt ist, so ist mit einem Grau- und Grenzbereich von Fällen zu rechnen, in denen auch sorgfältige und differenzierte Beurteilung mit Hilfe der rechtlich relevanten Argumente in das Dilemma mehrerer ungefähr gleichmäßig vertretbarer Lösungen führt. Das ist der Bereich legitimer, weil unvermeidlicher „Eigenwertung“ durch den jeweils amtlich zuständigen Beurteiler.60 In diesem Bereich besonders schwieriger Grenz- und Streitfragen habe ich bisher eine letzte, nicht mehr rationale Rechtsfindungsmethode, eben die „Eigenwertung“, angenommen und als bloß wegen 57 58 59 60
AaO 127 ff. AaO 135. AaO 135. Dazu schon oben in der Kritik an Auer; Anm. 48.
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Unvermeidlichkeit (soweit diese besteht!) legitim betrachtet.61 Von der Diskursethik kann ich aber jetzt lernen, dass auch in diesem Bereich eine – bescheidene – prozedurale Teilrationalisierung möglich ist; eben durch intensives allseitiges Gehör, durch noch vertiefte Bemühungen um die Ermittlung aller möglicherweise relevanten tatsächlichen Umstände und durch Eingehen auf alle vernünftigerweise im jeweiligen Zusammenhang vorgetragenen oder auffindbaren Argumente. Das Defizit an inhaltlicher rationaler Determinierung der anstehenden Entscheidung muss also tunlichst prozedural gemildert werden. Auch im Extrembereich der „Eigenwertung“ ist danach eine richterliche Entscheidung dann rational kritisierbar, wenn sie die prozeduralen Vorgaben vernachlässigt und sich etwa von vornherein mit richterlicher Globalintuition begnügt, ohne diese wenigstens den verfahrensmäßigen Diskurskriterien auszusetzen. Dasselbe gilt in noch verstärktem Maße für das Verfahren der Gesetzgebung. Insoweit scheint mir der nachdrückliche Hinweis von Joerges auf die Diskursethik eine sehr beifallswerte Ergänzung der bloßen Dichotomie von formaler Freiheits- und materialer Verantwortungsethik zu sein; damit auch eine wichtige Ergänzung der Rechtsfindungsmethoden am „schwierigsten Ende“. Was die Gewichtung anlangt, scheint Joerges allerdings „seinen“ diskursethischen Bereich für den im Wesentlichen allein interessanten zu halten. Wenn dieser Eindruck zutrifft, wäre dieser Zuspitzung nicht zu folgen. Sie überzeugt nur, wenn man, wozu Theoretiker häufig neigen, bloß die schwierigsten und insbesondere die neuartigsten Entscheidungsfragen für einen würdigen Gegenstand der Jurisprudenz hält. Dabei würde aber übersehen, dass im Rechtsleben zahllose Male ganze Fälle, vielleicht noch häufiger einzelne Elemente von Fallsachverhalten ohne besondere Schwierigkeiten nach den bewährten Methoden der Rechtsanwendung, von der schlichten Subsumtion, die es sehr wohl gibt, bis zur Heranziehung grundlegender Prinzipien zu bewältigen sind. Bei der Anwendung dieser Methoden im Einzelnen kann wohl die Heranziehung bewährter Diskursregeln auf die jeweilige konkrete 61
Zitat in Anm. 48, im Anschluss an Heck (Belege ebendort).
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Fragestellung empfehlenswert sein, wenn nur – mit der Theorie Alexys von der juristischen Diskussion als Sonderfall62 – die Verbindlichkeit des Rechts einschließlich seiner spezifischen methodischen Grundsätze und wenn die praktische Notwendigkeit, binnen überblickbarer Zeit zu einem Ergebnis zu kommen, beachtet wird. Durch intensive, wiederholte und „mehrstimmige“ Bemühungen der Jurisprudenz können auch zunächst sehr schwierige Rechtsprobleme einer (nicht bloß prozedural) rational begründeten Lösung zugeführt werden, vor allem wenn man sich für diesen damit begnügt, dass die deutlich aus dem Recht besser begründbare, also systematisch gewonnene Entscheidung in einem bescheidenen Sinn die richtige, weil die gebotene ist. Selbst wenn für die Alternativen auch „etwas“ spricht, was aber systematisch doch von geringerem Gewicht ist, bleibt die bloß besser (nicht ausschließlich) begründbare Lösung die richtige. Die Beurteilung muss auf Grund des jeweiligen Rechtssystems in allen seinen Schichten notfalls bis zum Rückgriff auf allgemeinste Rechtsgrundsätze erfolgen; der höhere systematisch-inhaltliche Rang einer der Argumentationslinien im inhaltlichen Begründungszusammenhang des Rechts gibt dabei den Ausschlag.63 Wo aber die Argumentation aus dem Recht bloß zu einem rechtsdogmatisch nicht mehr zu verengenden Rahmen und zu mehreren etwa gleich vertretbaren Lösungen führt, also im Bereich der „Eigenwertung“, ist in der Tat auf die prozeduralen Anforderungen des rationalen Diskurses besonderes Gewicht zu legen, weil sie insoweit die allein verbliebenen Kontrollinstanzen sind. Joerges ist also – mit etwas anderer methodologischer Gewichtsverteilung – grundsätzlich dahin beizustimmen, dass auch die Diskursethik zu den Grundlagen des Privatrechts gezählt werden kann. Das ist um so wichtiger, als im Bereich mehrerer zunächst rechtlich vertretbarer Lösungen die richterliche Eigenwertung zu subsidiär bindendem „Richterrecht“ führt. Dieses ist nicht bloß durch seine Unvermeidlichkeit im Bereich des non liquet und durch die fundamentalen Grundsätze der Rechtssicherheit, des Gerechtigkeitsgleichmaßes und auch der Zweckmäßigkeit legitimiert. Es sollte in der Tat auch darü62 63
Theorie der juristischen Argumentation (1978), 223. Etwas näher System und Prinzipien 56 f.
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ber hinaus wenigstens prozedural durch die Beachtung der Diskursanforderungen so gut wie möglich gerechtfertigt sein. Hier, und legitimerweise nur hier, wirkt ein „topisches“ Element in der Rechtsfindung, das freilich unbedingt auf seinen rational gebotenen Nachrang verwiesen werden muss. Fraglich ist allerdings immer noch, ob für die Ermittlung der rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts nunmehr mit der Trias formale Freiheitsethik, materiale Verantwortungsethik und Diskursethik das Auslangen zu finden ist. Das ist sehr zu bezweifeln. Vor einigen Jahren sind auf einer Tagung zu den rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts in Salzburg die folgenden ethischen Ansätze jeweils in einem Referat dargestellt und diskutiert worden: Die utilitaristische Ethik und die ökonomische Analyse des Rechts,64 die – bereits erwähnte – Diskursethik,65 die Sozialvertragstheorie,66 die Freiheitsethik67 sowie die sozialevolutorische Ethik.68 Einleitend hat sich Okko Behrens von der rechtshistorischen Entwicklung her allgemein zu den rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts geäußert. Die letztgenannte Abhandlung unterstreicht mit starken Gründen die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen der unmittelbar rechtlich relevanten Rechtsethik, also den praktisch-normativ zugrundeliegenden Werten im Recht69 und der allgemeinen Ethik. Im Ergebnis dieselbe Unterscheidung fordert in seinem System der Rechtsethik neuerdings Von der Pfordten zur externen Rechtfertigung und Kritik des Rechts. Die Rechtsethik beschäftige sich mit der Gerechtigkeit des positiven Rechts.70
64 Peter Behrens, Utilitaristische Ethik und ökonomische Analyse des Rechts, in: Bydlinski/Mayer-Maly (Hrsg), Die ethischen Grundlagen des Privatrechts (1994), 35 ff. 65 Wolfgang Enderlein, Diskursethik und Privatrecht, im selben Sammelband 53 ff. 66 Georg Graf, Sozialvertragstheorie und Zivilrecht, ebendort 81 ff. 67 Reuter II. 68 Erich Streissler, Sozialevolutorische Ethik und Privatrecht, ebendort 105 ff. 69 Die rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts, ebendort 1 ff; die Unterscheidung 4. 70 AaO 9f. Die Gegenüberstellung von Ethik und Moral (55), die sich auch sonst häufig findet, kann hier dahinstehen.
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Die Differenzierung von (offenbar: positivem) Recht und anderen Sozialordnungen dadurch, dass das erstere auf einen politischen Urheber als Repräsentanten der organisierten Sozietät zurückzuführen sei,71 erscheint als klärende Ergänzung zu dem üblichen Unterscheidungsmerkmal des organisierten Zwanges: Auch die positiven Rechtsnormen, die selbst keinen solchen Zwang androhen, werden nämlich auf diese Weise unmittelbar und nicht erst auf dem Umweg über ihren Zusammenhang mit einem Zwangssystem identifizierbar. Insgesamt wird aber mE die Rechtsethik bei Von der Pfordten zu stark vom Rechtfertigungsaspekt her gesehen, was nur bei der Arbeit de lege ferenda ausreichend ist. Die praktisch im Vordergrund stehende Ergänzungsfunktion der Rechtsethik, nämlich der grundlegenden rechtsethischen Prinzipien bei der Rechtsfindung de lege lata, also das „Prinzipienargument“ für einen rechtsethisch erweiterten Rechtsbegriff über das positive Recht hinaus, und damit die Bedeutung der Rechtsethik für die Rechtsdogmatik werden dagegen nur spät und am Rande erwähnt.72 Die Unterscheidung von Rechtsethik und allgemeiner Ethik bzw. sonstiger Sozialnormen ist schon nach der juristischen Erfahrung vollkommen überzeugend. (Zur eigenen Abgrenzung alsbald.) Ethische Pflichten zB der Dankbarkeit, der Höflichkeit oder weit gespannte Fürsorgepflichten für Hilfsbedürftige kommen für eine systematische Verbindung mit dem Rechtssystem, also letztlich doch mit organisiertem Zwang, offenbar schon praktisch, aber auch aus den von den zitierten Autoren beigebrachten Gründen nicht in Frage. Erst recht gilt dies für rein individualistische Gebote wie die Anforderung der Selbstentwicklung der Persönlichkeit zu einem möglichst harmonischen, zu einem guten Leben befähigenden Ergebnis. Schon die damit angedeuteten Abgrenzungsfragen zwischen allgemeiner und Rechtsethik lassen die Ergiebigkeit der Heranziehung allgemeiner ethischer Systeme für die Jurisprudenz zweifelhaft erscheinen. Diese Zweifel werden durch die schon angegebenen Tagungsreferate 71 72
AaO 62. AaO 508, vgl. aber doch schon 96 f.
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verstärkt. In ihnen werden durchwegs Einflüsse der jeweils dargestellten Ethiktheorie auf das Privatrecht benannt oder wenigstens sehr nahe gelegt; mag man diese Grundlagenorientierung des Rechts eher historisch-empirisch oder eher rational-erklärend verstehen. Die Vielfalt dieser Einflüsse reicht über die Dichotomie von formaler Freiheitsethik und materialer Verantwortungsethik erheblich hinaus. Auch wenn man mit Hilfe der Diskursethik zu einer Trias kommt, ändert sich daran nichts Entscheidendes. Damit ist aber die Frage aufgeworfen, was ein solcher Rückgriff auf eine ganze Reihe von umfassenden Ethiksystemen, auch wenn man sich auf deren als Rechtsethik auszuzeichnende Teile beschränkt, für die praktische juristische Arbeit bedeuten kann. Man muss sich dabei auch vergegenwärtigen, dass wesentliche Rechtsinstitute und Rechtskomplexe im geltenden Privatrecht offensichtlich gar nicht rein auf eine der mehreren ethischen Theorien zurückgeführt werden können, sondern in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen verschiedene solche Einflüsse erkennen lassen. Für den Kenner des Privatrechts bedarf es dafür keiner besonderen Belege. Schon allein das Rechtsgeschäftsrecht lässt neben dem unzweifelhaft zentralen Einfluss der Freiheitsethik (Privatautonomie!) auch sozialevolutionär bewährte utilitaristische Elemente (Vertragsbindung; Vertrauensschutz) sowie den Einfluss personalethischer Fürsorge, also materialer Verantwortungsethik, erkennen (zB Geschäftsfähigkeit, Wucher, zahlreiche einschlägige Verbote, Aufklärungspflichten). Es fragt sich nun, ob die Bemühung um die rechtsethischen Grundlagen des Privatrechts mehr bieten kann als eine sehr grobmaschige Verbesserung des Verständnisses für Stand und Entwicklung des Privatrechts. Nennenswerte praktische Hilfe bei der juristischen Arbeit wäre damit noch nicht verbunden. Damit sind wir bei These 4. Die Frage ist, ob und wie das Aufsuchen der vielgestaltigen ethischen Grundlagen des Privatrechts nutzbringend in die praktische juristische Arbeit eingebaut werden kann.
Zu 4: Meines Erachtens muss der erste Schritt zur Antwort lauten, dass die besprochenen und allenfalls weitere ethische Theorien angesichts
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ihrer Vielzahl und ihres ungesicherten Verhältnisses zueinander für das Recht nicht als solche hilfreich sein können, sondern nur als eine Art von Vorratslager für die in ihrem Rahmen jeweils hervorgehobenen Prinzipien, also umfassende Wertungstendenzen. Die Jurisprudenz muss aus diesem Vorratslager diejenigen Prinzipien heraussondern, die sich dazu eignen, mit dem sogenannten „positiven“, zutreffender etatistischen Recht zusammen zu einem weiteren, rechtsethisch angereicherten Rechtsbegriff zusammengefügt zu werden, sodass sich einigermaßen konsistente inhaltliche Teilsysteme im Recht ergeben, die für die Rechtsgewinnung und als wichtige Orientierungspunkte auch für die Gesetzgebung fruchtbar sind. Als „Rechtsethik“ möchte ich letztlich die ethischen Wertungen, aus welchen ethischen Theorien sie immer kommen mögen, bezeichnen, die in diesem Sinn, also im Sinn des weiteren Rechtsbegriffs, zugleich zum Recht gehören. Das trifft für ethische, also anders als durch organisierte staatliche Willensbildung geschaffene oder übernommene Maximen zu, die sich, wie insbesondere die Gerechtigkeit gerade auf „positive“ Rechtsautoritäten (Gesetzgeber, Gerichte, Behörden) beziehen, ferner für solche normative Anforderungen an die einzelnen Subjekte, die auf die elementare wechselseitige Respektierung als Person zielen und damit dem positiven Recht eine ethische Vorgabe liefern, ohne deren Beachtung es seine essentielle Funktion jenseits der bloßen „Zwangsordnung“ verliert.73 Von den Folgefragen, die sich aus dieser Sicht ergeben, müssen zwei jedenfalls näher erörtert werden: Die einfachere ist, in welcher Weise rechtsethische Prinzipien in der Rechtsgewinnung methodisch verwertet werden können. Dazu lässt sich auf die juristische Erfahrung verweisen. In allen wichtigen Rechtsgebieten werden leitende Prinzipien, also erkennbar grundlegende Wertungen, hervorgehoben; etwa im Verfassungsrecht das demokratische, das rechtsstaatliche, das republikanische sowie das liberale Prinzip des Grundrechtsschutzes; im Strafrecht das Schuldprinzip und der Präventionsgedanke; im Privatrecht zB Privatautonomie, Vertrauensprinzip, Publizitätsprinzip, Familienfürsorge, Familienerbfolge; im Prozessrecht etwa Rechtskraft und freie Beweiswürdigung. 73 Etwas näher Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff 2 (1991), 297 f; Fundamentale Rechtsgrundsätze (1988), 130.
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Diese Prinzipien dienen stets als Richtlinien für die Auslegung und Anwendung der konkreteren Regelungen in den jeweiligen Rechtsmaterien, im Bedarfsfall einer sonst nicht ausfüllbaren Lücke im etatistischen Recht aber auch als – selbstverständlich mit aller Vorsicht zu behandelnde und richterlicher Konkretisierung bedürftige – unmittelbare Entscheidungsgrundlage. In mehreren Rechtsordnungen wird in diesem Sinn im Gesetz selbst ausdrücklich auf allgemeine Rechtsgrundsätze als im Bedarfsfall heranzuziehende Beurteilungsgrundlagen verwiesen; exemplarisch zB in § 7 ABGB am Ende.74 In anderen Rechtsordnungen zB in der deutschen, gilt im Ergebnis freilich dasselbe,75 offenbar auf Grund der Natur der Sache, genauer des Rechts und der Rechtsanwendung. Die schwierigere Frage ist natürlich, auf welche Weise man solcher allgemeiner Grundsätze habhaft werden kann; insbesondere rechtsethischer, was auf eine gewisse Distanz zum etatistischen Recht hindeutet. Ethische Normen stammen ja, wie erinnerlich, nicht aus den Entscheidungen der Repräsentanten der organisierten, politischen Gemeinschaft.76 Sie entspringen vielmehr zunächst der „spontanen“ Normentstehung in der (nicht repräsentierten) Sozietät selbst und sind dann real wirksame Moralnormen.77 Sie können dann grundsätzlich aus dem tatsächlichen Verhalten der Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft als Maximen dieses Verhaltens empirisch erkannt werden; insbesondere wenn diese Maximen in der Regel von der großen Mehrzahl der Sozietätsmitglieder beobachtet werden. Rechtsethischen Wert können sie schon dadurch erlangen, dass sie sich in der betreffenden Rechtsgemeinschaft durch integrie74 Andere Beispiele ua in Art 1 ZGB, Art 1 PGR und Art 1 SR (Liechtenstein), art. 12 der disposizioni sulla legge in generale des codice civile; art 1 Z 1 und art 4 des codigo civil, Art. 38 c des Statuts des Internationalen Gerichtshofes. 75 Vgl. nur Larenz-Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Studienausgabe 3 (1995), 240 ff über Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf ein rechtsethisches Prinzip. Als praktischer Anknüpfungspunkt gilt im deutschen Recht bekanntlich nahezu universal § 242 BGB (Treu und Glauben). 76 Vgl. oben Anm. 71 und 73. 77 Auf die Unterscheidung von Ethik als Wissenschaft und Moral als wirksame nichtstaatliche Norm wird hier, wie schon erwähnt, für die Rechtsethik kein besonderes Gewicht gelegt, da diese wegen des Zusammenhanges mit dem etatistischen Recht jedenfalls in die Kompetenz der Jurisprudenz fällt.
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rende und friedenswahrende Auswirkungen historisch bewährt haben (was durch aktuelle Aufweichungen keineswegs ohne weiteres widerlegbar ist) und insbesondere dadurch, dass sich die Sozietäten, die diesen Maximen folgen, als besser überlebensfähig erwiesen haben als diejenigen, denen die entsprechenden Prinzipien fehlen. Solche Überlegenheit ist ein unter Umständen gut nachprüfbarer auch rechtsethischer Wert, jener der kontinuierlichen Existenz und Entwicklung der einen Gesellschaft im Verhältnis zum Zerfall der anderen, der immer mit – mehr oder weniger großen, häufig auch blutigen – Umstellungsschwierigkeiten verbunden ist. Der jetzt zugrundegelegte rechtsethische Ansatz ist ein sozialevolutionärer im Sinne von Hayeks,78 der die Überlegenheit unseres „westlichen“ Ordnungstyps gegenüber dem kommunistischen des „real existierenden Sozialismus“ unbeirrbar und, wie längst historisch erwiesen ist, zutreffend vorausgesagt hat. Er führte diese sozialevolutionäre Überlegenheit vor allem auf die Rechtsinstitute Eigentum und Familie zurück,79 also, wie man äquivalent sagen kann, auf die Prinzipien, die sich in diesen Rechtsinstituten niederschlagen.80 Eine ältere sozialevolutionäre Theorie, jene von Ihering,81 dürfte demgegenüber ein Minus an Kontrollierbarkeit aufweisen, stellt sie doch im Wesentlichen auf die Bedürfnisse bzw Zwecke „der Gesellschaft“ ab. Wie diese aber zureichend konkret ermittelt werden können und vor allem, wie man angesichts der sehr unterschiedlichen Bedürfnisse und Zwecke der Gesellschaftsmitglieder von einheitlichen Größen dieser Art als Leitlinien der Rechtsentwicklung soll ausgehen können, bleibt weithin unklar. Die marxistische Überbrückung dieses Defizits Recht, Gesetzgebung und Freiheit I (1980), 24 ff (und laufend). Die Überheblichkeit der Vernunft, in: Europäisches Forum Alpbach (1985), 7 ff. 80 Im Hinblick auf das zweite genannte Institut dürfte heute freilich eine positive Prognose für unseren Typ von Rechtsordnungen im Verhältnis zu sonst durchaus defizitären anderen, die jedoch über ziemlich intakte Familienstrukturen verfügen, bereits sehr zweifelhaft sein. 81 Der Zweck im Recht I3 (1893), VIII stellt universal auf den Zweck, also ein praktisches Motiv, der Rechtssätze ab, wobei als zwecksetzendes Subjekt offenbar letztlich „die Gesellschaft“ betrachtet wird (462), was angesichts der vielfältigen Zwecke und Interessen in einer Gesellschaft kaum eine überprüfbare Argumentation ermöglicht. 78 79
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durch die Annahme eines mit Notwendigkeit auf ein bestimmtes Ziel zustrebenden Geschichtsgesetzes ist inzwischen hinlänglich diskreditiert. Der zweite, sozialkontraktliche Ansatz der Ermittlung wohlbegründeter normativer Prinzipien jenseits des eben besprochenen empirischen ist die rationale Reflexion darüber, welchen allgemeinen Maximen alle Mitglieder einer Sozietät bei ruhiger und langfristig vernünftig angelegter Überlegung zustimmen müssten, weil sie im Interesse aller liegen.82 Zu den Bedingungen für eine solche, intersubjektiv akzeptable grundlegende Normengruppe zählt dabei auch, dass jeder jedem anderen dasselbe zubilligen muss, was er für sich selbst in Anspruch nimmt. Wer ungerechtfertigte Privilegien verlangt, wird offensichtlich die Zustimmung anderer für die entsprechenden Maxime nie finden. Die Voraussetzung der ruhigen und langfristig angelegten vernünftigen Überlegung aller Betroffenen ist selbstverständlich immer irreal, also ein methodologisches Instrument der Sozialvertragstheorie, das aber durch erfahrungsgestützte Gedankenexperimente verstärkt und mit Nutzen verwendet werden kann. Die Ergebnisse lassen sich wohl auch – iSd „Überlegungs-Gleichgewichts“ bei Rawls – wenigstens dahin empirisch überprüfen, ob nicht etwa das einstweilen auf rationalem Weg gewonnene Ergebnis mit den tatsächlich betätigten moralischen Überzeugungen der großen Mehrheit der Mitglieder einer Gemeinschaft in Widerspruch steht. Das müsste wohl zu einer kritischen Überprüfung, aber nicht notwendig zur Preisgabe des einstweilen rational-methodisch gewonnenen Ergebnisses führen. Die Sklaverei oder die Verfolgung von Minderheiten lässt sich zB gewiss nicht durch die Feststellung starker Unterstützung bei der großen Mehrheit bestimmter Sozietäten „retten“. Für ihre Verwerfung genügt es, dass sie rational nicht zu rechtfertigen sind. Auf den beiden besprochenen Begründungswegen lassen sich mE in erster Linie die rechtsethischen fundamentalen Grundsätze auffinden, also die in der „Rechtsidee“ 83 zusammengefassten Prinzipien Vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit (197), 67, 166. Dazu Bydlinski Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 290 ff mit Erörterung der dazu vertretenen Auffassungen.
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Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit. Die „Rechtsidee“ wurde und wird häufig auf mehr intuitivem, aber zugleich erfahrungsgestütztem Weg gewonnen. Jedoch lassen sich diese Grundsätze vor allem auf eine Kombination der oben skizzierten Ansätze, nämlich des empirisch-evolutorischen und des rational-methodischen stützen: Sie stellen in ihrer allgemeinsten Gestalt84 nach der Erfahrung die universalsten Zwecke und damit Richtpunkte des Rechts dar.85 Sie sind also alles andere als bloße Ideen oder gar metaphysische Illusionen. Darüber hinaus lassen sie sich aber auch auf dem rational-methodischen Begründungsweg gewinnen; schon deshalb, weil sie in jedermanns vernünftigem Interesse liegen. Die Vermutung erscheint plausibel, dass sie jeweils mit anthropologischen Grundbefindlichkeiten und daher Wertungsdispositionen des Menschen zusammenhängen, nämlich mit dem Geltungstrieb (der auch bei kritischer Kontrolle als Selbstachtung jedenfalls unbegründete Schlechterstellung gegenüber anderen ablehnt); mit dem Selbsterhaltungstrieb (der Schutz für die eigenen elementaren Persönlichkeitsgüter fordert; aber auch den Schutz des Eigentums, damit man nicht bei dessen Verteidigung durch Selbsthilfe Gewalt erleidet) und mit der (gewiss nicht ausschließlichen, aber doch sehr wirksamen) Rationalität des Menschen (Zweckmäßigkeit). Der rationale Begründungsweg führt im Verhältnis zu den empirisch als besonders universal feststellbaren allgemeinen Inhalten der fundamentalen Grundsätze zu einer erheblichen Verfeinerung und Differenzierung; insbesondere bei der Gerechtigkeit zu einer Präzisierung des darin allgemein geforderten „Gleichmaßes“ durch das Maß der Egalität im Sinne einer personalistischen Ethik bei den zentralen Persönlichkeitsgütern. Hinsichtlich der Vermögensgüter und der sozialen Positionen wäre Egalität zwischen allen Subjekten sowohl unmöglich wie infolge der ganz unterschiedlichen Individualitäten unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten völlig verfehlt. Jedoch ergeben sich hier die spezielleren Gerechtigkeitsprinzipien des Existenzminimum-Prinzips und des „Differenzprinzips“ im (modifizierten) Anschluss an Rawls.86 Bydlinski aaO und 325 ff. In der Sache so auch der institutionalistische Rechtspositivist Weinberger, Norm und Institution (1988), 38; ähnlich P. Koller, Theorie des Rechts2 (1997), 60 f. 86 Zu den differenzierten Ausformungen Fundamentale Rechtsgrundsätze 292 ff, auch zum Folgenden. 84 85
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Die Rechtssicherheit hat neben dem ursprünglichen Existenzsicherungsgehalt (Gewaltminimierung!) als rationales Zusatzelement insbesondere das Postulat möglichst zugänglicher Normen und dementsprechend möglichst voraussehbarer Einzelfallentscheidungen aufgenommen. (Dabei bedeutet das „möglichst“ selbstverständlich eine starke, aber unvermeidliche Relativierung) Die – schon dabei mitspielende – Zweckmäßigkeit im allgemeinen Sinn bedeutet im Wesentlichen utilitaristisch und (soweit Werte durch Geld ausgedrückt werden können) im Sinne der ökonomischen Analyse die Vermeidung von Verschwendung und daher optimale Ressourcenallokation. Als wenigstens auch rechtsethische Maximen erweisen sich die genannten Prinzipien durch ihren spezifischen Bezug auf das positive Recht: Sie richten sich in erster Linie an die Rechtsautoritäten, also an Gesetzgeber und Richter (bzw rechtsgebundene Verwaltungsbeamte). Die einzelnen Privatrechtssubjekte sind hingegen keineswegs verpflichtet, zB alle Vertragsinteressenten gleichmäßig zu behandeln oder ihr Eigentum bloß zweckmäßig zu verwenden. Beides wäre mit der im Privatrechtsstaat im Vordergrund stehenden Freiheitsidee unvereinbar. Unter den Privatrechtssubjekten gelten die Anforderungen der Rechtsidee, die erforderlich sind, um die wechselseitige Respektierung als Person zu gewährleisten, also den gleichmäßigen Schutz der personalen Grundgüter.87 Es dürfte deutlich sein, dass bei der Begründung der fundamentalen Maximen mehrere der oben erwähnten „Ethiken“ in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen wirksam geworden sind. Mögliche interne Kollisionen im Rahmen der Rechtsidee lassen sich grundsätzlich nur so lösen wie andere Prinzipkollisionen auch; nämlich durch die Erkenntnis, dass es sich nicht um logische Antinomien, sondern bloß um Spannungen zwischen gar nicht auf volle Erfüllung
87 Zum „ethischen Personalismus“ als geistiger Grundlage des BGB Larenz, Allgemeiner Teil7 (1989), 33 ff.; K. H. Auer, Das Menschenbild als rechtsethische Dimension der Jurisprudenz (2004) bevorzugt für die „rechtsethische Dimension“ das „personale“ Menschenbild, das vor allem durch den Grundsatz der Menschenwürde bestimmt ist, 93 ff.
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angelegten Normen handelt, wobei die Spannungen durch um Optimierung bemühte Abwägung überwunden werden müssen. Die mit möglichen Kollisionen zweifellos verbundene Problematik verliert viel an Brisanz, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es letztlich nicht um isolierte Behandlung oder Anwendung der Fundamentalprinzipien geht, sondern diese in einem rechtsethisch erweiterten Rechtsbegriff mit dem etatistischen Recht zwecks besserer Lösung von Rechtsfragen zusammenzudenken sind; dass es also der Jurisprudenz nur um die Behandlung jener Prinzipien als Maß und als Ergänzungsfaktor des positiven Rechts geht. In diesem sind, sachverhaltsund sachbereichsbezogen, zahlreiche der möglichen und wirklichen Kollisionsfälle durch die Entwicklung des Rechtsbewusstseins in der Sozietät und vor allem durch die Rechtsautoritäten in nach den rechtsethischen Grundlagen vertretbarer Weise vorentschieden; bei nicht voll gelungener Optimierung ergeben sich dann Argumente de lege ferenda. Soweit Kollisionsprobleme nicht unmittelbar im positiven Recht gelöst sind, sind sie analog den im positiven Recht vorfindlichen sachverhaltsnahen, insbesondere von den kollidierenden Interessen her ähnlichen Lösungen zu behandeln. Freilich kann sich auch in der Rechtsanwendung die Notwendigkeit einer nicht vorweg zureichend konkretisierten Prinzipienabwägung zeigen, die in letzter Linie wieder durch richterliche Eigenwertung bewältigt werden muss. Erleichtert wird die nutzbringende und kontrollierbare Verwendung von Prinzipien um so mehr, je stärker man von den bisher erörterten fundamentalen systematisch zu konkreteren Schichten rechtsethischer Prinzipien herabsteigt. Zu deren Ermittlung ist mE ein kombiniertes Vorgehen nötig. Für die praktische Jurisprudenz empfiehlt es sich, von den vorfindlichen Regelkomplexen und Instituten des positiven Rechts auszugehen und induktiv ihre allgemeineren normativen Grundlagen aufzusuchen; also die umfassenden Wertungen, auf die sich die positiven Rechtsphänomene inhaltlich zurückführen lassen.88 (Bei freilich fließenden Übergängen ist davon die Schicht der konkreten Gesetzeszwecke zu unterscheiden, die die Einzelregeln hervorgebracht haben oder diese inhaltlich mit Wahrscheinlichkeit erklären können.) 88 Vgl. Bydlinski, Das bewegliche System und die Notwendigkeit einer Makrodogmatik, JBl 1996, 688 ff.
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Aus mindestens zwei Gründen ist solche bloße Induktion jedoch unzureichend: einmal kann es Normenkomplexe geben, die so sachwidrig oder inkonsistent willkürlich sind, dass eine inhaltliche Grundwertung oder auch eine Mehrheit von solchen Grundwertungen oder ein nachvollziehbarer Kompromiss zwischen ihnen bloßer induktiver Verallgemeinerung nicht zu entnehmen ist. Man denke etwa an wirtschaftsrechtliche Regelungen, die zwischen Erhalt des Wettbewerbs und bürokratischer Preisreglementierung ohne erkennbare Leitlinien hin und her schwanken. Noch wichtiger aber ist, dass durch bloße Induktion die zutreffende Abstraktionshöhe der Verallgemeinerung nicht entdeckt werden kann. Soll man zB das Zugangsprinzip für das Wirksamwerden von menschlichen Äußerungen, das im österreichischen Recht nur für die Annahmeerklärung beim Vertragsschluss ausdrücklich normiert ist, auch auf die Offerterklärung, auf empfangsbedürftige Willenserklärungen überhaupt, auf Willenserklärungen überhaupt, auch auf rechtsgeschäftsähnliche Äußerungen oder gar auch auf alles rechtswirksame Verhalten, etwa auch deliktische Äußerungen, erstrecken? Das lässt sich nur beurteilen, wenn man die Induktion aus der Zugangsregelung ergänzt durch den Rückgriff auf die dahinter stehenden Gefahrtragungsprinzipien, nämlich auf die bessere abstrakte Gefahrbeherrschung hinsichtlich des Transports einer Äußerung. Das spricht für die Abgrenzung bei den rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen und rechtsgeschäftsähnlichen Äußerungen, die gegenüber einem anderen abzugeben sind. Diese Abgrenzung lässt sich aber gewiss nicht allein aus der Vorschrift über die Annahmeerklärung gewinnen, sondern nur, wenn man die Natur der Sache mit heranzieht. Die angegebene Grenzziehung erklärt nämlich einerseits die gesetzlichen Einzelregeln und sie entspricht anderseits der Natur der Sache, nämlich den Erfordernissen eines funktionierenden Geschäftsverkehrs. Dahinter steht offensichtlich die Zweckmäßigkeit im utilitaristisch-ökonomischen Sinn. Die Induktion aus positiven Regelungen führt also dann und erst dann zu einem formulierbaren Rechtsprinzip, wenn sie auf eine allgemeine Wertung trifft, die auch in der positiven Verkehrsübung bzw Verkehrsauffassung oder sonst in einer Ableitung aus einem funda-
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mentalen Rechtsgrundsatz begründet ist. Von da her bestimmt sich der Abstraktionsgrad der Verallgemeinerung, der allein durch induktive Überlegungen nicht zu gewinnen ist. Dazu muss aber im Falle faktisch weitgehend wirksamer Verkehrsnormen noch die deduktive Überprüfung aus den fundamentalen Rechtsgrundsätzen treten, um Fälle von Verkehrsmissbrauch oder von irregeleiteter Sozialmoral ausscheiden zu können, die zB auf umfassende Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen zielen. Dabei darf Diskriminierung freilich nicht in dem heute vielfach gemeinten, aber pervertierten Sinn verstanden werden, dass die Normenordnung volle Egalität der verschiedenen Individuen und Gruppen nicht realisiert. Eine solche Egalisierung ist ja schon wegen der ganz unterschiedlichen Individualität der Menschen unmöglich und unter demselben Gesichtspunkt sowie auf Grund der Freiheitsidee auch nicht wünschenswert. Mehr als diese knappen Hinweise kann ich hier und jetzt zur Prinzipienfeststellung und Prinzipienanwendung nicht bieten.89 Dass die praktische Verwertung von Rechtsethik gerade über die rechtliche Prinzipienebene läuft, scheint mir aber ziemlich offenkundig zu sein und wird auch in der Literatur wiederholt betont.90 Der von manchen gern getroffenen Unterscheidung zwischen „rechtsimmanenten“ Prinzipien, die auch ein braver positivistischer Jurist heranziehen mag, Näher in den Fundstellen Anm. 7; zum heute viel erörterten Prinzipienmodell etwa grundlegend Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen (1984), 56 ff; Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Krawietz ua (Hrsg), Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz (1979), 59 ff; derselbe, Theorie der Grundrechte (1985), 71ff; derselbe, Rechtsregel und Rechtsprinzipien, in: Mac Cormick ua (Hrsg), Geltungs- und Erkenntnisbedingungen im modernen Rechtsdenken (1985), 13ff, ferner etwa R. Dreier, Rechtsbegriff und Rechtsidee (1986), 26 ff; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre (1982), 97 ff, P. Koller, Theorie des Rechts. Eine Einführung2 (1997), 91ff; Stelzer, Das Wesensgehaltsargument und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1991), 213 ff; W. Enderlein, Abwägung in Recht und Moral (1992), 80 ff; Weinberger, Norm und Institution (1988), 198; Penski, Rechtsgrundsätze und Rechtsregeln, JZ 1988, 105 (letzterer kritisch). 90 Behrends aaO 1, 4, 14, 26; von der Pfordten aaO 96 („Rechtswerte“), 168 („rechtsethische Prinzipien“), 508 (Wertungsgehalt von Interpretationsalternativen), 527 (Gerechtigkeitsprinzipien); aaO 135 (allerdings nicht für inhaltliche, sondern für prozedurale Prinzipien). 89
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und rechtsexternen Prinzipien, die grundsätzlich von Übel sein sollen, vermag ich nicht zu folgen. Wie die gerade gemachten Ausführungen hoffentlich erkennen lassen, treffen bei der Ermittlung von Rechtsprinzipien immer Ansätze beim konkreten etatistischen Recht und solche bei rechtsethischen Größen außerhalb des etatistischen Rechts zusammen, wenn auch in einem je nach der konkreten normativen Lage sehr unterschiedlichen Mischungsverhältnis. Wollte man die „rechtsimmanenten“ Prinzipien einigermaßen streng verstehen, so dürfte man ja Prinzipien nur so weit anerkennen und verwenden, als sie unmittelbar in positiven Einzelregeln verkörpert sind. Zur Orientierung bei der Rechtsfortbildung, einer Hauptaufgabe, wären sie dann ungeeignet. Terminologische Differenzierungen je nach dem in concreto überwiegenden Begründungsmaterial sind denkbar, aber schwerlich hilfreich. Es sollte genügen, dass bestmöglich ermittelte Rechtsprinzipien, auch wenn sie einen Begründungsschwerpunkt in der Rechtsethik haben, zum Recht im weiteren Sinn gehören, das – iSd „Prinzipienarguments“ oder „methodologischen Arguments“ – für die bestmögliche Erfüllung der juristischen Aufgaben unerlässlich ist.91 Zum Schluss: Ich bin mir der Unzulänglichkeit meiner Aussagen gegenüber dem Gesamtthema, wenn man es einigermaßen anspruchsvoll versteht, sehr bewusst. Ich hoffe aber dennoch, dass ich meinen vier Thesen einige Plausibilität verschaffen konnte.
91 Die andere Unterscheidung zwischen rechtsethischen und rechtstechnischen Prinzipien mag man treffen, wenn man mit den letzteren solche meint, die weniger den materiellen Rechtsinhalt als vielmehr äußere Vorgänge, zB im Grundbuchsrecht, betreffen. Juristisch scheint mir aber auch diese Unterscheidung wenig folgenreich zu sein.
Bericht über die Diskussion des Vortrags von Franz Bydlinski „Formale Freiheitsethik und andere Ethiken im Privatrecht“ Sebastian Klausch
(Diskussionsleitung: Susanne Wimmer-Leonhardt) Wie auch schon in den vorangegangenen Diskussionen erhielt zunächst der Jubilar, Dieter Reuter, die Gelegenheit, Stellung zu dem Vortrag zu nehmen. Reuter wies darauf hin, dass es ihm in seiner bisherigen Arbeit nicht darum gegangen sei, eine umfassende Rechtsethik zu entwickeln. Vielmehr habe er schlicht auf Wirkungen ethischer Einflüsse auf das Privatrecht, insbesondere das Arbeitsrecht reagiert. Auch das Recht des 19. Jahrhunderts habe das damalige Elend der Arbeiterschaft nicht ignoriert. Der historische Gesetzgeber des BGB habe die soziale Frage lediglich für eine vorübergehende Erscheinung gehalten. Ausgehend von dieser Überzeugung habe er geglaubt, die sozialen Probleme nicht über ein soziales Privatrecht lösen zu müssen, sondern durch öffentlich-rechtliche Maßnahmegesetze lösen zu können. Als Beleg nannte Reuter das als Novelle zur GewO erlassene Arbeiterschutzgesetz von 1890, durch das die wichtigsten sozialen Forderungen der damaligen Zeit erfüllt worden seien. Erst im 20. Jahrhundert habe sich die Überzeugung durchgesetzt, das liberale Privatrecht sei seinem Wesen nach zur Regelung des Arbeitslebens ungeeignet. Reuter führte dazu ein Zitat Sinzheimers an, nach dem das bürgerliche Recht an die Freiheit des Menschen anknüpft, während das Arbeitsrecht auf die Realität, nämlich die Abhängigkeit des Arbeitnehmers abhebt. Dieser Wechsel der Prämissen habe für das arbeitsrechtliche Denken zu einem Abschied von der Fernbereichsmoral des Marktes zugunsten einer familialen Nahbereichsmoral geführt. Das Arbeitsverhältnis sei als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis verstanden worden. Fortan habe die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im Vorder-
140
Sebastian Klausch
grund gestanden mit weitreichenden Folgerungen von der Verantwortlichkeit für die Gesundheit der Arbeitnehmer über den Kündigungsschutz bis hin zu der zumindest moralischen Verpflichtung zu sog. freiwilligen Sozialleistungen. An diesen Ergebnissen habe sich auch nichts geändert, als in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts das Verständnis des Arbeitsverhältnisses als eines personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses wieder durch seine Qualifikation als Schuldverhältnis abgelöst worden sei. Als Beleg für die grotesken Konsequenzen einer solchen Reintegration des Arbeitsrechts in das normale Privatrecht ohne Revision der Ergebnisse führte Reuter den „Fall Mannesmann“ an. Die Zahlungen an den damaligen Vorstandsvorsitzenden von Mannesmann Esser im Rahmen der Übernahme des Unternehmens durch Vodafone seien in einem bestellten Rechtsgutachten ernsthaft damit gerechtfertigt worden, dass derartige Zahlungen an verdiente Arbeitnehmer im Arbeitsrecht üblich und akzeptiert seien. Hier sei arbeitsrechtliche Nahbereichsmoral auf einen Bereich übertragen worden, in dem sie offenbar fehl am Platze sei. Insgesamt plädierte Reuter dafür, bei ethischen Anforderungen an die Teilnehmer im Rechtsverkehr Akzeptanzgrenzen zu beachten. Die entscheidende Frage sei, welches Maß an Moral den Beteiligten noch zumutbar sei. Die Anwendung von Nahbereichsmoral im Arbeitsrecht zeitige schlechte Ergebnisse, weil sie Immunreaktionen provoziere. Wenn das Arbeitsrecht dem Arbeitgeber ansinne, sich gegenüber seinen Arbeitnehmern zu verhalten wie ein treusorgender Vater gegenüber seinen Kindern, werde er sich dem nach Möglichkeit durch Verzicht auf Einstellungen zu entziehen versuchen, weil er solches Ansinnen für unangemessen halte. Anders sei es zum Beispiel im Familienrecht. Hier könne unterstellt werden, dass die Beteiligten mit der Anwendung von Grundsätzen der Nahbereichsmoral einverstanden seien. Im normalen Rechtsverkehr tue das Recht gut daran, in seinen ethischen Anforderungen nicht über das Gebot der Fairness, die „Fernbereichsmoral“, hinauszugehen. Abschließend wies Reuter darauf hin, dass seiner Meinung nach der Titel des Symposions bereits eine problematische Wertung enthalte.
Bericht über die Diskussion des Vortrags von Franz Bydlinski
141
Die Bezeichnungen „formale Freiheitsethik“ und „materiale Verantwortungsethik“ suggerierten eine Überlegenheit der letzteren, die er keineswegs für erwiesen halte. Er ziehe es deshalb vor, die beiden Subjekte einander ohne die ergänzenden Adjektive gegenüberzustellen.
Stifterunruhe (aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Donnerstag, den 13. Oktober 2005, Nr. 238, S. 42)
Seine Interessen sind breit gefächert: Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht. Und in Kiel, wo Dieter Reuter nach Lehrstühlen an der Freien Universität Berlin sowie in Tübingen soeben seine akademische Laufbahn durch Überschreiten der Altersgrenze beschließt, gilt er bei Kollegen wie Studenten als das Rückgrat des Zivilrechts. Besondere Aufmerksamkeit hat er sich im Stiftungsrecht erstritten, einer Disziplin, die durch den Stiftungsboom der letzten Dekade in Mode gekommen ist, von Reuter jedoch entdeckt war, als sie noch als Spielwiese für juristische Außenseiter galt. So früh gestartet, führt er das Feld der Experten seit mehr als zwei Jahrzehnten unbestritten an. Dabei sind Reuters Thesen keineswegs populär. Zwar kann er für sich in Anspruch nehmen, zu den Erfindern des „Rechts auf Stiftung“ zu zählen. Lange hatten die Länderbehörden dessen Existenz hartnäckig geleugnet und die staatliche Genehmigung eines Stiftungsvorhabens als Ermessenssache gehandhabt. Daß der Bundesgesetzgeber sie im Jahre 2002 eines Besseren belehrt hat, ist nicht zuletzt Reuters Verdienst. Einer schrankenlosen Stifterfreiheit hat der subtile Denker allerdings nie das Wort geredet. In Wahrheit hält er Stiftungen nur für legitim, wenn sie sich um die Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben kümmern. Rein privatnützige Anliegen rechtfertigen die dauerhafte Verewigung eines Stifterwillens in seinen Augen nicht. Und so ficht er mit Verve gegen Konstrukte, die unter dem Vorwand der Verwirklichung wohltätiger Zwecke in Wahrheit lediglich zur Unternehmenserhaltung oder zu vergleichbarer Bindung künftiger Generationen eingesetzt werden – Ziele,
die für den überzeugten Ordoliberalen mit grundlegenden Prinzipien der Marktwirtschaft kollidieren. Viele Freunde hat Reuter sein Purismus nicht beschert. Schließlich gelten stiftende Unternehmer hierzulande als die Helden der Zivilgesellschaft, und zwar offenbar selbst dann, wenn sie sich hybrider Modelle wie der „Stiftung & Co. KG“ oder anderer steuergetriebener Phantasiegebilde bedienen. Dabei hat Reuter schon vor Jahren nachgewiesen, daß gerade stiftungsverbundene Betriebe wie zum Beispiel Bosch oder auch Bertelsmann oft eine auffällig niedrige Ausschüttungsquote haben. Es scheint, als gehe das Zusammenwirken von Unternehmens- und Stiftungsführung nicht selten zu Lasten der Stiftungen. Reuter hegt daher Sympathie für die Forderung, gemeinnützige Stiftungen nach amerikanischen Vorbild zu Mindestausschüttungen für ihre guten Zwecke zu verpflichten – ein Albtraum für jene angestellten Funktionäre, die es sich in der symbiotischen Kultur der deutschen Stiftungsunternehmen und Unternehmensstiftungen behaglich eingerichtet haben. Reuter freilich stört es nicht, daß er in solchen Kreisen als Unruhestifter gilt. Der prinzipienfeste Wissenschaftler beharrt darauf, daß die Ordnungsaufgabe des Gesetzgebers eben nicht nur den Schutz des Stifterwillens gebietet, sondern auch die Berücksichtigung des Gemeininteresses an möglichst effizienten Stiftungen – zumindest solange sie Steuervorteile in Anspruch nehmen. Und der sozial engagierte Junggeselle weiß durchaus, wovon er redet. Unlängst hat er selbst eine Stiftung ins Leben gerufen – für wohltätige Zwecke, wie sich versteht. PETER RAWERT
Lebenslauf von Professor Dr. Dieter Reuter 16.10.1940
geb. in Dahlbruch Krs. Siegen
1951–57
priv. Heilig-Geist-Gymnasium Knechtsteden/Menden
1957–60
Städtisches Gymnasium in Siegen/Westf.
26.2.1960
Abitur
1.4.1960– 31.3.1961
Wehrdienst
ab 1.5.1961
Jurastudium in Münster/Westf. und Berlin
9.1.1965
Erste juristische Staatsprüfung (ausgezeichnet)
1.2.1965
Beginn des juristischen Vorbereitungsdienstes
26.7.1967
Promotion zum Dr. iur., Münster (summa cum laude – Fakultätspreis)
12.9.1968
Zweites Juristisches Staatsexamen (gut)
1.10.1968– 1.8.1972
Wiss. Assistent am Lehrstuhl Prof. Mestmäcker an der Universität Bielefeld
4.7.1972
Habilitation in den Fächern Bürgerliches Recht, Handelsrecht und Arbeitsrecht
Juli 1974
Ruf an die Freie Universität Berlin (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Wirtschaftsrecht – Nachfolge Dütz)
zum WinterSemester 1974
Annahme des Rufs an die Freie Universität Berlin
September 1977
Ruf an die Universität Göttingen (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht – Nachfolge NeumannDuesberg)
Februar 1978
Ruf an die Universität Tübingen (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht – Nachfolge Esser)
zum SommerSemester 1978
Ablehnung des Rufs nach Göttingen und Annahme des Rufs nach Tübingen
146
Lebenslauf
1.10.1981– 30.9.1982
Dekan der Jur. Fakultät der Universität Tübingen
1982–1985
Mitglied des Prüfungsausschusses für Wirtschaftsprüfer beim Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr Baden-Württemberg
April 1984
Ruf an die Universität Kiel (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsrecht und Arbeitsrecht – Nachfolge Thiele)
Herbst 1984
Gutachter des Deutschen Juristentags 1984 (Wirtschaftsrechtliche Abteilung)
zum SommerSemester 1985
Annahme des Rufs nach Kiel
1985
Richter am Oberlandesgericht Schleswig (zweites Hauptamt)
1987
Ordentl. Mitglied der Joachim-Jungius-Gesellschaft, Hamburg
1991
Ruf an die Universität Bielefeld (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht – Nachfolge Hommelhoff)
1992
(Ersatz-)Fachgutachter für die Deutsche Forschungsgemeinschaft
ab 1993
Stellvertretender Vorsitzender des Justizprüfungsamts Schleswig-Holstein
1996
Referent des Deutschen Juristentags (Arbeitsrechtliche Abteilung) Anhörungen als Sachverständiger zur Deregulierung des Arbeitsmarktes (Sachverständigenrat für die Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung, Deregulierungskommission, Monopolkommission) Anhörungen als Sachverständiger zur Reform des Stiftungsrechts (Innenausschuss des Deutschen Bundestags, FDP-Fraktion, Enquetekommission des Bundestags und des Bundesrats)
2001
Gründung der Johann und Anna Reuter-Gedächtnisstiftung in Hilchenbach
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Professor Dr. Dieter Reuter (Stand: Ende 2005) I. Selbständige Veröffentlichungen 1.
Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, Berlin 1968, (Schriften zum öffentlichen Recht, Bd. 72, 253 S.)
2.
Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen. Ein Beitrag zum Problem der Gestaltungsfreiheit im Recht der Unternehmensformen, Frankfurt a.M. 1973, Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik, Bd. 32, 475 S.
3.
(zus. m. S. Streckel) Grundfragen der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung, Frankfurt a.M. 1973, Aktuelles Recht, Bd. 18, 108 S.
4.
Vergütung von AT-Angestellten und betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung, Königstein 1979, Schriften zum Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Bd. 7, XVI und 56 S.
5.
Einführung in das Familienrecht, München 1980, 233 S., Begleitbuch zur gleichnamigen Fernsehserie – ZDF, SWF.
6.
Der Sozialplan – Entschädigung für Arbeitsplatzverlust oder Steuerung unternehmerischen Handelns, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Hannover, H. 10. Bielefeld 1983, 30 S.
7.
(zus. mit Michael Martinek) Ungerechtfertigte Bereicherung, Handbuch des Schuldrechts Bd. 4, Tübingen 1983, XXXII + 828 S.
8.
Welche Maßnahmen empfehlen sich, insbesondere auf gesellschaftsund kapitalmarktrechtlichem Gebiet, um die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen nachhaltig zu verbessern?, Gutachten für den 55. Deutschen Juristentag 1984, 122 S.
9.
Die Mitbestimmung als Bestandteil des Normativsystems für die juristischen Personen des Handelsrechts – Eine Theorie der Mitbestimmung im Unternehmen nach geltendem Recht –, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 105, 1987, 36 S.
10.
Die Stellung des Arbeitsrechts in der Privatrechtsordnung, Berichte aus den Sitzungen der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg 1989, 36 S.
148
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
II. Kommentierungen 1.
Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1 – Allgemeiner Teil, Vereinsrecht, Vorbem. zu § 21, §§ 21 – 79 BGB, 1. Aufl., München 1978, S. 201– 434; 2. Aufl., München 1984, S. 287–562; 3. Aufl., München 1993, S. 283–633; 4. Aufl., München 2001, 407–804.
2.
Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1 – Allgemeiner Teil, Stiftungsrecht, Vorbem. zu § 80, §§ 80–88 BGB, 1. Aufl., München 1978, S. 434 – 456; 2. Aufl., München 1984, S. 562–602; 3. Aufl., München 1993, S. 634 – 689; 4. Aufl. München 2001, S. 804– 901; Neukommentierung im Ergänzungsband 2005 S. 1–155.
3.
Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1 – Allgemeiner Teil, Juristische Personen des öffentlichen Rechts, § 89 BGB, 1. Aufl., München 1978, S. 457– 465; 2. Aufl., München 1984, S. 602– 613; 3. Aufl., München 1993, S. 689–701; 4. Aufl., München 2003, S. 889–901.
4.
J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., Berlin 1991, §§ 652–656 BGB (Maklerrecht), 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 652–740, S. 1–161; 13. Aufl., Berlin 1995, Vorbem. zu §§ 652 ff.; §§ 652–656 BGB (Maklerrecht), 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 652–704, S. 1–222; Neubearbeitung 2003, S. 1–313.
5.
J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., Berlin 1991, §§ 688–700 BGB (Verwahrung), 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 652–740, S. 186–231; 13. Aufl., Berlin 1995, §§ 688–700 BGB (Verwahrung), 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 652–704, S. 779–840.
6.
J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., Berlin 1989, §§ 598–606 BGB (Leihe), 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 581–597; Landpacht; §§ 598–610, S. 398–424; 13. Aufl., Berlin 1996, §§ 598– 606 BGB (Leihe), 2. Buch, Recht der Schuldverhältnisse, S. 504 –589; Neubearbeitung 2005, S. 581–620.
III. Aufsätze 1.
(zus. m. F. J. Säcker) Herausgabe von Kindern in die Sowjetzone; NJW 1965, 2037–2041.
2.
Die Grundrechtsmündigkeit – Problem oder Scheinproblem?; FamRZ 1969, S. 622–625.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
149
3.
(zus. m. E. J. Mestmäcker) Stiftungen in Deutschland; Stiftungen in Europa, Baden-Baden 1971, S. 109–146.
4.
Gesellschaftsvertragliche Nachfolgeregelung und Pflichtteilsrecht – BGH NJW 1970, 1638; JuS 1971, S. 289–294.
5.
Die handelsrechtliche Erbenhaftung (§ 27 HGB); ZHR 135 (1969), S. 511–527.
6.
Das neue Betriebsverfassungsgesetz; JuS 1972, S. 163–165.
7.
Das neue Ausbildungsförderungsgesetz; JuS 1972, S. 223–224/S. 419– 419.
8.
Nochmals: Zur Grundrechtsmündigkeit des Minderjährigen am Beispiel der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG); AuR 1972, S. 231–235.
9.
Die (persönliche und amtliche) Rechtsstellung des Betriebsrats im Arbeitskampf; AuR 1973, S. 1–9.
10.
Nochmals: Die unverhältnismäßige Aussperrung – BAG (GS) AP, Art. 9 GG – Arbeitskampf – Nr. 43; JuS 1973, S. 284 –290.
11.
Betriebs- und Unternehmensverfassung; Recht im sozialen Rechtsstaat (Kritik 5); Obladen 1973, S. 197–226.
12.
Die Stiftungsabhängigkeit des Unternehmens – ein Mittel zur Lösung des Nachfolgeproblems?; GmbH-Rundschau 1973, S. 241–250.
13.
Die freie Wahl des Arbeitsplatzes – ein nicht realisierbares Grundrecht?; RdA 1973, S. 345–353.
14.
Das Treuhandmodell des Investmentrechts – Eine Altenative zur Aktiengesellschaft? (Rezensionsabhandlung zur gleichnamigen Schrift von Günter H. Roth); ZHR 137 (1973), S. 404–415.
15.
Nominalprinzip und Geldentwertung. Volkswirtschaftliche, sozialpolitische und rechtliche Aspekte einer (teilweisen) Aufgabe des Nominalprinzips; ZHR 137 (1973), S. 482–506.
16.
Die Entwicklung des arbeitsrechtlichen Schrifttums im Jahre 1973; ZfA 1974, S. 235–331.
17.
Nochmals: Die neue Dimension der Rechtswissenschaft; AuR 1974, S. 415– 420.
18.
Betriebsverfassung und Privatautonomie (Rezensionsabhandlung zur gleichnamigen Schrift von R. Richardi); ZfA 1975, S. 85–96.
19.
Die Arbeitskampffreiheit in der Verfassungs- und Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung; Festschrift für Franz Böhm zum 80. Geburtstag; Tübingen 1975, S. 521–552.
150
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
20.
Streik und Aussperrung; RdA 1975, S. 275–288.
21.
Anpassung von Gesellschaftsverträgen an veränderte Umstände. (Besprechung von BGH, WM 1974, 331); ZGR 1976, S. 88–96.
22.
Geldschuld und Geldwert (Rezensionsabhandlung zur gleichnamigen Schrift von Bernd von Maydell); ZHR 140 (1976), S. 73–84.
23.
Eltern-Kinder-Gruppen und Heimaufsicht nach dem JWG; RdJB 1976, S. 193–200.
24.
Umfang und Schranken des gewerkschaftlichen Zutrittsrechts zum Betrieb unter besonderer Berücksichtigung der Seeschiffahrt; ZfA 1976, S. 107–181.
25.
Artikel „Arbeitsvertrag“; Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, Band 1, Stuttgart/New York/Tübingen/Göttingen/Zürich 1976, S. 319–325.
26.
(zus. mit J. Körnig) Mitbestimmung und gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit; ZHR 140 (1976), S. 494 –519.
27.
(zus. mit N. Kunath) Gütergemeinschaft und Ehegatten-OHG – BGH, NJW 1975, 1774; JuS 1977, S. 376–382.
28.
Nochmals: Das Kündigungsrecht des GmbH-Gesellschafters; GmbHRdsch 1977, S. 77–81.
29.
Zulässigkeit und Grenzen tarifvertraglicher Besetzungsregelungen; ZfA 1978, S. 1– 44.
30.
Stimmrechtsvereinbarungen bei treuhänderischer Abtretung eines GmbH-Anteils; ZGR 1978, S. 633– 642.
31.
Das Recht auf Arbeit – ein Prinzip des Arbeitsrechts?; RdA 1978, S. 344–351.
32.
(zus. m. J. Körnig) Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Betriebsänderungen – Datensetzung oder unternehmerische Mitbestimmung?; AG 1978, S. 325–334.
33.
Grundlagen des Kündigungsschutzes – Bestandsaufnahme und Kritik; 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, München 1979, S. 405–427. (Hauptreferat auf der Bundestagung der deutschen Arbeitsgerichtsverbände 1978 in Wolfsburg)
34.
Der Partizipationsschein als Form der Mitarbeiterbeteiligung; Festschrift für Robert Fischer, Berlin/New York 1979, S. 605–625.
35.
Richterliche Kontrolle der Satzung von Publikums-Personengesellschaften?; AG 1979, S. 321–330.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
151
36.
Der Einfluß der Mitbestimmung auf das Gesellschafts- und Arbeitsrecht; AcP 179 (1979), S. 509–566.
37.
Die Arbeiterselbstverwaltung im Spannungsverhältnis von Gesellschafts- und Arbeitsrecht; ZfA 1979, S. 537–558.
38.
Grenzen der Verbandsstrafgewalt; ZGR 1980, S. 101–128.
39.
Informationsrechte in Unternehmen und Betrieb; ZHR 144 (1980), S. 493–506.
40.
Gewerkschaftliche Präsenz im Betrieb; Arbeitsleben und Rechtspflege; Festschrift für Gerhard Müller, Berlin 1981, S. 387–412.
41.
Die Bestandssicherung von Unternehmen – ein Schlüssel zur Zukunft des Handelsgesellschaftsrechts; AcP 181 (1981), S. 1–30.
42.
Die Abgrenzung von Vereins- und Gesellschaftsrecht; ZGR 1981, S. 364 –375.
43.
Die Mitbestimmung des Betriebsrats über die Lage der Arbeitszeit von Ladenangestellten; ZfA 1981, S. 165–204.
44.
Die „Wesenselemente“ der Personengesellschaft in der neueren Rechtsprechung. Bestandsaufnahme, literarische Gegenbewegungen, Konsequenzen; GmbH-Rdsch 1981, S. 129 –139.
45.
Arbeitsrechtliche Aspekte neuer Arbeitszeitstrukturen; RdA 1981, S. 201–208.
46.
Probleme der Mitgliedschaft beim Idealverein; ZHR 145 (1981), S. 273– 285.
47.
Die Personengesellschaft als abhängiges Unternehmen; ZHR 146 (1982), S. 1–29.
48.
Reichweite und Grenzen der Legitimität des Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen; Ordo XXXIII (1982), S. 165–199.
49.
Gibt es eine „arbeitsrechtliche Methode“? Ein Plädoyer für die Einheit der Rechtsordnung; Festschrift für Marie Luise Hilger und Hermann Stumpf zum 70. Geburtstag, Berlin 1983, S. 573–599.
50.
Probleme der Transferentschädigung im Fußballsport; NJW 1983, S. 649 – 656.
51.
Verbesserung der Risikokapitalausstattung der Unternehmen durch Mitarbeiterbeteiligung?; NJW 1984, S. 1849 –1857.
52.
Rechtliche Grenzen ausgegliederter Wirtschaftstätigkeit von Idealvereinen; ZIP 1984, S. 1052–1064.
53.
Die Verfassung des Vereins gem. § 25 BGB; ZHR 148 (1984), S. 523– 554.
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
54.
Genuß ohne Reue? AG 1985, S. 104–108.
55.
Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht. Zugleich ein Beitrag zum Problem der Einheit oder Vielheit der Rechtsanwendungsmethoden; RdA 1985, S. 321–328.
56.
Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftsrechtlicher und kapitalmarktrechtlicher Maßnahmen mit dem Ziel einer verbesserten Eigenkapitalausstattung der deutschen Wirtschaft. Eine Nachlese zum 55. Deutschen Juristentag; Festschrift für Walter Stimpel zum 68. Geburtstag, Berlin/New York 1985, S. 645–671.
57.
Die Rolle des Arbeitsrechts im marktwirtschaftlichen System; Ordo XXXVI (1985), S. 51–88.
58.
Zivilrechtliche Probleme der Schwarzarbeit; Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, 1986, Heft 48, S. 31– 49. (Referat auf der Jahrestagung der Görres-Gesellschaft 1984 in Regensburg)
59.
Die Unternehmensbeteiligungsgesellschaft – eine Hoffnung für nicht emissionsfähige Unternehmen?; ZRP 1985, S. 248–256.
60.
Die Mitarbeiterbeteiligung – Modell für die zukünftige Verfassung der deutschen Unternehmen? Kritische Bemerkungen zur jüngeren Vermögenspolitik; Zeitschrift für Rechtspolitik, 1986, S. 8–11.
61.
Die unfaßbare „Neue Beweglichkeit“ – BAG NJW 1985, 85; JuS 1986, S. 19–24.
62.
Neuere Rechtsprechung zum Personengesellschaftsrecht. Teil 1: JZ 1986, S. 16–23; Teil 2: JZ 1986, S. 72–82.
63.
Das Gewissen des Arbeitnehmers als Grenze des Direktionsrechts des Arbeitgebers, Kritische Anmerkungen zu BAG, Urteil v. 20.12.1984; BB 1986, S. 385–391.
64.
Ansätze eines Konzernrechts der Personengesellschaft in der höchstrichterlichen Rechtsprechung; AG, 1986, S. 130–138.
65.
Wirtschaftliche Aufgaben und Rechtsverfassung des Sportvereins; in: Betriebswirtschaftsliche Grundlagen des Sportvereins, hrsg. von Heinemann, Schorndorf 987, S. 40 –66.
66.
Vermögensteilhabe der Arbeitnehmer – Wege, Nutzen und Grenzen; in: Arbeitnehmer und Gesellschaft – Zur Zukunft des Arbeitsrechts in der Wirtschaftsordnung, hrsg. von Beuthien, Stuttgart 1987, S. 89–106.
67.
Voraussetzungen und Grenzen der Verbindlichkeit internationalen Sportrechts für Sportvereine und Sportler; in: Einbindung nationalen
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
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Sportrechts in internationale Bezüge, hrsg. von Reuter, Heidelberg 1987, S. 53–70. 68.
Wirtschaftsethische Einflüsse auf die Auslegung wirtschaftsrechtlicher Generalklauseln; ZGR 1987, S. 489–504.
69.
Stiftungsrecht und Vereinsrecht – Konsequenzen aus Übereinstimmung und Unterschieden; in: Entwicklungstendenzen im Stiftungsrecht, hrsg. von Flämig 1987, S. 85–111; zugleich in: Deutsches Stiftungswesen 1977–1988, 1989, S. 95–118.
70.
Verbandszweck und Rechtsfähigkeit im Vereinsrecht (Rezensionsabhandlung zur gleichnamigen Schrift von Karsten Schmidt); ZHR 151 (1987), S. 237–257.
71.
Die Änderung des Vereinszwecks – Besprechung von BGH NJW 1986, 1033; ZGR 1987, S. 475– 488.
72.
Der Ausschluß aus dem Verein; NJW 1987, S. 2401–2406.
73.
100 Bände BGHZ – Vereins- und Genossenschaftsrecht; ZHR 151 (1987), S. 355–395.
74.
Das Verhältnis der unternehmerischen Mitbestimmung zum Arbeitsrecht; RdA 1988, S. 280–286.
75.
Re-Individualisierung des Arbeitsverhältnisses? Überlegungen zu einer Neubestimmung des Verhältnisses Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Arbeitsvertrag; in: Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses?, hrsg. von Besters, Gespräche der List-Gesellschaft, Band 11, Baden-Baden 1988, S. 29– 48.
76.
Funktionsfähigkeit der Arbeitsmärkte durch Tarifautonomie?; in: Währungsreform und soziale Marktwirtschaft; Schriften des Vereins für Socialpolitik, Gesellschaft für Wirtschafts- und Socialwissenschaften, 1989, S. 507–519. (Referat auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik 1989 in Freiburg)
77.
Die ethischen Grundlagen des Privatrechts – formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik?; AcP 189 (1989), S. 199–223. Auch in: Wirtschaftsethik, Gesellschaftswissenschaftliche Perspektiven, hrsg. von Pappi/Urban), Sonderheft, Kiel 1989.
78.
Die Stellung des Arbeitsrechts in der Privatrechtsordnung (Kurzfassung); Jahresbericht der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg 1989, Jahrgang 7, Heft 2, S. 161–163.
79.
Das Maklerrecht als Sonderrecht der Maklertätigkeit – Versuch einer dogmatischen Ortsbestimmung –; NJW 1990, S. 1321–1328.
154
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
80.
Der Beirat der Personengesellschaft; Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag, Berlin/New York 1990, S. 229–247.
81.
Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik; Siebert (Hrsg.), Gutachten für die Deregulierungskommission (Abschnitt: Juristische Bewertung); Tübingen 1990, S. 189–234.
82.
Der Wandel des Arbeitsrechts; Besters (Hrsg.), Der Wandel in den Arbeitsbeziehungen aus der Sicht des Arbeitsrechts; hrs. von Besters; List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, Band 16, Heft 2, Baden-Baden 1990, S. 111–127.
83.
Rechtliche und rechtspolitische Probleme der Mitarbeiterbeteiligung; BB 1990, S. 713–719.
84.
Die Grenzen des Streikrechts; ZfA 1990, S. 535–561; = Limits on the right to strike, 1990, Reprinted from Tel Aviv University Studies in Law, Volume 10, p. 315–335.
85.
Das Verhältnis von Individualautonomie, Betriebsautonomie und Tarifautonomie – Ein Beitrag zum Wandel der Arbeitsrechtsordnung; RdA 1991, S. 193–204.
86.
Probleme der Unternehmensnachfolge – Gewerblicher Erbhof, verfaßtes Familienunternehmen, Unternehmen an sich –; ZGR 1991, S. 467– 487.
87.
Rechtsprobleme unternehmensbezogener Stiftungen; DWiR 1991, Heft 5, S. 192–200.
88.
Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt; DZWiR 1991, S. 221–233.
89.
Die Mitgliedschaft als sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB; Festschrift für Hermann Lange zum 70. Geburtstag, Stuttgart/Berlin/Köln 1992, S. 707–728.
90.
Elterliche Sorge und Verfassungsrecht; AcP 192 (1992), S. 108–152. (Referat auf der Zivilrechtslehrertagung 1991 in St. Gallen)
91.
Der Beirat der GmbH; Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 631– 656.
92.
Die problematische Tarifeinheit; JuS 1992, S. 105–110.
93.
(zus. m. R. Katschinski) Vorzugsaktie und Genußschein; in: Handbuch des Finanzmanagements. Instrumente und Märkte der Unternehmensfinanzierung, hrsg. von Gebhardt, Gerke, Steiner, München 1993, S. 314–344.
94.
Die Lohnbestimmung im Betrieb (ohne Mitbestimmungsproblematik) – Realtität, rechtliche Einordnung, rechtspraktische Konsequenzen; ZfA 1993, S. 221–254.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
155
95. Formale Freiheitsethik und Privatrecht; DZWir 1993, Heft 2, S. 45–53; Auch in: Festschrift für Erich Hoppmann zum 70. Geburtstag, BadenBaden 1994, S. 349 – 372. 96. Der nichtrechtsfähige wirtschaftliche Verein; Festschrift für Johannes Semler zum 70. Geburtstag, Berlin/New York 1993, S. 931–953. 97. Die Belastung des Bereicherungsgegenstandes mit Sicherungsrechten; Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70. Geburtstag, Tübingen 1993, S. 369–386. 98. Aktie und Genußschein – Anmerkungen zum Klöckner-Urteil des BGH; Fritsch, Liener, R. Schmidt (Hrsg.), Die deutsche Aktie, Festschrift zum 40jährigen Bestehen des deutschen Aktieninstituts e.V., hrsg. von Fritsch, Liener, R. Schmidt, 1993, S. 251–263. 99. Die Fusion von Gewerkschaften; DZWir 1993, S. 404–411. 100. (zusammen mit J. Habetha): Le droit allemand des associations; Commission des Communautés Européennes, (ed.) Le droit des associations 1993, S. 1– 60. 101. Das Sonderarbeitsrecht des Pressebereichs – Eine Bestandsaufnahme –; Arbeitsrecht in der Bewährung, Festschrift für Otto Rudolf Kissel zum 65. Geburtstag, München 1994, S. 941–965. 102. Fehlerhafter Fusionen von politischen Parteien im Vorfeld der Wiedervereinigung Deutschlands – Die Beispiele NDPD/LDP (B.F.D.) und LDP (B.F.D.)/F.D.P.; DZWiR 1994, S. 265–278. (Gutachten für die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR) 103. Möglichkeiten und Grenzen einer Auflockerung des Tarifkartells; ZfA 1995, S. 1– 94. (Gutachten für die Monopolkommission) 104. Betriebsverfassung und Tarifvertrag; RdA 1994, S. 152–168. 105. Die Grundlagen des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse; Der neuralgische Dritte Weg, in: Herderkorrespondenz, Monatshefte für Gesellschaft und Religion, 1994, S. 194–200. 106. Die katholische Soziallehre und das deutsche Arbeitsrecht – Gedanken zu Centesimus annus; RdA 1995, S. 1–10 107. Arbeitsrechtliche Probleme einer Liberalisierung des Ladenschlusses, Gutachten im Auftrag des IFO-Instituts, in: Das Ladenschlußgesetz auf dem Prüfstand, hrsg. von Täger/Vogler/Ludwig/Munz, Berlin 1995, Anhang S. 178–263
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
108. Die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer; in: Wirtschaftsordnung als Aufgabe. Zum 100. Geburtstag von Franz Böhm, hrsg. von Ludwig-Erhard-Stiftung, Frankfurt am Main 1995, S. 71–109. 109. Möglichkeiten und Grenzen der tarifvertraglichen Gestaltung durch Betriebsnormen – Beispiel Arbeitszeit; DZWiR 1995, S. 353–361. 110. Das selbstgeschaffene Recht des internationalen Sports im Konflikt mit dem Geltungsanspruch des nationalen Rechts; DZWiR 1996, S. 1–9. 111. Die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft) im Arbeitgeberverband; in: RdA 1996, Heft 4, S. 201–209. 112. Ein Plädoyer für das institutionelle Rechtsdenken, in: Festschrift Ernst Joachim Mestmäcker, 1996, S. 271–291. 113. Empfiehlt es sich, die Regelungsbefugnisse der Tarifparteien im Verhältnis zu den Betriebsparteien neu zu ordnen? In: Verhandlungen des 61. Deutschen Juristentages, Karlsruhe 1996, Band II/1, Referate und Beschlüsse K 37– 67, Beck-Verlag, München 1997. 114. Soziale Marktwirtschaft und Rechtsentwicklung, in: Historisch-Politische Mitteilungen, Archiv für Christlich-Demokratische Politik, hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Böhlau Verlag, Köln 1997. 115. Die Praxis des Arbeitsrechts – eine Achillesferse der Sozialen Marktwirtschaft; in: Ordo XLVIII (1997), S. 437– 464. 116. Das Verhältnis von Tarif- und Betriebsautonomie – Eine Nachlese zum arbeitsrechtlichen Thema des 61. Deutschen Juristentags, in: Tarifautonomie für ein neues Jahrhundert. Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 605–637. 117. Die unselbständige Stiftung, in: Stiftungen in Deutschland und Europa. hrsg. von Frhr. von Campenhausen/Kronke/Werner im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen aus Anlaß seines 50jährigen Jubiläums, IDW-Verlag GmbH, Düsseldorf 1998, S. 203–228. 118. Für ein konsistentes Arbeits(kampf)recht, in: Festschrift für Günther Wiese zum 70. Geburtstag, Hanau/Lorenz/Matthes (Hrsg.), Luchterhand Verlag 1998, S. 427– 440. 119. Bestellung und Anstellung von Organmitgliedern im Körperschaftsrecht, in: Festschrift für Wolfgang Zöllner zum 70. Geburtstag, Lieb/ Noack, Harm Peter Westermann (Hrsg.), Carl Heymanns Verlag KG 1998, S. 487–502. 120. Konzessions- oder Normativsystem für Stiftungen? in: Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, Hönn/Konzen/Kreutz (Hrsg.), Luchterhand Verlag 1998, S. 493–508.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
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121. Die Wandlung des Arbeitnehmerbegriffs – Befund und Konsequenzen, in: Richterliches Arbeitsrecht: Festschrift für Thomas Dieterich zum 65. Geburtstag, hrsg. von Peter Hanau, München 1999, S. 473–495. 122. Grundfragen des Koalitionsverbandsrechts, in: Festschrift für Alfred Söllner zum 70. Geburtstag, Köbler/Heinze/Hromadka (Hrsg.), BeckVerlag München 2000, S. 937–956. 123. Zweck und Grenze der Normsetzungsprärogative der Koalitionen, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1998, Gesellschaft für Rechtspolitik Trier, Beck-Verlag, München, S. 69–88. 124. Die Verbände in der Privatrechtsordnung, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Claus-Wilhelm Canaris/Andreas Heldrich/Klaus J. Hopt/Claus Roxin/Karsten Schmidt/Gunter Widmaier (Hrsg.), Beck-Verlag München 2000, S. 211–243. 125. Die Anfechtung von Beschlüssen der Wohnungseigentümer durch den Verwalter, in: ZWE (Zeitschrift für Wohnungseigentum), 2001, S. 286– 293. 126. Die Bedeutung von Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl im deutschen Arbeitsrecht, in: Fortbildung des Arbeitsrechts (Betriebsverfassung und Altersvorsorge) nach den Grundsätzen Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl (Schriftenreihe der Bayer-Stiftung für deutsches und internationales Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Band 7), 2001, S. 21– 41. 127. (zus. mit Klaus J. Hopt) Stiftungsrecht in Europa: Eine Einführung, in: Hopt/Reuter (Hrsg.) Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 1–21. 128. Staat und Stiftung, in: Hopt/Reuter (Hrsg.) Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 139–158. 129. Basic Issues of a Reform of the German Law Relating to Foundations, in: European Business Organization Law Review (EBOR) – Liber Amicorum E. J. Mestmäcker, T.M.C. Asser Press 2001, S. 739–759. 130. Können verbandsangehörige Arbeitgeber zum Abschluß von Haustarifverträgen gezwungen werden? in: NZA (Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht), 2001, Heft 20, S. 1097–1107. 131. Neue Impulse für das gemeinwohlorientierte Stiftungswesen? Zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Stiftungsrechts, in: Kötz/ Rawert/Schmidt/Walz (Hrsg.) Non Profit Law Yearbook 2001 (Bucerius Law School – Institut für Stiftungsrecht), Carl Heymanns Verlag KG Köln 2002, S. 27– 64.
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
132. Möglichkeiten und Grenzen einer Deregulierung des Arbeitsrechts, in: Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, C. H. BeckVerlag 2002, S. 449– 491. 133. Die sog. Verwertungskündigung des Vermieters (§ 573 II Nr. 3 BGB) in: Jickeli/Kreutz/Reuter (Hrsg.) im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 22. Januar 1938 bis 6. Dezember 2000, Verlag de Gruyter Recht, Berlin 2003, S. 329–347 (im Buchhandel nicht erhältlich). 134. Der praktische Nutzen der Rechtsgeschichte für das kollektive Arbeitsrecht, in: Eckert (Hrsg.) Der praktische Nutzen der Rechtsgeschichte, Hans Hattenhauer zum 8. September 2001, C. F. Müller Verlag 2003, S. 409– 424. 135. Die Integration des Verbraucherschutzrechts, in: Eckert/Delbrück (Hrsg.) Reform des deutschen Schuldrechts, Nomos-Verlag 2003, S. 99 ff. 136. Die Haftung des Stiftungsvorstands gegenüber der Stiftung, Dritten und dem Fiskus, in: Kötz/Rawert/Schmidt/Walz (Hrsg.) Non Profit Law Yearbook 2002 (Bucerius Law School – Institut für Stiftungsrecht), Carl Heymanns Verlag KG Köln 2003, S. 157–178. 137. Möglichkeiten und Grenzen einer Regelung von Arbeitsbeziehungen durch die Betriebspartner, in: ZMV, Die Mitarbeitervertretung, Zeitschrift für die Praxis der Mitarbeitervertretung in den Einrichtungen der katholischen und evangelischen Kirche, ZMV-Sonderheft Tagung 2003, Ketteler Verlag GmbH, Köln, S. 5–13. 138. Bloße Korrektur der Modalitäten? in: Wirtschaftsdienst, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Achiv (HWWA), 2003 Heft 4, S. 230 –237. 139. Zulässigkeit und Grenzen nachvertraglicher Wettbewerbsbeschränkungen im Gesellschaftsvertrag einer Freiberufler-Sozietät, in: Fuchs/ Schwintowski/Zimmer (Hrsg.), Wirtschafts- und Privatrecht im Spannungsfeld von Privatautonomie, Wettbewerb und Regulierung, FS für Ulrich Immenga zum 70. Geburtstag, Verlag C. H. Beck, München 2004, S. 667– 678. 140. Unternehmerische Freiheit und betriebsbedingte Kündigung, RdA 2004, Heft 3, S. 161–167. 141. Die Stiftung zwischen Verwaltungs- und Treuhandmodell, in: Häuser/ Hammen/Henrichs/Steinbeck/Siebel/Welter, FS für Walther Hadding zum 70. Geburtstag, Verlag De Gruyter, Berlin, 2004, S. 231–251.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
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142. Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, in: 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, Verlag C. H. Beck, München 2004, S. 177–196. 143. Persönliche Haftung für Schulden des nichtrechtsfähigen Idealvereins, in: NZG 2004 (Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht) Heft 5, S. 217– 220. 144. Der Vorbehalt des Stiftungsgeschäfts, in: NZG 2004, Heft 20, S. 939– 944. 145. Die wirtschaftliche Betätigung von Nonprofit-Organisationen, in: Klaus J. Hopt/Thomas von Hippel/W. Rainer Walz (Hrsg.), Nonprofit-Organisationen in Recht, Wirtschaft und Gesellschaft, Mohr Siebeck, Tübingen 2005, S. 307–319. 146. Stiftungsrechtliche Vorgaben für die Verwaltung des Stiftungsvermögens, in NZG 2005, Heft 16, S. 649–654. 147. Pferdeauktion und Verbrauchsgüterkauf, in: ZGS 2005, Heft 3, S. 88– 95. 148. Gegenstand und Inhalt des Bereicherungsanspruchs im deutschen Recht, in: Stathopoulos/Beys/Doris/Karakostas (Hrsg.), Festschrift für Apostolos Georgiades zum 70. Geburtstag, Verlag C. H. Beck, München 2005, S. 321–347. 149. Die Reform des Vereinsrechts (demnächst in NZG). 150. Betriebsräte an die Front? (demnächst in ZfA).
IV. Urteilsanmerkungen Arbeitsrechtliche Praxis (AP) BAG, AP Nr. 78 zu § 611 BGB – Gratifikation BAG, AP Nr. 3 zu § 74 c HGB BAG, AP Nr. 167 zu § 242 BGB Ruhegehalt BAG, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung BAG, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Berufssport BAG, AP Nr. 15 zu § 75 b HGB BAG, AP Nr. 4 zu § 128 HGB und BGH AP Nr. 5–7 zu § 128 HGB BAG, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge; Druckindustrie BAG, AP Nr. 1 zu § 28 BGB BAG, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit BAG, AP Nr. 30 zu § 7 BetrAVG BAG, AP Nr. 1 zu § 9 AÜG
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
BAG, AP Nr. 9 zu § 1 BetrVG 1972 BAG, AP Nr. 37 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung BAG, AP Nr. 3 zu § 10 ArbGG BAG, AP Nr. 5 zu § 2a ArbGG 1979 BAG, AP Nr. 83 zu § 2 ArbGG 1979 Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen (SAE) BAG, SAE 1975, 245 BAG, SAE 1976, 14 BAG, SAE 1978, 242 BAG, SAE 1979, 125 BAG, SAE 1979, 281 BAG, SAE 1980, 85 ff. BAG, SAE 1981, 1 BAG, SAE 1981, 239 BAG, SAE 1983, 191 BAG, SAE 1984, 88 BAG, SAE 1985, 327 BAG, SAE 1987, 37 ff. BAG, SAE 1987, 285–287 BAG, SAE 1988, 222–223 BAG, SAE 1989, 101–103 BAG, SAE 1990, 359 –361 BAG, SAE 1999, 262–267 Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht (EzA) BAG, EzA Nr. 5 zu § 6 Lohnfortzahlungsgesetz OLG Münster, EzA Nr. 1 zu § 5 TVG LAG Düsseldorf, EzA Nr. 4 zu § 305 und LAG Schleswig-Holstein, EzA Nr. 5 zu § 305 BGB BVerfG, EzA Nr. 27 zu § 112 BetrVG 1972 BAG, EzA Nr. 23 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl. 6. BAG, EzA Nr. 31 zu § 4 TVG BAG, EzA Nr. 31 zu § 4 TVG BAG, EzA zu § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 26 BAG, EzA zu Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 94 BAG, EzA 210 zu § 87 BetrVG Betriebliche Lohngestaltung Nr. 25 und 26 BAG, EzA zu Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 49 BVerfG, EzA Nr. 22 zu Art. 5 GG
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Sonstige Anmerkungen Anmerkung zum Bosman-Urteil, in: Oetker/Preis, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, Band 1 (1994 ff.) S. 79–90. BAG, Die AG 1976, 131 ff. (zus. m. F. Schwierkus) BGH, JZ 1985, 534, 536 ff. BGH, JR 1987, S. 369–371 OLG Köln, Beschluß v. 31.5.1996, EWiR, § 812 BGB BGH, Urteil v. 9.6.1997, EwiR, §§ 25, 39 BGB BGH, Urteil v. 5.3.1998, EwiR, §§ 21, 25, 38 BGB BGH, Urteil v. 23.11.1998 – II ZR 54/98, Lindenmaier-Möhring BGH, Urteil v. 4.3.1999 – III ZR 105/98, Lindenmaier-Möhring BGH, Urteil v. 30.6.2003 – II ZR 153/02, Lindenmaier-Möhring Ca. 280 Anmerkungen in der Rechtsprechungsübersicht der Juristischen Schulung (JuS) zum Arbeitsrecht und BGB
V. Buchrezensionen 1. Utz-Peter Toepke, Staatsaufsicht über Stiftungen im deutschen und angloamerikanischen Recht. Diss. Hamburg 1967; Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung 1969, S. 279–281. 2. Kurt Mühlhäuser, Publizität bei Stiftungen. Diss. München 1970; ZHR 136 (1972), S. 88–90. 3. Horst Vinken, Die Stiftung als Trägerin von Unternehmen und Unternehmensteilen. Baden-Baden 1970; ZHR 136 (1972), S. 158–161. 4. Hoppmann-Mestmäcker, Normenzwecke und Systemfunktionen im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1974; ZHR 140 (1976), S. 128 ff. 5. Helga Borrmann, Pflichtteilsrecht und gesellschaftsvertragliche Fortsetzungsvereinbarungen, 1972; AcP 1975 (1975), S. 359 ff. 6. (zus. mit G. Reinecke) Hans-Michael Riemer, Die Stiftungen, Systemat. Teil und Art. 80 –89 bis ZGB im Berner Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Bd. I, 3/3, i. 1975, 758 S.; RabelsZ 1977, S. 607–613. 7. Fritz Rittner, Wirtschaftsrecht, 1979; ZHR 145 (1981), S. 545 ff. 8. Friedrich Kübler, Gesellschaftsrecht. Die privatrechtlichen Ordnungsstrukturen und Regelungsprobleme von Verbänden und Unternehmen, 1981; AG 1982, S. 81–84.
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
9. Hanau/Ulmer, Mitbestimmungsgesetz, 1981; ZfA 1982, S. 461–472. 10. Hueck, Gesellschaftsecht, 1983, und Reinhardt/Schulz, Gesellschaftsrecht, 1982; ZHR 149 (1985), S. 352–361. 11. Lassmann/Schwark, Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, 1985; AG 1986, S. 300–302. 12. König, Ungerechtfertigte Bereicherung. Tatbestände und Ordnungsprobleme in rechtsvergleichender Sicht, 1985; AcP 187 (1987), S. 484–500. 13. Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987; AcP 188 (1988), S. 649–653. 14. Korinek/Krejci, Der Verein als Unternehmer, 1988; ZHR 153 (1989), S. 707–710. 15. Kronke, Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt, in: RabelsZ 1996, Heft 3, S. 600–606. 16. Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und ‚sonstiges‘ Recht, in AcP 197 (1997), S. 322–334.
Portraitzeichnung von Prof. Dieter Reuter, die Mitte der 80er Jahre entstanden ist und aus der Feder von Herrn Andreas Martinsen stammt, der seinerzeit Kieler Jura-Student war.
Symposion Formale Freiheitsethik oder Materiale Verantwortungsethik zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Dieter Reuter
Teilnehmerverzeichnis Bayreuther, Prof. Dr. Frank – Darmstadt Bengelsdorf, Prof. Dr. Peter – Kiel Berger, Katharina – Kiel Bürck, Prof. Dr. Harald – Kassel Busche, Prof. Dr. Jan – Düsseldorf Bydlinski, Prof. Dr. Dr. h. c. Franz – Maria Enzersdorf Christiansen, Dr. Per – Hamburg Dalhoff, Dr. Albrecht – Lohne Einsele, Prof. Dr. Dorothee – Kiel Eisenbart, Elvira – Kiel Ewer, Prof. Dr. Wolfgang – Kiel Fechner, Johannes – Schleswig Fischer, Prof. Dr. Michael – Kiel Habetha, Dr. Joachim – Frankfurt/M. Hadding, Prof. Dr. Walther – Essenheim Heimbach, Liv – Kiel Helbron, Marlena – Kiel Herrmann, Prof. Dr. Elke – Siegen Hoepner, Olaf – Schleswig Hoyer, Prof. Dr. Andreas – Kiel Jacobs, Prof. Dr. Matthias – Hamburg Jickeli, Prof. Dr. Joachim – Kiel Joost, Prof. Dr. Detlev – Hamburg Katschinski, Dr. Ralf – Hamburg Kessal-Wulf, Dr. Sibylle – Karlsruhe Klappstein, Prof. Dr. Walter – Kiel
166 Symposion Formale Freiheitsethik o. Materiale Verantwortungsethik Klausch, Dr. Sebastian – Hamburg Konzen, Prof. Dr. Dres. h. c. Horst – Eltville Köpke, Lena Kristin – Kiel Kreutz, Prof. Dr. Peter – Kiel Lehmann-Jessen, Dr. Elisabeth – Wedel Martinek, Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Michael, Saarbrücken Matthes, Dr. h. c. Hans-Christoph – Ahnatal Mestmäcker, Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst-Joachim – Hamburg Meyer, Frank – Hamburg Meyer-Pritzl, Prof. Dr. Rudolf – Kiel Möschel, Prof. Dr. Wernhard – Tübingen Oetker, Prof. Dr. Hartmut – Jena Paschke, Prof. Dr. Dr. h.c. Marian – Kiel Pawlitzki, Olaf – Kiel Pfoser, Carsten – Kronshagen Plöger, Dr. Henning – Berlin Priester, Prof. Dr. Hans-Joachim – Hamburg Probst, Dr. Martin – Schleswig Rawert, Prof. Dr. Peter – Hamburg Reinecke, Dr. Gerhard – Erfurt Rotermund, Dr. Lone – Kiel Säcker, Franz-Jürgen – Berlin Schack, Prof. Dr. Heimo – Kiel Schmidt, Prof. Dr. Dres. h.c. Karsten – Hamburg Schmidt-Jortzig, Prof. Dr. Edzard – Kiel Schubert, Prof. Dr. Werner – Kiel Streckel, Prof. Dr. Siegmar – Osnabrück Trunk, Prof. Dr. Alexander – Kiel Volkholz, Thorsten – Kiel Wadephul, Dr. Johann – Kiel Walz, Prof. Dr. Rainer – Hamburg Weitemeyer, Dr. Birgit – Stuttgart Wimmer-Leonhardt, Dr. Susanne – Kaiserslautern Witzig, Dr. Andreas – Hamburg