Führung und Motivation in und nach Weltwirtschaftskrisen: Theorie – Empirie – Entwicklung [1 ed.] 9783428545735, 9783428145737

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Führung und Motivation in und nach Weltwirtschaftskrisen: Theorie – Empirie – Entwicklung [1 ed.]
 9783428545735, 9783428145737

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Konrad Schwan

Führung und Motivation in und nach Weltwirtschaftskrisen Theorie – Empirie – Entwicklung

Duncker & Humblot · Berlin

KONRAD SCHWAN Führung und Motivation in und nach Weltwirtschaftskrisen

Führung und Motivation in und nach Weltwirtschaftskrisen Theorie – Empirie – Entwicklung

Von Konrad Schwan

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISBN 978-3-428-14573-7 (Print) ISBN 978-3-428-54573-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84573-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Drei Weltwirtschaftskrisen haben bislang die Welt erschüttert und die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist noch im Gange. Ihr weiterer Verlauf und ihre Dauer sind in vielen Punkten noch offen. Ihre Auslöser sind vielfältig und ähneln teilweise in grundlegenden personalen Prägungen und wirtschaftlichen Ursachen jenen früherer Krisen, trotz einer Zeitspanne von rund 160 Jahren seit der ersten Weltwirtschaftskrise bis zur Gegenwart. Die drei Krisen unterscheiden sich natürlich grundsätzlich durch die Verhältnisse und Umstände, unter denen sie ihren jeweiligen Verlauf nahmen. Die kurz-, mittel- und langfristigen Konsequenzen der Weltwirtschaftskrisen sowie deren gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lösungen orientieren sich hie und da an bestimmten Erkenntnissen oder Theoremen, unterscheiden sich aber in aller Regel. Eine solche übergreifende Leitvorstellung ist beispielsweise die These von John Maynard Keynes (1883–1946), dass der Staat zu finanz- und geldpolitischen Mitteln bzw. Deficit Spending greifen soll, um dadurch eine gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu bewirken und Vollbeschäftigung zu erzielen, um dadurch eine Wirtschaftskrise zu bewältigen. Das galt für die 2. und 3. Weltwirtschaftskrise gleichermaßen. Weltwirtschaftskrisen sind Prozesse höchster Komplexität, daher in ihrem Verlauf, den Folgen und den Möglichkeiten der Bewältigung äußerst schwer vorhersehbar, geschweige denn sicher zu beherrschen. Das ist trivial, aber folgenschwer. Die rationale Bewältigung stößt rasch an enge Grenzen und führt fast immer zu scheinrationalen Lösungsansätzen und -versuchen. Auch bei der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist das bis heute ein Kernproblem mit zahlreichen ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und sozialen Gründen und Folgen. Das führt zu fachlichen Kompetenzlücken bei den verantwortlichen Akteuren, Unsicherheiten und hohen Risiken, taktischen Manövern, fragwürdigen Kompromissen usw. Nachteilige Krisenbewältigungen erfordern und veranlassen daher generell fortschreitende Lernprozesse, um Lösungen zu verbessern. Der Umgang mit hoher Komplexität, Irrationalität, begrenzten Prognosen, Ängsten, schwer zu verändernden Rahmenbedingungen, widerstrebenden gesellschaftlichen sowie realpolitischen Strömungen und unvorhergesehene Ereignisse bewirken jedoch suboptimale Chancen, die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zu bewältigen, statt bessere prospektive Lösungen zu verwirklichen. Auch die Dauer der Krise verlängert sich merkbar durch solche schwer beeinflussbare Gestaltungs-

6 Vorwort

kräfte der Krisenbewältigung, aber auch durch nicht erwartete politische, nationale und internationale Ereignisse. Ganzheitliche Ansätze und wertorientierte Vorgehensweisen können jedoch sehr wesentlich zur Krisenbewältigung beitragen. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 war nicht nur eine Krise des Bank- und Finanzsystems oder durch nationale und internationale Regulierungslücken bedingt. Solche oder ähnliche Erklärungsversuche sind zu vordergründig und verkürzen lediglich die Realitäten, d. h. können eine übergreifende und tiefgründigere Sichtweise als tragfähige Lösungsgrundlage nicht ersetzen. Unbestritten standen am Anfang der Krise wertgebundene Ideen neoliberaler Herkunft, deren tatsächliche und folgenschwere Macht unterschätzt wurde. Daher ist es unerlässlich, zukünftige Lösungen auf einer anderen „Moral“ aufzubauen und damit Orientierungen für sinnvollere und zukunftsträchtigere Gestaltungen zu schaffen. Die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft, welche sich seit rund vierzig Jahren zur Ökosozialen Marktwirtschaft entwickelte, war vor der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mit ihren nationalen Varianten das Erfolgsmodell der Wirtschaftsordnungen in Europa. Nach dem Ausbruch und den Folgen der Krise wurde das bewusster, was zuvor leider in fataler Art und Weise verkannt, kaum verteidigt und letztendlich eine gesellschaftliche, politische, ökonomische, soziale und moralische Tragödie wurde, deren auch nur teilweise Überwindung noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Zahlreiche Schäden der Krise bleiben irreparabel. Die Macht der Ideen und ihre „irrationale“ Wertbezogenheit, die etwa seit 1975 bis zum Ausbruch der Krise im Jahr 2007 weltweit in Form neoliberaler Vorstellungen zu weitgehender Dominanz in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur gelangten, beeinflussten durch mehr als dreißig Jahre sehr stark das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen. Darin liegen auch entscheidende Gründe, weshalb sich auch in Unternehmen und anderen Einrichtungen unter anderem die Personal- und Führungsarbeit tiefgreifend veränderte. Neoliberale Ideen sind zwar inzwischen in immer schärfer werdende Kritik geraten, wirken jedoch weiter nach. Die Auswirkungen und Folgen neoliberaler Ideen bestimmten nicht nur die gesamtwirtschaftlichen, nationalen und internationalen Bereiche der Gesellschaft, Politik, Ökonomie und Kultur. Sie reichen ebenso tief hinein in einzelwirtschaftliche Funktionen und deren Gestaltung. Die nachhaltige Krisenbewältigung erstreckt sich daher auf gesamtwirtschaftliche Belange, wie beispielsweise die Schaffung geänderter Rahmenbedingungen, und die einzelwirtschaftlichen Bereiche der Unternehmen, vieler anderer Einrichtungen und Institutionen. Mit der wissenschaftlichen Arbeit wird das Ziel verfolgt, zunächst die Weltwirtschaftskrisen und besonders die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 sorgfältig und übergreifend nach Inhalten, Abläufen und ihrer Komplexität

Vorwort7

darzustellen und zu interpretieren, vornehmlich nach gesellschaftlichen, politischen, gesamt- und einzelwirtschaftlichen sowie kulturellen Aspekten. Darauf aufbauend werden die Wechselwirkungen, deren Verläufe und Folgen zwischen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und der Personal- und Führungsarbeit von Unternehmen und anderen Einrichtungen im Einzelnen in Theorie und Lehre, Empirie und Praxis kritisch-konstruktiv und prospektiv behandelt. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 erfolgte in einer längerfristigen und ausgeprägten Phase tiefgreifender nationaler und internationaler, gesellschaftlicher, politischer, technologischer und ökonomischer Veränderungen, die verflochten sind mit einer enorm gestiegenen Bedeutung von Bildung, Forschung, Entwicklung, Kreativität und Innovation. Letzteres, aber auch die zunehmende Globalisierung und die Raschheit von Veränderungen, erfordern funktionelle und strukturelle Anpassungen in den Einzelwirtschaften, u.  a. in konzeptioneller, organisatorischer und personeller Art und Weise. Solche Entwicklungen werden für weite Teile der Wirtschaft national und international deren ökonomische und soziale Legitimation immer stärker bestimmen und müssen daher bei der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 als gesellschaftliche, politische, gesamt- und einzelwirtschaftliche Zäsur und Zukunftschance erkannt und genutzt werden. Zu glauben, die Krise ist gelöst und vorbei, wenn der Status vor Ausbruch der Krise erreicht wird, wäre sicher ein naiver und folgenschwerster Irrtum. Einmal lagen die Ursachen für das Entstehen der Krise natürlich viele Jahre vor deren Ausbruch und wer kann in diese verhängnisvolle Phase zurück wollen, die der Welt unvorstellbares Leid brachte? Zweitens schreit ein so gewaltiger und fürchterlicher Einschnitt nach tiefgreifenden Neuorientierungen und sei es nur, um ein baldiges da capo der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zu verhindern. Das alleine wäre jedoch zu wenig und sicher keine tatsächliche und dauerhafte Krisenbewältigung. Realpolitisch vorstellbar ist es allerdings, nämlich dann, wenn die Dimensionen der Reformen verkannt und die erforderlichen Kräfte unterschätzt werden, vorzeitig erlahmen und alter Trott von neuem Platz greift. Das Muster ist nicht neu. Nicht zufällig pflegt man mittlerweile Weltwirtschaftskrisen zu nummerieren. Innovatives und wertgebundenes Denken, Mut, gebündelte Energie von Vielen und Ausdauer sind notwendig, wenn es nicht nur irgendwie weiter gehen soll, sondern nachhaltige Entwicklungen und Fortschritte das erreichbare Ziel sind. Darin lägen die Chancen einer wirklichen Neuorientierung, die auch diesen Namen verdient. In diesem Sinne soll die Arbeit auch ein prospektiv-politisches Buch sein. Wesentliche Teilbereiche der Personal- und Führungsarbeit haben etwa ab Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts substantiell und qualitativ enorm verloren und darunter schwer gelitten. Für die genannten und aktuel­

8 Vorwort

len Veränderungen, die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen, sind die entstandenen und krisentypischen Führungs- und Motivationslücken höchst nachteilig. Es wird daher notwendig sein, einmal wertvolle frühere und auch heute noch aktuelle Ansätze aufzugreifen. Zweitens innovativ neue Paradigmen, Inhalte, Formen und Praktiken einer Personal- und Führungsarbeit hervorzubringen, die gegenwärtige, zukünftige und strategisch ausschlaggebende Chancen erst ermöglichen; personeller Instrumen­ talismus genügt nicht mehr. Drittens erwächst daraus für zahlreiche Unternehmen und Einrichtungen unterschiedlicher Branche und Größe das Erfordernis, den Schlüsselfunktionen einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit dadurch Rechnung zu tragen, dass durch das jeweilige Top-Management die steigende Notwendigkeit einer personalistischen Unternehmenspolitik und -führung auf allen Funktionsebenen und Bereichen möglichst verankert und nachhaltig gesichert wird. Auch zu diesen Themenstellungen will die Arbeit fundierte und praktikable Anregungen geben. Dankend widme ich meiner Frau Ingeborg Schwan und meiner Familie dieses Buch. Innsbruck, im Juni 2015

Konrad Schwan

Inhaltsverzeichnis 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.1 Weltwirtschaftskrise 1857–1859 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.4 Résumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Führungs- und Unternehmungsleitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Wandel des Führungsstils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg . . . . . . . . . 201 5. Qualitätselemente der Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6. Spannungsfelder einer Führungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 7. Begriffsbildung der „Führung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 9. Führungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 9.1 Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 9.2. Information und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 9.3 Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 9.4 Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 9.5 Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 9.6 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 9.7 Sensitivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 9.8 Konfliktlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 10. Mitarbeiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 11. Mitarbeiterbedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 13. Führungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532

Abbildungsverzeichnis 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9

Run on the Seamen’s Savings’ Bank during the Panic of 1857 . . . . . . . 18 Britische Arbeitslose in der 2. Weltwirtschaftskrise ab 1928–1932 . . . . 23 Bankenkrach und Kampf um Spareinlagen, Sparkasse am 13. Juli 1931 . 34 Sparer-Frust und Schluss mit Sparen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Arbeitslosenquote im März 2014 in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Jugendarbeitslosigkeit 2014 in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Notenbanken: Ziele und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Bankenunion im Euroraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Wiederherstellung der Finanzstabilität im Euroraum . . . . . . . . . . . . . . . . 111

2.1 Führungsleitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2.2 Frageliste zum Unternehmensleitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2.3 Checkliste zum Unternehmungsleitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3.1 3.2

Wandel des Führungsstils  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Gesellschaftliche Strömungen, ihre Auswirkungen und Anforderungen an Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

4.1 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8

Personen im Zentrum von Rollenerwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Spannungsfelder einer Führungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Aspekte gesundheitsförderlicher Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Psychische Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Positive Führung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Quellen und Konsequenzen von beruflichem Stress . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Burnout-Modell nach Weinert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Stressprozess und mögliche Interventionsmaßnahmen nach Zapf und Dormann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Personale Kompetenz und Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

7.1 7.2

Führung – Wortfeld und Begriffsnetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Synthetische handlungstheoretische Führungsdefinition . . . . . . . . . . . . . . 242

8.1 8.2

Führung: Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Kooperativer Führungsstil, Motive und Führungsinstrumente . . . . . . . . . 246

9.1 Wie setzt man Ziele, gibt Aufträge und Anweisungen? . . . . . . . . . . . . . . 255 9.2 Bereiche der Information und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 9.3 Kommunikationsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

Abbildungsverzeichnis11 9.4 Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 9.5 Selbstkontrolle der Führungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 9.6 Delegationsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 9.7 Faktoren für eine erfolgreiche Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 9.8 Faktoren für eine erfolglose Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 9.9 Kooperative Kontrolle: Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 9.10 Kontrolle: Fragen zur Planung der Kontrollschwerpunkte . . . . . . . . . . . . 271 9.11 Kontrolle: Gebiete, Arten, Formen, Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 9.12 Kooperative Kontrolle: Vorbereitungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 9.13 Kontrolle und ihre Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 9.14 Kontrolle: Kontrollmöglichkeiten und Schwächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 9.15 Kontrolle: Methodik und Bedeutung der Fragestellung bei Kontrollen  . 274 9.16 Kontrolle und ihre Widerstände von Seiten des Vorgesetzten . . . . . . . . . 274 9.17 Kontrolle und ihre Widerstände von Seiten des Mitarbeiters . . . . . . . . . 274 9.18 Empirische Führungsstilforschung nach Kurt Lewin . . . . . . . . . . . . . . . . 303 9.19 Führungsverhalten und Führungserfolg nach Edwin Fleishman und John Hemphill . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 9.20 Personenorientierte Führungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 9.21 Macht- und Autoritätsbasen nach John R. P. French und Bertram H. Raven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 9.22 Mikropolitische Techniken – Macht und Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 9.23 Formen der Führung von unten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 9.24 Ansätze der Führung von unten und oben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 9.25 Rangfolgen von Einflussstrategien nach Führungsvarianten . . . . . . . . . . 312 9.26 Strukturelle und interaktive Führungsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 9.27 Motivationsverlauf nach Stärke und Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 9.28 Differenzierung unspezifischer Motive durch Konditionierung . . . . . . . . 316 9.29 Motive und Mittel zum Zweck, werden zum Selbstzweck . . . . . . . . . . . 317 9.30 Individueller Motivationsprozess nach V. H. Vroom . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 9.31 Interpretation der Bedüfnispyramide nach A. Maslow . . . . . . . . . . . . . . . 322 9.32 Dynamische Darstellung der Bedürfnishierarchie nach A. Maslow . . . . . 323 9.33 Herzberg-Untersuchung: Faktoren zur Arbeitseinstellung (Motivation)  . 325 9.34 Herzberg-Untersuchung: Verteilung Unzufriedenheit vs. Zufriedenheit . . 326 9.35 Arbeitshypothesen und Darstellung der Theorie X . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 9.36 Arbeitshypothesen und Darstellung der Theorie Y . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 9.37 Integration von Motivationstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 9.38 Das Konfliktlösungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 9.39 Reaktionen bei Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 9.40 Selbst- und fremdverschuldete Konfliktanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 9.41 Konfliktsymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 9.42 Konfliktursachen bei Kooperationen in Großunternehmen . . . . . . . . . . . 369 9.43 Dimensionierung von Organisationskulturen und Konflikte . . . . . . . . . . 370

12 Abbildungsverzeichnis 9.44 9.45 9.46 9.47 9.48 9.49 9.50 9.51 9.52 9.53 9.54 9.55 9.56 9.57 9.58 9.59 9.60 9.61 9.62 9.63

Aussagesätze für schwelende Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Konstruktiver Umgang mit Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Grundschema der Konfliktarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Konfliktgrammatik und -system . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Persönlichkeitstypen und Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Intrapersonale Konflikte und Lösungsansätze im Beruf  . . . . . . . . . . . . . 379 Nachteilige Merkmale zwischenmenschlicher Konflikte . . . . . . . . . . . . . 380 Schema Konfliktverlauf – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Konfliktverläufe nach Hauptinhalten und Phasen (1) . . . . . . . . . . . . . . . 382 Konfliktverläufe nach Hauptinhalten und Phasen (2) . . . . . . . . . . . . . . . 384 Konflikteskalationen – Stufenmodell (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 9 Stufen der Konflikteskalation (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Konfliktinterventionen und Eskalationsstufen (3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Aspekte der Konfliktanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Schema der Konfliktoptimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Beziehung zwischen Konfliktniveau und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Techniken des Konfliktmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Führungsaspekte und Konfliktlösungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Pro und Kontra von Konflikten in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Führungsformen der Konfliktregelung: Verhalten – Vor- und Nachteile – Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 9.64 Mediation als Verfahren der Konfliktlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 9.65 Verhaltensmaximen des Mediators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 10.1 Mitarbeiterentwicklung als Führungsfunktion (nach A. Sahm) . . . . . . . . 411 10.2 Kooperative Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 10.3 Bedürfnisse des Mitarbeiters und Betriebes in der beruflichen ­Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 10.4 Erwartungen der Mitarbeiter und des Betriebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 10.5 Das gemeinsame Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 10.6 Was fordert Mitarbeiterentwicklung von Mitarbeitern und vom Betrieb . 415 10.7 Dialog der Mitarbeiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 10.8 Zweck und Nutzen der Mitarbeitergespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 10.9 Ziele eines betrieblichen Bildungs- und Förderungsprogrammes . . . . . . 418 10.10 Gefragte Eigenschaften im Top-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 10.11 Gefragte Eigenschaften im Mittleren Management . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 10.12 Fähigkeiten in den Human Resources . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 10.13 Künftig geforderte Fähigkeiten (Auswahl von 10 Kriterien) . . . . . . . . . . 428 10.14 Künftig geforderte Fähigkeiten (nach Mitarbeiterzahl) . . . . . . . . . . . . . . 429 10.15 Innovationszwang (nach Stern und Jaberg, 2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 10.16 Innovationskreislauf / Innovation Circle / Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 10.17 Faktoren der Kreativitätsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 10.18 Kreativitätstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

Abbildungsverzeichnis13 10.19 Phasen des Projektmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 10.20 Strategiepyramide – Modell zur Strategieentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 439 10.21 Phasen der Strategieentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 10.22 Systemisches Modell der Unternehmenskultur 1 (Perl, 2007) . . . . . . . . 440 10.23 Systemisches Modell der Unternehmenskultur 2 (Perl, 2007) . . . . . . . . 440 10.24 Bausteine des Wissensmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 10.25 Mitarbeiterentwicklung und Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 10.26 Innovation und Kooperationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 10.27 Vorteile von Kooperationen (Beispiel F&E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 10.28 Kooperationskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 10.29 Kooperationsmerkmale und Bausteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 11.1 Analogien zwischen Absatz- und Personalmarketing . . . . . . . . . . . . . . . . 452 11.2 Mitarbeiterbedürfnisse und Mittel der Personal- und Führungsarbeit zu ihrer Befriedigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5

Eigenschaften guter Leader . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 Erfolgreich Vorgesetzter sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 Führen – fördern – Chancen geben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 Anforderungsprofil für Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Top Manager. Erfolgsfaktoren – Schlüsselqualifikationen – Ethik . . . . . 474

13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6

Neuzeitliche Führungsmodelle (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Neuzeitliche Führungsmodelle (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 Neuzeitliche Führungsmodelle (3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 Führungsmodelle und kulturelle Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 Führungsmodelle und ethische Grundlagen (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 Führungsmodelle und ethische Grundlagen (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

1. Einführung 1.1 Weltwirtschaftskrise 1857–1859 Reinhard Spree, Sozial- und Wirtschaftshistoriker, zitierte einen Zeitgenossen, der die Verhältnisse der 1. Weltwirtschaftskrise von 1857–1859 während des Herbstes 1857 erlebte und schilderte: „Von dem fernsten Westen der neuen Welt bis nach Stockholm und Moskau, bis nach Smyrna und Odessa. Die Stätten, über welche diese Pestilenz dahingeschritten war, bedeckten sich nicht […] mit Leichen und rauchenden Schutthaufen, wohl aber mit zahllosen Ruinen des öffentlichen und des Privatwohlstandes“ (Spree, R.: 2009, S. 1; s. a. Internet: Spree, R.). Der vorgenannte Artikel von Spree fußt auf dem leicht gekürzten Text, der die Grundlage für einen Vortrag bildete, den Spree anlässlich einer Tagung mit dem Titel Finanz- und Wirtschaftskrisen. Schlaglichter im historischen Vergleich am 6. / 7.  November 2009 in der Katholischen Akademie in Bayern, München hielt. Der renommierte Historiker Hans Rosenberg (1904–1988) hat als erster diese Krise als Weltwirtschaftskrise bezeichnet, und zwar mit Recht. Deutschland hat die Weltwirtschaftskrise im Vergleich zu anderen Ländern zwar nicht so schwer getroffen, wie das bei allen anderen damals führenden Industrieund Handelsländern der Fall war (Born, K. E.: 1988, S. 135). Die Krise 1857–1859 war die erste globale Krise, weshalb bei der vorliegenden Arbeit auch von der 1. Weltwirtschaftskrise 1857–1859 gesprochen wird, wie es auch Reinhard Spree tut, der bei seinen Arbeiten stark auf den Forschungen von Hans Rosenberg aufbaute (s. a. Rosenberg, H.: 1974; s. a.: Internet: Rosenberg, H.). Der 1. Weltwirtschaftskrise 1857–1859 ging ein tiefgreifender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Umbruch voraus, der kontextuale Ausgangsverhältnisse für die Krise schaffte: Auflösung des Feudalsystems. – Vordringen des Kapitalismus auf Basis des Privateigentums. – Durchsetzung der Marktorientierung der Produktion. – Verbesserungen des Transportwesens. – Starke Ausweitung des Welthandels (Spree, R.: 1974, S. 1; Internet: Weltwirtschaftskrise 1857–1859, Ziff. 3). Die der 1. Weltwirtschaftskrise 1857–1859 vorangegangenen 1840er bis zu den 1850er Jahren waren durch diesen grundlegenden Wandel geprägt. Während dieser Zeit und danach erfolgte ein lang anhaltender Konjunkturaufschwung, der gelegentlich durch kurze Krisen unterbrochen wurde, wie

16

1. Einführung

beispielsweise im Oktober 1853 durch den Einmarsch russischer Truppen in osmanische Donaufürstentümer und den Beginn des Krimkrieges (1853– 1856). Der Eisenbahnausbau und die Ausbeutung von Goldlagern in den USA / Kalifornien und in Deutschland der Aufschwung neuer Techniken im Ruhrkohlenrevier, der Hüttenindustrie und ebenfalls der Bau von Eisenbahnen waren wesentliche Faktoren der Entwicklung. Das Aufkommen von Aktienbanken in England und Deutschland hatte begonnen und sie räumten der aufstrebenden Industrie in großem Umfang Kredite ein und verstärkten dadurch zusätzlich das positive Wirtschaftsklima. In anderen Ländern fanden ähnliche konjunkturelle Aufschwünge statt. Parallel dazu erfolgte eine Mobilisierung der Arbeitskräfte, Revolutionierungen im Transportwesen und eine nie gekannte Kapital- und Finanzexpansion. Besonders bemerkenswert war eine rasche und vor der Weltwirtschaftskrise geradezu hektische Verbreitung des Aktienwesens (s. a. Internet: Weltwirtschaftskrise 1857, Teil 2, Europa). Vom Krimkrieg in den Jahren 1853–1856 – in den die Länder Frankreich, Großbritannien und Russland verwickelt waren – profitierten zusätzlich die kriegsneutralen Industrie- und Handelsländer USA und die Staaten des deutschen Zollvereins im großen Stil durch enorm gestiegene Exporterlöse. Die Farmer aus den USA machten beispielsweise als Getreidelieferanten der Kriegsparteien glänzende Geschäfte, da der russische Getreidemarkt als Lieferant weitgehend ausfiel (Born, K. E., 1988, S. 135). Neu gegründete Aktienbanken in verschiedenen europäischen Ländern entstanden vor allem in den Jahren 1851 bis 1856, die maßgeblich die Finanzierung des Wachstums der Wirtschaft übernahmen. Der Kauf von Aktien erschien Vielen höchst begehrenswert, was 1852 / 53 zu Kurshöchstständen führte. Die geradezu fieberhaften Zeichen standen auf Hausse. Die Gier nach schnellen Kursgewinnen, Renten und Dividenden – erreichbar mit weniger Arbeit als in der Realwirtschaft – machten sich breit. Der große Ökonom Werner Sombart schrieb: „Die 1850er Jahre sind die wichtigste spekulative Periode, die Deutschland bisher erlebt hat. In ihnen wird der Kapitalismus definitiv zur Grundlage der Volkswirtschaft gemacht“ (Sombart, W.: 1903, S. 95). Die bankwirtschaftlichen Usancen des größer gewordenen Finanzbereiches wurden oft locker, gelegentlich exlex und damit riskant gehandhabt: Lang gebundenes Kapital wurde mit kurzfristigen Ausleihungen finanziert. – Aktien zur Kreditsicherung herangezogen. – Besicherungen locker gesehen. – Länderspezifisch teilweise vorhandene Regeln der Kredit- und Währungsdeckung wurden unterlaufen. – usw. Hans Rosenberg beschrieb anschaulich die Zustände, die sich vor den Zeichnungsbüros und Emissionshäusern für Aktien und andere Wertpapiere abspielten: „Wie es Brauch wurde, Aktien neu gegründeter, viel verspre-



1.1 Weltwirtschaftskrise 1857–185917

chender Unternehmungen noch vor der Eröffnung der Subskription mit Agio zu handeln, so wurde bei Offenlegung der Zeichnungslisten tage- und nächtelanges Schlange stehen der Interessenten vor den Subskriptionsbüros zu einer weit verbreiteten Erscheinung. Häufig ist es hierbei zu einem rücksichtslosen Stoßen und Drängen, zu wüsten Auftritten und Schlägereien gekommen, bei denen Polizei und Militär zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit eingreifen mussten“ (Rosenberg, H.: 1974, S. 100). Nach dem Ende des Krimkrieges verloren sich zeitweilige Unsicherheiten an der Börse und es ging dort wieder steil bergauf und das Fieber der Spekulation kam voll in Gang. Neuemissionen überschwemmten den Markt und die Anleger verloren zunehmend den Überblick. Ab Ende August 1856 gerieten die europäischen und auch die deutschen Börsenplätze dann allerdings zunehmend unter Druck. Steuernde Maßnahmen der Preußischen Regierung führten in Deutschland u. a. zu Kursrückgängen (s. a. Internet: Weltwirtschaftskrise 1857, Teil 2, Europa). Mit dem Ende des Krimkrieges im Jahr 1856 und dem damit verursachten Zusammenbruch der amerikanischen Getreideexporte nach Europa kündigte sich dann das nahende Ende der „goldenen Zeiten“ an. Manches kommt in der Rückschau durchaus bekannt vor, wenn damals auch das Wort „Blase“ bei solchen Entwicklungen noch nicht geläufig war. Es kam wie es kommen musste, nämlich zu einem sehr raschen Abwärtstrend vieler Börsen, d. h. das klassische Merkmal aller Börsen- und Spekulationskrisen fehlte auch am Beginn der 1. Weltwirtschaftskrise 1857–1859 nicht. Der konkrete Auslöser mutet recht aktuell an: Anfang 1857 begann es in Deutschland in Bayern: Effektenbesitzer, die auf Kredit spekuliert hatten, mussten bei fallenden Kursen ihre Papiere verkaufen. Andere Börsen im In- und Ausland zeigten rasch ein ähnliches Bild, die Verunsicherung und Panik begann und in diese Entwicklung platzte am 24.08.1857 die überraschende Nachricht aus den USA, dass die als solide geltende New Yorker Filiale der Ohio Life Insurance and Trust Company zahlungsunfähig geworden war. Das löste „kopflose Angst und panikartigen Schrecken [aus]. Eine sintflutartige Baisse brach aus; man verkaufte, was noch Käufer fand zu jedem Preis, die Aktienkurse stürzten ab. In New York stiegen die Zinsen in der letzten Augustwoche von 15 % auf 24 %. Am stärksten war der Kursverfall bei den Eisenbahnaktien“ (Rosenberg, H.: 1974, S.  117 f.). Der Grund waren Spekulationen und gravierende Fehler der Finanzierungsinstitute sowie fallende Warenpreise, besonders der Getreidepreise. Nach dem Ende des Krimkrieges waren die Getreideexporte der USA nach Europa drastisch eingebrochen, da billiges Getreide aus Russland wieder den Markt versorgte. Einnahmen aus den Getreideexporten entfielen somit

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1. Einführung Abbildung 1.1: Run on the Seamen’s Savings’ Bank during the Panic of 1857

(Internet: Banken-Run)

und fällig gewordene Kredite konnten von den Farmern nicht abbezahlt werden und Banken bekamen letztendlich Unsummen ausgeliehenen Geldes nicht mehr zurück. In den USA wurde die Situation erschwert durch Überkapazitäten im Getreideanbau, denen stark gesunkene Preise bei geringeren Verkäufen gegenüber standen. Zusätzliche Faktoren verstärkten die Krise: Hohe Importe bei weit geringeren Exporten. – Spekulative, gering geprüfte und umfängliche Kreditfinanzierungen bei Großinvestitionen (Eisenbahnen, Landerschließungen) führten zum Abbruch oder der Verschiebung von Großinvestitionen. – Unregelmäßigkeiten bei Banken. – Irrationalitäten im Verhalten von Spekulanten nach Wahrnehmung der beginnenden Krise. – Steigende Massenarbeitslosigkeit. – Schwer verkäufliche und umfangreiche Importlagerbestände mangels Kaufkraft. – Zunehmende Labilität des Wirtschaftssystems der USA. – Nachhaltige Rezession. – Politische Folgen, wie u. a. der Mitauslösung des amerikanischen Bürgerkrieges ab 1861. Etwa 5000 Unternehmen, darunter 14 Eisenbahngesellschaften, brachen zusammen. Im Oktober 1857 mussten 1415 Banken die Einlösung ihrer Banknoten einstellen – man hatte damals teilweise noch Privatnoten von Banken – und die Auszahlung von Metallgeld vorübergehend stoppen. Das führte dazu, dass bei Unternehmen mangels Geldmittel keine Rohstoffe, wie Baumwolle, Metall usw. eingekauft werden konnten. (Born, K. E.: 1988, S. 135). Die Krise griff sehr rasch auf andere europäische Länder über und reihenweise folgten wirtschaftliche Depressionen, die bis 1859 / 60 dauerten. England und das britische Empire – die besonders rasch und stark von der



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193219

Krise betroffen wurden –, verfolgten daher beispielsweise mit einer fast zweifachen Erhöhung des Diskontsatzes die Bekämpfung der Geld- und Kreditknappheit, was aber auch nicht ausreichend war, um erforderliche Geldmittel für die Wirtschaft und den Konsum zu bekommen. Die Geldund Kreditverknappung in England hatte bereits im Jahr 1856 begonnen und nahm sehr rasch zu und in den Städten rannte die Bevölkerung zu den Banken, um ihr Geld zu retten. Zahlreiche Banken und Handelshäuser gingen in Konkurs. England wurde als eine der stärksten Industrie- und Handelsnation von der 1. Weltwirtschaftskrise 1857–1859 daher sehr stark erfasst und löste mit seiner Krise auf den Weltmärkten einen Liquiditätsengpass und damit eine fehlende Güternachfrage aus (Rosenberg, H.: 1974, S. 132; Born, K. E.: 1988, S. 135). Auch Deutschland bzw. die Mitgliedstaaten des Zollvereins – vor allem Hamburg mit seinen internationalen Wirtschaftsbeziehungen – hatten erhebliche Probleme, kamen damit aber weitaus besser zu Rande, da sie weniger an den internationalen Spekulationen mit Waren und amerikanischen Eisenbahnwerten teilnahmen.

1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–1932 Die 2. Weltwirtschaftskrise von 1928–1932 war von den vielen früheren Krisen signifikant jene, welche besonders und zu Recht als Weltwirtschaftskrise bezeichnet wurde. Die Krisen in einzelnen Ländern lagen in ihrem Verlauf im Zeitraum der Jahre 1928 bis 1932, wobei sie sich substantiell und in den zeitlichen Abfolgen unterschieden. Gemeinsam war Allen ein schwerer Rückgang des Güteraustausches, der wirtschaftlichen Gesamtleistungen und unterschiedliche sowie nachteiligste gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen, wie Arbeitslosigkeit, soziales Elend, deflatorische und inflatorische Entwicklungen, Spannungen im Wechselkurssystem usw. Die Wirtschaftsindizes zeigten weltweit negative Verläufe hinsichtlich der Entwicklung der Weltproduktion, nach Produkten und Regionen, der Veränderung der Vorräte, verschlechterte industrielle Produktionen, sehr nachteilige Beschäftigungsentwicklungen, irreguläre Entwicklungen von Preisindizes, Zins- und Dividendenentwicklungen, Veränderungen der Kapitalbilanzen und von Auslandskrediten usw. Die entsprechenden Werte reflektieren die Tiefe der Depressionen, ihre räumlichen und zeitlichen Ausdehnungen. Eine einzige Ausnahme von diesen Entwicklungen bildete die Sowjetunion, und zwar bedingt durch ihre geringen außenwirtschaftlichen Verflechtungen und die verfolgte zentrale Wirtschaftsplanung (Bosch, A.: 1963, Sp. 569–580). Die Folgen der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 in Deutschland reichten teilweise bis zum Beginn des 2. Weltkrieges im Jahr 1938 und ver-

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1. Einführung

schmolzen mit dem nationalsozialistischen Wirtschaftssystem mit seinen sehr starken rüstungs- und kriegswirtschaftlichen Ausprägungen sowie zentral-staatlichen Bewirtschaftungspraktiken. Die „Gesamtabrechnung“ der NS-Wirtschaftspolitik und der Folgen der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 erfolgte erst nach dem Zusammenbruch des Regimes und seiner bedingungslosen Kapitulation am 08.05.1945, und zwar nicht nur in materieller Hinsicht, sondern weit darüber hinaus. Der vom Nationalsozialismus entfesselte 2. Weltkrieg war bis dahin der größte und verheerendste Konflikt der Menschheitsgeschichte (Internet: Zweiter Weltkrieg; Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht). Der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 ging ab 1920 und beginnend in den USA ein stürmischer Konjunkturaufschwung voraus, besonders ausgelöst durch die Ausweitung der Konsumgüterproduktion und der landwirtschaftlichen Produktion, die allerdings gleichzeitig mit einer ungleichen Vermögensverteilung der Bevölkerung einhergingen. Das wirkte sich nachteilig auf den Absatz der Konsumgüter aus. Die Expansion der Konsumgüterproduktion erfolgte dennoch, da die Bezahlung der Käufe teilweise durch Kredite erfolgte, die in den USA von einem Umfang im Jahr 1919 in Höhe von 100 Millionen $ auf 7 Milliarden $ im Jahr 1929 stiegen (Internet: Weltwirtschaftskrise 1928–1932). Der Nachholbedarf des Absatzes während der Nachkriegszeit wurde fälschlicherweise als dauernde Nachfrage gewertet und löste eine spekulative Überproduktion aus. Besonders die Absatzchancen der neuen Industriezweige, wie für Auto-, Radio-, Foto-, Film- und Kunststofferzeugungen usw. wurden überschätzt (Born, K. E.: 1988, S. 137) und man sprach von den „Goldenen Zwanziger Jahren“, einer bis heute euphemistischen Umschreibung und Verkennung der damals bevorstehenden wirtschaftlichen und politischen Jahrhundertkatastrophe. In diesem zeitlichen Vorfeld der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 bzw. bis zum Frühjahr 1929 entstand in den USA eine Börsenspekulation mit in die Höhe getriebenen Aktienkursen, die dem tatsächlichen Wert der Effekten bei weitem nicht mehr entsprachen. Die Hausse wurde finanziert mit zinsniedrigen Bankkrediten, die in den USA reichlich zur Verfügung standen. Der am 25. Oktober 1929 ausbrechenden Panik an der Börse New York – dem berüchtigten Schwarzen Freitag – gingen in den USA verschiedene fatale Entwicklungen voraus: Überschätzung der Aufnahmefähigkeit der Märkte und damit verbundene Börsenspekulationen. – Preisverfall ab 1920 durch Überproduktion von Kaffee, Wolle und Baumwolle bei fallenden Preisen. – Zollprotektionismus mit der Folge der Störung des internationalen Handels nach dem Ende des 1. Weltkrieges 1918. – Die USA waren größtes Gläubigerland und verfolgten ab 1921 eine Hochzollschutzpolitik, wodurch Lieferanten und Schuldner der USA weder ausreichende Lieferungen nach den USA, geschweige denn



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193221

ausreichende Schuldentilgungen leisten konnten. – Währungskrisen in verschiedenen Ländern nach dem Kriegsende, mit der Folge des Sinkens langfristiger Kreditmöglichkeiten und damit der Unterversorgung des Kapitalmarktes und der Überversorgung des Geldmarktes, löste internationaler Fehlfinanzierungen aus. – Kurzfristig fällige Kredite wurden für langfristig erforderliche Mittelfestlegungen bzw. Kapitalbindungen eingesetzt, d. h. es entstanden Risiken aus Liquiditätslücken. Das Gebot der Fristenkongruenz von Kapitalbindungs- und Nutzungsdauer einer Anlage wurde somit bei Finanzierungen teilweise missachtet. – Geldreparationen als Folge des 1. Weltkrieges mit enormen Geldtransfers, denen keine entsprechenden Warenströme und Dienstleistungen gegenüber standen, störten das internationale Gleichgewicht der Wirtschaft (Born, K. E.: 1988, S. 139). Es hatte sich in den Jahren vor der großen Depression – ausgelöst durch den Schwarzen Freitag am 25.10.1929 – eine sehr komplexe und prekäre Situation ergeben, bei der das Wohl der Weltwirtschaft vom Konjunkturverlauf der USA in weitestem Maße abhing. Solang die Konjunktur intakt blieb und die niedrigen Zinssätze der USA Kapitalflüsse ins Ausland ermöglichten, wurde die Wirtschaft in den Ländern der Kapitalempfänger durch amerikanischer Zahlungen wesentlich unterstützt. Länder mit Zahlungsbilanzdefiziten profitierten davon naturgemäß besonders. Mit dem Kurssturz an der New Yorker Börse entfiel diese Stütze. Die entstehende 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 breitete sich sehr rasch auf europäische Länder und überseeische Rohstofflieferanten aus. Frankreich hatte eine gute Binnenkonjunktur und blieb zunächst von der Krise noch verschont, ebenso einige kleinere Volkswirtschaften. Sie konnten die Krise nicht aufhalten, dafür war ihr Einfluss zu gering. 1931 erreichte die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 auch Frankreich. Um die expansive Börsenentwicklung in den USA zu dämpfen, hatte das Federal Reserve System (FED) – das Zentralbank-System der Vereinigten Staaten bzw. die US-Notenbank – seine Geldpolitik geändert, verknappte das Geldangebot, die Zinsen stiegen und das Börsenpublikum wurde skeptisch hinsichtlich der weiteren Entwicklungen und agierte vorsichtiger, was sich letztendlich verhängnisvoll für die amerikanische Wirtschaft auswirkte. Fehlende Impulse für entstandene Nachfragerückgänge wurden zunächst nicht gesetzt und das zog die amerikanische Volkswirtschaft im Gesamten nach unten. Der vorhergehende Investorenboom schlug in sein Gegenteil um. Ertragserwartungen erwiesen sich in vielen Fällen als falsch und Zusammenbrüche zahlreicher Unternehmen konnten nicht mehr aufgehalten werden. Das entstandene Streben nach Liquidität, Produktionsrückgänge und der Preisverfall führten zum amerikanischen Konjunktureinbruch (Bosch, A.: 1963, Sp. 576–578). Dem folgte rasch ein sehr ausgeprägter Rückgang des Internationalen Handels, der die USA am stärksten traf. Sein Volumen im Jahr 1929 in Höhe von 5,2 Milliarden $ schrumpfte auf

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1. Einführung

1,6 Milliarden $ im Jahr 1932. Der britische Export von 729 Millionen £ im Jahr 1928 sank auf 365 Millionen £ im Jahr 1932. Der Export von Deutschland in die USA sank in den vorgenannten Zeiträumen von 13,5 Milliarden RM auf 5,7 Milliarden RM. Diese Entwicklungen waren gleichzeitig verbunden mit einer Massenund Dauerarbeitslosigkeit, die sich in den Jahren 1929 bis 1933 mit folgenden Arbeitslosenzahlen entwickelte: USA 1,55 auf 12,83 Millionen, Großbritannien 1,26 auf 2,57 Millionen und Deutschland 1,89 auf 4,8 Millionen Arbeitslose (Born, K. E.: 1988, S. 138). Die wirtschaftliche Situation vor, während und nach der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 verlief in den betroffenen Ländern unterschiedlich. Im Folgenden richtet sich naheliegend ein verstärkter Blick auf die Situation in Deutschland, da die vorliegende Arbeit das Ziel verfolgt, besonders für die Gesellschaft und Wirtschaft im deutschsprachigen Raum der Frage nachzugehen und Ansätze zu gewinnen, welche Auswirkungen besonders die 2. und 3. Weltwirtschaftskrise auf die Themenbereiche Führung und Motivation haben. Dabei wird davon ausgegangen, dass einmal die Krise selbst und zweitens verschiedene andere Entwicklungen durch Paradigmen originär und essentiell mitbestimmt werden. In diesem Kontext ist auch zu prüfen bzw. gegebenenfalls zu zeigen, inwieweit die bislang drei Weltwirtschaftskrisen Gemeinsamkeiten aufweisen, aus denen weitere wesentliche Schlüsse gezogen werden können, die u. a. relevant sind für prospektive Formungen und Gestaltungen von Führung und Motivation. Paradigmatische Ansätze und Gestaltungen zu Vorstellungen der Wirtschaftsordnung und der Führung und Motivation bedingen sich mehr oder minder wechselseitig und sind unerlässliche Orientierungshilfen für Gesellschaft und Wirtschaft. Die 2. und 3. Weltwirtschaftskrise haben zu einem erheblichem Teil ihre Ursachen und fatalen Folgen in überholten liberalen, neoliberalen und letztendlich falschen Ideen und Wertvorstellungen. Die wiederum sind zwangsläufig auch prägend für nachteilig konzipierte und praktizierte Formen der Führung und Motivation, welche auf die Gesellschaft und Wirtschaft Einfluss nahmen. Krisenärmere zukünftige Entwicklungen erfordern daher gleichermaßen geänderte, zeitgemäße sowie praktikable Vorstellungen und Verwirklichungen über substantielle Gestaltungsfaktoren der Gesellschaft und Wirtschaft sowie der Führung und Motivation, also neue Paradigmen. Aus den fatalen Erfahrungen mit verfestigten und revisionsbedürftigen Ideen bei den bisherigen Weltwirtschaftskrisen begründet sich auch die Forderung eines Paradigmenwechsels, um dadurch mit bisherigen Erfahrungen kritisch-konstruktiv optimalere Wege zu finden. Mit quasi homöopathischen Dosen können notwendige Anpassungen von Grundauffassungen



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193223 Abbildung 1.2: Britische Arbeitslose in der 2. Weltwirtschaftskrise ab 1928–1932

(Internet: Arbeitslose und 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932)

kaum bewerkstelligt werden. Dem stehen die damit verbundenen und sehr stark zu erwartenden Ideen und Interessengegensätze höchstwahrscheinlich entgegen. Daraus ergeben sich zeitliche Verschleppungen und es sind suboptimale Zeitpunkte für Anpassungsinterventionen zu befürchten. Genau diese Phänomene waren bei den bisherigen Weltwirtschaftskrisen festzustellen. Generell sind solche Erfahrungen nicht neu, dass beispielsweise Veränderungen verzögert und daher optimale Interventionszeitpunkte verfehlt werden bzw. recht regelmäßig verspätet erfolgen (Schwan, K.: 2003, S. 235–239). Deutschland hat bereits vor dem Ausbruch der Krise in den USA unter der restriktiven Geldpolitik der USA gelitten. Kredite in Richtung Deutschland gingen mit den amerikanischen Zinserhöhungen ab dem Jahr 1928 stark zurück, und zwar um etwa 50 % im Jahr 1929 gegenüber den Jahren 1927 und 1928. Ab 1930 entfielen solche Kredite fast zu Gänze. Deutschland hatte jedoch als Folge des verlorenen 1. Weltkrieges 1914–1918 zudem enorme Reparationszahlungen zu leisten und war daher auf Exportüberschüsse und eine entsprechende ausländische und jährliche Kapitaleinfuhr in

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1. Einführung

Höhe von mehreren Milliarden Reichsmark (RM) angewiesen. Die Reparationen waren ein erheblicher Teil der deutschen Auslandsverschuldung. Die Kriegsfolgekosten wurden von den alliierten Kriegsgegnern Deutschlands auf Grund des Versailler Vertrages (Kriegsschuldartikel 231) prinzipiell geregelt. Am 28. Juni 1919 erfolgte unter Protest von Deutschland die Vertragsunterzeichnung. Die Festsetzung der Höhe der Reparationszahlungen erfolgte später, und zwar in einer so immensen Höhe, dass es nicht vorstellbar war, sie nur durch Steuererhöhungen finanzieren zu können. Damit wurde ein politischer und wirtschaftlicher Sprengsatz gelegt, zu dem Hass statt Vernunft geführt hatte. Die Finanzierungsprobleme von Deutschland waren damit extrem schwierig. Mit dem Versiegen des Zuflusses ausländischer Mittel drosselte die Reichsbank der Weimarer Republik (1918–1932) ihre inländischen Kredite, um die Verluste ihrer Währungsreserven zu begrenzen. Die Reichsbank war durch internationale Verträge (London 1924) in ihrer Währungs-, Geld- und Kreditpolitik gebunden, sodass Regierung und Reichsbank bei Bewältigung der Krise im Vergleich mit anderen Ländern eine geringere Manövrierfähigkeit hatten. Das führte ab dem Frühjahr 1929 zu einem Konjunkturrückgang. Die Produktion ging zurück, in Industrie und Handel wuchsen die Lagervorräte und es stieg die Zahl der Arbeitslosen. Der bald nachfolgende Börsensturz an der New Yorker Börse am 25. Oktober 1929 setzte sich sehr rasch an den europäischen Börsen fort – so auch in Deutschland – und die Nachteile für die Gesellschaft und die Wirtschaft stiegen weiter an und ähnelten jenen in den USA: Investitionen gingen zurück und Maßnahmen der Liquiditätssicherung führten noch stärker zu einer Verringerung der Produktion und von Preisen. Die internationalen Kreditverflechtungen erschwerten die belasteten Verhältnisse in Deutschland zusätzlich. Sehr vorsichtig gewordene potentielle Kreditgeber aus dem Ausland – mit ihren ureigenen Zielen der Liquiditätsschonung – führten zu Kreditkündigungen und beschränkten naturgemäß Neukredite, d. h. die Liquiditätslücken stiegen rasch an. Die Depression nahm verheerende Ausmaße an und die Wirtschaft erreichte im Jahr 1932 ihren Tiefpunkt (Bosch, A.: 1963, Sp. 578; Born, K. E.: 1988, S. 137 f.; s. a.: Giersch, H.: 1960, S. 170). Vor dem 1. Weltkrieg waren Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland im Wesentlichen durch eine liberale Wirtschaftsordnung geprägt, dann folgte kriegsbedingt ein behördliches System der Bewirtschaftung von Rohstoffen und Nahrungsmitteln bei staatlich fixierten Höchstpreisen. Diese „Kriegsplanwirtschaft“ wurde als Folge der großen Deutschen Inflation (1914–1923) und deren tieferen Ursachen fast ein halbes Jahrzehnt über das Kriegsende im Jahr 1918 hinaus fortgesetzt (Giersch, H.: 1960, S. 169). Die Deutsche Inflation war eine der radikalsten Geldentwertungen, die eine der großen Industrienationen je erlebt hat. Der Hauptgrund der Hyperinflation



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193225

war die enorme Ausweitung der Geldmenge durch den Staat, um Staatsschulden zu beseitigen. Zu diesem Zweck und mit Beginn des ersten Weltkrieges hob am 4. August 1914 die Regierung die gesetzliche Noteneinlösungspflicht in Metallgeld bzw. Gold sowie die Dritteldeckung der Reichsbanknoten in Gold auf. Die Geldvermehrung wurde durch Kriegsanleihen gegenfinanziert. Dem lag ein geheimer und vor Kriegsbeginn entstandener Plan zu Grunde, der auf einer sogenannten „nationalen Begeisterung“ und inszeniertem „Hurra-Patriotismus“ basierte (Internet: Deutsche Inflation 1914–1923). Der Inflation folgte im November 1923 die Rentenmark und im August 1924 die Reichsmark (RM) in Form einer Goldkernwährung, mit der generell an die marktwirtschaftliche Ordnung der Vorkriegszeit angeschlossen wurde. Wenige Jahre danach erwies sich diese Absicht als volkswirtschaftlich überholt (Giersch, H.: 1960, S. 169). Mit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 ging der Versuch zu Ende, nach dem 1. Weltkrieg im Jahr 1918 die „weltwirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen des 19. Jahrhunderts ohne Rücksicht auf die kriegsbedingten Strukturwandlungen erneut in die Praxis umzusetzen […] Dieser verhängnisvolle Prozess […] erschütterte den Glauben an die liberale Lehren von der internationalen Interessenharmonie und der Wirksamkeit der Selbstheilungskräfte der Wirtschaft und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Marktsystems überhaupt. Entsprechend verbreiteten sich ideologische Vorstellungen, die das Heil im ökonomischen Nationalismus, in staatlichen Hilfsmaßnahmen und / oder in einem System mehr oder weniger straffer staatlicher Wirtschaftslenkung erblickten. Diese neomerkantilistischen Ideologien fanden großen Anklang vor allem in Deutschland, wo die Depression besonders schwer war und mit der Regelung des Reparationsproblems zusammenzuhängen schien und wo statt einer ausgeprägten liberalen Tradition eine starke Autoritätsgläubigkeit herrschte“ (Giersch, H.: 1960, S. 170). Allerdings bedeutete das nicht, dass diese Einsichten – die Herbert Giersch im Jahr 1960 treffend festhielt – in den folgenden Jahren auch tatsächlich die Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik von Deutschland bestimmten oder gar in breiterem Maße Vorstellungen Platz greifen konnten, wie sie bis 1938 durch die Freiburger Schule als Ordoliberalismus vorbereitet und nach dem Ende des 2. Weltkrieges mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft weiterentwickelt und realisiert wurden. Das hat die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft der damaligen Zeit offenkundig überfordert und sie hatten andere Intentionen. Die am 9. November 1918 ausgerufene Weimarer Republik war ein Ergebnis der Novemberrevolution der Jahre 1918 / 1919, die zur Abschaffung der Monarchie in Deutschland führte und eine Antwort war auf den Schock über die Niederlage des deutschen Kaiserreiches und die extremen Belas-

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1. Einführung

tungen des verlorenen Krieges. Damit war das Denken, Fühlen und Handeln der reformunwilligen Machteliten der vordemokratischen Strukturen, des Obrigkeitsstaates mit all seinen sozialen Belastungen und schweren politischen Spannungen, Streitereien und revolutionären Gefahren natürlich nicht untergegangen. Die Weimarer Verfassung galt zu ihrer Zeit als besonders fortschrittlich. Aber schon damals gab es die verbreitete These, der Staat von Weimar sei eine „Demokratie ohne Demokraten“. Dem ersten Reichspräsidenten, dem bedeutenden, verehrten, auch umstrittenen und bekämpften SPD-Politiker Friedrich Ebert (1871–1925), der sich als Wahrer der nationalen Einheit, Schützer des Rechts, der Sicherheit und der neuen Ordnung verstand und der sich um die junge Demokratie verdient gemacht hatte, folgte nach dessen Tod im Jahr 1925 als Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847–1934). Als Konservativer, einem alten ostpreußischen Adelsgeschlecht entstammend, Sohn eines Offiziers und Gutsbesitzer, stand er der republikanischen Staatsform betont kritisch gegenüber. Seine militärische Laufbahn war glänzend und als Held der Schlacht von Tannenberg, die vom 26.–30. August 1914 geschlagen und gewonnen wurde, avancierte er in breiten Kreisen zu einem politischen und auch inszenierten Mythos, gelangte an die Spitze des Heeres und erlangte rasch Einfluss und dominierende Macht im kaiserlichen Deutschen Reich und wurde dann im Alter von 77 Jahren als Staatoberhaupt der Weimarer Republik gewählt. Er war bis heute der einzige Präsident von Deutschland, der direkt durch das Volk gewählt wurde (s.  a. Internet: Weimarer Republik; Novemberrevolution; Friedrich Ebert; Paul von Hindenburg). Vor diesem Hintergrund ist auch die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 zu sehen und zu bewerten. Nur eine gegenwärtige Sicht genügt dazu nicht. Damalige Verantwortliche in Gesellschaft und Wirtschaft befanden sich in einer Zeit des Umbruches und hingen gleichzeitig in vielerlei Art und Weise einer Epoche an, die untergegangen war. Sie standen aber vor enormen und teils neuartigen Problemen, die Konzepte und Lösungen verlangten, die zum damaligen Zeitpunkt noch fehlten. Bei ökonomischen Fragenstellungen folgte man klassischen Vorstellungen, für deren Anwendung damals bereits die Voraussetzungen fehlten. Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Das Saysche Theorem wurde von Jean-Baptiste Say (1767–1832) und James Mill (1773–1836) entwickelt und stellte den Grundsatz auf: „Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst“. Der Satz entsprach den Lehren der Nationalökonomischen Klassik, die von der Idee der Selbstregulierung der Märkte bestimmt war, die bereits der große Moralphilosoph, Ökonom und Soziologe Adam Smith (1723–1790) schon vertreten hatte und mit der Metapher der „unsichtbaren Hand“ umschrieb, die für „Ausgleich“ und „Gleichgewicht“ sorge, und meinte, dass letztlich auch Gottes Weisheit das Handeln der Menschen lenkt (Reckten-



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193227

wald, H. C.: 1976, S. 47, 86, 115 und 160). Diesen Gedanken wendet er auch auf Marktzusammenhänge von Angebot, Nachfrage und Preisbildung und das Verhalten von Kaufleuten an, wenn er schreibt: „Wenn daher jeder einzelne soviel wie nur möglich danach trachtet, sein Kapital zur Unterstützung der einheimischen Erwerbstätigkeit einzusetzen und dadurch dieses so lenkt, daß ihr Ertrag den höchsten Wertzuwachs erwarten läßt, dann bemüht sich auch jeder einzelne ganz zwangsläufig, daß das Volkseinkommen im Jahr so groß wie möglich werden wird. Tatsächlich fördert er in der Regel nicht bewußt das Allgemeinwohl, noch weiß er wie hoch der eigene Beitrag ist. Wenn er es vorzieht, die eigene nationale Wirtschaft anstatt die ausländische zu unterstützen, denkt er nur an die eigene Sicherheit, und wenn er dadurch die Erwerbstätigkeit so fördert, daß ihr Ertrag den höchsten Wert erzielen kann, strebt er lediglich nach eigenem Gewinn. Er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, der keineswegs in seiner Absicht lag. Es ist auch nicht immer das Schlechteste für die Gesellschaft, dass dieser nicht beabsichtigt gewesen ist. Indem er seine eigenen Interessen verfolgt, fördert er oft diejenigen der Gesellschaft auf wirksamere Weise, als wenn er tatsächlich beabsichtigt, sie zu fördern“ (Smith, A.: 1937, S. 423; s. a.: Recktenwald, H. C.: 2012).

Die Metapher der „unsichtbare Hand“, die Adam Smith in einem vielfältigen Kontext in seinem ökonomischen Hauptwerk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) ein einziges Mal verwendete – nämlich im Kapitel über Handelsbeschränkungen –, ist jener Satz von ihm, der vermutlich bis in die Gegenwart bei ideologischen Postulaten und Auseinandersetzungen am meisten strapaziert, fehlinterpretiert und missbraucht wird. Mit geradezu willkürlicher und manipulativer Fokussierung und Auslegung des Textes wurden und werden die Intentionen und das Wirken von Adam Smith ignoriert und zu billigen sowie vordergründigen Agitations- und Propagandamitteln missbraucht. Adam Smith dachte nicht so naiv und engstirnig, wie es oberflächliche und manipulative Fehlinterpretationen seines umfassenden und von ganzheitlichen Vorstellungen geprägten Arbeiten und sein praktisches Wirken fälschlich erscheinen lassen können. Er formulierte nicht nur den Ansatz der marktwirtschaftlichen Theorie des Zusammenhangs von Nachfrage, Angebot und Preisbildung, sondern seine Aussagen gewinnen erst durch die von ihm stets gepflogene kontextuelle Betrachtungsweise den angestrebten Sinn und ihre intentionale Kraft und Bedeutung. Letzteres gilt auch für seine ökonomischen Lehren der Arbeitsteilung, der Verteilungstheorie, der Außenhandelstheorie und zu dem Thema der Rolle des Staates. Sein philosophisches Hauptwerk war Die Theorie der ethischen Gefühle (1759). Die Ausgangsfrage dazu lautete: „Was ist bedeutsamer: das allgemeine, gesellschaftliche Glück oder das persönliche, individuelle Glück?“ Auf empirische Überlegungen gestützt folgerte Adam Smith sinngemäß: Das allgemeine, gesell-

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1. Einführung

schaftliche Glück werde maximiert, indem jedes Individuum im Rahmen seiner gesellschaftlichen Grenzen versucht, sein persönliches Glück zu erhöhen. Diese gesellschaftlichen Grenzen sind das, was er den „inneren Richter“ nannte, der jede Handlung darauf befragt, ob sie gesellschaftlich anerkannt und legitimierbar ist (Internet: Smith, Adam, Ziff. 1.). Der zu Recht als Vater der Klassischen Nationalökonomie bewertete Adam Smith war kein kleinkarierter Stuben-Gelehrter, sondern ein universell gebildeter und im praktischen Leben integrierter sowie hochangesehener Mann, der u. a. mit wichtigen sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen öffentlichen Aufgaben betraut war. Adam Smith stand mit führenden Persönlichkeiten des Geisteslebens Europas im Austausch. Er begründete die Nationalökonomie und Soziologie in England, verfolgte – von der Moraltheologie kommend – ethische Themenstellungen und Lösungen und richtete sich gegen unternehmerische Praktiken jener Zeit. Er lebte zeitweise im durch die Aufklärung geprägten Frankreich, wo er auch sein Hauptwerk Der Wohlstand der Nationen – Eine Untersuchung seiner Natur und Ursachen (1776) abzufassen begann, das zu einem überwältigenden Erfolg wurde, dem rasch Übersetzungen folgten, auch in deutscher Sprache. Adam Smith gilt ganz allgemein als Begründer der Ökonomie als Wissenschaft, da er sie mit gesamtgesellschaftlichen Standpunkten verband, man könnte auch sagen mit Paradigmen. Neoliberale Ideen und ihre Umsetzung, die zu Hauptverursachern der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und ihren grauenhaften Folgen wurden, stützen sich auf Aussagen der Klassischen Nationalökonomie und damit auch auf Adam Smith. Auf die neoliberalen Ideen bzw. den Neoliberalismus wird an anderer Stelle der vorliegenden Arbeit detailliert eingegangen und es darf darauf verwiesen werden. Daher nur soviel: Wird Adam Smith, sein umfangreiches Werk und sein Wirken in der damaligen Gesellschaft redlich studiert und bewertet, ergibt sich kein Ausgangspunkt dafür, dass die bekannt naiven, wenngleich hochgiftigen Ideen des Neoliberalismus bei Adam Smith auch nur einen Ansatz der Legitimation finden. Neoliberale Ideen basieren auf den Postulaten der individuellen Freiheit als Teil und Ausdruck einer freien Gesellschaft sowie einer Politik zur Sicherung dieser Freiheiten. Eine Unterordnung der Wirtschaft unter gesellschaftliche Prioritäten sieht der Neoliberalismus folglich nicht vor. Die Freiheit des Einzelnen in der Wirtschaft begründet aus neoliberaler Sicht erst die individuelle Freiheit. Die Rolle des Staates in einer freien Gesellschaft macht jede Form von Zwang daher unzulässig und Übereinstimmungen werden idealer Weise in freier Vereinbarung mit den Individuen erreicht. Wird dieses Ideal real nicht erreicht, zeigt sich, dass kaum bessere Ergebnisse durch den Staat erreichbar sind bzw. Staatsinterventionen daher besser unterbleiben. Diese Vorstellung führt zur Forderung des Nachtwächterstaates und der Ansicht, dass die



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Selbstheilungskräfte der Wirtschaft letztendlich vorzuziehen sind und somit Deregulierungen der richtige Weg seien (Milton, F.: 1971, S. 252–255). Die neoliberalen Postulate der Theoretiker des Neoliberalismus wurden durch Konservative der USA weiter verkürzt und Milton Friedman „rechts“ überholt, real umgesetzt und nach Europa exportiert. Kurzum: Wenn Vertreter aus Theorie und Praxis des Neoliberalismus und dessen Umsetzung eine Legitimation bei Adam Smith und der Klassischen Nationalökonomie suchen, ist dort dafür keine Basis zu finden. Die erfolgten Versuche dies dennoch zu tun, bilden schlicht und einfach eine unerträgliche und unverantwortliche Fehlinterpretation von Adam Smith und damit eine Irreführung besonderen Ausmaßes. Das tatsächlich durch neoliberale Ideen Bewirkte hat letztendlich die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mitverursacht und zu schwersten und nachhaltigen Schädigungen der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und ganz besonders der Menschen geführt und die Welt an den Rand des wirtschaftlichen Abgrundes gebracht. Die Katastrophe hat außerdem mit unmissverständlicher Konsequenz und Härte die Macht der Ideen und ihrer Folgen gezeigt, ob sie so schlicht und naiv wie neoliberale Ideen waren, so grauenhafte, menschenverachtende und vernichtende Ideen wie jene von Adolf Hitler und dem davon bestimmten Nationalsozialismus oder so bedeutsame, wichtige und unverzichtbare Ideen, wie jene der Aufklärung ab dem 18. Jahrhundert, die ein neues Zeitalter einleiteten (Internet: Aufklärung). Ein positives Beispiel unserer Zeit sind die Macht der Ideen der GrünBewegung geworden, die ursprünglich – einschließlich ihrer Träger aus der Zivilgesellschaft – von etablierten Machteliten harsch abgelehnt und dann belächelt wurden und nun – 30 Jahre oder eine Generation später – genau von diesen traditionellen Eliten übernommen und umgesetzt werden. Die Macht der Ideen ist ebenso wie im Großen auch im Kleinen präsent. Man denke an die Unzahl von erfolgreichen regionalen und kommunalen Bürgerbeteiligungen mit unterschiedlichsten Zielen, die mit ihrer jeweiligen Entfaltung der Macht der Ideen und ohne herkömmliche Machtapparate, betroffene Politikern oft zum Schwitzen brachten und trotz aller Unkenrufe zu Trägern notwendiger Veränderungen wurden. Unzählige Unternehmen und andere Einrichtungen bauen auf die Macht der Ideen, wenn sie kreativ und innovativ ihre Stellung im Wettbewerb halten und möglichst verbessern möchten. Dieses Bemühen und seine greifbaren Erfolge kann jeder aufmerksame Beobachter täglich erleben, und zwar von Kleinbetrieben bis hin zu transnationalen Konzernen. Ebenso beispielhaft für die erfreuliche Seite der Macht der Ideen sind die fast überall agierenden freiwilligen Organisationen des Umweltschutzes, von Hilfsorganisationen verschiedenster Art usw., die auf regionalen, nationalen und internationalen Ebenen tätig wer-

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den. Moderne Medien – wie beispielsweise Soziale Medien bzw. Social Media, die mit geringem Aufwand und enormer Breitenwirkung internetbasierte interaktive Kommunikation und Vernetzungen ermöglichen (Web. 2.0) – verstärken bereits heute den Einsatz der Macht der Ideen und werden das immer stärker tun und auch die zunehmende Bedeutung der Zivilgesellschaft als 4. Macht der Gesellschaft stärken und die herkömmlichen Gewalten (Legislative, Exekutive, Judikative) funktionell und auf verschiedenen Ebenen (horizontal, vertikal, sozial, entscheidungsspezifisch) ergänzen (Internet: Gewaltenteilung; Zivilgesellschaft, Ziff. 1.–4.). Zur Zeit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 herrschten wirtschaftliche Verhältnisse, die – wie schon erwähnt – einmal noch von der klassischen Vorstellung der Selbstregulierung der Wirtschaft geprägt waren, die jedoch zweitens nicht mehr jenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realitäten entsprachen, von denen Adam Smith, Jean-Baptiste Say und James Mill zu ihrer Zeit bei der Formulierung ihrer relevanten Gedanken und Theoreme ausgehen konnten. Drittens waren jene Theorien, die bessere Ansätze zur Lösung der gewaltigen Probleme der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 geboten hätten und die heute Allgemeingut der Ökonomie und Wirtschaftspolitik sind, den Verantwortlichen nicht oder zu wenig bekannt bzw. politisch irrelevant, besonders auch jene von John Maynard Keynes (1883–1946). Keynes’ ökonomisches Denken war stark orientiert an politischen Notwendigkeiten und seine Veröffentlichungen und vielfältigen pragmatischen Aktivitäten dienten u. a. auch genau diesem Zweck, nämlich nützliche Gestaltungsbeiträge zu konkreten politischen Problemstellungen zu leisten. Das macht seine einzigartige Bedeutung bis heute aus (Scherf, H.: 2012, Teil 2, S. 273–291). Sein Hauptwerk The General Theory of Employment, Interest and Money, London 1936 entstand bezeichnenderweise vor dem Hintergrund der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932, die mit dem Börsenkrach an der New Yorker Börse am 25. Oktober 1929 ihren „offiziellen“ Anfang nahm. In diesem Kontext widersprach er dem Sayschen Theorem und stellte diesem seine These gegenüber, dass der Staat zu finanz- und geldpolitischen Mitteln bzw. Deficit Spending greifen soll, um dadurch eine gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu bewirken und Vollbeschäftigung zu erzielen. Diese zentrale Botschaft von Keynes hat bis heute Gültigkeit behalten, nämlich Krisenbewältigung durch die Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu verfolgen (Konsum, private und öffentliche Investitionen, Exporte, staatliche Nachfrage usw.). Paul Krugman spricht mit Blick auf die 2. und 3. Weltwirtschaftskrise in diesem Zusammenhang vom „keynesianischen Pakt“ und begründet dessen Bedeutung und Aktualität (Krugman, P.: 2009, S. 122–124). Artur Woll zählt Keynes zu den bedeutendsten Nationalökonomen der Geschichte, andere Ökonomen rücken ihn an die Seite von



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193231

Adam Smith (Internet: Woll, A.; Keynes, John Maynard, 1.–4). Ebenso wird Keynes im Kontext mit der Lehman-Pleite und der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zitiert etc. Kurzum: John Maynard Keynes erlebt mit der gegenwärtigen Krise eine Renaissance (s. a.: Meißner, W.: 1983, Sp. 2370–2380). Keynes widersprach dem Sayschen Theorem, mit dem sich Jean-Baptiste Say gegen die von einigen Ökonomen seiner Zeit vertretene Befürchtungen wendete, dass es mit dem technischen Fortschritt zu Überproduktionskrisen kommen könnte, dem Say die folgende Argumentation entgegenhielt: „Wenn der Produzent die Arbeit an seinem Produkt beendet hat, ist er höchst bestrebt es sofort zu verkaufen, damit der Produktwert nicht sinkt. Nicht weniger bestrebt ist er, das daraus eingesetzte Geld zu verwenden, denn dessen Wert sinkt möglicherweise ebenfalls. Da die einzige Einsatzmöglichkeit für das Geld der Kauf anderer Produkte ist, öffnen die Umstände der Erschaffung eines Produktes einen Weg für andere Produkte“ (Say, J.-B.: 2001, S. 57; Internet: gesamte Textwiedergabe: Says Buch und Saysches Theorem).

Eines der wesentlichen Hindernisse zur Verringerung der verheerenden Auswirkungen der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 im deutschsprachigen Raum bestand darin, dass die bestimmenden Vertreter der Politik den Vorstellungen der klassischen Nationalökonomie verhaftet waren und zu sehr an die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft glaubten, aber auch starke Interessengruppen einer zeitgemäßen Gestaltung der Politik einer wirksamen Krisenbewältigung entgegenstanden. Der Handlungsspielraum war zudem durch die schon genannten Reparationszahlungen stark eingeengt. Ganz zu schweigen von verschiedenen extremen politischen Vorstellungen und Entwicklungen, die u. a. letztendlich zur Jahrhundertkatastrophe des Nationalsozialismus führten. Bei der Bewältigung der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 gab es zwei exem­plarisch unterschiedliche Ansätze, und zwar einmal in Deutschland und zweitens in den USA. In Deutschland wurde unter Reichskanzler Heinrich Brüning (1885–1970) nach seiner Bestellung als Kanzler am 30. März 1930 – die bis zum 30.05.1932 dauerte – versucht, mit einer Verstärkung der verfolgten Deflationspolitik der Krise Herr zu werden. Brüning war im Reichstag zuvor wegen seiner Fachkenntnisse geschätzter finanzpolitischer Sprecher seiner Partei, der christlich-sozialen Deutschen Zentrumspartei (Internet: Deutsche Zentrumspartei). Franklin D. Roosevelt (1882–1945), ein Progressiver und ab dem 4. März 1933 Präsident der USA, versuchte mit dem New Deal – einer Serie von Wirtschafts- und Sozialreformen – die desolaten wirtschaftlichen Zustände bzw. die wirtschaftliche und sehr schwere Depression zu bekämpfen, die als Folgen der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 in den USA entstanden und zu beklagen waren. New Deal entspricht auf Deutsch übersetzt etwa der „Neuverteilung der Karten“. Mit diesem Slogan gewann er haushoch die Wahl als Präsident gegen seinen Vorgänger im Prä-

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1. Einführung

sidentenamt, Herbert Hoover (1874–1964), der als Libertärer eine größtmögliche Zurückhaltung bei Regulierungen der Wirtschaft durch den Staat befürwortete und auf die Selbsthilfe der Bürger und der Wirtschaft hoffte. Unter Hoover verschärfte sich ab dem Jahr 1931 die Krise erheblich. Er versuchte mit Steuererhöhungen den Kreditmarkt zu Gunsten der Privaten zu entlasten, förderte Initiativen von Privaten und Unternehmen gegen die Rezession und herrschende Not, erklärte die Rettung von Banken zur Staatsaufgabe, legte aber gegen die vom Kongress beschlossene Einführung der Arbeitslosenversicherung erfolgreich sein Veto als Präsident ein und unterzeichnete widerstrebend ein Gesetz für Arbeitsbeschaffungsprogramme. Die hohen Erwartungen an seine Person, die Hoover im Jahr 1928 in das Präsidentenamt brachten, konnte er – was die Ankurbelung der Wirtschaft der USA betraf – nicht erfüllen (Höhmig, H.: 2000, S. 39–51; Internet: Heinrich Brüning; Franklin D. Roosevelt; Herbert Hoover; Progessivismus; Libertarismus). Das Handeln von Franklin D. Roosevelt und Heinrich Brüning war, wie schon die wenigen Hinweise zeigen, trotz des gleichen Zieles der Bekämpfung der akuten Wirtschaftskrise, völlig verschieden und von prinzipiell gegensätzlichen Ansätzen bestimmt. Brüning konzipierte seine Maßnahmen nach liberalen Traditionen und nationalökonomischen Vorstellungen der Zeit bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges im Jahr 1914 und damit nach damaligen Verhältnissen und Umständen gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Art, wie er sie eben kannte. Dementsprechend handelte er in seiner Funktion als Reichskanzler. Das ökonomische Verständnis und Handeln von Heinrich Brüning ähnelte in den Grundannahmen durchaus jenem von Herbert Hoover in den USA. Beide gingen von ordnungspolitischen makro- und mikroökonomischen Vorstellungen aus, die durch die realen Veränderungen nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr galten und daher wirtschaftspolitisch auch nicht mehr griffen. Brüning und Hoover waren wirtschafts- und konjunkturpolitisch durch die konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse, die veränderten Finanzwirtschaften, neue währungspolitische Notwendigkeiten und Regelungen, dem damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel, die nationalen und internationalen Wirtschaftsverflechtungen und deren komplexen Wechselwirkungen usw. überfordert. Franklin D. Roosevelt dachte und vor allem handelte ganz anders, wie es auch schon sein Slogan New Deal signalisierte, und ging in der politischwirtschaftlichen Praxis bemerkenswert pragmatisch zu Werke. Dabei lagen seine grundlegenden Orientierungen und die Stoßrichtungen seiner Aktivitäten – soweit sie sich auf „alte“ oder „neue“ ökonomische Theorien bezogen – teilweise auf einer Linie mit Keynes. An den damaligen wirtschaftspolitischen Diskussionen nahm Keynes rege teil und am 31.12.1933 schickte er



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193233

an Präsident Franklin D. Roosevelt einen offenen Brief, der in der New York Times veröffentlicht wurde und nach Inhalt und Umfang damals und auch heute(!) äußerst bemerkenswert war und ist und zu dem die New York Times bereits am 02.01.1934 einen eigenen Artikel veröffentlichte (Keynes, J. M.: 1982, S. 289–297 bzw. S. 297–304; Internet: Keynes, J. M.: Offener Brief vom 30.12.1933 an Franklin D. Roosevelt und Stellungnahmen der New York Times vom 02.01.1934). Franklin D. Roosevelt kannte somit die Vorstellungen von John Maynard Keynes somit gut. Die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 in Deutschland hatte, wie schon gezeigt, bereits vor der Bestellung von Heinrich Brüning zum Reichskanzler am 30. März 1930 zu schwersten wirtschaftlichen und sozialen Schäden geführt: Finanz- und Bankenkrise. – Fatale Verhältnisse an den internationalen Kreditmärkten. – Immense Reparationslasten. – Rasant steigende Arbeitslosenzahl. – Gesunkene Wirtschaftsleistungen. – Sinkende Nachfrage. – Diskontsatzerhöhungen und dadurch Kreditverteuerungen. – usw. Deutschland war also in eine äußerst gefährliche wirtschaftspolitische Lage geraten, die aus innenpolitischen Gründen zusätzlich und zunehmend verschärft wurde. In dieser Situation versuchte Heinrich Brüning mit der politischen Rechten und den Nationalsozialisten im Reichstag ein neues Paket an Sparmaßnahmen durchzusetzen (Juni 1931) und erklärte in diesem Zusammenhang öffentlich die Reparationsverpflichtungen Deutschlands für „unerträglich“. Das verunsicherte die ausländischen Kreditgeber und veranlasste sie prompt zum Abzug von Devisen in Höhe von mehreren Milliarden Reichsmark (RM). Im Juli 1930 war bereits in Berlin eine Großbank illiquid geworden. Ein massenhafter Ansturm der Bevölkerung auf die Banken war die Folge. Banken mussten mehrere Tage geschlossen werden und der Betrieb der Börse wurde monatelang eingestellt. Die Kreditgeber des Auslandes hatten also für ihr Handeln durchaus massive Gründe. Noch im Frühjahr 1930 hofften die Reichsregierung und die Reichsbank trotz schlechter werdender Entwicklungen in vielen Bereichen – wie z. B. gestiegener Arbeitslosigkeit von 1 Million Menschen im Jahr 1927 auf 1,4 Millionen Ende September 1929 und 3,5 Millionen Arbeitslosen im Februar 1930 – also unmittelbar vor dem Amtsantritt von Heinrich Brüning – immer noch und unbeirrt auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. Die Sparprogramme von Heinrich Brüning begannen rasch auf vollen Touren zu laufen: Senkung der öffentlichen Gehälter um 25 % und starke Kürzungen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. 1932 erreichte die Krise auf dem Arbeitsmarkt mit 6,12 Millionen Arbeitslosen ihren Höhepunkt, wobei zumindest ein Teil der Massen an schlecht bezahlten Kurzarbeitern und Angestellten hinzu zurechnen sind, ebenso wie vor dem Ruin stehende Kleinunternehmer (s. a. Internet: Weltwirtschaftskrise 1928–32).

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1. Einführung Abbildung 1.3: Bankenkrach und Kampf um Spareinlagen, Sparkasse Berlin am 13. Juli 1931

(Internet: Bankenkrach)

Bei der Reichstagswahl am 14. September 1930, mit einer gestiegenen Wahlbeteiligung von 82,0 % (plus 6,4 %) gegenüber der Wahl 1928, fielen der NSDAP 6,4 Millionen der Stimmen zu (1928: 0,81 Millionen Stimmen) und sie wurde nach der SPD mit 24,5 % zur zweitstärksten Partei mit 18,2 % Stimmen der Wähler und gewannen 107 von 577 Reichstagsitzen. Die Zentrumspartei von Heinrich Brüning erhielt 68 und die SPD 143 Reichstagsitze. 16 Parteien waren angetreten. Die Frankfurter Zeitung schrieb am Tag nach der Wahl: „Erbitterungs-Wahlen also, in denen eine aus vielen Quellen gespeiste Stimmung, durch eine wilde Verhetzung aufgewühlt, sich in radikalen Stimmzetteln entlud“; sinngemäß fuhr sie fort: Hitler wisse in Wirklichkeit gar nicht, wie er seine Versprechungen erfüllen könne. Reichspräsident Paul von Hindenburg erklärte – nach ausländischen Pressemitteilungen über einen bevorstehenden Rechtsputsch in Deutschland –, dass dem nicht so sei, um damit einem weiteren Abzug ausländischer Kredite zu begegnen. Der Rechtsputsch kam und die Kredite gingen. Bei der Reichstagseröffnung am 13. Oktober 1930 rückten die Abgeordneten der NSDAP trotz Uniformverbot in brauner Adjustierung an und vor vorgesehenen Strafen schützte sie ihre Immunität. Am gleichen Tage kam es in Berlin



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193235

zu progromartigen Ausschreitungen von SA-Leuten gegen jüdisch aussehende Passanten. Das Schicksal nahm mit der letzten parlamentarischen Regierung der Weimarer Republik seinen Lauf. Heinrich Brüning wurde zum Kanzler einer Minderheitsregierung und regierte mit verfassungsmäßig vorgesehenen Notverordnungen des Reichspräsidenten, die für den Fall eines Ausnahmezustandes bestanden, der wie folgt formuliert war: „[…] erheblichen Störung oder Gefährdung der öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Das war ja tatsächlich durch die Nationalsozialisten erreicht worden und geriet quasi zur Normalität des ersten, noch jungen und von einem Großteil der Politiker ungeliebten demokratischen Staates, u. zw. gemäß der Weimarer Verfassung (Internet: Reichstagwahl 1930; Notverordnung). Das Festhalten an liberalen ordnungspolitischen Vorstellungen zur Gesellschaft und Wirtschaft aus der Zeit vor dem Beginn des 1. Weltkrieges, für die längst die sachlichen Grundlagen fehlten, führten zu dem wirtschaftlich falschen Konzept einer Deflationspolitik zur Bewältigung der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932, das scheitern musste. Zur Verschärfung der Verhältnisse hatten auch die politische Desorientierungen und Streitereien nach dem verlorenen 1. Weltkrieg 1914–1918 wesentlich beigetragen, ebenso die unseligen und unklugen Regelungen des Friedensvertrages von Versailles des Jahres 1919 (Reparationszahlungen, territoriale Bestimmungen, militärische Bestimmungen, verschiedene Wirtschaftsregelungen, Garantiebestimmungen zur Zahlungssicherung). Die als Diktat deklariert empfundenen und schier untragbaren Auflagen des sogenannten Friedensvertrages hatten verhängnisvolle Auswirkungen, die letztendlich auch zur Etablierung des Na­ tionalsozialismus beitrugen. Theodor Heuss, der große und unverdächtige erste Bundespräsident der Bunderepublik Deutschland, der schon als liberaler Reichstagsabgeordneter der Weimarer Republik wirkte, sagte nach dem 2. Weltkrieg: „Der Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Bewegung ist nicht München, sondern Versailles“ (Internet: Friedensvertrag von Versailles). Der weitere Verlauf der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 nach der letzten demokratischen Wahl der Weimarer Republik am 14.09.1932 kann nicht losgelöst behandelt werden von der nachfolgenden Machtergreifung der Nationalsozialisten und Ernennung von Adolf Hitler (1889–1945) zum Reichskanzler in Deutschland am 30. 01.1933 durch Reichspräsident Paul von Hindenburg und sein Regime. Eine unmittelbare Frage ist daher, wer verhalf warum Adolf Hitler an die Macht?

Die Antworten darauf reichen natürlich weit vor die Reichstagswahl am 05.03.1933 zurück, nämlich bis zu den Anfängen von Hitler als Propagandaredner der Reichswehr. Zu dieser stieß Hitler am 21.11.1918. Von dort aus verfolgte er die wirren bis revolutionären politischen Ereignisse der damaligen Zeit, vornehmlich in Bayern. Es formte sich sein politisches Weltbild und Hitler geriet zunehmend in das deutschnationale und antisemi-

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1. Einführung

tische Fahrwasser der Politik, aber auch unter den Einfluss von ihm besuchter „antibolschewistischer Aufklärungskurse“ an der Universität München und deren Protagonisten bei der Reichswehr, die auf Hitlers Redetalent aufmerksam wurden. Sie begannen Hitler für ihre Propagandaarbeit einzuspannen, sei es für agitatorische Reden, aber auch zur Abfassung erster antisemitischer Schriften. Über die Reichswehr nahm Hitler am 12.09.1919 erstmals an einer Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei DAP, München teil, beantragte am 19.10.1919 seine Mitgliedschaft und wurde schließlich im Herbst 1919 als 55. Mitglied aufgenommen. Das war der Nukleus Hitlers zum Aufstieg als Führer der Nationalsozialistischen Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Die Deutsche Arbeiterpartei DAP wurde am 24.02.1920 in NSDAP umbenannt und Hitler übernahm mit der von ihm verlangten Satzungsänderung – nämlich der Verankerung des von ihm geforderten „diktatorischen Prinzips“ – am 29.07.1921 die Leitung der NSDAP bis zum 30.04.1945 (Internet: NSDAP). Bis dahin und vor allem auch danach vollzogen sich turbulente Verhältnisse und Entwicklungen faschistoider Machtpolitik: 1922 Verbot der NSDAP in mehreren deutschen Ländern. – Festungshaft von Hitler in Landsberg (1923–1924), Putschversuch vom 8. / 9.11.1923 und Urteil vom 01.04.1924 und dort während der Festungshaft Abfassung des 1.Teiles von Hitlers politisch-ideologischer Programmschrift Mein Kampf, die am 18.07.1925 erstmals veröffentlich wurde. – Der 2. Teil folgte am 11.12.1926. – Der 1. Teil wurde zu einem viel diskutierten Bestseller der Weimarer Republik. Bis 1944 erreichte Mein Kampf eine Auflage von 10,9 Millionen Stück. – Die grauenhaften und verbrecherischen Inhalte der nachfolgenden Jahrhundertkatastrophe des Nationalsozialismus standen in Hitlers Kampfschrift Mein Kampf bereits viele Jahre vor ihrer Realisation und waren für alle Welt detailliert nachlesbar. – Niemand der Verantwortlichen der Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und weiter Kreise der Bevölkerung in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, kann daher ernsthaft behaupten, Nichts gewusst zu haben oder muss eingestehen, dass es ihn – trotz aller alarmierender Signale – nicht interessierte. – Ab Mitte 1925 bis zum Zusammenbruch am 09.05.1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der nationalsozialistischen Führung und bis heute stand und steht jedem der möchte die in schrecklichster Realität verwirklichte Kampf- und Programmschrift Mein Kampf zur Verfügung. – Das „bedeutsamste deutsche Buch“ – so das Credo der Nationalsozialisten – wurde ab 1936 von Standesämtern deutschen Brautpaaren sogar auf Staatskosten statt der zuvor üblichen Bibel geschenkt. – Nach dem Motto nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – nach Art der drei bekannten Affen – mit Schutzbehauptungen Schuld zu verbergen, als Taktik nationalsozialistischer Vergangenheitsbewältigung, ist daher schäbig und unglaubwürdig. Auch Nichtstun kann Schuld begründen.



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193237

Unter der Führung von Hitler und nach seiner vorzeitigen Entlassung im Dezember 1924 aus der Festungshaft in Landsberg kam es am 27.02.1925 zur Neugründung der NSDAP, nach dem Hitler am 16.02.1925 die Aufhebung des NSDAP-Verbotes gelungen war, verbunden mit dem Apell zur Einigkeit der völkischen Bewegung und zum Kampf gegen Judentum und Marxismus, nicht aber gegen den in Bayern stark verankerten Katholizismus. Zur NSDAP konkurrierende „rechte“ politische Splittergruppen wurden wieder integriert oder traten ihr neu bei. Dem folgte die deutschlandweite Ausdehnung der NSDAP und deren personelle, inhaltliche und organisatorische Strukturierung (s. a. Internet: Hitler, A., Leben; Hitler, A.: Mein Kampf, München 1925; NSDAP). Der Historiker Peter Borowsky (1938–2000), der eine viel beachtete Hitler-Biografie schrieb (Borowsky. P.: 1990) ist der essentiellen Frage nachgegangen: Wer wählte Hitler und warum? Sein Bericht aus dem Jahr 1988 beginnt mit folgendem bezeichnenden Text, der im Wesentlichen dem aktuellen Stand der Wahlforschung über die damalige politische Epoche entspricht: „Hitler kam nicht durch Wahlen an die Macht, aber ohne Wahlen wäre er nie an die Macht gekommen. Die Ernennung Hitlers zum Kanzler erfolgte nicht auf Grund eines überwältigenden Erfolges bei den Reichstagswahlen, sondern war das Ergebnis einer Intrige von außerparlamentarischen Gruppen wie Großagrariern, Schwerindustriellen und der Kamarilla um Hindenburg. Doch diese Gruppe hätte sich bei Hindenburg nicht für die Ernennung Hitlers eingesetzt, wäre er nicht der Führer der weitaus stärksten Partei im Deutschen Reichstag gewesen. […] Die zentrale Frage lautet nach wie vor: Wer waren die Wähler der NSDAP, aus welchen Gruppen und Schichten der deutschen Bevölkerung kamen sie? Und: Welche Motive veranlaßten sie, ihre Stimme der NSDAP zu geben?“ (Borowsky, P.: 2005, S. 235).

Den Wählerzuwachs verdankte die NSDAP besonders bürgerlich-protestantischen Gruppierungen. Wechselwähler aus dem „linken“ oder aus dem „katholischen“ Lager waren die Ausnahmen. Verschiedene Wahlanalysen kamen damals wie nach 1945 zu dem Ergebnis, dass der Nationalsozialismus eine mittelständische Sammelbewegung war, und zwar aus Gründen einer Panik im Mittelstand über das gefürchtete Schicksal der eigenen Gruppe nach der damaligen These: Was dem erwerbslosen Arbeiter sein Moskau, das ist dem erwerbslosen Angestellten sein Drittes Reich. Ein anderer berühmt gewordener Satz aus einer Analyse lautete sinngemäß: Der idealtypische Anhänger der NSDAP sei 1932 „ein protestantischer Angehöriger der selbständigen Mittelschicht, der entweder auf einem Bauernhof oder in einer kleinen Gemeinde lebt und früher für eine Partei der Mitte oder eine Regionalpartei gestimmt hat.“ (Borovsky, P.: 2005, S. 236 f.). Spätere Untersuchungen durch amerikanische Politikwissenschaftler ergänzten und untermauerten die genannten Analysen, insbesondere auch hinsichtlich

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1. Einführung

der Resistenz gegen den „nationalsozialistischen Virus“ bei sozialistischen Arbeitern und Katholiken, die stabile Weltbilder und -anschauungen hatten, die politisch-konfessionell nicht gebundenen Mittelschichten tendenziell fehlten. Dennoch machten Arbeiter anfangs etwa 20 % der NSDAP-Wähler aus. Nach späteren Neueintritten von Arbeitern in die NSDAP betrug in den Jahren 1930 und 1933 der Wähleranteil der Gruppe der Arbeiter rund 36 % der NSDAP-Wähler. Neuere Studien gelangten gegenüber früheren Studien sogar zu höheren Arbeiterquoten für die NSDAP, wobei allerdings die methodischen Vorgehensweisen bei Analysen zu einer gewissen Relativierung der Analyseergebnisse Anlass geben. Die Gruppe der Arbeiter war damals außerordentlich heterogen, sei es nach Region und Milieu, Branche, Beschäftigungsverhältnissen, nach Betriebsgrößen, Einkommen und Sicherungssystemen, politischen Einflüssen usw. Allerdings wurden diese Unterschiede bei den Wahlanalysen zu wenig berücksichtigt und führten teilweise zu falschen Folgerungen. Es besteht somit bei den Werten der Wahlquoten ein Problem der Unschärfe. Qualitative Massenumfragen, wie sie gegenwärtig die Meinungs- und Wahlforschung erstellen, gab es während der Weimarer Republik noch nicht (Borovsky, P.: 2005, S. 237–245) und auch diese sind erwiesenermaßen häufig ungenau. Bei der Reichstagswahl 1933 erreichte die NSDAP insgesamt 39 % der Stimmen. Die Stimmen der verschiedenen Wählergruppen insgesamt an NSDAP-Wählern teilten sich mit einem jeweils bestimmten Prozentsatz an NSDAP-Wählern auf und für die einzelnen Wählergruppen werden nachfolgend die Anteile in % ausgewiesen und zusätzlich in Klammer die vergleichbaren Werte bei der Reichstagswahl 1930 angeführt: Arbeiter 39 % (13 %), Angestellte / Beamte 28 % (14 %), Selbständige und Mithelfende 47 % (15 %), Berufslose 53 % (22 %) und Hausfrauen 37 % (17 %). Die Quelle von Borovsky, P.: 2005, S. 246 ergibt eine Quersumme an %-Anteilen nach Berufsgruppen für die Werte des Jahres 1930, die 81 ergibt und für das Jahr 1933 die Summe von 198, d. h. es muss sich daher höchstwahrscheinlich um relative Ziffern handeln. Folgende Erklärung bietet die zitierte Quelle: „Lesebeispiel: Bei der Reichstagswahl 1933 stimmten rund 33 % der wahlberechtigten Arbeiter für die NSDAP; im Vergleich mit den rund 39 % Stimmen, die die NSDAP insgesamt erhielt, bedeutet das eine (leicht) unterdurchschnittliche Anfälligkeit der Arbeiterschaft gegenüber dem Nationalsozialismus.“ Ziel der Quelle ist es also, die Anfälligkeit verschiedener Berufsgruppen für die NSDAP aufzuzeigen, ebenso entsprechende Veränderungen, die sich zwischen verschiedenen Reichstagwahlen ergaben, was auch der Analyse zu entnehmen ist. Eine mögliche und eventuell erwartbare statistische Abstimmung der Werte auf eine jeweilige Quersumme von 100 und damit leichtere Vergleichbarkeit der Werte im Zeitverlauf unterblieb hingegen.



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193239

Trotz aller Relativierungen zeigt die Analyse, dass die Zuwächse vom Jahr 1930 bis 1933 bei den einzelnen Gruppenanteilen in % stark stiegen, wie eben insgesamt der Stimmenanteil der NSDAP von 1930 bis 1933 von 27 % auf 39 % anwuchs, aber doch mit Unterschieden innerhalb der einzelnen Gruppen hinsichtlich des Gesamtwertes des Anstiegs des NSDAPWertes um das 2,6-fache (Rechengang: 39  % : 13  % = 3,0; Wert 39  % ­NSDAP insgesamt 1933, Wert 13 % NSDAP insgesamt 1930) nämlich wie folgt: Arbeiter 3,00-fache, Angestellte / Beamte 2,0-fache, Selbständige und Mithelfende 3,13-fache, Berufslose 2,41-fache und Hausfrauen 2,18-fache. Bemerkenswert ist der überdurchschnittlich höhere Anteil der Selbständigen und Mithelfenden und der unterdurchschnittliche geringere Anteil bei Angestellten und Beamten und bei Hausfrauen, was auch den allgemeinen Analysen des Wählerzuwachses der NSDAP grosso modo entspricht (s.  a.: ­Borovsky, P.: 2005, S. 246), wenngleich das Gewicht der Arbeiter als maßgebliche Wählergruppe nicht unterschätzt werden sollte bzw. methodische Analyseschwächen – wie angemerkt – eventuell einen etwas zu geringen Anteil der Gruppe der Arbeiter ausweisen. Die Frage, warum bzw. welche Motive die Wähler der NSDAP bewegten, ist diffiziler als die Interpretation der Zahlenwerte. Soziologen weisen darauf hin, dass schichtennivellierende Tendenzen in der damaligen Gesellschaft eine Rolle gespielt haben könnten und die Propaganda der NSDAP darauf vergleichsweise gut abgestimmt war, nämlich beispielsweise das Gefühl für die Gemeinschaft anzusprechen. Andere meinen, der rabiate Antimarxismus der NSDAP hätte insbesondere auch den Mittelstand als Wähler gewonnen, ebenso wurden Parolen gegen die Banken, Großunternehmen, Kaufhäuser usw., also antikapitalistische und antisemitische Argumente für solche Motive genannt. Auch der indirekten Propaganda der Nationalsozialisten über Verbände und berufsständische Einrichtungen wurde Wirkung zugesprochen. Auch lokale und regionale Verhältnisse boten schließlich Ansatzpunkte für Wahlbeeinflussungen (Borovsky, P.: 2005, S. 249–252). Uneingeschränkt einig sind sich die Analysten jedoch darüber, dass die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 von den Nationalsozialisten erfolgreich genutzt wurde, um die Angst des Mittelstandes vor einer Proletarisierung zu schüren und damit Wähler zu gewinnen. Ein verbreiteter Überdruss am parlamentarischen System der Weimarer Republik konnte die NSDAP für sich und zu Lasten der jungen Demokratie nutzen. Bei freien demokratischen Wahlen hätte die NSDAP kaum eine absolute Mehrheit erreichen können (Borovsky, P.: 2005, S. 251). Hitler gelang es die Systemschwächen der Weimarer Verfassung zu nutzen, ebenso die Schrecken der Inflation von 1914 bis 1923 und der 2. Weltwirt-

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1. Einführung

schaftskrise 1928–1932 und gewann neben dem Mittelstand – mehr als oft angenommen – die Arbeiterschaft für sich, baute auf Integrationsbedürfnisse einer zerrissenen Gesellschaft und versprach das Blaue vom Himmel (s. a.: Borovsky, P.: 2005, S. 249–253; Internet: Wer wählte Hitler und warum?). Am 01.06.1932 wurde Reichskanzler Heinrich Brüning von der Zentrumspartei von Franz von Papen (1879–1969) als neuem Reichskanzler abgelöst. Seine Bestellung durch Reichpräsident Paul von Hindenburg erfolgte auf Betreiben von Kurt von Schleicher (1882–1934), einem Freund des Franz von Papen, der in dessen Kabinett Reichswehrminister wurde und selbst am 03.12.1932 zum Reichskanzler bestellt wurde und Franz von Papen ausbootete. Am 30.04.1934 wurde Kurt von Schleicher (Internet: Kurt von Schleicher) und seine Frau im Zuge einer politischen Säuberungsaktion der Nationalsozialisten durch Angehörige des SD ermordet (Erläuterung der Abkürzungen: Sicherheitsdienst des Reichsführer-SS als Nachrichtendienst mit Polizeifunktionen; Heinrich Himmler (1900–1945): Reichsführer der SS, Schutzstaffel, ursprünglich Saalschutz der NSDAP). Der Weg von Franz von Papen: Er entstammte einer vermögenden, katholischen und konservativen Familie aus Westfalen, militärische Ausbildung und Karriere, Heeres Attaché in den USA und Mexiko, Kriegsteilnahme 1914–1918, politische Laufbahn in Preußen, Mitglied am rechten Rand der Zentrumspartei, später deutsch-nationales Couleur und Gegner der Sozialisten, zunehmende Kooperation mit führenden Vertretern des Nationalsozialismus, Unterstützung von Hitlers Bestellung zum Reichskanzler, höchste Positionen im NS-Staat, Freispruch im Nürnberger Prozess (1945– 1949), verurteilt als „Hauptschuldiger“ im Entnazifizierungsverfahren zu acht Jahren Arbeitslager und vorzeitige Entlassung, insgesamt eine bestens vernetzte, schillernde und opportunistische Person der NS-Zeit (Internet: Franz von Papen). 1932 hatte die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 ihren Höhepunkt erreicht: Das „Bruttosozialprodukt in jeweiligen Preisen [war] um ein Drittel, die Produktion von Konsumgüter um rund ein Viertel, die Investitionsgüterproduktion jedoch um fast zwei Drittel, die Industrieproduktion insgesamt um 42 vH [gefallen]. Auch die Bruttoanlageninvestitionen lagen 1932 um zwei Drittel niedriger als 1928. Die Nettoinvestitionen erreichten einen negativen Wert […] Die Nominaleinkommen aller beschäftigten Arbeitnehmer […] hatten einen Rückgang von 20–25 vH [und] entsprach etwa dem Rückgang der Lebenshaltungskosten. Nichtgebundene Warenpreise sanken um rund die Hälfte, und die Kapitaleinkommen in Industrie und Landwirtschaft verwandelten sich in Verluste“ (Fischer, W.: 1988, S. 84 f.). Die Zahl der Arbeitslosen im Jahr 1932 lag bei 6,12 Millionen Menschen (s. a.: Internet: Weltwirtschaftskrise 1928–32).



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193241

Franz von Papen und seine fünfeinhalb Monate im Amt befindliche Regierung, die in der Zeit vom 01.06.1932 bis zum 17.11.1932 tätig ist, leitete in dieser Situation eine Politik mittelbarer Arbeitsbeschaffung ein, verbunden mit verschiedenen Maßnahmen, wie Steuergutscheine, Beschäftigungsprämien, Lockerung der Tarifverträge und Förderung des Wohnungsbaues (Born, K. E., 1988, S. 140). Die nachfolgende zweimonatige Regierung Kurt von Schleicher vom 03.12.1932 bis zum 28.01.1933 stellte dann eine Politik der Arbeitsbeschaffung durch öffentliche Investitionen in den Vordergrund. Vor der dann kommenden, einschneidenden und schicksalhaften Übernahme der Regierung durch Hitler und somit der NSDAP sowie Hitlers faschistoide Machtergreifung am 30.01.1933 und die folgende Umwandlung der Weimarer Republik in eine Diktatur, lagen bereits Programme der Vorgängerregierungen vor, die auch dem Abbau der Arbeitslosen durch Ankurbelung der Wirtschaft dienen sollten. Besonders zählte hierzu der Bau eines Autobahnnetzes, dessen Planung fertig vorlag und – entgegen mancher Legendenbildungen – kein von Hitler initiiertes Projekt war, von ihm jedoch übernommen wurde und das Hitler einfügte in seine rasch angestrebte und gewaltige militärische Aufrüstungspolitik, die somit auch der Beseitigung der Arbeitslosigkeit diente; sei es durch Rüstungsindustrie oder den rasanten Aufbau der Wehrmacht in personeller und wirtschaftlicher Hinsicht. Dadurch konnten die schon genannten Rückgänge der Wirtschaft in der Folge kompensiert, wenngleich nicht bezahlt werden. Es war eine kriegswirtschaftlich ausgelöste Konjunktur auf Pump (s. a.: Born, K. E., 1988, S. 140). Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die beginnende Rüstungswirtschaft in Deutschland ließen die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 mit den neuen Entwicklungen des NS-Regimes zusammenfließen bzw. die damit begonnene neue Wirtschaftsphase löste die vorhergehende ab. Mit dem Young-Plan, benannt nach Owen D. Young (1874–1962), Berater von fünf Präsidenten der USA, der am 17.05.1930 rückwirkend ab 01.09.1929 in Kraft trat, wurde vereinbart, dass die Reparationszahlungen Deutschlands in einer noch offenen Höhe von 36 Milliarden Reichsmark mit einer Summe von 2 Milliarden Reichsmark jährlich bis 1988 abzuzahlen sind, vornehmlich in Devisen. Darum wurde lang gestritten. Der Young-Plan hätte Deutschland eine finanzielle Entlastung gebracht. Die NSDAP und die rechten Parteien lehnten den Plan ab und letztendlich scheiterte er in einem Volksbegehren. Seine Zustimmung hätte 50 % der Stimmen der Wahlberechtigten erfordert und die Wahlbeteiligung betrug nur 13,5 %. Die geschürte Anti-Stimmung hatte sich durchgesetzt. Auf der Konferenz von Lausanne (1932) strebte man neuerlich eine Regelung der Zahlung der Reparationen durch Deutschland mit einer Abschlusszahlung von 3 Milliarden Reichsmark an. Franz von Papen, neu installierter Reichskanzler nach Heinrich

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1. Einführung

Brüning, unterschrieb den Vertrag am 09.07.1932, gezahlt wurde nie. Die Zeiten hatten sich geändert. Mit dem bekanntesten Ermächtigungsgesetz vom 24.03.1933 – bezeichnet als Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich – erteilte das Parlament der Regierung Hitler außergewöhnliche Vollmachten, was sinngemäß auch andere Ermächtigungsgesetze bewirkten, der Weimarer Verfassung widersprachen und die nach der Verfassung demokratisch zu führende Republik handlungsunfähig machten. In Verbindung mit der Reichstagsbrandverordnung vom 28.02.1933 – beschlossen via Ermächtigungsgesetz – waren die rechtlichen Hauptgrundlagen für die Einführung der nationalsozialistischen Diktatur geschaffen. Die materiellen Voraussetzungen des Verfassungsstaates und das Prinzip der Gewaltenteilung waren verloren und beendet. Das Parlament tagte am 23.03.1933 in der von der SS abgesperrten Krolloper in Berlin – das Reichstagsgebäude konnte nach dem Reichstagbrand nicht benutzt werden – und im Gebäude standen lange SA-Kolonnen und über dem Podium hing eine riesige Hakenkreuzfahne als weitere parlamentarische Neuerung. Hitler hielt im Braunhemd seine 1. parlamentarische Rede. Das Zentrum stimmte dem Gesetz zu, teils aus Fraktionszwang, aber auch aus persönlicher Angst der Abgeordneten vor politischen Repressionen. Alle Sozialdemokraten lehnten das Ermächtigungsgesetz strikt ab: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, so deren Fraktionsvorsitzender Otto Wels (1873–1939) in seiner letzten freien Rede im Deutschen Reichstag. Die nationalsozialistische Regierung aberkannte Otto Wels die deutsche Staatsangehörigkeit, der am 16.09.1939 im Exil in Paris starb. Joseph Goebbels (1897–1945), enger Vertrauter von Hitler und einer der einflussreichsten Politiker des Nationalsozialismus, notierte am 24.03.1933 in seinem Tagebuch: „Man sah niemals, daß einer so zu Boden geworfen und erledigt wurde wie hier. Der Führer spricht ganz frei und ist groß in Form. Das Haus rauscht vor Beifall, Gelächter, Begeisterung und Applaus. Es wird ein Erfolg ohne gleichen“ (Internet: Ermächtigungsgesetz; Reichstagsbrandverordnung; Otto Wels; Joseph Goebbels). Nach den Ermächtigungsgesetzen war der Weg für Hitler und die Nationalsozialisten frei, einen Kurs der Rüstungswirtschaft und später der Kriegswirtschaft einzuschlagen. Die Folgen der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 und deren Bewältigung wurden natürlich nicht gelöst, ganz im Gegenteil. Die enormen Schulden stiegen – finanzwirtschaftlich gemessen – rasend schnell an, sie gingen aber in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit während dieser Phase der nationalsozialistischen Herrschaft unter. Vielmehr schien es endlich wieder aufwärts zu gehen und die Zahl der Arbeitslosen sank. Wer die einzel- und besonders die gesamtwirtschaftliche Fatalität der Entwicklung ahnte oder erkannte, war machtlos, sei es gegenüber der Propaganda oder den herrschenden positiven Emotionen in der Gesellschaft für das NS-



1.2 Weltwirtschaftskrise 1928–193243

Regime. Zudem waren Kritik an Hitler und den Nationalsozialisten immer gefährlicher und lebensbedrohlich geworden (Internet: Widerstand gegen das NS-Regime, Auswahl aus zahlreichen Quellen). Eine Kriegs- und Rüstungswirtschaft widerspricht prinzipiell einer Wirtschaft in Friedenszeiten, da sie regelmäßig zu Lasten der Deckung des optimalen Bedarfs der Menschen geht bzw. die Konsumorientierung einschränkt. Dazu werden auch staatliche Zwangsmittel der Bewirtschaftung eingesetzt, um den Staat im weitesten Sinne maximal mit militärischen Machtmitteln auszustatten. Der Übergang zu solchen Verhältnissen kann und wird häufig bereits in Friedenszeiten vollzogen, so auch mit Rasanz während des Nationalsozialismus und seinen intensivsten Aufrüstungsbestrebungen und dementsprechenden Argumenten propagiert: Bereits bestehende kriegerische Situationen erleichtern den Einsatz des staatlichen Zwanges. – Kriegerischer Notstand ist zu bewältigen. – Der wirtschaftliche Verbrauch wird zu Gunsten des Bedarfs des Militärs verschoben. Im Extrem wird der zivile Verbrauch bis zum Existenzminimum der breiten Bevölkerung abgesenkt, quasi im Falle des „totalen Krieges“, wie es auch das Regime des Nationalsozialismus zeitweilig praktizierte (Boelcke, W. A.: 1988, S. 503 f.). Wie auch immer, abgerechnet wird am Schluss. So auch bei der Kriegswirtschaft Adolf Hitlers und der Nationalsozialisten, und zwar dabei eingeschlossenen auch die wirtschaftlichen Folgen der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932. Am Ende des 2. Weltkrieges 1945 wurden die gesamten Kriegsschäden in den betroffenen Ländern auf 3.300 Milliarden $ geschätzt. Die Kriegsausgaben von Deutschland für die Zeit allein von 1939–1945 werden mit 414 Milliarden RM angenommen und die Kreditaufnahmen beliefen sich auf 357,2 Milliarden RM. Zusätzlich war eine Währungsumstellung zu verkraften. Sie erfolgte am 20.06.1948 – es ging ihr eine öffentliche Ankündigung am 18.06.1948 voraus –, wobei die RM auf die DM mit einem Währungsschnitt von 10 RM für 1 DM erfolgte. Weiter waren die kriegsbedingten Summen für den Wiederaufbau des zerschlagenen Deutschland in Ost und West zu tragen, ferner Entschädigungen und Kosten aus dem Lastenausgleich usw. (Boelcke, W. A.: 1988, S. 511 f.). Die Rechnung war wirtschaftlich extrem hoch, aber schließlich zu bewältigen. Vor allem trug auch die Hilfe der USA durch den Marshallplan dazu bei – genannt nach seinem Initiator George C. Marshall (1880–1959), Außenminister der USA von 1947–1949 und Friedensnobelpreisträger des Jahres 1953. Der Marshallplan diente u. a. dem Wiederaufbau von Westdeutschland und Österreich – European Recovery Program, kurz ERP genannt –, der durch den Kongress der Vereinigten Staaten beschlossen und am 03.04.1948 in Kraft gesetzt wurde. Westdeutschland erhielt aus dem Marshallplan von 1948 bis 1952 / 53 1,413 Milliarden $ auf Kreditbasis. Die

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1. Einführung

Rückzahlung gemäß Londoner Schuldenabkommen vom 12.02.1953 betrug bis 1966 1,0 Milliarde $. Österreich erhielt aus dem ERP 0,712 Milliarden $. Für alle durch den Marshallplan begünstigten Länder wurden 13,9 Milliarden $ durch die USA zur Verfügung gestellt. Der Gesamtbetrag würde heute (2013) etwa einem Wert von 100 Milliarden $ entsprechen. Der wesentliche Beitrag der Hilfen durch den Marshall-Plan am deutschen und österreichischen „Wirtschaftswunder“ ist unumstritten (Internet: Marshall, G. C.; Marshall-Plan; Marshallplan, 65 Jahre). Der Währungsschnitt 1948, den die Bevölkerung erleiden und tragen musste, entstand besonders dadurch, dass die Kriegsfinanzierung von 1936 bis 1945 durch Geldschöpfung einen enormen nominalen Geldüberhang schuf, vor allem durch den Druck von Papiergeld und Verschuldungen, dem keine realen Werte mehr gegenüber standen. Die Reichsmark (RM) als Währung wurde dadurch weitgehend entwertet. Die Währungsreform hatte daher das Ziel, den entstandenen Geldüberhang abzubauen. Das Geldvolumen nach der Umstellung betrug 13 Milliarden Deutsche Mark (DM) (Internet: Währungsreform 1948, Westdeutschland). Die nationalsozialistische Kriegswirtschaft führte auch zur Bewirtschaftung der Waren, wie beispielsweise durch Lebensmittelkarten und Bezugscheine für Benzin, die schon zu Beginn des 2. Weltkrieges am 28.08.1938 eingeführt wurden und für den Verkäufer ein Bezugsrecht sowie den Käufer ein Kaufrecht innerhalb des staatlichen Bewirtschaftungssystems schufen und einige Jahre nach Kriegsende bis zum 01.05.1950 in Westdeutschland und bis Ende Mai 1958 in Ostdeutschland beibehalten wurden (Internet: Lebensmittelmarke). In Österreich wurde mit dem Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz 1952 im Herbst des gleichen Jahres das Bewirtschaftungssystem gelockert und am 30.06.1953 beendet. Mehr als die wirtschaftlichen Schäden und Belastungen des 2. Weltkrieges zählen die menschlichen Opfer, die ein unvorstellbares Ausmaß hatten: Laut Statistik starben 23.923.704 Soldaten und 39.600.000 Zivilisten, insgesamt somit 63.523.704 Menschen. Das unsägliche Leid der durch Krankheiten, Misshandlungen, Erschießungen oder in KZ-Haft getöteten Menschen, gestorbener Kriegsgefangener, durch bombardierte und brennende Städte und als Flüchtlinge umgekommener Opfer ist unfassbar. Familien wurden zerrissen, unzählige Menschen körperlich und seelisch verletzt, Zwangs­ arbeiter unter menschenunwürdigen und vielfach tödlichen Bedingungen rücksichtslos versklavt, geschunden und ausgebeutet (Internet: Zweiter Weltkrieg). Die materiellen Schäden des Nationalsozialismus und der wirtschaftliche Aufwand des Wiederaufbaues in Deutschland und in anderen vom Nationalsozialismus geschädigten Länder sind inzwischen behoben, sofern das über-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200745

haupt möglich war. Zerstörtes Kulturgut, wie beispielsweise historische Bauten und Kunstwerke usw., ging teilweise unwiederbringlich verloren. All das kann aber nicht das unermessliche menschliche Leid aufwiegen, welches das Hitler-Regime in der Welt, Deutschland und Österreich angerichtet und alle bisherigen Grausamkeiten der menschlichen Geschichte überschritten hat und das für immer die deutsche und österreichische Vergangenheit verdunkeln und belasten wird.

1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007 Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist noch im Gange (Ende 2014) und wie lange sie noch dauern wird, ist schwer abzuschätzen. Der Autor geht davon aus, dass sie möglicherweise etwa 12 Jahre, also etwa bis Ende 2018 gehen könnte und dann in den betroffenen Ländern wirtschaftlich mehr oder minder Normalität einkehrt, besonders hinsichtlich konjunktureller Entwicklungen und der zunehmenden Normalisierung der Arbeitsmärkte. Absehbare und vor allem unerwartete sowie tiefgreifende politische Entwicklungen, wie sie beispielsweise mit den schweren Konflikten zwischen der Ukraine und Russland oder den Nahostproblemen ab 2013 manifest und damit essentiell krisenrelevant wurden, können dazu führen, dass die Krisendauer über das Jahr 2018 hinausgeht. Das Abtragen der schwer vorstellbaren Unsummen an mehr oder weniger wirksamen finanziellen Interventionen öffentlicher Hände bzw. der Steuerzahler zur Krisenbewältigung, wird hingegen noch viele Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Wie diese Herkulesaufgabe bewältigt werden kann und wie es tatsächlich geschehen wird, kann heute (Sommer 2015) niemand seriös vorhersagen. Das kann beispielsweise über Abstottern und Sparen der Öffentlichen Haushalte durch viele Jahre erfolgen, aber auch durch Währungsschnitte, wie sie im 20. Jahrhundert mehrmals erfolgten und aus denen man lernen konnte, dass beispielsweise die Staaten Deutschland und Österreich trotz des Katastrophen-Jahrhunderts damit nicht untergingen, sondern wieder recht gut auf die Beine kamen, denn die Zeche zahlten letztendlich die Bürger. Vermutlich rührt u. a. daher leider auch das rasche Vergessen in der Bevölkerung, obwohl eine kritisch-konstruktive Aufmerksamkeit sinnvoller, da vorbeugender sein könnte. Die Deutsche Inflation von 1914–1923 und ihre traurige Vorgeschichte: Die Aufhebung der Noteneinlösungspflicht in Gold am 04.08.1914 nach Beginn des Ersten Weltkrieges, Anwerfen der Gelddruckmaschinen, Verkauf von später wertlosen Kriegsanleihen durch Hurra-Patriotismus, Hoffen auf Reparationen für Deutschland aus der Kriegsbeute (!) usw. – führte zur Hyperinflation der Jahre 1918 bis 1923. Eine Goldmark am 01.07.1914 entsprach noch einem Dollarkurs in Mark von 4,20. Am 20.12.1923 rühmte

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1. Einführung

die „Reichspost“, Wien, dass es der Reichsbank in Berlin gelungen sei, den Dollarkurs bei 4.200 Milliarden Papier Mark zu halten. Die neue Rentenmark – ab der Währungsumstellung am 15.11.1923 – entsprach dem Wert von einer Billion Papier Mark. Die Rentenmark wurde später wertmäßig zur Reichsmark (RM). Die inflationäre Geldentwertung war u. a. der Preis für den verlorenen Krieg, der vor allem von der Masse der abhängig Beschäftigten und den reinen Geldvermögensbesitzer zu zahlen war. Erst 1928 erreichten die Reallöhne wieder den Wert von 1913 (Internet: Deutsche Inflation 1914 bis 1923). Die ebenfalls kriegsbedingte Inflation in Österreich verlief ähnlich wie in Deutschland, wobei sich die niedrige Produktivität der Industrie erschwerend auswirkte (s. a. Internet: Hyperinflation). Die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 wurde bereits beschrieben (s. a. [Kapitel 1., Unterkapitel 1.2)]), wobei ebenfalls inflationäre Entwicklungen, starke Wirtschaftseinbrüche und enorme Arbeitslosenziffern zu beklagen waren, ganz abgesehen von der nachfolgenden Jahrhundertkatastrophe des Nationalsozialismus. Durch die Kriegsfinanzierung des Terrorsystems der Nationalsozialisten – in das die finanzwirtschaftlichen Probleme der Weimarer Republik quasi lautlos einflossen – war durch Geldschöpfung und mangelnde Gegenfinanzierung durch ökonomisch nutzbare Realwerte einmal ein sehr großer Geldüberhang entstanden, der durch eine Währungsreform nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes mit der Kapitulation am 08.05.1945 zu beseitigen war. Von 1945 bis 1948 stieg der Geldüberhang an Reichsmark (RM) weiter an. Zweitens konnte die RM ihre Funktionen als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel immer weniger erfüllen. Das führte zu einer Flucht in die Sachmittel, einem blühenden Schwarzmarkt, Tauschhandel und beispielsweise zu Skurrilitäten, wie der „Zigarettenwährung“. Am 21.06.1948 erfolgte die Währungsreform in Westdeutschland von der RM auf die Deutsche Mark (DM), die am Tag darauf das alleingültige Zahlungsmittel war. Alle Bürger erhielten zum Start ein Kopfgeld von DM 60,– in bar. Alles Altgeld konnte auf Reichsmarkkonten eingezahlt werden und wurde auf Antrag auf DM umgestellt. Das Geldvolumen in DM in den Monaten nach der Währungsreform belief sich auf etwa 13 Milliarden DM. Die RM wurden letztendlich im Verhältnis von 10 zu 1 abgewertet. Das galt auch für abgeschlossene Verbindlichkeiten. Laufende Verbindlichkeiten, auch Aktien, wurden 1 zu 1 umgestellt. Viele Detailfragen der Währungsreform 1948 mussten in Folgegesetzen geregelt werden. In der Sowjetischen Besatzungszone erfolgte am 23.06.1948 ebenfalls eine ähnliche Währungsreform (Internet: Währungsreform 1948 [Westdeutschland]). Die Währungsreform 1947 in Österreich sah vor, dass ab dem 10.12.1947 während einer zweiwöchigen Umtauschfrist der Schilling auf ein Drittel



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200747

seines Wertes abgewertet wurde. Von Sparguthaben schöpfe der Staat des weiteren Teile ab, um damit den Wiederaufbau nach dem verlorenen Krieg zu unterstützen. Unter Vorweis seiner Lebensmittelkarte konnte jeder 150 alte Schillinge in 150 neue Schillinge tauschen. Darüber hinausgehende eingelieferte Geldbeträge konnten im Verhältnis 3 zu 1 getauscht werden. Die Preise stiegen real über Nacht auf das Dreifache (Internet: Währungsreformen in Österreich). Die Währungsschnitte im 20. Jahrhundert, aber auch in den Zeiten davor, waren für Staaten eine vergleichsweise sehr oft und leicht geübte Praxis der Sanierung der öffentlichen Finanzen. Die Scheu der jeweiligen politischen Akteure vor der Wut der enteigneten und oft in größte Not geratenen Bürger, hielt sich in Grenzen. Währungsreformen folgen Währungskrisen, und zwar dann wenn Entwicklungen dramatisch werden oder den Hütern der Währung, d. h. den nationalen Notenbanken und vorgelagerten international agierenden Institutionen, wie heute beispielsweise der Europäischen Zentralbank (EZB), ihre Kernfunktionen entgleiten, wie: die Sicherung ihrer Unabhängigkeit, die prioritäre Verpflichtung zur Gewährleistung von Preisstabilität und die Pflege dezentraler Strukturen im Notenbankgefüge sowie von Entscheidungen in Gremien, die Meinungsvielfalt ermöglichen und sichern. Jürgen Stark, EZB zitierte Ludwig Erhard, als dieser sich im Radio am Vorabend der Währungsreform 1948 an die westdeutsche Bevölkerung wandte und sagte: „Eine Gefahr für die Stabilität des neuen Geldes kann nicht bestehen, wenn wir uns nur einer geordneten öffentlichen Haushaltsführung befleißigen und durch eine ebenso geordnete Geld- und Kreditpolitik dafür Sorge tragen, dass die Übereinstimmung von Güterproduktion und Kaufkraftbildung gewahrt bleibt. Das aber liegt nicht im Bereich des Zufalls; dazu gehört nicht Glück, sondern einzig und allein der feste Wille, nach den Grundsätzen einer geordneten Währung zu handeln.“ Jürgen Stark fügte am 20.06.2008 am Ende einer Rede zum Thema „60 Jahre Währungsreform“ und in der Anfangsphase der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 treffend an: „Ja, es gibt klare Bedingungen für eine erfolgreiche und stabile Währung. Und das, was Ludwig Erhard für die D-Mark sagte, gilt damit auch für den Euro. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden weiterhin entschlossen für die ‚Grundsätze einer geordneten Währung‘ eintreten“ (Internet: Hyperinflation in Deutschland von Jürgen Stark, EZB). Soweit die sicher richtigen politischen Postulate. Dennoch streiten die Experten seit dem Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 sehr gegensätzlich über die Frage, ob die Insolvenz eines Landes eine Katastrophe oder ein wirtschaftliches Wundermittel sei. Nicht einmal die Umschuldung von Griechenland – die einzige Staatspleite der vergangenen Jahre in der EU – gibt zu der Streitfrage eine klare Antwort. Nach der Pleite ging es trotz gestrichener Bankschulden bergab und der Staatshaushalt ist bis heute

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1. Einführung

nicht saniert. Carmen Reinhart (1955), Harvard-Professorin, und ihr deutscher Kollege von der Universität München, Christoph Trebesch (1979), haben zahlreiche Staatspleiten untersucht und dabei die zentrale Frage gestellt, wie sich eine Entschuldung auf Wachstum und Wohlstand der betroffenen Länder auswirkt. Danach bewirken Staatspleiten meistens kleine wirtschaftspolitische Wunder, denn sie wachsen nach einer Pleiteepisode deutlich schneller als zuvor. So das Ergebnis der Untersuchung von 47 Staatspleiten. Nur in sechs Fällen setzte eine Stagnation ein und lediglich bei zwei Staaten schrumpfte das Wachstum. Tendenziell erfolgte ein kräftiges Wachstum von etwa 4,0 % und bei lateinamerikanischen Länder von bis zu 9 % per anno. Das gängige Argument, dass Industrieländer durch eine Pleite zwar Geld einsparen, aber dadurch Vertrauen und ihre Kreditwürdigkeit verlieren würden, scheint falsch zu sein. Vielmehr zeigt sich, dass die Länder wieder sehr rasch und oft sofort wieder frisches Geld erhalten. Reinhart und Trebesch folgern daraus, dass überschuldete Staaten besser klare Schnitte machen sollten, statt lange herum zu lavieren (Szigetvari, A.: 2014g). Sollten sich diese „Wahrheiten“ bei politischen Akteuren von Pleitestaaten herumsprechen, werden vermutlich die Hemmungen noch geringer, Währungs- und Schuldenschnitte zu praktizieren und auf dem Rücken der Bürger auszutragen und so zu tun, als würde das den Geschädigten und Geschröpften ja sogar noch nutzen. Darüber schweigt sich die Studie leider aus. Rückschauend auf die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, die von den USA ihren Ausgang auch u. a. mit einer Finanzkrise nahm, ist unzweifelhaft – was noch beschrieben und erläutert wird –, dass gegen die vorgenannten Kernfunktionen wissentlich und über Jahre hinweg verstoßen wurde, und zwar im großen Stil und auch in krimineller Art und Weise. Es ist in diesem Kontext sicher kein Zufall, dass die Themen- und Problemstellung des Währungsschnittes zunehmend an Bedeutung gewinnt. Allein die Aufblähung quasi zinsfreier Kredite in kaum noch vorstellbare Größenordnungen durch die EZB, denen mangels geringer Investitionsneigungen durch schlechte Konjunktur-, Wachstums- und Ertragsprognosen in Europa keine entsprechende Kreditnachfrage entspricht, sollte nachdenklich stimmen. Diese Konstellation zeigt auch die Grenzen der Geldschöpfung der EZB auf, hinter der ja auch stets die offene Frage steht, wie weit kann eine Verschuldung überhaupt noch getrieben werden? Sinngemäß gilt das auch für anvisierte Finanzierungs-Großprojekte (Ende 2014) des neuen EUKommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker (1954). Der „richtige“ Mix von Sparen und Ausgeben ist wie eh und je heiß umstritten! Zum Jahresende 2014 gewinnt diese Auseinandersetzung an Dramatik. Die Gruppe jener Ökonomen, die nach dem Motto „Es ist nicht die Zeit für Vorsicht“ weitere mehrstellige Milliardensumme in die EU-Wirtschaft zur



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200749

Konjunkturbelebung pumpen möchten, aber auch eine „leichte Inflation“ zu diesem Zweck anstreben, stehen jene entgegen, die genau das verhindern möchten und von den Ländern des Euro-Raumes fordern, die weitere Staatsverschuldung einzubremsen, und verlangen, dass entsprechend EURichtlinien zur Staatsverschuldung zunehmend wieder befolgt werden, also die EU-Konvergenzkriterien nach dem Vertrag von Maastricht für EULänder: 1. Verhältnis öffentlicher Schulden zum Bruttoinlandsprodukt eines EU-Landes (BIP) maximal 60 %. – 2. Jährliches maximales öffentliches Haushaltsdefizit 3 % des BIP. – 3. Die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5 % über derjenigen der drei preisstabilsten Mitgliedsstaaten der EU liegen. Ergänzend gelten die Regeln einmal zur Einhaltung der Wechselkursstabilität, die eine Wechselkursbandbreite von höchstens 15 % vorsieht bzw. ansonsten eine Intervention der jeweiligen Nationalbank verlangt und zweitens zur Höhe langfristiger Zinssätze bei Staatsanleihen, die maximal 2 % höher als der Durchschnitt bei den drei preisstabilsten Mitgliedsstaaten EULändern sein darf. Deutschland tritt für die Einhaltung der vorgenannten Regeln ein und ist in der EU der führende Vertreter dieser verfolgten Finanz- und Wirtschaftspolitik, der sich bislang auch Österreich anschloss. Bei der 42. Volkswirtschaftlichen Tagung der Österreichischen Nationalbank vom 12.05.–13.05.2014 waren auch die Vertreter einer Verstärkung einer Verschuldung und expansiven Geldpolitik, und zwar vor allem auch durch die Europäischen Zentralbank (EZB), Frankfurt, stark und prominent vertreten. Die EZB „sollte alles“ tun, um für mehr Inflation zu sorgen. „In der Hoffnung, dass irgend etwas funktioniert [ … ] Wir wissen nicht, ob das Erfolg hat. Jetzt ist aber nicht die Zeit für Vorsicht, sondern für Maßnahmen“, so der anerkannte Geldpolitikexperte, Lars E. O. Svensson (1947), Professor an der Universität Stockholm. Dieser Tenor war bei der Tagung nicht gerade selten (Der Standard, Wien vom 25.11.2014, S. 15). Als Befürworter einer Schuldenpolitik gilt bislang (Ende 2014) besonders auch der Internationale Währungsfond (IWF), Washington D.C., USA. Die IWFÖkonomen kommen bei ihren Studien zur Ansicht, es gebe keinen Beleg dafür, dass Länder langsamer wachsen, wenn sie eine bestimme Schuldenschwelle übertreten, ob die nun bei 90 % oder auch höher liegen würde, und zwar gemessen an der jeweiligen Wirtschaftsleistung (BIP). Im ersten Jahr nach einer sehr hohen Überschuldung sinkt zwar das Wirtschaftswachstum, aber über einen längeren Zeitraum, also etwa nach fünf Jahren, stünden hoch verschuldete Staaten nicht mehr schlechter da (Szigetvari, A.: 2014h, S. 18). Tatsächlich dürften die hochkomplexen Zusammenhänge diffiziler sein. In Perioden mit über Jahre hinweg stark steigenden Schulden, führt das in den betroffenen Länder zu sinkendem Wachstum. Hoch verschuldete Länder mit sinkender Verschuldung wachsen deutlich schneller als Staaten mit niedriger, aber konstanter Verschuldung. Ein großes Rätsel bleibt jedoch

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1. Einführung

offen: Stürzt ein Staat in die Krise und bricht das Wachstum ein, steigt auch der Schuldenstand automatisch. Wächst ein Land dann langsamer, weil die Verschuldung steigt? Bis heute ist ungeklärt, in welcher Richtung die Kausalitäten überhaupt wirken (Szigetvari, A.: 2014h, S. 18). Diese Unsicherheiten, ob und wie sehr grundlegende Entwicklungen sich nach Regeln oder lediglich nach vagen Ansichten auswirken, werfen die möglicherweise unterschätzte Problematik auf, ob die IWF-Ökonomen mit ihrem seit langem vertretenen Credo der Verschuldung lediglich Stimmungsmacher sind oder dafür auch überzeugende Gründe haben. Lediglich einem möglicherweise nur falsch oder zu vordergründig interpretierten Keynesianismus zu verfolgen, könnte sich auch als Irrtum erweisen, da man die Komplexität, die Dynamik und Möglichkeiten der Problemlösungen verkennt oder sogar negiert. Die Zitate von der Tagung der Österreichischen Nationalbank vom 12.05.–13.05.2014 sind wohl gut gemeint, aber sind sie auch begründet? Unter den derzeit (Frühjahr 2015) schwierigen und unsicheren Verhältnissen, aber auch unter dem unverzichtbaren Gebot, den leichten Weg unbedingt zu vermeiden – nämlich den der Belastung der Bürger durch Währungsschnitte, neue Steuern, schleichende Enteignungen über Null-Zinsen usw., d. h. immer wieder Menschen mit simplen Rezepten hemmungslos zu schröpfen und zu schädigen – kann keine Lösung mehr sein. Sie wäre lediglich ein Zeugnis für bequeme Einfallslosigkeit der verantwortlichen Akteure, die vermutlich die teure Zeche ihrer Kurpfuscherei selbst am wenigsten treffen würde. Die enorm überzogenen Billionen-Zahlungen – in Euro oder Dollar gerechnet – an die fallierte „Finanzindustrie“ hat wohl genügend gezeigt, wohin kaum zu übersehende politische Inkompetenzen hinführten und wie langsam, mühsam und sündteuer man Schritt um Schritt lernen musste, es etwas besser zu machen. Soviel ist aber sicher, ein da capo der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist „seriös“ – also ohne Inflation und Währungsschnitte, Enteignungen durch Null-Zinsen, extremes Überdrehen der Steuerschraube, hemmungslosen Fiskalismus, schwerste soziale Ungerechtigkeiten, Explosion der Arbeitslosen usw. – so rasch nicht mehr zu finanzieren und zu meistern. Käme es dennoch dazu, würden die katastrophalen weltweiten Folgen, die grauenhaften Konsequenzen für die Menschen durch die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 sicher weit übertreffen, und zwar bei geleerten Kassen, unvorstellbaren bzw. vor allem nicht mehr bezahlbaren Schulden und einer Zerrüttung der Gesellschaften vieler Länder. Beim IWF und der Weltbank, Washington D.C., USA – zu Letzterer zählen folgende fünf Organisationen: Internationale Bank für Wiederaufbau (IBRD) – Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) – Internationale Finanzcorporation (IFC) – Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur (MIGA) Internationales Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) – wird seit geraumer Zeit der Eindruck einer Priorität der Konjunk-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200751

turbelebung – quasi um jeden Preis – vermittelt. Das Problem der wachsenden bis explodierenden Verschuldung der Länder scheint nachrangige Bedeutung zu haben. Jens Weismann (1968), Präsident der Deutschen Bundesbank, Frankfurt meint demgegenüber, um ein nachthaltiges Wachstum zu fördern, sei es wenig zielführend, ein „konjunkturpolitisches Strohfeuer zu zünden“, denn solide öffentliche Finanzen seien der beste Weg, um ein gutes Klima für Investitionen zu schaffen. Wolfgang Schäuble (1942), deutscher Finanzminister, betonte immer wieder, in vielen Ländern sei das Vertrauen die Voraussetzung für ein nachhaltiges Wachstum und die Politik müsse hierfür die Rahmenbedingungen schaffen (Der Standard, Wien vom 11. / 12.10.2014u). Die finanzpolitischen Paradigmen differieren offenkundig, wobei die inszenierte Dramatik pro weiterer enormer Verschuldung der Staaten mangels schlüssiger Argumente bzw. widersprüchlicher Theorien und Mutmaßungen wenig überzeugend ist. John Maynard Keynes argumentierte bei der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 schlüssig und hatte mit seiner Theorie, der Staat soll mit öffentlichen Mitteln die gesamtwirtschaftliche Nachfrage fördern, um Vollbeschäftigung erreichen und damit helfen die Krise zu überwinden, damals per saldo recht. Demgegenüber bleiben die gegenwärtigen hypothetischen Ansätze zur Begründung staatlicher Verschuldung vage und Analogien zu Keynes ausgesprochen mager. Mit der Politik der schwarzen Null von Wolfgang Schäuble ist es seit 1969 wieder gelungen, den Etat des Bundes für das Jahr 2015 mit einem Volumen von 299,1 Milliarden € ohne Neuverschuldung zu budgetieren, und zwar bei einem angenommenen schwächeren Wachstum von 2,0 % auf 1,2 % und etwa gleichbleibender Arbeitslosigkeit für das Jahr 2015, d. h. trotz Steuer-Minus, aber andererseits bei sehr niedrigen Zinsen für alte Kredite. Das Signal wird – nicht überraschend – politisch und substantiell unterschiedlich bewertet, im Wesentlich nach dem Muster Schuldenbremsung versus Konjunkturstärkung via Geldschwemme, wobei die Ansichten auseinanderklafften und sich mit Show-Effekten mischen (s. a. Internet / Online: Der Spiegel, Berlin vom 14.11.2014; Die Zeit, Hamburg vom 13.11.2014; Handelsblatt, Düsseldorf, vom 26.11.2014; Die Welt, Berlin vom 26.11.2014; FAZ, Frankfurt vom 09.09.2014; Internet: Bundesetat). Verschuldungen der Staaten erfordert „irgendwann“ auch deren Entschuldung. Das weltweite Schuldenkarussell dreht sich munter weiter, während der Abbau der ursprünglichen Schuldenkrise der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nach Meinung führender Ökonomen bei mehreren Zentralbanken noch immer nicht einmal begonnen hat (Ende 2014). Zwischen 2008 und 2013 stieg der weltweite Verschuldungsgrad von 180 % der globalen Wirtschaftsleistung auf 215 % an. Das sind die Schulden von Staaten und Privathaushalten, jedoch nicht eingerechnet die Verbindlichkeiten im Finanzsektor, weil hierfür mangels verlässlicher Daten der Schwellen- und Entwicklungs-

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1. Einführung

länder keine sicheren Angaben vorliegen. Im Klartext kann das bedeuten, dass die nächste globale Schuldenkrise ausbricht und zumindest mit der nur teilweise bewältigten „alten“ Schuldenkrise zusammentrifft. Das wäre zweifellos fatal. Bei Privatschulden mit der Ursache der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 sind bereits fallende Schuldenquoten feststellbar (Moser, S.: 2014, S. 17). Die Staatsschuldenquote in Österreich für das Jahr 2014 lag allerdings bei 86 Prozent und beläuft sich auf 140 Milliarden €, gemessen nach EU-statistischen Normen, wobei das entsprechende Konvergenzkriterium der EU maximal 60 % ausmachen würde, aber EU-weit befristet nach oben geöffnet wurde. Zum Jahresende 2014 fehlt es im EU-Raum sicher nicht an turbulenten und widersprüchlichen Debatten sowie der Suche nach Neuorientierungen zur weiteren Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, wobei auch Umsetzungen nach teilweise geänderten Paradigmen bereits eingeleitet wurden, wie beispielsweise in Deutschland. Eine in etwa übergreifende und gemeinsame Strategie in der EU wurde bislang nicht gefunden, was bei den ausgeprägten Unterschieden der jeweiligen EU-Länder und ihrer sehr unterschiedlichen Geschichte auch nicht verwundert und daher auch zukünftig nur begrenzt möglich und nützlich erscheint. Die EU verkörpert keinen einheitlichen Staatenbund, geschweige denn einen Bundesstaat, d. h. integrierte bzw. zentrale Vorgehensweisen sind und sollen nach dem politischen Willen der EU-Länder die Eigenheiten der EU-Länder wahren und nicht konterkarieren. Daher ist u. a. das Prinzip der Subsidiarität in den EU-Verträgen unmissverständlich klar verankert und bis in die Gegenwart stets bestätigt und seine Bedeutung betont worden. Die Subsidiarität zählt somit zu den unbestrittenen Grundwerten der EU. Für Formalisten und Technokraten mag das gelegentlich wenig Sinn ergeben, als zu kompliziert und unflexibel erscheinen. Den Gründungsvätern der EU schwebte – Gott sei Dank – nach ihren bitteren zeitgeschichtlichen Erfahrungen ­eine Wertegemeinschaft der EU vor, nicht nur ein ökonomisches Zweckgebilde. Diese Intentionen sollten auch essentielle Teile der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 leiten. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist ursächlich als eine moralische Krise zu verstehen und daher dem Grunde nach über Orientierungen durch einen Paradigmenwechsel zu bewältigen. Lediglich mit einer formalen und technokratischen Oberflächenpolitur, inkompetenten und fallweisen Improvisationen usw. kann keine effektive und nachhaltige Krisenbewältigung erreichen werden, geschweige denn neuen Krisen wirksam vorgebeugt werden. Die oft beschworenen Aussagen von der EU als Wertegemeinschaft und Friedensprojekt ist ein Herzstück der EU und der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Daher muss der Neoliberalismus als entscheidender Krisenverursacher mental und



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200753

real überwunden werden. Es war die weit unterschätzte Macht schlechter neoliberaler Ideen, die in die Krise führte. Dem muss die Macht guter Ideen konzeptionell und wirksam entgegen gesetzt werden. Die Vitalisierung der Macht der Ideen der Ökosozialen Marktwirtschaft mit zeitgemäßen und länderspezifischen Prägungen muss an der Spitze der enormen Anstrengungen der Krisenüberwindung in den kommenden Jahre stehen und als Leitstern ihre Orientierung sichern. Sanierungstechnokratie alleine ist zu wenig. Verstand, Emotion, Engagement und humanes Handeln müssen für Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur bessere prospektive Gestaltungen bewirken. Die Krisenbewältigung und damit verbundene Maßnahmen reichen in die Zukunft einer komplexer werdenden Welt, die mit oft immer schnelleren Abläufen und kaum noch rational erfassbaren Wechselwirkungen zunehmend schwerer einschätzbar ist. Gerade deswegen braucht es mehr denn je brauchbare Prognosen. Nate Silver (1978), der durch treffsichere Prognosen zur USA-Präsidentenwahl 2012 berühmt gewordene und bedeutende Statistiker der USA schreibt dazu: „Wir werden niemals vollkommen objektive Vorhersagen anstellen können, sie werden immer durch unsere subjektive Sicht verfälscht sein“ (Silver, N.: 2013, S. 25). Das gilt auch für Aussagen darüber, wie lang die Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 dauern wird und Silver gibt hierzu auch ein beeindruckendes Beispiel: „Zweimal im Jahr [hat in den USA das Federal Open Market Commitee (FOMC) – das die Zinsen festsetzt, ein Ausschuss der FED und das Hauptorgan der nationalen Geldpolitik der USA ist –] dem Kongress gegenüber eine makroökonomische Prognose abgeben“. Das erfolgte auch im Oktober 2007. Im „umfangreichen Sitzungsprotokoll einer Diskussion über die Wirtschaft Ende Oktober 2007 [fand sich der Begriff der „Rezession“] kein einziges Mal“ und es wurde festgehalten, dass die FOMC von weiterem Wirtschaftswachstum in den USA ausgehe. Eine „so schwere Rezession, wie sie tatsächlich eintrat, [wurde] nie in Erwägung“ gezogen (Silver, N.: 2013, S. 236.; Internet: Federal Open Market Commitee / FOMC). „Dieser besondere Fall erweckt nicht den Eindruck, als hätten die Ökonomen ihre Fähigkeiten, Konjunkturzyklen voherzusagen, sonderlich verbessert“ (Silver, N.: 2013, S. 237), denn kurze Zeit später brach ausgehend von den USA die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 aus. „Prognosen sind so schwierig, weil sie so wichtig sind. In ihnen begegnen sich die objektive und die subjektive Realität. Um das Signal vom Rauschen unterscheiden zu können, sind oft Wissenschaft und Selbsterkenntnis nötig: die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die wir nicht vorhersagen können, der Mut, die Dinge vorherzusagen, die sich vorhersagen lassen, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“ (Silver, N.: 2013, S. 550). Darauf ist auch bei der eingangs versuchten

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1. Einführung

Prognose hinzuweisen, nämlich dass die Krisenbewältigung bis zum Jahre 2018 dauern kann, aber vielleicht auch länger, und zwar auch aus Gründen, die derzeit unbekannt sind bzw. noch übersehen werden. Die jeweiligen strukturellen Stärken und Schwächen sind regional, national und international in ihren Ursachen und Veränderungsmöglichkeiten äußerst unterschiedlich sowie durch auch nicht annähernd substantiell vorhersagbare Faktoren der jeweiligen Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur oder andere Gründe bestimmt. Das erschwert oder verhindert es, auch nur einigermaßen konkret spezifische Prognosezeiträume verbunden mit substantiellen Inhalten für Verbesserungen und zu befürchtende Verschlechterungen seriös vorzunehmen (s. a.: Silver, N.: 2013, S. 550). Die bestehenden und dynamisch verlaufenden Komplexitäten im Zusammenhang mit der Krise und die dadurch entstehenden Unsicherheiten entziehen sich in weitem Maße einer rationalen Bewertung. Es besteht dennoch mehr denn je die Notwendigkeit, zu sachlich fundierten Entscheidungen zu gelangen, was jedoch immer schwieriger zu erfüllen ist. Was kann trotz der substantiellen Prognose- und Entscheidungsprobleme geschehen? Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zeigt Ende 2014 deutlich auf, wie schwierig auch nur kurz- und mittelfristige Wirtschaftsprognosen zu erstellen sind, auf welche die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gerade bei weltweiten Krisenbewältigungen national und international essentiell angewiesen wäre, um möglichst rasch und wirksam erforderliche Maßnahmen zu konzipieren und einzusetzen. Gegen Ende 2013 wurden die Aussichten auf eine zügige und deutliche Verbesserung der Entwicklungen und weitere Bewältigung der Krise durchwegs positiv eingeschätzt. Neun Monate später war das Gegenteil der Fall. Drei Gründe gab es dafür. Einmal die schwierige Lage in der Ukraine-Krise, zweitens die gefährlichen Verhältnisse in Nahost, also schwere geopolitische Spannungen, zu denen drittens eingetrübte konjunkturelle Entwicklungen in den wichtigen Schwellenländern China und Brasilien hinzukamen. Ab 2015 eskalierte die GriechenlandKrise. „Prognosen sind eine schwierige Sache. Vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“, schreibt man Mark Twain (1835–1910) zu. Eine Gruppe von zahlreichen Fehlergründen, die das Zitat bedingen mögen, sind methodische Fehler. Zumindest die geopolitischen Probleme waren im zweiten Halbjahr 2013 bereits bekannt, aber eigentlich auch die Tendenzen in den genannten Schwellenländern. In einer durch die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 beherrschten Welt, ist es schlicht und einfach methodisch wichtig, konjunkturelle Prognosen nicht mit eingeschliffenen Methoden nur auf ökonomische Teilfragen zu reduzieren, sondern in übergreifender Art und Weise den Gegenstand der Prognose zu erfassen, um der enormen Komplexität und Dynamik krisenbestimmter Entwicklungen einigermaßen gerecht werden zu können. Die Prognosepraxis sah allerdings anders aus:



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200755

Am 15.01.2014 stellte die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, fest, dass entgegen der Einschätzung der Weltbank „das globale Wachstum zu gering, zu zerbrechlich und zu ungleichmäßig“ sei, zu wenig Arbeitsplätze vorhanden seien, aber die weltweiten Wirtschaftsleistungen bei 4 % liegen könnten, es sei denn, eine zu niedrige Inflation oder „katastrophale“ Deflation stünden dagegen (Internet: Lagarde, C., FAZ vom 15.01.2014). „Die Weltbank rechnet mit dem stärksten Wachstum der Weltwirtschaft seit 2010“ und hofft auf eine Konjunkturwende, da anzunehmen sei, dass die Weltwirtschaft vor einem „Wendepunkt“ stehe, wie man am 16.01.2014 aus den Medien erfuhr. Das weltweite Wirtschaftswachstum für 2014 wurde mit 4,3 % angenommen. Für Deutschland als Exportnation wurde ein darüber liegender Wert geschätzt (Sustala, L., 16.01.2014j). Am 24.07.2014 war vom IWF zu erfahren, dass die UkraineKrise und die Lage in Nahost als große Risiken u. a. eine weltweite Senkung der Wachstumsprognose des IWF erfordern. Für 2015 halte man aber an der Schätzung des weltweiten Wachstums von 4 % fest (Internet: IWF: Konjunktur in der Ukraine-Krise. IWF senkt weltweite Wachstumsprognose). Am 25.08.2014 erschien der Ifo-Geschäftsklimaindex für Deutschland, der ausführlich über die Eintrübung der Wirtschaft berichtete, die offenkundig ihren Schwung verlor, und zwar verursacht durch internationale Krisen von der Ukraine bis zum Irak. Für das dritte Quartal 2014 wird ein „Wachstum nahe Null“ angenommen (Internet: FAZ, Deutsche Wirtschaft verliert Schwung). Seitdem verdüstern sich – trotz aller Unterschiede nach Regionen und Ländern – seither weltweit die Konjunkturprognosen (Ende 2014), wobei die USA besser abschneiden. Während einer kurzen Zeitspanne von rund acht Monaten im Jahr 2014 veränderten sich damit die konjunkturellen Prognosen über die nationalen und internationalen Wirtschaftsentwicklungen während der andauernden 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 fundamental. Das ist alarmierend, da rasch wechselnde Prognosen zu eminent wichtigen Fragestellungen weitgehend ihren Sinn verlieren, kaum für erforderliche Dispositionen taugen und auch nicht erahnen lassen, wann und mit welcher Substanz Schritte der Krisenbewältigung erreicht werden. So ist auch die Feststellung des bedeutenden Wirtschaftsweisen aus Deutschland zu interpretieren, Peter Bofinger (1954), Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg, der bei einem Vortrag in Österreich Anfang 2014 meinte: „Die richtig schlimmen Sachen haben wir in den letzten sieben Jahren alle nicht erkannt“ (Bofinger, P., 2014). Wie auch immer, das Jahr 2015 birgt bei weiteren Prognosen ziemlich sicher am Jahresende wieder einiges an Überraschungen. Aber es gibt auch alternative und ergänzende Auswege aus dem skizzierten Dilemma der Prognosen. Um die erforderlichen optimalen Entscheidungen und Weichenstellungen für zukünftige Entwicklungen – im Kleinen wie im Großen – zu erlangen,

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1. Einführung

sind normative bzw. wertgebundene Orientierungen und Maximen des Verhaltens der Entscheidungsträger, Verantwortlichen und Betroffenen erforderlich. Sonst läuft man bei den bestehenden sachbedingten Entscheidungsproblemen – wie z. B. der skizzierten Unsicherheiten von Prognosen – Gefahr, durch chaotisch verursachte Zusatzrisiken angestrebte Intentionen, Ziele und Ergebnisse zu gefährden, statt einer ordnungsorientierten Vorgehensweise zu folgen. Fehlende Rationalität bei hochkomplexen und daher zunächst sehr schwer zu beherrschenden prospektiven Entscheidungen und deren Verwirklichung sind zunächst zwangsläufig in hohem Maße irrational und bestenfalls, wenn überhaupt, damit teilweise ungeordnet, chaotisch und riskant. Normative bzw. wertgebundene Orientierungen beseitigen zwar nicht den irrationalen Charakter der Entscheidungen, aber können durch ihre Sinnhaftigkeit entscheidende Lenkungsfunktionen und operative Zielformulierungen ermöglichen. Die Sinnhaftigkeit kann sich aus vielen Quellen speisen, wie subjektiven Überzeugungen, Erfahrungen, Traditionen, die Einbeziehung unterschiedlicher Expertenmeinungen, Kommunikationsprozesse unterschiedlichster Art usw. Mit anderen Worten: Normative bzw. wertgebundene Orientierungen können rationale Entscheidungslücken überbrücken und somit optimalere Entscheidungsfindungen möglich machen. Die hohen Risiken der Scheinrationalität, wie sie methodisch u. a. aus einer zu sehr fokussierten substantiellen Prognosebasis entstehen können, aber ebenso aus der objektiven Unmöglichkeit, erforderliche Informationen überhaupt zu erhalten, lassen sich durch normative, d. h. nichtrationale Orientierungen zwar nicht auf eine rationale Ebene bringen. Aber, wenn damit die Grenzen der Rationalität sehr massiv erkenn- und spürbar werden, sind dennoch optimalere bzw. sinnvollere Entscheidungsprozesse möglich. Durch fehlende rationale Möglichkeiten Irrationalität nicht bewältigen zu können, kann sehr gefährlich werden, wenn dadurch quasi Chaotik, sprich Durcheinander, Verwirrung und Auflösungen von Ordnungen entstehen. Fehlende rationale Möglichkeiten können jedoch durch normative Orientierungen Entscheidungslücken und -schwächen ersetzen und somit helfen, ein Chaos oder dem ähnliche und nachteilige Entscheidungsvoraussetzungen durch ordnende Orientierungen zu verringern, im optimalsten Fall sogar beseitigen. Die Orientierung erfolgt durch Paradigmen, also weltanschau­ liche Grundauffassungen, die nach Werten das Denken, Fühlen, die persönliche Verantwortung und das Handeln prägen. Beispielsweise bestimmen sie bei Entscheidungsbildungen durch an Paradigmen orientierte Analysen und Bewertungen die Wahl von Vorgehensweise, das Verhalten usw. und beeinflussen maßgeblich die Entscheidungs- und damit die Handlungsergebnisse. Paradigmen als Wertvorstellungen und Orientierungshilfen sind einerseits tendenziell stabil, unterliegen aber auf längere Sicht gesehen dennoch mehr oder minder starken Anpassungserfordernissen. Es gibt quasi „zeit­ lose“



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200757

Grundwerte, wie sie beispielsweise mit der Pflichtenethik, der Aufforderung sich der praktischen Vernunft zu bedienen, personale Verantwortlichkeit für das Handeln zu übernehmen, dem Kategorischen Imperativ zu folgen, die Menschenwürde zu achten usw. von Immanuel Kant (1724–1804) entwickelt wurden, dem großen Philosophen der Aufklärung. Seine Moralphilosophie und Ethik haben ihre große Bedeutung bis in die Gegenwart behalten und ihre prospektiven Orientierungsfunktionen werden sicher bleiben. Andere Wertvorstellungen werden bei geänderten Verhältnissen und Vorstellungen Änderungen, Korrekturen und Ergänzungen erfordern. Zum Ende 2014 wird wieder einmal vehement diskutiert, wie angesichts der konjunkturellen Flaute in Europa der Mix zwischen staatlichem Schuldenabbau und der Gegenposition, der staatlichen Verschuldung, zu wählen sei. Sichere Prognosen fehlen aus verschiedenen Gründen in weitem Maße. Der IWF fordert wie seit langem gerade auch von Deutschland eine Verschuldungspolitik zur Finanzierung von zusätzlichen Konjunkturpaketen (Der Standard, 2014u). Ob das sinnvoll ist, wird bezweifelt. Scheinbare oder auch tatsächliche rationale und partikuläre Begründungen gibt es zuhauf und mit vielen Fragezeichen. Die Budgetpolitik von Wolfgang Schäuble und der Koalition von CDU und SPD in Deutschland hat sich für das Jahr 2015 für die „Schwarze Null“ entschieden. Auf die Argumente und Beweggründe wurde bereits hingewiesen. Die Entscheidung wurde in einer Situation getroffen, die nur sehr begrenzt als „rational“ bewältig bar einzustufen ist, ob man an die substantiell mageren IWF-Apelle denkt oder an offene Fragen zum staatlichen Schuldenabbau in Deutschland. Gerade die schroffe Gegensätzlichkeit der Debatten zu diesen Problemen zeigt das Entscheidungsdilemma deutlich. Dennoch war das Entscheidungsverhalten von Wolfgang Schäuble und seinen Mitstreitern plausibel und sinnvoll, da es sich unverkennbar an Paradigmen orientiert hat, die von der Koalition der CDU und SPD gemeinsam getragen wurden und somit eine notwendige Lenkungsfunktionen erfüllten. Die teilweise Irrationalität der Entscheidung konnte somit sehr eindeutig entschieden werden, d. h. die Irrationalität wurde nicht zum rationalen Problem, da sie einmal stillschweigend als eine Normalität erkannt und akzeptiert wurde und zweitens eine wirksame Entscheidungshilfe durch Paradigmen als problemlösende Vorgehensweise gewählt und genutzt wurde. Die „Schwarze-Null“-Entscheidung entpuppt sich damit als ein sehr treffendes und bemerkenswertes Beispiel, warum Paradigmen bei äußerst diffizilen und auch irrational geprägten Entscheidungen „richtig“ bewältig bar sind und somit eine dem Wesen von Paradigmen entsprechend große Bedeutung haben. Zweifellos wird die Zahl solcher hochkomplexen und nicht mehr nur „rational“ begründbare Entscheidungsfälle und -notwendigkeiten zunehmen. Scheinplausiblen Entscheidungsbegründungen, dass „alle ratio-

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nalen Gründe“ für eine angestrebte Entscheidung sprechen, sollte klugerweise mit großer Skepsis begegnet werden, da oft eine quasi 100 %-Rationalität unterstellt bzw. vorgegaukelt wird, die bei hochkomplexen und prognoseabhängen Entscheidungen nicht zu erwarten ist, sondern auch bei „einfacheren“ Entscheidungen meist fehlen wird. Das Rationalität-Argument ist in Wissenschaft, Lehre und Praxis tief verankert, wodurch mitbegründet sein dürfte, dass der Stellenwert der Irrationalität noch weit unterschätzt wird. Ideengeschichtlich ist der hohe Rang der Rationalität die wertvollste Idee der Aufklärung, nämlich im Sinne der Pflichtenethik von Immanuel Kant, die fordert sich seines Verstandes zu bedienen. Kant betonte aber auch, dass der Mensch nicht nur nach der Vernunft handle, sondern auch durch Kultur, Neigungen und Triebe gesteuert wird und manchmal sich überwinden muss, dass Vernünftige zu tun (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Internet). Die sozialempirische Forschung, aber vor allem die Lebenserfahrungen der Menschen und verschiedene Fachbereiche, wie Psychologie, Soziologie, Verhaltensforschung usw., haben Fehlvorstellungen zur Rationalität zunehmend entzaubert und in Frage gestellt. Gefahren von Rationalitätsfallen werden damit bewusster wahrgenommen. Risiken durch fehlende Rationalität und verkannte Irrationalität sind bei schwierigen Entscheidungsanlässen unbestreitbar. Mit dieser Situation sind die Gesellschaften, Politik, Wirtschaft und Kultur sowie viele andere Bereiche seit eh und je konfrontiert und die daraus resultierenden Unsicherheiten nehmen mit steigender Komplexität und deren vielfältigen Ursachen zu. Irrationalität und dadurch bedingte Risiken sind eine in ihrer Bedeutung wichtiger gewordene Normalität, die durch vermeintliche Rationalität, also Scheinrationalität nicht überwindbar ist. Auch die unentwegten Anstrengungen „scheinrational“ diese Dilemma zu lösen und die häufig damit verbundenen Versprechungen „die Lösungen“ endlich gefunden zu haben und verkaufen zu können, kann selbst bei gut gemeinten Ansätzen nicht wirklich das Grundproblem lösen, sondern rasch in die Irre führen. Paradigmen hatten daher schon immer eine wichtige Aufgabe als Wegweiser, die zukünftig wichtiger denn je sein werden. Wer meint nur der Rationalität vertrauen zu können, frönt, leidet und scheitert an gesellschaftlichem, kulturellem und ökonomischen Nihilismus. Die steigende Irrationalität ist natürlich ein Problem, aber sie ist beherrschbar. Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) läßt im Faust II, Der Tragödie zweiter Teil, Vers 4917 ff. Mephistopheles den wohl schönsten und zugleich ironischen Kommentar zum Problem der Rationalitätsfalle sprechen: „Daran erkenn ich den gelehrten Herrn! 
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern, 
Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar, 
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr, 
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht, 
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.“



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200759

An anderer Stelle wurde schon darauf hingewiesen, dass gerade die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 letztendlich auch eine moralische Krise ist und sich daher auch im Sinne des Kategorischen Imperativs – wie er von Immanuel Kant formuliert wurde und bis heute seine ethische Bedeutung behalten hat – daher einmal stets der personalen Verantwortung des Einzelnen oder Einzelner zentrale Bedeutung zukommt, besonders auch bei den entscheidungsbefugten Politikern. Zweitens folgert daraus, dass Entscheidungen allgemein und besonders solche mit hoher Irrationalität durch moralische Vertretbarkeit der Entscheidungsfaktoren ihre Ausrichtung erfahren sollen. In der Gesellschaft und Wirtschaft – also quasi im Großen –, wenn es beispielsweise um die bedeutsame ordnungspolitische Frage geht, wie beispielsweise einerseits die effizienten Kräfte einer funktionierenden Marktwirtschaft andererseits mit sozialen Fragen und Erfordernissen zu einem sittlich vertretbaren und gerechten Ausgleich gebracht werden können. Mit Beginn der Industrialisierung um das Jahr 1830, etwas früher in England, war die Soziale Frage bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ein teilweise sehr unbefriedigend gesteuerter Problembereich ersten Ranges der Gesellschaft und Wirtschaft, der zur Bildung von Interessengruppen, Parteien, Denkrichtungen usw. führte, die bis heute in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gestaltend tätig sind. Solche ethischen Fragen wurden durch die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 enorm negativ aktualisiert, bewusst gemacht und erfordern nunmehr neue, gerechtere und somit moralisch vertretbare, also bessere Lösungen. Ohne einen entsprechenden Paradigmenwechsel und damit verbundene tiefgreifende Veränderungen wird das nicht gelingen können. Mit Vorstellungen des Neoliberalismus, wie sie um die 75er-Jahre des vorigen Jahrhunderts als ökonomische und politische Faktoren wirksam wurden und deren Auswirkungen für das Entstehen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ursächlich sind, wurde die Soziale Frage wiederum zu einem Kernproblem der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, und zwar leider bestimmt durch neoliberale Spielregeln bis hin zur Krise ab 2007, deren Ausmaß und Konsequenzen einen erschauern lässt. Nicht umsonst wurde in allen von der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wirtschaftlich und sozial besonders schwer getroffenen Ländern, die brisanten Fragen und Probleme einer gerechten Verteilung der Güter innerhalb der Gesellschaft zum Nukleus schwerster und andauernder Auseinandersetzungen. Sie führten Mitte 2013 auch zu einer überfälligen Revision des Interventions-Mix zur Bewältigung der Krise von der Spar- und Austeritypolitik hin zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit in Richtung einer Wachstumspolitik. Zudem wurde erkannt, dass mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 eine Neue Soziale Frage enormen Ausmaßes entstand, die weitaus stärker bei der Krisenbewältigung zu berücksichtigen ist. Statt der Dominanz des Sparens begann damit die Konzipierung, Propagie-

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rung und schrittweise Verwirklichung einer ausgewogeneren Kombination der genannten Interventionsmittel. Es setzte sich zunehmend die Einsicht durch, dass die Krise nur zu bewältigen ist, wenn ein klügerer Mix der Interventionsinstrumente gefunden und umgesetzt wird. Nur „kaputt sparen“ – ein geläufiges Unwort der Auseinandersetzungen – wurde endlich als zu wenig wirksam erkannt und der Notwendigkeit von wachstumsfördernden Maßnahmen Rechnung getragen, um eine optimalere Kombination erfolgversprechender Schritte zur Bewältigung der Krise zu erreichen. Die Frage nach dem „richtigen Mix“ wird sich immer wieder stellen und geänderte Antworten für das Handeln fordern. Man erkannte auch, dass ein sensiblerer, sachlich differenzierterer und stärker von praktizierter Humanität, Respekt und optimalerer Einbindungen der Betroffenen, also insgesamt ein von Zuwendung, Sorgfalt und Verantwortung bestimmter Umgang mit den Menschen geboten ist. Die Entscheidung des „richtigen Mix“ über jeweils mögliche Interventionen zur Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist einmal im Großen wie im Kleinen dabei eine Schlüsselfrage, zweitens müssen die Antworten flexibel den sich ändernden Verhältnissen zeitgerecht angepasst werden und drittens sind die Lösungen gleichermaßen rational und irrational bestimmt und verlangen daher viertens eine prioritäre Orientierung und Umsetzung von gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell verantwortbaren Paradigmen. Einschlägige Quellen zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bezeichnen die Krise fälschlicherweise als Banken- und / oder Finanzkrise, d. h. sie wird begrifflich und substantiell reduziert. Die Banken- und / oder Finanzkrise war ein essentieller, vielleicht auch der wichtigste, aber dennoch nur ein Teil der Krise. Ein Beobachter der Realität der Verhältnisse muss von Blindheit geschlagen sein, wenn er weder sieht, geschweige denn begreift, dass die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 eine wirtschaftlich-soziale sowie eine gesellschaftliche und politische und somit auch zweifellos eine moralische Krise ist. Sie war im Kern das Ergebnis der Ideen und der egozentrischen Interessen neoliberaler Herkunft, die mit dem vermeintlich hehren Ziel individueller Freiheit überhöht und legitimiert wurden. Die damit krass verbundenen Vorteile de Einen zu Lasten der Anderen blieben geflissentlich unerwähnt. Damit wird aber auch klar, dass einmal damit die Lösung hochkomplexer und prospektiver Entscheidungen und Ansätze zur Bewältigung der Krise nicht quasi lediglich bank- und finanztechnische Probleme sein können. Zweitens stellen sich einige Kernfragen: Wie sehen sich die Vertreter der „Finanzierungsindustrie“ eigentlich selbst? Weshalb kommen sie neuerdings zu einem Branchenjargon wie à la „Finanzindustrie“, statt sich als finanzwirtschaftliche Dienstleister der Gesellschaft und Wirtschaft zu verstehen? Letzteres Rollenbild existiert vielfach nur noch in platten Werbesprüchen,



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200761

die mit den wirklichen Intentionen der „Finanzindustrie“ nur wenig oder nichts zu tun haben. Tatsächlich sind unvorstellbare Milliardenbeträge mit „systemrelevanten Begründungen“ von der Gesellschaft bzw. den Steuerbürgern in die Kassen der „Finanzindustrie“ geflossen. Die Eigentümer und das Management der „Finanzindustrie“ blieben jedoch weitgehend für ihre bislang selbsterzeugte Misswirtschaft ungeschoren, ganz im Gegenteil: Zahlreiche Vertreter der „Finanzindustrie“ haben an der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 summa summarum prächtig verdient. Aus Dienstleistern wurden sündteure Kostgänger und Privilegierte der Gesellschaft und Wirtschaft, die an der entstehenden Krise bereits lange vor deren Ausbruch ungeniert und üppig kassiert haben und sie u. a. auch dadurch auslösten. Mittlerweile haben sie mit ihrem hemmungslosen Verhalten den Ruf ihrer Branche schwer geschädigt, und zwar leider auch zu Lasten gut und verantwortlich geführter Finanzinstitute. Inzwischen gewinnt man den Eindruck, dass zunehmend bereits wieder genau jene spekulativen Geschäfte verfolgt werden, die wesentlich zur Krise beigetragen haben, statt sich endlich zu bemühen, beispielsweise der mittelständischen Wirtschaft aus der herrschenden Kreditklemme zu helfen (Herbst 2014). Das Investmentbanking der USA boomte beispielsweise im Jahr 2013 – trotz zweistelliger milliardenschwerer Strafzahlungen einzelner Banken – so gut wie im Jahr vor dem Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Genau die Banken, die wesentlich die Krise verursacht haben, verdienten im Jahr 2013 wieder hervorragend und erwarten ein weiteres Wachstum, das höher ausfallen soll als das klassische Spar- und Kreditgeschäft. In den USA, dem Ausgangsland der Krise, haben besonders riskante Geschäfte erneut zugenommen, wie beispielsweise die Vergabe schlecht besicherter Kredite für spekulative Geschäfte und die Wiederauferstehung hochkomplexer Verbriefungsdeals, die der unmittelbare Auslöser der Krise waren (Lehman Brother Inc., New York, Konkursanmeldung am 15.09.2008). Auch das Geschäft mit den berüchtigten CDOs (Collateralized Debt Obligation) wird wieder betrieben und in dieser Gangart soll es weitergehen (Burne, K.: 2013). Die Gier und der Tanz um das Goldene Kalb haben bereits voll eingesetzt (Sustala, L., 2013g, S. 21). Gleichzeitig kämpft ein Großteil der Wirtschaft weltweit mit den Folgen der längst noch nicht beendeten Krise und die erschütternden Zahlen über Millionen von krisenbedingten Arbeitslosen zeigt unmissverständlich, wie tief die Welt noch in der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 steckt. Die Prognosen für die Verringerung der schlimmsten Skandale und Merkmale der Krise, nämlich der Arbeitslosigkeit in den von der Krise besonders schwer betroffenen Ländern, sind alles andere als gut (Ende 2014). Die Krise ist nicht deshalb vorbei, nur weil ein Teil der Banken wieder sehr gut verdienen, ganz im Gegenteil. Die Pflege alter und bekannter Laster des Bank- und Finanzbereiches zeigt vielmehr

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an, dass deren falsche Paradigmen und Praktiken die Krisenbewältigung verzögern, erschweren und neue potentielle Gefahren bilden. Die Mittel der Steuerzahler flossen in viel zu geringem Umfang in Betriebsmittelkredite für die Wirtschaft, die einen dringend notwendigen Beitrag zur Konjunkturbelebung herbeiführen hätten können. Diese Situation hat sich auch bis zu Herbst 2014 nicht geändert. Ganz im Gegenteil: Selbstständige stöhnen unter den verschärften Auflagen sogenannter Hausbanken, wie zusätzlichen geforderten Sicherheiten, unvorteilhaften Konditionen, neuerlicher Nichtanerkennung von Waren und Halbfertigem als Sicherheiten für Kredite und von billigem Geld kann keine Rede sein. Dieser mit Milliardensummen verfolgte Wunsch des EZB-Präsidenten Mario Draghi kam für den Mittelstand in der Realität nicht an (Kainrath, V.: 2014a). Bei Investitionskrediten bei bereits begonnenen Projekten vor und während der Krise wären solche Effekte der Geldpolitik zu erwarten gewesen. Sehr fraglich ist es allerdings, ob Kredite neue Investitionsprojekte veranlasst hätten. Bei eingetrübten unternehmerischen Erwartungen und besonders bei schlecht ausgelasteten Betrieben, sinkt die Investitionsbereitschaft erfahrungsgemäß sehr erheblich, d. h. Kreditmöglichkeiten werden entsprechend geringer oder gar nicht in Anspruch genommen. Dieses Problem besteht auch nach wie vor (Frühjahr 2014). Durch stärkere und rechtzeitige Investitionen des Staates, von Regionen und Kommunen – beispielsweise für infrastrukturelle Verbesserungen, öffentlichen Wohnbau, vorgezogene Anschaffungen, Reparaturen, Investitionen in Bildung, Forschung und Innovationen usw. – wären hingegen mit Sicherheit mehr konjunkturelle Wachstumseffekte entstanden, die auch für die Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nützlich gewesen wären. Noch vor Ablauf des Jahres 2014 beabsichtigt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein EU-Investitionsprogramm für öffentliche und private Investitionen im Umfang von 315 Milliarden € für einen Zeitraum von drei Jahren in Gang zu setzen, das nicht unbestritten ist. Die 315 Milliarden € beziffern allerdings lediglich den erwünschten Multiplikator-Effekt, der mit 21 Milliarden € per Hebelwirkung erreicht werden soll. Ob das gelingen wird, ist allerdings völlig unklar und sehr zweifelhaft. Bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) soll mit den 21 Milliarden € ein neuer „Europäischer Fonds für strategische Investitionen“ (EFSI) eingerichtet werden, der hauptsächlich aus dem EU-Haushalt gespeist wird (Die Welt, Berlin vom 25.11.2014). Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble meinte trocken, Missverständnisse würden umso größer, je höher die Beträge seien. Wo lässt sich das Geld problemlos herbeizaubern? Hat die EUInvestitionskrise nur in Finanzierungsschwierigkeiten ihre Ursache, wie Jean-Claude Juncker meinen mag? Warum weicht man der Frage aus, ob



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200763

sich Investitionen nicht über Ausgabekürzungen der öffentlichen Hände finanzieren lassen? Wie soll – wie ja auch behauptet wird – das Geld ohne zusätzliche Erhöhung der Staatsverschuldung aktiviert werden? Wer investiert, wenn es sich nicht rechnet? Will man vielleicht nur Zeit mit der Worthülse Investition gewinnen, wofür leere Kassen sprechen würden? (Mussler, W., 2014). Viele Fragen, wenig konkrete Antworten und viele Unsicherheiten. Am 26.11.2014 wurde das 315-Milliarden-Paket beschlossen, das weit überwiegend durch private Geldgeber zu finanzieren sein wird, unterschiedliche Aufnahme bei den EU-Regierungschefs fand, bei dem noch viele Punkte offen sind und sich die Nationalstaaten der EU finanziell eher nicht beteiligen werden. Teilweise wird auch befürchtet, dass EU-Mitgliedsstaaten unter dem Deckmantel des Paketes versuchen könnten, ihre Sparbemühungen und Strukturreformen einzuschränken (Mayer, Th.: 2014, S. 20). Das Mantra der EU, mehr Investitionen seien der Schlüssel zur wirtschaftlichen Erholung, wird zunehmend auch relativiert, und zwar neuerdings trotz oder wegen der Initiative von Kommisionspräsident Jean-Claude Juncker zu Beginn seiner Amtszeit, die in eine andauernde rezessiven Konjunkturphase fällt. Die Annahme, dass Investitionen stets vorteilhaft seien, da sie den Kapitalstock und die Produktionsleistungen erhöhen, muss nicht zwangsläufig richtig sein, nämlich schlicht und einfach dann, wenn Fehlinvestitionen vorgenommen werden und beispielsweise die Rahmenbedingungen für Investitionen falsch bewertet werden. Das können Nachfragelücken sein, unterbewertete demographische Entwicklungen, verkannte und zu niedrige potentielle Wachstumsraten usw. Dadurch sinkt die Rentabilität der Investitionen ebenso, wie das Risiko steigt, entsprechende Investitionskredite hinsichtlich Zinsen und Tilgungen nicht bedienen zu können. Bei den Kreditgebern kann es zu faulen Krediten kommen. Ob sich diesen Luxus ein angeschlagenes europäisches Bankensystem leisten kann und wenn nicht, dann die Zeche bei der EU, den EU-Staaten und letztlich durch die Steuerzahlern zu zahlen ist, können zu gravierende Probleme gut gemeinter, aber falscher Investitionen werden. Die prioritären Kernfragen bei Investitionsentscheidungen sind nach übereinstimmender Expertenansicht das einzel- oder gesamtwirtschaftlich erreich- oder erwartbare Wachstums, sekundär sind es die Zinssätze, die bei der Rentabilität von zusätzlicher Bedeutung sein werden. Daraus ergibt sich auch ein Indiz mehr für die relative und begrenzte Bedeutung der Geldpolitik der Notenbanken für den Zweck der Ankurbelung des Wirtschaftswachstums bzw. damit auch der Konjunktur. Darin liegt auch die Schwäche des Juncker-Plans, der darauf baut, mit 21 Milliarden € das 15-fache Investitionsvolumen von 315 Milliarden € generieren zu können. Erwünscht sind vorzugsweise Infrastrukturprojekte, die zudem meist ein überdurchschnittliches Wirtschaftsrisiko be­

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1. Einführung

inhalten, sei es politischer, aufsichtsrechtlicher oder anderer Art auf nationaler oder regionaler Ebene, wie es beispielsweise bei Hoch- und Tiefbauprojekten nie auszuschließen ist. Letzteres hat häufig mehr Gewicht als die Frage der Möglichkeit der Finanzierung. Kurzum: Der Ruf nach Investitionen klingt zwar in Krisenzeiten stets verlockend. Die fundamentalen Gründe, die Investitionen entgegenstehen können, werden letztendlich gewichtiger sein als illusorische Wünsche. Ein Blick auf die Gründe der besseren Konjunkturentwicklungen in den USA zeigt, dass diesen vornehmlich ein gestiegener Konsum zu Grunde lag – der in der EU zu wünschen übrig lässt (Ende 2014) –, und dem auch dadurch ausgelöste Investitionen folgen können. Das erfordert aber andere ökonomische Ansätze, wie sie der JunckerPlan verfolgt (s. a. Gros, D.: 2014, S. 35). Was tat die „Finanzindustrie“ mit den ihr bislang zugeflossenen riesigen Summen? Es wurden Bankinsolvenzen durch Staatshilfen verhindert statt marktwirtschaftlich gebotene Bereinigungen zuzulassen, und zwar auch mit dem fragwürdigen und geradezu lächerlichem Argument, man hätte keine Regeln für Insolvenzabwicklungen für Banken. Das generelle Argument der „Systemrelevanz“ der Banken, welches der Pleite von großen Banken widerspreche und zum Einsatz gewaltiger öffentlicher Mittel führte, wirkt undifferenziert und nicht wirklich überzeugend. Unter diesem Motto „gerettete“ Banken – beispielsweise durch Verstaatlichung – wurden tatsächlich nicht saniert, sondern die „Fälle“ gerieten zu budgetären Mühlsteinen am Hals öffentlicher Haushalte und erwiesen sich zudem als Fass ohne Boden, in das Milliardenbeträge auf Nimmerwiedersehen verschwanden und erhoffte Verwertungserlöse für die öffentliche Hand aus Zinszahlungen oder Substanzverkäufen häufig wie Butter in der Sonne dahinschmolzen. Schließlich nahm die „Finanzindustrie“ von öffentlichen internationalen Finanzierungseinrichtungen Mittel zu niedrigsten Zinsen in Anspruch, um sie gewinnbringend anzulegen. Diese Gelder waren naturgemäß für die Realwirtschaft, ihre Kreditbedürfnisse und dringend benötigte konjunkturelle Belebungseffekte verloren. Paul Krugman kommentiert das finanzwirtschaftliche Debakel wie folgt: „Wirklich besorgniserregend ist die Machtlosigkeit der Politik, ist der Umstand, dass geldpolitische und fiskalische Anreize sich nicht mehr direkt auf Wachstum und Beschäftigung auswirken.“ (Krugman, P.: 2009, S. 209). Renommierte Experten der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 vertreten die Ansicht, dass in die „Finanzindustrie“ viel zu viel Geld der öffentlichen Hände gesteckt wurde und dadurch verschwendete Mittel an weitaus wichtigeren Stellen fehlen (Stiglitz, J.: 2011, S. 23 f.; Krugman, P.: 2009, S. 202– 204). Die meisten politischen Vertreter stehen dem Treiben bislang ziemlich hilflos und sehr zögerlich gegenüber. Manche von ihnen suchen bei den Vertretern der „Finanzindustrie“ sogar um Rat bei der Krisenbewältigung,



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200765

sei es aus eigener Inkompetenz, fiskalischer Abhängigkeit oder gewohnter Kungelei – wahrlich eine verkehrte Welt. Bei der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und den dabei aufgewendeten enormen Finanzmitteln der öffentlichen Hände, sei es in den USA, Europa und anderswo, die letztendlich von den Steuerbürgern getragen wurden und zwangsläufig nicht mehr für andere notwendige öffentliche oder andere Aufgaben verwendbar waren, werden die Faktoren der Belastung der Bürger regelmäßig übersehen oder verschwiegen, mit denen diese fast immer zusätzlich belastet werden und die insgesamt riesige Summen verschlingen: Die Nationalbanken, wie die FED in den USA oder die Europäische Zentralbank (EZB) für Europa, aber auch in vielen anderen Ländern, setzten die Leitzinssätze äußerst nieder an, um dadurch die Krisenbewältigung mit Niedrigzinsen via Banken zu unterstützen. Der EZB-Leitzins wurde am 08.11.2013 auf 0,25  % gesenkt (Der Standard, Wien vom 09. / 10.11.2013, S. 21) und beträgt ab dem 05.06.2014 nur noch 0,15 %. Am 04.09.2014 wurde der Leitzins von der EZB auf 0.05 % gesenkt, also auf den niedersten Satz, denn es je gab. Ob die 0,05 %-Absenkung des Zinssatzes die Kreditaufnahme der Wirtschaft nennenswert steigert, was die EZB anstrebt, wird von Experten stark bezweifelt. Die Entscheidung löste in Deutschland heftige Kritik aus. Man glaubt nicht, dass dadurch die Kreditvergabe angekurbelt werden kann. Die letzte EZB-Zinssenkung wird ferner als falsches Signal an die Sparer bewertet, die sich zu Recht durch die praktizierten Zinssenkungen als Form einer Quasi-Enteignung zu Gunsten der „Finanzindustrie“ ein weiteres Mal schwer betrogen fühlen müssen. Längst überfällige Strukturpolitik kann offenkundig nicht mehr durch die Geldpolitik ersetzt werden. Die Politik der EZB verliert durch de facto sinnlosen Aktionismus mit „Zinskosmetik“ an Glaubwürdigkeit und signalisiert verstärkt den Eindruck der Getriebenheit. Auch steigt die Gefahr – beispielsweise in Ländern wie Frankreich und Italien –, dass dringende Wirtschaftsreformen durch billigste Verschuldungsmöglichkeiten der Öffentlichen Hände aufgeschoben werden und solche Länder in langjährige Stagnationen rutschen. Manche werfen der EZB vor, sie hätte sich selbst in eine Liquiditätsfalle manövriert, ihr Pulver zu früh verschossen und damit den Eindruck pessimistischer Erwartungen für Wachstum und Deflation vermittelt. Schon gehen manche Experten davon aus, dass die Geldpolitik der EZB künftig mehr Schaden als Nutzen stiften könnte (Kissler, A., 2014). Die Stagnation und der befürchtete weitere Rückgang der Konjunktur sowie nicht ausgelastete Leistungskapazitäten vieler Unternehmen, d. h. daraus resultierende pessimistische Erwartungen der Wirtschaft, stützen die skeptischen Einschätzungen. Gleichzeitig steigt damit an den Börsen die

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1. Einführung

Gefahr von Blasenbildungen, durch die de facto nahezu zinsfreien Kreditmöglichkeiten für den Kauf und die Spekulation mit Wertpapiern. Die EZBAktion hat die Talfahrt des Euro-Kurses zum Dollar auf den niedrigsten Stand seit 14 Monaten (04.09.2014) gebracht, nämlich auf 1,30 Dollar für einen Euro (25.04.2015: Kurs 1,09). Das könnte den Export fördern, verteuert aber in Dollar abgerechnete Importe. Der EZB ist die Problematik bewusst und die Entscheidungen des EZB-Rates am 04.09.2014 erfolgten auch nicht einstimmig. Der EZB-Chef Mario Draghi hat als Europas oberster Notenbanker den Ehrgeiz, mit allen geldpolitischen Möglichkeiten Konjunkturpolitik im Sinne der Überwindung sich abzeichnender rezessiver Konjunkturentwicklungen zu betreiben, ähnlich wie es die FED in den USA bereits erfolgreich praktizierte. Daher ist die EZB zusätzlich auch bereit, von der „Finanzindustrie“ Pfandbriefe, Bankanleihen, eventuell Staatsanleihen, Schuldscheine und sogenannte ABS zu kaufen, um dadurch quasi bei den Banken für die Ausweitung des Kreditvolumens zur Ankurbelung der Wirtschaft Luft bzw. umfangreichere Möglichkeiten zu schaffen. Das hat auch den umstrittenen Effekt, dass Banken damit Kreditrisiken loswerden, letztendlich zu Lasten der EZB und somit mittelbar der Öffentlichen Hand. Scheitert diese Praxis der EZB, tragen letztendlich wieder die Steuerzahler (!) die Zeche, die als Sparer zudem eine weitere „Zinsenteignung“ durch die EZB-Aktivitäten hinnehmen müssen. Ökonomen und besonders die Finanzmärkte reagieren darauf geradezu euphorisch, ganz im Gegensatz zu den Sparern, die dazu wirklich keinen Grund haben (Sustala, L.: 2014k, S. 17). ABS stellen in Anleihen verpackte Forderungen der Banken an ihre Schuldner bzw. Kreditnehmer dar. Bei ABS handelt es sich um hoch komplexe Wertpapiere, denen Unternehmens-, Immobilien- oder Autokredite unterschiedlicher Risikoklassen von „sicher“ bis „ausfallgefährdet“ zu Grunde liegen (Internet: ABS). Das Ankaufprogramm der EZB, vorgestellt am 04.09.2014, soll die Banken veranlassen, solche ABS zu produzieren, als eine von mehreren Maßnahmen zur Ausweitung der Kreditnachfrage. Das ABS-Konstrukt ähnelt sehr den berüchtigten CDOs (Collateralized Debt Obligation), welche am Beginn des Ausbruches der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in den USA standen (Internet: Collateralized Debt Obliga­ tion / CDO). Käufer waren bei den CDOs durch deren Kompliziertheit, Intransparenz und das Versagen der Ratingagenturen durch Überbewertungen der Wertpapier (AAA-Einstufung von Ramsch-Papieren) zumeist überfordert, wurden in die Irre geführt und betrogen. Unzählige Investoren erlitten Vermögensverluste und gerieten vielfach in existentielle Schwierigkeiten. Vor diesem Hintergrund werden die ABSs teilweise sehr kritisch bewertet. Banken gaben bislang die enorm günstigen Zinssätze bei Kreditvergaben nicht weiter, sondern erhöhen sie durch überproportionale Aufschläge, und generierten damit sehr hohe Gewinne. Die Kreditvergabe an die Wirtschaft



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200767

und insbesondere an mittelgroße Unternehmungen – die, so die Lippenbekenntnisse von Politikern und Interessenvertretern, das Rückgrat der Wirtschaft bilden – erfolgt in der Praxis erfahrungsgemäß in viel zu geringem Ausmaß. So entstanden bedrohliche Kreditklemmen, beispielsweise für Investitionen, die Stärkung des Absatzes und der Beschäftigungsmöglichkeiten usw. Eigentlich müsste davon ausgegangen werden, dass solche Aktivitäten gerade in einer Krise besonders erwünscht sind und kein um Krisenbekämpfung bemühter Fachmann kann dem widersprechen. Dennoch gibt es diese wirtschaftlich nicht nachvollziehbare Kreditklemmen und das Geld gelangt viel zu wenig in die Realwirtschaft. Das Bankensystem macht sich das Geldverdienen häufig einfacher. Die dank Niedrigzinsen erhaltenen billigen Gelder werden gegen höhere Zinsen bei den Nationalbanken, der EZB oder anderen Einrichtungen angelegt, um ein zweites Mal aus der Zinsspanne Vorteile zu lukrieren. Dabei entsteht für Banken fallweise noch der zusätzliche Vorteil, ihre Eigenkapitalunterlegung bei Kreditvergaben zu verbessern bzw. leichter entsprechende gesetzliche Regeln zu erfüllen, die eine bestimmte Unterlegungsmindestquote der Banken vorschreiben. Das Bankensystem profitiert von diesen Vorgehensweisen glänzend. Verlierer und Zahler sind neben der Wirtschaft die sparenden Bürger, die regelmäßig bereits besteuertes Geld anlegen. Durch die Niedrigzinsregelung zu Gunsten der Banken bekommen sie nur geringe Haben-Zinsen oder entsprechende Zahlungen, die nochmals zu besteuern sind und danach häufig unter der laufenden inflationären Geldentwertung liegen. Ökonomisch ist das de facto eine stille Enteignung der sparenden Bürger. Sparer finanzieren mit enormen Beträgen und unfreiwillig einen Teil der Kosten der Krisenbewältigung und sponsern zwangsweise die Banken, d. h. die wahren Gewinner der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Das Bankensystem als essentieller Mitverursacher der Krise erhält für die skandalösen und mafiösen Misswirtschaften vieler Banken weit überhöhte direkte oder mittelbare Zuwendungen durch Staatsinterventionen und macht gute Gewinne. Die Bürger als Steuerzahler und besonders die Sparer, sind die geprellten Verlierer. Das ist ein massiver Verstoß gegen das berechtigte Gerechtigkeitsempfinden der geschädigten Bürger, und zwar durch eine in diesem Ausmaß weit überzogene Begünstigung des Bankensytems. Lukas Sustala, profunder Journalist bei der Tageszeitung Der Standard, Wien schilderte und bezifferte den Umfang der Schädigung der Sparer in Deutschland und Österreich zum Stand August 2013. Die EZB machte klar, dass der aktuelle Tiefstand des Leitzinses damals in Höhe von 0,5 Prozent „auf längere Zeit hinaus“ – so EZB-Präsident Mario Draghi – belassen oder noch weiter gesenkt wird, was in der Folge auch geschah, nämlich ab 04.09.2014 auf 0.05 %. „Die finanzielle Repression für viele Sparer geht daher weiter“, sagt Ansgar Belke (1965), Professor für Makroökonomie an

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1. Einführung Abbildung 1.4: Sparer-Frust und Schluss mit Sparen!

(Quelle: Der Standard, Wien vom 09. / 10.11.2013, S. 36)

der Universität Duisburg-Essen und Berater des Europaparlaments in geldpolitischen Fragen. Die deutschen Sparer wird das bis Ende 2014 geschätzte 35 Milliarden € kosten. Nach Daten der Österreichischen Nationalbank beträgt der Schaden der österreichischen Sparer bis zum gleichen Zeitpunkt etwa 5,8 Milliarden Euro, und zwar ohne Berücksichtigung der noch abzuführenden Kapitalertragsteuer von 25 Prozent (Sustala, L.: 2013a, S. 15). Bettina Pfluger, ebenfalls Journalistin beim Der Standard bestätigt die vorgenannten Verluste der Sparer und spricht von „kalter Enteignung“. Durch geringste Zinsen und die Inflationsrate der vergangenen 12 Monate (Oktober 2013) in Höhe von 2,8 % ist das nicht verwunderlich: Für täglich fällige Einlagen auf dem Sparbuch gibt es seit Jahren 0,125 % Zinsen, und zwar vor dem Abführen von 25 % KESt. Wer so noch spart, dem kann es nicht mehr ums Sparen gehen, sondern nur noch um größtmögliche Flexibilität (Pfluger, B.: 2013, S. 2). Folglich sank die Sparquote in Deutschland und Österreich im Jahr 2014 ständig (Herbst 2014). In den etwa 3 bis 4 Jahren seit dem Beginn der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, verloren Millionen Menschen auf der ganzen Welt ihre Häuser und Arbeitsplätze. In den USA traf das bislang etwa 7 Millionen Familien, und noch mehr Menschen beherrscht die Sorge und Angst, dass es ihnen ebenso ergehen kann, die Ersparnisse verloren sind, der Lebensabend finanziell ungesichert und die Ausbildung und Beschäftigung ihrer Kinder fraglich ist



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200769

usw. Binnen kurzer Zeit breitete sich die Krise von den USA kommend in der ganzen Welt aus. In China gingen in den ersten Jahren der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 allein 20 Millionen Arbeitsplätze verloren und viele Millionen Menschen verarmten. In Europa ist in den südlichen Ländern eine enorme Massenarbeitslosigkeit für junge Menschen eingetreten und hat den betroffenen Menschen den Blick auf ihre Zukunft verdüstert. Der neoliberale Traum wurde inzwischen zu einem weltweiten Alptraum. Das ist das wahre Ausmaß der Krise. Ein moralisches Skandalon, das weit über das Versagen der „Finanzindustrie“ hinausgeht. Josef Stiglitz bezeichnet im Vorwort seines bedeutenden Buches Im freien Fall. Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Wirtschaft, München 2011, S.  10 f. die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 als Große Rezession, die seit der 2. Wirtschaftskrise 1928–1932 eindeutig der schlimmste Abschwung seit der damaligen großen Depression ist. Der Glaube und die Versprechungen der modernen Volkswirtschaftslehre, durch Forcierung freier Märkte und die Globalisierung Erfolge ernten zu können, wurden erschüttert. Die Vorstellungen der zweiten Hälfte des vorherigen Jahrhunderts bis zum Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, man könne durch Deregulierungen und die praktizierten Finanzierungstechniken starken konjunkturellen Schwankungen ein Ende setzen, hat sich als großer Irrtum erwiesen. Stiglitz meint damit die neoliberal geprägte Volkswirtschaftslehre, hochgerühmt als New Economy dank ihrer versprochenen Segnungen durch Postulate und extrem verkürzte Dogmen, wie: freie und unbeschränkte Märkte, Selbstheilungskräfte der Wirtschaft bei gelegentlichen Fehlern, Einschränkung des Staates im Sinne des Nachtwächterstaates zur Erhaltung der Innovationskraft, Unabhängigkeit der Nationalbanken und Sicherung einer möglichst niederen Inflationsrate usw. Man hätte es besser wissen müssen. Die Bewältigung der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 wurde mit zwei grundsätzlichen Ansätzen erfolglos und erfolgreich bewältigt. In Deutschland vertraute man damals auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft, wie sie bis zum Beginn des 1. Weltkrieges 1914 galten und die Vorstellungen prägten. Danach war diese Form der Wirtschaftsordnung aber Vergangenheit. Dies nicht zu erkennen, führte zum Scheitern des damalige deutschen Reichskanzlers Heinrich Brüning mit seinen deflatorischen Sanierungsbemühungen, d. h. der Krise mittels einer Sparpolitik und der Sanierung des Öffentlichen Haushaltes beizukommen und das vergebliche Hoffen darauf, dass die Wirtschaft selbst die angestrebte Erholung bewerkstelligen würde. In den USA folgte man den Vorschlägen von John Maynard Keynes, nämlich durch Deficit Spending die Gesamtnachfrage anzukurbeln bzw. die Konjunktur zu beleben und damit die Krise zu überwinden. Diesen Vorstellungen folgte Präsident Franklin D. Roosevelt (1882–1945) in pragmatischer Art und Weise und war erfolgreich, und zwar im Gegensatz zu

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1. Einführung

seinem Vorgänger im Präsidentenamt, Herbert Hoover, der ähnlichen Vorstellungen wie Heinrich Brüning folgte und ebenfalls gescheitert war. Den Kern der Ideen der Neoliberalisten bilden, wie erwähnt, das Credo von den Segnungen durch die Deregulierung der Märkte und der Glaube an die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft im Falle eines Korrekturbedarfes. Gleichbedeutend damit weisen sie dem Staat die Rolle des Nachtwächterstaates zu. Kurzum: Die schon bei Bewältigung der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 in Deutschland falschen und in den USA richtigen Lösungsvorstellungen und -praktiken hätten genügen müssen, um mit Blick auf die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zu verstehen, dass der Neoliberalismus das falsche Konzept vertrat. Allein durch neoliberale Vorstellungen bewirkte spektakuläre Fehlentwicklungen in den USA und England, welche viele Jahre vor der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 erfolgten, war klar geworden, dass Deregulierungen, Privatisierungen von staatlichen Einrichtungen usw. untaugliche Rezepte waren und häufig nur einigen Glücksrittern die Taschen füllten. Es darf auf die entsprechenden detaillierteren Ausführungen an anderer Stelle der Ausarbeitung verwiesen werden. Ein Beispiel dennoch dazu: In den 1980er-Jahren hatte Margaret Thatcher (1925–2013), eine politisch führende Vertreterin des Neoliberalismus, nahezu alle ehemaligen Staatsbetriebe verkauft, mit Ausnahme der staatlichen Eisenbahnen und deren Schienennetz. In ihrem Manifest für die Unterhauswahlen 1992 verpflichtete Thatcher die Conservative Party die Eisenbahn zu privatisieren. Am 01.04.1993 wurde mit dem Railways Act 1993 British Rail in 100 verschiedene Unternehmen aufgeteilt und verkauft, meist an Busunternehmen; natürlich verbunden mit Regelungen, die einen geordneten Eisenbahnbetrieb sichern sollten. Die gewünschten und erhofften Erfolge traten nicht überall ein. Investitionen fielen oft kurzfristigem Profitdenken zum Opfer, es herrschte vielfach Inkompetenz, die Infrastruktur verkam, es passierten spektakuläre Unfälle, die Bahn kam in den Ruf unsicher zu sein usw. Der Bankrott musste 2002 erklärt werden. Nach etlichen Zwischenlösungen wurde mit dem Railway Act 2005 die Privatisierung der Eisenbahn rückgängig gemacht und wieder dem staatlichen Department of Transport übertragen (Internet: Britisch Rail). Die englische Bahnprivatisierung endete schließlich als ausgewachsener Misserfolg. In einem Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie es bei der Bahn in England zweifelsfrei der Fall war, aus neoliberalen Intentionen so erfolglos zu agieren und die durchaus vorhersehbare Möglichkeiten des potentiellen Scheiterns zu unterschätzen, ist rational ebenso wenig begründbar, wie der Neoliberalismus selbst. Solche Formen offenkundiger Irrationalität werden dem Scheine nach häufig „rationalisiert“, zum Beispiel mit dem plausibel anmutenden Argument der „Verschlankung des Staates“. Versteckte Irrationalität mag bei



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200771

ideologischen Fixierungen der politischen Taktik oder anderen Motiven nützlich erscheinen, ändert aber natürlich nicht die Notwendigkeit, gerade bei irrationalen Entscheidungsfaktoren ausreichend zu prüfen, welche normativen und wertgebundene Orientierungen zu beachten sind und dafür auch die persönliche Verantwortung zu übernehmen, sei es als Politiker oder sei es für jeden, der solche oder ähnliche Entscheidungen trifft. Erfolgt das nicht, steigt das Risiko chaotischer Folgen sehr wahrscheinlich stark an, wie auch das Negativbeispiel der Englischen Bahn und ihrer Privatisierung zeigt. Natürlich kann aus diesem Beispiel nicht der unsinnige Schluss gezogen werden, Privatisierungen seien prinzipiell falsch oder richtig (Internet: Privatisierung). Allein, die vielen erfolgreichen Sanierungen von bankrotten Staatsbetrieben, die in vielen Ländern durch Privatisierungen zu nachhaltig florierenden Unternehmen wurden, spricht dagegen. Fundierte Analysen, kluge Konzeptionen, zeitgemäße Personal- und Führungssysteme, hohe Kompetenzen auf den verschiedenen betrieblichen Funktionsebenen, Ausund Weiterbildung, Kreativität und Innovation, Flexibilität und Offenheit, kurzum eine gute Leistung und – last, not least – normative und wertgebundene Orientierungen hatten zu solchen realen Erfolgsgeschichten der Privatisierung geführt. Solche Ergebnisse sind nicht erreichbar mit stehen gebliebenen neoliberalen Ideologien, fehlender Humanität und unternehmerischer Egozentrik frühindustrieller Provenienz und Auswüchsen, die wohlgemerkt in krassem Widerspruch zu den Vorstellungen des Begründers der Klassik der Nationalökonomie, Adam Smith (1723–1790) stehen, der gerade gegenteiligen Intentionen folgte und in seinem vielfältigen öffentlichen Aufgaben hohe unternehmerische Tugenden praktizierte. Wer die frühe europäische Industriegeschichte kennt, weiß, dass sie nur durch differenzierte Betrachtungen und Analysen bewertet werden sollte, um nicht mehr oder minder stereotypen Fehlbeurteilungen zu unterliegen, sei es im negativen Sinn oder der positiven Beispiele von wirtschaftlich und sozial beispielgebenden Unternehmern und ihrer Betriebe. Es geht auch nicht um die Frage, ob Märkte und ein daran orientiertes Wirtschaften im Zentrum einer erfolgreichen nationalen oder internationalen Wirtschaft stehen. Natürlich tun sie das und die Ökonomie nach dem 2. Weltkrieg hat ab 1945 das so effizient gezeigt, dass die ehemaligen kommunistischen Staaten mittlerweile längst und großteils erfolgreich marktwirtschaftlichen Regeln folgen und ihre eigentlichen Probleme vielfach gerade darin bestehen, frühere Praktiken des Wirtschaftens bzw. alte „Hypotheken“ abzustreifen. An den ordnungspolitischen Forderungen der Deregulierung an die Politik und das Ideal des Nachtwächterstaates, wie es Vertreter neoliberaler

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1. Einführung

Markt-Vorstellungen sehr erfolgreich propagierten und vermutlich ihre Anhänger immer noch als ideologisches Credo beten, daran scheiden sich allerdings die Geister. Das galt bereits lange vor der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Gegenpositionen wurde allerdings viel zu wenig wirksam vertreten. Vieles geschah wider das bessere Wissen der Ökonomen, die viel zu oft schwiegen und lieber dem aufkommenden Mainstream dogmatisierender Neoliberalen nachgaben. Auf die von neoliberalen Ideen mitverursachten grausamen Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hätte die Welt gerne verzichtet. Die „scientific community“ der Ökonomen folgte in weitem Maße der Restauration des „Laisser-faire-Weltbilds“ der fehlinterpretierten „unsichtbaren Hand“ des Marktes (Adam Smith) nach neoliberalem Zuschnitt, die Finanzmärkte wurden dereguliert und die Anreizbedingungen unternehmerischer Tätigkeit verschoben, nämlich hin zu Finanzspekulationen zu Lasten der Realwirtschaft. Selbstreferentielle Geldvermehrungen verbunden mit Gier wurden immer mehr zum Selbstzweck. Diese Entwicklung begann lange vor dem Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Seit den 1990er Jahren nahmen Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu. Zur gleichen Zeit gingen die Aktienkurse nach oben, die Rohstoff- und Immobilienpreise stiegen und es baute sich ein Krisenpotential auf (Schulmeister, S.: 2013, S. 21). Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und die jüngsten Erfahrungen mit dem Neoliberalismus in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft einen Paradigmenwechsel erfordern. Das gilt auch für die Themenbereiche Führung und Motivation, die von neoliberalen Vorstellungen in vielerlei Hinsicht substantiell stark geprägt und äußerst nachteilig betroffen wurden. Der Neoliberalismus basiert auf dem alles dominierenden Postulat der individuellen Freiheit und nicht dem Gebot der sozialen Gebundenheit. Das führte in der Praxis zu wirtschaftlichem Egozentrismus und der Hintanstellung sozialer Werte. In der einseitigen Wertorientierung des Handelns des Individuums – aber auch durch neoliberal bestimmte Gruppen – kommt der Ausgleich zwischen marktwirtschaftlichen Kräften und den sozialen Ansprüchen der Menschen und insbesondere der Arbeitnehmer zu kurz und es ist kaum oder kein Platz für die moralisch gerechtfertigte Forderung eines sozialen Ausgleiches. Vielmehr gilt auch hier der unerschütterliche Glaube hartgesottener Neoliberaler an die Segnungen der Märkte im Sinne des Manchestertums (Internet: Manchesterliberalismus) und der Nichteinmischung bzw. Deregulierung des Staates. Der frühe Liberalismus hatte zeitgeschichtlich zur Sozialen Frage geführt, die vom Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert an bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200773

Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in zwei Lager spaltete, nämlich in liberale und sozialistische (Internet: Soziale Frage). Diese Strukturen sind bis heute noch in vielfacher Weise erkennbar und prägend (Parteien, Interessenvertretungen usw.). Die verheerenden Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 haben die alte Soziale Frage wieder dramatisch aktualisiert und in das Zentrum gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Auseinandersetzungen gerückt, d. h. die Gesellschaft und Wirtschaft haben sich mehr denn je mit einer Neuen Sozialen Frage auseinander zu setzen. Die Forderungen zur Erreichung eines besseren sozialen Ausgleiches sind unüberhörbar geworden und wieder stärker im Bewusstsein der Menschen und zahlreicher Gruppen verankert. In vielen Ländern gehen Menschen auf die Straßen und fordern massiv ihre vielfältigen Rechte ein. Die politisch verantwortlichen nationalen und internationalen Akteure können die vitalen und immer aggressiveren Bewegungen und ihre nur schwer beherrschbare Dynamik nicht mehr übersehen. Die Menschen kämpfen um ihre Existenz und Zukunft, und zwar für sich und ihre Kinder. Oft können sie nicht mehr viel verlieren, weil ihnen nur wenig geblieben ist. Die Bemühungen der Akteure zur Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 sind unbestritten und gewinnen auch an politisch-ökonomischer Kompetenz, aber bei den am schwersten geschädigten Menschen und ihren existentiellen Sorgen sind sie noch kaum angekommen (Ende 2014). Ganz im Gegenteil. Die von der Krise am stärksten Betroffenen spüren am schmerzhaftesten die harten Kuren der Krisenbewältigung. Steigende Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse, geringe Einkünfte, verlorener Besitz und Verlust der Ersparnisse, geschwundene Perspektiven und Hoffnungslosigkeit usw. Das bewirkte bei genauerem Hinsehen die stagnierenden Wirtschaften als Folge der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007: Das Diktat der leeren Kassen der Öffentlichen Hände, fehlende Investitionen, Versäumnisse in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Lehre, weit überzogene Subventionen für die „Finanzindustrie“, Sparen bei den Ärmsten und nach wie vor überbordende Bürokratien mit ungenutzten Einsparungspotentialen, die vielen schützenden Hände parteipolitischer Klientel-Politik zu Lasten der Gesellschaft usw. Daher wird es dringend notwendig sein, der entstandene Neuen Soziale Frage und ihrer Lösung – entgegen der bisherigen Praxis – höhere Priorität und Unmittelbarkeit im Rahmen der Krisenbewältigung für die davon am schlimmsten Betroffenen einzuräumen. Die EU wird zu Recht auch als Wertegemeinschaft verstanden und muss das auch praktizieren, und zwar auch im ureigensten Interesse, nämlich zur Sicherung ihrer Glaubwürdigkeit und Akzeptanz, des inneren Friedens, einer gedeihlichen Entwicklung und damit eines bestmöglichen Schutzes vor aufkommendem Radikalismus. Letzteres sollten wir aus den vergangenen 100 Jahre unserer Geschichte gelernt haben.

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1. Einführung

Mit der Sozialen Marktwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg wurde weltweit erstmals eine Konzeption gefunden und umgesetzt, die in weitem Maße die Soziale Frage löste und mit praktizierter Sozialpartnerschaft (Internet: Sozialpartnerschaft) im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus in Europa – mit verschiedenen national geprägten Varianten – zum Erfolgsmodell des Wiederaufbaues und allgemeinen Wohlstandes wurde. Mittlerweile drängen ehedem kommunistische Länder Europas, die sich auf dem Weg in eine freie Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur befinden, in die von der Sozialen Marktwirtschaft stark geprägte Europäische Union (EU). Es leitet sie dabei die Überzeugung, dort als Mitglied den „besten“ aller möglichen Plätze zu finden. Ob das Neoliberale in den USA schon voll begriffen haben, scheint zweifelhaft. Wie auch immer, eine zeitgemäße und gerechte Personal- und Führungsarbeit ist unter neoliberalem Panier nicht vorstellbar. Die etwa ab 1975 stärker werdenden neoliberalen Einflüsse in Europa haben vielmehr dazu geführt, dass die hohe Qualität der Personal- und Führungsarbeit, die sich bis dahin entwickelt hatte, vielfach praktiziert wurde und für die Gesellschaft sowie dies Wirtschaft erfolgreich war, sich bis zum Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und danach stetig und erheblich verschlechterte, um schließlich bei den katastrophalen Folgen der Krise zu landen. Ob der Tiefpunkt der Krise bereits überschritten wurde und die Krisenbewältigung im weiteren Maße bereits gelang, ist noch schwer bewertbar (Ende 2014). Genau darin liegen auch die entscheidenden Gründe, dass auch für die Führung und Motivation – also eine prospektive Personal-und Führungs­ arbeit – eine andere normative und wertgebundene Orientierung zu finden bzw. ein Paradigmenwechsel zu bewerkstelligen ist und davon das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen zukünftig wieder stärker bestimmt sein sollte. Die Aufgabe der vorliegenden Arbeit besteht u. a. darin, der Führung und Motivation im Kontext mit Wirtschaftskrisen, ökonomischen Zusammenhängen und Wechselwirkungen nachzugehen. Den drei behandelten Weltwirtschaftskrisen lagen jeweils Ideen, Konzepte und Verhaltensweisen zu Grunde, die unter den jeweiligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen wesentlich mitverantwortlich waren, dass es zu schweren und weltweiten Krisen mit regelmäßig verheerenden Folgen für Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und Menschen kam und die auch ihre Profiteure hatten, die ihrer Gier folgend zu Lasten der Geschädigten gut abschnitten. Dem stehen Systeme mit anderer normativer Orientierung und ethisch verantwortungsvollem Handeln gegenüber, denen es aus oft sehr schwierigen Situationen heraus möglich war, zum Nutzen der Menschen Not zu überwinden, Wohlstand zu erreichen und dabei den so­ zialen und fairen Ausgleich zu bewerkstelligen. Gemeint ist, wie schon angemerkt, damit vor allem das Konzept der – aktuell bezeichneten – Öko-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200775

sozialen Marktwirtschaft, die eine Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft ist. Die Umsetzung des Konzeptes ist sicher bislang nicht „vollkommen“ realisiert worden, aber es befindet sich auf einem guten, wenngleich auch schwierigen Weg. Man denke beispielsweise an die ökologischen Reformen im Bereich der Energiewirtschaft, aber auch andere offene Aufgabenstellungen, die mit wechselnden Inhalten wohl immer vorhanden sein werden, solange sich Gesellschaften, Politiken und Wirtschaften fortbewegen und weiter entwickeln. Es gelang aber mit dieser Konzeption doch in beispielgebender Art und Weise, gesellschaftlich, wirtschaftlich, sozial und kulturell in Europa erfolgreich zu sein und in Frieden zu leben. Aus einem Systemvergleich lässt sich erkennen, ob und welche Schlüsse daraus prospektiv gezogen werden können. Der Vergleich kann mit Hilfe von Modellen erfolgen oder wie es hier geschieht, indem an reale Entwicklungen angeknüpft wird, die mit Blick auf die Thematik der Arbeit analysiert und daraus Schlüsse und praktikable Folgerungen gezogen werden. Die Vorgehensweise hat den Vorteil der Wirklichkeitsnähe, verglichen mit modellorientierten Analysen und Bewertungen. Letztere beruhen zwangsläufig auf verkürzten Arbeitshypothesen, da es ihr Ziel u. a. ist, gesellschaftliche und ökonomische Analysen und Lösungsvarianten in vereinfachter Art und Weise darzustellen. Modelle wären hoffnungslos überfordert, würde erwartet, dass sie den komplexen und dynamischen Gegenstand ihrer Modellbildungen mit all ihren Wechselwirkungen und Entwicklungsmöglichkeiten realitätsnah abbilden müssten, um entsprechende Folgerungen wirklichkeitsnah zu ziehen. Ihre Aussagen stehen oder fallen bei angenommener Modellschlüssigkeit mit der tatsächlichen Sinnhaftigkeit der Arbeitshypothesen und entsprechenden erforderlichen Prognosen und deren Treffsicherheit. Die Komplexität und vor allem Dynamik gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und humaner Prozesse sind einmal derart groß und in ihrem Verlauf kaum seriös zu bewältigen und bilden damit zweitens auch keine tatsächlich tragfähige Basis zur Gewinnung ausreichend konkreter Schlüsse für bestmögliche Orientierungen, geschweige denn für konkrete, aktuelle und detaillierte Vorschläge im Sinne von Handlungsempfehlungen. Auch die Methode des Vergleiches, der Analyse und die Ziehung von Schlussfolgerungen mit Hilfe realer Entwicklungen hat ihre Grenzen, die ebenfalls im Erfassen, Deuten und Abschätzen zukünftiger hochkomplexer und dynamischer Entwicklungen liegen. 100 %-Aussagen sind bei beiden Methoden bestenfalls als psychischer Tick von unerbittlichen Apologeten zu tolerieren, aber nicht todernst zu nehmen. Es stehen Rationalität und Irrationalität bei Modellen zur Gestaltung der Gesellschaft, Politik und Ökonomie meist in starkem Gegensatz, wobei vergleichsweise die Bedeutung der Rationalität tendenziell überschätzt wird. Um chaotische Effekte der Irrationalität zu vermeiden und dennoch zu nütz-

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lichen Aussagen zu gelangen, ist es aber notwendig und praktikabel, der Irrationalität durch normative Orientierungen und Intentionen ihre Sinnhaftigkeit zu geben und dadurch das konkrete Handeln zu prägen und zu lenken. Darauf wurde an anderer Stelle dieser Arbeit bereits hingewiesen und bei realitätsbezogenen Kontexten damit oft die Forderung nach einem Paradigmenwechsel erhoben. Methodenunabhängig ist nicht vorstellbar, wie anders eine bestehende Irrationalität gehandhabt und bewältigt werden soll, wenn sinnvolle, zukunftsorientierte und essentielle Schlüsse zu ziehen sind, die eine solide und ethisch vertretbare Grundlage für ordnungspolitische, gesellschaftliche, ökonomische, soziale und kulturelle Konzeptionen bilden. Die extrem verkürzten, fehlinterpretierten und zweckentfremdeten Theorien der nationalökonomischen Klassik – besonders jene von Adam Smith (1723–1790), die diesen Missbrauch arg erleiden mussten – führten zu den Vorstellungen des Neoliberalismus und lösten sehr wesentlich die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mit all ihren grauenhaften Folgen aus. Darüber sollten Diskussionen verstärkt aufgenommen und dringend notwendige Anpassungsvorgänge unterstützt werden. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hat – wie die vorangegangenen Weltwirtschaftskrisen auch – die oft weit unterschätzte Macht der Ideen gezeigt, die gleichermaßen und offenkundig für gute und böse Ideen gilt. Eine prospektive und prophylaktische Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 erfordert daher auch eine breite, gründliche und wegweisende Auseinandersetzung mit den vorgenannten Problem- und Themenbereichen. Josef Stiglitz schildert präzise, wie die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 „gemacht“ wurde und von den USA ihren Ausgang nahm: „Auf dem USImmobilienmarkt hatte sich eine Spekulationsblase gebildet. Als diese Blase platzte und die Immobilienpreise, die bis dahin astronomische Höhen erreicht hatten, drastisch einbrachen, waren immer mehr Eigenheimbesitzer überschuldet. Mit ihren Eigenheimen verloren viele auch ihre lebenslangen Ersparnisse und ihre Zukunftsträume […] Das reichste Land der Erde lebte über seine Verhältnisse, und der konjunkturelle Höhenflug in den USA und auf der ganzen Welt war davon abhängig. Damit die Weltwirtschaft wuchs, musste der Konsum ständig steigen. Aber wie sollte das dauerhaft der Fall sein, wo doch die Einkommen vieler Amerikaner seit langem stagnierten? Die Amerikaner verfielen auf eine clevere Lösung: Sie verschuldeten sich und konsumierten so, als würde ihr Einkommen weiter steigen. Und sie verschuldeten sich ordentlich“ (Stiglitz, J.: 2011, S. 27 f.) Finanzschwache Amerikaner hatten eine negative Sparquote. Durch die rasant steigenden Hauspreise stiegen aber auch die Beleihungsmöglichkeiten der Immobilien. Es erfolgten aufgrund erwarteter Wertsteigerung der Immobilien zusätzliche Beleihungen (mortgage equity withdrawals). Der Konsumrausch ging also weiter. „Zwei Drittel bis drei Viertel der Wirtschaftsleistungen, also des BIP,



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200777

hingen mit den Immobiliensektor zusammen: dem Bau neuer Häuser, dem Kauf von Einrichtungsgütern oder der Beleihung alter Häuser, um Konsumausgaben zu finanzieren“ (Stiglitz, J.: 2011, S. 28). Die Blase musste über kurz oder lang platzen, was auch passierte. Die schlechtesten Hypothekarkredite, nämlich jene an Personen mit niederem Einkommen und schlechter Bonität, würden den Markt der Wohnimmobilien und die Banken in Mitleidenschaft ziehen, wenn deren Sicherheiten durch die beliehenen Häuser an Wert verlieren. Nun begann die USA-„Finanzindustrie“ großteils übergreifend, d. h. mafiös bzw. bandenmäßig zu reagieren, um schlagend werdende Risiken rechtzeitig zu vermeiden. Ihre Ausleihungen hatten die Banken weitgehend fremdfinanziert und dazu komplizierte Konstrukte geschaffen. Die zu schmal gewordene Besicherungsbasis brachte letztendlich das „Vertrauenskapital“ der Banken zum Schwinden und die fatale Entwicklung wurde zum Vorboten der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Andere Faktoren und Schwächen der US-Wirtschaft wirkten dabei verstärkend. Die Finanzwirtschaft der USA trug über ihre Fehler mit den erwähnten Hypothekarkrediten hinaus generell zum finanzwirtschaftlichen Desaster dadurch entscheidend bei, da sie in weitem Maße ihre ureigensten Aufgaben gegenüber der Gesellschaft und Wirtschaft denaturierten. „Amerikas Finanzmärkte hatten ihre zentralen Funktionen – effiziente Risikoabsicherung, Kapitalzuteilung, Mobilisierung der Ersparnisse bei möglichst niedrigen Transaktionskosten – nicht erfüllt. Stattdessen hatten sie Risiken geschaffen, Kapital fehlgeleitet und eine übermäßige Verschuldung gefördert, während sie hohe Transaktionskosten auferlegten. Als die aufgeblähten Finanzmärkte in den Jahren vor der Krise ihren Höchststand erreichten, entfielen 40 Prozent der Unternehmensgewinne auf diesen Sektor. […] Der „Markt“ hat die Ausfallrisiken von zweitklassigen Hypotheken völlig falsch eingeschätzt, und ein noch gravierenderer Fehler unterlief ihm, als sie die zweitklassigen Hypotheken in neue Produkte umwandelten und diesen neuen Produkten den höchsten Bonitätsgrad zuerkannten. […] Falls es zu Schwierigkeiten käme, so glaubten sie, würde die US-Notenbank und das Finanzministerium ihnen schon aus der Klemme helfen, und sie hatten recht. […] Die traurige Wahrheit ist, dass Innovationen auf den amerikanischen Finanzmärkten darauf abzielten, Rechtsvorschriften und Bilanzierungsgrundsätze zu umgehen und Steuern zu sparen. Sie entwickelten Produkte, die so kompliziert waren, dass sie sowohl die Risiken als auch die Informationsasymmetrien erhöhten. […] Gleichzeitig haben die Finanzmärkte keine Innovationen hervorgebracht, die gewöhnlichen Bürgern bei der einfachen Aufgabe, das Risiko des Immobilienerwerbs effizient abzusichern, geholfen hätte.“ (Stiglitz, J.: 2011, S. 34 f.).

Das war, wie gesagt, bandenmäßiger Betrug zu Lasten der Gesellschaft und Wirtschaft, vor allem aber an Millionen von Menschen. Systemfehler der amerikanischen Finanzwirtschaft, wie das Versagen der US-Notenbank (FED) und von Aufsichtsbehörden, die dominierenden neo-

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liberalen Verteidiger der Deregulierung der Märkte und der Nachtwächterrolle des Staates, die Inkompetenz, Raffgier und Klüngelwirtschaft mehr oder weniger korrumpierter und gut honorierter Ratingagenturen, verbreitete Inkompetenz gepaart mit Ignoranz, menschlichem und rechtlichem Fehlverhalten – all das führte zur Krise. Aber auch gravierende Fehler der US-Regierung hatten Schuld an dem verheerenden Konglomerat an Fehlern, das die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mitverursachte. Es waren und sind Menschen, die das Unheil und dessen grauenhafte Folgen durch ihr Verhalten und Handeln über die Welt brachten und auch zu verantworten haben. Realistische Bewertungen zeigen, dass die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 kausal eine moralische Krise war und ist. Paul Krugman sah die kurz geschilderte Phase der Entstehung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bei seiner Analyse sehr ähnlich wie Josef Stiglitz, d. h. die beiden bedeutendsten wissenschaftlichen Experten und Interpreten der Krise stimmen in weitestem Maße überein und ergänzen sich. Trotz der schlechten Erfahrungen der Amerikaner mit Aktien während der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932, die ebenfalls von den USA ihren Ausgang nahm, und besonders auch spätere Aktienverluste in den Jahren 1968–1978 mit jährlichen Verlusten von etwa 7 %, waren den Amerikanern durchaus bewusst. Danach waren Aktien wieder sehr gute Anlagen, damit interessant und wurden quasi zu Selbstläufern, aber verknüpft mit der potentiellen Gefahr zur Blasenbildung. Solche Entwicklungen und neue, scheinbar attraktive und mit Hochdruckmethoden verkaufte Produkte der Finanzwirtschaft bauten auf dieser positiven Stimmung erfolgreich auf. Die Finanzwirtschaft suchte und realisierte gewinnträchtige Geschäfte. Der bedeutsame Immobiliensektor bot sich hierfür an; auch deshalb, da niedrige Hypothekarzinsen zeitweilig eine gute Lock- und Einstiegsmöglichkeiten boten, die nunmehrigen Konstrukte sich weniger als bei früheren Hypothekarkredite an strenge Regeln und Gestaltungen hielten und schließlich so komplexe Gebilde konzipiert wurden, dass sie kaum durchschaubar waren. Steigende Häuserpreise boten formelle, aber nur auf Papier bestehende Besicherungsvolumen an und somit Ansatzpunkte für die von den Kreditgebern angestrebten Geschäfte, die durch die Möglichkeiten späterer Zinserhöhungen und satte Transaktionskosten, wie Gebühren, Provisionen und Boni beste Gewinne und Vergütungsmöglichkeiten der Finanzwirtschaft versprachen. Diese Praxis zielte nicht nur auf die „Subprime-Kreditnehmer“, also wie der Name schon sagt auf eine bonitätsmäßig zweitklassige Klientel mit geringen Vermögensreserven, niedrigen Einkommen und der Gefahr, dass sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können. Natürlich wurden auch solventere Hausbesitzer gesucht und gefunden, welche die Taktiken der Banken ebenso wenig durchschauten bzw. ignorierten. Die scheinbar leichte Art der Geldvermehrung und ihre hemmungslose Vermarktung durch



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200779

die Kreditgeber tat dabei mit den Angeboten der Eigenkapitaldarlehen – „Home Equity Loan“ – dabei das ihrige, um das Geschäft auf schwungvollste Art zu betreiben. Bankaufsichtsmöglichkeiten gegen dieses Treiben wurden so umgangen, dass die Hypothekarkredite „verbrieft“ wurden und daher in den eigenen Büchern nicht mehr aufschienen, d. h. viele solcher „zweitklassigen“ Hypotheken wurden zusammengefasst und die Anleger bzw. Käufer solcher neugeschaffener „Wertpapiere“ kauften Anteile (Tranchen) an diesen Collateralized Dept Obligation, CDO genannt. Etwas besser besicherte CDOs fungierten als Senior-Tranchen mit erstrangigem Anspruch der Bedienung im Fall ihrer Einlösung vor den „zweitklassigen“ CDOs. Ratingagenturen machten diese CDOs zu hochrangigen AAA-Wertpapieren, auch wenn die ihnen zugrunde liegenden Hypotheken sehr oft höchst du­bios waren. Auch institutionelle Anleger, wie z. B. Pensionsfonds, kauften diese CDOs, da sie vergleichsweise gute Erträge abwarfen. Solange die Haus­ preise stiegen funktionierte das Geschäft. Als diese Preise ihre rasante Talfahrt begannen und die entstandene Blase platzte, war das Ende der Illusion der wunderbaren Geldvermehrung eingeleitet. Der damalige Chef der FED, Ben Bernanke, ebenso Vertreter der US-Regierung, meinten noch 2006 – als die Blase begann sich aufzublähen, was dann immer rascher vor sich ging – die Folge der Häuserpleite sei durchaus beherrschbar. Frühere Erfahrungen mit „Blasen“ hätten eine Warnung sein müssen (Krugman, P.: 2009, S. 173– 177). Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) wurde wegen Manipulationen durch zu optimistische Ratings vor dem Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 im Februar 2013 durch die US-Regierung und mehrere US-Staaten geklagt. S&P will nun (Anfang 2015) den Streit durch eine Milliardenzahlung beilegen. Riskante Wertpapiere wurden mit zu guten Bonitätsnoten versehen und S&P hat davon selbst profitiert. Ratingagenturen sind in der Krise in Verruf geraten. Ihre Marktmacht war groß und 3 Agenturen beherrschten zu fast 95 % den Markt (S&P; Moody’s; Fitch). Hinter den Agenturen steckten ökonomische Interessen. Warren Buffett hält beispielsweise knapp 12 % an Moody’s. Die Arbeit der Ratingagenturen gilt als intransparent und es erscheint unklar, wie die „Noten“ zustande kommen (Der Standard, Wien vom 15.01.2015x). Die Entwicklung der abenteuerlichen Praktiken des gewinn-, provisionsund bonusgierigen US-Bankensystems bis hin zu seinem Zusammenbruch, war eine zutiefst amoralische Horrorgeschichte: Abwendung und egozentrische Ignoranz des Systems gegenüber den gesellschafts- und wirtschaftspolitischen, gesamt- und einzelwirtschaftlichen Aufgabenstellungen und Erwartungen ihrer Geschäftspartner, der Politik und Öffentlichkeit. – Massive Schädigung großer Teile der Bevölkerung und der Wirtschaft und die Auslösung einer weltweiten Wirtschaftskrise mit schwersten und langjährigen

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Folgen etc. – Herbeiführung der Änderungen der notwendigen, aber weitgehend abgeschüttelten Rahmenbedingungen für das Bankwesen und die Finanzwirtschaft in den USA im Sinne des Bankensystems. Frühere und strengere gesetzliche Regelungen wurden gelockert oder aufgegeben. Ansonsten hätten ja die Kasinomentalitäten und -praktiken der „Finanzindustrie“ nicht Platz greifen können. Dennoch verbliebene Aufsichtsfunktionen verschiedener öffentlicher Aufsichtsinstitutionen wurden durch die dort Verantwortlichen lax oder überhaupt nicht ausgeübt, obwohl man wusste wohin die Reise letztendlich gehen könnte, was schließlich auch prompt passierte. Gleichzeitig bestanden staatliche Regelungen zur Einlagensicherung, die das Risiko für Banken stark reduzierten und auf deren Hilfe das System spekulierte. Die Spekulation ging für die Banken glänzend auf. Sei es ab Beginn der Entwicklungen bis hin zu den bitteren Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Nach dem erfolgtem Debakel der maroden Finanzindustrie ging die öffentliche Hilfe weiter. Es galt als wirtschaftspolitisch opportun, der Finanzwirtschaft und dem Bankensystem mit immensen öffentlichen Mitteln wieder auf die Beine zu helfen. Die Hoffnungen auf Besserung halten sich international in Grenzen, wie ein Beispiel zu den viel kritisierten Bonus-Praktiken der Banken zeigt, das auch den europäischen Raum betrifft. Um ein Signal gegen das Ausufern von Managergehältern bei Banken zu setzen, hat das EU-Parlament mit großer Mehrheit am 16.04.2013 einen Beschluss gefasst, dass ab 01.01.2014 die begehrten Sonderzahlungen in Bonusform zu deckeln bzw. zu begrenzen sind (Internet: Bonusregelung für Banken). Wie reagiert die Branche? Die Finanzinstitute wollten daraufhin die Fixgehälter der betroffenen Mitarbeiter erhöhen! Experten warnen vor diesem Schritt, den etwa 25 % der Banken in Europa noch im Jahr 2013 zu setzen beabsichtigten. Der variable und von Leistungsergebnissen abhängige Bonus-Bezug mutiert damit zu einem Fix-Bezug, wird also ein sicherer Gehaltbestandteil. Arrogant und unverfroren drehen die Banken die Intentionen des Beschlusses des EU-Parlaments ins Gegenteil um. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ist der Ansicht, dass eine Deckelung der Managersaläre die Wettbewerbsfähigkeit der Finanzinstitute nicht berührt. Weltweit beabsichtigen 57 % der Finanzinstitute generell ihren Mitarbeitern mehr zu bezahlen, und zwar mit der Begründung, es würde ansonsten zu einer Abwanderung des Spitzenpersonals kommen, vermutlich auch der Spitzengauner, die für satte Gewinne der Banken sorgen. 75 % von 78 befragten Finanzdienstleitern arbeiten an der Entwicklung „kreativer Vergütungsmodelle“, wobei von den 75 % der Unternehmen 89 % davon ausgehen, dass Verbesserungen zu nicht monetären Leistungen für die Mitarbeiter werden. Von der Finanzmetropole London wird mitgeteilt, dass zwei Drittel der Finanzdienstleister die Gehälter ihrer



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200781

Mitarbeiter im Schnitt um 20 % erhöhen, und zwar bevor die Bonusgrenze der EU in Kraft tritt. Kurzum, die Welt steckt mitten in der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, die vom neoliberalen Missmanagement des Bankensystem ausging, die Wirtschaft nahe an den Abgrund führte und den Steuerbürgern unsägliche Lasten zu Gunsten der Banken aufbürdete, Millionen von Menschen um Haus, Brot und ihre Zukunft brachten und die hemmungslose Gier und Zocker-Mentalität des mafiösen Systems blüht, als wäre nichts geschehen. Diese moralische Krise durch einen Paradigmenwechsel zu überwinden, werden Herkulesarbeiten der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft sein. Scheitern sie, ist die nächste Krise gewiss, ebenso wie das Grauen vor ihren Konsequenzen (Kainrath, V.: 2013, S. 19). Ob gewollt oder ungewollt, Politik, FED, Aufsichtseinrichtungen, Einlagensicherung, andere öffentliche und private Einrichtungen der USA wurden zu Komplizen des Bankensystems, wobei der Motive-Mix der Quasi-Mittäter bunt gemischt war: Neoliberale Dogmatik mit den Postulaten Freiheit des Individuums und daher der Märkte, Deregulierung, Ideal des Nachtwächterstaates und Glaube an die Selbstheilungskräfte bei Fehlern der Wirtschaft. – Inkompetenz, taktisches Lavieren, Sorg- und Verantwortungslosigkeit. – Vermeintliche Pragmatik auf Kosten der Steuerbürger der USA, in Europa und anderen Ländern. – Subalternität versus Mut zum aufrechten Gang. – Lobbyismus-Hörigkeit, Inkompetenz und erschreckende Verantwortungslosigkeit der Politik und öffentlicher Stellen. – Fehlen eines kritisch-konstruktiven und wirksam korrigierenden Engagements und Einsatzes aus Forschung und Wissenschaft, Experten, Beratern, Journalisten, der Zivilgesellschaft usw., statt geistigem Ausverkauf, Anbiederei und Mitläufertum. – Korrupte Machenschaften in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, öffentlichen Einrichtungen, Interessenvertretungen usw. – Toleranz bis Akzeptanz hemmungsloser materieller Gier und Skrupellosigkeit in der Gesellschaft statt gebotener Gegenwehr der nachteilig Betroffenen, aber auch der Allgemeinheit. Entstandene Verluste in kaum vorstellbarer Höhe wurden durch öffentliche Einrichtungen abgefangen. Zum Zeitpunkt Juli 2013 haben die großen Geldhäuser Amerikas 2040 Milliarden Dollar an Wert gewonnen und somit fast die Vorkrisenrekordwerte erreicht. Der Wert des US-Finanzsektors der USA beträgt aktuell wieder 2700 Milliarden Dollar. Die FED hat mit lockerer Geldpolitik dabei kräftig geholfen, wie Niedrigzinsen, umfangreichen Käufen von Wertpapiern und zahlte gute Zinsen auf die Überschussreserven der Banken, die bei der FED angelegt wurden. Im ersten Quartal 2013 haben die Geldhäuser 40 Milliarden Dollar verdient. Besonders hohe Gewinne fielen bei den Investmentbanken an. Der Finanzsektor könnte wieder zur

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Nummer eins der US-Wirtschaft aufsteigen, er macht bereits mehr als ein Sechstel des Börsenwerts der amerikanischen Unternehmen aus. Das zweite Quartal 2013 dürfte noch besser werden. Dennoch, ob die Banken für eine mögliche weitere Krise ausreichend gewappnet sind, bezweifeln einige Vertreter der öffentlichen Einlagesicherung. Die USA sprinten, Europa lahmt, so der Kommentar (Sustala, L.: 2013b, S. 15). Auch im Jahr 2014 setzte sich die Krisenbewältigung in den USA besser fort als in Europa, was sich auch in einem günstigeren Konjunkturverlauf zeigte. Die EU-Finanzwirtschaft steckt im gleichen Zeitraum noch tief in substantiellen und strukturellen Schwierigkeiten. Guntram B. Wolff (1975), Experte der Finanzwirtschaft mit Schwerpunkt EU, vertritt die Ansicht, die EU braucht eine Bankenunion zur Verbesserung der Finanzwirtschaft innerhalb der EU. Damit könnte verhindert werden, dass sich die Finanzprobleme von Staaten und Banken gegenseitig aufschaukeln. Es könnte ein europäisches Bankensystem entstehen und bislang nationale Banken wären potentiell imstande, funktionell besser tätig zu werden, um auch als europäische Banken zu agieren. In der Eurozone herrscht derzeit eine Fragmentierung der nationalen Banken in deren eigener Situierung vor, aber auch hinsichtlich der Rahmenbedingungen, die beispielsweise Investoren verunsichern kann. Ziel ist somit, einheitliche Standards und in der EU eine besser abgestimmte Finanz- und Wirtschaftspolitik zu haben (Wolff, G. B.: 2013, S. 2). Die Strategie der Bankenunion wurde mittlerweile eigeleitet und teilweise auch entsprechende Weichenstellungen auf EU-Ebene getroffen. Zum Jahresende 2013 trafen unter Führung von Deutschland die 18 Finanzminister des Euroraumes die grundsätzlichen Beschlüsse zur Errichtung der ersten Bankenunion, um das System der europäischen Währung zu stärken. Das EU-Parlament hat hierbei volles Mitentscheidungsrecht und traf noch vor den Europa-Wahlen im Mai 2014 die notwendigen Gesetzesbeschlüsse. Die Bankenunion könnte bis zum Herbst 2014 stehen. Das „System“ ruht auf drei Säulen: Bankenaufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB). – Regelwerk zur Abwicklung maroder Institute. – Einlagensicherung der Sparer durch einen von Banken zu speisenden Fond für die Abwicklung und Einlagensicherung, der in zehn Jahren aufzubauen ist. Eine politische Schwachstelle der gegenwärtigen Konzeption der Bankenunion liegt im nationalen Letztentscheidungsrecht über die Abwicklung eines Institutes, welches jedoch grenzenlos tätig sein kann. Eine EU-weite zentrale Entscheidung scheiterte einmal aus verfassungsrechtlichen Gründen am Grundgesetz von Deutschland. Zweitens sollte dadurch aus deutscher Sicht auch verhindert werden, dass auch nur geringste Mittel zur Bankenrestrukturierung nach Brüssel fließen, ohne dass Deutschland selbst deren Verwendung bestimmen kann. Diese Vorbehalte könnten Abwicklungsverfahren erschweren und relativieren die Substanz des Begriffes der Bankenunion, die ansonsten



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200783

in der EU länderübergreifend wirksam werden soll. Deutschland wollte aber aus früheren negativen Erfahrungen sichern, dass Eurohilfen für Staaten und solche für Banken klar getrennt werden, um u. a. zu gewährleisten, dass bei Bankenabwicklungen private Gläubiger und Anteilseigner zuerst haften müssen (Mayer, Th.: 2013, S. 36). Die Bankenunion sieht, wie schon erwähnt, bei der EZB eine Bankenaufsicht vor, welche die 130 größten Bankengruppen der EU direkt überwacht. Die etwa 5800 weiteren Banken innerhalb der EU unterliegen der jeweiligen nationalen Aufsicht, wobei erreicht werden soll, dass die Strenge der Aufsicht ein möglichst durchgehendes Niveau gewährleistet. Dabei wird eine der zu beantwortenden Kernfrage sein, ob eine Bank lebensfähig, jedoch unterkapitalisiert ist und daher höhere Kapitalanforderungen aufzuerlegen sind oder eine nicht zu rettende Bank der Abwicklungsbehörde zu übergeben ist. Das Verfahren hat allerdings einen Pferdefuß: Die EZB will eine zentrale Abwicklungsbehörde mit uneingeschränkten Kompetenzen haben. Die 18 Fi­ nanzminister des Euroraumes wollen hingegen, dass nationale Behörden im Falle der Abwicklung einer Bank darüber entscheiden. Das kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Abwicklungsfälle von Banken müssen in kürzester Frist entschieden werden, um beispielsweise einen Banken-Run zu verhindern. Mit einem dezentralen Entscheidungsnetzwerk von 18 Aufsichtsbehörden und mit 18 nationalen Rettungsfonds ist das sicher nicht machbar und daher ein suboptimaler Lösungsansatz. Er macht aber auch deshalb wenig Sinn, da zumindest die größeren insolvenzgefährdeten Banken grenzüberschreitend im Binnenmark der EU tätig sind und sich damit die Frage nach der ökonomischen Legitimation der Entscheidungskompetenz einer nationalen Aufsichtsbehörde innerhalb einer EU-weit angestrebten Bankenunion stellt. Von Fachleuten wird die Bankenunion nach der Euroeinführung als das wichtigste Integrationsprojekt der EU bewertet. Durch die Bankenunion wird u. a. als eine der essentiellen Aufgaben eine wirksame Finanzmarktregulierung im Euroraum verfolgt, zu der auch die zu integrierende Bankenaufsicht zählt. Durch die hochkomplexen und verknüpften Aufgabenstellungen sind ganzheitlich gestaltete Vorgehensweisen für optimale Funktionserfüllungen unerlässlich und diese daher auf europäischer Ebene anzusiedeln. Dem muss die von Deutschland verlangte Forderung der nationalen Letztentscheidung über Mittelverwendungen in Brüssel für ­Bankenrestrukturierungen nicht zwangsläufig entgegenstehen (Asmussen, J., Szigetvari, A.: 2013, S. 23). Dennoch kann nicht übersehen werden, dass die machtpolitischen Zwänge in der Realität bedeuten können, dass nationale statt übergreifende zentrale Entscheidungen erfolgen (s. a.: Szigetvari, A.: 2013e, S. 36; s. a.: Internet: Bankenunion, Punkt 1. und 2.). Im letzteren Fall haben primär Aktionäre und Gläubiger für die Lasten einer Bankinsolvenz

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aufzukommen, und zwar bis zu einer Höhe von 8 % der Bilanzsumme der Bank. Soweit erforderlich hätte dann der angestrebte Bankenabwicklungsfond (Internet: Bankenabwicklungsfond) weitere Lasten zu übernehmen. Sollte das nicht ausreichen, könnten schließlich auch öffentliche Mittel eingesetzt werden. Dadurch soll insgesamt die Inanspruchnahme der Steuerzahler möglichst verringert werden. Die zu verfolgenden Vorgehensweisen hat man aus der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 gelernt, bei der das enorm gravierende „Too big to fail“-Problem des Bank- und Finanzsystems in einer nur schwer oder überhaupt nicht nachvollziehbaren Art und Weise so „gelöst“ wurde, dass mit öffentlichen Geldern der Steuerzahler die Bankinstitute vollgepumpt wurden und aus den Krisenverursachern oft Krisengewinner wurden. Der bekannte Harvard-Professor und bis 2003 Chefökonom des Interna­ tionalen Währungsfond (IWF), Washington D.C., Kenneth S. Rogoff (1953), geht – wie viele Experten – sehr viel weiter – belässt es also nicht nur beim Projekt „Bankenunion“ – und ist überzeugt, dass größere Schuldenschnitte in der Eurozone erforderlich sind. Die Arbeitslosigkeit und die sozialen Spannungen seien zu groß als das man „zehn oder 15 Jahre warten kann, bis sich die Lage verbessert“. Nachhaltiges Wachstum sei ohne Abschreiben der riesigen Bank- und Staatsschulden ein unerfüllbarer Traum und schlägt folgendes vor: Schaffung einer echten Fiskalunion für die Eurozone, Eurobonds, gemeinsames Budget, europäische Arbeitslosenversicherung und wechselseitige Haftungen für die Banken, so seine konzeptionellen Eckpunkte. Kenneth S. Rogoff glaubt nicht, dass die Ankündigung seitens der EZB über den Ankauf von Staatsanleihen von Schuldnerländern schon eine finanzielle Stabilisierung der Eurozone ist oder tatsächlich erreichen wird. Der IWF stützt diese Bewertungen mit dem Hinweis auf die fundamentale Tatsache des enormen Umfanges von Problemkrediten der Banken und deren löchrigen Bilanzen, die folglich zu schwache Kreditvergaben an die Wirtschaft bewirken und mit der vielfach herrschenden Konjunkturflaute und der Notwendigkeit deren Belebung des Wachstums in der Eurozone nicht vereinbar sind (Schnauder, A.: 2013c; s. a.: Sustala, L.: 2013h, S. 15), ganz zu schweigen davon, mit welchen übergreifenden Kompetenzen und tatsächlicher Durchsetzungskraft die angestrebte Bankenunion der EU realisierbar ist. Die Erbsünde der EU wird auch in der Finanzwirtschaft offenkundig, nämlich dass man eine EU schuf, um gemeinsam schlagkräftiger und effizienter zu werden, aber zu Beginn versäumte, für die Gemeinsamkeiten auf EU-Ebene die mentalitätsmäßigen, politischen und instrumentellen Voraussetzungen aufzubauen. Die EU selbst hat zu wenig verhindert, dass nationales und europäisches Denken in Widerspruch gerät, dadurch permanent Konflikte entstehen, die europäische Gestaltungskraft geschwächt wird und



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wirksame Mechanismen für konstruktive und prospektive Konfliktlösungen weitgehend fehlen. Vermutlich leiden nicht gerade wenig EU-Politiker an der Angst vor der eigenen Courage, lavieren und werden ihren Überzeugungen untreu. Auch deshalb sollte der EU-Parlamentarismus gestärkt werden. In Brüssel pflegen Politiker nach Bedarf die Rolle des Europäers und im eigenen Heimatland die des Nationalisten, um es einmal schwarz-weiß zu sagen, statt mit dem realistischeren grau. Eine Schizophrenie, die letztendlich zu suboptimalen Lösungen führt und weder das Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen hilft, noch gute und nachhaltige Lösungen auf nationaler wie europäischer Ebene sowie kontinuierlichere Entwicklungen schafft. Mit diesen immer noch bestehenden Mängeln der Erbsünde wird die EU nahezu in allen ihren Betätigungsbereichen weit unter ihrem Wert geschlagen und die „Idee Europa“ ihrer Faszination beraubt und gegen Hahnenkämpfe, Bürokratismus, Krämerei, Bevormundung usw. eingetauscht. Überzeugten und engagierten europäischen Bürgern tut das geradezu weh, manche werden – noch schlimmer – entmutigt. In Europa entstand die alte Idee der Subsidiarität (Internet: Subsidiaritätsprinzip), die im 16. Jahrhundert erstmals formuliert wurde und heute gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich und sozial als Maxime und Konzept verstanden wird. Sie dient den Zwecken der Entfaltung individueller Fähigkeiten, der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Nur dann, wenn dem Einzelnen, kleinen und großen Gruppen, privaten oder öffentlichen Einrichtungen und Institutionen es bei Aufgaben, Handlungen und Problemlösungen nicht oder nur sehr schwer möglich ist, solche zu erfüllen, sollen vorgelagerte Stellen oder Einrichtungen subsidiär Funktionen unterstützen oder übernehmen. Über die Enzyklika Rerum novarum von Papst Leo XIII., verkündet 1891, floss das Subsidiaritätsprinzip in die Katholische Soziallehre und in der Folge in das Konzept des Ordoliberalismus der Freiburger Schule (Walter Eucken, 1891–1950) ein, der zur Grundlage der Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft wurde. Auch spätere Enzykliken betonten die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, interpretierten und passten es damit auch neuen Erfordernissen an. Nach dem 2. Weltkrieg fand es somit Eingang in die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft und die sich daraus weiterentwickelte Ökosoziale Marktwirtschaft, welche zur Erfolgsgeschichte des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaues und des Wohlstandes nach dem 2. Weltkrieg wurden. In föderal aufgebauten Ländern hat sich die Subsidiarität sehr weitgehend als ethisches, organisatorisches und gestalterisches Prinzip bewährt, um das Zusammenspiel zwischen Bundesstaat, seinen Ländern und deren Gemeinden zu regeln. Natürlich können dadurch nicht alle auftretenden Spannungen und unterschied­ lichen Interessenlagen zwischen den beteiligten Gebietskörperschaften und anderen Dritten verhindert werden, was auch gar nicht der Zweck der

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Subsidiarität ist und auch nicht sein sollte, da eine demokratische Gesellschaft naturgemäß ihrem Wesen nach durch Auseinandersetzungen, Diskussionen und demokratische Entscheide bestimmt ist. Das Subsidiaritätsprinzip schafft jedoch zeitgemäße, verbindliche und bewährte Spielregeln. In der Enzyklika Deus caritas est von Papst Benedikt XVI (2005) findet das Prinzip eine moderne und politisch relevante Formulierung: „Nicht den alles regelnden und beherrschenden Staat brauchen wir, sondern den Staat, der entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip großzügig die Initiativen anerkennt und unterstützt, die aus den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften aufsteigen und Spontaneität mit Nähe zu den hilfsbedürftigen Menschen verbinden.“

Das wäre konzeptionell auch für die EU nicht neu. Im Vertrag von Maastricht über die Europäische Union (EUV), der am 07.02.1992 unterzeichnet wurde und den größten Schritt zur europäischen Integration darstellte, wurde das Prinzip der Subsidiarität in Art. 5 (Präambel) des Vertrages festgeschrieben und die entsprechende Regelung des EWG-Vertrages von Rom (1957) genauer gefasst. Der maßgebliche und die hervorragende begriffliche Formulierung des Textes des EUV lautet: „In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.“

Nach dem Lissaboner Vertrag, der am 01.12.2009 in Kraft trat, wurden den nationalen Parlamenten der EU die Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips in Art. 12 lit. b) überantwortet, der Artikel lautet wie folgt: „Die nationalen Parlamente tragen aktiv zur guten Arbeitsweise der Union bei, indem sie … b) dafür sorgen, dass der Grundsatz der Subsidiarität gemäß den in dem Protokoll über die Anwendung der Grund‑sätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit vorgesehenen Verfahren beachtet wird“ (Internet: Subsidiaritätsprinzip; Vertrag von Maastricht, 1992; Lissaboner Vertrag, 2009).

Kurzum: Die rechtlichen Voraussetzungen der EU für eine erforderliche gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik – auch zum Zweck der Krisenvorsorge – sind weitestgehend gegeben und nach subsidiären Regeln könnte man längst erfolgreicher sein, und zwar zum Nutzen der gesamten EU, wenn man es nur tatsächlich ernsthaft genug wollte. Wenig dafür zu tun scheint gegenwärtig noch die einfachere Lösung der EU-Politiker zu sein. Ausbaden müssen es wie stets allerdings die EU-Bürger durch hohe Krisenschäden und unvorstellbare Schulden aus der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, für die sie als Steuerzahler ebenso wie ihre Kinder Gelder berappen müssen, die an anderen Stellen der EU oder anderswo dringend nötig wären. Wie oft wurde schon bei EU-Problemen – auch bei der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 – durch Politiker und hohe EU-Repräsentanten darauf



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hingewiesen, dass einmal durch den Mangel und die Folgen der genannten Erbsünde der EU suboptimale Lösungen verursacht oder Lösungen gänzlich verhindert wurden und zweitens es daher unbedingt und zügig erforderlich sei, diese Mängel endlich zu beheben. Die intentionalen Orientierungen wurden – wie kurz gezeigt – auch längst in verbindliche und Bereiche übergreifende EU-Regelungen gegossen. Es ist in nach den vielen Jahren des Bestehens der EU nicht nachvollziehbar, dass eine so fundamentale Orientierung – wie sie das Subsidiaritätsprinzip sein sollte – für die EU-Politik zwar in Verträgen Verankerung fand, jedoch tatsächlich nicht sonderlich wirksam umgesetzt wurde. Die beklagten Mängel verkommen zur billigen, ständig wiederholten und offenkundig auch willkommenen Ausreden von Politikern, die diese Defizite längst hätten beheben müssen und statt dessen seit vielen Jahren sich dreist für ihre eigene Untätigkeit exkulpieren. Die skandalöse Spiegelfechterei ist einmal schäbig und unverantwortlich in der Sache gegenüber den EU-Bürgern und dem Mitgliedsstaaten, zweitens materiell höchst folgenschwer: Wäre der Mangel zeitgerecht und damit viele Jahre vor der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in der EU behoben gewesen, wären mit großer Wahrscheinlichkeit die nachteiligen Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 für den Wirtschaftsraum der EU weitaus geringer gewesen und hätten besonders die südlichen Länder der EU nicht so schwer getroffen. Es stellt sich bei den katastrophalen Auswirkungen der Krise die Frage, was denn eigentlich noch passieren muss, um die überfälligen Umsetzungen politischer und substantieller Kernfragen für die EU endlich zu bewerkstelligen, statt EU-Ländern Subsidiaritätsrechte und Möglichkeiten vorzuenthalten. Die 28 Mitgliedstaaten der EU sind kein Bundesstaat wie die USA, bei dem abgestimmte politische Vorgehensweisen vergleichsweise leichter erfolgen können. Beim Staatenverbund der EU ist das sehr viel komplizierter, da die gemeinschaftlichen und nationalen Interessen schwerer zu integrieren und gebündelt zu vertreten sind. Die im Vergleich zur EU bislang wesentlich bessere Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 durch die USA hat vielerlei Gründe, sicher aber auch solche, die aus den angedeuteten strukturellen Unterschieden resultieren. Eine stärkere realpolitische Orientierung am Subsidiaritätsprinzip würde die EU einmal in ihren gemeinschaftlichen Zielen und deren effizienten Umsetzung stärken und die Folgen der Erbsünde aus der Phase ihrer Gründung wesentlich mildern. Zweitens, die von den EU-Bürgern seit langem mehr oder minder zu Recht beklagten Attitüden zentralistischer und bürokratischer Praktiken der EU, die zweifellos wichtige Gründe für die angeschlagene Akzeptanz der Gemeinschaft darstellen und dazu führten, dass die EU in ihrer kaum überschätzbaren Bedeutung für Europa, die Mitgliedsstaaten, ihre Bürger und last, not least die internationale Staatengemeinschaft, weit unter ihrem wahren Wert geschlagen wird und die EU politisch

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schwächt. Drittens bewirkt das Subsidiaritätsprinzip entscheidende Effi­ zienz- und Qualitätsvorteile, da Ziele, Entscheidungen, Funktionen und deren Erfüllung auf der Ebene erfüllt und erbracht werden, wo das am Besten möglich ist und die davon Betroffenen daher auch am optimalsten im Sinne der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung erreicht und eingebundene werden können. Letzteres bildet den sachlichen, personalen und ursprüng­ lichen Kern und die Maxime der Begründung und Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, sei es im Kleinen wie im Großen. Die USA als Auslöser der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 – die durch ihre extrem nachteiligen Folgen das Land nicht weniger als die Große Depression bzw. die auch von den USA ausgehende 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 getroffen hat – steht gegenwärtig im Vergleich zur EU besser da (Ende 2014). Sie konnte offenbar als Bundesstaat wirkungsvoller und vor allem rascher agieren, wie es demgegenüber der EU möglich war. Dafür sind sicher mehrere Gründe verantwortlich, aber sicher auch solche, die unter dem Begriff der Erbsünde der EU zu subsumieren sind. Die USA als voll integrierter Wirtschaftsraum mit einer effizienten politischen Zentrale in Washington war besser als die EU in der Lage, wirksam und zügig zu agieren; sei es bei der strafrechtlichen Aufarbeitung von kriminellen Machenschaften eines Teiles der eigenen „Finanzindustrie“ und ausländischer Finanzunternehmen in den USA oder der besseren Ankurbelung der Konjunktur. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hat hingegen bis heute (Ende 2014) die EU – wirtschaftlich gesehen – fünf oder sechs verlorene Entwicklungsjahre gekostet und die Schwächen der EU im globalen Wettbewerb sind ungeschminkt zu Tage getreten. Das wurde inzwischen begriffen und die EU versprach mit großen Worten nunmehr (2014) zu handeln. Bleibt zu hoffen, dass es auch geschieht. Gewusst haben die EU-Verantwortlichen seit vielen Jahren die gefährlichen Systemschwächen und wider besseres Wissen viel Entscheidendes nicht getan. Ganz im Gegenteil, sie haben den EUBürgern durch sinnlose und eine unsensible Bürokratie, Technokratie und zentralistische Attitüden – entgegen den vertraglich verankerten Prinzipien der EU-Subsidiarität – die ursprünglich hohe Akzeptanz der EU geschmälert und Vertrauen fürs Erste verspielt. Auch das ist kritisch-konstruktiv zu hinterfragen. Viele Aufgaben stehen an: Unverzichtbare Reform des Bankund Finanzsystems durch Vollendung der eingeleiteten Bankenunion. – Integrierte und gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik der EU. – Vervollständigung und Vertiefung des EU-Binnenmarktes, der ein Potenzialwachstum des BIP von bis zu 4 % p. a. in den kommenden zehn Jahren ermöglichen könnte. – Optimale Nutzung des grenzfreien Marktes durch weiteren Ausbau der gemeinsamen Währung. – Stärkung der Eurozone und Verhinderung entgegengesetzter zeitweiliger zentrifugaler Tendenzen. – Durchführung



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struktureller und interner Verbesserungen der EU. – Weitere Stärkung des Europäischen Parlaments. – Gemeinsame Budgetregelungen und Budgetkoordination. – Veränderungen in der Leitung der EU. – Lösungen hinsichtlich der Sicherung des harmonischen Zusammenhalts der Generationen. – Schuldenabbau. – Arbeitsplatzschaffung besonders für Jugendliche, usw. (s. a. Woschnagg, G., 2013, S. 12). Mittel- und langfristig wird schließlich die Erweiterung der EU zu einer Hauptaufgaben der EU gehören. Verschiedene ehemals kommunistische osteuropäische Staaten, aber auch die Türkei wollen Mitglied der EU werden und sollten auch diese Möglichkeit erhalten können. Es gibt keine prinzipiellen Gründe dafür, die faszinierende und großartige Europa-Idee Ländern nicht zugänglich zu machen, die Mitglied der EU werden möchten. Die Verfahren für eine Mitgliedschaft sind zu Recht anspruchsvoll und sind von der EU verantwortungsvoll zu handhaben. Es bestehen für die EU keine konzeptionellen Gründe, Angst vor der eigenen Courage einer EU-Erweiterung zu haben. Natürlich sind gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Transformationsprozesse schwierig und zeitaufwendig, aber sie sind wertvoll, entwicklungsspezifisch unausweichlich und schaffen unter geeigneten Voraussetzungen enorme und vielfältigste Chancen. Gerade die zu Unrecht oft kritisierte Globalisierung, Entwicklungen der damit einhergehenden Informationstechnologien, geänderte und steigende Erwartungen der Menschen, aber auch stärker gewordene neue Problemstellungen sowie ihre Bewältigung (Umwelt, Energie, Armut, Verteilungsprobleme und Gerechtigkeitsfragen usw.) werden diese Entwicklungen stärker vorantreiben. Der EU kommt dabei eine aktive Gestaltungsaufgabe und Verantwortung zu, d. h. ängstliches, träges, bürokratisches oder gar passives Zuwarten oder eine Verkümmerung zu einer kleinkarierten Wirtschaftsunion darf die ursprüngliche und weitgespannte Europa-Idee ihrer Gründerväter sicher nicht werden. Das wäre Rückschritt und der Anfang der Selbstaufgabe. Die EU bemühte sich im Jahr 2014 weiter um die Vervollkommnung der EU-Bankenunion, möchte in diesem wichtigen Bereich der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 Maßnahmen und Kräfte bündeln und ist dabei auf einem guten Weg. Damit sind aber auch gemeinsame Konzepte und Vorgehensweisen der EU für nachfolgende Entwicklungen und Ereignisse zu finden, für die eine EU zukünftig besser gerüstet sein sollte. Die Bankenunion verfolgt noch zu wenig die Realisierung der angestrebten und integrierten gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik der EU, geschweige denn deren Umsetzung, also die Beseitigung der in Diskussion stehenden und stets beklagten Erbsünde der EU. Nach den bitteren Erfahrungen mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wäre es aber ein wichtiger und präventiver Fortschritt, die EU-Struktur und die EU-Finanzbaustellen gegen alle widrigen Umstände zu schützen. Die Zeit drängt, da die nationalen Finanz-

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märkte und die strukturellen Verhältnisse der Wirtschaft bereits auseinanderdriften und die Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 diese Entwicklung beschleunigen. Am 13.01.2014 wurde eine der Säulen der EU-Bankenunion – die politisch als „Mammutprojekt“, „Paradigmenwechsel“ und „historisch“ eingestuft wurde – vom EU-Parlament in Straßburg nach jahrelangem Kampf mit den Regierungen der Mitgliedsländern der EU mit großer Mehrheit beschlossen. Nun gilt es damit verbundene Maßnahmen umzusetzen: Vorbeugende Verhinderung von Bankpleiten. – Sicherung des Abwicklungsmechanismus. – Heranziehung der Eigentümern und Gläubigern für Bankenrettungen und Sicherung der Sparer mit einem Betrag bis 100.000,– € und möglichste Schonung der Steuerzahler. – Aufbau eines Notfallfonds in Höhe von 55 Milliarden €. – Verfahrensvereinfachungen, um marode Banken schnell schließen zu können, quasi über das Wochenende, um Panik und einen Bank-Run möglichst zu vermeiden. Im November 2014 hatte man sich bereits über eine weitere Säule der Bankenunion geeinigt, nämlich die zentrale Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank (EZB). Nachdem die gemeinsamen EU-Standards für die Einlagensicherungen als weitere Säule ebenfalls bereits besteht, ist somit das Fundament der Bankenunion gelegt (Salzburger Nachrichten, 19.01.2014; Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 15.04.2014). Die widerstrebenden Debatten über das Konzept der flexiblen Integration in Europa bzw. das Europa mit zwei oder verschiedenen Geschwindigkeiten bis hin zu Tendenzen eines so genannten Kerneuropas mit stärkerer Integration gegenüber weniger integrationswilligen Ländern, die beispielsweise eine weitreichende Zusammenarbeit in der Währungs- und Finanzpolitik ablehnen, zeigen die Brisanz von Widersprüchen und finanzwirtschaftlichen Integrationsproblemen. Die drohenden Tendenzen einer Aufsplitterung der Politiken der EU, sinngemäß auch für die Bankenunion, aber vor allem der Integrationspolitik der EU im Allgemeinen, sind sehr gefährlich. Ein Indiz und Signal sind die Warnungen des Premierministers Großbritanniens, David Cameron, vor einem EU-Austritt (Herbst 2014), die ja bereits wiederholt erfolgten und nicht lediglich als vordergründige Taktik partikulärer Interessen weggeschoben werden dürfen. Vielmehr müssen sie für die EU ein Anstoß sein, in kluger Art und Weise dieser Gefahr Herr zu werden. Denkt man solche Ansätze konsequent zu Ende, gelangt man an den existentiellen Kern der EU. Die unterschiedlichen wirtschaftlichen, finanziellen, politischen, bildungsmäßigen, kulturellen, besonders strukturellen und größenmäßigen Verhältnisse der EU-Länder und EU-Kandidaten bilden den sehr schwierigen Hintergrund der angedeuteten Auseinandersetzungen und weiterer integrationswidriger Aufspaltungen innerhalb der EU (Waigel, T.: 2013, S. 17; Internet: Europa der zwei Geschwindigkeiten).



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Mit der Bankenunion im Speziellen ist gegen den Trend der Zersplitterung des europäischen Bankensystems anzukämpfen, da dieses System bislang fragil und hoch verschuldet ist. Zinsen der unterschiedlichen EULänder liegen weit auseinander. Die Kreditvergabe in Euro an Unternehmen und Haushalte ist laut der Daten der Europäischen Zentralbank (EZB, August 2013) gesunken und die Situation wurde bislang nicht besser (Herbst 2014) und ist so restriktiv, wie sie seit 1984 nicht mehr war. Die drei Säulen der Bankenunion bestehen inzwischen mit den Regelungen zu den Kernbereichen der Bankenaufsicht, Abwicklung von Banken und Einlagensicherung. Die EZB wird zukünftig, wie schon erwähnt, die größten 130 Banken und Bankgruppen der Eurozone überwachen. Eine Kontrollphase – Crash- bzw. Stresstest – wurde bereits 2014 durchgeführt. Die Abwicklungen maroder Banken erfolgen nach einem einheitlichen Plan, mit dem auch Banken aufgelöst werden können und nicht mehr primär die Steuerzahler die Kosten zu schultern haben, sondern zunächst die Eigentümer und ­Bankgläubiger. Die Einlagensicherung, die derzeit Sparvermögen bis 100.000,– Euro absichert, wurde in der Eurozone harmonisiert. Nicht überraschend geht der Streit um die Verteilung der Kompetenzen weiter. Die EU-Kommission möchte sich in der Abwicklung der Banken zum Entscheider machen, wofür nach den EU-Verträgen die rechtliche Basis fehlt bzw. neu geschaffen werden müsste. Vorerst ist das gescheitert. Die EZB verlangte vor der Übernahme der Bankenaufsicht, die Bilanzen der betroffenen Banken unter die Lupe zu nehmen und führte 2014 einen Crash- bzw. Stresstest durch, wobei die Bücher der Banken europäisch einheitlich geprüft wurden. Die Tests sind inzwischen erfolgt (Ende 2014). Die OECD schätzt, dass die bessere Kapitalisierung der Banken rund zusätzlich 400 Milliarden Euro betragen müsste, um eine vertrauenswürdige Kapitalisierung zu erreichen. Im Rettungsfond des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) der EU, der Teil des Euro-Rettungsschirms ist, sind allerdings nur 60 Milliarden Euro vorgesehen. Darauf durfte die EZB nach manchen Expertenmeinungen bei den Crashtest keine Rücksicht nehmen, sondern hatte sehr genau zu prüfen und Problembanken dementsprechend abzuwickeln. Die faulen Kredite haben sich – so wird gesagt – seit 2008 um 265 Prozent erhöht. In machen Ländern der Eurozone sollen sich solche Kredite mehr als verfünffacht haben. Wer zahlt in solchen Fällen und für daraus entstehende Krisen tatsächlich und wo landen solche Mittel? Was geschieht bei solchen Abwicklungen in Ländern der EU, wie Irland, Malta oder Zypern, in denen der Bankensektor ein Vielfaches der Wirtschaftsleistung des jeweiligen Landes ausmacht? (Sustala, L.: 2013c, S. 2). ). Was wird passieren, wenn Griechenland den Euro-Raum verlässt und zur Drachme-Währung zurückkehrt? Bei der Tendenz zur „Härte“ bei Stresstest für Banken werden begreiflicherweise die Ansichten auch zukünftig weit auseinander gehen (Der Standard, 2014h, S. 15).

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Die USA sprinten, Europa lahmt, so ein zitierter Kommentar wenige Seiten zurück, der zwei Fragen aufwirft. Haben die USA wirklich alles richtig gemacht und was sollte Europa bzw. die EU noch tun? Der ersten Frage ist Josef Stiglitz sehr genau nachgegangen und gelangt zu einer differenzierteren Sicht, als es ein flotter „Sager“ tun kann. Barack Obama und seine Berater waren nach gewonnener Wahl im Januar 2009 mit einer Krise konfrontiert, wie es sie rund 75 Jahre zurück in den USA – also seit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 – nicht mehr gab. Sie erkannten, dass eine Sanierung des Bankensystems nicht ausreichen kann, sondern auch etwas für die Realwirtschaft getan werden musste, angefangen bei der Flut von Zwangsversteigerung aus geplatzten Häuser-Hypotheken bis hin zur Rettung der realen Vermögenswerte der privaten Haushalte und der produktiven Wirtschaft. Ebenso war das Potential der Menschen zu nutzen und es bestand die Aufgabe, wieder Vertrauen zu schaffen. Wie also können Ressourcen besser genutzt werden, die durch das Platzen der Finanz- und Immobilienblasen lahmgelegt und teilweise schwer geschädigt wurden? Wie hatte also ein Konjunkturprogramm bei dieser tristen Situation auszusehen? Keynesianer waren zumindest vorübergehend ja alle geworden, ausgenommen einige Hardcore-Neoliberale. Es ging um das „Wie“ und nicht um das „Ob“: Die nötigen Konzepte sollten schnell greifen und wirksam sein. Die langfristigen Probleme des Landes waren anzugehen, indem u. a. eine Konzentration auf die Vornahme von Investi­ tionen erfolgen sollte. Gerecht sollte das Programm sein und kurzfristige krisenbedingte Notlagen beheben. Schließlich sollte es auf Bereiche abzielen, in denen Arbeitsplätze verloren gingen. So die Grundzüge des Programmes. (Stiglitz, J.: 2011, S. 93–97). Was wurde getan, was nicht? Für das Konjunkturprogramm waren 800 Milliarden Dollar vorgesehen, also eine Menge Geld, das in etwas mehr als 2 Jahren ausgegeben werden sollte, aber nur 3 % des jährlichen Bruttosozialproduktes (BIP) der USA in Höhe von etwa 14 Billionen Dollar p. a. ausmachte. Ein Viertel des Betrages war für das erste Jahr 2009 vorgesehen. Diese rund 200 Milliarden Dollar kompensierten jedoch nicht einmal jene Ausgabenkürzungen, die zur gleichen Zeit bei öffentlichen Körperschaften auf Bundes- und Kommunalebene erfolgten. Ein Anreiz oder Effekt der Stärkung der Gesamtnachfrage, wie es der Theorie von Keynes entsprechen würde, war somit kaum zu erwarten. Die Regierung meinte jedoch, mit dem Konjunkturprogramm u. a. 3,6 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen bzw. einen dementsprechenden Verlust an Arbeitsplätzen verhindern zu können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in einem Normaljahr, also ohne Krise, sich jährlich die Zahl neuer Arbeitsplätze um rund 1,5 Millionen erhöht, d. h. vom Arbeitsmarkt so viele Beschäftigte aufgenommen werden. Vom Beginn der 3. Weltwirtschaftskrise ab



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2007 bis 2009 gingen aber in den USA rund 8 Millionen Arbeitsplätze verloren. Um die frühere Vollbeschäftigung wieder zu erreichen, wäre unterm Strich ein Arbeitsplatzdefizit von 12 Millionen Arbeitsplätzen auszugleichen gewesen. Ein wahrlich düsteres Bild. Woher sollen ausreichende Nachfrageeffekte kommen, um die Konjunktur in Schwung zu bringen und Arbeitsplätze zu schaffen? (Stiglitz, J.: 2011, S. 98 f.). Die Bundesstaaten der USA machen rund ein Drittel aller Staatsausgaben aus und sind daher in Krisenzeiten ein potentiell bedeutender Nachfragefaktor. Die Bundesstaaten sind aber gesetzlich verpflichtet einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. In der Krise sinken natürlich die Staatseinnahmen. Für die Haushaltsjahre 2010 und 2011 wurde die so entstandene Haushaltslücke mit mindestens 350 Milliarden Dollar beziffert. Die Regierung Obama müsste pro Jahr etwa ein Prozent des BIP der USA an Zusatznachfrage ankurbeln, um die Nachfragelücke allein aus der Haushaltslücke der Bundesstaaten zu kompensieren. Das konnte das Konjunkturprogramm der Regierung nicht schaffen. Die Folgen waren entlassene Beamte und zusätzliche Arbeitslose, Sozialprogramme usw. Die Stimmung in der Bevölkerung verschlechterte sich. Ein Ausgleich der Mindereinahmen der Bundesstaaten wäre eine vergleichsweise einfache Möglichkeit gewesen, die eingetretenen Fehlentwicklungen zu verhindern. Sie wurde nicht genutzt (Stiglitz, J.: 2011, S.  103 f.). Um Löcher im sozialen Sicherungsnetz zu schließen, wurde für das aus Bundesmitteln gezahlte Arbeitslosengeld die Höchstbezugsdauer bis zu 73 Wochen durch einen Kongressbeschluss ermöglicht und damit soziale Not gemildert. Es wurde auch erstmalig dafür gesorgt, dass Arbeitslose nicht ihren Krankenversicherungsschutz verlieren. Für Arbeitslose die ihre Hypothekenverpflichtungen nicht mehr erfüllen konnten – wohlgemerkt ohne eigenes Verschulden – tat die Regierung Obama nichts und sie verloren auch noch ihr Haus, nachdem schon der Arbeitsplatz weg war. Die Hypothekarkreditkrise und die daraus entstandene Häuser-, Verkaufs- und Versteigerungskrise waren jedoch der Kern und Anlass der Krise. Mit einer neuen Art der „Hypothekenversicherung“ hätte das Unglück vermieden oder wenigsten gemindert werden können. Es wäre nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit gewesen, sondern auch im nationalen Interesse der Krisenbekämpfung gelegen: Nämlich als sinnvolle Maßnahme, um weiter fallende Häuserpreise und Zwangsversteigerungen zu verringern und den Abwärtstrend zu bremsen und letztendlich zu stoppen (Stiglitz, J.: 2011, S. 104 f.) und damit einen großen Wirtschaftsbereich mit vielen Arbeitsplätzen zu schützen. Dieser Grundansatz von Keynes, eine Wirtschafts- und Konjunkturkrise durch Erzeugung einer gesamtwirtschaftlichen Zusatznachfrage zu bekämpfen und dadurch Arbeitslosigkeit zu reduzieren, war seit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 ökonomisches Basiswissen und gehörte

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zum Repertoire der Politik der Democratic Party der USA von Barack Obama. Die Förderung von Zukunftsinvestitionen in Menschen und Technologien ist unbestritten im Krisenfall eine gute Möglichkeit einmal durch entsprechende und meist hochrentable Investitionen nachfragebelebende Effekte zu erzeugen, zweitens um mittel- und langfristige Ziele der Zukunftssicherung der Forschung und Wirtschaft zu verfolgen. Ein öffentliches Konjunkturprogramm bietet dabei besondere Chancen, da Unternehmen, Privatuniversitäten und Stiftungen in Krisenzeiten hierzu oft die Mittel fehlen. Gelder aus dem Konjunkturprogramm flossen in kurzfristig umsetzbare Projekte, ferner in ökologische Investitionen. Allerdings standen die Mittel nur kurzfristig zur Verfügung, obwohl die Projekte vielfach eine längere und kontinuier­ lichere Förderung erfordert hätten. Die vielfältigen Möglichkeiten solcher Investitionen wurden insgesamt von öffentlicher Seite zu wenig genutzt und es hat auch die Phantasie und Bereitschaft gefehlt, gerade in diesem Bereich neue Wege zu gehen, die sich durchaus angeboten haben, wie beispielsweise durch Steueranreize und Investitionssteuergutschriften, Anreize für Bereiche mit zeitweilig schwacher Nachfrage usw. (Stiglitz, J.: 2011, S. 105 f.). Steuersenkungen beanspruchten fast ein Drittel der Finanzmittel des Konjunkturprogrammes, deren Wirkung allerdings großteils wirkungslos verpuffte. Mit dieser Praktik hatte bereits Präsident George W. Bush begonnen. Ein Großteil des erhaltenen Geldes aus Steuersenkungen wurde gespart, und zwar, da man in den schwierigen und unsicheren Zeiten der Krise vorsichtiger wurde. Ferner wurden Abwrackprämien für Autos aus dem Konjunkturprogramm bezahlt, die einerseits rasch wirkten, andererseits aber lediglich nur Vorziehkäufe waren, denen wenige Monate darauf eine entsprechende Absatzlücke am Automarkt folgte, d. h. der Effekt wirkte nur kurz – und das war es. Bei einer längeren Krise macht das kaum einen Sinn (Stiglitz, J.: 2011, S.  106 f.). Präsident Barack Obama kündigte in einer Rede am 06.08.2013 an – also sechs Jahre nach Beginn der Finanzkrise in den USA – die zwei verstaatlichten Immobilienfinanziers Fannie Mae und Freddy Mac zuzusperren bzw. abzuwickeln. Sie saßen auf 5.119 Milliarden Dollar Schulden. Dieses vermutlich letzte Kapitel der beiden riesigen Einrichtungen – die bei den berühmt-berüchtigten Hypothekarkrediten eine entscheidende Rolle spielten – konnte naturgemäß Joseph Stiglitz und Paul Krugman in ihren wichtigen und wertvollen Publikationen nicht berücksichtigen. Sie sind jedoch zweifellos im Kontext mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und der Rolle des Staates in den USA von besonderer Bedeutung. Fannie Mae und Freddy Mac waren bereits vor dem Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in größte Schwierigkeiten geraten und von der US-Regierung massiv



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unterstützt worden. Beide – schon früher staatsnahen Hypothekenbanken – erhielten insgesamt Hilfen von 169 Milliarden Dollar (Stand 05.08.2011) und wurden bereits zuvor unter Georg W. Busch im September 2008 verstaatlicht. Der Stand der staatlichen Hilfe im August 2013 belief sich auf 187,5 Milliarden Dollar (Internet: Fannie Mae und Freddie Mac). Die Krise brach bekanntlich mit der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers Inc. mit Sitz in New York aus. Die Bank musste 3,3 Milliarden Dollar abschreiben, führte danach zwei Kapitalerhöhungen durch, und zwar im April 2008 von 4,0 Milliarden Dollar und im Juni 2008 von 5,0 Milliarden Dollar. Im September 2008 wurde angekündigt, dass die Bank für das dritte Quartal 2008 einen Verlust von 3,9 Milliarden Dollar erwarte. Es gab verschiedene Versuche Lehman Brothers Inc. zu retten. Der Staat hätte einspringen müssen, der bereits drei Banken (Bear Stearns, Fannie Mae, Freddie Mac) mit Milliarden von Dollar unterstützte, aber unter dem herrschenden politischen Druck davon absah eine weitere Bank aufzufangen. Am 15.09.2008 musste Insolvenz beantragt werden (Internet: Lehman Brothers). Die Amtseinführung von Präsident Barack Obama war am 17.01.2009, d. h. die Insolvenz von Lehman Brothers Inc. fiel noch in die Ära von Präsident George W. Bush. Berichte und Kommentare zur Entscheidung Barack Obamas, die Unternehmen Fannie Mae und Freddy Mac abzuwickeln, signalisieren, dass einmal die Rolle des Staates auf dem Wohnungsmarkt zurückgefahren und mehr privates Geld aktiviert werden sollte. Bis dahin wurden mehr als die Hälfte der Immobiliendarlehen der USA von Fannie Mae und Freddy Mac abgesichert. Der Staat beabsichtigt zweitens zukünftig mit bescheideneren, weniger riskanten, rationelleren und besser durchschaubaren Mitteln den privaten Wohnungssektor zu fördern. Drittens beträgt die Finanzierung des Immobilienmarktes in den USA jährlich rund elf Billionen Dollar und ist von großer wirtschaftlichen Relevanz, natürlich auch bei der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und der nachhaltigen Erholung des Wohnungsmarktes. Viertens wird vom Staat eine verstärkte Schaffung von Mietwohnungen angestrebt. Fünftens ist das Faktum, dass mit dem Platzen der Häuserblase schätzungsweise im Umfang von 7,0 Billionen Dollar Vermögensverluste bei Hausbesitzer entstanden – oft verbunden mit erschütternden menschlichen und sozialen Folgen – also ein hochpolitisches und zu beachtendes Thema. Obama strebte in politischer Hinsicht allgemein an, ein Umdenken und Handlungsänderungen zu initiieren, Spekulation, Gier und Abschiebung von Risiken auf den Staat bzw. die Gesellschaft zu beseitigen, kurzum mit den alten „Mentalitäten“ aufzuhören und Redlichkeit, Verlässlichkeit und Gerechtigkeit in das System zu bringen und schärfer als bisher die Einhaltung gesetzlicher Regelungen zu sichern (s. a. Sustala, L.: 2013d, S. 15).

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Das Konjunkturprogramm der Regierung Obama war mit seinem beachtlichen Volumen von 800 Milliarden Dollar nur ein mäßiger Erfolg. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wurde einmal in ihrer Komplexität und Schwere unterschätzt und das Konjunkturprogramm basierte auf den daraus folgenden Irrtümern. Es war eher als ein Überbrückungsprogramm gedacht. Seine Konzeption war vielfach weder schlüssig und die Umsetzung fehlerbehaftet. Obama folgte einer riskanten Strategie des Durchwurstelns, was nicht ohne nachteilige Folgen für die Bewältigung der Krise bleiben konnte. Man glaubte mit einigen Finanzspritzen an die Banken wieder den Kreditkreislauf in Gang zu setzen und damit auch den Immobilienmarkt sanieren zu können. Letztere Hypothesen waren naiv, teils falsch und damit nicht tragfähig (s. a. Stiglitz, J.: 2011, S. 112–114; Internet: Stiglitz, J.). Bevor die wichtigsten Umsetzungen des Konjunkturprogramms der Regierung Obama aufgezeigt wurden, sind wesentliche Kern-Intentionen eines solchen Programmes dargestellt worden. Daran gemessen ist real vieles offen geblieben. Die Entscheidung Obamas zur Abwicklung von Fannie Mae und Freddy Mac ist in den Bemühungen, die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zu bewältigen, demgegenüber außerordentlich mutig, zielte auf deren zentrale Problematik und könnte zum positiven Wendepunkt der Krise werden. Der eingeschlagene Weg trägt aber auch politischem Druck Rechnung und wird weit überwiegend begrüßt. Die Vorstellungen Obamas sind wegweisend und die erhebliche Mitschuld an der verheerenden Krise von Fannie Mae und Freddy Mac ist unter Experten unbestritten: Der Schuldenberg von 5.119 Milliarden Dollar, die genannt werden und vielleicht noch höher ausfallen, die risikolosen Riesengeschäfte der Banken mit Rekordgewinnen, die staatliche Einlagensicherung und Stützungen für das Banksystem und durch die FED einerseits, andererseits aber die noch zu lösenden und in den Grundzügen konzipierten sowie kurz angedeuteten weiteren Aufgaben sprechen Bände und zeigen, dass von Obama versucht wurde quasi endlich den Stier bei den Hörnern zu packen. Es ging auch nicht anders: Ansonsten käme die US-Regierung aus der Klemme nicht heraus und das bisherige perverse System und die fehlende marktwirtschaftliche Disziplinierung führt ziemlich sicher zur nächsten „Häuserkrise“ und der Staat und damit die Gesellschaft müsste wieder Unsummen zahlen. Wie viele Krisen müssen und können sich die USA und die Welt aber noch leisten? Aktuell (Herbst 2014) und begrenzt ist das politisch Zeitfenster für Obama offen, eine reale Chance zur Krisenbewältigung möglich und unverzichtbar, um nachhaltig in den USA und der Welt endlich wieder die Gesellschaft und die Wirtschaft ins Lot zu bringen (Sustala, L.: 2013e, S. 28). Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 geht in den USA und der EU weiter und wird uns noch Jahre beschäftigen. Die damit angehäuften und noch wachsenden Schuldenberge werden noch durch lange Zeiten abzutragen



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sein, ziemlich sicher auch durch unsere Kinder. Seit dem Konjunkturprogramm der Regierung Obama sind bis heute (2014) rund vier Jahre vergangen und natürlich stellt sich die Frage, was zur weiteren Bewältigung der Krise im Wesentlichen noch erforderlich ist, sei es in den USA oder auch in Europa. Zeitnah hat sich Paul Krugman mit seinem im Jahr 2012 erschienenen Buch „Vergesst die Krise! Warum wir jetzt Geld ausgeben müssen“ mit diesen Fragen auseinandergesetzt, also „Was jetzt zu tun ist?“ (Krugman, P.: 2012, S. 234–257). Krugman zitiert J. M. Keynes: „Die hervorstechenden Fehler der Wirtschaftsgesellschaft, in der wir leben, sind ihr Versagen, für Vollbeschäftigung zu sorgen, und ihre willkürliche und ungerechte Verteilung des Reichtums und der Einkommen“ – und Krugman stellt fest: „Das ist heute nicht anders als im Jahre 1936, als Keynes seine Allgemeine Theorie schrieb. Heute wie damals leidet unsere Gesellschaft unter Massenarbeitslosigkeit, und heute wie damals steht die hohe Arbeitslosigkeit für das Scheitern eines Systems, das selbst in „guten Zeiten“ eine gewaltige Ungleichverteilung und Ungerechtigkeit darstellt“ (Krugman, P.: 2012, S. 234). Anschließend trifft er zwei grundlegende Feststellungen: „Die Verringerung der Einkommensunterschiede wird keine einfache Aufgabe und ist vermutlich ein langes Projekt.“ – „Das Problem der Arbeitslosigkeit ist […] aus rein wirtschaft­ licher Sicht nicht allzu kompliziert und ließe sich schnell lösen“. (Krugman, P.: 2012, S. 235). Beim Thema Arbeitslosigkeit vertritt er die Ansicht, dass heute die Verhältnisse nicht so verschieden sind von jenen in den Jahren von 1939 bis 1941, also vor dem Kriegseintritt der USA in den 2. Weltkrieg, als staatliche Investitionen die Beschäftigung in den USA um 7 Prozent steigen ließen und die Steigerung, auf heute umgerechnet, 10 Millionen neue Arbeitsplätze bedeuten würde. Es gäbe daher keinen Grund, warum diese Leistung nicht wiederholbar ist und das sollte getan werden, vorausgesetzt, dass „wir die geistige Klarheit und den politischen Willen dazu aufbringen. Jedes Mal, wenn einer der Meinungsführer behauptet, dass es sich um ein Strukturproblem handelt, das sich nicht mit kurzfristigen Lösungen beheben lässt, dann soll das vermutlich weise klingen, aber in Wirklichkeit ist es grausam und dumm. Diese Krise kann und muss rasch beendet werden“ (Krugman, P.: 2012, S. 235). Paul Krugman knüpft mit seiner Aussage an den Satz von Keynes an, der schon einmal in dieser Arbeit zitiert wurde, und zwar mit dem letzten Satz seiner Allgemeinen Theorie (1936): „Aber früher oder später sind es die Ideen und nicht Interessengruppen, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.“ Eine Überzeugung die auch Joseph Stiglitz teilt und ebenfalls in diesem Kontext wiederholt wird, nämlich wenn er von den Intentionen seines Buches spricht: „Dieses Buch verfolgt ein anderes Ziel. Es fußt auf der Überzeugung, dass praktisch alle

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1. Einführung

wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen, wie all jene, die mit der Deregulierung zusammenhängen, von politischen und ökonomischen ‚Kräften‘-Interessen, Ideen und Ideologien – ins Werk gesetzt wurden, die sich nicht auf Einzelpersonen reduzieren lassen“ (Stiglitz, J.: 2011, S. 15). Die Einschätzung von politischen „Meinungsführern“ durch Krugman mit den Worten „grausam und dumm“ rührt vermutlich und berechtigter Weise daher, dass diese Spezies von Politikern einmal die enorme Bedeutung von Ideen nicht kennen oder ignorieren, zweitens ihre Rolle als innovative, sorgfältige und verantwortliche Gestalter der Gesellschaft unterschätzen oder sich auf Taktieren, Reden, Egozentrik, Problemverschiebungen mangels Ideen usw. beschränken und drittens als Polittypus dieser Art nicht gerade selten sind, kurzum der Gesellschaft sicher suboptimal dienen. Das ist ein substantieller Schaden und als Ärgernis bewertbar. Beeinflussen solche Menschen die Entstehung oder die Bewältigung einer Krise, kann es nicht verwundern, dass ziemlich sicher Gründe bestehen, um von einer moralischen Krise auszugehen. Die Erreichung der Vollbeschäftigung wird auch bei guten Nachrichten zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 noch sehr lange dauern und Krugman hält plausible Schätzungen von mindestens fünf, vermutlich sieben Jahren für wahrscheinlich – gerechnet ab 2012 – also kann das etwa von 2018 bis 2020 dauern. Das wäre schrecklich (Krugman, P.: 2012, S. 237 f.). Da die Jugendarbeitslosigkeit dabei vermutlich auch weiterhin das gravierendste Problem in den USA ist – die seit rund sechs bis sieben Jahren besteht – könnte das bedeuten, dass dieses Kernproblem insgesamt vierzehn Jahre dauern würde. Das wäre eine Zeitdauer von rund einer halben Generation, während der unzähligen Menschen der Eintritt ins Berufsleben nicht möglich ist und sie weitgehend ohne Perspektiven für ihr berufliches Leben existieren müssen. Auch in Europa besteht eine ähnliche Arbeitslosenproblematik. Der Umfang der Jugendarbeitslosigkeit in Europa geht in einzelnen Ländern bis zu Quoten von über fünfzig Prozent, wie die Graphiken über die Jugendarbeitslosigkeit für die Altersgruppe von 15 bis 24 Jahren am Arbeitsmarkt für das Jahr 2014 in Europa und die Arbeitslosigkeit insgesamt im Vergleich zeigen. Es erfolgen teilweise sehr optimistische Aussagen über ein Ende der Rezession. Ganz gleich, ob richtiges oder weit verfrühtes Wunschdenken vorliegt oder höchst zweifelhafte Aktionen von Schönrednern erfolgen, es ist auffällig, dass auch ausgewiesene Experten dieser Praxis folgen, wenn sie, beispielsweise nach dem Verlauf der Krise gefragt, sagen „Ja. Die Rezession kommt zu einem Ende, und die Eurozone sollte ab jetzt wieder wachsen“ und wenige Zeilen später auf die Frage nach der Arbeitslosigkeit der Jugendlichen folgende Antwort geben: „Dieses Riesenproblem wird noch mehrere Jahrzehnte lang Folgen haben. Die Gefahr einer



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 200799 Abbildung 1.5: Arbeitslosenquote im März 2012 in Europa 21,7 24,1

30 15,3

11,7 12,6 13,9 14,3 14,5 14,6

EE** BG SK LT** IE LV** PT EL* ES

10,0 10,0 10,1 10,2 10,9 11,2

IT FR CY PL EU27 EU17 HU

FI

0

DK UK* SI

5

LU DE CZ MT BE SE RO

10

AT NL

20 % 15

4,0 5,0 5,2 5,6 6,7 6,8 7,3 7,3 7,5 7,5 8,1 8,2 8,5 9,8

25

Zur EU27 gehören Belgien (BE), Bulgarien (BG), die Tschechische Republik (CZ), Dänemark (DK), Deutschland (DE), Estland (EE), Irland (IE), Griechenland (EL), Spanien (ES), Frankreich (FR), Italien (IT), Zypern (CY), Lettland (LV), Litauen (LT), Luxemburg (LU), Ungarn (HU), Malta (MT), die Niederlande (NL), Österreich (AT), Polen (PL), Portugal (PT), Rumänien (RO), Slowenien (SI), die Slowakei (SK), Finnland (FI), Schweden (SE) und das Vereinigte Königreich (UK). Quelle: s. u. Abbildung 1.6

verlorenen Generation ist keine Übertreibung“, so in einem Interview vom 10. / 11.08.2013 (Diron, M.: 2013, S. 15). Die Aussage „… Rezession kommt zu einem Ende …“ hat sich leider bislang nicht bestätigt (Ende 2014). Es fällt einem J. W. v. Goethe mit dem Zitat aus dem Faust, 1. Teil ein, wo Faust den Verlust seines Glaubens reflektiert: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ (Faust I, Vers 765). Schaut man so ermuntert das Problem der Jugendarbeitslosigkeit genauer an, kommt man Faust recht nahe, denn die vermeintlich guten Botschaften zum Verlauf der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 sind regelmäßig verbunden mit dem Hinweis, dass der Arbeitsmarkt allerdings noch keine Verbesserungen zeigt, sondern sich ganz im Gegenteil noch verschlechtert (Schnauder, A.: 2013a; Schnauder, A., Sustala, L.: 2013). Das ist einmal plausibel, wenn davon ausgegangen wird, dass während der Rezession die Kapazitäten nicht ausgelastet waren und zweitens geringe Absatzverbesserungen mit positiver Signalwirkung ja noch lange nicht bedeuten müssen, dass die personellen Kapazitäten bereits zu knapp werden und durch neue Mitarbeiter zu erweitern sind. Natürlich sind gute Nachrichten über ein nahes Ende der Krise positiv, aber: Solange sehr hohe Arbeitslosezahlen bestehen, sind die Informationen zu relativieren, wenn zu Recht davon ausgegangen wird, dass Arbeitslosigkeit mit die schlimmste Folge einer Wirtschaftskrise ist und das für die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in besonders krasser Weise gilt. Die Botschaft ist daher schlicht zu schön, aber leider falsch. Die selektive Wahrnehmung der Interviewten im zitierten und durchaus typischen Beispiel, vielleicht auch die Absicht etwas Optimismus zu verbreiten, haben zu einer

100

1. Einführung Abbildung 1.6: Jugendarbeitslosigkeit 2014 in Europa

Vor allem im Süden der Europäischen Union erreicht die Jugendarbeitslosigkeit dramatische Ausmaße; Deutschland als Ausnahme

Deutschland

7,6%

Österreich

10,5%

Niederlande

11,1%

Dänemark

Arbeitslosenquote 15-24-Jähriger im Januar 2014

13,7%

Tschechien

19,1%

Finnland

19,7%

Großbritannien

20,0%

Schweden Belgien

22,9% 24,3%

Frankreich

25,4%

Irland

26,0%

Polen Slowakei Portugal Italien Kroatien Spanien Griechenland

27,4% 31,3% 34,7% 42,4% 49,8% 54,6% 59,0%

(Quellen: Eurostat, EU, Arbeitskräfteerhebung; Jugendarbeitslosigkeit, Alter 15–24, Griechenland und Großbritannien Zahlen von Nov. 2013; © Europäische Union, 1995–2015)

gefährlichen Verzerrung der Darstellung und aktuellen Bewertung des Verlaufes der Krise geführt und – noch schlimmer – die zwei verknüpften Kernfragen einer Krise, nämlich Konjunkturverlauf und Arbeitslosenquote, widersprüchlich bewertet. Der objektive Gehalt dieser Informationen zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 strebt somit gegen Null. Ein Krisenende bei ungelöster und schwerer Arbeitslosenproblematik anzunehmen ist und bleibt essentiell schlicht und einfach falsch. Ganz abgesehen davon, dass auch andere Kernproblem der Krise, wie beispielsweise die enormen Staatsver-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007101

schuldungen, von einer Lösung noch weit entfernt sind. Solange so substantielle Kriterien der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, wie die vorgenannten, in einem erheblichem Ausmaß bestehen, kann von einem Ende der Krise seriös nicht gesprochen werden. Kurzum, es wird aktuell (Ende 2014) und aus welchen Motiven auch immer, eine erstaunliche Realitätsverweigerung praktiziert. Beim zuvor zitierten, instruktiven, konkreten und somit wertvollen Interview der Ökonomin Marie Diron vom 10. / 11.08.2013, purzelt die Interviewte leider über sprachlogische und substantielle Fehler bzw. ist blauäugig. Gemessen an allen entscheidenden Kriterien für eine Krise sind daher „halbe gute Wahrheiten“ zwar „erwünscht“, aber leider keine Nachrichten, die gesamthaft die Situation der Krise objektiv vermitteln und fatalerweise ein Bild vortäuschen, das weit besser als die Realität ist. Davon kann beispielsweise auch die Gefahr ausgehen, dass die Kräfte vorzeitig erlahmen und eine suboptimale Krisenbewältigung die Folge ist. Beim 44. Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums vom 22.–25.01.2014 in Davos (World Economic Forum, WEF) war das Wort Eurokrise nicht mehr zu hören. Stattdessen wurde von Erholungen auf den Aktienmärkten gesprochen. Erleichterung und teilweise Euphorie machte sich breit und Vorsichtigere aus dem Kreis der Polit- und Wirtschaftselite bezeichneten die guten Entwicklungen als fragil. Die Banker standen nicht mehr im Mittelpunkt. Kurzum, Erholung und Zuversicht statt Krise und Zweifel. Andere Entwicklungen und Themen als die Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 traten in den Vordergrund. Der Generalsekretär des Weltverbandes der Gewerkschaften (Uni Global Union), der Schweizer Philip Jennings, wies in einem Interview quasi als einsamer Kämpfer darauf hin, dass nach wie vor Krisenbewältigung angesagt sei, nämlich mit den Hauptproblemen soziale Spannungen, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und der Feststellung „Die Wirtschaft erholt sich, der Arbeitsmarkt nicht“ (Föderl-Schmid, A.: 2014, S. 9, 2 Beiträge). Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und ihre tatsächliche Bewältigung ist weitaus mehr als das, was vordergründige Stimmungsbilder vordergründig vermitteln mögen. Bereits im Sommer 2014 bewertet der bedeutende österreichische Wirtschaftsforscher Karl Aiginger (1948), Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Wien die tatsächlichen Verhältnisse in Österreich als dramatisch. Der Blick auf das vermutlich geschrumpfte Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent für das Jahr 2014, die gestiegene Arbeitslosigkeit, geringe Investitionsneigungen, gedämpfter Konsum, erhöhtes Sicherheits-Sparen der Bevölkerung, schlechte Erwartungen usw. begründen seine Einschätzung. Aiginger übt herbe Kritik an der EU: Die Konjunkturstimulierung gelinge nicht, es drohe eine Depression im psychologischen Sinne bzw. die Erwar-

102

1. Einführung

tungen der Menschen sind schlecht, es sinken die Investitionen der Unternehmer usw. Die Strukturziele der EU zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeiten wurden klar verfehlt und es sind kaum zügige Verbesserungen zu erwarten. Die Aufgaben in den Bereichen der Bildung und Forschung, der Armutsbekämpfung, der höheren Beschäftigung, aber auch des Klimawandels usw. wurden nicht erreicht und beschlossene quantitative Vorgaben an EU-Länder blieben unerfüllt und müssten durch verbindliche Programme für jedes Land ersetzt werden (Der Standard vom 29.08.2014p, S. 18). Die Österreichische Nationalbank (OeNB) bestätigte die Feststellungen von ­Aiginger und ergänzte, dass die Entwicklung nicht durch die Krise in der Ukraine ausgelöst wurde, sondern bereits zuvor begann. Eher wirkte sich die nachlassende Konjunktur in Deutschland für Österreich nachteilig aus sowie die rückläufigen Nettolöhne der Arbeitnehmer, die den Konsum dämpften (Szigetvari, A.: 2014f, S. 11). Durch die tendenziell rückläufige Konjunktur in der EU verringerten sich die österreichischen Exporte in diesen Raum ebenfalls und wirkten nachteilig (Der Standard, 2014q, S. 15). Dem Internationale Währungsfond (IWF) und der Weltbank machen die schwächelnde Weltkonjunktur Sorgen, wenngleich die Entwicklungen in den USA besser verlaufen (Ende 2014). Damit kommen wieder staatliche Konjunkturprogramme und ihre Finanzierung durch Kredite in die Debatte. Nicht überraschend erhebt der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, seine warnende Stimme und das EZB-Ratsmitglied meint, ein „konjunkturelles Strohfeuer zu zünden“ sei wenig zielführend. Wolfgang Schäuble, deutscher Finanzminister, sieht das ähnlich und betont, dass Vertrauen die Voraussetzung für ein nachhaltiges Wachstum in vielen Länder der Eurozone sei und in erster Linie durch private Investitionen die Konjunktur angekurbelt werden sollte. Frankreich und Italien sehen das wiederum ganz anders und der IWF ermutigt die Länder zu mehr Infrastrukturausgaben (Der Standard, 2014r, S. 19; s. a. Deutsche Bundesbank vom 28.09.2014). Die Auseinandersetzung geht in der 2. Jahreshälfte 2014 wieder einmal um den „richtigen“ Mix der Maßnahmen zur Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise an 2007. Frohbotschaften im Frühjahr 2014 und zwei Quartale später gegenteilige Fakten, wie: Arbeitslosigkeit, soziale Ungerechtigkeiten, Existenz- und Vermögensvernichtungen bei Millionen von Menschen, Strukturdefizite, Versagen öffentlicher Einrichtungen und von Vertretern der Gesellschaft, Politik, der Wirtschaft und Kultur usw. gehören ebenso dazu, wie noch ungelöste Krisen der Bank- und Finanzsysteme. Die Aufarbeitung dieser und anderer Problemstellungen stehen großteils noch am Anfange notwendiger und umstrittener Konzeptionen, deren Umsetzung teilweise mittel- und langfristige Einsätze erfordern wird. Wie kann etwas als bewältigt bezeichnet werden, wenn offene Kernprobleme nicht einmal in wesentlichen Ansätze einer Lö-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007103

sung einigermaßen länderübergreifend geklärt sind, die ihrerseits einen Paradigmenwechsel erfordern, der noch offen scheint und sicher nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann? Wie auch immer und welche Absichten die Medien über das Bewältigen und Ende der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 verbreiten und beflügeln mögen – wie eben beispielsweise durch propagierten Optimismus falsche Hoffnungen mit eingebautem Enttäuschungspotential zu produzieren –, die Realität ist mit Sicherheit anders zu sehen. Wachstum ist selbstverständlich ein zentraler Aspekt der Krisenbewältigung, aber Unsummen öffentlicher Schulden, das soziale Auseinanderdriften der Gesellschaft oder die vorgenannten und weitere Fakten sind ebenso wie eine Reihe anderer Problembereiche wichtige Anhaltspunkte für die Einschätzungen und Prognosen zur Krisensituation und ihrer Bewältigung. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 erweist sich bei einer Analyse der ursächlichen Quellen ihrer Entstehungen, nämlich den Ideen und Konzepten neoliberaler Prägung als eine moralische Krise, die einen Paradigmenwechsel erfordert, will man zu wirklichen Lösungen kommen und möglichst ausschließen, dass sich nicht in absehbarer Zeit das grauenvolle Desaster wiederholt und Gesellschaft und Wirtschaft an den Rand des Abgrundes oder darüber hinaus führen. Auch solche sehr tiefreichenden Krisenursachen bedürfen bei der Lösung der Krise einer tatkräftigen konzeptionellen Neuorientierung. Die erforderlichen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen erforderliche Auseinandersetzungen und die Findung zukünftiger Orientierungen durch Paradigmen bzw. einen Paradigmenwechsel sind trotz der Vielzahl verdienstvoller operativer Aktivitäten zur Krisenbewältigung – oder vielleicht auch gerade deswegen – in aller notwendigen Breite erst noch vorzunehmen und die Ergebnisse in den Köpfen, Herzen und im Handeln der Akteure und Bürger zu verankern. Dabei ist es natürlich unbestritten, dass die bereits getätigten Leistungen zur Krisenbewältigung zu einem guten Teil von Vorstellungen und Intentionen getragen wurden, die zielführenden Paradigmen entsprechen. Aber aus vielen Gründen sollte eine paradigmatische Konzeption entwickelt und gefügt werden. Ein vorbildhaftes Beispiel war nach dem 2. Weltkrieg das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft, mit dem es in bewundernswerter Art und Weise gelang, dessen Macht der Ideen ausgehend vom deutschsprachigen Raum in Europa Akzeptanz und Rezeption zu verschaffen. Die auf dieser Basis weiterentwickelte Ökosoziale Marktwirtschaft sollte der Ausgangs- und Kristallisa­ tionspunkt für die prospektive Ideenkonzeption und den erforderlichen Paradigmenwechsel sein. Dafür gibt es im deutschsprachigen Raum bereits konkrete Anknüpfungspunkte, beispielsweise bei der Neuorientierung der

104

1. Einführung

Energiepolitik, bei der Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit bzw. der Neuen Sozialen Frage, der Personal- und Führungsarbeit, der Erhaltung der Natur und der Umwelt usw., wobei zweifellos auch der Zivilgesellschaft eine wichtige Funktion und Rolle zufällt. Bei hochkomplexen Gegenständen, wie der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, mit dynamischen Wechselbeziehungen und vielfältigsten externen Faktoren und Umwelten, sind Gefahren einer lediglich oberflächlichen Krisentaktik besonders hoch. Die Erfahrung bestätigt die Berechtigung solcher Befürchtungen leider nur zu häufig. Der Einwand der „guten Stimmung“ als Helfer bei der Krisenbewältigung nach dem bekannten Muster der selbsterfüllenden Prophezeiung kann richtig sein. Das sollte aber nicht vergessen lassen, dass es auch eine gegenteilige selbstzerstörende Prophezeiung gibt, d. h. insgesamt auch Gefahren von Zirkelschlüssen und stark verkürzten Betrachtungen bestehen. Letzteres ist beispielhaft der Fall, wenn Vorurteile einer Gruppe – die falsch sein können – ein Gruppenverhalten auslösen, das die Vorurteile bestätigt, die dadurch natürlich nicht richtig werden. Man denke doch nur an die langjährige, verbreitete und noch immer nicht bewältigte Problematik der Vorurteile bestimmter Bevölkerungsgruppen über „Ausländer“ und die grauenhaften Folgen aus Zirkelschlüssen, die nach den Verhaltensmustern der selbsterfüllenden Prophezeiung und selbstzerstörenden Prophezeiung entstanden. Mit der erforderlichen Objektivierung von Sachverhalten, sei es bei schweren Krisen, Verhalten gegenüber Ausländern usw., kann es vermutlich gut gelingen, die angedeuteten Gefahren zu meiden und bessere Lösungen zu erreichen (Internet: Selbsterfüllende und selbstzerstörende Prophezeiung). Zur prekären gegenwärtigen Situation hält Krugman fest: „Die grundlegende Situation der Wirtschaft hat sich gegenüber dem Jahr 2008 kaum verändert: Der private Sektor ist nicht bereit, genug auszugeben, um die volle Produktionskapazität zu erreichen. Deshalb finden Millionen Arbeitssuchende keine Stelle. Diese Lücke lässt sich am ehesten schließen, wenn der Staat die Investitionen übernimmt, die der private Sektor nicht tätigt“. Gegen diese Aussage werden Einwände erhoben, wie: Konjunkturprogramme funktionieren nicht. – Größere Defizite schädigen das Vertrauen. – Es gibt nicht genug Projekte (Krugman, P.: 2012, S. 238). Bei Konjunkturprogrammen können leider konzeptionelle Mängel bestehen, Fehler in der Umsetzung erfolgen oder ihr Umfang ist zu gering, um eine ausreichende Wirkung zu erzeugen. Beim Konjunkturprogramm der Regierung Obama wurden solche Mängel aufgezeigt. Für den Raum der EU und besonders für Deutschland wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, dass beispielsweise die deutsche Regierung von Angela Merkel dem Sparen bei den öffentlichen Haushalten zu viel und



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007105

den Investitionen zu wenig Gewicht beigemessen hatte, also der Mix von Beidem geändert werden müsste. Da hat inzwischen ein wenig ein Umdenken eingesetzt (s. a. Steinbach, A.: 2012; Diron, M.: 2013. S. 15). Wie nützlich es sein wird, ist Ende 2014 nicht zu sagen. Eine blasenhafte Geldschwemme mag in einigen Ländern willkommen sein, ob sie tatsächlich hilft oder nur Sanierungsprozesse verzögert und die Schuldenberge vergrößert, ist der alte und regelmäßig offene Streit über den richtigen Mix. Im deutschsprachigen Raum spricht sehr viel dafür, den bisherigen Kurs der Budgetdisziplin und der Effektuierung der staatlichen Leistungen fortzusetzen, Schwerpunkte für eine gerechtere Einkommens- und Verteilungspolitik zu setzen und die Bürger davor zu bewahren noch mehr geschröpft zu werden und Sorge zu tragen, dass Belastungen der Bürger in breitem Umfang geringer werden. Wenn die öffentliche Hand zur Konjunkturbelebung Geld in die Hand nimmt, dann in Bereichen wirtschaftsbelebender Investitionen, sei es in Bereichen der Infrastruktur, der Bildung, Forschung, Innovation usw. Armin Steinbach, Autor und Mitarbeiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Berlin meint richtig: „Alle reden vom Wachstums­ pakt für Europa – nur versteht jeder etwas anderes darunter […] Immerhin besteht mittlerweile in einem Punkt Einigkeit: Sparen allein schafft kein neues Wachstum. Haushaltskonsolidierung und wirtschaftliche Erholung sind nur dann miteinander vereinbar, wenn Sparprogramme und eine Wachstumsstrategie ergänzt werden. Eine europäische Wachstumsstrategie sollte dort ansetzen, wo Europa über Jahre hinweg global führend gewesen ist: in der Realwirtschaft mit ihren Beschäftigungs- und Innovationspotentialen. Das gelingt nur mit einem intelligenten Policy-Mix aus drei Bestandteilen. Man muss die private Investitionstätigkeit ankurbeln, Strukturreformen für eine Good Governance und für funktionstüchtige Arbeitsmärkte durchführen und ein Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auflegen. […] Wachstumsfördernde Investitionen müssen nicht zwangsläufig mit einer höheren Verschuldung öffentlicher Haushalte einhergehen. Es geht nicht darum, flächendeckend öffentliche Gelder auszuschütten, sondern vielmehr um eine haushaltsschonende Mobilisierung von privatem Investitionskapital. Die Europäische Investitionsbank (EIB) kann für jeden Euro aus Eigenmitteln rund acht Euro Kredit an investierende Unternehmen vergeben. […] Außerdem kann risikoscheues Privatkapital mit Projektanleihen in Schlüsselinfrastrukturen […] gelockt werden […] Die EIB kann in Zeiten zurückhaltender Privatbanken zudem eine wichtige Rolle als Kreditgeber für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) spielen. […] Eine Zweckbindung könnte gewährleisten, dass das Darlehen als Kredit an KMU weitergereicht wird. […] Ohne Strukturreformen gibt es keine Wachstumsimpulse. […] Ein heißes Eisen ist die Reform der Arbeitsmärkte. Wer sich nicht die Fin-

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1. Einführung

ger daran verbrennt, kann die Wettbewerbsfähigkeit stärken, wie das Beispiel Deutschland zeigt. […] Auf Italiens Arbeitsmarkt wird das Leistungsprinzip ausgehebelt. Diejenigen, die seit zehn Jahren oder länger arbeiten, genießen dort hohen Schutz. Berufsanfänger hingegen müssen sich ohne jede Absicherung von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln. […] Erwerbslose junge Leute in den Krisenländern sind nicht nur verlorenes wirtschaftliches Potenzial, die zunehmende Jugendarbeitslosigkeit ist in diesen Ländern auch eine Gefahr für den sozialen Frieden. […] Unterm Strich kommt es beim Wachstumspakt, wie bei anderen Dingen auch, auf die richtige Mischung von Maßnahmen an“ (Steinbach, A.: 2012). Sicher relevant für öffentliche Haushalte ist, wie erwähnt, das Vorziehen von infrastrukturellen Investitionen, aber auch natürlich die Durchführung bereits überfälliger Investitionen, um die Gesamtnachfrage und damit die Bewältigung der Krise zu forcieren. An Nachziehinvestitionen herrscht meist erheblicher Bedarf. Ähnlich wie Steinbach vertritt auch Krugman die Ansicht, dass das Interesse von Anlegern selbst bei einem großem Anleihevolumen des Staates und von Privaten zur Finanzierung öffentlicher Investitionen oder anderer Investitionen, durch die damit verbundene Hoffnung auf ein stärkeres Wirtschaftswachstum, durchaus gut ist. Ebenso wenig teilt er die Ansicht, es gäbe zu wenig sinnvolle Investitionsprodukte. Das war auch beim Konjunkturprogramm der Regierung wider Erwarten einiger Politiker nicht der Fall. Gerade wenn zuvor Staaten, ihre Länder und Kommunen restriktiven Maßnahmen des Sparens bei öffentlichen Investitionen gefolgt sind, erwachsen allein daraus ausreichend Projekte, die einen kräftigen Wachstumsschub erreichen können (Krugman, P.: 2012, S. 239 f.). Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Kenneth S. Rogoff (1953) aus den USA, ehemaliger Chefökonom des IWF und Professor an der Universität Harvard, vertritt ähnliche Positionen (Ende 2013). Der Katzenjammer hinsichtlich des Wirtschaftswachstums habe tiefe und vor der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 liegende Wurzeln, nämlich zu geringe wirklich produktive Investitionen und verfallende Infrastrukturen. „Das Internet mag zwar eine coole Sache sein, aber kaum von so entscheidender Bedeutung wie fließendes Wasser, Elektrifizierung oder der Verbrennungsmotor“. Es fehlen seit langem technologische und ökonomische Höhepunkte in den USA. Solchen Unzulänglichkeiten verschiedenster Art müsste man sich annehmen, d. h. Strukturreformen und Strategien zur Erhaltung der Gesamtnachfrage in Zeiten der wirtschaftlichen Erholung ergreifen und hierfür kluge Finanzierungswege einschlagen. Im Grunde bestehen enorme und nicht genützte Privatvermögen, die rasch mobilisiert werden könnten, um produktive Infrastrukturmaßnahmen zu unterstützen, und zwar mit strikten Bedingungen für den Schutz der öffentlichen Interessen. Finanztechnisch könnte das über öffentliche Schuldtitel langfristig finanziert werden. Die



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007107

Investitionen würden nachhaltiges Wachstum unterstützen, wären in einer Phase der Wachstumsschwäche vergleichsweise kostengünstig zu realisieren und schaffen Beschäftigung (Rogoff, K.: 2014, S. 15). Der Nutzen von Investitionen der öffentlichen Hand mit den genannten inhaltlichen Schwerpunkten – sei es für die USA oder den europäischen Raum –, um die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 durch öffentlich finanzierte Nachfrage in sinnvoller Art und Weise und prospektiv besser zu bewältigen, ist generell unbestritten. Bei geldpolitischen Maßnahmen ist eher das Gegenteil der Fall. Zur angeblichen Sanierung der „Finanzindustrie“ wurden beispielsweise weltweit Billionenbeträge in Euro, Dollar usw. der Öffentlichen Hände bzw. der Steuerbürger zur Rettung und Verbesserung in einen maroden und krisenverursachenden Bereiche gepumpt. Inzwischen weis man, dass einmal etwa 80 % der aufgewendeten Mittel zu viel eingesetzt wurden. Zweitens hat die „Finanzindustrie“ vor und nach Ausbruch der Krise ziemlich als einziger Wirtschaftssektor mit seinen Managern und Verkaufskeilern an der Krise weit überwiegend glänzend verdient. Drittens wurde die „Finanzindustrie“ strukturell und funktionell kaum oder gar nicht „saniert“ bzw. alte und teilweise hochkriminelle Praktiken feierten bald wieder fröhliche Urstände. Viertens musste die Politik gegen den massiven Widerstand und die Resistenz der Finanzwirtschaft gesetzliche Regelungen ergreifen, um die „Finanzindustrie“ und deren „systemimmanenten“ zukünftigen bzw. potentiellen Rettungsbedürfnisse auf Kosten der Steuerzahler endlich zu bändigen. Das Gezeter der Finanzwirtschaft im Euro-Raum zum Thema Bankenunion in der Euro-Zone war nicht zu überhören. In diesem Stil wurden – wen wundert’s – finanzielle Eigenbeiträge des Finanzsektors zur Verbesserung und Sicherung des Sektors bis heute vehement bekämpft. Bei Sparmaßnahmen des Staates in Krisenzeiten besteht oft die Neigung, öffentliche Bedienstete abzubauen. Das war auch bei der 3. Wirtschaftskrise ab 2007 in den USA der Fall. In normalen Zeiten wuchs mit der Zahl der Bevölkerung auch die Zahl der Beschäftigten in den Bundesstaaten. In den Krisenjahren 2008 und 2009 stoppte das Wachstum und sank danach von etwa 19,8 Millionen auf etwa 19,3 Millionen Beschäftigten, also rund 0,5 Millionen Mitarbeiter wurden im öffentlichen Dienst abgebaut. Das fand vor allem in Schulen statt. Das war zweifellos kontraproduktiv gegenüber den Intentionen des Konjunkturprogrammes der Regierung Obama. Wäre das Beschäftigungswachstum in diesem Beschäftigtensegment „normal“ verlaufen, hätte der Beschäftigtenstand im Jahr 2009 die Zahl von etwa 20,6 Millionen Mitarbeiter betragen, d. h. die Differenz zum tatsächlichen Mitarbeiterstand des Jahres 2009 mit 19,3 Millionen Mitarbeitern beträgt somit 1,3 Millionen Mitarbeiter. Ohne Mitarbeiterabbau wären diese 1,3 Millionen Menschen im Arbeitsmarkt verblieben. Das Konjunkturprogramm der Re-

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1. Einführung Abbildung 1.7: Notenbanken: Ziele und Funktionen Europäische Zentralbank

Ziele

Vorrangiges Ziel

• Preisstabilität • Unterstützung allgemeiner Wirtschaftspolitik ohne Beeinträchtigung der Preisstabilität

Gewährleistung der Preisstabilität

Bank of England • Preisstabilität ­(quantifiziert durch das Schatzamt) • Unterstützung der Wirtschaftspolitik der Regierung einschließlich Wachstums- und Beschäftigungsziele (vorbehaltlich der Preisstabilität) Gewährleistung der Preisstabilität

Federal Reserve System (USA) • stabile Preise • Höchstgrad an ­Beschäftigung • moderate Langfrist­ zinsen

moderate Langfristzinsen

Funktionen Aktiva • Währungsreserven (1) • Gold und Goldforderungen • Devisen • Forderungen an Geschäftsbanken (2) • Hauptrefinanzierungsgeschäfte • längerfristige Refinanzierungsgeschäfte • Feinsteuerungsoperationen in Form von befristeten Transaktionen • Forderungen an öffentliche Haushalte (3) • Sonstige Aktiva (z.B. Wertpapiere) (4)

Passiva • Banknotenumlauf (5) • Einlagen der Geschäftsbanken (6) • Einlagen auf Girokonten einschließlich Mindestreservenguthaben • Einlagefazilität • Einlagen des Staates (7) • Sonstige Passiva (8)

(Internet: Zentralbank; Europäische Zentralbank)

gierung Obama mit einem Umfang von 800 Milliarden hätte – so Krugman – 300 Milliarden davon sinnvoller investieren können, wenn den Bundesstaaten und Kommunen geholfen worden wäre. Zudem hätte der Staat auch neue Projekte anstoßen sollen, Investitionen in Straßen und Schienenverkehr, Kanalisation, Reparaturen usw., kurzum es wurde zu wenig investiert (Krugman, P.: 2012, S. 240–242). Notenbanken haben mit ihren Instrumenten die generelle Funktion, über die Geldpolitik einen Beitrag zur Bewältigung von Wirtschaftskrisen zu leisten. Sie sind in Staaten und auch in der EU durch die Europäische Zentralbank (EZB) dafür die zuständigen Institutionen zur Gestaltung der Geldund Währungspolitik, und zwar mit den Hauptzielen, das Preisniveau- und die Geldwertstabilität zu wahren und das Wachstum der Wirtschaft positiv



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007109

zu beeinflussen. Ziele und Funktionen der Nationalbanken variieren in den Ländern und orientieren sich an den unterschiedlichen Gegebenheiten und jeweiligen nationalen Entwicklungen. Übergeordnete und transnationale Funktionen erfolgen beispielsweise in der EU im Rahmen der EZB. Das oberste Beschlussorgan ist der EZB-Rat mit seinem Direktorium von sechs Mitgliedern und den Präsidenten der 19 nationalen Zentralbanken des Euroraumes, nachdem am 01.01.2015 Litauen als dritter baltischer und bislang letzter Staat in den Euro-Raum aufgenommen wurde. Die wichtigere gegenwärtige Frage wird nun sein, was die Notenbanken für die Bewältigung der 3. Wirtschaftskrise ab 2007 konkret tun. Das BIP vieler Länder in Europa liegt unter dem Niveau vor der Krise. Das Wirtschaftswachstum in der EU ist sehr gering, teilweise sogar rückläufig. Konjunkturell stehen die USA wesentlich besser da (Ende 2014). Ähnlich verhält es sich mit den Einkommen und der Vermögensbildung der meisten Menschen sowie dem weiteren und ungerechten Auseinanderdriften von Armut und Reichtum. Die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern, insbesondere zu Lasten der jüngeren Generation, wird jahrelange und intensive Bemühungen erfordern. Hinzu kommt (Anfang 2015), dass die Bewältigung der Krise nachteilig überlagert wird durch schwere politische Konflikte und Gefahrenherde (Ukraine, Naher Osten, Terrorismus usw.). Natürlich kann man nicht allen Chefs und Vertretern von Notenbanken und des Finanzsystem in den USA, Europa und anderen Ländern pauschal die schon genannten und noch weitergehenden Vorwürfe über Verantwortungslücken und Fehler machen, die auch sie fallweise treffen und zur Krise der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und den damit verbundenen prekären Verhältnissen geführt haben. Die mittlerweile auch teilweise „neuen Chefs“ der Notenbanken und von anderen wichtigen Positionen der Finanzsysteme müssen sich bewusster werden, welche Bedeutung eine gute Regulierung der Finanzmärkte hat und wie wichtig es sein wird, Banken zu ihrem ursprünglichen Kerngeschäft zurück zu führen, nämlich der Kreditvergabe zu möglichst günstigen Transaktionskosten, besonders auch für Private, kleine und mittlere Unternehmen, die keinen direkten Zugang zu den Kapitalmärkten haben, wie das großen Unternehmen, Konzernen und anderen Einrichtungen möglich ist. Kompetenz, Urteilsvermögen, Diskretion, Risikobewusstsein, Redlichkeit usw., also alte und wichtige Tugenden müssen beitragen, um zu soliden und ordentlichen Geschäftspraktiken zu gelangen und das desaströs geschädigte Vertrauen in das Bankensystem Schritt um Schritt wieder zu verbessern, und zwar auf allen Stufen und unterschied­ lichen Größenverhältnissen der Bankunternehmen. Die Chefs der Nationalbanken müssen sicher teilweise ihre Rolle und Funktionen überdenken. Sie kann sicher nicht primär oder gar weit übertrie-

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1. Einführung Abbildung 1.8: Bankenunion im Euroraum

Einheitliche Aufsicht Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) überträgt der EZB die Rolle der zentralen Aufsichtsbehörde von Finanzinstituten im Euro-Raum (rund 6000 Banken) und in jenen nicht-Euro Staaten welche sich entschließen dem SSM beizutreten. Ab November 2014 wird die EZB die größten Banken direkt beaufsichtigen, während die nationalen Aufseher weiterhin die Aufsicht über die übrigen Banken ausüben werden. Die Hauptaufgabe der EZB und der nationalen Aufseher, welche in einem inte­grierten System zusammen abeiten, ist es sicherzustellen, dass die EU Bankenvorschriften eingehalten und mögliche Schwierigkeiten frühestmöglich erkannt und behandelt werden. Einheitliche Abwicklung Der Einheitliche Abwicklungsmechanismus (SRM) findet auf dieselben Banken Anwendung, die vom SSM erfasst sind. In Fällen, in denen trotz verstärkter Aufsicht eine Bank in Schwierigkeiten gerät, erlaubt der Mechanismus eine geordnete Abwicklung durch ein Einheitliches Abwicklungsboard und einen Einheitlichen Abwicklungsfonds der durch Beiträge des Bankensektors gespeist wird. Das Ziel ist die geordnete Abwicklung von Banken in Schwierigkeiten unter geringst möglicher Belastung der Steuerzahler und der Realwirtschaft. Einheitliches Regelwerk Das Einheitliche Regelwerk (single rulebook) ist die Grundlage der Bankenunion. Es besteht aus einem Paket aus Rechtsakten welches für alle Firanzinstitute (insgesamt rund 8300 Banken) verbindlich ist Diese Regeln enthalten, unter anderem, Eigen­ kapitalvorschriften für Banken, verstärkte Anlegerschutzvorschriften und Maßnahmen zur Prävention und Abwicklung von Bankenpleiten. • Eigenkapitalvorschriften • Einlagensicherungssysteme • Bankenrestrukturierung und Abwicklung (Quelle: Schwan, K.: Nach: http: /  / ec.europa.eu / internal_market / finances / banking-union / index_de.htm)

ben in einer Bankenstützung und deren Interessenvertretung gesehen werden, so wie es in der Vergangenheit viel zu häufig der Fall war. Für solche auch missbräuchlichen Praktiken darf in einem reformierten Finanzsystem kein Platz mehr sein und es muss daher auch bei nachteiligen Entwicklungen der Grundsatz gelten, Wehret den Anfängen, der nicht umsonst in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft eine lange Tradition hat, sich oft bewahrheitete und als Principiis obsta! auf den römischen Dichter Ovid (43 v. Chr.–17. n. Chr.) zu-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007111 Abbildung 1.9: Wiederherstellung der Finanzstabilität im Euroraum

Strengere Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften für die Banken

Einheitliches Regelwerk, einschl. Vergütungsvorschriften

Wirksame Abwicklungsvorschriften zum Schutz der Einleger

Wirksamere Beaufsichtigung und Überwachung

Ende des „Too-Big-To-Fail“

Sicherere und transparentere Finanzmärkte

Weniger Rückgriff auf Ratings

Bekämpfung der Risiken durch Schattenbanken

Verhinderung und Bestrafung von Marktmissbrauch

(Quelle: http: /  / ec.europa.eu / internal_market / finances / docs / banking-union / banking-union-memo_de.pdf) © Europäische Union, 1995–2015

rück geht und allgemeine Bedeutung erlangte. Gerade die FED in den USA war – dem zeitgeistigen neoliberalen Credo der Deregulierung folgend – sicher ein wesentlicher Mitverursacher der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Es ist natürlich auch im Euro-Raum kein Zufall, dass die EU für die Konzeption der EZB mit dem sehr wichtigen Projekt der Europäischen Bankenunion beispielsweise tiefgreifende Reformen vorgenommen hat. Das hätte schon viele Jahre früher geschehen können und wird nunmehr den Erbsünden und Geburtsfehlern der EU bzw. dem Euro-Raum zugerechnet, was nun spät und etwas scheinheilig, aber doch kritisiert wird. Die Bestrebungen innerhalb der EU, um zwar spät aber doch zu einer Bankenunion zu gelangen, der lange und steinige Weg bis zur Erreichung des Zieles, reflektiert die bisherigen Systemlücken und -schwächen sehr deutlich. Die Grundfunktionen der Bankenunion zeigen die Abbildungen Bankenunion in Europa und Wiederherstellung der Finanzstabilität im Euroraum. Die Wiederherstellung der Finanzstabilität im Euroraum war und ist eine Funktion der EZB, die nach den Erfahrungen der 3. Wirtschaftskrise ab 2007 ergänzend geregelt wurde.

112

1. Einführung

Die EZB hat nach der Wahl ihres derzeitigen Präsidenten Mario Draghi (1947) am 01.11.2011 eine expansive Geldpolitik eingeschlagen und die EZB-Bilanz hat sich in kurzer Zeit auf 3 Billionen Euro verdreifacht. Der Beitrag der EZB für die Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 war seitdem beträchtlich (Internet: Draghi, M.). Josef Stiglitz stellt der EU und der EZB diesbezüglich auch ein gutes Zeugnis für die Jahre ab 2011 aus (Internet: Stiglitz, J. / Pos. 2). Natürlich war die EZB und ihre Politik auch Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen, dennoch ihre Aktivitäten sind bislang summa summarum positiv zu bewerten. Eine Chronologie der Aktivitäten der EZB zeigt bereits kurze Zeit nach Beginn der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 deutliche Reaktionen: 08.10.2008: Leitzinssenkung um ein dreiviertel Prozent auf 2,5 %. Das ist der größte Zinsschritt seit Einführung des Euro und Gründung der EZB. – 07.05.2009: EZB senkt Leitzins auf 1,0 %. – 24.06.2009: EZB stellt den Banken in der Euro-Zone erstmals für ein ganzes Jahr Liquidität zur Verfügung und über 1000 Banken rufen insgesamt die gewaltige Summe von 442 Milliarden Euro ab. – 06.07.2009: EZB beginnt mit dem Ankauf von Pfandbriefen und es werden knapp 100 Milliarden eingesetzt. – 25.03.2010: Sicherheiten mit schwächerem Rating als „A“ werden von der EZB akzeptiert, was die Refinanzierung von Griechenland erleichtert. – 10.05.2010: Aufgabe des Widerstandes der EZB gegen den Ankauf von Staatsanleihen der Euro-Länder, und zwar am Sekundärmarkt und damit nicht direkt bei den Regierungen. – 08.08.2011: EZB beginnt mit dem Ankauf von Anleihen der Länder Italien und Spanien. – EZB-Präsident Mario Draghi beginnt nach seinem Vorgänger Jean-Claude Trichet (1942) am 03.11.2011 seine maximal achtjährige Amtszeit, und zwar mit dem Paukenschlag der Senkung des Leitzinses auf 1,25 %. – 08.12.2011: Um den kriselnden Geldmarkt wieder flott zu machen, senkt die EZB den Leitzins auf 1,0 %, verbunden mit einem Bündel an Maßnahmen. – 22.12.2012: Die Banken der Euro-Zone sichern sich die enorme Summe von 489 Milliarden Euro. – 29.02.2012: Ein weiterer Betrag von 530 Milliarden Euro (bis Mai 2012) geht an die Banken des Euro-Raums. – 22.06.2012: EZB weicht ihre Anforderungen an Sicherheiten weiter auf. – 11.07.2012: Die EZB senkt zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Leitzins auf 0,75 %. – 02.08.2012: Gegen den Widerspruch des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann (1968), kündigt die EZB ein neues Anleihekaufprogramm an, das am 06.09.2012 durch den EZB-Rat beschlossen wird, um den Euro in der Schuldenkrise zu sichern, Störungen am Anleihemarkt zu beheben und eine einheitliche Geldpolitik in allen 17 Euro-Ländern zu garantieren. – 02.05.2013: EZB senkt den Leitzins auf 0,5 % und es besteht die Absicht, diesen Satz „auf längere Zeit hinaus“ beizubehalten (Sustala, L.: 2013a, S. 15; Internet: Europäische Zentralbank / EZB). – 07.11.2013: EZB senkt den Leitzins auf 0,25 %, der



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007113

auch 2014 bis auf weiteres gelten soll, so die EZB. Ziel ist es, in der Eurozone das Wachstum zu stützen, das dennoch 2014 schwer zu gelingen scheint. Im Sommer und Herbst 2014 zeigt sich, dass die vorherigen Jahresprognosen von etwa 2 % Wachstum mit Varianten je nach Ländern auf bis 0,6 % zu korrigieren sind. Anfang des Jahres 2015 spricht viel dafür, dass die EZB Staatsanleihen von Staaten der Euro-Zone ankaufen wird. Offiziell ist die Begründung, die EZB wolle damit eine befürchtete deflatorische Entwicklung verhindern, die das Wirtschaftswachstum dämpfen könnte. Die Argumentation ist allerdings wenig überzeugend. Schließt man „Essen“ und „Energie / Erdöl“ als deflatorische Faktoren – was geldpolitisch sinnvoll ist – aus, um die Kerninflation zu ermitteln, ergibt sich ein Inflationswert von etwa 0,7 %. Von einer drohenden Deflation kann somit nicht ausgegangen werden, wenn damit die EZB ihre Staatsanleiheankäufe begründen möchte. Experten erwarten von dem durch die EZB angestrebten Vorhaben kaum Wachstumsimpulse. Solche Effekte wurden durch die von der EZB bislang inszenierte Geldschwemme bekanntlich kaum erreicht. Die EZB dürfte vielmehr italienischen und französischen Forderungen nachkommen, die dringend neue Mittel durch Erhöhung ihrer Schulden generieren möchten und damit den politischen Druck gegen nationale Reformnotwendigkeiten abzufangen versuchen, die letztendlich dadurch verschoben werden. Auch die Entwicklungen in Griechenland mit der Gefahr eines EU-Ausstieges und damit der Rückkehr zur griechischen Drachme, geht in diese Richtung. Der direkte Ankauf von Staatsanleihen war bislang ein Tabu für Notenbanken und die EZB, das nun durchbrochen werden könnte und der Staatsfinanzierung via Notenbanken die Tore öffnen und wahrscheinlich zu einer Schwächung des Euro führen würde. Eine unabhängige Notenbankpolitik sieht anders aus. Das Geldvermögen wird weiter entwertet. Man kann das als stille Enteignung oder auch eine verschwiegene Währungsreform bewerten, die auf dem Rücken der Bürger ausgetragen wird. Auch das ist ein eklatanter Widerspruch zu Grundzielen der Notenbanken im Euro-Raum (s. a.: Rohmann, J.: 2015). Die EZB unter ihrem Präsidenten Mario Draghi möchte das zarte Pflänzchen Wachstum nicht wegen zu „hoher“ Zinsen absterben lassen und fürchtet zudem – ähnlich wie der IWF – deflatorische Gefahren. Der Zinssatz von 0,25 % vom 07.11.2013 wurde daher auf den Wert von 0,15 % Zins gesenkt. Auch das zeigt zu geringe Wirkung und der jüngste Leitzinssatz in Höhe von 0,05 % folgte am 04.09.2014. Das ist der geringste Zinssatz, den es je gab. Ein paar positive Impulse der Industrie gäbe es, so Mario Draghi, ansonsten sei das Bild mittlerweile trist und die Situation labil. Das Wachstum in der Eurozone schrumpft von bereits reduzierten Erwartungen von 0,6 Prozent Wachstum für 2014 (Sommer 2014) auf 0,4 Prozent (Herbst 2014), d. h. die Aussichten für 2014 werden um insgesamt 1,6 % zurückge-

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1. Einführung

nommen. Ein solides Wachstum läge in weiter Ferne, so Mario Draghi und meinte diplomatisch, „Der Aufschwung ist noch sehr unausgereift“, die EZB-Ratsmitglieder seien „arlarmiert“, der Euro habe gegen den Dollar etwas abgewertet und steigende Anleihe- und Geldmarktzinsen seien für die schwache Wirtschaft ein Risiko (Sustala, L.: 2013b, S. 23). Kurzum, die momentane Geldpolitik der EZB hat Ende 2014 ihren Einfluss auf das ersehnte, aber vorerst ausbleibende Wachstum verloren. Die EZB und die Notenbanken versuchten bislang zunehmend Geld in die Märkte zu pumpen, aber die erhofften Wachstumsimpulse in der Realwirtschaft bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Das war bereits Ende 2013 im Euroraum zu erkennen. Das „billige“ Geld bzw. der Liquiditätszuwachs hat scheinbar paradoxe Börsenreaktionen angeheizt. Gleichzeitig blieb das Arbeitslosenproblem in den USA und in Europa nach wie vor weitgehend ungelöst (Ende 2014) und in verschiedenen Bereichen verschlechterte es sich sogar. Vor allem der private Sektor hat weniger Arbeitsplätze geschaffen als erhofft. Das gilt auch für die USA, die konjunkturell besser als Europa dastehen (Ende 2014). Fachleute fragen sich daher bereits (Ende 2014), ob sich durch billiges Notenbankgeld an den Börsen Blasen entwickeln. Die Alternativen zu Aktien sind gering und Dividendenrenditen liegen über Anleiherenditen. Aktienkurse werden zudem vielfach so gut bewertet und verlockend angesehen, da sie an ihrem Wert im Krisenmodus gemessen werden, aber eigentlich „normale“ Werte haben. Ihre Attraktivität rührt weniger aus dem Wirtschaftswachstum, sondern oft aus der Geldpolitik der Notenbanken, vor allem bei Käufen mit Kreditfinanzierungen. Es stellt sich aber auch die Frage, wie mit den durch die Geldpolitik enorm erhöhten Schulden in Zukunft umgegangen werden soll, besonders mit den ausufernden Staatsschulden. Gibt es einen Schuldenschnitt, ein schleichende Schuldenabbau durch Inflation oder trauen sich die Staaten ernsthaftes Sparen zu, das natürlich nicht weh tun soll. Letzteres geht an den Kern der Krisenstrategie, nämlich die Optimierung des Mix zwischen Sparen und Verschulden. Mit Letzterem wird ein Anstieg der Nachfrage erhofft bzw. versucht Wachstumsimpulse zu erreichen. An diesem Punkt scheiden sich in Europa bekanntermaßen die Geister (s. a.: Kary, C., Lammer, B.: 2013, S. 9). Die Niedrigzinspolitik der EZB hat aber auch ihre Verlierer, nämlich die Sparer. Der niedrige Leitzinssatz der EZB von 0,25 % (Ende 2013) und inzwischen von 0,05 % (Herbst 2014), der noch einige Zeit beibehalten werden soll, bedeutet, dass die finanzielle Repression für viele Sparer weitergehen wird und der Wert der Sparbücher in Verbindung mit der Inflation bzw. durch Kaufkraftverlust schleichend enteignet wird. Bis Ende 2014 beläuft sich der reale Verlust für deutsche Sparer auf rund 35 Milliarden €,



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007115

bei Sparern in Österreich beträgt die vergleichbare Summe etwa 5,8 Milliarden €, jeweils gerechnet vor Abzug der Kapitalertragsteuer auf die Zinsen (Deutschland 30 % plus 5 % Solidarzuschlag auf die Steuer macht 31,5 % ohne Berücksichtigung eines Freistellungsauftrages, gültig bis Ende 2008; ab 2009 Freibetrag von 801,– € nach Antrag; 25 % plus 5,5 % Solidarzuschlag macht auf den Steuerbemessungsbetrag 26,375 %; Österreich verrechnet 25 % Kapitalertragssteuer). Die Banken profitieren von dem extrem niedrigen Leitzins der EZB, haben günstigste Kapitalbeschaffungskosten und geben von diesem Vorteil nahezu nichts an die Sparer weiter. Von Kreditnehmern kassieren sie enorme Zuschläge sowie Gebühren und profitieren von entsprechenden Zinsspannen bei meist zurückhaltender Kreditgewährung an Klein- und Mittelbetriebe. Sie veranlagen ihre Mittel stattdessen arbeits- und risikofrei bei den Nationalbanken, der EZB oder Dritten. Bei Privaten werden immens hohe Überziehungszinsen abgezockt. Kritiken an dieser Praxis werden mit impertinenten und damit höchst ärgerlichen „Argumenten“ abgewimmelt. Überziehungszinsen in Österreich belaufen sich einschließlich diverser Gebühren bis auf stattliche 18,75 % (Sommer 2013). Die Santander Consumer Bank, Österreich bietet im September 2014 beispielsweise einen Kredit über 10.000,– € mit 48 Monaten Kreditlaufzeit zum Effektivzinssatz von 12,98 % (10.09.2014) an (Internet: Kreditkosten). Die Sparzinsen in Österreich, täglich fällig, Betrag 5.000,– € (10.09.2014) bewegen sich in einem Zinsrahmen von 0.005 % (Oberbank, 3 Banken Gruppe) bis 1,4 % Zins (Renault Bank direkt). Trotz scharfer Kritik ändert sich das hemmungslose Abkassieren nicht. In Deutschland herrschen nahezu gleiche Verhältnisse (Internet: Dispozinsen, Sator, A., Schamall, S., Der Standard: 2013, Pos. 7). Die missbräuchlichen Vorgehensweisen vieler Banken beispielsweise bei Überziehungsbzw. Dispozinsen sind auch als generelles Symptom einer mentalen Verrottung von Bankern zu bewerten. Hemmungslos werden Kunden abkassiert, sei es aus Gier oder um aus Missmanagement entstandene Verluste auf Kosten anderer möglichst rasch abzudecken. Mit einer wirklichen Sanierung der Banken hat das nichts zu tun, denn das gepflogene Verhalten lässt befürchten, dass im bisherigen Stil weitergewurstelt wird. Warum soll man sich ändern, wenn es auch so geht? Die wichtige Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens in Banken scheint bei so unseriösen Praktiken kein besonderes Anliegen der so agierenden Institute zu sein! Von einem dringenden Paradigmenwechsel ist ein Teil der Banken weit entfernt und es wird ignoriert, dass genau dort eine Neuorientierung beginnen muss, wenn man aus dem Schlamassel der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 tatsächlich herauskommen, und ein da capo verhindern und Vertrauen aufbauen möchte. Bei solchen Unsitten kommt ein alter Spruch ins Gedächtnis: Ist der Ruf erst ruiniert, Lebt es sich ganz ungeniert!

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1. Einführung

Banken im deutschsprachigen Raum der Euro-Zone haben mit dieser Praxis bei Kredit- und Dispo- bzw. Überziehungszinsen, Sparzinsen und Gebühren offenbar aus der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nichts gelernt, verhalten sich skandalös unverschämt und scheinen bereits vergessen zu haben, dass die noch lange nicht beendete Krise vom Finanzsystem ausgegangen ist, und zwar durchaus auch mit Rückenwind aus Europa. Der „Finanzindustrie“ wurde mit enormen und weit überzogenen finanziellen Summen auf Kosten der öffentlichen Hand und somit der Steuerzahler geholfen. Bei der gesetzlichen Einforderung durchaus überschau- und tragbarer Beiträgen der Banken für deren eigene Sanierung, besondere auch ihre zukünftige Sicherungsvorsorge für eventuell auftretende Schadensfälle und auch um Steuerzahler als zukünftige „Bankensanierer“ etwas zu schonen, reagiert der Bankensektor geradezu impertinent egozentrisch und abweisend. Mit Arroganz wird ignoriert, dass die Gesellschaft, Politik und die Steuerbürger mit enormen Summen eingesprungen sind, um einen Großteil der Banken aus ihrem weitgehend selbst verursachten Schlammassel der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 heraus zu helfen. Solche schäbige Interessen-Krämerei zeugt kaum von tiefergehender und konstruktiver Selbstkritik, die am Anfang einer überfälligen Reform stehen müsste. Es muss allerdings nicht so sein, denn es gibt auch Banken, die beispielsweise geradezu erstaunlich niedrige Dispozinsen verrechnen und auch ansonsten verbreitete Bank-Missbräuche unterlassen. Zwischen den teuersten und günstigsten Überziehungszinsen nach einer Studie der Stiftung Warentest in Deutschland, liegt eine Spanne von mehr als zehn Prozent (!) (Internet: Dispozinsen). Lediglich eine oberflächliche Image-Politur der Finanzwirtschaft zu inszenieren ist nutzlos. Sie wird von den durch die Krise betroffenen Menschen durchschaut, abgelehnt und als das erkannt was sie nicht ist: Eine reale, notwendige und auf lange Sicht angelegte Änderung der Ideen, Vorstellungen, bankinterne und -externe ethische Verhaltensmaximen vorzunehmen und die gelebte Bereitschaft, redliche Finanzleistungen im Dienste der Gesellschaft, des Staates und der Wirtschaft zu erbringen. Mit Letzterem könnte verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden und dann sind die Bankkunden auch bereit, für solche erwartete Leistungen zu zahlen. Vom Abzocken der Banken und der Sozialisierung der durch Missmanagement und kriminelles Handeln entstandenen Verluste durch einen Teil der Banken auf Kosten der öffentliche Hand, Steuerzahler und Bankkunden in einem kaum vorstellbaren Ausmaß, haben die Menschen endgültig genug. Sie sind skeptisch und wehrhaft geworden. Zudem sind die finanziellen Ressourcen bei vielen Menschen auf Jahre hinaus erschöpft. Die PR- und Marketingleute können sicher nicht erfolgreich darauf spekulieren, dass durch Banken schwer geschädigte Bürger, Betriebe und andere Einrichtungen damit ver-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007117

bundene und böse Erfahrungen rasch vergessen und durch seichte und scheinheilige Goodwill-Kampagnen zu beruhigen sind. Ihr Misstrauen sitzt zu tief. Das erforderliche Umdenken, der unverzichtbare Paradigmenwechsel der „Finanzindustrie“ und ein geändertes Handeln ist weder Zauberei, noch eine Überforderung. Ein beachtlicher Teil der Bank- und Finanzwirtschaft hat vor und während der Krise Gott sei Dank gezeigt, dass eine redliche Geschäftspraxis durch viele Finanzunternehmungen praktiziert wurde. Es gab und gibt die erwünschte Normalität einer soliden, erfolgreichen und dauerhaften Geschäftsbasis der Finanzunternehmen und ein gutes Verhältnis mit den Kunden. Man stelle sich vor, diese bank- und finanzwirtschaftliche Normalität hätte nicht bestanden. Wo befänden wir uns denn dann? Der Alptraum der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 war und ist grausam genug! Der fallierte Teil der „Finanzindustrie“ müsste eigentlich längst von selbst den Weg in die Normalität eingeschlagen haben. Als Optimist wird man das auch annehmen und hoffen nicht enttäuscht zu werden. Es gibt leider aber auch starke Anzeichen dafür, dass dem nicht so ist und sehr beachtliche Teile der „Finanzindustrie“ bereits quasi wieder begonnen haben „rückfällig“ zu werden. Europa, die USA und andere Länder wissen das und haben beispielsweise dem bisherigen Schlendrian bei öffentlichen Aufsichts- und Regulierungsfunktionen der Bank- und Finanzwirtschaft den Kampf angesagt und neue Regelungen getroffen. Die Regel principiis obsta bzw. wehre den Anfängen wurde revitalisiert. Der für die nachhaltige Bewältigung der Krise unerlässlich notwendige Paradigmenwechsel ist in den Köpfen und Herzen vieler Hauptverursacher des katastrophal folgenschweren Ereignisses der Krise noch längst nicht angekommen, obwohl zu Lasten von Millionen von Steuerbürgern unvorstellbar hohe und weit überhöhte Billionenbeträge in das marode Bank- und Finanzsystem flossen und die Taschen der Banker und anderer Profiteure füllten. Gleichzeitig verloren Millionen von Menschen Hab und Gut einschließlich ihres Arbeitsplatzes. Man muss es sagen: Schreiende Ungerechtigkeit nach dem Motto „Der Ermordete ist schuld!“ Konsequent, sprich schamlos, zynisch und verlogen wird teilweise business as usefull fortgesetzt und beispielsweise mit diversen vordergründigen PR-Aktivitäten das Wort „Vertrauen“ strapaziert, um die hinunter gewirtschaftete und miserable Optik aufzupolieren. Solche gebetsmühlenartige Schönfärbereien können nicht darüber wegtäuschen, dass vielfach das Gegenteil wahr ist. Es gibt bereits Stimmen, die nach dem Gesetzgeber rufen: Ein trauriges Indiz des Versagens vieler Banken, aber auch ihrer Interessensvertretungen, die längst brancheninterne Selbstheilungskräfte mobilisieren und faire Lösungen hätten finden müssen. Will man warten bis Kunden

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1. Einführung

total verärgert sind oder zunehmend bei Banken Grenzen zur Illegalität erreicht werden, die den Gesetzgeber zwingen einzugreifen? Nachdem der Gesetzgeber in der Regel der Realität mit weitem Abstand solchen Entwicklungen hinterher läuft, sind auch seine Interventionen häufig zu spät bzw. suboptimal. Die Bankenwirtschaft müsste selbst am Besten wissen was notwendig ist, um nicht noch mehr Reputation und damit Vertrauen zu verlieren, ganz abgesehen vom wachsenden Widerstand ihrer Kundschaft, der Öffentlichkeit usw. Die Bank- und Finanzbranche und ihre Interessenvertreter müssen im eigenen Hause endlich für ordentliche Zustände sorgen. Es läge im ureigenen Interesse der Banken, endlich aus der Schmuddelecke herauszukommen (Internet: Dispozinsen). Vor allem sollte möglichst verhindert werden, dass der wichtige Teil der gut geführten Banken nicht durch den Imageschaden der „Finanzindustrie“ zu sehr mitgeschädigt wird. In London, dem wichtigsten Finanzplatz der Welt, traut man den Selbstheilungskräften der Banken- und Finanzbranche allerdings offenkundig kaum eigenes Reformpotential zu und die öffentlichen Stellen, z. B. die mächtige überparteiliche Parlamentarische Bankenkommission (PBK), planen drakonische Maßnahmen, wie: Gefängnisstrafen für waghalsige Bankchefs. – Boniauszahlung erst nach zehn Jahren. – Einführung einer Schwarzen Liste für Banker durch die Europäische Bankenaufsicht (EBA) mit Sitz in London, mit dem Ziel deren Wiederbeschäftigung an anderen Orten vorbeugend beeinflussen zu können. – Schaffung neuer Straftatbestände für Banken. – Trennung von Banken mit normalem Geschäft von Investmentbanken. – Erhöhung der Kernkapitalquote von Banken. Was davon realisiert wird ist teilweise noch offen, aber die englische Agenda allein spricht bereits Bände über entglittene Verhältnisse (Borger, S.: 2013, S. 23). Mit den kritisierten, plumpen, einfallslosen und häufig am Rande der Gesetze verfolgten Praktiken eines Teils der Banken, werden diese selbst nicht gut weiterkommen, da sie schlicht und einfach an Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit und somit letztendlich Erträge verlieren. Gestaltungsfähigere, seriösere und damit vertrauenswürdigere Konkurrenten werden an ihre Stelle treten oder haben bereits ihren Platz eingenommen. Das hat bereits während der Krise und am Höhepunkt der Kreditklemme begonnen. Weitblickende und kluge Banker haben Unternehmen mit einem gesunden Kern bei Finanzierungsproblemen und Projekten in partnerschaftlicher Art und Weise geholfen, d. h. durch Zuwendung und Zuversicht eine kluge Politik der langfristigen Kundenbindung verfolgt und prospektives Vertrauen und damit Geschäftspotentiale aufgebaut. Mit Engagement haben sie in einer sehr schwierigen Wirtschaftsphase eine hervorragende kundenfokussierte geschäftspolitische Leistung erbracht, wo bei anderen Banken Risikomanager zu dominieren begannen, und zwar



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auch gegenüber Kollegen auf der Chefetage mit unternehmerischem Können, kommerzieller Erfahrung, wirtschaftlichem Denken, Fühlen und Handeln bei der Zusammenarbeit mit ihren bestehenden und potentiellen Kunden. Risikomanager unterliefen oft einfach taktisch kühl Chefs und Fachleute im Kunden- und Akquisitionsbereich. Das während der Krise vermehrt entstandene und stark verbreitete Management-Gift der Angst – auch auf der Top-Ebene – kam den Risikomanagern entgegen. Mit simplifizierendem und auf „Risiko“ taktisch-opportunistisch fokussiertem Blick, d. h. in einer die ganzheitliche Geschäftsrealität verweigernden Sicht, exekutieren sie ihren Job. Mit technokratischen und anmaßenden Attitüden wurden durch Risikomanager Geschäfte und Kundenbeziehungen abgewürgt. Die grassierende Unsicherheit und Angst im eigenen Hause und allgemein wurde genutzt bzw. missbraucht und in peinlichen Selbstinszenierungen das „letzte Wort“ gesprochen, und zwar meist auch zu Lasten des Vorstandsvorsitzenden einer Bank. Letzteres wiederum geschah besonders häufig bei Tochterbanken von Bankkonzernen, wo der Konflikt „unternehmerisches und verantwortungsvolles Handeln“ versus „Quasi-Entmündigung“ bei AG-Tochterbanken via Konzernspitze und deren Eingriffe im Widerspruch zu aktienrechtlichen Regelungen praktiziert wurden, und zwar mit verheerenden Folgen zu Lasten der Tochterbanken und der Verängstigung ihrer Chefs und Führungskräfte. Die fatale Degeneration von Unternehmenskulturen bei Banken, aber nicht nur dort, ist eine oft weit unterschätzte, anhaltende und unselige Folge der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, die in ihrer Inhumanität prospektiven Entwicklungen enorm gefährlich werden kann. Die zeitweilig sehr und viel zu wichtig gewordene Spezies solcher Risikomanager ging in aller Regel kein persönlich fassbares Risiko ein. Ihr „Nein“ mangels eines „Ja“ ist in seinen Folgen schwer oder gar nicht bewertbar und bewirkte bei den Risikomanagern deren eigene Risikominimierung. Die zweifelhaften Effekte sind bei der Ausübung von Funktionen der Risikomanager sehr oft durch risikofokussierte Arbeitsansätze, die Entscheidungstaktik und durch das Entscheidungsgewicht systemimmanent. Abgestimmte Kollegialentscheidungen kommen zu kurz. Das führt de facto oft zur Verzerrung der unternehmerischen Geschäftspolitik. Letzteres ist in einer marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsordnung geradezu absurd. Einmal besteht das Geschäftsrisiko einer Bank – wie bei jedem anderen Unternehmen auch – vor allem in nicht zustande gekommenen Geschäften. Zweitens ist es gerade auch im Bankgeschäft eine Binsenweisheit, dass keine Geschäfte ohne Risiko gemacht werden können und daher die kritisierten Praktiken vieler Risikomanager während der Krise gerade das Gegenteil einer vorsichtigen und vorausschauenden Geschäftspolitik mit einem integrierten und funktionell sinnvollen Risikomanagement sind, da die Geschäftstätigkeiten tendenziell unterbunden statt gefördert wurden. Drittens

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besteht bei einem AG-Vorstand das Prinzip der Gesamtverantwortung, d. h. es ist nicht im Sinne des Gesetzes, einem Vorstandsmitglied eine de factoDominanz einzuräumen und schon gar nicht zu Lasten der Geschäfte der Bank. In solchen Fällen ist eine gesamthafte und sorgfältige Willensbildung des Vorstandes sicherzustellen. Viertens sind Vorstandsvorsitzende und Vorstandsmitglieder von Tochterbanken bei Bankkonzernen dem Wohl ihrer Tochterbank bzw. der AG verpflichtet und nicht lediglich Erfüllungsgehilfen ihres Bankkonzerns. De jure ist der Vorstand der Tochterbank im laufenden Geschäft weisungsfrei und mit umfassender Leitungsmacht ausgestattet. Der rechtlich vorgesehene Platz für den Konzernvorstand, um für die Tochterbank bindende Entscheidungen zu treffen, ist die Hauptversammlung der Tochterbank. Dieses rechtliche Grundwissen ist in der Praxis der Konzernbanken währen der Krise häufig vergessen worden (Internet: Vorstandsvorsitzender und Vorstand). Statt Subalternität und Untätigkeit aus Unsicherheit sowie hierdurch induzierter Angst, ist Mut zum aufrechten Gang, kluges und pflichtbewusstes Handeln gefordert: „Nachdem er die Angst erfuhr, hatte er nur mehr Angst vor der Angst“ (Hans Arndt, 1909–1995). Tatsächlich wurden mit solcher Unvernunft, Kleingeistigkeit, widerlichem sowie fehlgeleitetem Ehrgeiz und mangelnder Courage dem zukünftigen Geschäft vieler Banken und einer vertrauensbasierten Kundenbindung schwer geschadet. Nachteilig Betroffene vergessen das nicht. Klügere, engagiertere und verantwortlich handelnde Banker konnten demgegenüber gewinnen: Kunden, denen in schwerer Zeit wirklich geholfen wird, die meist genug gegenteilige Vorfälle kennen oder selbst zu befürchten hatten, die konnte man auf Sicht als Kunde gewinnen. Eigentlich ist es schwer begreiflich, dass in der Krise diese einfachen Zusammenhänge viel zu wenig die Geschäftspraktiken der Banken bestimmten. Warum ist es offenkundig für viele Banker so schwer zu verstehen, dass eine professionelle, von Anstand, Redlichkeit und damit durch gegenseitiges Vertrauen und Unternehmenskultur getragene Geschäftstätigkeit chancenreicher ist? Das macht sehr nachdenklich und unterstreicht einmal mehr, dass die primär durch das Banken- und Finanzsystem verursachte 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und vor der eigenen Haustür in weitem Maße eine moralische Krise ist, deren nachhaltige Bewältigung entsprechende Verhaltensänderungen der Verantwortlichen unerlässlich macht. Hoch kriminelle Praktiken einiger Großbanken in Europa kommen allmählich ans Licht. Sie lassen erahnen was vor und während der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 verbrochen wurde, noch aufzuklären und zu ahnden ist. Einige Beispiele zur Illustration (Herbst 2013): Die niederländische Rabobank, eine der weltweit größten Banken, zahlt für einen außergerichtlichen Vergleich mit Behörden in den USA aus illegalen Zins- und Wäh-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007121

rungsmanipulationen 774 Millionen € und der Bankchef erklärte seinen Rücktritt. – Die Rabobank (NL), Barclays PLC (UK), Royal Bank of Scotland (UK), Broker ICAP (UK) und UBS (CH), die den Libor-Skandal auslösten, der Zinsmanipulationen zu Gunsten der Banken über den Referenzzins Libor bei Abertausenden Milliarden Euro an Krediten und Wertpapieren weltweit bewirkten, zahlten mittlerweile jeweils viele hunderte Millionen € an Ausgleichzahlungen, um Gerichtsverfahren zu vermeiden. – Die Deutsche Bank (D) vermeldete einen 93-prozentigen Gewinnrückgang für 2013, da sie bereits 4 Milliarden € für eine Flut von Prozessen zur Seite legen musste, z. B. über ihre höchst zweifelhafte Rolle bei Geschäften im USImmobilienboom vor 2007. – Die Standard Chartered Bank (UK), eine „systemically important financial institution“ und international tätige Großbank, die besonders strengen Anforderungen an die Ausstattung mit Eigenkapital unterliegt, hat einen ihrer Top-Händler laut Wall Street Journal suspendiert. – Die faulen Kredite in den Bilanzen der Banken Europas haben nach einer Studie von Ernst & Young (UK) einen Rekordstand von 940 Milliarden € erreicht (Stand Oktober 2013). – Ab November 2014 wird die EZB die 130 größten Geldhäuser der Eurozone unter die Lupe nehmen, um mögliche Kapitallücken zu identifizieren. Zunehmend setzt sich die Ansicht durch, dass bei Strafen für kriminelle Verfehlungen nicht nur die Geldinstitute als solche zur Rechenschaft gezogen werden dürfen, sondern zusätzlich ebenso die persönlich verantwortlichen Manager und ihre mitschuldig gewordenen Untergebenen. Nur so sei es wirksam möglich, über eine personalisierte Verantwortlichkeit zukünftige Probleme besser vermeiden zu können (Sustala, L.: 2013f, S. 30; Der Standard, Wien vom 30.10.2013b). Die Strafverfolgungsbehörde für schwere Betrugsfälle (SFO) in London hat am 17.02.2014 gegen drei Ex-Banker der Großbank Barclay PLC (UK) strafrechtliche Anklage wegen Zinsmanipulationen des Interbanken-Referenzzinses Libor zu ihren Gunsten erhoben und dabei ihre Untersuchungen kräftig im Sinne personalisierter Verantwortung ausgeweitet. Barclays PLC (UK) hatte für solche Manipulationen bereits im Juli 2012 einer Ausgleichszahlung in Höhe von rund 330 Millionen € zugestimmt, um ein entsprechendes Gerichtsverfahren zu vermeiden. Bei der Libor- und Euribor-Manipulation mussten mittlerweile zehn Banken und Broker sechs Milliarden Dollar Strafe zahlen. Bei ähnliche Verfahren für skandalös manipulierte Währungskurse wird mit noch weit höheren Strafen gerechnet (Der Standard, Wien vom 18.02.2014, S. 23; Internet: Zinskartell). Im Jahr 2014 sind die Straf- und Entschädigungsbeträge für kriminelle Handlungen der Bank- und Finanzierungsbranche, ihres Top-Managements, der Führungskräfte und involvierter Mitarbeiter drastisch gestiegen, wie eine Auswahl besonders spektakuläre Fälle zeigt. Die US-Großbank JPMor-

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1. Einführung

gan muss für Deals mit Hypotheken-Ramsch etwa 11 Milliarden aus Rechtsstreitigkeiten zahlen. Davon 7,0 Milliarden in bar an die USA und 4,0 Milliarden Dollar an geschädigte Kunden. Ein Händler in London, der „Wal von London“, hat mit Deriviate-Positionen allein die Summe von 6,2 Milliarden Dollar verzockt. Ähnliches passierte der Deutschen Bank (Der Standard, 27.09.2013j, S. 24). Der US-Bankenriese Bank of Amerika musste für Altlasten aus der Finanzkrise eine Strafe von mindestens 12,0 Milliarden Dollar zahlen, wobei rechtliche Folgekosten von über 18,0 Milliarden hinzuzurechnen sind. Es handelte sich um Geschäfte mit Hypothekarkrediten und „faulen“ Wertpapieren. Kreditnehmer mussten überhöhte Leistungen erbringen und es kam zu Zwangsversteigerungen; sie erhalten Entschädigungen von 5,0 Milliarden Dollar. Die Bank of Amerika zahlte somit weit mehr als die vorgenannte Großbank JPMorgan mit 13,0 Milliarden Dollar und hat für weitere Rechtskosten bereits Geld bereit gelegt (Der Standard, Wien vom 07.–09.06.2014k). Die britische Großbank Barclays und die französische Großbank BNP Paripas kamen ins Visier der Ermittler von US-Behörden und beide Bankgruppen erwarten drakonische Strafzahlungen. Die Großbank BNP Paripas strebt einen Vergleich mit 9,0 Milliarden Dollar an und muss eine Anleihe auflegen, um diese Summe stemmen zu können. Gewinnausschüttungen an die Investoren werden sehr mager ausfallen. Die Großbank Barclays wird vom Generalstaatsanwalt des Bundesstaates New York geklagt, da in ihrem „Dark Pool“ abseits der teuren Börsen institutionelle Anleger bzw. Investoren systematisch hinters Licht geführt und geschädigt wurden. Die Vorfälle haben diesem Geschäftsbereich der Bank sehr geschadet und potente internationale Kunden verscheucht (Der Standard, Wien vom 28. / 29.06.2014l). Britische Banken sind reihenweise konfrontiert mit Millionen Kundenbeschwerden, besonders durch faule Kreditausfallversicherungen, die zum teuersten Verbraucherskandal in Großbritannien geführt haben. 2,5 Millionen Fälle sind noch zu überprüfen. 27,7 Milliarden € mussten bereits beiseitegelegt werden. Davon sind 16,0 Milliarden Dollar bereits ausgezahlt worden. Wegen schlechter Kreditberatungen wurden enorme Strafzahlungen wegen schwerster Mängel durch die Finanzaufsicht (FCA) verhängt (Der Standard, Wien vom 30. / 31.08.2014). Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist in ihrem Kern, wie schon in anderen Zusammenhängen festgestellt, auch eine moralische Krise, bei der – wie auch bei den früheren Weltwirtschaftskrisen – normative Wertorientierungen mit Füßen getreten und Gesellschaft und Wirtschaft, besonders aber unzählige Menschen, durch Skrupellosigkeit geschädigt und materielle Werte sowie wirtschaftliche Chancen zerstört wurden. Nach den geschilderten und spektakulären Fällen und Sanktionen aus dem Sektor der großen und international tätigen Banken bedarf die Bewertung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 als moralischer Krise eigentlich keines weiteren Be-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007123

weises. Was im Großen geschah ereignete sich auch im Kleinen und nicht nur bei Banken. Es wurde die Problematik der Amoralität, ihre grauenhaften Folgen und die daraus zu ziehenden Lehren erörtert und es darf dabei niemals verdrängt werden, dass nicht Institutionen oder andere Konstrukte Unrechtes getan haben, sondern Menschen, die denken, fühlen, konzipieren, entscheiden und etwas tun, für das sie persönliche Verantwortung tragen. Daraus ergibt sich unmittelbar und schlüssig, dass für Amoralität und ihre Folgen auch die persönlich Verantwortlichen bzw. Täter zur Rechenschaft zu ziehen sind. Zahlt eine Institution Gelder, um beispielsweise Zivil- und Strafprozesse zu vermeiden, wobei die tatsächlich Schuldigen von solchen Konsequenzen kaum oder gar nicht persönlich betroffen sind, wird nur sehr bedingt so genannten Wiederholungstätern das Handwerk gelegt und weiteren Problemen sicher nicht optimal vorgebeugt. Es ist daher höchste Zeit, der Forderung der personalisierten Verantwortlichkeit der Täter Rechnung zu tragen. Geschieht das nicht, werden beispielsweise sogenannte „Ausgleichszahlungen“ einer Institution diese zwar treffen, aber meist von den persönlich Verantwortlichen entkoppelt. Sie schmälern eventuell die Gewinne der Eigentümer der betroffenen Institution – schädigen so vielleicht unbeteiligte Personen – oder erfahren kalkulatorische Überwälzungen auf Kunden durch höhere Preise, geringere Ertragssteuerzahlungen an den Staat oder die Verluste und Schäden werden durch die Öffentlich Hand beglichen, so wie es bei der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 weltweit im großen Stil geschah usw. Werden die somit mehr oder minder unbehelligten Täter – von der Chefetage bis zu den Keilern am Markt – beispielsweise durch die bekannt-berüchtigten „Bonuszahlungen“ für ihr fragwürdiges Handeln auch noch belohnt – so die x-fach geübte Praxis im Bank- und Finanzsystem vor und während der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 – schließt sich ein fataler, häufig krimineller und oft bandenmäßiger, sprich mafioser Teufelskreis. Kunden und Steuerbürger zahlen letztendlich die Zeche für verbrecherischen Machenschaften. Ausgelöste Schäden im Bank- und Finanzsystem werden „sozialisiert“ und letztendlich via „Staat“ von den Steuerzahlern durch Unsummen an Geld zwecks Systemerhaltung des Bank- und Finanzsystems bezahlt. Die Amoralität der Täter wurde bislang kaum sanktioniert, noch ausreichend weiterem Unheil wirksam vorgebeugt. Gegenteilige Effekte traten ein: Es erfolgte eine ungewollt „geförderte Kriminalität“ durch Politik und Staat. Es kann keine Frage sein, dass ein solcher De-facto-Irrsinn einzustellen ist, Moralität und persönliche Verantwortlichkeit wieder ihren angestammten Platz erhalten und durch einen dringend erforderlichen Paradigmenwechsel die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft eine sinnstiftende normative Ausrichtung erfahren. Es ist höchste Zeit diese Wege einzuschlagen und erfreulich, dass diese Einsicht zunehmend Platz greift (Der Standard, 2014s; Internet: EU-Konvergenzkriterien).

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1. Einführung

Die tristen gegenwärtigen und mittelfristigen Funktionsbeschränkungen des europäischen Bankensystems unterstreichen die konkreten Reformbedürfnisse mehr als deutlich. Bauer fasste die wichtigsten aktuellen Fakten (August 2013) zusammen. Die „Kreditklemme“ wird das Banken- und Finanzsystem in Europa als Unwort noch länger begleiten. Früher haben Mittelständler in Europa ihren Kreditbedarf zu rund 80 % bei Banken gedeckt. Solchen Mittelbeschaffungen stehen derzeit hohe Barrieren entgegen, wie: Kapitalverknappungen bei Banken durch Verluste im Ostgeschäft (CEE). – Schrumpfen der Bilanzsummen der Banken durch regulatorische Auflagen zur Erhöhung der Eigenkapitalquote im Verhältnis zur Kreditvergabe sowie eigener Rekapitalisierungsbedarf. – Ende der durch Steuermittel finanzierten Bekämpfung fehlender Mittel für Kreditvergaben; man hofft (!) nochmals 50 bis 100 Milliarden für ganz Europa für den durch mangelnde Kredite geplagten Mittelstand via EU (Strukturfondmittel) letztmalig (!) aufzubringen. – Europa wird seine Unternehmen nicht mehr offensiv über Banken finanzieren können. – Man überlegt, ob es möglich sein wird, verstärkt für mittelständische Betriebe den Zugang zum Kapitalmarkt zu öffnen, also alternativ zur fehlenden Kreditvergabe durch Banken; verschiedene Modelle und Vorgehensweisen werden vorgeschlagen bzw. noch diskutiert (Bauer, K.: 2013, K 1). Kurzum: Der Bankenmarkt wird sich verändern und der Qualitäts-Wettbewerb wird mehr denn je entscheiden, welche Banken langfristig reüssieren werden. Anfang August 2014 wurde EZB-Chef Mario Draghi und seine skeptische Einschätzung des unsicheren Aufschwungs zitiert: „Die Risiken für den Aufschwung haben bereits bestanden, und die geopolitischen Risiken sind höher als noch vor ein paar Monaten“. Gemeint waren die Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten, die sich noch verschärfen können und die Konjunktur in der Eurozone belasten. Jennifer McKeown, leitende EuropaVolkswirtin bei Capital Economics London pflichtete dem bei: „Die wirtschaftliche Erholung ist bereits auf einem wackeligen Fundament, sicherlich nicht so stark, wie die EZB sie gerne hätte.“ Die Wachstumserwartungen wurden daher nach unten revidiert. In Deutschland stagnieren sie. Ob das angepeilte Programm der EZB zum Ankauf von Anleihen und verbriefter Forderungen im Umfang mehrerer hundert Milliarden Euro der Wachstumsschwäche in Europa wirksam auf die Beine helfen kann, ist unter Experten umstritten. Die Probleme werden eher in Nachfragelücken der Wirtschaft als in Liquiditätsproblemen gesehen, die bei den Banken ja reichlich vorhanden ist, aber deren Eigenkapitalquote als ausreichende Unterlegung für Kreditvergaben vielfach zu schmal ist. Durch verschärfte Vorschriften über die Kreditvergabe der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) und von Nationalbanken wird die Eigenkapitalproblematik der Banken verstärkt. Allfällige und nicht ausschließbare deflatorische Effekte durch sinkende Preise und



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007125

Löhne sowie aufgeschobene Investitionen, die den erwünschten Aufschwung abwürgen könnten, will die EZB auf jeden Fall vermeiden (Der Standard, Wien vom 08.08.2014n). Die EZB bzw. ihr Chef Mario Draghi verfolgen eine maximale Geldpolitik, um das Wachstum der Wirtschaft anzukurbeln, das im Herbst 2014 die Prognosen aus dem Frühjahr 2014 teilweise massiv unterschreitet: In der Eurozone von 1,2 % auf 0,8 % oder (–) 33 %, in Deutschland 1,7 % auf 1,4 % oder (–) 17,7 %, Österreich 1,7 % auf 1,0 % oder (–) 41,2 %, Frankreich 1.0 % auf 0,4 % oder 60,0 %, Italien 0,6 % auf 0,2 % oder 66,7 %, Spanien 0,9 % auf 1,3 % oder (+) 44,4 % und Großbritannien 2,9 % auf 3,2 % oder (+) 10,3 %. Die Wachstumswerte in der EU sind bis zum Ende 2014 weiter geschrumpft. Die Werte in den USA haben sich hingegen positiv entwickelt. Auf das Jahr 2014 hochgerechnet wird das BIP der USA ein Wachstum von 3,5 % erreichen. Die USA bleiben demnach eine globale Wachstumslokomotive (Der Spiegel, Berlin vom 30.10.2014; Neue Zürcher Zeitung, NZZ, Zürich vom 16.12.2014). Das Wachstum in Österreich wird erheblich unter dem weltwirtschaftlichen Wachstum liegen. Die Geldpolitik allein kann bessere Wachstumsraten allerdings nicht erzwingen. Dazu bedarf es auch einer starken Strukturpolitik, die beispielsweise die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft unterstützt. Die Geldpolitik ist verknüpft mit einem Anwachsen der privaten und öffentlichen Schulden und widerspricht damit fundamental der Politik des Abbaus öffentlicher Schulden, wie sie vor allem durch Deutschland verfolgt wird, das der Strukturpolitik den Vorrang einräumt. Bei der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 geht es akut und zum wiederholten Maße um die Kernfrage, welcher Mix von Maßnahmen generell und spezifisch von Ländern des Euroraumes und darüber hinaus gewählt werden soll. Die drei dafür entscheidenden Richtwerte der EU (EU-Konvergenzkriterien) sind nach dem Vertrag von Maastricht einmal das Verhältnis der öffentlichen Schulden eines EU-Landes zu seiner Wirtschaftsleistung bzw. des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wobei 60 % nicht überschritten werden dürfen, jedoch Ausnahmemöglichkeiten befristet eingeräumt wurden. Zweitens, das jährliche und zusätzliche öffentliche Haushaltsdefizit darf nicht mehr als 3 % des BIP betragen und drittens darf die Inflationsrate nicht mehr als 1,5 % über derjenigen der drei preisstabilsten Mitgliedsstaaten der EU liegen. Ferner gibt es ergänzende Kriterien zur Wechselkursstabilität – die eine Wechselkursbandbreite von meist höchstens 15 % vorsieht bzw. ansonsten eine Intervention der jeweiligen Nationalbank verlangt – und der Höhe langfristiger Zinssätze bei Staatsanleihen – maximal 2 % höher als der Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedsstaaten.

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1. Einführung

Italien befindet sich im Herbst 2014 auf dem Weg einer sinkenden Neuverschuldung und die Verschuldungsquote gemessen am BIP von Frankreich entwickelt sich kontinuierlich auf 100 % zu. Für politische Turbulenzen und erforderliche Kompromisse bei der Bestimmung des Maßnahmen-Mix ist somit gesorgt, abgesehen davon, dass die „optimalen“ Lösungsansätze zu dieser Problematik auch bei hochrangigen Wirtschaftsexperten konträr bzw. umstritten sind. Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger und US-Starökonom meint beispielsweise, mehr Fiskal- und weniger Geldpolitik sollte die Richtschnur der Politik und der EZB sein. Der Ankauf von Kreditpapieren durch die EZB sei zwar „besser als nichts“, könne aber nicht die Wirtschaftspolitik ersetzen. Ohne entschiedene Aktionen bleibe Europa „in miserabler Verfassung“, so Stiglitz. Der deutsche Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der österreichische Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny und der französische Gouverneur Christian Noyer lehnen die „Ramschanleihen“ bzw. Verbriefungen – bestehend aus Kreditpapieren und Pfandbriefen – und womöglich überteuerte Ankäufe durch die EBZ ab, die letztendlich durch die Verlagerung von Kreditrisiken auf die Öffentliche Hand zur Belastung der Steuerzahler werden könnten(!). „Draghi macht die Europäische Zentralbank immer mehr zur Ramschbank“, polterte der Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, Hans Michelbach. „Die EZG droht Glaubwürdigkeit zu verlieren“, so Ansgar Belke (1965), hochrangiger Makroökonom an der Universität Duisburg-Essen, der das EU-Parlament in Sachen der Geldpolitik berät und meint, „das ist die falsche Richtung“ (Der Standard, 2014s und 2014 t; Internet: EU-Konvergenzkriterien). Wie diffizil und widersprüchlich die Situation der Banken im Euroraum ist, ergibt sich sehr anschaulich aus der Situation, dass die Staaten für ihre Finanzierung Staatsanleihen begeben, die zum guten Teil von den Banken gekauft werden und so sicher „eingestuft“ werden, dass für diese Form der Kreditgewährung an die Staaten durch die Banken kein Eigenkapital zu hinterlegen ist. Letzteres ist allerdings sehr umstritten. Seit 2011 haben sich die Staatsanleihen in den Büchern der Banken verdoppelt. Ein Ausfallsrisiko bei Staatsanleihen kann nicht zur Gänze ausgeschlossen werden. Der Stresstest der EZB (2014 und 2015) sieht vor, dieses Faktum einzubeziehen, nämlich beispielsweise für den denkbaren Fall eines erneuten Konjunkturabschwunges und Wertverluste bei Staatsanleihen. Damit soll dem poten­ tiellen Pleiterisiko durch Staaten seitens der Banken Rechnung getragen werden. Die Leiterin der Europäischen Bankenaufsicht (EBA), Daniele Nouy, sprach sich dafür aus und die EZB, eine derzeit stark politisierte Behörde, könnte dadurch zeigen, dass sie politisch unabhängig agieren kann. Nationalbanken legen auf diesen Status bekanntlich aus sehr guten Gründen großen Wert.



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Einflussmöglichkeiten von Staaten auf ihre Nationalbanken pflegen diese auch für eigene Finanzierungsbedürfnisse zu nutzen, auch dann, wenn sie damit Kernaufgaben der Nationalbanken – wie Gewährleistung der Preisstabilität und Unterstützung der Wirtschaftspolitik – konterkarieren. Auch von Experten wird das daher auch als nicht richtig bewertet. Eine Studie hat ergeben, dass bei den 54 größten Banken des Euroraumes eine solche angestrebte Regelung insgesamt zur Abdeckung des Risikos aus Staatsanleihen eine Eigenkapital-Hinterlegung der Banken in Höhe von 750 Milliarden Euro notwendig macht bzw. eine entsprechende Milliardenlücke in den Bank-Bilanzen entstünde, wenn die Lücke keine entsprechende Eigenkapi­ taldeckung der Banken aufweisen würde. Wird die Lücke nicht geschlossen, bedeutet dass zwangsläufig, dass andere Kreditvergaben in Höhe des Volumens der Staatsanleihen nicht mehr vergeben werden können, da dafür das erforderliche Eigenkapital der Banken schlicht und einfach fehlt oder politisch formuliert, der Staat seine Schulden finanziert und in diesem Umfang andere Dritte keine Kredite bekommen können, sprich benachteiligt werden (s. a.: Sator, A., 2014, S. 24). Im deutschsprachigen Wirtschaftsraum der EU und noch stärker in anderen EU-Ländern werden die Wirtschaftsleistung im Vergleich zu jenen der USA und China (August 2013) als noch zu gering und lediglich als „kraftlose Seitwärtsbewegungen bewertet“. Europa ist der einzige Wirtschaftsraum, der mit seinen Leistungen noch unter dem Stand des Jahres 2008 liegt. Vor allem hohe Schulden bilden einen Teil der Problematik. Die Attraktivität Europas als Investitionsstandort sinkt und weitere nachteilige Faktoren kommen dazu: Unklare Energiepolitik. – Offene Fragen zur Bankenunion und staatlichen Schuldentilgung. – Überschätzung der deutschen Wachstumsdynamik. – Steigende Zahl der Arbeitslosen. – Probleme der südlichen EU-Länder. – Sinken der Kennzahl BIP pro Kopf in Deutschland. – Unterdurchschnittlicher Lohnanstieg in Deutschland. – Steigende Armutsgefährdung. – Geschwächte ökologische Position. – usw. Ansätze zur Verbesserung der Verhältnisse in den Bereichen Bildung, Innovation, Armutsbekämpfung, Sozial- und Gesundheitsbereich usw. wären ebenfalls zu realisieren. Die Einschätzungen gelten auch Ende 2014 noch weitgehend (s. a. Aiginger, K.: 2013. S. 31). Der IWF und seine Chefin Christine Lagarde stellen in einer Aussendung vom 20.01.2015 fest, dass sich die Aussichten für die Weltkonjunktur im Jahr 2015 weiter verschlechtert haben, wobei das auch in der Euro-Zone und für Deutschland gilt. Trotz günstiger Ölpreise und einer Erholung in den USA wird die Weltwirtschaft langsamer als erwartet wachsen und das globale Wachstum um 0,3 % auf 3,5 % nach unten gehen. Für Deutschland wird nur eine Wachstumsquote von 1,3 % prognostiziert. Die Prognosen zuvor lagen bei 1,5 %. Es werden schwächere Investitionen erwartet, da schlechtere lang-

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fristige Aussichten in vielen Ländern der Erde die Nachfrage beeinträchtigen. Das gilt auch für die Euro-Zone und es wird ein Investitionsrückgang von 0,2 % auf 1,2 % angenommen. Risiken für die Weltwirtschaft werden auch in der Sprunghaftigkeit der globalen Finanzmärkte gesehen. Das bislang starke Wachstum von China von 7,4 % wird auf 6,8 % fallen. Für das Wachstum von Russland wird ein Rückgang von 3,0 % angenommen. Kurzum, die Aussichten für die Weltwirtschaft sind gedämpft. Der IWF fordert wiederholt mehr Anstrengungen zur Ankurbelung der Konjunktur und energische strukturelle Reformen (IWF-Mitteilung vom 20.01.2015). Die Prognosen für das Jahr 2015 für Österreich sind im Vergleich zu Deutschland schlecht. Das führende Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), Wien und das Institut für höhere Studien (IHS), Wien sagen eine Konjunkturflaute voraus. Die Prognosewerte verschlechterten sich in wenigen Monaten gegenüber vorhergehenden Schätzungen um rund 50 %. Die wesentlichen Prognosewerte – jeweils in der Reihenfolge WIFO, dann IHS – sind für 2015: Wirtschaftswachstum 0,5 / 0,8 %, privater Konsum 0,4 / 0,6 %, Inflation 1,5 / 1,6 % und Arbeitslose 8,9 / 8,8 %. Das WIFO liegt mit seinen Schätzungen leicht unter dem IHS. Die Absenkung der Werte erfolgte in den vorhergegangenen Monaten in rasantem Tempo. Von einer auch nur geringen Verbesserung kann bei keinem einzigen Wert ausgegangen werden. Österreich liegt damit unter dem Durchschnitt der Länder der Euro-Zone, was zuletzt im Jahre 2010 der Fall war. Die Investitionen sind äußerst gering, ebenso stagnieren die Exporte. Die Löhne sinken seit dem Jahr 2010. Die Probleme gelten teils als hausgemacht, wie: Verabsäumung wachstums- und standortsichernder Reformen. – Keine technologischen und innovatorischen Anreize. – Fehlende Entlastung der Arbeitskosten. – Zu hohe und weiter steigende Steuern trotz einer geplanter Reformen der Steuerstruktur. – Hohe Bürokratie, kaum Verwaltungsverbesserungen und ­ teure Doppelgleisigkeiten des Staates. – usw. (Der Standard, Wien vom 19.12.2014w). Wie auch immer, die Gründe für das fehlende und unterdurchschnittliche Wachstum in Österreich liegen zum Jahreswechsel 2014 / 15 weitgehend im Dunkeln: Kredite sind so billig wie nie zuvor. – Der Ölpreis ist gefallen. – Die Kostenstruktur der Betriebe ist vergleichsweise günstig. Trotzdem befinden sich die Unternehmen im Sparmodus. Die Schuld lediglich auf die Politik und den Staat zu schieben, ist sicher zu billig. Die Gründe sind sicher vielschichtiger und teilweise vage (Szigetvari, A.: 2014i, S. 36). Wenn es weniger die sogenannten harten und genannten Faktoren sein dürften, stellt sich die Frage, ob es vielleicht die weichen Faktoren sind, wie beispielsweise eingetrübte Erwartungen, Unsicherheiten und Ängste aus unterschiedlichsten Ursachen usw. In diesem Kontext geht es u. a. auch darum, effizientere und gerechtere Formen des Bank- und Finanzierungssystems zu entwickeln und zu realisie-



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007129

ren. Ideelle und einzelwirtschaftliche Solidität und durchaus auch Größe und Bedeutung sollten diesen wichtigen Sektor künftig kennzeichnen. Der Glaube an Optimierungen der „Finanzindustrie“ durch deren Mega-Konzerne ist nach den gemachten und teilweise skizzierten Erfahrungen mit der Krise kaum mehr berechtigt, geschweige denn ausreichend. Das Schlagwort und Motto „too big to fail“ wurde zur Rechtfertigung des Transfers öffentlicher Mittel zu Gunsten der „Finanzindustrie“, und zwar in nur schwer vorstellbaren und weit überzogenen finanziellen Dimensionen. Letztlich gingen die überzogenen Zahlungen zu Lasten der Steuerbürger. „Too big to fail“ kann auch anders interpretiert werden, nämlich das Scheitern von Gesellschaft, Staat, Politik, Wirtschaft und Bürger an der „Finanzindustrie und ihren Mega-Konzernen“, das zukünftig möglichst zu verhindern ist. Im Zusammenhang mit der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wurde das offenbar von Politikern, Institutionen, der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und den Bürgern usw. erkannt und bereits gesetzliche Regelungen getroffen und Maßnahmen eingeleitet, wie die Verwirklichung der Bankenunion, deren pragmatische Umsetzung noch erhebliche Konflikte und Mühen bringen werden. In der EU dienen beispielweise die Funktionsbereiche Bankenunion und Wiederherstellung der Finanzstabilität im Euroraum und erweiterte Kompetenzregelungen der EZB mit Auswirkungen auf die Funktionen der Nationalbanken dem Ziel, „too big to fail“ einen neuen Inhalt zu geben, welche die der vorherigen Interpretation „too big to fail“ widerspricht bzw. umdreht. Die „Finanzindustrie und ihre Mega-Konzerne“ sind nicht primär zu schützen, sondern durch neue Regelungen sind finanzwirtschaftliche Gebilde nach der Art eines Finanz-Molochs endlich im Sinne eines Monopolmissbrauches zu beseitigen oder mindestens permanent zu kontrollieren, zu beherrschen und bei Bedarf ist massiv einzugreifen. Der naive, egozentrische und hochgiftige Schlachtruf unverbesserlicher Neoliberaler für Deregulierungen – auch des Bank- und Finanzierungssektors – hat nach den entsetzlichen Auswirkungen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hoffentlich seine scheinbar verlockende, aber unselige Wirkung und propagandistische Kraft verloren. Die Bank- und Finanzsysteme sind wesentliche Faktoren für eine Effektuierung regionaler, nationaler sowie internationaler Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik, um die Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bestmöglich und auf Dauer zu bewältigen. Ein kritischer Blick auf die „Finanzindustrie“ und ihre Auswüchse, welche die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mit all ihren katastrophalen Folgen in den USA und in Europa auslösten, verdeutlichen wie viel Kreativität und Innovationen, Mut und Veränderungswille, Einsatz und Ausdauer notwendig sind, um diese Herkulesarbeit zu bewältigen. Allerdings: Ohne ein grundlegendes Umdenken und Handeln

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sind die existentiell notwendigen Reformen nicht ausreichend zu bewältigen. Für den Einsatz und die Nutzung der Macht der Ideen für ein tiefgreifendes Reformvorhaben dieser Dimension – das enorme Kräfte im Guten wie im Schlechten freisetzen kann –, müssen durch einen Paradigmenwechsel geänderte und sinngebende Orientierungen und Wege aufgezeigt und übernommen werden. Ein Teil der Banken – vermutlich leider bislang eine Minderheit der Banken – hat bereits in der Krise gezeigt, dass sie erfolgreich solche Wege erkannt und beschritten haben. Die schwerwiegenden Mängel, die mit dem Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in den USA und in Europa als Krisenursachen erkennbar wurden, aber auch vielfältigste Mängel mit geringeren Auswirkungen, besonders aber schwerste Fehlhaltungen, Amoralitäten, Raffgier, Skrupellosigkeiten, Kompetenzdefizite usw., zeigen die Aktualität, Brisanz und Risiken der Reform vieler Banken sowie des Bank- und Finanzsystems im Gesamten. Das führt zu der entscheidenden Frage, ob, wie viel, wie weit und in welcher Zeit die erforderlichen Veränderungen tatsächlich erreichbar sind oder de facto großteils lediglich Probleme geleugnet und verdrängt werden, d. h. bestenfalls einige Oberflächenpolituren übrig bleiben. Die leider noch offenen Fragen stellen sich in den USA und Europa gleichermaßen; sehr wahrscheinlich auch in anderen Ländern. Natürlich kann man schulen, Wohlverhaltensregeln ohne Zahl verabschieden, PR-Maschinen anwerfen, Konferenzen abhalten usw. und trotzdem Reformziele nur in weit zu geringem Ausmaß erreichen. Realistischer Weise sind keine 80, 90 % oder gar absurde 100 % erreichbar und mit diesem Tick sollte man daher erst gar nicht beginnen, geschweige denn Menschen oder Gruppen damit traktieren, in die Irre führen und zusätzlich verunsichern. In Europa, besonders im Euroraum und mit der EZB wurde die Reform des Bank- und Finanzsystems in den letzten Jahren ambitioniert und erfolgreich vorangetrieben, d. h. es können in den kommenden Jahren bei weiterer Forcierung der Anstrengungen tragfähige und akzeptable Lösungen erreicht werden. Dieser Bereich ist zweifellos ein wichtiger und diffiziler Teil der Krisenbewältigung. Andere gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Reformbereiche erfordern vergleichbare Bemühungen. Die Kunst wird darin bestehen, die Gesamtkomplexität der Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zu erfassen, und zwar auch in ihren Verknüpfung mit Tendenzen und bereits eingetretenen Entwicklungen unterschiedlichster Art und damit verbundenen Unsicherheiten über die jeweiligen Verläufe. Dabei muss zudem der Unterschiedlichkeit der Verhältnisse Rechnung getragen werden, sei es in nationaler und regionaler Hinsicht, der Sachbereiche, der verfügbaren Ressourcen usw. Um problematische Einheitskonzepte und deren Umsetzungsschwierig-



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keiten zu verhindern, sind Vorgehensweisen zu finden, welche die jeweils betroffenen Menschen einbinden, um angepasste, ausgewogene und möglichst akzeptierte Lösungen mit guten Umsetzungschancen zu erreichen. Dazu werden subsidiäre Orientierungen und Methoden gefunden werden müssen, wie sie in den Verträgen der EU-Verfassung zwar seit langem festgeschrieben sind, aber bislang zu wenig geübt und praktiziert wurden. Aber kann es gelingen, das persönliche Verhalten, ethische Normen, das Denken in Kategorien der Gerechtigkeit und Solidarität, gesellschaftlicher Verantwortung des Einzelnen, die Praktizierung einer zeitgemäßen Personalund Führungsarbeit usw. zum Besseren zu formen? Das sind die eigent­ lichen tieferliegenden Kernfragen bzw. Antworten, die das Fundament der Reform wesentlich bilden sollten und ihre Erfolgschancen stark bestimmen. Menschen und Gruppen handeln mal gut oder auch böse. Veränderung heißt also im Kern auch menschliches Verhalten hin zu Verbesserungen zu beeinflussen. Solche Verhaltensänderungen haben erfahrungsgemäß vergleichsweise enge und durch die Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen bedingte Grenzen und sind daher weitaus schwieriger zu bewerkstelligen, als Veränderungen in Strukturen, Organisationen, Arbeitsabläufen, fachlichen Kompetenzverbesserungen usw. Daher tendieren vermeintliche Reformen in der Praxis sehr oft in die vorgenannten, eher operativen Aktionsfelder und scheuen die für Reformerfolge eigentlich relevanten und entscheidenden Ansätze in den jedoch vergleichsweise veränderungsresistenten Bereichen des individuellen oder gruppenspezifischen Verhaltens. Die Folge davon sind letztendlich und zwangsläufig mäßige bis fehlende Reformergebnisse. Wer ernsthaft Reformen in der Praxis zu bewerten oder zu realisieren hat, kennt diese Probleme. Wie auch immer, beide Schwerpunkte – das Verhalten von Menschen einerseits und andererseits strukturelle, organisatorische, führungstechnische und operative Abläufe und Bereiche – sind unverzichtbare Elemente anzustrebender Reformen, die in engen und entscheidenden Wechselbeziehungen miteinander verknüpft sind und sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig bedingen, fördernd oder vermindernd. Auch dann, wenn – beispielsweise – die Maßstäbe der notwendigen Reformen des Banken- und Finanzsystems quasi einer „normalen“ Machbarkeit angepasst werden, bleiben die damit verbundenen Aufgaben und Mühen in jeder Hinsicht gewaltig, aber unverzichtbar. Wer Letzteres – ob Banker oder andere Unternehmer, Interessenvertreter, Politiker, staatliche Einrichtungen usw. – nicht glaubt und mehr oder weniger passiv die Sache auf sich zukommen lässt, so nach dem Motto „mal sehen was kommt“, spielt womöglich naiv und locker Russisches Roulett und wird ja sehen, wie das potentiell tödliche Glücksspiel ausgeht. Das ist nicht weltfremd und wer das nicht glaubt, dem ist zu empfehlen, sich mit den unzähligen Geschichten „passierter“ Unternehmenszusammen-

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1. Einführung

brüche zu beschäftigen. Er braucht nicht zu fürchten in eine endlose Geschichte zu geraten, die es natürlich leider auch gibt, denn er wird bald die Muster solcher Unternehmensdramen begreifen und sagen können „Ich bin ein Mensch und nichts ist mir fremd, was Menschen betrifft“, frei nach Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) und sollte wie dieser Verständnis für die Schwächen anderer zeigen, aber aus eigenen lernen und die Macht der Ideen nutzen. Dem Aberglauben „anything goes“ vermeintlicher Vertreter der Rationalität ist skeptisch zu begegnen. Die menschliche Irrationalität mit ihren Vor- und Nachteilen wird unterschätzt und die häufig unterbewertete Erfahrung – gekoppelt mit Vernunft und Klugheit – lehrt das Gegenteil. Aus mancherlei Gründen wurde die aktuelle Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in Europa der Öffentlichkeit recht geschönt dargestellt (Ende 2013). Ob das an bevorstehenden nationalen Wahlen in Deutschland oder Österreich lag oder an anderen Gründen, sei dahingestellt. Olivier Blanchard, Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat im Juli 2013 festgestellt, dass die Weltwirtschaft 2013 um 3,1 % wachsen und die Eurozone um 0,6 % schrumpfen wird. Aber: Deutschland wächst um 0,6 %, Frankreich schrumpfte um 0,2 %, Italien ebenso um 1,8 % und Spanien gleichfalls um 1,6 %. Russland wächst im gleichen Zeitraum um 2,5 %, China um 7,8 % und Indien um 5,6 %. Für das Jahr 2014 wurden die Zahlen in der Eurozone gegenüber dem Vorjahr leicht besser angenommen, die Entwicklung der Arbeitslosenziffern jedoch nicht ermutigend bewertet und um sie zu reduzieren reichen die Wachstumswerte sicher nicht aus. Wie auch die Zahlen sich im Jahr 2014 auch entwickelten, die Studie des IWF trägt ihren Namen „Growing Pains“ nicht umsonst (Blanchard, O.: 2013, S. 20). Zum Jahresende 2014 zeigt sich deutlich, dass die Prognosen besser waren als die tatsächlich erreichten Werte, teilweise wie beispielsweise in Russland aus politisch schwersten Fehlern und Konflikten. Im Jahr 2014 hatten die USA ein kräftigeres Wachstum als Europa. In der zweiten Jahreshälfte wurden die Wachstumsraten der EU zu Jahresbeginn von 1.5 bis 2,0 % um mehr als die Hälfte reduziert, aber für das Jahr 2015 bereits unverdrossen wieder bessere Wachstumsraten angekündigt. Zu trauen ist diesen Vorhersagen nicht, denn allein die politischen Ereignisse der Krise in der Ukraine, in Nahost und die wirtschaftlichen Probleme in Russland können die froh gestimmten Ankündigungen rasch zerstören; ebenso andere politische und wirtschaftliche Entwicklungen in der Welt, die wir vielleicht noch nicht einmal kennen. Die US-Kritik wirft Europa eine fehlende Wachstumsstrategie vor. US-Finanzminister Jack Lew meinte zu Beginn des Treffens der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20): „Es muss mehr getan werden, um schnelleres und ausgeglicheneres Wachstum zu erreichen, vor allem in Ländern mit Überschüssen“ und meint, es seien öffentliche und private Investitionen nötig. Damit blickt er auf



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007133

Deutschland, aber auch nach China, also starke Exportländer. Ferner sollten Stimulierungsprogramme für höhere Löhne und Konsum genutzt werden. Der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, winkte ab. Im Grunde fehlen keine Strategien, sie sind durchaus vorhanden, aber eben verschieden (Der Standard vom 20. / 21.09.2014o). Hinter den düsteren Entwicklungen steht stets die Frage nach dem richtigen Mix der Maßnahmen zur Krisenbewältigung in der Eurozone, also die Optimierung der Mittel für „Sparen“ und „Wachsen“. Der Streit darüber ist natürlich nicht neu, zwangsläufig ambivalent und der optimale Mix ist operativ äußerst schwer vorhersagbar. Die „richtige“ Krisenbewältigung ist eine höchst komplexe und zudem sehr dynamische Problemstellung. Wer konnte beispielsweise die Handhabung des wichtigen Faktors „Geldpolitik“ durch die EZB vorhersagen? (s. a.: Schneider, S.: 2013, S. 17). Es mehrten sich die Stimmen, auch in Deutschland und Österreich, die stärker auf Wachstumseffekte setzen, die auch seitens der EU präferiert wurden. Das gerade begonnene magere Wachstum im September 2013 sollte geschützt und gestärkt werden, indem die Lockerung der Sparauflagen etwas rascher erfolgen und den EU-Ländern etwas mehr Zeit eingeräumt wird, um die Defizitvorgaben der EU erreichen zu können. Zudem wurde vorgesehen, den Euroländern eine höhere Neuverschuldung zu ermöglichen, und zwar für sinnvolle Investitionen in die Infrastruktur und Forschung, soweit sie auch Teil von EU-Programmen sind, die von der EU mitfinanziert werden. Dadurch sollte der jeweilige regionale und nationale konjunkturpolitische Handlungsspielraum verbessert werden. Der für Wirtschaft und Währung zuständige EUKommissar Olli Rehn hat beim Europäischen Forum Alpbach (Tirol) bei seiner Rede am 29.08.2013 die weitere Route der EU mitgeteilt (Olli Rehn, 2013). Grundsätzlich sind dabei die langfristigen Haushaltsziele einzuhalten, zu denen sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet haben. EU-Kommissar Olli Rehn wies ferner darauf hin, dass die Staaten strukturelle Reformen und die Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeiten zu realisieren haben, will Europa verhindern zum Museum zu werden und betonte, die Krise sei keineswegs vorbei (Schnauder, A.: 2013b). Die ursprüngliche und vor der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 festgesetzte Verschuldungsobergrenze von 60 % des BIP für die Staaten der EU, welche zum Zweck der Krisenbewältigung ausgesetzt wurde, ist in einem Maße überschritten worden (Ende 2014), das immer schwerer rückführbar erscheint. Durch eine Geldpolitik der niedrigen Zinsen, eine Geldschwemme der EZB, inflationäre Praktiken, Erhöhung von Steuern, Gebühren und Sozialabgaben mit dem Zweck einer leichteren Rückführung staatlicher Schulden ist zu befürchten, dass die finanzielle Sanierung der Staaten letztlich und wie viel zu oft zu Lasten der Steuerzahler erfolgt und bestehende soziale Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen sich weiter verstärken.

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1. Einführung

Die Erfahrung zeigt, dass der Weg der Einsparung von Staatsausgaben zur Schuldenreduktion in der Politik ungern gegangen wird, da man sich meist scheut die jeweiligen Klientelen zu vergrämen. Die nationale Wettbewerbsfähigkeit, Kreativität und Innovationen, erzwungene Versäumnisse der staatlichen Aufgabenerfüllung – wie beispielsweise in den Bereichen Bildung und Forschung, usw. –, darunter leiden die betroffenen Länder sehr schwer, wie die Krise in einigen EU-Ländern deutlich zeigt. Korporative Erstarrungen werden zu Lasten wünschbarer Flexibilität und einer gerechteren Gesellschaft gestärkt. Der Vergleich auch nur kurzfristiger Prognosen und entsprechender Konzepte zur Krisenbewältigung mit den dann tatsächlich erreichten Werten zeigt, wie schwer und risikobehaftet die einfach klingende Forderung nach dem „richtigen“ Mix von Maßnahmen zu realisieren ist und de facto Ziele bestenfalls nur annäherungsweise getroffen werden. Eine ausreichende, geschweige denn „gute“ operative Rationalität ist offenkundig für eine Planungszeitraum von einem Jahr nicht zu bewerkstelligen bzw. scheitert an der Komplexität der Planungsaufgabe, die u. a. auch bedingt ist, durch die fehlende Treffsicherheit von relevanten Prognosen, die für diesen Zeitraum als Planungsgrundlage zur Verfügung stehen. Nach dem Ablauf einer Planungsperiode können natürlich alle Experten fundiert und wortreich erklären, warum die Planungen falsch liefen und somit angepeilte Entwicklungen und Werte nicht oder zu wenig eintraten. Diese Expertise ist ein schaler Trost. Er bestätigt im Grunde lediglich, dass Rationalität bei dieser Art von Aufgabenstellungen an Grenzen stößt. Die Crux dabei ist Folgende: Man könnte ja vielleicht die Qualität der Planungsrationalität erhöhen, beispielsweise durch besser ausgefeilte Methoden, umfangreichere und EDV-gestützte Datenverarbeitung usw. Dem steht allerdings die gesicherte Tatsache gegenüber, das in aller Regel der Grad an Komplexität solcher Planungsaufgaben wesentlich rascher steigt, als die Möglichkeit durch bessere Verfahren der gestiegenen Komplexität gerecht zu werden. Das bedeutet, man hat es mit einem steigenden und kaum lösbaren Komplexitätsdefizit zu tun, das die Planungsrationalität per saldo verringert und die Planungsirrationalität folglich steigert. Die Planungsqualität kann dennoch verbessert werden, wenn es gelingt, das potentielle Chaos der Irrationalität zu reduzieren und damit zu sinnvolleren und treffsichereren Planung zu gelangen. Planungsentscheidungen werden dadurch im logischen Sinne nicht rationeller, aber die Irrationalität durch Sinngebungen beherrschbarer. Diese Aufgabe kann durch Paradigmen befriedigend gelöst werden, sofern diese für sinnvoll, orientierend und verbindlich bewertet und genutzt werden. Die USA haben die Wachstumseffekte bei der Krisenbekämpfung von Anfang an in den Vordergrund gestellt bzw. sind bei ihren Schwerpunkten den Theorien von John Maynard Keynes gefolgt, nämlich die wirtschaft­



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007135

liche Gesamtnachfrage zu steigern, was sich bereits bei der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 in den USA bewährt hatte. Auch daran wurde bedenkenswerte Kritik geübt, wie beispielsweise an der lockeren Geldpolitik der FED und dem Anwerfen der Notenpresse, die zwar zu Konsum aber nicht zu volkswirtschaftlichem Wohlstand führe. Es wäre viel wichtiger gewesen, rechtzeitig den Banken-Exzessen Einhalt zu gebieten (William White, 2013; S. 23). In Europa bzw. der Eurozone – besonders in Deutschland und Österreich – hatte hingegen die Option des Sparens wie damals bei der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 auch bei der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 vergleichsweise mehr Gewicht. Das Sparen via Fiskalpakt in Verbindung mit Strukturreformen, wie sie von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble vorangetrieben wurden, stießen innerhalb der Eurozone zwar auf erhebliche Widerstände, setzten sich aber nach einiger Zeit letztendlich dank des wirtschaftlichen Gewichtes Deutschlands und der Beharrlichkeit von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble durch (Gerald John, 2013). Bei den Instrumenten des Sparens als Mittel der Krisenbewältigung gibt es auch weitergehende Vorstellungen. Der Harvard-Ökonom Alberto Alesina meint (Sommer 2014), die Kürzungen der Staatsausgaben seien viel zu niedrig ausgefallen. Seinen Gegnern gilt er daher als Pate der Austerität. Er meint, wenn Staaten ihre Ausgaben kürzen, sei das für das Wirtschaftswachstum viel verträglicher, als wenn sie die Steuern erhöhen. Damit kritisiert er auch die Krisenpolitik in Europa, die sich zu stark auf neue Steuern konzentrieren würde. Wenn Steuern lediglich der sogenannten Gegenfinanzierung von Lohn- und Einkommenserhöhungen oder gruppenspezifischen Erwartungen von parteipolitischen Klientelen dienen, also kaum Wachstumseffekte auslösen, hat Alberto Alesina sicherlich recht. Einer Konsolidierung der Staaten nutzt das wenig und eine wünschenswertere gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Gesellschaft eines Staates kann davon kaum erwartet werden. Partieller und parteipolitischer Stimmenkauf kann nicht notwendige Wachstumspolitik ersetzen. Ganz im Gegenteil, er beeinträchtigt eher mittel- und langfristige Wettbewerbs- und Wachstumsfaktoren, da korporative Privilegien einzelner Gruppen die Chancen und Flexibilität innerhalb einer Gesellschaft schmälern und deren Entwicklung bremsen. Klüger ist es, die Kürzung der Staatsausgaben – beispielsweise durch Reduktion der Bürokratie und von Doppelt- und Dreifachförderungen – mit echten Reformprogrammen zu verbinden, d. h. im Idealfall quasi dadurch „doppelt positive“ Effekte zu erreichen (Sator, A., 2014a). Frankreich ist ein Beispiel dafür, wie ein Land durch viele Jahre sehr nachteiliger Entwicklungen zu einem politisch geschwächten Land wurde,

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1. Einführung

und zwar besonders durch geschützte und bevorzugte Gruppen, deren Privilegien de facto politisch tabuisiert sind. Die politisch Verantwortlichen in Frankreich könnten von einigen Vorstellungen von Alberto Alesina sicher profitieren, wenn es ihnen endlich gelänge, zumindest mittelfristig die gesellschaftlichen und wirtschaftsrelevanten Strukturschwächen und Blockaden abzubauen, die zu ungerechtfertigten Sonderrechten führten und den legitimierten Bewegungsspielraum der politischen Instanzen enorm beschneiden. Es ist allerdings zu befürchten, dass solche Vorstellungen dort keine Freunde finden (Sator, A., 2014a). Auch Italien kämpft mit enormen strukturellen Defiziten. Die Gesamtschulden des Landes liegen bei 136 % des BIP und die Arbeitslosenquote liegt mit 12,3 % im EU-Spitzenfeld. Der Konjunkturverlauf ist rezessiv und von Deflation begleitet. Der private Konsum ist seit Jahren rückläufig und seit 2007 um 80 Milliarden Euro geschrumpft bzw. jede Familie gibt 2014 jährlich 3.300 Euro weniger aus als vor sieben Jahren. Für 2015 wird mit einem mageren Ein-Prozent-Wachstum gerechnet. Matteo Renzi (1975), seit dem 22.02.2014 engagierter Regierungschef und Reformer, kämpft um eine überfällige Änderung der Arbeitsmarkt-Gesetze, d. h. somit gegen den radikalen Gewerkschaftsverband Cgil. Dessen „heilige Kuh“ ist die De-factoUnkündbarkeit der privilegierten Gruppe von primär Vollzeitbeschäftigten. Die stark zunehmenden prekären und befristeten Arbeitsverträge sowie die drei Millionen Arbeitslosen des Landes scheinen den Cgil als Vertreter der Arbeitnehmerinteressen befremdend wenig zu stören. Ausländische Investoren sind bei solchen Verhältnissen kaum zu gewinnen. Italien steht unter Zugzwang. Gelingt es nicht rasch, die krassen Probleme der Staatsverschuldung und das in Italien seit unzähligen Jahren bestehende Strukturproblem des Arbeitsmarktes zu lösen, können die angestrebten und nötigen Reformen kaum gelingen (s. a.: Kness-Bastaroli, T., 2014). Das Mittel „Wachstum“ hat ab Herbst 2013 an Bedeutung für die Krisenbewältigung gewonnen, wobei besonders in den USA dem FED-System und in Europa der EZB und den Nationalbanken eine hervorgehobene Rolle zukam. Einmal haben sie durch kaum vorstellbare Milliardensummen das Banken- und Finanzsystem vor dem Zusammenbruch gerettet und eine Depression verhindert und zweitens durch eine Politik des billigen Geldes eine wachstums­treibende Nachfrage unterstützt – natürlich vornehmlich auf dem Rücken der Steuerzahler – und weit übertriebener und zu wenig fokussierter Mittelzuwendungen an die Banken. Der Erfolg in Europa hielt sich in Grenzen. Damit verbunden sind die Fragen, welche Auswirkungen werden eine in absehbarer Zeit erfolgende Zinsanhebung durch die FED und die EZB für die weiteren Entwicklungen haben. Die FED kaufte im Spätherbst 2013 noch monatlich rund 85 Milliarden Dollar an Staats- und Immobilienpapieren auf. Analysten rechneten zunächst mit einer Ankaufsreduktion auf den



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Betrag von etwa 70 bis 75 Milliarden Dollar, was zu Zinsanstiegen auf den Finanzmärkten führte, und zwar bereits im Vorfeld entsprechender Aktionen. Die Zeit niedriger Zinsen seitens der FED und der EZB und damit an den Märkten wird enden, was in den USA bereits im Spätherbst 2014 geschah und auch im Euro-Raum kommen wird, wobei die Zeitpunkte für Zinsanhebungen noch offen sind. Die Prognosen über daraus resultierende konjunkturelle Effekte sind im Euro-Raum vage, können aber essentiell die weitere Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 merkbar treffen (s. a. Sustala, L. 2013 f.). Die Kritik an den öffentlichen Finanzeinrichtungen ist – neben Lob – massiv, wie beispielsweise durch den Internationalen Währungsfonds (IWF): Niedrige Leitzinsen hatten keine stimulierende Wirkung auf die Konjunktur. – Bei niedrigen Leitzinsen nahmen Notenbanken fast jedes Papier durch Ankauf in ihre Bücher und trieben damit deren Kurse nach oben. Sacken die Kurse ab, trifft das die Währungshüter und belaste letztendlich das BIP durch enorme Schulden der Notenbanken. – Gewinnabführungen der Notenbanken gingen zu Lasten des jeweiligen Staates zurück. – Das Ende der erzeugten Geldschwemme kann zu nachteiligen Turbulenzen auf Märkten führen. – Der Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik ist von den hochverschuldeten Staaten nur schwer zu bewältigen. Die Vorteile der bisherigen Geldpolitik mögen per Saldo die Kosten deren Beendigung übersteigen. Dennoch, diese Rechnungen sind zu bezahlen, und zwar durch die Steuerzahler. Egal ob die Geldaufwendungen nützlich waren oder – wie im Bankenbereich – in viel zu hohem Ausmaß flossen, d. h. sinnlos verschwendet wurden. Steuerzahler zweier Generationen werden geschröpft werden. Sie zahlen mit ihrem Geld einer kleinen Gruppe von Bankern nicht nur ihre selbst durch Misswirtschaft verursachten Schulden, sondern zudem deren enormen Bereicherungen. (Der Standard, Wien vom 18. / 19.05.2013a; Szigetvari, A.: 2013a). Vor allem aber gilt: Schulden des Staates in- und außerhalb der Budgets und Schulden ihrer Notenbanken als ausgelagerte Staatsschulden sind die wirkliche Gesamt-Passiva des Staates, worüber wenig gesprochen wird. Nach wie vor (September 2014) herrscht eine erhebliche Kreditklemme in der EU, verursacht durch das Bankensystem innerhalb der Eurozone. Man spricht unter hochkarätigen Experten bereits von Zombiebanken, die nicht im Stande sind, ihre ureigensten Aufgaben zu erfüllen, nämlich die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. Entweder sind sie mit ihrer eigenen Finanzierung und Kapitalausstattung dazu kaum in der Lage oder zeigen schlicht und einfach hierzu keine Bereitschaft, da sie ihre Mittel lieber einfacher anlegen und gute Zinsen einstreichen – und das war es dann bei einigen Banken leider, für welche die Steuerzahler Unsummen zur Rettung

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1. Einführung

des maroden Bankensystems zahlen mussten. Was aber Not tut ist die Ankurbelung der Wirtschaft, insbesondere durch Investitionen und Betriebsmittel, um dadurch Arbeitsplätze zu sichern und neu zu schaffen. Die da und dort etwas aufkeimende Verbesserung der Wirtschaft darf nicht ungenutzt bleiben oder erschwert werden durch abwegige Kreditklemmen. Um diese ärgerlichen Umtriebe eines Teiles der Finanzwirtschaft zu bekämpfen, wird daher zunehmend und richtigerweise empfohlen, unter direkter Einschaltung der EZB zielgerichtet Unternehmensanleihen anzukaufen und der Wirtschaft die aufgebrachten Mittel unmittelbar zukommen zu lassen, beispielsweise durch vorhandene bankmäßige Einrichtungen der öffentlichen Hand, die hierzu über einschlägige Erfahrungen verfügen und eine rasche Vorgehensweise in der Kreditgewährung sicherstellen können. Das wäre auch aus der Sicht der EZB eine ergänzende und empfehlenswerte Alternative zum Aufkauf von Staatsanleihen. Letzteres ist aus finanzpolitische Gründen zu Recht umstritten und widerspricht den fundamentalen Zielen und bisherigen Regeln für die EZB und die Notenbanken im Euro-Raum. Staatsfinanzierungen dieser Art durch die EZB oder Nationalbanken sind verboten, beispielsweise wie der unmittelbare Erwerb von Staatsanleihen bzw. Primärmarktkäufe. Dadurch sollen die EZB und die Nationalbanken vor politischem Druck der Staaten und der Beeinträchtigung ihrer Unabhängigkeit gesichert werden, um ihre Kernaufgaben bestmöglich erfüllen zu können. Staaten sind einmal gehalten, sich bei Staatsanleihen dem Wettbewerb auf den Primärmärkten stellen zu müssen. Zweitens sollen sie sich um eine ordentliche Haushaltspolitik bemühen und nicht durch Finanzierungsprivilegien zu gegenteiligen Praktiken ermuntert werden (s. a. Internet: Zentralbank; Europäische Zen­ tralbank). Sekundärmarktkäufe der EZB sind jedoch möglich. Wie auch immer so etwas gestaltet wird, es wäre besonders anzustreben, dass die Klein- und Mittelunternehmen endlich an Mittel gelangen, da sie unter der Kreditklemme am meisten leiden und ihre Kreditaufnahme mit sehr großer Wahrscheinlichkeit unmittelbar der Steigerung der Nachfrage bzw. dem Wachstum dienen (s. a.: Belke, A. 2013, S. 13). „Banken kürzen Firmenkredite und kaufen Staatsanleihen“, so die bezeichnende Überschrift in der Tageszeitung Der Standard, Wien vom 05.11.2013: Demnach haben Europas Banken seit dem Jahr 2010 nahezu 500 Milliarden Euro an Firmenkrediten abgebaut und ihre Forderungen an die Staatsfinanzierung durch den Kauf von Staatsanleihen um 550 Milliarden erhöht; nicht zuletzt deswegen, um dem Regelwerk Basel III zu entsprechen. Mit Staatsanleihen ist das eigenkapitalschonend möglich, da bei den Banken kaum Risikopuffer vorzuhalten sind, wie das bei Unternehmenskrediten der Fall ist. Es kann nur gehofft werden, dass die Ende des Jahres 2013 / Anfang 2014 beginnenden EZB-Bankprüfungen Korrekturen solch egozentrischer Geschäftsgebarungen der 128 größten Geldhäuser in



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007139

Europa bringen werden. Es ist unerträglich, wenn Großbanken sich der Erfüllung einer ihrer wichtigsten einzel- und gesamtwirtschaftlichen Funktion entschlagen, nämlich der ausreichenden Kreditversorgung von Unternehmen – obwohl ihnen kaum nachvollziehbare Unsummen an Geld während der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 aus Steuermitteln zugeflossen sind – nur weil das einer eigennützigen Geschäftspolitik dienlich ist. Der damit angerichtete Schaden, der sich gegen die Wirtschaft, die Bewältigung der Krise, die Milderung der Arbeitslosigkeit usw. richtet, scheint die Banken, die ihre gesamtwirtschaftliche Rolle und Verantwortung sträflich ignorieren, nicht zu stören (Der Standard, 2013c). Das Bankensystem im deutschsprachigen Raum der Euro-Zone schreckte auf, als es von dem Vorschlag erfuhr, dass die Finanzierung von Klein- und Mittelbetrieben zukünftig durch Unternehmensanleihen gestärkt werden sollte, da das Bankensystem bislang trotz riesiger Summen an zugeflossenen öffentlichen Mitteln bislang die Kreditklemme nicht wirklich beseitigt hat, ganz im Gegenteil, das Volumen an Firmenkrediten wurde kräftig reduziert. Dennoch beschönigen die betroffenen Banken das Problem der Kreditklemme und versuchten rasch und findig sich mit Ausreden von der eigenen Funk­ tionsunfähigkeit bei der zentral bedeutsamen Finanzierungsaufgabe selbst zu exkulpieren, statt sinnvoll auf Marktbedürfnisse und gesamtwirtschaftlich dringende Erfordernisse zu reagieren. Vor allem argumentieren sie in diesem Kontext geradezu aggressiv gegen die von der EU, EZB und nationalen Stellen zukünftig vorgesehenen und von den Banken rundweg abgelehnten Instrumente der strukturellen Regelungen der essentiell gebotenen Reform des Bank- und Finanzsystems in der Euro-Zone. Diese seien unzweckmäßig und zu teuer, geben die Banken zum Besten, statt eigeninitiativ beispielsweise die Kreditklemme zu beseitigen und einen längst überfälligen Beitrag für die Finanzierung des Mittelstandes zu leisten. Wenn Banken in ihrem Kerngeschäft mögliche Finanzierungsfunktionen nicht erfüllen wollen, da sie anderswo ihre Mittel einfacher, risikolos und ertragreich einsetzen können, dürfen sie sich nicht wundern oder gar beschweren, wenn solche unverzichtbaren Leistungen durch andere Organe der Finanzierung und deren Träger erfolgen. Die Argumentation der Banken ist deshalb unglaubwürdig und zudem widersprüchlich, da es ja auch Banken gibt, die ihren Kunden aus dem Mittelstand erforderliche Kredite geben und den unwiderlegbaren Beweis erbringen, dass das möglich ist. Das generelle Lamentieren der Banken und ihrer Interessenvertretung ist schäbig, kleinkariert, gesellschaftlich, ökonomisch und unverantwortlich und zeigt unmissverständlich, dass die „Finanzindustrie“ in immer größere Legitimations- und Vertrauenslücken gerät. Es ist höchste Zeit, dass die Banken einmal kritisch-konstruktiv ihre Rolle und Verantwortung in der Gesellschaft und Wirtschaft reflektieren, die Paradigmen ihres Denkens, Fühlen und Handeln an neue einzel- und ge-

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1. Einführung

samtwirtschaftlich Ziele anpassen und im wohlverstandenen Eigeninteresse diese erforderliche Revolution in Eigenregie bewältigen, sonst werden es Andere tun und das könnte sehr unangenehm und destruktiv ausgehen. Zweitens ist es unumstritten, dass die Bewertung „marod“ und „morbid“ nicht auf alle Unternehmen und Einrichtungen des Bank- und Finanzsystems zutrifft. Ganz im Gegenteil, es gibt viele gute, beispielhafte und hervorragende Unternehmen des Sektors, die das heruntergewirtschaftete Image der „Finanzindustrie“ schwer belastet, obwohl sie hohen Respekt und Anerkennung verdient hätten. Im Wettbewerb haben sie sicher durch ihre gute und verantwortungsvolle Funktionserfüllungen einen großen relativen Wettbewerbsvorsprung geschafft und beste Voraussetzungen ihn zu nutzen, da sie das Vertrauen ihrer Kunden und durch eine zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit ihrer unternehmensinternen Mitarbeiter und Leistungsträger gewinnen konnten. Die glücklicherweise vorhandenen Vorbilder des Bankund Finanzsystems müssen dennoch die verdorbene Suppe essen und verdauen, die ihnen durch die Misswirtschaft des anderen Teils des Sektors eingebrockt wurde. Der auffällige und impertinente Widerstand gegen von außen kommende Reformen jeglicher Art, dürfte in Wirklichkeit darin liegen, dass man zu Recht fürchtet, zukünftig „einzelwirtschaftlich“ nicht mehr so schalten und walten zu können, wie vor und auch noch während der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Diese Art des Wirtschaftens und der Generierung unvorstellbarer Summen an öffentlichen Mitteln für das Bank- und Finanzsystem auf Kosten der Steuerzahler unter gleichzeitiger Mitverursachung der größten Weltwirtschaftskrise seit den Jahren 1928 bis 1932, muss ein möglichst rasches Ende haben. Das geht nicht ohne tiefgreifende ideelle und substanzielle Neuorientierungen und Veränderungen. Wenn die Bank- und Finanzsysteme der westlichen Welt nach all dem Vorgefallenen sich dem verschließen, statt die Reformanstrengungen kooperativ mitzutragen, dann sind sie hoffnungslos naiv und übersehen – wie schon angedeutet –, dass prospektive Revolutionen in Eigenregie immer besser sind als aufgezwungene Revolutionen von außen. Als Nebeneffekt schwächen sie das bereits stark ramponierte Vertrauen in das Bank- und Finanzsystem weiter, denn Dritte werde u. a. gehalten sein aufzudecken, was alles geschehen ist und nach Veränderungen schreit. Die dreistelligen Milliardenbeträge in den USA und in Europa die an Strafgelder über Unternehmen des Bank- und Finanzsystem bereits verhängt und zum großen Teil bezahlt wurden, machen sehr deutlich, welches Ausmaß die angedeutete und erst teilweise aufgearbeitete Problematik besitzt. Die Banken vergessen wohlweislich, dass die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in den USA vom Finanz- und Bankensystem ihren Ausgang genommen hat und die Banken in Europa ins Schlepptau des amerikanischen Systems gerieten, großteils „mitmachten“ und davon massiv zu profitieren



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007141

versuchten. Nach Vogel-Strauß-Politik den Kopf nun in den Sand zu stecken, um nicht sehen zu wollen, dass es Zeit ist, im Bank- und Finanzsystem aufzuräumen, ist nach dem Geschehenen absurd und vielleicht wirklich ein Indiz dafür, dass einigen oder auch vielen Vertretern der „Finanzindustrie“ noch immer unklar ist, welche Rolle, Aufgabe und Verantwortung sie in Gesellschaft und Wirtschaft zu erfüllen haben und für ihre eigene Legitimation mehr denn je benötigen. Aber gerade solche Geisteshaltungen zeigen, wie notwendig ernsthafte Regulierungen und wie streng sie durchzuführen sind, sollten die Selbstheilungskräfte innerhalb des Bank- und Finanzsektors versagen. Ziel muss die Fokussierung und Sicherung der Bankfunktionen sein, nämlich in solider Art und Weise die Risikoabsicherung, Kreditvergabe und Mobilisierung der Ersparnisse bei niedrigsten Transaktionskosten zu gewährleisten (s. a.: Stiglitz, J.: 2011, S. 34 f.). Wenn das die Banker nicht lernen, fehlt hierfür eine bankeneigene und essentielle Aufgabenidentifikation, und zwar erstaunlicher Weise bei den traditionellsten Bankfunktionen überhaupt. Das gibt zu denken. Das wäre etwa so, als würde ein Bäcker kein Brot mehr backen. Wer würde das Verstehen und nicht für skurril halten? Bei solchen Einstellungen und Praktiken ist daran zu zweifeln, ob solcherart betroffene Banken bereit sind, sich in die Richtung nötiger und tiefgreifender Reformen zu bewegen, geschweige denn aktiv Veränderungen wirksam umzusetzen. Das 1x1 der Entscheidungen und des Handelns von Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und vor allem des Marktes wird es an ihrer Stelle tun und die Banken werden es akzeptieren müssen. Damit hätten die Banker und ihre Vertreter ihre Chance vertan, als lernfähige und einsichtige, endlich redliche und reformbereite, innovative und verantwortungsbereite Unternehmer an der ­ Gestaltung des zukünftigen Bank- und Finanzsystems in der Euro-Zone mitzuwirken. Während der Entwicklungen der letzten Jahre der Krise hat wohl kein Wirtschaftszweig soviel Vertrauen und Goodwill verloren, wie die Banker und Manager des Finanzsystems. Und das zu Recht. Darauf selbstkritisch-konstruktiv zu reagieren und endlich mit dem inszenierten und abstoßenden Klagen in eigener Sache aufzuhören, wäre daher das Gebot der Stunde. Die eigene Desorientierung der betroffenen Gruppen wird doch hoffentlich nicht ein so erschreckendes Ausmaß angenommen haben, dass sie das selber glauben, was sie an erbärmlicher Jammerei bieten und damit letztendlich das eigene Schicksal verschlimmern. Je mehr und länger die destruktiven Praktiken der Banken und ihrer Interessenvertreter fortgesetzt werden, je weniger können Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ein Interesse haben, auf die „Forderungen“ der Finanzwirtschaft einzugehen, geschweige denn sie als nur verneinende Partner für überfällige Reformen der „Finanzindustrie“ zu akzeptieren. Ihre Rolle als verantwortlich Mitwirkende bei der prospektiven Gestaltung des eigenen

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1. Einführung

Geschäftsbereiches der Bankwirtschaft wird damit zwangsläufig und substantiell ausgehöhlt, d.  h. die Chancen einer konstruktiven Mitgestaltung werden geradezu naiv und selbstzerstörerisch vertan. Konstruktivere und funktionell besser agierende in- und ausländische Wettbewerber werden nicht traurig sein, sondern sich über höchst egozentrisch fixierte und daher im Kern morbid gewordene Konkurrenten und deren vermutlich wechselbereiten Kunden freuen. Vielmehr sollte eigentlich – mit etwas Optimismus – vermutet werden, dass die Gruppe der Banker selbst am Besten weiß, welche tiefen Schnitte, kreative Leistungen und Innovationen das Bank- und Finanzsystem zu seiner Gesundung braucht. Vielleicht macht sich auch in den eigenen Reihen durchaus nachvollziehbare Angst vor der eigenen Courage breit, die zwar lähmend sein kann, aber für Veränderungen notwendig ist. Die Apparate sind abzuspecken und die Finanzierungskosten müssen runter und können nicht mehr zu Lasten der Steuerzahler subventioniert werden. Wo steht es denn geschrieben, dass Bankfunktionen nicht weitaus besser und kostengünstiger erbracht werden können? Konsolidierung, Sanierung, die Ausdünnung der Filialnetze, Bonusreduktionen, Verschlankungen der Verwaltungen, Bürokratieabbau usw. sind längst laufend genutzte Instrumente zur Effi­ zienzsteigerung in der Wirtschaft, die ja mittlerweile auch bereits bei einigen Banken und Bankgruppen klug, verantwortungsvoll und human konzipiert und umgesetzt werden. Dazu gehört unverzichtbar eine zeitgemäße und mitarbeiter­orientierte Personal- und Führungsarbeit, bei der die meist traditionell und hierarchisch geführten Banken erheblichen Neuerungs- und Verbesserungsbedarf haben dürften. Banken sind Dienstleistungsunternehmen, deren Erfolg mit qualifizierten, engagierten und mit Gestaltungsmöglichkeiten ausgestatteten Führungskräften und Mitarbeitern steht und fällt. Mit überzogenen Hierarchien, altvorderen und autoritären statt kooperativen Führungsattitüden kann das nicht bewerkstelligt werden. Gute und mündige Mitarbeiter sind so nicht zu gewinnen und schon gar nicht im Unternehmen zu halten. All das und Vieles mehr ist bei erfolgreichen Unternehmungen aller Größenordnungen und vieler Branchen seit langem selbstverständlich, warum soll das bei Banken anders sein? Wie sollen denn ansonsten in der EU wettbewerbsgerechte bankwirtschaftliche Verhältnisse erreicht werden, um beispielsweise niedrigere Zinsen zu erreicht, um Schritt für Schritt wieder die Wirtschaft in Gang zu bringen? Soll eine ganze Generation junger Menschen in den südeuropäischen Ländern ohne Zukunft bleiben und gleichzeitig die Banker wie vor und während der Krise sich hemmungslos die Taschen füllen? Was geht in den Köpfen der Spitzenvertreter wichtiger Bankkonzerne der Eurozone vor, von denen man derzeit (Herbst 2013) nur das eine Postulat hört, die ganze Kraft der vertretenen Bankgruppe habe sich auf die Renditensteigerung zu



1.3 Weltwirtschaftskrise ab 2007143

konzentrieren? Wird immer noch nicht begriffen, dass das Zielbündel von Banken sich vor allem an den Kundenerfordernissen zu orientieren hat und nicht lediglich an einer nicht mehr nachvollziehbaren Bankenegozentrik und das zu einem Zeitpunkt, wo die Gesellschaft, Wirtschaft und vor allem Millionen von Menschen noch mitten in der Krise stecken, arbeitslos sind usw. und Jahre vergehen werden, um zumindest konjunkturell die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 teilweise zu bewältigen. Das Abtragen der Unsummen an Schulden, die in der Krise angehäuft wurden, wird sicher noch die kommende Generation belasten. Wird übersehen, dass die Krise das Thema der sozialen Gerechtigkeit in einer Art und Weise offen gelegt und thematisiert hat, dass es in großem Maßstab und nahezu in allen Ländern der EU tausende Menschen auf die Straßen und Plätze treibt? Was muss denn noch geschehen, um zu erkennen, was die Uhr geschlagen hat? Im Herbst 2013 hat Joseph E. Stiglitz unter der bezeichnenden Überschrift „Fünf fast verlorene Jahre“ zum Stand der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in den USA und Europa Zwischenbilanz gezogen. Nur wenige Wirtschaftswissenschaftler haben sich so kompetent und fundiert wie Joseph E. Stiglitz sich intensiv, gründlich und umfassend mit der Krise beschäftigt. Sein Artikel hat daher Gewicht und wird als essentieller, abrundender und prospektiver Ansatz zum Thema 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wiedergegeben. Seine Kernaussagen sind folgende: „Wir stehen nicht mehr am Rand des Abgrunds aber ziemlich nahe dran. Die Verantwortlichen in Regierung und im Finanzsektor müssen sich auf das konzentrieren, was noch zu tun ist“, so die Einleitung. „[…] Ein aufgeblähtes, dysfunktionales Finanzsystem hatte zur Fehlallokation von Kapital geführt und, statt die Risiken zu steuern, selbst Risiken geschaffen. Die Finanzderegulierung hatte – zusammen mit einer Politik des lockeren Geldes – zu überzogener Risikofreudigkeit geführt. […] Fünf Jahre später klopften sich einige auf die Schulter [gerechnet ab 2008, also 2013, Anmerkung des Autors], weil eine weitere Krise vermieden wurde. Doch kann keiner in Europa oder den USA behaupten, der Wohlstand sei zurückgekehrt. Die Europäische Union ist gerade erst dabei, eine […] Rezession zu überwinden, und einige ihrer Mitgliedsstaaten, obwohl sie sich darum bemühen, stecken in einer Depression. In vielen EU-Ländern ist das BIB nach wie vor niedriger oder nur unerheblich höher als vor der Rezession. Fast 27 Millionen Europäer sind arbeitslos. In ähnlicher Weise finden 22 Millionen Amerikaner keine Vollzeitstelle, obwohl sie sich darum bemühen. Die Erwerbsquote ist auf einen Stand gefallen, wie man ihn nicht erlebt hat, seit die Frauen begannen, in großer Zahle auf den Arbeitsmarkt zu drängen. Einkommen und Vermögen der meisten Amerikaner liegen unter dem Niveau, das sie lange vor der Krise erreicht hatten. Tatsächlich ist das Durchschnittseinkommen eines männlichen Arbeitnehmers heute niedriger als irgendwann in den letzten vier Jahrzehnten. […] Es gab ein paar Erhöhungen an die Kapitalanforderungen, die freilich viel niedriger ausfielen als nötig. Ein paar riskante Derivate – finanzielle Massenvernichtungswaffen – werden nun an der Börse gehandelt, was ihre Transparenz erhöht und

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1. Einführung

die von ihnen ausgehenden systemischen Risiken mindert – doch große Mengen werden weiterhin auf trüben, inoffiziellen Märkten gehandelt, was bedeutet, dass wir kaum etwas über die Risiken wissen, denen einige unserer größten Finanzinstitute ausgesetzt sind. Genau so wurden ein paar unlautere und diskriminierende Kreditvergabe- und missbräuchliche Kreditkartenpraktiken eingeschränkt, doch andere genauso ausbeuterische Praktiken bestehen fort. Die marktbeherrschenden Banken erlegen dem Handel noch immer hohe Gebühren für Lastschrift- und Kreditkarten auf, die ein Mehrfaches über dem liegen, was ein echter Wettbewerb zulassen würde. Dies sind schlicht Steuern, deren Erlöse – statt öffentlichen Zwecken zu dienen – in private Hände fließen. […] Amerikas Hypothekenmarkt wird nach wie vor künstlich am Leben gehalten: Der Staat garantiert inzwischen 90 Prozent aller Hypotheken […] Die Banken sind nicht nur zu groß, um sie scheitern zu lassen, sondern auch zu groß, um sie zu kontrollieren und für ihr Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen. […] kein leitender Vertreter einer Bank [wurde] zur Verantwortung gezogen, und wenn Geldstrafen verhängt wurden, waren sie viel kleiner, als sie es hätten sein sollen, damit systemisch bedeutsame Finanzinstitute ja nicht gefährdet würden. […] Die Ratingagenturen wurden in zwei zivilgerichtlichen Verfahren zur Verantwortung gezogen. […] Aber die Summen, die sie zahlen mussten, [betrugen] nur einen Bruchteil der Verluste, die sie durch ihr Handeln verursacht hatten. Schlimmer noch: Das grundlegende Problem – ein System von Fehlanreizen, bei dem die Agenturen von den Firmen bezahlt werden, die sie bewerten sollen – besteht nach wie vor. […] Banken prahlen, dass sie alle staatlichen Rettungsgelder, die sie nach Ausbruch der Krise erhalten hätten, vollständig zurückgezahlt hätten. Nur erwähnen sie dabei nie, dass jeder, der praktisch zinslos enorme staatliche Kredite erhalten habe, Milliarden einfach dadurch hätte verdienen können, dass er das Geld an den Staat zurückverleiht. Genau so wenig erwähnen sie die Kosten, die der übrigen Volkswirtschaft auferlegt wurden: kumulative Produktionsverluste in Europa und den USA von deutlich über fünf Billionen Dollar. […] Ja, wir waren alle Keynesianer – aber viel zu kurz. Dann machten fiskalische Impulse der Austerität [!] Platz, mit vorhersehbaren – und vorhergesagten – negativen Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung. […] In Europa freuen sich jetzt einige, dass die Konjunktur möglicherweise die Talsohle erreicht hat. Dank des neuerlichen Produktionswachstums ist die Rezession – definiert als zwei aufeinanderfolgende Quartale wirtschaftlicher Kontraktion [Internet: Konjunkturphasen und Kontraktion] – offizielle vorbei. Doch in jedem aussagefähigen Sinne steckt eine Volkswirtschaft, in der die Einkommen der meisten Menschen unter dem Niveau von 2008 liegen, weiter in der Rezes­ sion. Und eine Volkswirtschaft, in der – wie derzeit in Griechenland und Spanien – 25 Prozent der Arbeitnehmer (und 50 Prozent der jungen Leute) arbeitslos sind, steckt weiter in der Depression. Die Austerität ist gescheitert, und es besteht auf absehbare Zeit keine Aussicht auf Rückkehr zur Vollbeschäftigung. […] Das Finanzsystem mag stabiler sein als vor fünf Jahren, aber das sagt nicht viel aus – damals stand es am Rande des Abgrunds. Diejenigen in der Regierung und im Finanzsektor, die sich auf Grund der Rückkehr der Banken in die Gewinnzone und der schwachen – wenn auch hart erkämpften – Verbesserung der Regulierung selbst auf die Schultern klopfen, sollten sich lieber auf das konzentrieren, was noch zutun ist. Das Glas ist bestenfalls ein Viertel voll; für die meisten Menschen ist es zu drei Vierteln leer“ (Stiglitz, J. E.: 2013, S. 39).



1.4 Résumé145

Im Februar 2015 publizierte McKinsey Global Institute die Studie „Debt and (not much) Deleveraging, Exekutive Summary“, aus der zu entnehmen war, wie stark die Schulden weltweit seit Beginn der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bis zum 2. Quartal 2014 gestiegen sind, also von Staaten, Unternehmen, Finanzsektor und Privatleuten, nämlich auf 199 Billionen Dollar. Beim Ausbruch der Krise waren das – währungsmäßig abgegrenzt – 57 Billionen Dollar weniger. Im Jahr 2000 lag die globale Schuldensumme noch bei 87 Billionen Dollar. Die Verschuldung 2014 entsprach der Weltwirtschaftsleistung von fast drei Jahren, nämlich 289 % gegenüber 269 % im Jahr 2007, wobei der Finanzsektor einen geringeren Anstieg hatte, was einigermaßen überraschend ist. Deutschland liegt mit einem gesamten Verschuldungsgrad von 188 % seiner jährlichen Wirtschaftsleistung (ohne Finanzsektor) im Mittelfeld der 47 untersuchten Staaten der Studie und nimmt den guten neunten Platz bei der weltweiten Schuldenentwicklung ein. Chinas Schuldenberg ist hingegen immens angestiegen und liegt in der Relation zu seiner Wirtschaftsleistung mit der Verschuldung höher als die USA und Deutschland. Israel hat in den vergangenen sieben Jahren seine Schuldenlast deutlich abbauen können, insbesondere die Verbindlichkeiten der Unternehmen. Die dürren, aber überraschenden Zahlen und die jeweiligen Differenzierungen der Werte, zeigen unmissverständlich, wie stark die Welt noch mitten in der Krisenbewältigung steckt, längst nicht über dem Berg ist und bereits derzeit bereits nahezu die doppelte Dauer der 2. Weltwirtschaftskrise 1928– 1932 erreicht hat (McKinsey Global Institute, 2015). Stiglitz hat mit seinem zu drei Vierteln leeren Glas leider Recht!

1.4 Résumé Die Einleitung zum Thema Führung und Motivation in und nach Weltwirtschaftskrisen begründet die der Arbeit zu Grunde liegende Arbeitshypothese, dass die bisherige 3. Weltwirtschaftskrisen ab 2007 einen Paradigmenwechsel für Gesellschaft und Wirtschaft erfordert, um einmal deren Folgen so weit als möglich zu bewältigen und zweitens zukünftige ähnliche Krisen besser zu verhindern. Dem menschlichen Denken, Fühlen und Handeln sollen bessere Orientierungen dienen, um Fehlentwicklungen nachhaltig zu korrigieren, wie sie bei der 3. Weltwirtschaftskrisen ab 2007 zu beklagen und sehr wesentlich auf die Ideen und Praktiken des Neoliberalismus zurückzuführen sind. Die relevanten Paradigmen sind wertbezogene Grundauffassungen, die gleichermaßen gesellschaftliches, makro- und mikroökonomisches Verhalten entscheidend prägen können und dafür personale Verantwortlichkeiten benennen. Die Ökosoziale Marktwirtschaft ist eine solche gesellschaftliche und wirtschaftliche Grundkonzeption, die anderen Wertvorstellungen und Paradigmen folgt als der Neoliberalismus. Die we-

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1. Einführung

sentlichen Ideen der beiden unterschiedlichen Systeme unterscheiden sich daher grundlegend und bewirken sehr unterschiedliche Orientierungen, Handlungen und folglich auch Ergebnisse. Die Ökosoziale Marktwirtschaft basiert bis heute auch auf den grundlegenden und universellen Werten und Prinzipien der Ethik und Moral, wie sie von Immanuell Kant dargestellt, weiterentwickelt und u. a. im Kategorischen Imperativ als personalisierte Verantwortung fokussiert und definiert wurden. Der Neoliberalismus, seine Ideen und Umsetzungen haben zu fatal anderen Orientierungen, Handlungen und sehr nachteiligen Schäden geführt, deren Bewältigung längst nicht beendet sind und sich zudem als sehr schwierig erweisen und weltweit kaum vorstellbare Unsummen an Geld verschlungen haben. Da der Neoliberalismus und seine Auswirkungen sehr wesentlich von amoralischen Wertvorstellungen verursacht wurden, erweist sich die 3. Weltwirtschaftskrisen ab 2007 auch als eine moralische Krise enormen Ausmaßes. Die 1. und 2. Weltwirtschaftskrise der Jahre 1857–1859 und 1928–1932 wurden einbezogen, um zu erkennen, welche Ursachen, Verläufe und Auswirkungen bestanden, die mehr oder minder in einem aufschlussreichen Kontext mit der 3. Weltwirtschaftskrisen ab 2007 stehen, wie: Gab es vergleichbare Motive und Umstände als Krisenursache? Welche Wege der Krisenbewältigung wurden mit Erfolg oder Misserfolg beschritten? Welche Auswirkungen hatten die Krisen? Hat man aus den Erfahrungen der Krisen etwas gelernt? Finden sich Verhaltensweisen, die sich bei der 3. Weltwirtschaftskrisen ab 2007 wiederfinden? Die Schwerpunkte der Einführung der vorliegenden Arbeit lagen naheliegender Weise auf der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Die Fakten, Interpretationen und Vorstellungen aus der Einführung zur vorliegenden Arbeit konzentrierten sich dabei auf wesentliche Punkte. Der Neoliberalismus und seine Ideen und Postulate gelten zu Recht als essentielle Voraussetzungen und Triebfeder für seine konzeptionelle Akzeptanz, Ausbreitung und weitgehende Umsetzung in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur vieler Länder. Seine Auswirkungen bis hin zur 3. Weltwirtschaftskrisen ab 2007, die bereits ab Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts auch in Europa zunehmend zu registrieren waren und letztlich nachteilige Gestaltungen in Gesellschaft und Wirtschaft bewirkten, waren durch den weitgehend unkritischen Rezeptionsprozess besonders durch Vertreter der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Europa bestimmt. Erstaunlich war dabei, dass Studien, vergleichende Bewertungen mit bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konzeptionen sowie entsprechende Stellungnahmen viel zu wenig erfolgten. Mit fragwürdigem Pragmatismus und vorauseilendem Mitläufertum wurde die Sache des Neoliberalismus vertreten. Das Wissen über die potentielle Macht der Ideen hätte sensiblere, gewissenhafte und verantwortungsvoll agierende Wissen-



1.4 Résumé147

schaftler veranlasst, beispielsweise eine um Objektivität bemühte Abwägung der Vor- und Nachteile der Konzeptionen des Neoliberalismus und der Sozialen bzw. Ökosozialen Marktwirtschaft vorzunehmen, statt mit teilweise vorauseilendem Opportunismus das vermeintlich Hohe Lied des Neoliberalismus anzustimmen. Ebenso kann die Frage gestellt werden, weshalb keine differenzierende Auseinandersetzungen erfolgten mit den Traditionen des Liberalismus des Bürgertums und seiner politischen Vertretung im 19. und 20. Jahrhundert in Europa und seinen geistigen Wurzeln in der Aufklärung einerseits und andererseits des Neoliberalismus, mit seinen engen, geradezu altmodischen und egozentrischen Vorstellungen. Ähnliche und ergänzende Vergleiche hätten sich den Wissenschaftlern zu den Themenkreisen der Sozialen Frage und des neoliberalen Ideenguts aufdrängen müssen. Die Ergebnisse solcher notwendigen Bemühungen wären den Entscheidungsträgern in Gesellschaft und Wirtschaft und ebenso in der Politik unschwer vermittelbar gewesen. Ein kritisch-konstruktiver Dialog dieser Art hätte voraussichtlich zu besseren Entwicklungen geführt und Europa sowie der zivilisierten Welt schwere Schäden erspart. Einmal durch die Fortführung sehr zeitgemäßer betrieb­ licher Bestrebungen zur Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, die neoliberalen Ideen zum Opfer fielen. Zweitens wären in Europa die Folgen der von den USA ausgehenden Krise vermutlich weitaus glimpflicher verlaufen. Die Wissenschaftler in den USA und in Europa boten großteils keine Lösungen gegen die Krise, sondern waren ein Teil der Probleme der Krise. Umso wichtiger ist es daher, aus den bitteren Erfahrungen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 die Herausforderungen und Chancen wahrzunehmen, vieles neu zu denken und zu ordnen, Orientierungen zu finden und für deren Umsetzung einzutreten, um ein da capo der Krise möglichst auszuschließen. Führung und Motivation sind mehr als lediglich instrumentelle Funktionen des Managements. Ihre anspruchsvolle und schwierige Aufgabe, nämlich die Verwirklichung eines zeitgemäßen Führungs- und Motivationsverhaltens, werden primär durch Persönlichkeitsprägungen der Führungskräfte sowie der Mitarbeiter bestimmt. Eine gute Methodik des Managements ermöglicht und unterstützt positive Verhaltensintentionen und schafft somit eine individuelle und gruppenspezifische Optimierungsmöglichkeit der Personal- und Führungsarbeit, die Führungstechnik allein nicht erreichen kann. Neoliberale Vorstellungen mit ihren ausgesprochen egozentrischen Gestaltungselementen sind dabei nicht unbedingt hilfreich. Sie prägten jedoch in Europa etwa ab Mitte 1970 bis heute (Mitte 2015) – also weit mehr als eine Generation lang – wesentlich die Führungsverhältnisse. Sehr gute und erfolgversprechende Entwicklungen der Zeit davor gingen dabei verloren und sind heute den meisten der davon betroffenen Menschen nicht einmal

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1. Einführung

mehr bekannt. Die Personal- und Führungsarbeit hat in der Mikroökonomie ebenso an Qualität verloren wie in der Makroökonomie. Enorme Schäden sind dadurch entstanden. Beide Entwicklungen hatten quasi die gleichen ideellen bzw. neoliberalen Wurzelkrankheiten: Ob es zu inhumanen bzw. wenig effektiven Führungsschwächen und damit zu Demotivationen, unnötigen Konflikten oder schwindender Leistungsbereitschaft kam oder zu Unsicherheiten und Ängsten statt zu kreativem und innovativem Engagement, ob Menschen in Armut stürzten und ihren Arbeitsplatz verloren oder ob ganze Volkswirtschaften erheblich ruiniert wurden. Die enormen makro- und mikroökonomischen, ebenso die gesellschaftliche und politische Schäden, gehen wesentlich auf die gleichen neoliberalen Ursachen zurück. Die weit unterschätzte Macht der Idee des Neoliberalismus stand am Anfang dieser Fehlentwicklungen. Die Genese der Problemstellungen und der elementaren Ansätze für deren notwendige Lösungen – nämlich der Bewältigung der gescheiterten Ideen, Konzepte und Realität des Neoliberalismus – sind ident bzw. führen stets zu den mächtigen Paradigmen des Neoliberalismus. Natürlich wurden die unterschiedlichsten neoliberalen Entwicklungen von regionalen, nationalen und internationalen Umfeldern essentiell überlagert und bestimmt, ebenso durch x-fache andere Faktoren, wie Branchen, Betriebsgrößen, verschiedenste Ressourcen, Bildungs- und Forschungssituationen, gesellschaftliche und politische Verhältnisse, Gesetze usw. Der geforderte Paradigmenwechsel als grundsätzlicher Bewältigungs- und Reformansatz an den genuinen Wurzeln der Probleme, um die Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 so weit als möglich zu bewältigen, ist somit als grundlegend und gesamtheitlich zu verstehen. Seine Inhalte sind u. a.: Werthaltungen, Orientierungen und Überzeugungen für und von Menschen, die – im Ideal – gesamthaft deren Denken, Fühlen und Handeln wesentlich bestimmen, sei es im Großen wie im Kleinen. Paradigmen beeinflussen und prägen natürlich auch die Funktionsbereiche der Führung und Motivation. Inhalte und damit verbundene Vorstellungen des Einzelnen, aber auch von Gruppen, erfahren durch Paradigmen ihre konkrete Auslegungen: Ob es sich um Fragen der „Gerechtigkeit“, des „sozialer Ausgleich“, der „Offenheit und Toleranz“, der „zwischenmenschlichen Beziehungen“ usw. handelt oder Mängel bewertet werden, wie „Manipulation“, „Egozentrik versus Sozialität“, „Gier oder Betrug“ usw. Paradigmen erfüllen so die Funktion von Entscheidungshilfen und ergänzen die meist sehr begrenzte und oft überschätzte Rationalität bei der Vorbereitung und dem Treffen von Entscheidungen, wodurch trotz der tendenziell steigenden Irrationalitäten bei Entscheidungen, deren sinnvolle Ausrichtung vielfach gesichert werden kann und chaotische bzw. riskante Entscheidungsprozesse und ihre Folgen in weitem Maße vermieden werden können. Der letztgenannte Effekt gewinnt durch die generell wachsende Komplexität und die steigende Raschheit von



1.4 Résumé149

Entwicklungen der Gesellschaft und Wirtschaft sehr stark an Bedeutung. Paradigmen prägen ebenso die Art und Weise der Realisierung und Kontrolle der Ergebnisse von Entscheidungen, d. h. erfüllen in verschiedenster und umfassender Hinsicht generell Orientierungsfunktionen. Der übergreifende und grundsätzliche Zusammenhang zwischen Weltwirtschaftskrise einerseits und Führung und Motivation andererseits ist durch die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in geradezu dramatischer Art und Weise thematisiert und bewusst geworden. Bis zum Ausbruch der Krise und auch danach wurde und werden in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Forschung und Lehre die Wirtschaft nach den Fachbereichen Volkswirtschaft, Wirtschaftspolitik und Betriebswirtschaft aufgeteilt und behandelt. Auch die jeweiligen Berufsbilder folgten dem hochspezialisierten Denk- und Arbeitsschema. Thematische und methodische Überschneidungen und eine übergreifende Behandlung von Themen bilden die Ausnahme und man bewegte sich mehr oder minder in unterschiedlichen Welten. Gesamtheitliche Betrachtungsweisen gab es und wurden auch immer wieder gefordert, aber in breiterem Maße weder forciert, geschweige denn umgesetzt, sondern eher der „Spezialisierung“ gefrönt, nach dem Motto: Spezialisten sind Menschen, die über immer weniger immer mehr wissen müssen. Daran hat sich im Bereich der Lehre und Forschung an unseren Hochschulen wenig geändert. Die Gefahr und Folgen einer geistigen Ausdünnung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften durch nicht genügend integriertes Spezialistentum und versäumte methodische, aber besonders substantielle Erfordernisse ganzheitlicher Arbeitsweisen, sind nicht mehr zu übersehen. In den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur sind solche isolierten Ansätze längst zu wenig, da durch komplexe Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Bereichen ein ganzheitliches Denken, Konzipieren und übergreifend koordiniertes Handeln immer notwendiger geworden sind. Das aktuell gewordene Aufgreifen der Thematik des Paradigmenwechsels im Zusammenhang mit der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zeigt das beispielhaft und vor allem eindringlich. Das ergibt sich aus den essentiellen Erkenntnissen über die den relevanten Paradigmen innewohnenden, miteinander gesamthaft verbundenen Inhalte und Wechselwirkungen und der Notwendigkeit ihrer sinnvollen Deutung und Integration. Kurzum: Das „Netzwerken“, u. a. als Möglichkeit der Reduktion von Schwächen des Spezialistentums gepriesen, harrt in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaft viel zu oft und schon zu lange seiner praktischen Verwirklichung. Vertreter der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften neigen häufig aus verschiedenen Motiven dazu, statt mit ganzheitlichen Ansätzen Gestaltungsaufgaben zu lösen, das mit Modellen zu verfolgen. Je mehr bei Modellen mit Vereinfachungen gearbeitet wird, umso stärker entfernen sie sich von der tatsächlichen Komplexität ihres Gegenstandes bzw. der Realität. Dinge

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1. Einführung

werden dadurch möglicherweise leichter erklärbar, aber um den Preis der Distanz zu realen Verhältnissen, die eben durch ihre Komplexität und nicht durch Vereinfachung bestimmt sind. Komplexitätsreduktionen – die Modelle kennzeichnen – können daher sehr rasch trügerisch und gefährlich werden, da sie zwar einfache, aber falsche Lösungen präsentieren. Im Umgang mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und den Versuchen zu ihrer Bewältigung wurden die Schwächen und Irrwege aus Modellbetrachtungen immer wieder deutlich. Die Kombination der Schwächen des Spezialistentums mit jenen der Modellbildungen irritierten nicht nur die politisch Verantwortlichen, sondern entzweiten nicht selten auch die Experten. Die strittige Frage nach dem „richtigen“ Mix der Lösungsalternativen der Politik von „Sparen“ und „Investieren“ – in welchen Varianten auch immer – war ein beredtes Beispiel dafür, dass Simplifizierungen höchst komplexer Gegenstände und Prozesse gesuchte Lösungswege eher verdunkeln als erhellen. Die Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in den USA und Europa lag bislang international und national bei Politikern, öffentlichen Einrichtungen, verschiedenen Institutionen, Verbänden usw. und die Anstrengungen entsprachen durchaus den gewaltigen Schäden der Krise. Dabei kamen besonders makroökonomische Instrumente und Vorgehensweisen zum Einsatz. Die Ideen und die fatalen Auswirkungen des Neoliberalismus – die entscheidend zur Krise führten – gingen aber primär zu Lasten der Menschen, Unternehmen und verschiedener privater Sektoren, also trafen mikroökonomische Bereiche. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Krise betreffen sowohl die Mikro- als auch Makroökonomie, wobei die enormen Folgekosten der Krise letztendlich von den betroffenen Menschen als Steuerzahler, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Konsumenten usw., also in unterschiedlicher Art und Weise zu tragen sind. Daraus ergeben sich zweierlei Erfordernisse: Der Paradigmenwechsel ist einmal im mikroökonomischen und makroökonomischen Bereich gleichermaßen unverzichtbar, da Beide Initiatoren, Träger und Verantwortliche einer Reform und Umgestaltung hin zum Besseren sind. Zweitens ist es daher notwendig, eine breite Basis von Menschen und Gruppen zu gewinnen, die sich mit der Krisenbewältigung auseinandersetzen und mit Engagement für deren Realisierung einbringen, und zwar naheliegender Weise gerade auch aus dem mikroökonomischen Bereich kommend, beispielsweise in Formen zivilgesellschaftlicher Initiativen. Es wäre blauäugig zu glauben, eine umfassende und optimale Krisenbewältigung lediglich durch Politiker, Institutionen, Interessenvertreter usw. mit Ansatzpunkten im makroökonomischen Bereich bewerkstelligen zu können. In demokratischen Systemen benötigt der überwiegende Teil der Akteure der Politik und Makroökonomie für ihre funk­ tionelle Legitimation schließlich eine ausreichende Legitimation durch die Bürger. Einmal erfolgt das durch Wahlen in Parlamente und andere Institu-



1.4 Résumé151

tionen, wie beispielsweise Interessenvertretungen. Zum anderen bedarf es nach einer gewonnenen Wahl darüber hinaus aber auch eines gesicherten Vertrauens als Akzeptanz und Basis für verfolgte Aktivitäten. Fehlt Letzteres, ist ein effizientes und nachhaltiges Agieren schwer vorstellbar. Bei einer einigermaßen zivilisierten Politikkultur treten gescheiterte Akteure daher mit Anstand und Verantwortungsgefühl von ihrem Mandat zurück. Tun sie das wider besseres Wissen nicht, ereilt sie rasch der schlechte Ruf des gesinnungslosen und opportunistischen Sesselklebers. Die insgesamt gewaltigen Herausforderungen und Leistungen der Krisenbewältigung müssen auch vor Ort, bei den Menschen und Familien, in unzähligen Unternehmen, Einrichtungen usw. geleistet werden. Wer Interesse an positiven Veränderungen hat, wird sich klugerweise dafür auch selbst und so weit es möglich ist einsetzen. Sei es an seinem Arbeitsplatz, bei der Gestaltung einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit, bei sozialen Anliegen, der Förderung gerechter Einkommens- und Vermögensverteilungen, der Schaffung von Entwicklungsmöglichkeiten, Verbesserung von Arbeitsbedingungen usw. Ebenso werden Initiativen im weiteren persönlichen und beruflichen Umfeld wichtig sein, um kritisch-konstruktiv zu helfen, neuen und besseren Vorstellungen den Weg zu bahnen. Chancenfelder der Krisenbewältigung gibt es ausreichend und für viele Jahre. In diesem Zusammenhang stellt sich die sehr ernste Frage, warum eigentlich die Exponenten und Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Verbände, Politiker, Religionsgemeinschaften, Bürger usw. nicht die Soziale bzw. Ökosoziale Marktwirtschaft gegen den Import neoliberaler Ideen, deren Verbreitung und Umsetzung in Europa verteidigten. Viele verkannten die Brisanz der Fragestellung, manche erahnten oder wussten sogar von deren Problematik, verhielten sich aber indifferent. Es gab durchaus in den 70ger Jahren des vorigen Jahrhunderts ernste und fundierte Warnungen vor neoliberalen Strömungen von verschiedensten Seiten. Es gab aber auch Viele, die irrtümlich glaubten, aus dem Neoliberalismus Vorteile ziehen zu können. Ein tragischer, folgenschwerer und unglaublicher Vorgang seitens der Gesellschaft, der Wirtschaft und Politik, der – wie erwähnt – auch von einem erheblichen Teil der Vertreter der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften geradezu skandalös mitgetragen wurde. Manche der quasi von Berufs wegen verantwortlichen Wissenschaftler verhielten sich indifferent oder lethargisch, wurden dadurch sehr fragwürdig oder haben die Problematik falsch eingeschätzt oder nicht mitbekommen. Das ist erstaunlich, denn die gravierende und tragische Geschichte und Entwicklung des Neoliberalismus können einmal keinen engagierten Ökonomen unberührt lassen. Zweitens begann das Drama dogmengeschichtlich bereits nach der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 und wurde von den bedeu-

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1. Einführung

tendsten europäischen Nationalökonomen ihrer Zeit diskutiert und konzipiert und setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Mont Pelerin Society und u. a. unter Beteiligung von Friedrich August von Hayek (1899–1992) und Wilhelm Röpke (1899–1966) fort. Die jahrzehntelange nationalökonomische Auseinandersetzung war schwer zu übersehen. Etwa ab 1980 trat vor allem in den USA ein gravierender und klar erkennbarer Bedeutungswandel der neoliberalen Diskussionen im Sinne eines Marktfundamentalismus ein, der einmal stark durch Friedrich August von Hayek (1899–1992) und Milton Friedman (1912–2006) vertreten wurde. Beide waren u. a. Professor an der University of Chicago und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften. Die Wendung der Entwicklung hatte eine entscheidende Vorgeschichte: Studenten aus Chile, die bei Milton Friedman studiert hatten, wurden nach dem chilenischen Staatsstreich (11.09.1973) von Augusto Pinochet (1915–2006) an die zentralen Stellen der Wirtschaftspolitik gesetzt und als die Chicago Boys bekannt und in Chile einflussreich. Sie setzten neoliberale Vorstellungen bzw. die Gedankengebäude von Hayek und Friedman in Chile um, was dazu führte, dass das autoritäre Chilenische Regime weitreichend seinen Rückzug aus der Wirtschaft antrat, dessen Folgen hochumstritten sind. Die Militärregierung kreierte zu Propagandazwecken für ihre Wirtschaftspolitik den Begriff „neoliberalismo“ und unter diesem Namen wurde soziale Sicherheit dem ökonomischen Primat geopfert (s. a.: Internet: Neoliberalismus). Das war ein Markstein in der Entwicklung des Neoliberalismus ab 1980. Der Neoliberalismus gewann dann in den USA als politisches Konzept des Washington Consensus (1990) als ein Bündel wirtschaftspolitischer Massnahmen zur Förderung von wirtschaftlicher Stabilität und Wachstum großes Bedeutung, die vom Internationalen Währungsfond (IWF) und der Weltbank, beide mit Sitz in Washington D.C., propagiert und gefördert wurden. Die Strukturanpassungsprogramme gingen als Reagonomics in den USA und als Thatcherismus in England in die jüngere ökonomische Zeitgeschichte ein, mit Begriffen und Postulaten wie: Staatsausgabenkürzung. – Abwertung der ­ Währung zum Zweck der Rationalisierung und Kostenökonomie. – Liberalisierung der Handelspolitik. – Deregulierung von Märkten und Preisen. – Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen. – Entbürokratisierung. – Abbau von Subventionen. Dabei ging man von der naiven Vorstellung aus, dass der Washington Consensus allen Bevölkerungsschichten gleichermaßen nützen würde. Mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und ihren verheerenden Folgen ist festzustellen, dass die dem Washington Consensus zu Grunde liegende Ideologie des Marktfundamentalismus gescheitert ist (Stieglitz, J.: 2010, S. 370; Internet: Washington Consensus). Wie auch immer, als mitzahlende Steuerzahler oder auch schlimmer Betroffene, hat die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mittlerweile auch die säumigen Vertreter der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften eingeholt und



1.4 Résumé153

ihnen hoffentlich die Augen geöffnet. Die in Europa nach dem 2. Weltkrieg in unterschiedlichen Formen verwirklichten Konzeptionen der Sozialen Marktwirtschaft, die zu Erfolgsmodellen des Wiederaufbaues und einer prosperierenden Wirtschaft in freien und kultivierten Ländern Europas wurden, tauschte man quasi teilweise ein gegen die in vielerlei Hinsicht abgehalfterte Konzeption des Neoliberalismus, die weitaus weniger taugte als beispielsweise die liberalen Vorstellungen des Manchesterliberalismus aus dem 19. Jahrhundert, der häufig und zu Recht bereits damals und danach scharf kritisiert und abgelehnt wurde (s. a.: Internet: Manchesterliberalismus). Diese Entwicklungen wurden zum Skandalon und führten zur schwersten Krise nach der Weltwirtschaftskrise 1928–1932. Daraus wird aber auch deutlich, wie wesentlich für die Gesellschaft, Wirtschaft, Entscheidungsträger, Bürger usw. eine Verankerung „richtiger“ Paradigmen ist, und zwar in verschiedensten Bereichen und Ebenen, nämlich als Orientierungshilfen bei grundsätzlichen und wesentlichen Denkweisen, Anschauungen, der Festlegung wertorientierter Postulate usw. für ein kritisch-konstruktives und letztendlich sinn- und verantwortungsvolles Handeln. Werden Paradigmen so tatsächlich gelebt, schützen sie auch in weitem Maße vor Fehlern, und zwar auch dann, wenn rationale Entscheidungsfaktoren nur begrenzt vorhanden sind. Sie ermöglichen mit hoher Wahrscheinlichkeit sinnvolles Handeln. Durch steigende Komplexitäten in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft werden solche Orientierungshilfen immer wichtiger. Modelle, Annahmen und Konzepte, die für sich in Anspruch nehmen, durch gesicherte Rationalität optimale Lösungen zu erreichen, waren auch schon früher unglaubwürdig. Arbeitshypothesen solcher Art sind daher heute mehr denn je trügerisch und ignorieren die Grenzen der Rationalität und die enorm gestiegenen Herausforderungen des alten Problems der Komplexität: Die wenigen Grundaussagen des Neoliberalismus erschienen erwiesenermaßen nur dann „vernünftig“, wenn sie nur sehr ungenau und oberflächlich gesehen wurden: Individuelle Freiheit in einer Freien Gesellschaft. – Wirtschaftliche Freiheit. – Nachtwächterrolle des Staates. – Lösung wirtschaft­ licher Probleme durch die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. – Forderung nach Deregulierung (Friedman, M.: 1971, S. 27, S. 45, S. 252–255). Von den Konservativen der USA wurde Milton Friedman noch „rechts“ überholt, d. h. die wenigen neoliberalen Thesen weiter verkürzt, diese dann in den USA zum politischen Dogma erhoben, umgesetzt und – last, not least – nach Europa exportiert sowie dort rezipiert, inklusive der bereits in den USA entstandenen Schäden, wie beispielsweise im Bereich der „Finanzindustrie“. Das Ergebnis ist bekannt, also was aus den „vernünftigen“ Ideen via 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 entstand. Die Wirtschaft steht im Dienste der Gesellschaft und sollte es in der Realität anders sein, stellt sich die Frage, wie ein derartig fundamentaler

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1. Einführung

Mangel nachhaltig geändert werden kann. Colin Crouch (1944), der den Neoliberalismus sehr kritisch sieht, schrieb beispielsweise zur neoliberalen Kernthese des „Nachtwächterstaates“ Folgendes: „Je mehr sich der Staat aus der Fürsorge für das Leben der normalen Menschen zurückzieht und zuläßt, daß diese in politische Apathie versinken, desto leichter können Wirtschaftsverbände ihn – mehr oder minder unbemerkt – zu einem Selbstbedienungsladen machen. In der Unfähigkeit, dies zu erkennen, liegt die fundamentale Naivität des neoliberalen Denkens“ (Internet: Crouch, C.; s. a.: Crouch, C.: 2011, S. 29 f.). Darin sieht Crouch u. a. einen Grund, wieso der Neoliberalismus bislang die Finanz- und Wirtschaftskrise einerseits überleben und andererseits große transnationale Konzerne nachhaltigen Einfluss gewinnen konnten, die als wichtiger quasi dritter Faktor zu den beiden Kontrahenten „Markt“ versus „Staat“ hinzuzurechnen sind (Crouch, C.: 2011, S. 14). Daraus folgert Crouch, dass es einer 4. Kraft bedürfe, nämlich der Zivilgesellschaft, die engagiert und vielstimmig die Nutznießer des Neoliberalismus anprangert, um das Beste aus der verfahrenen und vorgefundenen Situation zu machen (Crouch, C.: 2011, S. 15) und zählt die schwersten Schäden auf, wie sie die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hinterlassen hat (Crouch, C.: 2011, S. 225). Er setzt zu Recht der Amoralität des Marktes die Zivilgesellschaft bzw. die Instrumente der Corporate Social Responsibility (CSR) entgegen: Kritik an Geschäftspraktiken. – Druck auf Unternehmen. – Mobilisierung der Verbraucher. – Veröffentlichungen über unmoralisches und umweltschädliches Verhalten und Geschäftsgebaren. – usw. Korrekterweise ist in diesem Kontext festzuhalten, dass hinsichtlich transnationaler Konzerne natürlich zu differenzieren ist in solche mit gesellschaftlich nachteiligen Einflussnahmen und solchen Konzerne, denen das nicht vorgeworfen werden kann. Durch CSR entstünde eine genuin neue politische Arena, in der die 4. Kraft ebenso mit entsprechenden nationalen und internationalen Kampagnen auftreten könnte, wie es die anderen Kräfte längst tun. Der Ausweg aus der bisherigen Misere wäre eine sich weiter entwickelnde transnationalen Zivilgesellschaft, die nach dem Motto von Vaclav Havel (1936–2011) agiert, nämlich die „Macht der Machtlosen“ wirkungsvoll gegen die Mächte des Staates, der Märkte und allfälliger Großkonzerne zu mobilisieren (Crouch, C.: 2011, S. 199). Die Vorgehensweisen wären einmal durchaus chancenreich, zweitens gingen sie mit den Intentionen des geforderten Paradigmenwechsels konform, der auf wertorientierten Vorstellungen aufbaut, sie vertritt und daraus seine fundierte Legitimation, argumentative Breite und Stärke gewinnt. Es ist zu erwarten, dass eine in dieser Art und Weise aktiv werdende Zivilgesellschaft in einer breiteren Öffentlichkeit Rückhalt und Unterstützung bei politischen Entscheidungsprozessen erfährt und sich gegen bewahrende Parteien und Interessenvertreter zunehmend behaupten kann, und zwar regional, national



1.4 Résumé155

und international und das in verschiedensten Bereichen. Der große Denker und einer der wichtigsten Väter der Sozialen Marktwirtschaft, Wilhelm Röpke (1899–1966), sagte, wie schon an anderer Stelle zitiert: „Die Marktwirtschaft ist aber nur zu halten bei einer widergelagerten Gesellschaftspolitik“ (Röpke, W.: 1949, S. 85), in deren Dienst letztendlich die Wirtschaft steht, ihre Funktionen und Verantwortlichkeiten bestimmt werden sowie ein so­ zialer und gerechter Ausgleich innerhalb der Gesellschaft zu verfolgen ist. Von dieser Konzeption unterscheiden sich die ideellen Begründer des Neoliberalismus – Milton Friedman und August von Hayek – grundsätzlich in ihren ordnungspolitischen Vorstellungen von den maßgeblichen Vertretern der Sozialen- bzw. Ökosozialen Marktwirtschaft. Die Priorität der Gesellschaft über die Wirtschaft ist ein Kernpostulat der Konzeption der Sozialenbzw. Ökosozialen Wirtschaft. Im Neoliberalismus ist das umgekehrt und daher sind die beiden Konzeptionen unvereinbar. Nach Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 musste diese Wahrheit von Vielen bitter genug wieder gelernt werden. Das gilt naturgemäß auch für die sinnvolle Neuorientierung der Funktionen Führung und Motivation in ihrer ganzen theoretischen, gestalterischen und praktischen Vielfalt, den Wechselbeziehungen und Komplexitäten, die den oft genannten Paradigmenwechsel als normatives Fundament erfordern. Die 1. Weltwirtschaftskrise 1857–1859 erfolgte etwa drei Jahrzehnte nach dem Beginn der Industrialisierung um das Jahr 1830 – in England etwas früher –, welche mit tiefgreifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen verbunden waren. Wertvorstellungen veränderten sich und es entstand die mit der Industrialisierung verbundene Soziale Frage, die u. a. zu einem Kernproblem bis in die Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts wurde und zu den bis heute bestehenden zwei großen politischen Strömungen führte, dem Liberalismus und Sozialismus. Die Entwicklungen prägten auch stark die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bis in die Gegenwart. Nach dem 2. Weltkrieg wurde durch das Konzept der Sozialen- und später der Ökosozialen Marktwirtschaft im westlich orientierten Europa das hochpolitische Spannungsfeld zwischen liberaler und sozialistischer Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik erheblich durch das Postulat des Sozialen Ausgleichs reduziert. Oft fanden politische Koalitionen von früher gegnerischen Gruppierungen zusammen, u. a. auch deswegen, da sich ihre politischen Vertreter in den Konzentrationslagern des NS-Regimes kennen und schätzen lernten und erkannten, dass sie gemeinsam eine neue Gesellschaft aufzubauen haben. Letztere Prozesse erfolgten in den USA dank eines fehlenden Terrorregimes nicht. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen bzw. Veränderungen durch die 1. Weltwirtschaftskrise 1857–1859 wurden bereits beschrieben. Daher nur kurz das Wichtigste zu ihrem Verlauf: Konjunkturauf-

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schwung vor der Krise. – Entstehung von Aktienbanken und Wachstum der Kreditwirtschaft durch noch nie gekannte Kapital- und Finanzexpansionen. – Ausweitung der Exportwirtschaft. – Aktienboom. – Kreditsicherung durch Aktien. – Aktienspekulationen. – Bankbetrügereien. – Zusammenbruch von Banken. – Bankenkrise und Bank-Run. – Massenarbeitslosigkeit. – Rezession. – Liquiditätsengpässe. – Weltweites Übergreifen der Krise, ausgehend von den USA. Trotz anderer Zeiten und Verhältnisse sind die grundsätzlichen Merkmale der Krise ähnlich jenen, die auch bei der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 auftraten: Explosion der Bankfinanzierung. – Spekulation und Raffgier. – Betrügereien. – Zusammenbruch des Finanz- und Bankensystems. – Grauenhafte Krisenfolgen (Konjunktureinbruch, Massenarbeitslosigkeit, massenhafte Konkurse usw.). – Ausgang der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 von den USA. Die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 ist im Gedächtnis der Menschen natürlich präsenter als ihre Vorgängerin. Auch ihre gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen waren weit schlimmer, wirken bis heute nach und haben besonders Europa nach dem 2. Weltkrieg mitgeformt. Ohne die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 sähe Europa, aber auch die Welt, anders aus. Durch die Krise und vor allem durch den infolgedessen mitverursachten Nationalsozialismus in Deutschland und seine unsäglichen Auswirkungen in ganz Europa und anderen Teilen der Welt, kam es zu einschneidenden und richtungsweisenden politischen Weichenstellungen, die es ansonsten sicher so nicht gegeben hätte. Allein deshalb war die ausgelöste 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 vor etwa 85 Jahren besonders dramatisch, verhängnisvoll und essentiell bis in die Jetztzeit und sie wird es auch noch für kommende Entwicklungen sein. Auch die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 ging von den USA aus. Seit 1920 boomte dort die Wirtschaft enorm (Konsumgüterproduktion, landwirtschaftliche Produktion), allerdings weitgehend basierend einmal auf einer explodierenden Kreditwirtschaft als Finanzierungsquelle für die Wirtschaft sowie zweitens auf dem solcherart finanzierten Konsum. Diese Entwicklungen waren verbunden mit einer stark steigenden Auseinanderentwicklung bzw. tiefen Kluft der Einkommens- und Vermögensbildungen in der Bevölkerung. Die Nachhaltigkeit des Booms wurde überschätzt, ebenso wurden dramatische und nachteiligste Marktentwicklungen bzw. Absatzmöglichkeiten mit fallenden Preisen verkannt, kurzum es entstanden „Blasen“ – wie man heute sagen würde –, die platzten und zur wirtschaftlichen und sozialen Jahrhundertkatastrophe in den USA und der Welt führte. Die Ähnlichkeiten mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, aber auch mit der 1. Weltwirtschaftskrise 1857–1859, sind eindeutig: Euphemismus der



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„Goldenen Zwanziger Jahre“. – Eine aufgeblähte Kreditwirtschaft. – Enorme Börsenspekulationen. – Grob fehlerhafte Finanzierungen durch das Finanz- und Banksystem (Zinspolitik; zu kurze, sprich falsche Fristigkeiten bei Krediten und deren Refinanzierung bzw. keine Fristenkongruenz). – Ungebremste Kreditvergaben. – Spekulationen, Gier, Betrügereien. – Der Börsenkrach am 29.10.1929 in New York und dem damit verbundenen Bank-Run. – Schließlich rasch zunehmende Finanzierungsklemmen. – Ein schwerer Konjunkturabsturz. – Massenhafte Konkurse. – Extreme Arbeitslosigkeit. Die USA-Krise ab 1928 wurde nach dem Zusammenbruch der New Yorker Börse rasch zur Weltwirtschaftskrise, da europäische Geschäftspartner und überseeische Rohstofflieferanten von der USA-Wirtschaft und der USA-Finanzierung weitgehend abhingen. Sie litten beispielsweise unter den steigenden USA-Zinsen, den enormen allgemeinen Nachfrage- und Handelsrückgängen im Import und Export, unter wegbrechenden Investitionen, Unternehmenszusammenbrüchen usw. Die Auswirkungen der Krise auf andere Länder differierten. Das Federal Reserve System (FED) bzw. die USNotenbank verhielt sich in dieser schwierigen und gefährlichen Situation kontraproduktiv, da sie das Geldangebot verknappten, somit die Zinsen stiegen und Pessimismus ausbrach. Kurzum, die Folgen waren in jeglicher Hinsicht desaströs. Die Situation in Deutschland ab 1928 und die Auswirkungen auf die deutschsprachigen Nachbarländer hatten ihre Besonderheiten, die im Kontext mit der vorliegenden Arbeit bedeutsam sind, nämlich mit der Forderung nach einem Paradigmenwechsel. In den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften des deutschsprachigen Raumes wurde in Forschung und Lehre bereits damals wie heute – und gegenwärtig bei Weitem sehr viel ausgeprägter – klar unterschieden nach Mikro- und Makroökonomie bzw. den Fachbereichen „Volkswirtschaft“ und „Betriebswirtschaft“. Einige wenige Universitäten bildeten davon bis heute eine Ausnahme. Die entscheidenden und regelmäßig ignorierten Punkte waren und sind, die weitgehenden engen, wechselseitigen und hochkomplexen Verknüpfungen zwischen mikro- und makroökonomischen Wirtschaftsverhältnissen. Dieser schwerwiegende Mangel fand und findet meist eine zu geringe Beachtung. Die meist getrennt verfolgten Wissenschafts- und Lebensbereiche Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft bewegen sich jedoch in einer und nicht in geteilten Welten der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, und Kultur. Ein daher erstrebenswertes übergreifendes und ganzheitliches Denken, Fühlen und Handeln der jeweiligen Wissenschaftler, Gestalter und Akteure waren damals – und sind es bis heute – eher die Ausnahme, statt die angebrachte und aktiv zu verfolgende Regel. Die Tendenz der fokussierten Sicht ist zudem in Lehre, Forschung und Praxis tendenziell gestiegen, wie an der steigenden Bedeu-

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tung des Spezialistentums u. a. erkennbar ist. Folglich wären mehr Generalisten ergänzend zu den Spezialisten notwendig, um Problemstellungen in ihrer Gesamthaftigkeit zu erkennen, dem entsprechend beizutragen ganzheitliche Lösungen zu finden und ihre Umsetzung zu unterstützen. Paradigmen sind dabei erforderliche und grundsätzliche Denkweisen und Auffassungen, die in der Regel über längere Zeiträume u. a. übergreifende Orientierungsfunktionen erfüllen und dadurch das Denken, Fühlen und Handeln lenkend beeinflussen können. Nach schweren Krisen stellt sich naheliegender Weise oft die Frage, ob ein Paradigmenwechsel geboten ist. Bei den drei bisherigen Weltwirtschaftskrisen war das ausnahmslos der Fall. Der für die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 relevante Neoliberalismus ist dafür ein besonders anschauliches Beispiel: Seine Ideen und Ansprüche, ausgehend vom postulierten und umfassenden Grundprinzip der „individuellen Freiheit“ und dessen angenommener segensreicher Wirkungen für Gesellschaft und Wirtschaft, sollen die Makroökonomie und Makropolitik der Gesellschaft – sprich letztlich vor allem den Staat – bestimmen. Die von diesem Ansatz der „individuellen Freiheit“ abgeleiteten Forderungen lauten: „Nachtwächterrolle des Staates“, „Deregulierung der Wirtschaft“, „Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes“, sollte der Markt ausnahmsweise einmal nicht funktionieren und daher Korrekturen nötig sein. Korrigierende Eingriffe des Staates sind vergleichsweise weniger wirksam wie die „Selbstheilungskräfte“ und werden daher abgelehnt, so die neoliberale Annahme. Die genannten Postulate beziehen sich auf die Makroökonomie und gleichermaßen auf das Verhalten der Individuen in der Mikroökonomie. Der Einzelne kann die vom Staat eingeräumten Freiheiten nach Gutdünken nutzen, und zwar unter der gesicherten Annahme, dass kaum oder am besten keine Eingriffe von „oben“ zu erwarten sind. Die bestimmende Priorität der Gesellschaft bzw. des Staates ist nach neoliberalen Vorstellungen die „individuelle Freiheit“. Die logische Konsequenz ist somit zwingend die, dass die „individuelle Freiheit“ als oberste Norm für die Makro- und Mikroökonomie und die davon abgeleitete Wirtschaftspolitik gilt. Der Gesellschaft oder dem Staat als solchem wird daher im Bereich der Wirtschaft keine Priorität eingeräumt. Die „individuelle Freiheit“ steht als Prinzip an der Spitze. Gesellschaft und Staat haben sich danach zu richten. Von einer Wirtschaftsordnung der Gesellschaft oder des Staates kann folglich nicht gesprochen werden, denn die Ordnungsfunktion in der Wirtschaft aus der Sicht der Neoliberalen beschränkt sich auf die Sicherung der Freiheit des Einzelnen oder anders ausgedrückt: Das individuelle Wirtschaften des Einzelnen hat Vorrang, somit auch die Wirtschaft insgesamt. Die Gesellschaft und der Staat stehen daher im Dienste der Sicherung der Freiheit der Wirtschaft. Neoliberale, die das Credo von Milton Friedman für sich akzeptieren, vertreten und um dessen Umsetzung bemüht sind, dienen daher keiner



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Wirtschaftsordnung im substantiellen Sinne. Gesellschaft und Staat sollen Funktionen ausüben, die den Grundsatz der „individuellen Freiheit“ bestmöglich sichern. Der Staat soll eben gerade nicht in die „Wirtschaft“ eingreifen und es wird somit auch als nicht sinnvoll und zweckmäßig erachtet, quasi im Interesse der Gesellschaft lenkend einzugreifen. Der Begriff des „Nachtwächterstaates“ ist daher einmal für den Neoliberalismus zutreffend und widerspricht zweitens den Vorstellungen, die ansonsten mit den Funktionen einer Wirtschaftsordnung verbunden werden: „Die Wirtschaftsordnung [vorhergehendes Wort im Original in Fettdruck] umfasst alle (Rechts)Normen und Institutionen, die das wirtschaftliche Geschehen in einer Volkswirtschaft regeln. Die Wirtschaftsordnung legt die Regeln fest, nach denen Akteure eines Landes im Wirtschaftsgeschehen handeln können und sollen. Sie beeinflusst im Wesentlichen die Form, den Umfang und die Entwicklung einer Volkswirtschaft“ (Internet: Wirtschaftsordnung). Die neoliberalen Vorstellungen mögen zu Recht skurril und abgedreht erscheinen. Ein Blick auf das aggressive und höchst emotionale Verhalten einer bestimmenden Teilgruppe der Republikaner der USA, nämlich der Anhänger der Tea Party, zeigt derzeit jedoch (Frühjahr 2015) die vorherrschende neoliberale Rea­ lität am rechten Rand der Republikaner. Das Beispiel des aktuell vertretenen Neoliberalismus zeigt zum Einen, dass seine Befürworter trotz ihrer wesentlichen Mitschuld an der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 daraus offenkundig kaum oder gar nichts gelernt haben. Zum Zweiten wird deutlich, welche verhängnisvolle Konsequenzen es für die Gesellschaft und Wirtschaft haben kann, wenn Makro- und Mikropolitik in Lehre, Forschung und Praxis nicht als hochkomplexe Ganzheit gesehen und dementsprechend kaum ausreichend verantwortungsvoll gedacht, gefühlt und gehandelt wird. Was muss eigentlich nach den grauenhaften Erfahrungen mit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 und der längst nicht beendeten 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 noch geschehen, um nicht wieder in eine vielleicht noch schrecklichere Katastrophe zu geraten? Sollte das in den nächsten Jahren passieren – nämlich dann, wenn vermutlich weder die unvorstellbaren Schäden und aufgebrachten Unsummen der jüngsten Krise einigermaßen bewältigt sind, geschweige denn Finanzmittel für neuerliche Interventionen ausreichend verfügbar sind –, dann Gnade uns Gott! Der wiederholt eingeforderte und übergreifende Paradigmenwechsel sollte Orientierungen bieten, um solche fatalen Entwicklungen möglichst vorbeugend, rechtzeitig und wirksam zu verhindern, und zwar in den Bereichen Makro- und Mikroökonomik in gleicher Weise. Die Notwendigkeit der Verknüpfung von Makro- und Mikroökonomie bilden daher ein Paradigma sui generis. Verzichtet man auf diesen möglichst verbindlichen Paradigmenwechsel, wird der optimale Ausgleich von Interessensgegensätzen sicher schwer realisierbar sein. In diesem Sinne wird die vorliegende Arbeit be-

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müht sein, für die Funktionsbereiche Führung und Motivation zeitgemäße und prospektive Ansätze und Realisierungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Für Deutschland hatte die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 spezifische wirtschaftliche und politische Folgen: Gewaltige Reparationszahlungen als Konsequenz aus dem verlorenen 1. Weltkrieg und daher die Notwendigkeit aus Exporten Finanzmittel zu generieren. – Das Überschwappen der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 auf Deutschland verschärfte die prekäre finanzielle Situation, wobei der Versailler Vertrag vom 28.06.1918 als Auslöser der Reparationszahlungen sich immer stärker als politischer Sprengsatz erwies. – Drosselung der inländischen Kredite nach Ausbleiben von ausländischen Mittelzuflüssen durch die Reichsbank, aber auch bedingt durch internationale Vertragsverpflichtungen. – Konjunkturrückgang. – Anstieg der Arbeitslosenzahl. – Die Depression nahm verheerende Ausmaße an und erreichte im Jahr 1932 ihren Tiefpunkt. Mit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 waren auch die bis dahin vorherrschenden weltwirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen überholt, allerdings Großteils der Glaube daran noch aufrecht. Das hatte nachteilige Folgen. Einmal entstand ein ökonomischer Nationalismus mit straffer Wirtschaftslenkung, zweitens wurden falsche Konzepte entwickelt und untaug­ liche Maßnahmen zur Bewältigung der Krise ergriffen. Bei mehr als 6 Millionen Arbeitslosen in Deutschland waren die Verhältnisse politisch hochbrisant und die Machteliten tendierten zu autoritärem Vorgehen. Das notwendige, der Krise und den wirtschaftlichen Verhältnissen angepasste Wissen fehlte aber bei den verantwortlichen Akteuren. Dazu kam: Man lebte zwar mit der Weimarer Verfassung in einer Demokratie, doch ohne sich damit ausreichend zu identifizieren. Der Verlauf der Krise reflektierte letztendlich das weitgehende Unvermögen der Verantwortlichen, die Krise politisch und ökonomisch zu bewältigen. Der am 30. März 1930 zum Reichskanzler berufene Heinrich Brüning, führender Politiker der christlich-sozialen Zentrumspartei, tat das Gegenteil von dem was notwendig gewesen wäre: Er verfolgte eine krisenverstärkende Deflationspolitik, statt zur Belebung der Wirtschaft deren Nachfrage zu anzukurbeln, d. h. dafür Geld zur Verfügung zu stellen und Arbeitsbeschaffungsprogramme zu realisieren. Eine keynesianische Krisenstrategie war ihm fremd. Sein Nachfolger war ab 01.06.1932 Franz von Papen – damals ein Vertreter des rechten Parteienspektrums mit Hang zum Nationalsozialismus – verfolgte eine Politik mittelbarer Arbeitsbeschaffung (öffentliche Investitionen, Beschäftigungsprämien, Lockerung von Tarifverträgen, Förderung des Wohnungsbaues usw.). Sein Nachfolger ab 03.12.1932 war Kurt von Schleicher, der seinen Vorgänger ausbootete und der dies ihm nie vergaß. Kurt von Schleicher setzte die bisherige Politik fort. Nach der Macht-



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ergreifung durch Adolf Hitler am 30.01.1933 setzte dieser einmal Projekte fort, die durch Vorgängerregierungen bis zu detaillierten Planungen vorbereitet waren, wie beispielsweise der Bau von Autobahnen, zweitens begann er rasch mit einer massiven Aufrüstungspolitik (Aufbau der Wehrmacht, Rüstungsindustrie), die auch zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit beitrug, wenn auch auf Pump. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann eine neue Wirtschaftsphase. Es wurde über die verhassten Reparationszahlungen verhandelt und Verträge geschlossen, die weder eingehalten, geschweige denn zu Zahlungen des diktatorischen NS-Regimes bis zu dessen Ende am 08.05.1945 führten. Bildhaft ausgedrückt wurde die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 und ihre finanziellen und politischen Folgen bis zum bitteren Ende des Systems auf Eis gelegt, danach von den „Gläubigern“ aufgetaut und in Rechnung gestellt und eigentlich bis zur Wiedervereinigung am 03.10.1990 „gezahlt“ (s. a.: Internet: Zeit des Nationalsozialismus; Deutsche Wiedervereinigung). Anzunehmen Adolf Hitler und der Nationalsozialismus hätten quasi die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 „überwunden“ ist gleichermaßen töricht, zynisch und negiert die Hilfe der westlichen Welt, besonders der USA, die West-Deutschland nach dem Krieg wirtschaftlich unterstützten und dazu beitrugen, dass es wieder Teil einer freien und demokratischen Welt werden konnte und zu Wohlstand sowie Einfluss gelangte. Das Ende der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist noch nicht abzusehen (Sommer 2015), sie wird sicher noch Jahre dauern und ihre finanzielle Bewältigung einen generationenüberschreitenden Zeitraum beanspruchen, beispielsweise zur Abtragung angehäufter und kaum vorstellbarer Schuldenberge und zur Findung von Antworten auf viele Fragen, die wir teilweise noch gar nicht kennen. Hilfreiche Prognosen sind nach Nate Silver im Feld von Krisen besonders schwierig, sichere und für operative Entscheidungen taugliche Vorhersagen fast unmöglich. Daher sind prospektive und substantielle Entscheidungen in rationaler Art und Weise entsprechend schwer zu treffen und riskant. Die hohen Komplexitäten und besonders deren Dynamik stehen somit gleichermaßen der anzustrebenden Qualität von Prognosen und Entscheidungen entgegen. Dennoch sind Entscheidungen erforderlich, und zwar trotz der mehr oder minder gegebenen irrationalen Entscheidungsbasis. Das lässt chaotische Risiken befürchten. Aber Irrationalität ist ein Faktum, das rational nicht und generell nur ungenügend beseitig bar ist. Dennoch können durch normative bzw. wertgebundene Orientierungen und Maximen – also Paradigmen – das Verhalten der Entscheidungsträger, Verantwortlichen und Betroffenen eine sinnstiftende Ausrichtung erfahren, um erforderliche Lenkungsfunktionen und operative Zielformulierungen zu optimieren. Die Entscheidungsirratio-

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nalität bleibt zwar erhalten, daraus fließende Risiken sind jedoch tendenziell weitaus geringer. Das ist – blickt man in die Praxis – nicht überraschend, da dort laufend Entscheidungen unter rationaler Unsicherheit zu treffen sind und Mitwirkende an Entscheidungen letztendlich rationale Entscheidungs­ lücken durch Erfahrungen, subjektive Faktoren und Wertungen schließen müssen und das meist auch können. Schwierig und besonders riskant könnte es hingegen dann werden, wenn Entscheidungen vermeintlich nur „rein rational“ getroffen werden. Dementsprechende Behauptungen sind durchaus geläufig: Sei es, wenn „rationale“ Schutzbehauptungen an die Stelle guter Argumentationen treten. – Praktizierung autoritärer statt partnerschaftlich geprägter Entscheidungsprozesse. – Manipulationen, fehlende Ehrlichkeit, Unsicherheit, Angst usw., aber angeblich wird „rational“ gehandelt und entschieden. – Falscher Glauben rational zu handeln, obwohl Irrationalität vorliegt und die scheinbare Entscheidungssicherheit daher tatsächlich nicht besteht. – Überdeckung von Mängeln. – Chaotische Folgen können durch „Scheinrationalität“ entstehen und gefährlich werden. – Erforderliche Anpassungen erfolgen meist verzögert bzw. nach Überschreiten des optimalen Interventionszeitpunktes und erfolgen damit suboptimal. – usw. Im Bereich von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft – im Makro- wie im Mikrobereich – ist aus bereits gesicherten Fakten, Erfahrungen, Eindrücken und Entwicklungen und den bislang bekannten furchtbaren Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und deren Bewertung der Schluss zu ziehen, auf den immer wieder hinzuweisen ist, dass ein Paradigmenwechsel unerlässlich ist. Er bildet das Fundament einer nachhaltigen und tiefgreifenden Bewältigung der Krise und schützt davor, in einer lediglich operativen und technokratischen Oberflächenpolitur stecken zu bleiben, statt die eigentlichen Wurzeln der Krise zu erfassen. Die Ideen des Neoliberalismus und ihre erwiesene faktische Macht sowie deren aggressive, verantwortungslose und teilweise kriminellen Umsetzungen, waren essentielle Mitverursacher der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Trotz deren katastrophalen Folgen werden Neoliberale mit Sicherheit auch weiterhin versuchen ihre Ziele ähnlich wie bislang zu verfolgen, auch auf die Gefahr hin, eine neuerliche Krise auszulösen. Skandalöser Weise wurden in Europa die besseren und tatsächlich erfolgreichen Ideen der Ökosozialen Marktwirtschaft nicht wirksam gegen neoliberale Vorstellungen verteidigt. Wird es zukünftig ähnlich verlaufen? Eine Krisenbewältigung könnte dann noch schwieriger sein als die der vorhergegangene Krise, die enorme Ressourcen verschlungen hat, die für eine neuerliche Rettungsaktion folglich noch viele Jahre fehlen. Um eine Wiederholung des Dilemmas der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 möglichst zu verhindern, ist daher ein Paradigmenwechsel notwendig. Es ist zu hoffen, dass die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft und besonders auch die



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Zivilgesellschaft dafür wirksam Sorge tragen, dafür geeignete Orientierungs- und Lenkungsfunktionen konzipieren und neuen Entwicklungen anpassen, aber auch um deren Umsetzung konsequent bemüht sind. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 macht deutlich, wie schwierig die Bewältigung einer solchen Krise sein kann. Aus heutiger Sicht ist nicht anzunehmen, dass eine zukünftige und vergleichbare Krise einfacher lösbar ist. Es könnte vielmehr schwieriger werden und die „Fehlerquoten“ und die „Fehlerfolgen“ noch nachteiliger als bislang ausfallen. Dazu einige illustrative und praktische Beispiele zweifelhafter Aktivitäten bei der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007: In das Bank- und Finanzsystem wurden seit 2007 bis 2014 weltweit und letztlich weitestgehend auf Kosten der Steuerzahler geradezu unvorstellbar hohe Summen investiert. Zunehmend wird von Experten die Ansicht vertreten, dass diese Summen im Ausmaß von etwa 80 % oder sogar mehr zu hoch waren und daraus mögliche Einsparungen anderweitig zweckmäßiger, d. h. mit wesentlich effizienteren Ergebnissen einsetzbar gewesen wären. In diesem Kontext wird zu Recht beklagt, dass die Lastenverteilung für die Steuerzahler extrem ungerecht war. Die Verursacher der Krise und Empfänger von Leistungen zur Reparatur des vornehmlich durch sie angerichteten Desasters, nämlich die „Finanzindustrie“, generierten daraus in geradezu skandalöser Art und Weise für sich enorme Profite. In den USA standen bereits im Herbst 2013 zahlreiche Banken besser da als vor dem Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Es stellt sich zu Recht daher die Frage, ob die politischen Entscheidungsträger dieser riesigen Subventionen und Transaktionen nicht sachgerechter und verantwortungsvoller entschieden hätten, wenn sie weniger den Interessenvertretern des Bank- und Finanzsystems sowie den Lobbyisten auf den Leim gegangen wären. Klüger und verantwortungsvoller hätten sie sich verhalten, wenn sie bewusster, kompetenter und energischer bemüht gewesen wären, die Durchsetzung gesetzlicher, normativer und wertgebundene Orientierungen, Entscheidungen und Handlungen zu bewerkstelligen, und zwar im Vorfeld und nach Ausbruch der Krise Die mentale Hörigkeit und politischen Abhängigkeiten der verantwortlichen Entscheidungsträger von den Vertretern der „Finanzindustrie“ haben offenbar die fachliche und ethische Sachkompetenz der verantwortlichen Entscheidungsträger stark überfordert. Das Beste wäre natürlich gewesen, vorbeugend die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zu verhindern. Das wäre nämlich durchaus möglich gewesen. Die verderbliche Macht der Ideen des Neoliberalismus, welche die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 auslösten, waren bestritten und bekannt. Joseph Stiglitz hat in seinem zu Recht berühmten Buch Im freien Fall. Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft, München 2011

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minutiös und umfassend die Entwicklung der Krise beschrieben und analysiert. Damit zeigt er u. a. wie die Krise durchaus vermeidbar gewesen wäre. Über ihre quasi „schicksalhafte Unvermeidbarkeit“ ist keine Silbe zu finden, jedoch sehr viele fachlich gut begründete Stellungnahmen über vermeidbare Fehler und sehr konkrete Hinweise, wie diese zu verhindern gewesen wären und was getan werden müsste, um zukünftig ähnliche Katastrophen zu vermeiden. Die enorm ungerechte Lastenverteilung auf die Steuerzahler wurde von den dafür persönlich Verantwortlichen geradezu in abstruser Art und Weise negiert. Nur so und durch die teils fehlende eigene Sachkompetenz der Akteure, lassen sich die hochgiftigen Irrationalitäten der amoralischen Entscheidungen interpretieren. Hätten sich die dafür persönlich Verantwortlichen mit dem konkret vorhandenen normativen Problem der Gerechtigkeit intensiver auseinander gesetzt, wäre die Wahrscheinlichkeit einer sachgerechteren Entscheidung sicher höher gewesen, sofern man optimistisch davon ausgeht, dass solche Orientierungen bei einer auch zutiefst politischen Entscheidung in den Köpfen und Herzen der Entscheider von Bedeutung sind. Eine ähnliche, aber in der Öffentlichkeit bislang noch nicht völlig bewusst gewordene Problemlage ergibt sich auch aus der extrem niedrigen Verzinsung von Krediten durch die Zinspolitik der FED, der EZB und anderer Nationalbanken, die von den Sparern über niedrigste Einlagezinsen wirtschaftlich getragen werden. Davon profitiert die Öffentliche Hand und das Bank- und Finanzsystem weltweit, kaum jedoch die mittelständische Wirtschaft, die seit Jahren besonders unter der Kreditklemme stöhnt. Großund Konzernbetriebe leiden darunter kaum. Die Mittel der Sparer werden schleichend enteignet und sie zahlen zu Gunsten der Verursacher der Krise in erheblichem Umfang deren Zeche. Fürwahr eine verkehrte und dreiste Welt! Bei der Schlüsselfrage, wie denn die durch enorme finanzielle Interventionen entstandenen Schulden der Öffentlichen Hände realistisch abgebaut werden sollen, müsste den Bürgern – die letztendlich die Lasten zu tragen haben – endlich reiner Wein eingeschenkt werden. Es ist nicht in Ordnung lediglich die in Öffentlichen Haushalten von Gebietskörperschaften angeführten Schulden zu nennen und die Schulden anderer Einrichtungen der Öffentlichen Hände zu verschweigen, welche durch die Krisenbewältigung entstanden sind. Dazu zählen auch die finanziellen Krisenaufwendungen der Nationalbanken der verschiedenen Länder der EU, ebenso wie die EZB mit Schulden in der Größenordnung von 3,4 Billionen Euro (Anfang 2015), die weiter wachsen werden. Die Bürger würden staunen, welche Unsummen tatsächlich zu bewältigen sind. In diesem Lichte würde die weit überzogene



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und großteils verpufften Milliardenbeträge allein der ausgelösten Geldschwemme der EZB sicher anders bewertet werden. Die Summen all dieser Schulden bilden das zu tilgende Volumen der finanziellen Interventionen durch die Öffentlichen Hände. In diesem Kontext ist zu bezweifeln, ob das nur durch Rückzahlungen erfolgen wird oder ob nicht beispielsweise der Weg einer schleichenden Währungsreform, der Inflation, der Enteignung der Sparer via Minimalzinsen, der Anhebung von Steuern usw. eigeschlagen wird. Da wäre sicher mehr Ehrlichkeit gefordert. Aus allen diesen und anderen Entwicklungen und Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 entstanden zunehmend Probleme, die zu einer Neuen Sozialen Frage führten und deren Lösung Teil der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist. Man denke beispielsweise nur an einige bislang ungenügend geklärte Problembereiche, wie: Revision des Interventions-Mix zur Bewältigung der Krise von Sparen und Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und Wachstumspolitik. – Verbesserung des Umganges mit Gesellschaften und Menschen aus Ländern, die von der Krise besonders hart getroffen wurden. – Steigende Gerechtigkeitslücken bei der Einkommens- und Vermögensverteilung. – Zinspolitisch bedingte Entlastungseffekte für die Öffentliche Hand und das Bank- und Finanzsystem durch schleichende, extrem ungerechte und enorme „Enteignungseffekte“ zu Lasten der Wirtschaft und der Bürger. – Problematik der weltweiten und massenhaften Arbeitslosigkeit sowie existentieller Vermögensverluste, z. B. durch millionenfache Versteigerung von Häusern und Wohnungen, Verlust der Ersparnisse usw. – Verarmung von Millionen von Menschen. – Verlust von Lebensperspektiven. – Verursachung von Unsicherheit und Angst durch alle Generationen. – usw. Allein die wenigen Beispiele zeigen die hohe Bedeutung des eingeforderten Paradigmenwechsels auch für das Erarbeiten und Umsetzen ganzheitlich konzipierter Maßnahmen zur wirksamen Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, statt mit „Schein-Rationalisierungen“ krampfhaft Dinge zu erklären, Fehler zu beschwichtigen und von Systemrelevanzen zu schwafeln, statt falsche ideelle Fehlvorstellungen, schwerste Mängel und Fehler selbstkritisch zu bekennen und dringend erforderliche Reformen zu vollziehen. Der Paradigmenwechsel ist dabei für die Makroökonomie ebenso relevant und bedeutsam wie für die Mikroökonomie und somit auch für die Gestaltungen der Funktionsbereiche Führung und Motivation. Die Bank- und Finanzsysteme sträuben sich allerdings bislang ungerührt selbst gegen kleinste Systemverbesserungen und vermitteln dadurch ein Bild ihres Verhaltens, nämlich gezeichnet durch ignorante und unerträgliche Reformresistenz. Die Politik erweist sich dagegen bislang als kaum durchsetzungsfähig und dringende Änderungen werden verschleppt. Die Gründe hierfür

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sind wohl auch dadurch bedingt, dass Vertreter Öffentlicher Hände als Großschuldner der Bank- und Finanzsysteme teils paralysiert sind und sich von hergebrachten Kungeleien nicht leicht lösen. Das dürfte für die USA ebenso wie für Europa gelten. Auf EU-Ebene beginnen erfreulicherweise einige wichtige Reformvorhaben zu greifen, wie die in der Umsetzung begriffene Bankenunion. Nationale und internationale Bank- und Finanzsysteme scheuen es bislang, sich ihrer Verantwortung für die katastrophalen Folgen ihrer Handlungen ernsthaft zu stellen und beizutragen, dass die entstandenen enormen Schäden abgetragen werden. Was tut das „System“ aber wirklich: Die Vertreter des Systems sind nahezu ausnahmslos auf „Tauchstation“ gegangen und kritisch-konstruktive Stellungnahmen sind dementsprechend selten vernehmbar. – Mit abgeschmackten und für die Menschen geradezu zynisch zu empfindenden PR- und Werbeaktionen herkömmlichen Stiles wird eine heile Welt simuliert, d. h. palavert und gelogen. – Um längst überfälligen gerichtlichen und öffentlichen Auseinandersetzungen zu entgehen, werden zweistellige Milliardenbeträge einzelner Banken als „Ausgleichszahlungen“ für nicht eingeleitete Gerichtsverfahren gezahlt, d. h. sie kaufen sich frei. Aus pragmatischen Gründen könnte das ja sogar verstanden werden, aber nur dann: Wenn solche Bankinstitute auch eigenverantwortlich bereit sind, für eine objektive und redliche Auseinandersetzung über ihre Fehlleistungen und allfällige Schadensbeiträge zur Verfügung zu stehen. Es kann doch nicht sein, dass Banken sich davor drücken und mit größter Selbstverständlichkeit womöglich kalkulatorisch die „Ausgleichszahlungen“ auf ihre „Kunden“ überwälzen. – Weltweit wird versucht unerlässliche Reformen des Bank- und Finanzsystems quasi prophylaktisch vorzunehmen, die mehr oder minder das „System“ finanziell zu tragen hat. Selbst bei kleinsten Belastungen jammern, heulen, protestieren und lobbyieren ihre Vertreter hochdramatisch gegen Verbesserungen und Funktionssicherungen des eigenen Systems. Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung, jedoch nicht oder kaum beim „System Finanzindustrie“. – Notenbanken senken den Leitzins in Richtung 0 % und Dispozinsen in Deutschland und Österreich werden bis zu 18,75 % „anstandslos“ verlangt. – Besonders der mittelständischen Wirtschaft werden nach wie vor zu wenig Kredite „gewährt“ und eine die Krisenbewältigung konterkarierende Kreditpolitik seitens der Banken praktiziert. – Die derzeit (seit Herbst 2014) mit 0,05 % Zins (!) belasteten Refinanzierungsmittel der Banken bei der EZB werden bequem gleich dort mit ordentlicher Zinsspanne angelegt und gleichzeitig auf dem Rücken der Sparer refinanziert, die durch niedrigste Zinsen unter dem Niveau der Geldentwertung via EZB und Banken enteignet werden. Das ist alles ganz normal für ein „System“, das die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mitverursacht hat, usw.



1.4 Résumé167

Für das Jahr 2013 wurden die finanziellen Repressionen der Sparer zu Gunsten der Staaten und Banken als Folge der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 einigermaßen genau ermittelt: Durch die Niedrigzinsen der FED in den USA, der EZB in Europa, einschließlich aber auch von Großbritannien, betrug der Umverteilungseffekt zu Lasten der Sparer aus Zinsnachteilen 1.480 Milliarden Dollar (USA) bzw. 1,48 Billionen Dollar (Europa). Die Österreicher beispielsweise haben 240 Milliarden Euro von 540 Milliarden Euro ihres Geldvermögens gespart, bei einem Allzeittief der Zinsen bei auf bis zu zwei Jahren gebundene Einlagen von 0,4–0,8 % Zinsen. Bei einer Jahres-Infla­tionsrate von 2 % und ohne die Einrechnung von zu zahlender Kapitalertragssteuer wurden die Sparvermögen in Höhe von 3,02–3,89 Milliarden Euro entwertet. Die Spargelder sind hauptsächlich vom Gedanken des „Notgroschen“ bestimmt, was diese Art der Zinsfalle für die enteigneten Betroffenen besonders bitter macht. Ein Ausweichen in Anleihen ohne hohes Risiko war durch die Niedrigzinspolitik auch keine attraktive Alternative, u. a. auch bedingt dadurch, dass vermutlich die mittelfristigen Ertragsaussichten nicht gut eingeschätzt werden. Gute Aktien sind mittlerweile (Mitte 2015) recht teuer geworden und kaum als Ersatz für „Notgroschen“ zu bewerten (Sustala, L.: 2014g, S. 16). Mario Draghi, EZB-Präsident, warnte im Februar 2014 „Es bestehen weiterhin Risiken für die Konjunkturprognose für die Euro-Zone“, beispielsweise sind einige Schwellenländer an den Finanzmärkten in Turbulenzen geschlittert und diese Entwicklungen „haben das Potential, das wirtschaftliche Umfeld negativ zu beeinflussen“. Bei der EZB wurde die Konjunktur nach wie vor fragil bewertet. Manche Ökonomen warnen auch vor deflatorischen Gefahren (Der Standard, 2014g, S. 19). Magere Zeiten werden von den Sparern bis auf weiteres durch einige Jahre (Ende 2014) durchtaucht werden müssen. Mit den vielfältigen Ideen und der nach dem 2. Weltkrieg entwickelten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Konzeption für die Schaffung der Sozialen Marktwirtschaft, ihre erfolgreichen Umsetzungen und den guten Erfahrungen, den wirtschaftlichen Erfolgen und schließlich der Weiterentwicklung zur Ökosozialen Marktwirtschaft im deutschsprachigen Raum und den davon national geprägten Varianten in Europa, wurden auch in weitem Maße Vorstellungen von zeitgemäßen und entwicklungsfähigen Paradigmen geschaffen und bei Bedarf angepasst. Dennoch gewannen neoliberale Vorstellungen etwa ab Mitte der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts auch in Europa zunehmend positive und teilweise dominante Resonanz, die in der Folge zu essentiellen Fehlentwicklungen bis hin zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 führten. Paradigmen der Ökosozialen Marktwirtschaft wurden über Jahre de facto erheblich durch neoliberale Intentionen ersetzt. Das betraf die ideellen Vorstellungen und Postulate ebenso, wie das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Handeln.

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1. Einführung

Gerade die Politik wurde davon sehr stark beeinflusst. Die Entwicklungen waren in den USA und Großbritannien stärker, aber auch in den europäischen Ländern – bei allen Unterschieden – recht ausgeprägt. Mit dem Beginn der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und ihren schrecklichen Folgen wurde der Neoliberalismus mit seinen Ideen und Praktiken endlich in breiterem Maße als entscheidender Mitverursacher der Krise erkannt und – aber leider viel zu spät – die Frage akut, warum eigentlich wider besseres Wissen die Paradigmen der Ökosozialen Marktwirtschaft teilweise gegen neoliberale Ideen und Praktiken aufgegeben wurden. Nach den heutigen Erfahrungen mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 lautet die Antwort auf die Frage schlicht und einfach: Es war eine haarsträubende und skandalöse Entwicklung und Verirrung, vor der Wenige erfolglos warnten und die Zahl der Befürworter und Mitläufer neoliberaler Ideen, teils verbrämt mit dem Begriff New Ecomomy, zu groß war und lautstark überwiegte. Auch die mächtige EU, deren Paradigmen intentional jenen der Ökosozialen Marktwirtschaft weitgehend gleichen, wurde ebenso von dem Unheil bringenden Sog des Neoliberalismus erfasst, einem verzaubernden, aber trügerischen Sirenengesang. Wären die Länder Europas und die EU den Paradigmen der Ökosozialen Marktwirtschaft treu geblieben, hätte das nicht unbedingt bedeutet, dass die von den USA ausgehende 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 Europa verschont hätte. Das war auch bei der 1. und 2. Weltwirtschaftskrise nicht der Fall, die auch von den USA ausging. Ein früher Widerstand gegen den Neoliberalismus bei Beginn seiner Etablierung in Europa, also in den 70iger und 80iger Jahren des vorigen Jahrhunderts, hätte aber vielleicht andere und weniger folgenschwere Entwicklungen bewirken können. Ein Paradigmenwechsel sollte stets dort erfolgen, wo er durch Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und zunehmend von der Zivilgesellschaft als relevant, erforderlich und gewünscht erscheint. Auch in einer freien und pluralistischen Welt sind dieser Absicht aber Grenzen gesetzt. Über Inhalte von Paradigmen werden unterschiedliche Vorstellungen die Regel sein. ­Ideen stehen daher im Wettstreit um „Richtigkeit“ und „Durchsetzung“. Für die Durchführung solcher diffiziler Prozesse bestehen keine maximal besten Vorgehensweisen. In demokratisch geprägten Strukturen entstanden dennoch probate Wege, um Kompromisse und gute Lösungen zu ermöglichen. Es ist daher realistisch, zu verbindlichen Paradigmen zu gelangen, sie bedarfsgerecht weiter zu entwickeln und damit wirksam das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen, Gruppen, Entscheidungsträgern usw. zu prägen. Eine zivilisierte Streitkultur, geprägt durch Offenheit und Toleranz, Klugheit, Ehrlichkeit und Transparenz, Fairness, Ausdauer usw., fördert auch schwierige und essentielle Prozesse und hilft, möglichst konsensual zu akzeptablen Kompromissen und Lösungen zu gelangen. So bestimmte Vorgehensweisen sollten natürlich auch die Durchsetzung von Ideen, Denkmus-



1.4 Résumé169

tern, Vorstellungen, Weltanschauungen, Idealen, Werte und Normen usw. begleiten, kurzum die Inhalte der Paradigmen unterstützen und helfen, die in der Praxis besonders herausfordernden Umsetzungen erfolgreich zu erreichen. Die differierenden Regelungsmechanismen und Praktiken der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in verschiedenen Ländern und bei internationalen Einrichtungen beeinflussen verständlicherweise die Inhalte, Träger und Strömungen der Entscheidungen und Gestaltungen und damit auch die Möglichkeiten und Grenzen von Paradigmen bei der Realisierung angestrebter Intentionen. Die Effizienz der anspruchsvollen Aufgabenstellungen profitiert trotz aller angedeuteten Unterschiede letztendlich sehr wesentlich durch die menschlichen Qualitäten der prozessbeteiligten Verantwortlichen. Dieser Zusammenhang wurde gerade bei der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 an ihren katastrophalen Folgen eines ursächlichen und moralischen Fehlverhaltens der dafür persönlich verantwortlichen Personen in erschreckendster und empörendster Art und Weise dokumentiert. Daraus sollte man lernen achtsam sein und vorzusorgen. Bei der aktuellen, sehr entscheidenden und drängenden Frage, wie ein weitgehender und wirksamer Paradigmenwechsel bei der „Finanzindustrie“ realisiert werden kann, dürfte sich sehr wahrscheinlich zeigen, dass enorme Hürden zu überwinden sind, um eine tatsächliche Akzeptanz bei Vertretern des Bank- und Finanzsystems zu erreichen. Es ist zu befürchten, dass der Weg lang und steinig werden wird und Konsequenz, Energie und Zähigkeit verlangt. Selbstkritische Einsicht, freiwillige und aktive Kooperation dürfen zunächst tendenziell nicht erwartet werden. Es gab zwar schon bislang und wahrscheinlich auch zukünftig verantwortungsbewusste Persönlichkeiten im Bank- und Finanzwesen, die sehr gut wissen, wie wichtig ein Paradigmenwechsel als ideelle Basis für längst überfällige Reformen ist und daher gefunden werden muss, um den Kampf gegen zersetzende Inkompetenz, Amoral, Egozentrik, hemmungslose Gier und Rücksichtslosigkeit aufzunehmen. Der Kreis reformorientierter Persönlichkeiten des Bank- und Finanzsystems hatte bereits bislang kaum Gehör oder wirkliche Unterstützung durch Vertreter der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft des Bank- und Finanzsystem gefunden, ganz im Gegenteil: Ob aktiv oder passiv, die Hardcore-Vertreter und Akteure des Systems „Finanzindustrie“ sind ohne Zweifel mitschuldig an der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, denn sie hätten die Krise verhindern können und taten es nicht und spielten vielmehr das teuflische Spiel des Bank- und Finanzsystems mit. Wie weit die Selbstkritik dieser bislang maßgeblichen Gruppe für dringend notwendige Reformen und tiefgreifende Verbesserungen ist, wird sich zeigen. Ein erfahrungsbasierter Optimismus hält sich sicher in Grenzen. Aber auch Zeichen und Wunder können – wenn auch selten – geschehen! Auch die Zivilgesellschaft, die sicher einiges hätte bewirken können, war zu passiv. Viele Indizien und

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1. Einführung

handfeste Fakten – die bereits dokumentiert wurden – signalisieren zudem unübersehbar die ignorante, aggressive und heimtückische Reformresistenz weitester Teile des internationalen und nationalen Banksystems. Ob in den USA oder in Europa bzw. der EU stecken offensichtlich die durch die Politik verfolgten Reformen des Finanzsystems ziemlich fest, werden somit ständig verschleppt und dringender Handlungsbedarf unterlaufen. Dem Moloch „Bank- und Finanzsystem“ wurde und wird geopfert. Können Politik und Staaten ihrer Verantwortung noch gerecht werden, die Gesellschaft, die Wirtschaft, ihre Bürger, den erarbeiteten und gefährdenden Wohlstand usw. noch vor dem alles verschlingendem Ungeheuer schützen? Allein die berechtigte Fragemöglichkeit zeigt die Brisanz des Problems und auch die Antwort: Ja, sie müssen – was denn sonst! Einsicht und somit Handlungsbereitschaft für grundsätzliche Reformen und einen entsprechenden Paradigmenwechsel sind somit ebenso wenig wie die Freiwilligkeit für tiefgreifende Veränderungen seitens des Bank- und Finanzsystems tendenziell nicht ohne Weiteres zu erwarten. Nach bisherigen Erfahrungen werden internationale Einrichtungen mit relevanten Eingriffsrechten dabei am ehesten Chancen haben (FED, EU, EZB, Nationalbanken, Weltbank und ihre Unterorganisationen, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Internationaler Währungsfond, UN-Expertenkommission zur Reform des Internationalen Finanzsystems, Netzwerke mit Relevanz für das Bank- und Finanzsystem, Ratingagenturen, Aufsichtsbehörden, Gesetzgeber). Instanzen gäbe es also sicher genügend. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass einige der vorgenannten Einrichtungen für Regulierungen auch Teil des Systems sind und bislang eine durchaus zwiespältige Rolle spielten, wie auch Fachpublikationen detailliert belegen. Ob solche Institutionen die Zinspolitik bestimmten, als Aufsichtseinrichtungen agierten, der Einlagensicherung dienten usw., sie waren bestens informiert und – aus welchen Motiven auch immer – zumindest moralisch Komplizen und Quasi-Mittäter praktizierter Gier, Skrupellosigkeit und Kriminalität und somit Mitschuldige an den verursachten und unermesslichen Folgen und Schäden durch das Bank- und Finanzsystems sowie die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Sie haben teilweise – sehr gelinde gesagt – ihre Pflichten und Aufgaben zur Verhinderung der Krise nur lasch, gar nicht oder kontraproduktiv erfüllt. Ihre nunmehr notwendige Rolle bei der Bewältigung der Krise und dringend erforderliche prospektive sowie vorbeugende Weichenstellungen könnten daher problematisch sein, da Zweifel an der notwendigen Unbefangenheit naheliegen oder anders ausgedrückt: Es dürfte sich bald zeigen, ob die strittigen Einrichtungen den notwendigen Paradigmenwechsel auch für ihre Funktionserfüllungen akzeptieren und konkret umsetzen oder sich dem mental verweigern bzw. damit sich selbst zu einem zentralen Gegenstand tiefgreifender Probleme und damit von Reformen und Änderungen machen. Selbstverständlich haben auch natio­



1.4 Résumé171

nale Einrichtungen die Pflicht und Möglichkeiten einen wichtigen Beitrag zur Reform der Bank- und Finanzsysteme zu leisten (Parlamente, Regierungen, Parteien, Interessenvertretungen, Aufsichtsbehörden, Rechnungshöfe, Gruppen der Zivilgesellschaft, Presse usw.). Aber auch auf Ebene der EU stehen die Länder in der Pflicht, bei der Gestaltung der angestrebten Reformen mitzuwirken und deren Umsetzung aktiv zu fördern. Ideal wäre es, wenn die Akteure des Bank- und Finanzsystems eine selbstkritisch-konstruktive und veränderungsbereite Haltung für ihre eigene Rolle und Verantwortung in der Gesellschaft und Wirtschaft fänden, zu entsprechenden Einsichten gelängen und mit Verstand, engagierter Emotion und sinnhaftem Handeln zu den „richtigen“ Neupositionierungen fänden, d. h. de facto für das Bank- und Finanzsystem zu einem verbindlichen Paradigmenwechsel kämen und aktiv bei relevanten Umsetzungen mitwirken. Es sollte ferner auch im eigenen Interesse des Bank- und Finanzsystems begriffen werden, dass Revolutionen in Eigenregie vergleichsweise angenehmer sind als von außen aufgezwungene Revolutionen. Jene nicht wenigen Banker und Finanzdienstleister, die selbst, als Führungskraft oder Chef längst tun was an Reformen erforderlich ist, können damit als Vorbilder eine wertvolle Rolle erfüllen und deren Erfahrungen und Know-how sollten genutzt werden. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hat vor der eigenen Haustür und in anderen Ländern gezeigt, welche entsetzlichen Folgen die Krise bislang hatte: Millionen von Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, Haus, Vermögen, soziale Stellung, ihren Kindern gingen Chancen verloren usw. In vielen Ländern haben ganze Generationen und Millionen junger Menschen großteils ihre Hoffnungen verloren und schauen in eine düstere Zukunft. Gleichzeitig wurden im Bank- und Finanzsystem – den wesentlichen Mitverursachern des weltweiten Desasters – mit hemmungsloser Gier Unsummen verdient und verteilt, die auch aus kriminellen Geschäftspraktiken und vor allem aus Steuergeldern stammten. Das Bank- und Finanzsystem wurde mit öffentlichen Geldern derart angefüllt, dass das System beispielsweise in den USA so gut dasteht, als hätte es die Krise gar nicht gegeben. Das ist ein ungeheures Skandalon, mit dem das Wort und Faktum „Gerechtigkeit“ zynisch verhöhnt wurde. Zum Großteil zu Lasten der Gesellschaft vergeudete und unvorstellbar hohe Summen flossen in das Bankund Finanzsystem. Das wurde längst penibel dokumentiert und kann von den wesentlichen Verursachern und Profiteuren der Krise nicht geleugnet werden. Daher können sie sich nicht vor berechtigter Kritik, ihrer Mitwirkung und Verantwortung davonschleichen oder, was auch schon geschah, auf andere mit dem Finger zeigen, Verharmlosungen praktizieren usw. Manche Vertreter des Bank- und Finanzsystems argumentierten beispielsweise unverfroren, sie seien nicht schuld an den kriminellen Umtrieben innerhalb des Bank- und Finanzsystems, da man sie zu wenig kontrolliert habe [sic!].

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1. Einführung

Solche und andere Attitüden aus dem Bank- und Finanzbereich nähren den Verdacht, dass dort die selbstkritisch-konstruktiven Haltungen vielleicht doch nicht so präsent sind, wie es eine von solchen Einstellungen mitgetragene Reform erfordert. Die „Theorie“ des Neoliberalismus weist sehr ausdrücklich auf das Argument der „Selbstheilungskräfte der Wirtschaft“ hin, wenn sie vehement die Deregulierung des Staates im Bereich der Wirtschaft fordert. Entsprechende Aufgaben sind durch die Wirtschaft in Eigenregie weitaus effektiver lösbar als durch den Staat und eine „freie“ Wirtschaft ermöglicht die besten Voraussetzungen für die individuelle Freiheit des Individuums, worin der ideologischen Kern des Neoliberalismus liegt. Man sieht und wen wundert’s, Theorie und Praxis bzw. Wunsch und Realität sind auch im Neoliberalismus nicht das Gleiche. Die Funktionen eines Bank- und Finanzwesens für Wirtschaft und Gesellschaft bedürfen eines ganzheitlichen Verständnisses. Das bedeutet, dass gleichermaßen mikro- und makroökonomische Aufgaben und Rollen zu erfüllen sind und nicht lediglich platte Sprüche der Werbung und PR-Arbeit bleiben dürfen. Sind solche Auffassungen und Praktiken real nicht oder zu wenig zu erwarten, werden drastische Regulierungen des Bank- und Finanzsystems durch die Staaten, internationale Einrichtungen und solche der EU mehr denn je zu Mitteln der Wahl werden: Erstens um die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bewältigen zu können und zweitens, um zu verhindern, über kurz oder lang in einer 4. Weltwirtschaftskrise zu landen. Letzteres womöglich während eines Zeitraumes, in dem zu geringe Finanz- bzw. Sanierungsmitteln für Interventionszwecke zur Verhinderung oder Behebung einer Krise verfügbar sind. Die derzeitigen Entwicklungen im Bank- und Finanzbereich signalisieren möglicherweise bereits diesen Weg, der auch eine Antwort auf die Schwächen und fehlenden Selbstheilungskräfte des Bank- und Finanzsystem wäre, aber auch als zweitbester Lösungsansatz zu bewerten ist. Eigene Initiativen, Faktoren, Gestaltungskräften und Beiträge aus dem Bank- und Finanzbereich für eine von der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft angestrebte Optimierung dieses wirtschaftlichen Kernbereiches, sind natürlich weitaus nützlicher für die gesellschaftlich und ökonomisch höchst bedeutsamen Aufgabenstellungen, wie lediglich ein vom Bank- und Finanzbereich als Diktat empfundene Auflagen „von oben“. In diese Richtung sollte von den beteiligten Akteuren damit begonnen werden, konsensual unterschiedliche paradigmatische Vorstellungen abzustimmen und weitest mögliche substantielle Vereinbarungen zu erreichen. Ausgehend von einer solchen soliden Basis für Orientierungs- und Lenkungsfunktionen können weitere gemeinsame, sinnvolle und übergreifende Schritte einer von weitgehender Akzeptanz getragenen Reform gesetzt werden. Bewegen sich die Akteure lediglich als engstirnige und verbohrte Vertreter egozentrischer Eigeninteressen, provozieren damit lediglich widersprüchliche Haltungen



1.4 Résumé173

und starre Negationen auf verschiedensten Konfliktfeldern und geben sich zufrieden mit mehr oder minder taktischen Tricksereien und faulen Kompromissen, wird es kaum konsensuelle, einigermaßen ordentliche und auf Dauer tragfähige Problemlösungen geben. Ohne ein gewisses Maß an Bereitschaft zur Erreichung gemeinsam getragener Paradigmen vor Beginn von Bemühungen, kann es letztendlich nicht ausreichend gelingen, die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und davon ausgehende weiterreichende nachteilige Konsequenzen auch nur annähernd zu bewältigen. Die Macht von guten und bösen Ideen sollte nach den Erfahrungen seit 2007 nicht schon wieder grob fahrlässig, verantwortungslos und sträflich ignoriert ­werden. Principiis obsta, sprich Wehret den Anfängen (Ovid, 43 v. Chr.– 17 n. Chr., Remedia amoris, 91. Vers), ist das hochaktuelle Gebot, um weiteres Unheil zu vermeiden, nämlich die Krisenbewältigung zu verschleppen, suboptimale „Lösungen“ zu provozieren und damit neue Krisen aufkeimen zu lassen. Ein so unheilvolles gesellschaftliches und wirtschaftliches Abenteuer böte bei nahezu leeren Kassen noch weit miserablere Lösungschancen, wie wir sie seit 2007 erlebten. Ein Indiz unter mehreren(!) sind die Mitteilungen in den Medien (Oktober 2013), die über einen spektakulären Deal zwischen dem US-Justizministerium und der größten US-Bank JPMorgan Chase & Co., New York City berichten, der das bislang höchste Bußgeld aller Zeiten in Höhe von 13 Milliarden Dollar vorsieht, um ein Gerichtsverfahren gegen die Bank abzuwenden. JPMorgan hat in großem und kriminellem Stil zwischen 2007 und 2009 im Wert von 33 Milliarden Dollar Wertpapiere verkauft, denen faule Kredite auf Immobilien zu Grunde lagen, die sich zum Großteil als wertlos erwiesen. Die Bank machte falsche Angaben über die Qualität der Wertpapiere und täuschte die Käufer (Szigetvari, A.: 2013b, S. 9). JPMorgan ist eines von vielen Instituten die belangt werden, wie: Barclays, HSBC, Standard & Poor’s usw., um sozusagen nur die „besten“ Adressen zu nennen (Szigetvari, A.: 2013c, S. 20). Die Deutsche Bank steht vor ähnlichen Problemen und hat hierfür bereits 4 Milliarden nur für eine Flut von zu erwartenden Verfahren für Prozesskosten bilanziell rückgestellt (Sustala, L.: 2013f, S. 30; Der Standard vom 30.10.2013b, S. 19). Das Vertrauen zu internationalen Geldhäusern ist zunehmend geschwunden und sie geraten wegen fragwürdiger Geschäfte in den USA und Europa zunehmend in das Visier der Ermittler. Mit neuen Untersuchungen (Anfang 2014) schwindet die Hoffnung der Banken, bald wieder aus dem Blickfeld untersuchender Behörden zu geraten (Der Standard, 2014j). „Too big to fail“ war weltweit die Begründung während der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, mit der 28 Großbanken durch den Staat gestützt wurden, um das Finanzsystem nicht ins Wanken zu bringen. Das verschlang enorme Milliarden-Summen öffentlicher Mittel. Ein Vorschlag des Finanz-

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stabilitätsrates (FSB) – einer internationalen Organisation zur Überwachung des Globalen Finanzsystems, die Empfehlungen ausspricht und im April 2009 durch die G-20-Staaten, den zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, gegründet wurde und ihren Sitz bei der Bank für internationalen Zahlungsausgleich in Basel hat –, schlägt Änderungen vor, die eine öffentliche Subvention des Bank- und Finanzsystems im bisherigen Ausmaß verhindern soll. Dem FSB gehören u. a. die Weltbank, die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäische Kommission als Mitglieder an (Internet: Finacial Stability Board, FSB; Die Zeit, 2011; Internet: Too big to fail). Janet Yellen (1946) renommierte und erfahrene Ökonomin und seit dem 01.02.2014 Präsidentin der FED und Nachfolgerin von Ben Bernake, will die Regeln für Großbanken ändern: „Wir sollten ihnen den Wettbewerb erschweren und sie animieren kleiner und weniger systemisch zu werden“. Die FED erwägt demnach zusätzliche Regeln, so etwa neue Anforderungen für den Handeln mit physischen Rohstoffen zur Verhinderung von Missbräuchen, wie z. B. Preismanipulationen. Die FED geht damit über die Gesetze zum Umbau des Finanzsystem hinaus, mit denen sich die USA gegen eine neue Finanzkrise wappnen möchte. Die Regierung will in der Zukunft nicht mehr mit Steuergeldern Banken retten. Die Rating-Agentur Moody’s hat daraufhin vier großen Instituten eine schlechtere Bonitätsstufe verpasst (Morgan Stanley, JPMorgan Chase, Goldman Sachs, Bank of New York), und zwar mit der Begründung, die Behörden hätten deutliche Fortschritte bei ihren Bemühungen gemacht, staatlichen Rettungsaktionen aus dem Weg zu gehen. Die Lehmann-Pleite gilt als abschreckendes Beispiel. Es wurden ferner Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, um Großbanken zu Schrumpfen zu zwingen und kleineren Banken diesen gegenüber vergleichbare Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, z. B. bei Zinskosten für die Refinanzierung der Mittel bei Kreditvergaben an die Wirtschaft (Der Standard, 2013i; Internet: Yellen, J.). Die Konsequenz und Pragmatik der USA und der FED bei der Neuordnung des Bank- und Finanzsystems im Vergleich mit Europa ist auffallend. Obwohl ähnliche Intentionen bestehen, verläuft deren Umsetzung in der EU schleppender. Sicherlich ist es für den Bundesstaat der USA leichter möglich, als in der EU als einem Staatenbund. Die EU hat es sehr viel schwerer mit ihren diffizilen Entscheidungsprozessen, sehr unterschiedlichen Mitgliedern, Verhältnissen und Mentalitäten, der politischen Zwiespältigkeit zwischen nationalen und europäischen Politiken und Verhaltensweisen der Politiker, Vertretern von Interessensverbänden, der Gesellschaft, der teilweise schweren Verkrustungen und Kompetenzschwächen bei Parteiapparaten, steigende Reputationsverluste der EU bei den Bürgern usw. Die höhere Pragmatik liegt vermutlich in den USA auch in einer aufgeschlosseneren und höheren Veränderungsbereitschaft. Diese sachlichen, qualitativen und



1.4 Résumé175

zeitlichen Schwächen innerhalb der EU und damit erheblichen Leistungsund Legitimationslücken der EU-Akzeptanz bei den EU-Bürgern, eröffnen sich lohnende und essentielle Aktivitätsfelder der Zivilgesellschaft, sei es regional, national oder europaweit. Wie auch immer, der Reformprozess zur Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist substantiell in Gang gekommen und eröffnet summa summarum Aussichten auf sinnvolle und erfolgversprechende Anpassungen. Allen drei Weltwirtschaftskrisen lagen bisher jeweils Ideen, Konzepte, Verhaltensweisen, wirtschaftliche Verhältnisse usw. zu Grunde, welche den Verlauf der Krisen und deren Folgen wesentlich bestimmten und charakterisierten. Einiges davon findet sich bei allen Krisen gleichermaßen – natürlich mit spezifischen Varianten –, wie: Ausgangspunkt der Krisen waren stets die USA. – Am Beginn der Krisen standen immer massive Probleme der Bank- und Finanzsysteme. – Negatio­ nen von einfachsten Sicherheitsregeln im Kreditgeschäft durch die Banken. – Vor Ausbruch der Krisen erfolgten an verschiedensten Märkten stark ausgeprägte Spekulationen, verbunden mit eklatanten fieberhaften Emotionen, Gier, Täuschungen, „Blasen“ unterschiedlichster Art, Hoffnungen, übersteigertem Konsum und Investitionen, Irrtümern, Geschäften auf Pump, Paniken und wirtschaftlichen Zusammenbrüchen, Kursstürze usw. – Enormer Anstieg der Verschuldung der Bürger, Unternehmen, Banken und der Öffentlichen Hand vor Ausbruch der Krise. – Während und in der Folge aller Krisen gab es Abstürze und ein Zerfall von Absatz- und Beschaffungsmärkten, spektakuläre Bankenzusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, Vermögensverluste in existenzvernichtenden Ausmaßen, soziale Härten schlimmster Art und gravierende Armutsprobleme, zerstörte Hoffnungen und ruinierte Familien. – Gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen wurden zerrüttet bzw. erwiesen sich als überholt. – Politik und öffentliche Einrichtungen waren während der Krisenverläufe teilweise oder weitgehend überfordert, ähnlich auch bei der nachfolgenden Krisenbewältigung. Beispielsweise erfolgten – unterschiedlich ausgeprägt – kontraproduktive wirtschafts- und finanzpolitische Dispositionen und Maßnahmen. – Die Krisenverläufe waren stets verbunden mit Kriminalität in erheblichem Umfang. – Zahler und Geschädigte der Weltwirtschaftskrisen waren letztendlich die Masse der Bürger und Familien, die keine Verursacher der Krise waren, sondern stets ihre Opfer. Trotz aller sachlichen Unterschiede während einer Zeitspanne von etwa 160 Jahren weisen die drei Weltwirtschaftskrisen einige besondere und erstaunliche Gemeinsamkeiten auf, sei es bei ihren Entstehungen, den Verläufen und Krisenbewältigungen und während der jeweils unterschiedlichen Wirtschaftsepochen, in denen die Krisen verliefen. Die vorherrschenden

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Gemeinsamkeiten werden besonders dann sehr deutlich, wenn einmal ein Blick auf die stets dramatischen und verhängnisvollen Ereignisse und überwiegend untauglichen Vorgehensweisen der Bewältigung der Krisen geworfen wird. Sie wurden mit Stichworten fokussiert dargestellt oder fanden ihre ausführlichere Beschreibung in vorangegangenen und detaillierteren Schilderungen und Interpretationen. Letztere Ausführungen erfolgten besonders aus zwei prinzipiellen Fragen: Einmal, welche Vorstellungen und Haltungen haben die jeweiligen Akteure mehr oder weniger in ihren Intentionen und Handlungen unter den jeweils gegebenen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen bestimmt? – Zweitens, lassen sich daraus prospektive Schlüsse für zielführende und verantwortbare Ideen ableiten, ebenso für Konzepte und Gestaltungen für die Funktionen der Führung und Motivation bzw. weiter gefasst, für eine jeweils zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit? Bei der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bestanden durch deren unmittelbare Aktualität und fundierte Dokumentationen gute Chancen in Theorie und empirischer Forschung den vorgenannten zwei Fragenkreisen näher zu kommen, um Antworten und Ansätze zu gewinnen, um zukünftig daraus nach Möglichkeit bessere Ansätze für Bewältigungschancen zu erreichen. Dabei war es naheliegend einen Brückenschlag über alle drei Weltwirtschaftskrisen zu vollziehen, um langfristige konzeptionelle Befunde und Lösungslinien aufzuspüren. Die Idee dabei ist einfach und plausibel. Die Gestalter und Akteure aller drei Wirtschaftskrisen folgten Ideen, Vorstellungen, Motiven usw., die ihre Vorstellungen, Konzeptionen und ihr Handeln bestimmten, und zwar nach den aus ihrer Sicht gegebenen und erwarteten Verhältnissen. Hierfür trugen sie persönlich für ihr Tun auch die Verantwortung. Natürlich erfolgten dabei hochkomplexe, oft schwer oder nicht durchschaubare und daher sehr riskante, also nur bedingt steuerbare Prozesse. Die Akteure konnten daher nur sehr eingeschränkt „rational“ handeln und hatten folglich das Problem, wie sie mit der verbleibenden und erheblichen Irrationalität umgehen. Ob ihnen diese Situation und die Folgen von daraus drohenden „chaotischen Folgen“ immer bewusst waren, sei dahingestellt. Der Ausweg bei solchen gefährlichen und riskanten Verhältnissen kann mit Aussicht auf Erfolg darin liegen, dass durch ein wertorientiertes Verhalten und Handeln zwar nicht „irrationale Risiken“ beseitigt werden können, aber „sinnvolle Analysen, Entscheidungen und Handeln“ ermöglicht werden. Die eigent­liche Antwort darauf, was „sinnvoll“ sein kann, findet sich in der Moral bzw. Ethik, also in Paradigmen. Immanuel Kant, der Philosoph der Aufklärung, legte hierfür bis heute die essentiellen Grundlagen (Pflichtenethik). Angewandte Paradigmen gelten gleichermaßen für die Makro- und Mikroökonomie, u. a. da sie miteinander in engen Wechselwirkungen stehen



1.4 Résumé177

bzw. sich beeinflussen, worauf an anderer Stelle der vorliegenden Arbeit hingewiesen wurde. Das gilt besonders auch für die Aufgaben der Führung und Motivation, die zentrale Teile einer prospektiven Personal- und Führungsarbeit bilden. Die Analysen der drei Weltwirtschaftskrisen legen den Schluss nahe, dass die Krisen und ihre Folgen in weitem Maße der Amoralität der verantwortlichen Akteure zuzurechnen sind. Daraus resultiert mit Blick auf die aktuelle 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 auch die Forderung nach einem Paradigmenwechsel, der zukünftig sinnvolleres Handeln ermöglichen soll. Es wurde gezeigt, wie wesentlich die seit Mitte der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts immer stärker werdenden neoliberalen Vorstellungen und ihre Umsetzung die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2070 mitverursachten. Wären die Verantwortlichen dieser Krise den Vorstellungen der Ökosozialen Marktwirtschaft oder ähnlichen Konzeptionen treu geblieben, hätte die Krise mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ihr enormes Ausmaß und ihre furchtbaren Folgen angenommen! Durch die traditionell engen gesellschaftlichen, politischen und vor allem wirtschaftlichen Verflechtungen der europäischen Wirtschaften mit der USWirtschaft kann keine sichere Aussage getroffen werden, ob es den Europäern möglich gewesen wäre, dem Sog der in den USA beginnenden 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zu widerstehen. Zur Gänze ist das kaum vorstellbar, aber das Ausmaß und die Konsequenzen der Krise hätte sicher weitaus geringer sein können. Vor allem dann, wenn die Wurzel des Übels – das dominant gewordene neoliberale Ideengut und seine immanenten Gefahren – wesentlich früher in breiterem Umfang wahrgenommen und die Konzep­tion der Ökosozialen Marktwirtschaft und ihre außerordentlich erfolgreiche Umsetzung engagiert dem Neoliberalismus entgegengesetzt worden wäre. Mit diesem Punkt, der ab Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts immer stärker erkennbar wurde, begann das europäische und erschütternde Drama – nämlich trotz vorhandener Warnungen und Indizien nicht zu reagieren – für das die EU, ihre Länder und Bürger sehr bitter, teuer und lange büßen müssen.

2. Führungs- und Unternehmungsleitbild Abbildung 2.1: Führungsleitbild

(Schwan, K.: Glossar, Internet: Führungsleitbild)



2. Führungs- und Unternehmungsleitbild179

Führungsleitbilder, wie das oben abgebildete, ihre konzentrierte Darstellungen und Begriffe sind Schemata, die eine erste formale und begriffliche Übersicht zu einem Führungsleitbild bieten können. In der Fachliteratur finden sie sich in verschiedenen Varianten (s. a.: Internet: Führungsleitbild, Pos. 2.). Sie bilden jedoch kaum die Vielfalt der realen Wirklichkeit ab und reflektieren daher auch nicht annähernd die Komplexität zu einem bestimmten Moment oder einer Periode, die für ein Führungsleitbild eines Unternehmens oder anderen Einrichtung bei dessen realer Gestaltung zu berücksichtigen sind und sichtbar werden. Das Schema gibt auch keine Vorstellung davon, wie der Prozess der Erstellung eines Führungsleitbildes verläuft, der regelmäßig diffizil ist, da sehr verschiedene Vorgänge, Zusammenhänge, entsprechende Wechselwirkungen, Abläufe und Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Qualitätsvolle Führungsleitbilder sind das Ergebnis breit angelegter sowie aufwendiger, kreativer, innovativer, kooperativer und kommunikativer Prozesse. Die Dynamiken so komplexer Entwicklungen in ihrer Gesamtheit entziehen sich tatsächlich in weitem Maße einer rationalen Erfassung, da sie beispielsweise stark zukunftsorientiert sind und daher auch mit offenen zukünftigen Annahmen, Einschätzungen und Bewertungen erfolgen. Führungsleitbilder und darin zum Ausdruck gelangende Paradigmen können entscheidende Eckpunkte und Orientierungshilfen für eine zeitgemäße Personal und Führungsarbeit darstellen. Natürlich und trivial: Das Führungsleitbild erfüllt seine Funktion nur, wenn es tatsächlich genutzt wird und nicht nur als Pflichtübung zwar geschaffen, aber keine die Praxis prägende Hilfe ist, sondern eher nur ein „übliches“ und abgelegtes Instrument darstellt. Man hat es, aber setzt es nicht engagiert ein und darin liegt das eigentliche Problem, und zwar besonders der Führungsverantwortlichen, die ihrem Trott folgen und so handeln als wäre alles „o.k.“ und Veränderungen lediglich lästig, aber nicht nötig halten. Führungslethargie wird mit Führung verwechselt statt als ihr Gegenteil erkannt und dadurch Mitarbeiter weit unter ihrem Wert geschlagen und ihre Bedürfnisse nach Entfaltung und Entwicklung sträflich vernachlässigt. Betriebliche und führungsmäßige Schäden entstehen und humane und ökonomische Potentiale werden verantwortungslos verludert. Für mündige und meist besonders wertvolle Mitarbeiter wird dadurch häufig ein Arbeitgeberwechsel induziert. Spätestens dann wird die enorme Dimension des Schadens erkannt, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Korrektur meist nicht mehr möglich ist. Da nicht nur allgemein der Grad der Komplexitäten in Gesellschaft und Wirtschaft steigt, sondern auch die Entwicklungsgeschwindigkeiten solcher Prozesse, entzieht sich die Komplexität zunehmend einer sicheren rationalen Analyse und das Ausmaß der Irrationalität nimmt zu. Trotz dieses Faktums wird natürlich die Sinnhaftigkeit eines Führungsleitbildes nicht geringer.

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2. Führungs- und Unternehmungsleitbild

Ganz im Gegenteil, es sollte an Substanz und Bedeutung gewinnen. Die Begriffe „rational“, „irrational“ und „sinnvoll“ sind dabei unter ontologischem Aspekten nicht verbunden, sondern selbständige Kategorien. Als solche können sie Teil einer Einheit sein und daher unter systemischer bzw. ganzheitlicher Sicht interpretiert und genutzt werden, wobei ganzheitliche Betrachtungsweisen enorm an Bedeutung gewonnen haben. Letztendlich waren der Grund dafür nicht überraschend steigende Komplexitätsgrade und die Notwendigkeit, Einheiten in der Vielfalt, in ihren Verbindungen und Strukturen zu erkennen (s. a. Internet: Ontologie; Tractatus logico-philosophicus). Bei prognostischen Elementen eines Führungsleitbildes sind dynamische Komplexitäten im Zeitverlauf zu berücksichtigen, wobei rasch Gren­ zen der Vorhersage erreicht werden. Die rationalen Unsicherheiten steigen damit an bzw. den Einschätzungen und vorgenommenen Entwicklungsannahmen fehlen zunehmend die rechenbaren oder rationalen Grundlagen. Komplexe Entscheidungssituationen führen daher zu steigenden Entscheidungsrisiken. Daher wird es zwangsläufig immer wichtiger, durch irrationale Elemente fehlende rationale Entscheidungsgrundlagen zu ergänzen, um so Entscheidungslücken näherungsweise zu überbrücken. Hierfür gibt es gut geeignete Lösungsansätze, die wirksam den Grad der Wahrscheinlichkeit richtiger Entscheidungen erhöhen können, d. h. angestrebte Ziele trotz ihrer irrationalen Gestaltungsfaktoren und den damit verbundenen Unsicherheiten annähernd optimal erreicht werden können. Knut Bleicher hat auf diese Situationen und die daraus folgenden Führungs- und Organisationsprobleme in der Praxis seit langem hingewiesen und festgestellt, dass die Bewältigung der Komplexität zum zentralen Kern der Unternehmensführung wird. Heute befinden sich zahlreiche Unternehmen bereits in dieser Phase (Bleicher, K.: 1991, S. 734–737; Luhmann, N.: 1973, Sp. 1064–1070, Komplexität; Willke, H.: 2006 S. 68–116; Schwan, K.: 2003, S. 270–310). Komplexitäten sind keine Konstrukte, sondern reale Fakten. Um ihre Probleme zu bewerkstelligen, glaubt man häufig und irrtümlich, über Verfahren sogenannter Komplexitätsreduktion sie lösen zu können. Je stärker das erfolgt, umso weniger entspricht jedoch zwangsläufig die „vereinfachte“ Komplexität der Realität bzw. umso mehr entfernt man sich durch eine Verkürzung der Realität von der Bewältigung tatsächlich gegebener Komplexitätsanforderungen. Das ist naiv, risikosteigernd und somit ein fragwürdiger Lösungsansatz für den Umgang mit Komplexität und deren Bewältigung. Führungsleitbilder, Schemata und Modelle verfolgen den Zweck, komplexe Dinge, wie beispielsweise Führung und Motivation, vereinfacht darzustellen. Didaktisch und vordergründig mag das auch zweckmäßig und in Grundzügen verständlich sein. Substantiell erweist es sich allerdings als problematisch. Mit der Vereinfachung entfernt man sich zwangsläufig vom Faktum der Realität der Komplexität zugunsten einer zweifelhaften Metho-



2. Führungs- und Unternehmungsleitbild181

dik bei den Vorgehensweisen. Denn durch die Vereinfachung bzw. Verkürzung wird die Realität möglicherweise so verzerrt und verfälscht, dass daraus Gefahren und Risiken aus Fehleinschätzungen resultieren, die beispielsweise für die Qualität von Problemlösungen bei Funktionen der Führung und Motivation nachteilig sind. Die allgemeine Problematik des Umganges mit Komplexität zeigt sich zwangsläufig daher auch bei konkretisierten Fakten, entsprechenden Lösungen und methodischen Ansätzen. Stark wahrgenommene Komplexität schafft häufig zunächst Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung und Bewertung schwer durchschaubarer Sachverhalte sowie möglicher Entwicklungen. Wenn Komplexitätsreduktion als Lösungsansatz teilweise oder ganz ausscheiden und Lösungen allein rational nicht möglich sind, daher ungenügend und zu unsicher werden, besteht die Chance – wie schon mehrfach angedeutet – über irrationale Methoden und Vorgehensweisen dennoch zu ausreichenden und sinnvollen Lösungen zu gelangen. Das setzt allerdings die Einsicht voraus, dass so etwas möglich ist, also irrationale Wege für die Lösung von komplexen Aufgabenstellungen erfolgreich beschreiten zu können. Das ist häufiger der Fall als man vielleicht als der Rationalität und ihrer Logik zugetaner Entscheidungssucher und Problemlöser glaubt. Jeder von uns trifft ständig Entscheidungen bei komplexen Aufgabenstellungen, ohne rationale Methoden einzusetzen. Er vertraut seinem Können und der Erfahrung, handelt impulsiv usw. Allgemein oder spezifisch formulierte Paradigmen sind dabei wertvolle Orientierungshilfen. Eine Fixierung darauf, allein auf die Rationalität bei der Lösung komplexer Aufgaben zu vertrauen, erweist sich eher als Mangel der Unterschätzung der Grenzen der Rationalität und einer Negation der Irrationalität als Faktum. Bei komplexen Entscheidungen gerät man damit rasch an rationale Grenzen. Daher ist es erforderlich mit Hilfe irrationaler Methoden sinnvolle Lösungs- und Entscheidungsergänzungen für solche Aufgaben zu finden. Paradigmen können unter anderem dabei wesentlich dazu beitragen, um sinnvolle und risikoärmere Lösungen zu finden. Paradigmen enthalten oft irrationale Inhalte, die jedoch sinnvolle Inhalte und Orientierungen ausdrücken und damit geordnete Irrationalität wiedergeben. Ungeordnete Irrationalität – beispielsweise ohne sinnvolle Orientierung – beinhaltet potenzielle chaotische Gefahren. Das gilt auch für die Theorie, Empirie und Praxis der Führung und Motivation. Inhalte, Schemata und Modelle erfordern eine ergänzende Bereicherung durch offenes und der Komplexität gerecht werdendes Denken, Fühlen, Konzipieren, Entscheiden und Handeln. Ähnlich verhält es sich in den Bereichen Ausbildung, Forschung und Lehre, der Weiterbildung usw., wo es u. a. um eine wertorientierte Förderung und Prägung der anvertrauten Menschen geht. Fachliche Kompetenz bedarf menschlicher Qualitäten, beides bedingt sich gegenseitig.

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2. Führungs- und Unternehmungsleitbild

Einige ergänzende Überlegungen zur Handhabung der Komplexität und Komplexitätstheorie, nämlich von Komplexität, Vereinfachung und Intervention (Schwan, K.: Glossar, 2013, Internet): Der Ökonom Peter Ulrich bezeichnet die Komplexität einer Situation mit der Vielfalt der einwirkenden Faktoren und dem Ausmaß ihrer gegenseitigen Interdependenzen und charakterisiert diese als Merkmal schlecht strukturierbarer Entscheidungssituationen. Komplexität ist eine mögliche Form eines Gegenteils von Einfachheit, Determinierbarkeit und der Überschaubarkeit (Ulrich, P., Fluri, E: Management, 1992; Internet: Komplexität). Üblicherweise wird Komplexität mit Hilfe der Begriffe Element und Relation beschrieben. Mindestens drei Dimensionen müssen bestimmt werden, um das Ausmaß der Komplexität eines Systems festzulegen, nämlich (1) die Zahl der Elemente, (2) die Zahl der im System möglichen Beziehungen zwischen den Elementen und (3) die Verschiedenartigkeit dieser Beziehungen, durch die dann in komplexen Bestimmungsprozessen zugleich die Elemente „qualifiziert“ werden. Anspruchsvollere Begriffsfassungen beziehen zusätzlich die Zeitdimension als 4. Dimension mit ein. Im Komplexitäts-Management lässt sich Komplexität entgegen landläufiger Meinung nicht reduzieren, sondern bestenfalls verlagern zu Partnern am Markt, auf Mitarbeitergruppen oder auf Kunden usw. und solche Verlagerungen sind verstärkt kontextuell mit Management-, Führungs- und Motivationsfragen zu verknüpfen (s. a.: Schwan, K.: 2003, S. 270–279). •• Auf den ersten Blick scheint Komplexität die Unternehmenssteuerung zu erschweren. In der Literatur werden hauptsächlich zwei Wege zur Bewältigung favorisiert: Reduktion der Komplexität (d. h. abspecken, entflechten, auf Höchstleistung trimmen, beschleunigen, Puffer abbauen usw.) oder das Gegenteil, die Komplexität im Unternehmen erhöhen (Vielfalt fördern, Selbstorganisation stimulieren, Hierarchien durch Netzwerke ersetzen, Routinen abbauen usw.). Beide Lösungsansätze bergen jedoch durch ihre Einseitigkeit Gefahren. •• Komplexitätsreduzierende Maßnahmen können sich längerfristig genau ins Gegenteil verkehren: Das ist immer dann der Fall, wenn durch „Schnittstellen“ und deren Manipulation Interaktionen induziert werden, die sich explosionsartig durch die ganze Organisation ausbreiten können. So können z. B. Redundanzen so gründlich wegrationalisiert werden, dass im Störfall keinerlei Flexibilität mehr gegeben ist (z. B. Just-in-Time, Abbau von Personalreserven, Auslastungssteigerung). •• Auch das Setzen auf Selbstorganisation kann nicht immer die gewünschten Ergebnisse bringen. Man benötigt z. B. ein Regelwerk, damit aus der Fülle von Reaktionsmöglichkeiten die unerwünschten Reaktionen ausgeschlossen werden können.



2. Führungs- und Unternehmungsleitbild183

•• Divergierende Managementphilosophien in einem Unternehmen führen bestenfalls zu Lähmungserscheinungen, weil viel Energie darauf verschwendet wird, die jeweils vermeintlich bessere Philosophie zu verteidigen. Es bedarf ganz klar der Fokussierung und Ausrichtung der Managementtechniken an Leitbildern und Visionen, wie Paradigmen. •• Die in den letzten Jahren in vielen Unternehmen durchgeführten Strukturreformen und Organisationsentwicklungskonzepte haben oft zu einem Zustand des vermeintlichen „anything goes“ geführt, mit dem Ergebnis, dass gelegentlich klare Zielvorgaben fast zur Gänze verschwunden sind. Als Reaktion auf diese Tendenzen ist Management teilweise neu zu definieren, als ein Weg, der u. a. das Umfeld (Nutzenstiftung) ebenso im Auge behält wie die Gestaltung der Organisation im weitesten Sinn. •• Management muss sich wieder auf die zentralen Werte des Unternehmens besinnen. Dafür ist es auch notwendig, dass weitgehend auf die Übernahme von „modernen“, meist kurzlebigen und vermeintliche Allheiltechniken verzichtet wird (z. B. Lean, TQM, ISO 9000). Die Führungskräfte müssen sich aus ihrer abstrakten Begriffswelt lösen und sich wieder den realitätsnahen Aufgaben stellen. •• Dafür müssen die Führungsmethoden und Instrumente wesentlich verfeinert und bewusster eingesetzt werden: Weniger Dirigismus, Gängelei, kein Eingreifen in Detailfragen und Monopolisierung der Führungsfunktionen, Schaffung von breiterer und stärkerer Beteiligung von Mitarbeitern und Partnern (wie z. B. Kunden) bei Führungs- und Entscheidungssituationen, als Führungskraft vor Ort stärker präsent zu sein, authentisch bleiben, Stellung beziehen und sich nicht isolieren, gleichzeitig aber darauf achten, dass vereinbarten Standards eingehalten werden usw. Das und einiges Andere wären das Gebot der Stunde. Der bedeutende schweizerische Wirtschaftswissenschaftler Hans Ulrich (1919–1997) von der Hochschule St. Gallen, hat zum Thema Unternehmungsleitbild und dessen Einsatzes die bis heute aktuellen Grundlagen gelegt und damit einen konkreten Weg für die Praxis der Unternehmenspolitik gewiesen, der sich auch mit dem geforderten Paradigmenwechsel der vorliegenden Arbeit sehr gut verbinden lässt. Das Unternehmungsleitbild schließt das Führungsleitbild dabei als Teilbereich ein. Seine 1978 publizierte und eine bis heute maßgebliche, praxisorientierte und von Wertvorstellungen geleitete Beschreibung des Unternehmungsleitbildes war wegweisend und ist auch im Kontext mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 als bedeutender und nach wie vor prospektiver Ansatz zu bewerten: „Das Unternehmungsleitbild stellt als zusammengefasste Charakterisierung der zukünftigen Unternehmung den allgemeinsten Teil der Unternehmungspolitik dar. Es geht hier also darum, lediglich die wesentlichsten Merkmale herauszuarbeiten,

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2. Führungs- und Unternehmungsleitbild

die unser Unternehmen zukünftig auszeichnen sollen. Angestrebt wird eine Zukunftsvorstellung, die man als „realistisches Idealbild“ bezeichnen kann: Es wird in der Regel vom gegenwärtigen Unternehmungszustand abweichen und Ziele enthalten, die wir erst anstreben, aber es soll nach menschlichem Ermessen realisierbar sein. […] Zur Entwicklung eines solchen Leitbildes ist die Unternehmung als Ganzheit zu betrachten und zu versuchen, sie auf das Wesentlichste zu konzentrieren. Aus unserer Grundvorstellung der Unternehmung als gesellschaftsbezogenes System ergibt sich, dass es zweckmässig ist, die Unternehmung gewissermaßen von aussen zu betrachten und sie in erster Linie in ihren Funktionen in der Umwelt zu charakterisieren. Die Hauptfunktion der Unternehmung als produktives System bestehen zweifellos darin, durch das Erstellen und Verteilen von materiellen Gütern und Dienstleistungen zur Bedürfnisbefriedigung Dritter beizutragen. […] Im Unternehmungsleitbild sollen also zunächst die Bedürfnisse charakterisiert werden. […] Aufgrund einer solchen Festlegung der zu deckenden Bedürfnisse können wir unsere Marktleistungen in wirtschaftlicher Sicht vom Stand der Bezüger charakterisieren. […] Die Marktstellung wird auf dieser Ebene nicht in Form einer absoluten Unternehmungsgrösse (Umsatz, Anzahl Beschäftigte) anzugeben sein, sondern als angestrebter Marktanteil [und ferner] um eine allgemeinere Festlegung der geographischen Reichweite des Unternehmens […] Zum Unternehmungsleitbild in gesamtwirtschaftlicher Sicht gehören auch […] Aussagen über die Verhaltensweisen des Unternehmens auf den Märkten, also um die Festlegung von Grundsätzen darüber, wie wir gegenüber Kunden, Konkurrenten und Lieferanten auftreten wollen. […] Zu den Leistungen, welch eine Unternehmung in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nach aussen abgibt, gehört jedoch auch der ausgeschüttete finanzielle Überschuss oder Gewinn. […] Erweitern wir unseren Blick jedoch über die Wirtschaft hinaus auf weitere Umweltsphären, so stellt sich die Frage nach weiteren Funktionen in der modernen Gesellschaft […] soziale Umweltebene […] Verhältnis des eigenen Unternehmens zum Staat […] Einhaltung geltender Rechtsnormen […] Weitergehende Fragen zielen auf die Einstellung zu bestimmten ordnungspolitischen Konzepten [und] ob sich das Unternehmen als apolitisches Wirtschaftsgebilde oder als Bestandteil und aktives Subjekt auch der staatlichen Ordnung versteht. […] Die Betrachtung der Unternehmung in der Ökosphäre erlaubt es uns nicht nur, erforderliche Umweltschutz-Investitionen und -Massnahmen frühzeitig zu erkennen, sondern auch, eine grundsätzliche Haltung zu den Bemühungen um Vermeidung weiterer Schädigungen der natürlichen Umwelt zu entwickeln. […] Wenden wir uns nun mehr den inneren Vorgängen im Unternehmen zu, so stellt sich die Frage, ob wir in unser Leitbild Grundsätze für deren Gestaltung aufnehmen wollen. Auch hier dürfte es angebracht sein, von der wirtschaftlichen Gestaltungsebene auszugehen und das Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitsprinzip als allgemeine Handlungsmaxime zu verankern. Von besonderer Bedeutung ist aber vor allem die Entwicklung von Leitideen der sozialen Gestaltungsebene, geht es doch hier um zahlreiche offenen Fragen der Einstellung zu den Anliegen der Mitarbeiter und der Mitarbeiterführung. Je nach Art der Unternehmung kann es auch sinnvoll sein, eine Zielvorstellung auf technologischer Ebene in das Unternehmungsleitbild aufzunehmen“ (Ulrich, H.: 1978, S. 91–94).

Die an den Anfang des Kapitels gestellte Graphik zum Führungsleitbild zeigt – wie erwähnt – lediglich ein mögliches formales Schema zum Ein-



2. Führungs- und Unternehmungsleitbild185

stieg in das Thema Führungsleitbild als erste Orientierung, wie es zur Illustration verwendet werden kann. Der Text zum Unternehmungsleitbild von Hans Ulrich geht substantiell darüber weit hinaus und ist nach seiner Publikation im Jahre 1978 – also nach rund 35 Jahren – höchst zeitgemäß und vermittelt daher mit hoher Aktualität der Inhalte, einmal wo Paradigmen und deren Wechsel essentiell angesetzt werden können. Zweitens vermitteln die auszugsweise zitierten Texte den hohen und ganzheitlich orientierten Stand in Forschung, Lehre und Praxis zu den Themenbereichen Unternehmenspolitik, Unternehmensführung und einer hochentwickelten Personalund Führungsarbeit in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, und zwar mit einer bemerkenswerten Verknüpfung der mikro- und makroökonomischen Bereiche der Wirtschaft und ihrem als selbstverständlich bewerteten Brückenschlag zur Gesellschaft. Die Unterschiede zwischen Führungs- und Unternehmungsleitbild zeigen die Texte von Hans Ulrich einfach und klar: Das Führungsleitbild ist bzw. kann ein Teil des umfassenderen Unternehmungsleitbildes sein. Vergleicht man mit Hilfe der Texte von Hans Ulrich die wiedergegebenen Verhältnisse einer hochstehenden Funktionenorientierung und ein zum Ausdruck kommendes Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Wirtschaft, den Menschen innerhalb und außerhalb der Unternehmen sowie allgemein und gegenüber der Gesellschaft im Jahr 1978, ermisst man, was seither in der Realität von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft an Werten mit vergleichbarer Bedeutung durch spätere Entwicklungen, Fehlverhalten und folgenschwere Umsetzungen bis heute verloren ging. Dem stehen die geradezu naiven, egozentrischen und verantwortungslosen Vorstellungen des um sich greifenden Neoliberalismus in den USA und in Europa gegenüber, der ab den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts enorm an Boden gewann und letztlich entscheidend zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und all ihren grauenhaften Folgen beitrug. Deren Bewältigung wird noch viele Jahre an Mühen und Mitteln beanspruchen, um zumindest konjunkturell eine gewisse Normalität der Gesellschaft und Wirtschaft zu erreichen. Das Heilen des entstandenen menschlichen Leides durch die Krise und die damit verbundenen Rückzahlungen unvorstellbarer Krisenschulden bzw. die Sanierung und Konsolidierung der Wirtschaft, werden wesentlich länger dauern. Hans Ulrich fügte dem obigen Text eine darauf basierende Fragenliste zum Unternehmungsleitbild an, die nachfolgend als Arbeitsmittel wiedergegeben wird, das bei der Ausarbeitung eines Unternehmungsleitbildes oder Führungsleitbildes hilfreich sein kann (Ulrich, H.: 1978, S. 94): Ein jüngeres Beispiel (2013) für ein Arbeitsmittel zur Erstellung eines Unternehmungsleitbildes findet sich bei dem Hochschullehrer, Ökonomen und Berater Karl Schaufelbühl (1951) aus der Schweiz. Bei der Frageliste

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2. Führungs- und Unternehmungsleitbild Abbildung 2.2 Frageliste zum Unternehmensleitbild 1.

Welche Bedürfnisse wollen wir mit unseren Marktleistungen (Produkten, Dienstleistungen) befrieden?

2. Welchen grundlegenden Anforderungen sollen unsere Marktleistungen ent­sprechen? 3.

Welche geografische Reichweite soll unser Unternehmen haben? (lokaler, nationaler, internationaler Charakter)

4.

Welche Marktstellung wollen wir erreichen?

5.

Welche Grundsätze sollen unser Verhalten gegenüber unseren Marktpartnern (Kunden, Lieferanten, Konkurrenten) bestimmen?

6.

Welches sind unsere grundsätzlichen Zielvorstellungen bezüglich Gewinnerzielung und Gewinnverwendung?

7.

Welches ist unsere grundsätzliche Haltung gegenüber dem Staat?

8.

Wie sind wir eingestellt gegenüber wesentlichen gesellschaftlichen Anliegen? (Umweltschutz, Gesundheitspflege, Armutsbekämpfung, Entwicklungshilfe, Kunstförderung, usw.)

9.

Welches ist unser wirtschaftliches Handlungsprinzip?

10. Wie stellen wir uns grundsätzlich zu Anliegen der Mitarbeiter? (Entlöhnung, persönliche Entwicklung, soziale Sicherung, Mitbestimmung, finanzielle Mitbeteiligung, usw.) 11. Welches sind die wesentlichen Grundsätze der Mitarbeiterführung, die in unserem Unternehmen gelten sollen? 12. Welches ist unsere technologische Leitvorstellung? (Ulrich, H.: 1978, S. 94)

von Hans Ulrich und der Ausarbeitung von Karl Schaufelbühl ergeben sich problemlos die Einfügungsvarianten von Paradigmen. Deren intentionale Erarbeitung, Formulierung, ihre Verankerung in den Köpfen und Herzen der Handelnden und Verantwortlichen und auch deren Anpassung im Sinne eines Paradigmenwechsels ist die ungleich schwierigere Aufgabe: Bei Führungs- und Unternehmungsleitbildern gibt es relevante Paradigmen, die vornehmlich der Mikroökonomie zugerechnet werden können, also



2. Führungs- und Unternehmungsleitbild187 Abbildung 2.3: Checkliste zum Unternehmungsleitbild 1. Welche Kundenbedürfnisse befriedigen wir mit unseren Marktleistungen? 2. Welches sind die grundlegenden Anforderungen, denen unsere Marktleistungen zu genügen haben? 3. Auf welchen Absatzmärkten, in welchen Branchen sind wir tätig? 4. Welches sind die Kernkompetenzen, die für unseren unternehmerischen Erfolg ausschlaggebend sind? 5. Welches soll unsere Marktstellung sein? 6. Welches ist unsere grundsätzliches Verhalten gegenüber Marktpartnern – Kundinnen und Kunden, Absatzmittlern und Konkurrenten? 7. Welches sind die Beschaffungsmärkte, auf denen wir grundsätzlich unsere Wertschöpfungsfaktoren beschaffen? 8. Welches ist unsere grundsätzliche Haltung gegenüber Lieferanten? 9. Welches ist unsere Zielvorstellung betreffend Gewinnerzielung und Gewinnverwendung? 10. Welches ist unsere prinzipielle Haltung zu Anliegen der Kapitalgeber? 11. Welches ist unsere grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Staat? 12. Welchem wirtschaftlichen Handlungsprinzip folgen wir prinzipiell? 13. Welches ist unsere grundsätzliche Haltung gegenüber Risiken? 14. Welches sind die ethischen und ökologischen Normen, die unser Handeln bestimmen? 15. Welches ist unsere grundsätzliche Einstellung zu gesellschaftlichen Anliegen? 16. Welches ist unsere Haltung zu Anliegen der Mitarbeitenden? 17. Welchen Führungsstil pflegen wir grundsätzlich in der gesamten Unternehmung? 18. Welche Grundsätze gelten bei der Ausgestaltung unserer Organisationsstrukturen? 19. Welche grundsätzlichen Vorstellungen haben wir hinsichtlich Marktleistungs- und Prozesstechnologien? 20. Welches sind die Grundsätze, die unseren Umgang mit Innovationen und unser Innovationsmanagement prägen? 21. Welche Leitlinien bestimmen die Ausgestaltung unserer Infrastruktur, unserer Immobilien und Mobilien? 22. Welchen Stellenwert messen wir der Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologie zu? 23. Welche Grundsätze prägen unser System der Unternehmensaufsicht?

(Hugentobler, W., Schaufelbühl, K. (Hrsg.), 2013; Internet: Checkliste zum Unternehmungsleitbild)

im Wesentlichen den herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Funktionen, wie Produkte und Leistungen, Märkte und Marketing, Finanzen, Forschung und Entwicklung, Produktion, Versorgung mit Rohstoffen, Standort und Steigerungspotential der Produktivität, Vertrieb usw. Dazu zählen auch die Bereiche Qualität der Führungskräfte und Führungssysteme (Hinterhuber, H. H.: 1977, S. 74). Die beiden vorgenannten Bereiche der Führung sind jedoch gleichzeitig im Hinblick auf Paradigmen relevant und essentiell, wie

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2. Führungs- und Unternehmungsleitbild

sie für den mikro- und makroökonomischen Bereich bestehen. Die Gründe hierfür liegen in ihrer hohen Relevanz für normative Aspekte von Paradigmen, mit deren Hilfe ethische bzw. moralische Orientierungen übergreifend für das Denken, Fühlen und Handeln und damit verbundene personalisierte Verantwortlichkeiten aufgezeigt werden. Grundsätzlich besteht über diese Punkte und Ideen seit langem Einverständnis und die Konzeption und Leitlinien der Ökosozialen Marktwirtschaft sind dafür wohl der beste und erfolgreichste Beweis. Trotzdem wurde die Ökosoziale Marktwirtschaft ab Mitte der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts in weitem Maße durch neoliberale Vorstellungen, Forderungen und Umsetzungen unterlaufen, ausgehöhlt und an den Rand des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Abgrundes gebracht. Daher ist die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 auch als moralisch Krise zu bewerten und einzustufen. Hinterhuber zählt die Umweltbedingungen und ihre Trends, die Unternehmensressourcen (Stärken, Schwächen) und die Kulturellen Maßstäbe sowie die Ideale der Unternehmensleitung auf, und zwar als Ausgangsbasis der Festlegung der strategischen Ziele der Unternehmensführung (Hinterhuber, H. H.: 1977, S. 39). Dadurch erfolgt für den Bereich der Unternehmensführung eine originäre und sinnstiftende Verknüpfung mit mikro- und makroökonomisch relevanten Paradigmen, die eine gemeinsame und die Bereiche, Funktionen und Verantwortungen übergreifende ethische Basis haben. Diese wurzelt in der Pflichtenethik und dem Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant, die an anderer Stelle der vorliegenden Arbeit vertiefend erläutert werden. In diesem Kontext hält Hans Hinterhuber fest: „Die Hauptressourcen einer jeden Unternehmung sind neben den spezifischen Fähigkeiten und finanziellen Ressourcen ihre technischen und unternehmerischen Führungskräfte; ihr Verhalten wird von dem beeinflußt, was sie persönlich zu tun wünschen und was sie selbst für wünschenswert halten. Die Wertvorstellungen, Ideale und Ziele der Führungskräfte beeinflussen somit das, was die Unternehmung tun kann; sie sind – explizit – wesentliche Determinanten der Ziele und Strategien der Unternehmung. […] sind die Führungskräfte vorwiegend ökonomisch orientiert, decken sich die Entscheidungen, die von der Maximierung des langfristigen Gewinnes unter Einhaltung zahlreicher Randbedingungen bestimmt sind, mit den Entscheidungen, die durch persönliche Wertvorstellungen diktiert sind. In der Regel aber bestimmen die persönlichen Werte und kulturellen Maßstäbe der Unternehmensleitung die strategische Profilierung der Unternehmung auf eine dreifache Weise: (1) durch die Art wie die Unternehmung ihre Arbeitsgebiete festlegt; (2) durch die Wahl der Ziele, Strategien und taktische Aktionen, mit denen die Unternehmung in den Wettbewerb eingreift, und (3) durch ihr Bild, das die Unternehmung der Öffentlichkeit zeigt. […] Jede Unternehmung hat eine bestimmte Verhaltensweise, die durch die Persönlichkeit, Initiative, Kreativität und Kultur der obersten Führungskräfte geprägt ist“ (Hinterhuber, H. H.: 1977, S. 56).

Demnach prägen und bestimmen die Gruppen der Führungskräfte und der oder die Unternehmensleiter die Grundauffassungen und Praktiken zur



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mikro- und makroökonomisch relevanten Ethik eines Unternehmens. Die Unternehmensleitung hat formal und mit unterschiedlicher Effizienz de facto das letzte Wort über die Inhalte und Umsetzungen der betrieblichen Paradigmen. In der Realität wird eine Unternehmensleitung allerdings kaum völlig konträr zu den Vorstellungen und Praktiken der Gruppen der Führungskräfte agieren können, es sei denn die Unternehmensleitung greift zum letzten Mittel, nämlich dem Austausch der Führungskräfte. Gewalttouren dieser Art sind erfahrungsgemäß für Unternehmungen meist existenzvernichtend und daher selten zielführend, um zu wirklich erfolgreichen Lösungen zu gelangen. Wird von diesen Realitäten ausgegangen, bestimmen Führungskräfte und Unternehmensleiter durch ihre Funktionen und die Positionierungen im Unternehmen, nach welchen Paradigmen bzw. funktionellen und ethischen Grundauffassungen in einem Unternehmen gedacht, gefühlt, konzipiert und entschieden sowie schließlich übergreifend bzw. ganzheitlich gehandelt wird. Bei einer zeitgemäßen und unternehmensspezifischen Unternehmensführung, sollten die Träger der vorgenannten Rollen, also Unternehmensleiter und Führungskräfte, solchen Aufgaben und Verantwortlichkeiten selbstbewusst, kompetent, sozial, engagiert und in redlicher Art und Weise gerecht werden. Bei bestehenden Konflikten zwischen persönlichen Vorstellungen und ökonomischen Notwendigkeiten rät Hans Hinterhuber zu folgenden Fragestellungen und Lösungsmöglichkeiten: „(1) Können neue strategische Alternativen entwickelt werden, die eine stärkere Annäherung zwischen ökonomischen Notwendigkeiten der Unternehmung und persönlichen Werten ermöglichen? (2) Welche Kosten ergeben sich für die Unternehmung aus der Verfolgung meta-ökonomischer Werte? Kann die Unternehmensleitung keine bessere Alternative ermitteln und übersteigen die Opportunitätskosten der meta-ökonomischen Aktionen, in den Perspektiven der Entscheidungszentren, den erwarteten Nutzen, richtet sich die Entscheidung ausschließlich nach ökonomischen Kriterien. Hier zeigt sich deutlich, daß der Ermessenspielraum der Unternehmensleitung nicht vollständig in Rationalität auflösbar ist“ (Hinterhuber, H. H.: 1977, S. 57). Der letztere Ansatz ist offensichtlich problematisch. Die Fragenstellungen sind zwar richtig, doch die nur vermeintlich konfliktlösende Antwort führt natürlich zu keiner befriedigenden Lösung: Die apodiktische Zuspitzung auf ausschließlich ökonomische Kriterien bedeutet, dass persönliche Wertvorstellungen, also auch ethische Werte, die sogar Teil unternehmenspolitischer Paradigmen sind, nach alleinigem Ermessen der Unternehmensleitung zu Gunsten ökonomischer Kriterien außer Kraft gesetzt werden können. Quasi nach dem Motto: Ökonomie schlägt Ethik und Moral. Denkt man diesen Ansatz zu Ende, verfügt demnach eine Unternehmensleitung über das formale Recht – das sie auch hat – amoralische Entscheidungen zu treffen und

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2. Führungs- und Unternehmungsleitbild

gemeinsam als verbindlich erklärte Paradigmen der Unternehmenspolitik und -führung zu ignorieren und glaubt womöglich, sich dabei der personalen Verantwortlichkeit entschlagen zu können. Gegen formales Recht wurde nicht verstoßen und folglich ist auch keine rechtliche Sanktion möglich. Was nicht verboten ist, scheint erlaubt zu sein. Gerade diese „doppelte Moral“ wurde in der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mit unsäglichen Folgen praktiziert und von den Neoliberalen de facto zur heilbringenden Philosophie erklärt. Gerade diese aktuellen und manipulativen Irrtümer sind nach ethischen Maßstäben einerseits nicht möglich und andererseits zumindest in zivilisierten Gesellschaften unerträglich, was leider – geahndet oder nicht geahndet – dennoch geschieht. Dieser reale Mangel kann natürlich nicht Grundlage für moralisch ungerechtfertigte Entscheidungen und Maßnahmen sein. Gerade das Gegenteil ist notwendig, das eigene Gewissen ist die oberste Instanz des Handelns und der Verantwortung. Ferner sollte gelten: Die Wirtschaft und damit die Unternehmen stehen im Dienste der Gesellschaft und nicht umgekehrt. Mit Führungskultur und überzeugender Führungspraxis ist es schwer vereinbar und auf Dauer nicht möglich, so zu verfahren, wie es Hinterhuber empfiehlt, nämlich „ausschließlich nach ökonomischen Kriterien“. Der Neoliberalismus, als wesentlicher Mitverursacher der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und deren grauenhafte Folgen, hat die Gesellschaft, ihre Vertreter und die Bürger auf eine sehr schlimme Art und Weise gelehrt, wie unkritisch vereinfachende, egozentrische und letztlich verantwortungslose neoliberale Ideen der Gesellschaft und ihren Menschen schaden. In der vorliegenden Arbeit wurde das umfangreich dokumentiert und interpretiert. Vor dem unvertretbaren Denkmuster, der Zweck heilige die Mittel – in der Ökonomie oder anderswo – müssen wir als Bürger in Deutschland und Österreich allein wegen unserer jüngeren Geschichte und dem mörderischen NS-Regime wirklich zurückschrecken, das nach diesem Motto und irrsinnigen Vorstellungen zur größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts in nur 12 Jahren der „Hitler-Regierung“ führte. Der Satzteil, „daß der Ermessenspielraum der Unternehmensleitung nicht vollständig in Rationalität auflösbar ist“, erscheint deplatziert: Demnach wäre der „Ermessungsspielraum“ bzw. seine Begründung im gegebenen Kontext auch „irrational“. Der Kern des Problems der von Hinterhuber empfohlenen Vorgehensweise liegt darin, dass diese aus den genannten Gründen nicht akzeptabel ist und daher besser eine zweck- und sinnvollere Problemlösung gefunden werden sollte. Eine Unternehmensleitung hat unbestritten die Möglichkeit eine Alternative zu wählen. Das hat jedoch nichts mit Rationalität und Irrationalität zu tun, jedoch sicher mit unternehmerischer Moral und Klugheit.



2. Führungs- und Unternehmungsleitbild191

Ein weiterer Grund spricht gegen den zitierten Ansatz. Eine zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit ist essentiell von partizipativen und argumentativen Elementen geprägt, d. h. es wird versucht, möglichst gemeinschaftlich Entscheidungen vorzubereiten und schließlich zu treffen. Dadurch wird nicht nur die Akzeptanz einer Entscheidung gestützt, sondern es ist auch zu erwarten, dass die Umsetzung von Entscheidungen durch die Mitarbeiter besser erfolgt, wenn diese spüren, dass ihre Führungskräfte aus Überzeugung die Entscheidung mittragen. Diese angestrebte Führungskultur verliert dann an Wert und Glaubwürdigkeit, wenn die Unternehmensleitung so verfährt, wie es im zitierten Text klar beschrieben wurde und „meta-ökonomische Werte“ ignoriert werden (Hinterhuber, H. H.: 1977, S. 57). Das ist auch zu erwarten, wenn eine solche Vorgehensweise als Ausnahme deklariert wird, jedoch keine überzeugende Argumentation gelingt. Gerade durch eine solche Entscheidung begibt sich die Unternehmensleitung der Chance, ihr Einstehen für eine gewählte Führungspraxis zu begründen und dafür zu werben, statt solche gebotene Bemühungen zu unterlassen. Für eine gute und prospektive Personal- und Führungsarbeit wird damit andernfalls deren Basis, nämlich das Vertrauen in die Unternehmensleitung, geschmälert und Führungskräfte werden desavouiert. Ein kaum oder gar nicht begründbarer Einsatz einer formalen Autorität der Unternehmensleitung wird von den Betroffenen nicht nur als anmaßend empfunden, sondern als das was sie sehr oft tatsächlich sein dürfte, nämlich ein Schwächezeichen, das der Förderung der natürlichen Autorität und deren Akzeptanz auf Grund von Kompetenz und einer charaktervoller Persönlichkeit zuwider läuft. Die kritisierte Vorgehensweise betrifft mit Sicherheit ein zentrales Paradigma eines Führungsleitbildes und erfordert auch daher eine sensiblere und überlegtere Vorgehensweise, es sei denn eine Unternehmensleitung meint, mit dümmlichen Macherqualitäten sich positionieren zu müssen, indem sie geradezu fahrlässig mit den Führungskräften und Mitarbeitern erarbeitete und vereinbarte Grundsätze zur Seite schiebt. Die kurze kritisch-konstruktive Interpretation der „Durchgriff-Entscheidung“ der Unternehmensleitung zeigt, dass deklarierte Paradigmen nicht zu mehr oder minder ernst genommene Worthülsen verkommen dürfen, sondern tatsächlich ihrer Zielsetzung der funktionellen und ganzheitlichen Orientierung und Lenkung des Denkens, Fühlens, Entscheidens und des Handelns gerecht werden sollen, d. h. von den Beteiligten auf den verschiedenen Funktionsebenen eines Unternehmens ernst genommen und umgesetzt werden. Hinterhuber betont die kulturellen und gesellschaftlichen Verpflichtungen der Unternehmung: „Jede Entscheidung hat einen ethischen Aspekt […] Die Fähigkeiten und Ressourcen der Unternehmung erhalten erst einen Sinn, wenn sie nicht nur auf die Erzielung eines Gewinnes, sondern auch auf einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme ausgerichtet sind.

192

2. Führungs- und Unternehmungsleitbild

Dazu muss die Unternehmung, die ihre Fähigkeiten entwickelt, Zielvorstellungen erarbeiten. Was die Unternehmung tun sollte, erscheint somit als das vierte Element einer jeden strategischen Entscheidung“ Diesem Text folgen sehr konkrete und essentielle Feststellungen und Ansätze (Hinterhuber, H. H.: 1977, S. 57–60). Das sind eindeutige und richtige Aussagen, unter die auch die Aufgabe und Bedeutung der Paradigmen nahtlos zu subsumieren sind. Der springende Punkt ist stets, dass auch tatsächlich und konsequent so gehandelt wird, wie es dem Stellenwert von paradigmatischen Grundaussagen entspricht. Lippenbekenntnisse allein taugen letztlich nicht einmal für die PR-Arbeit einer Unternehmung, da sie deren Glaubwürdigkeit und das Ziel der PR-Arbeit, Vertrauen zwischen der Unternehmung, ihren Mitarbeitern und seinem Umfeld aufzubauen, konterkarieren.

3. Wandel des Führungsstils Abbildung 3.1: Wandel des Führungsstils

(Schwan, K.: Wandel des Führungsstils, Internet)

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3. Wandel des Führungsstils

Führungsstile sind einmal stets im Wandel begriffen, die durch sehr zahlreiche Faktoren bestimmt werden. Die Graphik zum Thema Wandel des Führungsstils zeigt dazu wesentliche Aspekte auf. In welcher Art die jeweiligen Veränderungen erfolgen, wird zweitens durch die konkreten Unternehmen, Organisationen und Einrichtungen sowie ihr relevanten Umfelder bestimmt. Die in der Realität anzutreffenden Varianten sind nach ihrer Zahl, den jeweiligen Ausprägungen und ihren laufenden Veränderung unüberschaubar. Die Vielfalt der anzutreffenden Führungsstile sind mit ihren konkreten Verhältnissen und Rahmenbedingungen daher kaum oder gar nicht vergleichbar, es sei denn, man würde sie zur Kategorisierung in Modelle und Schemata hineinpressen und somit ihre bestimmenden Menschen, betrieblichen Gegebenheiten, Möglichkeiten und somit Realitätsbezüge weitgehend aufgeben. Ihre Abbildung durch Reduktionsmethoden ergeben zwangsläufig nur essentiell verkürzte Informationen und Modellbetrachtungen, die beispielsweise die Risiken der Unsicherheit bei dadurch beeinflussten Entscheidungen nur erhöhen können. Statische „Analysen“ und „Bewertungen“ werden damit rasch sinnlos. Bei dynamisch intendierten Erkenntniszielen werden die regelmäßig schon vorhandenen Bewertungs- und Entscheidungsrisiken bereits so schwerwiegend, dass sich eigentlich solche Vorgehensweisen regelmäßig verbieten. Dennoch haben sich seit langem einige grundsätzliche Begriffe und Inhalte eingebürgert, die erste Orientierungen vermitteln, die eine grobe Einteilung zulassen und auch bei der Abbildung Wandel des Führungsstils angewendet wurden. Um jedoch nicht in die Falle eingeschliffener Stereotypen bei der Betrachtung, Analyse, Bewertung und voreiligen Schlüssen zu Führungsstilen und deren Auswirkungen zu geraten, sind in der Praxis weitaus umfangreichere Differenzierungen und Interpretationen möglich und erforderlich. An Versuchen fehlte es nicht, durch unterschiedliche Verfahren die Vielfalt der Führungsstile zu beschreiben, Analysen vorzunehmen und Verbesserungen zu verfolgen. Sogar mathematisch orientierte Methoden wurden hierfür entwickelt, wobei sich rasch die Frage stellt, inwieweit Kernfelder des Führungsstils, wie Führungstechnik und Führungsverhalten, überhaupt sinnvoll durch mathematische Verfahren erschließbar sind, sei es hinsichtlich ihrer Charakteristik oder ihrer dynamischen Veränderungsmöglichkeiten, die u. a. durch ethische, psychologische oder soziologische Faktoren bestimmt sind. Das zur Lösung auch solcher Probleme unter anderem entwickelte Verfahren des Operational Research – das ursprünglich dem Militärbereich entstammt und sich unterschiedlicher mathematischer-, statistischer- und graphentheoretischer Methoden für Optimierungsaufgaben als Entscheidungshilfen widmet – hat auch in den Wirtschaftswissenschaften für solche Zwecke Eingang gefunden. Es wurde Teil der Lehre an Hochschulen. Die damit verbundenen Erwartungen wurden allerdings nicht ausreichend er-



3. Wandel des Führungsstils195

füllt, weil sich die Theorien und ihre Anwendungen vielfach in der Praxis als teilweise untauglich erwiesen, auch bedingt durch die dynamische Komplexität der Aufgabenstellungen. Entscheidungsprozesse bei großen Unternehmen konnten daher nicht wesentlich besser bewältigt werden. Für kleinere und mittlere Unternehmen erwiesen sich die Methoden oft als unverhältnismäßig aufwendig und schwierig, d. h. notwendige Entscheidungen konnten weitaus rationeller und treffsicherer durch andere Vorgehensweisen vorbereitet und optimiert werden. Die beispielhaften Hinweise – auf die durch viele Jahre entwickelten Verfahren des Operational Research als eines rational bestimmten Fachgebiet der Wirtschaftswissenschaften – zeigen lediglich deutlich die engen Grenzen auf, die rationalen Methoden bei der Bewältigung von komplexen statischen und besonders dynamischen Aufgabenstellungen bzw. als Hilfsmittel der Vorbereitung optimaler Entscheidungen und Gestaltungsaufgaben gezogen sind, also auch bei einzelwirtschaftlichen bzw. betriebswirtschaftlichen Funktionen. Gerade das Thema des Wandels des Führungsstils zeichnet sich durch hohe Dynamik und Komplexität aus, weshalb es von haus aus besonders schwer fassbar und schon gar nicht durch mathematisch ausgelegte Methoden wie Operational Research erschließbar ist. Die Aufgabenstellungen scheitern bereits bei vergleichsweise einfachen Aufgabenstellungen an der mathematischen Rechenbarkeit. Ein Führungsstil ist, wie schon seine Bezeichnung signalisiert, durch zahlreiche und wechselnde Irrationalitäten bestimmt, wie: Zwischenmenschliche Beziehungen, Spannungen und Konflikte, Freude ebenso wie Angst und Unsicherheit, Zeiten der Motivation und Frustration, Erfolgserlebnisse und Niederlagen, Hilfsbereitschaft und Missgunst, psychologische und soziologische Möglichkeiten und Probleme, unterschiedliche Einstellungen und Verhaltensweisen usw. Die vergleichsweise sehr wenigen Hinweise auf Punkte mit hoher Relevanz für den dynamischen Gesamtkomplexes Führungsstil weisen bereits auf die äußerst engen Möglichkeiten einer rationalen Erfassung des Führungsstils und seines Wandels hin. Diese Erfahrungen decken sich auch mit jenen der mathematisch orientierten Richtung der Volkswirtschaftslehre, wie sie durch viele Jahre en vogue war, viele Studierende zum Schwitzen brachte und letztlich zu kaum mehr als „interessanten“ Modellen führte, aber die Wirtschaftswissenschaften als Erfahrungswissenschaft nicht sonderlich weiterbrachten. Nicht zufällig war die Sozialempirischen Forschung in den Wirtschaftswissenschaften ungleich erfolgreicher. Die angedeuteten Fakten und Erfahrungen haben dennoch nie die Heerscharen von „Experten“ abgehalten, unzählige „Erfolgsmodelle“ gerade für die Lösung von hoch komplexen und somit nicht nur rational lösbaren Aufgabenstellungen den potentiellen und tatsächlichen Entscheidungsträgern und -gruppen anzubieten. Das gilt auch für den Gegenstand Führung und

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3. Wandel des Führungsstils

Motivation, ebenso für zahlreiche andere Bereiche der betriebswirtschaftlichen Führungspraxis. Es entstand eine sich dazu geradezu berufen gebende „Industrie“, wie Berater und Autoren für entsprechende, sprich vermeintlich logische und einfache „Ratschläge“ sowie „Erfolgsbücher“. Diesen folgten die Anbieter von Seminaren und Kursen, Festredner und Gurus für alle als relevant empfundenen Rede-Anlässe, Berater mit 3-, 5- und 10-Punkteprogrammen für vermeintliche Klienten usw. Der Markt für Modelle, Schemata und Kochbuchlösungen nach dem Motto aus Kriegszeiten „man nehme sofern man hat“ und vieles mehr, um schwierigsten Komplexitätsproblemen der Praxis Herr zu werden, war und ist enorm und wird es bleiben. Der Lösungsbedarf steigt und mit ihm die verständliche Angst daran zu scheitern. Ob Marktschreierei oder Marketing, Simplifizierungen oder naives Wunschdenken, tolle, teure und zugleich billige Angebote, damit ist den geplagten, verunsicherten und in der Komplexitätsfalle sitzenden und jeden Strohhalm gern ergreifenden Entscheidungsträgern leider nicht zu helfen. Ganz im Gegenteil: Wertvolle Zeit für notwendige und rechtzeitige Entscheidungen, Interventionen und Umsetzungen gehen mit solchen Umtrieben und Verunsicherungen verloren. Auch hohe Komplexitäten sind annähernd gut oder auch besser zu bewältigen, aber eben anders. Selbstverständlich können Modelltypen des Führungsstiles und seines Wandels nach unterschiedlichen Kriterien gebildet werden. Daran fehlt es in Theorie und Lehre nicht, ganz im Gegenteil. Die Zahl der Modellen im Sinne von mehr oder weniger dynamischen Ausformungen und Konzeptionen, ihres Realitätsbezug, der Anpassungsfähigkeit, der Einbindung der Vorstellungen über eine zeitgemäße und prospektiven Personal- und Führungsarbeit usw. ist unüberschaubar. Vor allem Erklärungs- und Lösungsversuche zum dynamischen Wandel des Führungsstils sind dabei nicht nur diffizil zu bewerkstelligen, sondern stoßen rasch an ihre Grenzen, und zwar bedingt durch das kaum wirklich zu bewältigende Problem einer erforderlichen treffsicheren Entwicklungs- und daraus erstellten Prognosemöglichkeit in Verbindung mit einer Vielzahl von bekannten und insbesondere unbekannten Faktoren. Letzteres entspräche aber der Notwendigkeit einer dynamischen und ganzheitlichen Methodik und Vorgehensweise. In einer ausreichend konkreten Art und Weise, wie das beispielsweise Unternehmen für prospektive Entscheidungen bräuchten, ist das nicht möglich. Durch die nach Vielfalt und Raschheit steigenden Entwicklungen, die ja die wesentliche Gründe für die Notwendigkeit des Wandels des Führungsstiles sind, ist das rational allein nicht erfüllbar, auch nicht mit Hilfe hochaggregierter EDV- bzw. Informationstechnologie. Daher sind andere Vorgehensweisen erforderlich und auch mit ordentlicher Erfolgswahrscheinlichkeit möglich. Unsicherheiten und somit erhebliche Risiken werden dennoch bleiben. Das führt zu den Kernfragen, welche quasi irrationalen Möglichkeiten es gibt,



3. Wandel des Führungsstils197

um den angedeuteten Aufgabenstellungen einigermaßen gerecht werden zu können, auf die an anderer Stelle allgemein und für spezifische Aufgabenstellungen fundiert eingegangen wird. Der in dieser Arbeit vertretene Grundgedanke wurde im Kontext mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bereits dargestellt. Will man im Kleinen wie im Großen vermeiden, an der steigenden Irrationalität und den damit verbundenen Unsicherheiten und Risiken – nämlich durch suboptimale Einschätzungen und Entscheidungen nur unbefriedigende Lösungen bis hin zum Scheitern in Kauf nehmen zu müssen –, ist es möglich, wie schon gezeigt, durch die Erarbeitung und verbindliche Beachtung von Paradigmen eine Orientierung zu erreichen. Die Irrationalität als solche kann zwar nicht beseitigt werden, aber es ist möglich, sie besser handhabbar zu machen bzw. die Gefahren chaotischer Desorientierungen stark zu reduzieren. Wie wirksam Paradigmen die angestrebten Orientierungsfunktionen erfüllen können, hängt naturgemäß vom Inhalt und der Konsequenz der Beachtung der Paradigmen ab. Auch der Neoliberalismus folgte „seinen“ Paradigmen, ganz zu schweigen von Diktaturen oder mafiösen Organisationen usw., die größtes Unheil anrichteten. Sollen hingegen „sinnvolle“ Aufgaben in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und vielen anderen Bereichen erreicht werden, müssen in Paradigmen ethisch fundierte Wertvorstellungen, Verhaltensweisen, auch Schranken gegen Missbräuche usw. verankert sein und in der Folge tatsächlich das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen bzw. Akteure bestimmen. Der oft geübte Gebrauch solcher Begriffe wie „Compliance“ oder Konstrukte, wie „Deutsche Corporate Governace Kodex (DCGK)“ usw., die erfahrungsgemäß häufig einer missbräuchlichen PR-Arbeit mit dem Zweck der Bemäntelung von Übelständen dienen, sind auch bei Paradigmen vorstellbar und machen sie ebenso zur Farce, wie eine zweckentfremdete Compliance. Die Veränderungen der Führungsleitbilder und der Wandel von Führungsstilen haben zahlreiche Gründe für ihre rascher werdenden Entwicklungen und steigenden Anforderungen an Unternehmen und andere Einrichtungen. Die Komplexität – auf die schon etwas ausführlicher eingegangen wurde – hat im Zusammenhang mit Führung und Motivation dabei eine besondere Bedeutung. Komplexitäten führen nicht nur zu Anlässen berechtigter Warnungen vor Verkürzungen der Fakten bei unterschiedlichen Realitäten, nämlich durch nur vermeintlich zweckmäßige Reduktionsverfahren, Schemata und Modelle. Die letztgenannten Vorgehensweisen führen lediglich zu reduzierten Realitätsbezügen, damit zu steigenden Risiken und somit zu irreführenden Entscheidungsgrundlagen. Komplexitäten erfordern zudem gerade bei den Funktionen Führung und Motivation und ihren zahlreichen Wechselbeziehungen zu anderen Bereichen bzw. Funktionen einer verstärk-

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3. Wandel des Führungsstils

ten ganzheitlichen bzw. systemischen Betrachtungsweise, um jene Faktoren zu berücksichtigen und einzuschätzen, die für entsprechende Ergebnisse besonders relevant sind. In der Praxis der Personal- und Führungsarbeit werden einmal solche Zusammenhänge bislang nur zu oft missachtet. Zweitens, bei rasch steigender Komplexität entstehen dadurch schlimme bis fatale Folgen, die überproportional stark ansteigen und ideelle, personale, materielle und wirtschaftliche Schäden verursachen. Darüber hinausgehende mittelbare Nachteile zu Lasten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes – besonders auch für davon betroffene Menschen – werden zukünftig vermutlich immer weniger als bisher auf die Allgemeinheit überwälzbar sein. Dazu fehlen zunehmend die öffentlichen Mittel. Das oft geübte Spiel, Gewinne einzustreichen und durch Fehler erzeugte Verluste zu sozialisieren, d. h. auf die Öffentliche Hand, den Staat und die Gesellschaft abzuschieben und womöglich zusätzlich noch Subventionen zu kassieren, wird sicher sehr viel schwerer oder unmöglich sein. Zur Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wurden vor den Augen der Menschen beispielsweise an die „Finanzindustrie“ nahezu unvorstellbar hohe Summen inkompetent zu Lasten der Staaten und deren extrem gewachsenen Verschuldung verschleudert, die letztendlich von den Steuerzahlern und ihren Kindern zu zahlen sind. Weder in den USA, noch in Europa konnte bislang der Moloch „Finanzindustrie“ bezwungen werden, und zwar trotz steigender Bemühungen und mancher Teilerfolge. Die Öffentlichen Budgets lassen den Kampf kaum noch zu, da einmal die Mittel knapper denn je sind und zweitens zugleich zumindest mittelfristig der Aufwand geradezu explodiert, wie beispielsweise durch: Laufende krisenbedingte Schuldentilgungen. – Steigende fixe und variable Ausgaben. – Belastungen der Umwelt, wie Lärm, Emissionen, Verkehr. – Öffentliche Nachholbedarf in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation. – Überfällige Investitionen in Infrastrukturen. – Steigender Aufwand für Arbeitslose, Pensionisten, steigende Sozial- und Gesundheitskosten, laufende Aufwendungen der Krisenbewältigung usw. – Generelle Notwendigkeit, die Staatsquoten an der Bruttowertschöpfung des jeweiligen Landes nach nationalen und internationalen Vorgaben zu senken (z. B.: Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages von höchstens 3 % jährlicher Verschuldensquote gemessen am BIP und Verschuldungsquote von maximal 60 % des BIP) – usw. Die Krise, ihre Folgen und die dafür nach oben geschnellten Kosten der Öffentlichen Hand haben die Bürger nicht nur betroffen gemacht und geschädigt, sondern hochgradig sensibilisiert, das Vertrauen in den Staat geschwächt und Misstrauen erzeugt. Meinungsbefragungen und Wahlen reflektieren die entstandenen und beunruhigenden Entwicklungen sehr deutlich und damit auch den Bedarf an durchgreifenden Reformen statt politischer „Redereien“.



3. Wandel des Führungsstils199 Abbildung 3.2: Gesellschaftliche Strömungen, ihre Auswirkungen und Anforderungen an Unternehmen

(Schwan, K.: Gesellschaftliche Strömungen, ihre Auswirkungen und Anforderungen an Unternehmen; s. a.; Lau-Villinger, D.: 1994, S. 109 f.)

Mit der vorstehenden Graphik Gesellschaftliche Strömungen und Ihre Auswirkungen und Anforderungen an die Unternehmen (Lau-Villinger, D.: 1994, S. 109 f.) werden essentielle und ineinandergreifende Faktorengruppen dargestellt, fokussiert auf Unternehmen – aber auch andere Organisationen und Einrichtungen –, die von besonderer und wachsender Relevanz sind für Gesellschaft, die Politik und die Wirtschaft. Die Prozesse und ihre Vernetzung sind nicht neu, aber ihre Aktualität ist stark gestiegen und nimmt an

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3. Wandel des Führungsstils

Bedeutung zu, und zwar mehr oder minder in den verschiedenen Branchen, Betätigungsfeldern und tendenziell in allen Größenordnungen der Betriebe und Einrichtungen. Die Graphik Abbildung 3.2 zeigt auch, wie verschiedene Themenschwerpunkte insgesamt hochkomplexe Gesamtprozesse aus unterschiedlichen Entwicklungen, Folgerungen und funktionellen Lösungsansätzen ergeben: Zweifellos werden die aus der Graphik ersichtlichen Entwicklungen und Ansätze eine zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit und damit auch den Führungsstil bestimmen, natürlich wie viele andere Faktoren auch.

4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg Henry Mintzberg (1939) hat das Thema der Führung ausgehend von seinen sehr umfangreichen empirischen Sozialforschungen wieder auf den Boden der Realität gebracht und darauf aufbauend systematisierte Schlüsse gezogen. Modelle und Mythen zum Management in zahllosen Varianten haben ihn zu der berechtigten Frage geführt, ob diese die Realität reflektieren oder nicht. Die Arbeiten von Mintzberg weisen ihn nicht als Bilder- und Modellestürmer aus. Er schiebt sie lediglich zur Seite, um hinter ihnen die Realitäten und Mythen zu erkennen, um darauf aufbauend praktikablere Lösungsansätze zu finden, die der Wirklichkeit und den geänderten Verhältnissen in Gesellschaft und Wirtschaft besser gerecht werden. Dabei setzt Mintzberg sozial-empirische Methoden ein. Sein Blick ging weit über die Führung hinaus und seine Arbeit ist daher – nicht überraschend – ganzheitlich bestimmt (Internet: Henry Mintzberg). Mintzberg geht kritisch, wissenschaftlich beobachtend und analysierend tradierten Mythen nach, die vielfach die Grundlagen gängiger Führungsmodelle bilden und – wie man sehen kann – oft gerade zu wirklichkeitsfernen Wunschvorstellungen führen (Mintzberg, H.: 1991, S. 24–28): Erster Mythos: Der Manager ist ein überlegener, systematischer Planer. Realität: Alle Forschungsergebnisse zeigen, dass Manager unstetig arbeiten, dass sich ihre Arbeiten durch Kürze, Vielfältigkeit und Diskontinuität auszeichnen, dass sie aktionsorientiert sind und eine Abneigung gegen reflektierende Tätigkeiten empfinden. Zweiter Mythos: Der effiziente Manager braucht keine Routineaufgaben wahrzunehmen. Realität: Außer einem Eingreifen in Ausnahmesituationen beinhaltet Management eine ganze Reihe von Routinetätigkeiten, einschließlich Zeremonien, Verhandlungen und der Verarbeitung unsicherer externer Informationen.

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4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg

Dritter Mythos: Der Top-Manager braucht aggregierte Information, die ein formales Management-Informations-System am besten garantiert. Realität: Manager bevorzugen in besonderem Maße die verbale Kommunikation – vor allem Telefonate und Konferenzen. Vierter Mythos: Management ist eine Wissenschaft und ein Beruf (oder zumindest im Begriff es zu werden). Diese Behauptung ist falsch. Schon die flüchtige Beobachtung räumt mit der Vorstellung auf, Manager betrieben eine Wissenschaft. Eine Wissenschaft schließt Anwendung systematischer, analytischer Vorgehensweisen oder Programme ein. Realität: Die Programme des Managers – Zeit einteilen, Informationen verarbeiten, Entscheidungen fällen und so weiter – bleiben fest in seinem Gehirn verschlossen. Um diese Programme zu umschreiben, behelfen wir uns mit Begriffen wie „Urteilsvermögen“ und „Intuition“. Zur Ergänzung der knapp dargestellten Vorstellungen von Mintzberg zum Thema Management und damit auch zu den Grundlagen der Führung und Motivation im Sinne einer Tätigkeitstypologie, bilden die nachfolgenden Überlegungen zu drei geradezu klassischen Problemfeldern von Managerfunktionen: Dilemma der Delegation – Zentralisierung von Daten in einem Kopf – Probleme der Zusammenarbeit mit Managementwissenschaftlern (Mintzberg, H.: 1991, S. 36 f.): 1. „Der Manager ist dazu herausgefordert, systematische Wege zur Mitteilung seiner privilegierten Information zu finden.“ Der Arbeitsdruck der Manager zwingt sie zu oberflächlichem Handeln, so das Ergebnis, das sich durch die empirischen Studien von Mintzberg zieht, welches zu spontanem Handeln und den damit verbundenen Risiken führt. Mit einigen einfachen Arbeitsmitteln kann dem begegnet werden: Regelmäßige Einsatzbesprechungen mit den wichtigsten Mitarbeitern. – Erstellung wöchentlicher Gedächtnisprotokolle. – Führen eines Tagebuchs mit wichtigsten Informationen für einen begrenzten Umlauf. – Abschätzung der Risiken der Offenlegung privilegierter Informationen versus Vertraulichkeit. 2. „Der Manager ist dazu herausgefordert, mit den Belastungen, die aus der Oberflächlichkeit resultieren, dadurch bewusst umzugehen, indem er den Problemen die erforderliche Aufmerksamkeit widmet. Er muss sich



4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg203

von den greifbaren Informationen distanzieren, um ein größeres Bild zu sehen. Dabei kann er sich der analytischen Inputs bedienen.“ Es besteht bei Managern das Problem, unter Druck auf alle Probleme in gleicher Weise rasch zu reagieren und dabei Inputs nicht in ein umfassenderes Gesamtbild einzubauen. Bei komplexen Problemen sollten sie daher Experten ihrer Organisation nutzen, die mehr Zeit als sie selbst haben, um solche Probleme zu analysieren und um ein Planungsdilemma zu meiden. Der Manager muss lernen, Informationen mit Analytikern zu teilen und Letztere müssen lernen, sich den Bedürfnissen des Managers anzupassen. 3. „Der Manager ist dazu herausgefordert, seine Zeit dadurch zu kontrollieren, dass er seine Verpflichtungen nutzt und die Dinge, die er tun möchte, in Verpflichtungen wandelt.“ Die Untersuchungen von Mintzberg ergaben, dass Topmanager nur 32 % ihrer Kontakte selbst initiierten und dennoch meinten, dass sie ihre Zeit unter Kontrolle hätten. Tradierte Fachliteratur zur Theorie und Praxis des Managements negiert in weitem Maße die essentielle Bedeutung und die daraus entstehenden fatalen Konsequenzen einer ineffizienten Managerarbeit und die oft existentielle Bedrohung der Unternehmen oder Abteilungen, für die sie Verantwortung tragen. Zeitmanagement ist regelmäßig – wenn überhaupt – nur ein Nebenthema. Das zeugt von erheblichem Realitätsverlust. Seit Jahrzehnten liegen aussagekräftige Studien vor, wo beispielsweise mit sehr breit angelegten und sorgfältigen Analysen sehr genau gezeigt wurde, dass für betriebliches Missmanagement tausender Mittelstandsbetriebe (Kienbaumstudie, BRD) „Überlastungen der Unternehmensleitungen“, sprich das Zeitmanagement der Manager, die häufigste Ursache von Sanierungsfällen bis hin zu Unternehmenszusammenbrüchen waren. Die Gestaltung der Chefarbeit, d. h. die ineffektive Nutzung der essentiellen Ressource Zeitverwendung des Unternehmensleiters, war der Kern der Problematik (Schwan, K.: 1980, S. 8). Ähnliche Ergebnisse zeigen auch neuere Untersuchungen und wissenschaftliche Arbeiten, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Thema Work-Life Balance (s. a.: Kaiser, St., Ringlstetter, M. (Hrsg.): 2010, S. 29–47, 49–66, 227–241, 243–255). Ein erheblicher Teil der Fachliteratur zur Führung und Motivation sowie ergänzende Publikationen vertreten hergebrachte sowie überholte Vorstellungen, Theorien und Modelle. Dargestellte Organisations- und Führungsstrukturen folgen dabei oft – offen oder verdeckt – autoritären, hierarchischen, subalternen, starren und bürokratisch-technokratischen Vorstellungen, die weder den geänderten bzw. heutigen Leistungsvollzügen entsprechen, noch der gelebten Praxis vieler erfolgreicher Unternehmen des Mittelstandes, Großunternehmen und weltweit agierender bzw. transnationaler Kon-

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4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg

zerne. Bei öffentlichen Einrichtungen, NGOs, Verbänden nationaler und internationaler Prägung usw. sind ebenso zunehmend organisatorische Gebilde anzutreffen, die längst herkömmlichen Lehrbuchweisheiten zur Führung und Motivation entwachsen sind. Wie anders ist beispielsweise das Phänomen zu erklären, dass Absolventen der Wirtschaftswissenschaften in ihren ersten Praxisjahren das nicht ganz einfache Verlernen überholter Lerninhalte ihrer Ausbildung zu bewerkstelligen haben, um sich in ihrem beruflichen Umfeld überhaupt sinnvoll betätigen zu können und eine positive Resonanz zu erfahren. Manche brauchen hierfür mehrere Arbeitsplätze bei unterschiedlichen Arbeitgebern, um zu begreifen, dass sie nicht den falschen Arbeitsplatz angetroffen haben, sondern ihre Ausbildung mangelhaft und unzeitgemäß erfolgte. Daran sind sie auch selbst schuldig. Offenen, neugierigen, engagierten und zukunftsorientierten Menschen mit kritisch-konstruktivem Denken passieren solche negativen Erfahrungen seltener. Führung und Motivation sind mehr als formale Regelungen, Ordnungen und Strukturen. Selbstverständlich sind die geregelten Bereiche ein Grundgerüst jeglicher wirtschaftlichen und sozialen Aufgabenerfüllung und somit notwendig. Aber: In einer seit Jahrzehnten einerseits immer stärker von Wandel, Unsicherheiten, wachsenden Komplexitäten und Risiken geprägten Wirtschaft und Gesellschaft im In- und Ausland und andererseits einer gestiegenen Mündigkeit der Menschen in vielerlei Hinsicht, sind für die Funktionen der Führung und Motivation zusätzliche Kompetenzen erforderlich, die gleichermaßen auch Fähigkeiten zu Vereinfachungen sowie zu höherer Flexibilität einschließen. Mintzberg war derjenige, dem die traditionellen Modelle und Lehren der Betriebswirtschaft zu den Themenkreisen Management, Organisation, Führung und Motivation ab etwa 1960 immer suspekter wurden und er hegte den Verdacht, dass Mythen entstanden waren, die der Realität widersprachen. Durch rund 15 Jahre bemühte sich Mintzberg mit umfangreichen sozialempirischen Forschungen in den USA dieser empfundenen Widersprüchlichkeit nachzugehen. Seine Ergebnisse publizierte Mintzberg u. a. in dem Buch The Nature of Management Work (1973), das aus seiner Dissertation entstand (1968) und schrieb zum Thema im Havard Business Review (1975) einen Artikel, mit dem er weltweit berühmt wurde. Er hatte nachgewiesen, dass die herkömmlichen Vorstellungen über Management, die Tätigkeit und das Verhalten der Manager ein Mythos waren, der nicht den Realitäten entsprach. In der Folge vertiefte er seine Forschungsergebnisse und Vorstellungen, die in wegweisenden Büchern ihren Niederschlag fanden. Die in gekürzter Form genannten „Mythen und Realitäten“ der vorliegenden Ausarbeitung wurden bei Mintzberg treffend mit der Überschrift „Folklore und Tatsachen über die Arbeit des Managers“ tituliert und detailliert beschrieben sowie mit empirischen Daten belegt (s. a.: Mintzberg, H.: 1991, S. 21–29).



4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg205

Nach Mintzberg können diejenigen als Manager bezeichnet werden, „… die Verantwortung für eine Organisation oder eine ihrer Untereinheiten haben […] Diese Definition würde neben den Unternehmensleitern, Vizepräsidenten, Bischöfe, Meister, die Coaches einer Hockey-Mannschaft und Premierminister einschließen […] Können all diese Personen irgendetwas gemeinsam haben? Das können sie in der Tat. Ein wichtiger Ausgangspunkt ist, daß alle die formale Autorität über eine organisatorische Einheit haben. Aus der formalen Autorität leitet sich der Status ab, der zu verschiedenen interpersonellen Beziehungen führt, die Zugang zu Informationen ermög­ lichen. Umgekehrt befähigen Informationen den Manager dazu, für ihre Einheiten Entscheidungen zu treffen und Strategien zu entwickeln“ (Mintzberg, H.: 1991, S. 28 f.). Die Managementtätigkeiten der Manager erweisen sich nach Mintzberg – wie schon die kurz genannten 4 Mythen zeigen – als eine Aufgaben- und Tätigkeitstypologie, die herkömmliche Vorstellungen über das Tun der Manager essentiell widersprechen. In diesem Lichte erweisen sich die Mythen eher als ein wirklichkeitsfremder Lobgesang und Wunschvorstellungen, denn als eine reale Beschreibung von Managementfunktionen. Die Problematik liegt aber tiefer und darin, wenn aus solchen realitätsfernen Annahmen Arbeitshypothesen der Management- und Betriebswirtschaftslehre werden, resultieren daraus falsche Ableitungen und Lehrinhalte sowie fehlgeleitete Maßnahmen. Die Rollen des Managers nach Henry Mintzberg: Nach Mintzberg erfolgt die Tätigkeit der Manager in verschiedenen Rollen, die kurz wie folgt beschrieben werden können, und zwar teilweise mit der jeweiligen Angabe in Prozent des gesamten Zeitaufwandes gemäß den sozialempirischen Feststellungen von Mintzberg (Mintzberg, H.: 1991, S. 29–35): Interpersonelle Rollen auf der Basis formaler Autorität und Status: 1. Rolle als Repräsentationsperson (Figurehead): 12 % für Kontakte und 17 % für die Bearbeitung der eingehenden Post, insgesamt 29 %. Der Manager fungiert nach innen und außen als symbolischer Kopf einer Organisation oder Abteilung und erfüllt Repräsentationsroutinen gesetz­ licher oder sozialer Art. 2. Führungsrolle (Leader), z. B. Einstellung, Ausbildung, Motivation und Ermunterung, Tätigkeiten zustimmen, korrigieren und ergänzen usw., wobei durch formale Autorität potentielle Macht entsteht und das Ausmaß des Machteinsatzes u. a. den Führungsstil bestimmt. Kurzum: Im Mittelpunkt dieser Rolle stehen Aufgaben der Motivation und Anleitung von Mitarbeitern, des Personaleinsatzes und der Personalentwicklung.

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4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg

3. Rolle als Kontaktperson, und zwar außerhalb der Befehlskette der eigenen bzw. dem Manager zugeordneten Mitarbeiter (Liaison). Diese Rolle wurde vor den Studien von Mintzberg kaum berücksichtigt und es zeigte sich, dass diese Tätigkeit das Zeitbudget des Managers etwa gleich stark beansprucht als die vorgenannte Führungsrolle, nämlich jeweils etwa 45 %. Der prozentuelle Zeitaufwand des Managers für Kontakte mit seinem eigenen Vorgesetzten beträgt etwa 10 %. Aufbau und Pflege interner und externer Kontakte auf formellen und informellen Wegen stehen im Zentrum dieser Rolle. Informationsrollen: 4. In der Rolle des Informationssammler (Monitor) tastet der Manager dauernd die Umwelt nach Informationen ab. Der Manager sucht und empfängt sehr unterschiedliche Informationen, die sein Verständnis über das Funktionieren der Organisation und ihrer Umwelt fördern. Via Kontaktpersonen und Mitarbeiter erhält er aus seinem Netzwerk unaufgefordert Informationen, meist in mündlicher Form. 5. In der Rolle des Verteilers (Disseminator bzw. Verbreiter oder Multiplikator) geben Manager einige ihrer privilegierten Informationen an Mit­ arbeiter weiter, die sie sonst nicht erhalten würden. Diese Rolle beschreibt somit die Weitergabe interner und externer Informationen – sowohl Fakten als auch Spekulationen – an Organisationsmitglieder. 6. Die Rolle des Sprechers (Spokesperson) erfüllt der Manager, wenn er Informationen außerhalb der eigenen Einheit weiterergibt, also er gibt z. B. Pläne, Maßnahmen oder erzielte Ergebnisse der Unternehmung an Externe weiter. Entscheidungsorientierte Rollen: 7. Als Unternehmer (Entrepreneur) sucht der Manager in der Organisation und ihrer Umwelt nach Chancen zu Innovationen und Wandel und leitet gegebenenfalls bei guten Ideen Entwicklungs- und Innovationsprojekte ein. Er versucht als Manager seine Abteilung zu verbessern und an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Solche Projekte kommen überwiegend durch Entscheidungsbündel zustande. Besonders Topmanager kontrollieren oft bis 50 Projekte und Verfahren, wobei sie anscheinend den Überblick behalten, so die Studienergebnisse von Mintzberg. 8. Die Rolle des Krisenmanagers (Disturbance Handler) erfüllen Manager unfreiwillig, in dem sie eben auf solche krisenhafte Ereignisse reagieren. Erfasst werden somit durch Sachzwänge induzierte Aufgaben, durch deren Handhabung unerwartete und wichtige Störungen der betrieblichen Leistungsprozesse zu bewerkstelligen sind. Manager müssen viel Zeit



4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg207



damit verbringen, auf Probleme und Störungen zu reagieren, ähnlich einem Dirigenten, der das Ganze beim Musizieren eines Orchesters zusammenhalten muss (Peter Drucker).

9. Als Entscheider hat der Manager die Rolle des Ressourcenzuteilers (Resource Allocator). Kern dieser Rolle sind Entscheidungen über Vergabe von Ressourcen aller Art an Personen oder Abteilungen. Durch den Entscheidungsvorbehalt behält der Manager die Kontrolle über Zusammenhänge zwischen verschiedenen Einzelentscheidungen. Der Zugang zum Entscheider ermöglicht den Zugang zum Nervenzentrum der Abteilung und deren Entscheidungszentrale. Das durch den Manager zu ermöglichen – der hierfür seine meist wichtigste Ressource, nämlich seine Zeit einsetzt – ist für ihn verbunden mit hoher Verantwortung und Koordinierungsfunktionen zur Gestaltung seines Bereiches. Mit seiner Macht autorisiert er Entscheidungen und stimmt sie ab, und zwar vor entsprechenden Implementierungen. 10. Schließlich hat der Manager die Rolle des Unterhändlers (Negotiator), die – so die Studienergebnisse von Mintzberg – sehr viel seiner Arbeitszeit in Anspruch nimmt, zu seinen Pflichten zählt und integraler Bestandteil der Arbeit ist. Der Manager tritt extern als Verhandlungsführer auf und verpflichtet die Organisation für künftige Aktivitäten. Die kurz beschriebenen 10 Rollen des Managers bilden eine integrierte Ganzheit bzw. keine Rolle kann aus diesem Rahmen entfernt werden. Ein Teammanagement wäre beispielsweise ansonsten schwer realisierbar, würde die Entität oder Ganzheit missachtet. Das Managementteam bricht zusammen, wenn nicht alle an managementrelevanten Informationen partizipieren. Die Ganzheit als solche kann substantiell natürlich sehr unterschiedlich sein, doch die interpersonellen, informations- und entscheidungsorientierten Rollen sind in allen Fällen untrennbar (s. a. Mintzberg, H.: 1991, S. 28–36). Die Rollen von Personen in Unternehmen, aber auch in anderen Organisationen und Einrichtungen, sind unter mehreren Gesichtspunkten zu sehen. Mintzberg formuliert die Rollen des Managers als seine empirisch-prospektive Soll-Vorstellung. Es ist aber auch möglich und besonders notwendig zu wissen, wie welche Erwartungen verschiedener Mitarbeiter des Managers, anderer Menschen, von Gruppen, Institutionen, Geschäftspartnern, Mitgliedern seiner Familie, Freunde usw. aus ihrer Sicht die Rolle des Managers sehen, aber auch anderer Personen des Unternehmens. Die inner- und außerorganisatorischen Sichten und die Reaktionen des oder der jeweiligen Rollenträger darauf sind zweifellos in vielfältiger Hinsicht für ein Unternehmen essentiell.

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4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg

Das Schema Personen im Zentrum von Rollenerwartungen möchte diese Zusammenhänge und Wechselwirkungen verdeutlichen. Es zeigt im Zusammenhang mit den Funktionen von Paradigmen und einem Paradigmenwechsel essentielle Orientierungspunkte für Führungs- und Motivationsfunktionen. Dabei ergeben sich sowohl inner- wie außerorganisatorische Ansätze in großer Vielfalt. An das Topmanagement, die Führungskräfte und Mitarbeiter werden regelmäßig unterschiedlichste Rollenerwartungen der beruflichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, familiären und anderer Sphären gestellt, aber beispielsweise auch von Vereinen, aus dem sozialen Bereich usw. Allein aus zeitökonomischen Gründen werden in der Regel mehr Erwartungen bestehen, als Zeit und andere Mittel zu deren Erfüllung verfügbar sind und „idealerweise“ vorhanden sein müssten. Rollenerwartungen sind de facto nie gänzlich erfüllbar und daher können nur suboptimale Erfüllungsgrade erreicht werden. Darin liegt eine generelle und kaum lösbare Problematik bei Rollen. Allgemeine Führungs- und Managementregeln empfehlen natürlich nach dem Grundsatz zu handeln: „Konzentration auf das Wichtigste“. Das ist, wie jeder weiß, letztendlich eine „richtige“ Leerformel, die das Problem nicht wirklich lösen kann. Das Wissen um bestehende Rollenerwartungen, deren Bewertung und die Einschätzung, welche Erwartungen näherungsweise wie erfüllbar sein könnten, kann schon eher hilfreich sein. Ebenso eine entsprechende Reflektion über relevante Paradigmen oder deren Anpassung, um über solche Orientierungshilfen das realisierbare Handeln normativ auszurichten. Die Handlung des Einzelnen kann beispielsweise darin bestehen, einer Unternehmung als Mitarbeiter beizutreten, da ihre Ausrichtung anziehend erscheint. Mintzberg verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff „Ideologie“ im Sinne eines Kulturbegriffes. Jede Unternehmung, Organisation oder andere Einrichtung hat eine Ideologie mit einer spezifischen Prägung und einem eigenen Stil, bestimmt durch ein stark entwickeltes und tief verwurzeltes System von Wertungen und Überzeugungen, wodurch die Ideologie quasi einzigartig wird. Solche Ideologien können beherrschenden Einfluss gewinnen und im seltenen Grenzfall „missionarische“ Züge annehmen, was im Guten wie im Bösen faszinierend sein kann. Ideologien werden naturgemäß verschiedene Ursprünge haben (Mintzberg, H.: 1991, S. 229). Paradigmen bestimmen als Orientierungshilfen das Denken, Fühlen und Handeln in einem Unternehmen in spezifischer Art und Weise. Mintzberg meint mit seinem nachfolgend umschriebenen Begriff der Organisations­ ideologie sehr Ähnliches: Die Organisationsideologie ist bestimmt durch „ein reichhaltiges System an Werten und Überzeugungen, das eine Organisation von anderen unterscheidet […] verwurzelt in einem Sendungsbewußtsein in Verbindung mit



4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg209 Abbildung 4.1: Personen im Zentrum von Rollenerwartungen

(Schwan, K., Seipel, K. G.: 2002, S. 21)

charismatischer Führung, entwickelt über Tradition und Geschichten, die durch Identifikationsprozesse verstärkt werden, [sie] kann eine konventionelle Konfigurationsstruktur [im Sinne einer Organisationsstruktur (Autor)] überlagern, am häufigsten eine unternehmerische, gefolgt von der innovativen, der Organisation von Professionals und der Maschinenkonfiguration [als einem Konfigurationstypus (Autor)]; [sie] ist manchmal so stark, dass sie eine eigene Konfiguration entstehen läßt“ (Mintzberg, H.: 1991, S. 231). Die Kerninhalte einer Ideologie nach Mintzberg sind ebenso wenig wie Paradigmen angestaubte oder gar nostalgische Begriffe, sondern vermitteln vielmehr Intentionen, getragen von Engagement, Dynamik und prospektiver Entwicklung, oft beginnend aus Sendungsbewußtsein, Traditionen und verstärkt durch Identitätsprozesse. Die Begriffe Intention und Paradigma sind – wie eine Durchsicht auf die damit verbundenen Inhalte der vorliegenden Arbeit rasch zeigen – weitgehend deckungsgleich und in Details zumindest ähnlich. Die sozialempirischen und umfangreichen Forschungen haben Hen-

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4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg

ry Mintzberg bei seiner Suche nach der Realität des Managements zu diesen sehr grundsätzlichen und außerordentlich bedeutsamen Ergebnissen geführt und er war damit in Theorie und Praxis ein bahnbrechender Neuerer, der zu Recht daher auf große Resonanz und Anerkennung stieß. Gegen die – gelinde gesagt – einfachen, selbstsüchtigen und stark verkürzten neoliberalen Gesellschafts- und Wirtschaftsideen in den USA – wie vor allem eines Milton Friedman (1912–2006) – und den rechten Eiferern des Neoliberalismus, die diese Ideen zusätzlich simplifizierten, konnte auch ein Henry Mintzberg leider viel zu wenig ausrichten. Zwischen den hochgiftigen neoliberalen Ansichten und den empirisch gestützten und prospektiven Vorstellungen von Henry Mintzberg lagen einmal substanzielle Welten. Zweitens erfolgten die Entwicklungen der neoliberalen Lehren und ihre steigende Verbreitung und Dominanz, einige Jahrzehnte vor den Arbeiten von Henry Mintzberg. Der Neoliberalismus hatte zudem eine außerordentlich starke Lobby in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Besonders Milton Friedman stand am Anfang dessen, was heute unter dem Begriff neoliberaler Ideen verstanden wird, die schließlich wesentlich zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 führten und sich in kaum vorstellbaren Ausmaßen in menschlichen und materiellen Schäden sowie schockierenden Ungerechtigkeiten niederschlugen. Alfred A. von Hayek (1899–1992), ein Freund von Walter Eucken (1891– 1950), dem Vater des Ordoliberalismus, wird oft und oberflächlich in einem Atemzug mit Milton Friedman genannt. Damit wird man weder Alfred A. von Hayek noch Milton Friedman gerecht. Die Begriffe, Inhalte und Vorstellungen der beiden Vertreter des Liberalismus haben bis heute recht verschiedene Richtungen genommen, die nicht einfach in einen Topf geworfen werden sollten. Alfred A. von Hayek war sicher kein Vertreter des Konzeptes der Sozialen Marktwirtschaft, wie es in der Folge ausgehend von Westdeutschland mit unterschiedlichen Varianten in Europa umgesetzt wurde. Betrachtet man das lange Leben von Alfred A. von Hayek und die Phasen seiner reichen, wechselvollen und stets hoch engagierten wissenschaftlichen Tätigkeit in unterschiedlichsten Themenbereichen – wie Konjunkturtheorie, die Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und der Verfassung der Freiheit, seine Beiträge zur Ordnungstheorie und der Evolutionsökonomik –, erwies er sich als eigenständiger und herausragender Vertreter des Liberalismus, dessen Vorstellungen in weitem Maße andere waren als jene von Milton Friedman. Beide hatten im Abstand von zwei Jahren den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten, beide standen für den Liberalismus und beide hatten unterschiedliche Intentionen, Vorstellungen und Wege in ihrer Arbeit verfolgt (s. a. Internet: Hayek, F. A. v.; Friedman, M.). Wenn ein Individuum einer Organisation beitritt, trifft es auf ein System mit eigener Ideologie und Kultur, welche das Verhalten der Menschen in



4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg211

einer Unternehmung, Organisation oder einer anderen Einrichtung stark beeinflusst. Das System zieht daher auch Menschen an und kann dabei Identifikationen und Sozialisationsprozesse evozieren. Naheliegender Weise können oder werden solche Effekte auch mit Arbeitsbedingungen und Vergütungen korrelieren (Mintzberg, H.: 1991, S. 233 f.). Ebenso gibt es Kulturen, die weniger positiv sind, welche die genannten Wirkungen vermindern oder kaum zur Entfaltung kommen lassen, daher in geringerem Ausmaß humanitär sind und auf Sicht gesehen häufig vergleichsweise auch weniger Erfolg haben. Beim Aufbau und der Führung einer Unternehmung folgen der Ideologie bestimmte Effekte. Ein Unternehmensgründer hat beispielsweise eine Idee und schart eine Gruppe von Menschen um sich, um die Idee zu realisieren. Meistens oder zumindest oft kommen diese Menschen nicht zufällig zusammen, sondern da sie gemeinsame Wertvorstellungen teilen, zusammenarbeiten und Ideen verwirklichen möchten. Sie folgen einer Mission, werden vom Charisma des Gründers angezogen usw. Auch in bestehenden Unternehmen und Organisationen können solche Entwicklungen entstehen, d. h. die Möglichkeiten und Chance auch eine „Ideologie“ der Führung zu entwickeln, zu pflegen und etwas Befriedigendes zu schaffen ist stets möglich, wenn genuine Überzeugungen, persönliche Zuneigungen, eine authentische Personal- und Führungsarbeit erfolgt und all das nicht durch Konflikte unnötig belastet und mit möglichst wenig Bürokratie erfolgt. Unter solchen und ähnlichen Ursprüngen der Entstehung einer „Ideologie“ spricht Mintzberg treffend von einer Ideologie des Sendungsbewusstseins (Mintzberg, H.: 1991, S.  232 f.). Die Macht der Idee, die den Vorstellungen von Mintzberg zur „Ideologie“ nahekommt – die leider in ihren guten wie schlechten Auswirkungen viel zu oft unterschätzt werden – finden sich gleichermaßen in der Mikro- und Makroökonomie. Die Richtung eines effektiveren Managements nach Henry Mintzberg: Die sozialempirisch basierte Beschreibung des faktischen Management durch Mintzberg und seine Effektuierung lässt unmittelbar erkennen, dass wichtiger als alle Modelle, Schemata, Rezepte und Heilslehren zum Management Folgendes ist, nämlich dass die „Effektivität des Managers entscheidend von seinen Einsichten in seine eigene Arbeit abhängt“ (Mintzberg, H.: 1991, S. 36). Die gedrängt dargestellten „Mythen“ und „Rollen“ räumen mit tradierten Vorstellungen auf und sind daher ein nicht überschätzbarer Beitrag der Objektivierung und Hilfen für die Entwicklung und Förderung des Management und damit auch eine wirksame Prophylaxe vor Managementfehlern und ihren Folgen. Eine Anwendung und Vertiefung der Erkenntnisse von Mintzberg – mit Blick auf den Bereich Organisationsgestaltung – schlägt sich in folgendem

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4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg

Buch nieder: Henry Mintzberg: Die Mintzberg-Struktur. Organisationen effektiver gestalten. Landsberg / Lech 1992. Peter Drucker, Edgar Schein und Henry Mintzberg sind bislang sicher die wesentlichsten Vertreter einer prospektiven Managementkultur. Ihre Arbeit findet allerdings bislang im deutschsprachigen Raum in Theorie und Praxis keinen befriedigenden Niederschlag. Man bewegt sich zu sehr nach hergebrachten Mustern und das in einem Umfeld, das sich seit Jahrzehnten verändert. Neue, zumindest ergänzte Managementformen, -kulturen und -praktiken wären erforderlich. Kommt es zu den notwendigen Anpassungen und Entwicklungen, erfolgen sie meist durch Unternehmen, die durch Kreativität, Innovationen und eine stark zukunftsorientierte Unternehmensausrichtung auch hochwertige Produkte und Dienstleistungen erbringen und damit überdurchschnittliche Erfolge erzielen. Solche Unternehmen finden sich von kleinen Betrieben bis zu großen transnationalen Konzernen. Die von ihnen praktizierten Unternehmenspolitiken basieren im Kern auf hochqualifizierten Mitarbeitern, die jeweils heiß umkämpfte Arbeitsmärkte bilden. Die prospektiv orientierten Unternehmen sind dort attraktive Nachfrager, die nicht nur über gute Vergütungssysteme verfügen, sondern anspruchsvolle Aufgaben mit Entwicklungsmöglichkeiten bieten, sich ebenso bemühen in jeder Hinsicht erstklassige Arbeits- und Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen und eine hochentwickelte Personal- und Führungsarbeit leisten. Eine Unternehmensführung die solchen Vorstellungen konsequent folgt, ist daher als eine personalistische Unternehmensführung zu qualifizieren oder, um es konkret und intentional und beispielhaft zu beschreiben: Bei einem Konzern oder Großbetrieb ist nach dem Vorstandsvorsitzenden (CEO) der Personalvorstand mit der wichtigste Top-Manager, da es ihm gelingen muss, einmal die besten Fachleute zu gewinnen und sehr nachhaltig an das Unternehmen zu binden. Zweitens muss er mit einer sehr zeitgemäßen und hochwertigen Personal- und Führungsarbeit betriebspolitisch umfassend gewährleisten, dass von der Spitze bis zu Basis aller Mitarbeiter diese im Zentrum der Unternehmensführung stehenden Personal- und Führungsfunktionen möglichst optimal und kontinuierlich erfüllt werden. Die Breite und Tiefe der damit verbundenen Aufgaben werden von weniger ambitionierten Unternehmen erfahrungsgemäß kaum erkannt, geschweige denn erfüllt. Natürlich benötigt der Personalvorstand die volle Unterstützung des CEO. Kurzum: Für erstklassige Leistungen eines Unternehmens ist eine qualitätsvolle Personal- und Führungsarbeit im Rahmen einer personalistischen Unternehmensführung unverzichtbar (s. a.: Schwan, S., Anschober, M., Storf, J.: 2011 / 12, S. 125–137: Internet: Schwan, S. et  al.). Die bisherige Forschung und Lehre zum Thema Unternehmensführung bewertet den vorgenannten erstrangigen Erfolgsfaktor der Personal- und Führungsarbeit und die damit auch konkret zum Ausdruck kommende Wert-



4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg213

schätzung der Mitarbeiter als einen Faktor unter anderen, also bestenfalls als zweitrangig. Werden lediglich Normalleistungen angestrebt, mag das auch ausreichend sein, zumindest auf kurze oder mittelfristige Sicht. Bei langfristigen bzw. nachhaltig angestrebten hochkarätigen Erfolgsintentionen wird das meist anders sein: Die Wettbewerbsstellung eines Unternehmens im Kontext mit relevanten Weiterentwicklungen – wie beispielsweise in einer Branche, von Technologien, der Internationalisierung von Märkten, methodischen Innovationen, wie Networking usw. – erfordert mehr denn je eine personalistische Unternehmensführung. Die Forschung und Lehre der Unternehmensführung sollten in Abstimmung mit der Gesellschaft und Wirtschaft die Speerspitze für die Verstärkung einer personalistischen Unternehmensführung bilden und nicht den realen Entwicklungen der Praxis hinterherhinken. Blickt man allerding auf das „normalerweise“ den Studenten an Hochschulen präsentierte substantielle und methodische Lehr- und Forschungsangebot, bleiben solche dringenden Erfordernisse unerfüllt. Daher kann es auch kein Trost sein, wenn man feststellt, dass eine Großzahl an Unternehmen, Organisationen und anderen privaten und öffentlichen Einrichtungen, aber auch Interessenvertretungen, die zukunftsentscheidenden Entwicklungen zu wenig berücksichtigen, geschweige denn solche Vorstellungen einer personalistischen Unternehmensführung ausreichend in ihrem Leitbild des unternehmerischen Denkens, Fühlens, Entscheidens und Handelns berücksichtigen. Man muss daher vielmehr auch sagen: Viele überkommene Paradigmen der Unternehmensführung verlangen daher einen Paradigmenwechsel. Wie aktuell, konkret und essentiell das Thema ist, hat uns die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in nicht zu überbietender Art und Weise gelehrt. Das Lehrgeld war und ist allerdings unermesslich hoch und sollte zumindest vorbeugend den Blick in die Zukunft schärfen. Wie konnte es geschehen, dass in Europa in der Zeit ab Mitte der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts bis zum Ausbruch der Krise im Jahr 2007 simple und längst überholte neoliberale Ideen aus den USA die Paradigmen des nach dem 2. Weltkrieg aufgebauten Erfolgsmodells der Sozialen bzw. später Ökosozialen Marktwirtschaft unterlaufen und teilweise ersetzen konnten? Warum haben sich nur so Wenige dagegen gestemmt? Mit deren Kraft allein war die Fahrt in die größte wirtschaftliche Katastrophe seit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 nicht zu stoppen. Warum ist die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft dem neoliberalen Trugbild nachgelaufen? Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nahm von den USA ihren Ausgang, ebenso wie die beiden vorhergehenden Weltwirtschaftskrisen. Aber: Nach dem 2. Weltkrieg entstanden weltweite, fachlich kompetente und mächtige Organisationen, wie beispielsweise die Vereinten Nationen (UN). Warum konnten diese dem sich epidemisch und unübersehbar über Jahrzehnte ausbreitenden Neoliberalismus

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4. Mythen, Realitäten und Rollen zur Führung nach H. Mintzberg

keinen Einhalt gebieten? Die Folge war, dass auch durch den fehlenden Widerstand dieser Einrichtungen gegen die fatalen Entwicklungen des Neoliberalismus es zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 kommen konnte, welche die Gesellschaft und Wirtschaft vieler Länder an ihren Abgrund führte. Warum konnten ganze Branchen – wie das weltweite Bank- und Finanzsystem – jahrelang in krimineller Art und Weise ungestört ihrer Raffgier frönen, damit unermessliches Leid über Millionen von Menschen bringen, deren Zukunft verdüstern und in der Folge extrem überhöhte Unsummen an Sanierungsgeldern zu Lasten der Steuerzahler und der geschädigten Menschen und Betriebe kassieren? Fragen über Fragen, weshalb die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nicht verhindert werden konnte, ein derartiges Ausmaß mit grauenhaften Folgen erreichte und ihre Bewältigung durch Jahre nicht klarer und kompetenter erfolgte. In den USA hat man mittlerweile begonnen, die Schuldigen des Bank- und Finanzsystems mit Milliardenbeträgen an Dollar zur Verantwortung und Rechenschaft zu ziehen. Auch in Europa reagiert die Politik der Länder und besonders die der EU mittlerweile zunehmend effizienter, prospektiver und präventiver. Das lässt hoffen, dass bei ähnlichen Entwicklungen besser reagiert werden wird (Anfang 2015). Die Ereignisse im Zusammenhang mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und viele andere extrem negativen Erfahrungen zwingen zum Umdenken. Auch vor der Krise gab es Leitbilder, Paradigmen, engagierte Menschen in allen Bereichen, die sich redlich, klug und verantwortungsvoll in ihren Funktionen und Bereichen um Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur, Sozialbereiche usw. bemühten, erfolgreich waren und sich verdient gemacht haben. Die dramatischen Ereignisse und die Folgen ab 2007 lehren allerdings sehr drastisch, wie unerlässlich das Principiis obsta ist, sprich Wehret den Anfängen. Dem sollten Paradigmen dienen, und zwar nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern als letztlich gelebte Maxime des Handelns.

5. Qualitätselemente der Führung Formale und traditionelle Elemente der Führung und Motivation sind in der Fachliteratur dominierend. In der Theorie und Praxis traten jedoch allmählich mit wechselnder Intensität und einem Auf und Ab im Zeitverlauf Aspekte des Verhaltens, der Information und der Kommunikation verstärkt hinzu und besonders die Bereiche Führung und Motivation erfuhren eine erweiterte Interpretation. Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts erreichte die Qualität der Personal- und Führungsarbeit nicht nur im Schrifttum, sondern auch in beeindruckenden Beispielen der Praxis ein hohes Niveau, das bislang im Allgemeinen nicht mehr erreicht wurde, sieht man von zwar vorhandenen, aber viel zu wenigen positiven Ausnahmen ab (Mitte 2015). In der Aufbauphase der Unternehmen in Deutschland und Österreich nach dem 2. Weltkrieg hatte sich in vielen Betrieben ein Geist der Gemeinsamkeit, Loyalität und Solidarität von Unternehmern, Vorgesetzten und Mitarbeitern entwickelt. Nach 12 Jahren der NS-Diktatur, dem Zusammenbruch der Wirtschaft, der Not nach dem Kriegsende und der Flüchtlingsströme in den Westen, der Teilung von Deutschland einerseits und andererseits der Entwicklung und erfolgreichen Realisierung der Sozialen Marktwirtschaft, ist dieser positive Zeitgeist in den Köpfen und Herzen der Menschen entstanden. Unternehmer und Mitarbeiter wussten, dass der Aufbau nur gemeinsam gelingen konnte und daher auch die Früchte der Arbeit fair zu verteilen waren. Bewundernswerte Beispiele für die Geisteshaltung von Unternehmern und Mitarbeitern der wirtschaftlichen Aufbauphase waren die Ideen für Partnerschafts- und Beteiligungsmodelle, die ausgehend von Unternehmensleitungen und mit positiver Resonanz und dem Engagement der Mitarbeiter entwickelt wurden. Unterstützung erfuhren sie durch damals bekannten Experten. An deren Spitze standen Guido Fischer (1899–1983) und seine engsten Mitarbeiter an der Universität München. Guido Fischer war die führende, treibende und ideenreiche Persönlichkeit, die im In- und Ausland und bis nach Japan für sein Engagement hohes fachliches und menschliches Ansehen genoss (Internet: Fischer, G.). Seine damaligen Mitarbeiter lehrten bis vor wenigen Jahren als bedeutende Hochschullehrer der Bereiche Personalwesen und Führung und pflegten eine enge Zusammenarbeit mit der wirtschaftlichen Praxis (Eduard Gaugler, Rolf Wunderer, Kurt Maier, August

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5. Qualitätselemente der Führung

Sahm). Solche Vorhaben wurden auch durch einige andere Hochschulen engagiert unterstützt und führten zu zahlreichen Projekten, die mit Erfolg in Deutschland, Österreich und der Schweiz realisiert wurden. Auch die bis heute bedeutsame Sozialpartnerschaft in Österreich war ein konstruktives Beispiel der damaligen Geisteshaltungen und der jüngeren korporativen Organisationsstruktur in den Bereichen Arbeit und Wirtschaft nach dem 2. Weltkrieg, aber auch mit ihren zeitgeschichtlichen Wurzeln im österreichischen Ständestaat bis 1938, dem das unselige NS-Regime folgte (Internet: Korporation; Ständestaat / Österreich). Die konzeptionellen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft wurden von Walter Eucken (1891–1950) und der von ihm begründeten Freiburger Schule bis 1932 entwickelt und als Ordoliberalismus bezeichnet (s. a.: Wunderer, R.: 2001, S. 41–48). Die Wirkkraft und Effizienz der Marktwirtschaft, wie sie seit dem Beginn der Industrialisierung – etwa ab 1830 im deutschsprachigen Raum – entstanden war, wurde mit ordnenden und sozialen Regelungen verbunden. Die liberal orientierte Marktwirtschaft des 19. Jahrhunderts und danach war im sozialen Bereich der Arbeiterschaft mit gravierenden Mängeln verbunden. Die Schattenseiten des Wirtschaftssystems hatten zu der die Zeitgeschichte des 19. Jahrhunderts bis weit hinein in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich bestimmenden Sozialen Frage geführt, welche die Gegenposition zum herrschenden Wirtschaftsliberalismus bildete. Der Ordoliberalismus hatte das Ziel, die systemimmanenten Diskrepanzen des Wirtschaftsliberalismus zu überwinden und die ökonomischen Vorteile der Marktwirtschaft mit den Inhalten und Forderungen der Sozialen Frage zum Ausgleich zu bringen. Daher rührt auch der Begriff des Ordoliberalismus. Die Katholische Soziallehre lieferte hierzu essentielle Orientierungen. Deren wesentliche Aussagen wurden bis heute evolutionär weiter entwickelt und schlugen sich in Sozialenzykliken nieder (Rerum Novarum / 1891, Quadragesimo anno / 1931, Mater et magistra / 1961, Laborem ecercens / 1981, Centesimus annus / 1991, ferner und im weiteren Sinn Pacem in terris / 1963, Populorum Progresssio / 1967, Sollicituto Rei Socialis / 1987 und Caritas in Veritate / 2009 und schließlich ist in diesem Kontext auch das Schreiben von Papst Franziskus zu nennen: Evangelii Gaudium vom 24.11.2013. Rerum Novarum und Quadragesimo anno bildeten im Wesentlichen das ethische Fundament des Ordoliberalismus der Freiburger Schule. Auf der Grundlage des Ordoliberalismus wurde nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur am 09.05.1945 – dem Tag, an dem die bedingungslose Kapitulation Deutschlands in Kraft trat – in der Folge die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft entwickelt, konkretisiert und Schritt für Schritt umgesetzt (Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack u. A.), und zwar als er-



5. Qualitätselemente der Führung217

folgreiche Alternative zu der nicht minder engagiert verfolgten Konzeption der Planwirtschaft in West-Deutschland, die erst durch das Godesberger Programm der SPD offiziell aufgegeben wurde (1959). Der Begriff Soziale Marktwirtschaft wurde erstmals 1946 von Alfred Müller-Armack (1901– 1978) in seinem Buch Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft verwendet, das 1947 veröffentlicht wurde (Müller-Armack, A.: 1947). Der Begriff setzte sich in der Bundesrepublik Deutschland und Österreich ab 1949 durch. Der Begriff wurde durch Ludwig Erhard (1897–1977) mit dem CDU-Programm für die Bundestagswahl 1949 einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Parallel und auch zeitversetzt zu Westdeutschland fand die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft mit nationalen Varianten in zahlreichen Ländern Europas Anhänger und realpolitische Umsetzungen. Auch die später entstandene EU orientierte sich essenziell an der Konzeption und den Erfahrungen der Sozialen und späteren Ökosozialen Marktwirtschaft. Die Schaffung des Ausgleiches zwischen den Kräften des Marktes und den Erfordernissen bzw. Antworten auf die Soziale Frage, also die sinnstiftende Verknüpfung von beidem, war weltweit die erstmalig erreichte realpolitische und epochale Leistung der Sozialen Marktwirtschaft. Sie erwies sich als Alternative zwischen den traditionellen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Positionen von Sozialismus und Liberalismus und wurde zum Erfolgsmodell des Wideraufbaues und des allgemeinen Wohlstandes. Das Aufkommen und die Dominanz des Neoliberalismus in Europa sind daran gemessen zeitgeschichtlich, wirtschafts- und sozialpolitisch ein Rückfall in eine frühe Phase der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts, die noch entscheidend von den liberalen und ordnungspolitischen Vorstellungen und den ökonomischen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts bestimmt war. Mit der nachfolgenden zweiten sowie dritten Unternehmer- und Mitarbeitergeneration der Nachkriegszeit und deren größeren zeitlichen Distanz zum NS-Regime und zur Wiederaufbauphase, verschwanden auch zunehmend die Ideen der Partnerschafts- und Beteiligungsmodelle und deren Realisierung. Die qualitätsprägende Phase für die Funktionsbereiche Unternehmensführung sowie Personal- und Führungsarbeit und die Erinnerung an ihre Entstehungsgründe in der Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit – die für eine damals wie heute zeitgemäße Kultur und Elemente der Personal- und Führungsarbeit stand – verblasste und verlor sich leider weitgehend aus dem zeitgeschichtlichen Gedächtnis der Unternehmer und ihrer Mitarbeiter. Es bestanden zwar in einem überschaubarem Umfang noch über Jahre hinweg hervorragende Konzeptionen und konkrete betriebliche Umsetzungen der Partnerschafts- und Beteiligungsmodelle, die sowohl in der Lehre einiger Hochschulen, von etlichen Weiterbildungseinrichtungen und Beratern wie

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5. Qualitätselemente der Führung

auch in der Praxis ihren Niederschlag fanden, aber letztendlich in der Gesellschaft und Wirtschaft nicht mehr die erforderliche Aufmerksamkeit, breite Akzeptanz und Verankerung fanden. Die einstigen Akteure schieden mehr und mehr aus dem Berufsleben aus und verstarben. Das trug natürlich bei zum Vergessen einer der sicher interessantesten und wertvollsten Phase der Unternehmensführung und der damit eng verbundenen Personal- und Führungsarbeit nach dem 2. Weltkrieg bis in die Gegenwart. Berichtet man heute beispielsweise Studierenden der Wirtschaftswissenschaften, jungen Führungskräften oder an sozialen und wirtschaftlichen Problemen und Lösungen interessierten Menschen über die damaligen Bestrebungen und tatsächlichen Umsetzungen, findet man staunende und gebannte Zuhörer, die fast ausnahmslos etwas für sie bislang Unbekanntes erfahren, sozusagen aus einer anderen und scheinbar entfernten Welt. Solche Dialoge machen alle Beteiligten nachdenklich. Vorstellungen und Elemente jener Zeit bereichern aber dennoch auch aktuelle Konzeptionen und Praktiken der Personal- und Führungsarbeit. Das ist für alle Tätigen einer Unternehmung oder anderer Einrichtungen ein Gewinn und wichtiger, als die Genese solcher Vorteile zu kennen. Die kurz skizzierte Phase der Nachkriegszeit wurde zunehmend überlagert von dem etwa ab Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts um sich greifenden neoliberalen Konzept, das im Geist des frühen Liberalismus des 18. und 19. Jahrhundert agierte, allerdings nur mit einigen einfachen Bruchstücken aus dieser frühen Phase des Liberalismus, wie sie den Neoliberalen der USA eben nützlich schienen und die später auch in Europa aufgegriffen wurden. Diese immer dominanter werdenden Ideen waren der mächtige Ausgangspunkt einer neoliberalen Entwicklung, die letztendlich zur weltweit schwersten Finanz- und Wirtschaftskriese seit 80 Jahren entscheidend hinführte. Deren Apologeten sind nach wie vor da, warten frisch und munter auf ihre nächste Chance, um wie vor und während der Krise wieder auf Kosten der Gesellschaft und Bürger Kasse zu machen. Dieser Eindruck drängt sich zumindest derzeit auf (Sommer 2015), daher: Principiis obsta! In den USA und auch durch die EU wurden einmal inzwischen verschiedene tiefgreifende Maßnahmen eingeleitet – die immer konsequenter und stärker eine Umsetzung erfahren –, um so gut als möglich sicher zu stellen, dass sich das Desaster der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nicht widerholt. Zweitens werden die kriminell gewordenen Drahtzieher und verantwortlichen Schuldigen der Krise in den USA und zunehmend auch in der EU zur Verantwortung gezogen und mit drakonischen finanziellen Zahlungen eingedeckt. Die neoliberalen Ideen und damit verbundenen Entwicklungen waren ein Hauptgrund dafür, dass in Theorie, Politik und Praxis auch die Qualität der



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Themen einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit qualitativ sehr stark litten. Sinngemäß gilt das ebenso für den vorgelagerten Bereich der Unternehmensführung. Ein erheblicher Teil der Vertreter der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, aber auch anderer Bereiche, waren in Theorie, Lehre, Beratung und den wirtschaftlichen Interessenvertretungen sich anbiedernd und verantwortungslos mit von der Partie, die dem Neoliberalismus in Europa den Weg bereitete. Sie hätten es eigentlich besser wissen müssen, aber Geschäft war Geschäft. Bereits im Jahr 1975 fand der Begriff Neue Soziale Frage Eingang in die politischen Diskussionen (Heiner Geißler, Kurt Biedenkopf, Norbert Blüm und Andere; Internet: Geißler, Heiner; Neue soziale Frage). Themen waren damals: Arbeitslosigkeit, soziale Sicherheit und Rentenprobleme, der sogenannte Generationenvertrag usw. Bereits damals gab es also sensitive Persönlichkeiten der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, die vorausahnend unheilvolle geistige Strömungen und Problemfelder erkannten und benannten, die mehr als 30 Jahre später mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ungeahnte Brisanz und Aktualität erhielten: Arbeitslosigkeit und besonders enorme Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern. – Prekäre Arbeitsverhältnisse. – Beruflich-sozialer Abstieg. – Verarmung versus Bereicherung und Desolidarisierung. – Bedrohung des Mittelstandes. – Soziale Unsicherheit und neue Ängste. – Positive und negative Effekte zunehmender Internationalisierung und „Raubkatzenkapitalismus“ usw. Die Diskussionen und das Engagement von damals wurden etwa ab Ende der 80ger Jahren zunehmend und leichtfertig ignoriert, vergessen bzw. zur Seite geschoben, und zwar auch von einem beträchtlichen Teil der fachlich zuständigen Wissenschaftler und akademischen Lehrern, von Politikern, Unternehmern, aber auch Arbeitnehmervertretern, also Gruppen welche die Macht gehabt hätten, den sich abzeichnenden und zunehmenden neoliberalen Umtrieben Einhalt zu gebieten. Wenige warnten, Viele taten nichts! Die Katholische Soziallehre und ihre Vertreter waren seit dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart diejenigen, die der Sozialen Frage und der Wirtschaft in stets zeitgemäßer Art und Weise ökonomische und ethisch fundierte Orientierungen und Problemlösungen anboten und sich für deren Realisierung einsetzten. Gegenüber ihrem früherem Einfluss haben sie allerdings leider an Bedeutung verloren. Eine Wende könnte durch das weltweite und aufrüttelnde Engagement des Papstes Franziskus (1936) eintreten, das er ab seiner Amtseinführung am 15.03.2013 gerade zu diesen hochaktuellen Problemkreisen mit hoher Authentizität und großer Resonanz entfaltete. Er wäre sicher jene ideelle und moralische Instanz und Persönlichkeit, die bei der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wichtige Orientierungen und entscheidende Impulse geben könnte. Eine zutiefst moralische Krise benötigt eine moralisch so an der Krise engagiert Anteil nehmen-

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5. Qualitätselemente der Führung

de und weltweit respektierte Persönlichkeit, wie Papst Franziskus sie verkörpert. Die Krise kann von ihren Wurzeln her nur dann tiefgreifend überwunden werden, wenn es gelingt dafür ein ethisch starkes Fundament zu schaffen. Papst Franziskus hat mit seinem Schreiben Evangelii Gaudium vom 24.11.2013 dazu die Hand geboten. Was taten die Akteure der Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 seither, um die signalisierte Hilfe für die enorme Aufgabe zu vitalisieren, sind sie zu beschäftigt oder dafür zu stumpf geworden? Man vergaß in diesem Kontext, dass ab dem frühen 19. Jahrhundert der vielfach praktizierte Altliberalismus mit seinen widerlichen sozialen Missständen in Europa und den USA die Soziale Frage der Arbeitnehmer auslöste und zu tiefgreifenden Spannungen sowie später zu Reformen führten. Letztere fanden breiteste Unterstützung bei verschiedensten Gruppen der Gesellschaft. Ihre dominierende Bedeutung für die Politik hatte die Soziale Frage bis weit hinein in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und ihre Folgen aktualisierten den Problemkomplex der Sozialen Frage und der Neuen Soziale Frage durch hochbrisante, grauenhafte, nationale und internationale Problemstellungen und Dimensionen und tut es bis heute. Die vorerwähnten Diskussionen um das Jahr 1975 zur Neuen Sozialen Frage waren daran gemessen ein linder Frühjahrswind. Ebenso wurden die auf ihrem ordnungspolitischen Fundament solide fundierte Soziale und spätere Ökosoziale Marktwirtschaft mit ihren gewaltigen Leistungen beim Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg in Europa sowie der Einleitung einer langen Phase der Wohlstandsentwicklung offenbar als eine Selbstverständlichkeit bewertet. Scheinbar glaubte man daher sich darüber nicht sonderlich Gedanken machen zu müssen. Das erwies sich mit dem Ausbruch und Fortgang der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 als tragischer und fürchterlicher Irrtum mit Folgen, wie sie zuvor nicht vorstellbar waren. Erst einige Zeit nach dem Ausbruch der Krise und dem allmählichen Erkennen ihres weltweiten Ausmaßes, wurde begonnen zu begreifen, wie unglaublich gedankenlos und unverantwortlich die Ökosoziale Marktwirtschaft in der EU gegen den Neoliberalismus de facto an Boden verloren hatte und man damit vor der Bewältigung der schwersten Weltwirtschaftskrise seit den Jahren 1928–1932 stand und noch Jahre brauchen wird, das globale Desaster einigermaßen zu überwinden. Nun, in der Wirklichkeit der Krise angekommen – wen wundert’s –, erinnert man sich an die wieder als erstrebenswert entdeckten Vorteile der Sozialen bzw. Ökosozialen Marktwirtschaft. Die Hardcore-Neoliberalen – nicht nur in den USA – sind durch die Rosskur der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 aber weder geheilt, noch verschwunden – warum auch –, sondern bestenfalls nicht mehr ganz so laut zu hören, aber sicher nicht minder emsig und längst wieder, vielleicht etwas verkleidet, auf der Bühne. Ihre Exponenten aus der „Finanzindustrie“ waren noch



5. Qualitätselemente der Führung221

vor kurzer Zeit die wohlgelittenen Krisenmanager überforderter Politiker, was mittlerweile doch als ein wenig degoutant gelten mag. Auch das wird sich geben. Wäre es anders gewesen und hätten die verantwortlichen Anhänger der verschiedensten Lager die Ökosoziale Marktwirtschaft ernsthaft verteidigt, wäre es zwar als Folge des Krisenverlaufes in den USA auch in Europa vermutlich zu krisenhaften Entwicklungen gekommen, aber sicher nicht in dem Ausmaß, wie es durch die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in Europa geschah. Die katastrophalen Folgen der Krise sind daher generell und speziell für Europa sowie besonders den Bereich der EU ein sicheres Indiz des Versagens der verantwortlichen Akteure und die Art und Weise des Hineinschlitterns in das Desaster. Sicher ist es kein Zufall, dass die höchst diffizile Frage bislang kaum thematisiert wurde: Wer trägt welches Maß und aus welchen Gründen an personaler Verantwortung an der Krise? Trotz all der wichtigen Erkenntnisse und Erfahrungen mit der Sozialen Frage, der Neuen Sozialen Frage und der Sozialen Marktwirtschaft, erlag man dem Neoliberalismus und rutschte sorglos und unbedacht trotz aller mahnenden Stimmen in die größte Wirtschaftskatastrophe seit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 (s. a.: Internet: Soziale Frage). Heute (Anfang 2015) erscheint es schwer verständlich, einmal wie leicht es dem Neoliberalismus gemacht wurde, in Europa seine dominante und rücksichtslose Position einzunehmen. Zweitens, wie wenig man die ideellen Werte und wirtschaftlichen sowie sozialen Errungenschaften der Sozialen bzw. Ökosozialen Marktwirtschaft gegen diese unseligen Entwicklungen verteidigte. Dieses in jeder Hinsicht substantielle und qualitative Skandalon reflektierte sich zwangsläufig auch in der Qualität der Führungs- und Personalarbeit, sei es in weiten Bereichen der Mikro- oder der Makroökonomie, aber auch der Gesellschaft und Politik. Die Macht der Ideen, ob gut oder schlecht, ist bei hochkomplexen Entwicklungen übergreifend immanent. Die Folgen des Neoliberalismus, die ursächlich und mit verheerenden Auswirkungen zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 führten, haben zwangsläufig bewirkt, dass nach dem Desaster der Krise sich zunehmend eine Fülle von Fragen aufdrängten, wie das überhaupt geschehen konnte und vor allem welche besseren Alternativen gefunden und realisiert werden können. Eine hilfreiche, essentielle und mentale Inspiration kann eine Anknüpfung an die Vorstellungen, Konzeptionen und Praktiken der Personal- und Führungsarbeit sein, wie sie in den Jahrzehnten des Wiederaufbaues bis etwa bis in die Mitte der 70ger Jahre, also rund durch eine Generation gepflogen wurden. Eine sehr beachtliche Zahl an Unternehmern, Managern, Führungskräften und Mitarbeitern in Betrieben und anderen Einrichtungen, die im deutschsprachigen Raum oft mit dem Namen Guido Fischer und zahlreichen

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5. Qualitätselemente der Führung

Persönlichkeiten mit gesellschaftlichem Gewicht und politischem, wissenschaftlichem, wirtschaftlichem und sozialem Einfluss in Zusammenhang gebracht wurden, prägten diese beispielgebende Phase. Diese Bewegung und aktiv gelebte Praxis erfolgte in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern in ähnlichen Varianten. Natürlich kann und darf eine solche Anknüpfung keine nostalgisch-wehmütige Übung sein. Rund 40 Jahre danach hat sich die Welt verändert und mit ihr die Aufgabenstellungen und die Arten der Leistungserbringungen, wie sie die Gesellschaft und Wirtschaft erfordern, was zu beachten wäre. Wenige Schlagworte zeigen das, die damals im Gegensatz zu heute noch kaum vergleichbare Bedeutungen hatten, wie beispielsweise: Globalisierung. – Nationale und internationale Vernetzungen der personellen und sachlichen Leistungsvollzüge. – Allianzen und Kooperationen. – Bedeutung der Informationstechnologie und Digitalisierung. – Steigende Raschheit und Anforderungen des Wandels. – Lebenslanges Lernen. – Gestiegene Mündigkeit der Menschen in vielfältigsten Erscheinungsweisen. – Führungsverständnis und einschlägige Veränderungen. – Demographischer Wandel. – Enorme und erfolgsbestimmende innovative Herausforderungen. – Fehlertoleranz und Innovation. – Veränderungsorientierte Organisationsgestaltungen. – Wandel des sozialen Selbstverständnisses der Menschen. – Verteilungsgerechtigkeit. – Arbeitsmärkte und Beschäftigungsprobleme. – Neue Arbeitsformen. – Politische und globale Spannungs- und Konfliktfelder. – Staatskultur versus Kulturstaat. – Urbanisierung und Megastädte. – Wachstumspolitik. – Klima- und Umweltprobleme und Ökologie. – Medien. – usw. Natürlich hat eine zeitgemäße und effiziente Personal- und Führungsarbeit einmal auf die tiefgreifend und vielfältig veränderten Anforderungen angemessene Lösungen zu leisten. Zweitens haben neoliberale Vorstellungen zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 eine zutiefst moralische Krise verursacht, die falschen Paradigmen bis zum bitteren Ende folgte, die noch lange nicht in den Köpfen, Herzen und im Handeln vieler Menschen überwunden sind. Bessere Alternativen sind unverzichtbar. Drittens darf die Macht der Ideen im Guten wie im Bösen nicht unterschätzt werden, was gerade die Krise bewiesen hat und weshalb es zwingend ist, mit neuen Paradigmen ein besseres Fundament zu bauen, um so gut und sicher als erdenklich ein neuerliches Desaster zu vermeiden. Die Personal- und Führungsarbeit der Nachkriegszeit bis etwa zur Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts, wie sie in beachtlichem Maße etwa im Sinne eines Guido Fischer und bedeutender Mitstreiter konzipiert und auch umgesetzt wurde und die mit der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft harmonierte, folgten großteils Paradigmen, die in der gegenwärtigen Gesellschaft und Wirtschaft zu unverzichtbaren Werten und Orientierungspunkten werden sollten. Das hätte



5. Qualitätselemente der Führung223

höchste Aktualität und würde der Qualität einer prospektiven Unternehmensführung, Personal- und Führungsarbeit dienen. Die Akteure der Krisenbewältigung in der EU, den USA und in vielen anderen Ländern wird vermutlich unentwegt die Frage bewegen, wo liegen die bestmöglichen Lösungsansätzen und vor allem deren wirksamen Umsetzungen, um der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 Herr zu werden. Wie enorm schwierig diese Aufgaben zu bewerkstelligen sind, zeigen allein die zahllosen, oft widersprüchlichen und harten Auseinandersetzungen, bei denen es natürlich um tiefgreifende gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Ansichten, Theorien und Postulate geht, bei denen nicht leicht gemeinsame Meinungsbildungen erreichbar sind. Entsprechende Entscheidungsnotwendigkeiten sollten erwartungsgemäß Ängste, Erfahrungen, nationale und regionale Besonderheiten, parteipolitische Vorstellungen und vieles Mehr berücksichtigen, was einer Quadratur des Kreises gleicht und nur suboptimal möglich ist. Schließlich geht es auch um gewaltige Interessenkonflikte und Weichenstellungen und damit um höchst brisante Kompromisse der Makroökonomie, Gesellschaft, Politik und Kultur, und zwar mit elementaren Auswirkungen auf die Mikroökonomie, der damit Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit vorgegeben werden. Unzählige Verantwortliche und ihre Vertreter auf unterschiedlichen Funktionsebenen der Mikroökonomie, ob Unternehmer, Manager, Führungskräfte, unterschiedlichste Fachleute, Mitarbeitern, aber auch Geschäftspartner und Andere, sind als Einzelne oder Gruppen gefordert, ihre Analysen, Bewertungen und Lösungsansätze für jene Teile der Krisenbewältigung zu finden – die sie direkt oder mittelbar betreffen –, Vorstellungen in Entscheidungsverfahren einzubringen und nach Möglichkeit umzusetzen. Aber auch für Familien, Jugendliche, Arbeitslose, Geschädigte der Krise usw. stellt sich diese Aufgabe sinngemäß. Sicher ist es oft nicht leicht, aktiv zu versuchen erfolgreiche Beiträge der Krisenbewältigung zu erbringen. Das Risiko zu scheitern ist nicht gerade gering und erfordert unter schweren Bedingungen Ideen, Anstöße, Mittel und Aktivitäten. Viele oder die meisten Aufgaben nimmt den davon Betroffenen niemand ab. Aber: Passivität, Resignation bis hin zu Depressionen sind die schlechteren Alternativen. Sie bergen die Gefahren der Destruktion und das Empfinden dunkler Sinnlosigkeit. Inhalt und Qualität der Führung und Motivation werden einmal durch die zeitgemäße Handhabung traditioneller Instrumente bestimmt. Zweitens aber auch dadurch, dass verstärkt neue Elemente der Führung und Motivation zusätzlich stärkere Berücksichtigung finden, die durch neue Anforderungen bereits heute bedeutsam sind und deren Stellenwert weiter steigen wird. Das sind beispielsweise wichtiger gewordene Aufgaben der mikroökonomisch geforderten Leistungslegitimation, wie Bildung, Forschung, Kreativität, In-

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5. Qualitätselemente der Führung

novation usw., um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu erhalten und möglichst zu stärken. Das setzt u. a. voraus, dass die beteiligten Menschen auf den verschiedenen Funktionsebenen eines Betriebes ein optimiertes sachliches und humanes Umfeld haben und mitgestalten können, welches das angestrebte Leistungsniveau ermöglicht und natürlich deren Motivation entscheidend bestimmt. Das beginnt mit Ressourcen, Entfaltungsmöglichkeiten und Freiheiten, dem Führungsstil usw. bis hin zu Entgelt- und Vorsorgeregelungen. Mit dem Fokus einer prospektiven Führung und Motiva­ tion geht es tendenziell etwa um folgende Themen: Information und Kommunikation. – Initiative und Eigenverantwortung der Mitarbeiter. – Geänderte Orientierungen und Formen breiter basierter Meinungs- und Entscheidungsbildungen zur Bewältigung sowohl komplexer gewordener Aufgabenstellungen, als auch der Wünsche qualifiziertere Mitarbeiter an Mitgestaltungen. – Förderung der Identifikation mit Aufgabenstellungen versus Job-Denken, Unverbindlichkeit und Opportunismus. – Personalentwicklung als Schlüsselaufgabe für die Sicherung von Wandel, Fortschritt und nachhaltige betriebliche Legitimation und Bewährung auf internationaler gewordenen Märkten des Absatzes und der Beschaffung. – Sicherung der Entfaltung der Mitarbeiter in ihrer beruflichen Sphäre. – Orientierungen der Leistungserbringung an Grundsätze der ökosozialen Marktwirtschaft und einer gesellschaftlichen Verantwortung. – Stärkung der Verankerung einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit im Bereich der Unternehmensführung und der obersten Leitungsebene in Unternehmen und anderen Einrichtungen.

6. Spannungsfelder einer Führungskraft Führungskräfte und Manager werden seit langem durch populäres Schrifttum und Medien hochstilisiert als vitale, belastbare, ausdauernde, von Initiative, Ausgeglichenheit, Selbstbewusstsein und Motivation strotzende Persönlichkeiten. Kurzum, sie sind fast Alleskönner. Das hat mit der Realität wenig zu tun, löst aber möglicherweise Erwartungen aus, die Führungskräfte und Manager nicht erfüllen können und – würden sie das ernst nehmen – überfordern würde. Dennoch, oft unbewusst oder bewusst können überzogene QuasiMaßstäbe entstehen, die den Keim des Scheiterns bereits in sich tragen. Werden diese vermeintlichen Eigenschaften verinnerlicht, also zum eigenen Maß für die Bewertung von Leistungen erhoben, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit sich über kurz oder lang damit ein belastendes Gefühl der Unzulänglichkeit einstellen, ebenso Versagensangst bis hin zu Stress. Solche überflüssige und oft auch autosuggestive Prozesse können zu tatsächlichen Leistungseinschränkungen führen. Besonders jüngere Führungskräfte sind davon bedroht. Erfahrenere Führungskräfte und Manger sind durch eine während ihrer Berufstätigkeit bereits erarbeitete Frustrations- und Stresstoleranz meist besser gegen solche psychischen Belastungen gefeit. Die unsinnigen Glorifizierungen von Chefs kennen auch keine „leidenden“ Führungskräfte und Manager, die sich mit Unsicherheiten, Fremdbestimmtheit, Abhängigkeiten, innerer Leere, Ängsten, Ungerechtigkeiten, eingeschränkten Entfaltungsmöglichkeiten, schlechten Arbeitsbedingungen, Druck, Intrigen, eigener Verbitterung usw. plagen und mehr oder minder gezwungen sind, damit einigermaßen zurecht zu kommen. Bei einer guten Führungskultur kann das oft tabuisierte Dilemma mit Hilfe aufmerksamer und einfühlender Mitarbeiter, aber auch Chefs und Kollegen gelöst oder zumindest verringert werden (s. a.: Schwan, K.: 2003, S. 25 f.). Bei einer partnerschaftlich orientierten Personal- und Führungsarbeit erfolgt das Zusammenspiel zwischen der Führungskraft und den ihm anvertrauten Mitarbeitern in einem offenen und gegenseitigen Vertrauensverhältnis, quasi auf gleicher Augenhöhe. Die Autorität der Führungskraft folgert dabei primär aus der Qualität seiner Führung sowie Personalarbeit und der sachlichen bzw. aufgabenspezifischen Fachkompetenz. Dem gegenüber haben hierarchische und formale Quellen der Autorität und Befugnisse eine sekundäre Bedeutung. Die Führungskraft und seine Mitarbeiter tragen daher gegenseitige Verantwortung für einander. Wenn Mitarbeiter spüren, dass ihr Chef unter Belastungen leidet, sollten sie im Sinne der Führung

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6. Spannungsfelder einer Führungskraft Abbildung 6.1: Spannungsfelder einer Führungskraft

(Schwan, K.: Internet, Glossar SCHWAN PDF / Spannungsfelder.pdf)

„von unten nach oben“ initiativ werden, um ihn bei einer solchen Situa­tion helfend zu unterstützen, so wie es auch sie erwarten können, wenn sie selbst in solche Situationen geraten. Als engagierte und aufmerksame Mitarbeiter werden sie es häufig als erste wahrnehmen, dass ihr Chef Hilfe



6. Spannungsfelder einer Führungskraft227

benötigen könnte und sie ihm anbieten, d. h. es fällt ihnen zeitlich und oft auch sachlich die erste Nutzung einer raschen Interventionschance zu. Diese Art der Zusammenarbeit steht auch im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip, das einer Gruppe, organisatorischen Einheit oder anderen Einrichtungen die Funktion und das Recht sichert, Aufgaben eigenständig zu erfüllen. Sollte dabei Hilfe von vorgelagerten Stellen erforderlich sein, kann diese in Anspruch genommen werden, ansonsten können Angelegenheiten jedoch in Eigenregie wahrgenommen werden, also auf der Ebene, die es unmittelbar betrifft. Organisatorisch unterstützt das Subsidiaritätsprinzip damit dezentrale Leistungserbringungen, die tendenziell effizienter erfüllbar sind, als zentrale Alternativen. Die Abbildung „Spannungsfelder einer Führungskraft“ zeigt im Überblick einige häufiger zu bewältigenden Problemfelder, wobei es naturgemäß auch Verknüpfungen mit der Privatsphäre gibt. Man denke nur an die geradezu klassischen Rollenkonflikte von Führungskräften und Managern, bei denen Rollenpflichten des Berufes mit jenen aus dem Privatbereich in Widerspruch geraten. Beispielsweise wenn die Rollen des Ehemannes oder des Vaters durch berufliche Verpflichtungen zu kurz kommen oder – und schlimmer – eine Flucht in die Arbeit erfolgt, um unangenehmer empfundenen familiären Rollenverpflichtungen zu entkommen. Der Organisationspsychologe Jörg Felfe (1963) von der Helmut Schmidt Universität in Hamburg hat im Herbst 2013 eine Untersuchung vorgestellt, die den Zusammenhang von Führung und Gesundheit aus der Sicht der Führungskräfte und der Mitarbeiter wiedergibt, wobei die Befragungsergebnisse teilweise erheblich differieren. Befragt wurden ca. 5.500 Führungskräfte und 12.000 Mitarbeiter, d. h. die Untersuchung war außerordentlich breit angelegt (Schwan, K.: Nach Der Standard, Wien vom 9. / 10.11.2013f) Das Selbstbild der Führungskräfte, also wie sie eine Frage beantworten bzw. Verhältnisse bewerten (obere und dunklere Querzeile) und das Fremdbild der Mitarbeiter, die aus ihrer Sicht die gleiche Frage sehen, bewerten und beantworten (untere und hellere Querzeile) lassen bei starken Differenzen erhebliche Kommunikationslücken vermuten, aber auch positionsbedingte sowie substantiell verschiedene Sichtweisen. Ein Beispiel: Die Führungskraft meint mit 10,6 % sie „merkt häufig erst zu spät, dass sie sich zu viel zumutet“, Mitarbeiter geben hingegen den Wert mit 43,6 % an bzw. die mehr als 4-fache Zahl der Mitarbeiter bewertet das anders als die befragten Führungskräfte (s. Abbildung 6.2, 1. Zeile). Parallel dazu berichten seit Jahren die Medien permanent davon, dass psychische Erkrankungen von Mitarbeitern stark steigen und der Zustrom in die Invaliditätspensionen zunimmt usw. Der Mix aus unterschiedlichen Bewertungen und substantiellen Fakten ist auffällig. Solche Unstimmigkeiten überwiegen

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6. Spannungsfelder einer Führungskraft Abbildung 6.2: Aspekte gesundheitsförderlicher Führung

Meine Führungskraft ... merkt häufig erst zu spät, dass sie sich zuviel zumutet

10,6% 43,6%

merkt sofort, wenn mit mir gesundheitlich etwas nicht stimmt achtet bei mir bewusst auf gesundheitliche Warnsignale

65,5% 35,1% 48,6% 10,7%

meine Gesundheit ist meiner Führungs­kraft sehr wichtig

92,9% 53%

motiviert mich zu einer gesunden Lebensweise

44,4% 14,6%

informiert regelmäßig über Sicherheitsvorschriften motiviert mich, Angebote der BGF zu nutzen

49,7% 38,9% 29,2% 12%

ist mir in puncto Gesundheit ein Vorbild

36,6% 17,5% Zustimmung Führungskräfte Zustimmung Mitarbeiter

(Schwan, K: Nach Der Standard, Wien vom 9. / 10.11.2013f) BGF steht für Berufliche Gesundheitsförderung.

nahezu bei allen Bereichen der „Führung“. Übereinstimmung in weitem Maße besteht vergleichsweise hingegen beim Bereich „Psychische Gesundheit“. Daraus lassen sich gesamthaft Lücken im Führungsverhalten – wie bei der Kommunikation – sowie Spannungen bei den Führungskräften vermuten; möglicherweise auch Mängel bei den Rahmenbedingungen der Führung. Das zeigt auch sehr deutlich die Abbildung 6.4 mit Postulaten der Positive Führung, die schließlich auch deshalb oft genannt werden, da ihre tatsächliche Erfüllung zu wünschen übrig lässt, was sozialempirische Erhebungen seit Jahr und Tag immer wieder ergeben haben und erfahrene Chefs



6. Spannungsfelder einer Führungskraft229 Abbildung 6.3: Psychische Gesundheit Verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen

53%

Starker Termin- und Leistungsdruck

47%

70%

61%

Ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge

46% 52%

Bei der Arbeit gestört, unterbrochen

55% 39% 44%

Sehr schnell arbeiten müssen

37% 24%

Arbeitsdurchführung detailliert vorgeschrieben Arbeiten an der Grenze der Leistungsfähigkeit

28% 20% 14% 36%

Pausenausfall

21% 46%

Vereinbarkeitsprobleme

39% 49%

Umstrukturierungen in den letzten zwei Jahren

39% Führungskräfte (ca. 5.500) Mitarbeiter (ca. 12.000)

(Schwan, K.: Nach Der Standard, Wien vom 9. / 10.11.2013f

und Führungskräften auch wissen. Der Neoliberalismus hat durch rund vier Jahrzehnte wesentlich dazu beigetragen, dass diese Werte schlechter geworden sind und ihre zuvor höhere Bedeutung verloren. Würden im tatsächlichen Führungsverhalten die seit vielen Jahrzehnten mit ähnlichen oder gleichen Inhalten empfohlenen Grundregeln einer positiven Führung einigermaßen befolgt, wären die stark unterschiedlichen Befragungsergebnisse des Bereiches „Führung“ nur schwer vorstellbar. Wie auch immer die Rahmenbedingungen der Führung gestaltet sein mögen, die

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6. Spannungsfelder einer Führungskraft Abbildung 6.4: Positive Führung ■ Lob und Anerkennung ■ Anbieten von Unterstützung ■ Wertschätzung und Respekt ■ Vertrauen und Zutrauen ■ Vermittlung von Sinn und Bedeutung ■ Fairness, Gerechtigkeit ■ Fordern und Fördern ■ Offenheit und Transparenz (Schwan, K.: Nach Der Standard, Wien vom 9. / 10.11.2013f)

Führungsfunktionen unter Anwendung der angeführten und fraglos förderlichen Regeln im zwischenmenschlichen Bereich sind in der Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und den ihnen anvertrauten Mitarbeitern stets möglich. Die im Grunde einfachen und einleuchtenden Regeln sollten daher „nur“ viel stärker praktiziert werden. Wird diese Anregung bei Führungsproblemen bestritten, gibt es natürlich x-fache, allerdings längst ausgeleierte und unreflektierte Ausreden der Führungskräfte: Angefangen von „schlechten“ Mitarbeitern und seltener von „schlecht geführten“ Mitarbeitern bis hin zur „Zeitnot“ bei der Erfüllung von Führungsfunktionen oder sonstigen Ausflüchten. Ist dabei Führungskräften bei ihren Ausflüchten wirklich in ihrem Denken, Empfinden und Handeln bei der Erfüllung ihrer fachlichen Aufgaben auch der Rang der Führungsfunktionen bewusst? An was werden ihre Leistungen von ihren eigenen Vorgesetzten gemessen und welche Art der Förderung erfahren sie? Kurzum: Die praktischen Erfahrungen lassen daran zweifeln, ob die Kultur der „Positiven Führung“ auch nur ausreichend, geschweige denn gut und in breitem Maße in Unternehmungen entwickelt ist sowie tatsächlich genügend ernsthaft gewollt und unterstützt wird. Die berüchtigte und beklagte „Zeitnot“ erweist sich oft als platter Schwindel. Keine Zeit zu haben heißt regelmäßig, dass etwas anderes wichtiger ist bzw. die Prioritäten des Handelns kritisch-konstruktiv zu hinterfragen sind. Es ist auch kritisch-konstruktiv zu prüfen, ob aus Zeitnot verursachte Führungsmängel wirklich „rationeller“ sind als gute Führungsarbeit und welche allgemeinen Nachteile eine zweitklassige statt einer erstklassigen



6. Spannungsfelder einer Führungskraft231

Personal- und Führungsarbeit mit sich bringt. Wer gut führen will, muss sich auch selbst führen können, das heißt, auch ein eigenes ordentliches Zeitmanagement mit Prioritätensetzung beherrschen (s. a.: Felfe, J.: 2013; Der Standard, 2013f; Schwan, K.: 1980, S. 26 f.). Führung und Motivation bewegen sich in und mit Spannungsfeldern. Einige praxisrelevante Hinweise, das Schema am Anfang des Kapitels, die vorgestellte empirische Studie von Jörg Felfe und Interpretationen machen das deutlich. Das Schema Spannungsfeld einer Führungskraft zeigt das Führungsdilemma, dass Führung und Motivation Unterschiedliches und dabei Widersprüchliches gleichermaßen erfordern, und zwar bei der Führungskraft selbst und den geführten Mitarbeitern, die direkt oder mittelbar durch die Führungskraft in ihrem Tun und Verhalten beeinflusst werden. Spannungen resultieren auch aus Widersprüchen: Karriere versus Ruhe – Arbeit versus Muße – usw. Rolf Wunderer (1937), renommierter Experte der Führung und des Personalmanagements, zuletzt an der Universität St. Gallen (CH) tätig, nennt in diesem Kontext weitere potentielle Spannungsfelder, wie sie das zitierte Schema ergänzen: Beeinflussen und sich beeinflussen lassen. – Konsequenz und Verständnis sowie Nähe und Distanz zeigen können. – Wettbewerbsorientiert und kooperativ zusammenarbeiten. – Verändern und bewahren. – Expandieren und zugleich konsolidieren. – Kurzfristige Änderungen und dabei doch wert- und zielorientierte Wege weisen. – Rationale Intelligenz mit emotionaler Intelligenz verbinden. – Auf Sach- wie auch Beziehungsqualität achten (Wunderer, R.: 2001, S. 21 f.). Typische Spannungsfelder nach Wunderer aus dem unternehmerischen Umfeld, aber auch darüber hinaus sind: Unternehmerisches Engagement der Mitarbeiter versus drohender Verlust des Arbeitsplatzes durch allgemein sinkende Beschäftigungssicherheit. – Identifikation mit Unternehmenszielen versus Individualisierung in einer pluralistischen Gesellschaft mit partiell widersprüchlichen Wertvorstellungen. – Sinn der Arbeit versus Hedonismus mit zwei Tendenzen der Werteentwicklung, einerseits der Suche nach dem Sinn der Arbeit, andererseits nach „Lebensgenuss“. – Beruf versus Familie und Freizeit bei Wettbewerbsintensivierungen, z. B. durch Tendenzen der Globalisierung, dem ein steigender Anspruch auf eine ausgewogene Lebensführung entgegen steht (Wunderer, R.: 2001, S. 22). Die Führungskraft wird durch ihre Art und Weise der Führung und Motivation bei der Bewältigung von Spannungsfeldern – die bei anvertrauten Mitarbeiter absehbar oder schon akut sind –, dann am Besten damit umgehen können, wenn sie bei der Suche nach Lösungen beispielsweise auch über folgende Punkte kritisch-konstruktiv reflektiert: Welche eigenen und geeigneten Wertvorstellungen habe ich? – Will ich diese auch wirklich berücksichtigen? – Erkenne ich als Führungskraft aus-

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6. Spannungsfelder einer Führungskraft

reichend die spezifischen Gründe für eine Situation der Spannung mit Rücksichtnahme auf den oder die jeweils betroffenen Mitarbeiter? – Kenne ich deren Vorstellungen zur Situation? – Welche angemessenen und nach Möglichkeit akzeptable Wege lassen sich für Problemlösungen finden? – Was kann und soll ich mit den Mitarbeitern besonders ausreichend besprechen? – Wie kann ich als Führungskraft meine ausgeprägten Wertvorstellungen in die Mitarbeitergespräche einbringen, um Spannungen überzeugender und erfolgreicher zu bewältigen, als mit quasi „beliebigem“ Führungsverhalten? – usw. Gerade bei so diffizilen Führungsfunktionen, wie dem Umgang mit Spannungen, wird sehr deutlich, welch große Bedeutung Paradigmen haben. Bestehen innerhalb einer Unternehmenskultur bereits verbindliche Paradigmen u. a. für Funktionen der Führung und Motivation, so werden sie dank ihrer Orientierungsmöglichkeiten brauchbare Lösungen leichter erziel-, akzeptier- und umsetzbar machen, als wenn solche lenkenden Entscheidungshilfen bei der Lösungssuche fehlen bzw. den Mitarbeitern unbekannt sind. Die persönlichen wert- und sachorientierten Kombinationschancen der engagierten Führungskraft, werden aus ihrer Sicht eine Lösungsfindung durch ihre Vorgehensweise erleichtern und ihre substantielle Verantwortlichkeit stark unterstützen. Die schon gezeigte Abbildung Positive Führung (Studie Jörg Felfe) zeigt recht gut, um welche Führungsmittel und Werte es dabei grundsätzlich geht. Die Bewertung von Aufgaben der Führung und Motivation durch die dafür verantwortliche Führungskraft, die Manager oder Chefs, werden in der Qualität ihrer Erfüllung bestimmt von den eigenen Wertvorstellungen des Vorgesetzten, die ihn bei seinem Handeln leiten und mit denen er im buchstäblichen Sinne des Wortes Mitarbeiter sehr überzeugend „führen“ kann. Mit einer authentischen Wertorientierung, ihrer Erläuterung und Diskussionen darüber, werden die Werte vorbildhaft, praxisbezogen und quasi greifbar weitergegeben und auch ein Beitrag zur Festigung einer angestrebten Unternehmenskultur geleistet. Die Spannweite in der Führungspraxis zur Erreichung des vorgenannten Anliegens einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit kann sehr weit und vielfältig sein. Einmal, ob eine solche Führungsaufgabe von den Vorgesetzten und Führungskräften überhaupt als wichtig oder unwichtig bewertet wird. Neoliberale Ideen, wie sie nun rund 40 Jahre in starkem Maße dominierten, lassen in der Führungspraxis tendenziell befürchten, dass das Gewicht der Unternehmenskultur nicht zu hoch eingeschätzt werden sollte und wertvolle Beiträge von einschlägigem und hochgeachteten Experten – wie beispielsweise Edgar Schein – bislang eher spärlich ihre reale und nicht nur verbale Umsetzung fanden. Zweitens können die Aufgaben aber auch so von der Führungskraft bewertet werden, dass sie mit Engagement, Freude, erheblichem Zeiteinsatz und dem essen-



6. Spannungsfelder einer Führungskraft233

tiellen Ziel wahrgenommen werden, anvertraute Mitarbeiter so zu führen und entwickeln, dass sie mit ihrer Tätigkeit als Mitarbeiter möglichst erfolgreich werden können und darin persönliche Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten erfahren. Die Art und Weise einer solchen Führung und Motivation, die als Dienst am Mitarbeiter gesehen wird, um sowohl gute Leistungsergebnisse zu erzielen, wie den Bedürfnissen des Mitarbeiters gerecht zu werden und seine personale Entfaltung zu fördern, ist immer auch ein Transfer von Werten an sich, welcher darüber hinaus der Entwicklung einer Unternehmenskultur entgegenkommt. Die Führungskraft als prägendes Vorbild und der Mitarbeiter mit seinem Wunsch für eine aufbauende und auf ihn als Person fokussierte Führung, bewirken gemeinsam durch die effektive Methode des Lernens durch Tun die Entwicklung unternehmenskultureller Werte und Fakten. Mit solchen Intentionen und in dieser Art und Weise oder auch mit anderen Varianten, kann es auch gelingen, mit einem größer werdenden Kreis an Führungskräften und Mitarbeitern eine Unternehmenskultur zu schaffen, die nach Qualität und Umfang eine Unternehmung oder andere Einrichtung mehr und mehr trägt und bestimmt. Bei der erstgenannten Variante sollte der Vorgesetzte bzw. die Führungskraft sich selbstkritisch-konstruktiv fragen, ob es überhaupt vernünftig und zweckmäßig sein kann, ohne besonders positiven bzw. wertrelevanten Bezug zu den Führungsfunktionen, diese auszuüben. Fällt die ehrliche Antwort für den Führungsverantwortlichen negativ aus oder fühlt er sich durch diese Art der Führung überfordert, wäre es für den Vorgesetzten und seine Mitarbeiter besser, Führungsaufgaben abzugeben und seine Leistungsmöglichkeiten und Zeit dort einzusetzen, wo er damit erfolgreicher sein kann und er als Vorgesetzter der Entwicklung und dem Erfolg des Mitarbeiters nicht im Wege steht. Das könnte eine sachgerechte, vernünftige und kluge Lösung sein, die für alle Betroffene Vorteile hat. Sie sollte möglichst emotionslos getroffen und gestaltet werden, um nicht in Fallstricken der Hierarchie, des Prestiges, des eigenen Fortkommens usw. zu landen und zu scheitern. Ein uraltes personalwirtschaftliches Postulat fände dann seine Erfüllung, nämlich der Satz: „Der richtige Mann am richtigen Platz“. Die Variante eröffnet beste Chancen für eine gute Funktionserfüllung der Führung und Motiva­ tion, und zwar für jeden (!) Beteiligten. Die Ex-Führungskraft kann wenig Erfolge versprechende und damit belastende Führungsfunktionen abgeben und Aufgaben wahrnehmen, die gute Ergebnisse und für ihn Entwicklungschancen erwarten lassen. Der Mitarbeiter erfährt die Vorteile einer in vieler Hinsicht verbesserten Führung, vorausgesetzt, es kann für diese Aufgabe eine qualifizierte Führungskraft gewonnen werden. Die neue Führungskraft hat die gute Chance, u. a. zum Vorteil des Betriebes oder einer anderen Einrichtung und der ihm zugeordneten und anvertrauten Mitarbeiter, verbesserte Führungsergebnisse zu erreichen. Es bieten sich somit öfter als viel-

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6. Spannungsfelder einer Führungskraft Abbildung 6.5: Quellen und Konsequenzen von beruflichem Stress

(Weinert, A. B.: 1998, S. 237, zitiert bei: Kirchler, E., Hölz, E., 2005c, S. 286)

leicht vermutet, gute personelle Lösungsmöglichkeiten an. Man muss sie nur sehen und vor allem nutzen, klug vorgehen und vor allem vermeintliche „Peinlichkeiten“ verhindern, wie sie im Beispiel bei der „ausgewechselten Führungskraft“ leicht und unnötiger Weise entstehen können. Eine Verbesserung für alle Beteiligten und einen Betrieb oder andere Einrichtung kann wohl als geglückte Konfliktlösung keine Schande sein.



6. Spannungsfelder einer Führungskraft235

Subjektive Arbeitserfahrungen aus Spannungen können in negative Stress­ erfahrungen münden, die langfristig möglicherweise zu gesundheitlichen Schäden führen. Stress definieren Richter und Hacker allgemein wie folgt: „Stress meint im alltäglichen Gebrauch eine intensive Belastung, Frustra­ tion, emotionale Spannung, Konzentration mit übermäßigem Druck, unmäßigen Forderungen etc.“ (zitiert bei: Kirchler, E., Hölz, E., 2005c, S. 283). Die Abbildung Quellen und Konsequenzen von beruflichem Stress zeigt ein sehr umfassendes Schema über den Stress (nach Weinert, A. B.: 1998, S. 237, zitiert bei: Kirchler, E., Hölz, E., 2005c, S. 286). „Stress [wird] verstanden als Reaktion als auf unannehmbar oder bedrohlich erlebte, konflikthafte Fehlbeanspruchungen, erwachsend aus starken Über- oder Unterforderungen der Leistungsvoraussetzungen bzw. dem Infragestellung wesentlicher Ziele einschließlich sozialer Rollen. Stressreaktionen sind kennzeichnend für Situationen, in denen es den Betroffenen weder gelingt, den belastenden Umständen auszuweichen, noch durch eigenes Handeln eine Situationsveränderung zu erreichen“ (Richter, P., Hacker, W.: 1998, S. 125). Diese Definition von Stress gilt naturgemäß für Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen. Demgemäß formuliert Weinert ergänzend zur vorgenannten Definition: „Stress ist eine adaptive Reaktion, die durch interindividuelle Unterschiede herbeigeführt wird und / oder durch psychologische Prozesse, die von Umfeldaktivitäten, Situationen oder Ereignisse herrühren, die an eine Person übermäßige psychologische oder physische Anforderungen stellen“. Belastungen sind objektive und von außen auf den Menschen einwirkende Faktoren unterschiedlichster Art, Beanspruchungen hingegen subjektive Folgen derartiger Belastungen und werden daher individuell unterschiedlich sein, was sowohl positive wie negative Folgen haben kann, wie beispielsweise Aktivierung oder Ermüdung (Kirchler, E., Hölzl, E.: 2005c, S. 284 f.). Die Abbildung Quellen und Konsequenzen von beruflichem Stress zeigt das im Detail (Weinert, A. B.: 1998, S. 237, zitiert bei: Kirchler, E., Hölz, E., 2005c, S. 286). Der Burnout-Effekt ist eine Reaktion auf Stress, die besonders helfenden Berufen und damit auch Führungskräften droht, dessen Ablauf die folgende Abbildung 6.6: Burnout-Modell nach Weinert zeigt. Bei der Feststellung und Messung des Burnout werden vor allem vier Konstrukte herangezogen: Emotionale Erschöpfung, wie „Ich fühle mich durch meine Arbeit ausgebrannt“. – Persönliche Erfüllung, wie „Ich habe das Gefühl, dass ich durch meine Arbeit das Leben anderer Menschen positiv beeinflusse“. – Depersonalisierung, wie „Ich glaube, dass ich manche Patienten so behandle, als wären sie unpersönliche Objekte“. – Betroffenheit, wie „Ich fühle mich von den Problemen meiner Patienten persönlich

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6. Spannungsfelder einer Führungskraft Abbildung 6.6: Burnout-Modell nach Weinert Persönliche Stressoren – hohe Leistungserwartungen – hohe Erwartungen von Seiten des Unternehmens – hohe Involviertheit in die Arbeit

Emotionale Erschöpfung

Depersonalisierung

Gefühl, persönlich nichts mehr zu erreichen beziehungsweise zu leisten

Arbeits- und OrganisationsStressoren – Rollenkonflikt – Rollenüberlastung – Häufigkeit, Länge und Intensität zwischenpersönlicher Kontakte

Einstellungs- und Verhaltenssymptome von Burnout – Negative Einstellungen – Ermüdung – Frustration – Hilflosigkeit – Zurückgezogenheit (von Freunden und Geselligkeiten)

(Weinert, A. B.: 1998, S. 249, zitiert bei: Kirchler, E., Hölz, E., 2005c, S. 294)

betroffen“ (Frieling, E., Sonntag, K.-H.: 1999, S. 231, zitiert bei: Kirchler, E., Hölz, E.: 2005c, S. 295). Das Schema über Stressprozess und mögliche Interventionsmaßnahmen kann konkretisierend ergänzt werden, wie beispielsweise: Verbesserung der persönlichen Arbeitsgestaltung von Führungskräften (Training und praktische Hilfen). – Problemerkennung und -bewältigung für überlastete Manager. – Antworten auf die Frage, muss man wirklich unter Stress leben? – Klärung des Spannungsfeldes: Zwang zur Leistung oder Flucht in die Leistung. – Den richtigen Rhythmus von Arbeit und Entspannung finden. – Wie es auch ohne Managerkrankheiten geht (Schwan, K.: 1980, S. 29–42). Organisatorische Maßnahmen und Veränderungen sind in vielfältiger Art und Weise für Stressabbau geeignet, wobei der Führungskraft durch ihre Kompetenz bei einem Wandel zum Besseren eine zentrale Funktion, Verantwortung und Rolle zufällt (Schwan, K.: 2003, S. 256–270), wie die Abbildung Personale Kompetenz und Wandel im Überblick zeigt und erkennen lässt, welch hohen Stellenwert dabei auch Paradigmen haben: Die Lösung von Führungs- und Motivationsproblemen – auch wirksame Verbesserungen in den Bereichen Spannungsfelder, Stress und Burnout – werden durch personale Kompetenzen, also Persönlichkeitseigenschaften der Führungskraft entscheidend getragen und können kaum überschätzt werden.



6. Spannungsfelder einer Führungskraft237 Abbildung 6.7: Stressprozess und mögliche Interventionsmaßnahmen nach Zapf und Dormann Arbeitsgestaltung: Aufbau von Ressourcen (z.B. job enrichment, teilautonome Arbeitsgruppen) Arbeitsgestaltung: Abbau von Belastungen (z.B.: job enlargement, job rotation Objektive Stressoren

Externe Ressourcen: Handlungsspielraum, soziale Unterstützung Bewertungsprozesse

Interne Ressourcen Zeitmanagement Führungstraining Kommunikations-/ Konflikttraining Stresstraining zur Veränderung der Arbeitssituation

Bewältigung

Stressreaktion

Spannungsreduktionsverfahren (Muskelentspannung, autogenes Training, Meditation, Biofeedback)

Informationsbezogene/edukative Verfahren Kognitiv-/verhaltensbezogene Verfahren (RET, Stressimpfung)

Ernährungsprogramme Sport, Gymnastik, Rückenschule

Selbstsicherheitstraining

Alkoholpräventionsprogramme

Selbstsicherheitstraining

Antiraucherprogramme

(Zapf, D., Dormann, C.: 2001, S. 569, zitiert bei: Kirchler, E., Hölzl, E.: 2005c, S. 296).

Effizienz und Humanität als Kernelemente und Paradigmen einer „positiven Führung“ geben hier die erforderlichen Orientierungen vor und bilden auch Signale der Vorbildwirkung der Führungskraft, nämlich als Ziel und Aufgabe, Mitarbeiter nachhaltig erfolgreich zu machen und dafür durch eine Vielfalt von Unterstützungen Verantwortung zu übernehmen (Schwan, K.: 2003, S.  268 f.).

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6. Spannungsfelder einer Führungskraft Abbildung 6.8: Personale Kompetenz und Wandel

(Schwan, K.: 2003, S. 269, nach Graf-Götz, Glatz, 1998, S. 196)

7. Begriffsbildung der „Führung“ Eine Durchsicht einschlägiger Fachliteratur zum Begriff der Führung ergibt einerseits eine enorme Fülle von definitorischen Ansätzen, andererseits keine quasi „befriedigenden“ Ergebnisse. Bei Oswald Neuberger (Neuberger, O.: 2002, S. 22) findet sich ein Wortfeld und Begriffsnetz zur Führung mit zahlreichen Bezugsbegriffen, die im Diskurs über Führung und deren Definition immer wieder benutzt werden (Neuberger, O.: 2002, S. 12 ff.). Das Wortfeld und Begriffsnetz ist eine geradezu endlosen Liste unterschiedlichster Begriffen, die Definitionen der Führung entnommen und in verschiedene inhaltlich geordnete Felder zu thematischen Gruppen zusammengeführt wurden. Das Wortfeld und Begriffsnetz zur Führung mit seiner Vielfalt von für die Führung relevanten Begriffen und der Unzahl denkbarer Verknüpfungen und Wechselwirkungen, vermittelt bereits, wie diffizil eine Definition der Führung daher ist, aber auch, dass solche Bemühungen substantiell ziemlich sicher oberflächlich und damit unbefriedigend bleiben müssen. Es wird schon schwer sein, ganz allgemein mit einer Definition auf einen gemeinsamen und „richtigen“ Nenner zur Führung zu gelangen, um auch nur halbwegs eine übergreifende, kompakte und schlüssige Definition der Führung zu bekommen. Kurzum: Es erscheint folglich müßig, den bestehenden und vielfältigsten Definitionen neue Definitionskonstrukte hinzuzufügen, es ist offenkundig kaum oder gar nicht sinnvoll möglich. Trotz aller erfolgten und vermutlich auch weiteren Bemühungen sind keine oder nur geringe zusätzliche Erkenntnisgewinne zu erzielen. Der wichtige und in vielfältigsten Zusammenhängen genutzte Begriff der Führung ermöglicht zwangsläufig unzählige Definitionen aus unterschiedlichsten Aspekten. Daher scheint es klüger zu sein, dieses Feld zu meiden und die Hoffnung und den Ehrgeiz aufzugeben, den Gegenstand zum x-ten Mal neu oder anders definieren zu wollen. Vernünftiger wird es sein, wenn es angebracht und notwendig erscheint, im spezifisch-konkreten Fall führungsrelevante Dinge zu beschreiben und zu interpretieren, um zu verdeutlichen, was jeweils gemeint ist oder angestrebt wird, damit möglichst Missverständnisse vermieden werden. Zum Thema der Führung gibt es sehr viele empirische Erhebungen, die mit unterschiedlichsten Aspekten durchgeführt wurden, um Ergebnisse von Vorstellungen und Einsichten darüber vermitteln, auch darüber, wer wann und zu welchen Zwecken dazu etwas geäußert hat. Die Erhebungen sind

240

7. Begriffsbildung der „Führung“

bunt, anregend und zeigen auch gut, welche wechselnden Ergebnisse die jeweilige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung zu spiegeln scheinen. Die Abbildung Führung – Wortfeld und Begriffsnetz vermittelt, wie schon angemerkt, geradezu verwirrenden Eindrücke zu dem Begriff Führung, die in der praktischen Führungsarbeit natürlich in ihrer Fülle von den Beteiligten nie assoziiert werden. Einmal weil es nicht notwendig ist und zweitens jeden Beteiligten hoffnungslos überfordern würde. Das gilt sinngemäß auch für empirische Erhebungen, bei denen es erfahrungsgemäß oft sehr schwierig ist, sie kontextuell hinsichtlich ihrer Veranlassung, Entstehung, der methodischen Vorgehensweise, der Ergebnisse einzuordnen und deren Interpretation daher oft erschwert wird. Wie auch immer, empirische Erhebungen sind dennoch generell unverzichtbar, weil sie die Realität und in der Regel – genauer gesagt – einen Teil davon mehr oder minder abbilden und daher nicht nur „theoretische Konstrukte“ sind. Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und dabei besonders die Betriebswirtschaftslehre sind vornehmlich pragmatische Wissenschaften, die handelnde Akteure bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen sollen. Für dieses Handeln haben realitätsbezogen Informationen naheliegender Weise häufig enorme Bedeutung und sind – mit Verlaub gesagt – oftmals wesentlicher als theoretische Diskussionen über Definitionen. Oswald Neuberger (1941), der sich dem Thema Führung mit seinem Standardwerk wie kaum ein anderer Autor bis ins kleinste Detail auseinandersetzt und geradezu in enzyklopädischer Art und Weise widmete, gibt eine synthetische handlungstheoretische Führungsdefinition (Neuberger, O.: 2002, S. 47). Auch diese Definition entspricht – nicht überraschend – sicher nicht Kriterien einer übergreifenden, kompakten und schlüssigen Definition, sondern stellt eine umfangreichere Auflistung von Definitionselementen dar, die nach inhaltlich unterschiedlichen Begriffsgruppen zusammengestellt und erläutert werden können. Die Abbildung Synthetische handlungstheoretische Führungsdefinition zeigt die Zusammenstellung, wie sie von Oswald Neuberger erarbeitet wurde.



7. Begriffsbildung der „Führung“241 Abbildung 7.1: Führung – Wortfeld und Begriffsnetz Zuneigung Liebe Verehrung Ideal(isierung) Hingabe Bewunderung Charisma Aura Ehrfurcht Genie Star Begeisterung Narzissmus Identifikation Vision Commitment Selbstbezogenheit Engagement Inspiration Kontrolle Tat Handeln Konfliktlösung Interaktion Entscheidung Zusammenarbeit Entschlossenheit Kommunikation Konstruktivität Instruktion Attribution/ Wahrnehmung Überzeugungskraft Durchsetzung Ursache Kraft Initiative Energie Potenz Bewegung Mittelpunkt Zentrum

Zwang Tyrannei Zucht Gewalt Willkür Repression Autokratie Unterdrückung

Koordination Planung Organisation Strukturierung Leitung Administration Ordnung Management

Mentoring Training Coaching

Ziele erreichen Ziele setzen Erfolg Leistung Zufriedenheit Meisterschaft Effektivität Können Kompetenz Intelligenz Kunst

Macht Stärke Einfluss Dominanz Herrschaft Potenzial

Führung Status Gleichheit Unterordnung Leitbild Überlegenheit Größe Vorbild Rang HeldIn Erste(r) Autorität Charakter Integriät Selbstsicherheit Selbstständigkeit Bescheidenheit Ehrlichkeit Gerechtigkeit

(Schwan, K.: Nach Neuberger, O.: 2002, S. 22)

Konditionierung Strafe Belohnung Disziplin(ierung) Wille Motivation Verantwortung Moral Ethik Machiavellismus Manipulation Verführung Demagogie Fürsorge Teilhabe Einbindung Mitbeteiligung/ Partizipation Kampf Konfrontation

242

7. Begriffsbildung der „Führung“ Abbildung 7.2: Synthetische handlungstheoretische Führungsdefinition

(Neuberger, O.: 2002, S. 47)

8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben Bei den Faktoren mitarbeiterbezogener Führungsaufgaben können durch die tendenzielle Unterscheidung in führungstechnische und verhaltensbedingte Elemente der Führung wesentliche Erkenntnisse für die Diagnose und Lösung von Führungsfunktionen und -problemen gewonnen werden, die für die Führungspraxis sehr bedeutsam sind, aber auch Fragen des Führungsstils lassen sich mit dem nachfolgenden Schema bearbeiten (s. a. Sahm, A.: 1977, S. 23–29). Modellhaft lassen sich die Vorgesetzten- bzw. Managementfunktionen in sach- oder leitungsorientierte und mitarbeiter- oder führungsorientierte Aufgaben teilen. In der Führungs- und Managementpraxis ist diese systematische Aufteilung naturgemäß nicht so klar zu ziehen, da sich beide AufgabenAbbildung 8.1 Führung: Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben

(Schwan, K.: Delegation, Internet)

244

8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben

typen überschneiden bzw. gemixt sind. Die sachorientierten Funktionen sind beispielsweise Logistik, Finanzierung, Fertigung usw. und die mitarbeiterorientierten Funktionen – allgemein auch als Mitarbeiterführung oder auch einfach Führung bezeichnet – teilen sich wiederum schwerpunktmäßig auf in technische und verhaltensbestimmte Führungsaufgaben, denen verschiedene Führungselemente in etwa zuordenbar sind. Bei den eher führungstechnischen Elementen sind solche der Zielsetzung, Information, Delegation und Kontrolle zu nennen, bei den verhaltensbestimmten Elementen sind es die Elemente der Autorität, Motivation, Sensitivität und Konfliktlösung. Die zwei Gruppen an Elementen sind auch jeweils erweiterbar, differenzierbar und in diesem Sinne offen. Auch bei den führungstechnischen und verhaltensbestimmten Elementen ergeben sich in der Praxis – gleichermaßen wie bei den sach- und den mitarbeiterorientierten Managementfunktionen – Überschneidungen. Wo immer in einem komplexen System zwischen Elementen Wechselwirkungen bestehen und daraus Konsequenzen folgern, werden modellhafte Betrachtungen relativiert bzw. die tatsächlichen Verhältnisse mehr oder weniger beeinflusst. Je stärker ein Modell und seine Darstellung konzentriert werden, umso mehr entfernt es sich von der Möglichkeit der Erfassung der Vielfältigkeit realer Verhältnisse. Ein ausschließliches Denken in Mustern bzw. Modellen würde folglich die Erkenntnisse der praktische Realität der Leitungs- und Führungsfunktion, also auch des Managements, stark beeinträchtigen. Mangementfunktionen sind oft sehr komplex und daher nur schwer oder gar nicht in ihren Resultaten zu prognostizieren, d. h. somit riskant. Vereinfachungen führen nur vermeintlich zu „klaren“ Ergebnissen, da sie eine verkürzende Verfremdung der Realität mit der Gefahr falscher Schlussfolgerungen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit bewirken. An anderer Stelle wurde bereits auf diese Problematik hingewiesen. Unter diesen einschränkenden Voraussetzungen und der gewählten Systematik der Führung lassen sich dennoch für die Lösung von Führungsproblemen essentielle und nützliche Folgerungen ziehen, und zwar auf der Grundlage folgender Arbeitshypothesen: Die genannten führungstechnischen Elemente sind, wie schon ihre Bezeichnung andeuten soll, vorwiegend „technisch“ geprägt bzw. verfahrensbestimmt und zielen als Führungsinstrumente auf Verfahrenssicherungen und Verfahrensveränderungen ab. Die verhaltensbestimmten Elemente streben hingegen, wie ihr Name sagt, primär die Sicherung und Veränderung der menschlichen Verhaltensweisen an und werden dadurch bestimmt. In der Führungspraxis ist diese Unterscheidung äußerst bedeutsam, da verfahrensbestimmte Veränderungen vergleichsweise leichter als verhaltensbestimmte Veränderungen erzielbar sind. Praktiker der Führungsarbeit kennen das recht gut aus ihren Erfahrungen mit den



8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben245

ihnen anvertrauten Mitarbeitern. Verhaltensweisen sind in der Persönlichkeit des Menschen tief verankert und stellen spezifische individuelle Prägungen dar, die nur schwer oder kaum veränderbar sind, wie das auch sozialempirisch basierte Verhaltensforschungen und -theorien seit langem zeigen. Die älteren Theorien gehen teilweise soweit – allerdings nicht ohne Widerspruch –, von einer Konditionierung und Determinierung des Menschen auszugehen (Stimulus-Response-Konzept versus Stimulus-Organismus-Response). Dem Determinismus wird der verhaltenstheoretische Ansatz entgegengesetzt, dass Verhalten gelernt wird, beispielsweise durch kognitive Variablen, Umweltfaktoren, Erfahrungen, Bewertungen, Erwartungen usw. Neuere Verhaltenstheorien vertreten kaum noch die Determinismus-These. Unter philosophischen und ethischen Aspekten ist ein Verhaltens-Determinismus auch schwer vorstellbar, da er mit den Pflichten und der Eigenverantwortlichkeit des Menschen für sein Handeln in Widerspruch stünde. Dennoch gilt die eingeführte Arbeitshypothese in sehr weitem Masse, nämlich dass Verhaltensprägungen außerordentlich stabil sind und Interventionen der Führung vergleichsweise enge Grenzen setzen. Führungstechnische bzw. verfahrensbestimmte Führungsinstrumente sind demgegenüber hingegen leichter und flexibler zu handhaben bzw. Veränderungen können daher leichter erreicht werden. Daraus lassen sich bei der Diagnose von Führungsproblemen sehr bedeutende Folgerungen ableiten: Einmal ist zu prüfen, ob Problemursachen der Führung nach ihrem Schwerpunkt vornehmlich verfahrens- oder verhaltensbedingt sind. Die positiven oder negativen Lösungsprognosen sind tendenziell sehr unterschiedlich, nämlich verfahrensbedingt besser und verhaltensbedingt schlechter. Zum Zweiten ist im Sinne einer tragfähigen Lösung zu sichern, dass verhaltensbedingte Probleme auch als solche behandelt werden und nicht einer „einfacheren Lösung halber“ fälschlicherweise in eine verfahrensbedingte Schein-Lösung uminterpretiert werden. Dieser Fehler erfolgt in der Praxis sehr häufig. Bei Führungskräften besteht bei verhaltensbedingten Problemen ihrer Mitarbeiter eine oft ausgeprägte Hemmung eine ursachengerechte verhaltensspezifische Intervention zu verfolgen. Man möchte die Intimsphären von Mitarbeitern und Kollegen nicht berühren, ist unsicher über Konsequenzen verhaltensspezifischer Maßnahmen usw. Vielleicht ist auch der Vorgesetzte selbst Teil des Problems oder glaubt es zumindest und verhält sich daher zurückhaltend. Abgesehen von tatsächlichen Interven­ tionsgrenzen und -risiken, neigen in solchen schwierigen und kritischen Situationen Vorgesetzte bzw. Führungskräfte in der Praxis sehr häufig dazu, verhaltensbedingte Probleme falsch zu behandeln, z. B. greift man zum Organigramm und flüchtet in eine simple formale und einfache – sprich verfahrensbestimmte Lösung – durch Umgruppierung, Versetzung usw. und wundert sich bald darauf, dass vermeintlich gelöste Probleme wieder und möglicherweise sogar verschärft auftauchen.

246

8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben Abbildung 8.2: Kooperativer Führungsstil, Motive und Führungsinstrumente

imperativer Führungsstil

mitwissen

mitentscheiden

Führung durch Zielvereinbarung und Delegation

kooperativer Führungsstil

Führungsstil

beurteilen

Selbstständigkeit und Mitverantwortung der Mitarbeiter

sich selbst gegenüber

mitverantworten

zu einzelnen Führung durch Sensitivität

bilden

Führung durch Mitarbeiterentwicklung

fördern in Gruppen

(Schwan, K.: Nach Sahm 1977, S. 25)

Das Schema Abbildung 8.1 zum Management und der Führung hat durch seine Differenzierung nach Technik / Methodik und Psychologie / Verhalten bzw. Verfahrens- und Verhaltensbedingtheit von Führungsproblemen den großen diagnostischen und „therapeutischen“ Vorteil, den Typus von Führungsproblemen schwerpunktmäßig zu erkennen und in Abhängigkeit der Bewertung der Ursachen und der Lösungsschwierigkeiten eine ordentliche bzw. realistische Lösungsprognose zu treffen und möglichst ursachengerechte Lösungsmöglichkeiten zu wählen. Beim Führungsstil werden systematisch der imperative / autoritäre und kooperative / partnerschaftliche Führungsstil unterschieden, s. a. Abbildung 8.2. Die kooperative Variante bedient sich u.  a. vorzugsweise nachfolgend abgebildeter Führungsinstrumente (Schwan, K.: 2003, S. 62; nach Sahm, A.: 1977, S. 25). In den nachfolgenden Unterkapiteln werden die eingangs kurz genannten Führungselemente ausführlicher behandelt, s. a. Abbildung 8.1. Wo sich relevante Schnittstellen zum Themenkreis Weltwirtschaftskrise ergeben, wird darauf detaillierter eingegangen.



8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben247

Auf die Verhältnisse von Unternehmensführung, Führungsaufgaben und Komplexität wurde bereits unter dem Kapitel 2. Führung und Unternehmungsleitbild eingegangen. Knut Bleicher hat bereits 1981 in der 1. Auflage und in der 2. Auflage 1991 seines Buches Organisation. Strategien – Strukturen – Kulturen, Wiesbaden weitsichtig festgehalten, dass die Bewältigung der Komplexität zum zentralen Kern der Unternehmensführung werden wird (Bleicher, K.: 1991, S. 734–737). Diese Prognose hat sich mittlerweile bewahrheitet und wurde in der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 besonders dramatisch bestätigt. Demzufolge stellen sich mehr den je die Führungsaufgaben der Bewältigung komplexer Aufgaben in Unternehmen und anderen Einrichtungen. Es wurde bereits an anderer Stelle festgehalten, dass Komplexitäten keine Konstrukte, sondern reale Fakten sind und daher Modelle zur Reduktion der Komplexität nur suboptimale Lösungsansätze für komplexe und realadäquate Aufgabenstellungen sein können. Vermeintliche Vereinfachungen führen durch Verkürzungen weg von der Realität der Komplexität und ihrer Bewältigung. Eine zeitgemäße und kooperative Führung ist jedoch in der Lage, komplexe Funktionen besser als eine impera­tive Führung zu bewältigen. Komplexität grenzt naturgemäß das Maß an Rationalität bei komplexen Aufgaben erheblich ein, wobei die Rationalität zudem tendenziell bei Aufgabenlösungen stark überschätzt wird. Zahlreiche sozial­ empirische Forschungen bestätigten solche Fehleinschätzungen. Das Problem der Lösung komplexer Aufgaben ist daher zwangsläufig verknüpft mit der Handhabung von Irrationalität, die ex definitione der Rationalität entgegensteht. Dennoch können sinnvolle Lösungen gefunden werden, beispielsweise mit Orientierungshilfen durch Paradigmen, die u. a. auch Führungsaufgaben essentiell unterstützen und unverzichtbarer Teil der Führungskultur sind. Zu glauben lediglich mit Führungstaktik und -technik der Komplexität und Irrationalität beizukommen, wird zumindest bei anspruchsvollen Aufgaben ein gefährliches Wunschdenken bleiben. Laurent Carell, Krisen-, Strategie- und Führungsexperte, hält fest, dass die Unternehmensführung nicht mehr voraussagen kann, was geschehen wird, wenn einzelne Aspekte einer komplexen Situation oder seltene Ereignisse miteinander agieren. Es besteht die Gefahr, dass die Führung verkennt, wie die Steuerung des Systems und die Voraussicht beschränkt bleiben. Wird sie erkannt, neigt das Management dazu, externes und teures Expertenwissen zu nutzen. Man weiß allerdings inzwischen, dass bei betrieblichen Wendepunkten und Krisen eine Dynamik entsteht, man also eigentlich Wissen besonders gebrauchen würde, das jedoch bei der Vorgehensweisen mit Hilfe von externen Wissenstransfers und Prognosen vielfach versagt. Die kognitive Ratio des Gehirns zur Erfassung aller Aspekte eines komplexen Problems ist häufig überfordert, wenngleich das Führungskräfte meist nicht wahrhaben wollen. Die Komplexitätsfallen sind schließlich oft hausgemacht,

248

8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben

indem die Selbstorganisation und interne Prozesse bei sehr schwierigen Problem- oder Krisenfällen eine nur eingeschränkte Fähigkeit haben, hochgradige Komplexitäten zu erkennen und somit auch Analyse nur unzureichend bewältig bar sind. Das steht einem guten Problemlösungspotenzial und folglich entsprechenden Umsetzungen entgegen. In der heutigen Zeit werden jene Wirtschaftsführer, Unternehmer und Manager erfolgreich sein, die Komplexität und systemisches bzw. ganzheitliches Denken als wichtiger gewordene Realität sowie Chance anerkennen und Instrumente entwickeln, um diese zu nutzen. Am Anfang der Orientierung und Entwicklung einer Lösungsstrategie sollten die spezifischen Paradigmen der Unternehmung oder Einrichtung genutzt werden, um möglichst klar die rationalen und irrationalen Faktoren zu bestimmen, die für Lösungszielmöglichkeiten wesentlich sind. Danach ist die Grundstrategie zu entwickeln. In eine Problemlösungsbürokratie und starren Determinismus sollte man nicht verfallen. Das würde allerdings hellseherische Qualitäten und Möglichkeiten erfordern, die leider fehlen. Der meist offenen Problemlösungsdynamik bei beginnender Lösungssuche ist daher mit einer notwendige Lösungsflexibilität zu begegnen. Anspruchsvollere Lösungsprozesse sind häufig als Lernende Systeme zu handhaben, bei denen durch ständige Lernschritte qualitative Verbesserungen erreicht werden. Die weiteren operativen Mittel sind vielfältig: Verbesserung von Prognoseverfahren, Simulationen, Szenarien-Entwicklung usw. Bei Risiken wird versucht, durch gesteigerte Redundanz der Systemkomponenten eine Risikoreduktion zu erreichen. Bei komplexen Entscheidungen ist die Vielfalt verschiedener Ansichten, Methoden und Annahmen einzubeziehen. Risiken können zudem durch ein schrittweises prozessuales Vorgehen, kontrollierte Experimente und prinzipiell auch im Sinne einer lernenden Organisation vermindert werden. Solche bewegliche Strategien, Verfahren und Systemvereinfachungen steigern die Effizienz. Auf der Ebene der Führungsaufgaben gilt es generell eine neue Denkund Führungskultur zu praktizieren, die flexibel an konkrete Aufgabenstellungen anzupassen sind. Vor allem soll die kooperative Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortung gefördert und erhöht werden. Des Weiteren sind verstärkt dezentrale Problemlösungen und selbständige Entscheidungsbefugnisse zu entwickeln und hierfür Teamarbeit und allgemeine Mitarbeiterintegration zu pflegen. Der Mitarbeiterentwicklung kommt dabei größte Bedeutung zu. Die Manager und Führungskräfte müssen ansprechbar sein, kommunizieren, Vertrauen schaffen, Empathie beweisen usw. Das tendenziell weltweit geringe Mitarbeiterengagement scheint miserabel zu sein. Forschungsergebnisse (Gallup) melden alarmierende Werte. Lediglich 11 % der Mitarbeiter arbeiten angeblich mit innerem Engagement. Für das Management und die Führungsarbeit wäre das ein vernichtendes Ergebnis, denn es



8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben249

ist ihre ureigenste Aufgabe und Verantwortung des Vorgesetzten und der Führungskraft, durch eine zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit solche erschreckende Zustände zu verhindern. Manager und Führungskräfte versündigen sich an ihrem Unternehmen und den ihnen anvertrauten Mitarbeitern, wenn sie gegen solche Verhältnisse in ihren Aufgaben- und Verantwortungsbereichen nichts oder zu wenig unternehmen. Statt bei den Mitarbeitern die Entfaltung zu ermöglichen und ihr Engagement zu fördern, ruinieren sie in weitem Maße dadurch die nachhaltige Erhaltung und Entwicklung der Unternehmen bzw. anderer Einrichtungen für die sie verantwortlich sind durch schlechte Personal- und Führungsarbeit. Ohne gute und einsatzfreudige Mitarbeiter sind schlicht und einfach keine hochwertigen Leistungen und Fortschritte zu erreichen. Solche Management-Mängel gehen erfahrungsgemäß regelmäßig einher mit einer erbärmlichen Selbstorganisation bzw. persönlichen Arbeitsgestaltung der Verantwortlichen, bei der u. a. vorzugsweise Personal- und Führungsfunk­ tionen auf der Strecke bleiben; beispielsweise, da für Führungsaufgaben mangels eines ordentlichen Zeitmanagements angeblich keine ausreichenden zeitlichen Spielräume bestehen. Die abgedroschene Ausrede ist so alt, wie falsch. Zeit für das Eine zuhaben und nicht für das Andere, sind weitgehend eine Prioritätenfrage und Verkürzung der Intentionen der Manager. Wer für Personal- und Führungsfunktionen keine Zeit hat, bringt damit lediglich zum Ausdruck, dass er sie für weniger wichtig hält wie andere Funktionen oder sonstige Betätigungen unterschiedlichster Art, ob beruflich oder privat. Führungskräfte haben die Pflicht und Schuldigkeit – auch aus ureigensten Interessen und der Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern – dafür zu sorgen, dass die Potentiale der Mitarbeiter sich entwickeln können, das Arbeitsumfeld in jeder Hinsicht passt und ein partnerschaft­ licher Führungs- und Arbeitsstil praktiziert wird. Solche Entwicklungen sind konsequent zu verfolgen. Tun Manager das nicht, ist bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass die Bedeutung dieser Aufgaben unterschätz werden und daher andere und wichtiger scheinende Dinge lieber getan werden. Wirkliche „Leader“ müssten beispielsweise statt autoritäres und demotivierendes Führungsgebaren zu praktizieren, die potentielle Vielfalt von Erfahrungen, Qualifikationen, Einstellungen und Meinungen der Mitarbeiter schätzen und ihre Entfaltung fördern sowie dabei soziale Ausgewogenheit und Gerechtigkeit sichern. Das Mitarbeiterpotential gilt seit langem und zu Recht als das wichtigste Potential eines Unternehmen oder anderer Einrichtungen. Es de facto als Nebenkriegsschauplatz zu behandeln, ist ein fundamentaler Verstoß gegen unverzichtbare Managementfunktionen. Eine zeitgemäße und optimale Unternehmensführung, mit der sehr anspruchsvollen Leistungen realisiert werden sollen, verlangt immer stärker und rascher eine personifizierte Unternehmensführung als elementare Wett-

250

8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben

bewerbslegitimation, die vom Management zu realisieren, weiter zu entwickeln und damit zu sichern ist. Mit der steigende Dominanz des Neoliberalismus ab etwa der Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts hat systembedingt(!) die Qualität der Personal- und Führungsarbeit – die schon an anderer Stelle der Arbeit ausgiebig beschrieben und interpretiert wurde – stark abgenommen und die Inhumanität ist enorm gewachsen. Die entstandene Qualitätslücke bei der Personal- und Führungsarbeit ist sehr gefährlich. Nicht umsonst spricht man seit einigen Jahren vom „War of Talents“ und signalisiert mit dem martialischen und Furcht einflößenden Begriff unmissverständlich, dass sehr qualifizierte Mitarbeiter eine heiß umkämpfte und rare Gruppe gesuchter Menschen geworden ist. Ohne sie können in vielen Branchen herausragende Leistung zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr erbracht werden. Dieses dramatische Faktum, auf das seit Jahren und immer dringender hingewiesen wird, hat bei den Bemühungen um die Krisenbewältigung noch kaum Berücksichtigung erfahren. Die Wirtschaft wäre sehr gut beraten, die oft in Unternehmen und anderen Einrichtungen weitgehend verloren gegangene Unternehmens-, Führungs- und Personalkultur „nachhaltig zu sanieren“. Von der zukünftigen Qualität der Personal- und Führungsarbeit sowie entsprechenden Organisationsgestaltungen, werden wirtschaftlich Erfolge entscheidender bestimmt. Bei sehr hohen unternehmerischen Leistungsniveaus, beispielsweise in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Innovation, ist bereits heute davon auszugehen, dass sich der voll in der Entwicklung liegende Trend sich rasant fortsetzen wird und bereits sehr konkret und handfest zu einer Schlüsselfrage solcher Unternehmen und Bereiche geworden ist. Das bedeutet, dass die Faktoren „Personal“ und „Führung“ mehr denn je zu den wichtigsten Faktoren des wirtschaftlichen Erfolges werden. Die Entwicklung wird zunehmend auch weitere Betriebe unterschiedlicher Branche und Größe erfassen und damit auch über Vor- und Nachteilen bei betrieblichen Ausleseprozessen bestimmen. Der Mix der Wettbewerbsfaktoren wird sich in dieser Richtung zügig verändern. Seit Jahrzehnten werden diese Forderungen erhoben, also lange vor dem Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Die Entwicklungen waren seit langem vorhersehbar. Ein guter Teil der Wirtschaft, dabei auch bemerkenswerte öffentliche Unternehmen und Einrichtungen, sind diesen Weg gegangen und waren damit für alle Beteiligte erfolgreich. Sie entsprachen damit bereits der erkennbar stärker werdenden Tendenz hin zu einer personifizierten Unternehmensführung – einem durch die nunmehrige Rasanz und Dramatik der Entwicklung neu gebildeten Begriff der Unternehmensführung –, der besonders für Unternehmen und Einrichtungen mit sehr anspruchsvollen Leistungen als Erfolgs- und Wettbewerbsfaktoren hohe Relevanz hat und diese Intentionen vermitteln soll. Das Aufkommen und die Dominanz der



8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben251

schon mehrfach erwähnten egozentrischen und demoralisierenden neoliberaler Vorstellungen ab Mitte der 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts bewirkten für die Unternehmensführung sowie die Personal- und Führungsarbeit vieler Unternehmen – von Mittelbetrieben bis zu transnationalen Konzernen – zwischenzeitliche und erhebliche Verschlechterungen bzw. der ehedem sehr positive Trend vor der neoliberalen Phase wurde eingebremst – oft bis zum bitteren Ende –, wie die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 drastisch zeigte. Die hochgiftigen und trotz ihrer inhaltlichen Bescheidenheit mächtigen Ideen des Neoliberalismus und die damit verbundene und verlockende Botschaft des Gesanges der Sirenen, waren der unselige Sog, der viele in Abgründe zog. Wie auch immer, es gilt die alte und bittere Weisheit und Erfahrung der Unternehmensführung sowie der Personal- und Führungsarbeit für Chefs und Führungskräfte, die stets über ihre „schlechten“ Mitarbeiter jammern und dort die Schuld und Sündenböcke für Misserfolge suchen, die tatsächlich traurige Resultate des eigenen Unvermögens sind. Diese leider sehr beachtliche Gruppe an Vorgesetzten kann und will nicht begreifen, dass sie höchstselbst die genuinen Führungsfunktionen zu verantworten hat und nicht erfüllt, nämlich ihnen anvertraute Mitarbeiter erfolgreich zu machen. Kurzum: Jeder hat die Mitarbeiter die er verdient! Geforderte Qualitäten einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit waren stets anspruchsvoll, sind aber sicher tendenziell sehr angestiegen und damit sehr viel wichtiger geworden. Manches kann man lernen, aber es sind auch Talente notwendig, die mal mehr oder weniger als Anlage vorhanden sind, aber auch fehlen können. Das gilt natürlich auch für Vorgesetzte und Führungskräfte. Das ist zunächst kein Unglück, wird es aber dann, wenn der Betroffene darauf falsch reagiert. Aus welchen Gründen auch immer. Es gibt Menschen, die nach unzähligen Aus- und Weiterbildungen trotz aller Bemühungen als Vorgesetzte keine ausreichend gute Personal- und Führungsarbeit schaffen, d. h. in diesem Punkt sich als Fehlbesetzung erweisen. Meistens spüren und wissen sie das auch und leiden darunter. Andere übernehmen ohne vergleichbare Vorbereitungen Personal- und Führungsaufgaben und erfüllen sie tadellos. Sie sind daher bei ihren Mitarbeitern und ihren Chefs sehr geschätzt, d. h. sie erbringen mit ihrer Person für die Funktionen die notwendigen Voraussetzungen und erfüllen sie mit persönlichem Engagement. Kurzum, es hat in der Personal- und Führungsarbeit wie in vielen anderen Aufgabenbereichen auch, keinen Sinn sich an Führungsfunktionen zu klammern, für die man keine ausreichende Voraussetzungen hat und mangels Talent oder auch durch konkrete Umstände kaum gewinnen wird. Aber der zuständige Chef kann und darf das nicht tolerieren, denn es geht nicht „nur“ um die unfähige und meist unglückliche Führungskraft, sondern vor allem um die betroffenen Mitarbeiter, die darunter leiden und mit Sicherheit weit unter ihrem

252

8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben

Wert geschlagen werden. Solche für niemanden personalwirtschaftlich und menschlich zumutbaren Verhältnisse können nicht womöglich über längere Zeiträume verschleppt werden, sondern es sind mit den Beteiligten Lösungen zu entwickeln und zu realisieren. Die gescheiterte Führungskraft blüht dabei vielleicht als hervorragende Fachkraft auf, hat Erfolg und wieder Freude an ihrer Arbeit und kann endlich ihren „Führungsstress“ hinter sich lassen. Ein anderer erhält die Aufgabe und Verantwortung als Führungskraft, macht das gern und gut und „seine“ Leute zeigen was sie können und fühlen sich weitaus besser als zuvor. Es kann natürlich auch nicht ganz so gut gehen. Wenn man aber sagen kann, dass es besser wurde und frägt, warum man das nicht schon früher so gemacht hat, dann hat man zum Vorteil aller gelernt, nämlich aus Problemen Chancen zu kreieren. Die Qualität der Führungssysteme ist u. a. bei der Bewältigung von Komplexität und damit auch der Irrationalität von großer Bedeutung. Das gilt für alle Führungsebenen und Beteiligte an komplexen Prozessen. Der Dialog ist dabei als Kernstück unverzichtbar. Ganzheitliches Denken, die Pflege von Vernetzungen, die Praktizierung einer gelebten und nicht nur postulierten Humanität, Bereitschaft und Möglichkeit zu permanentem Lernen, Flexibilität, Paradigmen als Orientierungshilfen usw. sind wesentliche Faktoren, um Komplexität und damit verbundene Irrationalität sinnvoll zu meistern (Carell, L., Volk, H.: 2013, S. K 1 f.).

9. Führungselemente Anschließend an das vorhergehende Schema Führung: Mitarbeiterbezogene Führungsaufgabe (Kapitel 8) erfolgen einige Ausführungen in gestraffter Form zu den dort wiedergegebenen 8 Führungselementen, ergänzt durch relevante Abbildungen. Sofern die jeweiligen Themenbereiche für die Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit von besonderer Bedeutung sind, wird darauf detailliert eingegangen. Ist das nicht der Fall und stehen zudem reichliche Informationsmöglichkeiten in guter Qualität und Zugänglichkeit zur Verfügung, erfolgt nur eine kursorische Behandlung des jeweiligen Themas.

9.1 Zielsetzung Aufgabenstellungen können autoritär oder kooperativ erfolgen. Autoritär werden Aufgaben gestellt, für ihre Erfüllung gesorgt, Anweisungen gegeben und deren Ausführung überwacht. Bei kooperativer Mitarbeiterführung werden andere Intentionen verfolgt: Ziele werden aufgezeigt und gemeinsam mit den Mitarbeitern erreicht. Bei Letzterem stellen sich Fragen und werden Antworten gemeinsam gesucht, wie: Was soll erreicht werden? – Unter welchen Voraussetzungen sollen Ziele verfolgt werden? – Welche Rolle erfüllt dabei der Vorgesetzte? – Welche Kooperationen sind erforderlich? – Wirkt der Mitarbeiter bei Zielsetzungen mit? – Wie werden Engagement und Leistungskraft gefördert? – Welche Erwartungen und Chancen des Mitarbeiters werden im Leistungsvollzug berücksichtigt? – Welche Unterstützungen erhält der Mitarbeiter? – Wie weit soll die Eigenverantwortlichkeit und die Freiheit des Mitarbeiters beim Leistungsvollzug gehen? – usw. Bei Zielsetzungen – aber auch anderen Führungselementen – gibt es einige substantielle Kernpunkte, wie heute Aufgaben im Sinne einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit zu erfüllen sind. Das wäre eigentlich einfach zu lösen, aber: Es gibt Störungen in der Leistungserstellung, das Umfeld verlangt Anpassungen und neue Wege sind einzuschlagen, Menschen unserer Zeit sind als Mitarbeiter anders orientiert als die Generation vor ihnen usw. Es sind häufig andere Aufgaben als früher zu bewältigen, wie beispielsweise die Lösung schwieriger Komplexitätserfordernisse. Ein gesellschaftlicher Wandel vor der eigenen Haustür und weltweit hat stattgefunden. Eine der schwersten Krisen seit langem ist durchzustehen und zu

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9. Führungselemente

bewältigen, sei es wirtschaftlich, sozial usw. All dies und vieles mehr führt immer häufiger zu Veränderungen und Anpassungserfordernissen, die Vorgesetzte und Mitarbeiter mehr als früher fordern. Ein tiefgreifendes Umdenken und Lernen wird daher immer wichtiger. Solche Entwicklungen sind oft nicht mehr mit traditionellen Kompetenzen, Regelungen und Strukturen zu schaffen. Die Suche nach neuen Wegen, Aufgaben der Kreativität und Innovationen, Entwicklung neuer und weitreichender Formen der Zusammenarbeit usw. fordern Menschen heraus, aber eröffnen auch attraktivere Entfaltungsmöglichkeiten als früher. Wie auch immer, autoritäre Einstellungen, überholte Verhaltensweisen und traditionelle Führungsinstrumente haben unter solchen Verhältnissen bei geänderten und schwieriger gewordenen Aufgabenstellungen längst ausgedient und stoßen darüber hinaus in der Gesellschaft auf wachsende Ablehnung. Anspruchsvoller gewordene Leistungsvollzüge erfordern eine Verbesserung und oft eine Neugestaltung von verschiedenen Führungselementen. Bei einfacheren Aufgabenstellungen wäre es unter sachbezogenen Aspekten nach wie vor möglich, auch autoritäre Formen und Praktiken der Führung einzusetzen, was ja auch tatsächlich geschieht, aber aus anderen Gründen nicht mehr zeitgemäß ist und auf den Widerstand von Mitarbeitern stößt. Die Erwartungen der Mitarbeiter – wie die der meisten Menschen – haben sich geändert und autoritäre Verhaltensweisen und Führungspraktiken stoßen daher auf Gegenwehr. Die Zeiten sind vorbei, wo Menschen einfach gehorchen, nichts in Frage stellen und, wenn es besonders schlimm wird, nur die Zähne zusammenbeißen, anstatt etwas zu sagen oder nur in den Taschen die Fäuste ballen. Ein Blick in das persönliche Umfeld, in die Medien und ein Gespür für Entwicklungen der Gesellschaft und vor allem auch auf Strömungen innerhalb der Zivilgesellschaft, auf Geschehnisse im eigenen Land und zahlreiche Ländern der Welt, zeigt sehr deutlich, was konkret unter der Beschreibung der „gewachsenen Mündigkeit des Menschen“ zu verstehen ist. Das reicht von örtlichen Bürgerinitiativen bis zu international wirksam agierenden Gruppen für unterschiedlichste Zwecke, die das herkömmliche Lenkungs- und Handlungsrepertoire der Gesellschaft als dringend ergänzungsbedürftig bewerten und die empfundenen Lücken mit Eigeninitiativen kraftvoll zu schließen versuchen. Daran gemessen ist der Begriff „Mündigkeit“ eine geradezu verharmlosende Beschreibung. Diese Ideen und Tendenzen beeinflussen auch die Erwartungen an die Führung. Autoritäre Führungspraktiken erweisen sich immer mehr als Gift für notwendige Innovationen und Veränderungen. Wer als Vorgesetzter und Führungskraft lediglich Weisungen erteilt und Ergebnisse kontrolliert, bekommt diese mehr oder minder geliefert – aber nicht mehr und sicher nichts Neues! In Letzterem liegt aber gerade die Quelle zukünftiger Erfolge. Gute Mitarbeiter wollen einmal nicht unter ihrem Können gefordert werden,



9.1 Zielsetzung255

zweitens wissen sie meist recht gut, wie gesucht sie am Arbeitsmarkt sind und sind es leid unter autoritären „Chefs“ lediglich Befehlsempfänger zu sein. Mit anderen Worten, Vorgesetzte und Führungskräfte haben – wie schon erwähnt – daher regelmäßig die Mitarbeiter, die sie verdienen und wer über „schlechte“ Mitarbeiter klagt, sollte sich besser selbstkritisch fragen, was er eigentlich als Führungskraft getan hat, um seine Mitarbeiter erfolgreich zu machen, ob er seine Rolle als Führungskraft und als Trainer seiner Mitarbeiter überhaupt begriffen und erfüllt hat, oder lediglich den „Boss“ mimt. Wie setzt man Ziele und gibt Anweisungen? Da gibt es längst Rezepte, wie die „Sieben W – Fragetechnik“. Die klingen schlüssig und scheinen die richtigen Antworten zu bringen. Können sie es wirklich? Ein Beispiel zur kritisch-konstruktiven Hinterfragung: Abbildung 9.1 Wie setzt man Ziele, gibt Aufträge und Anweisungen?

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9. Führungselemente

Schemata und Modelle können bei linearen Abläufen Lösungswege aufzeigen. Nur was ist zu tun, wenn Aufgaben längst nicht mehr linear, sondern hochverzweigt verlaufen und Komplexitäten sich einfachen Vorgehensweisen entziehen und die alten Rezepte nicht mehr helfen? Diese offenen Fragen stellen sich in Wissenschaft und Forschung ebenso, wie in unzähligen Unternehmen in angeblich ganz „normalen“ Wirtschaftsbereichen, wo tatsächlich nie gekannte Unsicherheiten herrschen und Risiken rasch schlagend werden. Bei solchen Überlegungen wird sehr rasch bewusst, wie wenig mit traditionellen Arten der Führung erreicht werden kann bzw. neue Wege eines hochentwickelten, kooperativen, offenen Stils und eine flexiblen Art und Weise der Führung erforderlich sind. Das sind die Fragen, die über die durchaus nützliche Gedankenstütze der „sieben W“ weit hinausgehen. Die vorliegende Arbeit verfolgt allerdings etwas andere Intentionen. Daher wird auf die reichhaltigen Literaturquellen zum Thema Zielsetzung verwiesen.

9.2 Information und Kommunikation Information und Kommunikation zählen zu jenen Themenbereichen, die seit eh und je unermüdlich und mit Recht zu den Herzstücken der Führung gezählt werden und daher nicht so behandelt werden müssen, als hätte man es nur mit Neuem zu tun. Das hieße wirklich Eulen nach Athen zu tragen. Werden Information und Kommunikation mit „Verhalten“ verknüpft wird die Sache bereits diffiziler und es sei an Paul Watzlawick erinnert, der in diesem Kontext seine berühmten Sätze formuliert: „Verhalten hat vor allem eine Eigenschaft, die so grundlegend ist, dass sie oft übersehen wird: Verhalten hat kein Gegenteil, man kann sich also nicht nicht verhalten. Wenn man also akzeptiert, dass alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Mitteilungscharakter hat, das heißt Kommunikation ist, so folgt daraus, dass man, wie immer man es auch versuchen mag, nicht nicht kommunizieren kann.“ (Watzlawick, P., Beavin, J. H., Jackson, D. D.: Menschliche Kommunikation. Bern 1980, S. 53).

Rupert Lay folgert sinngemäß: „Kommunikation bezeichnet eine Abfolge von Interaktionen, die Informationen, Emotionen, Bedürfnisse, Interessen, Wertungen, Vorurteile hervorbringen, transportieren oder verändern.“ (Lay, R.: 1991, S. 125). •• Information und Kommunikation kennzeichnen daher eine spezifische Schnittstellen-Problematik: Kommunikation findet vor allem zwischen Gleichgesinnten statt, denn Personen neigen dazu, andersartige Information erst einmal abzulehnen.



9.2 Information und Kommunikation257

•• Schwierigkeiten der Kommunikation innerhalb des Unternehmens entstehen durch Rivalität und Profilierungsbedürfnisse Einzelner. Die Angst vor Machtverlust verhindert den optimalen Informationsfluss. •• Die unterschiedlichen Interessenlagen führen dazu, dass Informationen taktisch, verfälscht oder gar nicht weitergegeben werden. •• Sympathie, Vertrauen und Kooperationsneigung sind wesentliche Voraussetzungen für einen guten Informationsfluss – diese Voraussetzungen müssen in vielen Fällen mühsam erarbeitet werden. •• Das Harmoniebedürfnis ist ein Kommunikationskiller! Viele Personen wollen die oft scheinbar vorhandene Harmonie nicht durch kontroversielle Meinungen stören, Bedenken gegen getroffene Entscheidungen werden nicht geäußert, damit das angebliche Einvernehmen und das gute Klima nicht gestört werden. In den nachfolgenden Schemata werden die Information und Kommunikation geordnet nach mitarbeiter- und unternehmensspezifischen Aspekten und ihren jeweiligen Zwecksetzungen und relevanten Kommunikations­ ebenen dargestellt, um damit einen einfache Überblicke zu vermitteln. Die Abbildung Bereiche der Information und Kommunikation zeigt einmal, welche Mitarbeiter bzw. Personen welche Haupt- und jeweiligen Detailfunktionen haben. Zweitens wird gezeigt, welche Funktionen vornehmlich abzielen auf Funktionen der Organisation und des Managements. Für beide Bereiche, Mitarbeiter – Personen und Organisation – Management, ließen sich natürlich weitere spezifische Funktionen anführen. Dem folgt eine Abbildung zu den verschiedenen emotionalen und kognitiven Kommunikationsebenen und deren Orientierung nach Sicherheits-, Realitäts-, Beziehungs- und Interpretationsebenen.

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9. Führungselemente Abbildung 9.2: Bereiche der Information und Kommunikation

Information und Kommunikation

Mitarbeiter – Personen

Vermittlung von Wissen und Können

– Fachwissen – methodisches Wissen – Problemanalyse – Kreativitätstechnik – Entscheidungstraining – persönliche Arbeitstechnik – Präsentationstechnik – Erfahrungen – Einsatz auf unterschiedlichen Arbeitsplätzen (Job-rotation)

Mitarbeiterpersönlichkeit

Verbesserung von – Belastbarkeit – Problembewusstsein – Selbstsicherheit – Konfliktfähigkeit durch: – Einzelgespräche mit Beratern und Therapeuten – Gruppengespräche – Selbsterfahrungsgruppen – Seminare – periodische Arbeitstreffen

Unternehmen – Organisationen

Organisationsstruktur

– personen- und sachgerechte Vereinbarungen von Stelleninhalten und -zielen – flache Organisationsstruktur – Management von Projekten – Profit-Center-Struktur – Gesprächskreise

Management

– aktive Beteiligung an Innovationsprozessen – periodische Problemanalysen – strategische Planung – Kontrolle der Jahresziele – Unternehmensethik – Delegation – Konstenkontrolle



9.3 Delegation259 Abbildung 9.3: Kommunikationsebenen

9.3 Delegation Die Delegation ist quasi das klassische Organisationsprinzip, mit dem der Vorgesetzte bestimmt, wer, was mit welchen Mitteln tut und der Mitarbeiter entscheidet, wie er den Auftrag des Vorgesetzten ausführt. Mit der Entscheidungsbefugnis liegt somit auch die Handlungsverantwortung beim Mitarbeiter. Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung müssen bzw. sollten sich demnach decken. Der Vorgesetzte darf bei diesen Spielregeln nur dann eingreifen, wenn Fehlleistungen offensichtlich sind und eine Entscheidungssituation eintritt, welche die Kompetenz des Mitarbeiters übersteigt. Soweit die organisatorische Theorie. Die Führungspraxis der Delegation zeigt er-

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9. Führungselemente

fahrungsgemäß erhebliche Probleme. Die denkbaren und auch klassischen Delegationsfehler zeigt das Schema Delegationsfehler. Im Bereich der Delegation zeigt sich in sehr prägnanter Art und Weise der Zusammenhang von Führungsstil und Führungsorganisation und deren Wechselbeziehung zu technisch-ökonomischen Faktoren und außerbetrieblichen Faktoren. Die vermutlich unerwartete Vielfalt von Einflusselementen, die bei der Delegation in Wechselwirkungen stehen, ist auch ein treffendes Indiz dafür, dass die Delegation in der Führungspraxis eine auffallende potentielle Fülle an Problemen beinhaltet, was einmal bei dem einfach scheinenden Führungsinstrument Delegation erstaunlich anmutet und zum Zweiten in der Realität tatsächlich auch zu unterschiedlichsten und schweren Führungsproblemen und Konflikten führt. Da organisationsmethodisch bzw. verfahrensbedingt das Organisationsprinzip der Delegation einfach ist, weist das schon darauf hin, dass verhaltensbedingte Einflussfaktoren die Vielzahl der Delegationsprobleme ausmachen, was sich auch in der Praxis bestätigt. Die aus der Praxis abgeleiteten Ursachen für zu geringe und mangelhafte Delegation der Führungskräfte weisen ebenfalls sehr klar auf die Dominanz verhaltensbedingter Delegationsfehler hin bzw. ergeben Ansätze, wo und wie solche zu beheben sind. Wie also delegiert man Aufgaben? Abbildung 9.4: Delegation



9.3 Delegation261 Abbildung 9.5: Selbstkontrolle der Führungskraft * Nutzen Sie alle Delegationsmöglichkeiten? * Haben Sie Ihre Mitarbeiter für die Delegation genügend vorbereitet? * Haben Sie die führungsorganisatorischen Voraussetzungen   für eine Delegation getroffen? * Sind Sie bereit, Vertrauen in Ihre Mitarbeiter zu setzen oder   halten Sie sich für unersetzlich? * Tun Sie eigentlich etwas, um Ihre Delegationsfähigkeit zu steigern? * etc.

Abbildung 9.6: Delegationsfehler

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9. Führungselemente Abbildung 9.7: Faktoren für eine erfolgreiche Delegation

Führungsorganisation

Führungsstil

Delegation

Technisch-ökonomische Faktoren

Außerbetriebliche Faktoren

Führungsstil: Führungsleitbild (autoritär-kooperativ) – Autoritätsbasis (institutionell-funktionell) – Personal- und Führungsarbeit – Kommunikation – Zielsetzung (Befehls- oder Auftragstechnik) – Umfang der Aufgabenübertragung – Willensbildung (Vorbereitung, Modus, Durchsetzung) – menschliche Beziehungen (formal und informal) – Verhaltenskodex – Kontrollformen – etc. Führungsorganisation: Organisationsplan – Organisationsgrad – Führungsgrundsätze – Aufgabengliederung – Kompetenzbereiche – Unterstellungsverhältnisse – Arbeitsgruppengröße – Arbeitsplanung – Dienstaufsicht – usw. Technologisch-ökonomische Faktoren: Betriebliches Leistungsprogramm – Firmenstil – Verfahren – Werkstoffe – Arbeitsverhältnisse – Märkte – usw. Außerbetriebliche Faktoren: Allgemeine Wertvorstellungen – Privatsphäre des Mitarbeiters – Eigenschaften des Mitarbeiters (Können und Erfahrung, Belastbarkeit, Mobilität, Interessen, Gesundheit, Verantwortungsbereitschaft, Selbstwertgefühl, Intellekt, Reife etc.) – Lernbereitschaft – usw.



9.3 Delegation263 Abbildung 9.8: Faktoren für eine erfolglose Delegation

• Unfähigkeit, die eigene Arbeit sinnvoll zu gestalten (Organisation) und vor allem das Wesent­ liche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Der Vorgesetzte verliert sich in Einzelheiten. • Gewohnheiten des Chefs, der auch nicht fähig ist, die Dinge von einer höheren Warte aus zu sehen: Er fährt mit der gleichen Arbeit fort, die er vorher als unter seinem Vorgesetzten arbeitender oder als Angestellter zu erledigen hatte. • Egoismus: Der Vorgesetzte behält die angenehmen oder interessanten Arbeiten. • Mangel an Selbstdisziplin: Der Chef zieht es vor, weil es „rascher geht“, selbst eine Arbeit zu verrichten, die er beherrscht, anstatt der Ausbildung seiner Mitarbeiter die nötige Zeit zu widmen. • Zu wenig Geduld: Unter Umständen bedarf es einer gewissen Dosis an Selbstbeherrschung, um die anderen selber fertig werden zu lassen, ohne einzugreifen. • Überheblichkeit und Mangel an Zutrauen zu den Mitarbeitern: Der Chef glaubt, er allein sei fähig, diese oder jene Arbeit zu leisten. Er will nicht zugeben, dass manche Angestellte, die weder seine Ausbildung noch seine Erfahrung haben, gewisse Arbeiten so gut wie er selbst erledigen könnten. • Ungenügendes Selbstvertrauen: Der Vorgesetzte, der einer bestimmten Arbeit gewachsen ist, führt sie selber aus, weil er sich dabei sicher fühlt bzw. Angst hat, bei anderen Aufgaben zu versagen. • Fehlende Autorität: Der Chef hat Mühe, sich schwierigen Mitarbeitern gegenüber durchzusetzen. • Ängstlichkeit nach unten: Der unsichere Chef betrachtet (bewusst oder unbewusst) seine Mit­ arbeiter als Rivalen. Er fürchtet auch die Einführung moderner Methoden und Techniken durch sein Personal, an die er schon lange selber hätte denken sollen. Um unentbehrlich zu erscheinen, hindert er seine Belegschaft daran, seinen Arbeitsbereich näher kennen zu lernen. • Ängstlichkeit nach oben: Der Chef wird durch seine eigenen Vorgesetzten unter Druck gesetzt, der alles – auch Unwesentliches – sofort erfahren möchte; er befürchtet den Vorwurf, irgend etwas aus seinem Arbeitsbereich nicht zu wissen. • Finanzielles Interesse: Es ist zu erwarten, dass Mitarbeiter, die eine qualifiziertere Arbeit bewältigen oder mehr Verantwortung tragen, bald materielle Ansprüche stellen. • Flucht in die Arbeit, aus familiären Gründen oder aus Mangel an außerbetrieblichen Interessen.

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9. Führungselemente

9.4 Kontrolle Von Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924) stammt das nachweisliche Zitat „Vertraue, aber prüfe nach“, das zur Redewendung „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ führte, in dieser Formulierung allerdings bei Lenin nicht nachweisbar ist. Die Aussagen beider Varianten sind gleich, wenn man nur den Text heranzieht. Im Kontext mit dem theoretischen, politischen und revolutionären Wirken von Lenin einerseits und dem was andererseits unter dem Führungselement Kontrolle innerhalb einer zeitgemäßen Führung und Motivation in unserem heutigen Umfeld deklariert wird, führt die Aussage von Lenin zur „Kontrolle“ im Vergleich zu unseren Vorstellungen zum Begriff „Kontrolle“ zu einem naheliegenden Widerspruch. Die jeweilige kontextuelle Betrachtung macht die Widersprüchlichkeit aus. Ohne die differenzierende Sicht wäre festzustellen, dass das Zitat „Vertraue, aber prüfe nach“ bei Lenin und der heutigen Vorstellungen des Führungselementes „Kontrolle“ vordergründig besehen keinen Widerspruch begründen würde. „Kontrolle“ als Führungselement ist unbestritten. Im politischen oder einem zeitgemäßen Kontext der Führungsarbeit zeigt sich jedoch etwas anderes. Führungselemente gewinnen die Konkretisierung ihrer Substanz beispielsweise durch die Orientierung an jeweiligen akzeptierten und real angestrebten Paradigmen. Ebenso erfährt das Zitat von Lenin seine Konkretisierung durch seine verfolgten politischen Intentionen. Wie auch immer, Kontrolle ist nicht gleich Kontrolle, sondern erhält ihren jeweiligen Inhalt durch relevante Absichten und Kontexte. Das ist natürlich nicht neu, aber als Hinweis zu verstehen, wie trügerisch Sprache sein kann, wenn sie nicht aufmerksam und sorgfältig verwendet und hinterfragt wird. Im Management, der Führung, der Motivation usw. – vor allem bei Verwendung von oberflächlichem Technokraten-Kauderwelsch – liegen gerade darin oft die Probleme und Gründe für entstehende Missverständnisse. Damit ist man auch bei dem Führungselement Kontrolle bei der schon an anderer Stelle dargelegten Problematik und Schwäche von Modellen und Schemata, deren oft angestrebte Aufgabe u. a. darin liegt, hohe Komplexität durch Reduktionvorgänge vermeintlich zu vereinfachen. Die vereinfachtere Handhabungen der Komplexität gelingt nur um den Preis der Reduktion der Realität der tatsächlichen Komplexität und mit der erheblichen Gefahr, problemgerechte Lösungen zu verfehlen, da teilweise die realen Verhältnisse negiert werden. Das Wort „Kontrolle“ allein stellt bereits eine ausgeprägte Realitätsverkürzung dar, solange es nicht in den jeweiligen Zusammenhängen interpretiert und ergänzt wird. Die Bezugnahme auf Paradigmen kann dabei eine große Hilfe sein, weil sie einmal kommunikativ sehr gut einen Gesamtzusammenhang von Werten und Orientierungen vermitteln kann und zweitens dem Kommunikationspartner darüber hinaus eine Information ver-



9.4 Kontrolle265

mitteln wird, wes Geistes Kind das Gegenüber ist bzw. was wirklich gemeint wird. Bei Letzterem muss allerdings leider oft über einen aussagekräftigen und vor allem treffenden Eindruck und somit eine wichtige Information, meist länger gerätselt oder nachgefragt werden. Das Führungselement „Kontrolle“ führt zu dem zum alten Themenkreis der „Werte“, der mit der steigenden „Macht der Unmoral“ (s. a. Lay, R.: 1993; s. a. Hemel, U.: 2005, S. 17–29) und den Ursachen und Konsequenzen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wieder hochaktuell wurde. Die Insolvenz von Lehman Brothers Inc., New York – gefolgt von einer weltweiten Insolvenzen-Kette und der schwersten Krise seit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 – wurde ein vorläufiger(!) Endpunkt der Herrschaft der unterschiedlichen Schulen des Neoliberalismus in Europa eingeleitet, durch die auch tragende Vorstellungen der in den Kernländern Europas vorherrschenden Sozialen Marktwirtschaft bzw. Ökosozialen Marktwirtschaft in Frage gestellt wurden. Das geschah vor allem durch die Propagierung und Umsetzung neoliberaler Vorstellungen der neoliberal-politischen Grundkonzepte: Maximierung statt Optimierung der individuellen Freiheit als zentrales Postulat und Grundannahme neoliberaler Ideen und Politik. – Rückführung der Staatsquote, Privatisierung ehemals staatlicher Aufgaben. – Generelle Deregulierung des Staates und besonders des Kapitalverkehrs. – Schaffung eines Nachtwächterstaates. – Entwicklungsmodelle mit dem Ziel der Rückführung von Staatsinterventionen im Rahmen der Wirtschaftspolitik. – Ideologie der Stärkung der Freiheitsverhältnisse des Individuums gegenüber Kollektiven, insbesondere verbunden mit Einschränkung der sozialen Leistungen des Staates. – Vertretung extrem verkürzter wirtschaftswissenschaftlicher Paradigmen der Klassischen Theorie der Wirtschaftswissenschaften, die verfälscht wurden und Grundaussagen von Adam Smith (1723–1790) in ihr Gegenteil verkehrten. Nach den katastrophalen Erfahrungen mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 haben die konzeptionellen Vorstellungen zur Wirtschaftsordnung und den Paradigmen der Ökosozialen Marktwirtschaft nicht überraschend in den deutschsprachigen Ländern und den meisten EU-Ländern wieder ihren geschätzten Platz. Die Bewältigung der Krise orientiert sich teilweise an diesem Erfolgsmodell des Wiederaufbaues, des Wohlstandes und des sozialen Ausgleiches nach dem 2. Weltkrieg, aber auch seiner zentrale Rolle und Vorbildfunktion beim Aufbau der EU, dem die Gründungsväter aus tiefster Überzeugung und mit den erlittenen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts folgten. Diese Werte und Inhalte leiteten auch durch Jahrzehnte die Weiterentwicklung der EU, die daher auch stets präsent waren. Rückblickend ist es zweifellos der schwerste und tragischste Unfall, den die EU seit ihrer Gründung erfahren musste und das Skandalon konnte nicht größer und folgenschwerer sein, nämlich dass die in Europa verantwortlichen Akteure

266

9. Führungselemente

verschiedenster Provenienz die Gefahren der neoliberalen Ideen, deren Vertreter und Mitläufer völlig verkannten und die europäische Idee der Sozialen Marktwirtschaft und der weiterentwickelten Ökosozialen Marktwirtschaft kaum verteidigten. Das verhängnisvolle Faktum ist bis in die Gegenwart und sicher auch danach unbegreiflich. Es ist sicher kein Zufall, dass bislang das haarsträubende Fehlverhalten und seine tieferen Ursachen nicht thematisiert wurden. Die Folgen der von den USA ausgehenden Krise hätten vermutlich auch Europa erreicht, aber vielleicht nicht mit der unsäglichen Wucht und Europa wäre sehr viel erspart geblieben. Die neoliberalen Paradigmen erweisen sich als ein bis auf die Knochen abgemagertes „Konzept“ des angestrebten neoliberalen Staates, das mit dem Reichtum, der Breite und dem Tiefgang der nationalökonomischen Klassik wenig zu tun hat. Ihren „Nachtwächterstaat“ pflegten die Neoliberalen de facto paradigmenkonform und unverfroren auszurauben, wie der Verlauf der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und seine Vorgeschichte drastisch zeigten, quasi nach dem Motto: Der Staat darf nichts tun und wir Neoliberalen tun mit dem Staat was uns gefällt und nützt. Gesellschaft, Staat und Wirtschaft gerieten tatsächlich und im schrecklichsten Sinne außer Kontrolle. Wie extrem schwierig es ist, den dadurch an den Rand des Abgrunds gefahrenen Karren der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und des Sozialen auf „richtige Wege“ zurück zu bringen, können nun seit Jahren daran interessierte Bürger täglich den Medien entnehmen und es geht ihnen auch nicht anders als den politisch verantwortlichen Entscheidungsträgern, sie müssen die bittere Erkenntnis akzeptieren, dass die weitere Entwicklung aus aktueller Sicht (Sommer 2015) ungewiss und damit immer noch hochriskant ist, wenn gleich die Bemühungen zur Bewältigung der Krise in den USA und der EU mittlerweile an Konsequenz und Professionalität gewonnen haben. Dennoch, alle bislang zur Stimmungspflege beschworenen „Positiv-Informationen“ können nicht über die latenten Unsicherheiten und Gefahren hinwegtäuschen, einmal bedingt durch die politischen Krisenherde in der Ukraine und im Nahen Osten, zum zweiten durch weltweite konjunkturelle Schwankungen und Einbrüche. Weitaus schlimmer, viel trauriger und oft ohne Perspektiven erleben die Bürger und unsere Nachbarn außerhalb des vergleichsweise gutgestellten deutschsprachigen Raumes ihre triste Lage und fragwürdige Zukunft und müssen darunter schwer leiden. Nicht genug damit: Die Mitverursacher und Profiteure der nun 8-jährigen Finanz- und Wirtschaftskrise – wesentlich ausgelöst durch die Apologeten des Neoliberalismus – erleben die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 persönlich zum guten Teil mit gefüllten Taschen und somit nicht am eigenen Leib. Ganz im Gegenteil, viele von ihnen fangen schon wieder an mit ihren Ideologien und Taktiken das Dacapo ihres verhängnisvollen Sirenen-



9.4 Kontrolle267

gesanges erneut anzustimmen. Kurzum: Die Reichen wurden reicher, die Armen noch ärmer, frei nach Berthold Brecht (1898–1956): „Denn die einen sind im Dunkel / Und die anderen sind im Licht. / Und man siehet die im Lichte. / Die im Dunkeln sieht man nicht“ (Die Dreigroschenoper). Für den gesellschaftskritischen und vorausahnenden Brecht repräsentiert der Räuber Mackie Messer „Das räuberische Wesen des bürgerlichen Kapitalismus“. Die bürgerlichen Verhaltensweisen sind verbrecherisch, weil die Verbrecher durch bürgerliche Methoden und Manieren erfolgreich sind. Menschen werden zur Ware, in einer durch Profit und Konkurrenz bestimmten Gesellschaft. Die Uraufführung der Parabel der „Dreigroschenoper“ erfolgt am 31.08.1928 in Berlin. Im gleichen Jahr bricht die 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 aus und der Nationalsozialismus profitierte davon und bedrohte zunehmend die Gesellschaft. Das meint Brecht mit seinem Text: „Und der Haifisch, der hat Zähne / und die trägt er im Gesicht“. Zufälle? – Sicher nicht! Für Mackie Messer geht die Sache gut aus. Er wird begnadigt, geadelt und bezieht von da an eine Lebensrente. Am Ende singen alle den doppelsinnigen Vers: „Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr, in Bälde / Erfriert es schon von selbst, den es ist kalt. / Bedenkt das Dunkel und die große Kälte / in diesem Tale, das von Jammer schallt“ (Internet: Brecht, B.). Bei einer mitarbeiterorientierten und permanenten Personalentwicklung, einem gemeinsam verfolgten Wandel und Fortschritt der Führungskultur, reflektieren sich am Führungselement Kontrolle deutlich jene Werte, die einen prospektiven, humanorientierten und solchermaßen angestrebten Führungsstil prägen. Es ist beispielsweise bei großen Unternehmen und weltweit agierenden transnationalen Konzernen mit essentiellen Aufgabenstellungen in den Bereichen Forschung und Entwicklung ein immer stärker befolgtes Credo der Unternehmensführung, die Personal- und Führungsarbeit hin zum Zentrum der Unternehmensleitung zu rücken. In einer hervorragenden Personal- und Führungsarbeit wird mit der wichtigste Schlüssel gesehen, für Kreativität, Innovation und somit die Quelle für neue und von den Abnehmern tatsächlich gebrauchten Produkte und damit verbundenen Dienstleistungen die Vorrausetzungen zu schaffen: Nämlich durch die Gewinnung und Sicherung hochqualifizierter Menschen als angestellte und freie Mitarbeitern und Gruppen, die durch ihre Qualifikation und Einsatzfreude die Leistungsträger der vorgenannten Funktionen sind. Dadurch wird letztendlich der nachhaltige Wettbewerbsvorsprung und somit der wirtschaftlichen Erfolg am besten ermöglicht. Wenn man die besten Mitarbeiter haben möchte, und zwar auf allen Funktionsebenen einer Organisation, wird man sie auf Dauer nur dann gewinnen und halten können, wenn man mehr tut als sie nur gut zu bezahlen und Vorsorgesicherungen zu bieten. Attraktive Aufgabenstellungen und die hierfür bestmöglichen Rahmenbedingungen

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9. Führungselemente

und Verfügbarkeit über Ressourcen sind ebenso wichtig und sollten bereit gestellt werden und – last but not least – ist eine zeitgemäße, offene und möglichst viel Freiheit und Chancen für Aufgabenlösungen bietende Personal- und Führungsarbeit zu realisieren. Fehler bei Entwicklungen werden beispielsweise nicht „geahndet“, sondern sind ein Teil der Arbeit und ihre Analyse und Bewertung ein wichtiger Beitrag für Fortschritte sowie Verbesserungen. Es findet ein Chancenmanagement statt und es wird keine Suche nach Fehler-Verantwortlichen praktiziert. Das Führungselement Kontrolle dient konstruktiv prospektiven Intentionen für zukünftigen Erfolge. Es wäre in diesem Sinne abwegig und destruktiv, beispielsweise einen fähigen Mitarbeiter in der Forschung mittels Kontrolle quasi dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass eine Forschungsaktivität zunächst erfolglos bleibt. Wer das Wesen der Forschung nur halbwegs begriffen hat, weiß sehr gut, wie viele Fehler auf einen Treffer kommen können und wie lange es dauern kann, endlich erfolgreich zu sein. Fehler sind schlicht und einfach ein notwendiger Teil der Forschung und bewirken oft unerwartete Anstöße für Erfolge. Ohne eine optimale Fehlerkultur ist eine erfolgreiche Forschungs- und Entwicklungseffizienz schwer vorstellbar. Werden solche Entwicklungen – die in der Realität bereits weltweit in breitem Umfang stattfindenden – konsequent zu Ende gedacht, ergibt sich daraus der naheliegende Schluss, dass es zu einer stärker personifizierten Unternehmensführung kommen wird. Eine zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit sichert, dass dem Engpassfaktor „bestes Personal“ unternehmerisch möglich optimal Rechnung getragen werden kann. Die Erfüllung dieser Funktion ist bereits heute immer öfters das Nadelöhr der Wettbewerbsverbesserung und nachhaltiger Unternehmenssicherung, nämlich u. a. durch die Förderung der Kreativität und von Innovationen. Diese Tendenz ist vor der eigenen Haustür ebenso wie weltweit zu erkennen und sie wird zukünftig die Wirtschaft von kleinen bis zu sehr großen Unternehmen und in zahlreichen Branchen immer mehr bestimmen. Mit falsch verstandener Kontrolle gute Mitarbeiter zu demotivieren, deklassiert den hierfür verantwortlichen Vorgesetzten, der mit seinem falschen Rollenverständnis verkennt, dass seine Führungsarbeit eine essentielle Servicefunktion zur Unterstützung des Erfolges seiner Mitarbeiters ist, sei es in aufgabenspezifischer oder personaler Art und Weise. Ein Konzernchef der meint, hochqualifizierte Mitarbeiter gängeln, determinieren, kontrollieren und gar nach Gutsherrenart behandeln zu können, ist schlicht und einfach am falschen Platz eingesetzt. Er wird die besten Mitarbeiter und damit die Seele seines Konzernes und des Geschäftes verlieren, nämlich jene bestqualifizierten Menschen, die es dem Konzern überhaupt erst ermöglichen, führend an der Spitze der Entwicklung und Forschung seiner Aufgabenbereiche zu stehen und damit nachhaltig dem Wettbewerb gewachsen zu sein.



9.4 Kontrolle269

Der mit dem Führungselement Kontrolle aufgegriffene „rote Faden“ für eine prospektive entwicklungsorientierte Personal- und Führungsarbeit und deren enger Zusammenhang mit den Anpassungserfordernissen der Unternehmensführung gilt grundsätzlich für alle Führungselemente, natürlich mit elementspezifischen Ausprägungen. Der Grund dafür ist auch sehr einfach, da der Unternehmensführung, der Personal- und Führungsarbeit und anderen unternehmerischen Hauptfunktionen gemeinsame und übergreifende Ideen zu Grunde liegen, die bei Leistungsprozessen aufeinander abzustimmen sind. Herkömmlich spricht man von der tragende Geschäftsidee, Geschäfts- oder Unternehmenskonzeption, Businessmodell usw. und damit verbundenen Integrationserfordernisse. Es wurde bereits mehrfach in der vorliegenden Arbeit das meist unterschätzte Faktum der unterschätzten Macht der Ideen aufgegriffen, das für die Makro- und die Mikroökonomie gleichermaßen bedeutsam ist. Der Begriff der Ideen könnte allerdings und fälschlich als zu vage empfunden und missverstanden werden. Daher wurde für maßgebliche Grundauffassungen, Werte usw. der genauer umrissene und auch beschriebene Begriff Paradigma verwendet (s. a. Internet: Paradigma; Paradigmenwechsel). Paradigmen sind ein Bündel von spezifischen Ideen, Denkweisen, Ableitungen von Lehrmeinungen sowie Erfahrungen, Grundsätze und schließlich auch von bestimmenden Werten und Anschauungen, die in Wechselbeziehungen stehen und eine dynamische und ganzheitliche Komplexität mit Orientierungsfunktion bilden sollen. Wie beispielsweise ein Unternehmen seine Paradigmen erarbeiten kann und wie solche sehr anspruchsvollen Aufgaben gut bewältig bar sind, wurde im Kapitel „Führungsund Unternehmungsleitbild“ der vorliegenden Arbeit in Ansätzen skizziert. Diese grundlegenden Zusammenhänge können am Beispiel eines Konzernes mit zentralen Forschungs- und Entwicklungsfunktionen sehr illustrativ und vergleichsweise einfach skizziert werden. Der entscheidende Punkt für die Praxis von Klein-, Mittel- und Großbetrieben liegt in dem Verständnis und der Akzeptanz, dass die Zusammenhänge auch für Unternehmungen und Einrichtungen unterschiedlicher Größe und fast aller Branchen prinzipiell gleichermaßen wie für das relevante Beispiel eines Konzernes gelten. Konkret sind daher funktionell, strukturell und wertbezogen die Paradigmen eines Mittelbetriebes oder eines Großbetriebes ähnlich. Die jeweiligen operativen Vorgehensweisen sind substantiell und methodisch natürlich unterschiedlich schwierig zu erarbeiten, anzupassen und prospektiv zu entwickeln. Nun zurück zum Führungselement Kontrolle und seiner Verknüpfungen mit der Unternehmensführung, der Personal- und Führungsarbeit: Im Management wird nach strategischen und operativen Kontrollen unterschieden. Erstere folgen den strategischen Planungen und deren Implementationen, mit denen die allgemeinen Unternehmensaktivitäten bestimmt werden, und die damit verbundene Kontrolle ist ein Teil des strategischen Steuerungspro-

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9. Führungselemente

zesses. Da Kontrolle naturgemäß Ergebnisse voraussetzt, die jedoch bei Planungs- und Implementationsphasen teilweise oder ganz fehlen, läuft die strategische Kontrolle leicht Gefahr, eigentlich zu spät zu kommen, was substantielle Aspekte nachteilig tangieren kann. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade Strategien regelmäßig längerfristig sind. Diese Probleme der Komplexität und Unsicherheit sind daher bei strategischen Planungsprozessen sehr aufmerksam zu berücksichtigen, und zwar durch geeignete Vorgehensweisen der strategischen Überwachung, Durchführung und Prämissenkontrolle, verbunden mit entsprechenden organisatorischen Maßnahmen (s. a.: Steinmann, H., Schreyögg, G.: 2000, S. 243–250). Die operative Kontrolle basiert auf den gegebenen Strategien und prüft, ob die in den Planungen angestrebten Unternehmensziele erreicht werden und dient damit einer Effizienzförderung, was auch heißt, dass die Richtigkeit der Strategie hinterfragt wird. Substantiell identifiziert die operative Kontrolle Abweichungen bei der Planrealisierung und somit Strategiebedrohungen (Feedback-Kontrolle). Die Kontrollprozesse und -verfahren sind umfangreich, vielgestaltig, strukturiert und vergleichsweise aufwendig (s. a.: Steinmann, H., Schreyögg, G.: 2000, S. 380–387). Nachfolgend einige Schemata ergänzend zum Text über das Führungselement Kontrolle: Abbildung 9.9: Kooperative Kontrolle: Allgemeine Grundsätze Keine Delegation ohne (kooperative) Kontrolle.

Die Kontrollfunktion ist eine nichtdelegierbare Führungsaufgabe.

Die Kontrolle des Vorgesetzten erstreckt sich nur auf die ihm unmittelbar unterstellten Mitarbeiter.

Die Kontrolle ist keine Frage des Vertrauens oder Mißtrauens zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern.

Der Vorgesetzte muß bei Kontrollmaßnahmen aus eigener Initiative aktiv werden.

Der Vorgesetzte darf nicht mittels der Kontrolle in den delegierten Ermessensspielraum des Mitarbeiters eingreifen wollen.

Die Ausübung der Kontrollfunktion muß für den Vorgesetzten zumutbar sein.

Ist der Vorgesetzte nicht in der Lage, seine Kontrollfunktion auszuüben, muß er seinen Vorgesetzten darüber informieren.



9.4 Kontrolle271 Abbildung 9.10: Kontrolle: Fragen zur Planung der Kontrollschwerpunkte Welche einzelnen Aufgaben des Mitarbeiters sind für die Erreichung seines Leistungszieles am wichtigsten?

Welche Aufgaben stehen im Hinblick auf das nächste Zwischenziel im Vordergrund?

Die Kontrolle des Vorgesetzten erstreckt sich nur auf die ihm unmittelbar unterstellten Mitarbeiter.

Welche besonderen in der Aufgabe liegenden Schwierigkeiten sind zu beachten?

Abbildung 9.11: Kontrolle: Gebiete, Arten, Formen, Maßstäbe

Kontrollgebiete • Planungs-/Organisationskontrollen • Quantitäts-/Qualitätskontrollen • Termin-/Kostenkontrollen • Personalqualifikationskontrollen Kontrollarten • Totale Kontrollen • Ergebnis(Erfolgs-)kontrollen • Revisionen • Stichprobenkontrollen Kontrollformen • Automatische (Routine-)kontrollen • Offene Kontrollen • Geheime Kontrollen • Selbstkontrollen Kontrollmaßstäbe • Planwerte • Vergleichswerte • Erwartungswerte • Modellwerte

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9. Führungselemente Abbildung 9.12: Kooperative Kontrolle: Vorbereitungsmaßnahmen

Kritische Prüfung der bisherigen Art und Form der Kontrolle Zusammenstellung der zu kontrollierenden fachlichen und führungsmäßigen Aufgaben der Mitarbeiter Feststellung aller Orientierungsmöglichkeiten über die Aufgabenerledigung (außer und neben den geplanten Stichproben) Auswahl der zweckmäßigsten Stichproben Festlegung der zeitlichen Abstände der vorgesehenen Kontrollmaßnahmen Aufstellung des Kontrollplan

Abbildung 9.13: Kontrolle und ihre Durchführung Offenheit Offen kontrollieren, nicht „hinten-herum“! Nicht übertreiben! Der Mitarbeiter muß wissen, woran er ist. Der Mitarbeiter erwartet entsprechende Anerkennung oder Kritik. Klarheit Kontrollen müssen sich auf Normen stützen, die sachlich ­angemessen, betriebseinheitlich und jedem bekannt sind. Der Mitarbeiter fordert eindeutige und gerechte Maßstäbe. Sachlichkeit Jeder Mitarbeiter muß spüren, dass Kontrolle eine selbstverständliche und ­korrekte Angelegenheit ist – und keine „gehässige“ Fehlersuche! Der Mitarbeiter wünscht die Beschränkung der Kontrolle auf das wirklich Wesentliche. Takt Persönliche Kontrolle soll nicht verletzen, sondern freundlich und nüchtern sein. Fehler vom Mitarbeiter selbst finden lassen. Kontrolle durch Selbstkontrolle! Der Mitarbeiter will menschliche Achtung und Selbstverantwortung.



9.4 Kontrolle273 Abbildung 9.14: Kontrolle: Kontrollmöglichkeiten und Schwächen

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9. Führungselemente Abbildung 9.15: Kontrolle: Methodik und Bedeutung der Fragestellung bei Kontrollen

Abbildung 9.16: Kontrolle und ihre Widerstände von Seiten des Vorgesetzten • • • • •

wenig Kontrollbewusstsein Abneigung gegen Kontrollmaßnahmen Angst vor Blamage Mangelnde Kontrolltechnik Furcht vor Überlastung durch Kontrollaufgaben

Abbildung 9.17: Kontrolle und ihre Widerstände von Seiten des Mitarbeiters • • • • •

Vorwurf des Misstrauens Verletzung der persönlichen Freiheit Verschlechterung des Betriebsklimas Eingriff in den Delegationsbereich Protest gegen die Kontrollmaßstäbe



9.5 Autorität275

9.5 Autorität Das Führungselement Autorität wurde im Grundschema Abbildung 8.1 Führung: Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben seinem Inhalt, intentionalen Vorstellungen sowie der tendenziellen Entwicklung der Führung folgend, den verhaltensbestimmten Elementen zugeordnet. Führungselemente sind selten eindeutig oder gar zur Gänze dem verfahrens- oder verhaltensbedingten Führungsbereich zuzurechnen, da sie fast immer Anteile von beiden Bereichen beinhalten, deren Mischung sich im Laufe von Entwicklungen auch verändern kann. Sei es im Sinne von Änderungen der Vorstellungen über Führung im Allgemeinen oder gepflogenen Führungspraktiken in Unternehmen, Organisationen oder anderen Einrichtungen. Die jeweils konkrete Mischung wird durch allgemein vorherrschende Vorstellungen über Führung geprägt, wobei das Führungselement Autorität besonders wichtig und stilprägend ist. Führung wird bekanntermaßen sehr stark, oft primär und stark verkürzt über die Begriffe und damit verbundenen Vorstellungen von „autoritär“ oder „kooperativ“ bestimmt und klassifiziert. Tatsächlich wird jedoch die konkrete und praktizierte Mischung der jeweiligen Führung u. a. besonders durch die Persönlichkeitseigenschaften der jeweiligen Führungskraft und jene der zugeordneten Mitarbeiter bestimmt. Aufgabenstellungen und Leistungsverhältnisse, Umfelder, herrschende gesellschaftliche Werte usw. bestimmen mehr oder minder ebenfalls Führungsstile und damit auch die Handhabung von Varianten der Autorität. Auch innerhalb der Gruppe einer Führungskraft und der Mitarbeiter differiert der reale Führungsmix, und zwar u. a. aus dem gleichen Grund, nämlich dem der Unterschiedlichkeit der individuellen Persönlichkeitsprägungen und den damit verbundenen Wechselwirkungen zwischen den Gruppenmitgliedern. Daher sind regelmäßig auch innerhalb einer Organisation unterschiedliche Führungsverhältnisse anzutreffen bzw. eine anzuerkennende Realität der Vielfalt an Erscheinungsformen der Autorität innerhalb einer Gemeinschaft. Die unterschiedlichen partiellen bzw. gruppenspezifischen Führungsverhältnisse sollten möglichst sinnvoll einer gemeinsamen und übergreifenden Führungskonzeption und Organisationskultur integriert sein, wenngleich das auch durch gegebene und nützliche Vielfältigkeit innerhalb der Organisation begrenzt sein wird, d. h. es kann und sollte dem Grundsatz der „Vielfalt in der Einheit“ gefolgt werden. Eine zeitgemäße Führung setzt mehr denn je auf die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Führungskräfte und Mitarbeiter. Ansonsten wären beispielsweise bei immer anspruchsvoller werdenden Leistungsvollzügen eine Delegation von Aufgaben immer schwieriger und fallweise gar nicht mehr möglich, da einmal der Vorgesetzte nicht mehr alle Inhalte einer Aufgabe beherrschen und somit Aufgaben teilweise oder gar nicht determinieren könnte. Zweitens erwarten qualifi­

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9. Führungselemente

zierte Mitarbeiter eigene Gestaltungsräume und drittens formal und de facto eine Delegation ohne Übertragung von Zuständigkeiten, Entscheidungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten ad absurdum geführt würde. Damit könnten Organisationen schlicht und einfach nicht mehr geführt werden. Ähnliche Beispiele könnten auch für andere Führungselemente gezeigt werde. Das Prinzip einer subsidiären Führungsgestaltung, das dem Mitarbeiter eine an seiner Qualifikation orientierte Selbständigkeit garantiert, ist eine zentrale Führungsvoraussetzung, die unbedingt von der Führungskraft beachtet werden sollte und bei anspruchsvollen Leistungsvollzügen unverzichtbar ist. Gut qualifizierte und sich mündig fühlende Mitarbeiter verlangen für sich auch solche Freiräume. Die generelle Zuordnung und Handhabung von Führungselementen sollte natürlich den vorherrschenden oder dem angestrebten Stand der Führung zeitbezogen reflektieren. Aber selbstverständlich hat sie den jeweiligen mikroökonomischen und damit unterschiedlichsten Erfordernissen gerecht zu werden, ebenso natürlich den eingesetzten Mitarbeitern mit allen ihren Stärken und Schwächen. Das gut zu bewirken ist auch eine der wesentlichen Aufgabenstellung einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit und ganz besonders für die verantwortlichen Vorgesetzten. Das Führungselement Autorität verdient besondere Aufmerksamkeit, da es einmal stets und durch alle Zeiten – im Kleinen wie im Großen der Gesellschaft – sehr stark die ideellen Strömungen und den jeweiligen Zeitgeist reflektierte. Herrschaftsverhältnisse, der Umgang mit Macht und Menschen, die Arten der Durchsetzung von Intentionen usw. wurden durch die Handhabung des Führungselementes Autorität entscheidend bestimmt. Zweitens prägt die Autorität besonders wirksam den jeweiligen Führungsstil, die Führung und Motivation, d. h. wesentliche Grundlagen der Personal- und Führungsarbeit. Es ist daher natürlich kein Zufall, dass die beiden grundlegenden Ausrichtungen eines Führungsstiles daher schematisch und vereinfachend einem autoritären oder kooperativen Führungsstil zugeordnet und danach unterschieden werden. In einem ähnlichen Sinne bestimmen die Autorität auch Paradigmen der Gesellschaft, Politik, und Wirtschaft einerseits und andererseits eben die Personal- und Führungsarbeit. Das bedeutet, dass das Führungselement Autorität und seine Wechselwirkungen mit anderen Führungselementen besonders prägend sind, teils sogar bestimmend. Das Führungselement Kontrolle ändert beispielsweise seine Substanz und Charakteristik sehr grundlegend dadurch, ob das Führungselement Autorität im Wesentlichen kooperativ, autoritär oder von der Haltung des Führungsstils des Laissez-faire bzw. des „einfach laufen lassen“ bestimmt wird (Internet: Laissez-faire). Je nach dem werden die Inhalte und Vorgehensweisen bei der Kontrolle deutlich beeinflusst. Autorität sollte daher nicht lediglich an der Oberfläche operativer Mittel und Praktiken nach Rezeptbuch-Manier



9.5 Autorität277

gehandhabt werden, sondern viel mehr nach seiner Genese und besonderen Rolle als Führungselement ganzheitlich verstanden, klug eingesetzt und verantwortet werden. Danach besteht bei einer angestrebten zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit ein konkreter Bedarf und es verbinden sich erfahrungsgemäß damit sehr oft beachtliche Führungschancen. In der Führungspraxis werden einmal durch die handelnden Personen und deren Prägungen und die gegebenen konkreten Verhältnisse – wie Aufgabenstellungen, Mitarbeiter, Strategien, wirtschaftliche Möglichkeiten usw. – in unzähligen Varianten Arten der Autorität gehandhabt. Zweitens ist besonders das Faktum zu berücksichtigen, dass sich Autorität als Beziehungsverhältnis zwischen Personen realisiert und auch dadurch die Möglichkeiten der Autorität wesentlich umrissen werden. Ob beispielsweise ein Vorgesetzter seine Autorität wirksam gegenüber ihm zugeordneten Mitarbeitern einsetzen kann, wird durch mehrere Faktoren bestimmt, wie durch seine ­persönlichen Führungsfähigkeiten, die ihm zustehenden Kompetenzen und tatsächlichen Durchsetzungsmöglichkeiten, aber auch dadurch, wie seine Mitarbeiter sich ihm gegenüber in seiner Rolle als Vorgesetzter verhalten, welche Vorstellungen und Erwartungen sie von ihrem „Chef“ haben, wie sie die Art und Weise seiner Personal- und Führungsarbeit sehen und bewerten, ob Ängste bestehen, welche Umstände ihre Arbeitsverhältnisse und Vergütungen bestimmen. Aber auch dadurch, welche Erfahrungen sie im Berufsund Privatleben im Allgemeinen und im Speziellen mit ihrem gegenwärtigen Vorgesetzen und anderen Beispielen seiner Gestaltung von Autorität machten usw. Die allgemeine Zeitbezogenheit und Relativität der Vorstellungen über Autorität kann an Hand der anerkannten Fachliteratur jeweiliger Zeitepochen eindrucksvoll dokumentiert und verständlich gemacht werden, wobei wiederum bei empirischen und mikroökonomischen Erhebungen zur Autorität in der Praxis der Personal- und Führungsarbeit, naturgemäß verschiedene Relativierungen zu erwarten sind. Max Weber (1864–1920), Begründer der deutschen Soziologie und bedeutender Vertreter der Kultur- und Sozialwissenschaften, baut bei der Autorität auf der „legitimen Ordnung“ auf, deren Basis die „Tradition“ bzw. die „Geltung des immer Gewesenen“, die „rein affektuelle“ bzw. gefühlsmäßige Hingabe in Form des Glaubens, Offenbarten oder des Vorbildlichen, des wertrationalen Glaubens und die Legalität – anerkannt oder oktroyiert durch Herrschaft – kraft positiver Satzung sind (Weber, M.: 1972, S. 17 und 19; Erstauflage 1922). Seine Vorstellungen sind knapp 100 Jahre später – trotz einer etwas anderen Sprache als heute – äußerst aufschlussreich, teilweise sehr „modern“ und für ein Verständnis der Autorität und seiner Entwicklung wertvoll.

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9. Führungselemente

Auf der „Ordnung“ basieren auch seine Vorstellungen zur Autorität: „Herrschaft [ist gleich „Autorität“] soll […] die Chance heißen, für spezifische (oder: für alle) Befehle bei einer angebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden. Nicht also jede Art von Chance, „Macht“ und „Einfluß“ auf andere Menschen auszuüben. Herrschaft („Autorität“) in diesem Sinne kann im Einzelfall auf den verschiedensten Motiven der Fügsamkeit beruhen: Von dumpfer Gewöhnung angefangen bis zu rein zweckrationalen Erwägungen. Ein bestimmtes Minimum an Gehorchen wollen, als: Interesse (äußerem oder innerem) am Gehorchen, gehört zu jedem echten Herrschaftsverhältnis“ (Weber, M.: 1972, S. 122). Oder: „Herrschaft“, soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden; Disziplin soll heißen die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam bei einer angebbaren Vielheit von Menschen zu finden“ (Weber, M.: 1972, S. 28). Zum Gehorsam an anderer Stelle folgt eine Begriffsdefinition: „Gehorsam“ soll bedeuten: dass das Handeln des Gehorchenden im wesentlichen so abläuft, als ob er den Inhalt des Befehls um dessen selbst willen zur Maxime seines Verhaltens gemacht habe, und zwar lediglich um des formalen Gehorsamsverhältnisses gemacht halber, ohne Rücksicht auf die eigene Ansicht über den Wert oder Unwert des Befehls als solchen“ (Weber, M.: 1972, S. 123). Letzteres wird heute sicher anders gesehen, nämlich im Lichte der persönlichen Verantwortung jedes Handelnden. Die jüngere Zeitgeschichte hat uns drastisch gelehrt, wie mit „Befehlen“ missbräuchlichste Verbrechen bewirkt wurden, für die es keine Rechtfertigung für die Ausführenden mit Verweisen auf „Führerbefehle“ geben kann. Auf diesen Grundsätzen bauten auch die Nürnberger Prozesse auf, die am 20.11.1945 begannen und am 14.04.1949 ihr Ende fanden (Internet: Nürnberger Prozesse). Bereits Max Weber war klar, dass Herrschaft und Autorität auch durch Charisma ihre Legitimität finden kann – ein Gedanke, der heute sehr wesentlich die Vorstellungen zur Autorität bestimmt. „Das seinem primären Sinn nach autoritär gedeutete charismatische Legitimitätsprinzip kann antiautoritär umgedeutet werden. Denn die tatsächliche Geltung der charismatischen Autorität ruht in der Tat gänzlich auf der durch „Bewährung“ bedingten Anerkennung durch die Beherrschten, die freilich dem charismatisch Qualifizierten und deshalb Legitimen gegenüber pflichtmäßig ist“ (Weber, M.: 1972, S. 155 f.; s. a. hierzu S. 661–681). Max Weber erkannte aber auch, dass Gehorsam jenseits von Herrschaft, Charisma und einer Befehlskette auch andere Wurzeln haben kann und formuliert das mit einem auch heute aktuellem Inhalt: „… ein Befehl kann seine Wirkung durch „Einfühlung“ oder durch „Eingebung“ oder durch rationale „Einredung“ oder durch eine Kombination von mehreren dieser drei Hauptformen der Wirkung von Einem zum Anderen erzielen. Ebenso in der



9.5 Autorität279

konkreten Motivation: der Befehl kann im Einzelfall aus eigener Überzeugung von seiner Richtigkeit oder aus Pflichtgefühl oder aus Furcht oder aus „stumpfer Gewöhnung“ oder um eigener Vorteile willen ausgeführt werden, ohne dass der Unterschied notwendig von soziologischer Bedeutung wäre [auch im] weiteren Sinne des „Sich-zur-Geltung-bringens“ […] Eine Herrschaftsbeziehung kann zunächst selbstverständlich doppelseitig bestehen […] „Herrscht“ […] bei der Bestellung von einem Paar Stiefeln der Schuster über den Kunden oder dieser über jenen? Die Antwort würde im Einzelfall sehr verschieden, fast immer aber dahin lauten: dass der Wille jedes von beiden auf einem Teil gebiet des Vorgangs den des anderen auch gegen dessen Widerstreben beeinflußt, in diesem Sinne also „beherrscht“ habe.“ (Weber, M.: 1972, S. S. 544 f.). Motivationen und Wechselwirkungen im Kontext mit der Autorität werden explizit als Teil einer Beziehung zwischen dem „Herrschenden“ und dem und den „Gehorsamen“ genannt, und zwar bis hin zum Rollentausch. Diese Sicht der Autorität gilt heute sicher mehr als zu Zeiten von Max Weber, dessen Weitblick bis heute mehr als drei Generationen nach vorne reichte. Ab 1909 beschäftigte sich Max Weber mit seiner Kategorienlehre, auf der sein zitiertes Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ wesentlich aufbaut und er weit „moderner“ die Autorität beschreibt, als es manche heutige Zeitgenossen tun, die sich realitätsfern in dürren sowie formalen Floskeln und technokratisch-bürokratischem Kauderwelsch bewegen und verhaltensbedingte Varianten der Autorität in ihrer Vielfalt weder sehen, geschweige denn berücksichtigen. Max Weber band profund die relevante Geschichte in sein Werk ein, stand der Geschichtswissenschaft des dominierenden Historismus (Begründer Leopold von Ranke, 1795–1886) allerdings kritisch gegenüber, da er auch den Standpunkt des Historikers als relativ bewertete und der Historismus Aufklärung und Fortschrittsgedanken ablehnte. Max Weber dachte weiter. In der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, von 1933 bis 1945 und ab 1938 auch in Österreich, waren die Vorstellungen des Regimes zur Autorität durch 12 Jahre bestimmt vom autoritären und so genannten Führerprinzip: „Führer befiel, wir folgen“ in blindem Gehorsam und bedingungsloser Treue (Internet: Führerprinzip). Wo und mit welcher Intensität die doktrinären Vorstellungen funktionell, strukturell und mit welchen sachlichen und personalen Konsequenzen tatsächlich realisiert wurden, d. h. welche angeblichen und wirklichen „Ziele“ des NS-Systems erreicht wurden, sei dahingestellt. Der reale NS-Terror zur Durchsetzung des Führerprinzips erfolgte unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers am 30.01.1933 (Ernennung von Hitler zum Reichskanzler durch Hindenburg). Am 29.07.1921 übernahm Adolf Hitler die Leitung der NSDAP mit dem von ihm geforderten „diktatorische Prinzip“, das er durch eine Satzungsänderung bereits am 24.02.1921

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9. Führungselemente

verankerte, gemeinsam mit der Namensänderung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), also rund 12 Jahre vor der eigentlichen politischen Machtergreifung 1933 (Internet: NSDAP). Im Frühjahr 1945 waren Deutschland und Österreich Trümmerhaufen und Millionen von Menschen in Europa Opfer der 12 Jahre des Tausendjährigen Reiches und seiner Mörderbanden geworden und im 2. Weltkrieg und durch Rassenhass umgekommen. In ganz Europa herrschte unsägliches menschliches Leid, bittere Not und es waren schwerste materielle Verluste zu beklagen. Dort war auch Hitlers verführerisches „Wirtschaftswunder“ nach seiner Machtergreifung gelandet. Angesichts dieser apokalyptischen Verhältnisse über „Effektivität“ von Führung und Motivation im Kontext mit dem Führerprinzip und der Autorität reden oder schreiben zu wollen macht keinen Sinn und wäre geradezu widerwärtig. Aber zwei Punkte sind es wert genannt zu werden, zum Einen: Mit dem Nürnberger Prozess wurde, wie erwähnt, entgegen der oft gebrauchten Legendenbildung über „Fahneneid“, „Führerbefehl“, „Gehorsamszwang“ usw. die persönliche Verantwortung des Einzelnen in den Mittelpunkt der Fragen zur Schuld, Unschuld und Verantwortung gestellt, ebenso wie dadurch eine allgemeine Kollektivschuld der Menschen in Deutschland und anderswo verneint wurde und der Widerstand gegen das Regime und praktizierte Hilfe und Menschlichkeit sowie der Mut zu beidem Anerkennung fanden. Zum Zweiten: Das extrem autoritäre Führerprinzip während der NS-Diktatur hat Menschen mehr oder minder stark geprägt und es hatte Befürworter und Gegner, und zwar auch nach dem Zusammenbruch. Die Frage stellt sich daher zu Recht, wie – ob positiv oder negativ – solche Vorstellungen weiterwirkten. Ehemalige NSDAP-Mitglieder fanden nach dem Zusammenbruch in allen Parteien und in der Politik, in der Wirtschaft, als Beamte, Richter, Regierungsmitglieder, Parlamentarier usw. in Westdeutschland und Österreich Aufnahme. Ihre Vorprägungen durch das Führerprinzip werden kürzer oder länger weitergewirkt haben und auch ihr Beitrag zum Wiederaufbau dürfte davon betroffen gewesen sein, vielleicht auch ihr persönliches Schicksal. Wie auch immer, die Quellenlage ist so dürftig, dass der Vielzahl der Fragen kaum Antworten gegenüber stehen. Für die Praxis heute ist das sicher weniger relevant geworden, da der betroffene Personenkreis nach mehr als 65 Jahren seit 1945 längst aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist. Aus zeitgeschichtlicher Sicht wäre es wünschenswert, wenn die eklatante Forschungslücke repräsentativer als bislang praktiziert, verringert würde. Vermutlich böte die zeitliche Distanz dafür auch einige Vorteile. Nicht zufällig gab es in diesem Kontext auch formale und kryptoautoritäre Ansätze, wie das Harzburger Modell des Reinhard Höhn, das ab 1956 vornehmlich für die Wirtschaft als Führungsmodell entwickelt und angeboten wurde. In den folgenden Jahrzehnten wurde es zum bestimmenden



9.5 Autorität281

Führungsmodell der westdeutschen Wirtschaft. Eine wesentliche Prägung erfuhr das Harzburger Modell durch die Vita von Reinhard Höhn (1904– 2000): Staats- und Verwaltungsrechtler, ab 1933 in der NSDAP und der SS, enger Mitarbeiter von Reinhard Heydrich, Abteilungsleiter im Reichsicherheitshauptamt, Universität Berlin, Autor zur rechtsphilosophischen Rechtfertigung des „Führerprinzips“ und diverser NS-Publikationen, tangiert von den Konzepten zur Judenvernichtung, SS-Oberführer / Rang zwischen Oberst und General usw. Höhn war ein radikaler Spitzenmann des NS-Regimes. Nach der für ihn gut (!) ausgegangenen Entnazifizierung (1945) tauchte er unter und war als Heilpraktiker tätig. Ab 1956 begann Reinhard Höhn mit dem Aufbau und der Leitung der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg auf Initiative aus Kreisen der Wirtschaft, 1962 erfolgte die Vorstellung des Harzburger Modell (Internet: Reinhard Höhn; Harzburger Modell). Reinhard Höhn wurde allerdings trotz seines sehr großen Einflusses auf die praktizierten Führungsvorstellungen in der westdeutschen Wirtschaft durch seine Aktivitäten und das Harzburger Modell seitens der Forschung, Lehre und Beratung, aber auch der Verbände der Wirtschaft weitgehend ignoriert, sieht man von wenigen Ausnahmen ab. Sein Wirken und das Harzburger Modell reflektierten deutlich seine Vergangenheit, nämlich gekennzeichnet durch die vertretenen harschen und führungsformalistischen Ideen. Das schien nur wenige Praktiker zu stören. Erst als seine NS-Vergangenheit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde und in den 80-ger Jahren des vorigen Jahrhunderts seine Führungslehre durch neue wirtschaftliche Entwicklungen und Vorstellungen über eine zeitgemäßere Personalund Führungsarbeit sich als zu einseitig, bürokratisch und zu wenig flexibel erwiesen, also als überholt erkannt wurden, verlor das Harzburger Modell und die Akademie Führungskräfte zunehmend an Bedeutung. Letztere schlug nach dem Abgang von Reinhard Höhn in den Ruhestand eine völlig andere Richtung ein und ist heute ein Anbieter von Weiterbildung unter zahllosen anderen Einrichtungen. Ein Blick auf die Homepage „Die Akademie für Führungskräfte“ lässt erkennen, dass von den ursprünglichen Intentionen, ihrer hervorgehobenen und singulären Stellung in der Wirtschaft und der Vita und dem Denken des Reinhard Höhn nichts mehr zu erkennen ist (Internet: Die Akademie für Führungskräfte). Besser wäre es gewesen, man hätte das Harzburger Modell und seinen durch rund zwei Jahrzehnte erfolgreichen Verfasser und Vertreter Reinhard Höhn bereits in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts kritisch diskutiert und bessere sowie zeitgemäßere Führungsalternativen dem Harzburger Modell entgegengestellt. Die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft, die für Wiederaufbau, Wohlstand und sozialen Ausgleich stand und in Europa zum Erfolgsmodell wurde, bedurfte damals keiner ideellen Affinitäten mit dem

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9. Führungselemente

Harzburger Modell und dessen geistigem Vater, ganz im Gegenteil: Die sozialwissenschaftliche Forschung und Lehre hätte spätestens zu Beginn der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ideelle Strömungen, vorhandene prospektive Entwicklungen und entsprechende Praktiken in den Unternehmen stärker aufgreifen und unterstützen müssen, die damals bereits eine Qualität hatten, die bis heute kaum wieder erreicht wurde und nahezu vergessen ist. Hätte man sich um solche handgreiflichen Chancen auf breiter Ebene gekümmert, die Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten gesucht und gepflegt, mehr Sensibilität gegen die damals aufkeimenden und auch zu jener Zeit offenkundig hochgiftigen neoliberalen Strömungen gezeigt und darauf reagiert, wäre zu mindestens Europa, seiner Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und vor allem den Menschen mit einiger Wahrscheinlichkeit einiges erspart geblieben, von dem was uns die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 an Grausamkeiten beschert hat. Einer der wesentlichen Gründe für das rückblickend bewertete und versäumte Chancenmanagement wird wohl die Unterschätzung der Macht der Ideen gewesen sein, welche die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wieder einmal mehr und drastisch bewusst machte. Dieses Phänomen ist nicht neu, aber trotzdem erstaunlich und alarmierend, wie zwei von vielen Beispielen der neueren Geschichte mit positiven und negativen Folgen zeigen: Die Aufklärung und die Idee der Berufung auf die Vernunft ab dem 18. Jahrhundert waren Epoche bildend und bestimmen bis heute weltweit das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen. Die Vernunft als universelle Urteilsinstanz und Basis für den Kampf gegen Vorurteile, die Hinwendung zu den Naturwissenschaften, die Plädoyers für Toleranz, Menschenrechte, Gemeinwohl usw. waren die kaum überschätzbaren Leistungen der Aufklärung. Die Ideen des Nationalsozialismus führten zur größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts und ohne sie sähe die gegenwärtige Welt sicher anders aus. Die Macht der Ideen gilt für gute und schlechte Vorstellungen und Intentionen gleichermaßen. Die Zeit- und Wirtschaftsgeschichte hat hierfür genügend Beweise geliefert. In dieser Erfahrung und Erkenntnis liegt u. a. auch die Begründung dafür, dass einmal den Paradigmen und dem Paradigmenwechsel in dieser Arbeit eine überragende Bedeutung zugemessen und zweitens unterschiedliche Beispiele und Denkansätze unternommen werden, um die zwiespältige Problematik zu belegen und zu vermitteln. In Paradigmen spiegelt sich eindrucksvoll die Macht der Ideen, wie zwei hochaktuelle und bedeutsame Beispiele zeigen: Die „gute“ Idee hat zur Sozialen und später der Ökosozialen Marktwirtschaft geführt und die „schlechte“ Idee zum Neoliberalismus. Beide Konzeptionen hatten enorme Auswirkungen. Angesichts dieser Beispiele stellt sich die alte und brisante Frage, warum daraus kaum Lehren gezogen werden? Nach dem relevanten Exkurs zurück zur Autorität:



9.5 Autorität283

Neue, intentionale und zeitgemäßere Vorstellungen zur Autorität sind einige Jahre nach 1945 – Gott sei Dank – auch entwickelt worden und haben die Führungskultur der betrieblichen Praxis gefördert. Konträr zum Harzburger Modell gab es – wie angedeutet – nach 1945 zum Führungselement Autorität auch ganz andere Interpretationen und Prägungen. Von Richard Hauser stammt ein im angesehenen und von christlich-sozialer Orientierung getragenen Staatslexikon verfasster und umfänglicher Beitrag mit dem Titel Autorität (Hauser, R.:1957, Spalte 808–826): „[Autorität] besagt Vorrang, Ansehen und Einfluß, welche eine physische oder moralische Person, u. U. eine sachliche Gegebenheit, auf Grund von gewissen Eigenschaften oder eines amtlichen Charakters genießt. Sie verschafft ihrem Träger innerhalb eines bestimmten, größeren oder kleineren Kreises Geltung und bewirkt, dass seine Weisung das Denken und Handeln dieses Kreises bestimmt“ (Hauser, R.: 1957, Sp. 808). „Persönliche Autorität gründet auf persönlichen Eigenschaften ihres Trägers. Solche können im Wissen, in der Erfahrung und in technischen Fähigkeiten einer Person gegeben sein […] wird innerhalb ihrer Grenzen freiwillig anerkannt und behält die Form beratender, erziehender Führung. […] Umfassender ist das Wirken des „geborenen Führers“. Sein ganzes Wesen und seine Persönlichkeit gewinnen fast mühelos Einfluß auf Denken und Handeln seiner Umgebung und sammelt sich Gefolgschaft. Autorität entstammt zunächst persönlicher Begabung, hat aber ganz bes. gnadenhaften, charismatischen Charakter. […] Die Autorität des Amtes entstammt der objektiven, rechtlich gefügten Ordnung der Gemeinschaft, deren Bestand und Entfaltung das Amt dient. Sie besteht unabhängig von den persönlichen Eigenschaften ihres Trägers, beruht vielmehr auf der mit dem sachlichen zu leistenden Dienst gegebenen Rechtsbefugnis“ (Hauser, R.: 1957, Sp. 808 f.).

Die grundsätzliche begriffliche Bestimmung der Autorität durch Hauser hat im Grunde jene Inhalte, die heutigen Vorstellungen sehr nahe kommen oder entsprechen. Was auf dieser Ebene bei Max Weber weiter gefasst ist, sind die Wechselwirkungen in den Autoritätsbeziehungen zwischen den beteiligten Personen (s. a. Schuster-Beispiel von Weber an vorheriger Stelle: Weber, M.: 1972, S. 544 f.). Die Begründung und das Wesen der Autorität bei Richard Hauser beruht, wie angedeutet, auf den naturrechtlichen, wirtschafts- und sozialethischen Lehren der Katholischen Kirche, wie sie in der Christlichen Soziallehre – begrifflich genauer der Katholischen Soziallehre und eines Ordo Socialis bzw. der Sozialen Ordnung – in langer Tradition bis heute entwickelt wurden und ihren neueren Niederschlag in den Sozialenzykliken fanden, deren Basis wiederum primär in der Philosophie liegt. Der Begriff „katholisch“ lässt diesen wesentlichen Umstand oft übersehen. Die Christliche Soziallehre reicht weit über den Katholizismus hinaus und so auch ihre tragenden Paradigmen, die übergreifende Bedeutung haben. Die Konzeption der So­ zialen bzw. Ökosozialen Marktwirtschaft, die wesentlich auf der Christliche Soziallehre fußen, ist dafür ein eindrucksvoller Beweis.

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9. Führungselemente

Die erste Sozialenzyklika Rerum Novarum aus dem Jahr 1891 war eine Antwort auf die Soziale Frage, die mit dem Beginn der Industrialisierung etwa um 1830 sehr akut geworden war und die bis heute mit teils geänderten Inhalten besteht. Durch die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und deren sozialen Folgen erfuhren die Sozialenzykliken stärkere Aktualität. Rerum Novarum folgten zehn weiter Sozialenzykliken, mit Caritas in veritate im Jahr 2009 die jüngste Enzyklika sowie das Apostolische Schreiben Evangelii Gaudium vom 24.11.2013. Durch eine evolutionäre Anpassung und die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Verhältnissen, entstand bis in die Gegenwart eine umfassende und zeitgemäße Christliche Soziallehre bzw. Konzeption, die ihresgleichen sucht und einen Weg fand, wie die Kräfte des Marktes mit den Anliegen der Sozialen Frage verbunden werden können, um einen sozialen Ausgleich unter den Menschen zu erreichen, was weder den sozialistischen noch den liberalen Konzeptionen je gelang. Die geistigen Ursprünge der Sozialenzykliken gehen sehr weit zurück (s. a.: Ockenfels, W. OP: 1992), so u. a. auf den Kirchenlehrer Albertus Magnus (1200–1280) und dessen Einbindung der Ideen von Aristoteles (384–322 v. Chr.) und Platon (427 / 428–348 / 347 v. Chr.) Die sozialethischen Traditionen der katholischen Kirche reichen somit sehr viel weiter zurück als die Sozialenzykliken selbst, nämlich letztendlich bis an den Ursprung des Christentums und die jüdisch-antike-christliche Tradition, nämlich die Zuwendung zu den Armen und Marginalisierten als Grundvollzug christlicher Existenz und des Auftrages, Gerechtigkeit zu praktizieren, sei es im familiären und allgemeinen humanen Bereich, dem Wissen und Können, den ökonomischen, politisch-rechtlichen, kulturellen und religiösen Bereichen. Ein Blättern in der Management-Enzyklopädie von 1969 führt unter dem Stichwort „Autorität im Betrieb“ u. a. zu folgendem Text: „Bei einer Betrachtung der Autorität im Betrieb können wir mit den Begriffen göttliche und weltliche oder geistige Autorität wenig anfangen. Wir müssen dafür eine andere wichtige Unterscheidung vornehmen, und zwar in eine formale und persönliche Autorität“ (Höckel, G.: 1969, S. 805). Der Beitrag beginnt ausführlich mit Themen göttlicher und weltlicher Autorität. Da solche wie betriebliche Autorität natürlich mit „Moral“ zu tun haben und verfahrenswie verhaltensspezifisch interpretierbar sind, ist es ein Irrtum so zu tun, als wäre das voneinander zu trennen. Die formale Autorität im Sinne des genannten Autors entspricht ebenso wie seine Interpretation der persönlichen Autorität den Vorstellungen von Max Weber und den anderen genannten Autoren und ist grundsätzlich richtig und nicht bestritten. Für die Sicht des NS-Führerprinzips und seinen ideologischen Hintergrund gilt das nach Günther Höckel allerdings nicht. Eine Ansicht, die auch andere Autoren wenig überraschend vertreten.



9.5 Autorität285

Hinsichtlich der persönlichen Autorität differenziert Günther Höckel aufschlussreich: „Die persönliche Autorität wird […] nicht „von oben“, sondern „von unten“ verliehen [, es] wird nicht gehorcht, weil der Ungehorsam nicht bestraft wird […] die persönliche Autorität beruht darauf, dass die Untergebenen wissen, dass eine richtige Entscheidung getroffen wurde […] persönliche Autorität ist darüber hinaus wenig gesichert. Sie muß deshalb täglich neu begründet werden durch den Nachweis eines besonderen Fachwissens, besonderer beruflicher Erfahrungen oder besonderer Führungseigenschaften. Schon durch einen einzigen Mißerfolg kann eine persönliche Autorität gefährdet sein. Die Autorität ist sozusagen eine Autorität im dauernden Wettbewerb“ (Höckel, G.: 1969, S. 805). Bei der tendenziell richtigen Sicht von Günther Höckel kann ergänzt werden: Wenn die persönliche Autorität auf einem Grundvertrauen ruht, welches durch gute Zusammenarbeit gewachsen ist, sollte man aus verschiedenen Gründen und realistischer Weise diese nicht als ein so fragiles Pflänzchen darstellen, das keinerlei Belastungen erträgt bzw. ständig zu sichern ist. Geht man davon aus was Höckel meint, hat man es mit einer Unkultur der Angst in der Personal- und Führungsarbeit zu tun, die für alle Beteiligten unerträglich ist. Angst verhindert Veränderungen und Innovationen: ob es Leitungs- und Erfolgsängste sind, Identitäts- und Beziehungsängste, Angst vor Einbußen an Kompetenzen und Handlungsfreiheiten, Existenzängste um Status, Arbeitsplatz, Einkommen und Lebensstandard usw. Wer wird in so einem angstbestimmten Umfeld Risiken eingehen? Die Angst vor der Angst ist das was Manager am meisten fürchten müssen. Sie lähmt und verhindert. Leistungsvollzüge der Forschung und Entwicklung sind beispielsweise ohne Risiken unterschiedlichster Art gar nicht zu bewältigen, da „Fehler“, sprich Risiken regelmäßig unverzichtbare Begleiter auf dem Weg zu Erfolgen sind. Wie will ein Betrieb Spitzenkräfte gewinnen und sichern, wenn Experten und Führungskräfte mit der ständigen Furcht leben müssen, ihren Arbeitsplatz im „Rahmen eines [solchen] konsequenten, wirtschaftlichen Leistungswettbewerbes“ (Höckel, G.:, 1969, S. 806) täglich aufs Spiel zu setzen? Gute und beste Mitarbeiter sind in einer sich schneller und komplexer entwickelnden Wirtschaft national und besonders international mehr denn je die wichtigsten und knappsten betrieblichen „Ressourcen“. Für ein von Angst geschwängertes Arbeitsumfeld sind sie kaum zu gewinnen, geschweige denn nachhaltig für das Unternehmen zu sichern. Bei F+E-Unternehmen sind die Zusammenhänge besonders deutlich. Bei vergleichsweise einfacheren Leistungsvollzügen sind die angedeuteten Problemlagen, aber auch Lösungsansätze ähnlich. Das Gift Angst ist vermeidbar, aber dennoch beängstigend oft anzutreffen. Mit häufig versuchten formal-organisatorischen Regelungen sind Lösungen selten erfolgreich. Sie gehen an den regelmäßig

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9. Führungselemente

verhaltensbedingten Ursachen und Mängeln vorbei und sind bestenfalls eine Symptomkur, die eine Unkultur der Angst nicht beseitigen kann. Wie soll unter solchen Voraussetzungen, wie der Angst, ein fundiertes Personalmarketing realisierbar sein? Schließlich gibt es auch ein Arbeitsund Sozialrecht, dessen Kernanliegen als Sonderrecht für den Schutz der Arbeitnehmer auch darin besteht, Wild-West-Methoden von „Hire and Fire“ zu verhindern; Flexibilität am Arbeitsmarkt versus Unmoral, welchen Unternehmern nutzt das eigentlich und wo liegen die Grenzen des Rechtsstaates? usw. Höckel schrieb seinen Beitrag spätestens 1969. Einige Jahre später – ab Mitte der 70er-Jahre – geriet die Soziale Marktwirtschaft in Europa durch den Neoliberalismus englisch-amerikanischer Provenienz unter Druck. Seit 2007 leidet die ganze Welt unter der schrecklichsten Krise seit der rund 80 Jahren zuvor erfolgten 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932. Die 1. Weltwirtschaftskrise war 1857–1859 und ging wie die 2. und 3. Weltwirtschaftskrise ebenfalls von den USA aus. Sie waren alle wesentlich durch Spekula­ tionen von US-Banken verursacht (s. a.: Born, K. E.: 1988, 139–140). Die Folgen des Neoliberalismus sind zweifellos entscheidende Ursachen der noch andauernden Krise, wenn auch nicht die einzigen. Aus heutiger Sicht haben die zwischenzeitlichen Entwicklungen andere Verhältnisse geschaffen, die auch eine differenziertere Bewertung der Autorität erfordern, wie sie im Jahr 1969 möglich war. Die Unternehmensführung der Unternehmer und Führungskräfte beim Wideraufbau der Wirtschaft ab 1945 erbrachten gewaltige Leistungen und Erfolge. Sie wurden dabei unterstützt durch die Siegermächte und besonders den Marshallplan (ERP), der am 03.04.1948 durch die USA unter Präsident Harry S. Truman (1884–1972) beschlossen wurde und ein Volumen über 12,4 Milliarden $ für die Jahre 1948–1952 für die europäische Staaten vorsah. Gemessen an der Kaufkraft der heutigen Währung entspräche das einer Summe von ca. 75 Milliarden $. Der Marshallplan war die entscheidendste Starthilfe der USA für den europäischen Wiederaufbau und zugleich eine höchst erfolgreiche Politik der USA, getragen von Hilfsbereitschaft, Klugheit, Weitsicht und Erfolg. Sie war das Gegenteil der verhängnisvollen Politik der Sieger nach dem 1. Weltkrieg, die zu den unsäglichen Reparationsleistungen, den politischen und wirtschaftlichen Einschnürungen führten, die mit zum Elend in Deutschland und Österreich beitrugen, dem Nationalsozialismus die Machtübernahme ermöglichten und mittelbar den Weg bereiteten zu allen nahezu unvorstellbaren Verbrechen an der Menschheit und dem Zusammenbruch der Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur in vielen anderen Ländern. Der Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg erfolgte großteils durch Persönlichkeiten, die überwiegend konservative Führungsvorstellungen mit patriar-



9.5 Autorität287

chalischen Attitüden hatten, geprägt durch die Verhältnisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und auch einiger Zeit zuvor. Dem entsprach eine überwiegend gebieterische Handhabung der Autorität, die den Aufgabenstellungen der damaligen Zeit und den Vorstellungen der Mitarbeiter im Allgemeinen genügte, aber auch akzeptiert werden musste. Es gab jedoch auch darüber hinausgehende positive Entwicklungen, wie die praktizierten Modelle der Idee der Partnerschaftsbetriebe, die hoch engagierte und vornehmlich mittelständische Unternehmer und deren Mitarbeiter realisierten. Der geistige Kopf dieser Bewegung war Guido Fischer (Universität München), der national und international großen Einfluss und hohes Ansehen hatte. Letztere Ideen führten bis in die Anfangsphase der 70er-Jahre zu sehr innovativen Vorstellungen einer zeitgemäßen und prospektiven Personalund Führungsarbeit, die auch teilweise umgesetzt wurden und zum guten Teil auch essentielle Ergebnisse der Wiederaufbauphase waren sowie diese stützten. Die Männer und Frauen des Beginns des Wiederaufbaues schieden dann mehr und mehr aus dem Berufsleben aus, natürlich damit auch jene Persönlichkeiten, denen die bemerkenswerten Ideen und Erfolge einer Erneuerung der betrieblichen Personal- und Führungsarbeit zu verdanken waren und die leider zu wenige Nachfolger hatten. Etwa zeitgleich gewannen die Vorstellungen der Chicagoer Schule des Neoliberalismus in Europa an Bedeutung, besonders bei größeren Mittelbetrieben, Großbetrieben, Konzernen und anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen, und zwar auch im Kontext mit der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft. Diese äußerst nachteiligen Entwicklungen der Verbreitung des Neoliberalismus mündeten letztendlich in die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ein, die bereits detailliert beschrieben wurde. Die neoliberalen Ideen waren einfach, simpel und so auch die Paradigmen des Neoliberalismus. Auch das wurde bereits ausführlich belegt und dargestellt. Dennoch, die Werte und Grundsätze der Konzeption der Sozialen und später der weiterentwickelten Ökosozialen Marktwirtschaft gingen in erheblichem Ausmaß de facto in Teilen der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu Gunsten der neoliberalen Ideen und deren Durchsetzung zunächst einmal verloren. Sie wurden aber auch kaum in Deutschland und anderen europäischen Ländern so verteidigt, wie es unbedingt notwendig gewesen wäre. Das ist das eigentliche und schwer begreifbare Skandalon der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur in Europa und gilt – last but not least – in weitem Maße auch für die Vertreter der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Forschung, Lehre und Beratung, die Interessenvertretungen und auch die Religionsgemeinschaften. Einrichtungen der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft wehrten sich ebenfalls viel zu wenig gegen die klar erkennbaren und – wie sich mit dem Ausbruch der Krise zeigte – vor allem extrem gefährlichen Entwicklungen. Im Nachhinein betrachtet ist es sehr

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9. Führungselemente

schwer zu begreifen, weshalb das überhaupt weltweit in einer Zeit geschehen konnte, in der die Informations- und Kommunikationsdichte sowie ihre Verfahren und Mittel einen nie zuvor erreichten Stand erreichten und sich offenbar die Aufmerksamkeit der Gesellschaft gerade umgekehrt verhielt, obwohl es naheliegen würde, dass eigentlich die „Zufriedenheit“ mit so nachteiligen Entwicklungen wie der steigenden Dominanz des Neoliberalismus abnehmen müsste. Die Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen wären den Schweiß engagierter Kommunikationsexperten sicher wert. Diese unseligen Vorgänge trafen im Kern auch die begonnenen und hoffnungsvollen Entwicklungen einer Neuorientierung der Personal- und Führungsarbeit. Die wenig verbliebenen und weiterhin hochengagierten Vertreter dieser Bemühungen, seien es einschlägige Wissenschaftler oder in Unternehmen und Einrichtungen tätige Praktiker, vertraten und kämpften für ihre Ideen, konnten aber die verhängnisvollen und inzwischen in Europa gescheiterte Mainstream-Ökonomie des Neoliberalismus nicht aufhalten. Mittlerweile und viele Jahre zu spät beginnt sich nach den erlittenen Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 das Blatt zu wenden. Die Kritik an der damaligen neoliberal orientierten Politik und Ökonomie in den USA und in Europa ist unüberhörbar geworden, beginnend bei den Studenten bis hin zu anerkannten Hochschullehrern, Politikern, Bürgern usw. An der Wirtschaftsuniversität Wien entstand zu diesem Themenbereich sogar ein eigenes und leistungsstarkes Institut. Das Leitbild des Institutes für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie lautet wie folgt: „Die in der Abteilung tätigen Personen beschäftigen sich kritisch mit der vorherrschenden Ökonomie. Die ‚Mainstream‘-Ökonomie ist methodisch von einer individualistischen Sichtweise bestimmt. In der Abteilung wird herausgearbeitet, dass die Erklärungsvariablen für ökonomische Prozesse nicht ausschließlich im „individuellen Rationalverhalten“ begründet sein können. Aufbauend darauf wird die Frage gestellt, wodurch ökonomisches Handeln bestimmt ist, wie es institutionell bzw. kulturell begründet werden kann. Die Beschäftigung mit diesen vernachlässigten Aspekten nehmen wir aus dem Blickwinkel der Politischen Ökonomie auf, die im Sinne des untrennbaren Zusammenwirkens von politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Komponenten verstanden wird“ (Internet: MainstreamÖkonomie, Ziff. 10.). Weitere aktuelle Hinweise auf Quellenbeispiele zum vorgenannten Thema wurden zusammengestellt und es darf darauf verwiesen werden (Internet: Mainstream-Ökonomie, 1.–9.).

Die Folgen der Mainstream-Ökonomie des Neoliberalismus sind bekannt und grauenhaft! Damit sollte eigentlich bei angenommener Lernfähigkeit der Gestalter, Akteure und Verantwortlichen der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur ein erforderlicher Paradigmenwechsel möglich sein, wie ihn das vorgenannte Leitbild teilweise vertritt. Die Macht der Ideen könnte – nach den jüngsten und tragischen Erfahrungen der Menschen – mehr denn je auf fruchtbaren Boden fallen. Darin liegen die Chancen eines geistigen



9.5 Autorität289

Wandels und seiner realen Umsetzung. Dafür spricht auch die massiver werdende Kritik an der pseudo-ökonomischen „Theorie“ des Neoliberalismus. Die Zeit wäre längst reif dafür. Für die Meisterung der heutigen, kommenden, gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen ist dringend ein Paradigmenwechsel notwendig. Mit gestrigen und irrigen Ideen, Konzepten und Haltungen des Neoliberalismus sind zukünftige Aufgaben und Entwicklungen der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur nicht lösbar sowie die Schäden der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nicht nachhaltig zu beheben. Funktionsoptimierungen in der Makro- und Mikroökonomie erfordern neue Wege, die in erster Linie der Vitalisierung der Ökosozialen Marktwirtschaft dienen sollten (s. a.: Konrad Adenauer Stiftung [Hrsg.], St. Augustin / Berlin, 2008: 60 Jahre Soziale Marktwirtschaft. Jenaer Aufruf zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft). Dafür sprach sich zum Jahreswechsel 2015 der DGBVorsitzende Michael Sommer (1952) aus (Locke, M.: 2014), der seit 2002 an der Spitze der deutschen Gewerkschaft steht und die Soziale Marktwirtschaft in einer schweren Legitimationskrise sieht und das sehr konkret begründet. Sein Parteifreund, Parteivorsitzender und Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel (1959), stellte den Jahreswirtschaftsbericht 2014 unter den Titel „Soziale Marktwirtschaft heute – Impulse für Wachstum und Zusammenhalt“ und konkretisiert sehr präzise die Vorstellungen seines Ministeriums und der Deutschen Bundesregierung und schließt mit folgendem programmatischen Text: „Auf diese Weise kann es uns gelingen, die Soziale Marktwirtschaft neu mit Leben zu füllen, nachhaltigen Fortschritt zu sichern und den Wohlstand und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland zu stärken. Der Jahreswirtschaftsbericht 2014 zeigt die ersten Schritte auf, um diese Ziele zu erreichen“ (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie [Hrsg.], Berlin, 2014). Parallel mit den Entwicklungen etwa ab der Mitte der 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts gingen viele personal- und führungswirtschaftliche Ideen und Errungenschaften mit dem Aufkommen des Neoliberalismus verloren, allerdings mit einer sehr entscheidenden und bemerkenswerten Sonderentwicklung, nämlich bei einigen bestgeführten national und international tätigen Konzernen, von denen gelernt werden kann, wie sehr anspruchsvolle Aufgabenstellung prospektiv und erfolgreich erbracht werden können. Unter dem Kapitel 4 „Kontrolle“ der vorliegenden Arbeit war davon bereits die Rede und es kann daran angeknüpft werden. Dabei ging es um Unternehmen, deren Tätigkeiten und ihre nachhaltige Existenz von hochkarätigen Forschungs- und Entwicklungsfunktionen und damit verbundenen Erfolgen bestimmt werden. Die erfolgreichsten Konzerne mit solchen höchst anspruchsvollen Leistungsprofilen wissen seit langem, dass sie eine Personalund Führungsarbeit praktizieren müssen, die diesen enorm geld- und zeit-

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9. Führungselemente

aufwendigen Anforderungen bestmöglich gerecht werden. So wurde auch personalpolitisch klug gehandelt. Nur so konnten sie ihre führende Wettbewerbsposition halten und ausbauen. Solche Notwendigkeiten machten die erfolgreichen Organisationen resistent gegen das Gift neoliberaler Ideen! Andere und ehedem gleich bedeutende Konzerne hatten rückläufige Entwicklungen oder sind am Markt nicht mehr vorhanden, da sie die anspruchsvollen personellen Erfordernisse ihrer Existenzsicherung nicht mehr erfüllt haben. Im Grund erlitten sie Schicksale, wie sie bei allen Betriebsgrößen und Branchen vorkommen, und zwar mit oder ohne die Gefährdung durch neoliberale Einflüsse. Bei Unternehmen der Forschung und hochkarätiger Entwicklungsfunktionen, bei denen ein ausgeprägter Trend zu einer personifizierten Unternehmensführung besteht, sind die unternehmensexistentiellen Zusammenhänge jedoch besonders gut und schlüssig zu erkennen. Die Bedeutung des qualitativ-personellen Engpassfaktors für das Wohl und Wehe von Unternehmen ist zweifellos ein übergreifendes Erfolgs- oder Misserfolgskriterium der Wirtschaft, das naturgemäß mit einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit eng korreliert. Neoliberale Ideen und Konzepte basieren auf egozentrischen Vorstellungen, die auf dem überschätzten und verquerem Credo der individuellen Freiheit basieren, die das Handeln bestimmen. Solche ausgeprägten Grundannahmen oder Paradigmen des Neoliberalismus widersprechen den mitarbeiterbezogenen Paradigmen einer modernen Personal- und Führungsarbeit. Das wird beispielsweise besonders an der Idee und der Praxis des Personalmarketings sichtbar (s. a.: Schwan, K., Seipel, K. G.: Personalmarketing für Mittel- und Kleinbetriebe. München 1994). Weltweit agierenden Konzernen und Unternehmen wurde tendenziell immer bewusster, dass anspruchsvolle und prospektiv orientierten Leistungsvollzüge im Kern von einer hochentwickelten Personal- und Führungsarbeit getragen sein müssen, wenn sie langfristig erfolgreich sein wollen. Die Besten am Markt sind und werden auch zukünftig jene sein, welche die qualifiziertesten Experten und deren Mitarbeiter gewinnen und möglichst auf Dauer halten können. Das wird nicht nur durch hervorragende Vergütungsleistungen gesichert. Die bietet im Zweifelsfall jeder Mitbewerber aus der Riege weltweit agierenden und in Konkurrenz am Personalmarkt stehenden Unternehmen und Konzerne auch an. Hinter jedem Spitzenmann stehen genügend Unternehmen bzw. deren Top-Manger, die auf diesem harten Feld des personellen Wettbewerbs versuchen, wechselbereite Experten für sich zu gewinnen. „Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass Unternehmen weit mehr von ihren besten Mitarbeitern abhängen als die guten Leute vom Unternehmen“ prophezeite Peter F. Drucker schon vor Jahrzehnten.



9.5 Autorität291

Konsequenterweise wird es unter solchen Verhältnissen immer mehr dazu kommen, dass die Personal- und Führungsarbeit tendenziell zu einer stärker personalfokussierten bzw. personifizierten Unternehmensführung gelangen wird. Vergütungssysteme sind vor allem durch offene Formen der Führung und Sicherung bester Rahmenbedingungen für anspruchsvolle Aufgabenstellungen zu ergänzen. Forschungs- und Entwicklungsfunktionen bzw. die Erschließung von Neuland kann beispielsweise nicht mit autoritären Determinierungen gelingen, weil Top-Manager außerstande sind, fachgerechte, zeitfixierte, verfahrensadäquate, personelle und aufwandsbestimmte Determinierungen vorzunehmen. Daher müssen sie sich auf die Qualifikation, das Engagement, den Einsatz, die Verantwortungsbereitschaft und die Redlichkeit ihrer Spitzenexperten und deren Teams verlassen können und sich darauf konzentrieren, die Qualitäten der Experten und deren Teams bestmöglich zu unterstützen. Das Top-Management hat daher alles zu tun, um durch persönliche, geduldige, organisatorische, personelle und materielle Zuwendungen für notwendige Ressourcen und möglichst optimalen Voraussetzungen für die Spitzenfachleute und deren Teams zu sorgen. Insbesondere sind dabei aber auch die notwendigen Freiheiten für deren Arbeit zu sichern. Damit und auch mit Geduld sowie hoher Fehlertoleranz können die gemeinsam und oft erst über längere Zeiträume erreichbaren und angestrebten Erfolge geschafft werden, nämlich Neues zu erschaffen. Bei den angesprochenen Funktionen und Konstellationen liegen naturgemäß die Erfolg häufig und substantiell in wissenschaftlich noch wenig oder nicht erschlossenem Neuland. Ergebnisse sind daher häufig erst in einer mittel- oder langfristigen Zukunft erreichbar – oder fallen aus. Die Risiken sind daher hoch, ebenso die eingesetzten finanziellen Mittel und die Dauer der Ungewissheit, ob die mit enorm hohem Einsatz verfolgten Ziele erreicht werden. In weitem Maße sind auf solchen langen Wegen zusätzlich herkömmliche Kontrollmöglichkeiten nur beschränkt und sehr schwierig realisierbar, d. h. Ausstiegszenarien daher problematisch, spekulativ und möglicherweise sehr teure Fehlentscheidungen. Methoden, Vorgehensweisen und Möglichkeiten des Controllings sind unter solchen Umständen in ihrer Wirksamkeit oft sehr gering oder fehlen, da solche in der Zukunft liegende und unsichere Ergebnisse sich zwangsläufig im Unterschied zur Bewertung zu bereits erreichten Ergebnisse den Möglichkeiten des Controllings entziehen. Es ist unter Aspekten beispielsweise der F+E-Effizienz und der Optimierung der Personal-und Führungsarbeit vorzusorgen, dass ein falsch verstandenes Controlling und ebenso im weiteren Sinne ein zweifelhaftes Risikomanagement F+E-Prozesse nicht behindert. Gerade in krisengeschüttelten Zeiten, darf der unternehmerische Mut und das Engagement generell nicht einer kontraproduktiven Ängstlichkeit zum Opfer fallen. Das setzt innerhalb einer Organisation Offenheit und hohes gegenseitiges Vertrauen voraus. Das

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9. Führungselemente

gilt für Unternehmen mit mittel- und langfristig ausgelegten F+E-Kernfunktionen ganz besonders, und zwar auch dann, wenn Chancen und Dilemmata bei F+E-Aufgaben der skizzierten Art oft lange unsicher sind und nahe beisammen liegen. Wo sollen denn bei solchen Verhältnissen die innerbetriebliche Alternativen liegen? Außerbetriebliche Möglichkeiten sind in Kooperationen verschiedener Art möglich, zunehmend üblich und durchaus erfolgversprechend. Denkt man solche hochkomplexe und dynamische Vorgänge einigermaßen konsequent zu Ende, darf man nicht vergessen, dass auch Spitzen-Experten ihre Funktionen nur dann optimal erfüllen können, wenn sie sich dabei auf ein starkes Basis sehr guter Mitarbeiter stützen können und ihrerseits eine gute Personal- und Führungsarbeit leisten und zu verantworten haben. Beispielsweise werden oder sollten sie ihre Mitarbeiter nach jenen Vorstellungen partnerschaftlich behandeln, wie sie es zu Recht auch für sich selbst als unverzichtbar erwarten. Sind die eigenen Möglichkeiten eingeschränkt, bleibt es dennoch ihre persönliche Aufgabe und Verantwortung, für ihre Mitarbeiter die Wahrnehmung von Personal- und Führungsfunktionen zumindest durch einen Dritten des Teams zu sichern, um eine bestmögliche Zusammenarbeit im gesamten Team zu gewährleisten. Kurzum: Spitzenkräfte erwarten richtigerweise für sich und ihre Mitarbeiter beste Rahmenbedingungen. Ihre Wirksamkeit wird aber auch dadurch bestimmt, wie sie selbst bei deren konkreter Ausgestaltung ihren persönlichen unverzichtbaren Beitrag verantwortungsvoll leisten, sei es direkt oder mittelbar. Die skizzierten Sonderentwicklungen bei F+E-Unternehmen sollen, wie schon erwähnt, intentional zum Verständnis für eine allgemeine Art und Weise einer zeitgemäßeren und effizienteren Personal- und Führungsarbeit führen, u. a. auch für das verhaltensorientierte Führungselement der Autorität. Bei F+E-Unternehmen und entsprechenden Konzernen zeigen sich die dargestellten Notwendigkeiten sehr illustrativ, klar und eindrücklich. Unternehmen und andere Einrichtungen können daraus für ihre spezifischen Erfordernisse einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit eigene Anregungen und Folgerungen mit dem Ziel ziehen, optimalere und praktikable Lösungen bei der Gestaltung der eigenen Personal- und Führungsarbeit zu entwickeln. Viele Ideen, Ansätze und Realisierungen im Bereich der F+E-Unternehmen gelten gleichermaßen für Betriebe unterschiedlicher Größe und Branche bereits heute oder in naher Zukunft. Bei F+E-Unternehmen sind solche Entwicklungen sehr eindrucksvoll und vielfach früher als in anderen Bereichen der Wirtschaft zu erkennen. Entscheidend ist, nicht der trügerischen Ansicht anheimzufallen, dass die angestellten Überlegungen bei diesem oder jenem Unternehmen, vielleicht einschließlich des eigenen Betriebes, nicht zutreffen, da dort doch ganz unterschiedliche Verhältnisse vorliegen, die analoge oder ähnliche Folgerungen ausschließen.



9.5 Autorität293

Daran sind zwei Dinge richtig: Einmal gleicht tatsächlich kaum ein Betrieb einem anderen. Zweitens wird es auch in Zukunft Unternehmungen und Einrichtungen geben, die sehr einfache und einigermaßen gleichbleibende Leistungen erbringen, aus verschiedenen Gründen keinem oder nur geringen Wettbewerb ausgesetzt sind und der Eigentümer oder Betreiber mit seiner betrieblichen Situation zufrieden ist. Fehlen diese Verhältnisse aber, ist mit steigenden Leistungsanforderungen zu rechnen und besteht ein latenter oder manifester Ehrgeiz, sich bietende Möglichkeiten zu nutzen, dann sollte man überlegen, ob und welche entsprechenden Anregungen und Adaptionen vielleicht aus den Beispielen der F+E-Top-Unternehmen sinnvoll sein könnten. Eine adäquate Umsetzung der dargestellten Intentionen entsprechen im Grunde auch den von Günther Höckel bereits 1969 geäußerten Anliegen (Höckel, G.: 1969, S. 807–809), u. a. der Transformation von demokratischen Elementen der Gesellschaft in die betriebliche Sphäre, die auch der Mündigkeit und dem Selbstverständnis der Menschen entsprechen sollte, bei der beispielsweise die „Hierarchie“ als solche kaum noch Akzeptanz findet (Höckel, G.: 1969, S. 810). Was von weltweit erfolgreichen Unternehmen und transnationalen Konzernen zunehmend an Innovationen für eine Personal- und Führungsarbeit im ureigensten Interesse geleistet wird, kommt im Zuge weiterer Entwicklungen über kurz oder lang auf die Wirtschaft und andere Einrichtungen qualitativ und tendenziell stärker werdend ebenfalls zu. Wer glaubt, sich dem beispielsweise als Mittelbetrieb entziehen zu können, befindet sich daher meist auf dem Holzweg. Einmal aus allgemein betriebswirtschaftlichen Erfordernissen des Wettbewerbs und zweitens, da gesellschaftliche Entwicklungen der Öffnung, Humanität, beruflicher und privater Erwartungen und Entfaltung usw. von der Wirtschaft nicht zu ignorieren sind. Unternehmen befinden sich bei ihrem wichtigsten Kapital, nämlich guten Mitarbeiter, inmitten eines schärfer werdenden personalen Wettbewerb um beste Mitarbeiter. The war of talent geriet nicht zufällig schon vor Jahren zum personalwirtschaftlichen Schlagwort und gefragten Bereich bei Experten und Beratern (Internet: War for talents). Auf prekäre Arbeitsverhältnisse im Schatten der Wirtschaftskrise und auf deren willkommene Früchte zu hoffen, ist nicht nur schäbig, sondern dumm und zeugt von unternehmerischer Kurzsichtigkeit und Amoralität. Kurzum: Nachhaltiger Erfolg kann und sollte so nicht gesichert werden. Die Autorität und damit verbundene Vorstellungen sind wechselnd und reflektieren Entwicklungen mit unterschiedlichen Reaktionszeiten, wie sie in der Gesellschaft, der Politik und im Bereich der Wirtschaft ablaufen. Die neoliberalen Entwicklungen bis hin zum Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskri-

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se ab 2007 und der Verlauf der Krise sind dafür ein unrühmliches Beispiel. Auch umgekehrte Entwicklungen führen zu solchen Effekten, nämlich in positiver Hinsicht, wie die Ausführungen zu den Sonderentwicklungen im F+E-Bereich zeigen. Geänderte Leistungsvollzüge erfordern neue Autoritätsformen, um überhaupt wirtschaftlich effizient zu Ergebnissen gelangen zu können. Die jeweils praktizierten Autoritätsvarianten sind daher u. a. ein Ergebnis gesellschaftlicher Veränderungen und ebenso funktioneller Wechselwirkungen. Beides trägt zu komplexen Formen der Veränderungen der Autoritätsgestaltung bei. Autorität ist somit alles andere als eine stabile Vorstellung und Norm. Daran ändert sich auch nichts, wenn ein Träger von formaler und / oder funktioneller Autorität, wie ein „Chef“ oder Vorgesetzter, meint, an einer von ihm praktizierten Form der Autorität nicht rütteln zu lassen, die Autorität fälschlicherweise nicht als ein flexibel einzusetzendes Führungselement erkennt und sich weigert, daraus resultierende Probleme zu lösen. Das persönliche Autoritätsverhalten als vornehmlich verhaltensbestimmtes Führungselement zu ändern, ist sicher meist sehr schwer. Werden aber vom Top-Management oder Aufsichtsgremien von Unternehmen oder anderen im Wettbewerb stehenden Einrichtungen keine Auswege gefunden, kann das für Organisationen sogar existenzbedrohend werden. Beispiele dafür gibt es genügend. Autorität findet ihre Ausprägung in einem Beziehungsverhältnis zwischen zwei oder mehreren Personen, d. h. die Personen bestimmen durch ihre Beziehung und dabei entstehende Wechselwirkungen die jeweilige Art der Autorität, die daher auch nicht als stabil oder gar starr bewertet werden kann. Dieses Faktum zu begreifen und emotional in notwendiges Verhalten umzusetzen, kann erfahrungsgemäß die menschliche Kompetenz einer Person überfordern. Das sollte trotzdem nicht zu einer Problemverdrängung führen, sondern den Mut zu unkonventionellen und zunächst eventuell auch schmerzvollen Lösungen beflügeln. Beispielsweise stellen sich solche schwierigen Aufgaben oft bei unternehmerischen Nachfolgefragen, betrieblichen Umbesetzungen und bei Symptomen der vermeintlichen personalen Unersetzlichkeit. Lösungshilfen durch Dritte sind oft empfehlenswert. Sie sind meist diffizil, erfordern hohe Sensibilität, Geduld, kommunikative Talente und letztendlich die Akzeptanz von jenem oder mehreren Menschen, die der Hilfe bedürfen. Ein Beispiel für die Relativität der Autorität war die 68er-Bewegung der Studenten- und Bürgerrechtsbewegung mit ihren unterschiedlichsten Ursachen und Strömungen in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern in West und Ost. Ein markantes Merkmal war der kritische Umgang der Studentenbewegung mit der Autorität – ausgehend von einer als obrigkeitsstaatlich empfundenen Bundesrepublik Deutschland sowie auch deren Hochschulen –, die letztendlich auch in Gewalt und Terror entglitt. „Anti-



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autorität“ war das Schlagwort der 68er-Bewegung, mit dem beispielsweise Erziehungsmodelle radikal in Frage gestellt wurden. Gemeint hat man eigentlich eine andere Art der Autorität, „statt dem Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“. Ziel war ein „befreites Leben“, und zwar im weitesten Sinne verstanden (s. a.: Internet: Autorität). Ein Exkurs zur Breite, Vielfalt und des funktionellen Missbrauchs von Autorität: Ein besonders illustratives, bemerkenswertes, negatives, aktuelles und daher zu schilderndes Beispiel für Autorität und Realitätsverlust ist das aus Großbritannien und den USA importierte Qualitätssicherungssystem ISO 9000, das 1987 entwickelt und ab 1995 auch in Deutschland und Österreich zum Einsatz kam und mit geradezu amtsanmaßenden Attitüden in den Markt gedrückt und dank geradezu skurriler Art und Weise via quasi-formaler „Amtsautorität“ zu einem Verkaufsschlager wurde und viele Berater mit Aufträgen eindeckte. Das System wurde bis heute zur Normenreihe erweitert (Internet: Qualitätsmanagement) und hat in Fachkreisen einen zweifelhaften Bekanntheitsgrad erworben. Das Beispiel ist deshalb bemerkenswert, da einmal die Art der Autoritätsanmaßung ein entscheidender Kern des Geschäftsmodelles von ISO 9000 ist. Zweitens verkörpert ISO 9000 eine stillschweigende und offenkundig als „normal“ betrachtete Interpretation der Autorität, die mit Vorstellungen einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit unvereinbar ist. Drittens ist der ausschließlich formalistische Ansatz von ISO 9000 mit bürokratischer Strenge bzw. ohne Wenn und Aber bei der Umsetzung von ISO 9000 gefordert, die heute mit einem zeitgemäßen Autoritätsverständnis nicht mehr vereinbar ist. Viertens unterliegt ISO 9000 einer periodischen Zertifizierungspflicht, die autoritär-manipulativ aufgezwungen wird, da widrigenfalls das „Qualitätsmerkmal ISO 9000 zertifiziert“ – mit dem das System als „Qualitätssiegel“ massiv beworben wird – vom Abnehmer im Außenverhältnis nicht verwendet werden darf. Fünftens treten die entsprechenden Unternehmen mit dem Gestus eines Amtes auf und unterstreichen damit ihre missbräuchliche Quasi-Autorität. All das wird offenkundig bewusst inszeniert, mit Verfahrensvorschriften, Gremien, Urkundenverleihungen, Qualitätssiegeln usw. Sechstens steht dem enorm aufwendigen und teuren Verfahren kein essentieller Nutzen für eine reale Qualitätssicherung gegenüber, wie sie von Abnehmern und Lieferanten eigentlich erwartet werden. Siebtens verbleibt letztendlich fast nur ein erstaunliches und hypertrophes System der Ertragsgenerierung für die Anbieter von ISO 9000 übrig. ISO 9000 verlangt als stark autoritär basiertes System von seinen Anwendern ein hohes Maß der Disposition und des Sozialverhaltens zur Unterwür-

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9. Führungselemente

figkeit einer oder meistens mehrerer Personen, bei der einmal an die Wirksamkeit des Systems geglaubt wird und zweitens den Systemvertretern damit hörig gefolgt wird und das drittens verbunden ist mit der Leistung aufwendigster eigener Dienste für die Systemumsetzung, verbunden mit hohen sowie wiederkehrenden Zahlungen an die Systemanbieter. Dass so etwas funktioniert ist erstaunlich und spricht für die zweifelhafte Cleverness und Finesse des Marketings und der Verkäufer des Systems ISO 9000. Das autoritär-oberlehrerhafte Gehabe und formelhafte Geschäftsmodell hat mittlerweile Nachahmer gefunden, nämlich in vielfältigsten Varianten und mit ähnlich agierenden Zertifizierungs- und Evaluierungseinrichtungen, mit denen durch Aufseher- und Prüfungsfunktionen risikolos Geld gescheffelt werden kann und die oft Menschen anziehen, denen solche häufig auch fragwürdigen und quasi-autoritäre Aufgaben und Rollen zu behagen scheinen. Diese Tendenzen sind in einer freien und pluralistischen Gesellschaft und Wirtschaftsordnung bedenklich. Einmal durch offene oder verdeckte Formen der Praktizierung einer Quasi-Amtsautorität, den Gefahren aus Autoritätsmissbräuchen und weitgehend fehlgeleiteten Erwerbsmotiven, denen zweitens kaum eine sinnvolle Leistung gegenüber steht, da bei den „Abnehmern“ neben Gebühren hohe interne Aufwände anfallen, denen kaum tatsächliche Gegenleistungen oder Vorteile entsprechen. Die Leidensfähigkeit der oft unfreiwilligen Abnehmer ist ähnlich erstaunlich wie die Verfahren und Vorgehensweisen selbst. Solche möglichen Praktiken sind ein sehr ernstes Indiz verbreiteter Unsicherheit, Ängste, akzeptierter oder verlangter Subalternität und des Irrglaubens, durch solche „Instanzen“ Hilfe und Schutz zu finden oder mit fragwürdigen Mitteln vermeintliche Vorteile aus solchen Umtrieben ziehen zu können. Letzteres beispielsweise durch das „Recht“, ein „Qualitätssiegel“ führen zu können, das vermeintliche absatzwirtschaftliche Vorteile verschafft, sich aber auch als Irrtum entpuppen kann. Manche mittlerweile bekanntgewordene Zertifizierungs- und Qualitätsprüfungspraktiken können auch das Gegenteil bewirken: Eine Schimäre wird zur Gelddruckmaschine! Die Bräuche finden – nicht überraschend – ihre Förderer durch öffentliche und private Lenkungs- und Aufsichtsorgane, die dazu neigen, durchaus sinnvolle und notwendige Aufsichts- und Kontrollfunktionen, ebenso wie Sachverhaltserhebungen und Begutachtungen, an solche Einrichtungen auszulagern, statt sie selbst durchzuführen. Fehlende Sachkompetenzen, das Vermeiden eigener Aufwendungen und auch ein Hang zu einer fragwürdigen Flucht aus der eigenen Verantwortung, führen viel zu häufig zur Einschaltung von Zertifizierungs- und Evaluierungseinrichtungen, ebenso zu einem überbordenden Gutachtereinsatz, mit den sattsam bekannten, vielfältigen und sehr aufwändigen Unzulänglichkeiten. Die externen Dienstleister werden natürlich bemüht sein, ständig ihr Angebot auszuweiten,



9.5 Autorität297

Umsätze und Gewinne zu generieren, was zu der Frage führt, ob dadurch lediglich wenig sinnvolle bürokratische Aufblähungen ausgelöst werden, und zwar zu Lasten Dritter, die sich häufig den damit verbundenen eigenen Arbeitsaufwendungen und der Zahlung von Quasi-Gebühren nicht entziehen können. ISO 9000 und seine Nachahmer – in welcher Variante auch immer – zeigen einen Autoritätseinsatz, der häufig zweifelhaft ist und – beispielhaft – verschiedene Eindrücke vermittelt: Einmal über die möglichen Bedeutungen und Interpretation der Autorität, zweitens besonders darüber, in welchen unterschiedlichsten Wechselwirkungen Autorität positiv oder negativ wirksam werden kann und schließlich drittens über die Breite der Auslegung der Autorität und ihrer Auswirkungen, u. a. auch im Kontext mit der Personal- und Führungsarbeit oder auch der Zweckmäßigkeit von PreisLeistungs-Verhältnisse. Das sind nur einige sehr essentielle Punkte, die eine exemplarische Vertiefung des fragwürdigen Phänomens ISO 9000 und ähnlicher Einrichtungen zweckmäßig erscheinen lassen. Weder durch öffent­ liche Organe bzw. Einrichtungen, noch durch private Dienstleister dürfen missbräuchlich strapazierte Autoritätsverhältnisse Platz greifen, sei es um öffentliche Funktionen und damit verbundene Verantwortlichkeiten zu Lasten Dritter los zu werden oder um Dienstleistern via öffentliche Organe bzw. Einrichtungen ungerechtfertigte und gesicherte Geschäftsmöglichkeiten zu ermöglichen, die de facto Dritte zwangsbeglücken. Solche Probleme und Fragen erfordern auch paradigmatische Antworten an die Gesellschaft, ­Politik und Wirtschaft, da es dabei um grundsätzliche Orientierungen geht, z. B. welche Autoritätsverhältnisse sind – je nach Sachlage – erforderlich, angemessen oder abzulehnen. Eine Qualitätssicherung ist eine unbestritten sehr wichtige Funktion und verdient daher selbstverständlich geeignete Instrumente, die es in der Wirtschaft, aber auch bei anderen Einrichtungen schon lange vor ISO 9000 gab (Schwan, K., Seipel, K. G.: 2002, S. 116 u. 132; Schwan, K.: Internet, Qualitätsmanagement). Stehen neue Verfahren zur Verfügung, die zusätzliche Verbesserungen von Produkten und Dienstleistungen tatsächlich substantiell bewirken und garantieren, ist das natürlich höchst erwünscht. Das wird dann u. a. der Fall sein, wenn sie als Instrumente eines zeitgemäßen Qualitätsmanagements gut einsetzbar sind und reale Verbesserungen der Qualität in effizienter Art und Weise erreichen und bestätigen können. Letzteres erfüllt ISO 9000 deshalb nicht, weil es einmal lediglich ein hoch formalisiertes und sehr aufwendiges Dokumentationssystem eines Qualitätsverfahrens ist, und zwar ohne direkte Auswirkungen auf die Qualität selbst. Zweitens ist ISO 9000 quasi ein bürokratisches Monster des Formalismus, verbunden mit einem systemimmanenten Autoritätsanspruch und von Kunden ständig zu zahlenden Neu-Zertifizierungen über den Weg der Verpflich-

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9. Führungselemente

tung der externen Kontrolle der Einhaltung der ISO 9000-Vorschriften. Die Vorgehensweisen sind nur schwer vereinbar mit Vorstellungen eines modernen, effizienten und fairen Managements und widersprechen zeitgemäßen Arbeits- und Führungsprinzipien, insbesondere durch ein einseitig vom System ISO 9000 diktierten Determinismus innerhalb des Personalkörpers des Betriebes eines Systemabnehmers (s. a.: Kirchler, E., Meier-Pesti, K., Hofmann, E.: 2005, S. 58–61). Angemaßte Autorität kann aber auch, wie gezeigt, zu einer „Geschäftsidee“ führen, die mit den bisherigen Erörterungen zur Autorität nur mittelbar zu tun hat, aber zu einer geradezu epidemischen Verbreitung eines spektakulären Autoritätsmissbrauchs führt und dabei den Beziehungscharakter der Autorität in einer bemerkenswert negativen und völlig unausgewogenen Art und Weise dramatisch illustriert und mit einem zeitgemäßen Verständnis der Autorität unvereinbar ist. Der Autor schrieb zum Themenbereich ISO 9000 – um den es im Autoritäts-Beispiel geht – einen Artikel (Schwan, K.: 1995, S. 45) und blieb damit nicht allein: Qualität bedeutet Kundenanforderungen zu erfüllen, das heißt erreichte substantielle Qualitätsinhalte sind ein hochrangiges und erfolgsversprechendes Legitimationsmittel im Wettbewerb auf umkämpften Märkten. Das gehört zum 1 × 1 einer Marktwirtschaft. Seit eh und je gibt es verschiedenste erfolgreiche Vorgangsweisen und Verfahren, geforderte Qualitätsinhalte möglichst gut zu gewährleisten. ISO 9000 will eines davon sein – nicht mehr und nicht weniger – ist es aber nicht und versucht lediglich in einem sekundären Teilbereich – sozusagen das Verfahren –, jedoch nicht den Inhalt der Qualität zu managen. ISO 9000 steht somit entgegen mancher geschäftstüchtigen Pro-ISO9000-Agitation nicht für Produkt- und Leistungsqualität, sondern es wird lediglich bescheinigt, dass ein bestimmtes Verfahren der Qualitätssicherung formal besteht, auch dann, wenn permanent ein schlechtes Produkt oder minderwertige Leistungen erbracht werden. Als ehrliches und positives Marketingattribut, als das es Systemabnehmer verständlicherweise bei ihren Kunden nutzen möchten, taugt ISO 9000 daher mit Sicherheit nicht, da substantiell keine tatsächliche Qualität bescheinigt und garantiert werden kann. Das ISO 9000-Verfahren ist und bleibt somit nur ein formaler und zweitrangiger Teilaspekt einer Qualitätspolitik. Kunden und Einkäufer wünschen natürlich eine tatsächliche Qualitätsgarantie. Wenn daher die geschäftstüchtigen Vertreter von ISO 9000 bei ihren „strategischen Visionen“ dem Verfahren eine „überlebenswichtige“ Rolle zumessen (Zitat), so zeugt dies bestenfalls von realitätsfernem Wunschdenken und unangemessener Werbung. Vor zu hohen Erwartungen muss man warnen und objektiverweise



9.5 Autorität299

darauf hinweisen, dass es Konzepte der Qualitätssicherung gibt, die zum Vorteil einer Qualitätspolitik längst über den engen Verfahrensrahmen von ISO 9000 hinausgehen, substantiell geprägt sind, von Unternehmen in Eigenregie erfolgreich gehandhabt und in den wirtschaftlichen Außenbeziehungen mit ihren Abnehmern und Lieferanten funktionsgerecht eingesetzt werden. Angesichts des eingeschränkten Stellenwertes von ISO 9000 für die Qualitätspolitik ist es selbst für den Fachkundigen verblüffend, mit welchem gigantischen formalistisch-bürokratischen Aufwand das Verfahren „normbedingt“(!) verbunden ist. Allein der Umfang der Ablaufschemata für das „Einführen, Zertifizieren und Aufrechterhalten“ von ISO 9000 jagt kalte Schauer über den Rücken, an das Abarbeiten der vielfältigen Maßnahmen gar nicht zu denken: Gerade bei einem Qualitätsverfahren schiene es jedoch angebracht, bestehende Komplexitäten verfahrensmäßig nicht zu potenzieren und damit die Effizienz des Verfahrensformalismus ad absurdum zu führen. Vor allem mittlere und kleine Unternehmen werden dadurch überfordert. Bedenkt man nun, dass nach Abschluss der Verfahrenseinführung durch die äußerst aufwendige Zertifizierung nach ISO 9000 erst die eigentliche, nämlich substantielle Arbeit der Qualitätssicherung beginnt, fängt das Verfahren an, als regelungswütiger und sturer Moloch gespenstisch zu erscheinen, und zwar vor allem dann, wenn es nicht nur um die öffentlichkeitswirksame Zertifikatsverleihung, sondern vor allem um die nachfolgende konkrete Umsetzung inhaltlicher Qualitätsziele geht. ISO 9000 ist als erster möglicher Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Qualitätsmanagement gerade für viele Klein- und Mittelbetriebe eine viel zu hohe Hürde, einmal ganz abgesehen davon, dass es für die Qualitätssicherung zieladäquadere, flexiblere, seit langem bewährte und weitaus kostengünstigere Vorgehensweisen gibt. Die Anwendungsbereiche von ISO 9000 sind nach Branchen, Betriebsgrößen und Aufgabenarten eingeschränkt. Der Konsumgüterbereich, die Fremdenverkehrswirtschaft, Krankenhäuser, allgemein der Handel, Betriebe mit hoher Fertigungstiefe oder mit Kleinkunden, Dienstleistungs-, Auftragsund Einzelfertigungsunternehmen eignen sich beispielsweise auch nach Ansicht von ISO 9000-Vertretern tendenziell fast ebenso wenig für das Verfahren, wie Klein- und ein großer Teil der Mittelbetriebe. Die ISO 9000-Terminologie wurde ursprünglich für den produzierenden Bereich entwickelt, ausgehend von Großbritannien – vermutlich auch motiviert um einen Gegenpol zum „Made in Germany“ zu schaffen – und zwar mit dem Ziel, Mindeststandards für Qualitätssicherungssysteme innerhalb der Europäischen Union zu erreichen und dadurch einen möglichst ungehinderten Warenverkehr zu fördern. Die Ursprünge von ISO 9000 erklären zum Teil die Anwendungsgrenzen der ISO-Norm. Der Normierung nach ISO 9000

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9. Führungselemente

entziehen sich ferner verständlicherweise in weitem Maße jene Aufgaben­ arten, die eher unreguliert und wenig repetiv erfolgen, wie zum Beispiel Entwicklungen, Planungen, kreative und innovative Leistungen, Beratungs-, Überzeugungs- und Durchsetzungsaufgaben. Der Aufbau eines ISO 9000-Systems „erfordert große Anstrengungen und gehört zu den komplexesten Organisationsaufgaben […] Aus diesem Grund werden projektbezogen häufig externe Spezialisten hinzugezogen“, Zitat einer Gruppe namhafter ISO-Vertreter. Kein Wunder, bei der erdrückenden ISO 9000-Verfahrensbürokratie. Aber: Bürokratie schafft keine Ergebnisse sondern verhindert sie erfahrungsgemäß eher. Eine traurige Erfahrung, der keine noch so gefinkelte Verschleierungstaktik gewachsen ist. Das gilt ganz besonders auch für das ISO 9000-Verfahren. Bleibt die Frage, was und wem nützt es, wo liegt das Neue und Besondere? Die Antworten sind matt und nur eines scheint einigermaßen sicher: Der Anwender von ISO 9000 wird für Qualitätserfordernisse sensibilisiert. Gelegentlich will ein Interessent für ISO 9000 tatsächlichen oder auch nur erwarteten Forderungen seiner Auftraggeber nach einem Qualitätsnachweis gerecht werden und sieht ISO 9000 als werblichen Vorteil. Das kann allerdings nur dann funktionieren, wenn Auftraggeber ISO 9000 schlecht oder gar nicht kennen. Kurzum, durchaus positive Nebeneffekte eines Qualitätsmanagements treten an die Stelle fehlender Haupteffekte, denn weder ist wirklich Neues erkennbar und wer sich schließlich in die ISO 9000-Bürokratie stürzt, der war ganz bestimmt bereits zuvor qualitätsbewusst, die vermeintliche Qualitätseinstiegdroge ISO 9000 hätte er sicher nicht gebraucht. Der renommierte Führungsfachmann Reinhard Sprenger geißelt in seiner bekannt pointierten Art „ISO-Wahnsinn“ und „ISO-Mafia“ und zeigt zwar drastisch, aber in der Sache treffend, die bestehende Widersprüchlichkeiten zwischen dem bürokratischen Normenzwang von ISO 9000 einerseits und andererseits den Anforderungen einer zeitgemäßen Unternehmensführung, Organisation, Personal- und Führungsarbeit auf. Endlich habe man begonnen überholte zentrale Strukturen zu dezentralisieren, Hierarchien und Dienstwege zu vereinfachen, das Selbständigkeitsstreben und die Initiative der Mitarbeiter zu fördern, bürokratisch-subalterne Motivationshindernisse abzubauen und notwendige Freiräume zu schaffen. Man hat klar erkannt, dass durch solche und ähnliche Reformschritte einmal die Leistungsfähigkeit, die Flexibilität und Anpassungsgeschwindigkeit und die Qualität der Arbeit und somit die Wettbewerbsfähigkeit am besten entwickelt und gesichert werden kann. Der eingeschlagene Weg entspricht den berechtigten Erwartungen der Mitarbeiter und einem optimistischen und zukunftsweisenden Menschenbild. Der geistige Hintergrund des ISO 9000-Verfahrens wurzelt hingegen in einer zutiefst pessimistischen, misstrauischen und inhumanen, das heißt längst überholt geglaubten sowie ausgesprochen kontra-



9.5 Autorität301

produktiven Sicht der Arbeit, die man nur durch enge und rigide Regelungen zu beherrschen meint. Der personalpolitische Rück- und Sündenfall mit ISO 9000 ist so krass und unglaublich, dass bei der Frage nach dem Warum das Motiv „Supergeschäfte mit ISO 9000“ nicht mehr zu übersehen ist. Einer unserer Klienten schreibt Reinhard Sprenger, hat daraus eine spaßige Nutzanwendung gezogen: „Auf ISO 9000 verzichtet er gerne, schreibt aber auf sein Briefpapier „Wir arbeiten nach ISO 9000“ und alle sind zufrieden. „Somit kommt es, wie stets, letztendlich darauf an, was der Anwender aus ISO 9000 macht – auch diese Erkenntnis ist nicht neu“ (Schwan, K.: 1995, S. 45; Internet: ISO 9000). Mit mächtigen Einrichtungen, wie den TÜV-Organisationen in Deutschland, wurde das System in den Markt gedrückt und eine lukrative Zertifizierungs-Industrie geschaffen, was an der fehlenden Zweckmäßigkeit von ISO 9000 und späteren Varianten sowie Anpassungen bis heute nichts ändert. Die grundsätzlichen Problematiken von ISO 9000 konnten bislang nicht gelöst werden, da sie systemimmanent sind. Erfolgen keine prinzipiellen Änderungen, wird das auch so bleiben. Eine fehlende substantielle Qualitätsverbesserung und ein längst überholter sowie untauglicher Autoritätsanspruch als Kernstück der Verfahrensweise von ISO 9000, konnten mit fragwürdigem Marketing und Druck am Markt etabliert werden. Das gibt zu denken! Kirchler, E. et al. kritisieren 2005 zu Recht: „Die Einführung der ISO 900x kann für die Organisationen aber auch Nachteile mit sich bringen. Alle Organisationsmitglieder müssen sich dem Qualitätssicherungssystem verpflichtet fühlen, damit es effizient und reibungslos funktionieren kann. Wenn sich nur einige Mitarbeiter an die Vorschriften im Handbuch nicht halten, die für sie relevanten Formulare nicht ausfüllen oder keine Verbesserungsvorschläge zur Steigerung der Qualität einbringen, dann existieren zwar Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung, diese werden aber in der Organisation nicht gelebt und tragen daher auch nicht zur Effizienz des Unternehmens bei. [Es] wird der Norm ISO 900x vorgeworfen, dass es dabei hauptsächlich um das Ausfüllen von vielen, zu vielen Formularen handelt, was für die Mitarbeiter einen großen administrativen Aufwand bedeutet, aber nur geringen Nutzen verspricht. […] dass vielen Kunden die Vorteile dieses Qualitätsmerkmales nicht bekannt sind […] Damit bietet die ISO Norm auch keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Anbietern […] [Von der Norm ISO 900x lassen sich für die Organisationsstruktur folgende Merkmale ableiten: […] Hierarchie und Autorität […] wobei übergeordnete Personen untergeordnete Mitarbeiter ständig überwachen und kontrollieren […] Die Autorität der Vorgesetzten wird mittels der im Handbuch festgesetzten Regeln durchgesetzt […] Spezialisierung der Arbeitsteilung […] Jede Aufgabe ist im Handbuch beschrieben und muss exakt gemäß der

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9. Führungselemente

Beschreibung von den Mitarbeitern ausgeführt werden […] Dementsprechend ist die Spezialisierung der Arbeitnehmer in der Organisation groß […] Enge Kontrollspanne […] von großer Bedeutung […] beratende Positionen haben der externe Auditor und auch einzelne Mitarbeiter inne, die Vorschläge machen […] Organisationsleitung besitzt alleinige Entscheidungsgewalt […] Starke Zentralisierung […] Organisationen mit einem Qualitätssicherungssystem zeichnen sich durch eine starke Leitung aus, die allein Entscheidungen fällt [Schlussfolgerungen der Autoren]: […] Trotz der wesentlich späteren Entwicklung ist die ISO 900x Norm den klassischen Organisationstheorien in ihrer Starrheit und geringen Flexibilität ähnlich. Es wird kritisiert, dass in dem Konzept die Entwicklungen in den Organisa­ tionstheorien der letzten Jahrzehnte außer Acht gelassen wurden […] Für die praktische Umsetzung der ISO Norm mag der Vorwurf eines starren Konzeptes zutreffen, da auf Grund der Norm Organisationsmitglieder ausschließlich zu ausführenden Organen gemacht werden“ (Kirchler, E. et al.: 2005, S. 59–61). Kurzum: Autoritätsanmaßung gepaart mit Unterwürfigkeit der Anwender und Zahler! Ende des Exkurses Dem Führungselement Autorität kommt im Verhältnis zu den anderen Elementen der Führung eine besondere Bedeutung zu: Es prägt in weitem Maße den Führungsstil, sei es eher ein autoritärer, kooperativer oder laissez-faire Stil (Internet: Laissez-faire). – Die Autorität hat ihre Prägungen in unterschiedliche Richtungen tendenziell im Rahmen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen erfahren und ist daher ein Begriff mit wechselnden Inhalten. – In den jeweiligen Entwicklungsphasen sind zudem unterschiedliche Autoritätsmerkmale in verschiedenen Realbereichen eher die Norm als die Ausnahme, d. h. es kommt zu starken und zeitgleichen Überlappungen gepflogener Autoritätspraktiken. – Abgesehen von den allgemeinen Erscheinungen der Autorität und entsprechender Tendenzen erfahren in konkreten Einzelfällen von Führungsverhältnissen oder -situationen unterschiedlichste Erscheinungsformen, und zwar stark bedingt durch die Unterschiedlichkeit bzw. Individualität der Beteiligten einer Autoritätsbeziehung und unterschiedlichste Realisationen. – Die schillernden Eigenschaften der Autorität gelten naheliegender Weise auch für charismatische Prägungen der Autorität. – Kurzum: Die Spielarten der Autorität sind in einer Breite gegeben, von schwerstem Missbrauch, wie in der NS-Zeit, bis zu wertvollsten Anwendungen bei zeitgemäßer Personal- und Führungs­ arbeit. Prozesse der Vorbereitung und des Treffens von Entscheidungen sind zwingend verknüpft mit Autoritätsverhältnissen, die sowohl die Qualität der Prozesse und damit die Qualität der Entscheidungsergebnisse bestimmen.



9.5 Autorität303

Darin liegt eine essentielle Ursache der genannten Bedeutung der Autoritätsgestaltung in Gesellschaft und Wirtschaft. Zusammenfassend kann daher nochmals festgestellt werden, dass Autorität – entgegen gelegentlicher Annahmen – alles andere nur nicht ein festgefügter substantieller Begriff ist und daher stets die Frage zu beantworten ist, von welchen konkreten Vorstellungen und Inhalten der Autorität ausgegangen wird, und zwar in der Regel verbunden mit relevanten funktionalen Aufgabenstellungen und kontextuellen Faktoren. Ausgehend von dem auch durch die Führungsforschung bestätigten Ergebnissen und dem vorhergehenden Hinweis, dass das Führungselement Autorität für den Führungsstil zentral bestimmend ist, kann sinnvoll der Frage gefolgt werden, welche Auswirkungen daraus aus der Verknüpfung mit empirischen Forschungsergebnissen zu dem Führungselement Autorität gezogen werden können und was daraus für die Führungspraxis tendenziell ableitbar ist. Dadurch kann schließlich auch verdeutlicht werden, welche essentiellen Konsequenzen eine verhaltensbestimmte Autorität im Vergleich zu einer verfahrensbestimmten, sprich formalen Autorität hat. Die Führungsforschung hat eine Tradition, die bis zu Kurt Lewin (1890– 1947) zurückreicht, dem in Berlin aufgewachsenen Begründer der experimentellen Sozialpsychologie, der als erster die unterschiedlichen Auswirkungen autoritärer und demokratischer Führung in den USA – wohin er 1933 emigrierte – untersuchte (1938–1940). Am Anfang stand als Ziel bei kleinen Gruppen das Verhalten und die Arbeitsleistung unter der Variation des Führungsstils (autoritär, kooperativ, laissez-faire) zu untersuchen. Daraus entwickelte sich u. a. die Führungsstil-Forschung und im Weiteren auch der Fachbereich der Gruppendynamik. Lewin stellte folgende Ergebnisse hinsichtlich autoritär und demokratisch geführter Gruppen fest: Abbildung 9.18: Empirische Führungsstilforschung nach Kurt Lewin autoritär geführte Gruppe

demokratisch geführte Gruppe

– hohe Spannung Konflikte – gehorsames bis unterwürfiges Gruppenverhalten – höhere Arbeitsintensität – Arbeitsunterbrechung bei Abwesenheit des Führers

– entspannte, freundschaftliche Atmosphäre – kollegial/kooperatives Gruppenverhalten – höhere Originalität der Arbeitsergebnisse – Weiterarbeit bei Abwesenheit des Führers

(Schwan, K.: Nach Wunderer, R.: 2001, S. 205)

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9. Führungselemente

Die Untersuchungen erfolgten in den Jahren 1938–1940 an der Iowa University Elementary School. Ihnen folgten empirisch-induktive Feldstudien, die dann dominierten. Ergebnisse wurden von den Erhebungen direkt abgeleitet, d. h. unabhängig von Führungstheorien (s. a.: Wunderer, R.: 2001, S.  205 f.). Den Studien von Kurt Lewin folgten bald andere Wissenschaftler. Die Forscher Edwin Fleishman und John Hemphill der Ohio State University zeigten mit den Ohio-Studien mittels Faktoranalysen, dass sich Verhaltensunterschiede zwischen erfolgreichen und erfolglosen Führungskräften nach zwei Kriterien Gruppen einteilen lassen, der Initiating Structure und Consideration, d. h. nach Mitarbeiterorientierung und Aufgabenorientierung. Folgende Ergebnisse wurden ermittelt: Die Ergebnisse der genannten Studien zeigen einerseits tendenzielle Ergebnisse einer vornehmlich verhaltensbestimmten Führung auf und damit die Unterschiede zu einer verfahrensbestimmten Führung. Andererseits zeigten sich Abgrenzungsprobleme bei den Vergleichen und dadurch Unsicherheiten in Bewertungsvorgängen. Das könnte an methodischen Mängeln der Untersuchungen liegen, wie z. B. nicht ausreichende Vergleichbarkeiten von Kriterien und Erfolgsmaßstäben. Wichtiger erscheint jedoch zu sein, dass bei der komplexen Aufgabenstellung der Forschungsgegenstände nicht immer alle wesentlichen Faktoren einbezogen wurden. Für die Führungsforschung konnten dennoch tendenziell richtige Ergebnisse gewonnen werden und es entwickelten sich in der Folge zwei Blickrichtungen der Führungsforschung heraus, nämlich die Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung und die Partizipationsorientierung der Führung (s.  a.: Wunderer, R.: 2001, S. 205–207). Der in diesen Ausarbeitungen verfolgte Ansatz orientiert sich an den Schwerpunkten Führungsverhalten und Führungstechnik und verknüpft mit den davon abgeleiteten Begriffen verhaltens- und verfahrensbestimmte Führung bzw. auch die Art der Autorität und schafft damit die Möglichkeit einer realitätsgerechten Verbindung der Schwerpunkte Mitarbeiterorientierung und Aufgabenorientierung. Trotz dieses methodisch-inhaltlichen und des vergleichsweise problemärmeren Ansatzes, bleibt die Problematik, die statische und besonders die dynamische Komplexität einer Vielzahl von relevanten Faktoren für die Führungsgestaltung zu bewältigen, und zwar bei einer im Zeitverlauf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher sowie nationaler und internationaler Entwicklungen steigenden Faktorenzahl. Die Komplexitätsproblematik – die zu einer Irrationalitäts-Problematik rationaler Entscheidungsprozesse führt – setzt empirischen, wirtschaftlichen und sozialwirtschaftlichen Forschungen zwangsläufig zunehmend engere Grenzen bzw. die Treffsicherheit von entsprechenden Forschungsergebnissen geht



9.5 Autorität305 Abbildung 9.19: Führungsverhalten und Führungserfolg nach Edwin Fleishman und John Hemphill Consideration (Mitarbeiterorientierung) • Er achtet auf das Wohlergehen seiner Mitarbeiter. • Er bemüht sich um ein gutes Verhältnis zu seinen Unterstellten. • Er behandelt alle seine Unterstellten als Gleichberechtigte. • Er unterstützt seine Mitarbeiter bei dem, was sie tun oder tun müssen. • Er macht es seinen Mitarbeitern leicht, unbefangen und frei mit ihm zu reden. • Er setzt sich für seine Leute ein.

Initiating Structure (Aufgabenorientierung) • Er tadelt mangelhafte Arbeit. • Er regt langsam arbeitende Mitarbeiter an, sich mehr anzustrengen. • Er legt besonderen Wert auf die Arbeitsmenge. • Er herrscht mit eiserner Hand. • Er achtet darauf, dass seine Mitarbeiter ihre Arbeitskraft voll einsetzen. • Er stachelt seine Mitarbeiter durch Druck und Manipulation zu größeren Anstrengungen an. • Er verlangt von leistungsschwachen Mitarbeitern, dass sie mehr aus sich rausholen.

(Schwan, K.: Nach Wunderer, R.: 2001, S. 206)

zurück. Damit steigen die Risiken, wenn Entscheidungen zu sehr auf die Forschungsergebnisse fokussiert und damit untermauert werden sollen. Der Ausweg aus diesem Entscheidungsdilemma – das hier nur angedeutet werden kann – liegt in einer Ergänzung rationaler Entscheidungsverfahren durch wertorientierte und essentielle Entscheidungskomponenten, die zwar nicht die rationalen Entscheidungsgrenzen überwinden können, aber mit Sicherheit geeignet sind, trotzdem die Entscheidungsrisiken erheblich einzuschränken (s. a. Schwan, K.: 2003, S. 281–285). Darin liegt auch die besondere Bedeutung von geforderten Paradigmen und einem Paradigmenwechsel. Beginnend mit den Untersuchungen von Kurt Levin im Jahr 1938 ist eine Entwicklung der Führungsstiltypologie entstanden und hat sich bis in unsere Tage fortgesetzt. Sie wird auch in die Zukunft reichen, da die Entwicklung der Unternehmen, Organisationen und Einrichtungen die Führung vor neue Aufgaben stellt und zwingt, dafür Lösungen zu finden. Ein sehr wichtiges Beispiel hierzu waren die knappen Ausführungen der vorliegenden Ausarbeitung zu besonderen Führungserfordernissen von Unternehmen, die im F+E-Bereich – national und besonders international – durch ihre notwendige Personal- und Führungsarbeit aufs Äußerste gefordert sind und darin

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9. Führungselemente

einen entscheidenden Kern ihrer nachhaltigen wirtschaftlichen Legitimation sehen müssen (s. a.: Wunderer, R.: 2001, S. 207 f.). Wunderer unterscheidet 6 Typen an Führungsstilen unter den beiden Aspekten prosoziale Dimension der Führung und Machtdimension der Führung. In der Führungspraxis führt die Differenzierung der Führungsstile zwangsläufig zu stärkeren Überlappungen und neuen Abgrenzungsproblemen, die in der Realität eine weitere Verstärkung erfahren (Wunderer, R.: 2001, S. 210). Der Begriff autoritär im Schema von Wunderer ist als quasi autoritäre Autorität zu verstehen, da der Begriff Autorität in funktionaler Hinsicht bei jedem Führungsstil seine Aufgabe hat, sicher auch beim „autonomen“ Typus des Führungsstiles, beispielsweise als charismatische Autorität eines formellen oder informellen Führers. Dieses Problem überbrücken die Begriffe verfahrensbedingte und verhaltensbedingte Autorität, da sie beinhalten, dass es ohne eine Form der Autorität in der Führung nicht geht. Daher hat ist auch die Unterscheidung in formelle und informelle Autorität üblich geworden. Bei einem Ansatz zur Erläuterung der Autorität mit den Begriffen verhaltens- und verfahrensbestimmter Autorität sind – wie schon festgestellt – die Personen des Führenden ebenso wie die Geführten zur Gänze in den gesamten Prozess der Führung integriert, was natürlich andere Einflussfaktoren der Führung tangiert und unterschiedlichste Wechselbeziehungen zwischen den Einflussfaktoren und den Personen ergibt. Entscheidend ist, dass die personalen Aspekte stets als präsent gesehen und bewertet werden. Erfolgt das nicht, gerät man gerade bei dem Führungselement Autorität – angefangen von begrifflichen Ungereimtheiten bis hin zu nicht ganzheitlich behandelten Prozessen – in theoretische und führungspraktische Sackgassen und raubt dem Themenbereich seine sachlogische Schlüssigkeit. Daher ist es auch angebracht, diesen Zusammenhängen etwas nachzugehen, besonders im Kontext mit der Autorität. Dabei sind die personenorientierten Führungstheorien besonders naheliegend, die von Wunderer nach den Aspekten „führerzentriert“ und „geführtenzentriert“ im Überblick dargestellt wurden (Wunderer, R.: 2001, S. 293). Die Nähe der Autorität zu machttheoretischen Führungstheorien liegt nahe, da Inhaber von Macht auf andere Personen Einfluss haben und damit rechnen können, dass dieser auch tatsächlich wirksam wird. Die jeweiligen Grundlagen von Macht und Autorität können sehr unterschiedlich sein und bestimmen dementsprechend auch den praktizierten Führungsstil, beispielsweise durch Eigenschaften oder wahrgenommene Rollen, welche die Macht und deren Intensität bei Autoritäts- oder Machtbeziehungen bestimmen.



9.5 Autorität307 Abbildung 9.20: Personenorientierte Führungstheorien Theorie

Gegenstand

• Eigenschaftstheorie

– Eigenschaften von Führern und ihre Auswirkungen im Führungsalltag

f ü h r e r z e n t r i e r t

• charismatische Führungstheorien

– „Charisma“ als (zugeschriebenes) Persönlichkeitsmerkmal von Führern und seine Auswirkungen im Führungsalltag

• tiefenpsychologische Führungstheorien

– Typologien zur Klassifizierung von Führerpersönlichkeiten – Analogiebildung zu Vaterrolle und Heldentypus und damit verbundene Projektions- und Identifikationsprozesse

• entscheidungstheoretische Ansätze

– Prozesse der Willensdurchsetzung (unter besonderer Berücksichtigung von Promotoren und Restriktoren) – Kollektiventscheidungen, unter Gruppendruck – Entscheidungsverläufe in Organisationen – Entscheidungsstile – normatives Entscheidungsmodell

g e f ü h r t e n z e n t r i e r t

• Weg-Ziel-Theorie

– motivationale Aufgaben im Führungsprozess Theorie – Akzeptanz von Führungsverhalten durch die Geführten

• Attributionstheorie

a) Attribution von Führung b) Attribution von Erfolg und Misserfolg

• soziale Lerntheorie

– Selbstentwicklung Lerntheorie – Steuerung von Lernprozessen

(Schwan, K.: Nach Wunderer, R.: 2001, 293)

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9. Führungselemente 9.21 Macht- und Autoritätsbasen nach John R. P. French und Bertram H. Raven

• Expertentum („Expert Power“): Sachkenntnis bezüglich bestimmter Aufgaben oder Probleme • Identifikation („Referent Power“): Vorbild-/Identifikationsfunktion • Amtsautorität („Legitimate Power“): festgelegte und akzeptierte Normen, Befugnisse • Belohnung und Bestrafung („Reward/Coercive Power“): Sanktionsgewalt • Information („Informational Power“): Zugang zu und Kontrolle von Informationen, Informationskanälen und -medien (Schwan, K.: Nach Wunderer, R.: 2001, S. 299)

Auch andere Macht- und Autoritätsbasen werden im vorgenannten Sinne solche Faktoren bilden und die Art und Weise von Autoritäts- oder Machtbeziehungen mitgestalten. Ähnliches gilt für so genannte mikropolitische Techniken in Unternehmen (s. a.: Wunderer, R.: 2001, S. 298 f.; French, J. R. P. / Raven, B.: 1968, S. 150–167; Neuberger, O.: 1994, S. 269 ff.). In der Fachliteratur über Autorität und Führung kommt eine immer wichtiger werdende Führungsart zu kurz, die in der Führungspraxis stets eine Rolle spielte, nämlich die Führung von unten nach oben. Einer der wenigen Experten, der seit langem wie der Autor der vorliegenden Arbeit, dieser Form der Führung – die auch vor allem für einen zeitgemäßen Führungsstil steht – in der Führungstheorie gebührende Aufmerksamkeit widmet, ist Rolf Wunderer (Wunderer, R.: 2001, S. 255 f.; Schwan, K., Seipel, K. G. 1994, S. 111). Heute mehr denn je erfordern rascher werdende Entwicklungen und exponentiell wachsende Komplexitäten tiefgreifende Anpassungen. Herkömmliche Verhältnisse mit „starken“ Chefs, die klare Anweisungen erteilen, informieren, delegieren und dann Ergebnisse kontrollieren, wird es auch weiterhin geben, nämlich wenn es einmal die zu leistenden Aufgabenstellungen ermöglichen, zweitens die betroffenen Mitarbeiter diese Art der Führung bereitwillig annehmen und drittens die Chefs ihre Mitarbeiter so führen und behandeln, wie sie es zu Recht erwarten können, d. h. erforderliches Einfühlungsvermögen besteht, gute Arbeiten anerkannt und auch gelobt werden, gute Informations- und Kommunikationsverhältnisse gepflegt werden usw. Die Aufgaben- und Leistungsprofile einerseits und die daraus resultierenden Qualifikationsanforderungen an Mitarbeiter andererseits haben sich bereits heute schon so weit nach oben verschoben und der Trend in diese Richtungen hält an, so dass die vorgenannten „starken“ Führungsformen zunehmend obsolet werden. Aufgabenstellungen sind in ihrer Erfül-



9.5 Autorität309 Abbildung 9.22: Mikropolitische Techniken – Macht und Autorität • Handlungsdruck erzeugen (Bsp.): – emotionalisieren, Begeisterung wecken, Kritik ausschalten – für geeignete Stimmung, richtiges Ambiente sorgen, Anhänger mobilisieren – eigenen Rückzug (Kündigung) androhen, Beziehung aufkündigen, „im Regen stehen lassen“ – (künstliche) Krisen erzeugen und/oder nutzen, um sich als „Retter in der Not“ zu präsentieren und besondere Handlungsfreiheiten in Anspruch nehmen zu können • Chancen nutzen, Timing (Bsp.): – Gelegenheiten oder Zufälle nutzen bzw. den günstigsten Zeitpunkt abwarten können, um längst vorbereitete Pläne mit Überraschungsvorteil durchsetzen zu können – verfügbar, mobil, flexibel, „Mehrzweckwaffe“ sein und sich so für Sonderaufgaben empfehlen • Informationskontrolle (Bsp.): – Informationsfilterung, -zurückhaltung, -verzerrung – gezielte Kontaktpflege zur Erschließung von Informationsquellen – intrigieren – Wissensmonopole erwerben, sich unentbehrlich machen • Kontrolle von Verfahren, Regeln und Normen (Bsp.): – Einfluss nehmen auf die Formulierung von Kontroll- bzw. Bewertungsmaßstäben – mehrere, unscharfe, widersprüchliche Kriterien bzw. Richtlinien etablieren – Regeln im eigenen Sinne „dehnen“, einseitig auslegen – Präzedenzfälle, Gewohnheitsrechte und Traditionen geltend machen • Beziehungspflege (Bsp.): – Bildung von Koalitionen, Netzwerken, Seilschaften, Promotionsbündnissen – bestechen, korrumpieren – Kontakt zu wichtigen Mentoren/Sponsoren pflegen – Don-Corleone-Prinzip: an frühere Gefälligkeiten erinnern und Gegenleistungen einfordern – durch Beziehungspflege zu Hilfspersonal (Fahrer, Telefonist, Sekretärin ...) Zugang zu Insiderinformationen sichern • Selbstdarstellung (Bsp.): – sich vorteilhaft präsentieren, Impression Management – durch auffällige Aktionen eigene Sichtbarkeit erhöhen – ins Bockshorn jagen, verunsichern, bluffen – cool bleiben, Pokerface, andere im Unklaren lassen über Ressourcen und Schmerzgrenzen – sich schwach und hilflos geben, Helfersyndrom herausfordern Situationskontrolle, Sachzwang (Bsp.): – etwas Fragliches als unstrittiges Faktum hinstellen/behandeln – Schwejkismus, Dienst nach Vorschrift, sabotieren, sich dumm stellen – Neuerungen in kleinen unmerklichen Schritten einführen – Absichten und/oder Auswirkungen verschleiern, verharmlosen

(Quelle: Neuberger, O.: 1994, S. 269 ff.)

310

9. Führungselemente

lung immer anspruchsvoller geworden und gleichzeitig mit gestiegenen Risiken verknüpft, sodass Vorgesetzte und Führungskräfte bei Entscheidungen ohne die aktive Mitwirkung ihrer Mitarbeiter schlicht und einfach immer öfter überfordert sind und daher auf deren Hilfe und konstruktiv-projektive Mitarbeit bauen müssen. Ansonsten sind durch Vorgesetzte und Führungskräfte Entscheidungsoptimierungen nicht mehr sicher zu erreichen, geschweige denn Delegationen, Anweisungen oder aufbauende Kontrollen zu bewerkstelligen. Aus diesen Entwicklungen wachsen den Mitarbeitern nicht nur neue Aufgaben und Funktionen zu, sondern auch essentielle Verantwortlichkeiten. Die Führungstheorie hat erstaunlicherweise diese immer bedeutender werdenden, aber stets vorhandenen Kernkompetenzen und Verantwortlichkeiten der Mitarbeiter zur Führung von unten nach oben nicht ausreichend erkannt und selten in den Mittelpunkt von Erörterungen gerückt, nämlich dorthin wo sie hingehören, nämlich primär zu den Führungsfunktionen der Mitarbeiter. Natürlich wurde die Teamarbeit, gutes Betriebsklima, Gemeinschaftsgefühl und Vieles behandelt. In expliziter Art und Weise erfolgte das aber viel zu wenig beim Thema Führung von unten nach oben. Die Führungspraxis zeigt demgegenüber jedoch seit langem und immer häufiger positive Beispiele der Führung durch die Mitarbeiter, die ihrem Wesen nach Formen der partnerschaftlichen Führung darstellen, d. h. bei denen sich der Zusatz „von unten“ eigentlich erübrigt. Den Vertretern der Betriebswirtschaft an den Hochschulen, besonders der Fachbereiche Unternehmensführung sowie Personal- und Führungsarbeit, sei es daher dringend ans Herz gelegt, ihren Studenten, darüber hinaus aber auch der Wirtschaft und verschiedenen Einrichtungen sowie Organisationen, diese Grundlagen und Anwendungshilfen zu vermitteln. Sinngemäß gilt das auch für die gerade schon fast „industriell“ agierenden und unzähligen Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung, aber auch für beratende Berufe. An diesen Fronten der Entwicklung von Technik, Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft wird die Wettbewerbsfähigkeit ebenso entschieden wie der Wohlstand und die Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen in ihrem Beruf und darüber hinaus. Der Grundgedanke der Führung von unten nach oben ist, wie schon angemerkt, in der Praxis nicht neu; auch nicht deren führungsmäßigen Voraussetzungen bei Mitarbeitern. Das Repertoire der Führungsinstrumente der Mitarbeiter für ihre Funktion der Führung von unten nach oben ist ein anderes als das der Führungskräfte. Die verfahrensbedingte bzw. führungstechnische Autorität scheidet bislang aus, die verhaltensbedingte Autorität ist jedoch grundsätzlich relevant. Sie erfordert bei ihrem Einsatz sicher oft besonderes Einfühlungsvermögen und die Kardinaltugend der Klugheit wird häufig unverzichtbar sein. Auf eigentliche traditionelle Machtmittel wird sich der Mitarbeiter selten stützen können. Ein konzeptionell kooperativer



9.5 Autorität311 Abbildung 9.23: Formen der Führung von unten

Führung von unten vorgesetzten initiiert

mitarbeiter initiiert

Vorgesetzte räumen den Mitarbeitern Einflusskompetenzen ein

Mitarbeiter initiieren und gestalten Einfluss

strukturell interaktiv

vorwiegend interaktiv

(Schwan, K.: Nach Wunderer, R.: 2001, S. 255)

Abbildung 9.24: Ansätze der Führung von unten und oben

„Führung von unten“

„Führung von oben“

Kipnis et al.

Wunderer

Kipnis et al.

Wunderer

1. Begründung 2. Koalition 3. Freundlichkeit 4. Verhandlung 5. Bestimmtheit 6. höhere Autorität

1. Begründung 2. Freundlichkeit 3. Bestimmtheit 4. Koalition 5. höhere Autorität 6. Verhandlung

1. Begründung 2. Bestimmtheit 3. Freundlichkeit 4. Koalition 5. Verhandlung 6. höhere Autorität 7. Sanktionen

1. Begründung 2. Freundlichkeit 3. Bestimmtheit 4. Koalition 5. Verhandlung 6. höhere Autorität 7. Sanktionen

(Schwan, K.: Nach Wunderer, R.: 2001, S. 259)

Führungsstil kommt naturgemäß der Führung von unten nach oben entgegen und Vorgesetzte werden ihn initiieren und fördern oder zumindest auf entsprechende Mitarbeiterinitiativen positiv reagieren und mittun. Die Varianten einer solchen Praxis sind vielfältig. Formale Regelungen sind sekundär. Primär geht es um funktionelles Verständnis und verhaltensbestimmte Tugenden, gemeinsame Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft entgegen dem Denken in Hierarchien, Bürokratismus, Dünkel usw. Professionalität von Vorgesetzten sowie Mitarbeitern bilden eine wesentliche Basis für die Führung von unten nach oben. Sie hilft den Wandel anzunehmen, das Or-

312

9. Führungselemente Abbildung 9.25: Rangfolgen von Einflussstrategien nach Führungsvarianten „nach unten“

„lateral“

„nach oben“

Konsulation

1

1

2

sachliche Überzeugung

2

2

1

inspirierende Vorschläge

3

3

3

Beziehungs-Taktiken

4

4

5

Koalition

5

5

4

Druck ausüben

6

7

7

höheres Management

7

6

6

Verhandlungs-Austausch

8

8

8

(Schwan, K.: Nach Wunderer, R., 2001, S. 260)

Abbildung 9.26: Strukturelle und interaktive Führungsförderung

Förderung einer Führung von unten strukturell

z. B. über – Führungskonzepte – Führungs-/Betriebsverfassung – Führungskultur über Personalmanagement, d. h. – Akquisition – Selektion – Platzierung – Arbeitsorganisation – Anreizsysteme (Schwan, K.: Nach Wunderer, R.: 2001, S. 263)

interaktiv

v. a. durch – Akzeptanz und Förderung einer Führung von unten durch den Vorgesetzten (vom Dirigenten zum Impresario) – kooperativ-delegative Führung – Anwendung von Einflussstrategien (v.a. Teamorientierung) – gemeinsame Werte und Ziele



9.6 Motivation313

ganisationsverständnis anzupassen und schließlich eine Leistungspartnerschaft im Unternehmen, in Organisationen und anderen Einrichtungen zu leben. Mit einer Führung von unten nach oben wird de facto ein zweidimensionales Führungskonzept praktiziert, bei dem die „Beziehungsgestaltung“ funktionell vor die herkömmliche „Machtgestaltung“ tritt und diese ergänzt (s. a.: Wunderer, R.: 2001, S. 258). Je nach Führungsvariante – nach unten, lateral und nach oben orientiert – ändern sich die Rangfolgen der eingesetzten Führungsinstrumente, wie eine empirische Untersuchung aus der Schweiz 1990 bei 434 berufsbegleitend studierenden MBA-Studenten ergab. Bei lateraler Zusammenarbeit fehlen eindeutige Statusdifferenzierungen (Wunderer, R.: 2001, S. 27.; Yukl, G. A. / Falbe, C. M: 1975, S. 132–140). Was dem Grundgedanke der Führung von unten nach oben allerdings widerspricht – nämlich, dass sie eine Form der partnerschaftlichen Führung ist –, sind jene gutgemeinten und seit einiger Zeit häufiger wahrnehmbaren Tipps, mit deren Hilfe Mitarbeiter mit List und Tücke ihre Vorgesetzten klug, pfiffig und durchaus zu deren Vorteil sozusagen für Etwas herumbekommen sollen. Eine partnerschaftliche Form der Führung hat solche „gut“ gemeinte Tricks nicht notwendig, denn man bewegt bei dieser Art der Führung auf gleicher Augenhöhe.

9.6 Motivation Beim Begriff Motivation spricht Reinhard Sprenger zu Recht von einem Sprachnebel (Sprenger, R. K.: 1992, S. 16). Motivation, ein viel gebrauchtes, aber auch viel missbrauchtes Wort oder kaum gebrauchtes Wort, denn unter dem Stichwort „Motivation“ findet sich in einschlägigen Handbüchern und Lexika recht wenig, wie folgende Beispiele zeigen: Mayer, A. / Herwig, B.: 1970, Bd. 9 (Betriebspsychologie), keine Begriffsdefinition als Artikel oder sonstiger begrifflicher Textbeitrag (!). Görres-Gesellschaft (Hrsg.): Staatslexikon, Freiburg 1960, 5. Band, K-Ö, kein Stichwort Motivation (!). In Gablers Wirtschaftslexikon, 1983, 2. Bd., L-Z steht unter dem Stichwort Motivation, Sp. 376 folgenden Text: „Motivation, hypothetisches Konstrukt der Psychologie zur allgemeinen Kennzeichnung der das individuelle Verhalten veranlassenden und Richtung, Inhalt und Intensität bestimmenden bewußten oder unbewußten Antriebe.“ Potthoff, E. (Hrsg.): 1978, Punkt: 2412, Autoren: Kramer, W., Winter, H.: Motivation als Führungsmittel, S. 3 ff. Das RKW schafft zwar eine weitestgehend interpretationsfreie Wiedergabe von Begriffsfragmenten, nicht jedoch eine eigene Begriffsdeutung. Der Text über 28 Seiten ist hingegen informativ.

314

9. Führungselemente

Schneck, O. (Hrsg.): 2003, S. 706 f. bietet zum Begriff Motivation folgenden Text: „Gesamtheit der in einer Handlung wirksamen Motive (Antriebe). Motive von Menschen sind Beweggründe für das Verhalten, die auf subjektiven Mangelerscheinungen basieren. Die Mangelerscheinung muss objektiv nicht vorhanden sein oder von anderen nicht als solche empfunden werden.“ Selbst Wikipedia / www bleibt bei aller Fülle an gebotenem Text zum Begriff Motivation einigermaßen kryptisch (Internet: Motivation). Grochla, E. (Hrsg.), 1980, (Handwörterbuch der Organisation), Sp. 1356– 1365: Artikel Motivation: Ausführliche Begriffsbildung, Darstellung theoretischer Ansätze zur Motivation und Verknüpfung mit Führungsprozessen. Also zum vorletzten Versuch zum Begriff Motivation, nämlich zum Duden: „Gesamtheit der Beweggründe, Einflüsse, die eine Entscheidung, Handlung o. Ä. beeinflussen, zu einer Handlungsweise anregen …“ (Internet: Motivation). Es gibt in der einschlägigen Nachschlagliteratur und ähnlichen BuchQuellen erstaunlich wenige aussagekräftige Begriffsbildungen zur Motiva­ tion. Anders ist es im Internet, wo zahlreiche auch begriffliche Quellen zur Motivation zu finden sind. Man wird daher dem Begriff Motivation und seiner Substanz offenkundig besser Schritt für Schritt mit Hilfe eines ausgewiesenen Fachmannes auf die Spur kommen, wie es zweifellos Lutz von Rosenstiel seit langem ist (Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 20 ff.): „Motivation ist ein doppelgesichtiger Begriff: a) Er dient zur Erklärung von beobachtbarem Verhalten. Das Verhalten anderer Menschen kann man beobachten, ihre Motive kann man unmittelbar nicht sehen. Man erklärt jedoch das beobachtbare Verhalten, indem man bestimmte Motive dafür angibt. Auch eigenes Verhalten sucht man gelegentlich dadurch zu erklären, daß man unbewußte Motive als Grund angibt, die – da unbewußt – nicht unmittelbar beobachtet werden können. b) Er dient auch als Begriff für direkt Erlebtes. Eigenen Hunger kann man selbst unmittelbar erleben und benennen. Benennt man das Erlebte allerdings, so abstrahiert man meist gleich […] Das sprachlich gefaßte Motiv ist somit eine Abstraktion aus dem jeweils konkreten und individuellen Erlebens- und Verhaltenskontinuum. […] Von einem Motiv spricht man dann, wenn man einen isolierten – zunächst noch nicht aktualisierten – Beweggrund des Verhaltens herausgreift […] Da menschliches Verhalten stets mehrfach und komplex motiviert ist, wird man ein Motiv kaum je im konkreten Erleben beobachten […] Von Motivation spricht man, wenn in konkreten Situationen aus dem Zusammenspiel verschiedener aktivierter Motive das Verhalten entsteht. Es ist dabei offensichtlich, daß man in der konkreten Situation motivationale Beweggründe des Verhaltens von nichtmotivationalen kaum trennen kann. In die Motivation gehen somit nicht nur die Motive ein, die auf bestimmte Ziele gerichtet sind, sondern andere für das Verhalten wichtige spezifische Einflußgrößen: spezifisch die subjektiv geschätzte Wahrscheinlichkeit des Handelnden, das Ziel zu erreichen“ (Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 20 f.).



9.6 Motivation315 „Da der „Begriff des Motivs vor allem für Erlebnistatbestände angewandt [wird] also Motive als Beweggründe des Verhaltens, die im Menschen liegen, angesehen werden können, ist der beste Weg über die Psychologie der Motive zu erfahren, in sich zu schauen, sich selbst zu beobachten, sogenannte Introspektion zu betreiben. Dabei stellt sich für motiviertes Verhalten häufig folgender Ablauf heraus: 1. Erfahrung eines Mangels [,] 2. Erwartung, daß durch ein spezifisches Verhalten der Mangel beseitigt wird [,] 3. Verhalten, von dem angenommen wird, daß es im Sinne der Erwartung zur Befriedigung führt [,] 4. Endhandlung [,] 5. Zustand der Befriedigung oder der Sättigung“ (Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 2). „Motive schwanken also zwischen Mangelzustand und Sättigung periodisch hin und her. Sie werden in der Regel nur dann bewußt und für uns bemerkbar, wenn der Mangelzustand eine bestimmte Intensität erreicht hat […] Das bewußte Motiv ist aktiviert und wird sich bei phänomenaler Analyse als Bestandteil der Motivation des nachfolgenden Verhaltens erweisen. Stellt man das graphisch dar, so ergibt sich folgendes Bild“ (Rosenstiel, L. v.: 1972, S. 23; Abb. 9.27, letzter Abs.). „Motive richten sich auf bestimmte Gegenstände der Außenwelt, die man als Ziel und Werte bezeichnet […] Werden diese Ziele nicht erreicht, so wird das erlebte Motiv in der Regel stärker, werden die Ziele erreicht, so wird das Motiv befriedigt und ist erlebnismäßig nicht mehr vorhanden […] Wer eine hohe Leistungsmotivation hat, kann zwar nach dem Erreichen eines Leistungsziels „auf seinen Lorbeeren ausruhen“, in seiner Leistungsmotivation befriedigt sein. Es ist aber auch

erlebte Motivstärke

Abbildung 9.27: Motivationsverlauf nach Stärke und Zeit

Bewußtseinsschwelle

Zeit das Motiv wird wieder bewußt

Zeitpunkt in dem das Motiv bewußt wird

Phase der Aufladung

(Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 30 f.)

Phase der Befriedigung

Phase erneuter Aufladung

316

9. Führungselemente

denkbar, daß er sein Anspruchsniveau erhöht, sich höhere Ziele setzt und dadurch weiterhin von der Leistungsmotivation in seinem Verhalten bestimmt ist. Einstellungen richten sich auch auf Gegenstände der Außenwelt, jedoch in weniger schwankender, sondern in stabiler Weise. Wenn ein Gegenstand erfahrungsgemäß gut der Motivbefriedigung gedient hat, wird ihm gegenüber eine positive Einstellung entwickelt, hat er die Motivbefriedigung behindert, so wird die relativ stabile Einstellung ungünstig sein. Einstellungen stammen also aus der Erfahrung und richten sich auf einen Gegenstand; sie sind gelernt, erleichtern dem Menschen die Orientierung in seiner Umwelt und stehen im Dienst der Bedürfnisbefriedung“ (Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 24). „Menschliche Motive sind in der menschlichen Gesellschaft, in der wir leben, unterschiedlich geschätzt und angesehen. […] Ein Mensch nennt lieber jene Gründe, durch die er – wie er glaubt – Achtung bei seinen Mitmenschen erfährt, als solche, die – seiner Auffassung nach – Verachtung durch andere nach sich ziehen. […] Er wird vielleicht sogar das Wissen um weniger erwünschte Motive in sich selbst unterdrücken, um seine Selbstachtung nicht verlieren zu müssen“ (Rosenstiel, L. v.: 1972, S. 26). Sind Motive angeboren oder gelernt? Erfolgen durch Lernen Konditionierungen? „Geht der Befriedigung eines Motivs gehäuft ein bestimmtes Ereignis zeitlich unmittelbar voraus, so entsteht ein Bedürfnis nach diesem Ereignis um seiner selbst willen und zwar auch dann, wenn dieses Ereignis ursprünglich für das Individuum völlig belanglos war“ (Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 31).

Es gibt angeborene Motive, wie beispielsweise den „Durst“, „Hunger“, nach „Wärme“ usw., die als primäre Motive benannt werden können. Ob man seinen Durst allerdings mit Coca Cola, wie vorzugsweise in den USA Abbildung 9.28: Differenzierung unspezifischer Motive durch Konditionierung angeborenes Motiv

umweltspezifische Bedürfnisbefriedigung durch:

entstehendes kulturspezifisches Motiv

Coca Cola

Bedürfnis nach Coca Cola

Bier

Bedürfnis nach Bier

Buttertee

Bedürfnis nach Buttertee

Durst

(Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 30 f.)



9.6 Motivation317 Abbildung 9.29: Motive und Mittel zum Zweck, werden zum Selbstzweck

Nahrungsmittel angeborene Motive: Hunger, Bedürfnis nach Wärme, Durst

Geld als Mittel zum Zweck

Kleidung

Getränke Wunsch nach Geld als sekundäres Motiv

(Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 32)

stillen möchte, mit Bier bei uns oder durch Buttertee wie in Tibet, ist ein sekundäres Motiv, das nach jeweiligen Gewohnheiten durch Konditionierung und Variante als Ableitung vom primären Motiv Durst entstand und gelernt wurde. Die Konditionierung erfolgt vorzugsweise dann, wenn der Befriedigung eines Motivs gehäuft ein bestimmtes Ereignis zeitlich unmittelbar voraus geht und nach diesem Ereignis ein Bedürfnis um seiner selbst willen entsteht, obwohl es zuvor für das Individuum völlig belanglos war, also ein gelerntes sekundäres Motiv und ausgegangen vom angeborenen primären Motiv, wobei kulturspezifische Einflüsse relevant sein können (s. a. Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 30 f.). Aus einem nicht angeborenen Bedürfnis nach „Geld“ kann durch Konditionierung Geld als Mittel zum Zweck der Befriedigung angeborener primärer Motive, wie Hunger, Durst usw., aber natürlich auch für andere entsprechende Dinge, in einer durch Geldwirtschaft geprägten Kultur werden. Das Geldbedürfnis kann darüber hinausgehend sich aber auch zu einem geradezu dominanten Motiv entwickeln. Das Motiv kann, beispielsweise durch Geldgier oder Geiz, so stark werden, dass es nahezu alle anderen Motive an Intensität übertrifft und sich als sekundäres Motiv verselbständigt und die angeborenen Motive nach Befriedigung von Hunger, Schutz vor Kälte etc. in weitestem Maße sprengt und zum Selbstzweck wird. Es ist ein neues sekundäres Motiv durch Konditionierung entstanden bzw. gelernt worden

318

9. Führungselemente

und: Die meisten menschlichen Motive werden erlernt (s. a. Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 31 f.). Bestehende Motive können von außen bzw. durch die Umwelt in doppelter Hinsicht beeinflusst werden. Über die Umwelt können einmal Motive gelernt und umgelernt werden. Zweitens kann die Umwelt bestehende Motive aktivieren und verstärken, und zwar beispielsweise durch Anreize der Wirtschaftswerbung, wodurch der Mensch lernt, Motive stärker und schwächer zu befriedigen. Das funktioniert dann, wenn die jeweilige Person in ihren Motiven angesprochen wird. Ob das gelingt ist fraglich, da Personen unterschiedliche Motive haben und es hängt zusätzlich davon ab, inwieweit zur Person überhaupt eine Interaktion mit dem Werber in erfolgversprechender Art und Weise erreicht werden kann. Daher sind Werbeerfolge schwer vorher zu sagen, da kollektive Motivstrukturen die Auswirkungen des jeweiligen Verhaltens grob vereinfachen (s. a. Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 33 f.). Mit Lutz von Rosenstil konnten die Begriffe und prinzipiellen Grundlagen der Motivation erläutert und damit der Weg vorbereitet werden, um das Thema Führung und Motivation zu erschließen. Auf folgende Fragen suchen wir dabei Antworten: Warum arbeiten Menschen? – Arbeiten Menschen nur des Geldes wegen? – Welche Beweggründe für berufliche Arbeit gibt es neben dem Wunsch nach Geld? – Welche Beweggründe liegen in der Arbeit selbst? – Wie erfährt man etwas über die individuellen Arbeitsmotive? – Welche Arbeitsmotive sind am wichtigsten? – Tragen alle Arbeitsmotive gleichermaßen zur Zufriedenheit bei? – Kann von einer allgemeinen Arbeitszufriedenheit gesprochen werden? – Kann es auch ein zu viel von leistungssteigernden Motiven geben? – Führt hohe Zufriedenheit stets zu hoher Leistung? (Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 43). Zum Thema Führung und Motivation gibt es verschiedene Theorien, die zum vorgenannten Themenbereich Erklärungen anstreben und vielleicht dabei hilfreich sein können: Die Vorstellungen und Theorien gehen bis in die Antike zurück. Ein Schüler von Sokrates, Aristiposs von Kyrene (um 435 v. Chr.–etwa 355 v. Chr.), heute Libyen, vertrat die Prinzipien der kyrenaischen Philosophenschule des Hedonismus, der Ideen für die Oberklasse postulierte, wie Lust und Freude und die Vermeidung von Schmerz und demnach sei Leid final wertvoll, eine also letztlich egoistische Lebenshaltung. Es war ein Konzept für ein von der Lust des Augenblicks bestimmtes und gelungenes Leben. In unsere Vorstellungswelt übertragen läge darin Ziel und Motivation des Lebens (Internet: Motivation und Hedonismus). Im 20. Jahrhundert setzten sich Sigmund Freud, Williams James, William McDougall, Burrhus Frederic Skinner und der von Skinner vertretene Be-



9.6 Motivation319

haviorismus mit Vorstellungen auseinander, die relevant zu Motiven und der Motivationen waren. Sehr wertvolle Beiträge kamen besonders von Viktor E. Frankl (1905–1997), ausgehend von der durch ihn begründeten Lehre der Logotherapie bzw. der Dritten Wiener Schule der Psychotherapie (nach der Psychoanalyse von Sigmund Freud und der Individualpsychologie von Alfred Adler). Gerade die Logotherapie mit ihrem Kernthema der Frage und dem Willen nach dem Sinn und das Leben des Viktor Frankl selbst, sind eine kaum überschätzbare Quelle für eine darauf aufbauende prospektive Motivationsforschung, die bislang leider zu wenig genutzt wurde. Einzelne Ansätze gab es aus fachspezifischen Blickwinkeln. Das erforderliche und sorgfältige ganzheitliche Erforschen und Nutzen der Vorstellungen von Viktor E. Frankl zu Themen der Motivation und Führung steht jedoch noch aus. Viktor E. Frankls Erkenntnisse und ihr Einsatz für Problemstellungen und Lösungen in den Bereichen der Gesellschaft und Wirtschaft wären zweifellos sehr zeitgemäß, wertvoll und könnten notwendige Fortschritte im Management sowie der Personal- und Führungsarbeit leisten, wie z. B. bei der Mitarbeitersuche. Der sinnorientierte Ansatz von Viktor E. Frankl harmoniert mit der wirtschaftlichen Funktion, notwendige und ethisch vertretbare Ziele und deren geeignete und gerechtfertigte Umsetzungswege zu bestimmen. Darin ist auch der Zusammenhang zwischen der Logotherapie zu sehen und dem stets wiederkehrenden Erfordernis eines Paradigmenwechsels, wie beispielsweise akut zur Überwindung neoliberaler Ideen. (Frankl, V. E.: 1977, S. 48–55; 1990, S. 271–278; Frankl, V. E., Kreuzer, F.: 1991, S. 77–87; Böckmann, W.:1980, S. 66–80; Internet: Motivation durch Sinn; Viktor Frankl; Logotherapie und Existenzanalyse). Victor Harold Vroom (1932), Montreal, entwickelte Vorstellungen zur Motivation, die den sog. Transaktionsmechanismen von prozessbezogenen Theorien zuzurechnen sind, auch bekannt unter der Bezeichnung AnreizBeitrags-Theorien. Sie versuchen zu erklären, wie und warum ein bestimmtes Handeln hervorgebracht, erhalten und / oder abgebrochen wird. Nach Vroom basiert die Motivation auf der Annahme, dass menschliche Wahlhandlungen subjektiv rational ablaufen und sich als die Energie (force) des Menschen darstellen lässt, nämlich um eine bestimmte Aktivität durchzuführen und sich dabei formal an dem Produkt subjektiver Wertgrößen (valence) einerseits sowie einer individuellen Erwartungshaltung (expectancy) andererseits zu orientieren. Die Valence ist die Attraktivität eines Ergebnisses, das bei einer Anstrengung für ein Individuum in Aussicht steht und für erreichbar gehalten wird (Internet: Victor H. Vroom) Ein Individuum wird dann motiviert seine bestimmten Handlungen aus­ führen, wenn ein attraktives Ziel und eine nachhaltige Erwartung der Zielerreichung gegeben sind, also dadurch eine Motivation entsteht bzw. vorhanden ist. Haben dabei Handlungen mehrere Konsequenzen – was durchaus

320

9. Führungselemente Abbildung 9.30: Individueller Motivationsprozess nach V. H. Vroom

vom Individuum betrachtet aufgabenbezogene Aktivität

angenommene Wahrscheinlichkeit, daß der Handlung ein bestimmtes Ergebnis folgt

erwartetes Handlungsergebnis der Aktivität

Instrumentalität des Ergebnisses für übergeordnete Ziele des Individuums Wertigkeit des HandlungsErgebnisses für die handelnde Person (Valenz)

Motivation, die betrachtete Aktivität auszuführen

(Schwan, K.: Nach Frese, E.: 2000, S. 158)

üblich ist – sind auch mehrere individuelle Valenzen und Erwartungen zu berücksichtigen, die quasi gegen einander aufrechenbar sind. Die Erwartungshaltung kann fehlen und hat dann einen Wert Null. Bei einer Verringerung der Gesamtmotivationswirkung bei mehreren Valenzen und Erwartungen kann eine negative Valenz eintreten bzw. diese unter Null liegen und



9.6 Motivation321

Vroom spricht in seinem Modell dann von Instrumentalität (instrumentality) als weiterer Größe, die aussagt, inwieweit eine Person glaubt, dass das unmittelbare Ergebnis einer Handlung zu einer Erreichung höherer Ziele beitragen kann, wobei Werte zwischen -1 und +1 angenommen werden. Mit der Einführung der Instrumentalität gelangt Vroom zu einer Über- bzw. Unterordnung der Valenzen, welche die Motivation negativ oder positiv beeinflussen kann, nämlich durch die Abwägung von Valenzen hinsichtlich eines gesamten Ergebnis des Handels des Individuum. Kritisch bzw. negativ zum Modell von Vroom ist festzuhalten, dass ein kognitive Überforderung des Individuum bei einer Modell-Handhabung als Hypothek des Modells eintreten kann. Positiv zu bewerten ist die Sicht der Motivation als Prozess mit seinen Unterschiedlichkeiten für das Motivationsverhalten Einzelner (Frese, E.: 2000, S. 156–159; Steinmann, H., Schreyögg, G.: 2000, S. 484–492). Abraham Maslow (1908–1970, USA) gilt als Begründer der Humanistischen Psychologie und wurde in der Motivationsforschung durch seine Bedürfnispyramide bekannt, die ein fünfteiliges Stufenmodell der Motivation veranschaulicht (Schwan, K.: Nach Ökonomische Universität Bratislava, Pkt: 2, Internet; siehe nächste Seite). Maslow geht davon aus, dass unbefriedigte Bedürfnisse als Motivatoren wirken, während befriedigte bzw. gesättigte Bedürfnisse nachlassen, als Motivatoren wirksam zu sein. Die motivierende Rolle müssen dann höhere Bedürfnisse übernehmen. Die Befriedigung der Bedürfnisse beginnt bei den physiologischen Bedüfnissen und endet beim Bedürfnissen der Selbstverwirklichung. Die Grundlage seiner Ansicht lag in der weltanschaulichen Vorstellung der Ganzheitlichkeit des Menschen, durch die auch die Motivation bestimmt wird und nicht nur duch einen Teil des Menschen. An der eindeutigen Definitionsmöglichkeit des Begriffes Motivation zweifelte er und betonte daher die subjektive Dimension der Motivation. Die Bedürfnispyramide, die Maslow meist zugeschrieben wird, ist eine spätere Interpretation und nicht von Maslow selbst. Sie verleitet zu einer zu statischen Sicht der Motivation, da Bedürfnisse fälschlich in einer Reihenfolge angenommen werden, nach der das aktuelle Bedürfnis einem vorangegangenen und „niedereren“ Bedürfnisses folgt. Diese Annahme ist unsinnig. Warum sollen Hunger, Durst, Wärme usw. als Bedürfnisse für die Motivation nicht mehr relevant sein, da ein Mensch sich auf einer höheren Stufe der Bedürfnisse befindet? Bedürfnisse unterschiedlichster Art und Stufe treten simultan in sicher individuell unterschiedlicher Art und Weise auf und sind als dynamischer individueller Prozess zu sehen. Es erfolg eine Überlagerung der Bedürfnisse. Kritik zu Maslow: Theoretische und empirische Fundierung unzureichend. – Gestillte Defizitbedürfnisse sind auf Dauer nicht gestillt. – Kein reales

Angliederung an andere Mitglieder, Freundschaften, zwischenmenschliche Beziehungen Materielle Sicherung, Mindesteinkommen, physische Arbeitsbedingungen

2. Sicherheitsbedürfnisse 1. Physiologische Bedürfnisse

In industriellen Organisationen weitestgehend befriedigt

Angliederung an andere Mitglieder, Freundschaften, zwischenmenschliche Beziehungen

3. Soziale Bedürfnisse

Zum Teil in industriellen Organisationen bereits befriedigte Bedürfnisse

Selbstachtung und Selbstvertrauen Anerkennung und Status

volle Verwirklichung eigener Möglichkeiten, fortschreitende Selbstverwirklichung

4. Bedürfnis nach Anerkennung und Achtung

Bedürfnis nach Selbstverwirklichung

5.

Bedürfnisse

Gegenwärtige Ansatzpunkte zur Leistungsmotivation der Mitarbeiter

Befriedigung in der industriellen Organisation nur begrenzt möglich

Ansatzpunkte

Abbildung 9.31: Interpretation der Bedüfnispyramide nach A. Maslow 322 9. Führungselemente



9.6 Motivation323 Abbildung 9.32: Dynamische Darstellung der Bedürfnishierarchie nach A. Maslow Selbstverwirklichungsbedürfnisse

Dringlichkeit (Relatives Aktivitätsniveau) Sicherheitsbedürfnisse

Zugehörigkeitsbedürfnisse

Achtungsbedürfnisse

Physiologische Bedürfnisse

Phase im Lebenszyklus (Staehle, W. H., 1999, S. 223 nach Krech, D. et al., 1962)

Abbild für Motivationen von Menschen. – Maslows Vorstellungen setzen westlich-indusriell sozialisiertes Statusdenken und Individualismus voraus und sind daher für andere Kulturkreise nicht selbsverständlich. – Einseitige Betrachtungsweisen. – Universalität von Vorstellungen können auch innerhalb einer einzelnen Kultur fehlen. – Fehlen einer Mehrdimensionalität gegenüber moderneren Motivationsmodellen. Die Vorstellungen von Maslow fanden bei Managern, aber auch bei Studenten, breite Anerkennung, da sie leicht und intuitiv zu verstehen waren. In der Aus- und Weiterbildung zum Thema „Motivation“ hatten Maslow’s Ideen einen festen Platz, teilweise bis heute. Die Bedürfnispyramide war allein vom Bild her einprägsam. Trotz ihrer Beliebtheit gab es keine empirischen Beweise und die Theorie war nicht schlüssig. Im Bereich der einschlägigen Wissenschaft gab es viel Ablehnung. Frederick Irving Herzberg (1923–2000), Psychologe und Arbeitswissenschaftler, entwickelte die Zwei-Faktoren-Theorie zur Motivation bzw. die Herzberg-Theorie und stellte sie 1959 vor. In der Folge wurde sie in Theorie und Praxis rasch zu einer der bekanntesten Motivationstheorien. Auch heute (Sommer 2015) kommt ihr noch große Bedeutung zu. Ausgangspunkt der Herzberg-Theorie war eine empirische Studie über den Zusammenhang zwischen der Bedürfnisbefriedigung am Arbeitsplatz und der Arbeitszufriedenheit.

324

9. Führungselemente

Die Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg ist eine so genannte Inhaltstheo­ rie der Arbeitsmotivation. Herzberg unterscheidet zwei Arten von Faktoren, die auf den Rahmen der Arbeit bzw. das Arbeitsumfeld einerseits und andererseits auf den Inhalt der Arbeit bezogen sind und entscheidend die Motivation bestimmen. Die bei der Abbildung als „Faktoren“ ausgewiesene „Unzufriedenheit“ und „Zufriedenheit“ sind daher keine Faktoren, sondern deren Wirkungen hinsichtlich der Motivation. Bei den „Faktoren“ unterscheidet Herzberg einmal die Hygienefaktoren und die Motivatoren. Die folgende Abbildung enthält Hauptgruppen einzelner Faktoren, wobei die jeweilige Summe der Einzelfaktoren der nachfolgenden Abbildung entnommen werden können. Sind die Hygienefaktoren erfüllt, verhindern sie Unzufriedenheit, tragen aber nur wenig zur Motivation bei. Substantiell zeigt die vorgenannte Abbildung, dass die Hygienefaktoren in etwa den Rahmenbedingungen des Arbeitsvollzuges bzw. dessen essentiellen Punkten zuzurechnen sind. Per Saldo heißt das mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass gut gelöste Rahmenbedingungen Unzufriedenheit beim Arbeitsvollzug bzw. eine daraus rührende Demotivation – für den Fall nicht ausreichender Rahmenbedingungen – vermeiden helfen, aber zur eigentlichen Motivation jedoch wenig beitragen. Die Motivatoren hingegen sind im Wesentlichen den Arbeitsinhalten zuzurechnen und es wird wiederum auf die folgende Abbildung verwiesen. Die Motivatoren erweisen sich als die entscheidenden Träger der Motivation, bestimmen jedoch nur wenig das Entstehen von Unzufriedenheit. Kurzum, positive Motivation kann über die Arbeitsinhalte erreicht werden und gleichzeitig sollte deren Konterkarieren durch Demotivation aus nicht erfüllten Hygienefaktoren vermieden werden. Entgegen der bis 1959 geltenden Ansichten zur Motivation konnte Herzberg empirisch nachweisen, dass Unzufriedenheit nicht das Gegenteil von Zufriedenheit darstellt und die Beseitigung von Unzufriedenheit auslösenden Faktoren einen Arbeitsplatz nicht unbedingt befriedigend macht. Vielmehr existiert ein duales Kontinuum: „Das Gegenteil von „Zufriedenheit“ ist „Nicht-Zufriedenheit“, und das Gegenteil von „Unzufriedenheit“ ist „NichtUnzufriedenheit“ (Robbins, S. P.: 2001, S. 197). Die Herzberg-Untersuchung zeigt, dass die positiven Motivationsfaktoren vornehmlich dem Aufgabenbereich zuzuordnen sind, ihr Fehlen wirkt sich nur bedingt negativ aus. Die negativen Motivationsfaktoren sind vornehmlich der Arbeitsumwelt zuzuordnen, ihr Vorhandensein wirkt sich nur bedingt positiv aus. Die vorgenannte Botschaft von Herzberg für die Personal- und Führungsarbeit der Führungskräfte und Mitarbeiter von Unternehmen, verschiedene



9.6 Motivation325 Abbildung 9.33: Herzberg-Untersuchung: Faktoren zur Arbeitseinstellung (Motivation)

50%

40

30

prozentuale Häufigkeit 10 0 10

20

20

30

40 50% Erfolgserlebnis Anerkennung

Arbeit selbst Verantwortungsgefühl Fortschritt Wachstum

Firmenpolitik und Verwaltung Fachl. Kompetenz d. Vorgesetzen Pers. Bez. zu Vorgesetzten Arbeitsbedingungen Einkommen Pers. Beziehungen zu Kollegen Einfluss auf Privatleben Pers. Beziehungen zu Untergebenen Status Sicherheit Bereich hoher Unzufriedenheit

1844 Ereignisse wurden auf Faktoren untersucht, die zu Unzufriedenheit führten.

Bereich hoher Zufriedenheit

1753 Ereignisse wurden auf Faktoren ­untersucht, die zur Zufriedenheit führten.

Die Tabelle gibt die Häufigkeitsverteilung der Faktoren an. (Schwan, K.: Nach verschiedener Fachliteratur)

Organisationen und Einrichtungen war klar und beeindruckend und fand daher enorme Resonanz bis heute. Sie wurde als konkrete und vergleichsweise realistisch umsetzbare Hilfe in der Führungspraxis gesehen, deren Anwendungsbereich partiell oder umfassend bei Betrieben und weitgehend unabhän-

326

9. Führungselemente Abbildung 9.34: Herzberg-Untersuchung: Verteilung Unzufriedenheit vs. Zufriedenheit Alle Faktoren, die zu Arbeitszufriedenheit führten

Alle Faktoren, die zu Arbeitsunzufriedenheit führten 69

19

Hygiene 31

80% 60

40

81

Motivatoren

20

0

20

40

60

80%

Quote und Prozentsatz (Robbins, S. P.: 2001. S. 197)

gig von Betriebsgrößen und der Art von Leistungsvollzügen oder Branchen angewendet und realisiert werden konnte. Auch die „Anreicherung“ der Arbeitsinhalte und der höheren Verantwortung von Mitarbeitern für Planungsund Kontrollfunktionen zu motivationalen Verbesserungen (Job Design, Job Enrichment, Arbeitsstrukturierungsmodelle), dürfte durch die Herzberg-Theorie in der Praxis gewonnen haben (Robbins, S. P.: 2001. S. 199). Kritik an der Herzberg-Theorie: Die erforderlichen empirischen Informationserhebungen haben Grenzen. – Erfolge schreiben sich Menschen selbst zu und Misserfolge den äußeren Umständen. – Die Methodologie der Herzberg-Theorie ist interpretationsabhängig und deshalb zweifelhaft, da es zu Fehlern kommen kann. – Gesamtzufriedenheit wurde nicht erfasst. – Theorie ist inkonsistent mit früheren Forschungen und die situativen Variablen bleiben unberücksichtigt. – Die Einbindung der Produktivität und ihre Verbindung mit der Zufriedenheit ist offen, d. h. diese wird vorausgesetzt (s. a.: Robbins, S. P.: 2001, S. 198). Douglas Murray McGregor (1906–1964) hat in seinem Buch The Human Side of Enterprise (1960) die auch in Europa sehr bekannt gewordene Theorie X und Theorie Y entwickelt und zudem Prinzipien postuliert, mit denen Führungskräfte ein Klima von Engagement und Motivation bei ihren Mitarbeitern bewirken können und sollen. Er hat Ideen von Maslow aufgenommen und popularisiert. Mit seinen Arbeiten hat er zahlreiche andere Arbeiten angeregt. Er gilt als einer der Begründer zeitgenössischer Managementgedanken (Staehle, W. H.: 1985, S. 246 und S. 248; s. a.: McGregor, D. M.: 1971, S. 47–71).



9.6 Motivation327

Die Theorie X und die Theorie Y reflektieren widersprüchliche Menschenbilder, einmal mit sehr „negativ“ eingestellten Personen bzw. Mitarbeitern eines Vorgesetzten und zweitens dem Gegenteil dieses Typus, nämlich eines „positiv“ orientierten Menschen. Zumindest bei oberflächlichen Rezeptionen der Theorie X, die in der Fachliteratur in der Form von Verkürzungen von Theorieinhalten nicht gerade selten sind, geriet McGregor unberechtigterweise in ein schiefes Licht, da seine Intentionen verkannt wurden. Die Theorie X zeichnet einen Mitarbeiter der wahrlich „demotiviert“ ist und nahe legt, dass man ihn eher autoritär und vornehmlich mit Kontrolle zur Arbeit anhalten muß. Oft wurde verkannt, dass McGregor ein kontrastreiches Modell für die Theorie Y konstruierte, das einen gegensätzlichen Mitarbeiter charakterisiert, um die Differenzen beider Menschenbilder deutlich zu machen. Bald und zunehmend bildete sich dadurch die falsche Ansicht, McGregor vertrete negative Vorstellungen und propagiere Rezepte einer autoritären Führung als erforderliche Therapien. Das Gegenteil war der Fall: McGregor vertrat die Ansicht, dass die Führungspraxis – wie er sie zur Zeit um 1960 beobachtete – oft nicht ausreichend sein könne, um zu erwartende sowie bereits eingetretene Herausforderungen an Unternehmen zu erfüllen und meinte, es sei daher erforderlich, über bessere Lösungen zum Thema Mensch und Arbeit nachzudenken. Er sah das Humankapital und damit verbundene Werte als entscheidende Ansätze für weitere Entwicklungen an. In diesem Sinne war er auch ein Befürworter der Vorstellungen von Abraham Maslow, die er in seine Arbeiten einband und zu deren Verbreitung beitrug (Staehle, W. H.: 1985, S. 248). Nachfolgend Quellen zu den Kerntexten und Abbildungen zu Illustration der Theorie X und Theorie Y von McGregor: (McGregor, D.: 1971, S. 47–71; Kirchler, E. (Hrsg.): 2005a, S. 111, nach Ulich, E.: 2001, S. 434 f.; Robbins, S. P.: 2001. S. 196): Die Arbeitshypothesen der Theorie X und der Theorie Y sind zwar holzschnittartig dargestellt, substantiell als Ansichten von Führungskräften in der Praxis jedoch gleichermaßen vorstellbar, sei es in den Jahren um 1960, als die Texte entstanden oder heute. In rund mehr als 50 Jahren seit damals haben sich Führungsvorstellungen sicher geändert, aber zwangsläufig nicht gebessert oder verschlechtert. Entwicklungen in Zeitabläufen können registriert werden, erlauben aber zunächst kein Urteil darüber, ob Rückschritte oder Fortschritte erfolgten. Vorwärts heißt weder aufwärts noch abwärts, abgesehen davon, dass solche Bewertungen relativ sind und von wertgeprägten Faktoren mitbestimmt sind. Eine vom Neoliberalismus oder autoritären Führungsvorstellungen geprägte Sicht wird zu Urteilen mit anderen Inhalten führen, als jene Urteile, die von Personen mit gegenteiligen Ansichten zu erwarten sind. McGregor stellt explizit fest, dass im Kreis von Führungskräften zwei grundsätzliche Menschenbilder präsent sind und

328

9. Führungselemente Abbildung 9.35: Arbeitshypothesen und Darstellung der Theorie X 1. 2. 3. 4.

Arbeitnehmer verabscheuen im Inneren die Arbeit und versuchen ihr bei jeder Gelegenheit auszuweichen. Da Arbeitnehmer Arbeit nicht mögen, müssen sie, um bestimmte Ziele zu erreichen, gezwungen, kontrolliert oder mit Strafen bedroht werden. Wo immer möglich, werden Arbeitnehmer jeder Verantwortung ausweichen und nach formaler Anleitung suchen. Die meisten Arbeiter bewerten Sicherheit höher als alle anderen arbeitsbezogenen Faktoren und legen generell wenig Ehrgeiz an den Tag.

bestätigt

Theorie X

strenge Vorschriften und Kontrolle

Verantwortungsscheu, keine Initiative

führt zu

daraus folgt

passives Arbeitsverhalten

bewirkt

(Robbins, S. P.: 2001. S. 196; Ulich, E.: 2001, S. 434 f., s. a. Kirchler, E. (Hrsg.): 2005a, S. 111)

Abbildung 9.36: Arbeitshypothesen und Darstellung der Theorie Y 1. 2. 3. 4.

Arbeitnehmer können ihre Arbeit als ebenso natürlich empfinden wie Ausruhen oder Spielen. Wenn Menschen an bestimmten Zielen gelegen ist, dann praktizieren sie Selbstkontrolle. Der Durchschnittsmensch kann lernen, Verantwortung zu akzeptieren und sogar zu erstreben. Die Fähigkeit zu innovativen Entscheidungen findet sich in der gesamten Bevölkerung und beschränkt sich nicht unbedingt auf Personen in Managementpositionen.

verstärkt

Theorie Y

Handlungsspielraum, Selbstkontrolle

Initiative und Verantwortungsbereitschaft

führt zu

daraus folgt

Engagement für die Arbeit

ermöglicht

(Quelle: Robbins, S. P.: 2001. S. 196; Ulich, E.: 2001, S. 434 f., s. a. Kirchler, E. (Hrsg.): 2005a, S. 111)



9.6 Motivation329

zwischen diesen und dem Führungsverhalten zirkuläre Beziehungen bestehen. Anders ausgedrückt, das Menschenbild des Vorgesetzten und auch seine Führungspraxis bestimmen das Mitarbeiterverhalten (Wolf, J.: 2003, S. 190). Seit 1960 bis heute sind sicher alle Varianten in der Praxis realistisch vorstellbar und tatsächlich anzutreffen. Der substantielle Mix der Meinungen hat sich sicher geändert, da sich das gesellschaftlich-wirtschaftliche Umfeld tiefgreifend verändert hat und Anpassungen im Denken und Handeln erforderten. Sei es durch gestiegene Komplexität und Raschheit der Leistungsvollzüge, die zunehmende Globalisierung, die enorm gewachsene Bedeutung von Wissenschaft, Forschung und der Informationstechnologien, geänderte Qualifikationsprofile und Mitarbeitererwartungen, gewachsene oder geschrumpfte Einwirkungsgrenzen der Vorgesetzten, gesellschaftliche Veränderungen mit gestiegener Mündigkeit der Menschen, Krisen usw. Die Theorie X von McGregor reflektiert nach dessen eigener Ansicht eine Irrlehre und Summe von Vorurteilen, ebenso wie seine Theorie Y eher ein idealistisches, aber gewünschtes Bild des Menschen gibt. Er vertritt auch die Ansicht, dass der Durchschnittsmensch weder passiv und gleichgültig ist, noch „an die Hand genommen werden“ muss, d. h. Motivation, Entwicklungspotentiale und Verantwortungsbereitschaft sind potentiell vorhanden. Menschen lassen sich lenken und motivieren. Führungskräfte haben dieser Funktion gerecht zu werden, d. h. im Sinne der Theorie Y Mitarbeiter zu fördern und zu fordern (Kirchler, E. et al.: 2005b, S. 109 f.; s. a.: Gellerman, S. W.: 1973, S. 97–110). Die Zeit von etwa 10 Jahren insgesamt – um das Jahr 1960 herum – waren eine sehr fruchtbare Phase der Entwicklung von Theorien und von Ansätzen zur Realisierung einer zeitgemäßen Motivation. Einige wesentliche Vertreter – meist aus den USA – seien ergänzend kurz genannt (Quellen: Kirchler, E. et al. 2005, S. 112–125; Robbins, S. P.: 2001, S. 199–219): Chris Argyris (1923–2013), Mitbegründer der Organisationsentwicklung, u. a. Schwerpunkte, wie: „Lernende Organisation“ (Individuelle Persönlichkeit, Formale Organisation, Strukturen informeller oder sozialer Systeme), Verhalten in Organisationen, Arbeitsteilung und Spezialisierung, Kontrollspanne, Zentralisierung und Hierarchie, Unterschied von beratenden und entscheidenden Positionen (Internet: Chris Agyris). James G. March (geb. 1928), Herbert Simon (1916–2001; Nobelpreisträger) und Richard Cyert (1921–1998) erforschten gemeinsam organisationales Verhalten, u. a. zu Themen, wie: Organisation und Entscheidungsverhalten, behavioristische Theorie der wirtschaftlichen Organisation, Organisation als System entscheidungstreffender Individuen, „bounded rationality“ = Entscheidungsverhalten auf der Basis begrenzter Informationsverarbeitungskapazitäten und nach Maßgabe der Erwartungen der Entscheidungsträger,

330

9. Führungselemente

Entscheidungsprozesse unter Bedingungen der Macht und der Durchsetzung individueller Interessen und „Side Payments“ = Zugeständnisse und Entgegenkommen mit Risiken der Fehlsteuerung von Organisationen (Ressourcenreduktion, Weiterentwicklung), Arbeitsteilung und Spezialisierung, Autorität und Kontrollspanne (Internt: James G. March; Herbert Simon; Richard Cyert). Clayton Alderfer (geb. 1940) hat die ERG-Theorie (Existence, Relatedness and Growth) als eine Bedürfnistheorie für Mitarbeiter in Unternehmen entwickelt und dabei Maslow’s Bedürfnishierarchie überarbeitet, um sie besser mit der empirischen Forschung abzustimmen. Er unterscheidet Existenz-, Beziehungs- und Wachstums- bzw. Selbsterfüllungsbedürfnisse, also 3 statt 5 (Maslow) Hauptbedürfnisse. Ferner können mehrere Bedürfnisse gleichzeitig wirken. Bleibt die Erfüllung eines höheren Bedürfnisses versagt, nimmt der Wunsch der Befriedigung eines niederen Bedürfnisses zu (Internet: Alderfer, Clayton P.). David McClelland (1917–1998) entwickelte mit seinen Mitarbeitern eine Motivationstheorie, die auf der Persönlichkeitstheorie des Psychologen Henry Murray (1893–1988) aus dem Jahre 1938 aufbaute, die sich u. a. mit dem Thema Leistungsmotivation befasste. McClelland’s Theorie geht von den Bedürfnissen Leistung, Macht und Zugehörigkeit aus. Die subjektive Bedeutung von Bedürfnissen variiert stark und hängt u. a. vom kulturellen Hintergrund des Einzelnen ab. Es werden jene Persönlichkeitsprägungen und Motive von Personen untersucht, die sich zu einem der genannten Bedürfnisse besonders hingezogen fühlen. Die betriebliche Aufgabenverteilung kann sich daran möglicherweise orientieren (TAT / Thematischer Apperzeptionstest). Den Motivationskomplex hält McClelland für die Evolution von Gesellschaften relevant (Internet: McClelland, D.). Die Motivationstheorien mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen, Ansätzen und Inhalten, aber auch mit verschiedenen intensiven Verbindungen untereinander – Letzteres bedingt auch durch die Entstehung verschiedener Motivationstheorien um das Jahr 1960 in den USA und die Kontakte der Motivationsforscher untereinander – legt es nahe, die einzelnen Motiva­ tionstheorien nach ihren Exponenten – deren Namen sich auch häufig in den Theoriebenennungen wiederfinden – zeitlich geordnet zu behandeln. Es gibt aber auch ein anderes Ordnungs- und Gliederungsschemata, welches nach jeweiligen Inhalts- und Intentionsschwerpunkten vorgeht. Dadurch ergeben sich zwangsläufig Abgrenzungsfragen, da einzelne Motivationstheo­ rien regelmäßig mehrere Inhalte und Intentionen verfolgen, was sich allein aus der Komplexität und der Dynamik des Themas Motivation und seiner Entwicklungen ergibt, die ja auch Veränderungen der relevanten Umwelten reflektieren und Teil der genannten Komplexität sind.



9.6 Motivation331

Folgendes Schema findet sich bei Robbins (Robbins, S. P.: 2001. S. 217 f.): Bedürfnistheorien, zu denen 4 Theorien gerechnet werden: Maslow’s Theorie der Bedürfnishierarchie – Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg – ERGTheorie von Alderfer – McClellands Bedürfnistheorie. Zieltheorien: Edwin A. Locke (geb. 1938), Psychologe und Gary P. Latham, Psychologe sagten, dass Ziele Menschen motivieren und unmittelbare Regulatoren des Handelns sind. Ziele sollen herausfordernd und präzise sein und regelmäßig kontrolliert werden. Ausdauer, Richtung und die hinter den Zielen stehende Strategie werden durch Ziele gefördert. Balanced Scorecard und Management by Objektives seien dabei gute Hilfsmittel. Die Goal-Setting-Theory wurde in den Jahren 1990 (Locke) und 2002 (Latham) publiziert (s. a.: Steinmann, H., Schreyögg, G.: 2000, S. 493–494). Die Verstärkungstheorie geht von einem kognitiven externen Ansatz aus und argumentiert im Sinne des Behaviorismus, dass Verhalten durch Verstärkung konditionierbar ist und dabei die Umwelt maßgeblich sei. Innere kognitive Vorgänge spielen nach dieser Theorie kaum eine Rolle. Daher steht sie im Gegensatz zur Zielsetzungstheorie. Es bestehen Zweifel, ob die Theorie überhaupt den Motivationstheorien zurechenbar ist. Ihre Intentionen zur „Verstärkung“ basieren im Wesentlichen auf Vorstellungen von Lerntheorien und operativen Programmen und Weisungstechniken. Begründer der Verstärkungstheorie ist Burrhus Frederick Skinner (1904–1990), Psychologe (Internet: Skinner, F. B.). Die Gleichheitstheorien gehen zurück auf Jean Stacy Adams (1925–1984), Sozialpsychologe, der erklären wollte, wie Motivationsprozesse verlaufen. Er ging davon aus, dass Personen danach trachten in sozialen Beziehungen für ihren Einsatz eine faire Gegenleistung zu erhalten. Ist das nicht der Fall, entsteht ein Ungleichgewicht, das Betroffene durch unterschiedliche Reaktionen ausgleichen wollen. Das Prinzip der relativen Gleichheit kann einmal bei Ungleichheit zu einer Kompensation, z. B. Mehrzahlung, oder eine Abwertung, wie Minderbezahlung der „Überbezahlung“, erreicht werden. Das genannte Prinzip ist in der Personal- und Führungsarbeit der Praxis sehr wesentlich geworden, beispielsweise beim Prinzip der relativen Lohngerechtigkeit, einem Kernpostulat der betrieblichen Lohnpolitik, aber auch in vielen anderen Bereichen, wo es um „Gerechtigkeit“ geht (s. a.: Internet: Equity-Theorie). Die Erwartungstheorie entspricht dem individuellen Motivationsprozess nach V. H. Vroom, der bereits an anderer Stelle der vorliegenden Ausarbeitung behandelt wurde und auf die verwiesen wird. Robbins macht den Versuch verschiedene Motivationstheorien zu integrieren (Robbins, S. P.: 2001, S. 214 f.) und in einer Abbildung darzustellen,

332

9. Führungselemente Abbildung 9.37: Integration von Motivationstheorien hohes Leistungsbedürfnis Gleichgültigkeitsabwägung o :o A B

Gelegenheit

Kriterien der Leistungsbeurteilung

Fähigkeiten

individuelles Bemühen

individuelle Leistung

objektive Leistungsbeurteilung

Belohnung der Organisation

Verstärkung

persönliche Ziele dominante Bedürfnisse

Ziele steuern das Verhalten (Quelle: Robbins, 2001, S. 214 f.)

was einmal bei einem so hochkomplexen Thema wie der Motivation nur teilweise gelingen kann. Zum anderen sind die Theorien so unterschiedlich, wenngleich sie nur selten in einem widersprüchlichen Wettstreit stehen, dass eine zweidimensionale Abbildung einfach an Grenzen der Informationsmöglichkeiten stößt. Das Schema baut daher erwartungstheoretisch auf folgendem Grundgedanken bzw. Arbeitshypothese auf: Individuelles Bemühen → Individuelle Leistung → Belohnung der Organisation → persönliche Ziele. Um diesen Prozess werden verschiedene theorienrelevante Einflussfaktoren angeordnet. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Motivation in Theorie und Praxis ist für die Funktionen einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit allein durch die grundsätzliche Frage begründet „Warum arbeiten Menschen?“ Davon leiten sich weitere Fragen ab, wie sie Lutz von Rosenstiel beispielhaft formulierte und die im Zusammenhang mit der begrifflichen Erläuterung des Begriffes Motivation bereits zitiert wurden (Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 31). Mikroökonomisch ergibt sich daraus unmittelbar, dass Motivation das Herzstück jeglicher Führungslehre ist. Sinngemäß



9.6 Motivation333

gilt das aber weit darüber hinaus, nämlich ganz generell auch für die Makroökonomie, die Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur usw. Die Frage nach den Motiven des Tuns stellt sich bei jedem Handeln oder Nicht-Handeln und ist ein Teil der personalen Identität und Verantwortung. Nach Viktor E. Frankl ist es die Frage und der Wille zum Sinn (Frankl, V. E.: 1978, S, 9–36). Bei Unternehmen und anderen Einrichtungen gibt es natürlich auch Motivationen, die von einzelnen Menschen oder Gruppen rühren und personale Verantwortlichkeiten begründen. Walter Böckman stellt hierzu fest: „Den meines Erachtens entscheidenden Schritt zur Loslösung von allen Systemen, die dem Menschen als Verhaltensnorm übergestülpt bzw. als Richtschnur vor die Nase gehalten werden, ohne ihn deshalb aus seinen soziokulturellen Bezügen zu lösen, vollzieht Viktor E. Frankl mit dem von ihm konstatierten „Willen zum Sinn“. Seine herausragende Leistung besteht in der konkreten Operationalisierung dessen, was für den Menschen als Sinn erfahrbar und realisierbar ist“ (Böckmann, W.: 1980, S. 66). Lutz von Rosenstiel zitiert dazu einige bedeutende Unternehmer. Die Zitate von ihnen stammen aus der Zeit anfangs der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts und betrafen quasi die „Sinnfrage“ und stehen in einer langen Tradition von Unternehmeraussagen, die seit dem Beginn der Industrialisierung etwa ab 1830 in Europa erfolgten und in eine ähnliche Richtung gehen (Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 9): „… bin ich doch heute der Meinung, dass die unternehmerische Welt in ihrer derzeitigen Form ihrem Ende entgegengehen müßte, wenn nicht dem Unternehmer der Ausbruch gelänge aus dem engen Gehäuse seiner geschäftlichen Tätigkeit, wenn er sich nicht als ein aktives Element einer Lebenswelt zu betrachten lernt, die man als kulturell, religiös, politisch bezeichnen mag – einer Lebenswelt auf alle Fälle, die in moralische Kategorien hinübergreift, wobei sich wirtschaftliche Leistung von selbst versteht, deren fundamentale Notwendigkeit nur aus Kurzsichtigkeit oder aus gezielter Absicht in Zweifel gezogen werden könnte …“, Hans L. Merkle, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, vor dem Baden-Württembergischen Unternehmertag 1971 in Stuttgart. „… die Welt, der wir in den 70er Jahren gegenüberstehen, wird ungeheuer verschieden sein von der, die wir in den 50er und 60er Jahren kannten. Es mag sein, dass wir in der Zukunft nicht mehr allein nach dem geschäftlichen Erfolg bewertet werden, sondern dass wir nur noch in dem Maße geduldet werden, in dem wir unsere Nützlichkeit als Institution beweisen, die für die gesamte Gesellschaft von Wert ist …“, T. V. Learson, IBM-Präsident, 1969, gegenüber seinen Mitarbeitern. „… eine wachsende Anzahl amerikanischer Industrieller erkennt, dass Gewinnmaximierung nicht über gesellschaftliche und soziale Verpflichtungen geht …“, Fortune-Untersuchung.

Lutz von Rosenstiel folgert daraus u. a.: „… Eine Organisation unterliegt nicht nur den Gesetzen des Wettbewerbs, sie muß auch den sich wandelnden Forderungen der Gesellschaft Rechnung tragen, da sie ja selbst ein Teil

334

9. Führungselemente

der Gesellschaft ist …“ (Rosenstiel, L. v.: 1972a, S. 10). Es gehört zu den Leistungen der Organisationskultur und von Transformationen, verfestigte Kulturen zu verlernen und neue zu erlernen, um gegebenenfalls erforderliche Anpassungen zu vollziehen. Solche Prozesse sind sehr anspruchsvoll und diffizil (s. a. Schein, E. H.: 2003, S. 115–136). Damit wird im Zusammenhang mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 deutlich, wo hinsichtlich der Motivation u. a. die Hebel anzusetzen sind, um bei den entscheidenden Wurzeln der Ursache der Krise anzusetzen, nämlich den neoliberalen Ideen und deren Umsetzung. Die falschen Paradigmen, von denen das Unglück ausging, wird man „verlernen“ müssen und durch einen Paradigmenwechsel jene normativen Werte zu verankern, die bessere Orientierungen und Entwicklungen ermöglichen. Diese Grundformel klingt einfach, sie zu realisieren ist jedoch höchst mühevoll und braucht viel Zeit. Edgar H. Schein (1928) erarbeitete hierzu wegweisende Vorgehensweisen (s. a. Internet: Schein, Edgar. H., 1.). Edgar H. Schein versteht Organisationskultur als „… ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme, externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat, und das somit als bindend gilt; 
und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird“ (Internet: Schein, Edgar. H., 2.).

9.7 Sensitivität Da der Begriff der Sensitivität in vielen Fachbereichen, wie Statistik, Medizin, Biologie, Ökologie, Psychologie, Betriebswirtschaft usw. ein oft und unterschiedlich gebrauchter Begriff ist, liegt es nahe, etwas genauer zu definieren und zu erläutern, was im Zusammenhang mit mitarbeiterbezogenen Führungsaufgaben und dem Begriff der Sensitivität verstanden wird. August Sahm meint hierzu intentional: „Die kooperative Führungsform kann nur gelingen, wenn der Vorgesetzte Achtung vor der Persönlichkeit und Einfühlungsvermögen in die Gefühlswelt seiner Mitarbeiter entwickelt“ (Sahm, A.: 1977, S. 29). Empathie und Sensitivität sind synonym. Daniel Goleman ergänzt Sahm, wenn er zur Empathie schreibt: „Die Grundlage der Empathie ist Selbstwahrnehmung; je offener wir für unsere eigenen Emotionen sind, desto besser können wir die Gefühle anderer deuten“ (Goleman, D.: 2001, S. 127). Wer sich über seine eigenen Gefühle im Unklaren ist, kann Empfindungen anderer schwerer wahrnehmen, da sein Einfühlungsvermögen in Andere vermutlich engere Grenzen hat, beispielsweise durch Gefühlskälte oder durch fokussierende Fixierungen auf irgendwelche verfolgte Absichten und Funktionen, die ein rationales und emotionales Erken-



9.7 Sensitivität335

nen komplexer Erscheinungen in ganzheitlichem Sinne verstellen. Das Führungselement Sensitivität sollte daher ein Qualifikation des Vorgesetzten bzw. der Führungskraft sein, bei der sozusagen eine zweiseitige Offenheit praktiziert wird, nämlich einmal durch die Führungskraft bei den eigenen rationalen, emotionalen Gedanken sowie Empfindungen und ebenso zum Zweiten die Offenheit gegenüber den der Führungskraft anvertrauten Mitarbeitern. Bei der Führungskraft besteht eine Bringschuld und Verantwortlichkeit, die über einen wesentlichen Teil der Qualität und des Erfolges einer zeitgemäßen Führungsarbeit entscheiden kann. Dazu zählt auch, seine eigenen Gefühle äußern zu können. Gezeigte Emotionen können – im positive Sinne – ansteckend und dadurch helfend sein (Goleman, D.: 2001, S. 147 und S,149 f.), und zwar einmal für den angesprochenen Mitarbeiter und zweitens für die Führungskraft selbst, die entsprechenden Resonanz erfährt. Sensitivität ist ein hochrangig verhaltensbestimmtes Führungselement zur Pflege und Gestaltung der Beziehungen zwischen einer Führungskraft und seinen Mitarbeitern. Beziehungen sind stets wechselseitig und somit sind alle Beteiligten funktionell, rational und emotional bei deren Gestaltung eingebunden, angeregt und gehalten, dazu wiederum kooperativ einen Beitrag zu leisten und hierfür Verantwortung zu übernehmen. Praktizierte Sensitivität generiert damit wertvolle Verstärkungseffekte für Intentionen einer mitarbeiterzentrierten Personal- und Führungsarbeit. Sensitivität als Führungselement einzusetzen und sinnvoll zu nutzen ist anspruchsvoll und weitaus mehr, als lediglich eine Führungs- und Kommunikationstaktik. Sensitive Mitarbeiterorientierung ohne personalen Tiefgang bis hin zu schlitzohrigen Manipulationsversuchen eines Vorgesetzten, der die Funktionen der Führungskraft mimt statt lebt – um auch einmal negative Haltungen und Beispiele falsch verstandener Sensitivität zu nennen –, kann nicht lange funktionieren. Fehlt den Sensitivitätsversuchen des Vorgesetzten die unerlässliche redliche Basis und menschliche Verbundenheit, werden sie rasch als unecht erkannt. Niemand liebt falsche Töne, möchte an der Nase herum geführt und für einfältig gehalten werden. Mitarbeiter fühlen sich vom Vorgesetzten als naiv bewertet, da der Vorgesetzte ja durch sein Theater dem Mitarbeiter signalisiert, dass der Vorgesetzte ihn als argloses Gemüt einschätzt und meint, dass der Mitarbeiter das nicht mitbekommt. Was meist ein Irrtum ist. Die damit verbundene, peinliche und beschämende Selbsttäuschung der sich damit selbst abqualifizierenden Führungskraft, erweist sich damit und nachvollziehbar vielfach als ein massiver Angriff auf das Selbstwertgefühl des betroffenen Mitarbeiters. Mit dem kleinkarierten, erodierenden und kontraproduktivem Missbrauch der Führungsfunktion Sensitivität wird Vertrauen verspielt und womöglich auch noch in geradezu zynisch sowie schamloser Art und Weise vom Mitarbeiter gesteigertes Engagement erwartet.

336

9. Führungselemente

Sensitivität bedient sich – bewusst oder meist unbewusst – häufig nonverbaler Zeichen und damit auch emotional bestimmter Ausdrucks- und Verhaltensformen. Die Wirkung des eigenen Gesichtsausdruckes auf sein Gegenüber kann ein Vorgesetzter kaum bewerten, da er sein Gesicht nicht selbst wahrnimmt. Bekanntermaßen ist aber gerade der Gesichtsausdruck für einen Gesprächspartner ein sehr starkes Signal, das durchaus orientierend und verhaltensbestimmend sein kann. Je nach dem, ob es einen heiteren, zweifelnden, wohlwollenden oder ablehnenden Ausdruck usw. vermittelt. Dafür haben Menschen unstrittig ein feines Gespür und Reaktionsvermögen. Wahrnehmungen von ehrlichem und offenem Verhalten werden geschätzt und helfen im Allgemeinen den Beteiligten weiter. Das Gegenteil stiftet Misstrauen, Ärger und ist konfliktträchtig. Empathie schlägt um in Antipathie. Manche Führungskräfte mögen ein Talent haben, die Sensitivität als Führungselement gut zu beherrschen, andere weniger. Empfindsamkeit für Gefühle, Gedanken, Botschaften und Zustände, Intuition, Hell- und Weitsichtigkeit usw. sind Eigenschaften, die für den Begriff und die Inhalte der Sensitivität sehr relevant sind. Die knappen Aufzählungen zeigen aber auch, wie anspruchsvoll das Führungselement der Sensitivität sein kann. Entscheidungen beispielsweise, die durch wachsende Komplexität mit tendenziell steigenden Risiken und Unsicherheiten einhergehen, erfordern neue und nicht-rationale Entscheidungselemente. Die Sensitivität, welche die Entscheidungsträger und Verantwortlichen für Entscheidungsprozesse haben oder die fehlen kann, können die Qualität der Prozesse der Willens- und Entscheidungsbildung mit Hilfe gut oder gering entwickelter sensitiver Eigenschaften fördern oder verringern. Fehlt diese Sensitivität weitgehend, sind schlechtere Entscheidungsresultate zu befürchten, da entscheidungsrelevante Signale eben zu wenig oder gar nicht wahrgenommen werden. Solche und andere Zusammenhänge zeigen die substanzielle und wichtiger werdende Rolle der Sensitivität auf. Entscheidungsprozesse waren auch früher häufig schwierig und komplex. Es war auch damals nicht einfach, die Vielfalt jeweiliger Entscheidungsfaktoren einigermaßen zu überblicken, einzuschätzen und zu beherrschen. Der Faktor Sensitivität war somit stets von erheblicher Bedeutung. Bei den gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungen kommt hinzu, dass durch gesellschaftliche Entwicklungen – beispielsweise bessere Ausund Weiterbildung, die gestiegene Bedeutung und der Wettbewerb um gute Mitarbeiter, die Intensivierung der internationalen Geschäftstätigkeit bis hin zur Globalisierung, politische Strömungen zur stärkeren Mitsprache und Beteiligung der Menschen in vielen Lebensbereichen usw. – die Mündigkeit und Erwartungshaltungen der Menschen größer wurden und – Gott sei Dank – ihre Frustrationstoleranzen kleiner geworden sind. Das erfordert zweifellos mehr Sensitivität aller Beteiligten, um derart veränderten Entwicklungen einigermaßen gerecht zu werden. Für Menschen in verantwortlichen Positionen



9.7 Sensitivität337

in Wirtschaft und Gesellschaft steigen dadurch generell die Qualitätserfordernisse für ihre Führungsfunktionen. Das gilt besonders auch für die Handhabung des verhaltensbestimmten Führungselementes der Sensitivität. Das Thema der Sensitivität als Führungselement ist so wichtig geworden, dass es nicht mehr – wie es noch in den 90iger Jahren des 20. Jahrhundert geschah – den Kategorien des Auf und Ab der Management-Methoden zugerechnet werden kann. Noch weniger ist es heute möglich „Emotionalität“ einfach in die Schublade für wechselnde Management-Moden abzulegen oder bei Bedarf herauszuholen, wie das damals auch passierte (s. a.: Neuberger, O.: 1994, S. 150). Sensitivität ist mehr als lediglich eine instrumentelle Taktik, die als gelegentliches Reparaturwerkzeug für Schadensbehebungen eingesetzt wird. Ab Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts waren die angedeuteten und eher negativen Vorstellungen über Sensitivität zum guten Teil auch eine Reflexion neoliberalen Gedankengutes, die den für Europa bis dahin prägenden Ideen und Wertvorstellungen der Sozialen bzw. später der Ökosozialen Marktwirtschaft mit zunehmendem Gewicht entgegenstanden und sehr erhebliche Bedeutung erlangten. Die ethisch und philosophisch fundierten Sozialprinzipien der Katholischen Soziallehre – nämlich der Personalität, Solidarität und Subsidiarität – waren und sind tragende moralische Fundamente der Sozialen oder Ökosozialen Marktwirtschaft, die den schlichten und egozentrischen Theorien und Postulaten des Neoliberalismus fremd waren. Das Primat der einseitig interpretierten Individualfreiheit bzw. Egozentrik hat mit jenem der Personalität sehr wenig zu tun, da darunter im Kern das Menschenbild von der unantastbaren Würde eines jeden Menschen verstanden wird, das verbunden ist mit der Solidarität, die zum Prinzip der Sozialen Gerechtigkeit führt. In Letzterem zeigt sich der krasse Widerspruch zur Egozentrik des Neoliberalismus. Der tragende Kerngedanke des Neo­ liberalismus ist die Fokussierung auf das Primat der individuellen Freiheit, das de facto mit Egozentrik gleichgesetzt wurde. Sensitivität hingegen ist ein wertbezogenes und verhaltensbestimmtes Führungselement, mit dessen Hilfe Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern – aber auch beispielsweise zu Geschäftspartnern – optimaler gestaltet werden sollen. Neoliberale präferenzielle Egozentrik versus Sensitivität als sozialer Kategorie sind unvereinbar mit den wenigen und selbstsüchtigen Dogmen des Neoliberalismus, wie sie in der Version von Milton Friedman konzipiert wurden, also einem der wichtigsten ideellen Führer dieser Richtung. Von den Neoliberalen der USA erfuhr dieses Konzept zudem weitere Simplifizierungen und Zuspitzungen. Für die intellektuellen und moralischen Irrwege des Neoliberalismus mit ihren weltweiten Konsequenzen und der dadurch entscheidend ausgelösten

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9. Führungselemente

und nicht ganz richtig benannten Finanz- und Wirtschaftskrise, genauer also der 3.Weltwirtschaftskrise ab 2007, wurde bis heute wahrlich teuerstes Lehrgeld gezahlt. Es ist zu hoffen, dass endlich begriffen wird: Nur ein tiefgreifendes und moralisches Umdenken und Handeln schafft eine Chance zur Verhinderung einer weiteren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und weltweiten Katastrophe. Daher ist ein tiefgreifender Ersatz neoliberaler Paradigmen unerlässlich, um über einen Paradigmenwechsel die Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur durch eine Neuorientierung möglichst davor zu bewahren, ein ähnliches oder schlimmeres Schicksal wie die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nochmals erleiden zu müssen. Offenbar hat es Papst Franziskus (1936) bedurft, des früheren argentinischen Kardinals Jorge Mario Borgolio SJ, um wieder einmal die Welt wachzurütteln, Orientierungen zu geben und Fortschritte für Korrekturen der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und die Kirche selbst zu fordern. Alle Bereiche und die dafür Verantwortlichen sind durch sein Schreiben Evangelii Gaudium (Die Freude des Evangeliums …) vom 24.11.2013 zum Aufbruch aufgefordert. Unter der Überschrift Einige Herausforderungen der Welt von heute und unter den Ziffern 52–55, 57–58 und 60 sind die folgende Texte als Zitate zu lesen, wobei die Aussagen von unmittelbarer Relevanz und Eindrücklichkeit für das Thema und Anliegen der vorliegenden Arbeit sind, nämlich dem Erfordernis des genannten Paradigmenwechsels. Seit Beginn seines Pontifikates am 13.03.2013 nutzt Papst Franziskus unermüdlich jede sich bietende Möglichkeit, um auf die sozialen Nöte unserer Zeit, besonders auch deren Verstärkung durch die Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, eindringlich und appellierend hinzuweisen und fordert beschwörend eine Neuorientierung, beherztes und zielstrebiges Handeln, wie es auch sein ­Schreiben Evangelli Gaudium klar und resolut einfordert: „… Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass der größte Teil der Männer und Frauen unserer Zeit in täglicher Unsicherheit lebt, mit unheilvollen Konsequenzen. Einige Pathologien nehmen zu. Angst und Verzweiflung ergreifen das Herz vieler Menschen, sogar in den sogenannten reichen Ländern. Häufig erlischt die Lebensfreude, nehmen Respektlosigkeit und Gewalt zu, die soziale Ungleichheit tritt immer klarer zutage. Man muss kämpfen, um zu leben – und oft wenig würdevoll zu leben Ziff. 52]. Ebenso wie das Gebot ‚du sollst nicht töten‘ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein ‚Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen‘ sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Das ist Ausschließung. Es ist nicht mehr zu tolerieren, dass Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit. Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stär-



9.7 Sensitivität339 keren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichte macht. Als Folge dieser Situation sehen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg. Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die ‚Wegwerfkultur‘ eingeführt, die sogar gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht ‚Ausgebeutete‘, sondern Müll, ‚Abfall‘ [Ziff. 53]. In diesem Zusammenhang verteidigen einige noch die ‚Überlauf‘-Theorien (trickle-down Theorie), die davon ausgehen, dass jedes vom freien Markt begünstigte Wirtschaftswachstum von sich aus eine größere Gleichheit und soziale Einbindung in der Welt hervorzurufen vermag. Diese Ansicht, die nie von den Fakten bestätigt wurde, drückt ein undifferenziertes, naives Vertrauen auf die Güte derer aus, die die wirtschaftliche Macht in Händen halten, wie auch auf die vergötterten Mechanismen des herrschenden Wirtschaftssystems. Inzwischen warten die Ausgeschlossenen weiter. Um einen Lebensstil vertreten zu können, der die anderen ausschließt, oder um sich für dieses egoistische Ideal begeistern zu können, hat sich eine Globalisierung der Gleichgültigkeit entwickelt. Fast ohne es zu merken, werden wir unfähig, Mitleid zu empfinden gegenüber dem schmerzvollen Aufschrei der anderen, wir weinen nicht mehr angesichts des Dramas der anderen, noch sind wir daran interessiert, uns um sie zu kümmern, als sei all das eine uns fern liegende Verantwortung, die uns nichts angeht [Ziff. 54]. Einer der Gründe dieser Situation liegt in der Beziehung, die wir zum Geld hergestellt haben, denn friedlich akzeptieren wir seine Vorherrschaft über uns und über unsere Gesellschaften. Die Finanzkrise, die wir durchmachen, lässt uns vergessen, dass an ihrem Ursprung eine tiefe anthropologische Krise steht: die Leugnung des Vorrangs des Menschen! Wir haben neue Götzen geschaffen. Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs (vgl. Ex 32,1–35) hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel [Ziff. 55]. Die Ethik – eine nicht ideologisierte Ethik – erlaubt, ein Gleichgewicht und eine menschlichere Gesellschaftsordnung zu schaffen. In diesem Sinn rufe ich die Finanzexperten und die Regierenden der verschiedenen Länder auf, die Worte eines Weisen des Altertums zu bedenken: ‚Die eigenen Güter nicht mit den Armen zu teilen bedeutet, diese zu bestehlen und ihnen das Leben zu entziehen. Die Güter, die wir besitzen, gehören nicht uns, sondern ihnen [Ziff. 57]. Eine Finanzreform, welche die Ethik nicht ignoriert, würde einen energischen Wechsel der Grundeinstellung der politischen Führungskräfte erfordern, die ich aufrufe, diese Herausforderung mit Entschiedenheit und Weitblick anzunehmen, natürlich ohne die Besonderheit eines jeden Kontextes zu übersehen. Das Geld muss dienen und nicht regieren! [Ziff. 58]. Die Mechanismen der augenblicklichen Wirtschaft fördern eine Anheizung des Konsums, aber es stellt sich heraus, dass der zügellose Konsumismus, gepaart mit

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9. Führungselemente

der sozialen Ungleichheit das soziale Gefüge doppelt schädigt. Auf diese Weise erzeugt die soziale Ungleichheit früher oder später eine Gewalt, die der Rüstungswettlauf nicht löst, noch jemals lösen wird. Er dient nur dem Versuch, diejenigen zu täuschen, die größere Sicherheit fordern, als wüssten wir nicht, dass Waffen und gewaltsame Unterdrückung, anstatt Lösungen herbeizuführen, neue und schlimmere Konflikte schaffen […] Das wird noch anstößiger, wenn die Ausgeschlossenen jenen gesellschaftlichen Krebs wachsen sehen, der die in vielen Ländern – in den Regierungen, im Unternehmertum und in den Institutionen – tief verwurzelte Korruption ist, unabhängig von der politischen Ideologie der Regierenden [Ziff. 60]“ (Internet: Evangelii Gaudium vom 24.11.2013).

Bei dem Führungselement Sensitivität wurde eingangs des Kapitels festgehalten, dass es substantiell gekennzeichnet ist durch Offenheit, und zwar einmal der Führungskraft gegenüber sich selbst und zweitens Offenheit gegenüber den anvertrauten Mitarbeiter, für welche die Führungskraft verantwortlich ist. Beides ist in einem umfassenden Sinne zu verstehen, wie er Offenheit immanent ist. Das schließt somit ein, auch offen zu sein für Dinge, die beispielsweise ungerecht sind bzw. allgemein anerkannten Wertvorstellungen widersprechen und landläufig als unmoralisch verworfen werden. Wie bei jedem Handeln oder Nicht-Handeln erwächst daraus eine personale Verantwortung. Wer Unrecht sieht und Handeln kann, hat sich demnach zu bemühen, das Unrecht zu verhindern oder zu verringern. Das Schreiben von Papst Franziskus Evangelii Gaudium zeigt u. a. in seltener Treffsicherheit, Klarheit und Eindringlichkeit zu bekämpfendes Unrecht auf, das vornehmlich den Bereichen der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und dem Sozialen zuzurechnen ist, sowohl im mikro- als auch im makroökonomischen Bereich. Falsche Paradigmen und ihre egozentrisch verfolgte Verwirklichung haben wesentlich das katastrophale Unheil der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 verursacht. Die Krise hatte ihre wesentlichen ideellen Wurzeln in neoliberalen Ansichten und deren hemmungsloser Umsetzung. Die radikale Auslegung des Postulates der individuellen Freiheit ignoriert zugleich das Prinzip der Sozialität. In geradezu absurder und irriger Art und Weise wird die Sozialität hintangestellt. Es wird gegen das Faktum und den damit verbundenen Grundsatz verstoßen, dass Menschen aufeinander angewiesen sind und es daher einer sozialen Steuerung, Unterstützung und Anerkennung bedarf. Die verhängnisvollen und falschen Orientierungen der Akteure mussten ins Unglück führen, da sie als egozentrische Maximen zwangsläufig zu Lasten Dritter gehen, also Benachteiligte schaffen (Internet: Sozialität). Der stattgefundene Prozess zeigt dramatisch die Macht der Ideen auf, deren Fehleinschätzungen bei „falschen Ideen“ zu „ungeahnt“ schrecklichen Folgen führen kann, was in aller Regel auch eintritt und somit bei ausreichender Sorgfalt zu erwarten und bei rechtzeitigem und entschlossenem Handeln weitgehend zu vermeiden wäre. Egoisten neigen als solche allerdings nicht zu einer in ihren Augen kontraproduktiven Nachdenklichkeit oder gar Verantwortung und sind daher in ihrem Ver-



9.7 Sensitivität341

halten asozial orientiert, und zwar so ausgeprägt, dass es ihnen vermutlich oft kaum bewusst werden dürfte. Asozialität ist naturgemäß konfliktträchtig, da sich Benachteiligte zur Wehr setzen und befürchten, wenn sie das nicht tun, dass die Ungerechtigkeiten sie immer massiver treffen und ihre Situation noch hoffnungsloser zu werden droht. Die Welt hatte bereits unzählige solcher erschütternden und beschämenden Szenarien vor Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Letztere verursachte weitere katastrophale, Verderben bringende und skandalöse wirtschaftliche und soziale Zusammenbrüche und Tragödien, und zwar in einem Ausmaß, wie es während der jüngeren Zeitgeschichte zumindest seit dem Ende des 2. Weltkrieges bis dahin nicht geschah. Experten sind sich darüber hinaus einig, dass die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 seit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 die gewaltigste und gefährlichste weltweite Wirtschaftskatstrophe ist. Daraus leitet sich auch die unverzichtbare Forderung eines Paradigmenwechsel ab, zu der auch Evangelii Gaudium massiv auffordert. Die Resonanz auf das päpstliche Schreiben war groß und durch allgemeine Zustimmung und Hoffnung geprägt. Vor allem trug dazu auch die unmissverständliche, mutige und tief beeindruckende Sprache von Papst Franziskus bei: Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag, sagt Faust nach dunklen Gedanken und Gesprächen mit seinem Famulus Wagner, schöpft Mut und sucht neues Glück (J. W. v. Goethe, Faust, Der Tragödie Erster Teil, Kapitel 4). Ohne ein grundsätzliches Umdenken und eine tiefgreifende sowie breite Änderung der gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verantwortlichkeiten – die auch der Unterstützung einer wachen und aktionsorientierten Zivilgesellschaft bedarf –, d. h. ohne Optimismus, Mut und konsequentes Tun, kann es nicht gehen. Ohne solche Orientierungen der Ideen und Ziele würde man im Fühlen und Handeln lediglich oberflächliche Geschäftigkeit betreiben, statt den unumgänglichen, sicher sehr mühsamen, aufwendigen und langen Weg des Umdenkens und Wandels zu gehen, der für eine fundierte und nachhaltige Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 unerlässlich ist. Wie anspruchsvoll und umfänglich das ist und weiter sein wird, zeigt beispielsweise die laufende Krisen-Bewältigungspraxis in der EU, wo vermutlich derzeit die geschäftige und kurzfristig orientierte Improvisation und die Kunst der Findung fauler und kurzbeiniger Kompromisse bei Politikern und Interessenvertreter zahlenmäßig vorzuherrschen scheint, also eine Praxis der „billigen“ Auswege. Es ist zu hoffen, dass nach tatsächlichem Gewicht für eine soliden Krisenbewältigung sich bedeutendere Kräfte durchsetzen und letztendlich ein ordentliches Optimum erreichen. Die „Ideallösung“ mag man zwar wollen – was auch immer das sein mag. Bei der Pluralität der Vorstel-

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9. Führungselemente

lungen und Interessen, der Unterschiedlichkeit von Verhältnissen, der Komplexität und steigenden Raschheit von Entwicklungen usw., ist ein gemeinsamer Nenner bestenfalls bei Grundsätzen zu finden, zu denen auch Paradigmen zählen. Eine „Ideallösung“ ist aber unrealistisch und, was das Entscheidende ist, unerwünscht. Die EU folgt zu Recht nicht zentralistischen Einheitslösungen, sondern ist dem dezentralen Prinzip der Subsidiarität verpflichtet, das ein besonders bedeutsames Paradigma der EU ist, bleiben muss und beispielsweise durch einen gestärkten Parlamentarismus des EUParlaments gefördert werden sollte. Unter dem Kapitel zur 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 wurde den Ursachen, dem Verlauf und den Folgen der Krise detailliert nachgegangen und daraus abgeleitet, dass Ideen den entscheidenden Anlass für Entwicklungen geben und daher ihre Macht groß ist und zu entsprechenden realen Umsetzungen führen kann, wie es auch die neoliberalen Vorstellungen unglücklicherweise vermochten. Auf den Zusammenhang zwischen Ideen und ihre Folgen trifft man an zahlreichen Stellen der vorliegenden Arbeit, da er von ganzheitlicher Natur ist und daher nahezu alle Themenbereiche durchzieht. Beim Thema Sensitivität ist es u. a. der Umstand, dass diese mit der Eigenschaft der erwähnten zweiseitigen Offenheit bei Führungsfunktionen verbunden ist, die eine Wachheit für Unrecht und dessen Bekämpfung durch Verbesserungen fördert, und zwar beispielsweise beginnend mit der kritischen Überprüfung der Ideen, sprich Paradigmen, um schließlich zu einem Paradigmenwechsel zu gelangen, für den möglichst breite Akzeptanz geschaffen werden sollte. Die Sinnhaftigkeit und die Bedeutung der Sensitivität wurzelt weder in der Methodik und schon gar nicht in einer Mode, sondern in einer humanen, gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftsrelevanten Wertorientierung und davon abgeleiteten und von jedem Individuum persönlich zu verantwortendem Verhalten bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben und den damit verbundenen Pflichten. Wenn diese Essenz der Sensitivität in der Führungspraxis von den Verantwortlichen – sprich Vorgesetzten und Mitarbeitern – gelebt wird, bildet das Führungselement Sensitivität einen zeitgemäßen und zukunftsorientierten Bestandteil des Führungsstils im Sinne einer mitarbeiterbezogenen Personal- und Führungsarbeit sowie eine wichtige Grundlage nachhaltiger Erfolge. Wird Sensitivität in ihrer besonderen Bedeutung für wirtschaftliche Erfolge und damit für die Geschäftspolitik von Unternehmen, Organisationen und andere Einrichtungen erkannt, als anzuwendendes Führungselement akzeptiert und etabliert, wird man das im Führungselement Sensitivität enthaltene Potential auch sehr bewusst nutzen wollen und daher auch seinen Einsatz absichern. Seine Verwendung soll nicht nur vom mehr oder minder



9.7 Sensitivität343

gegebenen Talent für sensitives Verhalten und der unterschiedlichen Bereitschaft für dessen Einsatz bestimmt werden. Natürlich kann Sensitivität nicht par ordre du mufti angeschafft werden. Aber es ist möglich, Sensitivität wirkungsvoll zu fördern, wie: propagieren, erläutern, lernen, unterstützen usw. Dafür gibt es unterschiedlichste Methoden des Lernens und der Pflege einer entsprechenden Unternehmenskultur, sei es vom Sensitivity Training bis zum begleitenden Lernen durch Tun, gruppendynamische Übungen, durch Reflexionen und Gespräche, Hilfen der Selbststeuerung und Lösung von Blockaden sowie Förderung der Toleranz, das Zeigen von Gefühlen, Abbau von Vorurteilen, konstruktive Kritik und Spannungsabbau, Teamarbeit, Netzwerkpflege, Förderung der Gruppensensibilität und Gruppenintelligenz, Nutzung von Vorbildwirkungen usw. Die Bemühungen um das Lernen und die Anwendung der Sensitivität in der Personal- und Führungsarbeit hat eine lange Tradition und geht zurück auf Kurt Lewin (1890–1947), der hierzu Trainingsmodelle entwickelte (Staehle, W. H.: 1985, S. 683–687), die auch heute noch wertvolle Anregungen bieten. Das Anliegen der Work-Life-Balance hat in den letzten Jahren in der öffentlichen Aufmerksamkeit einige Bedeutung erlangt. Es hat viele Bezüge zur Sensitivität und soll daher kurz betrachtet werden. Beim Thema WorkLife-Balance besteht die Vorstellung, daß der Bereich der Arbeit („work“) eine Sache sei und dem quasi das Leben („life“) außerhalb der Arbeit gegenüber steht und Über- und Unterforderungen in beiden Bereichen entstehen und daraus belastende Spannungsverhältnisse resultieren können. Daher rührt die naheliegende Absicht, dem durch ein Konzept der Work-Life-Balance zu begegnen, also einen sinnvollen Ausgleich zu erreichen (s. a. Internet: Work-Life-Balance). Die Überlegungen werden deutlicher, wenn beispielsweise davon ausgegangen wird, daß jeder Mensch in mehreren Rollen Aufgaben zu erfüllen hat, sei es im Beruf, als Ehemann und Vater seiner Kinder, als Engagierter bei sozialen Aufgaben in seiner Gemeinde oder bei gesellschaftlichen Aufgaben verpflichteten Organisationen usw. Allein aus arbeitsökonomischen Gründen ist es kaum möglich, alle diese Aufgaben jeweils optimal zu erfüllen, da hierfür einfach zu wenig Zeit und Kraft zur Verfügung steht und obendrein die knappe Zeit noch dazu suboptimal genutzt wird bzw. dadurch die zeitökonomischen Probleme zusätzlich steigen. Nicht umsonst ist das mangelhafte Zeitmanagement seit vielen Jahren bei Chefs und Führungskräften, aber auch ihren Mitarbeitern, ein Kardinalproblem und Quelle größter Schwierigkeiten. Mit unzähligen Seminaren, Kursen und Publikationen wird seit Jahr und Tag versucht dagegen anzukämpfen und man wird damit lediglich sehr begrenzt der Problematik gerecht. Im betrieblichen Bereich pflegen sich zeit- und arbeitsökonomische Schwierigkeiten der Chefs und ebenso der Mitarbeiter wechselseitig zu verstärken, bedingt durch

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9. Führungselemente

organisatorische Mängel, schlechte Delegation, Ungeduld, fehlende Pläne usw. Als besondere Hürde zur Lösung solcher essentieller Schwierigkeiten haben sich jedoch nicht die arbeitstechnischen Schwächen erwiesen, sondern weitaus gravierendere Verhaltensbarrieren durch Persönlichkeitsprägungen der Beteiligten, die sich regelmäßig als robustes Hindernis bei Verbesserungen erweisen. Verhaltensänderungen sind, wie jede erfahrene Führungskraft aus ihrer Praxis weiß und unzählige sozialempirische Studien seit langem belegen, nachhaltig kaum zu erreichen. Darin liegt auch die Verwandtschaft zwischen der Sensitivität und der persönlichen Arbeitsökonomie an den entsprechenden Qualifikationserfordernisse der Beteiligten und Betroffenen. Daher sind einmalige arbeitsökonomische „Verbesserungsaktionen“ sehr selten der richtige Weg. Vielmehr bedarf es nach der Erkennung solcher Probleme und ihrer Konsequenzen der ehrlichen und ernsten Absicht, sie zu lösen. Das erfordert permanente Anstrengungen und eine solide Frustrationstoleranz zur Bewältigung immer wieder auftretender „Rückschläge“ und der Akzeptanz, daß solche zur Normalität der Bemühungen gehören. Folglich sollten solche Erfahrungen kein Grund sein deshalb zu resignieren und darauf zu verzichten, immer wieder einen neuen Anlauf zur Verbesserung der persönlichen Arbeitsgestaltung zu starten. Die zielführenden Vorschläge sind einfach zu verstehen, überschaubar und kein vermaledeites Hexenwerk. Die Kraft und Ausdauer für Umsetzungen mit begrenzten Erfolgserwartungen und -möglichkeiten sind die eigentlichen Kernprobleme (s. a.: Schwan, K.: 1980). Work-Life-Balance versucht einen Gleichgewichtszustand zu erreichen und möglichst nachhaltig zu sichern, damit zwischen den Lebensbereichen „Arbeit“ und – ganz allgemein und nicht ganz richtig formuliert – „Leben“ harmonische Ausgewogenheit herrscht. Die euphemistische Aussage ist tatsächlich unrealistisch. Der Gleichgewichtszustand hängt nicht nur von den nach Work-Life-Balance strebenden Individuen ab, sondern auch von jenen Beteiligten, die in den Bereichen „Arbeit“ und „Leben“ die Partner sind, mit denen entsprechende erforderliche Regelungen getroffen oder versäumt werden. Diesen Partnern sind dabei regelmäßig faktische Grenzen gesetzt, abgesehen davon ob sie wollen oder nicht. Die Ausgewogenheit ist schlicht und einfach nicht so zu erreichen, wie es die schwärmerischen Formulierungen vordergründig vorgaukeln möchten. Darüber hinaus, nämlich in dem Bereich wo Möglichkeiten bestehen, sind gegenseitige Interessen abzuwägen und somit bestenfalls Kompromisse denkbar, wobei damit selbstredend wechselseitige Kompromissbereitschaft unterstellt wird, was ja nicht so sein muß. Die Erfahrung mit zeitökonomischen Fragen zeigt regelmäßig bei engagierten und nicht engagierten Menschen, daß eigentlich die Zeit immer zu knapp ist. Das Gefühl Zeit zu haben oder nicht, ist eine sehr subjektive Bewertung, die oft „objektiven“ Maßstäben nicht entspricht. Mit der er-



9.8 Konfliktlösung345

wünschten harmonischen Ausgewogenheit kann es somit etwas problematisch werden. Das knappe Gut „Zeit“ setzt zwangsläufig für den Zeiteinsatz Prioritäten voraus, die wiederum mit direkt oder indirekt Beteiligten an entsprechend vorgesehenen Aufgaben und Beschäftigungen, sei es in der „Arbeit“ oder im „Leben“, Abstimmungen erfordern. Das wird immer wieder notwendig sein, da die Gestaltungsvorstellungen für Work-Life-Balance ja nicht stabil sondern dynamisch sind, wofür es unterschiedlichste Gründe geben kann. Work-Life-Balance beinhalten ferner immer Ressourcenentscheidungen, vornehmlich über die Zeitaufteilungen, aber auch anderer Art, und zwar bei allen Beteiligten, die mit unterschiedlicher Intensität durch Work-Life-Balance berührt werden. Dennoch, trotz der notwendigen Relativierungen der begrenzten Realisierungsmöglichkeiten von Work-Life-Balance, ist ihr Grundanliegen aus verschiedenen Gründen wertvoll. Sie rückt den Bereich „Arbeit“ in eine Perspektive zum Leben als Ganzes. Der Selbstbestimmung des Einzelnen wird gegenüber seiner Fremdbestimmung durch Dritte mehr Gewicht zugebilligt. Das muß auch ein gesellschaftliches Anliegen sein. Die Dominanz der Wirtschaft, die unter ethischen Aspekten im Dienst der Gesellschaft stehen sollte, ist so weit gediehen, das in vielen Bereichen die Dinge längst auf den Kopf gestellt wurden und es an der Zeit ist, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Durch die häufige Dominanz der Wirtschaft über die Gesellschaft, damit über die Bürger, und die damit entstandenen Diskrepanzen, sind kaum noch zu beherrschen. Das sollte aus der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und anderen Fehlentwicklungen mittlerweile gelernt worden sein. Durch die Art und Weise, wie sich Leistungsvollzüge in Unternehmen, Organisationen und anderen Einrichtungen verändert haben, bieten sich eine Reihe von Möglichkeiten an, Work-Life-Balance-Konzepte stärker zu verfolgen und damit auch Wettbewerbsvorteile zu erlangen, sei es beispielsweise am Arbeitsmarkt oder darüber hinaus. Mit steigende Zahl qualifizierter und damit potentiell entwicklungsfähiger Mitarbeiter, die u. a. besonders gute Chancen für die Realisierung ihrer Vorstellungen im Sinne einer Variante des Work-Life-Balance haben, eröffnen sich für Betriebe und neue Formen der Leistungserbringung zweifellos Chancen, wenn Führungskräfte sich bereit finden, Work-Life-Balance-Erwartungen offen zu begegnen und ihre Unternehmenskultur mit solchen Inhalten anzureichern.

9.8 Konfliktlösung Das Führungselement Konfliktlösung im Zusammenhang mit dem Themenbereich Führung und Motivation ist diffizil. Die Konfliktlösung als Führungselement sollte sich einmal dem Themenbereich möglichst harmonisch

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9. Führungselemente

einfügen und somit sollten die übergreifenden, gemeinsamen und grundlegenden Vorstellungen und Intentionen beider Bereiche möglichst ident sein. Zweitens sind die Inhalte der Begriffe „Konflikt“ und „Lösung“ – die den Begriff Konfliktlösung ergeben – zu bestimmen. Die Begriffsinhalte zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie ihre inhaltlichen Prägungen durch die jeweils verfolgten Führungsstile erfahren, die in der Theorie, aber besonders in der Praxis äußerst vielfältig bzw. deren essentielle Varianzen geradezu enorm sind. Beim Führungselement Konfliktlösung sind damit die entscheidenden intentionalen und funktionalen Vorstellungen zur Konfliktlösung folglich auch sehr unterschiedlich. Die mögliche inhaltliche Spannweite der Unterschiede reichen von autoritären bis zu kooperativen Annahmen und Ansätzen der Führungsstile bzw. der Gestaltungen von Führung und Motivation. Das Thema der Konfliktlösung wird daher seit langem in Theorie und Praxis auch sehr unterschiedlich verstanden und gehandhabt. Weitere Aspekte treten hinzu: Die Entwicklung der letzten Jahre ist zum einen internationaler geworden und der Begriff Konfliktlösung wird daher auch mit dem Begriff Globalisierung (Internet: Globalisierung) bzw. damit verbundenen Problemstellungen verbunden. Die Globalisierung ist bereits für einen erheblichen Teil der erbrachten Wirtschaftsleistungen relevant und kann etwa mit 20 % der wirtschaftlichen Gesamtleistungen einer Nation (Internet: Bruttonationaleinkommen) bei wirtschaftlich hochentwickelten Ländern angenommen werden. Damit ist zumindest eine grobe Orientierung über das derzeitige Ausmaß und die Bedeutung der Globalisierung möglich (Ende 2014), welche sicher weiter zunehmen wird. Damit gehört natürlich auch der Begriff und die Funktion Konfliktlösung verstärkt und in vielfältigen Varianten zum sprachlichen und substanziellen Repertoire der Themenkreise Globalisierung, Makro- und Mikroökonomie, sei es national oder international. Das Führungselement Konfliktlösung erfährt dadurch über die bislang hauptsächlich beachteten mikroökonomisch verfolgten Funktionalitäten hinaus eine erweiterte Dimensionierung, da zunehmend auch makroökonomische Problemstellungen einer geeigneten Konfliktlösung bedürfen. Die Ereignisse der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 sind dafür in jeder Hinsicht nach Ausmaß und Komplexität ein kaum zu überbietendes aktuelles Beispiel, wobei die Gegenstände von erforderlichen Konfliktlösungen oft ganz oder teilweise ident sein können, d. h. gleichermaßen dem mikro- sowie makroökonomischen Bereich von Problemlösungen zurechenbar sind. Das wird zunehmend Vorgehensweisen erfordern, die fallweise durch ganzheitliche Lösungsansätze bestimmt werden. Insofern erweitern sich die methodischen und zusätzlichen Aspekte. Das verbreitert die Thematik des Führungselementes Konfliktlösung. Damit bieten sich auch verstärkt integriert zu verfolgende Lösungen von mikro- und makroökonomischen Problemen an, die zu besseren Lösungsresultaten führen sollen.



9.8 Konfliktlösung347

In der herkömmlichen Ökonomie werden zum zweiten die Mikro- und Makroökonomie regelmäßig als getrennte Bereiche behandelt, nämlich traditionell als Volks- und Betriebswirtschaft. Betriebs- und Volkswirten arbeiten und handeln daher weitgehend unabhängig von einander mit den Grundlagen und Orientierungen ihres spezifischen Fachbereiches. Das führt dazu, dass man sich grosso modo in zwei verschiedenen ökonomischen Welten bewegt und die Vertreter der jeweiligen Gruppierung untereinander gravierende Verständnisprobleme haben. In Lehre, Forschung und Praxis ist die fast ausnahmslose und starke Trennung der Fachbereiche ein großes Problem der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. In einer gemeinsamen und verflochtenen Gesellschaft und Wirtschaft führt ein solches Ausbildungs- und davon geprägtes Arbeitskonzept dazu, dass ein jeweiliges „Quasi-Halbwissen“ tendenziell auch zu suboptimalen Ausbildungs-, Qualifikations-, Forschungs- und Praxismodellen führt. Für Betriebs- und Volkswirte ist das gleichermaßen unbefriedigend und wird einem erforderlichen, sinnvollen und erfolgreichen ganzheitlichen Wirken nicht gerecht, da die notwendige gemeinsame Erkenntnisbasis fehlt. Die Volkswirte bilden im Vergleich zu den Betriebswirten eine kleine Gruppe, was die Problematik des Fehlens einer gemeinsamen Basis verstärkt. De facto unterbleiben daher häufig notwendige mikro- und makroökonomisch integrierte Analysen, Problemlösungen und dadurch bestimmte ganzheitliche Umsetzungen. Nur an wenigen Hochschulen des deutschen Sprachraumes werden die Fächer Volks- und Betriebswirtschaft noch unter dem übergreifenden Bereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in integrierter Art und Weise gelehrt und daran orientiert auch Forschungsleistungen erbracht. Ein auffälliges Indiz für daraus resultierende Entwicklungen und Mängel besteht beispielsweise darin, dass hochspezifische Fach- oder treffender bezeichnet Nischen-Literatur dominiert. Übergreifende bzw. ganzheitliche und vielfältige Wechselwirkungen sowie Komplexitäten einschließende Fachliteratur, hingegen vergleichsweise wenig publiziert wird. Bei den Akteuren in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft wäre es ebenso wie bei Unternehmern, Top-Managern und Führungskräften der Wirtschaft und anderen Einrichtungen mit ähnlichen Aufgabenstellungen wünschenswert, dass makro- und mikroökonomische Qualifikationen und Erfahrungen der Verantwortlichen gleichermaßen dazu beitragen würden, um zu Aufgabenerfüllungen zu gelangen, die in einem übergreifenden Sinne unterstützt und optimiert werden. Bereits bestehende, aber vor allem prospektive Anforderungs- und Leistungsprofile werden solchen Erfordernissen mehr denn je Rechnung tragen müssen. Denn: Nur-Spezialisten sind ohne Generalisten überfordert und – zumindest in Grenzfällen – gefährlich. Auch das konnte aus der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 in bitterer Art und Weise gelernt werden.

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9. Führungselemente

Zum Dritten nimmt der relative Anteil an Leistungen zu, die mit den Begriffen Innovation, Forschung und Entwicklung, Informationstechnologie, Neuerungen und ähnlichen Merkmalen ungefähr zu umreißen sind und in unterschiedlichsten Bereichen zunehmend wichtiger werden: Wie z. B. der Technik für Produkt- und Leistungsentwicklungen, bei Serviceleistungen, Geschäftsmodellen, im sozialen Bereich, vor allem auch in den Naturwissenschaften und davon bestimmten Bereichen, wie der Medizin, aber auch in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften usw. Die vorgenannten Beispiele sind wiederum tendenziell dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur innerhalb der Unternehmen, Organisationen und Einrichtungen erfolgen, sondern vielmehr in offener Art und Weise stattfinden und damit verstärkt im Zusammenhang mit der Gesellschaft, Politik, öffentlichen Einrichtungen, der Globalisierung usw. zu sehen sind und vor allem in zahlreichen Netzwerken einer zunehmend diversifizierten Welt erbracht werden. Viertens werden die skizzierten Entwicklungen und deren hochkomplexe Charakteristik personell vor allem von hochqualifizierten Menschen mitgetragen, die weltweit gesucht sind, die für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und anderer relevanter Marktteilnehmer oft zu den wichtigsten Faktoren und damit zu entscheidenden Schlüsselstellen der Geschäftspolitik werden. Diese Trends der letzten Jahre sprengen den bisherigen Rahmen der Führung und Motivation, wie er mit den autoritären bis kooperativen Führungsstilen bislang gezogen war und der daher in Theorie und Praxis nunmehr eine Ausweitung erfordert, die letztendlich auch die Gestaltung des Führungselementes Konfliktlösung bestimmen wird. Die Hinweise verdeutlich, dass es selten sinnhaft sein wird, Funktionen der Konfliktlösung nur im bisherigen Kontext mit Führung und Motivation zu sehen. Denn Konfliktlösungen erweisen sich oft als besonders komplex und häufig nur als interdisziplinär lösbar oder zumindest handhabbar. Sie sprengen vielfach auch den bisherigen Rahmen der Mikro- und Makroökonomie und diese Tendenzen nehmen sicher zu. Wenn Führung und Motivation als Summe chancenorientierter Vorstellungen, von Ansätzen und Gestaltungspraktiken begriffen werden, sei es einzelwirtschaftlich oder darüber hinaus – beispielsweise bei gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Aufgaben oder als Verantwortlichkeiten zur Sicherung der Legitimationsbasis des Tuns – und Konfliktlösungen im Dienste solcher und ähnlicher Intentionen stehen, öffnen sich für das Führungselement der Konfliktlösungen essentielle und teilweise neue Betätigungsfelder prospektiver Gestaltung. Dadurch erreichte „richtige“ Weichenstellungen ermöglichen die Fahrt in eine angestrebte und erfolgversprechende Entwicklung, die mit guter Wahrscheinlichkeit auch gelingen kann. Frönt man hingegen in seinem Denken träger Negation, verfolgt Abwehr- und Verhinde-



9.8 Konfliktlösung349

rungstaktiken, statt einer Sache wegen engagiert die Tugend der Offenheit zu pflegen, werden so anspruchslose und negierende Übungen neuen Herausforderungen nicht genügen, Wettbewerbschancen schwinden, den Rest besorgt vermutlich der in solchen Situationen erfahrungsgemäß recht funktionsfähige Markt und die allgemeine Wohlfahrt leidet. Den bislang oft dominierenden neoliberalen Ideen sind solche übergreifende Vorstellungen und sehr offene Verhaltensweisen nicht nur fremd, sie gelten geradezu als systemwidrig. Die egozentrische Fokussierung ist ein systemimmanentes Merkmal eines vom Neoliberalismus bestimmten Denken, Fühlen und Handeln. Gerade die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hat das in extremer Art und Weise geradezu grauenvoll bewiesen. Neoliberales Verhalten hat ausgehend von den USA die Wirtschaft und damit die Gesellschaft an den Rand des Abgrundes geführt, wie es bereits ausführlich mit der vorliegenden Arbeit dokumentiert und interpretiert wurde. Das Schicksal der Menschen und die Folgen der Krise wurden in Kauf genommen. Viele Billionen an Dollar, Euro und anderer Währungen von Öffentlichen Händen zur Rettung des verschuldeten Desasters aufgewendet und vornehmlich in weit überhöhtem Ausmaß in den nimmersatten Rachen der „Finanzindustrie“ geworfen und andere unselige geldpolitische Praktiken fortgeführt usw. Die „Finanzindustrie“ hat an der Krise bislang per Saldo sehr gut verdient. Einmal durch neoliberale Fixierungen, Blockierungen, Missbräuche und kriminelle Handlungen entstandene Schäden auszulösen und dabei „beste“ Geschäfte zu machen. Zweitens nochmals – wie man mittlerweile weis – ein Vielfaches von dem zu vereinnahmen, was zur Finanzierung der Systemrettung des Bank- und Finanzsystems notwendig war. Neoliberalen als Schadensverursacher und Profiteure, die im Zweifelsfall in ihrer fragwürdigen Doppelrolle auch für etwas mehr eine weit geöffnete Hand hatten. Das extreme Abkassieren eines Teiles der „Finanzindustrie“ in den USA und in Europa haben diese unwiderlegbaren und skandalösen neoliberale Ideen und Praktiken bewiesen. Zum Vorteil der Gewinner der „Finanzindustrie“ wurden unvorstellbare Unsummen an Geld aufgewendet, die zum Nachteil der Gesellschaft, der Bürger und Steuerzahler erbracht werden mussten. Millionen von Menschen verloren ihre Arbeit, ihre Häuser und ganze Generationen ihre persönlichen und beruflichen Perspektiven. Solcherart belohnte „Banker“ werden wohl kaum reumütige Neoliberale werden. Neoliberalismus und Konfliktlösung sind schwer miteinander zu vereinbaren, da neoliberale Egozentriker nicht gerne teilen und sie mögen daher auch keine Kompromisse, es sei denn, sie gehen nicht zu ihren Lasten! Kurzum: Für Zwecke des Nehmens waren die Öffentlichen Hände für Neoliberale – Nachtwächterstaat hin oder her – sehr wichtig, ging es doch um die Sicherung der individuellen Freiheit, die Möglichkeiten des Abkassierens bei den Öffentlichen Händen zu gewährleisten. Ob das letztlich zu

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9. Führungselemente

Lasten der Steuerzahler ging oder zu fehlenden Mitteln für Projekte der Krisenbewältigung führte, wo das verschwendete Geld x-fach notwendiger gewesen wäre, war den neoliberalen Egozentrikern, Profiteuren und Kassierern egal. Mit Sozialität hatte und hat man nichts am Hut. Wo ist zu sehen, dass Neoliberale aus eigenen Stücken freiwillig etwas zur Bewältigung der weltweit angerichteten Schäden beigetragen hätten? Ganz im Gegenteil. Von der „Finanzindustrie“ eingeforderte Leistungen zur Vermeidung der neuerlichen Heranziehung der Steuerzahler zur Abdeckung für allfällige zukünftige Verluste der „Finanzindustrie“, – z. B. zum Aufbau entsprechender Fonds zur Schadensabdeckung bei Bankpleiten und deren Abwicklung – werden entrüstet und lauthals abgelehnt. Oder: Bei Fast-NullZinsen der Geldbeschaffung der Banken in Europa, weigern sich diese gesetzeswidrig – vermutlich zudem durch verbotene Wettbewerbsabreden innerhalb des Bankensektors gegen Konkurrenzangebote geschützt (!) – und mit allen Tricks und Härte dagegen, hochverzinste gegen derzeit angemessene, d. h. niedriger verzinste Kredite umzuschulden, und zwar auch dann, wenn das beispielsweise bedeutet, dass beliehene Eigenheime versteigert werden müssen. Dispokredite werden teilweise mit extrem hohen Zinssätzen verrechnet, trotz niedersten Refinanzierungszinsen. Diese skandalöse Praxis hat in Deutschland bereits epidemische Ausmaße erreicht und große öffentliche Verärgerung ausgerufen! (Ende 2014). Von Veränderungswillen ist – von wenigen erfreulichen Ausnahmen abgesehen – kaum etwas zu hören und zu sehen. Das Credo der Neoliberalen hat sich nicht geändert und wird nach wie vor propagiert und praktiziert. Diese Lektionen des Neoliberalismus hat die Welt durch die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ausreichend gelernt und dafür extrem teures Lehrgeld bezahlt. Veränderungen beginnen bekanntlich im Kopf bzw. es ist die Macht der Ideen, die den Anfang besserer oder schlechterer Entwicklungen machen. Im Kleinen wie im Großen. Sie finden in entsprechenden Paradigmen ihren Ausdruck und unterstützen die Fähigkeit, dem Denken, Fühlen und verantwortlichen Handeln eine Orientierung zu geben. Dabei sind regelmäßig unterschiedliche Paradigmen in ihren Wechselbeziehungen zu beachten. Wenn es um sehr tiefgreifende Veränderungen geht, wie sie die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 erforderlich gemacht hat – die wesentlich durch neoliberale Ideen ausgelöst wurde –, wird sicher ein umfassender Paradigmenwechsel unerlässlich sein. Konflikte können – beispielsweise in einer quasi traditionellen Führungsauffassung – als Störungen gesehen werden, die möglichst rasch zu beenden sind, um ihre nachteiligen Auswirkungen auf vorgesehene Leistungsvollzüge nach bestimmten Abläufen und Inhalten rasch und wirksam zu beenden, d. h. um angepeilte Ziele und Erfolge nicht zu verfehlen. Das ist zunächst eine durchaus vernünftig erscheinende Sichtweise.



9.8 Konfliktlösung351

Ob diese Handhabung der Konfliktlösungen eher als richtig oder falsch empfunden wird – einmal abgesehen davon, in welcher Art und Weise die Konflikte tatsächlich gelöst werden –, wird nicht nur nach den Postulaten eines zeitgemäßen Führungsstiles zu bewerten sein, sondern zunächst durch die Aufgaben selbst. Also auch durch die sie erbringenden Menschen (Vorgesetzte, Mitarbeiter, Dritte), die Rahmenbedingungen für die Konfliktlösung und die gegebenen sonstigen Verhältnisse und das allgemeine Umfeld für die Realisierung der Konfliktlösung. Bei einfachen Aufgaben, wie Reinigung der Werkstätten, Routinetätigkeiten der Fertigung oder der Verwaltung, Wahrnehmung von Funktionen der Sicherheit inner- und außerhalb der Betriebszeit usw., wird die Handhabung von Konflikten eine andere und vermutlich herkömmliche sein. Treten jedoch Konflikte beispielsweise auf bei anspruchsvollen innovatorischen Aufgaben in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Marketing und Vertrieb, Erstellung von Konzeptionen für nationale und internationale Service- und Lieferfunktionen, Erschließung neuer Absatzgebiete in quasi bislang unbekannten Regionen oder Ländern usw., werden andere Konfliktlösungen erforderlich sein. Je nach Konfliktarten sind aber auch andere zusätzliche Faktoren – unterschiedliche Gegebenheiten und Entwicklungen usw. – bei auftretenden Konflikten zu berücksichtigen, die in der Folge optimalen Konfliktlösungen erheblich bestimmen. Konfliktlösungen und Menschen werden in ihrer Verknüpfung regelmäßig besonders wichtig sein, aber im Grunde natürlich auch alle anderen Faktoren von größerer oder geringerer Bedeutung, und zwar in ihrer spezifischen momentanen Ausprägung und ihren veränderlichen negativen und positiven Potentialen, also der Konflikten innewohnenden Dynamik. Kurzum, Konflikte und ihre Lösungen erweisen sich in der Realität oft als höchst komplex und dann eben als nicht unbedingt einfach und gut bewältig bar. Die angedeuteten Überlegungen zeigen, dass Konflikte und ihre Lösungen nicht nach den immer wieder gewünschten, gesuchten und ausgiebig gelieferten „Rezepten“ – aber auch nicht nur nach berechtigten Postulaten der Führung und Motivation – optimal lösbar sind. Gerade das Führungselement Konfliktlösung erfordert häufig sehr kluge und den Konflikten möglichst spezifisch angepasste und auch ausreichend differenzierte Vorgehensweisen, die auch Kompromisslösungen einschließen werden. Konfliktlösungen sind fast immer mit Emotionen und Verhaltensprägungen der Konfliktbeteiligten verbunden und selten „nur“ Sachkonflikte. Dafür sorgen allein schon die Fragen nach der „Schuld“ und dem „Warum“ bei entstandenen Konflikten. Das Führungselement Konfliktlösung wird daher auch schwerpunktmäßig dem Führungsverhalten zugeordnet. Ansätze der Konfliktlösungen sollten diesem Umstand Rechnung tragen und gerade personalen Problemstellungen nicht ausweichen. Eine solche – sicher nur vordergründig oft einfacher erscheinende Vorgehensweise und unvollständi-

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9. Führungselemente

ge Konfliktanalyse – kann möglicherweise zu einer lediglich vermeintlichen Konfliktbeseitigung führen und trägt damit ziemlich wahrscheinlich bereits den Keim einer Konfliktverstärkung in sich, zumindest aber die Gefahr einer suboptimalen Konfliktlösung. Per saldo werden letztendlich und regelmäßig durch solche Manöver der scheinbaren Konfliktreduktion latente Probleme nur verdrängt, verschleppt, verschärft und ihre tatsächliche Lösung erschwert und schließlich damit aufwendiger. Lutz von Rosenstiel stellte daher 1972 fest: „Es gibt keinen Königsweg der Konfliktlösung. Die Einflussfaktoren sind zu vielfältig. Jeder Konflikt verlangt eine spezifische Lösungsstrategie“ (Rosenstiel, L. v. et al.: 1972b, S. 102). In Gablers Wirtschaftslexikon, 1983, ist zum Begriff Konflikt zu lesen: „Konflikt [Originaltext in Fettschrift, 1. Wort], bewusste oder unbewusste Unvereinbarkeit der meistbevorzugten Wahlmöglichkeiten (Alternativen) im Rahmen der Handlungen einer oder mehrerer Personen. Kennzeichnend ist, dass die Wahl einer der bevorzugten Alternativen einen Verzicht an anderer Stelle erfordert.“ (Gablers Wirtschaftslexikon. Band 1. A-K. 1983, S. 2435). Es werden intrapersonelle Konflikte (Äquivalenz-, Ambivalenz- und Vitationskonflikte) und interpersonelle Konflikte (nach Entstehung, Abstufung und Komplexität) unterschieden sowie die Konflikte nach Personen-Personen-, Personen-Gruppen- und Gruppen-Gruppen-Konflikten differenziert. Der Begriff Konflikt entspricht stark einer formalen Betrachtungsweise. Auch eine zeitnähere Definition des Konfliktes folgt dem tendenziell: „Laterale Kooperationskonflikte [Originaltext in Fettschrift, 1. und 2. Wort] in Organisationen werden als Spannungszustand zwischen zur Zusammenarbeit verpflichteten, führungsorganisatorisch etwa gleichrangigen Organisationsmitglieder oder -Einheiten verstanden, die nicht mit dem Mittel der direkten Weisung, sondern über Konsensfindung gelöst werden müssen“. Besonders gestörte Kooperationsbeziehungen können Konfliktlösungen bei lateralen Konflikten sehr belasten, z. B. durch unterentwickelte Praktiken vertrauensbildender persönlicher Kontakte bzw. Austauschbeziehungen (Wunderer, R.: 2001, S. 481). Substantiell haben die eingangs des Kapitels genannten begrifflichen Vorstellungen und Entwicklungen bis heute (2015) ein Gegenstück in Texten zur Konfliktlösung, die in traditioneller Art und Weise den Konflikt als zu beseitigenden Störfaktor sehen und entsprechende Empfehlungen geben. Diese Ansätze sind jedoch viel zu eng. Daher wird versucht zu zeigen, dass gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen neue Schwerpunktsetzungen verlangen. Es stellt sich die Frage, warum weder in Theorie und Praxis kaum zeitgemäße und entwicklungsorientierte Definitionen zu „Konflikt“ und „Konfliktlösung“ zu finden sind und traditionelles Denken dominiert. Rascher und komplexer werdende Entwicklungen führen, wie gezeigt, zu



9.8 Konfliktlösung353

neuen Konfliktarten, die jedoch auch angepasste Konfliktlösungen erfordern. Vermutlich gilt die alte Erfahrung, dass das Schwierigste am Lernen das Verlernen und Zugeben von Irrtümern zu sein scheint. Eine typische und gegenwärtig vertretene Abbildung Das Konfliktlösungsschema (Abbildung 9.38), das die heute mehr denn je wichtigeren und vorgenannten Aspekte zum Thema nicht (!) enthält, sei beispielhaft wiedergegeben und der guten Ordnung halber festgehalten, dass aus psychologischer Sicht im eigentlichen Text zum Schema – abgesehen von der Beschränkung auf traditionelle Punkte – die Qualität durchaus gut ist (Internet: Maas-Training). Das formalistisch bestimmte Schema zeigt lediglich verkürzte und einfache Entscheidungsschritte der Konfliktlösung, die selbst für einfache Konflikte kaum tauglich sind, da ein auf wenige Elemente eines Entscheidungsprozesses aufgebautes Ablaufschema die Konfliktrealitäten nicht ausreichend abbilden kann und somit im Sinne der Sprachlogik (Karl Popper) eine Leerformel darstellt, der also die inhaltliche Substanz fehlt. Eine einfache Darstellung von Rückkoppelungen kann die Berücksichtigung selbst einfacher Wechselbeziehungen bei Konfliktlösungen nicht ersetzen usw. Die Eigenschaft der Konfliktlösung als Führungselement wird nicht vermittelt, geschweige denn Anforderungen an Konfliktlösungen bei anspruchsvollen Konfliktgegenständen und ihrer Dynamik. Damit steht das ansonsten anerkannte Maas-Training, Düsseldorf nicht allein. Die formale Strukturdarstellung des wiedergegebenen Konfliktlösungsschemas zeigt im Sinne und nach dem Muster einer einfachen Entscheidungslogik Ablaufschritte, womit auch durchaus geordnete Abläufe realisierbar sind, aber: Ein Skelett trägt einen Körper und ist dessen Bestandteil, macht aber nicht den Körper aus, ebenso wie ein Körper ohne Skelett kein Körper ist. Ein Strukturmodell ist wie jedes Modell der Versuch, durch Vereinfachungen komplexe Dinge abzubilden. Die Absicht des Versuches ist aber zwangsläufig mit der Entfernung vom realen Faktum bestehender Komplexität verbunden. Was durch das Modell verdeckt wird, ist trotzdem – wenn auch nicht mehr sichtbar – vorhanden. Die Gegenstände des Führungselementes Konfliktlösung sind heute mikro- und makroökonomisch oft bereits so hochkomplexe Gebilde und daher allein substantiell oft nicht mehr eindeutig fassbar. Die Varianten der Konfliktlösung selbst sind sehr vielfältig und in ihren Wirkungen kaum sicher zu prognostizieren, da dynamische Komplexitäten bei Konfliktlösungen sich regelmäßig und in weitem Maße rationalen Prognosen entziehen. Konflikte und damit ihre Lösung sind – wie jeder aus Erfahrung weiß – ferner fast immer von Emotionen begleitet. Die gehören somit zur Normalität des Konfliktes und ebenso zu seiner Irrationalität. Um dennoch zu sinnvollen Lösungen zu gelangen, bedarf es oft der die Rationalität ergänzenden oder auch ersetzenden Instrumente und Hilfen. Die Fragenstellung ist nicht neu, da die Frage der Handhabung der

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9. Führungselemente Abbildung 9.38: Das Konfliktlösungsschema Bereitschaft zur Mitarbeit prüfen (U1) Bereitschaft aller Parteien vorhanden? Ja Nein Konfliktlösung

Einmalige Rückkoppelung

Konsequenzen ankündigung

Problemanalyse/ Lösungssuche (U2,U3) Lösung gefunden Ja Nein

Einmalige Rückkoppelung

Entscheidungs- und Entschlußphase (U3) Entscheidung gefallen? Ja Nein

Umsetzungsvereinbarung (U3)

Konflikt Beendigung

Einmalige Rückkoppelung

Konsequenzen ankündigung

Konsequenzen ankündigung

Umsetzung erfolgreich? Nein Ja

Ende

Konsequenzen umsetzung

(Schwan, K.: Nach Maas-Training, Internet)

Irrationalität zwar in Theorie und Praxis oft ignoriert und fälschlicherweise geglaubt wird, mit dem Rational-Modell des Homo oeconomicus mikrooder makroökonomische oder andere Probleme ausreichend lösen zu können. Das ist oft ein blauäugiger und irriger Unfug. Darauf wurde schon an anderer Stelle der vorliegenden Arbeit eingegangen und Lösungsansätze entwickelt, auf die verwiesen werden darf. An die Stelle der Irrationalitäten können u. a. Paradigmen als sinngebende Orientierungshilfen für das Denken, Fühlen und Handeln treten und dadurch gute und verantwortbare Konfliktlösungen erreicht werden.



9.8 Konfliktlösung355

Konflikte nur negativ mit Störungen, Schäden, Pannen usw. zu assoziieren, war weder gestern, noch heute und ist auch in der Zukunft nicht richtig und zu einseitig. Handeln und Neues zu suchen gibt Konflikten als einem essentiellen Anstoß Sinn. Konflikte sind die natürlichen und wichtigen Begleiter von Entwicklungen, der Kreativität und Innovation, des Fortschrittes im engeren Sinne, aber auch Teil einer humanen, sprich zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit. Konflikte haben stets zwei Gesichter. Bis heute werden Konflikte in Lehre, Fach- und Rezeptbüchern der Führung, der Weiterbildung usw. sowie der Praxis vorwiegend destruktiv gesehen und traditionell versucht, sie zu verhindern oder möglichst rasch zu beseitigen. Das einem Konflikt oft innewohnende konstruktive Potential wird unterschätzt und zu wenig genutzt. Aus diesen Gründen wird gerade dem Führungsinstrument Konfliktlösung mit der vorliegenden Arbeit besondere Aufmerksamkeit zuteil. Unter dem anspruchsvollen Titel Führungskompetenz „Konfliktpräven­ tion“. Praxistools zur meditativen Unternehmensführung, 12 / 2007, S. 8, verfasst von der Arbeitsgemeinschaft Experts Group WirtschaftsMeditation der mächtigen Wirtschaftskammer Österreichs (WKO), Wien ist zu lesen: „Konfliktprävention, darunter versteht man alle vorbeugenden Maßnahmen, um ein unerwünschtes Ereignis oder eine unerwünschte Entwicklung im Unternehmen zu vermeiden. Konfliktprävention begleitet jeden nachhaltigen Beratungsprozess […] Wenn Konflikte als Störungen den Handlungsablauf im Unternehmen unterbrechen oder belasten, ist der Erfolg des Unternehmens beeinträchtigt. Keine noch so schöne Vision, keine Strategie, kein Unternehmensziel und keine wirtschaftliche Tätigkeit kann langfristig erfolgreich geplant und umgesetzt werden, wenn durch Konflikte die Qualität oder Fertigstellung der Arbeit ungewiß wird. […] Konfliktprävention ist ein Teil des Risikomanagements. Ziel ist es, das wirtschaftliche Risiko von Konflikten in und zwischen Unternehmen, beziehungsweise zwischen Unternehmen und ihrem Umfeld zu verringern“ (Internet: Konfliktprävention). Eine Expertengruppe – die Teil der WKO als wichtigstem Interessenvertreter der Wirtschaft Österreichs ist – postuliert mit dem Text traditionelle und statische Vorstellungen. Sie negiert damit die personal- und entwicklungsrelevanten Aspekte von Konflikten und Konfliktlösungen als entscheidenden Anlass und Faktor konstruktiver Kritik, innovativer, d. h. zukunftsorientierter Entwicklungen. Eine ganzheitliche und funktionale Integration der Konfliktlösung mit einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit, Orientierung an Innovationserfordernisse und verschiedenen unternehmerischen Entwicklungsfunktionen fehlen zur Gänze, was offenbar weder den Experten noch der WKO als Herausgeber des Elaborates aufgefallen ist. Angebote der gewerblich betriebenen Aus- und Weiterbildung in den deutschsprachigen Ländern folgen teilweise ähnlichen Wegen – wie Recher-

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9. Führungselemente

chen im Internet unschwer zeigen –, die durch das Beseitigen von Konflikten im Tagesgeschäft Störungen und Risiken verhindern möchten. Es wird gelegentlich so weit gegangen, dass falsch verstandene Harmonie verfolgt und Konflikte unreflektiert stigmatisiert werden. Eine mittel- und langfristige Sichtweise von enorm wichtigen Vorstellungen und Gestaltungsmöglichkeiten der Konfliktnutzungen für Entwicklungen und Veränderungen, widmen sich die sogenannten Dienstleister der Weiterbildung kaum oder gar nicht. Das kann zu ungewollten entwicklungsfeindlichen Tendenzen der Unternehmenskulturen beitragen und damit dazu führen, dass potentiellen Qualifikationen von Menschen für Innovationen und Wettbewerbsverbesserungen durch verkürzte Konfliktlösungen unter ihren möglichen Chancen genutzt bleiben. Das sind aber – wirtschaftlich und human bewertet – schlicht und einfach Kardinalfehler des Managements und der Führungskräfte, die nicht zuletzt auch auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen werden, sei es durch geschmälerte Entfaltungsmöglichkeiten, ausgelöste und Fortschritte blockierende Ängste bis hin zu Demotivationen und Wohlstandsverlusten. An den Anfang der Ausführungen zum Führungselement Konfliktlösung des Themenbereiches Führung und Motivation wurden die Bereiche Globalisierung und Innovation, Forschung und Entwicklung und Neuerungen gestellt, da sie einmal in Gesellschaft und Wirtschaft hohe Aktualität und Bedeutung haben, die vermutlich oft noch unterschätzt werden. Zweitens wird direkt oder indirekt gerade beim Führungselement Konfliktlösung häufig entschieden, ob das Verhalten von Menschen – sei es bei Führungskräften oder Mitarbeitern, aber ebenso bei engagierten Menschen, die in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft und ihren Einrichtungen tätig sind – veränderungsfreundlich oder -feindlich agieren und dadurch Potentiale chancenorientiert genutzt oder behindert werden. Die genannten inhaltlichen und führungsrelevanten Bereiche finden bislang zu wenig bis kaum einen Niederschlag in der Theorie und Praxis des Themenbereiches Führung und Motivation. Im Teilbereich des Führungselementes Konfliktlösung sind solche Spuren der Orientierung und Einflussnahme viel zu wenig zu erkennen. Das ist überraschend und für Gesellschaft und Wirtschaft in vielerlei Hinsicht sehr problematisch und auf Sicht aus wirtschaftlichen und humanen Gründen gefährlich. Daher wurden einige Vorstellungen auch vorrangig am Beginn des Kapitels Konfliktlösung wiedergegeben, weil auch hier die Macht der Ideen oft unterschätzt wird, wie sie beispielsweise durch eine aufgeschlossene Art der Führung und Motivation und, im Detail betrachtet, auch bei der prospektiven Handhabung des Führungselementes Konfliktlösung konkretisier bar ist. Natürlich müssen viele weitere Faktoren für gute Entwicklungen erfüllt sein. Aber am Anfang solcher und vieler anderer Bemühungen geht es stets um die „richtigen Ideen“ und Konzeptionen, die den Erfolg ermöglichen. Von Mark Twain (1835–1910) stammt der bekann-



9.8 Konfliktlösung357

te Satz aus dem 1968 und 1979 verfilmten Roman Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, der auch – umgekehrt – bei der Macht der Idee zutrifft: „Nachdem wir das Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen“ (Internet: Twain, M.). Beim Thema der Konfliktlösung dürfte das „Ziel“ auch oft übersehen werden. Solche Überlegungen und ihre Begründungen sind hochaktuell und in diesem Sinne auch zu propagieren und nötigenfalls verstärkt als anzustrebende Veränderungen umzusetzen. Dafür gibt es in der Wirtschaft hervorragende Vorbilder, die nachweislich sowohl bei Aufgaben der Globalisierung als auch bei Komplexen der Innovation, Forschung und Entwicklung bereits in vielfältiger Hinsicht und mit besten Aussichten auf nachhaltige Erfolge so agieren. Darunter finden sich weltumspannende Konzerne bis hin zu Klein-, Mittel- und Großbetrieben in unterschiedlichsten Branchen sowie zahlreiche weitere Einrichtungen. Deren Wettbewerbsfähigkeit ist auf regionalen, nationalen und internationalen Märkten daher vergleichsweise gut und kann auf dieser Basis erfolgversprechend weiterentwickelt werden. Sie schlagen sich auf den Märkten weitaus besser wie Unternehmen und Einrichtungen, die erst am Anfang solcher Aktivitäten stehen oder bislang keine oder nur wenige Orientierungen und Realisationen der vorgenannten Art in ihrer Unternehmensführung und Geschäftstätigkeit realisierten und Konflikte nur als Störungen sehen. Daher haben sie auch häufiger schlechtere Zukunftsprognosen. Beispielsweise genügt bei börsennotierten Unternehmen oft ein Blick auf den Kurszettel und zugehörige Kommentare, um solch empirische Zusammenhänge gut nachvollziehen zu können. In diesem Kontext ist jedoch auch eine Differenzierung notwendig, da es Unternehmen, Organisationen und Einrichtungen gibt, die in Bereichen und Regionen ihre Tätigkeit erfolgreich erbringen und kurz- oder mittelfristig durch die vorgenannte Entwicklungen existentiell weniger oder kaum betroffen sind und somit deren Wettbewerbsfähigkeit nach anderen Kriterien zu bewerten sind, folglich ebenso ihre nachhaltige Ertragskraft. Deren Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit wird allerdings unabhängig von ihrer angedeuteten Positionierung natürlich zum einen auch von der Qualität der Führung und Motivation und damit ebenso durch das Führungselement Konfliktlösung stark bestimmt, wie durch eine Vielzahl anderer gestaltbarer oder nicht gestaltbarer Einflussfaktoren. Der Wegfall eines Gefahrenbereiches, beispielsweise wie durch die angeschnittene Positionierung, schützt natürlich nicht vor anderen bekannten oder noch nicht erkannten Gefahrenquellen, denen aber u. a. präventiv durch frühzeitige und chancenorientierte Anpassungen vorgebeugt werden kann, um nachhaltige Sicherungen wirkungsvoll zu erreichen. Zum anderen ist zu bedenken, dass die genannte Positionierung weder kurz-, mittel- oder langfristig unbedingt vor „Überraschungen“ und folgenschweren Risiken schützen kann, die unabhängig vom

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9. Führungselemente

einzelnen Unternehmen erfolgen und schlagend werden. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 war ein solches Ereignis, das für die Öffentlichkeit und nahezu alle Wirtschaftsexperten unvorhergesehen ausbrach und in der wir gegenwärtig nach fast 9 Jahren noch mitten drin stecken (Mitte 2015). Niemand kann derzeit seriös vorhersagen, wann die Krise und wie sie endet. Josef Stiglitz (1943), im Jahr 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet, lehrt an bedeutenden amerikanischen Universitäten, war Berater von Präsident Clinton und in wichtigen Positionen für die UN tätig, hatte als einer von sehr wenigen vor der Krise allerdings gewarnt (s. a.: Stiglitz, J.: 2011, S. 12–14), wurde aber offenkundig kaum gehört. Das Führungselement Konfliktlösung wird für den Bereich Führung und Motivation wie seit eh und je auch zukünftig von wesentlicher und sich auch wandelnder Bedeutung sein. Nach der Behandlung von oft zu wenig erkannten und nicht berücksichtigten, aber sehr dynamischen und essentiellen Aspekten der Konfliktlösung, die daher an den Anfang des Kapitel gestellt wurden, soll nunmehr der Blick auf einige Grundlagen der Konfliktlösung gerichtet werden: Der bereits durch Rolf Wunderer definierte und zuvor zitierte Begriff des Konfliktes mit der Formulierung „Laterale Kooperationskonflikte“ ist zeitgemäß und ähnelt zahlreichen Definitionen jüngeren Datums. Die Definitionen orientieren sich häufig an Konfliktbeteiligten und Konfliktursachen bzw. Konfliktgegenständen, was auch zusammenfallen kann, wie etwa bei den wichtigen „Rollenkonflikten“. Rupert Lay (1929) erläutert essentielle Punkte zum Wesen des Konfliktes. Das Wort „Konflikt“ leitet sich vom lateinischen „confligere“ ab, das „zusammenstoßen, streiten, kämpfen“ bedeutet. Lay erinnert daran, dass bereits nach Johann Friedrich Herbart (1776–1841) der Begriff „Konflikt“ eine Doppelbedeutung hat, die durchaus auch heute so gesehen wird. Einmal bezeichnet er psychische „Hemmungen“ als „psychische Konflikte“, zweitens die mit Gruppenbildungen verbundene Entgegensetzung von Kräften nennt er „soziale Konflikte“. Diese Differenzierung nach zwei Konflikttypen ist bis heute allgemein akzeptiert, wenngleich weitere Präzisierungen des Begriffes erforderlich erscheinen (Lay, R.: 1980, S. 193). Rupert Lay nimmt solche vor und erläutert sie, wobei er sich hierbei einmal im weitgehenden Konsens mit anderen Autoren befindet und zweitens mit sehr sorgfältigem, substantiellem sowie funktionalem Tiefgang vorgeht, die ansonsten bei Begriffsbildungen zum Konflikt eher selten sind: So nennt er den intrapersonalen Konflikt, „dessen Gründe in einander widersprechenden Anforderungen verschiedener Motivationszonen innerhalb einer oder mehrerer psychischer Strukturelemente liegen“ (Lay, R.: 1980, S. 193), wie Triebstruktur, Gewissen und Konventionen, die auch J. F. Her-



9.8 Konfliktlösung359

bart kannte und den „sozialen Konflikten“ zuordnete. Eine weitere Kategorie bilden bei Lay die Situationskonflikte, „die durch eine prinzipiell exakt bestimmbare Außenweltsituation in einer Person ausgelöst werden“ (Lay, R.: 1980, S. 194), wie Entscheidung über Helfen oder Nichthelfen bei einem Verkehrsunfall, Reaktion auf Kritik, Selbstzweifel bei geforderten Leistungsansprüchen, Streit, usw. Weiter gibt es interpersonale Konflikte, beispielsweise durch Auseinandersetzungen mit Personen, und soziale Konflikte, wobei beide Konflikttypen psychische und soziale Konfliktkomponenten enthalten können, z. B. durch Internalisierung solcher Komponenten bei Konfliktbetroffenen (Lay, R.: 1980, S. 194 f.). Konfliktprozesse können auch bewirken, dass sich ein Konflikttyp verändert bzw. er andere und ihn prägende Charakteristiken annimmt oder auch neue Konflikte auslöst. Beispielsweise kann aus eine Betriebskrise als Konflikt ein häuslicher Konflikt eines betroffenen Mitarbeiters folgen oder zur ökonomischen Krise einer Region werden oder auch zu neuen Interessengruppen führen, die miteinander in Konflikte geraten. Analoge Entwicklungen sind in Konzernen möglich und nicht selten. Lay nennt eine ihm besonders wichtig erscheinende Unterscheidung von Konflikttypen, nämlich die Differenzierung in konstruktive und destruktive Konflikte, was erstaunlicherweise, wie bereits gezeigt, bei aktuell im Umlauf befindlichen Begriffsbildungen und Vorstellungen überwiegend negiert wird. Der konstruktive Konflikt, als erstgenannte Variante, beseitigt Übelstände, wodurch vor allem bessere Anpassungen an die Realität erfolgen (Lay, R.: 1980, S. 196), d. h. neue Potentiale bzw. Verbesserungschancen werden freisetzt und genutzt, und zwar in vielfältigster Art und Weise, wie: Verbesserung der sozialen Umwelt, Kommunikationsverbesserungen, Unterstützung von Forschung und Entwicklung, Internationalisierung von Tätigkeiten und nachhaltiger Sicherung von Unternehmen, Verbesserungen der Personal- und Führungsarbeit in Betrieben, gerechtere Verteilungen usw. Lay unterscheidet weiter offene und latente Konflikte, bewusste und unbewusste Konflikte, wobei beide Varianten vielfältige Konsequenzen haben können: Hyperaktivität oder Passivität, Ängste und Depressionen, Verbesserungen von materiellem, geistigem und sozialem Besitz, Realitätsablösungen durch Vorurteile, Orientierungsverlust, Entscheidungs- und Lösungsdruck, Annäherung oder Vermeidung einer Konfliktlösung mit unterschiedlichsten Folgen usw. (Lay, R.: 1980, S. 197–202). Mit Blick auf Konfliktlösungen nennt Lay die grundsätzlichen Reaktionen auf Konflikte – Flucht, Angriff und Aktivitätsvermeidung – und hält seine Überlegungen in einem Schema fest (Lay, R.: 1980, S. 204). Daraus ergibt sich sehr klar, dass eine Angriffsstrategie somatisch, emotional und rational

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9. Führungselemente

die besten Chancen der Konfliktlösung bieten kann, aber nicht jede Angriffsstrategie positiv sein muss. Strategien sind vielmehr klug und sorgfältig auf den jeweiligen Konflikt und die angestrebte Konfliktlösung auf der Basis des konkreten Einzelfalles und die meist komplexen Verhältnisse im Umfeld des Konfliktes sowie in möglichst ganzheitlich Art und Weise abzustimmen. Rezeptlösungen gibt es nicht, auch wenn sie immer wieder vorgegaukelt und versprochen werden. Der nachfolgende Prozess der umzusetzenden Konfliktlösung ist dynamisch und auch bei guter Strategie eventuell nicht frei von Überraschungen und Risiken. Teure und vermeintliche „Standardrezepte“ können leicht von der Konfliktlösung zur Konflikteskalation entarten. Letzteres ist meist dann der Fall, wenn das Wechselspiel zwischen Konfliktpartnern von deren Ebene nach oben, d. h. auf eine höhere Ebene, beispielsweise zu einem gemeinsamen Vorgesetzten, steigt, was naturgemäß auch ein Indiz dafür ist, dass die Konfliktpartner der ersten Ebene an der Konfliktlösung scheiterten. Dafür kann es verschiedenste Gründe geben, wie beispielsweise: Emotionale Abläufe werden nicht beherrscht und Angriffe führen zu Wut, Hass, Beleidigungen und Gewalt. – Inadäquate Konfliktlösungsstrategien verhindern sinnvolle Konfliktlösungen, meist verbunden mit Emotionen und der Angst vor Ausweglosigkeit. – Angst der Konfliktpartner ein- oder wechselseitig. – Unterstellung von Schädigungsabsichten. – Missverständnisse der Intentionen des Konfliktpartners (s. a.: Lay, R.: 1980, S. 20). Beim Thema Konflikt wird in der Fachliteratur selten die Frage erörtert, ob Konflikte im Zuge des Entstehens nicht im Vorfeld abgewehrt werden können, quasi nach dem Motto, ein abgewehrter Konflikt ist die beste Konfliktlösung. Lay thematisiert erfreulicherweise diesen Ansatz. Er geht davon aus, dass das „Ich“ seine Beteiligung an einem kommenden Konflikt erkennt und bewusst entscheidet, ob es sich darauf einlassen will bzw. den Konflikt annimmt oder ihn ablehnt. Entscheidend ist, die Ursache und die emotionale Situation aller Beteiligten richtig zu erkennen, um dann möglichst rasch zu handeln (Lay, R.: 1980, S. 234). Ein Beispiel zur Illustration: Nach teuren, langen, arbeitsaufwendigen, konfliktreichen und nervlich belastenden Gerichtsprozessen sind sich die gegnerischen Parteien nach einem Vergleich oder Urteil bei Gericht trotz aller Streitereien oft darüber einig, dass nicht nur das Urteil den jeweiligen Erwartungen widerspricht, sondern es viel gescheiter gewesen wäre, vor dem Prozess ohne das Gericht, aber auch unter Umständen durch Bemühungen des Gerichtes, eine Vergleich zu finden, der vermutlich – im Nachhinein bewertet – weitaus besser gewesen wäre. Daraus kann meist sehr eindrücklich gelernt werden, was sich die Streitparteien hätten ersparen können, wenn man es schafft, Konflikte bereits im Vorfeld abzuwenden. Leider geht das nicht bei allen Konflikten, aber wahrscheinlich öfter als vermutet. Vie-



9.8 Konfliktlösung361

le potentielle Konflikte und ihre Ursachen – die eventuell zu verhindern wären – nennt Rupert Lay: Es will der potentielle Konfliktpartner, Lay spricht von Angreifern, helfen, hat aber keine Strategie wie er das kommunizieren kann, redet auf sein Gegenüber ein, bis er diesem auf die Nerven geht. Der Konflikt droht zu beginnen. – Ein Angreifer will ein Scherzspiel treiben, neckt, hänselt usw. und dem Betroffenen wird es zu viel und er reagiert unangemessen, ein Konflikt entsteht, war das nötig? – Ein Angreifer will einen Gegner „fertig“ machen und zum Schweigen bringen, ohne gegen ihn persönlich etwas zu haben (!), also aus anderen Gründen (politischer Gegner usw.), vielleicht ist vorbeugende Abwehr eines Konfliktes möglich. – Es gibt Spiele, wie: Der Ehemann kommt abends erschöpft nach Hause und seine Ehefrau frägt, warum er wieder so spät nach Hause komme. Das kann ihn nerven. Will die „liebe“ Gattin ihn ärgern, Schuldgefühle auslösen usw. Ein Konflikt liegt in der Luft. – Der Angreifer stellt einen Konflikt vor, der für ihn ein „Individualkonflikt“ voll potentieller Aggressivität ist, die außer Kontrolle geraten kann. Ein potentieller Fall der Abwehr eines Konfliktes. – Einen „Sozialkonflikt“ trägt der Angreifer jemandem vor, den er fälschlicherweise für den zuständigen Ansprechpartner hält, das kann zum Konflikt führen. – Zwei genuine Konfliktpartner stehen vor einem latenten Konflikt, der vielleicht schon länger schwelt und hohes Aggressionspotential birgt, aber dennoch abwehrbar sein könnte; wie durch Verschiebung zur Abkühlung, Rationalisierung bis zur Möglichkeit einer einfacheren Lösung u. Ä. (Lay, R.: 1980, S. 234–236). In Fällen potentiell abwehrbarer Konflikte, wie den genannten, gilt zu überlegen, ob Abwehr möglich ist. Scheint dies aussichtsreich sollte zügig gehandelt werden. Ein einfaches Schema kann bei solch diffizilen Fragen helfen: Dabei sind verschiedene Antworten möglich, wobei natürlich vom jeweiligen potentiellen Konflikt auszugehen ist. Wurde beispielsweise beim Ausfahren aus einer Parklücke ein fremdes Fahrzeug beschädigt, können nach dem vorgenannten Schema folgende Punkte relevant sein: Fremdverschuldeter Anteil: Konfliktsache und Zeitdruck etc. – Selbstverschuldeter Anteil: Zeit, Informationsaustausch usw. – Vermeidbarkeit: zukünftige Vorkehrungen (Achtsamkeit, Warnvorrichtung) zur Konfliktvermeidung usw. – Unvermeidbarkeit: Kann man sich drücken? Verschiebung usw. (Lay, R.: 1980, S. 236). Allerdings: Das Verfahren ist anspruchsvoller, als es das Beispiel vermitteln kann. Es muss geübt werden, um dadurch eine zunehmende Qualität der Konfliktlösung zu erlangen. Gelingt das, kann ein Großteil der genannten potentiell abwehrbaren Konflikte abgefangen werden.

362

9. Führungselemente Abbildung 9.39: Reaktionen bei Konflikten Flucht

Angriff

Aktivitätsvermeidung

somatisch

Ausweichen – lokal – thematisch Entfernen – gerichtet (Furcht) – ungerichtet (Angst)

Kämpfen Entgegentreten – destruktiv – konstruktiv

Sich-tot-stellen Aufmerksamkeit vermeiden Banges Abwarten, was geschieht

emotional

Abwehr (etwa Verdrängen) Angst, Schuld, Scham, Mindergefühle

Aggressivität – personenorientiert oder sachorientiert – konsruktiv o. destruktiv Verarbeiten: – sich der Emotion stellen – sich dem Gegenstand der Emotion nähern – Desensibilisierung (durch Entspannung) (durch häufige Repräsentation des Auslösers)

Fixierungen (emotionale und pseudorationale) Depression Emotion von Ohnmacht, Wut, Zorn, Haß

rational

Bau einer Eigenwelt Realitätsablösung

Problem erkennen und akzeptieren Beheben durch Zustimmung oder Ablehnung

Blockade Vorurteile zirkulär kreisende Gedanken Repräsentationen des Konfliktobjekts (mit oft sich verstärkenden emotionalen Reaktionen) Überflutung durch Angstgefühle ohne Ausweichmöglichkeiten

(Lay, R.: 1980, S. 204)



9.8 Konfliktlösung363 Abbildung 9.40: Selbst- und fremdverschuldete Konfliktanteile fremdverschuldeter Anteil

selbstverschuldeter Anteil vermeidbar

unvermeidbar

(Quelle: Lay, R.: 1980, S. 236)

Zur Abrundung der begrifflichen, inhaltlichen und funktionalen Ausführungen zum Themenbereich Konflikt und Konfliktlösung ein Zitat des bedeutenden Ökonomen Hans Ulrich aus dem Jahr 1978, der ähnlich klug und weitblickend wie Rupert Lay, sehr zeitgemäß, aktuell entwicklungs- und zukunftsorientiert über seine positive Sicht von Konflikten schreibt: „Es ist klar, dass in jedem multipersonalen Entscheidungsprozess Konflikte, d. h. Meinungsverschiedenheiten zwischen den beteiligten Personen, auftreten können; das Aufdecken, ja das bewußte Herstellen solcher Meinungsverschiedenheiten kann geradezu als notwendig bezeichnet werden, um ein Problem eben „von allen Seiten“ betrachten zu können. Solche Konflikte entstehen nicht nur aus divergierenden Interessen, sondern auch durch eine unterschiedliche Beurteilung der Lage aufgrund unterschiedlicher Informationen usw.; sie sind zur Lösung innovativer und komplexer Probleme notwendig, sollten aber durch eine gemeinsame Willensbildung aufgelöst werden, also nicht latent weiterexistieren oder lediglich äußerlich durch ein Machtwort eines rangmäßig Höheren beseitigt werden“ (Ulrich, H.: 1978, S.  43 f.).

Bei der Behandlung des Bereiches Konfliktlösung wurde dem Anspruch gefolgt – der für das Thema Führung und Motivation insgesamt gilt –, nämlich basierend auf der Theorie und Erfahrung den Erfordernissen der Aktualität und gegenwärtigen Praxis möglichst gerecht zu werden. Das Führungselement Konfliktlösung ist aus zwei Gründen hierfür ein besonders wichtiger Bereich: Einmal sind schlicht und einfach die meisten der gängigen, publizierten und bei Bemühungen der Aus- und Weiterbildung der Gesellschaft und Wirtschaft gebotenen und gewerblich vertriebenen Lösungsrezepte zum Thema Konflikt vordergründig und einseitig. Konflikte werden, wie schon erläutert, überwiegend als Störfaktor in der Normalität des Tagesgeschäftes gesehen und verallgemeinernd werden aus der Werkzeugkiste scheinbar brauchbare Instrumente zur Beseitigung der oft falsch gesehenen und bewerteten „lästigen“ Konflikte präsentiert und eingesetzt. Der Einzelcharakter eines Konfliktes, der eine sehr spezifische Vorgehensweise der Konfliktlösung erfordert, wird meist negiert. Eine Verfestigung und Fixierung der Vorstellung, dass Konflikte eine negative Störung sind, birgt die Gefahr, positive Chancen einer Konfliktlösung zu unterschätzen und lediglich die

364

9. Führungselemente

Kräfte auf die Konfliktbeseitigung zu fokussieren. Fälschlich wird angenommen, die Beseitigung eines Konfliktes wäre auch seine Lösung. Eine „echte“ Lösung müsste aber auch allfällige positive Chancenpotentiale der Konfliktlösung einschließen und darf sich nicht mit einer Konfliktverdrängung begnügen. Dieser konstruktive Ansatz zur Handhabung von Konflikten wird erleichtert, wenn die Vorstellungen bzw. Ideen über das Wesen des Konfliktes erweitert werden, d. h. positive und negative Lösungen gleichermaßen erkannt werden. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Zum Letzteren ein historisches Beispiel: Zum 1. Weltkrieg ab 1914 kam es aus verschiedenen Konfliktgründen. Mit geschürtem Hurra-Patriotismus verfolgten die Mächte Österreich und Deutschland eine aggressive Kriegspolitik. Es gab auch andere Lösungen, wie sie von Berta von Suttner (1843–1914) in ihrem aufsehenerregenden und 1889 erschienen Buch Die Waffen nieder! vertrat. Die dem böhmischen Hochadel entstammende Berta von Suttner erhielt für ihren enormen pazifistischen Einsatz als erste Frau im Jahr 1906 den 1. Friedensnobelpreis, also 8 Jahre vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges (Internet: Suttner, Berta von). Wären die Verantwortlichen für die erste große Katastrophen des 20. Jahrhunderts den Vorstellungen der lange vor dem Kriegsbeginn in Europa bereits berühmt gewordenen Berta von Suttner gefolgt und hätten ernsthaft eine mögliche (!) statt einer irrationalen Konfliktlösung ohne Krieg gesucht und gefunden, wäre Europa und der Welt im 20. Jahrhundert Grauenvolles erspart geblieben und sie sähe heute anders aus. 1918 zeigten sich die verheerenden Folgen dieser vermeintlichen Konfliktlösung, die wiederum wesentlich dazu beitrug, dass es zwei Jahrzehnte später mit dem 2. Weltkrieg von 1938 bis 1945 zur noch weit größeren und schlimmsten Katastrophe des 20. Jahrhundert kam. Ausgangspunkt war ein selbstverschuldeter und vermeidbarer Konflikt zweier kriegslüsterner Länder. Zweitens gibt es einen entscheidenden weiteren Grund gegen die erwähnten Missverständnisse bei Konflikten und ihren Lösungen anzugehen, nämlich durch alternative und bessere Vorstellungen und Umsetzungsbemühungen prospektiv und positiv zu wirken: Der Zweck der Führung und Motivation und somit auch des Führungselementes Konfliktlösung liegt doch unbestritten in der Aufgabe der Verbesserung und Entwicklung der Personal- und Führungsarbeit von Unternehmen, Organisationen und anderen Einrichtungen, um diese damit in konstruktiver Art und Weise voranzubringen, nachhaltig erfolgreich zu machen und somit der damit verbundene Verantwortungen für Eigentümer, Mitarbeiter, die Gesellschaft, die Wirtschaft usw. möglichst gut gerecht zu werden. Es wurde gezeigt, dass bei diesen Bestrebungen nicht nur eine am „Störfall“ und dessen Beseitigung orientierte Handhabungen der Konfliktlösung eine hervorzuhebende Bedeutung zukommt. Vielmehr sollte einem konstruktiv-gestalterischen bzw. posi-



9.8 Konfliktlösung365

tiven Ansatz gefolgt werden. Verschiedene Überlegungen und praktische Möglichkeiten wurden daher aufgezeigt, um ein etwas vernünftigeres Handeln bei Konfliktlösungen anzuregen, als es viel zu oft und sehr einschränkend für den Umgang mit Konflikten empfohlen wird. Reinhard Sprenger stellt dazu u. a. pointiert und treffend fest: „Man sieht: Konflikte ziehen uns an; ‚magisch‘, wie man so sagt. Und stoßen uns ab. Betrachtet man einige Meter Management-Aufrüstungsliteratur, dann springt das zu Vermeidende ins Auge: ‚Konfliktfrei führen‘, ‚Wie man Konflikte löst‘ und ‚Konflikte positiv bewältigen‘ heißt es da. ‚Konflikt‘ scheint ein Unwort zu sein, etwas, das man als negativ erlebt, dem man gerne aus dem Weg geht. […] Dabei ist der Konflikt das Normalste und Natürlichste der Welt: weil jeder Mensch nun mal ein Unikat ist, weil er anders ist, andere Erfahrungen hat, andere Interessen hat. Es ist der Skandal des ‚Anderssein‘, der uns den Umgang mit Konflikten erschwert. In den Unternehmen zerstört ein defizitärer Umgang mit Dissens und dem ‚Anderssein des Anderen‘ unendlich viel Motivation und Commitment. Denn nur oberflächlich kämpft man mit weichen Bandagen – dafür mit umso härteren unter dem Tisch. Aber jede Konfliktlösung, die einen Verlierer produziert, funktioniert nicht. Man wird nachher mit den Problemen der Problemlösung schwer beschäftigt sein. […] Einige Fallstricke der Konfliktlösung: Harmoniesucht. Der Hang zur Harmonie, Konformismus und übersteigertes Sicherheitsdenken liegen wie Mehltau über vielen Leitungsgremien. Die Schweigespirale: Man schweigt, weil man den ‚lieben Frieden‘ nicht stören will, der Meinungstrend in eine andere Richtung geht oder der Chef an seinem Durchsetzungswillen keinen Zweifel gelassen hat. Eine verquere Fürsorglichkeit: Man will den anderen ‚schonen‘. Jemanden schonen heißt aber jemanden entmündigen. Man stellt sich über ihn, wertet ihn ab, erklärt ihn implizit zum Pflegefall. Tabus. Sie erschweren nicht nur, sie verunmöglichen jeden Lösungsweg. Wenn es ein Tabu gibt, dann ist genau das Tabu das Problem. Pseudosolidarität und Lagerdenken: Wir, die good guys – die anderen, die bad guys. Untereinander tun wir uns nicht weh, aber auf die anderen hauen wir drauf. Freundlich natürlich. Vorschnelle Kausalitätsvermutung: ‚Wer hat Schuld?‘ und ‚Wer hat angefangen?‘ – diese beiden Fragen führen mit mechanischer Sicherheit ins Drama. Die ‚einzig mögliche Lösung‘: Vorschnelle Lösungsfixierung führt dazu, dass nicht ergebnisoffen miteinander gesprochen wird, sondern hochselektiv alles ausgeblendet wird, was nicht der ‚einzig möglichen Lösung‘ entspricht. Das ist der Auftakt für den neuen Konflikt. […]“. (Absatzbildungen und Schrägschriften zur Hervorhebung im obigen Absatz durch den Autor der vorliegenden Ausarbeitung. Quelle: Internet: Magie des Konfliktes).

Jede Verhandlung, jede Zielvereinbarung ist im Kern konfliktär. Jede Veränderung im Unternehmen ist mit Spannungen verbunden. In Projekten und Teams ist Konfliktfreiheit wirklichkeitsfremd. Fusionen, Restrukturierungen und der Change-Management-Aktivismus lassen die Konfliktpotentiale anschwellen. Und je widersprüchlicher, schneller und komplexer die Unternehmensprozesse im globalisierten Hyperwettbewerb werden, umso mehr wird Konfliktkompetenz zur gesuchten Fähigkeit. Unternehmer müs-

366

9. Führungselemente Abbildung 9.41: Konfliktsymptome

Gereiztheit

Überkonformität

Agressivität Körperliche Symptome

Delegation nach „oben“ Intrigen Feindseligkeit

Ablehnung Desinteresse Gerüchte

Rückzug Widerstand Formalität

Sündenbocksyndrom

Unnachsichtigkeit Ablenkung

Starrheit Verdrängung

(Konflikterkennung und -handhabung, Internet)

sen streiten, nicht schmusen. Ein Unternehmen, das im echten Wettbewerb steht, agiert im wirtschaftlichen Zusammenspiel nicht primär als gutwilliger Wächter der ökonomischen Wohlfahrt, sondern führt auch nach festen bzw. akzeptierten Regeln organisierte Auseinandersetzungen bei widerstreitenden Handlungsmöglichkeiten, und zwar in verschiedensten Bereichen, wo es um wirtschaftliche Interessen geht. Wozu bräuchte man ansonsten Chefs, Geschäftsführer, Vorstände, Manager usw., die u. a. auch befähigt sind mit solchen Problem- und Aufgabenstellungen professionell umzugehen? Ein lernendes und insofern überlebensfähiges Unternehmen beruht nicht nur auf der Suche nach Übereinstimmung, sondern auch durch die Einübung des konstruktiven Umganges mit permanenten Nichtübereinstimmungen. Harmoniesüchtige Einigkeit macht starr, statt stark.



9.8 Konfliktlösung367

Konflikte binden nicht nur Energie, sie sind auch „produktiv“ im besten Sinne. Sie erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, wenn auch gelernt wurde, mit Konflikten klug umzugehen. Insbesondere wenn langfristige Kooperationsbeziehungen auf dem Spiel stehen, gilt es, Konflikte so auszutragen, dass die Verbindungen auf Dauer keinen Schaden nehmen. Wenn also die steigende Komplexität von Unternehmen und anderen Einrichtungen nicht nur erlitten sondern gelernt werden soll, nämlich sie konstruktiv zu bewältigen und damit nutzbar zu machen und es damit besser gelingt Energien in der ganzen Breite eines Unternehmens bzw. einer Einrichtung freizusetzen, wenn wir beispielsweise am Point of Sale die Schlagkraft erhöhen wollen, dann dürfen Konflikte nicht zugedeckt, sondern sie müssen aufgedeckt und gelöst werden. Der wahre Konkurrenzkampf der Zukunft wird sich mithin nicht nur um wichtige Kunden drehen, sondern um hochqualifizierte Menschen, die auch dazu in der Lage sind beispielsweise konstruktive Konfliktlösungen zu bewerkstelligen. Diese Chefs und Führungskräfte besitzen u. a. vor allem auch die Fähigkeit, Konflikte als Chancen zu nutzen. Aber auch für sie gilt: Wir irren uns voran. Die nachfolgenden Ausführungen haben die Aufgabe, einen straffen Überblick von der Vermutung eines Konfliktes bis zu seiner Lösung aufzuzeigen. Dem dienen auch verschiedene Schemata. Dadurch sollen theoretische und operative Ansätze und Realisationsmöglichkeiten vor dem intentionalen Hintergrund einer möglichst positiv-konstruktiven, spezifischen und variantenreichen Konfliktlösung gezeigt werden und diese Zielsetzung auch erreichbar erscheinen zu lassen. Die Wahrnehmung von Konflikten steht am Anfang einer Konfliktlösung. Im Vorfeld eines Konfliktes können durch sensible und sensitive Führungskräfte sowie Mitarbeiter Symptome empfunden oder erkannt werden, die das Entstehen eines Konfliktes vermuten oder einen Konflikt quasi im Frühstadium erkennen lassen. Das Schema Konfliktsymptome zeigt beispielhaft die Vielfalt von Symptomen auf, und zwar solche, die sicher keine Bagatellen am Rande sind, sondern vielmehr aus Problemzonen von Kernbereiche der Personal- und Führungsarbeit stammen. Daraus folgert aber, dass nicht quasi auf einem Nebenkriegsschauplatz zu agieren ist – sollten sich die Symptome als richtig erweisen – und lediglich „Lösungen“ nach dem Motto „Aktion Störungsbehebung“ fehl am Platze und mit Sicherheit als „hochriskant“ einzustufen sind. Einem erfahrenen Führungspraktiker genügt ein kurzer Blick auf das Schema Konfliktsymptome, um das zu erkennen. Hier können latente oder manifeste Konflikte entstehen, die beispielsweise bei Verdrängungen oder falschen Lösungsansätzen über kurz oder lang für ein Unternehmen existentiell bedrohend werden können. Ge-

368

9. Führungselemente

nau aus diesen Gründen sind die bereits erwähnten Billig-Praktiken der Konfliktlösungen abzulehnen, die Konflikte nur als möglich rasch zu beseitigende „Störfaktoren“ sehen und verkennen. Rolf Wunderer hat eine umfangreiche Untersuchung bei 1884 Führungskräften aus Großbetrieben nach Konfliktursachen durchgeführt und die Ergebnisse in einer Tabelle zusammengefasst, in der nach zwei Ursachengruppen differenziert wird, nämlich nach strukturellen und personellen Ursachen (Wunderer, R.: 2001, S. 482 f.). Es zeigte sich, dass strukturelle und personelle Konfliktursachen häufig in einer engen Wechselbeziehung stehen und sich gegebenenfalls bedingen. Die Analogien zwischen dem Schema Konfliktsymptome und der nachfolgend wiedergegebenen Tabelle von Wunderer sind – nicht überraschend – offensichtlich. Wunderer unterscheidet vier grundlegende Konfliktpotenziale, die sich jeweils in weitere Konfliktursachen differenzieren lassen. Die Hauptgruppen der Konfliktpotenziale lassen sich mit folgenden Eigenschaften kennzeichnen, wobei auch innerhalb der einzelnen Konfliktpotenziale zahlreiche Wechselbeziehungen angenommen werden können: Individuelle Konfliktpotentiale: Mangelnde Bereitschaft und Einsicht. – Individualistische Einstellung. – Wettbewerbsbezogene, kooperative und altruistische Orientierungen. – Streben nach Gleichheit bei Belohnungen. Interpersonelle Konfliktpotentiale: Unvereinbarkeit der Charaktere. – Grad der vermuteten Ähnlichkeit. – Arbeitsumwelt. – Beurteilungs-, Bewertungsund Verteilungskonflikte. – Wechselseitiges Vertrauen. Organisationale Konfliktpotentiale: Zielkonflikte und Interessengegensätze zwischen Organisationseinheiten. – Organisationale Abhängigkeit. – Ressourcenprobleme. Umfeldbezogene Konfliktpotenziale: Abteilungsspezifische Abhängigkeit von externen Ressourcen (Wunderer, R.: 2001, S. 483–488). Wunderer sieht aber auch die positiven Funktionen solcher Kooperationskonflikte, da sie zum Nachdenken anregen und Verbesserungen bewirken und allgemein eine Kommunikation über Konflikte in Gang bringen, d. h. „Stagnation und Erstarrung [verhindern] und Anstöße zu Veränderungen ergeben“ (Wunderer, R.: 2001, S. 43). Wunderer vertritt somit ebenfalls einen interaktionistischen Ansatz der – wie mehrfach dargestellt – geteilt wird und nach Stephen P. Robbins auch einschließt, dass Führungskräfte ständig ein Mindestmaß des Konfliktniveaus aufrecht erhalten sollen, um Erstarrung und Apathie zu vermeiden, um auch so den Notwendigkeiten von Wandel und Innovationen zu entsprechen. Man kann und sollte das auch als Konfliktkultur bewerten und folglich praktizieren.



9.8 Konfliktlösung369 Abbildung 9.42: Konfliktursachen bei Kooperationen in Großunternehmen Mittelwert (Rang) (1 sehr geringe Bedeutung, 8 sehr hohe Bedeutung)

n = 440

Dienstleistungsbetrieb n = 746

Dienstleistungsbetrieb n = 698

a) strukturelle Ursachen

4.8

4.3

5.3

1. Abhängigkeit von der Leistung anderer Organisationseinheiten

5.7

4.7

5.7

2. Zielkonflikte mit anderen Organisations­ einheiten

5.1

4.3

5.6

3. ungleiche Erfolgs-/Anerkennungschancen

4.7

4.4

5.1

4. mangelnde Gesprächsgelegenheit

4.6

4.4



5. Weisungen aus anderen Organisations­ einheiten

4.3

4.5

5.0

6. Weitergabe von externem Druck an andere Organisationseinheiten

4.6

3.9



7. unzureichende Aufgabenabgrenzung zwischen Organisationseinheiten

4.3

3.8

5.2

b) personelle Ursachen

4.8

4.3

5.5

1. mangelnde Kenntnisse der Probleme/ Aufgaben anderer

5.2

4.7

6.1

2. einseitige Orientierung auf die eigene Organisationseinheit

5.3

4.6

5.8

3. mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit der Kooperation

4.9

4.6



4. mangelnde Bereitschaft zu kooperativem Verhalten

4.9

4.4

5.1

5. mangelnde Orientierung an gemeinsamen Zielen

5.0

4.2



6. Konkurrenzgefühle zwischen Mitarbeiter der Organisationseinheiten

4.3

4.2

5.6

7. mangelnde Fähigkeit zu kooperativem Verhalten

4.4

4.0



8. wenig qualifizierte Vorgesetzte/Mitarbeiter in einzelnen Organisationseinheiten

4.2

3.8



Gesamtbewertung

4.8

4.3

5.4

Ursachen für Kooperationskonflikte aus der Sicht von 1884 repräsentativ befragten Führungskräften und Spezialisten

(Wunderer, R.: 2001, S. 483)

Industriebetrieb

370

9. Führungselemente

Abbildung 9.43: Dimensionierung von Organisationskulturen und Konflikte

(Schwan, K., 2003, S. 67: Nach Bleicher, K.: 1991, S. 748)

Der interaktionistische Ansatz der Konfliktkultur ist im Kontext mit der Organisationskultur zu sehen, will man strukturelle Ansätze der Organisa­ tionskultur nicht fälschlich lediglich als technokratische Gebilde oder Konstrukte deuten, die sich auf „harte“ Gestaltungsfaktoren, wie Strategien, Strukturen und Systeme beschränken. Das Führungselement Konfliktlösung wurde aus gutem Grund und seinen Schwerpunkten entsprechend daher dem Verhaltensbereich der Führung und Motivation zugeordnet und dabei auf seine konstruktiven Funktionen immer wieder hingewiesen. Eine optimal aufgebaute und gepflegte Organisationskultur bedarf daher essentiell auch „weicher“ Gestaltungsfaktoren, die – sinngemäß – Ergebnisse kooperativer und permanenter Prozesse sein sollten (s. a.: Schwan, K.: 2003, S. 61–66). Knut Bleicher hat sich der substantiellen Dimensionierung von Organisationskulturen intensiv gewidmet und u. a. deren Bedeutung als Wert- und Normenstruktur



9.8 Konfliktlösung371 Abbildung 9.44 Aussagesätze für schwelende Konflikte Wenn ein Konflikt Innerhalb einer Gruppe/zwischen Gruppen und Individuum sind Mitglieder ungeduldig miteinander. werden Ideen angegriffen, noch bevor sie ganz ausgesprochen sind. nehmen Mitglieder Partei und weigern sich nachzugeben. können Mitglieder sich nicht über Pläne und Vorschläge einigen. werden Argumente mit großer Heftigkeit vorgetragen. greifen Mitglieder sich gegenseitig auf subtile Weise persönlich an. sprechen Mitglieder abfällig über ihre Gruppe und ihre Fähigkeit(en). widersprechen Mitglieder Vorschlägen des Leiters. klagen Mitglieder sich gegenseitig an, dass sie das eigentliche Problem nicht verstehen.

zwischen Individuen

schwelt, gehen Beteiligte ungeduldig miteinander um. fallen Beteiligte sich gegenseitig ins Wort. beharren Beteiligte auf ihrem Standpunkt. können Beteiligte die Vorschläge des anderen nicht akzeptieren. sprechen Beteiligte mit aggressivem Unterton. machen Beteiligte ironische Bemerkungen übereinander. sprechen Beteiligte bei Außenstehenden abfällig über den anderen. beklagen Beteiligte sich darüber, dass sie den anderen nicht verstehen. verdrehen Beteiligte die Beiträge des anderen. suchen Beteiligte sich Verbündete.

verdrehen Mitglieder die Beiträge von anderen. bilden sich Cliquen innerhalb der Gruppe. (Schwan, K., Seipel, K. G.: 2002, S. 223, nach: Becker, A., Becker, H.: 1992, S. 67)

detailliert entwickelt und dargestellt (Bleicher, K.: 1991, S. 747–757). Das Schema Dimensionierung von Organisationskulturen und Konflikte zeigt die unmittelbaren sowie zahlreichen substantiellen Schnittstellen zwischen Konflikten und den Dimensionierungen der Organisationskulturen. Eine weitere Präzisierung dazu findet sich bei Bleicher in der vorgenannten Quelle. Nachfolgend schließlich noch zwei Schemata mit Aussagensätzen zu schwelenden Konflikten innerhalb einer Gruppe und zwischen Gruppen und Individuen oder nur zwischen Individuen, das auf Becker, A. / Becker, H. zurückgeht und das Schemata Konstruktiver Umgang mit Widerstand, zu dem Doppler und Lauterburg bemerkenswerte Grundsätze geben:

372

9. Führungselemente Abbildung 9.45: Konstruktiver Umgang mit Widerstand

1. Grundsatz:

Es gibt keine Veränderung ohne Widerstand! Widerstand gegen Veränderung ist etwas ganz Normales und Alltägliches. Wenn bei einer Veränderung keine Widerstände auftreten, bedeutet dies, dass von vorneherein niemand an ihre Realisierung glaubt. – Nicht das Auftreten von Widerständen, sondern deren Ausbleiben ist Anlass zur Beunruhigung!

2. Grundsatz:

Widerstand enthält immer eine „verschlüsselte Botschaft“! Wenn Menschen sich gegen etwas sinnvoll oder sogar notwendig Erscheinendes sträuben, haben sie irgendwelche Bedenken, Befürchtungen oder Angst. – Die Ursachen für Widerstand liegen im emotionalen Bereich.

3. Grundsatz:

Nichtbeachtung von Widerstand führt zu Blockaden! Widerstand zeigt an, dass die Voraussetzungen für ein reibungsloses Vorgehen im geplanten Sinne nicht bzw. noch nicht gegeben sind. Verstärkter Druck führt lediglich zu verstärktem Gegendruck.

4. Grundsatz:

Mit dem Verstand, nicht gegen ihn gehen! Die unterschwellige emotionale Energie muss aufgenommen – d.h. zunächst einmal ernst genommen – und sinnvoll kanalisiert werden. (1) Druck wegnehmen (dem Widerstand Raum geben) (2) Antennen ausfahren (in Dialog treten, Ursachen erforschen) (3) Gemeinsame Absprachen (Vorgehen neu festlegen)

(Schwan, K.: 2003, S. 243, nach Doppler / Lauterburg, S.  302 f.)

Das folgende Grundschema der Konfliktarten wurde bereits in den bisherigen Ausführungen sinngemäß erläutert. Das zweite Schema Konfliktgrammatik und -system zeigt die Vielschichtigkeit der Konflikte und die Fülle an Wechselbeziehungen, die mit Konflikten verbunden sind und das Führungselement Konfliktlösung für Führung und Motivation und darüber hinaus so besonders bedeutsam macht. Das Schema Konfliktgrammatik und -system zeigt aber auch die oberflächliche Schlichtheit, den ausgesprochenen Unfug und die mangelnde Verantwortungsbereitschaft für kreative und chancenorientierte Lösungen, nämlich den hochkomplexen, mit essentiellen Möglichkeiten und Risiken verbundenen Themenbereich Konflikte – wie gezeigt – lediglich als „Stör-



9.8 Konfliktlösung373 Abbildung 9.46: Grundschema der Konfliktarten

(Schwan, K., Seipl, K. G.: 2002b, S. 226, nach: Lengachers, M., Schmitz, C., Weyrer, M: 9 / 1995, S. 14–19)

faktor“ zu verkennen und dessen „Beseitigung“ als „Problemlösung“ zu deklarieren. Die Schäden, die diese Sicht damit für Unternehmen, Organisationen und andere Einrichtungen und vor allem bei davon betroffenen Menschen sowie in Wirtschaft und Gesellschaft ausgelöst werden können, zeugt von erschreckender Arglosigkeit und Verantwortungsmangel. Die Reaktion bei Konflikten variiert nach den jeweils beteiligten Personen und ihren Prägungen. Auch daran ist erkennbar, dass eine Konfliktlösung mehr als eine rationale Technik ist, d. h. auch stark durch unterschiedliche Verhaltensweisen und Emotionen beeinflusst wird. Das Schema Persönlichkeitstypen und Konflikt zeigt das in vereinfachter Art und Weise im Alltag, in Stresslagen und bei Veränderungen (Schwan, K.: Glossar, Internet): Wer an Konfliktlösungen beteiligt ist oder beispielsweise als Vorgesetzter die Aufgabe hat Konflikte zu lösen, sollte sich bewusst sein, dass er nicht

374

9. Führungselemente Abbildung 9.47: Konfliktgrammatik und -system

frei von Emotionen, vorgefassten Meinungen oder auch Stereotypen ist und vielleicht auch mit unangebrachten Taktiken und Rücksichtnahmen usw. agiert, also durch eigenes subjektives Verhalten die notwendige Objektivität verlieren kann. Die häufige Folge solcher Vorgehensweisen sind faule Kompromisse, die nicht selten und letztendlich eine konstruktive und vor allem dauerhafte Konfliktlösung verhindern sowie zu Frustrationen bei den Konfliktbeteiligten führen, sogar zu unangemessen Aggressionen. Kompromisse gehen meist zu Lasten sachgerechter Lösungen, die oft betriebswirtschaftlich und gegenüber Beteiligten ungerechtfertigt sind. Wer als Schlichter von Konflikten auftritt, kann allein durch die Artikulation des Konfliktes schon dessen Lösung sehr erschweren. Ihm sei geraten, zuvor sich einen KonfliktFahrplan für seine guten Absichten fundiert und klug auszudenken, sei es sachlich, zeitlich, hinsichtlich Varianten, Einhaltung von Spielregeln, Wahl der zwischenmenschlich richtigen und zweckmäßigen Kommunikationsmittel, Beachtung realistischer Machbarkeiten, Vermeiden von Tricks, Konsens­ orientierung und Verhindern von Gesichtsverlusten, Einsetzung von Teams usw. Wenn all das nicht hilft, kann es als Ultima ratio notwendig sein, durch einen angemessenen Einsatz von Macht, auch durch höhere Instanzen, eine



9.8 Konfliktlösung375 Abbildung 9.48: Persönlichkeitstypen und Konflikt

DER THEORETIKER liebt komplexe Aufgaben, wirkt kühl. Gefahr für einen handfesten Krach entsteht, wenn die Führungskraft – im Alltag von ihm Detailarbeit verlangt oder ihn für Routinearbeiten einsetzt; – in Stresssituationen von ihm Schlichterqualitäten abverlangt oder rasche Durchführung von Entscheidungen will; – bei Veränderungen weniger visionär und mehr praktisch denkt oder seine Ideen nicht genügend würdigt. DER PRAKTIKER ist kühler Realist mit Neigung zum Altvertrauten. Ein Krach mit ihm ist vorprogrammiert, wenn die Führungskraft – im Alltag ihn in ein unreflektiertes kreatives Team steckt oder ihm Aufgaben mit hoher Unsicherheit gibt; – in Stresslagen von ihm „neue“ Lösungen verlangt oder seine altvertrauten Mechanismen beschneidet; – bei Veränderungen für ihn Altvertrautes gleich mitändert oder mehr Wert auf Visionen als Details legt. DER IDEALIST Seine Visionen dienen den Bedürfnissen der Menschen. Krach gibt es tendenziell dann, wenn die Führungskraft – im Alltag ihn für Feinarbeiten einsetzt oder ihm Aufgaben mit einer geringen Sozialorientierung gibt; – in Stresslagen knallhartes Durchsetzen erwartet oder ihm kühle Logik abverlangt; – bei Veränderungen Material vor Menschen plant oder Stillhalten voraussetzt. DER MENSCHLICHE ist sozial orientierter Realist. Tendenziell kommt es zum Krach mit ihm, wenn die Führungskraft – im Alltag ihn kritisiert, ohne sein Ego zu puffern oder von ihm erwartet, Konflikten zu begegnen; – in Stresslagen „gesunde“ Konkurrenz unter Mitarbeitern propagiert oder von ihm schnelle Sachentscheidungen erwartet; – bei Veränderungen Sachentscheidungen vor Harmoniepflege trifft oder diese über „künstliche“ Konflikte initiiert.

Deeskalation und haltbare Lösung des Konfliktes zu erreichen (s. a.: Schwan, K., Seipel, K. G.: 2002b, S. 229–231). Bei Gruppenkonflikten kann es zusätzlich dadurch schwieriger werden, da durch unterschiedliche Informationsstände und -quellen der beteiligten

376

9. Führungselemente

Gruppen es gerade bei der Lösung von beispielsweise innovativen und sehr komplexen Sachkonflikten schwieriger sein kann, gemeinsame Ansichten zu gewinnen, da zu unterschiedliche Vorstellungen bestehen und auf diesen beharrt wird. Ferner sind nicht selten gruppendynamische Probleme zu bewältigen, beispielsweise wenn statt fachlicher Fundierungen eines Berufenen laienhafte Ansichten Platz greifen und angestrebten fundierten bzw. guten Konfliktlösungen schaden. Bei wichtigen Fragenstellungen ist das naturgemäß sehr riskant (s. a.: Ulrich, H.: 1978, S. 43 f.). Veränderungen und Innovationen werden erfahrungsgemäß oft zum Gegenstand von Konflikten. Sie entstehen meist aus Widerständen gegen den Wandel, die sich nach Watson (1971) in fünf Phasen entwickeln und naturgemäß die Konfliktlösung erschwerend überlagern, und zwar etwa folgendermaßen: 1. Pioniere sind eindeutig in der Minderzahl, Widerstand ist massiv und undifferenziert. – 2. Kräfte pro und contra werden identifizierbar. – 3. Direkte Konfrontation und für den Erfolg des Wandels entscheidende Positionskämpfe. – 4. Widerstände nehmen ab, Einbindung der Opposition. – 5. Entspricht der Phase 1. mit umgekehrtem Vorzeichen, d. h. Opponenten sind eindeutig in der Minderzahl (Watson, G.: 1971, Vol. 14,5., S. 745 ff.). Diese bekannten Beobachtungen und Abläufe nach Watson verlängern relevante Konfliktprozesse, zeigen aber auch, dass man das in Kauf nehmen sollte, wenn gute und wichtige konstruktive Chancen der Kreativität, Innovation und des Wandels durch einen Konflikt erreichbar erscheinen (s. a.: Staehle, W.: 1985, S. S. 694). Die Formen der Überwindung von Widerstand sind nach Wolfgang Staehle im Wesentlichen folgende: 1. Information über Ursachen und Ziele des Wandels. – 2. Beteiligung der vom Wandel Betroffenen. – 3. Schutz der Personen, die vom Wandel negativ betroffen werden […]. – 4. Die Unterstützung des Wandels belohnen. – 5. Vermeiden revolutionärer Ansätze. – 6. Wahl eines kompetenten Change Agent (Staehle, W.: 1985, S. 697; s. a. Schwan, K.: 2003, S. 191 ff.). Bei intrapersonalen Konflikten, die sich in der Praxis leider recht oft in den beruflichen Sphären von Führungskräften und Mitarbeitern finden, entstehen Demotivationen in kaum überschätzbarem Ausmaß. Die lähmenden, Kraft und Mittel kostenden Schäden der Konflikte in menschlicher und wirtschaftlicher Hinsicht sind unverantwortlich groß. Sie stellen daher für die Vorgesetzten, aber auch das Top-Management eine ernste Herausforderung und Verantwortung dar, die allerdings häufig nicht oder zu wenig aufgegriffen werden. Ganz zu schweigen davon, dass die dadurch bei den Betroffenen entstehenden Belastungen und Frustrationen, die Bereitschaft zur Nutzung von Konflikten für positive Veränderungen zumindest so lange gering sein dürften, wie Mitarbeiter keine Signale von „oben“ empfangen, die bedrückenden Verhältnisse zu bessern. Bestehen zudem für Mitarbeiter keine oder nur geringe Möglichkeiten sowie triste Aussichten, durch eine



9.8 Konfliktlösung377

Führung von unten nach oben die sich zu passiv verhaltenden Vorgesetzten zur Mithilfe bei der Lösung intrapersonaler Konflikte zu gewinnen, rücken akut drängende Konfliktlösungen in die Ferne. Die Verschleppungen schaukeln Konfliktsituationen auf und verstärken sie. Vorgesetzte verkennen oder ignorieren ihre originären Pflichten und Führungsaufgaben der Konfliktlösung. Sie sehen und empfinden darin keine Anreize und Chancen, sondern fürchten dabei vielmehr die Risiken. Nicht selten scheitern Konfliktlösungen daran, dass ein vermeintlich nützliches und prioritäres Harmoniestreben notwendigen Konfliktlösungen im Wege steht, da die sattsam bekannt falsche Vorstellung besteht, Konflikte nur als Störfaktoren zu bewerten. Ohne eine ausgeprägte Konfliktkultur, die essentieller Teil jeder Führungskultur sein sollte, werden notwendige schöpferische Veränderungen, evolutionäre, kreative und innovative Prozesse und Entwicklungen stark behindert oder sogar versäumt. Es wird völlig verkannt – was gerade Forschungs- und Entwicklungsaufgaben besonders deutlich zeigen –, dass Konflikte und Fehlschläge genuine und immanente Bestandteile solcher Abläufe darstellen und Erfolge fast immer erst nach vergeblichen Ansätzen erreichbar sind. Fehlschläge sind daher kein Konfliktproblem, sondern Voraussetzungen innovatorischer Leistungen und Veränderungen, die mehr denn je die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben und anderen Einrichtungen ausmachen. Beispielsweise wird in der Arzneimittelforschung bei der Entwicklung neuer und hochwertigster Wirkstoffe davon ausgegangen, dass für einen patentierungsfähigen Wirkstoff zwischen 1.000 und 10.000 wissenschaftliche Forschungsansätze notwendig sein können, was noch lange nicht heißt, dass damit das Medikament am Markt sich etablieren läßt. Die dafür notwendige Zeiträume für Grundlagen- und Anwendungsforschung betragen jeweils im Durchschnitt 15 Jahre, also insgesamt 30 Jahre. Die Werte können niedriger und höher sein. In anderen F+E-Bereichen werden andere Werte gelten und bei betrieblichen und wirtschaft­ lichen Veränderungsprozesse werden überhaupt differente Krite­ rien heranzuziehen sein. Was generell illustriert werden soll ist die Tatsache, dass „Fehler“ wie „Konflikte“ Teil einer notwendigen Normalität sein können, ohne die Veränderungen, ein Wandel und Fortschritten nicht möglich wäre. Die Erkenntnisse gelten generell bei prospektiven Aufgaben und sollten viel mehr reflektiert werden und dürfen vor allem nicht falsch verstandenen Harmonievorstellungen geopfert werden. Leben, wachsen, forschen und entwickeln, anpassen, verändern und entfalten sind ohne „Fehler“ und „Konflikte“ nicht denkbar und erfordern konstruktiv geführte Ausei­ nandersetzungen und bilden daher entscheidende Ansätze, die möglichst intensiv, engagiert sowie breit und übergreifend zu fördern sind. Daher war und ist es auch falsch, rückständig, naiv und ärgerlich, das Führungselement Konfliktlösung lediglich mit der „Vermeidung von Störungen“ zu

378

9. Führungselemente

verknüpfen, die auch noch Teil des betrieblichen Risikomanagements sein soll. Oft besteht bei Vorgesetzten auch eine durchaus nachvollziehbare, aber oft falsch verstandene Scheu, bei Konfliktlösungen in persönliche, quasi private Intimbereiche der Mitarbeiter einzudringen. Solche Anlässe haben häufig Einflüsse auf Arbeitsverhältnisse und können nicht negiert werden. Das verlangt von der Führungskraft hohe Sensitivität, Verantwortungsgefühl und mitmenschliche Orientierung, die dem Betroffenen die Sicherheit einer redlichen Hilfe seines Vorgesetzten vermittelt. Wenn es der Führungskraft gelingt, in diesem Sinne Vertrauen zu schaffen und einen so geschaffenen Rahmen für eine kluge und gemeinsame konstruktive Konfliktlösung zu nutzen, wird seine Hilfe angenommen und es bestehen gute Lösungschancen. Selbst bei suboptimalen Konfliktlösungen wird die Vorgehensweise stets besser sein als ein Ausweichen vor Konflikten. Wenn es betroffenen Vorgesetzten gelingt, ihre Führungsfunktion der Konfliktlösung aktiv zu erfüllen, werden sie vermutlich oft erstaunt sein, welche bislang unterschätzten Potentiale bei ihren Mitarbeitern frei werden. Mancher Vorgesetzte wird erfreut, aber auch selbstkritisch erkennen, dass es längst an der Zeit gewesen wäre, den ihm anvertrauten Menschen und unter ihrem Wert geschlagenen Mitarbeitern bei Konflikten zu helfen, ihnen damit Entfaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, bei ihren Aufgabenerfüllungen zu unterstützen und sie dadurch erfolgreicher zu machen. Das Schema Abbildung 9.49: Intrapersonale Konflikte und Lösungsansätze im Beruf zeigt sehr deutlich die Breite des Fehlverhaltens bei der Führung und Motivation auf – speziell bei Konfliktlösungen –, das in einem erheblichen Umfang in der Wirtschaft, aber ebenso in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft bei Funktionen der Personal- und Führungsarbeit anzutreffen ist. Es wurde seit vielen Jahren bei empirischen Studien immer wieder verifiziert. Es gibt aber auch praktikable Verbesserungsansätze. Ein weiteres Beispiel wurde bereits auch mit dem Schema Abbildung 9.42: Konfliktursachen bei Kooperationen in Großunternehmen (Wunderer, R.: 2001, S. 483) gezeigt. Sehr problematisch ist in diesem Zusammenhang seit Mitte der 70erJahre des letzten Jahrhunderts die Tatsache, dass sich die Führungs- und Konfliktkultur bis heute (Mitte 2015) wesentlich verschlechterte, worauf an anderer Stelle der Arbeit schon hingewiesen wurde. Wesentliche Gründe der Entwicklungen dafür lagen in dem immer dominanter werdenden Ideengut des Neoliberalismus in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Es löste eine weltweiten Welle aus an Egozentrik zu Lasten der Sozialität, Gier, Rücksichtslosigkeit, Skandale, Korruption, steigenden Probleme der Verteilungsungerechtigkeiten und Entwicklungen der Verarmung usw. Damit schwanden in weitem Maße führungskulturelle Werte und ihre Praktizierung. Auch



9.8 Konfliktlösung379 Abbildung 9.49: Intrapersonale Konflikte und Lösungsansätze im Beruf 1. Stumpfsinnige Arbeit, oft verbunden mit einseitiger körperlicher oder mentaler Belastung (z. B. Fließbandarbeit). Abhilfe schaffen hier sogenannte „rundere Arbeitsplätze“ (z. B. über Gruppenarbeit zu realisieren) und die Anreicherung monotoner Arbeit durch interessantere Tätigkeiten (job enrichment). 2. Die Mitarbeiter fühlen sich als Nummer: Wer sich unbeachtet und ungeachtet fühlt, neigt zu mehr Krankenständen. Einzelgespräche sind das beste Mittel gegen die Vereinsamung am Arbeitsplatz. 3. Die Mitarbeiter fühlen sich fremdbestimmt, zu wenig informiert und in Entscheidungen mit einbezogen. Grund dafür ist meist ein autoritärer Führungsstil. Mit mehr und offenerer Kommunikation kann dem entgegengesteuert werden. 4. Schlechte innerbetriebliche Sitten und Gebräuche: „Krankfeiern“ wird zwar lauthals beklagt, doch nicht gezielt bekämpft, sondern geduldet. Wer das macht, sollte zunächst in die Pflicht genommen werden. Hilft das nicht, sind die „Blaumacher“ zu isolieren. 5. Vorschläge werden weder gefördert, noch honoriert. Oft werden sie von den Vorgesetzten auch als eigene Ideen verkauft. Wiederum ist das Gespräch der beste Weg, um aus der innerbetrieblichen Sackgasse zu finden. Vorschläge sollten mit Geld und Anerkennung honoriert werden. 6. Private Belastungen, die sich auf den Beruf auswirken. Hier gilt es, Mitgefühl zu zeigen und gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern organisatorische und personelle Lösungen für eine befristete Periode zu vereinbaren. 7. Was kränkt, macht krank. Ungerechtfertigte Kritik vor Dritten, Blamage sowie Schikane zerstören das Betriebsklima und unterminieren die Arbeitsmoral. Vorgesetzte sollten wissen, dass Mitarbeiter Belohnung statt Strafe brauchen. 8. Mitarbeiter wollen mit geringerem Einsatz Geld verdienen. Alles andere ist ihnen egal. Durch begeisterungsfähige Führungskräfte muss den Mitarbeitern der Sinn ihrer Tätigkeit nahegebracht werden. 9. Vorgesetzte haben keine Zeit zum Führen. Es wird zu wenig delegiert und es werden keine klaren Ziele vorgegeben. Den Vorgesetzten müssen die Techniken der Delegation vermittelt werden, ebenso eine bessere Arbeitsökonomik einschließlich Zeitmanagement und die Notwendigkeit der aktiven Führungungsarbeit. 10. Einzelne Mitarbeiter werden von den Kollegen geschnitten oder sogar schikaniert ­(„Mobbing“). Eine Schlangengrube entsteht. * Der Vorgesetzte muss rasch reagieren, indem er die Fronten durch Rotation aufreißt.

380

9. Führungselemente

Abbildung 9.50: Nachteilige Merkmale zwischenmenschlicher Konflikte Kommunikation Ist nicht offen und aufrichtig. Information ist unzureichend oder bewusst irreführend. Geheimniskrämerei und Unaufrichtigkeit nehmen zu. Drohungen und Druck treten an die Stelle von offener Diskussion und Überzeugung.

Wahrnehmung Unterschiede und Differenzen in Interessen, Meinungen und Wertüberzeugungen treten hervor. Das Trennende wird deutlicher gesehen als das Verbindende. Versöhnliche Gesten des anderenwerden als Täuschungsversuche gedeutet, seine Ab­ sichten als feindselig und bösartig beurteilt, er selbst und sein Verhalten einseitig und verzerrt wahrgenommen.

Einstellung Vertrauen nimmt ab und Misstrauen zu. Verdeckte und offene Feindseligkeit entwickeln sich. Die Bereitschaft, dem anderen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, nimmt ab. Die Bereitschaft den anderen auszunutzen, bloßzustellen oder herabzusetzten, nimmt zu.

Aufgabenbezug Die Aufgabe wird nicht mehr als gemeinsame Anforderung wahrgenommen, die am zweckmäßigsten durch Arbeitsteilung bewältigt wird, in der jeder nach seinen Kräften und Fähigkeiten zum gemeinsamen Ziel beiträgt. Jeder versucht alles alleine zu machen: er braucht sich so auf den anderen nicht zu verlassen, ist nicht abhängig und entgeht damit der Gefahr, ausgenutzt und aus­ gebeutet zu werden.

(Schwan, K.: Nach Berkel, K. 1990; Internet: Konflikttraining)

diese Resultate neoliberaler Ideen wurden wie die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bis in die Gegenwart zu bittersten Wirklichkeiten. Die Zeitphase nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 war zunächst von einem solidarischen Geist der Unternehmer und Mitarbeiter getragen, mit dem die ersten Schritten des Wiederaufbaus begannen und die mit der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft ihre Fortsetzung fand. Diese Entwicklung prägte und kennzeichnete in verschiedenen Varianten auch die Gesellschaft und Wirtschaft in vielen Ländern Europas, in denen zu Recht das Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft hohe Akzeptanz hatte, und zwar trotz aller Turbulenzen, wie beispielsweise in den so genannten 1968er Jahren. Die Begriffe Redlichkeit, Loyalität, Solidarität und soziale Gerechtigkeit waren – im Gegensatz zur neoliberal geprägten Phase – ein gelebter Teil der Realität und der wirtschaftlichen Erfolge. Nach den neoliberalen Erfahrungen der vergangenen rund 35 bis 40 Jahre, der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und den manifesten Folgeschäden dieser Zeit, sollten diese „alten Tugenden“ in zeitgemäßer Form unserer Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur wieder Orientierung geben. Daher ist auch ein tiefgreifender Paradigmenwechsel unverzichtbar. Davon würden Unternehmen, Orga-



9.8 Konfliktlösung381 Abbildung 9.51: Schema Konfliktverlauf – Überblick

nisationen und viele Einrichtungen profitieren, besonders auch eine fortschrittsorientierte und zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit. Das Schema Abbildung 9.50: Merkmale zwischenmenschlicher Konflikte zeigt, wo u. a. auch der Hebel bei den Themen Führung und Motivation sowie Konfliktlösung anzusetzen wäre: In ihrem Verlauf folgen Konflikte in der Theorie einer bestimmten entscheidungslogischen Ordnung und Dynamik, die in der Praxis der Konfliktlösung als Orientierung helfen kann. Natürlich werden die realen Verhältnisse davon auch abweichen, s. a. Abbildungen 9.51 und 9.52.

382

9. Führungselemente Abbildung 9.52: Konfliktverläufe nach Hauptinhalten und Phasen (1)

Phase 1

potenzielle Opposition oder Unvereinbarkeit

Phase 2

Wahrnehmung und Personalisierung

bestehende Bedingungen – Kommunikation – Struktur – personelle Variablen

empfundener Konflikt

wahrgenommener Konflikt

Intentionen

Intentionen der Konflikthandhabung – Selbstbehauptung – Zusammenarbeit – Kompromisse schließen – Ausweichen – Nachgeben

Phase 4

Verhaltensweisen

offener Konflikt – Verhalten der einen Partei – Reaktion der anderen Partei

Phase 5

Resultate

Phase 3

(Schwan, K.: Nach Robbins, S. P.: 2001, S. 453)

gesteigerte Gruppenleistung

verringerte Gruppenleistung



9.8 Konfliktlösung383

Das Schema Konfliktverläufe nach Hauptinhalten und Phasen (1) differenziert den zuvor dargestellten Konfliktverlauf und läßt damit auch wesentliche instrumentelle Ansätze der Konfliktlösung erkennen (Robbins, S. P.: 2001, S. 452). Mit dem Schema Konfliktverläufe nach Hauptinhalten und Phasen (2) erfolgt einmal eine weitere Differenzierung des Konfliktverlaufes, zweitens werden dabei die emotionalen Faktoren hervorgehoben und dadurch auch die Phasen des Konfliktes bestimmt und drittens steht die übergreifende Dynamik der Eskalationsentwicklung des Konfliktes im Mittelpunkt der Interessen (Abbildung 9.53: Höher, P., Höher, F.: 2000, S. 187–190). Die Konflikteskalation, wie sie durch das nachfolgende Schema (Schwan, K.: Konflikteskalation, nach Glasl, Friedrich; Internet) gezeigt und in einem Stufenmodell die steigende Intensität der Emotionalisierung beschrieben wird, kann auch so verstanden werden, dass in der Praxis der Konfliktlösung in diesem geradezu klassischen Bereich des menschlichen Verhaltens bei allen sachlichen Ansätzen diffizilste Problemlösungen liegen können: Liest man den Text des Schemas Konflikteskalation – Stufenmodell spürt man geradezu die Anschwellung der Intensität bzw. Schärfe von Konflikten, quasi von „Meinungsverschiedenheiten“ bis zum „Untergang des Feindes“. Bei wachen und aktiven Vorgesetzten müsste selbstverständlich längst früher – und sei es auch durch ein Machtwort – Schluss mit solchen Umtrieben sein. Bei solchen Verhältnissen rutscht die Konfliktlösung dank extremer Negation der Aufgabenstellung in die Kategorie des Krisenmanagements, sei es im Kleinen wie im Großen. Von konstruktiv-positivem Denken, Führen, Motivation und Lösungswille ist nur das Gegenteil zu erkennen. Kurzum, die Verantwortlichen stehen damit vor der Bankrotterklärung ihrer Führungskompetenz bei der Konfliktlösung. Der bekannte Fachmann Friedrich Glasl, besonders auch für Krisenmanagement (Glasl, F.: 2009), hat mit seinem Modell mit 9 Stufen der Kriseneskalation das vorgenannte Schema noch um einige Aspekte erweitert, wie das Schema 9 Stufen der Konflikteskalation (2) zeigt (Konflikteskalation nach Friedrich Glasl, Internet.; s. a. Glasl, F.: 1980, S. 235 ff.): 1. Ebene (Win-Win) Stufe 1 – Verhärtung Konflikte beginnen mit Spannungen, z. B. gelegentliches Aufeinanderprallen von Meinungen. Es ist alltäglich und wird nicht als Beginn eines Konflikts wahrgenommen. Wenn daraus doch ein Konflikt entsteht, werden die Meinungen fundamentaler. Der Konflikt könnte tiefere Ursachen haben.

384

9. Führungselemente Abbildung 9.53: Konfliktverläufe nach Hauptinhalten und Phasen (2)

Ausgangspunkt: Phase 1 – ungutes Gefühl Eskalationsstufe/Phase

2. Der noch verborgene, latente Konflikt

3. Sachliche, rationale Diskussion

Psychologisches Klima

– Anspannung, Ungewissheit, Angst

– Vernunft steht im Vordergrund, die Gefühlsebene im Hintergrund

Wahrnehmung des Konfliktes/ des anderen

– Der Konflikt wird von mindestens einer Partei wahrgenommen. Der andere bzw. sein Verhalten wird als konträr zur eigenen Person bzw. zum eigenen Verhalten empfunden.

– Definition der Situation als Spiel (mit Gewinnchancen für beide Seiten), Verhandlung oder Problemlösungssituation. – Der andere als Gegenspieler, im günstigsten Fall wird er zum Partner.

Merkmale der Kommunikation

– Verschweigen (Konflikt wird nicht offen thematisiert) – Vage Andeutungen/Anspielungen – Körpersprache/nonverbales Verhalten als Konfliktausdruck

– Direkte Interaktion der Konflikt– parteien Verhandlungen

InterventionsMöglichkeiten

– Direkte Thematisierung des Konfliktes – Metakommunikation (d. h. die Kommunikationsstörung selbst zum Thema werden lassen) – Ziel: Überleitung in eine konstruktives Konfliktgespräch

– Selbstmoderation des Konfliktes – Falls der Prozess sich festzufahren droht, kann ein Dritter als Moderator eingeschaltet werden.

Eskalationsstufe

4. Emotionalisierte Auseinandersetzung

5. Destruktiver Kampf

Psychologisches Klima

– Die Beziehungsebene überlagert zuneh­mend die Sachebene, Gefühle ­kommen zum Vorschein

– Vernunft steht im Vordergrund, die Gefühlsebene im Hintergrund

Wahrnehmung des Konfliktes/ des anderen

– Definition der Situation als ein Nullsummenspiel (Gewinn-Verlust-Situation) mit einem hohen Prestigewert – Der andere als Gegner

– „Er-oder-Ich“ -Situation, Motto: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – Ziel = Sieg = möglichst weitreichende Schwächung des anderen, hierfür werden selbst eigene Verluste in Kauf genommen (Verlust-Verlust-Spiel) – Niederlage = massivster Gesichtsverlust – Der andere als Feind

Merkmale der Kommunikation

– Zunehmend gereizter Unterton in den Äußerungen – Erste Drohungen werden eingesetzt (zunächst noch verdeckt) – Vorwürfe und Aufrechnen – Eventuell droht schon ein Gesprächsabbruch

– Wenn noch eine direkte verbale Interaktion besteht, ist diese geprägt durch massive offene Drohungen und Beleidigungen – Oftmals Interaktionabbruch und „indirekte Kriegsführung“ (mit allen Mitteln)

InterventionsMöglichkeiten

– Einsatz eines (externen) Dritten in der Rolle eines 1) Moderators 2) Prozessbegleiters 3) Mediators (Vermittler)

– Schiedsverfahren – Machteingriff durch Außenstehenden (auch gegen den Willen der Konfliktgegner)



9.8 Konfliktlösung385 Abbildung 9.54: Konflikteskalationen – Stufenmodell (1) 1. Meinungsverschiedenheiten führen zu Spannungen und Verstimmungen, aber die Parteien sind sicher, die atmosphärischen Störung mit Argumenten beseitigen zu können. 2. Überheblichkeit und Arroganz prägen die Verhaltensweisen der Konfliktparteien. Jetzt geht es vor allem um die Frage: „Welches ist der bessere Standpunkt?“ 3. „Du oder ich“ heißt jetzt die Devise. Ein strahlendes Selbstbild steht einem negativen Feindbild gegenüber. Beide Konfliktparteien werben nun um Verbündete von außen. 4. Öffentliche Diskriminierungen der Gegner und persönliche Angriffe unter der Gürtellinie sind an der Tagesordnung. Jetzt kämpfen die „Guten gegen die Bösen“. 5. Gegenseitige Drohungen und zunehmendes Misstrauen erschweren die Kontrolle über den Konflikt. 6. Ziel der Kontrahenten auf dieser Stufe ist es nun, die Existenz des Gegners zu erschüttern. 7. Jetzt geht es nur noch darum, die Macht- und Existenzgrundlage des Gegners völlig zu vernichten. 8. Auf der letzten Stufe der Konflikteskalation geht es nur noch um die Genugtuung, im eigenen Untergang den Feind mit in den Abgrund zu reißen. Darin scheint der einzige Trost zu liegen.

1.

Ve r

hä rtu ng 2. Po & la D ris eb at at ion 3. te Ta te n sta tt W 4. or So te Im rg ag e u eu m nd 5. K oa G es lti ic to ht n sv er 6. lu D st ro hs tra te 7. gi B en Ve egr rn en ic zt ht e un 8. gs Ze sc hl rs pl äg itt e er u 9. n g G in em de ein n A sa bg m ru nd

Abbildung 9.55: 9 Stufen der Konflikteskalation (2)

„win-win“

„win-lose“

„lose-lose“

(Glasl, F.: 1980, S. 235 ff.; Konflikteskalation, Internet)

Stufe 2 – Debatte Ab hier überlegen sich die Konfliktpartner Strategien, um den anderen von ihren Argumenten zu überzeugen. Meinungsverschiedenheiten führen zu einem Streit. Man will den anderen unter Druck setzen. Schwarz-WeißDenken entsteht.

386

9. Führungselemente

Stufe 3 – Taten statt Worte Die Konfliktpartner erhöhen den Druck auf den jeweils anderen, um sich oder die eigene Meinung durchzusetzen. Gespräche werden z. B. abgebrochen. Es findet keine verbale Kommunikation mehr statt und der Konflikt verschärft sich schneller. Das Mitgefühl für den „anderen“ geht verloren. 2. Ebene (Win-Lose) Stufe 4 – Koalitionen Der Konflikt verschärft sich dadurch, dass man Sympathisanten für seine Sache sucht. Da man sich im Recht glaubt, kann man den Gegner denunzieren. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern darum, den Konflikt zu gewinnen, damit der Gegner verliert. Stufe 5 – Gesichtsverlust Der Gegner soll in seiner Identität durch alle möglichen Unterstellungen oder ähnliches vernichtet werden. Hier ist der Vertrauensverlust vollständig. Gesichtsverlust bedeutet in diesem Sinne Verlust der moralischen Glaubwürdigkeit. Stufe 6 – Drohstrategien Mit Drohungen versuchen die Konfliktparteien, die Situation absolut zu kontrollieren. Sie soll die eigene Macht veranschaulichen. Man droht z. B. mit einer Forderung (10 Mio. Euro), die durch eine Sanktion („Sonst sprenge ich Ihr Hauptgebäude in die Luft!“) verschärft und durch das Sanktionspotenzial (Sprengstoff zeigen) untermauert wird. Hier entscheiden die Proportionen über die Glaubwürdigkeit der Drohung. Hier soll dem Gegner mit allen Tricks empfindlich geschadet werden. Der Gegner wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen. Ab hier wird ein begrenzter eigener Schaden schon als Gewinn angesehen, sollte der des Gegners größer sein. Stufe 8 – Zersplitterung Der Gegner soll mit Vernichtungsaktionen zerstört werden. Stufe 9 – Gemeinsam in den Abgrund Ab hier kalkuliert man die eigene Vernichtung mit ein, um den Gegner zu besiegen. Der Konflikteskalation ist eine Konfliktintervention entgegenzusetzen. Das Schema Konfliktintervention und Eskalationsstufen (3), Abbildung 9.56, Stufe 1 bis 9 nach Friedrich Glasl (Internet) mit seinen aufeinander aufbauenden Stufen, die in etwa der schrittweisen Verschärfung der Konflikteska-



9.8 Konfliktlösung387 Abbildung 9.56: Konfliktinterventionen und Eskalationsstufen (3) Machteingriff

Vermittlung Prozeßbegleitung Moderation Eine (interner oder externer) „Moderator“ versucht, durch inhaltliche und prozedurale „Selbstheilungseingriffe“ zu koordinieren.

Gefestigte Rollen und Beziehungen werden durch einen psychologisch erfahrenen „Gesprächsleiter“ aufgetaut und Fixierungen gelockert.

Ein von beiden Seiten anerkannter „Mediator“ bemüht sich um einen Kompromiß der alle Interessen berücksichtigt.

Schiedsverfahren Ein „Richter“ löst das Problem nach eigener Lageeinschätzung: Parteien akzeptieren das Verfahren.

Eine befugte „Autorität“ führt Maßnahmen gegen den Willen der Streitenden durch.

1 2 3 4 5 6 7 8 Eskalationsstufen

9

lation entsprechen, schließen über die Instrumente Moderation, Prozessbegleitung und bis zur Vermittlung eine konstruktiv-positive Vorgehensweise und Nutzung des Konfliktes und seiner Lösung ausdrücklich ein. Danach geht es bei der Konfliktlösung erstrangig um eine Verknüpfung von Schadensminimierung und erforderlicher Konfliktlösung: Nach dem Überblick zu den Konfliktverläufen, ihren Inhalten, emotionalen Faktoren und verschiedener Verhältnisse und intentionaler Aspekte bei der Lösung von Konflikten von Konfliktsymptomen bis zur Eskalation von Konflikten sind nachfolgend einige Aspekte noch zu vertiefen: Bei allen Konfliktarten steht die Konfliktanalyse ab der Erkennung von Konfliktsymptomen am Anfang der Schritte, die bis hin zur Konfliktlösung führen. Die Konfliktanalyse ist zunächst gleichbedeutend mit der Frage nach den Konfliktursachen. Deren gibt es regelmäßig mehrere, wobei unterschiedliche Ursachen in der Regel zueinander in Wechselbeziehungen stehen und sich daher beeinflussen. Darüber sollte die Konfliktanalyse zumindest ein erstes momentanes Bild schaffen. Das kann schwierig sein, da zwar vordergründige Eindrücke gewonnen werden können, aber dahinter liegende Gründe die eigentlichen Faktoren mit unterschiedlichem Gewicht für die

388

9. Führungselemente Abbildung 9.57: Aspekte der Konfliktanalyse

Wahrnehmen, Denken und Vorstellungen verzerren sich

Gefühle, Empfindungen und Haltungen verengen sich

Motive, Ziele und Absichten werden inflexibel

Verbales und nonverbales Verhalten und Handeln verarmen

– um sich durch– das Verhalten wird – das Verhalten, ja – schon selektive Wahrnehmungen zusetzen, versteift stereotyp, unbeschon die Person des werden noch mehr man sich auf wenige weglich und auf Konfliktgegners löst gefiltert, verzerrt vorhersagbare Muster Alternativen Reizbarkeit aus – angestrebte Ziele und auf immer weni- – Einstellungen zum fixiert – das Verhalten werden starr an ger Möglichkeiten anderen werden konzentriert sich auf eingeengt bestimmte Mittel nicht nuanciert, Konfliktspannung gebunden sondern nur noch – es herrschen – im Zorn werden statt auf ProblemEntweder-Oder-Katnegativ gesehen – die Parteien kapseln egorien, Pauschali­ Instinkte aktiviert lösungen – das Handeln richtet sierungen und und Hemmungen sich ab, können sich Verallgemeinerunabgebaut sich auf Gegner, die nicht mehr in andere besiegt werden solgen vor einfühlen len, statt auf Ziele – die Parteien sehen sich gegenseitig nur noch in SchwarzWeiß-Bildern (Wunderer, R.: 2001, S. 494)

Konfliktentstehung sein können und die Erfassung solcher Konfliktursachen durchaus schwierig und besonders diffizil sein kann, bedingt durch Tabuisierungen, schwierige Recherchen aus unterschiedlichen Gründen usw. Kurzum, die Erlangung eines ersten Eindruckes der Ursachen kann aufwendig und vor allem anspruchsvoll sein; s. a. Abbildung 9.57. Bei einer konstruktiven, chancenorientierten und nachhaltigen Konfliktlösung ist eine Momentaufnahme der Konfliktursachen oft zu wenig und daher durch eine Prognose mit Relevanz für Lösungsvarianten zu verbinden. Das wiederum bedeutet eine zusätzliche bzw. höhere Qualitätsstufe und verstärkte Anstrengungen im Zuge der Arbeiten an der Konfliktanalyse. Krisen mit einem hochkomplexen und diffizilen Hintergrund der Ursachen in einer dynamischen Art und Weise abzubilden, um eine möglichst fundierte und risikoarme Entscheidungsgrundlage für eine optimale Konfliktlösung zu finden, kann zum Problem der Quadratur des Kreises werden und es kann sich erweisen, dass lediglich suboptimale Lösungen find bar sind. In solchen Fällen wird es besonders ratsam sein, quasi ein offenes und lernendes System der Konfliktlösung anzustreben, um einmal eine Determinierung des Lösungsweges einzuschränken – die rational ja meist zu wenig begründbar ist – und bei Einhaltung einer Determinierung Gefahr läuft, in eine falsche Richtung zu führen. Zweitens wird es durch den Verzicht auf diese



9.8 Konfliktlösung389

Art der Determinierung eben möglich, durch eine breiter angelegte Vorgabe des Lösungsweges eine dynamische Lösungsflexibilität zu erreichen, die jeweils erforderlichen Anpassungen bei den Schritten hin zur Lösung ermöglichen. Das Lösungsziel wird einerseits bestimmt, andererseits werden die Schritte seiner Erreichung soweit erforderlich freigegeben. Die Vorgehensweise ermöglicht auch leichter die Einbeziehung nicht-rationaler Wirkungsfaktoren, die gerade bei Konfliktlösungen meist sehr bedeutsam sind. Der angedeutete Ansatz kann sowohl durch einen oder sehr kleinen Kreis an Entscheidungsvorbereiter oder -träger verfolgt werden. Besser wird es sein, eine etwas breitere Zahl an Menschen bzw. eine Gruppe mit solchen Funktionen der Konfliktanalyse und Konzeptionierung der Konfliktlösung zu befassen. Die Konfliktursachen können wie folgt eingeteilt werden: Interessen und Bedürfnisse. – Werte und Normen. – Quantität und Qualität der Information. – Emotionale Gestimmtheit (Rosenstiel, L. v., Molt, W., Rüttinger, B.: 1972, S. 91). Substantiell zeigen die Konfliktursachen, dass es dabei – wie schon angedeutet – nicht nur um „rationale“ Ursachen geht, sondern sich um Kategorien handelt, die erheblichen psychologischen und soziologischen Charakter haben. Der vorgenannte Ansatz der Vorgehensweise baut u. a. darauf auf. Das Schema Aspekte der Konfliktanalyse geht in eine ähnliche Richtung. Knüpft man an den Konfliktursachen von Lutz von Rosenstiel et al. an (s. a. Rosenstiel, L. v. et al.: 1972, S. 90–94) und betrachtet sie näher, wird ebenfalls rasch und wenig überraschend deutlich, wie dominierend die subjektiven Ursachen sein können und somit den Prozess der Konfliktlösung wesentlich bestimmen und damit die engen Grenzen von allein rationalen Vorstellungen und Vorgehensweisen bei Konfliktlösungen ad absurdum führen. Daraus folgert in der Praxis aber nahezu immer, dass erfolgversprechende Konfliktlösungen regelmäßig auf einem Mix aus entsprechenden Instrumenten und Vorgehensweisen aufbauen sollten, die der jeweiligen Konfliktcharakteristik durch rationale und irrationale Ursachen gerecht werden. „Irrationalität“ ist in diesem Zusammenhang nicht als „falsch“ oder beispielsweise „chaotisch“ zu verstehen. Ganz im Gegenteil, der genannte Mix folgt eher der Kardinaltugend der Klugheit, da er einmal den häufigen Realitäten der Konfliktanalyse Rechnung trägt, dass rationale und irrationale Konfliktursachen Faktum sind und zweitens daher mit Sensitivität, Sensibilität und Verantwortung eine ganzheitliche und somit gute Konfliktlösung zu verfolgen ist. Bei Interessen und Bedürfnissen – als einer Gruppe von Konfliktursachen – sind hinsichtlich des Schadens, Nutzens oder anderer Konsequenzen Abschätzungen und Bewertungen vorzunehmen, und zwar auch mit Bezug

390

9. Führungselemente

und aus der Sicht der am Konflikt direkt oder mittelbar beteiligten Personen, da sowohl sach-rationale wie persönliche bzw. emotionale Aspekte Einzelner oder von Gruppen zu berücksichtigen sind. Emotionale oder persönliche Wünsche und ihre vermeintliche oder tatsächliche Unvereinbarkeit mit Sachzielen, sind erfahrungsgemäß eher die Regel und oft Konfliktanlass. An der Subjektivität widerstreitender Interessen und Bedürfnisse ist wohl kaum zu zweifeln, und zwar unabhängig davon, wer oder welche Gruppe etwas erwartet oder ablehnt. Ähnliche Konfliktursachen kann es bei der Verteilung von Ressourcen geben, bei Formen und Möglichkeiten der Willensbildung und Mitentscheidung, bei Einkommensregelungen, Aufgabenverteilungen usw. Aber auch nach der Art des Konfliktes sind solch Konfliktursachen gleich oder ähnlich, egal ob es sich um Intragruppenkonflikte oder Intergruppenkonflikte, Außenkonflikte oder Rollenkonflikte usw. handelt. Werte und Normen: Dem bedeutenden Nationalökonom Werner Sombart (1863–1941) wird sinngemäß die Aussage zugeschrieben: „Für Werte kämpft und stirbt man, aber beweist sie nicht“. Sombart war bezeichnenderweise einer der Hauptkontrahenten im Werturteilsstreit, bei dem es um die Frage ging, ob in den Sozialwissenschaften normativ verbindliche Aussagen gerechtfertigt sind oder nicht. Werte und Normen entziehen sich der Rationalität und bilden übergeordnete Maßstäbe, wie z. B. Soziale Normen, Wirtschaftsethik, moralisch-sittliche Werte usw., die in erster Linie Orientierungsleistungen und Präferenzen für das Handeln erbringen sollen. Konflikte aus Wertdifferenzen zwischen Menschen gehören beispielsweise auch zum unternehmerischen bzw. betrieblichen Alltag, man denke an Diskussionen über Rationalisierungen und ihre Konsequenzen für Mitarbeiter, die nach langer Betriebszugehörigkeit um ihre Weiterbeschäftigung bangen müssen. Solche Konflikte sind niemandem fremd, so häufig sind sie geworden. Allein an diesem Beispiel erkennt man unschwer, dass Werte und Normen sich zwar der Rationalität entziehen und Bekenntnischarakter haben, aber es rational ist, sich ihrer als Orientierung des Handelns bewusst zu bedienen. Das Gegenteil zu tun kann zu Konsequenzen führen, wie sie mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 für den gesellschaftlich-wirtschaftlichen Bereich drastischer schwer vorstellbar sind. Sinngemäßes gilt aber auch im Kleinen, wie beispielsweise bei betrieblichen Konflikten. Daraus wird deutlich, dass bei Konfliktlösungen meist Irrationalität und Rationalität gleichermaßen eine notwendige Einbindung erfahren müssen. Die Quantität und Qualität von Informationen spielen bei sogenannten Wahrscheinlichkeits- oder Wertungskonflikten eine entscheidende Rolle. Lutz von Rosenstiel et al. nennen als Beispiel die Auseinandersetzung um die Einführung einer Stechuhr im Betrieb, wobei unterschiedliche Wertungen und Wahrscheinlichkeiten über die Sinnhaftigkeit der Maßnahme zu



9.8 Konfliktlösung391

Streit führen, quasi nach dem Motto: Zufriedenheit der Arbeiter versus Pünktlichkeit und Produktivität (Rosenstiel, L. v. et al., 1972, S. 90 und S. 92). Für Quantität und Qualität von Informationen gilt der altbekannte Satz, dass Wissen auch Macht ist. Ein unterschiedlicher Informationsstand von Personen kann daher rasch zur Konfliktursache werden. Beispielsweise bedingt durch Positions- und Hierarchievorteile und in Form von Wahrscheinlichkeitskonflikten. Ähnlich, wie beispielsweise ein unterschiedlicher Informationsstand von an einem Konflikt beteiligten Personen die Konfliktlösung tendenziell erschweren wird. Bei der Konfliktursache der emotionalen Gestimmtheit gibt es ex definitione keine „rationalen“ Gründe für das Entstehen von Konflikten, aber natürlich zahlreiche „irrationale“ Motive, wie Zuneigung und Feindschaft, Vertrauen und Misstrauen, individuell-subjektive Projektionen von Gefühlen und Affekten auf Dritte und Auslösung von Spannungen mit Konfliktfolgen usw., die sich aus zahlreichen Gründen entwickeln können. Emotionale Gestimmtheit bzw. Irrationalität wird als Konfliktursache wieder in vermeintliche sachliche Konflikte irrational transformiert. In der Folge wird oft versucht, sie argumentativ als solche für eine subjektive und interessensgebundene Konfliktlösung einzusetzen. Locker gesagt tritt die Irrationalität quasi im Doppel-Pack auf den Plan. Folgt die Konfliktlösung diesem Weg, nähert sie sich mit einiger Wahrscheinlichkeit surrealistischen Lösungsversuchen. Ob das gut gehen kann oder nicht? Schwer zu sagen, denn die Frage und die Antwort zielen gleichermaßen auf irrationale Lösungsversuche und damit wahrscheinlich in die falsche Richtung, da die Konfliktparteien im Verkennen der Realitäten verbleiben oder auch so geartete Argumentationstaktiken erkannt werden und konfliktverschärfend wirken können. Bei der Konfliktanalyse ergibt sich zunehmend ein in der strukturellen Veränderung von Organisationen liegendes potentielles Feld, das Beachtung verdient: Frühere und herkömmliche Organisationen waren und sind beispielsweise durch das Prinzip der Einheit der Leitung bestimmt, wie es von Henri Fayol (1841–1925) bei seiner Entwicklung der bekannten und auch heute noch bedeutsamen „14 Managementprinzipien“ (Internet: Fayol, H.) ausdrücklich betont wurde. Dieses Prinzip hielt er zu Recht für besonders wichtig. Auch heute gilt beispielsweise eine Doppelunterstellung eines Mitarbeiters – der dadurch zwei Vorgesetzte hat – als schwerer organisatorischer Fehler, der erfahrungsgemäß ziemlich sicher zu konfliktträchtigen Führungsverhältnissen führt, da tendenziell niemand gerne „Diener zweier Herren“ ist. Es sei denn, der Mitarbeiter dreht den Spieß um und spielt seine zwei Vorgesetzten so geschickt gegeneinander aus, dass er letztendlich einen höheren Freiheitsgrad für sein Tun gewinnt, als er ihn bei einem Vorgesetzten hätte. Letzteres kann in der Praxis häufig beobachtet werden.

392

9. Führungselemente

Mit dem Wachsen von Organisationen und durch stark steigende Komplexitäten – beispielsweise durch hochkarätiges Spezialistentum – ist das Prinzip der Einheit der Leitung in Frage gestellt, da Vorgesetzte z. B. ihre Delegationsfunktionen durch teilweise fehlende Fachkompetenz gegenüber fachlich hochqualifizierten Mitarbeitern bzw. Experten ebenso wenig wie ihre Kontrollaufgaben ausreichend erfüllen können. Oder: Zunehmend erfolgen beispielsweise Leistungen über regionale, nationale und internationale Netzwerke durch hochqualifizierte, mündige und für ihre Arbeit Freiheit und beste Rahmenbedingungen fordernde Menschen, wie z. B. bei Forschungs- und Entwicklungsprozessen. Für Vorgesetzte ist es daher oft schwer oder sogar unmöglich, überhaupt noch in erforderlicher Klarheit Aufgaben und Arbeitsabläufe für solche hochqualifizierte Mitarbeiter zu formulieren, delegieren und kontrollieren. Unter solchen Umständen können die Vorgesetzte sich bemühen, ihren Mitarbeitern bestmögliche Arbeitsbedingungen zu bieten, sie zu unterstützen und ihre Motivation sowie Einsatzfreude zu fördern – optimal aber auch nur dann, wenn die Mitarbeiter sich hierzu äußern, was wohl im Allgemeinen zu erwarten ist. Gelingen solche Vorgesetztenfunktionen nur unzureichend, werden Vorgesetzte durch den harten Personalwettbewerb um ihre „besten Leute“ zittern müssen. Diese De-facto-Spielregeln sind mit den Managementprinzipien nach Henri Fayol immer öfter unvereinbar und konfliktträchtig. Kurzum, erforderliche Organisationsentwicklungen, entsprechende Gestaltungen und damit verbundene Veränderungen schaffen erfahrungsgemäß vielfältigste potentielle und leider auch schlagend werdende Konflikt- und Risikobereiche. Gesamtorganisationen können bei solchen und ähnlichen Problemen durch Subsysteme entlastet werden, die als eigenständige Leistungseinheiten eingerichtet werden und deren Funktionsabläufe nicht durch die Gesamtsteuerung zu lenken sind, die also bedingt einen eigenständigen Freiheitsraum haben. Dazu zählen auch Netzwerke mit ihren Aufgaben und spezifischen Arbeitsweisen, gelegentlich auch Teams. Solange Subsysteme „funktionieren“ bleibt quasi ihre Eigenständigkeit erhalten. Die Subsysteme schaffen innerhalb des Systems der Gesamtorganisation aus ihrer Sicht eine interne Umwelt, die ihnen vertrauter ist als die tatsächliche externe Umwelt der Gesamtorganisation. Die somit vergleichsweise eigene interne Umwelt ist bekannt und lässt sich gut beachten. Deren eigene Komplexität wird zwangsläufig geringer als die des Gesamtsystems empfunden. Möglicherweise können sie dem Gesamtsystem helfen, dessen höhere Komplexität zu entlasten, beispielsweise durch eine weitgehende Abnahme verschiedener Aufgaben. Insgesamt verfügen Subsysteme damit gegenüber dem Gesamtsystem über besser gestaltbare organisatorische Voraussetzungen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Konflikte im Subsystem sollten somit strukturell und tendenziell im Verhältnis zu komplexeren Gesamtsystemen seltener oder leichter lösbar sein.



9.8 Konfliktlösung393

Die Verselbständigungen von Subsysteme beinhalten allerdings auch die Gefahr von Konflikten und Inkompatibilitäten mit dem Gesamtsystem, die entwicklungsgeschichtlich neuerer Natur sind und quasi den Preis bilden für die Verselbständigung eines Subsystems und die Entlastung des Gesamtsystems. Das durch das Gesamtsystem zu akzeptieren, setzt bei den Verantwortlichen ein organisatorisches Umdenken voraus, da die herkömmliche Organisation als eine Handlungseinheit zur Realisierung von Zielen gesehen wurde, die durch die Differenzierung über eigenständigen Subsysteme jedoch partiell aufgehoben wird. Konflikte und Inkompatibilitäten mit dem Gesamtsystem sind daher nicht mehr einfach und beispielsweise mit dem meist törichten Argument „Störfaktor“ zu bewerten. Das wäre systemwidrig zur getroffenen Entscheidung der Bildung von Subsystemen zum Zwecke einer verbesserten Organisationsgestaltung bzw. -entwicklung. Die Konfliktanalyse und -lösung wird daher auch neue Vorgehensweisen finden müssen. Widerspruchsanfällige Orientierungen zwischen Subsystem und Gesamtsystem sind eben eine systemimmanente Folge der Differenzierung via Subsysteme. Allfällig wuchernden Konflikten kann durch klare Spielregeln allerdings einigermaßen vorgebeugt werden. Entstehen sie aber, sollte allen Beteiligten und Betroffenen möglichst bewusst sein, dass sie sich in einer lernenden Organisation befinden, d. h. daher kooperative Konfliktlösungen mit Offenheit und Verständnis verfolgen, um eine erforderliche effektive Organisationsentwicklung zu erreichen, die funktions- und leistungsfähiger werden sollte, als die vorherige und herkömmliche Organisation mit all ihren Nachteilen. Das traditionelle Management hatte und hat seine eindeutige Fokussierung in der Zielerreichung von Aufgabenstellungen und war daher strukturell einfacher zu handhaben als ein Gesamtsystem mit Subsystemen. Für sehr anspruchsvolle Leistungserbringungen kann sich ein solches Gesamtsystem allerdings als ineffizient erweisen. Das „neue“ System mit Subsystemen stellt zwar einen größeren Komplex an Problemen dar, hat aber die Chance effizienter zu sein. Bei sehr ambitionierten Aufgabenstellungen ist daher eine steigende Tendenz zu dezentralen Leistungserbringungen zu erkennen. Das gilt beispielsweise zunehmend für transnational tätige Konzerne mit Affinität zu Entwicklungs- und Forschungsfunktionen. Die Notwendigkeit, leistungsfähigere Organisationssysteme zu konzipieren und umzusetzen, wird steigen, da die anspruchsvolleren Aufgaben zunehmen, möglichst wirksam zu erbringen sind und gerade hierfür erforderliche bestqualifizierte und immer mündigere Menschen hohe Erwartungen an das Umfeld und die Rahmenbedingungen ihrer beruflichen Tätigkeit stellen. Sie werden sich ihre Arbeitgeber dank ihrer Qualifikation und Alternativen auch nach solchen Vorstellungen aussuchen können. Unternehmen, Organisationen und Einrichtungen, die mit Spitzenleistungen auf Märkten erfolgreich agieren wollen, wissen, dass sie Mitarbeiter mit bestmöglicher

394

9. Führungselemente

Qualifikation brauchen. Schlagwörter, wie Krieg der Talente, signalisieren, wie rar und umworben solche Menschen sind. Ein Spitzeneinkommen als Köder der Personalbeschaffung reicht schon lange nicht mehr. Das kann auch Anpassungen der Organisationssysteme erforderlich machen. Der Blick auf Unternehmen mit ausgeprägter Forschung- und Entwicklungstätigkeit, Kreativitäts- und Innovationsorientierung, internationaler Beschaffungs- und Absatztätigkeit, in unterschiedlichen Branchen und Größenordnungen usw. zeigt eine Entwicklungsrealität, die rasch an Bedeutung zunimmt. Solche Unternehmen, Organisationen und andere Einrichtungen zeigen heute bereits, wo und wie zukünftige und immer stärker erfolgreiche Aktivitäten zu entfalten und in den Dienst der Gesellschaft und Wirtschaft zu stellen sind. Sie wissen wie beispielsweise eine zeitgemäße und wertorientierte Personal- und Führungsarbeit gestaltet sein muss – wie etwa im Personalmarketing –, handeln danach, haben daher auch die besten Leute gewonnen und sind meist sehr erfolgreich. Konfliktlösungen sind auch für die Bewältigung der noch im Gang befindlichen Krise eine zentrale, höchst anspruchsvolle und sehr riskante Aufgabe. Die Dramatik um Griechenland zeigt das beispielsweise unmissverständlich (Mitte 2015). Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mit ihren verheerenden Folgen – deren Ende und Konsequenzen wir noch nicht kennen – hat die Sensibilität und Sensitivität der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft geschärft. Daher ist zu hoffen, dass endlich das Ende eingeläutet wird für das verantwortungslose Handeln nach Ideen neoliberaler Provenienz bzw. den daraus abgeleiteten Praktiken eines Teiles der Wirtschaft, mit nachweislich verursachten ruinösen Auswirkungen über Jahrzehnte: Jahre vor der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 haben beispielsweise Großbanken und(!) kleine regionale Banken – entgegen aller Warnungen – durch fragwürdigste Aktivitäten den Mittelstand gefährdet und teilweise ruiniert und mit ihren Verbundorganisationen vielfach traurigste Misswirtschaft praktiziert (Schwan, K.: 2003 / 4, S. 114–118). Nach Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 deuten solche Banker immer gern auf die internationalen Großbanken, sicher auch mit Recht. Der klägliche Versuch, wie einst der umstrittene Pontius Pilatus (26–36 n. Chr.) demonstrativ seine Hände in Unschuld zu waschen, verfängt auch bei den Beteuerungen der Verantwortlichen der Banken längst nicht mehr, und zwar unabhängig von ihrer Größenordnung. Natürlich wollen viele gerade der Fragwürdigsten der Zunft der Banker sich nun hinter dem Vorhang verstecken und die öffentliche Bühne verlassen, die sie früher für ihre Machenschaften gerne nutzten, und zwar auch im Kleinen wie im Großen. Bei so gravierenden und offensichtlichen Fehlentwicklungen ist danach auch die beste PR nur sündteuer, doch kaum erfolgreich. Der gut gepflegte Ruf, die Glaubwürdigkeit und das



9.8 Konfliktlösung395

Vertrauen sind weg. Natürlich waren – so wenig wie Pontius Pilatus – die Banker nicht an allem schuld, aber leider für viel Zuviel. Es gab auch ­Ausnahmen! Dass bei den Umtrieben die sogenannte „Finanzindustrie“ – die ein Dienstleistungsbetrieb für die Gesellschaft und Wirtschaft sein sollte – selbst zum guten Teil auf der Strecke blieb, unvorstellbare Milliardensummen an Steuergelder für „systemrelevante“ Institute verschlang und noch weiteres Geld haben möchte, Länder mit den dadurch erforderlichen Sparprogrammen ins Unglück gestürzt wurden und – wie man immer wieder mitbekommt – Banken teilweise noch immer eisern gegen dringendst erforderliche Reformen wettern und gar Mitleid heischen – offensichtlich, da sie es nirgendwo mehr bekommen –, zeigt überdeutlich die Morbidität solcher Verhältnisse. Für ein höchst erforderliches, konstruktives und chancenorientiertes Konfliktlösungspotential fehlen vermutlich in weitem Umfang die ethischen Haltungen und man denkt nach wie vor scheinbar primär und lediglich egozentrisch fokussiert, wie man die Schäden auf dem Rücken der Steuerzahler und Kunden refinanzieren kann, um – so ist zu fürchten – mit alten oder neuen Varianten das zu tun, was man nur zu gut gelernt hat, nämlich wieder zu zocken. Dieser Eindruck verstärkt sich immer mehr (Mitte 2015). In England, vielleicht auch anderswo, wird solch scheinheiliges Verhalten mit dem Erhalt des Finanzplatzes London begründet. In den USA und mit Verzögerung auch in Europa fangen die Politiker und die Justiz gleichzeitig an, das Finanz- und Banksystem mit Milliardenforderungen einzuklagen. Die bereits verfolgten und solche Unternehmen der „Finanzindustrie“, die das berechtigterweise befürchten, bilden in ihren Bilanzen entsprechend riesige Rückstellungen in Milliardenhöhe. Ebenso werden die jahrelang versäumten Funktionen der Bankenaufsicht durch grundsätzliche Revisionen effizienter gemacht (Ende 2013). Die Wirtschaftsordnungen für die vielen schwer geschädigten Länder und Menschen sind durch neue, dringend notwendige und das Gemeinwohl bestmöglich sichernde Regelungen zu reformieren. Mit der Bankenunion hat die EU solche Maßnahmen z. B. gesetzt. Gute Vorbilder zur Orientierung gibt es in erster Linie durch die Konzeptionen der Sozialen und späteren Ökosozialen Marktwirtschaft, die nach dem 2. Weltkrieg in Europa mit verschiedenen Varianten zum Erfolgsmodell vieler Länder wurden. Einigen positive Anpassungen, wie die stärkere ökologischen Ausrichtung und einiger anderer Aspekte, z. B. der Europa- und Globalisierungsgestaltungen, kamen hinzu und zeigen, dass der eingeschlagene Weg auch weiterhin zukunftsfähig ist und neue Chancen eröffnen kann. Mit dem Schema der Konfliktoptimierung (Abb. 9.58) wird für die Konfliktlösung ein wichtiger Zusammenhang gezeigt, nämlich das Verhältnis zwischen der Zielwirkung eines Konfliktes und der Konfliktbelastung. Der

396

9. Führungselemente

dargestellte Kurvenverlauf zeigt, dass bei niedriger Belastung die Zielwirkung des Konfliktes wenig überraschend nieder ist. Steigt die Belastung steigt auch die Zielwirkung bis zu einem optimalen Punkt, der knapp vor der Überschreitung der Konfliktlösungskapazität liegt. Wird Letzterer überschritten, fällt die Zielwirkung des Konfliktes sehr rasch ab. Die Optimierung einer Konfliktlösung liegt demnach hinsichtlich der Stärke der Zielwirkung am Scheitelpunkt der Kurve und ist somit anzustreben. Kurzum: Geringe Konfliktbelastung kann eventuell zu wenig Anreiz bilden eine Konfliktlösung zu verfolgen und eine überforderte Konfliktbelastung tendiert letztendlich zum gleichen Ergebnis. In Abhängigkeit der Verhältnisse zwischen Zielwirkung des Konfliktes bzw. Lösungsintensität des Konfliktes und Konfliktbelastung bzw. Konfliktniveau und den daraus resultierenden Kurvenverläufen entscheidet nach beiden Varianten, ob eine Konfliktlösung konstruktiv oder destruktiv verläuft. Ebenso zeigt sich, dass Extrempositionen auf der x-Achse die Zielwirkung bzw. Leistung der Konfliktlösung verhindern und entsprechende Stagnation die Folge ist. Die Führungsaufgabe der Konfliktlösung oder des Konfliktmanagements spielt sich somit zwischen den Extrempositionen und quasi zentriert im Mittelfeld Konfliktbelastung bzw. Konfliktniveau ab. Das Schema Beziehung zwischen Konfliktniveau und Leistung (Abb. 9.59) zeigt diesen Zusammenhang recht gut, insbesondere die dabei auftretenden emotionellen oder verhaltensspezifischen Wirkungen bei den an der Konfliktlösung Beteiligten (s. a.: Robbins, S. P.: 2001, S. 471 f.). Soweit das Optimierungsmodell. Die Erfahrung zeigt allerdings regelmäßig, dass Interventionen für Konflikt- und Krisenlösungen zu spät bzw. damit suboptimal erfolgen, und zwar in der Mikroökonomie ebenso wie in der Makroökonomie. Man hofft z. B. auf Selbstheilungskräfte oder unterschätzt eine Konfliktsituation und versäumt den idealen Interventionspunkt. Daraus sollte der Schluss gezogen werden, der Sicherung optimaler Interventionszeitpunkte besondere Aufmerksamkeiten zu widmen. Der Problemfall Griechenland ist in großer Dimension ein Musterbeispiel missglückter Konfliktlösung im Kontext mit dem Schema der Konfliktoptimierung. Die Krisenbewältigung in Griechenland wurde durch das Land selbst, aber auch suboptimale Lösungsansätze der EU, wie beispielsweise durch den Einsatz der berühmt-berüchtigten „Troika“, trotz des Einsatzes großer Mittel der EU, verschleppt, verschludert und der optimale Interventionszeitpunkt völlig verfehlt. Das führte zu einem politischen Umsturz mit hoch emotionalisierten und radikalen „Frontenbildungen“ zwischen Griechenland und der EU, aber auch mit nachteiligen Folgerungen für die internationale Politik hinsichtlich des Spannungsherdes Russland. Einer von mehreren Gründen für das entstandene Debakel mit Griechenland liegt in der Negation emotionaler, damit irrationaler und in ihrem Gewicht falsch eingeschätzter Faktoren dieses Landes, die in ihrer Mischung mit größten



9.8 Konfliktlösung397 Abbildung 9.58: Schema der Konfliktoptimierung Zielwirkung des Konflikts

Konfliktkapazität Optimaler Punkt für Interventionen

Konfliktbelastung

Verteilungs- und Armutsproblemen, korrumpierten politischen und wirtschaftlichen Missverhältnissen schließlich zu einer Explosion führten. Das durch das Schema dargestellte Modell über die Beziehung zwischen Konfliktniveau und Leistung für die Konflikt- und Krisenlösung (Robbins, S. P.: 2001, S. 472) zeigt, dass das Konfliktniveau bzw. die Zielwirkung des Konflikts für eine gute Lösung zu hoch oder zu niedrig sein kann bzw. sich auf die Akteure der Lösung nachteilig auswirkt (A, C). Beide Extreme beschränken tendenziell deren Leistungsfähigkeit zur Konfliktlösung. Die Konfliktbelastung hingegen wirkt stimulierend, fördert kreative Lösungsprozesse, und zwar durch ein geändertes und wirkungsvolleres Spannungsfeld (B). Führt das Leistungsniveau und die Belastung allerdings zu Überforderungen und über die Konfliktkapazität hinaus, verschlechtern sich die Verhältnisse ins Gegenteil (C). Die Prozesse selbst fordern einige Verhaltensweisen besonders: Es ist schnelles und entschiedenes Handeln notwendig, ebenso wird Selbstbehauptung nötig sein. – Werden integrative Lösungen erforderlich, bedarf es einer entsprechenden Zusammenarbeit. – Fähigkeiten des flexiblen Ausweichens sind wünschenswert, wenn Alternativen ausscheiden und andere Wege zu beschreiten sind, Dringlichkeiten entstehen, Unru-

398

9. Führungselemente Abbildung 9.59: Beziehung zwischen Konfliktniveau und Leistung

Leistung

(hoch)

A

B

niedrig

C

Konfliktniveau

hoch

Konfliktart

Eigenschaften der Einheiten

Leistungs­ ergebnis

A

niedrig oder null

dysfunktional

apathisch stagnierend nicht aufgeschlossen für Wandel Mangel an neuen Ideen

niedrig

B

optimal

funktional

vital selbstkritisch innovativ

hoch

C

hoch

dysfunktional

zersetzend chaotisch unkooperativ

niedrig

Situation

Konfliktniveau

hen auftreten, neue Informationen gebraucht werden usw. – Nachgeben ist schwer, aber oft nötig, z. B. wenn man sich irrte, mit Ansichten nicht durchdringt, Zugeständnisse zu machen sind, Dinge eskalieren usw. – Kompromisse bilden oft Lösungsvoraussetzungen, insbesondere wenn gemeinsame Lösungsziele erreicht werden sollen und sehr komplexe Probleme bestehen, Zeitdruck herrscht usw. Mit dem Schema Technik des Konfliktmanagements wird ein etwas vertiefter Überblick zu Instrumenten der Konfliktlösung gegeben, die tenden­



9.8 Konfliktlösung399 Abbildung 9.60: Techniken des Konfliktmanagements Techniken der Konfliktlösung Problemlösung (Problem Solving)

Direkte Zusammenkünfte der Konfliktparteien, um das Problem zu benennen und durch eine offene Aussprache zu lösen

Übergeordnetes Ziel (Superordinate Goal)

Setzen eines gemeinsamen Ziels, das nur unter Mitwirkung aller Konfliktparteien erreicht werden kann

Ausweitung der Ressourcen (Expansion of Resources)

Wenn ein Konflikt durch Ressourcenknappheit ausgelöst wurde – Geldmangel, zu wenig Aufstiegsmöglichkeiten, zu wenig Büroraum –, kann eine Ausweitung der Ressourcen alle Seiten zufrieden stellen

Ausweichen (Avoidance)

Rückzug aus dem Konflikt oder Unterdrückung desselben

Beschwichtigung (Smoothing)

Herunterspielen der Meinungsverschiedenheiten bei gleichzeitiger Betonung der gemeinsamen Interessen der Konfliktparteien

Kompromiss (Compromise)

Jede Konfliktpartei verzichtet auf etwas Wertvolles

autoritative Anordnung (Authoritative Demand)

Das Management löst den Konflikt mit Hilfe seiner formalen Autorität und unterrichtet die beteiligten Parteien über seine Anweisung

Änderung der Humanvariablen (Altering the Human Variable)

Änderung der konfliktauslösenden Einstellung und Verhaltensweisen mit Hilfe entsprechender Techniken, wie sie beispielsweise die Human-Relations-Forschung entwickelt hat

Änderung der Strukturvariablen (Altering the Structural Variables)

Änderng der formalen Organisationsstruktur und der Interaktionsmuster der Konfliktparteien durch neue Arbeits­ organisation, Versetzungen, die Einrichtung von Koordi­ nationsstellen und dergleichen mehr

Techniken zur Konfliktstimmulierung Kommunikation (Communication)

Bewusster Einsatz mehrdeutigr oder bedrohlicher Botschaften, die das Konfliktniveau steigern sollen

Einbezieung Außenstehender (Bringing in Outsiders)

Ergänzung einer Gruppe durch Mitarbeiter mit anderem Hintergrund, anderen Werten, Einstellungen oder Managementstilen als die gegenwärtigen Mitglieder

Umstrukturierung der Organisation (Restructuring the Organization)

Neuordnung von Arbeitsgruppen, Einführung neuer Regeln und Vorschriften, Steigerung der gegenseitigen Abhängigkeit und ähnliche strukturelle Änderungen, die den Status quo aufbrechen

Ernennung eines Advocatus Diaboli

Ein Mitarbeiter wird beauftragt, gezielte Argumente gegen die Mehrheitsmeinung der Gruppe vorzubringen

(Robbins, S. P.: 2001, S. 459 f.)

400

9. Führungselemente

ziell kritischere Fälle der Konfliktlösung betreffen. Dem folgen einige ergänzende Anregungen zu Themenbereichen der Konfliktlösung: Das Schema Führungsaspekte und Konfliktlösungsstrategien zeigt wesentliche Aspekte der Konfliktlösung: Abbildung 9.61: Führungsaspekte und Konfliktlösungsstrategien Einflussfaktor

Analyseschwerpunkt

Führungsaspekt

Organisation/ Umfeld

Inwiefern werden die angewandten Verfahren von den Entscheidungsprozessen beeinflusst? Inwieweit werden Entscheidungen zentralistisch oder dezentral gelenkt? Welchen Einfluss haben Personalauswahl und Weiterbildung auf das Konfliktlösungssystem? Welchen Einfluss hat informelles und formelles Lob auf die angewandten Verfahren? Welche Lösungsstrategien werden von Vorgesetzten, Kollegn und unterstellten Mitarbeitern anerkannt und gelobt? Welchen Einfluss haben Sitten und Bräuche?

• praktizierter Führungsstil • Identifikation und Motivation • Personalauswahl und -entwicklung als Führungsfunktion • Anreizsysteme • teamorientierte Führung • Personalmanagement • Unternehmenskultur

Fertigkeiten

Welche Kommunikationsfähigkeiten haben die Beteiligten?

Motivation

Welche Motive stehen hinter den Strategien (Kosten-Nutzen-Über­ legungen oder Routinen)?

• praktizierter Führungsstil • Führungs- und Kooperations-Controlling • „Führung von unten“

Mittel

Welche Personen könnten die Parteien um Hilfe bitten? Wer kommt als Schlichter in Frage? Als wie geschickt werden sie eingeschätzt? Behindern Normen oder fehlende Informationen zum Problem die Verhandlungen?

• Vorgesetztenrolle • praktizierter Führungsstil • Personalbeurteilung und -entwicklung • Coaching

verfügbare Strategien

Auf welchen Gewohnheiten, Gesetzen, Verträgen und Vorschriften basieren diese Strategien?

• Unternehmens- und Führungskultur • Führungsgrundsätze • praktizierter Führungsstil • Identifikation

(Wunderer, R.: 2001, S. 503)



9.8 Konfliktlösung401 Abbildung 9.62: Pro und Kontra von Konflikten in Organisationen Nützen Konflikte Organisationen? Lassen Sie uns kurz zusammenfassen, welchen Nutzen die Konfliktstimulierung Organisationen bringen kann. Konflikte sind ein Mittel zur Durchsetzung radikaler Veränderungen. Sie sind ein effektives Instrument, mit dem das Management die bestehenden Machtstrukturen, die gegebenen Interaktionsmuster und verfestigte Einstellungen aufbrechen kann. Konflikte verbessern die Gruppenkohäsion. Konflikte zwischen Gruppen führen zwar zu gegenseitiger Ablehnung, doch die jeweilige Bedrohung von außen steigert ihren inneren Zusammenhalt. Konflikte zwischen Gruppen führen zu einer stärkeren Identifikation der Mitglieder mit ihrer eigenen Gruppe und wecken Solidaritätsgefühle. Konflikte steigern die Effektivität von G ­ ruppen und Organisationen. Die Stimu­lierung von Konflikten leitet eine Suche nach neuen Methoden und Zielen ein und ebnet Innovationen den Weg. Die erfolgreiche Lösung eines Konflikts führt zu höherer ­Effektivität, größerem Vertrauen und größerer Offenheit. Die Gruppenmitglieder empfinden anschließend mehr Sympathie füreinander, so dass künftige Konflikte nicht mehr personali­ siert werden. Konflikte hinterlassen ein leicht gesteigertes, konstruktives Spannungsniveau. Bei allzu geringer Spannung fehlt den Parteien die notwendige Motivation, sich eines Kon­flikts anzunehmen. Gruppen oder Organisationen, in denen es keine Konflikte gibt, werden leicht von Apathie, Stagnation, Groupthink und anderen lähmenden Krankheiten befallen. In der Tat dürften die meisten Organisationen nicht an einem Übermaß, sondern an einem Mangel an Konflikten schei­ tern. Betrachten Sie die großen Organisationen, die in den vergangenen zehn oder zwanzig Jahren schwere finanzielle Rückschläge erlitten haben. Sie enthält Namen wie E. F. Hutton, General Motors, Western Union, Gimbel’s, Kmart, Morrison Knudsen, Eastern Airlines, Greyhound und Digital Computer. Das gemeinsame Merkmal all dieser Organisationen ist Stagnation. Ihr Management zeichnete sich durch Selbstzufriedenheit aus und war weder fähig noch willens, für Wandel zu sorgen. Funktionale Konflikte hätten diesen Organisationen genutzt.

(Schwan, K: Nach Robbins, S. P.: S. 474 f.)

Es mag sein, dass Konflikte ein immanenter Bestandteil jeder Gruppe oder Organisation sind. Es wird nicht möglich sein, sie völlig zu vermeiden. Die bloße ­Existenz von Konflikten ist jedoch kein Grund, sie heilig zu sprechen. Alle Konflikte sind dysfunktional, und eine der wichtigsten Aufgaben des Managements besteht darin, die Konfliktin­ tensität so niedrig wie möglich zu halten. Einige Argumente sollen diesen Standpunkt begründen. Konflikte können verheerende Folgen nach sich ziehen!. Die Liste negativer Begleiterscheinungen von Konflikten ist beängstigend. Die offenkundigsten Konfliktfolgen sind erhöhte Fluktuation, verringerte Mitarbeiterzufriedenheit, ineffiziente Zusammenarbeit verschiedener Einheiten, Sabotage, Arbeitskämpfe, Streiks und physische Aggressionen. Effektive Manager sorgen für Teamarbeit. Ein guter Manager baut ein gut aufeinander eingespieltes Team auf. Jeder Konflikt wirkt diesem Bemühen entgegen. Eine erfolgreiche Arbeitsgruppe ist wie eine erfolg­reiche Sportmannschaft: jedes Mitglied kennt seine Rolle und unterstützt seine Mannschaftskameraden. Das Management ermöglicht diese Teamarbeit, indem es interne Konflikte auf ein Minimum senkt und die interne Koordination unterstützt. Manager, die Konflikte hinnehmen und stimu­ lieren, können in Organisationen nicht überleben. Die ganze Debatte über den Wert von Konflikten bleibt rein akademisch, solange die Mehrheit des leitenden Personals einer Organisation an der traditionellen Ansicht über Konflikte festhält. Und traditionell gilt jeder Konflikt als schlecht. Da die Leistung eines Managers von übergeord­ neten Vorgesetzten bewertet wird, werden Manager, denen es nicht gelingt, Konflikte zu verhindern, eine negative Beurteilung erfahren. Dies wiederum verringert ihre Aufstiegsmöglichkeiten. Ein Manager, der es in einer solchen Umgebung zu etwas bringen will, sollte sich an die traditionelle Meinung halten und jedes äußere Anzeichen eines Konflikts beseitigen. Wer diesem Rat nicht folgt, muss seinen Posten als Manager womöglich vorzeitig räumen.

402

9. Führungselemente

Das umfangreiche Schema Führungsformen der Konfliktregelung: Verhalten – Vor- und Nachteile – Konsequenzen zeigt Varianten der Konfliktlösung nach autoritärem und kooperativen Führungsstilen auf. Das Schema ergibt deutlich, dass je nach Führungsstil sehr unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten sind und erreichbar werden. Die Führungsrealität der Praxis wird sich selten oder nie voll und ganz als autoritär oder kooperativ erweisen, sondern einmal eine Mischung von Stilelementen beider Führungsstilvarianten bilden und zweitens wird sie durch eine Vielzahl weiterer Faktoren und Verhältnisse geprägt: Seien es die agierenden Menschen, die Aufgabenstellung eines Unternehmens, einer Organisation oder anderen Einrichtungen, innere und äußere Verhältnisse, in der Vergangenheit liegende Entwicklungen, Marktgegebenheiten, qualitative Anforderungen bei Leistungsprozessen, Größe und Branche, regionale und nationale Besonderheiten usw. Schließlich ist drittens zu bedenken, dass jeweils mehr oder minder dynamische Entwicklungen in und außerhalb der Betriebe, der Märkte, der Umwelt etc. erfolgen, die wiederum in Wechselwirkungen zu Führungspraktiken stehen werden. Daher kann das Schema Führungsformen der Konfliktregelung: Verhalten – Vor- und Nachteile – Konsequenzen als Orientierungshilfe nützliche Erkenntnisse liefern, die jedoch nicht stur, sondern flexibel und der jeweiligen Realität angemessen hilfreich sein können. Das Schema ist inhaltlich offen, d. h. kann ergänzt werden, Punkte (…) nach den jeweiligen Zusammenstellungen zeigen das an (Schwan, K.: Konflikte, Formen der Regelung; s. a. Internet). Das Schema Führungsformen der Konfliktregelung: Verhalten – Vor- und Nachteile – Konsequenzen (Abb.: 9.63) konkretisiert und ergänzt den letzten vorangegangenen Punkt (Abb.: 9.62): In den vergangenen Jahren hat die Mediation als Verfahren der Konfliktlösung – die das folgende Schema im Überblick darstellt – eine gewisse Bedeutung erlangt, die in der Praxis dann eingesetzt wird, wenn zum einen Verhandlungen als Mittel der Konfliktlösung nicht ausreichend waren und zum anderen Gerichts- oder Schiedsverfahren vermieden werden sollen. Die Mediation bildet bei der Konfliktlösung ein Ausnahmeverfahren und ist sicher ungeeignet für den laufenden Einsatz bei Konfliktlösungen, da sie ja nur dann Sinn macht, wenn die Führungspraxis ihre originäre Funktion der Konfliktlösung nicht erfüllen kann. Solche Gegebenheiten können wohl kaum zur Normalität gerechnet werden. Die Mediation setzt voraus, dass sich nicht einigen könnende Konfliktparteien für einen Mediator entscheiden, der ihnen auf dem Weg zu einer Konfliktlösung helfen soll, aber keine Entscheidungsgewalt hat, d. h. es liegt ein kooperatives Verfahren vor, was ohne Kooperationsbereitschaft der Konfliktparteien und des Mediators jedoch nicht funktionieren kann. Mit anderen Worten: Es besteht eine recht eigentümliche und nur emotional begründbare Situation, da eine potentielle



9.8 Konfliktlösung403 Abbildung 9.63: Führungsformen der Konfliktregelung: Verhalten – Vor- und Nachteile – Konsequenzen AUTORITÄRE KONFLIKTREGELUNG Verhaltensbeschreibung • Der Vorgesetze „löst“ Konflikte zwischen seinen Mitarbeitern möglichst sofort, wie er es für richtig hält (Machtentscheidung); • die Mitarbeiter haben sich dieser Entscheidung zu fügen; • Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung werden nicht geduldet; • bei eigenen Konflikten versucht er, um jeden Preis zu siegen; • Konflikte erscheinen ihm als menschliche Schwäche, die es zu unterdrücken gilt; • die Konfliktregelung hat sich ausschließlich an den Organisationsinteressen auszurichten; im Zweifel müssen eben auch „Köpfe rollen“. • ... Vorzüge • Auf aktuelle Konflikte kann schnell reagiert werden; • es gibt kaum Konflikte, die aus unklaren Kompetenzabgrenzungen und Zielsetzungen resultieren; • die Verantwortlichkeiten sind (z. B. bei Fehlern) formal klar geregelt; • die Mitarbeiter bemühen sich, durch große Selbstdisziplin keine Konflikte vom Zaun zu brechen. • ...

Nachteile • Die Konflikte werden nur verdrängt und die Konfliktursachen nicht beseitigt; – die Entscheidungen sind oft zu vorschnell und kurzsichtig; – die Mitarbeiter folgen den Entscheidungen von oben primär aus Angst vor Sanktionen, aber identifizieren sich nicht mit ihnen; • die Mitarbeiter fühlen sich nur als „Arbeitstiere“ akzeptiert, aber als Menschen missachtet; • bei den Versuchen, den Konfliktpartner zu besiegen, werden meist neue Konflikte provoziert. • ... Arbeitsleistung • Gute Arbeitsergebnisse nur bei ständigen Kontrollen und disziplinarischen Drohungen; • der Vorgesetzte muss Vieles selbst machen (da er es den Mitarbeitern nicht zutraut), sodass er sich zu wenig um übergeordnete Aktivitäten kümmern kann; • es geht viel Zeit mit Machtrangeleien verloren; • die Mitarbeiter zeigen wenig Kreativität und Eigeninitiative; • komplexe Entscheidungen dürften oft zu einseitig ausfallen; • die Mitarbeiter zeigen vordergründige Beschäftigung; • sie können sich nur wenig weiterqualifizieren. • ... Konsequenzen für das Arbeitsklima • Klare, strukturierte Situationen; • angespanntes Klima; • „Radfahrer“-Haltungen; • wenig Kooperation; • viel Rivalität und Einzelkämpfermentalität; • schwelende Konflikte; • kalte, unpersönliche Arbeitsatmosphäre; • eventuell auch Solidarisierung der Mitarbeiter und passiver Widerstand; • für eine demokratische Gesellschaft unzeitgemäße, „inhumane“ Interaktionsform. • ...

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9. Führungselemente

KOOPERATIVE KONFLIKTREGELUNG

Verhaltensbeschreibung • Der Vorgesetzte versucht, die Konflikte offen anzusprechen; • er bemüht sich, zwischen den Konfliktpartnern zu vermitteln und eine für alle Seiten tragbare Lösung zu finden (Vernunftentscheidung); • die Mitarbeiter werden an der Regelung beteiligt; • Kritik und Ergänzungen werden begrüßt und möglichst berücksichtigt; • bei eigenen Konflikten bemüht sich der Vorgesetzte um eine auch für die andere Seite akzeptable Regelung; • Konflikte sieht er als etwas Natürliches an; • „eine gute Regelung muss die Bedürfnisse der Menschen und der Organisation gleichermaßen berücksichtigen“. • ... Vorzüge • Konflikte werden offen auf den Tisch gelegt; • die Mitarbeiter werden durch Entscheidungsbeteiligung stark mit der Konfliktregelung identifiziert; • bei der Lösungssuche werden soviel Gesichtspunkte wie möglich berücksichtigt; • Konflikte werden als Lernchancen konstruktiv gesehen; • auch der Vorgesetzte versucht, aus seinen Fehlern zu lernen. • ... Nachteile • Bei aktuellen Konflikten ist ein relativ hoher Zeitaufwand für die Regelung notwendig; • dieses Vorgehen erfordert vom Vorgesetzten hohe zwischenmenschliche Kompetenz und Reife; • Gefahr der Mitarbeiterüberforderung, wenn diese nicht gelernt haben, Mitverantwortung zu tragen; • Kooperationsangebote werden als Führungsschwäche ausgelegt und ausgenutzt; • Widerstand bei Kollegen von der „alten Schule“. • ... Arbeitsleistung • Auch qualifizierte Aufgaben können von den Mitarbeitern selbständig durchgeführt werden; • höhere Kreativität und Eigeninitiative der Mitarbeiter; • Notwendige organisatorische Veränderungen werden stetig durchgeführt; • keine Reibungsverluste durch Machtkämpfe; • starke Mitarbeiterförderung mit der Gefahr der Erzeugung von „Überqualifikations-Unzufriedenheit“. • ... Konsequenzen für das Arbeitsklima • Entspanntes, freies, offenes, kreatives Arbeitsklima; • gute Kooperationsmöglichkeiten; • vernunftbezogene Auseinandersetzungen; • demokratie-freundliche, „humane“ Interaktionsform. • ...

Kooperationsbereitschaft der Konfliktparteien vorhanden ist, die aber nur durch die Einschaltung eines Mediators manifest und damit nutzbar werden kann. Eine rationale Einstufung der Vorgehensweise scheidet aus, da bei Kenntnis der potentiellen Kooperationsbereitschaft seitens der Konfliktparteien rational gesehen der Mediator überflüssig ist. Der Mediator erreicht seine funktionelle Legitimation nur dadurch, dass die Konfliktparteien nicht



9.8 Konfliktlösung405 Abbildung 9.64: Mediation als Verfahren der Konfliktlösung vier grundlegende Konfliktlösungsverfahren Gerichtsverfahren

Schiedsgericht

Mediation

Verhandlung

Grad der Freiwilligkeit

unfreiwillig (wenn Beschuldigter)

zumeist freiwillig

freiwillig

freiwillig

Auswahl eines Vermittlers

keine Wahlmög­ lichkeit

häufig Wahlmöglichkeit

Parteien wählen Mediator aus

kein Vermittler

Expertenwissen der dritten Partei

Rechtsexperte

Rechtsexperte, häufig mit ganz spezifischem Fachwissen

Fachexperte und/ oder Rechtssowie Vermittlungsexperte

kein Unterstützung durch eine dritte Partei

Grad der Formalität

formalisierter, strukturierter Prozess mit festen Regeln

Parteien können unter Umständen Einfluss auf Regeln nehmen

kein formales Verfahren; Parteien können Einfluss nehmen

normalerweise nicht formal, wenig bis gar nicht strukturiert

Ergebnis

Entscheidung durch das Recht

Entscheidung ent­sprechend vorher festgelegter Prinzipien oder Kompromiss

ein beiderseits akzeptables Ergebnis wird gesucht

akzeptables Ergebns wird gesucht

ausreichend gelernt haben mit ihren emotionalen Barrieren umzugehen und daher an der Konfliktlösung scheiterten. Der substantielle Gegenstand des Konfliktes kann es nicht sein, da die Konfliktparteien diesen sicher besser kennen, als der extern zugezogene und zur Neutralität verpflichtete Mediator, welcher bestimmungsgemäß lediglich die Aufgabe des Prozessbegleiters zu erfüllen hat (s. a. Wunderer, R.: 2001, S. 504–506). Das Schema Verhaltensmaximen des Mediators sei abschließend angefügt:

406

9. Führungselemente Abbildung 9.65: Verhaltensmaximen des Mediators

• Rolle als Katalysator: Der Mediator unterstützt die Parteien in der Auseinandersetzung. • kein Machtanspruch: Die Probleme werden von der Gruppe gelöst, nicht vom Mediator. • Neutralität: Der Mediator verhält sich neutral, er verzichtet auf Parteilichkeit. • keine Beziehungsverflechtung: Es sollten keine früheren Beziehungen zu den beteiligten Personen, Firmen oder Organisationen bestehen. • keine persönliche Meinungsäußerung: Der Mediator sollte weder eine persönliche Meinung äußern noch eine Wertung der zur Diskussion gestellten Ideen vornehmen. • Interessen stehen im Mittelpunkt: Der Mediator soll Verhandlungen ermöglichen, die sich an Interessen und nicht an Positionen orientieren. • gute Atmosphäre schaffen: Der Mediator ermuntert zu Interaktionen und versucht die Diskussionen konstruktiv auszubalancieren. Zur Förderung der Konsensfindung und kreativen Problemlösung stehen den Mediatoren u.a. folgende Methoden und Verhaltensweisen zur Verfügung: 35 • das Problem so benennen, dass sich die Gruppe auf die Lösung konzentriert • Brainstorming nutzen, um Alternativen zu entwickeln • Modelle oder alternative Sichtweisen für neue Problemlösungen suchen • die Teilnehmer ermutigen, gegenseitig auf ihren Ideen aufzubauen • für den Evaluierungsprozess Ideen in Kategorien zusammenfassen • „Was wäre wenn“ - Fragen stellen, um Perspektiven zu erweitern • Prioritäten setzen oder Rangfolgen von Anliegen, Ideen und Optionen aufstellen • Neubewerten von Bedürfnissen, Prioritäten • durch Nachfragen die Annahmen der Beteiligten auf Stichhaltigkeit prüfen • zwischen unverzichtbaen und wünschenswerten Kriterien unterscheiden • Zeitlimits nutzen • Konsequenzen der Nichteinigung aufzeigen Eine effektiver Einsatz dieser Methoden und Verhaltensmuster stellt besondere Anforderungen an die Moderatoren. Sie sollten insbesondere.36 • wunde Punkte diagnostizieren können • gute, aktive Zuhörer sein • geschickt verhandeln können • die richtigen Fragen zur richtigen Zeit stellen • die Parteien moderieren und mäßigen können • Konflikte deeskalieren und entkrampfen • latente Botschaften heraushören und interpretieren • die Parteien unterstützen und motivieren und • eine konstruktive, akzeptierende Atmosphäre schaffen (Wunderer, R.: 2001, S. 506; 35: Altmann, G., Fiebiger, H, Müller, R.: Mediation. Konfliktmanagement für moderne Unternehmen. Weinheim / Basel, 1999, S. 36, 111 und 134)

10. Mitarbeiterentwicklung August Sahm (1919–1997), der ab Ende der 60er Jahre mit führenden Personal- und Führungsfachleuten Deutschlands und Österreichs zusammenarbeitete, die Funktion als Leiter des Sozial- und Personalwesens der Firmengruppe Bölkow / Siat – der heutigen MBB-Firmengruppe, München – ausübte, später auch als Professor an der Technischen Universität München lehrte, war eine der herausragenden, visionären und engagierten Persönlichkeiten für eine zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit sowie die Entwicklung der Theorie und Praxis der Personalentwicklung und wirkte als begeisternder Pädagoge für Unternehmer und Führungskräfte. Sein Denken und Arbeiten gründete sich auf seine religiösen und von hoher Bildung getragenen Vorstellungen eines gelebten Humanismus, den Erfahrungen im 2. Weltkrieg und der nachfolgenden Aufbauzeit von Gesellschaft und Wirtschaft. Er setzte sich unermüdlich für Humanität in der Arbeits- und Berufswelt ein und war ein geschätzter Experte seines Faches in der Industrie, für die er bedeutende Projekte durchführte. Er verfolgte eine weitschauende und ganzheitlich orientierte Personal- und Führungsarbeit im Sinne des Ordoliberalismus und der darauf basierenden Sozialen Marktwirtschaft. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hat gezeigt – gemessen an Persönlichkeiten wie August Sahm – was den neoliberalen Ideen völlig fehlte: Der humane Bezug zu den Menschen, mit denen es die Wirtschaft zu tun hat, sei es als Führungskräfte, Mitarbeiter in den Unternehmen oder anderen privaten und öffentlichen Einrichtungen, als Geschäftspartner in unterschiedlichen Funktionen, als Kunden, Lieferanten, Dienstleister, Kooperationspartner in verschiedensten Netzwerken usw. Nach neoliberalen Paradigmen gilt die individuelle Freiheit des Einzelnen als höchster Wert und Angelpunkt der wenigen und ärmlichen Ideen des Neoliberalismus, allerdings nach einem Menschenbild, das auf den Einzelnen fokussiert ist, also einen Menschen mit egozentrischer Prägung und ungeregeltem Freiheitsraum mit rationalem Verhalten, so wie es dem lebensfremden Modell des Homo oeconomicus entspricht. Egozentrik steht so ausschließlich im Kern der neoliberalen Ideen, dass für Ideen der Sozialität und Sozialisation kein Platz ist. Das neoliberale Modell ist eine fehl- und überinterpretierte sowie völlig verkürzte Anleihe bei der Nationalökonomischen Klassik, die nach neoliberaler Lesart den Menschen ein egoistisches und ökonomisch rationales Verhalten zuordnet und den Egoismus ausdrücklich im Sinne des Neoliberalismus forciert und legitimiert (Internet: Homo oeconomi­

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10. Mitarbeiterentwicklung

cus). Diese neoliberale Interpretation widerspricht der Nationalökonomischen Klassik. Ihr Begründer Adam Smith (1723–1790) hatte gegenteilige Intentionen. Der Mensch mit seinen sozialen Bezügen und Verantwortungen, Einbindungen und Wechselbeziehungen zur Gesellschaft und Wirtschaft ist kein Gegenstand der Ideen des Neoliberalismus. Das ungebundene, sprich asoziale Ego ist der normative Gegenstand des Neoliberalismus. Die Folgen der menschenfeindlichen neoliberalen Ideen – nämlich als wesentlicher Auslöser der Krise – sind bekannt und der Grund für einen geforderten Paradigmenwechsel. Das neoliberale und egozentrische Menschenbild projizieren Neoliberale nicht überraschend auf andere in der Wirtschaft tätige Menschen, d. h. diese Projektion wird damit als übergreifende und fragwürdigste Hypothese ein Teil der neoliberalen Vorstellungen. Jedem im Leben und in der Wirtschaft Stehenden ist klar, dass der zur Heilslehre der Neoliberalen hochstilisierte Egoismus – getarnt durch das Ideal der individuellen Freiheit – keine tragfähige Basis für eine zeitgemäße Personal- und Mitarbeiterführung sein kann, es sei denn man bekennt sich zu einem ausgeprägten autoritären Führungsstil mit entsprechendem Arbeits- und Geschäftsverhalten und praktiziert das auch tatsächlich. Das kann auf Dauer nicht erfolgreich und schon gar nicht zukunftsfähig sein, geschah aber dennoch so bis zum bitteren und grausamen Ende. Das Maß des Irrsinns der größten Wirtschaftskatastrophe seit der 2.  Weltwirtschaftskrise 1928–1932, also seit über 80 Jahren, zeigt sich allein an dem unfassbaren Faktum, dass die Welt von der Entwicklung der Krise und vom Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 völlig überrascht wurde und nur extrem wenige und leider nicht ernst genommene Experten vor der Krise warnten. Das Ausmaß der asozialen neoliberalen Ideen, die damit verbundene Menschenverachtung und die dadurch mitentscheidend ausgelösten Folgen der Krise, müssen sehr realistisch gesehen werden: Das Finanz- und Banksystem in den USA und Europa hat es im größten und zuvor kaum vorstellbaren Ausmaß vorgeführt, welche Macht und Auswirkungen falsche Ideen haben können und weltweit im Stande waren, die Gesellschaft, die Wirtschaft und das soziale Gefüge an den Rand des Abgrundes zu führen und dabei von den zuständigen Stellen der Staaten und von deren riesigen Apparaten weder gestoppt, sondern ganz im Gegenteil bis zum Ausbruch der Krise und noch geraume Zeit danach unterstützt und gedeckt wurden. Die folgende und bittere Lastenverteilung der Krisenbewältigung lief nach ähnlichem Muster weiter, quasi nach dem Motto: Die Ermordeten sind schuld! Denn die neoliberalen Täter haben per Saldo vor und nach der Krise prächtig verdient und die Geschädigten sowie die Ruinierten und noch ihre Kindern zahlen die Zeche! Das ist die wahre, verkehrte und verrückte Welt des



10. Mitarbeiterentwicklung409

Neoliberalismus und seiner falschen Propheten. Die Krisenbewältigung lief zunächst nach einem Drehbuch, wie es Neoliberale geschrieben haben könnten. Das hat sich inzwischen in den USA und in der EU geändert (Mitte 2015). Es wurde begonnen, die Krisenverursacher teilweise zur Verantwortung zu ziehen und das kann sicher noch nicht das Ende solcher Anstrengungen sein. Es sind weitere wirksame Vorkehrungen unverzichtbar, um für die Zukunft bestmöglich zu gewährleisten, dass sich die weltweite Katastrophe nicht ähnlich wiederholt. Die Fakten zum Verlauf und der Bewältigung der Krise wurden an anderer Stelle der Arbeit belegt, interpretiert und es darf darauf verwiesen werden. Die egozentrisch bestimmten neoliberalen Ideen erwiesen sich gleichermaßen als mächtig und unheilbringend, was hoffentlich nicht vergessen wird. All das konnte allerdings nur wider das bessere Wissen und durch die Hilfe unzähliger Mitläufer und Profiteure aus Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft passieren. Summa summarum sind diese vielgestaltigen Begleitumstände der Krisenentwicklung und -verursachung ein unfassbares Skandalon im Kontext mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Menschen sind soziale Wesen und allein die Frage, ob das wirklich so ist, wird vielfach und zu Recht als provokant empfunden, da jeder weiß, dass er ohne andere nicht leben kann. Der Mensch definiert sich über soziale Beziehungen und Werte. Seine individuelle Identifikation findet er im sozialen Kontext. Er trifft Entscheidungen und setzt Handlungen, die für ihn von Nutzen sind und wird aus rationalen und emotionalen Erwägungen Soziales tun, wenn es ihm notwendig und sinnvoll scheint und nützt. Das wird nicht immer ideal gelingen, sonst gäbe es beispielsweise weniger Kooperationsprobleme. Die Sozialisation des Menschen ist stets verbunden mit Kommunikation und damit prozesshaft verknüpft mit der Gesellschaft, die wieder prägend auf die Menschen wirkt, natürlich über Personen und Gruppen, wie Eltern, Lehrer, Vereine usw. (George H. Meads) sowie Normen und Werte, die im Wege der Interaktion gesellschaftlich konstituiert werden (Herbert George Blumer). Werte und Normen selbst unterliegen Entwicklungen und Veränderungen, die auch den Menschen als soziales Wesen verändern. Der Bereich der Personalund Führungsarbeit ist davon stark bestimmt, wie beispielsweise ein Blick auf den Wandel des Führungsstiles zeigt. Der Mensch als soziales Wesen, wie ihn Aristoteles (384 v. Chr.–322 v. Chr.) als Zoon politikon verstand und der als Begriff die abendländische Anthropologie bestimmte, ist substantiell heute selbstverständlich anders zu sehen (Internet: Menschen als soziale Wesen). Auf solchen Überlegungen basierte früher wie heute mehr oder minder stark eine Personal- und Führungsarbeit, angepasst an die jeweiligen und unterschiedlichen Verhältnisse, Normen und Werte. Die Bedeutung, den Wechsel und die Folgen der jeweiligen Ideen haben wir im 20. und 21. Jahrhundert im Schlechten wie im Guten kennengelernt.

410

10. Mitarbeiterentwicklung

In den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts hielt August Sahm seine Vorstellungen zur Mitarbeiterentwicklung als Führungsfunktion fest, die das nachfolgende Schema wiedergibt und vom seinem Weitblick zeugt. Seine bestechende Aktualität ist bewundernswert. Den Mittelpunkt der Funktionalität der Mitarbeiterentwicklung bildet der Vorgesetzte, dem diese Aufgabe originär zufällt, die er daher auch selbst zu erbringen und zu verantworten hat. Eingebettet sind die Aufgaben der Mitarbeiterentwicklung in die Führungsfunktionen Information, Motivation und Autorität. Die Autorität wird im Sinne einer „bejahenden Abhängigkeit“ des Mitarbeiters (Alexander von Humboldt, 1769–1859) verstanden, wobei die Akzeptanz des Mitarbeiters gegenüber dem Vorgesetzten sich primär durch dessen humane und fachliche Kompetenz im Sinne einer natürlichen Autorität der Führungskraft begründet. Die „amtliche“ Autorität des Vorgesetzten hat als erforderliche personale und organisationale Regelung dem gegenüber de facto sekundäre Bedeutung. Die Funktionen der Mitarbeiterentwicklung sollen durch einen kooperativen Führungsstil geprägt und getragen werden. Darauf bauen die Gestaltungen von Lernen, Kooperieren und Leisten auf, wobei diesen Funktionselementen essentielle Gestaltungsfaktoren zugeordnet werden, um die angestrebten Ziele über relevante Teilfunktionen zu verwirkichen. Die Mitarbeiterentwicklung wird als die Gesamtheit eines komplexen und offenen Systems gesehen, bei der die einzelnen Teile bzw. Elemente sich in vielfältigen Wechselwirkungen und prozesshaft in dynamischen Entwicklungen befinden und hohe personen- und sachbezogene Anpassungsfähigkeit und Flexibilität sollten realisierbar sein. Das Schema Mitarbeiterentwicklung als Führungsfunktion (nach A. Sahm) leitet sich von den Führungsvorstellungen ab, wie sie im Kapitel 8. Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben der vorliegenden Arbeit und den dortigen beiden Schemata Führung: Mitarbeiterbezogene Führungsaufgaben und Kooperativer Führungsstil, Motive und Führungsinstrumente dargelegt wurden. Mitarbeiterentwicklung setzt in diesem Kontext kooperative Führung voraus und beginnt beim einzelnen Mitarbeiter, bei der dieser gelernt hat, selbständig und mit Anderen verantwortlich zusammenzuarbeiten und Vorgesetzte verpflichtet sowie diese auch dazu bereit sind, Mitarbeiter dabei tatkräftig zu unterstützen, wie beispielsweise durch die Förderung des Fachkönnens und des zwischenmenschlichen Verhaltens als Voraussetzungen konstruktiver Kooperation, des Fortkommens und der Mitarbeiterbefriedigung am Arbeitsplatz usw. Funktionales und soziales Lernen und Leisten sind verbunden mit ständigen Lernprozessen, um die Kooperation und ihren Erfolg nachhaltig zu verankern. Die Trainer- und Servicefunktion des Vorgesetzten für die Mitarbeiterentwicklung sind originär, essentiell und als Teil der Führungsfunktion ad personam zu erfüllen, insbesondere in Verknüpfung mit den Arbeitsvollzügen als besonders effektiven Formen des Lernens (Ler-

Abbildung 10.1: Mitarbeiterentwicklung als Führungsfunktion (nach A. Sahm) 10. Mitarbeiterentwicklung411

412

10. Mitarbeiterentwicklung Abbildung 10.2: Kooperative Führung KOOPERATIV FÜHREN HEISST:

DELEGIEREN

Zuständigkeit Entscheidung Weisung Verantwortung

SICH KOLLEGIAL VERHALTEN

KOLLEGIALITÄT nach oben auf gleicher Ebene und nach unten

DEN MITARBEITER ALS PARTNER ANERKENNEN

ihn nicht nur nach seiner Nützlichkeit bewerten, sondern ihn auch um seiner selbst willen achten

(Quelle: Sahm, A.: 1977, S. 28)

nen durch Tun). Die folgenden Schemata vertiefen sehr anschaulich die weiteren Zusammenhänge (s. a. Sahm, A.: 1977, S. 27–28, S. 30): Gute Führung und Mitarbeiterentwicklung bedarf der Berücksichtigung der wechselseitigen Bedürfnisse in der beruflichen Zusammenarbeit. Das Schema Bedürfnisse des Mitarbeiters in der beruflichen Zusammenarbeit veranschaulicht den komplexen Zusammenhang aus der Sicht des Mitarbeiters, die anschließenden Schemata zeigen Erwartungen von Mitarbeiter und Betrieb (Sahm, A.: 1977, S. 35). Die Schemata Was erwartet der Mitarbeiter? – Was erwartet der Betrieb? – Das gemeinsame Interesse? runden die Thematik der gegenseitigen Erwartungen ab: Mitarbeiterentwicklung erfordert vom Betrieb gründliche Überlegungen, wie wann welche Qualifikationen erforderlich sind, welche Mitarbeiter hierfür geeignet und wieviel Zeit in welchen Zeiträumen hierfür aufzuwenden ist. Die Ermittlung der Bedarfe an Mitarbeiterentwicklung sind also sorgfältig zu planen. Das kann Bewertungsverfahren erfordern, ebenso Methodenentscheidungen und die Mitarbeiter sind in die entsprechenden Arbeiten einzubeziehen. Im Mittelpunkt der Beantwortung der Fragen für die Optimierung der Mitarbeiterentwicklung steht das Gespräch der Führungskraft mit dem Mitarbeiter. Dabei erfolgt die Konkretisierung der Führungsfunk­ tion, dass die Führungskraft als Trainer des Mitarbeiters diesen unterstützt,

Abbildung 10.3: Bedürfnisse des Mitarbeiters und Betriebes in der beruflichen Zusammenarbeit 10. Mitarbeiterentwicklung413

414

10. Mitarbeiterentwicklung Abbildung 10.4: Erwartungen der Mitarbeiter und des Betriebes

(Sahm, A.: 1977, S. 49)

Abbildung 10.5 Das gemeinsame Interesse

(Quellen: Sahm, A.: 1977, S. 51)

um ihn möglichst erfolgreich zu machen und dafür auch die persönliche Verantwortung trägt. Die Trainerfunktion ist eine Kernaufgabe der Führungskraft. Die folgenden Schemata zeigen die erforderlichen Vorgehensweisen und Zusammenhänge im Überblick:



10. Mitarbeiterentwicklung415 Abbildung 10.6: Was fordert Mitarbeiterentwicklung von Mitarbeitern und vom Betrieb

(Sahm, A.: 1977, S. 53)

Die im Überblick dargestellten Vorstellungen und Ansätze von August Sahm gehen in den wiedergegebenen Quellen bis in die Mitte der 60erJahre des vorigen Jahrhunderts zurück und hinterlassen – wie schon zu Beginn des vorliegenden Kapitel erwähnt – einen überraschend aktuellen Eindruck: Das rührt zum Einen von der erstaunlichen Tiefe, Weitsichtigkeit und Klarheit der Ideen, Überlegungen und des bewunderungswürdigen Engagements von August Sahm. Zum Zweiten verloren die bis Ende der 70er Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts vorherrschenden ordoliberalen Orientierungen und die Vorstellungen der Sozialen Marktwirtschaft in der Praxis zunehmend an Resonanz. Das dürfte auch mit dem größer gewordenen zeitlichen Abstand zum Kriegsende, dem Wiederaufbau und den geänderten gesellschaftlichen und wirtschaftlich Verhältnissezum teilweise begründbar sein. Es gewannen aber auch die von den USA und England ausgehenden neoliberalen Vorstellungen stark an Boden. Schließlich erhielten vor allem von dort aus die neoliberalen Absichten sehr starken politischen Rückenwind, der in der

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10. Mitarbeiterentwicklung Abbildung 10.7: Dialog der Mitarbeiterentwicklung

(Sahm, A.: 1977, S. 55)

europäischen Politik und von den den engsten Partnern kommend durchaus Resonanz fand (Ronald Reagan; Margaret Thatcher; Bill Clinton). Beim deutschen sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder (1944) war der Einfluss greifbar und hat seine Politik als Kanzler in den Jahren 1998 bis 2005 stark bestimmt. Sein Übername als „Kanzler der Bosse“ kam nicht von ungefähr und sein späterer privater berufliche Weg wies in ähnliche Richtungen. Eine gewisse Affinität zu neoliberalen Ideen war auch beim österreichischen und bürgerlichen Bundeskanzler der Jahre 2000 bis 2007, Wolfgang Schüssel (1945), nicht zu übersehen. Nach den Nationalratswahlen Ende 1999 gelang ihm vom dritten Platz aus das Kunststück, mit dem freiheitlichen Parteiführer Jörg Haider (1950–2008) eine Regierungskoali­tion zu bilden, was nationale und internationale Proteste auslöste, da die Partei von Haider als rechtsextrem angesehen wurde. Das führte für neun Monate zu diplomatischen „Sanktionen gegen Österreich“. Der umstrittenen bürgerlich-freiheitlichen Koalition folgten kaum zu zählende Skandale, die bis in die Gegenwart die Zivil- und Strafgerichte in Österreich und neuerdings auch von Bayern (Hypo Alpe-Adria-Bank



10. Mitarbeiterentwicklung417 Abbildung 10.8: Zweck und Nutzen der Mitarbeitergespräche

(Sahm, A.: 1977. S. 57)

International AG, Klagenfurt) auf Trapp halten und ein Ende ist nicht absehbar (Mitte 2015). Die österreichischen Bürger werden dafür mit Milliardenbeträgen zur Kasse gebeten und die Öffentlichen Haushalte stöhnen seit Jahren daher unter handfesten budgetären Engpässen, deren Ende einschließlich einiger diffizilen politischen Probleme nicht absehbar sind. Kurzum, auch Österreich sind Paralellen zum neoliberalen Debakel nicht fremd.

Abbildung 10.9: Ziele eines betrieblichen Bildungs- und Förderungsprogrammes 418 10. Mitarbeiterentwicklung



10. Mitarbeiterentwicklung419

Die ordoliberalen Vorstellungen und Werte gingen als Paradigmen in die Konzeption der Sozialen und später der Ökosozialen Marktwirtschaft ein, die im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus mit verschiedenen nationalen Varianten in Europa die Wirtschaft und Wirtschaftspolitik prägten. Bereits ab Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts begannen sich die neoliberalen Entwicklungen zu Lasten der Ideen der Sozialen Marktwirtschaft auszubreiten, die eine fundamental andere Tendenz in Teilen der Wirschaft, Politik und Gesellschaft verfolgten, tatsächlich auch erlangten und wovon immer mehr Länder erfasst wurden. Es kam vor allem zunächst in Theorie und Lehre, dann aber auch in der Praxis zu einem als Niedergang zu qualifizierenden Verlust des Gedankengutes der Sozialen Marktwirtschaft und der Neoliberalismus gewann in den weiteren Jahren stetig an Boden. Bei den Themenbereichen Personal- und Führungsarbeit, die zuvor und bis zur neoliberalen Wende ein bis heute nicht mehr erreichtes hohes Niveau in Lehre und Praxis hatten, riss quasi der Faden einer sehr bemerkenswert positiven Entwicklung etwa 1975 ab. Einschlägige Fachliteratur im Sinne der bis dahin führenden Vorstellungen wurde rar. Betriebe, beratende Berufe, öffentliche Einrichtungen, Organisationen, Interessenvertretungen usw. schlugen großteils andere Wege ein bzw. folgten mehr und mehr den neoliberalen Tendenzen und Entwicklungen. Damit verengte sich der Blick auf die wenigen, sehr einfachen, egozentrischen Ideen und trügerischen Prophezeiungen des Neoliberalismus. Für Persönlichkeiten mit ordoliberaler Geisteshaltung und Vertreter der Ökosozialen Marktwirtschaft wurde die Luft dünner. Ihre Hoffnungen auf ein Umdenken waren zwar groß, aber durch etwa vier Jahrzehnte leider weitgehend vergeblich. Der Konzeption der Sozialen und später der Ökologischen Marktwirtschaft wurde nie abgeschworen oder sie auch nur in Frage gestellt. Sie verlor aber de facto deutlich an Boden. Neoliberale Ideen gewannen für das reale Handeln der Akteure in wesentlichen Bereichen der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft dagegen immer mehr an Gewicht. Die Verschiebungen erfolgten in kleinen Schritten und unspektakulär. Daher bestand fälschlicher- und fatalerweise auch kein breiteres Interesse, auf die tatsächlich brisanten Aushebelungen und Verschiebungen der Paradigmen mit allen ihren Folgen mit der notwendigen Konsequenz einzugehen und die fatalen Tendenzen einer ernsthaften Auseinandersetzung zu unterziehen. Wäre das in ausreichendem Maße auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene erfolgt, wäre das Faktum der Macht der Ideen des Neoliberalismus und die daraus resultierenden bedrohlichen Folgen begriffen und transparent geworden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte das ein Umdenken einleiten können. Das geschah offenkundig zu wenig und man schlitterte ohne auf potentielle Gefahren ernsthaft zu reagieren immer weiter in die Richtung einer krisenhaften Entwicklung

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10. Mitarbeiterentwicklung

und landete schließlich in der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Ohne das Skandalon des Missachtens einer hochgefährlichen und weltweiten Gefahr, geschweige denn bei einer genügend frühzeitige Reaktion, hätte sich vielleicht die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 sogar verhindert lassen oder zumindest wären das Ausmaß und die verheerenden Folgen der Krise zumindest in Europa geringer gewesen. Das erfolgte nicht und ist zweifellos auf allen genannten und verantwortlichen Ebenen als tragisches Armutszeugnis und Inkompetenz zu werten, und zwar nicht nur der Politik, sondern ebenso der Gesellschaft einschließlich der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, der Verbände, von Lehre und Forschung, der Religionsgemeinschaften usw. An Mahnern hat es nicht gefehlt, sie fanden jedoch kein Gehör. Dieses erschütternde und dunkle Kapitel der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, wurde bislang bei der Bewältigung der Krise bezeichnenderweise kaum oder gar nicht thematisiert, natürlich auch nicht die Verantwortungsproblematik für dieses Versagen. Der Umgang mit der Wahrheit durch Verschweigen ist wenig konstruktiv. Die heutige Aktualität von August Sahm rührt daher, dass seine Arbeit stets auf der Realität der betrieblichen Praxis der Personal- und Führungsarbeit basierte und im lebendigen Kontext mit ethischen und gesellschaft­ lichen Normen entstand. Das Wort Humanismus war keine schöngeistige Garnierung, sondern für August Sahm gelebte Orientierung. Dadurch konnte Sahm die oft enge, zeit-, tendenz-, formal- und auch gelegentlich modengebundene Betriebswirtschaft sprengen und überwinden. Er fand dafür bei einem Großteil der deutschen Industrie positive Resonanz. Von deren Interessensvertretungen wurde Sahm unterstützt und mit wichtigen Aufgaben betraut, die zur Verbreitung seiner Vorstellungen beitrugen, ähnlich wie es durch seine Arbeit als Hochschullehrer und Autor geschah. Mit dem von den allermeisten Akteuren unerwarteten Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007, die noch längst nicht beendet ist (Mitte 2015), erkannte man – zwar zu spät, aber doch – die Macht der neoliberalen Ideen, ihre unweigerlichen Konsequenzen und fatalen Umsetzungen in vollem Umfang, ebenso die für die Krise hauptverantwortlichen Gruppen, nämlich: Die Ideengeber des Neoliberalismus, willfährige und überforderte Politiker, Interessenvertreter, die länderübergreifende Schlüsselbranche der Finanzindustrie, Spekulanten und eine erhebliche Gruppe international agierender Wirtschaftsführer, die endlich vor den Vorhang mussten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die genannten Gruppen nicht nur die verantwortlichen Auslöser, sondern auch die zeitweiligen Profiteure des wirtschaftlichen Debakels waren und auch darin die Motive ihres unredlichen und verhängnisvollen Tuns lagen und – so die Befürchtung – nach wie vor potentiell auch weiterhin noch liegen. Verhaltensprägungen sind erfahrungsgemäß sehr stabil, das gilt auch für Exponenten und Nutznießer des Neo­



10. Mitarbeiterentwicklung421

liberalismus. Während der Dominanz des Neoliberalismus durch nahezu vier Jahrzehnte hatten diese Gruppen mit ihrer Ideologie eine Umorientierung in den Köpfen, Herzen und dem Handeln unzähliger Menschen bewirkt, die in der Gesellschaft und Wirtschaft vieler Länder wichtige Positio­ nen innehatten und quasi zu Mitläufern und teilweise zu den Gewinnern der neoliberalen Heilslehre wurden. Ohne diese Mitläufer-Effekte wären die fatalen Entwicklungen vielleicht früher und mit geringeren Schäden zu Ende gegangen oder vielleicht sogar zu stoppen gewesen. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hat die Gesellschaft und Wirtschaft an den Abgrund einer weltweiten Wirtschaftskatastrophe geführt. Wie hoch allein die materiellen Schäden einschließlich der noch zu erwartenden Folgeschäden sind, ist derzeit (Anfang 2015) noch kaum genau zu beziffern. Die politisch bestimmte Aufklärungsbereitschaft dürfte von Anfang an begrenzt gewesen sein, da sie ja nicht getrennt von der politischen und wirtschaftlichen Verantwortung gesehen werden kann. Den relevanten Macht­ eliten war natürlich klar, dass die politischen und wirtschaftlichen Reaktionen bei Kenntnis der vollen Wahrheiten höchst unangenehm, folgenschwer und entsprechende personale Risiken schlagend werden können. Die Begriffe „Beruhigung“ und „Schönfärberei“ sind in diesem Zusammenhang zur politischen „Droge“ geworden, um Paniken möglichst zu vermeiden, aber auch personale Verantwortlichkeiten zu vertuschen. Die jüngsten Entwicklungen (Ende 2014) zeigen allerdings, dass Letzteres zu bröckeln beginnt. Ausgehend von den USA und inzwischen auch in Europa, werden beispielsweise Großbanken mit ein- und zweistelligen Milliardenbeträgen gerichtlich zu Schadensersatzleistungen und Strafen verurteilt oder ersatzweise zu ähnlich hohen Ausgleichzahungen zur Kasse gebeten, um solche Prozesse zu vermeiden. Bei zahlreichen Großbanken wurden für solche Fälle mittlerweile enorme Milliardenbeträge an Rückstellungen gebildet, d. h. die Verfahren haben erst begonnen und werden vermutlich noch jahrelang weitergehen. Zahler sind bislang die Banken oder ähnliche Einrichtungen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass auch Personen strafund zivilrechtlich belangt werden und die personale Verantwortung zu sehr schmerzhaften Folgen materieller Art führen, ganz abgesehen von weiteren beruflichen und gesellschaftlichen Beeinträchtigungen. Die nichtmateriellen Schäden zu erfassen und zu bewerten ist naturgemäß weitaus schwieriger. Selbst mit reger Fantasie und guten Informationsquellen ist das Vorstellungsvermögen eigentlich überfordert. Zweifellos zwingt die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zu selbskritischer Rückbesinnung, der zwar langsam aber stetig kompetendere und konsequentere Strafmaßnahmen folgen, um zukünftig so extrem gefährliche Situationen vorbeugend zu verhindern. Die sehr gestiegenen und zukünftig rasch

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10. Mitarbeiterentwicklung

wichtiger werdenden kreativen und innovativen Leistungen der Wirtschaft, die Globalisierung und der steigende Stellenwert der Informationstechnologie usw., sind Faktoren, die stärker denn je die Wirtschaft und den Wohlstand der Menschen bestimmen werden. Sie blieben im Kontext mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nicht ohne Folgen. Zu Recht werden mit diesen Begriffen und den damit verbundenen wirtschaftlichen Möglichkeiten große Hoffnungen für eine Gesundung von Gesellschaft und Wirtschaft verbunden. Über die optimalen Wege in die weitere Zukunft wird noch heftig gestritten, zu unterschiedlich und zu zahlreich sind die jeweiligen Interessenlagen und Machtverhältnisse. Das ist der natürliche Gang der Dinge, der somit essentiell die guten und erforderlichen Gründe auf Hoffnung und die Lösung der Probleme nicht verhindern sollte. Zum einen wird zunehmend erkannt, dass das zukünftige Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft mit seinen geistigen Wurzeln im Ordoliberalismus die rettende Alternative zum Sündenfall des Neoliberalismus darstellt. Zum Zweiten mit den anzustrebenden Neu- und Reorientierungen sind auch die Weichenstellungen einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit systemimmanent verbunden und durch die vorgenannten Entwicklungen unumgänglich (Bedeutungszunahme von Innovation, Globalisierung, Information u. a.). Daher ist es auch richtig, sich dankbar auf Persönlichkeiten wie August Sahm und ihre Leistungen zu besinnen und zu überlegen, wie man mit Hilfe ihrer Ideen und auch den damit erreichten handfesten früheren Erfolgen in der Praxis, zukünfige Gestaltungen möglichst gut unterstützen, konzipieren und bewältigen kann. Dabei werden Aktualisierungen und ausreichend klare Konkretisierungen erforderlich sein, um notwendige Abstimmungen mit jenen Erfordernissen zu erreichen, die sich gegenwärtig und mit den weiteren Entwicklungen stellen werden. Die ethische und substantielle Basis im Sinne einer Ökosozialen Marktwirtschaft ist redlich, gerecht, solide, zeitgemäß, wirtschaftlich erfolgversprechend und daher ein solides Fundament, auf dem die Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bewerkstelligt werden kann und angestrebte, nachhaltige und weitere Entwicklungen basieren sollten. Kundigen ist durchaus noch bekannt, welches reiche Ausmaß an Vorstellungen, Ansätzen und Realisationen an fortschrittlichen und für die damalige und heutige Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen wichtige Vorhaben und Projekte bis etwa zum Ende der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts entstanden. Das Wissen darüber ist allerdings weitgehend in der breiteren Öffentlichkeit, aber auch bei Fachleuten in den vergangenen rund 35 bis 40 Jahren geschwunden. Gott sei Dank aber nur scheinbar, denn es wurde fundiert und breit dokumentiert und kann mit wenig Mühe gehoben werden. Seine Adaption auf heutige und zukünftige Verhältnisse ist daher mit überschaubarem Aufwand möglich, hilfreich und zweifellos nützlich.



10. Mitarbeiterentwicklung423

Ein Beispiel: Es gab etwa ab Mitte der 65er bis zum Anfang der 80erJahre des letzten Jahrhunderts in allen deutschsprachigen Ländern realisierte und mit großem Engagement verfolgte Programme und realisierte Projekte, die unter dem Begriff Partnerschaftsbetriebe bekannt wurden. Guido Fischer (1899–1983), Professor an der Universität München und ein Kreis sehr renommierter Wirtschaftswissenschaftler bildeten das geistige Zentrum für diese Idee und ihre praktische Umsetzung. Guido Fischer trug diese Gedanken mit großem Erfolg bis nach Japan. Das Grundanliegen der Patnerschaftsidee war zeitgeschichtlich von der wirtschaftlichen Aufbauarbeit nach dem 2. Weltkrieg und der dabei oft gelebten Solidarität zwischen Unternehmern und ihren Mitarbeitern getragen. Es basierte großteils auf der Anknüpfung an die Katholische Soziallehre, die bekanntermaßen auch die Grundlage für den von Walter Eucken (1891–1950) begründeten Ordoliberalismus bildete, auf dessen Grundlage das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft entwickelt wurde, wie: Schaffung einer zeitgemäßen und vertrauensbasierten Personal- und Führungsarbeit, Mitbestimmung und Mitunternehmertum, Vermeidung des Klassenkampfes alter Prägung, Erfolgs-, Vermögens- und Kapitalbeteiligung und Verfolgung einer zeitgemäßen Unternehmenskultur. Interessant ist, dass es bereits im 19. Jahrhundert Beispiele von Gewinnbeteiligungen bei einigen Unternehmen gab, deren Intentionen denen der Partnerschaftsbetriebe ähnelten. Überträgt man die beispielhaft kurz skizzierten Konzepte und Praktiken der Partnerschaftsbetriebe auf die heutige Zeit, ist es nicht schwer, daraus wertvolle und aktuelle Anregungen zu gewinnen. Solche Beispiele ließen sich viele finden. An etwas späterer Stelle dieser Ausarbeitung wird dieser Faden nochmals in prospektivem Sinne aufgenommen. Mitarbeiterentwicklung und das Lernen von Organisationen entsteht nur dann, wenn einzelne Menschen lernen. Individuelles Lernen ist aber keine Gewähr dafür, dass Mitarbeiterentwicklung im Gesamten oder organisationales Lernen erfolgt, aber ohne individuelles Lernen funktionieren die vorgenannten kollektiven Lernformen nicht. Nach Peter S. Senge geht es daher um „Personal Mastery“, die den „Begriff, mit dem meine Kollegen und ich die Disziplin der Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung bezeichnen. Menschen, die einen hohen Grad an Personal Mastery erlangen, erweitern beständig ihre Fähigkeiten, die Ergebnisse zu erzielen, die sie wahrhaft anstreben. Ihr kontinuierliches Streben nach Selbstschulung prägt den Geist der lernenden Organisation“ (Senge, P. M.: 1999, S. 171 und 173). Es stellt sich damit zunächst auch die Frage über die Erwartungen an die Gefragten Eigenschaften im Topmanagement, die eine aktuelle Studie (Ende 2012) ermittelte und die das folgende Schema zeigt:

424

10. Mitarbeiterentwicklung Abbildung 10.10: Gefragte Eigenschaften im Top-Management

Kompetenzen, Fähigkeiten

Maßgeblichkeit 2,05

Interkulturelle Kompetenz Fremdsprache Berufliche Ausbildung

1,95 1.37

Berufliche Erfahrung

2,29

2,89

Selbstbewusstsein Belastbarkeit

2,58

2,68

Emotionale Stabilität Druchsetzungsstärke

2,95

Teamorientierung

1,47

Soziabilität

1,47

2,63

Kontaktfähigkeit Sensitivität

2

Handlungsorientierung

2,42

Flexibilität Gewissenhaftigkeit Führungsmotivation

2,53 1,50

2,63

Gestaltungsmotivation Leistungsmotivation

2,95 2,68

(Der Standard, Wien vom 15. / 16.12.2012, S. K 16)

Die Studie ist wegen ihrer Aktualität im Kontext mit der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 besonders wertvoll, da sich deren Auswirkungen mit Sicherheit in den Ergebnissen der Studie niederschlagen. Natürlich gibt es frühere und ähnliche Studien in der Fachliteratur, die aber die spektakuläre und vor allem tiefgreifende Zäsur der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 nicht wiedergeben können. Ferner haben die Fragen und Ergebnisse der Studie eine hohe Affinität zur vorliegenden Ausarbeitung. Richtung, Inhalt, Methoden und praktische Vorgehensweisen der Mitarbeiterentwicklung sind dank deren Schlüsselfunktion für Unternehmen und Einrichtungen vom Top-Management im Sinne der Tendenz zu einer perso-



10. Mitarbeiterentwicklung425 Abbildung 10.11: Gefragte Eigenschaften im Mittleren Management Kompetenzen, Fähigkeiten

Maßgeblichkeit 1,72

Interkulturelle Kompetenz Fremdsprache Berufliche Ausbildung Berufliche Erfahrung

1,50 1.39 1,58

Selbstbewusstsein

2,22

Belastbarkeit

2,59

Emotionale Stabilität

2,44

Durchsetzungsstärke

2,06

Teamorientierung Soziabilität Kontaktfähigkeit Sensitivität

2,28 1,74 2,22 2,11

Handlungsorientierung

2,33

Flexibilität Gewissenhaftigkeit

2,50 2,06

Führungsmotivation Gestaltungsmotivation Leistungsmotivation

2,61 2,28 2,56

(Der Standard, Wien vom 15. / 16.12.2012, S. K 16)

nifizierten Unternehmensführung zu treffen. Dem Gedanken folgt auch die Studie und erhebt daher zunächst die Erwartungshaltungen von Top-Managern. Die gleiche Fragenstellung für das Mittlere Management und Fähigkeiten in den Human Resources ergab folgende Ergebnisse: Die sozialempirische Studie in Form von Befragungen bei 50 interviewten Führungskräften erfolgte durch das Berater Zentrum Dorotheergasse (bzd) in Wien, einer anerkannten Einrichtung mit den Arbeitsschwerpunkten Organisation, Führung und Teamentwicklung. Die Ergebnisse sind erstaunlich und machen das besondere Gewicht der Themen deutlich, die man

426

10. Mitarbeiterentwicklung Abbildung 10.12: Fähigkeiten in den Human Resources

Kompetenzen, Fähigkeiten

Maßgeblichkeit 2,44

Interkulturelle Kompetenz Fremdsprache

1,67

Berufliche Ausbildung

1,67

Berufliche Erfahrung

2,28

Selbstbewusstsein

2,47

Belastbarkeit

2,11

Emotionale Stabilität Druchsetzungsstärke

2,78 1,83

Teamorientierung Soziabilität

2,50 2,39

Kontaktfähigkeit

2,94

Sensitivität Handlungsorientierung

3,00 2,22

Flexibilität Gewissenhaftigkeit

2,50 2.11

Führungsmotivation

2,39

Gestaltungsmotivation

2,44

Leistungsmotivation

2,28

(Der Standard, Wien vom 15. / 16.12.2012, S. K 16)

unter dem Begriff Persönlichkeitsqualitäten subsumieren könnte. Die berufliche Ausbildung mit den Werten 1,37 / Top und 1,39 / Mittel ist vergleichsweise nieder bewertet, die berufliche Erfahrung mit 1,58 / Top und 2,28 / Mittel dagegen etwas höher, und zwar besonders bei Führungskräften der mittleren Ebene, was durchaus durch die Aufgabendifferenzierungen zwischen Top- und Mittelmanagement nachvollziehbar ist. Die Aufgabenschwerpunkte bzw. Fähigkeiten, die von den befragten Führungskräften für den Bereich Human Recources genannt wurden – die auf der Ebene unter der Geschäftsführung positioniert wurden –, ergibt ein Fähigkeiten-Profil, das in etwa den beiden anderen Studienergebnissen äh-



10. Mitarbeiterentwicklung427

nelt, sieht man von aufgabenspezifischen und zeitbedingten Abweichungen nach oben bei den Kategorien Interkulturelle Kompetenz, Kontaktfähigkeit und Sensitivität ab. Bemerkenswerte Studienergebnisse über Entwicklungen im Jahr 2012 gegenüber dem Vorjahr mit Blick auf die Funktionen des Human Resources sind u. a.: Führungsstil straffer und autoritärer. – Erhöhte Belastbarkeit und Teamorientierung. – Strategien und Handlungsvorgaben stärker beim Topmanagement. – Weniger Personal. – Mehr Führungskräfteentwicklung. – Mehr Coaching. Extern sind einer Interpretation der vorhergehenden Studien-Ergebnisse natürlich Grenzen gesetzt, will man allzu spekulative Aussagen vermeiden. Zwei Punkt seien dennoch aufgegriffen: (1) Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 hat Spuren hinterlassen, die typisch und kontraproduktiv in Krisensituationen sind, nämlich beispielsweise, dass aus Unsicherheit die Führungspraxis autoritärer wird und sich die Frage stellt, ob es daher nicht in schwierigen Zeiten richtiger wäre, die gemeinsamen Kräfte zu bündeln, um dadurch die Probleme optimaler zu bewältigen. (2)  Die Studie zeigt sehr deutlich, dass die Praxis weit mehr als die Theorie erkennt, dass zukünftige Entwicklungen von einem wesentlich höheren Anteil an qualitativen Anforderungen besonders im Verhaltensbereich bzw. bei „Emotionen“ gekennzeichnet sind. Locker gesagt: Immer mehr Controller im betrieblichen Einsatz sind eher fragwürdige Indizien für steigende Unsicherheit, Angst und eine Unterentwicklung der Selbstkontrolle in Unternehmen und ähnlichen Einrichtungen. Letztere steht bekanntlich durch ihre vorbeugende, umfassende und hochkompetente Ausübung und Wirkung eigentlich an erster Stelle der Kontrollmöglichkeiten und hat daher in einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit auch einen besonders hohen Stellenwert. Kreative, innovative, entwicklungsorientierte und hochqualitative Mitarbeiter sind weder zu ängstlich noch unsicher und ihre Erwartungen entsprechen daher auch anderen Verhaltensweisen. Sie sind die Träger kommender Entwicklungen und des Wohlstandes. Vorzugsweise werden sie in Unternehmen, Organisationen und anderen Einrichtungen anzutreffen sein, wo ihnen Freiheit, Eigenverantwortung und Entfaltungsmöglichkeiten bei ihren Leistungserbringungen eingeräumt und diese gefördert werden. Offenes Denken und Handeln sind dort Teil der gelebten Unternehmenskultur, es herrschen gute Rahmenbedingungen für Aufgabenerfüllungen und selbstverständlich werden ordentliche und gerechte Einkommensmöglichkeiten geboten. Was Personalisten sich vom Nachwuchs wünschen, zeigen die beiden nachfolgenden Schemata (Career-Monitor 2014, Internet). Künftig geforderte Fähigkeiten (Auswahl von 10 Kriterien und nach der Mitarbeiterzahl), die vom Career-Verlag, Wien (Internet) in Zusammenarbeit mit dem WU

428

10. Mitarbeiterentwicklung

Abbildung 10.13: Künftig geforderte Fähigkeiten (Auswahl von 10 Kriterien) unternehmerisches Denken

78% 74%

Lösungs-/Zielorientiertheit

76% 76%

Kommunikationsfähigkeit

66%

vernetztes Denken und Arbeiten

64%

Empathie/Einfühlungsvermögen/ soziale Kompetenz

56% 65%

Entscheidungsfreude

55% 57%

Kritikfähigkeit/Selbstreflexion

49% 56%

Konfliktlösungskompetenz

48% 58%

Teamfäigkeit

46% 52%

Flexibilität

44% 50%

Hands-on-Mentalität

Kundenorientierung Selbstmotivation

42% 39% 40% 38% 42% 35% 33%

Kreativität/Innovationskraft

33% 30%

Networking-Fähigkeit (Kontakte knüpfen)

33%

Durchsetzungsvermögen

31% 27%

analytisches Denken Markt- und Branchenwissen

68%

58%

Leistungsbereitschaft/Engagement

Ausdauer/Belastbarkeit

90%

28% 26% 28% 32% 0% 25% 50% 75% 100%

CAREER 2014 CAREER 2013 (Career-Monitor 2014, Internet)



10. Mitarbeiterentwicklung429 Abbildung 10.14: Künftig geforderte Fähigkeiten (nach Mitarbeiterzahl) unternehmerisches Denken

68% 79%

Lösungs-/Zielorientiertheit

81% 77%

Kommunikationsfähigkeit

59%

vernetztes Denken und Arbeiten

57% 67%

Empathie/Einfühlungsvermögen/ soziale Kompetenz

51%

Leistungsbereitschaft/Engagement

69%

62% 55%

Entscheidungsfreude

49% 61%

Kritikfähigkeit/Selbstreflexion

27%

49%

Konfliktlösungskompetenz

43% 51%

Teamfäigkeit

49% 40%

Flexibilität

49% 39%

Hands-on-Mentalität

51% 41%

Ausdauer/Belastbarkeit

46% 40%

Kundenorientierung

38% 30%

Selbstmotivation

41% 36%

Kreativität/Innovationskraft

32% 29%

Networking-Fähigkeit (Kontakte knüpfen)

30% 32%

Durchsetzungsvermögen

38% 33%

analytisches Denken

17%

Markt- und Branchenwissen

49%

22% 25% 0%

25%

50%

1-50 Mitarbeiter mehr als 1.000 Mitarbeiter (Career-Monitor 2014, Internet)

74%

75%

100%

430

10. Mitarbeiterentwicklung

ZBP Career Center der Wirtschaftsuniversität Wien (Career-Center, WU Wien, Internet) entstanden. Die 2 folgenden Schemata ergänzen die vorangegangenen 3 Schemata, bei denen die Arbeitgeberseite und nicht die betroffene Mitarbeiter befragt wurden. Die Erwartungen der Arbeitgeber waren somit der Studiengegenstand. Die Wünsche und Erwartungen der zukünftigen Arbeitnehmer und Mitarbeiter wären sicherlich als empirischer Studiengegenstand ebenso interessant gewesen und würden Aspekten eines zeitgemäßen Personalmarketings entsprechen. Die Werte wurden für die Jahre 2013 und 2014 erhoben und zeigen teilweise erhebliche Veränderungen (s. a. Schwan, K., Seipel, K. G.: 1994, S. 7–14). Die Mitarbeiterentwicklung wurde in der vorliegenden Ausarbeitung unter zwei wichtigen Gesichtspunkten behandelt. Einmal was kann aus den Vorstellungen und Entwicklungen zu den Schlüsselthema der Führung und des Managements von einer der wichtigsten Persönlichkeiten und Experten der vorneoliberalen Zeit, nämlich August Sahm, für die nachneoliberale Zeit nach der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 gelernt werden. Zweitens welche darauf aufbauenden Überlegungen, Ansätze und schließlich Umsetzungen sind aus heutiger Sicht (2015) ergänzend zu entwickeln bzw. aus bereits realisierten und guten Erfahrungen zu übernehmen und welche zusätzlichen Themenbereiche bzw. Entwicklungen sind hierfür besonders relevant. Was wir von August Sahm und auch anderen Fachleuten der vor- und nachneoliberalen Ära lernen und nutzen können, wurde im Überblick dargestellt und durch eigene Erfahrungen und Vorstellungen des Autors an verschiedenen Stellen der Ausarbeitung ergänzt. Dank ausnahmsloser Quellenangaben können die Ausführungen vom Leser unschwer vertieft werden, abgesehen von der Nutzung weiterer Informationsquellen. Die Punkte – Themen und Entwicklungen – wurden bereits thematisiert und können mit wenigen Oberbegriffen kurz genannt werden: Kreativität und Innovation. – Forschung und Entwicklung. – Informations- und Kommunikationswesen. – Komplexität – Rationalität versus Irrationalität. – Globalisierung. – Zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit. Für den Bereich Führung und Motivation geht es vornehmlich und ergänzend um den Bereich Innovation. Die anderen Bereiche wurden bereits an anderer Stellen der Ausarbeitung bearbeitet, auf die verwiesen werden darf. Kreativität und Innovationen waren stets von Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft. Ohne sie wäre die Industrialisierung in Europa und anderswo und etwa ab 1830 im deutschsprachigen Raum unvorstellbar und das gilt bis in die Gegenwart. Innovationen sind daher auch schon lange Gegenstand von Theorien und der Praxis, so auch in den Bereichen Führung und Motivation. Auch bei August Sahm bilden sie einen wichtigen Gegenstand seiner Überlegungen.



10. Mitarbeiterentwicklung431

Für die Bewältigung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 sind Kreativität und Innovation zu einer besonders wichtigen und zusätzlichen Hilfe geworden, um mit den Folgen der Krise wirkungsvoll umzugehen und sie prospektiv zu bewältigen. Der Begriff Innovation leitet sich vom lateinischen Verb innovare ab, das erneuern bedeutet. Das Erneuern oder die Innovation kann sich auf Vieles beziehen, wie: technologische, wissenschaftsgestützte, produkttechnologische, gesellschaftliche, soziale, finanzielle, organisatorisch, evolutionäre (Bildung und Ausbildung) oder nach Zeiträumen gestufte prozessorische, umweltspezifische, biotechnologische, gesundheitliche und medizinische, absatzwirtschaftliche, mobilitätsfördernde, informationstechnologische, rationalisierende Innovationen usw. (Nowotny, H.: 2013; Internet: Innovation). Die innovatorischen Ansätze sind offenkundig sehr vielfältig und kaum eingrenzbar. Vor allem in hoch entwickelten Industriestaaten mit internationalen Absatzmärkten, wie beispielsweise den Ländern im deutschsprachigen Raum, haben Innovationen eine überragende und entwicklungsentscheidende Bedeutung. Sie erfordern ein geeignetes innovationsorientiertes Umfeld und sehr anspruchsvolle Voraussetzungen in verschiedenen Bereichen, wie der Bildung, exzellente Forschungseinrichtungen im Grundlagen- und Anwendungsbereichen, entsprechende Hochschulen mit bestem Qualitätsniveau, neuerungs- und innovationsorientierte Unternehmer, Führungskräfte und Mitarbeiter, effiziente und insbesondere flexible und unbürokratische öffentliche Einrichtungen, offene und prospektive gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen usw. Die Anforderungen sind erfahrungsgemäß schwer zu erfüllen: Traditionelle Denkweisen, der Hang zu statischem Verhalten und „Besitzstandwahrung“, verkrustete und korporative Interessenvertretungen mit überzogenen Ansprüchen, starre Strukturen in zahlreichen öffentlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen, Bürokratismus, Apathie und Trägheit, phlegmatische Gleichgültigkeit und Schwerfälligkeiten, Langsamkeit, Privilegien-Wirtschaft usw. Ein Blick auf einige genannte positiv und negativ wirkende Faktoren der Gestaltung kreativer und innovatorischer Aufgaben, zeigt die zwiespältigen Spannungsverhältnisse, mit denen die angestrebten Funktionen zu realisieren sind. Eine zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit kann dazu enorm viel Positives beitragen, aber kann auch leicht an ihre Grenzen stoßen, wenn schlechte Grundvoraussetzungen für Kreativität und Innovationen nicht oder zu wenig beseitigt werden. Darauf die Kräfte für Verbesserungen zu konzentrieren, seien es vielfältige persönliche Einsätze, die Sicherung finanzieller Mittel oder andere Aktivitäten, wird darüber entscheiden, ob und wie auch die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und die weitergehenden Entwicklungen gemeistert werden.

432

10. Mitarbeiterentwicklung

Die von der Krise am meisten getroffenen Länder, die solche Kräfte der Hilfe durch die Nutzung von Innovationschancen besonders bräuchten, haben es dabei allerdings am schwersten. Sie hatten auch schon vor der Krise oft einen erheblichen innovatorischen Nachholbedarf und damit verknüpfte Wettbewerbsnachteile, sodass es allein daher vergleichsweise aufreibend sein wird, innovatorische Lücken zu schließen, um wettbewerbsfähiger zu werden. Die zusätzlichen Schwierigkeiten aus den besonders vertrackten Krisenfolgen dieser Länder machen die Innovationsvariante als Mittel der Krisenbewältigung somit sehr viel mühsamer. Um dennoch die besonders wirksame und zukunftsweisenden Mittel von Innovationen nutzen zu können, sollten u. a. Hilfen von außen mobilisiert werden, sei es durch Knowhow-Transfers, Kooperationen, finanzielle Mittel usw. Innovationen sind keine von heute auf morgen wirkenden Instrumente und sie sind risikobehaftet: Nur die kleine Zahl von etwa 20 % innovativer Ideen machen größenordnungsmäßig 80 % des innovativen Nutzens aus bzw. umgekehrt, 80 % der Ideen ergeben lediglich 20 % des innovativen Nutzens. Die Zeiträume zwischen innovativen Ideen und der Realisationen des innovativen Nutzens sind häufig schwer abschätzbar und durch die möglicherweise unterschätzte Dauer riskant. Oft ist es auch schwierig, zeitaufwendig und kostenintensiv, andere für eine Innovationsidee und ihre Realisierung zu gewinnen (s. a.: Mandl, C. et al., 2006. S. 1–11; s. a. Internet). Die Verfahrensebenen zur Nutzung potentieller Innovationsmöglichkeiten bilden u. a. auch folgende relevanten Bereiche: Schaffung einer Veränderungs-, Innovations- und Identifikationskultur. – Management und Mitarbeiter. – Organisationsgestaltungen. – Entwicklung von innovationsfreundlichen Arbeits- und Rahmenbedingungen. – Netzwerke und verschiedene Ebenen der Gesellschaft (Wissenschaft und Transfereinrichtungen zur Praxis, Bildungseinrichtungen, politische Instanzen, gesetzliche Maßnahmen). – Fördersysteme. – Eingehen von Partnerschaften. – Abbau von Nachteilen nach Alter, Geschlecht und Herkunft. – Entwicklung absatzwirtschaftlicher Instrumente für Innovationen und Integration der Kunden. – Abbau von Innovationshindernissen. – Differenzierungen nach Betriebsgrößen und Branchen bzw. Bereichen. – usw. (s. a.: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Referat für Öffentlichkeitsarbeit, 2007; s. a. Internet). In der vorneoliberalen Phase waren die Bereiche Kreativität und Innovation bereits ein kaum überschätzbarer wirtschaftlicher Schlüsselbereich, auch im Hinblick auf das Rahmenthema Führung und Motivation. Heute (Anfang 2015), also etwa vier Jahrzehnte später, ist ihr Stellenwert weiter gestiegen. Die Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 haben diese Entwicklung teilweise sogar vorangetrieben, da die schweren Schäden der Krise in zahlreichen Ländern geradezu desaströse Verhältnisse hinterließen



10. Mitarbeiterentwicklung433

und einmal die Krisenbewältigung selbst hohe Kreativitäts- und Innovationsleistungen erfordern. Zweitens wurden bei den hierfür Verantwortlichen aus Politik und Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft sowohl bei der Verhinderung der Krise als auch ihrer Bewältigung gravierende Inkompetenzen sichtbar bzw. besteht noch ein erheblicher und vielfältiger Lernbedarf für die Art und Weise, wie eine innovativen Krisenbewältigung zu bewerkstelligen ist. Letztere Prozesse sind zweifellos positiv im Gange und werden durch zu erwartende neue Problemstellungen permanent erforderlich sein, wozu natürlich gewonnene Erfahrungen entscheidend beitragen und das auch weiterhin so sein wird. Aktivitäten der Verhinderung zukünftiger Krisen und der Bewältigung entstandener Krisen sind und sollen stets auch bewusst gestaltete Prozesse des Lernens und der Innovation sein bzw. werden. Drittens ist festzustellen, dass die Schäden aus der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 dort am schlimmsten ausfielen, wo die Wettbewerbsfähigkeit der Länder seit langem vergleichsweise geringer waren und längst überfällige Anpassungs- und Erneuerungsmaßnahmen verschleppt wurden. Daher sind auch erhebliche Lücken und Verschleppungen in den Bereichen einer sinnvollen, sprich aufbauenden Kreativität und Innovation zu schließen. Dazu ein positives und ein negatives Beispiel: (1) Die von außen eingeleiteten Maßnahmen im Banken- und Finanzbereich im Jahr 2013 erfolgten gezielter als frühere Maßnahmen der dafür vorgesehenen nationalen und internationalen Einrichtungen. Strukturelle, funktionelle, zivil- und strafrechtliche Eingriffe, Verfahren und Regelungen wurden eingeleitet und das Banken- und Finanzierungssystem hat zu seiner Sanierung und der Abdeckung der verursachten Schäden teilweise rückwirkend und zukünftig weitgehend selbst einzustehen. – (2) Andererseits war die Inkompetenz der Verantwortlichen vor Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 bei der vorbeugenden Verhinderung der Krise ein bis heute unfassbares Skandalon und bei der Bewältigung der Krise zeigte sich, dass die Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln bzw. auf Kosten der Steuerzahler für das Bank- und Finanzsystem enorm überhöht waren. Experten nennen dazu Werte von 80 % der ausgezahlten Summen. Auf die Beispiele wurde bereits an anderen Stellen der Arbeit detailliert hingewiesen. In Innovationen werden in den EU-Ländern nun mehr denn je auch Ansätze gesehen, durch eine Vorwärtsstrategie die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und drohende rezessive Entwicklungen möglichst zu vermeiden. Ob und wie das gelingen wird, ist derzeit offen und nach Ländern differenziert und sehr unterschiedlich einzuschätzen. Leicht wird es sicher nicht sein. Ein nicht zu unterschätzendes Risiko für zukünftige und nach Ländern zu unterscheidenden Entwicklungen entsteht über die Prognoseproblematik

434

10. Mitarbeiterentwicklung

hinaus und liegt darin, dass die Objektivität der Information durch die Politik und auf verschiedenen Ebenen (EU, Länder, Regionen) und durch Gruppen und Interessenvertreter von den Menschen bezweifelt wird. Verunsicherung und in der Folge Ängste in breitestem Umfang entstehen, d. h. eine Vertrauenskrise überlagert erschwerend die Bewältigung der fatalen Auswirkungen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Darin liegen potentielle Gefahren für die gesellschaftlichen und politischen Systeme, die jedermann tagtäglich via Medien aus von der Krise besonders schwer getroffenen Ländern vorgeführt erhält, wie beispielsweise aus Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich. Allein die genannten Länder haben in der EU großes Gewicht und daher dürfen die Gefahren aus Vertrauenskrisen nicht unterschätzt werden, sondern verlangen Aufmerksamkeit und Anstrengungen der Akteure der EU. Die Bedeutung von Innovationen wäre durch die steigende Globalisierung und damit wachsende Öffnung der Märkte, weltweite Vernetzungen, Entwicklungen in der Informationstechnologie usw. bei einer „normalem“ Entwicklung auch gestiegen, und zwar verbunden mit weltweiten Wohlstandsgewinnen für die Menschen, wie das vor der Krise nachweislich durch die Globalisierung der Fall war. Letzteres hat durch die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 einen schweren Einbruch erfahren, der nach Ländern stark unterschiedlich stattfand und generell weltweit mit Wohlstandsverlusten einherging. Unabhängig von der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 haben sich in den etwa 35 bis 40 Jahren seit dem Beginn der neoliberalen Phase einige Veränderungen zu den Themen Kreativität und Innovation im Zusammenhang mit Führung und Motivation ergeben, die nach wie vor relevant sind: Ein immer schneller gewordener Wandel in Unternehmen, Organisationen und anderen Einrichtungen, die Verschärfung des Wettbewerbes, mehr verfügbares Wissen, steigende technische Möglichkeiten und Ansprüche und Wünsche der Kunden haben zu einem Wissens- und Zeitwettbewerb, d. h. insgesamt zu einem Zwang zu permanenter Kreativität und Innovation geführt, sei es bei Produkten, Dienstleitungen, Verfahren, Strukturen, Marktbearbeitungen usw. Um echte Chancen zu finden, die via Innovationen realisierbar sind, müssen mehr denn je Trends möglichst früh erkannt und darauf zügig reagiert werden. Ob Absichten realisiert werden, wird durch mannigfaltige und anspruchsvolle Erfolgsfaktoren bestimmt, wie: Kreativität, Verankerung des Bereiches Innovation in der Unternehmenskultur und -struktur und analog ebenso bei anderen Einrichtungen, Kooperationsstrategien, Projektmanagement und Entwicklungsmethodik usw. Die „neuen“ Anforderungen und ihre Bedeutung haben zu einer Vielzahl neuer Arbeitsverfahren und Methoden geführt, die das Innovationsmanagement



10. Mitarbeiterentwicklung435

effizienter machen sollen und u. a. auch führungs- und motivationsrelevante Elemente enthalten, wozu auch Beiträge aus dem Kreis beratender Berufe zählen. Einige schematische Beispiele zeigen die Verknüpfungen von Innovation, Management und Führung sehr gut und damit relevante Anpassungsbe­ reiche von Führung und Motivation (s. a. Innovations-Management, Internet). Abbildung 10.15: Innovationszwang (nach Stern und Jaberg, 2007)

Immer schnellerer Wandel Globalisierung

Verfügbares Wissen

Technische Möglichkeiten

Ansprüche und Wünsche der Kunden

Wissenswettbewerb

Zeitwettbewerb

Zwang zu permanenter Innovation

(Innovationszwang, Internet)

436

10. Mitarbeiterentwicklung Abbildung 10.16: Innovationskreislauf / Innovation Circle / Faktoren

Innovation Circle Input

Project Management Project Management Tools

Market Pull Technology Push

Implementation Innovation Marketing Innovation Controlling

Organizational Factors Innovation Circle

Strategy

Human Resources Cooperation Culture Budget

Organizational Factors (Innovationskreislauf, Internet)



10. Mitarbeiterentwicklung437 Abbildung 10.17: Faktoren der Kreativitätsentwicklung Intelektuelle Faktoren

Persönlichkeitsfaktoren

Äußere Faktoren

• Phantasie (die Kombination bekannter Elemente);

• Fertigkeiten (die Rolle von Vererbung und Umgebung bei ihrer Herausbildung);

• Der Einfluss der äußeren Umgebung, insbesondere der sozialen Rolle von gesell­ schaftlichen Bedürfnissen bei der Stimulierung schöpferi­ scher Prozesse, das Stadium des Projekts, die Einstellung der Gesellschaft gegenüber dem schöpferischen Prozess kann diesen stimulieren oder hemmen.

• Geistige Beweglichkeit (Reichtum an Ideen und bildlichen Assoziationen); • Flexibilität (die Leichtigkeit, mit der eine Person ihren Standpunkt beim Herangehen an eine Problem ändern kann) • Originalität der Lösungen (ungewöhnlicher Charakter); • Gedächtnis (neue Ideen tauchen auf, indem wir indirekt unsere Vorkenntnisse nutzen); • Denken (leitet und kontrolliert ständig den schöpferi­ schen Prozess) • Beobachtungsgabe.

(Kreativitätsentwicklung, Internet)

• Beharrlichkeit, Willenskraft; • Motivation (schöpferische Leidenschaft, Wünsche, Hoffnungen, die ein Individuum veranlassen, etwas herausfinden zu wollen); • Interesse; • Kreative Einstellung.

438

10. Mitarbeiterentwicklung Abbildung 10.18: Kreativitätstechniken

Assoziationstechniken Bei diesen Techniken geht es darum, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Wichtig ist, in unterschiedliche Richtungen zu denken. Die so gewonnenen Ideen können miteinander verknüpft werden, um so wiederum neue Ideen entstehen zu lassen. Beispiele: Brainstorming Brainwriting (6-3-5) Mind Mapping etc

Analogie- und Bildtechniken

Systematische Ideensuche

Hier versucht man Ähnlichkeiten zu finden, die vorerst einmal nicht unbedingt zum Thema oder der Problemstellung passen. Diese Ideen können jedoch Lösungen beinhalten.

Hier geht es um Strukturen und Systematisierung.

Beispiele: Fotoimpuls Bisoziation Semantische Intuition Verrücktheiten Wörterkette etc.

Eine Themen- oder Problemstellung wird unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet Beispiele: Morphologischer Kasten Osborn-Checkliste Sechs-Hüte-Denken Ideenwerkstatt Kopfstand etc.

(Kreativitätstechniken, Internet)

Abbildung 10.19: Phasen des Projektmanagements quality

cost (resources) Phase 1: Definitionsphase Phase 2: Planungsphase Phase 3: Durchführungsphase Phase 4: Abschlussphase (Projektpostulate: Internet)

time



10. Mitarbeiterentwicklung439 Abbildung 10.20: Strategiepyramide – Modell zur Strategieentwicklung

Werte, Politik: • Unternehmens-, Geschäfts-, Qualitätspolitik • Leitlinien

Vision Istsituation: • Unternehmen • Mitbewerber • Markt

SWOT-Analyse: • Stärken/Schwächen • Chancen/Gefahren

Kritische Erfolgsfaktoren

Strategische Produkte: Portfolio-Analyse: • Märkte • Produkte

Kernkompetenzen

Balanced Score Card: • Finanzziele • Kundenziele • Prozessziele • Lern und Innovationsziele

Ziele • strat./längerfristige Ziele • operative Ziele Maßnahmen, Programme, Projekte • konkrete Schritte in Richtung Umsetzung (WAS? WER? MIT WEM? BIS WANN?)

(Innovationsstrategie, Internet)

Abbildung 10.21: Phasen der Strategieentwicklung

Strategische Exploration • Umweltanalyse (PEST) • Unternehmensanalyse • Wertschöpfungskettenanalyse • Branchenstrukturanalyse • Wettbewerbsanalyse • Chancen-Gefahren-Analyse • Benchmarking • Strategische Frühaufklärung • Gap-Analyse

Strategische Planung • Space Analyse • Produkt-Markt.Matrix • SWOT-Analyse • Misfit-Analyse • Strategisches Spielbrett

(Phasen der Strategieentwicklung, Internet)

Strategische Steuerung • Produkt-Markt Portfolio • Technologie-Portfolio • Anfälligkeitsanalyse

440

10. Mitarbeiterentwicklung

Abbildung 10.22: Systemisches Modell der Unternehmenskultur 1 (Perl, 2007) Inputfaktoren

Führungsverhalten

Achtung und Respekt Einstellungen und Werthaltungen der Entscheidungsträger Vertrauen

Offenheit

Info. & Komm.verhalten

Delegationsverhalten

Outputfaktoren

Motivations- und Synergiepotentiale

(Unternehmenskultur, Internet)

Abbildung 10.23: Systemisches Modell der Unternehmenskultur 2 (Perl, 2007) prägt das UnternehmensIdentität

Verhalten des Top-Managements prägt die

Einstellungen und Werthaltungen des Systems (Unternehmenskultur, Internet)

Einstellungen und Werthaltungen der Entscheidungsträger



10. Mitarbeiterentwicklung441 Abbildung 10.24: Bausteine des Wissensmanagements

Wissensziele

Feedback

Wissenstransparenz

Wissensbewertung

Wissensnutzung

Wissenserwerb

Wissensbewahrung Wissensentwicklung

Wissens(ver)teilung

(Schwan, K., Seipel, K. G.: 2002, S 139

Abbildung 10.25: Mitarbeiterentwicklung und Innovation Maßnahmen zur Unterstützung von Innovation: Leitlinien für die Erstellung eines Bildungskonzeptes Systematisches Bildungsmanagement Moderne Lehr- und Lernmethoden Innovationsfördernde Unternehmenskultur Identifikation von Bildungsbedarf (Mitarbeiterenticklung und Innovation, Internet)

442

10. Mitarbeiterentwicklung Abbildung 10.26: Innovation und Kooperationsmöglichkeiten

Kooperationen

Cluster

Kompetenzzentren

Netzwerke

(Kooperation, Internet)

Abbildung 10.27: Vorteile von Kooperationen (Beispiel F&E)

Kosten sparen Zeit sparen

Synergien nutzen

Vertrauen erhöhen

F&E Kooperationen

Zugänge erleichtern

(Kooperation, Internet)

Know-How teilen

Diversifikation



10. Mitarbeiterentwicklung443 Abbildung 10.28: Kooperationskultur

Kommunikaton

Transparenz

Kooperationskultur

Vertrauen

Verbindlichkeit

Konfliktfreundlichkeit

Lösungsorientierung

(Kooperation, Internet)

Abbildung 10.29: Kooperationsmerkmale und Bausteine Baustein 1 Diagnose des Verbundvorhabens

Baustein 2 Einstieg in die Grundlagen der Netzwerkarbeit

Baustein 3 • Verbundplanung • Zielfindung • Partnersuche • Arbeitsformen • Verbundsteuerung • Aufwandsplanung • Finanzierung

Baustein 4 Verbundaufbau • Kooperationsprofil • Partnerakquise • Spielregeln • Teambildung • Rechtsformen • Vereinbarung

Baustein 5 Verbundarbeit • Reorganisation • Zielvereinbarungen • Umsetzung • Ergebnissicherung • Information • Anpassung

Baustein 6 NW-Management (*) • Steuerungsmodelle • Projektmanagement • Budgetierung • Controlling • Koordination • Nuteranalyse

Baustein 7 Arbeitstechniken • Moderation • Präsentation • Problemlösungen • Konfliktberatung • Mediation • Gesprächsführung

Baustein 8 Technischer Support • Internet • Workspaces • Dokumentenverw. • Intranet

Baustein 9 Organisatorische Hilfe • Dienstleister finden, • Fördermittelberatung • Öffentlichkeitsarbeit • Pressearbeit • Transfer

Baustein 10

Auditierung der Maßnahmen (Kooperation, Internet)

* NW-Management = Net Weaver-Management

444

10. Mitarbeiterentwicklung

Es konnte mit Hilfe der Schemata gezeigt werden, dass die Funktionsbereiche Kreativität und Innovation in ihrer Effizienz in erheblichem Maße auch durch die Personal- und Führungsarbeit sowie die Art relevanter Organisationsgestaltungen bestimmt werden. Letztere kann und sollte Freiräume für Innovationsaufgaben eröffnen, es ist aber auch eine geeignete innovationsfördernde Unternehmenskultur zu entwickeln. Beides ist nicht einfach und schon gar nicht nur mit Gestaltungstechnik und -formalismus zu bewerkstelligen. Damit bleibt man meist nur an der Oberfläche von Anpassungen und Aufgabengestaltungen. Der bedeutende Mitbegründer der Organisationspsychologie und Experte für Organisationskultur Edgar H. Schein (1928) meint zu dem Vorhaben, die Kultur eines Unternehmens zu steuern: „… [es] besteht die größte Gefahr darin, dass Sie ihre Tiefe und ihre Macht nicht würdigen. … immer wieder [habe ich] festgestellt, wie stark der Wunsch nach Vereinfachung ist. Wenn jemand eine leichtere Methode zur Erhebung und Steuerung der Kultur anpreist, greifen wir sofort zu, nur um später festzustellen, dass wir uns mit Oberflächenproblemen beschäftigt haben, die mit echten Kulturfragen nichts zu tun haben. Kultur ist tief, breit und stabil. Man kann sie nicht leicht nehmen. Wenn Sie die Kultur nicht steuern, steuert die Kultur Sie, ohne dass Sie sich dessen bewußt sind […] Kultur besteht aus den gemeinsamen unausgesprochenen Annahmen, die eine Gruppe bei der Bewältigung externer Aufgaben und beim Umgang mit internen Beziehungen gelernt hat […] Kultur manifestiert sich zwar in offenem Verhalten, in Ritualen, Artefakten, Atmosphäre und propagierten Werten, aber ihre Essenz sind die gemeinsamen unausgesprochenen Annahmen. Als verantwortlicher Leiter müssen Sie sich dieser Annahmen bewusst sein und sie steuern […] Die Stärke einer Unternehmenskultur spiegelt erstens die Stärke und Klarheit des Unternehmensgründers, zweitens die Menge und Intensität der gemeinsamen Erfahrungen der Mitarbeiter und drittens den Unternehmenserfolg […] Kultur ist also das Produkt des sozialen Lernens. Funktionierende gemeinsame Denk- und Verhaltensweisen werden zu Elementen der Kultur. […] Man kann also eine Kultur nicht ‚schaffen‘. Man kann eine neue Denk- und Arbeitsweise fordern oder anregen, man kann sie überwachen, um sicherzugehen, dass sie auch durchgeführt wird, aber sie wird von den Mitarbeitern des Unternehmens erst dann internalisiert und zum Teil der neuen Kultur, wenn sie über einen längeren Zeitraum tatsächlich besser funktioniert. […] Die Kultur eines Unternehmens ist ‚richtig‘, solange das Unternehmen mit seiner primären Aufgabe Erfolg hat. Hat das Unternehmen keinen Erfolg mehr, heißt das, die Elemente der Kultur sind dysfunktional geworden und müssen sich verändern. Das Kriterium für eine richtige Kultur ist aber ganz pragmatisch alles, was das Unternehmen in seinem primären Bereich erfolgreich macht“ (Schein, E. H.: 2003, S. 173 f.; s. a. S. 173–178).

Die 1. von 6 Wahrheiten für denjenigen, der Kultur im Unternehmen professionell steuern will, beginnt mit dem zitierten Text und Edgar H. Schein meint, dass diese „unausgesprochenen Annahmen“ die Essenz sind, die dem Verantwortlichen vertraut sein muss (Schein, E. H.: 2003, S. 174).



10. Mitarbeiterentwicklung445

Die 2. Wahrheit betrifft die Antwort auf die Frage, was deckt die Kultur ab und Schein vertritt letztlich den Standpunkt: Alles. Die Kultur spiegelt das auch wieder und prägt Missionen des Unternehmens, Aufgaben, Strukturen usw. gleichermaßen. Die 3. Wahrheit frägt, wie sich die Kultur entziffern lässt. Sicher nicht durch Fragebögen, denn sie ist ein Gruppenphänomen und man muss daher die Gruppe zusammenbringen, um unausgesprochene Erwartungen und Annahmen gesprächsweise zu reflektieren und mit notwendiger Distanz kann die Entzifferung gelingen. Vergleiche mit anderen Kulturen können dabei hilfreich sein. Die 4. Wahrheit frägt nach Kulturveränderungen und deren Transformationsmechanismen, die teilweise schmerzhaftes Lernen erfordern, um Altes zu verlernen und Neues zu lernen. Lernen als unverzichtbare Funktion angestrebter Veränderung und der Überwindung von Widerständen und Ängsten ist der Schlüssel mit dem neue Sicherheiten gewonnen werden können. Die 5. Wahrheit sucht nach dem Wie einer Veränderung der Kultur: Entwicklung durch Anpassung an die Umwelt. – Hierfür Bildung spezifischer Untergruppen für unterschiedliche Umfelder. – Gesteuerte Evolution nach kulturellen „Einsichten“ der Unternehmensleitung. – Gesteuerte Evolution durch beauftragte Manager aus Subkulturen, um realistische Anpassungen zu erreichen. – Geplanter und gelenkter Kulturwandel durch Parallelsysteme und Taskforces. – „Teilweise oder völlige Zerstörung der Kultur durch eine neue Führung, die die Träger der alten Kultur eliminiert (komplette Wende, Bankrott etc.)“ (Schein, E. H.: 2003, S. 176). Die 6. Wahrheit gilt der Frage, was passiert bei M&As und Joint Ventures? Mögliche Ansätze: Gewinnen und evaluieren eines Gespürs für die eigene Kultur. – Kennenlernen via Besuch beim M&As oder Joint Ventures wie dort gearbeitet wird. – Schaffung interkultureller Dialoggruppen in möglichst vielen relevanten Bereichen. – Keine falschen Erwartungen, dass guter Wille und Erfahrungen bereits zu Verständnis führen. – Beide Einheiten müssen lernen, durch Dialog und Reflexion eigene und fremde Annahmen herzustellen. Die Beschäftigung mit der Unternehmenskultur ist anstrengend und verlangt sehr viel – wie gezeigt wurde –, aber die Mühe lohnt sich. Dinge werden klarer, Anomalien und Konflikte lassen sich erklären und verstehen, Widerstand wird als normal und lösbar erkannt und Verantwortliche lernen etwas demütiger zu werden. Edgar Schein vermittelt den Kerninhalt und die Bedeutung der Unternehmenskultur – eines oft leichtfertig gebrauchten und verkannten Begriffes – und schafft es damit das Verständnis für deren Substanz zu schaffen und die damit verbundenen Intentionen fundiert zu verfolgen und zu guten Umsetzungen zu gelangen (s. a. Schein, E. H.: 2003, S. 178).

446

10. Mitarbeiterentwicklung

Der Zusammenhang zwischen Unternehmenskultur und Organisationsgestaltung ist evident. Verschiedene Zusammenhänge zum Rahmenthema Führung und Motivation fanden an verschiedenen Stellen der Ausarbeitung eine Behandlung und es wurde auf Quellen zur Vertiefung hingewiesen. Daher lediglich nur wenige Anmerkungen im Zusammenhang mit der Thematik Mitarbeiterentwicklung, Kreativität und Innovation. Innovationen brauchen u. a. – als essentielle Grundlagen und Rahmenbedingungen – gleichermaßen gute Voraussetzungen durch die Unternehmenskultur und die Organisationsgestaltung. Die Organisation muss, wie erwähnt, für die Kreativität und Innovation die erforderlichen Freiräume schaffen und schützen. Beispielsweise ist zu vermeiden, dass Kreativität, Forschung und Entwicklung sowie Innovation unter der Fuchtel und dem fehlgeleiteten Ehrgeiz von Controllern eher behindert als gefördert werden. Die Praxis kennt das Problem nur zu oft. Ähnliches gilt häufig auch für die Gruppe der Risikomanager von Banken, die Innovationen und damit auch Zukunftsgeschäfte für die Bank verhindern, um vermeintliche Risiken der Bank „professionell“ möglichst zu 100 % zu verhindern. Für ihre eigene Person dürften sie damit nicht falsch liegen, zumindest so lange in der Bank der Geist der Risikoscheu, statt unternehmerischer Orientierung vorherrscht, sei es für die Bank selbst oder ihre „Kunden“. Einerseits soll bei Innovationen engagiert zu erschließendes Neuland betreten und genutzt werden, das meist substantiell, zeitlich und vom wirtschaftlichen Erfolg her noch weitgehend unbekannt und naturgemäß risikobehaftet ist. Anderseits glauben Controller und ängstliche „Risikomanager“ bereits in diesem Stadium nach ihrer Art Prozesse, Wirtschaftlichkeit, Kennziffern usw. kritisch unter die Lupe nehmen zu müssen. Das ist sinnlos, weil sie die Arbeit und Abläufe fachlich meist nicht verstehen, sie keine Propheten für noch in der Zukunft liegende Prozesse und Ergebnisse sein können und durch ihre zweifelhaften Aktivitäten möglicherweise die besten Kunden und Zukunftsgeschäfte der Bank zur Konkurrenz vertreiben werden. Solche kontraproduktiven Unsitten hätte das Management natürlich zu verhindern und wenn es souverän und angstfrei agiert, tut es das auch. Auch das ist ein Stück notwendiger Unternehmenskultur, die leider viel zu oft fehlt, wie die Erfahrung deutlich genug zeigt. Die Sicherung einer kontinuierlichen Innovation in allen betrieblichen Bereichen, natürlich ebenso auch in anderen Organisationen und Einrichtungen, um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit an den Märkten nachhaltig zu fördern, ist essentiell und bedarf u. a. organisationaler Unterstützung und der Pflege eines innovationsfreudigen Klimas. Dazu zählen auch vorbeugende Maßnahmen, um zu verhindern, dass Innovatoren nicht Opfer organisatorischer Blockaden oder Rivalitäten werden. Experimentierfreude und Risikobereitschaft sind daher zu unterstützen. Dazu gehört auch die Erarbei-



10. Mitarbeiterentwicklung447

tung und Festlegung entsprechender innovativer Strategien sowie Planungen und deren Information und Kommunikation, die allen Beteiligten Orientierungen geben. Bei mehreren Innovationschancen kann es erforderlich sein, dass hierfür notwendige Mittel auf eine oder wenige Innovationen fokussiert werden müssen, um zu große Risiken durch Verzettelungen zu verhindern. Auch hierfür sind rechtzeitige Entscheidungen und koordinierte Vorgehensweisen notwendig. Schließlich ist Sorge zu tragen, dass „klassische“ Organisationsmängel vermieden werden und Innovationen nicht behindern, wie beispielsweise: Traditionelle Organisationen mit ausgeprägten formalen Ordnungszielen, hoher Regelungsdichte, vertikal-hierarchischen Strukturen, starren Dienstund Entscheidungswegen, Anciennitätsprinzipien usw. Solche Verhältnisse stehen gegen offene, bewegliche, veränderungs- und auch risikofreudige Organisationen, die gepaart mit guten Personal- und Führungsverhältnissen, neuerungsorientierter Geschäftspolitik, innovatorischen Haltungen und entsprechenden organisatorischen Bedingungen Innovationserfolge bewirken können (Schwan, K.: 2003, S. 103).

11. Mitarbeiterbedürfnisse Mitarbeiterbedürfnisse sind mit dem Rahmenthema Führung und Motivation der vorliegenden Ausarbeitung essentiell und somit untrennbar verbunden. Bedürfnisse sind bei jeder Art des Tuns und somit auch bei Leistungsvollzügen beteiligt, ob bei Unternehmen, Organisationen, anderen Einrichtungen und in unzähligen anderen Bereichen des Lebens. Ohne die Existenz und Wirkkraft von Bedürfnissen der Menschen wäre Vieles an Aktivität und Passivität nicht vorstellbar. Das ist eigentlich eine Trivialität. Dieser Zusammenhang ist so selbstverständlich, dass man sich kaum veranlasst sieht, das besonders zu beachten. Reflektiert man darüber dennoch, wird sehr rasch die Diffizilität des Themas deutlich. Menschen erbringen beispielsweise Arbeitsleistungen in einem Betrieb, d. h. dessen Betreiber haben das Bedürfnis solche Leistungen von Mitarbeitern zu erhalten, sonst würden sie diese nicht nachfragen. Der Mitarbeiter stimmt dem dann zu, wenn seine Bedürfnisse nach Einkommen, sozialer Sicherheit und Vermögensbildung usw., als materielle Bedürfnisse mehr oder minder vom Betrieb erfüllt werden. Über diesen Teil der Bedürfnisse hinaus möchte der Mitarbeiter aber auch eine interessante Aufgabe erfüllen, sich entfalten können, mit Vorgesetzten und Mitarbeitern gut zusammenarbeiten, Anerkennung finden usw., d. h. die Erfüllung der Gesamtheit seiner materiellen und immaterieller Bedürfnisse und Erwartungen fließt in seine Überlegungen ein, ob er beispielsweise eine Tätigkeit beim Betrieb A annimmt oder es vorzieht beim Betrieb B zu arbeiten, d. h. dort, wo er glaubt seine Bedürfnisse insgesamt besser realisieren zu können. Man könnte auch sagen, Betrieb und Mitarbeiter müssen motiviert sein, damit es zu einer Zusammenarbeit kommt. Daraus ist wiederum sofort erkennbar, dass das Thema Motivation ohne den Begriff und Inhalt „Bedürfnis“ nicht vorstellbar ist. Hans Jürgen Drumm (1937), Experte der Personalwirtschaft und Professor an der Universität Regensburg, schreibt daher in dem Kontext Bedürfnisse, Werthaltungen und Motivation der Mitarbeiter: „Motivation als Wille zur Leistung ist die Schlüsselvariable im Leistungsprozess: Erst Motivation ermöglicht Leistungsverhalten und dieses Arbeitsleistungen der Mitarbeiter. Eignung, Ressourcen und Arbeitsbedingungen reichen allein nicht aus. Dieser Zusammenhang lenkt das Interesse auf die Frage, wie Motivation entsteht und ob sie beeinflusst oder sogar gesteuert werden kann. Unter den unterschiedlichen Antworten auf diese Frage herrscht die Auffassung vor, dass Motivation an Bedürfnissen des einzelnen Mitarbeiters anknüpft. Wenn erwünschtes, zielorien-



11. Mitarbeiterbedürfnisse449 tiertes Verhalten durch eine Beteiligung des Mitarbeiters an Potenzialen zur Bedürfnisbefriedigung belohnt werden kann, so wirkt die Aussicht auf diese Belohnung motivierend. Motivation wird allerdings nicht allein durch die Aussicht auf Befriedigung von Mitarbeiterbedürfnissen ausgelöst. Motivation zur Leistung wird auch durch Werthaltungen des einzelnen Mitarbeiters gesteuert. Werthaltungen können das Entstehen und das Gewicht von Bedürfnissen beeinflussen. Werthaltungen besitzt der Mitarbeiter in Form von verfestigten Bedürfnissen und Verhaltensleitbildern, die er als wichtig ansieht. Werthaltungen werden durch Sozialisation übertragen“ (Drumm, H. J.: 2005, S. 459).

Drumm fährt etwas später fort: „Das Zustandekommen von Leistungen kann daher so erklärt werden: Der Wille zum Verbleib in der Unternehmung und die Eignung sind Voraussetzungen persönlicher Leistungen, die erst durch Motivation in einem geistig-psychischen Prozess aktiviert werden. Unter Motivation wird hier ein geistig-seelischer Antrieb zur Steuerung und zum Vollzug des Handelns und Verhaltens verstanden. Der Wunsch nach Bedürfnisbefriedigung wird für den Mitarbeiter zum Motiv das sein Handeln bestimmt. Die Alternativen in einem Bedürfnisbefriedigungspotenzial können nur als Anreiz wirken, wenn ihnen ein Motiv entspricht“ (Drumm, H. J.: 2005, S. 462).

In der vorliegenden Arbeit wurde der kurz skizzierte Themenkomplex verschiedentlich behandelt, wie beispielsweise durch folgende Texte und Abbildungen (Abb.): Schema „Personen im Zentrum von Rollenerwartungen“ (Kap. 4, Abb. 4.1), hinsichtlich Erwartungen und Bedürfnisse von Beteiligten, wie Vorgesetzten, Mitarbeitern, Kollegen usw. – Schema „Spannungsfelder einer Führungskraft“ (Kap. 6, Abb. 6.1), wobei verschiedene Bedürfnisse und Erwartungen sich in Spannungsfeldern reflektieren. – Schema „Kooperativer Führungsstil, Motive und Führungsinstrumente“ (Kap. 8, Abb. 8.2), bei dem verschiedene Führungsinstrumente dargestellt und mit den jeweiligen Bedürfnissen verbunden werden, die Motive des Handelns sind. – Schema „Differenzierung des unspezifischer Motive durch Konditionierung“ (Kap. 9, Abb. 9.28) zeigt die Entstehung und den Zusammenhanges zwischen Motiven und Bedürfnissen. – Das Schema über den Vorgang „Motive und Mittel zum Zweck werden zum Selbstzweck“ (Kap.  9, Abb. 9.29). – Texte (Wunderer; Lay) zum Zusammenhang Konfliktlösung und Führung und „Aussagesätze für schwelende Konflikte Motivation (Kap. 9, Abb. 9.44). – Schemata „Dimensionierung von Organisationkulturen und Konflikt“ (Kap. 9, Abb. 9.43), wobei das Schema „Konfliktursachen bei Kooperationen in Großunternehmen“ (Kap. 9, Abb. 9.42) Rückschlüsse positiver und negativer Ausprägung bei verschiedenen Bedürfnissen ermöglichen und beim Schema Abb. 9.44 auf Ausdrucksformen von Individualund Gruppenkonflikten sowie verletzte Bedürfnisse und Motive geschlossen werden kann. – Das Schema „Merkmale zwischenmenschlicher Konflikte“ (Kap. 9, Abb. 9.50) zeigt erfüllte und verletzte Bedürfnisse im Kontext von Konflikten Bedürfnisse. – Schemata „Aspekte der Konfliktanalyse“ (Kap. 9,

450

11. Mitarbeiterbedürfnisse

Abb. 9.57) spiegelt verletzte Bedürfnisse und deren mögliche und nachteilige Folgewirkungen im Sinne von Demotivation. – Schemata „Bedürfnisse des Mitarbeiters und Betriebes in der beruflichen Zusammenarbeit“ (Kap. 10, Abb. 10.3) zeigt eindrucksvoll die Vielfalt und Bedeutung von Bedürfnissen bei kooperativer Tätigkeit. – Das Schema „Erwartungen des Mitarbeiters und des Betriebes“ (Kap. 10, Abb. 10.4) weist auf gegenseitige Grundbedürfnisse. – Schema „Was ist das gemeinsame Interesse?“ (Kap. 10. Abb. 10.5) verknüpft im Kontext der Mitarbeiterentwicklung und gemeinsame Interessen. – Mit den Schemata „Was fordert Mitarbeiterentwicklung von Mitarbeitern und vom Betrieb“ (Kap. 10. Abb. 10.6) und „Dialog der Mitarbeiterentwicklung“ (Kap. 10, Abb. 10.7) werden die funktionellen Schritte einer Mitarbeiterentwicklung mit Erwartungen und Bedürfnissen von Vorgesetzten und Mitarbeitern in retrospektiver und prospektiver Sicht verbunden. – Die Schemata „Zweck und Nutzen der Mitarbeitergespräche“ (Kap.  10, Abb. 10.8) und „Ziele eines betrieblichen Bildungs- und Förderungsprogram­ mes“ (Kap. 10, Abb. 10.9) vertiefen die vorgenannten Schemata, zu einem der wichtigsten und aktuellsten Funktionsbereiche einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit, nämlich der Mitarbeiterentwicklung. Die genannten Schnittstellen zum Thema Mitarbeiterbedürfnisse erfahren eine Ergänzung durch aktuelle sozialempirische Forschungen und Erhebungen, die anhand von Schemata und deren Erläuterungen bereits behandelt wurden: Schemata „Gefragte Eigenschaften im Top-Management“ (Kap. 10, Abb. 10.10). – „Gefragte Eigenschaften im Mittleren Management“ (Kap. 10, Abb. 10.11). – „Fähigkeiten in den Human Resources“ (Kap. 10, Abb. 10.12) – „Künftig geforderte Fähigkeiten (Auswahl von 10 Kriterien)“ (Kap. 10, Abb. 10.13). – „Künftig geforderte Fähigkeiten (nach Mitarbeiterzahl)“ (Kap. 10, Abb. 10.14). Die Aufstellungen über wesentliche Schnittstellen zwischen Mitarbeiterbedürfnissen an Hand von Schemata und aktuellen empirischen Studien, die unschwer durch Textbeispiele erweiterbar wären, veranschaulicht einmal mehr, wie groß deren Bedeutung innerhalb des Rahmenthemas Führung und Motivation ist. Daraus kann allerdings nicht geschlossen werden, dass in der Führungspraxis auch adäquat gehandelt wird. Für letztere Feststellungen und die weitere Konkretisierung sowie Vertiefung des Themas Mitarbeiterbedürfnisse für die Praxis folgen drei relevante und interpretierte Beispiele (1–3). (1) Bereits vor rund vier Jahrzehnten haben die Personalfachleute von Eckardstein und Schnellinger (1971, 1975) den Begriff „Personalmarketing“ beschrieben und geprägt – im Sinne einer bewussteren und neuen Sichtweise der Personal- und Führungsarbeit. Diese grundlegenden Annahmen sind heute so aktuell wie damals:



11. Mitarbeiterbedürfnisse451 „Alle Handlungen der Unternehmung, insbesondere jedoch diejenigen, die Mitarbeiter in irgendeiner Weise berühren, sind bewußt daraufhin zu prüfen, ob sie den Erwartungen und Interessen der Mitarbeiter entgegenkommen. Diese Maxime stellt zweifellos erheblich höhere Anforderungen an die Unternehmung, als die des Absatzmarketing“ (Eckardstein, D. v., Schnellinger, F.,1975; Wunderer, R.: 1999, S. 115–132; s. a. Strutz, H.: 1989).

Absatzmarketing ist im Vergleich zum Personalmarketing als Teil der Personal- und Führungsarbeit wesentlich weniger komplex, nicht so vielschichtig und weniger emotional. Für jeden guten Verkäufer ist „das Denken und Fühlen aus der Sicht des Kunden“ nicht nur Herausforderung, sondern eine Selbstverständlichkeit und die eigentliche Legitimation seines Tuns. Ein Verkauf ohne kundenorientierte Ausrichtung wird keine nachhaltigen Absatzerfolge sicherstellen können. Der Marketinggedanke im Sinne eines strategischen Ansatzes, bei dem die Erwartungen des Geschäftspartners im Mittelpunkt stehen, prägt neben dem naheliegenden Absatzbereich auch zunehmend andere betriebliche Funktionsbereiche, wie z. B. das Einkaufsmarketing. Das an den Erwartungen des Partners orientierte Verhalten, das die Unternehmer und Fachleute im Einkaufs- und Absatzbereich mehr oder weniger gut beherrschen und Schlüsselbereiche der Funktionsfähigkeit eines Unternehmens sind, sollte eigentlich ohne besondere prinzipielle Schwierigkeiten auch auf den Bereich der Personal- und Führungsarbeit übertragbar sein, d. h. die Idee zu realisieren, den Mitarbeiter als Partner und „Kunden“ zu sehen. Doch dem stehen mentale Altlasten entgegen, und zwar sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite. Diesen Ballast wird man sicher nicht von heute auf morgen loswerden. Ein erster Ansatzpunkt zur Lösung dieses Problems kann nur in vertrauensbildenden Maßnahmen auf beiden Seiten, wie guter Information und Kommunikation, liegen. Den Zusammenhang zeigt das folgende Schema auf der nächsten Seite. Der Anlass und die Grundidee für das Personalmarketing lag darin, die in der Praxis des Personalwesens oft anzutreffenden formalen, bürokratischen und wenig prospektiven Orientierungen durch Denk- und Arbeitsweisen abzulösen, die funktional dem Begriff und den angestrebten qualitativen Eigenschaften eines Personalmanagements gerecht werden. Daher griff man auf die durchaus überzeugenden Analogien des Absatzmarketing, um zu signalisieren dass es auch im Personalwesen damit „besser“ gehen könnte. In der schon geschilderten Phase des Neoliberalismus ging, wie auch schon beschrieben, die Bedeutung des Bereiches Personal- und Führungsarbeit generell zurück und so auch die Idee des Personalmarketings, insbesondere bei den Kleinund Mittelbetrieben (s. a.: Schwan, K., Seipel, K. G.: 1994, S. 7–25). Nach der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und der enorm gestiegenen Bedeutung der Gewinnung hochqualifizierter Mitarbeiter für die Wirtschaft,

452

11. Mitarbeiterbedürfnisse Abbildung 11.1: Analogien zwischen Absatz- und Personalmarketing Absatzmarketing

Personalmarketing

Produkt, Sortiment, allgemeines Angebot

Aufgabenstellung, Personal- und Führungsarbeit

Preis, Konditionen

Mitarbeiterleistung

Nachfrage

materielle und immaterielle Mitarbeiterbedürfnisse

Kunden

Mitarbeiter

Marktforschung

Mitarbeitergespräche, betriebliche empirische Erhebungen, Kennzahlen und -ziffern

Produktimage, Bekanntheitsgrad, Ruf

Arbeitgeberimage

After Sales Service

Einführung, Einarbeitung und Qualifikationsentwicklung der Mitarbeiter

Marketing-Mix

Personalmarketing-Mix

(Quelle: Schwan, K., Seipel, K. G.: 1994, S. 14)

wird es mehr denn je notwendig sein, die mit dem Personalmarketing verbundenen Intentionen wieder stärker aufzugreifen, um einmal die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bzw. der Wirtschaft möglichst auf Dauer zu stärken und damit u. a. die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zu überwinden. Zweitens bedarf es in diesem Zusammenhang notwendigerweise auch neuer Ordnungssysteme, um die ideellen und substanziellen Reduzierungen der Wirtschaft- und Gesellschaft nach dem Muster des Neoliberalismus zu überwinden. Das fehlinterpretierte und auf ein egozentrisches Zerrbild verkürzte Homo oeconomicus-Modell des Neoliberalismus hat die Wirtschaft und Gesellschaft an den Rand des Abgrundes geführt und der wichtigste Vertreter der Klassik der Nationalökonomie, Adam Smith (1723–1790), auf den man sich gerne beruft, wurde entweder in der Tiefe und Breite seines Schaffens nicht verstanden oder extrem einseitig, sprich falsch interpretiert. Letzteres ist anzunehmen, da Hauptvertreter des Neoliberalismus, wie Alfred F. A. von Hajek und Milton Friedman, beide Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, hochgebildete und bestqualifizierte Ökonomen und politisch engagierte Persönlichkeiten waren und die Arbeiten von Adam Smith gut kannten. Der Homo oeconomicus als kalter, rationaler und teils zum Idol stilisierter Egoist, ist ein weit verbreitetes Missverständnis, bei dem übersehen wird, dass Adam Smith – u. a. Professor für Moralphilosophie, Ethik und Politische Ökonomie an der Universität Glasgow, Begründer der englischen Soziologe und betraut mit wichtigen öffentlichen Aufgaben – seine Vorstellungen stets verband mit Präferenzordnungen, die beliebige



11. Mitarbeiterbedürfnisse453

Egozentrik des Handelns gerade verhindern sollten (Internet: Smith, Adam). Wenn Neoliberale sich bei ihren Ideen auf Adam Smith berufen, ist das manipulativ und falsch, täten sie das Gegenteil, würden sie richtig liegen. (2) Die Hinweise zur Illustration der Bedeutung der Mitarbeiterbedürfnisse und des Personalmarketings sind nicht nur eine wünschenswerte und gut begründbare Idee, sondern seit Jahren teilweise geübte Praxis: Weltweit tätige Unternehmen bis hin zu transnationalen Konzernen – die stark durch innovative Leistungen bestimmt werden und in der Forschung und Entwicklung ihre Basis haben und von dieser existentiell abhängig sind – haben zum überwiegenden Teil längst erkannt, dass die Findung und langfristige Sicherung hochqualifizierter Mitarbeiter eine der wichtigsten Aufgaben des Top-Management sind. Daher kann teils de facto von einer personifizierten Unternehmensführung gesprochen werden, durch welche die Kreativität und Innovation transnationaler Konzerne maßgeblich getragen und auch wesentlich deren Unternehmenserfolg bestimmt wird. Von solchen Leitbetrieben können letztendlich auch regional, national und international tätige Klein-, Mittel- und Großbetriebe sehr viel lernen. Auch bei ihnen entscheidet sich der Erfolg zum guten Teil durch die Kreativität und Innovationsfähigkeit der Unternehmer und ihrer Mitarbeiter. Die innovatorischen und mitarbeiterbezogenen sowie zu realisierenden Intentionen folgen gleichen oder ähnlichen Überlegungen, und zwar trotz aller Unterschiede, die zwischen den Unternehmensgrößen, ihren räumlichen und – eingeschränkt – ihren branchenspezifischen Geschäftsfeldern bestehen. Das an Mitarbeiterbedürfnissen orientierte Personalmarketing kann sich daher in vielen vorgenannten Fällen als sehr hilfreich erweisen und hat durch die vergleichsweise tendenziell besseren Überschaubarkeit und Flexibilität der Klein-, Mittel-, aber auch von vielen Großbetrieben potentiell günstige Voraussetzungen. Ein weiteres gewichtiges Indiz für die Bedeutung der Mitarbeiterbedürfnisse im Bereich der Führung und Motivation bzw. der Personal- und Führungsarbeit von geradezu klassischer Art ist die signifikante und nahezu eherne Regel der Einkommensgestaltung von Führungskräften und Mitarbeitern, nämlich das Prinzip der relativen Lohngerechtigkeit: (3)  Ernst Zander (1927), ein bekannter Praktiker und Hochschullehrer der Personalwirtschaft an der Universität Hamburg sowie renommierter Experte und Pionier für den Bereich Vergütung in den 60er bis 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts (Internet: Zander, Ernst), verwies im Kontext mit dem Prinzip der relativen Lohngerechtigkeit auf ein altes Postulat der Vergütung hin: „Jeder nach seiner Leistung, jedem nach seinen Bedürfnissen“ und stellte fest, dass bereits Albertus Magnus (um 1200–1280), ein bedeutender Vertreter der Hochscholastik und Kirchenlehrer, meinte, dass bei der Suche nach dem gerechten Lohn das Bedürfnis des Betroffenen zu berück-

454

11. Mitarbeiterbedürfnisse

sichtigen sei (Zander, E.: 1968, S. 11 f.). Von einem sittlich gerechten Lohn kann erst dann gesprochen werden, wenn dieser Lohn allen hier zu beachtenden Ordnungsbezügen optimal „gerecht“ wird (Müller, H., Wingen, M.: 1960, Sp. 423 f.), wobei die Autoren sich dabei auf die Katholische Soziallehre beziehen, die als normative Grundlage des Ordoliberalismus (Walter Eucken, Freiburger Schule) gilt, auf der die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft sehr wesentlich aufbaut. Diese und viele frühere und spätere Überlegungen waren stets bei Vergütungs-, Vermögens- und Beteiligungsfragen für Mitarbeitern relevant und wichtige Gestaltungskriterien. Die sozial-normativen bzw. wertbezogenen Ordnungsbezüge basieren auf dem Wort „gerecht“ und konkretisieren sich an folgenden Faktoren: Lebensbedarf des Mitarbeiters und seiner Familie. – Existenzfähigkeit des Arbeit gebenden Unternehmens. – Allgemeine Wohlfahrt, d. h. der wirtschaftliche Wohlstand in einer Region mit gesicherten Arbeitsplätzen. Die relative Lohngerechtigkeit ist einmal „relativ“, da sie als Teil einer wertrelevanten Verteilungsfrage nicht „absolut“ oder „rational“ lösbar ist. Daher geht es auch hier um den zentralen Begriff der „Gerechtigkeit“, die ihrerseits „relativ“ ist, also auch nicht rational zu finden sein wird. Daher bedarf es wertgebundener „Ordnungsbezüge“ bzw. Paradigmen, die als Orientierungs- und Entscheidungshilfen dienen sollen. Die Relativität der Lohngerechtigkeit ergibt sich zweitens aus einzelwirtschaftlichen Betrachtungen und unterschiedlichen und mitarbeiterorientierten Kriterien, wie beispielsweise dem Schwierigkeitsgrad der Arbeit, der Berufsausbildung, von Leistungsergebnissen usw. (s. a. Müller, H., Wingen, M.: 1960, Sp. 424). Die oft in der Praxis gegen Lohnerhöhung vorgebrachten Einwendungen sind daher Halbwahrheiten, da ökonomische bzw. arbeitgeberseitige Argumente verschiedener Art natürlich bei der Lohnfindung Gewicht haben werden, es jedoch auch immer um wertrelevante Verteilungsfragen geht. Die Argumente werden jedoch nicht so deklariert, sondern im Sinne eines Etikettenschwindels lediglich als ökonomisch-rational erforderlich und quasi unabdingbar dargestellt. In der Praxis werden schließlich Jahr um Jahr eher basarmäßige Kompromisse durch institutionalisierte Interessenvertreter ausgehandelt, die Wirtschaft überlebt regelmäßig wieder einmal und damit wird die Schein-Rationalität und Unehrlichkeit solcher Rituale erkennbar. Durch die jahrzehntelange Übung solcher Praktiken auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite werden sie längst allgemein als eine Normalität empfunden und damit verbundene Schwindeleien kaum mehr hinterfragt. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter beherrschen längst routiniert solcherart inszenierte Gefechte. Dennoch, die jeweiligen Werthaltungen und entsprechend propagierte Orientierungen, wie ordo- oder neoliberale Tendenzen und Politiken, prägen letztendlich sehr spürbar die Realität der Entgeltvereinbarungen oder – allgemein gesprochen – die Kultur der Sozialpartnerschaft



11. Mitarbeiterbedürfnisse455

und auch ihre handfesten Folgen. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und ihre neoliberalen Faktoren als wesentliche Mitauslöser der Krise zeigen das ebenso, wie z. B. der steigende Anteil prekärer Dienstverhältnisse und verschlechterte Arbeitsbedingungen in vielen Varianten. Zum Prinzip der relativen Lohngerechtigkeit und seiner Verknüpfung mit Motivation und Mitarbeiterbedürfnissen ist weiters zu konkretisieren: Entgeltgestaltungen und ihre Effekte auf die Führung und Motivation werden einmal nach dem absoluten Betrag der Entlohnung bestimmt. Zweitens setzen Mitarbeiter ihr Entgelt vor allem mit gleichgestellten Kollegen und dann auch mit dem Entgelt ihres Vorgesetzen und den Entgelten der ihnen untergeordneten Mitarbeiter in Bezug und versuchen zu bewerten, ob sie „gerecht“ entlohnt werden. Darin liegt der Kern des Wortes „relativ“, nämlich im Kontext mit der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit. Kriterien für die jeweiligen Bewertungen sind naturgemäß auch arbeitsspezifische Leistungsvergleiche. Die Bewertungen sind zwangsläufig subjektiv. Genau diese Beeinflussung des subjektiven Aspekts erlaubt dem Unternehmen eine personalmarketingmäßige Profilierung gegenüber den Mitarbeitern, wenn ansonsten – wie meist – andere Faktoren der Entgeltvereinbarung weitgehend festgelegt sind, sei es durch Tarife, Sozialregelungen usw., wie sie generell Geltung haben. In erster Linie wird mit der betrieblichen Gestaltung der relativen Lohngerechtigkeit das Bedürfnis des Mitarbeiters nach „gerechter“ Vergütung angesprochen und verfolgt, das mit allgemeinem Branchentarifen und anderen tariflichen oder arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen nicht optimal angepasst werden kann und weshalb daher betriebsspezifische Gestaltungen sinnvoll sind. Aus der Sicht des Arbeitgebers ist es notwendig, mit Rücksicht auf das Prinzip der relativen Lohngerechtigkeit bei Entgeltdifferenzierungen sehr sorgfältig und klug vorzugehen. Das Prinzip wirkt mehr oder weniger stark bei allen Mitarbeitern, d. h. „Überzahlungen“ und „Unterzahlungen“ können gleichermaßen fatale Personalkostenspiralen und Demotivationen auslösen, da das sehr labilitätsgefährdete System der betrieblichen Lohngerechtigkeit leicht aus dem Gleichgewicht gerät und dann meist sehr „teuer“ wird. Einmal durch Erhöhung der Personalkosten und zweitens durch aus Demotivationen rührenden Leistungsverlusten. Ist eine „überhöhte“ Vergütung bei der Einstellung eines benötigen Mitarbeiters aus Arbeitsmarktgründen unvermeidbar, ist es notwendig, mit den sich benachteiligt fühlenden Mitarbeitern des Betriebes zu sprechen und damit vorzubeugen, dass ein Entgeltsystem nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Unter diesen Aspekten ist zu empfehlen, gut geregelte Entgeltsysteme zu entwickeln, auf die bei Entgeltregelungsgesprächen mit Blick auf die betriebliche Notwendigkeit der Einhaltung festgelegter Regeln verwiesen

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11. Mitarbeiterbedürfnisse

werden kann, was meist auch akzeptiert wird. Damit erfolgt einerseits eine vorbeugende Abstimmung der Entgeltregelungen mit individuellen Mitarbeiterbedürfnissen und andererseits eine auch nachhaltig wirkende Verbesserung der Stabilität des Entgeltsystems, die regelmäßig auch personalkostenstabilisierend wirkt. Ein geregeltes Entgeltsystem, das kooperativ entsteht, ist allein durch die Art und Weise des Entstehens ein Signal der Gerechtigkeit. Natürlich müssen auch die tatsächlich angesetzten Zahlen an der „relativen Lohngerechtigkeit“ angemessene Ausmaße und Relationen erfüllen (s. a. Schwan, K., Seipel, K. G.: 1994, S. 117–129). Um über Mitarbeiterbedürfnisse die Personal- und Führungsarbeit optimal im Interesse aller Beteiligten zu fördern, muss die Führungskraft die individuellen Mitarbeiterbedürfnisse der ihr anvertrauten Mitarbeiter kennen, um darauf eingehen zu können. Den Bedürfnissen stehen betriebliche Möglichkeiten und Mittel gegenüber. Je mehr es gelingt die Breite der Mitarbeiterbedürfnisse mit den Möglichkeiten und Mitteln des Betriebes in Übereinstimmung zu bringen, je höher sollten die Motivation und die Leistungsergebnisse sein, aber auch die Zufriedenheit des Mitarbeiters, seine Entfaltungsmöglichkeiten und die Bindung an seine Aufgaben. Die vorgenannten praktischen Beispiele (1) bis (3) zeigen eindrucksvoll, dass die engen Verknüpfungen zwischen Mitarbeiterbedürfnissen und einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit nicht nur auf der ideellen Ebene paradigmatischer Vorstellungen sehr bedeutsam sind, sondern sehr konkrete Auswirkungen haben auf die Praxis täglicher Personal- und Führungsarbeit. Analogien zur Konzeption des Personalmarketing in Richtung Führungsmarketing sind naheliegend und sinnvoll. Das Bedürfnisprofil bei den Mitarbeitern ist regelmäßig unterschiedlich und die Optimierung erfordert daher ein klugerweise gutes und verantwortungsvolles individuelles Eingehen der Führungskraft auf die einzelnen Mitarbeiter. Das bedarf einer intensiven Personal- und Führungsarbeit, die bislang in der Praxis meist nur eingeschränkt erfolgt, da Führungskräfte bei der Nennung ihrer Hauptfunktionen ihren Sachaufgaben in Relation zu den Personal- und Führungsaufgaben überwiegend einen wesentlich höheren Stellenwert zubilligen. Das sollte für Vorgesetzte bzw. Führungskräfte ein Anstoß sein, die Relativität ihrer Fachund Führungsfunktionen mit Blick auf die ihnen anvertrauten Mitarbeiter kritisch-konstruktiv zu reflektieren und Anpassungen für die Schwerpunkte der Arbeitsgestaltung vorzunehmen. Am Schema Mitarbeiterbedürfnisse und Mittel der Personal- und Führungsarbeit zu ihrer Befriedigung (Abb. 11.2) lassen sich die Zusammenhänge vertiefen. Das nachstehende Schema zeigt vertikal die Listung denkbarer Mitarbeiterbedürfnisse und die horizontale Listung gibt die Mittel des Betriebes wieder, die für die Befriedigung der Mitarbeiterbedürfnisse vor-



11. Mitarbeiterbedürfnisse457

stellbar sind. Die Bedürfnisse und Mittel werden nach materiell und nichtmateriell geordnet. Da das Schema als Matrix angelegt ist, kann man Verknüpfungen ankreuzen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass für ein Bedürfnis und seine Befriedigung ein Mittel vorhanden ist. Die Ankreuzungen im Schema sind solche beispielhaft angenommenen Möglichkeiten. Bei Nutzung der Matrix in der Praxis sind die Ankreuzungen naturgemäß mitarbeiter- und betriebsspezifisch und vorzugsweise durch Gespräche zwischen dem Vorgesetzten und Mitarbeiter zu ermitteln. Werden Mitarbeitererwartungen bzw. -bedürfnisse und damit die betrieblichen „Angebote“ lediglich auf materielle Ansprüche reduziert, verkennt man Mitarbeiter und ihre Bedürfnisse völlig. Ist das der Fall und treten Leistungsmängel auf, versuchen viele Unternehmen Mitarbeiterleistung zu „kaufen“, sei es durch Prämien, Lohn- und Gehaltserhöhungen, Einmalzahlungen oder andere Varianten, vergessen dabei jedoch, dass nicht alles käuflich ist – wenngleich natürlich finanzielle Angebote von den Mitarbeitern angenommen werden. Eine solche Symptomkur kann nicht zielführend sein. Die Lücken bei immateriellen Mitarbeitererwartungen bleiben natürlich auch bei Zahlungen nach wie vor latent oder manifest vorhanden und mindern die Arbeitsfreude und Leistungsbereitschaft. Auch wiederholte Versuche des „Leistungskaufes“ können das nicht ändern. Somit wird lediglich eine Personalkostenspirale in Gang gesetzt, ohne die Leistung tatsächlich zu verbessern. Das Unternehmen zahlt mehrfach, nämlich einmal für den vermeintlichen „Leistungskauf“, zum anderen für die eingeschränkte Leistung. Die finanzielle Kompensation nichterfüllter immaterieller Mitarbeitererwartungen erweist sich als etwas naiver Irrtum, dem ein verkürztes Mitarbeiterbild zugrunde liegt. Der Mensch lebt nicht vom Geld allein! Es ist eine personalwirtschaftliche Tragik großen Ausmaßes, wenn Unternehmern und Personalverantwortlichen schlicht und einfach das Verständnis dafür fehlt, dass einmal Mitarbeitererwartungen materiell und besonders immateriell eine große Vielfalt auszeichnet und die Verantwortlichen andererseits sehr viele Möglichkeiten und Mittel haben, den Erwartungen in erheblichem Ausmaß gerecht zu werden, sie aber viel zu wenig nutzen. Die fatale Mischung von Mängeln an Verständnis seitens der Führungskräfte und der fehlenden Initiativen sowie konkreten Realisierungen führen zu einem humanen und personalwirtschaftlichen Dilemma. Natürlich kann der betroffen Mitarbeiter im Sinne der Führung von unten nach oben selbst aktiv werden und bei seinem Vorgesetzten seine Vorstellungen vorbringen. Ob das in der Praxis oft als Chance genutzt wird, sei dahingestellt. Fehlt die personalpolitische Phantasie und Initiative des Vorgesetzten, bleiben betriebliche Chancen ungenützt und vermindern sich auch die Ar-

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11. Mitarbeiterbedürfnisse Abbildung 11.2: Mitarbeiterbedürfnisse und Mittel der Personal- und Führungsarbeit zu ihrer Befriedigung

(Schwan, K.: Mitarbeiterbedürfnisse, Internet)



11. Mitarbeiterbedürfnisse459

beitsfreude sowie die Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter. Betriebliche Schwächen und menschliche Defizite sind dadurch gleichermaßen bedingt. Dagegen beispielsweise Incentives und ein betriebliches Vorschlagswesen „einzuführen“ sind weder Ersatz noch Lösung! Über den Sinn und Unsinn solcher Vorgangsweisen hat sich Reinhard Sprenger (Sprenger, R. K.: 1992, S. 63–65) schon amüsiert – und vernünftige Überlegungen dazu dargelegt. Unter dem Kapitel Sisyphos: Belohnen und Bestechen kommt er zu dem Kernsatz: „Alle Motivierung ist gekennzeichnet durch die Unabschließbarkeit des Sisyphos-Dilemmas“ (Sprenger, R. K.: 1992, S. 63) oder locker gesagt, mit Incentives erreicht man über kurz oder lang das Ende der Fahnenstange bzw. der vermeintlichen Motivierungsversuche, die letztendlich eher Motivation zerstört als schafft. Mitarbeitermotivation hat – wie gezeigt werden sollte – andere Wurzeln. Der einfache und sinnvolle Zusammenhang zwischen einerseits vielfach nicht ausgeschöpften Möglichkeiten des Personalmarketings sowie diesen Handlungsspielräumen und andererseits von Potentialen und Chancen einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit, sollten zu einer optimaleren Interessenidentität zwischen Management und Mitarbeitern zum Vorteil beider Seiten und der Unternehmen, Organisationen sowie anderen Einrichtungen führen. Unbestritten und ohne ausschweifende Begründungen kann angenommen werden, dass die Leistungsfähigkeit eines Betriebes immer stärker von Mitarbeitern bestimmt wird, die sich durch Eigenständigkeit, Entscheidungs-, Risiko- und Verantwortungsbereitschaft auszeichnen. Das Engagement betriebliches Neuland zu betreten, Aufgaben innovativ zu gestalten, Handlungsräume rasch und optimal zu nutzen, wird zunehmend wichtiger. Dem steht die sozialempirisch gesicherte Erfahrung gegenüber, dass qualifizierte Mitarbeiter stärker denn je für ihre Arbeit die notwendigen Freiräume erwarten und tendenziell ausweiten möchten, d. h. darin bei qualifizierten Mitarbeitern ein Kernbedürfnis besteht. Die betrieblichen Anforderungen an Mitarbeiter einerseits und deren Erwartungen und Bedürfnisse an ihre Aufgaben sowie Arbeitsbedingungen andererseits bieten sich somit als ideale Basis an, „Angebot“ und „Nachfrage“ zum Vorteil der Beteiligten weitgehend zur Deckung zu bringen und somit eine optimale Leistung unter humanen Wertvorstellungen zu erreichen. In solchen Ansätzen und Aktivitäten könnte auch ein Teil der Möglichkeiten zur Überwindung der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 und einer Neuorientierung zum Vorteil von Gesellschaft und Wirtschaft liegen. Deren Grundlagen liegen dabei in einer Neubestimmung von Paradigmen bzw. in einem Paradigmenwechsel, um die Macht der Ideen im positiven Sinne für Veränderungen zu nutzen.

12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit Seit es Menschen gibt, die gemeinsam Aufgaben verfolgen, gibt es Personal- und Führungsarbeit. Solange stellt sich auch die Frage, wie diese Funktionen am besten zu erfüllen sind. Die Antworten sind so vielfältig wie die Umstände, Zeitläufe, Verhältnisse und Vorstellungen der Menschen, die Personal- und Führungsaufgaben zu erfüllen haben, ob nun Führungskräfte, Mitarbeiter oder Dritte innerhalb oder außerhalb eines Unternehmen oder anderer Einrichtungen tätig sind. Völlig richtige Antworten und letzte Wahrheiten konnte es und wird es nie geben. Zu unterschiedlich sind die realen Verhältnisse und die sachlichen sowie normativen Vorstellungen der Beteiligten. Daran wird auch die Unzahl von gerade gängigen oder auch mit Inbrunst vorgetragenen Heilslehren nichts ändern. Man wird froh sein müssen, solchen Moden nicht zu sehr zu erliegen und für eine begrenzte Phase der Entwicklung geeignete Wege der Führung, des Managements und der dazugehörigen Organisation zu finden (Schwan, K., Seipel, K. G.: 2002, S. 34 f. und S. 73). Nicht eherne Einsichten sondern Offenheit und Verständnis für den Wandel und konkret sich stellende Aufgaben sind notwendig. Einfache Rezepte reichen nicht. Profile zu erstellen ist eine häufige Lieblingsbeschäftigung der Autoren der Praktiker-Literatur zum Thema Führung bis hin zur Erstellung von Idealprofilen, welche sogar erfolgsversprechende Führungsstars als hehre Ziele kreieren und versprechen – natürlich nur dann –, wenn alle gegebenen Ratschläge sorgfältig genug eingehalten werden. Berater stehen ihnen gelegentlich dabei nicht nach. Ob dadurch deren Kundengewinnung erfolgreicher wird, ist fraglich, denn beratungserfahrene Leser und Klienten werden skeptisch sein. Solche und ähnliche Versprechungen machen keinen Sinn, denn Enttäuschungen sind kaum vermeidbar. Die Lösungserwartungen über die Qualifikation von Chefs und Führungskräften sind häufig verbunden mit der Vorstellung und Hoffnung, dass beste Kompetenz der Autoren und Berater auch für angestrebte Erfolge der Personal- und Führungsarbeit bürgen. Das ist jedoch ein Irrtum. Autoren und Berater beraten, die Leser oder Klienten entscheiden und sind für die Umsetzung von Vorhaben zuständig und verantwortlich. Das sind die fairen Regeln und Rollenverteilungen, durch die generell die Art und Weise einer funktionellen Zusammenarbeit bestimmt wird. Zudem weiß jeder Führungspraktiker aus eigener Erfahrung, wie vielfältig und auch diffizil die führungs- und sachspezifischen Einflussfaktoren für Führungserfolge sein können, ganz zu schweigen von nicht



12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit461

oder kaum vorhersehbaren Umständen, Entwicklungen, Unsicherheiten usw. Kurzum, Erfolge frei Haus beziehen? Nein! Erfolge erwachsen vielmehr aus intensiver Zusammenarbeit, Verlässlichkeit und gegenseitigem Vertrauen von Auftraggebern, ihren Mitarbeitern und dem Berater, wobei die Beteiligten ihre spezifischen Aufgaben erbringen und dafür Verantwortung übernehmen müssen, um tatsächlich angestrebte Lösungen und Entwicklungen zu erreichen. Nach dem Motto „Wünsch Dir was!“ funktioniert das sicher nicht. Solche Vorstellungen sind blauäugig. Das Thema von Profilen für zeitgemäße Personal- und Führungsarbeit übt verständlicherweise eine gewisse Faszination aus, da davon Hilfen für Zielsetzungen und Gestaltungen erhofft werden. Die fundierte Fachliteratur widmet sich sicher auch aus diesen Gründen seit langem sehr ausführlich und intensiv diesem Themenfeld und seinen Gestaltungsfaktoren für die Führung und Motivation. Daher entstanden dazu zahlreiche Theorien und Erklärungsversuche. Kritisch-konstruktive Fachleute halten sich jedoch mit der Erstellung von Profilen eher zurück oder verzichten überhaupt darauf. Ihre Erstellung ist in höchsten Maße relativ und mit Bezug auf die Praxis somit oft hochspekulativ. Solche Rezepturen und Reflektionen von Wunschvorstellungen greifen zu kurz. Was hingegen vertretbar erscheint und Orientierungshilfe geben kann, ist die Zusammenstellung und Kategorisierung von Eigenschaften nach verschiedenen Aspekten unter allgemeinen oder bestimmten Verhältnissen und Entwicklungen der Personal- und Führungsarbeit, und zwar nicht im Sinne von „Anforderungsprofilen“, sondern als der Führungspraxis helfen wollendes Anschauungsmaterial für spezifische Gestaltungen personeller Aufgaben, wie Rekrutierung neuer Mitarbeiter, Personalentwicklungen, Beförderungen, Vertretungsaufgaben usw. Über den sogenannten Nutzen des Führungs-Geredes schreibt Oswald Neuberger treffend: „Führung ist ein umstrittenes Thema, dessen Diskussion kalte Kognitionen und heiße Emotionen oft unentwirrbar vermengt. Die Reaktionen schwanken zwischen Vergötterung und Heroisierung (Personenkult), Banalisierung und Trivialisierung (Bürokratisierung: Führung ist ‚nichts als‘ Lückenbüßer der Organisation und eine verdinglichende Technik), emotionalisierte Verklärung und nüchterne Verwissenschaftlichung und schließlich Dämonisierung oder Diabolisierung (Verführung und Beherrschung der unschuldigen, unwissenden, widerstrebenden Massen)“ (Neuberger, O.: 2002, S. 2). Weniger pointiert, aber treffend meint Joachim Wolf u. a. zur Vielzahl von Führungstheorien sehr anschaulich Ähnliches: „Der vorrangige Grund für die bestehende Theorienvielfalt besteht darin, dass die drei Phänomene „Organisation“, „Management“ und „Unternehmensführung“ einen sehr hohen Abstraktionsgrad aufweisen. Sie sind so abstrakt, dass keiner von uns

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12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit

sie je in ihrer ganzen Vollständigkeit sinnlich wahrgenommen hat […] Was wir direkt erkennen können, sind die für diese Gestaltungshandlungen verantwortlichen Manager, die Räume und Konferenzzimmer, in denen sie ihre Entscheidungen treffen, die von ihnen genutzten Entscheidungshilfsmittel (Flipcharts, Computer, Beamer) oder die Akten, in denen ihre Entscheidungsinhalte dokumentiert sind. Am abstraktesten dürften wohl die Aktivitäten der Unternehmensführung sein, da es sich um allgemeine Grundsatzentscheidungen handelt, die durch zahlreiche Einzelentscheidungen konkretisiert werden müssen“ (Wolf, J.: 2003, S. 42). Ganz anders stellen sich die Fragen nach Werten und Normen der Personal- und Führungsarbeit dar, die zwar seit langem lebhaft diskutiert, mit Anregungen verbunden und durchaus als wichtiger Teil des Profils einer zeitgemäßen Führungsarbeit erkannt wurden. Während der stark neoliberal geprägten Phase der Personal- und Führungspraxis – etwa beginnend um 1975 und dominant über 35 bis 40 Jahren (2015) – verloren jedoch diese Werte zunehmend an Bedeutung. Neoliberale Vorstellungen traten zunehmend an ihre Stelle. Nach der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 ist es unbestritten, dass die Bewältigung der Krise und die weiteren Entwicklungen von Gesellschaft und Wirtschaft neuer und besserer Leitlinien bedürfen. Eine an heutige und zukünftige Verhältnisse angepasste Neuorientierung an Vorstellungen des Ordoliberalismus und der Ökosozialen Marktwirtschaft erscheint notwendig und erfolgversprechend. Daher auch die Forderung der Revision „falscher“ Paradigmen und nach einem Paradigmenwechsel. Ein anderes wesentliches Faktum spricht für den vorgenannte Weg: Zunehmende Raschheit und steigende Komplexität kennzeichnen immer mehr die Entwicklungen vieler Betriebe und lassen deren Handeln und insbesondere notwendige Entscheidungen irrationaler und riskanter werden. Die Entwicklung immer besserer Verfahren der Informationstechnologie und -verarbeitung wird die vergleichsweise wesentlich rascher wachsenden Entscheidungsunsicherheit bzw. Irrationalität immer weniger gerecht, d. h. die rationale Entscheidungsbasis wird relativ geringer. Wenn aber das tendenziell ungünstiger werdende Verhältnis von rationalen und irrationalen Entscheidungsgrundlagen die Ergebnisse solcher Entscheide durch vermehrte chaotische Elemente unsicherer machen, also die rationale Entscheidungslücke wächst, können und sollten durch normative Orientierungshilfen die Richtungen für Entscheidungen und Entwicklungen unterstützt werden. Durch solcherart abgesteckte Bandbreiten geordneten und sozusagen sinnvollem und gerechtfertigten Handelns – man kann sich das als ein aufmerksames Fahren auf unterschiedlich breiten normativen Entscheidungsstraßen vorstellen – werden Gegengewichte zu steigender Irrationalität gesetzt und Entscheidungen können „besser“ werden. Die Irrationalitäten werden dadurch natürlich nicht geringer, aber sicherlich ihre Gefahren.



12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit463

Tatsächliche Managerbilder und die damit verbundene Führungsarbeit der Unternehmen, Organisationen und anderer Einrichtungen, deren Geschäftsführung, Geschäftspolitik, Planung, Organisation, die Verhaltensweisen und jeweiligen Führungspraktiken usw., reflektieren in unterschiedlicher Art und Weise die jeweiligen Sichtweisen, Situationen, Verhältnisse, Tendenzen und konkreten Entwicklungen. Inhalte der individuellen Verantwortung für das eigene Management- und Führungsbild und seine Auswirkung werden dadurch nicht zwingend und unmittelbar berührt, nämlich wenn sie nicht realisiert oder keine eigenen spezifische Wege beschritten werden. Das kann beispielsweise dadurch begründet sein, dass erforderliche Anpassungen bzw. Veränderungen aus irgendwelchen persönlichen Gründen trotz vorhandener Kompetenzen und Vollmachten unterlassen werden. Die individuelle Eigenverantwortlichkeit für das Handeln und seine Konsequenzen hat allerdings stets Priorität vor Reglements, Dekreten, Taktiken, also auch für das Nichtstun usw. Der substantielle Gehalt von Prioritäten kann und sollte als moralische Maxime Geltung haben im Sinne der Pflichtenethik und des Kategorischen Imperativs (Immanuel Kant). Die personale Verantwortung des Einzelnen ist die Instanz und das Maß für Denken, Fühlen und Handeln, welches niemandem abgenommen werden kann. Werte und Normen als wesentliche Quellen für Vorstellungen über Führung, Organisation und Management haben persönlichen Bekenntnischarakter und sind kaum als Gegenstand „rationaler Beweisführung“ geeignet. Blickt man auf praktizierte Geschäftsphilosophien, Strategien und Maßnahmen bekannter und großer Betriebe während der letzten Jahre zurück, können sowohl erhebliche Zweifel an der Rationalität als auch der notwendigen normativen Orientierung weitreichender Entscheidungen nicht ausbleiben, d. h. an beidem hat es oft gefehlt. Die enorme Quote missglückter Fusionen, die übersteigerte Dominanz einmal des so genannten Stake-Holder-Prinzips in Anlehnung an neoliberalen Vorstellungen und zweitens des späteren Shareholder-Value-Prinzips mit einiger Distanz zum Neoliberalismus, die Miseren der Großbankenentwicklungen, Mängel in der betrieblichen Entgeltgestaltung usw. zeigen deutliche Desorientierungen auf, und zwar im großen Stil. Vereinfacht gesagt, die zu schlichten und egozentrischen neoliberalen Ideen und die dadurch essentiell mitverursachte 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 mit ihren grauenvollem Folgen führten ins Unglück, welches die Welt, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur noch viele Jahre beschäftigen wird. Alternativen, bessere Ideen und Vorstellungen sind längst bekannt. Aber von ihrer tatsächlichen Funktionsfähigkeit als Orientierung entsprechender Vorgehensweisen, geschweige denn deren Umsetzung ist man noch weit entfernt. Auch hierfür tragen letztendlich einzelne Personen die Verantwortung für ihr Handeln und daraus entstehende Entwicklungen und Folgen, ob mit positiven oder negativen Auswirkungen. Der „Erfolg hat

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12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit

viele Väter, der Misserfolg ist ein Waisenkind“ und das Waisenkind lebt, ob sich sein Vater versteckt oder – wie es sich gehört – zu seinem Kind steht und für es sorgt. Schicksalhafte Konstrukte, Ausreden ohne Zahl usw. ändern daran nichts, sondern sind eher ein Indiz für einen feigen und verantwortungslosen Lump. Gute Väter freuen sich mit der Mutter über alle ihre Kinder, feiern mit ihnen Geburtstage und andere Feste, unterstützen ihre Entwicklung und helfen bei Problemen und erfüllen ihre Pflicht, was auch sehr schwierig sein kann und oft mit großen Sorgen verbunden ist. Solches Verhalten wird – nach wie vor und trotz aller Unkenrufe und Jammerei – als normal, gut und verantwortlich geschätzt. Wenn man nach den Vätern der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 frägt, ist alles anders und das Bild von den drei Affen kommt einem in den Sinn, die dasitzen und Augen, Ohren und den Mund zuhalten. Nichts sehen, hören und sagen mag zwar weise sein, anständig ist es nicht, sondern unangenehme und zur Normalität gewordene Doppelmoral. Hinzu kommt, dass positive und negative Entwicklungen, wie einerseits beispielsweise die Globalisierung, die wachsende Bedeutung von Bildung, die Notwendigkeit des lebenslangen Lernen, der Forschung, Entwicklung und Innovation, der Informationstechnologie und ihrer Auswirkungen, aber auch Klima- und Energiefragen, andererseits aber gleichzeitig schweren, sehr gefährlichen und politisch nur begrenzt beherrschbaren Spannungsfelder gegenüber stehen. Das hat zu einer Welt geführt, die herkömmliche Mittel zur Bewältigung der anders gewordenen Prozesse teilweise entfunktionalisierten, was die Orientierung zusätzlich erschwert, die Irrationalität notwendiger Entscheidungs- und Umsetzungsvorgänge in Gesellschaft und Wirtschaft stark erhöht und sehr riskant werden lässt. Man denke nur z. B. an die Verhältnisse zwischen Russland und der Ukraine, extreme Spannungen im Nahen Osten, Kriege und Terrorismus in Afrika, weltwirtschaftlich und national fatale Entwicklungen, wie sie in Griechenland und vielleicht auch bald in Italien, Spanien und Frankreich denkbar sind usw. Euphemistisch kann man sich mit der Erkenntnis begnügen, man befinde sich eben in einer Zeitenwende und hoffe, dass es schon gut gehen werde. Das wird nicht genügen und würde weitere unüberschaubare Risiken bergen. Ideen werden in ihrer Macht weit unterschätzt, sei es im guten oder schlechten Sinne, worauf bereits verschiedentlich eingegangen und gefolgert wurde, dass ein Paradigmenwechsel erforderlich ist, um für potentiell geeignete Ideen und Konzepte wieder eine bessere Orientierung zu gewinnen. Diese sind in der Konzeption der Ökosozialen Marktwirtschaft greif- und adaptierbar. Die Akteure und Träger der Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und des Sozialen sind wie jeder verantwortlich Tätige gut beraten, sich dieses Kompasses endlich zu bedienen, um bei der steigenden Komplexität und Irratio­ nalität nicht mehr oder weniger chaotisch zu agieren, sondern durch wert-



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und normbestimmte Paradigmen und trotz Irrationalitäten zu sinnhaften und verantwortbaren Lösungen und Entwicklungen zu gelangen. Die herkömmlichen Instrumente des Managements, der Führung und der Organisation lagen oder liegen im Wesentlichen in den Bereichen Mittelzuweisung, der Schaffung wirtschaftlicher Anreize und der Herausbildung von Organisationsstrukturen. Diese Instrumente werden zu Recht als begrenzt empfunden und schöpfen daher potentielle Möglichkeiten der Verantwortlichen und der Mitarbeiter nicht aus. Innovationen und zukunftsorientierte Entwicklungen kamen dabei bislang zu kurz. Die Einstellung vieler Mitarbeiter zu ihrem Betrieb und dessen Führung spiegelt die verkürzte instrumentelle Sicht, d. h. das Handeln der Mitarbeiter wird mehr oder minder durch das Motto geprägt: „Ich bekomme was mir zusteht und ich werde tun, was man mir sagt“. Solchermaßen durch das Management induzierte und reduzierte Haltungen werden durch entsprechende Mitarbeiterleistungen innerhalb des zu eng gezogenen Rahmens erfüllt und die bekannte Regel der Self-Fulfilling Prophecy hat sich wieder einmal bestätigt. Die Führungsverantwortlichen unterliegen dem bekannten Irrtum, die Mitarbeiter seien nicht gut genug! Nein, Mitarbeiter wurden durch Führungsmängel unter ihrem wahren Wert geschlagen, einmal zu Lasten des Betriebes und zum anderen durch eine inhumane Hinderung ihres Strebens nach Entfaltung in ihrer beruflichen Tätigkeit. Bei einfachen Leistungsprozessen, die einen weitgehenden Determinismus der Mitarbeitersteuerung erlauben, mag das vordergründig und – wieder irrtümlich(!) – weniger bedeuten, wenngleich es weder betrieblich optimal e­ rscheint, noch im Allgemeinen im Einklang mit Mitarbeitervorstellungen und Wünschen an Arbeit und Betrieb stehen dürfte. Für Führungsignoranz wird meist doppelt und dreifach bezahlt, einmal durch Leistungseinbußen, zweitens durch Demotivation der Mitarbeiter und drittens den Versuch, durch kompensatorische Mehrzahlungen und die eher trügerische Hoffnung des Managements und der Personalverantwortlichen, dadurch ein Leistungs-Mehr „kaufen“ zu können. Natürlich wird das Geld genommen und nicht ganz zufällig von den betroffenen Mitarbeitern auch als das bewertet was es ist, nämlich ein „Schmerzensgeld“ für miserable Personal- und Führungsarbeit. Wie auch immer, mit „materieller oder ideeller Bestechung“ kann echte Motivation und Einsatzfreude nicht erworben werden. Das ist auch gut so, denn das Ziel ist eine bessere Personal- und Führungsarbeit, und zwar für die Mitarbeiter und für den Betrieb, die auf diesem Weg wohl kaum erreicht werden kann. Führungsverantwortliche täuschen mit halbseidenen und manipulativen Tricks sich wohl selbst, aber auch die ihnen anvertrauten Mitarbeiter. Die verfehlte Entgeltpolitik gegenüber den Beschäftigten bewirkt wenig. Der Betrieb oder eine andere Einrichtung werden geschädigt, die Vorgehensweise ist falsch, teuer und eine verantwortungslose Gefährdung einer ausgeglichenen Entgeltpraxis, schlechte Führungsarbeit und damit eine untaugliche Problemlösung.

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12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit

Der Wandel der Leistungsanforderungen an die Betriebe, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen, verlangen von den Verantwortlichen immer dringender die Ergänzung der herkömmlichen Instrumente, teilweise auch deren Korrektur durch die Führungskräfte und entsprechende strukturelle Anpassungen, wie: Engagiertere Vorgesetzte. – Begründungen und Erklärungen von Vorgehensweisen bei Leistungsvollzügen und mehr Klarheit bei Verantwortlichen über Erwartungen an ihre Mitarbeiter sind erforderlich. – Ebenso wird mehr Fairness, Offenheit und Entgegenkommen von den Führungskräften gegenüber den Mitarbeitern erwartet werden müssen. Damit können einmal jene Einstellungen bei den Mitarbeitern erreicht werden, die für die Bewältigung schwieriger gewordener, d. h. weniger determinierbarer Leistungsvollzüge notwendig sind und eigenverantwortlichere Menschen erfordern. Zweitens wird man dadurch aber auch Mitarbeitererwartungen an die Vorgesetzten und den Betrieb besser gerecht und erreicht eine stärkere Vertrauensbasis der betrieblichen Zusammenarbeit. Es gilt dann sozusagen das Motto: „Ich sehe, meine Meinung zählt und ich werde mehr tun als nur meine Pflicht“. Statt erzwungener entsteht freiwillige Kooperation und Leistungsgrenzen werden erweitert. Die Teilhabe des Mitarbeiters an seiner Arbeit und den betrieblichen Abläufen steigt (s. a. Kim, W. C., Mauborgne, R.: 1 / 1998, S. 60–70; Schwan K., Seipel K. G., 1994, S. 7 f.). Über Anforderungen an das Managerbild und Führungsaufgaben werden seit Jahr und Tag richtige und gute Aussagen in der Fachliteratur, bei Vorträgen, Seminaren usw. gemacht. Auch eine große Zahl der sozialempirischen Untersuchungen widmen sich diesen Themenkreisen und sind nur noch schwer überschaubar. Ohne Zweifel haben solche Aktivitäten auch dazu beigetragen, dass positive Veränderungen in Gang gekommen sind. Es wurden aber auch wirklichkeitsfremde Mythen und Wunschvorstellungen über geforderte Praktiken der Manager und Führungsverantwortliche postuliert und gepflegt (s. a. Mintzberg, H.: 1991, S. 24–28). Anforderungen und Realität klaffen oft weit auseinander. Über die angestrebten und geforderten Qualitäten von Führungspersönlichkeiten, wie sie beispielsweise bei der Führungskräftebeschaffung formuliert werden, schreibt Reinhard Sprenger treffend und sarkastisch: „Wer heutige Stellenanzeigen für Führungskräfte liest, muss nachgerade größenwahnsinnig sein, bewirbt er sich dennoch. Was da alles gefordert wird: Führungsstärke, Belastbarkeit, Entscheidungskompetenz, Bereitschaft zum Wandel, Teamfähigkeit, soziale Kompetenz, Fähigkeit zu motivieren, Urteilsvermögen in kritischen Situationen, Prioritäten setzen, Flexibilität im Zugang, interkulturelle Kompetenz, emotionale Intelligenz, Offenheit für Experimente, Vielsprachigkeit, Integrität, Wagemut, Visionen – kurz: das All-in-one-Idol“ (Sprenger, R.: 2000, S. 187). Auch bei umfassenden Begriffen und Vorstellungen über Führung, Motivation und Management – die den Betrieb und seine Beziehungen nach



12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit467

innen und außen im Gesamten einschließen und wovon auch im ganzheitlichen Sinne auszugehen ist – gelten die vorgenannten nachteiligen Feststellungen leider zwangsläufig auch. Einerseits Zweck-Mittel-Beziehungen, andererseits aber eben nicht nur: Ein effizientes Management und eine gute Führung müssen als ein soziales, offenes und dynamisches System verstanden werden. Es lebt und interagiert ständig formell und informell mit dem internen Gesamtsystem „Betrieb“ – oder welchen Einrichtungen auch immer – und der Außenwelt. Sicher ist auch bewusst, dass es dabei in erster Linie um Bemühungen um Menschen und Mitarbeiter geht (Personalmarketing), aber das Management hat auch mit vielen anderen Ressourcen materieller und immaterieller Art klug und verantwortungsvoll umzugehen. Aus diesem besonderen Systemcharakter rührt seine Komplexität, Ungewissheit und die sehr begrenzte Determinierbarkeit. Das erfordert besondere Führungsqualitäten, um mit den Mitarbeitern die Aufgabenstellungen positiv und bestmöglich zu bewältigen, und zwar im Interesse des Betriebes und der Mitarbeiter gleichermaßen. Diese Funktionserfüllungen gehen allerdings eben über Zweck-Mittel-Verbindungen weit hinaus und sind ohne praktizierte Wert­ orientierungen nicht zu optimieren. Die Leadership-Forschung der Gegenwart (etwa ab 2002) hat Eigenschaften empirisch ermittelt, die immer wieder in Verbindung mit guter Führung genannt wurden. Das Schema Eigenschaften guter Leader zeigt ein Beispiel (Abb. 12.1). Die Ausarbeitung des Schemas erfolgte durch Stefanie Sohm. Zur Führung von Talenten nimmt sie besonders Stellung. Das ist daher interessant, da bei dieser wichtigen Gruppe von Mitarbeitern bestimmte besondere Erwartungen bestehen, denen sich Führungspraktiken anpassen sollten und die für erforderlich gehalten werden. Interessant ist aber auch, inwieweit sich davon Analogien für die „allgemeine“ Führung von Mitarbeitern ableiten lassen können. Sohm schreibt hierzu: „Für viele Unternehmen ist Personal die einzige Quelle für einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil. Unternehmen, die es verpassen, die richtigen Leute zu bekommen, entwickeln und zu binden, riskieren ihren Erfolg und Fortbestand. Die meisten Unternehmen haben verstanden, dass der „War for Talent“ in vollem Gang ist und dass es darum geht, die cleversten und kreativsten Köpfe zu rekrutieren. Jedoch alleine die Erhöhung der Anzahl kreativer Köpfe im Unternehmen führen nicht notwendigerweise zu erhofften Leistungssteigerung des Unternehmens. Man muss den Talenten ein Umfeld bereiten, das ihnen Höchstleistung ermöglicht und in dem sie sich entwickeln können und sie so an das Unternehmen binden“ (Sohm, St.: 2007, S. 9). In ihrer Studie zeigten die folgenden Autoren, dass effektive Leader oder Führungskräfte die besonders Talentierten anders führen und es ihnen damit gelingt, diese hochmobilen Mitarbeiter zu halten. (Goffee, R., Jones, G.: 2007, 03 / 2007, Page 3–9; s. a. Goffee, R., Jones, G.: 1988, S. 12–42).

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12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit Abbildung 12.1: Eigenschaften guter Leader

Eigenschaft

Beschreibung

Hohes Energieniveau und große Stresstoleranz

Hilft, Hektik, Zeitdruck und zwischenmenschlichen Spannungen Stand zu halten, kritische Entscheidungen auch entgegen der Meinung anderer zu treffen und den Fokus zu behalten

Selbstvertrauen

Hilft, schwierige Aufgaben anzugehen, Rückschläge zu verarbeiten. Der Optimismus, Herausforderungen zu meistern, wirkt sich positiv auf andere aus, darf jedoch nicht in Arroganz umschlagen.

Selbstbestimmung

Die Person ist überzeugt, Einfluss auf Geschehnisse nehmen zu können, ist planvoll, ergreift die Initiative und übernimmt Verantwortung für das eigene Handeln.

Emotionale Reife und Stabilität

Die Person kennt ihre eigenen Stärken und Schwächen, möchte sich weiterentwickeln und ist nicht narzisstisch oder von Prestige und Status abhängig.

Integrität

Die Person ist ehrlich, ehisch korrekt und vertrauenswürdig und in ihrem Verhalten mit den kommunizierten Werten konsistent; so gewinnt sie die Loyalität anderer

Machtstreben um gemeinsame Bedürfnisse befriedigen zu können

Die Person strebt aktiv Positionen mit Autorität an, aus der heraus sie Einfluss ausüben kann; sie nutzt die Macht nicht zum eigenen, sondern zum Vorteil der Organisation.

Mäßiges Erfolgsstreben

Streben nach Erfolg. Motivation und Aufgabenbezogenheit dürfen nicht zu stark und nicht zu schwach sein, da sonst das Streben nach dem eigenen Erfolg zu wichtig werden kann oder das Ziel aus den Augen verloren wird.

Relativ niedriges Bedürfnis an Sozialfrieden

Ein zu starkes Bedürfnis für Sozialfrieden führt zu Konfliktvermeidung und rationalen Entscheidungen, gar kein Bedürfnis an Gruppenzugehörigkeit macht zum unsozialen Einzelgänger.

(Sohm, St.: 2007, S. 9)

Eine Besonderheit bei den Talentierten – so stellen Goffee und Jones fest – besteht darin, dass sie wissen, dass das Unternehmen bzw. eine andere Einrichtung ihr Wissen und ihre Fähigkeiten benötigt. Sie können kaum mit klangvollen Jobtiteln und neuen Verantwortlichkeiten gelockt werden und wollen eigentlich gar nicht geführt werden. Die meisten von ihnen fühlen sich als Teil einer externen Experten-Community, die organisationale Strukturen des Unternehmens bedeutungslos werden lassen. Sie treiben ihre Karrieren durch netzwerken voran und erhalten Bestätigung auch über die externen Kontakte. Ihre Bindung an das Unternehmen bilden die wesent­ lichen und spezifischen Führungsaufgaben des Managements. Gute Leader wissen, dass gute Ideen nicht immer von Projekten des Unternehmens kommen und helfen ihren Talenten, persönliche Projekte zu verfolgen (Beispiele sind u. a. Google und WL Gore, wo die Ingenieure 10–20 % ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte verwenden dürfen). Sie benötigen eine sichere Umgebung, die sie zum Experimentieren ermutigt und ihnen Fehler erlaubt. Ein wichtiger Punkt ist die Gewährung von organisationalem Schutz: Talente möchten gerne von der administrativen Maschinerie eines Unternehmens befreit sein. Gute Leader können über ihr persönli-



12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit469

ches Netzwerk ihre Talente schützen und ihnen Wege durch die Bürokratie ebnen. Je einfacher die Strukturen im Unternehmen sind, je weniger festgeschriebene Regeln bestehen und je besser der Leader sein Netzwerk aufgebaut hat, desto einfacher kann er dieser Anforderung gerecht werden. So wichtig es ist, den Talenten zu bestätigen, dass sie unabhängig sind und eine speziell Rolle haben, so wichtig ist es aber auch ihnen zu vermitteln, dass sie Teil eines Ganzen sind. Sie müssen erkennen, dass andere Menschen im Unternehmen andere Dinge können, die sie selbst nicht können. Und auch der Leader muss ihnen zeigen, dass er selbst Experte auf einem (anderen) Gebiet ist, ohne die Talente dabei vorzuführen. Die besondere Führung von Talenten stellt die Führungskräfte somit vor eine weitere Herausforderung, der sie gerecht werden müssen, wollen sie zur Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens beitragen (Sohm, St.: 2007, S. 33). Der „War of Talent“ ist die Not, die Führungskräfte erfinderisch macht. Einiges kann man davon generell als prinzipielle Postulate ableiten: Der „War of Talent“ ist in der Wirtschaft längst Realität bei Unternehmen, die sich durch hoch- und höchstkarätige Forschung und Entwicklung, Innovationen usw. dem Wettbewerb zu stellen haben: „War of Talent“ und seine Auswirkungen sind für die Führungspraxis ein Trend, der allgemein für qualifizierte Mitarbeiter immer stärker gelten wird – was auch aktuelle empirische Erhebungen belegen –, auch wenn er in der geschilderten Art noch recht avantgardistisch anmuten mag. – Talente erfordern von ihren Vorgesetzten Führungsfunktionen, die besondere Sensitivität und Klugheit verlangen, die auch generell nützlich sind und mehr geübt werden sollten. – Mitarbeiterintegration ohne Titel und Tricks entspricht der Reife mündiger Mitarbeiter und solche Incentives sind längst überholt. – Netzwerken ist heute (Mitte 2015) geübte Praxis. – Mehr oder minder überbordende Bürokratie, woher auch kommend, nervt Menschen überall, außer einige Bürokraten selbst und sollte natürlich längst reduziert werden, natürlich auch in Unternehmen. – Menschen wollen und brauchen mehr Freiheit, wenn Vorgesetzte aus mangelnder fachlicher Kompetenz im Detail nicht mehr in der Lage sind, Aufgaben und damit verbundene Ziele und Abläufe ausreichend zu definieren, aber Talente mit der Bewältigung solcher Aufgaben betraut werden sollen. Solche Fälle können deren Bedürfnis nach Selbstentfaltung in ihrem Berufsleben besonders entgegenkommen. Es zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass „Talente“ im Vergleich zu „normalen“ Mitarbeitern gar nicht so viele andere Bedürfnisse und Erwartungen an die Führung haben, als die „normalen“ Mitarbeitern. Die Vorgesetzten und Führungskräfte erkennen das gelegentlich nicht, da sie der letzteren Gruppe weniger Aufmerksamkeit zuwenden als den Talenten. Wenn man davon ausgeht, dass eine gute Personal- und Führungsarbeit sich

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12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit

stets am jeweiligen Individuum mit all seinen Stärken und Schwächen orientieren sollte, stimmen die „Unterschiede“ sehr nachdenklich. Gutes Personalmarketing sieht auf alle Fälle anders aus und müsste immer das Ziel verfolgen, alle Mitarbeiter so zu führen und zu motivieren, damit einmal eine bestmögliche Funktionserfüllung erreicht wird, zweitens Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter so gut es nur geht gefördert und drittens gerechte Verhältnisse der Entfaltungsmöglichkeiten angestrebt werden. Zweck einer guten und bewusst wahrgenommenen sowie zeitgemäß ausgeübten Führungsfunktion ist es folglich mehr denn je, dass Führungskräfte gegenüber ihnen anvertrauten Mitarbeitern begreifen, welche Schlüsselrolle und persönliche Verantwortung sie dafür tragen, alle ihre Mitarbeiter erfolgreich zu machen. Führung ist – kurz gesagt – eine verpflichtende Servicefunktion des Vorgesetzten für Mitarbeitererfolge. Darin lägen die Ansätze und Grundlagen für eine Gesamtoptimierung der Personal- und Führungsarbeit zum Nutzen einer Unternehmung und der Entfaltung der Mitarbeiter. Von diesen anzustrebenden Zuständen sind wir noch weit entfernt, wenn das stimmt, was Ursula Kals in der FAZ vom 14.07.2007 unter dem Titel „Wenn Chefs nicht führen können“ lebensnah und ausdrucksvoll darstellt und was keines weiteren Kommentars bedarf: „Der durchschnittliche Mitarbeiter lästert vier Stunden pro Woche über seine Vorgesetzten, hat das Münchener Geva-Institut herausgefunden. „Das sind in einem Unternehmen mit 1000 Mitarbeitern 4000 Lästerstunden in der Woche“, sagt der Hamburger Karriereberater Martin Wehrle. Warum das so ist? Viele Chefs erklären Mitarbeiterführung zur Neben-, nicht aber zur Chefsache. Bloß weil sie fachlich gut sind, sind sie aber noch lange keine guten Vorgesetzten. „Einige Chefs leben nach dem Prinzip: Ich führe, also bin ich“, erklärt die Frankfurter Psychologin Felicitas von Elverfeldt und beobachtet in ihren Coachings, dass sich diese Haltung gerade im Topmanagement verschärft und sich Chefs isolieren: „Je höher die Hierarchieebene, desto seltener wird ehrliches und offenes Feedback gegeben. Statt dessen gibt es vorauseilenden Gehorsam. Viele Mitarbeiter, teilweise selbst Führungskräfte, leiden unter ihren Vorgesetzten frei nach dem Motto: Bei uns ist die Hölle oben und der Himmel unten“, sagt Psychologin Felicitas von Elverfeldt. […] Angestellte zu motivieren, sie zu fördern und zu fordern, das betrachten manche Chefs nicht als ihr Feld. „Häufig ist es nicht im Bewusstsein von Führungskräften, dass Führen eine eigenständige Aufgabe ist. Personalverantwortung zu übernehmen bedeutet vor allem, Beziehungsarbeit zu leisten. Das muss man lernen, das geht nicht rein kognitiv“, sagt Brigitte Scheidt. Die auf Karrierethemen spezialisierte Diplompsychologin erfährt in ihrer Berliner Praxis oft, „dass viele auf diese Aufgabe nicht vorbereitet sind“. […] Die Ansprüche der Mitarbeiter an ihren Chef sind in der Regel hoch: Er soll Autorität besitzen, fachlich gut und menschlich verständnisvoll, jedoch fair und



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gerecht sein – was immer das im Einzelfall genau heißen mag. „Alle Mitarbeiter haben implizit eine Idee, wie ein guter Chef zu sein hat, und sind frustriert, wenn die Realität anders ist“, sagt die Psychotherapeutin. […] Chefs lassen sich in bestimmte Typen einteilen. Natürlich funktionieren die meisten nicht schubladengerecht, sondern verkörpern Mischtypen. Durch die Schematisierung lassen sich Tendenzen ausmachen. […] Trotzdem gibt es einen Typ, den die Mitarbeiter als noch unangenehmer empfinden: Führungskräfte, die hemmungslos ihren Launen nachgeben. Das sind Menschen, die im Halbtagestakt einmal joviales Verständnis für jeden Vorschlag haben, und sei er noch so entlegen, und dann wiederum ihr Umfeld mit zackig-autoritären Anweisungen traktieren. Solche unausgeglichenen Vorgesetzten neigen dazu, aus allem und jedem nur den eigenen Vorteil zu filtern. Die anderen werden dazu benutzt und haben zu arbeiten. Die Untergebenen werden in dauernder Aufregung gehalten und rätseln: „Gibt er heute wieder die Primadonna, oder hat er seinen Alles-ist-gut-Tag?“ – „Wenn er seinen montäglichen Wochenend-Jetlag auslebt, klopfe ich lieber erst am Dienstag an“. […] Wer immer versucht, es dem Chef recht zu machen, ist bequem und lädt dazu ein, die Grenzen zu überschreiten. Brigitte Scheidt stellt klar: „Wenn ich nicht auf meine Grenzen aufpasse, wer soll es dann tun?“ Fordert der Vorgesetzte wieder einmal zu viel ein, dann hilft die deutliche Ansage: „Ja, das steht an, aber dann muss eine andere Aufgabe zurückstehen.“ Wer nicht nein sagen kann, der qualifiziert sich nicht für eine Leitungsaufgabe. Wird jemand jedoch allen gegenüber ausfallend, stellt er Sie bloß, beleidigt er Sie, dann ist es Zeit für die Frage: Kann ich das Unternehmen ändern, kann ich es aushalten, oder soll ich gehen? „Ist dieser Stil üblich, dann ist es kein Ort, an dem man bleiben sollte. Es gibt einfach auch schmutzige Ecken“, sagt Brigitte Scheidt.“ (Kals, U.: 2007). Kristin Schmidt schreibt in „Zeit-Online“ vom 15.02.2013 unter dem Titel „Wie ein moderner Manager ticken muss“ u. a. im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Finanzkrise auch einige bemerkenswerte Sätze zum gewandelten Anforderungsprofil der Manager und ihre Führungsaufgaben, die ergänzende Nähe zu den Texten von Ursula Kals vom Jahr 2007 zeigen: „Auch der Umgang mit Mitarbeitern ist enorm wichtig geworden. Während es vor der Krise darauf ankam, Aufgaben an die Angestellten zu verteilen und Anweisungen zu geben, ist es heute wichtiger den Mitarbeitern zuzuhören und sie zu motivieren. Ein zeitgemäßer Manager muss vor allem ein Kommunikator sein, der seine Angestellten vermitteln kann, dass Veränderungen auch Chancen bedeuten […] Die Angst um den Arbeitsplatz oder vor sinkenden Gehältern darf die Belegschaft nicht in Aufregung oder Resignation stürzen“ (Schmidt, K.: 15.02.2013; Internet: Manager)

Zu Beginn des vorliegenden Kapitels der Ausarbeitung wurde festgehalten, dass einerseits für Anforderungsprofile als Werkzeug der Personal- und

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12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit Abbildung 12.2: Erfolgreich Vorgesetzter sein Folgende Führungseigenschaften werden genannt: • Schnell zum Kern einer Sache kommen • Konzentration auf das Wesentliche • Fokussierung der Prioritäten • Schwierige Zusammenhänge klar erkennen • Kommunikations- und Überzeugungsfähigkeit • Augenmaß und Wirklichkeitssinn • selbständiges, unternehmenbezogenes Denken • ausgewogenes Urteilen und realistische Risikoabschätzung • proaktive Einstellung und Entscheidungsfähigkeit • Kreativität, Leistungs- und Gestaltungswillen • Zuhören können und Kritikfähigkeit • Problemlösetechniken und Konfliktmanagement • Diplomatie • Geduld und Gelassenheit • Pünktlichkeit und  Zuverlässigkeit • Kongruenz im Handeln • Motivations- und Begeisterungsfähigkeit • Delegationsfähigkeit

Abbildung 12.3: Führen – fördern – Chancen geben • Mitarbeiterführung heute: Fordern, fördern, Erfolgsvoraussetzungen schaffen. • „Untergebene“ oder Mitarbeiter? – Führungsverständnis und Führungsstil. • Voraussetzungen und organisatorischen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Führungsarbeit. • Grundlagen der Führungspsychologie für Vorgesetzte. • Tips für den Umgang mit schwierigen Mitarbeitern. • Was einen Vorgesetzten als Führungskraft erfolgreich macht. • Moderne Führungs- und Verhaltensgrundsätze für Vorgesetzten und Mitarbeiter. • Zum richtigen Verständnis der Führungsaufgaben. • Von der Theorie der Mitarbeitermotivation zur Praxis: Das, was wirklich geht. • Zielorientierung als zentrale Größe bei Führung und in der Zusammenarbeit. • Individuelle Verantwortung als Grundlage einer zeitgemäßen Führung und als wichtiger Motivator. • Führungs-Feedback von Ihren Mitarbeitern. • So sichern Sie den Informationsfluss in Ihrem Führungsbereich. • Prioritätenmanagement und effektives Delegieren. • Kontrolle muß sein – aber wie? • Stellenbeschreibungen und ihre Wirkung im Kontext einer modernen Führung. • Strategien für schwierige Führungssituationen. • Hilfen für die Umsetzung in der Praxis



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Führungsarbeit aus theoretischen sowie pragmatischen Gründen wenig spricht, andererseits neutrales und zeitgemäßes Anschauungsmaterial für spezifische Gestaltungen personeller Aufgaben hilfreich sein kann, quasi als Check-Liste. Dem dienen zusammengestellte Ausarbeitungen bzw. die verschiedene Beispiele, die gezeigt werden: Das Führungsverhalten erfolgreicher Vorgesetzter basiert u. a. auf Eigenschaften wie „geistige Beweglichkeit, Lernbereitschaft, Teamorientierung, Urteilsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein“ (Bernhard Tille, 2013). Das zeigt auch sein Schema Erfolgreich Vorgesetzter sein (Abb. 12.2). Unter der Themenstellung „Führen – fördern Chancen geben …“ kommt Klaus P. Beer als Managementtrainer zu einer Aufstellung, die Rückschlüsse auf Führungseigenschaften gibt (Internet: Beer, K. P.; Abb. 12.3). Eine nach Hauptgruppen von Anforderungen gegliederte Zusammenstellung bietet Leadion G + P Unternehmensberater, Düsseldorf (2013) an, u. z. in herkömmlicher und straffer Form (Internet: Leadion G + P Unternehmensberater, Abb. 12.4). Abbildung 12.4: Anforderungsprofil für Führungskräfte

1. Funktionale Kompetenz Aufgabenbezogenes Funktionswissen / -können •• •• •• •• ••

Fachübergreifende Kenntnisse Internationalität Problemlösungsfähigkeit Initiative Entscheidungsfähigkeit

2. Soziale Kompetenz •• •• •• ••

Einfühlungsvermögen Kommunikationsfähigkeit Kooperationsfähigkeit Konfliktbewältigung

3. Führungskompetenz •• •• •• ••

Führungsautorität Führungsverantwortung Führungsverhalten Überzeugungskraft / Durchsetzungsvermögen

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12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit

4. Strategische Kompetenz •• Ganzheitliches Denken und Handeln •• Fähigkeit zur Vision •• Unternehmerisches Umgehen mit Chancen und Risiken Zentrale Persönlichkeitsmerkmale: Urteilsvermögen, Kreativität, Engagement, Integrität, persönliche Ausstrahlung, Belastbarkeit Eine eigene Ausarbeitung des Autors „Top Manager. Erfolgsfaktoren – Schlüsselqualifikationen – Ethik“ rundet das vorliegende Kapitel ab (Schwan, K.: „Top-Manager ….; Internet): Abbildung 12.5: Top Manager. Erfolgsfaktoren – Schlüsselqualifikationen – Ethik

A. Erfolgsfaktoren für Manager: •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• ••

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort; Ideen; Kommunikationsfähigkeit; Ausstrahlung; Qualifizierte Mitarbeiter; „Vitamin B“; Organisationsstruktur; Aufgabenart; Fachliche Kompetenz; Konjunktur; Über 1,70 m groß … ☺; Ausbildung; Soziales Netzwerk; Vertrauen; Praxiserfahrung; Branche; Selbstsicherheit; Familie; Persönlichkeit; Humor; Wettbewerber; Markt; Belastbarkeit; Glück.



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B. E  mpirische Erkenntnisse über erfolgreiche Top-Manager: Typische Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen Persönlichkeitsmerkmale: •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• ••

Emotionale Stabilität, psycho-physische Belastbarkeit und Ausdauer; relativ gering ausgeprägte Lebensangst; seelische Ausgeglichenheit; optimistische Lebenseinstellung; überdurchschnittliche Intelligenz (noch „normal“); hohe Leistungsmotivation; systematisches, logisches-analytisches Denken; Urteilskraft; großes Selbstvertrauen; Intuition und Phantasie; Anpassungsfähigkeit; Kontaktfreudigkeit; Extraversion; Redegewandtheit; Macht- und Statusorientierung.

Soziodemographische Merkmale: •• Unterstützendes, harmonisches Elternhaus mit emotionaler Bindung; •• gute Beziehungen, zumindest zu einem Elternteil; •• keine Erstgeborenen, zumeist aus Mehrkinder-Familien (zumindest in den USA); •• Vater mit höherer Berufsposition (Manager, Selbständiger, leitender Angestellter, höherer Beamter); •• Hochschulstudium (Wirtschaftswissenschaften, Jura, Natur- oder Ingenieurwissenschaften, möglichst Promotion als Statussymbol); •• zumeist älter als 50 Jahre. Berufsbezogene Merkmale: •• Langjährige Berufspraxis, die meisten Berufsjahre in derselben Unternehmung bzw. beim selben Arbeitgeber, in derselben Branche und im gleichen Aufgabenbereich; •• erste leitende Position zwischen 30 und 40 Jahren; •• sehr gut informiert über ihre Berufsanforderungen und über ihr Unternehmen; •• mehr Generalist als Spezialist; •• relativ schneller, sich selbst verstärkender Aufstieg (ca. alle 5 Jahre, in den USA alle 3 Jahre);

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•• kooperative Beziehungen zu vielen Personen innerhalb und außerhalb des Unternehmens; •• gut informiert über Produkte, Märkte, Technologien, Wettbewerber, Gewerkschaften, Lieferanten, Kunden etc.; •• grundsätzlich positive Einstellung zur Informations- und Kommunika­ tionstechnologie im Büro (PC, Fax etc.), ohne sie selbst ausreichend zu nutzen (max. 30 % der Manager) – je älter sie sind, desto seltener ist die Nutzung; •• wöchentliche Arbeitszeit: ca. 50–70 Stunden; •• werden von einflussreichen Mentoren / Gönnern gefördert und sind durch einflussreiche soziale Netzwerke abgesichert (Verwandtschaft, Beiräte, Clubs: Rotary, Lions, Golf, Reiten, Tennis etc.; im Volksmund „Seilschaften“ „Vitamin B“); •• betreiben Eigenwerbung, gute Selbstdarstellung und Selbstinszenierung („Tue Gutes und rede darüber“ etc.). Führungsmodelle: •• strukturelle Führung: Unternehmensverfassung, Zielsystem, Controlling, Führungsgrundsätze, Aufbau- und Ablauforganisation, Stellenbeschreibungen, Beurteilungssystem etc.; •• interaktionale Führung: zwischenmenschliche Beziehungen, Delegation, Motivation, Information, Kommunikation, Förderung etc.; •• symbolische Führung: Normen, Werte, formale und informale Regeln, Usancen, Geist und Stil des Hauses, Statussymbole, rituelle Handlungen zu bestimmten Anlässen etc. Qualifikation und Schlüsselqualifikation von Spitzenkräften: Qualifikation = Summe berufsbezogener Eigenschaften, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Werte und Verhaltensweisen einer Person; Schlüsselqualifikation = a) Die Eignung für eine große Zahl von Positionen und Funktionen als alternative Optionen zum gleichen Zeitpunkt und b) die Eignung für die Bewältigung einer Sequenz von (meist) unvorhersehbaren Änderungen von Anforderungen im Lauf des Lebens.



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Grundsätzliche Wertorientierungen: 1. Die Würde des Menschen ist Ausgangs- und Endpunkt aller Handlungen, 2. der Mensch trägt die Verantwortung für die Natur und 3. der Mensch ist Teil der Natur. ( vgl. Fromm 1982; Wunderer / Grunwald 1980; Lay 1989; Zürn, 1991; Lenk / Ropohl 1987; Lenk / Maring 1992) C. Prüfkriterien für Auswahl und Förderung von künftigen Top-Managern Fachliche Qualifikation (die Sache selbst): •• Kenntnis der Inhalte und Methoden des Fachgebietes; •• Grundkenntnisse der Informations- und Kommunikationstechnologien; •• Offenheit für neue Ideen, Konzepte, Prozesse und Strukturen im Fachgebiet und angrenzender Disziplinen. Strategische Qualifikation (ganzheitliches und visionäres Denken): •• Mehrdimensionales, kreiskausales, ganzheitliches Denken; •• Denken in Neben- und Spätfolgen sowie Rückkoppelungen (systemisches Denken); •• Denken in Tendenzen und Interdependenzen anstatt in monokausalen, linearen, kurzzeitigen Beziehungen; •• Denken in Problem- und Lösungshierarchien, in Alternativen und deren Konsequenzen; •• Sensibilität für „weiche“ und „harte“ Veränderungs-Indikatoren innerhalb und außerhalb des Unternehmens; •• Unterscheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen (wichtig – dringlich); •• Zukunftsorientierung, Interesse an realistischen Utopien; •• Umgang mit Komplexität, Unsicherheit, Ungewissheit, Mehrdeutigkeit, Rationalität und Irrationalität (Information, Menschen, Problemen, Situationen etc.); •• globales, interkulturelles Denken und Handeln; •• adäquater Einsatz von Experten; •• Berufserfahrung in möglichst unterschiedlichen Unternehmen. Methodische Qualifikation (Mitteleinsatz): •• individuelle Arbeitstechniken: Zeitmanagement, systematisches Planen, Prioritäten setzen nach Dringlichkeit und Wichtigkeit.

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12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit

•• Entscheidungs-, Problemlösungs- und Kreativitätstechniken: Kosten-Nutzen-Analyse; Statistik (deskriptiv – analytisch); Brainstorming; Delphi-Methode; Szenario-Methode. •• Gruppenarbeitstechniken: Kenntnis der sozialpsychologischen Kleingruppenforschung (Gruppendynamik, Strukturen /  Prozesse in Projektgruppen, Qualitätszirkel, Teams); Moderation von Sitzungen / Arbeitskreisen; Visualisierung; Präsentation; Rhetorik (Vortrag, Verhandlung, Diskussion, Debatte). Kommunikative / soziale Qualifikation (Umgang mit Menschen): •• Persönliches Wertsystem, innere Grundhaltung, Persönlichkeitsmerkmale; Fähigkeit zur Selbstöffnung, Aufrichtigkeit, Authentizität, Glaubwürdigkeit (Übereinstimmung von Denken, Fühlen, Sprechen und Handeln), Zivilcourage; Selbstachtung, Gerechtigkeitsempfinden, emotionale Stabilität, Selbstvertrauen, Humor (sich selbst nicht zu ernst nehmen!), Bedürfnis nach lebenslangem Lernen; •• Auseinandersetzung mit der eigenen Person. Motto: „Nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere führen!“ Kenntnis der persönlichen Stärken und Schwächen, Fähigkeit zur Selbstkritik, konstruktive Verarbeitung eigener Erfolge, aber auch Misserfolge und Defizite; Wirkung des eigenen Verhaltens auf andere (Erkennen eigener Anteile an Problemen und Konflikten); konstruktiver Umgang mit eigenen Ängsten, Unsicherheiten, Minderwertigkeitsgefühlen, Illusionen und Allmachtsphantasien; Vorbild sein können und wollen; Selbstbeherrschung und Askese („Führen heißt dienen!“); Mut zur Demut; •• Zwischenmenschliche Beziehungen: Einfühlung in andere; Fähigkeit, Gefühle zu zeigen und anzusprechen; Freude am Umgang mit Menschen, auch aus anderen Kulturen;



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Kommunikationsfähigkeit in unterschiedlichen Rollen und Situationen; Teamfähigkeit; Fremdsprachen / Auslandserfahrung, kosmopolitische Einstellung; Repräsentant des Unternehmens nach innen und außen. D. Soziale Verantwortung (Ethik und Moral im täglichen Handeln) •• Grundkenntnisse der Ethik-Lehren: Technikethik: technischer Fortschritt um jeden Preis? (Stichwort: Lebensqualität); Wissenschaftsethik: Nuklear- / Genforschung, Tierversuche, Auftragsforschung usw. unter der Fragestellung von Sinn und Verantwortung; Medizinethik: Eid des Hippokrates, Apparatemedizin, Gentechnologie, Organverpflanzung; Sozialethik: Untersuchung / Beobachtung der sittlichen Normen (Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens). Goldene Regel: „Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füge auch keinem andern zu“; Kardinaltugenden: z. B. Weisheit, Mut, Gerechtigkeit, Besonnenheit, Mäßigung. Ethiken: Klassische Ethik – Wirtschaftsethik – Unternehmensethik – Führungsethik. •• Kenntnis und Beachtung der Wirtschafts- und Unternehmensethik: Zielkonflikte (Ökologie vs. Ökonomie, Betriebswirtschaft vs. Volkswirtschaft, Arbeitsleistung vs. Arbeitszufriedenheit); Umweltverträglichkeit von Produktion und Produkten; Sozialverträglichkeit neuer Technologien; Normen und Werte der Unternehmensverfassung; Entgelt- und Beförderungsprinzipien; Gewinnverteilungs-Prinzipien; Mitbestimmungs-Prinzipien; •• Kenntnis und Beachtung der Führungsethik: Sozialethische Gebote (Goldene Regel, kategorischer Imperativ); Verantwortungsarten: universal-moralische Verantwortung (z. B. Goldene Regel); Aufgaben- und Rollenverantwortung (Rechte und Pflichten aus der Rolle); Kausal-Handlungsverantwortung (eigenes Tun oder Unterlassen); Präventionsverantwortung (Abwendung von Störungen / Schäden); Rechtliche Verantwortung (aufgrund bestehenden Rechts);

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12. Profile für zeitgemäße Führungsarbeit

Zukunftsverantwortung (Fern- / Spätwirkung auf nächste Generationen); Sozialethische Führungsprinzipien (kooperative Führung, gerechte Konfliktregelung, Mitentscheidung, Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter). E. E  rgebnisse einer empirischen Untersuchung an deutschen Top-Managern im Zusammenhang mit der Personalentwicklung (N = 602, Rücklaufquote ca. 32 %, 1992): 1. Die Anforderungen an die Top-Manager werden nach deren Selbsteinschätzung tendenziell steigen. 2. Durch die Dynamik der Umwelt werden sich die Anforderungen an TopManager verlagern. 3. Strategische Fähigkeiten sowie solche, die im Zusammenhang mit der zunehmenden Globalisierung zu sehen sind, werden immer mehr an Bedeutung gewinnen. 4. Die Weiterbildung und die Entwicklung des Top-Managements erfolgt derzeit noch zu wenig mit einer entsprechenden konzeptionellen Vorgangsweise, da das entsprechende Know-how häufig nicht vorhanden ist. 5. Eine zentrale Aufgabe des Personalmanagements wird es sein, Weiterbildungskonzepte, welche längerfristig und integraler Bestandteil der Unternehmenskultur sind, auch für Top-Manager zu entwickeln und zu implementieren.

13. Führungsmodelle Modelle der Führung definiert Ottmar Schneck wie folgt: „Modelle, Konzepte oder Prinzipien der Führung, die geschlossene Aussagesysteme zur Konkretisierung einer Führungsphilosophie bezüglich der Ziele und einsetzbaren Mittel der Führung darstellen. Sie beeinflussen damit maßgeblich den Führungsstil. Den Handlungsempfehlungen und Verhaltensnormen der Modelle liegen i. d. R. wenige oder keine empirisch gesicherten Erkenntnisse über die Effizienz dieser Modelle zugrunde. Im Sinne des Situativen Ansatzes kann davon ausgegangen werden, dass es kein Optimales, für alle Betriebe stets anwendbares Führungsmodell gibt, sondern dieses vielmehr von dessen Situation (Umwelt), z. B. dem Leistungsprogramm, der Größe und dem Alter der Unternehmung abhängt.“ (Schneck, O.: 2003, S. 377). Nach Oswald Neuberger kann die vorhergehende Definition inhaltlich durch sechs Punkte seiner Führungsdefinition ergänzt werden (Walenta, C., Kirchler, E.: 2005a, S. 412): •• Führung ist ein Gruppenphänomen und schließt die Interaktion zwischen zwei oder mehreren Personen ein. •• Führung ist intentionale soziale Einflussnahme. •• Führung zielt darauf ab, durch Kommunikationsprozesse Ziele zu erreichen. •• Führung ist die Durchsetzung von Herrschaft auf dem Weg der Motivierung. •• Führung ist Steuerung und Gestaltung des Handelns anderer Personen. •• Führung ist ein Prozess der Ursachenzuschreibung an individuelle soziale Akteure. Nach traditioneller „Auffassung stellt eine Theorie ein konsistentes, logisch widerspruchfreies Aussagesystem dar, das empirisch bestätigt oder nicht widerlegt wurde. Die Forschung zeigt jedoch, dass die Wechselwirkungen zwischen Theorie und Empirie von einer Vielzahl an Faktoren (z. B. Persönlichkeit und Status des Forschers, Einfluss dominierender Denkschulen, Interessen der Auftraggeber) bestimmt ist. Der prinzipiellen Fehlbarkeit der menschlichen Erkenntnis wird in der als theoretischer Pluralismus [Anmerkung des Autors: die letzten zwei Worte sind im Original fett gedruckt] bezeichneten wissenschaftstheoretischen Position Rechnung getra-

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gen. Weil man – insbesondere bei komplexen sozialwissenschaftlichen Fragestellungen – „nie sicher sein kann, dass eine einzige Sichtweise die Realität zutreffend zu erfassen in der Lage ist“, wird vorgeschlagen, „Alternativen bewusst zuzulassen bzw. deren Entwicklung normativ zu fordern“ (Wunderer, R.: 2001, S. 270). Kurz gesagt: Relativierungen sind nötig und möglich. Beispielsweise liegt nahe, dass jeweils vorhandene zeitgeistige Strömungen sich auch substantiell in Modellen der Führung wiederfinden, und zwar auch mit widersprüchlichen Inhalten, da in pluralistischen Gesellschaften unterschiedliche Vorstellungen bestehen und zum Ausdruck gebracht werden können. Definitionen der Modelle der Führung gibt es in der Führungsforschung in enormer Zahl, die nur schwer überschaubar sind und selbst Fachleuten gelingt es kaum, diese in einer einigermaßen schlüssigen Art und Weise zu strukturieren (s. a.: Walenta, C., Kirchler, E.: 2005a, S. 411; s. a. Schneck, O., 2003, S. 377). Ein Modell der Führung hat jeweils den Charakter eines theoretischen Konstrukts. Bei der Vielzahl, Unterschiedlichkeit der Verhältnisse und deren Veränderung bei Unternehmen, Organisationen und anderen Einrichtungen können Modelle der Führung einerseits eine wertvolle Orientierungshilfe sein. Sie sind aber andererseits ungeeignet, quasi 1:1 ein- und umgesetzt zu werden. Die hohe Komplexität der Führung und deren Veränderungsdynamik schließt das aus. Dennoch: Autoren, Berater, schillernde und oft selbsternannte Experten, freundschaftliche Ratgeber usw. behaupten häufig aus unterschiedlichen Motiven, mit ihrem „Modell“ gerade das denkunmögliche zu schaffen und daher „Erfolge“ quasi garantieren zu können. Dahinter steht die zwingende Voraussetzung und oft unausgesprochene Arbeitshypothese, dass der oder die Anwender das gepriesene Modell fehlerfrei einführen und handhaben, was jeder Lebenserfahrung widerspricht. Allein die Fakten der Komplexität und der nicht vorstellbaren perfekten Modellumsetzung bei stets veränderlichen Bedingungen stünden im Widerspruch zu solchen genannten Behauptungen. Kurzum, das ist und bleibt gelinde gesagt Unfug, vor dem nicht grundlos die eingangs zitierte Definition des Begriffes Führungsmodell warnt. Manches was als das neueste, beste und vor allem geradezu unverzichtbare Modell der Führung gepriesen wird, ist vielfach ein aufgeputzter „alter Hut“ mit neuem Etikett. Ein Blick zurück in die uralte Praxis der Führung belehrt daher rasch eines Besseren. Ernst Zander (1927) gibt dazu einige eindrucksvolle Beispiele: Vom 4. Römischen Kaiser Claudius (10 v. Chr.–54 n. Chr.) wurden folgende Worte überliefert: „Vor allem kam es mir darauf an, das Verantwortungsgefühl jedes Beamten, jedes Untertanen zu stärken. Das tat ich nicht nur, um einen



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zuverlässigen Regierungsapparat zu bekommen, sondern nach meiner Beobachtung bedeuten Stärken und Mehren der Verantwortung eine erhöhte Leistung.“ Oder: Die Mönchsregeln des Heiligen Benedikt von Nursia (um 480–547) enthalten beispielsweise folgende Texte: „… Wenn also einer den Namen Abt annimmt, muss er seinen Jüngeren in doppelter Weise als Lehrer vorstehen […] Er mach im Kloster keinen Unterschied der Person. Er liebe den einen nicht mehr als den anderen, außer er fände bei ihm mehr Tugend und Gehorsam. […] Je nach Zeit und Umständen verbinde er Strenge mit Milde, zeige die ernste Haltung des Meisters, die gütige des Vaters. […] Die Brüder sollen zur Beratung bei Entscheidungen herangezogen werden. […] Und er höre den Rat der Brüder an, überlege dann bei sich und tue, was nach seinem Urteil das Nützlichste ist. …“ (Zander, E. et al.: 1972, S. 39 und 42). Auch Alfred Kieser berichtet vom ältesten bekannten „ManagementLeitfaden“ aus dem Alten Ägypten, etwa aus der Zeit 2700 v. Chr., die den 20 Jahre dauernden Bau der größten Pyramide betrifft, die Cheops-Pyramide und das einzige der noch erhaltenen Sieben Weltwunder der Antike ist. Bei der Errichtung des Bauwerkes waren etwa 100.000 Männer beschäftigt. Folgende Regel wurde überliefert: „Solltest Du einer von denen sein, an den Petitionen herangetragen werden, so höre Dir in Ruhe an, was der Antragsteller zu sagen hat. Weise ihn nicht zurück, bevor er sich enthüllen konnte und gesagt hat, weswegen er gekommen ist […] Es ist nicht notwendig, dass alle Bitten gewährt werden, aber gutes Zuhören ist Balsam für das Herz.“ (Kieser, A., Autor und Hrsg., 1999, S. 65). Besonders eindrucksvoll sind einige Zitate von Kieser aus der Zeit des Beginnes der Industrialisierung etwa ab 1830: Der elsässische Fabrikant Dieterle erklärte anlässlich einer Konferenz über die Arbeiterfrage in Bonn im Jahre 1870: „[In] uns müssen wir Arbeitgeber den Schaden und die Heilung suchen. Die Hauptsache ist, dass Arbeiter und Arbeitgeber moralisch und menschlich wieder zusammen kommen; der soziale Riß ist entstanden dadurch, dass sie einander fremd wurden; nun ist das die Aufgabe, dass wir die Herzen der Arbeiter wieder gewinnen, und die Herzen gewinnt man dadurch, dass man sein Herz gibt.“ Ein ähnliches Beispiel enthält die Zeitschrift eines Kreises evangelischer Unternehmer, genannt „Concordia“, aus dem Jahr 1872: „Dem Hochmuth, der Lieb- und Herzlosigkeit von oben […] antwortet der Hass, der Neid, der Trotz und die Rachsucht von unten […] Der Mensch ist eben kein Stück Holz oder Eisen, er ist auch kein Ochs oder Esel, den man bloss um’s Futter an seinen Wagen spannen kann […] ein Jeder bringt ein Stück Herz und Gemüth mit, das je nach seiner Behandlung entweder eine heitere oder eine finstere, eine saure und zuletzt bittere Stimmung annimmt […] Die Zufriedenheit unserer Arbeiter liegt in unserem wohlverstandenen eigenen Interesse“ (Kieser, A.: 1999, S. 102).

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Die zitierten Texte stammen nicht aus Modellen der Führung. Sie repräsentieren vermutlich auch nicht durchgängige Haltungen zur Führungspraxis in den genannten Zeiten. Sie zeugen von Postulaten für Orientierungen – also ungeschriebenen oder geschriebenen Paradigmen –, die den Zweck der Verwirklichung von für richtig gehaltenen Führungsvorstellungen hatten. Darin haben sie Ähnlichkeiten mit Führungsmodellen von heute und sprechen zudem substantielle Themenbereiche an, die über alle Zeiten hinweg in der heutigen Gesellschaft und Wirtschaft nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Daher sollten die alten wie die neuen erfolgversprechenden „Hüte“ gut geprüft werden, ob sie wirklich nach Aktualität, Design und Größe passen und der Orientierung für unser Denken, Fühlen und Handeln hilfreich sein können. Wenn Veränderungen in Bereichen der Führungspraxis bei Chefs, Führungskräften und Mitarbeitern notwendig erscheinen, was ja sehr häufig der Fall ist, kann Orientierung und Hilfe durch Modelle der Führung sicher förderlich sein und sollte als Anregung genutzt werden. Konkrete Veränderungsumsetzungen und deren Akzeptanz in einem Unternehmen oder einer anderen Einrichtung, sind jedoch Schritt um Schritt und mit Rücksicht auf die jeweiligen spezifischen Verhältnisse von den Beteiligten und Betroffenen möglichst gemeinsam zu finden und zu realisieren. Erfahrungsgemäß ist das aufwendig und braucht Zeit. Das Suchen und Praktizieren einer klugen Vorgehensweise ist eine essentielle Voraussetzung, um sich dabei erfolgversprechenden Visionen und Zielen einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit zu nähern. Solche Vorhaben sind fast immer typische Prozesse und Ereignisse einer „lernenden Führung und Organisation“, die in möglichst partnerschaftlicher Art und Weise erfolgen sollen. Sie sind erfahrungsgemäß sehr selten im Vorhinein von A–Z genau planbar. Auf dem Weg zum Ziel sind daher mit Offenheit und Flexibilität Räume zu schaffen für sinnvolle, evolutionäre und innovative Anpassungen und Optimierungen. Entgegen der gelegentlichen Vorstellungen, Modelle der Führung seien Entwicklungen der Zeit nach dem 2. Weltkrieg oder auch später, ist festzuhalten, dass einmal – wie kurz gezeigt – wesentliche inhaltliche und verfahrensmäßige Elemente von Führungsmodellen seit der uralten Existenz von Führungsaufgaben bestehen, welche nach wie vor als Kernaussagen aus längst vergangenen Zeiten dennoch gegenwärtig aktuell sind. Ob dabei bereits von durch Theorien gestützten Aussagesystemen ausgegangen werden kann, sei zumindest mit Blick auf die sehr frühen Quellen dahingestellt. Das ist für die heutige Führungspraxis auch nicht so wesentlich. Für Wirtschaftshistoriker sind das hingegen spannende Themen. Ein gesunder Menschenverstand, Talente der Sensitivität und Sensibilität, Erfahrung mit Menschen und humane Kultiviertheit im Umgang mit Mitarbeitern seitens der Führungskräfte bewirken erfahrungsgemäß häufig eine weit bessere Führung



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und Motivation, als es Führungstheorien und Führungstechniken sowie allein die Ratio der Verantwortlichen vermögen. Der Grund ist sehr einfach: Verhaltensbedingte Qualitäten einer Führungspersönlichkeit sind stabiler und wesentlicher für Führungserfolge, als theoriegeleitete Führungstechniken. Manche Manager frequentieren beispielsweise Führungsseminare ohne wirklich danach eine gute oder gar hervorragende Führungsarbeit zu leisten, was Führungstalenten jedoch sehr oft ohne Aus- und Weiterbildungsstützen hervorragend gelingt. Ob ein Bewerber für eine Funktion mit Führungsaufgaben über eine umfängliche Sammlung von Nachweisen über absolvierte Führungsseminare verfügt, muss nicht heißen, dass er gut führen und motivieren kann oder diese Funktionen nach gezeigten Führungsschwächen und nachgeschobenen Führungstrainings signifikant verbessert hat. Bei nachhaltig schlechten Führungsergebnissen erweist man der dafür verantwortlichen Führungskraft und den ihr anvertrauten Mitarbeitern einen schlechten Dienst, wenn man sie nicht von Führungsaufgaben befreit. Die Führungskraft leidet unter ihrem Führungsversagen, wird unsicher, verfehlt gesetzte Ziele, bekommt Ängste und fürchtet sich, gerät in Stress bis hin zu Burn-out-Syndromen und es gilt: „Das Einzige was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst“ (Franklin D. Roosevelt, 1882–1945), die gute Ideen verdrängt und Handeln lähmt. Andererseits, werden Mitarbeiter durch ausgeprägte Führungsschwächen ihres Vorgesetzten unter ihrem Wert geschlagen, sehen ihre beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten sinken, ihre Arbeitsfreude schwindet und Spannungen steigen usw. Natürlich muss etwas gegen solche gravierende Probleme unternommen werden. Ist beispielsweise die betroffene Führungskraft eine gute Fachkraft und ein Positionswechsel im Betrieb möglich, sollte die Alternative der Versetzung des Vorgesetzten auf eine Sachfunktion ohne oder mit sehr wenigen Führungsaufgaben ernsthaft geprüft werden. Damit werden bessere, da von der Last der fehlenden Führungsfähigkeiten befreite, berufliche Möglichkeiten geschaffen. Das nützt dem Betrieb, der bisherigen Führungskraft und den Mitarbeitern. Die Chancen der Verbesserung fehlender Verhaltensvoraussetzungen sind erfahrungsgemäß sehr begrenzt und damit die Prognose für die Lösung entstandener Führungsprobleme schlecht. Liegen vornehmlich führungstechnische Probleme vor, für deren Bereinigung eben keine oder kaum Verhaltensprobleme zu bewältigen sind, sollte es leichter gelingen, zügig und konsensual Lösungen zu erzielen. Eine Schlüsselfrage bei der Lösung solcher und ähnlicher Probleme liegt folglich in der sehr sorgfältig zu findenden Antwort darauf, ob die Problemursachen ihre überwiegenden Schwerpunkte im Führungsverhalten oder in der Führungstechnik haben. Dieser Diagnoseansatz eröffnet bei Führungsproblemen generell wertvolle Lösungschancen, die in der Praxis leider oft übersehen oder auch gescheut werden. Letzteres geschieht, da hierfür verantwortliche und so han-

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13. Führungsmodelle

delnde Manger erfahrungsgemäß häufig wenig Bereitschaft zeigen, quasi in die „Persönlichkeitssphäre“ eines ihnen zugeordneten und anvertrauten Mitarbeiters einzugreifen, was bei einer echten Lösung verhaltensbedingter Problemstellungen kaum vermeidbar ist. Lieber greifen sie zu Scheinlösungen, schauen z. B. auf den Organisationsplan, um weniger diffizile, sprich für sie angenehmere Auswege auf einer organisatorischen Lösungsebene zu entdecken. Kurzum: Eine solche funktionell untaugliche Vorgehensweise ist und bringt keine Lösung und birgt in sich vielmehr das Risiko, nicht nur ein sondern mehrere ungelöste Führungsprobleme zu haben oder zu bekommen. Darunter auch jenes, dass der Manager bei seiner Führungsaufgabe der Problemlösung schlicht und einfach versagt. Hinter der Scheu richtig zu handeln steckt, wie schon erwähnt, einmal oft die Unsicherheit des Vorgesetzten darüber, wie weit er quasi in die Intimsphäre eines Mitarbeiters eindringen darf, was tatsächlich ein diffiziles und problematisches Thema darstellt. Zweitens sind die Risiken einer notwendigen Intervention aus der Sicht der Führungskraft nicht unbedingt leicht einzuschätzen und es ist nachvollziehbar, dass er auch deshalb versucht, solche Vorgehensweisen zu vermeiden, auch um den Preis suboptimaler oder falscher Lösungen. Bei zeitgemäßen und offenen Führungsverhältnissen in einem Unternehmen und anderen Einrichtungen oder sinngemäß in entsprechenden Beziehungen zwischen dem Vorgesetzten eines Managers, der an einem Führungsproblem beispielsweise zu scheitern droht, hätte der Vorgesetzte die Aufgabe, seinen betroffenen Manager zu unterstützen, wenn er von sich aus eine schwierige oder gefährliche Führungssituation erkennt. Ebenso müsste es dem Manager möglich sein, vertrauensvoll und ohne Ängste seinen Vorgesetzten um Hilfe zu bitten. Führung hat in diesem Sinne stets dem Paradigma zu folgen, den dem Vorgesetzten anvertrauten Geführten mit humaner Zuwendung und gebotener Unterstützung bei seinen Funktionserfüllungen erfolgreicher zu machen. Dabei ist es natürlich egal, ob es um Führungsoder Sachaufgaben geht. Das muss eine Kernintention der Führung und Motivation sein, die x-fach wichtiger ist als die Beherrschung vieler ausgetüftelter Führungstechniken. Mit Beginn der Industrialisierung etwa um 1830 – in England erfolgte diese bereits etwas früher – entstanden unterschiedliche Theorien, die den Namen Modelle der Führung beanspruchen können, wie beispielsweise den Taylorismus bzw. das Scientific Management, womit auch umfangreiche Führungs- und Organisationsfragen aufgegriffen und dazu stringente Empfehlungen kreiert wurden. Frederik Winslow Taylor, der Begründer der Richtung, lebte von 1856 bis 1915 (s. a.: Kieser, A.: 1999, S. 65 und S. 75–83). Auch Kieser vertritt diese Ansicht und begründete sie sehr fundiert, umfangreich und hält u. a. fest: „Eine bestimmte Art der Managementlehre gibt



13. Führungsmodelle487

es, seit sich die Menschen bewußt mit der Gestaltung von Arbeit beschäftigen. Ihr liegt die folgende „Methode“ zugrunde: Man identifiziert gute, d. h. bewährte Praxis und versucht, diese in Regeln zu fassen, damit andere sie ebenfalls verwirklichen können. So entstehen Leitfäden für Praktiker „(Kieser, A.: 1999, S. 65). Modelle der Führung greifen einmal Themenbereiche auf, die immer bestanden und ergänzen diese häufig um Themen, die neu und aktuell sind. Seit einigen Jahren sind beispielsweise Themen wie Globalisierung, Innovation, Netzwerke und Informationstechnologie hochaktuell geworden und beeinflussen direkt oder indirekt auch die Personal- und Führungsarbeit. Dadurch sind sie auch relevant für Modelle der Führung. Bestehende Modelle können an die neuen Themen angepasst werden, es kann zu neuen Modellen kommen und bisherige Modelle verlieren ihre Bedeutung und leben lediglich in der Fachliteratur weiter, aber verschwinden teilweise oder ganz aus der Wirtschaftspraxis. Auch Führungsvorstellungen unterliegen einem Wandel, der häufig tiefgreifende Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft ausübt und somit ebenfalls essentielle Auswirkungen auf Führungsmodelle hat. An anderen Stellen der vorliegenden Ausarbeitung wurde das am Problemkreis Neoliberalismus versus Ordoliberalismus bzw. Ökosoziale Marktwirtschaft dargestellt. Die Konzeptionen unterscheiden sich vielfältig und die Differenzen hatten, wie der Verlauf und die Folgen der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 zeigten, enormes Gewicht mit verheerenden Auswirkungen. Die engagierte österreichische Beraterin Ruth Seliger hat diese Fragestellungen aufgegriffen und dazu Stellung genommen: Die Modelle der Führung der vergangenen Jahre waren demnach bestimmt durch relativ stabile Führungssituationen, die sich jedoch seit einigen Jahren durch verschiedene Entwicklungen stark in ihr Gegenteil veränderten. Auf diese Entwicklung wurde an anderen Stellen dieser Ausarbeitung eingegangen und gezeigt, dass etwa ab Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhundert die zunehmende Dominanz neoliberaler Ideen begann, die der zuvor hoch entwickelten Personal- und Führungsarbeit aufs Äußerste geschadet haben und wovon sie sich bis heute (Mitte 2015) noch nicht erholt hat. Nun erleben viele Führungskräfte, wie durch aktuelle Führungsmodelle – die jedoch an substantieller Qualität und Aktualität stark verloren haben und zudem neue Entwicklungen unberücksichtigt ließen – die Personal- und Führungsarbeit stark bestimmt wurde, allerdings ohne den Veränderungen der Führungsverhältnisse auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Die Folgen sind geringere Erfolge, Unsicherheiten und Ängste aus Desorientierung usw. Neue Zeiten und veraltete Konzepte führen zwangsläufig zu Problemen. In Umbruchszeiten, wie den gegenwärtigen, reflektieren über-

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holte Modelle der Führung teilweise ein Spiegelbild vergangener Verhältnisse in Gesellschaft und Wirtschaft. Ihre Fähigkeit Orientierungen zu geben verringert sich, da ihre essentielle und effektive Anpassung unterblieb und damit ihre funktionelle Legitimation schwindet. Hinzu kommt, dass Modelle der Führung oder Ableitungen davon für die Praxis von Unternehmen und anderen Einrichtungen naturgemäß meist eng verbunden sind mit organisatorischen Regelungen. Letztere wiederum stehen in Wechselbeziehung mit Funktionen der Führung und Motivation und bestimmen erheblich den Rahmen der Führungstätigkeiten und Führungsmöglichkeiten. Organisationsanpassungen erfolgen durch Interventionen, und zwar erfahrungsgemäß meist erst dann, wenn die Veränderungsnotwendigkeiten bereits als dringend oder auch schon längst überfällig erscheinen, d. h. selten optimal und prospektiv. Die Anpassungen und ihre Umsetzung in die Praxis benötigen erfahrungsgemäß erhebliche Zeit. Da solche Prozesse daher in der Praxis regelmäßig reaktiv und zeitaufwendig verlaufen, erfolgen die Interventionen zur Anpassung der Führungsverhältnisse fast nie zum optimalen Interventionszeitpunkt, sondern regelmäßig zu spät. Daraus ergibt sich ein Dilemma doppelter Art, nämlich für Führung und Organisation: Erforderliche Interventionen erfolgen – wie fast immer und überall – nicht rechtzeitig und ihr suboptimaler Zeitpunkt ist gleichbedeutend mit Verlusten aus verschleppten Nutzungen und bereits eingetretenen Mängeln, die bei rechtzeitigen Anpassungsmaßnahmen möglicherweise vermeidbar gewesen wären. Kurzum, chancenreiche Entwicklungen werden verzögert, Wettbewerbsverbesserungen möglicherweise vertan usw. Das kann gefährlich und sogar existentiell an den Kern von Unternehmen, Organisationen und anderer Einrichtungen gehen. Sie verlieren in schwierigen und schnelllebigen Zeiten an Substanz und Wettbewerbsfähigkeit (s. a. Seliger, R.: 2004; Internet: Führungskrise). Krisen für Modelle der Führung und Motivation, wie sie durch die neoliberalen Ideen entstanden, sind dann zu befürchten, wenn generell bzw. in breitem Umfang Entwicklungen – wie sie kurz beschrieben wurden – sich ausbreiten. Besonders tritt das ein, wenn einmal Führung und Organisation gleichermaßen davon betroffen sind und zweitens die notwendigen Anpassungen in einem oder vermutlich in beiden Bereichen verschleppt wurden. Diese Konstellation ist meist gegeben. Die Veränderung der Führungsmodelle und in der Folge auch der Organisationen von Unternehmen und anderen Einrichtungen durch den Einfluss von neoliberalen Ideen und deren Umsetzung waren zweifellos eine extreme Entwicklung, die sich über mehr als 30 Jahre erstreckte, nämlich für die Zeit etwa des Jahres 1975 bis zum Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Die neoliberale Ideen und ihre negative Macht wurden weit unterschätzt. Mittlerweile bestehen in Forschung und Politik keine Zweifel mehr, dass diese Ideen einmal Haupt-



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verursacher der schwersten Krise seit der 2. Weltwirtschaftskrise 1928–1932 waren und zweitens die Krise längst noch nicht beendet ist. Ein Blick auf die weltweiten Arbeitslosenraten, Konjunkturverläufe, kaum vorstellbare Vermögensverluste, Verarmungstendenzen, soziale Ungerechtigkeiten usw. lassen daran keinen Zweifel und diese Fakten ändern sich auch nicht durch die kläglichen Versuche politischer Gesundbeter. Die bis zum Ausbruch der Krise entstandenen mentalen Schäden, die durch Jahre in den Köpfen und Herzen der Menschen entstanden sind, werden nicht kurzfristig zu heilen sein. Die 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007 dauert bereits zum Ende 2014 die 1,75-fache Zeit wie die Krise der Jahre 1928–1932 und ihr Ende ist noch nicht abzusehen. Im Sommer 2015 ist der Zeitraum offen, bis zu dem einigermaßen wieder von normalen konjunkturellen Verhältnissen gesprochen werden kann, die unterschiedlichen Probleme der Arbeitslosigkeit besser gelöst sind, einigermaßen geordnete Verhältnisse der Finanzwirtschaft in der Wirtschaft, den öffentlichen Haushalten einschließlich staatsnaher Unternehmen und anderen Einrichtungen der Öffentlichen Hände und der breiten Bevölkerung gelöst sind. Bei den wichtigsten Korrekturen der erforderlichen Einkommens- und Vermögensverteilungen sollte zumindest begonnen worden sein, gerechtere Lösungen zu erreichen. Vielleicht wird das bis 2018 erreicht, also rund nach einem Dutzend an Jahren seit dem Ausbruch der 3. Weltwirtschaftskrise ab 2007. Die Kriterien der Krisenbewältigung sind damit sehr weit von idealen Verhältnissen entfernt skizziert. Die Tilgungen der enormen Billionen-Summen in Euro, Dollar, Pfund, Schweizer Franken usw., die noch unsere Kinder und Enkel zu zahlen haben werden, beginnen vielleicht dann gerade geleistet zu werden. Sie müssen aus erwirtschafteter Substanz erbracht werden und können naturgemäß nicht mit faulen, vermutlich aber unausbleiblichen Finanzierungsmanipulationen getilgt werden, mit denen Schulden nur verschoben und durch Zinsstundungen erhöht werden. Die Gefahr von Währungsschnitten – ob schleichend oder schlagartig – auf dem Rücken der Bürger liegt auf der Hand! Nachfolgend werden abschließend zum Kapitel 13. Führungsmodelle ein aktueller, substantieller und mit der Organisation verknüpfter Überblick über Führungsmodelle gegeben, strukturiert nach Entwicklungsstufen, kulturellen und ethischen Aspekten (Internet: Führungsmodelle):

Quelle: http: /  / www.agentur-aim.com / downloads / folienuni / managementmodelle.pdf.

Abbildung 13.1: Neuzeitliche Führungsmodelle (1) 490 13. Führungsmodelle

Abbildung 13.2: Neuzeitliche Führungsmodelle (2) 13. Führungsmodelle491

Abbildung 13.3: Neuzeitliche Führungsmodelle (3) 492 13. Führungsmodelle

Abbildung 13.4: Führungsmodelle und kulturelle Aspekte 13. Führungsmodelle493

Abbildung 13.5: Führungsmodelle und ethische Grundlagen (1) 494 13. Führungsmodelle

Abbildung 13.6: Führungsmodelle und ethische Grundlagen (2) 13. Führungsmodelle495

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Personenverzeichnis Adams, Jean Stacy  331 Aiginger, Karl  101 f. Alderfer, Clayton  330 f. Alesina, Alberto  135 f. Altmann, Gerhard / Fiebiger, Heinrich /  Müller, Rolf  406 Argyris, Chris  329 Aristoteles, 384 v. Chr.–322 v. Chr.  409 Arndt, Hans  120 Asmussen, Jörg / Szigetvari, Andras  83 Bauer, Kurt  121 Becker, Annegret / Becker, Henning  371 Beer, Klaus P.  472 Belke, Ansgar  67 f., 126, 138 Benedikt von Nursia, 480–547, 483 Biedenkopf, Kurt  219 Blanchard, Olivier  132 Bleicher, Knut  180, 247, 370 f. Blüm, Norbert  219 Blumer, Herbert  409 Böckmann, Walter  333 Boelcke, Willi A.  43 Bofinger, Peter  55 Borger, Sebastian  118 Born, Karl Erich  15, 17, 20, 24 Borowsky, Peter  37 ff. Bosch, Alfred  19, 21 ff., 24 Brüning, Heinrich  69 f. Bush, George W.  95 Carell, Laurent  247 Carrel, Laurent / Volk, Hartmut  252 Claudius, römischer Kaiser, 10 v. Chr.– 54 n. Chr.  482 f.

Crouch, Colin  154 Cyert, Richard  329 Diron, Marie  98 f., 105 Doppler, Klaus / Lauterburg, Christoph  371 f. Draghi, Mario  62, 66 f., 112 f., 114, 124, 167 Drucker, Peter  212, 290 Drumm, Hans J.  44 f. Eckardstein, Dudo von / Schnellinger, Franz  450 f. Erhard, Ludwig  47, 216 f. Eucken, Walter  85,  216 ff., 423, 454 Fayol, Henry  391 f. Felfe, Jörg  227, 232 Fischer, Guido  215 f., 221 f., 232, 287, 423 Fleishman, Edwin / Hemphill, John  305 Föderl-Schmid, Alexandra  101 Frankl, Viktor E.  319, 333 French, John R. P. / Raven, Bertram H.  308 Frese, Erich  321 Friedman, Milton  29, 152, 153, 155, 158 f., 210, 452 Frieling, Ekkehard / Sonntag, Karlheinz  236 Gabriel, Sigmar  289 Gaugler, Eduard  215 f. Geißler, Heiner  219 Gellerman, Saul W.  329 Giersch, Heinrich  24 f. Glasl, Friedrich  383 ff. Goethe, Wolfgang von  58

Personenverzeichnis529 Goffee, Rob / Jones, Gareth  467 f. Goleman, Daniel  334 f. Graf-Götz, Friedrich / Glatz, Hans  238 Grochla, Erich (Hrsg.)  314 Gros, Daniel  64 Hauser, Richard  283 ff. Havel, Vaclav  154 Hayek, Friedrich. A. von  152, 155, 452 Hemel, Ulrich  265 Herbart, Johann Friedrich  358 f. Heuss, Theodor  35 Hinterhuber, Hans H.  188 ff., 191 f. Höckel, Günther  284 ff., 293 Höher, Peter / Höher, Friederike  383 Höhmig, Herbert  32 Höhn, Reinhard  280 ff. Hoover, Herbert  70 Hugentobler, Walter / Schaufelbühl, Karl  186 f. Humboldt, Alexander von  410 Jennings, Philip  101 John, Gerald  135 Juncker, Jean-Claude  48 f., 62 f. Kainrath, Verena  62, 81 Kals, Ursula  470 f. Kant, Immanuel  57 f., 59 Kary, Christine / Lammer, Beate  114 Keynes, John Maynard  5, 30 f., 32 f. Kieser, Alfred  483, 486 f. Kim, W. Chan., Mauborgne, Renee  466 Kirchler, E. et al.  301 f., 327 ff. Kissler, Andreas  65 Krugman, Paul  64, 78 f., 97 f., 104, 106, 108 Lagarde, Christine  55 Latham, Gary P.  331 Lau-Villinger, Doris  199 f.

Lay, Rupert  256, 265, 358 ff. Lenglacher, Marlies / Schmitz, Constance / Weyrer, Mathias  373 Lenin, Wladimir Iljitsch  264 Lewin, Kurt  303 ff., 343 Locke, Edwin A.  331 Loke, Matthias  289 Luhmann, Niklas  180 Magnus, Albertus, um 1200–1280  453 f. Maier, Kurt  215 f. Mandl, Christoph et al.  432 March, James G.  329 McClelland, David  330 McGregor, Douglas Murray  326 ff. McKeown, Jennifer  124 Marshall, George C.  43 Mayer, A. / Herwig, B.  313 Mayer, Thomas  63, 83 Meads, George H.  409 Meißner, Werner  31 Merkel, Angela  104, 135 Michelbach, Hans  126 Mill, James  26 f. Mintzberg, Henry  201 ff., 204 ff., 208 ff., 212, 466 Moser, Simon  5  Müller, Heinz / Wingen, Max  454 Müller-Armack, Alfred  216 f. Murray, Henry  330 Mussler, Werner  63 Neuberger, Oswald  239 ff., 241, 308, 309, 337, 461, 481 Nouy, Daniele  126 Nowotny, Ewald  126 Nowotny, Helga  431 Noyer, Christian  126 Obama, Barack  92, 95 f., 107 Ockenfels, Wolfgang F., OP  284

530 Personenverzeichnis Papst Franziskus  216, 219 f., 338 ff., 341 Papst Leo XIII.  85 Papst Benedikt XVI.  86 Pfluger, Bettina  68 Pinochet, Augusto  152 Popper, Karl  353 Recktenwald, Horst Claus  26 f. Rehn, Olli  133 Reinhard, Carmen  48 Renzi, Matteo  136 Richter, Peter / Hacker, Wienfried  235 Robbins, Stephen P.  324, 326 f., 329, 331 f., 368, 382 f., 397 f., 399, 401 Rogoff, Kenneth S.  84, 106 Rohmann, Jörg  113 Roosevelt, Franklin D.  31, 32, 69, 485 Röpke, Wilhelm  152, 155 Rosenberg, Hans  15 f., 17, 19 Rosenstiel, Lutz von  314 ff., 332, 333 f., 352, 391 Rosenstiel, Lutz von / Molt, Walter /  Rüttinger, Bruno  389 Sahm, August  215 f., 243, 334, 407, 410, 415, 420, 422, 430 Sator, Andreas  127, 135 f. Sator, Andreas / Schamall, Sigrid  11 Say, Jean-Baptiste  26 f., 31 Schäuble, Wolfgang  51, 57, 62, 102, 133, 135 Schein, Edgar H.  212, 232. 334, 444 Schmidt, Kristin  471 Schnauder, Andreas  84, 133 Schnauder, Andreas / Sustala, Lukas  99 Schneck, Ottmar (Hrsg.)  314, 481, 482 Schneider, Stephan  133 Schulmeister, Stephan  72 Schwan, Konrad  23, 178, 180, 182, 199 f., 203, 225, 231, 236 ff., 246, 297, 298, 301, 305, 312, 344, 370 f., 376, 394, 402 ff., 447, 458, 474 ff.

Schwan, Konrad / Seipel, Kurt. G.  290, 297, 308, 374 f., 430, 451 f., 456, 460, 466 Schwan, Severin  212 Seliger, Ruth  487 f. Senge, Peter S.  423 Silver, Nate  53 f., 161 Simon, Herbert A.  329 Skinner, Burrhus Frederick  331 Smith, Adam  26 ff., 71, 75 f., 265, 408, 452 f. Sohm, Stefanie  467, 469 Sombart, Werner  390 Sommer, Michael  289 Spree, Reinhard  15 Sprenger, Reinhard K.  313, 365, 459, 466 Staehle, Wolfgang H.  326 f., 342, 376 Stark, Jürgen  47 Steinbach, Armin  105 f. Steinmann, Horst / Schreyögg, Georg  270, 321 Stiglitz, Joseph E.  64, 69, 76 f., 93 f., 97 f., 112, 126, 134. 143 ff., 152, 163 f., 358 Strutz, Hans  451 Sustala, Lukas  55, 61, 66, 67 f., 69, 83, 84, 91, 95 f., 112, 114, 121, 137, 167, 173 Svensson, Lars E. O.  49 Szigetvari, András  49 f., 83, 102, 137, 173 Taylor, Frederik Winslow  486 Thatcher, Margaret  70 Tille, Bernhard  473 Trebesch, Christoph  48 Twain, Mark  54 Ulich, Eberhard  327 ff. Ulrich, Hans  183 ff., 363, 376 Ulrich, Peter / Fluri, Edgar  182 Vroom, Victor Harold  319 f., 331

Personenverzeichnis531 Waigel, Theo  90 Walenta, Christa / Kirchler, Erich  482 Watson, George G.  376 Weber, Max  277 ff. Weidmann, Jens  51, 102, 126 Weinert, Ansfried B.  234 ff. White, William  135 Willke, Helmut  180 Wolf, Joachim  329, 461 f.

Wolff, Guntram B.  82 Woll, Artur  30 f. Woschnagg, Gregor  89 Wunderer, Rolf  215 f., 231, 303 f., 305 ff., 312 f., 352, 358, 368 ff., 388, 400, 405 f., 451, 481 f. Yellen, Jant  174 Zander, Ernst  453 f., 482 f.

Sachwortverzeichnis Akteure der Weltwirtschaftskrise ab 2007  5, 47 f., 50, 77, 103, 150 f., 157, 159 f., 163 f., 169, 171 f., 176 f., 197, 220 f., 223, 339, 433, 464 f. Aktienemission  16 f. Angst  5, 17, 39, 42, 68, 85, 89, 119, 120, 128, 142, 148, 162, 165, 285 f., 291, 296, 485 Anleitung  205 Anpassung  7, 22 f., 56, 76, 25 Arbeitsbeschaffung  32, 41 89, 114, 138, 151, 160 f. Arbeitsgestaltung  344, 379, 403 f., 456, 459 Arbeitslosigkeit  16, 19, 22, 24, 33 f., 40 f., 61, 51, 69, 72, 84, 89, 92 f., 97 ff., 99 ff., 105 f., 107 f., 109, 114, 136, 139, 143, 148, 156 f., 160 f., 165, 171, 175, 219, 390, 489 Arbeitsökonomie und Managerarbeit  202 f., 236, 343 f., 403 f. Arbeitsplatzauswahl durch Mitarbeiter  212 f., 223 f., 250, 267 f., 269, 285, 289 f., 291, 319, 348, 351, 393 f. Asset Backed Securities (ABS)  66 Aufgabenorientierung  304, 305, 380 Aufklärung  29, 58, 282 Aufrüstung  161 Aufsichtsfunktionen  64, 77 ff., 80 ff., 83, 90, 107 ff., 110 f., 117, 118, 122, 135,170 f. 296 f. Autobahnen  161 Autorität  25, 191, 205, 225, 241, 244, 249, 253, 254 f., 262 f., 275 ff., 276 f., 279 ff., 280 ff., 283 ff., 285 ff., 286, 291, 293 ff., 295 ff., 301, 302, 303, 304, 305, 306, 308, 309, 310, 311,

312, 330, 387, 399, 403, 410, 470 f., 473 Autorität nach Max Weber  277 ff., 283, 284 Autoritätsmissbrauch  295 ff., 297, 298, 301 f., 403 Banken und Kostensenkung  142 f., 144 Bankenabwicklung  83 f., 91 Bankfunktionen  49 f., 61 f., 66 f., 82, 88, 109, 116 f., 117 f., 120, 124, 137, 139 f., 141, 143 f., 166, 172 Bankenkriminalität  48, 88, 107, 116, 120 ff., 123, 129,135, 171, 173, 214, 218, 266 f., 339, 394 f., 408, 421 f. Banken-Run  17 f., 83 Bankensanierung  64, 90, 91, 129 f., 140 ff., 166, 169 f., 171 f., 174, 338, 409 Bankensubventionierung  144, 170, 171, 173 f., 198, 395, 408, 433 Bankenunion  82 ff., 84, 89 ff., 91, 107, 109, 111, 129 f., 139, 166, 174 f., 395 Bank- und Finanzkrise  60 f., 166 Bankenverhalten  61, 78, 115 f., 117 f., 120 f., 130 f., 140 f., 144 f., 163, 165, 171 ff., 394 f., 408, 446 Belastung der Bürger  50, 65 ff., 68 f., 84, 91 f., 106, 115 f., 117 f., 122 f., 136 f., 144, 150, 163 f., 165 f., 198, 214, 338, 339, 340, 395, 408, 433, 489 Belastung der Sparer  65, 67 f., 113, 114 f., 164, 166 f., 338, 408 Blase  17, 66, 76, 77, 78, 79, 95, 105, 114, 146, 175 Börsen- und Spekulationskrisen  17, 20

Sachwortverzeichnis533 Brüning, Heinrich  31 f., 35, 40, 42, 160 Burnout-Effekt  235 Bürokratie  73, 88, 128, 135, 142, 211 f., 248, 295 ff., 297, 299, 300, 469 Chaos  56, 134, 181 Chicago Boys  152, 287 Collaterialized Debt Obligation (CDO)  61, 66, 79 Controlling  291, 400, 436, 443, 476 Deflationspolitik  31, 35, 160 Delegation  202, 243 f., 258, 259 ff., 260, 261, 262, 263, 270, 274, 275 f., 310, 344, 366, 379, 392, 440 472, 476 Delegationsfaktoren  262 f. Delegationsfehler und Organisation  261 Demotivation  148, 249, 324, 450, 455, 356, 376, 465 Determinismus  245, 248, 298, 465 Dezentralismus  47, 83, 227, 248, 300, 376, 450, 455 Diffizilität  448 Dynamik  50, 54, 73, 75, 127, 161, 179, 195 f. Dynamik von Krisen  50, 54, 73, 75, 127, 161, 179, 195, 209, 247 f., 303, 330, 351, 353, 381 f., 383, 388 Ebert, Friedrich  26 Egozentrik  71, 143, 148, 169, 337, 339, 340 f., 349, 350, 378, 407 f., 452 f., 463 Einarbeitung  204, 452 Einkommensverteilung und -gestaltung  59, 144, 143, 453 f., 455 ff., 465, 489 Engagement  53, 81, 118, 148, 150, 209, 215, 219, 231 f., 241, 248 f., 251, 254, 291, 326, 335, 415, 423, 428 f., 459, 474 Enteignungseffekte  50, 65 ff., 68, 113, 165 f.

Entfaltung  29, 85, 179, 211, 224, 225, 233, 249, 254, 293, 310, 356, 378, 427, 456, 465 Entgelt und Vorsorge  70. 224, 267, 454 ff. Entscheidungsprozesse  56, 148, 154, 162, 174 f., 302, 304, 305, 329 f., 336, 353 f., 363, 400, 403 f., 462 Entscheidungsrisiken  56 f., 168, 180, 194, 305, 310, 336 Entwicklungen  7, 19, 20 ff., 31 ff., 45 ff., 55, 63 f., 66 ff., 70 ff., 78 f., 80 f., 89, 101 ff., 119, 130 f., 132, 134, 135 ff., 145, 147 ff., 155 ff., 162 f., 165, 172, 197 f., 211, 214, 218 f., 221, 250 f., 281 f., 287 ff., 289 ff., 292 f., 302, 308, 336 f., 342, 348, 352, 355 f., 377, 378 f., 419, 422, 427 ff., 434, 462 f., 464 ff., 487 ff. Erbsünde der Europäischen Union  85, 87, 89 f. Erweiterung der Europäischen Union  89 f. Ethik  57, 58, 75 f., 116 f., 146, 181, 188, 189 f., 190 f., 241, 258, 284, 295 ff., 338 ff., 390, 452 f., 463, 474, 479 Europäische Union (EU)  6, 49, 52, 62 ff., 73, 74, 80 ff., 83 ff., 86 ff., 88, 89 ff., 91 ff., 96 f.,  101, 102, 111, 125 f., 129 ff., 133 ff., 143, 265 f. Europäische Investitionsbank (EIB)  62, 105 Europäische Zentralbank (EZB)  49, 65 f., 91, 109, 111, 112 f., 164 f. Europäischer Fonds für strategische Investitionen (EFSI)  62 Evangelii Gaudium  338 ff., 341 Federal Reserve System (FED)  21, 77 ff., 157, 164, 174, 181 Fehlerkultur  268 Finanzindustrie  45, 48 f., 60 f., 64 f., 66 f., 77 f., 107, 129 f., 163 f., 166, 169, 198, 350, 433, 489

534 Sachwortverzeichnis Finanzindustrie und Aufsicht  77 ff., 80 f., 109 f., 129 f. Finanzindustrie und Subvention  48 f., 51, 65 ff., 80 ff., 84, 107, 115, 116, 489 Finanzindustrie und Vorbilder  140, 170, 171 Finanzkrise ab 2007  48 Finanzmarktregulierung  83, 109 f. Finanzpolitik  57 f., 104 f., 152, 174 f. Finanzpolitik der Europäischen Union  84 f., 128 f. Forschung und Entwicklung  7, 62, 73, 81, 89, 94, 102, 105, 133, 148, 151, 157, 187, 198, 206, 212 f., 233, 250, 254, 256, 267 ff., 285, 289 ff., 291 ff., 293 f., 348, 356, 359, 377, 464 Freiburger Schule (Ordoliberalismus)  25, 85, 210, 216 Friedman, Milton  29, 152 f., 155, 158, 210, 337, 452 Führung  72, 74, 118 ff., 131, 155, 165, 179, 181, 186, 204, 230, 239 ff., 241, 276, 400, 465, 481 Führung und Motivation  16 f., 22, 25, 72, 74, 145, 147 ff., 155, 159 f., 165 f., 175 ff., 276, 180 ff., 195 f.,197 f., 202, 203 f., 215, 225 ff., 231, 232, 233 f., 231 f., 233, 236 f., 264, 279 f., 318, 345 f., 348, 356, 363, 364 f., 392, 432 f., 446, 448 ff., 455, 461, 465, 466, 472, 484 f., 486, 488 Führung und Selbstkontrolle  261, 465 Führung von unten nach oben  225 f., 308, 313, 310 ff., 376 f., 457 Führungsdeterminierung  245, 465, 467 Führungsdiagnose und -lösungen  245, 400, 467, 485 f. Führungselemente  253 ff., 400, 461, 467 Führungsfunktionen  205 ff., 243 ff., 254, 351, 358, 378,392, 470, 472, 486 Führungsgestaltung  276, 304 f., 469, 471, 484, 485, 488 Führungskompetenz  238

Führungskraft  und Spannungsfelder  225 ff., 231 f., 233 f. Führungskräfte  187 f., 472. Führungskräfte und Gesundheit  227 ff. Führungskultur  190 f., 208, 247, 248, 250, 267 f., 275, 377,402 ff., 486 Führungsleitbild  178 ff., 184 f., 197, 269, 456, 459, 469, 480, 482 f., 487 Führungsmängel  228 ff., 465, 470 f. Führungsmethodik  183, 254, 400, 484 Führungsmodelle  481 ff., 482, 484, 487 ff. Führungsorganisation  260, 262, 392 Führungspraxis  190 f., 194, 195 f., 232 f., 244 f., 248, 254, 260, 277, 303, 342, 484 Führungsprofile  460 ff., 461 Führungsqualität  215 ff., 221 f., 232, 252, 456, 466, 467 ff., 470, 484 Führungsrolle  205 f., 268 Führungsscheinlösungen  245, 465, 485, 486, 488 Führungsstil  194 f., 196, 224, 246, 256, 260, 267, 275, 276, 286 f., 302, 305 f., 346, 400, 403, 408, 419 Führungsstilwandel  194, 199 f., 402 ff. Führungssysteme  187, 402 ff. Führungstechnik  131, 244, 247, 304, 400, 485, 488 Führungstheorie  22, 71 f., 74, 104, 131, 140, 142, 147 ff., 155, 165, 176 ff., 179 ff., 181, 183 f., 185, 190, 193 f., 195, 196, 202 ff., 205 f., 208 f., 212 f., 222 ff., 226, 228 ff., 231 f., 233, 239 ff., 243 ff., 246 ff., 249 ff., 253 ff., 258 f., 260 ff., 267 f., 269 ff., 275 ff., 283, 285 f., 290 f.  293 f., 302 ff., 305, 306, 307 f., 310, 456, 461 f., 481 f., 484, 486 Führungsveränderungen  244 f., 251 f., 465, 480, 482, 484 Führungsverhalten  194, 228 f., 232, 244, 304 f., 307, 329, 351, 440, 461, 473, 485 Führungsversagen  249, 251 f., 465, 485, 488

Sachwortverzeichnis535 Ganzheitlichkeit  149 f., 158, 165, 185, 196, 197 f., 201, 207, 248, 252, 342, 346 f. Geldpolitik  21, 23 f., 26, 49, 53, 62 f., 65, 81, 106 f., 108, 112, 114, 125 f., 133, 135, 137 Gerechtigkeit  50, 67, 89, 93, 95, 97, 102, 131, 143, 148, 164 f., 171, 210, 225, 230, 241, 249, 284, 331, 340 f., 380, 453 f., 455 f. Gesellschaft und Wirtschaft  22, 35, 59, 60 f., 73, 77, 103, 110, 122, 139, 141, 145, 146, 147, 149, 153 f., 158 f., 171, 179, 185, 201, 213 f., 218, 222, 296, 303, 319, 338 ff., 345, 347, 348, 356, 363, 380, 394 f., 407, 408, 421, 422, 459, 462, 464, 484, 488 Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel  222 Globalisierung  7, 60, 69, 89, 222, 231, 287, 346, 356, 359, 422, 464 Harmonie und Harmoniesucht  25, 222, 257, 319, 356, 365, 366, 368, 375, 377 f. Hayek, Friedrich. A. v.  152, 155, 210 Herzberg, Frederick Irving  323 ff., 325 f., 331 Hindenburg, Paul von  26, 34, 35, 37, 40 f., 279 Hitler, Adolf  29, 34, 35 ff., 37 ff., 41 f., 43, 45, 161, 190, 279 f. Hoover, Herbert  32, 70 Humanität  53, 60, 71, 75, 119, 142, 148, 179, 211, 224, 237, 250, 252, 267, 284, 288 293, 407, 410, 420, 484, 486 Ifo-Geschäftsklimaindex für Deutschland  55 Inflation 1914-1923  45 f., 49 Information  56, 77, 89, 99, 100, 194, 196, 201, 202 f., 205, 206 f., 215, 219, 222, 224, 240, 244, 253, 256 ff., 264 f., 288, 334, 346, 389, 391, 410, 422, 451, 462

Infrastrukturprojekte  62, 63 f., 70, 102, 105 f., 133, 198 Initiative  32, 56, 63, 86, 150 f., 172, 174, 175, 188, 224, 225, 241, 254, 270, 300, 311, 403, 404, 457, 473 Innovation  7, 71, 129 f., 134, 212, 250, 254, 258, 267 f., 287, 300, 327, 342, 344, 348, 351, 356, 363, 376, 377, 399, 407, 410, 420, 422, 430 f., 432, 433, 435 ff., 441, 444 ff., 446 f., 457, 459, 464, 465 Integration der Europäischen Union  90 f. Interessenvertretung  73, 81, 109, 139, 147, 151, 170 f., 213, 219, 287, 419, 431, 454 Investition  18, 24, 30, 40, 41, 48, 50, 51, 62, 63 f., 70, 73, 92, 94, 97, 101 f., 104 f., 106 f. 108, 124 f., 127 f., 132 f., 138, 157, 160, 175, 198 Internationaler Währungsfond (IWF)  49 f., 55, 57, 84, 137 Interventionen  23 f., 57, 59 f., 92 ff., 95 f., 102, 104 f., 118, 130, 162, 170, 488 Irrationalität  54, 56 f., 60, 70 f., 75 f., 132, 161, 176, 179, 181, 195 ff., 247, 252, 305, 389  390, 391, 396, 454, 462, 464 ISO 9000  183, 295 ff., 297 f., 301 f. Kant, Immanuel  57, 58, 59, 146, 176, 188, 463 Kapitalismus  15, 16, 219, 267 Kategorischer Imperativ  59, 188, 463, 479 Katholische Soziallehre  85, 216, 219, 283 ff., 337, 423, 454 Keynesianismus  50 f., 92 f., 97 f., 106 f., 160 Kommunikation  30, 56, 202, 215, 224, 227 f., 241, 248 f., 252, 256 ff., 288, 347, 359, 361, 365, 374 f., 379, 380, 388, 405, 409, 451, 471 Kommunikationsebene  259

536 Sachwortverzeichnis Kompetenz und Inkompetenz  50, 64 f., 70 f., 77 f., 81 f., 91, 129 f., 131, 163 f. 169., 174 f.,179 f., 181, 191 f., 204, 225 f., 236, 238, 241, 254, 259, 262, 277, 285, 294, 310 f., 365 f., 380, 383 , 403 f., 407 ff., 415 f., 419, 420 f., 422, 424 ff., 428 f., 433, 454 f. Komplexität  5, 54, 57 f., 60, 75, 96, 130, 134, 148 ff., 153, 155, 161, 178 f., 180 f., 182 f., 195 f., 197, 247 f., 252, 253, 269, 304 f., 351, 352 f., 363, 367, 388, 392, 460, 462, 467, 482 Konflikt  20, 45, 84 f., 109, 129, 132, 148, 189, 195, 211, 223, 227, 231, 260, 303, 383 ff., 340, 350, 352 f., 355, 358 ff., 365, 365 f., 367 ff., 370 f., 372 f., 376, 380, 387 ff., 389, 390, 391 f., 396, 397, 401, 404, 431 Konfliktanalyse  351 f., 386, 387, 388, 389, 400 Konfliktbereiche  84, 119, 172 f., 211 f., 227, 260, 336, 341, 351, 358 ff., 360, 363, 368 f., 374 Konfliktlösung  85, 234, 241, 244, 345 ff., 346, 348 f., 350 ff., 352, 355 f., 359 ff., 362, 363 f., 365 f., 367 ff., 370 f., 376, 377 f., 378, 379, 380, 385 f., 381, 382, 383 ff., 388 f., 390, 393, 394, 395, 396 f., 397 f., 398 f., 400, 402 ff., 402, 403, 405 f. Konjunkturverläufe  63, 66, 92, 434, 489 Konsum  19, 20, 30, 40, 64, 76 f., 101 f., 128, 133, 135, 136, 150, 156, 175 Kontaktpflege  206, 309 Kontrolle  86, 149, 203, 207, 241, 244, 264 ff., 269 f., 271 ff., 276, 291, 392, 427 Kontrollgebiete  271, 392 Kontrollplanung  271 Konvergenzkriterien der Europäischen Union  49, 125 f., 133 Konzerne als Innovatoren  289 f. Kooperation  40, 169, 222, 248, 253, 254, 257, 275, 292, 352, 358, 363,

367, 368, 369, 378, 380, 393, 400, 402, 403, 404, 407, 409, 410, 432, 434, 442, 443, 449, 460, 465, 466, 473, 484 Kreativität und Innovation  7, 62, 71, 105, 127, 129 f., 134, 142, 198, 206, 212 f., 222, 224, 250, 254, 258, 267 f., 285, 293, 355, 430 ff., 432 f., 433, 434 f., 437 f., 444 ff., 446, 453 Kreditaufblähung  48 f., 91 Kreditklemme  61, 66 f., 118, 124, 137 f., 138, 139, 160, 164 Kriegs- und Rüstungswirtschaft  43 f., 46  Kriegsopfer bis 1945 und danach  44 f. Krise des Bank- und Finanzsystem  6, 135 Krisenbewältigung  6 f., 30, 31, 45, 52, 53, 54, 55, 59, 61 f., 64 f., 65, 67, 73 f., 82, 96, 101, 104, 109, 124, 130, 133, 134, 135, 136, 145 f., 150, 151, 160, 162, 163 f., 166, 173, 175, 198, 220, 223 f., 250, 341 f., 349 f., 396, 408, 409, 432, 433, 489 Krisenfolgen  6, 60, 68 f., 78 f., 97 f., 92 f., 96, 98 f., 101, 171, 214, 432, 489 Krisentaktik statt Reform  104, 105 f., 113, 116 ff., 118, 489 Krisenverlauf  76 ff., 88 f., 100 f., 102 f.,104, 124 f., 127 f., 132 f., 136, 143 f., 146, 155 f., 160, 175, 221, 433, 489 Kritik  6, 43, 65, 101, 115, 116, 132, 135, 137, 154, 169, 171, 288 Lehman Brothers Inc., New York  95, 265 Leistung  19, 33, 49, 51, 55, 65, 71, 80, 92, 97, 105, 106, 116, 118 f., 122, 125, 127, 139, 145, 151, 166, 184, 212 f., 224, 227, 230, 233, 236, 249, 249, 250, 253, 267, 275, 285, 410, 286, 290, 296, 303, 311, 316, 332, 357, 393, 403, 410, 429, 448 f., 459 Lernen des Individuums  423

Sachwortverzeichnis537 Lernen durch Tun  233, 318, 334, 342 f., 344, 404, 410 f., 433, 464 Lernen von Organisationen  423, 510, 484 Lernende Systeme  248, 288 f., 410 Liberalismus  155, 210, 218, 220 Loyalität  215, 380 Macht der Ideen  6, 29 f., 53, 74, 76, 97 f., 103 f., 132, 146 f., 163 f., 173, 211, 221 f., 251, 269, 282, 288 f., 340, 342, 350, 408, 419, 420, 422 f., 464 Machtergreifung durch Adolf Hitler  42 f. Makroökonomie  148, 150, 157, 158, 165, 176 f., 185, 186, 211 f., 221, 223, 333, 346, 347, 348, 353 f., 396 Managemententwicklung  212, 434 f., 463, 467 Managementfunktionen  202 f., 205, 243 f., 249, 298, 400, 461 f., 465 Managementmythen  201 ff., 204, 205 f., 211, 466 f. Managementphilosophie  183, 298, 451 Manager  80, 107, 118 f., 121, 141, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 211, 221 f., 223, 225, 227, 232, 236, 248, 249, 285, 291, 323, 347, 366, 401, 425, 445, 446, 461 f., 463, 466, 471 ff., 474 ff., 485, 486 Managereffektivität  211, 463 Managerrollen   205 ff., 211 Manipulation  79, 120 f., 148, 162, 489 Marshallplan  43 f., 286 Maslow, Abraham  321 ff., 327, 330, 331 Mediation  402, 404 f., 406, 443 Menschenrechte  282, 338 ff., 339 Methodik  75 f., 147, 165, 246, 274, 342, 434 Mikroökonomie  148, 150, 158, 159, 165, 176 f., 185, 186 f., 223, 289, 309, 346, 348, 353, 396 Missmanagement  84, 115, 116, 203, 294

Mitarbeiterbedürfnis  448 ff., 449 f., 451, 453, 455 ff. Mitarbeiterentwicklung  224, 248, 407 ff., 410 f., 412, 413 ff., 417, 418, 423 ff., 426 ff., 430, 440, 441, 446 Mitarbeitererwartungen  81, 277, 304, 308, 329, 389, 456, 457, 465, 466, 469 f. Mitarbeiterorientierung  304, 305, 335, 453 Mitbestimmung  423, 469, 479 Mix von Maßnahmen  45, 57, 59, 60, 102, 104 f., 114, 125 f., 133, 133 f., 165 Modelle  75, 80, 124, 149 f., 153, 180 f., 194 ff., 197, 201, 203, 204, 211, 215, 217, 244, 247, 256, 264, 265, 287, 295, 323, 326, 327, 343, 347, 348, 443, 476, 481 ff., 482, 484, 486, 487, 488, 489, 490 ff. Moralität der Krise  52 f., 59 ff., 77 f., 79 ff., 81, 98, 103, 109, 116, 120 ff., 131, 151, 169, 170, 188, 190, 219 f., 222, 338 ff., 463 f. Motivation  7 f., 22, 72, 74, 118 ff., 131, 145, 147, 148, 149, 155, 160, 165, 176, 177, 180, 181, 182, 195, 196, 197, 202, 203, 204, 205, 208, 223 f., 225, 231 ff., 236., 241, 244, 264, 276, 279, 280, 300, 307, 313 ff., 318 ff., 320, 321 ff., 323 ff., 325 f., 326 ff., 329 ff., 332, 333 , 334, 345 f., 348, 351, 356, 358, 363, 364, 370, 372, 376 f., 378, 383, 392, 400 f., 410, 424 ff., 428 f., 430, 432 f., 434, 437, 440, 448 ff., 453 ff., 456, 458 f., 461, 465, 466 f., 472, 475 f., 485, 486, 488 Motivationstheorien  331 f. Motive  7, 37 ff., 72, 81, 101, 146, 148 f., 156 f., 169, 170, 176, 195, 204, 223 f., 228, 249  268, 314 ff., 316 f., 318 f., 321 f., 388, 449 Mündigkeit  204, 254, 276, 365 Nationalsozialismus  31, 34 ff., 37 ff., 156, 279 ff., 282

538 Sachwortverzeichnis Neoliberalismus  6, 28 f., 52 f., 59 f., 69, 70 ff., 74, 76, 77 f., 81 ff., 92, 103, 129, 145 ff., 148, 151, 152 f., 158 f., 162, 163, 167 f., 172, 175, 188, 190, 197, 210, 213, 218 ff., 221 f., 229, 232, 250 f., 265, 266, 282, 287, 288 f., 290, 293, 294 f., 337 f., 339, 340, 349, 350, 378,  380, 407 ff., 415 f., 419, 420 f., 422, 451, 452 f., 454 f., 462, 487, 488 f. Netzwerk  83, 149, 170, 206, 343, 348, 392, Neue Soziale Frage  73, 165, 219 f. Neuorientierung  7, 52, 103, 115 f., 140, 155, 288, 338, 422, 459 Notenbank  47, 63, 65. 108 f., 113, 126 f., 136, 138 Oberflächenpolitur versus Ursachenbehandlung  52, 130, 162, Offenheit  71, 148, 168, 230, 272, 291 f., 335, 340, 342, 349, 404, 427, 441, 484 Öffentliche Hand  64. 105, 116, 126, 164 f., 167, 489 Ökosoziale Marktwirtschaft  85, 103 f., 145 f., 155, 162, 167, 177, 187, 213, 217, 220 f.,    265 f., 282, 289, 419, 422, 462, 464, 487 Ontologie der Führung  180, 333 Operational Research  194 f. Organisation  29, 50, 131, 170, 174, 180, 182, 194, 197, 203 ff., 206 ff., 210 f., 213, 248, 250, 257 f., 267 f., 348, 352, 357, 364, 391 ff., 403, 444, 461 f., 465, 488 Organisationsentwicklung  183, 222, 250, 392 ff., 465, 488 Organisationsideologie  208 ff., 275 Organisationskultur  275, 291 f., 403, 444 ff., 446 Ordoliberalismus  85, 216 f., 422 f., 454 f., 462, 487 Papen, Franz von  40 f., 160

Paradigma  22 f., 26, 27 ff., 51 f., 55 ff., 60, 71, 72, 90, 102 f., 115 f., 129 f., 144, 145, 148 f., 153, 159, 161 f., 181, 189 ff., 192, 197, 208 f., 232, 237, 247, 264 f., 266, 269,,282, 283, 287, 298, 305, 333 f., 340, 350, 354, 370 f., 390, 407 f., 419, 455 ff., 459, 462, 463, 484, 486 Paradigmenwechsel  22 f., 52, 59, 71, 74, 75 f., 81, 103 f., 117, 120, 122 f., 134, 145, 148 f., 154 f., 157 f., 159, 162, 165, 167 f., 169 f., 171 f., 176 f., 179, 181, 183, 185 ff., 188,  189, 208, 213, 214, 222 f., 288 f., 297, 305, 319, 333 f., 338, 341 f., 350 380 f., 408, 419, 459, 462, 464 Partnerschafts- und Beteiligungsmodelle  215 ff., 287, 423 Personal- und Führungsarbeit  6 f., 71 f., 74, 131, 140, 142, 147 f., 149, 151, 155, 165, 176, 177, 179, 185, 191, 198, 211, 212, 215, 217, 221 f., 225 ff., 232, 233, 247, 249 f., 253, 267 f., 276, 287, 288, 289, 290, 292, 293, 294, 297, 300 f., 302, 310, 323 ff., 342 f., 348, 355, 359, 364 f., 367 ff., 378, 390, 407, 408, 409, 419, 420, 422, 423, 426, 427, 428 f., 431, 441, 451, 453, 456, 457 f., 459, 460, 462, 463, 465, 470, 487 Personalbeschaffung  250, 267, 290, 293 f., 453, 461, 467 Personale Verantwortung  190, 251, 337 Personaleinsatz  204, 233, 392 Personalentwicklung  151, 248, 249, 250 f., 267, 403 f., 461, 467, 470 Personalität  337, 388 ff. Personalmarketing  286, 290, 430, 450 ff., 452, 453, 455 f., 459. 467, 469, 470 Personifizierte Unternehmungsführung  8, 212 f., 268, 424 f.,431, 453 Persönlichkeit  131, 188, 191, 219, 225, 236, 244 f., 258, 275, 423,425 ff. Perspektivenverlust der Menschen  73, 98, 165

Sachwortverzeichnis539 Problemkredite  84 Problemlösungspotential  248 Profile  188, 289 f., 328 f., 347, 426 f., 443, 455 f., 460 ff., 461 f., 471 ff., 473 f., 474 ff. Prognostik  53 f., 55 ff., 101, 103, 134, 161, 177, 196, 266, 433 f. Projektmanagement  438  Qualifikation  249, 267, 271, 276, 291, 308, 329, 335, 344, 348, 424, 425, 426, 428 f. Ratingagenturen  78 f., 144 Rationalität  54, 56 ff., 60, 75 f., 132, 134, 161 f., 176, 179, 181, 195, 247, 304, 389, 390, 404, 454, 462 Redlichkeit  95, 109, 120, 291, 380 Reduktionsmethoden  150, 180 ff., 194, 197 Reformen  7, 31, 63, 65, 75, 105 f., 111, 128 ff., 133, 170 Reichsbank  24, 25, 33, 46, 160 Reichskanzlerbestellungen  40 f. Relative Lohngerechtigkeit  453 f., 455 Religionsgemeinschaften  15, 287, 420 Reparationen  23 f., 31, 160, 161 Risiko- versus Chancenmanagement  118, 143 f., 151 161 f., 285, 291, 432, 462, 486 Rollenerwartungen an eine Person  208 f., 343, 460 Roosevelt, Franklin D.  31 ff., 69, 485 Scheinrationalität  56 ff., 162, 165 Schleicher, Kurt von  40 f., 160 f. Schuldenpolitik  49 f., 51 f., 66, 125, 133 f., 136 f., 143, 145, 161, 198 Schuldenschnitte  48, 84 Schuldentilgung der Öffentlichen Hände  45 f., 48, 164 f. Schwarzer Freitag (Börsensturz, New York, 25.10.1929)  24

Selbstbestimmung und Eigenverantwortung  85, 88, 224, 275 Selbstheilungskräfte  25, 29, 31, 69 f., 81, 117 f., 141, 153, 158, 172 f.  Selbstorganisation  182, 203, 248, 404 Sensitivität  334 ff., 342 f., 344, 378 Solidarität  131, 215, 337, 338, 365, 380, 423 Soziale Frage  59, 72 f., 74, 151, 155, 216, 219 f., 340 Spezialistentum  149, 157 f. Soziale Marktwirtschaft  6, 74 f., 85, 153, 155, 167, 210, 213, 215, 216 ff., 220, 265 f., 286, 289, 380, 419, 423, 454 Sozialempirische Forschung  195, 201, 204 f., 240, 245, 303, 323 f. Sozialenzykliken und Schreiben von Papst Franziskus  216 (Evangelii Gaudium), 283 ff., Sozialismus  155 Sozialität  148, 337, 340, 359, 378 f., 380, 407, 409, 449 Sozialpartnerschaft  74, 216, 261, 454 f. Sozial- und Wirtschaftswissenschaften  72, 146 f., 149 f., 151 ff., 155, 157 f., 210, 213,  219, 282, 287, 347 Spannungen  19, 26, 54, 84 f., 101, 155, 195, 220, 222, 225 ff., 232 ff., 234, 235 ff., 303, 343, 352, 365, 383 ff., 449, 464, 485 Sparpolitik  60, 63, 69 f., 104 f., 107, 135 f. Staatsanleihen  126, 138 f. Staatspleiten  48 ff. Staatsverschuldung  49 f., 136, 198 Strategie  52, 82, 96, 105 f., 114, 132, 133, 160, 205, 247, 248, 270, 277, 312, 331, 352, 359 ff., 370, 385 f., 400, 439 Streitkultur  168 f. Stress  225, 234, 235 ff., 485 Strukturpolitik  7, 125, 128 f., 133, 135, 136, 188

540 Sachwortverzeichnis Strukturreformen  63, 105, 106, 135, 183 Subalternität  81, 88, 120, 296 Subjektivität  53, 56, 162, 235, 314, 319, 321, 330, 344 f., 374, 389, 390, 391 Subsidiarität  52, 85 f., 87 f., 227, 276, 337, 342 Subventionen für die „Finanzindustrie“  73, 107, 163, 198, 433 Tabu  113, 136, 225 Teamarbeit  207, 248, 291, 310, 343, 401 Top-Management  8, 291, 423 ff., 426 ff., 474 ff. Ungewissheit  291, 384, 467, 477 Unsicherheit  5, 17, 50, 54, 56, 58, 119, 129, 128, 130, 148, 162, 165, 180, 194 ff., 204, 219, 225, 256, 266, 270, 296, 336, 338, 427, 260 f., 462, 477, 478, 486, 487 Unternehmensanleihen  139 Unternehmensführung  118, 188 f., 205, 208, 217 f., 219, 222 f., 249 f., 267 f., 286, 294, 300, 357 f., 453, 461 f.  Unternehmensideologie  208, 211 Unternehmenskultur  208, 211, 232 f., 248 f., 291 f., 370 f., 423, 427, 440, 444 ff., 446 Unternehmensleitbild  183 ff., 186, 187, 189, 191, 269, 291 f. Unternehmensleitung  189, 191 Unternehmenspolitik  183, 185, 190, 212 Unternehmenssicherung  268 US-Regierung  16, 78, 79, 80, 94, 96 Verantwortung  123 f., 248, 404, 409, 427, 463 f. Verarmung  165, 339, 397 Veränderungen  7 f., 19, 23, 29, 32, 38, 54, 59, 89, 129 ff., 140 ff., 151, 155, 170 f., 174 f., 179, 194, 197, 222, 236,

244 f., 253 f., 285, 294, 329 f., 350, 356 f., 365, 368, 372 f., 375, 376, 377 Vereinte Nationen (UN)  213 f. Vergütungspraktiken der Finanzindustrie  80 f. Verhalten  56 f., 61, 74, 78, 104, 115 f., 120, 131, 144 f., 146 f., 147, 154, 158 f., 161 f., 163, 165 f., 169, 187, 210 f., 215, 245, 253, 256 f., 260, 275, 294, 303, 304 f., 306, 311 f., 329, 344, 351 ff., 353 f., 359, 373 f., 380, 388, 389 f., 391, 397, 402, 402 ff., 403 f., 405, 406, 464, 484 Verluste der Volkswirtschaften  144 Vermögensverluste  66, 95, 102, 113, 133 f., 143, 165 Vermögensverteilung  59, 144, 151, 156, 165, 339 Versailler Vertrag  24, 160 Verteilungspolitik  20, 27, 59, 89, 97, 103 f., 105, 135 f., 143, 165, 222, 339 f., 359, 378 f., 397, 453 f., 454 Vertrag von Lissabon 2009  86 Vertrag von Maastricht 1992  49, 86 Vertrauen  25, 48, 51, 58, 77, 85, 88, 91 f., 102, 115, 117 f., 120, 139 f., 151, 173, 181, 191 f., 230, 247, 248, 257, 285, 291 f., 335, 339, 352, 378, 386, 394 f., 401, 423, 434, 451 Vorgehensweise (methodisch)  6, 52, 56 f., 75, 83, 87, 89, 130 f., 150, 154, 168 f., 175 f., 180 f., 191, 194 f., 196 f., 202, 232, 240, 247, 256, 269, 347, 380, 391 Wachstumspolitik  51, 60, 62 f., 69 f., 84, 94, 97, 102, 105, 106 f., 112 ff., 114, 125, 127 f., 134 f., 136 f., 138 Wahlergebnisse der NSDAP  37 ff. Währungskrise  21, 47 Währungsreformen ab 1947  43 f., 46 ff., 165 Währungsschnitte  47 f., 165 Wandel  15 f., 152, 193, 194 ff., 199, 204, 206, 222, 224, 238, 253 f., 288 War of Talent  250, 293, 469

Sachwortverzeichnis541 Washington Consensus (Marktfundamentalismus)  152 Wechselbeziehungen  104, 131, 197 f., 353 Weimarer Republik  25 f., 39 f., 160 Weltbank  50 f., 55 Weltwirtschaftskrise 1857–1859  15 ff., 155 Weltwirtschaftskrise 1928–1932  19 ff., 25, 33 ff., 40 f., 143 f. 156 f., 160 Weltwirtschaftskrise ab 2007  5, 7, 45 ff., 48, 69, 73, 101 153,156 ff., 161, 218, 220 f., 287, 419, 420, 421, 422, 423 ff., 427, 430 f., 433, 434, 451 f., 459, 462., 463, 464, 487, 488 f. Weltwirtschaftskrisen  175 ff. Werte  6, 55 ff., 73, 75 f., 122, 183,188 f., 211, 232 f., 265, 327, 337, 340, 342, 370 f., 389, 390, 409, 420 f., 449, 454 f., 462, 463, 467 Wertpapierspekulation  78 ff. Wettbewerbsfähigkeit  250, 267 f., 293, 367, 357, 431 f., 433, 434, 488 Wirtschaftsethik  27 f., 188, 300 f. Wirtschaftskriminalität   48, 88, 107, 116, 120 ff., 123, 170 f., 173, 175, 214, 218 Wirtschaftsordnung  22 f., 24 f., 30 ff., 35, 41 f., 56, 59, 70 ff., 75 f.,158, 160, 452, 454

Wirtschaftspolitik  26, 30 f., 33 f., 35, 42, 50 f., 64 ff., 70, 74 f., 78 ff., 86 ff., 88 f., 96, 101 f. 128 f., 160, 162 f., 163 f. Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus  20 Wirtschaftstheorie  30 ff. Wirtschaftsverläufe 1928–1932  20 ff., 33 f., 40 f. Wirtschaftswunder  44 Wissensmanagement  441 Wohlstand  48, 74, 85, 135, 143, 161, 170 Work-Life-Balance  343 ff. Zeitökonomie  249 Zentralismus  19 f., 47, 52, 77, 82 f., 83, 87 f., 90, 96, 109, 110, 112 f., 173 f., 202, 207, 227, 248, 300, 302, 329, 342, 393, 400 Zielsetzung  191, 244, 253 ff., 255, 256, 262, 331, 365, 367, 380, 388, 403, 461 Zinspolitik  65, 112, 113, 114 f., 137, 157, 164, 165, 170 Zivilgesellschaft  29 f., 81, 103 f., 129, 141, 150 f., 154, 162 f., 168, 169 f., 170 f., 174 f., 254, 341, 420

Seit 1857 erschütterten drei Wirtschaftskrisen die Welt. Die Folgen der jüngsten Krise von 2007 werden noch jahrelang spürbar sein. Trotz der großen zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Krisen, finden sich ähnliche Verhaltensmuster und Umstände als Ursachen, die also tief wurzeln. Oberflächenpolituren zur Bewältigung sind daher kontraproduktiv und eher potenzieller Kern weiteren Unheils. Wesentliche Auslöser der Krise von 2007 waren neoliberale Ideen. Seit etwa 1975 prägten sie fatal die Entwicklungen, die bis ins globale Desaster führten. Komplexität, Irrationalität, Unsicherheit, Neuorientierungen, enorme und zunehmend rascher verlaufende Veränderungen – also Risiken und Chancen – prägen weltweit gesellschaftlich, politisch, makro- und mikroökonomisch die Krisenbewältigung. Alle Akteure sind lernender- und gestaltenderweise äußerst gefordert. Die weitgreifenden und vielgestaltigen Felder der Führung und Motivation erfordern neue Paradigmen als Leitlinien für praktisches Handeln – im Großen wie im Kleinen. Der Hauptteil der Arbeit dient der Erörterung ausschlaggebender und anwendungsbezogener Ansätze einer zeitgemäßen Personal- und Führungsarbeit.

Konrad Schwan, Jahrgang 1940, absolvierte ein Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Stuttgart und Innsbruck, das er 1965 als Diplom-Volkswirt abschloss. Daran anschließend promovierte er im Jahr 1970. Selbständige Tätigkeiten im In- und Ausland (www.schwanconsult.com) umfassen die Bereiche Betriebsberatung, Wirtschaftsforschung und Sachverständigenfunktionen. Darüber hinaus war Konrad Schwan jahrelang als Hochschullehrer und Leiter komplexer Beratungs- und Forschungsprojekte tätig. Konrad Schwan ist Autor zahlreicher Fachbücher und Artikel.