Grammatik in der Universität und für die Schule: Theorie, Empirie und Modellbildung 9783110975918, 9783484312777

This volume draws together current studies and research findings from the fields of university research into German gram

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German Pages 227 [228] Year 2007

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Table of contents :
Zur Einleitung
Grammatikdidaktik - auf dem Prüfstand
Sprachbewusstheit und grammatisches Wissen – Bemerkungen zu einem lernbegleitenden Grammatikunterricht in der Sekundarstufe
Damit das grammatische Abendland nicht untergeht. Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II
Von der Schulgrammatik zum Literaturunterricht?
Vom Text zur Form zum Inhalt und zurück. Grammatische Analysen literarischer Texte – Eine funktionale Perspektive für die Deutschlehrerausbildung
Was wissen Grundschüler über die Verwendung der Perfektauxiliare haben und sein?
Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung?
Die Innenseite der Grammatik - die Innenseite des Lesens
Grammatik in Schulbüchern
Grammatik und Sprachstandsermittlung im Zweitspracherwerb
Grammatikerwerb beim zweitsprachlichen Erzählen in der Grundschule
Autorenverzeichnis
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Grammatik in der Universität und für die Schule: Theorie, Empirie und Modellbildung
 9783110975918, 9783484312777

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Reihe Germanistische Linguistik

277

Herausgegeben von Armin Burkhardt, Angelika Linke, Damaris Nbling und Sigurd Wichter

Klaus-Michael Kçpcke / Arne Ziegler (Hgg.)

Grammatik in der Universit"t und fr die Schule Theorie, Empirie und Modellbildung

Max Niemeyer Verlag Tbingen 2007

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Klaus-Michael Kçpcke / Arne Ziegler (Hgg.)

Grammatik in der Universit"t und fr die Schule Theorie, Empirie und Modellbildung

Sonderdruck aus RGL 277 ISBN 978-3-484-31277-7

Max Niemeyer Verlag Tbingen 2007

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Reihe Germanistische Linguistik Begrndet und fortgefhrt von Helmut Henne, Horst Sitta und Herbert Ernst Wiegand

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-31277-7

ISSN 0344-6778

/ Max Niemeyer Verlag, Tbingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzul>ssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielf>ltigungen, ?bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbest>ndigem Papier. Gesamtherstellung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten

Inhaltsverzeichnis

Klaus-Michael Köpcke / Arne Ziegler Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Peter Klotz Grammatikdidaktik – auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Wolfgang Eichler Sprachbewusstheit und grammatisches Wissen – Bemerkungen zu einem lernbegleitenden Grammatikunterricht in der Sekundarstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Christa Dürscheid Damit das grammatische Abendland nicht untergeht. Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

Maximilian Scherner Von der Schulgrammatik zum Literaturunterricht? . . . . . . . . . . . . . .

67

Arne Ziegler Vom Text zur Form zum Inhalt und zurück. Grammatische Analysen literarischer Texte − Eine funktionale Perspektive für die Deutschlehrerausbildung . . . . .

79

Christian Hinze / Klaus-Michael Köpcke Was wissen Grundschüler über die Verwendung der Perfektauxiliare haben und sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

Angelika Redder Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung? . . . . . . . . . . .

129

Reinold Funke Die Innenseite der Grammatik – die Innenseite des Lesens . . . . . . .

147

Jakob Ossner Grammatik in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

VI

Inhaltsverzeichnis

Wilhelm Grießhaber Grammatik und Sprachstandsermittlung im Zweitspracherwerb . . . .

185

Karen Schramm Grammatikerwerb beim zweitsprachlichen Erzählen in der Grundschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Klaus-Michael Köpcke Arne Ziegler

Zur Einleitung

Am 14. und 15. April 2005 fand am Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster ein Symposium zu dem Thema „Grammatik in der Universität und für die Schule – Empirie, Theorie und Modellbildung“ statt. Ziel des Symposiums war es, aktuelle Arbeiten und Forschungsergebnisse aus dem Spannungsfeld zwischen universitärer Forschung zur deutschen Grammatik und Grammatikunterricht zusammenzuführen. Forschungsergebnisse sollten im Hinblick auf ihre mögliche Anwendung im schulischen Alltag hinterfragt und neue Impulse für eine sowohl empirisch als auch theoretisch fundierte Reflexion von unterrichtlichen Lehr-LernDiskursen ermöglicht werden. Das Symposium sollte auch dazu beitragen, die Relevanz der Grammatikforschung für die Anforderungen eines zeitgemäßen Deutschunterrichts im Spannungsfeld zwischen Grammatik-, Literatur-, Sprach- und Textkompetenz zu konturieren und etablierte Auffassungen zur Grammatikarbeit in Schule und Unterricht mit aktuellen Problemen zu konfrontieren. Insofern sollte das Symposium ebenfalls einen Beitrag zu einer didaktisch basierten systematischen Schulgrammatik des Deutschen einschließlich ihrer methodischen Umsetzung leisten. Letztlich ging es auch darum, dazu beizutragen, einen u.E. nur auf den ersten Blick vorhandenen Widerspruch zwischen universitärer Ausbildung von zukünftigen Deutschlehrern und ihrer späteren unterrichtlichen Praxis überwinden zu helfen. Dazu bedarf es natürlich spezifischer didaktischer Konzeptionen von Grammatikunterricht. Eine in der Grammatikforschung seit vielen Jahren Raum greifende linguistische Modellbildung, die Sprache lediglich als Epiphänomen betrachtet und in deren Verständnis sprachliche Äußerungen stets grammatische Äußerungen sind, die zwangsläufig einer internen Regelhaftigkeit entspringen, eine Modellbildung also, der es ausschließlich um die Entwicklung grammatischer Regeln geht, steht − unserer Auffassung nach − einer funktionalen Sprachbetrachtung diametral entgegen. Vor dem Hintergrund der praktischen Anforderungen der Zeit ist vielmehr eine grammatische Modellbildung gefordert, die in besonderer Weise für Vermittlungsprozesse in Schule und universitärem Unterricht geeignet scheint. Trotz vielfacher, teils ambitionierter Versuche und vorliegender Ansätze ist unserer Meinung nach hier noch einiges zu leisten.

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Klaus-Michael Köpcke / Arne Ziegler

Viele der Beiträge des Buches zeigen, dass die Betrachtung der Grammatik als enges Regelkorsett der sprachlichen Wirklichkeit nicht gerecht wird. Eine Betrachtungsweise, wonach der Grammatikfehler im Deutschunterricht als binäre Opposition zwischen ‚richtig’ und ‚falsch’ verstanden wird, geht zumindest implizit von folgenden zweifelhaften Annahmen aus: 1. Das sprachliche System sei vollständig und eindeutig regularisiert. Diese Annahme verstößt gegen diachrone Grunderkenntnisse, wonach Sprache als ein dynamisches System oder allenfalls als ein ‚state in progress’ zu begreifen ist. Gewissermaßen ist Sprache zwar zu jedem Zeitpunkt ihrer Entwicklung als ein vollständig regularisiertes System begreifbar; doch ist das Ziel ein Zustand, den das System aufgrund mannigfaltiger natürlicher und systeminterner Störfaktoren nie erreichen kann. Vollständige Regularisierung (und Regularisierbarkeit) ist also nur ausnahmsweise zu erwarten und auch nur für einen kleinen Ausschnitt sprachlicher Phänomene, keinesfalls für das System insgesamt. 2. Auch ein Grammatikunterricht, der mit der Opposition ‚richtig’ und ‚falsch’ operiert, wird nicht umhin kommen, Ausnahmen zu konstatieren, die dann im Lexikon als solche markiert werden müssen. Unseres Erachtens verbaut gerade diese Sicht auf die Grammatik wertvolle Möglichkeiten für das Reflektieren über Sprache, u.a. indem sie sich der besonders ‚interessanten Fälle’ beraubt. 3. Jeder Grammatikunterricht bedarf einer Norm, die er entweder selbst konstituiert (vgl. Eisenberg 2004: 7), oder aber die aus einer Überbewertung bestimmter Prinzipien oder Wirkfaktoren zuungunsten anderer resultiert. Eine häufig unreflektiert verwendete präskriptive Grammatik kann der sprachlichen Wirklichkeit in vielen Fällen nur sehr eingeschränkt gerecht werden. Zudem verstellt sie schon von ihrem Selbstverständnis her den Blick des Schülers auf das Grammatische. Wie soll der Schüler über Grammatisches reflektieren und dieses entdecken, wenn gerade der Zweifelsfall oder das Abweichende als Ausgangspunkt für eine grammatische Entdeckungsreise verstellt wird? Grammatische Kategorien sowie die damit assoziierten Strukturmerkmale und die jeweiligen Alternativen sind oftmals nicht als ‚Entweder-oder’ zu verstehen, sondern über Zwischenstufen und Zweifelsfälle miteinander verbunden, die systeminhärente ‚Fehler’ provozieren. Umso ausgeprägter der Bereich des Übergangs von einem Paradigma zu einem anderen ist, desto schwieriger wird es für den Lehrer, Abweichungen als ‚Fehler’ zu charakterisieren, vielmehr ergibt sich ein Bereich, in dem alternative Formen oder Strukturelemente auf der Basis der sie motivierenden (gleich gewichteten) Faktoren frei variieren. In diesem Wirkungsbereich hat ein ‚Eher-so-als-anders’ Vorzug vor dem ‚Entweder-oder’. Damit ist nicht etwa einer sprachlichen Beliebigkeit das Wort geredet. Es muss unterschieden werden zwischen einer ‚Normver-

Einleitung

3

letzung’ einerseits, die sich als Abweichung bei ‚klarer’, d.h. prototypisch ausgeprägter Parameterlage zeigt und sich gegen das Sprachverhalten der übrigen Muttersprachler absetzt, und einer ‚Normverletzung’ andererseits, die aufgrund bestimmbarer Faktoren von einer einmal aufgestellten Regel abweicht.1 Diese Abweichungen sind motiviert und werden infolgedessen nicht ausnahmsweise, sondern von einer mehr oder weniger großen Zahl von Sprechern akzeptiert. Die Erkenntnis, dass Systemfehler und Formvarianz bis zu einem gewissem Grad notwendige Eigenschaften des Sprachsystems bzw. Implikationen dieses Systems sind, die es weniger zu korrigieren, als vielmehr zu analysieren gilt, muss die Didaktik nicht ‚erschüttern’; es handelt sich eher um eine Chance, die genutzt werden sollte. Auf Seiten des Lehrers setzt dies einen sensiblen, differenzierenden Umgang mit Fehlern voraus, was wiederum verlangt, dass die Lehrer in dieser Hinsicht in der Universität auch ausgebildet worden sind. Die Frage des Grammatikunterrichts spiegelt sich damit in die Lehrerausbildung zurück. Hier ist eine Abkehr von einer Vermittlung grammatischer Kenntnisse auf der Basis einer ausschließlich oder vorwiegend präskriptiven Sicht gefordert (vgl. genauer Köpcke 2005). Stattdessen muss es darum gehen, „die prototypischen Strukturen in Phonologie, Morphologie und Syntax des Deutschen [zu] explizieren“ (Eisenberg 2004: 11), was u.E. die Vermittlung einer ‚Grammatik der Übergänge’ (mit-)bedeutet. Im Grammatikunterricht sind Systemfehler, Zweifelsfälle und Übergangsphänomene nicht etwa auszuschließen, weder normativ-sanktionierend noch als Unterrichtsgegenstand. Sie eignen sich als Anlässe für sprachliche Reflexion. Im Vordergrund steht zunächst die Auseinandersetzung mit möglichst eindeutigen Fällen, die sich eignen, widerspruchsfrei Form- und Funktionszusammenhänge bzw. Distributionsbedingungen für sprachliche Formen und Strukturen kommunizierbar zu machen. In einem zweiten Schritt kann es aber lohnenswert sein, einen Blick auf jene Beispiele zu werfen, die eben möglicherweise als ‚Stolpersteine’ oder ‚Fehler’ den Anlass des Unterrichtsgeschehens bilden. Gerade in den Fällen, in denen der eine Struktur motivierende Faktor weniger prominent ist und dies einen Effekt ausübt (z.B. Unsicherheiten bei der Wahl zwischen Strukturalternativen verursacht), ‚beweist’ sich ja die Wirksamkeit der postulierten Bedingungen. 1

Diese Unterscheidung orientiert sich an Eisenberg und Voigt (1990), wo von ‚Normfehlern‘ und ‚Systemfehlern‘ die Rede ist. Was systematisch rekonstruierbar ist, wäre ein Systemfehler. Der Begriff ‚Systemfehler‘ ist freilich untreffend, wenn eine Formvarianz auch unter normativen Gesichtspunkten akzeptiert ist. Die Ursachen für den (normativ sanktionierten) ‚Systemfehler‘ und die (akzeptierte) ‚Formvarianz‘ liegen jedoch auf derselben Ebene: Es gibt in beiden Fällen konzeptuelle Gründe für die Wahl entweder der einen oder der anderen Form.

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Klaus-Michael Köpcke / Arne Ziegler

Es muss in diesem Zusammenhang auch erlaubt sein, eine alte Frage neu zu formulieren: Wer braucht welche Grammatik warum und wann? Die Frage ist also nicht, wie viel Grammatik oder wie wenig Grammatik Schüler und Studierende – und/oder gar DeutschlehrerInnen – benötigen, sondern vielmehr zu welchem Zeitpunkt welches grammatisches Wissen in LehrLernkontexte eingebracht wird und vor allem mit welchem Ziel. Diese Fragen beantwortet auch sicher nicht der vorliegende Band und es mag ungewöhnlich erscheinen, einen Ausblick auf zukünftige Problemlösungen zu Beginn, im Rahmen einer Einleitung zu formulieren. Letztlich war aber genau diese Problematik Ausgangspunkt der Motivation zu dem vorliegenden Band, und zwar in dem Sinne, dass auch in Bezug auf Grammatik in der unterrichtlichen Praxis alte Fragen immer wieder neu gestellt werden müssen, wenn wir uns nicht mit den bekannten, mitunter wenig zufriedenstellenden Antworten begnügen wollen. Mit dem Symposium wollten wir Forscherinnen und Forscher ansprechen, die sich der Thematik aus unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen und/ oder fachdidaktischen Perspektiven nähern. Es sollten sowohl Beiträge zu Ergebnissen aus empirischen Einzeluntersuchungen als auch zu kontrovers diskutierten theoretischen Themenkomplexen sowie Beiträge zu einer grammatischen oder fachdidaktischen Modellbildung diskutiert werden. Darüber hinaus sollte ebenfalls ein Forum für Diskussionen zu laufenden oder geplanten empirischen sprachwissenschaftlich-didaktischen Forschungsvorhaben geboten werden. Die Beiträge des vorliegenden Bandes lassen sich folgenden Themenbereichen zuordnen: − Grammatisches Bewusstsein von Schülern (Eichler) − Vermittlungskonzepte der Grammatik und ihre Relevanz für Schule und Unterricht (Dürscheid, Klotz, Redder) − Grammatik und Text im Deutschunterricht (Scherner, Ziegler) − Empirische Untersuchungen zur Aneignung grammatischer Kategorien im L2-Erwerb (Grießhaber, Schramm) − Syntax und Morphologie in Schule und Unterricht (Funke, Hinze und Köpcke) − Grammatische Orientierungen in schulischen Unterrichtswerken (Ossner) In jedem Beitrag des vorliegenden Bandes werden verschiedene Forschungsperspektiven aufgezeigt und diskutiert. Hervorzuheben sind folgende Aspekte: − Grundsätzliche Überlegungen zur grammatischen Modellbildung im Hinblick auf eine didaktische Orientierung − Grammatische Modellbildung und theoretische Rahmengestaltung für eine universitäre Lehre und Ausbildung − Kognitive Aspekte einer Grammatikarbeit in Schule und Unterricht

Einleitung

5

− Kriterien adäquater Vermittlungsstrategien − Integration grammatischer Aspekte in Lehr- und Lernwerke − Perspektiven einer Empirie im Rahmen sprachwissenschaftlich-fachdidak-

tischer Untersuchungen − Möglichkeiten und Grenzen sprachwissenschaftlicher Lernstandserhebun-

gen

Literatur Eisenberg, Peter (2004): „Wieviel Grammatik braucht die Schule?“ – In: Didaktik Deutsch 17, 4–25. – und Gerhard Voigt (1990): „Grammatikfehler?“ – Basisartikel Praxis Deutsch 129, 14–23. Köpcke, Klaus-Michael (2005): „‚Die Prinzessin küsst den Prinz’ – Fehler oder gelebter Sprachwandel“. – In: Didaktik Deutsch 18, 67–83. Weisgerber, Bernhard (1980): „Reflexion über Sprache im Unterricht“. – In: Theodor Diegritz (Hg.): Diskussion Grammatikunterricht. – München: Fink, 95–123.

Peter Klotz

Grammatikdidaktik – auf dem Prüfstand Hartmut Günter zum 60. Geburtstag in langjähriger Verbundenheit gewidmet

1. Die erstarrte Situation Das Terrain der Grammatikdidaktik – und des Grammatikunterrichts – ist schmal, das Terrain grammatischen Wissens und das des sprachlichen Wissens ist ebenfalls schmal1. Die Gebiete, die von den Kernlanden der Grammatik berührt und gelegentlich durchdrungen werden, sind beachtlich und vielfältig. Alles sprachliche Handeln – schriftliches besonders, aber auch mündliches, rezeptives wie produktives – steht implizit immer, selten, sehr selten aber explizit in Kontakt mit grammatischen Funktionen. Dies – so scheint mir – gilt auch in hohem Maße für Literaturwissenschaft, Literaturdidaktik und Literaturunterricht. Sprachlichkeit ist für all dieses Handeln Voraussetzung und Bedingung, Instrument und Ausdruck. Überblickt man Veröffentlichungen zu Grammatikdidaktik und Grammatikunterricht2, so zeichnen sich einige wenige Linien ab: da ist die lange Linie der Prinzipienfrage nach dem Sinn expliziten grammatischen Wissens – Tendenz überwiegend verneinend –, da ist die häufig unterbrochene Linie zur Konstruktion einer funktionalen, im besten Fall empirisch abgesicherten Grammatik – Tendenz: beharrliche Bestätigung des Sinns solchen sprachlich bewussten Handelns bei allzu wenig Empirie –, und da ist die lange Linie mit vielen Verästelungen der konstruktiven Methoden und Unterrichtsvorschläge – Tendenz: wiederholend mit z.T. witzigen, z.T. überwiegend pädagogischen Ideen und Hoffnungen.3 Die Bezugswissenschaft, die Linguistik, hält und hielt sich – mit wenigen Ausnahmen – fern von didaktischem Streit und Bemühen, und die andere, mittelbare Bezugswissenschaft, die Literaturwissenschaft fordert beharrlich auch grammatische Kenntnisse, ohne sie allzu oft, deutlich erkennbar und explizit einzufordern.

1 2

3

Immer noch gültig: Ivo und Neuland (1991). Vgl. den Anhang: eine Übersicht von Zeitschriftenaufsätzen zur Grammatikdidaktik im weitesten Sinne. Eine Übersichtsdarstellung findet sich in Klotz (1996: Kap. 1).

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Peter Klotz

Bräche man an dieser Stelle den prüfenden Diskurs zur Grammatikdidaktik ab, so müsste der Befund lauten: Kontinuität bei allzu wenig Fortschritten. Es hilft nichts, zur Prinzipienfrage muss nun einmal Position bezogen werden, aber eben vielleicht nicht vorab, sondern erst nach einem Bemühen der Linguistik und der Fachdidaktik um einen festen Bestand grammatischen Wissens, seiner Funktionen und seiner didaktischen Konzeptionierung in der Ausbildung für das Lehramt und vielleicht nach einer Bestätigung durch gelingenden, d.h. überzeugenden „Grammatikunterricht in Funktion“, wie er vielleicht am besten, weil am sichtbarsten, an Sprachbuchlektionen abzulesen ist. Ernst genommen soll zunächst die ihrer Art nach prototypische, harsche Kritik Ingendahls werden: 1999 erscheint von Werner Ingendahl der Band Sprachreflexion statt Grammatikunterricht. Von Anfang an wird der sehr alte Kampf um den GrU aufgenommen, indem Gaisers (1950) alte Frage gestellt wird: „Wieviel Grammatik braucht der Mensch?“ Damit ist die Antwortrichtung vorgegeben – zum einen. Und obwohl Ingendahl sowohl den „funktionalen Grammatikunterricht“ als auch der „Grammatikwerkstatt“ harte Absagen erteilt, zielt seine ganze Argumentation, die von der Rhetorik und von der Reflexion über Sprache ausgeht, auf eine Funktionalisierung sprachlichen Wissens – dies zum anderen: − Alle grammatischen Methoden setzen die Kenntnis des Zu-Findenden bereits voraus − Alle Fragen sind handlungsirrelevant, dienen nur dem Zweck der SystemKonstruktion. − Operationalisiert wird system-intern. − Auch anwendbar sind die Befunde nur system-intern. − Beispielsätze zeigen dem Leser, dass das Beschriebene mit seinen eigenen Spracherfahrungen nichts zu tun hat. − Weil viele Kategorien auf die Sprache „nicht ganz“ passen, entstehen Probleme. Diese selbstgeschaffenen Probleme zu diskutieren ist der einzige Sinn und Zweck der Grammatik-Konstruktion. Was weiß man dann, wenn man das weiß? In der alltagspraktischen Reflexion kommen grammatische Fragen so gut wie nicht vor; deshalb nützt auch ein ‚integrativer Grammatikunterricht’ nichts. Beim Sprechen, Schreiben und Verstehen reflektieren wir aktional (handlungsorientiert), auf der Ebene von Ausdrücken: das sind sprachliche Wendungen („phrases“) mit bestimmter Wirkungsabsicht. Alle sprachbezogenen Reflexionen folgen der Handlungsplanung; ein bewußter Einsatz sprachlicher Gestaltungsmittel orientiert sich primär an rhetorischen Leitlinien und Wirkungsabsichten. Die dafür benutzten Satzstrukturen funktionieren nicht-bewusst im Dienste der Handlungssteuerung, sie bilden nicht die Ebene unserer Aufmerksamkeit beim Verstehen/Schreiben. Wir verstehen und planen aufgrund von „Schlüsselwörtern“

Grammatikdidaktik – auf dem Prüfstand

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und machen den Rest passend. Wir behalten keine Sätze, sondern höchstens ihre inhaltlichen Aussagen. Korrekturen erfolgen „naiv“ aufgrund unserer Sprachkenntnis; weiß es jemand nicht „richtig“ (hochsprachlich oder regional), kann die Korrektur ohne Begründung leicht handelnd eingeschliffen werden. Unsere Grammatik funktioniert im „prozeduralen Gedächtnis“, Grammatikunterricht baut daneben im „deklarativen Gedächtnis“ eine metareflexive Sprachbeschreibung auf. Diese bezieht sich nicht automatisch auf unsere Sprache. Unsere sprachlichen Operationen brauchen keine Beschreibungen, das „Monitoring“ wird von praktischen Gesichtspunkten geleitet. Sprachbeschreibung hingegen ist an ihrem Gebrauch für sprachliches Handeln nicht interessiert. (Ingendahl 1999: 8ff.)

Das (alt-)bekannte Dilemma der Auseinandersetzung ist wieder aufgerufen. Ein ernster und distanzierter Blick auf seine Vorwürfe muss nun allerdings Ingendahl in erheblichem Umfang bestätigen. Seine Kritik, aber etwa auch die Funkes (2005) ist ja zunächst einmal schmerzlich, wenn prima vista es so scheint, als drehten sich Linguistik als „Systemlinguistik“ und Grammatikdidaktik in einem engen hermeneutischen Kreise. Dabei unterläuft insbesondere Ingendahl ein fundamentaler Fehler: er übersieht das mäeutische Potential, das im Grammatikunterricht und seiner didaktischen Konzeptionierung liegt – also Bewusstwerdungsprozesse, die gleichermaßen differenzierendes Textverstehen und sprachlich aktives Handeln Zug um Zug eröffnen, und die Schaffung von Äußerungsmöglichkeiten und -kompetenzen zu Sprachlichkeit und Sprachgebrauch. Zwar sind genau diese Funktionen immer wieder von der Grammatikdidaktik – auch – formuliert worden, aber wohl doch recht verstreut und kaum kanonisch – sit venia verbo –, und sie sind m.E. in der Ausbildung für die Lehrämter nie aus einer Randposition herausgekommen, wofür es ja genug substantielle und historische Gründe gibt.4 Die Akzentuierung eines grammatikdidaktischen Kanons, der sich zunächst von etlichen Stammbereichen lösen müsste, damit neue, nämlich besonders funktionale Bereiche in den Fokus kämen, stünde und steht gerade auch einer Wissenschaft vom Lehren und Lernen gut an: nur wer das Risiko einer Festlegung eingeht, kann in den Fluss der Diskussion gelangen. Mit dieser paradoxen Aussage ist gemeint, dass eine kanonische Festlegung genug Kontur vermittelt, damit eine Diskussion zielgerichtet zu einigen „Fortschritten“, lieber: zu einigen relevanten Ergebnissen kommt. Das bisher Gesagte sei an einem Beispiel endlich verdeutlicht: die Glinz’schen Proben, also die Operationen der Verschiebe-, Weglass-, Erweiterungs- und Pronominalisierungsprobe, hatten sehr bald einen geradezu „kanonischen Erfolg“ – bis heute. Sehr schnell wurde ihnen die Funktion der 4

Es bleibt unverständlich, warum Wilhelm Köllers Funktionaler Grammatikunterricht (1983; 1997) nicht zu einer Standardlektüre in der Lehramtsaubildung geworden ist und in der Folge entsprechende Wirkung zeigen konnte.

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Peter Klotz

Formulierungsverbesserung zugeschrieben, so dass ihre Erkenntnisfunktion in der Syntax fast ein wenig bedroht war. In jedem Fall aber war eine Position zustande gekommen, mit und an der gearbeitet wurde. Zwar erwies es sich langfristig als Irrtum, dass die Verschiebeprobe – usw. – die Vertextungsstrategien der Schüler nachhaltig beeinflussen würde, aber mittelbar wurden Einsicht in Sprache und das Reden darüber eben doch gestiftet. Was fehlte, war eine pragmatisch-rhetorische Ausrichtung, die bei natürlichen Ausdrucksbedürfnissen angesetzt hätte: also z.B. bei Emphase, bei Herausstellungen überhaupt. Dies freilich ist mit den Glinz’schen Proben allein nicht zu bewerkstelligen; erst Einsichten in die Wortfolge und in die Satzgliedfolge (vgl. z.B. Klotz 1998) verlebendigen und funktionalisieren die Glinz’schen Operationen. – M.a.W., die Kanonisierung dieser Proben und ihr partielles Scheitern (das nur sehr selten gesehen wird, und da hat Ingendahl mittelbar recht), eröffnen den Blick für eine Verbesserung „grammatischen Wissens in Funktion“. – Wer die Konstellation dieses Beispiels akzeptiert, kann mit Recht versuchen, Einfluss – z.B. – auf Lehrpläne zu nehmen. Und dies wäre deshalb so wichtig, weil gegenwärtig noch immer die seltsame institutionelle Struktur besteht, dass die Kultusbürokratie Lehrpläne mit Hilfe kundiger Lehrer erlassen muss, die nicht auf – in unserem Fall – linguistisch und didaktisch vorformulierte Kanones und ggf. deren Diskussion zurückgreifen können. Die gelegentlich versuchte Lösung dieses Problems durch fachliche Beiräte bei Lehrplankommissionen erweist sich als zu kurzfristig und – pardon – als zufällig, schlicht, weil die Beiräte naturgemäß eigene Positionen vertreten und weitere Diskussionen nur partiell berücksichtigen könn(t)en. Das Plädoyer hier zielt also – sowohl angesichts der ehrwürdigen Länge der Grammatik (-didaktik-)diskussion (vgl. Glinz 2003) als auch angesichts von Studien wie PISA – auf Parameter, mit denen der Versuch unternommen werden kann, aus der relativ erfolglosen Kontinuität der Diskussionen und Beispiele der Grammatikdidaktik und des Grammatikunterrichts auszubrechen, indem 1. institutionelle Fragen stärker mitbedacht werden; 2. indem dem Mut und dem Risiko der Kanonisierung grammatischer Inhalte mit deutlicher Funktionszuweisung das Wort geredet wird; 3. indem Beispiele ein Muster abgeben können für die Konstruktion grammatischen Wissens, das für Textrezeption sich als geeignet erweist und das, wenn es nur genügend textorientiert ist, auch als Leitfaden dafür dienen kann, wo denn bei Textüberarbeitungen (um dieses wichtige didaktische Paradigma hervorzuheben) angesetzt werden könne. Das soll im Folgenden unter Berücksichtigung der kritischen Einwände so konstruktiv wie möglich geschehen.

Grammatikdidaktik – auf dem Prüfstand

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2. Institutionelle Konstellationen In die institutionellen Gegebenheiten gehört wohl zunächst folgender Befund: mit wenigen Ausnahmen, die allerdings von beachtlicher Güte sein können, gehört das Grammatische nur in geringem Umfang in die schulische Alltagspraxis. Immer weniger Heranwachsende begegnen dem Latein, und das bedeutet, dass eine gewisse, sicherlich nicht immer nur günstige, jedenfalls aber gut vorbereitende Form systematischen Zugangs zur Sprache fehlt – und es sei zugegeben: manch lateinische Struktur prägt unser aller Vorstellung eben doch auch von der deutschen Sprache. – Die Fremdsprachendidaktik geht nach einem meist gesamtheitlichen Erwerb der Zweit-, Dritt- usf. Sprachen vor. M.a.W. die Schule ist nur in höchst begrenztem Umfang Ort systematischer Sprachbetrachtung mit der Funktion des Erwerbs systematischen Sprachwissens. Das müsste, das muss allein noch kein Schaden sein, wenn man etwa den Parallelfall mittelalterlicher Sprache und Literatur bedenkt: die Begegnungen an der Universität können gute Auswirkungen auch noch für das Lehramt entwickeln, wenngleich selten, aber gelegentlich mit Begeisterung. Im Falle der Linguistik, als der nächsten Bezugswissenschaft, ist von Seiten der Wissenschaft bisher selten Interesse speziell für den Deutschunterricht aufgebracht worden, so dass die Inhalte akademischer Lehre oft in den Köpfen der Lehramtsstudierenden wie erratische Blöcke existieren; die Einstellung zu ihnen könnte lauten: interessant vielleicht, relativ funktionslos, häufig noch zu wenig am alltäglichen Sprachgebrauch, den literarischen eingeschlossen, orientiert und häufig zu wenig textuell ausgerichtet. Dass daneben die jüngeren Linguisten und Linguistinnen sich intensiv mit einer Linguistik des Sprachgebrauchs auseinandersetzen und häufig vom pragmatischen Paradigma aus denken5, wirkt sich – noch – relativ selten aus. Freilich, die Linguistik hat es schwerer als etwa die Literaturwissenschaft, ihre Funktionalität für den Deutschunterricht herauszustellen. Diese Konstellation in Schule und Hochschule führt bis in die Ministerien hinein zu einer immer kritischer werdenden Relevanzfrage zum Anteil der Linguistik im Lehramtsstudium, während es beispielsweise den Erziehungswissenschaften zunehmend gelingt, Studienanteile zu besetzen – allgemein und fachunspezifisch. Die Deutschdidaktik fühlt sich zwischen solchen Stühlen offensichtlich nicht allzu unwohl, zum einen, weil die Gruppe der Grammatikdidaktiker relativ klein ist (etwa im Gegensatz zu den Schreibdidaktikern in der Gruppe der Sprachdidaktiker), zum anderen, weil auch die Deutschdidaktik einer Gesamtorientierung nicht ausweichen zu wollen scheint, die positives Wissen als deklaratives Wissen abwertet und stattdessen 5

Als Beispiel sei etwa genannt: Hausendorf (2006) sowie (1992).

12

Peter Klotz

auf Handlungsorientierung setzt. Zum dritten, weil es in der Deutschdidaktik seit langem eine Differenz gibt zwischen solchen Vertretern, die der Fachwissenschaft funktional nahe stehen, und solchen, die ihr Selbstverständnis aus der Nähe zu den Erziehungswissenschaften beziehen. Diese didaktische Konstellation wird relativ gut greifbar an der Auseinandersetzung um die Modularisierung der Studiengänge: unter dem Schlagwort der Polyvalenz wäre eine Ausweitung didaktischer Anliegen über die Schule hinaus zwar gut denkbar, wird aber m.E. von der überwiegenden Mehrheit der Deutschdidaktiker nicht gewollt; der Grund liegt in der sehr positiven Sicht auf die Aufgaben der Lehrkräfte im Schulunterricht. So verständlich und sinnvoll diese Sicht auch ist, eine funktionale Befruchtung didaktischer Bemühungen um die Konstruktion von Lehr- und Wissenswertem unter allgemeinen Bedingungen des Sprachgebrauchs wird damit nicht versucht – mit wenigen Ausnahmen. Die hier aufgezeigte institutionelle Situation, die im Einzelfall weniger kritisch sein mag, die aber grosso modo immer wieder anzutreffen ist und für deren Veränderung eben noch viel geschehen muss (s.u.), ist durch eine fachinterne Bestandsaufnahme zu ergänzen und zu diskutieren.

3. Fachliche Konstellationen Weder beim Formulieren noch beim Verstehen von Texten wird „grammatisch“ nachgedacht – oder doch nur in ganz seltenen Fällen, und dies nur bei entsprechender Wissensausstattung/Bildung, oder wenn dies aus systematischen Gründen bei Textanalysen ausdrücklich gefordert wird. Aber gerade solche Aufgaben leiden oft daran, dass die Frage nach der sprachlichen Gestaltung des Textes nur wie eine – lästige – Pflichtaufgabe gestellt wird. Dies zumal so, weil die Routine für eine überzeugende Funktionalisierung meist fehlt. – Erst wenn, so lässt sich an dieser Stelle nun hypothetisch weiter argumentieren – das Beschreiben von Texten als eine weiterführende, z.B. ästhetische und semantische Erschließung begriffen und vollzogen wird/wür-de (!), erst dann ergäbe sich z.B. eine solche Routinisierung. Dies würde aber eine Sprachhaltung/-einstellung voraussetzen, der an der Form gelegen ist, etwa um Machart und Wirkung eines Textes „ergreifen“ zu können. Im Unterricht kann und mag das zunächst durchaus mit alltagssprachlichen Mitteln geschehen, in der Lehramtsausbildung aber – also im Studium und Referendariat – gilt es, eine Kompetenz anzuregen, die solche im Unterricht ablaufenden alltagssprachlichen Redeweisen in die Fachlichkeit zu übersetzen vermag, um in der Folge zu entscheiden, inwieweit diese Fachlichkeit auch für Schüler

Grammatikdidaktik – auf dem Prüfstand

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notwendig wird, etwa um angemessen über die Sprachlichkeit von Texten reden zu können. Ähnliches bzw. Übertragbares ließe sich für die Nutzbarkeit sprachlichen Wissens beim Texte-Formulieren sagen, und zwar insbesondere bei der Überarbeitung von bereits entworfenen und „schon mal“ formulierten Texten. Aber in diesem Bereich ist es so, dass viele Veränderungen beim Überarbeiten inhaltlichen Aspekten vorbehalten bleiben. Der Grammatikunterricht hat aber in den seltensten Fällen ein Wissen bereitgestellt, das sich als unmittelbar verwendbar erweist. Dies aber gäbe es, z.B. in den Bereichen der Wortfolge oder der Thema-Rhema-Abfolge, etwa um Emphase auszudrücken, inhaltliche Komplexität anzuzeigen u.v.a.m. In welcher Richtung man auch nachdenkt, Ziele und Erwartungen, die der Grammatikunterricht ausfüllen kann, sind mit Blick auf das Machbare und Nützliche zu überprüfen und ggf. neu zu formulieren. Dabei muss man sich dem Vorwurf stellen, dass Grammatikunterricht zu oft bei der Errichtung eines Fachwortschatzes, bei Terminologie also stehen bleibt. Ich habe dies als sprachlichen Benennungsunterricht gegeißelt6, weil die Verfahren zum Erkennen und Wiedererkennen sprachlicher Phänomene selten hinreichend thematisiert werden – etwa im Sinne einer intellektuellen Verselbständigung der Schüler. Einzig die Ansätze der „Grammatikwerkstatt“ nach Menzel und Eisenberg (1995) haben hier einen klügeren und weiterführenden Weg beschritten. Damit erreichen wir einen zentralen Punkt unseres Anliegens: nur wer den Anspruch überzeugend vertritt, dass 1. Einsicht in sprachliche Phänomene einen Bildungswert seinerseits hat, dass 2. dieses Wissen nur über eine Modellbildung erreichbar ist und dass 3. damit eine transferfähige Sicht auf „Welt“ im Sinne eines Propädeutikums entsteht, nur derjenige wird einen auf Grammatik bezogenen Unterricht konzipieren, der in sich überzeugend ist. Gute Beispiele hierfür wären (a) alle Auseinandersetzungen mit dem valenzgrammatischen Modell, weil gezeigt werden kann, wie Grundbezüge/Grundrelationen zwischen menschlichem Ich und Welt notwendiger Weise sprachlich gespiegelt werden (schenken, bringen, liefern als Bezug zwischen zwei Menschen über eine – vielleicht erwünschte – „Sache“; lieben, hassen, beurteilen als primärer Mensch-Mensch-Bezug, aber auch als Mensch-SacheBezug; helfen, schaden, nützen ebenfalls als Mensch-Mensch-Bezug mit noch höherem „humanen“ Bezug durch die Dativkonstruktion (vgl. z.B. Fillmore 1972) schlafen, ruhen z.B. als primärer Subjekt-Bezug). Hier ließen sich in einer eigenen Sprachreflexion die Notwendigkeiten sowohl der Subrhematisierung und der Thematisierung größerer Einheiten über Attribuierungsvarianten als auch deverbativer Nominalisierung logisch sehr gut an6

Mögliche Positionen werden geklärt in: Klotz (2004).

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Peter Klotz

schließen. Dass nämlich Attribute erheblich wichtiger für den Informationsfluss werden können als ihre Bezugswörter, wird zu selten gesehen und schulisch thematisiert – darauf komme ich noch zurück. Ein anderes gutes Beispiel (b) für in sich stimmig zu entwickelnden Unterricht wäre die kommunikative und geistige Notwendigkeit, Äußerungen zu modifizieren bzw. zu binnendifferenzieren. Die reichen Möglichkeiten entziehen sich einem einzigen, engen, modellgebundenen Zugriff, wenn man nicht im Verbbereich bei Indikativ und den Konjunktiven I und II festhängen bleiben will, sondern neben phraseologischen Möglichen und sogen. Suprasätzen bis hin zur einzelnen Wortwahl (vgl. z.B. Bühlers Sprachtheorie 1934; 3 1982) das modifizierende sprachliche Potenzial (vgl. Klotz 1991) in den Blick nimmt. Ein gewichtiges Ziel des Sprachwissens und Grammatikunterrichts, das mit hohem Anspruch zu vertreten ist, ist also die Einsicht in Sprache allgemein. Ebenso notwendig ist die Bildung von Modellen, um über Sprache gezielt sprechen zu können. Hier gilt es, einen bescheidenen Erwartungshorizont aufzubauen, der nicht zu viel verspricht, z.B. keine unmittelbare Steigerung der Fomulierungs- und der Verstehenskompetenz, obwohl es auch dafür Beispiele – etwa die Vermittlung der indirekten Rede – gibt. Es handelt sich also um ein Ziel, das man als Unterrichtender nur langfristig erreichen kann (vgl. z.B. Klotz 1996). Allerdings ist von uns universitären Ausbildern und von den Seminarausbildern deutlich Druck auf die Auszubildenden zu machen, dass sie grundsätzlich zum einen über die dafür nötige Kompetenz verfügen, und zum anderen, dass sie eine offene Einstellung für solche Lehr-/Lernabsichten entwickeln. Es ist – und darüber besteht für mich kein Zweifel mehr – so, dass ein solcher auf Einsicht gerichteter Unterricht zum Sprachwissen schließlich doch die Sprachensensibilität für das Formulieren und Verstehen fördert, aber nur langfristig und bei kontinuierlicher Thematisierung, und zwar im Sinne von stilistischer Wachheit, von Denken in sprachlichen Alternativen und im Sinne von Distanzierungsfähigkeit sowohl gegenüber eigenen Texten als auch gegenüber zu rezipierenden Texten: Was wird hier eigentlich thematisiert? Könnten oder müssten die Thematisierung und Entfaltung im Text nicht ganz anders geschehen? Kann und will ich meinen Text so verantworten? Will ich die Struktur und den Inhalt eines zu rezipierenden Textes bis in die Formulierungen hinein in meine Weltsicht und/oder Kompetenz mit übernehmen? M.a.W., dies wären Ansätze einer Sprachbewusstheit und eines funktionierenden Sprachwissens, die ich mir – sit venia verbo – für eine Art Textethik vorstelle. Sie wäre, sie ist ein Ziel, das man aus guten Gründen wollen kann – zu dem man sich aber selbst entscheiden muss. DU hätte, hat dabei die Aufgabe, Angebote zu machen: zu Spracheinstellungen und zum dafür notwendigen sprachlichen Wissen.

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Genau an dieser Stelle gilt es, die Frage wieder einmal, aber unter verändertem, nämlich differenziertem Horizont zu stellen, welche sprachlichen Bereiche denn einen Unterricht im Sinne von aktiver Sprachkompetenz „lohnen“ (s.u. Lehrenswertes Sprach-/Grammatikwissen, ein Vorschlag, Klotz 2004: 159f.). Diese Frage zu beantworten schließt wenigstens drei, evtl. vier Voraussetzungen ein: 1. Abrücken vom bisherigen Inhaltekanon des sprachlichen Wissens, wo die Frage nach der konkreten Funktion nicht beantwortet werden kann. 2. Offenheit, neue Inhalte in den Kanon eines Sprachwissens einzubringen, u.a. solche, wie sie die Textlinguistik und die Pragmalinguistik z.T. schon bereitstellen. 3. Empirische Überprüfung der Lehr-/Lernbarkeit der Inhalte des Sprachwissens und ihrer Auswirkungen auf die Formulierungs- und Verstehenskompetenz der Schüler. 4. Schön und eigentlich notwendig wäre es schließlich, wenn zusätzlich in den Kanon bzw. in die empirische Überprüfung aufgenommen würde, was die literarästhetische Kompetenz fördert.

4. Kanondiskussion Die Erörterung institutioneller und fachlicher Fragen hat deutlich gemacht, dass zwischen Lehrplänen und Inhalten linguistischer und sprachdidaktischer Seminare nicht nur unklare Verhältnisse herrschen, dass naheliegende Bezüge nicht nur nicht thematisiert werden, sondern dass institutionell-funktionale Zusammenarbeit eher die Ausnahme ist (dass die Zeitschriften „Praxis Deutsch“ und „Der Deutschunterricht“ diese Zusammenarbeit von Praktikern und universitären Theoretikern praktizieren, beweist ja, wie sinnvoll solche Funktionsbezüge sind) und dass somit auch die Reihenfolge der Arbeitsteilung keineswegs gut geklärt ist. Denn vorgängig wären/sind empirische Untersuchungen nötig, welche grammatischen, textuellen und pragmatischen Inhalte funktional in eine bewusste Sprachverwendung – produktiv und rezeptiv – eingehen können, damit sie in diesem Sinne gelehrt, geübt und diskutiert werden können. – Dass daneben grammatisches Wissen stehen kann, das vor allem Einsicht in die Struktur der Sprache stiftet, ist dabei nicht nur unbenommen, sondern muss auch weiterhin hochgehalten werden. Dies ist u.a. aber auch leichter zu bewerkstelligen, wenn es gelungen ist, Sprachwissen funktional zu vermitteln. – Die empirischen Untersuchungen und ihre Ergebnisse wären sodann für die Lehrpläne aufzubereiten – pardon, aber um den optativen Konjunktiv kommt man bei solcher Stellungnahme nicht herum.

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Eine solche Reihenfolge ist recht eigentlich Pflicht der Institutionen, zumal der Linguisten und der Sprachdidaktiker. Dass bei solchen Aufgabenstellungen auch institutionelle Hilfen nötig sind, ist Teil dieser Sachlage; so wäre die Zusammenarbeit mit „Universitätsschulen“, wenn es denn solche wieder gäbe, geraten, zumindest aber ein erleichterter Zugang zu Schulklassen, um sinnvolle Empirie betreiben zu können. Ein weiteres, aber ebenfalls bewältigbares Problemfeld tut sich auf: Kanonisierungen, noch dazu wenn sie im diskursiven Fluss bleiben sollen, müssen bei der Lehrerschaft „anschließbar“ sein, d.h. Neuerungen sind zum einen vom Gebiet gewachsener Grammatikvorstellungen aus zu entwickeln, zum anderen sind Neuerungsschübe notwendig. M.a.W., von Bereichen wie „Attribuierung“ oder „Modalisierung“ können neue funktionale Zusammenhänge für das Sprachwissen aufgebaut werden (s.u.), eine konsequente Textualitäts- und Pragmatikorientierung ist ohne landesweite Lehrerfortbildung nicht zu installieren. Die Sache der Grammatikdidaktik braucht also institutionelle und sachlichfachliche Rahmenbedingungen, um aus dem fortwährenden Dilemma mehr oder weniger fachwissenschaftlich und fachdidaktisch guter Arbeiten, Vorschlägen, Strukturen und deren relativer Wirkungslosigkeit herauszukommen. Am Beispiel der Attribuierung (eine konkrete Unterrichtseinheit findet sich im folgenden 5. Abschnitt) lässt sich relativ gut erkennen, warum und wie sie Teil in einer kanonisierten Liste zum Sprachwissen zu sein hat. Von der linguistischen Sachlage müsste sie der gesamten Deutschlehrerschaft als konventionellem Wissen zugänglich sein. Die Expansion dieses Wissens hin zu einer sprachlichen Funktionalität hat dabei noch folgende Stadien zu durchlaufen: − Klärung der „Künstlichkeit“ einer solchen Begriffsbildung, die ja höchst unterschiedliche Sprachzeichenansammlungen bzw. Wortgruppen (Haueis 1999) unterhalb der Satzgliedwertigkeit kategorial erfassen will (Adjektiv-, Adverb-, Genitiv-, Präpositionalattribut, Relativsatz, konjunktionaler Attributsatz). − Klärung des Wertes, des Sinnes einer solchen kategorialen, begrifflichen Zusammenfassung; funktional ergibt sich dieser Wert wohl vor allem aus einer Sicht auf das Attribut als Subrhema und somit in seiner Funktion für den Informationsfluss bzw. für die Schaffung relativ fester semantischer Entitäten, wie sie ähnlich in der kompositionellen Wortbildung zu finden sind (schwarze Liste, palmenbesetzter Sandstrand, Fahrzeug mit hohem Wiederverkaufswert u.s.f., s.u. das Beispiel).

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− Einübung in die Nutzung der Funktionalität im Sinne eines „Sprachange-

botsunterrichts“7: solche Strukturen zu kennen bedeutet 1. Wahrnehmungsschärfung beim rezeptiven Sprachgebrauch und somit 2. Befähigung zum Sprechen über Sprache und Sprachgebrauch (Pragmatik). Es bedeutet 3. die Möglichkeit, selbst solche Strukturen bewusst zu formulieren oder z.B. bei Textüberarbeitungen anzuwenden. 4. Einsicht in die Optionalität sprachlichen Ausdrucks, was idealer Weise eine Verantwortung für den eigenen Sprachgebrauch mit einschließt. − Einsicht in das Zeichensystem Sprache und die Konventionen ihrer Beschreibung: Attribuierung ist zunächst vor allem ein grammatischer, keineswegs ein irgendwie „lebensnotwendiger“ Begriff. Ihn zu kennen, bietet Sprachverwendungsmöglichkeiten im Sinne der Sprachbewusstheit – mehr aber auch nicht. In die Diskussion um die Attribuierung wäre schließlich aufzunehmen, inwieweit eine Parallelisierung zur Valenzgrammatik des Verbs trüge: Attribute können für den Informationsfluss geradezu obligatorisch werden, z.B. die Insel hat ein mildes Klima versus *die Insel hat ein Klima. – Nach meinen Beobachtungen eignen sich solche Attributkonstellationen offensichtlich ganz besonders für appellative Akzentsetzungen, wie sie etwa für die Werbung gebraucht werden. Für unseren Zusammenhang ist festzuhalten, dass ein gewissermaßen „altkanonisches“ Thema wie die Attribuierung für eine Funktionalisierung gut ausbeutbar ist und dass sich Textualitätsbezüge fast wie von selbst ebenso einstellen wie pragmatische. Umgekehrt würden/werden ein für die Schule relativ neues Thema wie „Wortfolge“, „Thema-Rhema-Strukturen“, „Herausstellungsstrukturen (Emphase)“8 den Blick auf systemgrammatische Zusammenhänge lenken. So sind z.B. Herausstellungsstrukturen nicht ohne die Beherrschung des Spiels mit Wort- bzw. Satzgliedfolgen zu bewältigen, oder die Frage nach ihnen lenkt den Blick auch noch auf das Passiv, das in besonderer Weise geeignet ist, das Agens herauszustellen, ebenso wie es zur Vermeidung der Agensnennung geeignet ist. Genau diese Wechselbeziehungen von – hier – komplementären Funktionen sind wert, thematisiert zu werden, und zwar sowohl in ihrer textgestaltenden als auch pragmatischen Qualität. Wiederholt sei hier schließlich der leicht veränderte Vorschlag eines Sprachwissenskanons, den ich 2004 ein erstes Mal gemacht habe und der sich vor allem auch um „Anschließbarkeit“ an bestehendes grammatisches Wissen bei der Lehrerschaft bemüht, aber auch neue Akzente setzt:

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Genauer diskutiert an dem Beispiel der Adverbialsätze in: Klotz, Peter (1996: 123–131). Vgl. Polenz (1985): die Hinweise zum Passiv.

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Lehrenswertes Sprach-/Grammatikwissen, ein Vorschlag 1. Verbsyntax (1) 1.1 Tempus 1.2 Modus 1.3 Genus verbi (Aktiv/Passiv) 2. Verbsyntax (2) 2.1 Valenzmodell in groben Zügen 2.2 Adverbialien (der Zeit, des Ortes, der Art und Weise, des Grundes/Gegengrundes, Zweckes) 2.3 Satzadverbiale 2.4 Attribuierungsformen (als rhematische Funktion zu Pragmatik 1) 3. Satzarten und Satztypen/Pragmatik 1 (explizite, grammatifizierte Sprachhandlungen) 3.1 Aussage-, Frage-, Befehlssatz 3.2 Hauptsatz, Nebensatz (Gliedsatz, Attributsatz); Parataxe, Hypotaxe 4. Satz, Text (Strukturen als Handlungen im Informationsfluss), Pragmatik 2 4.1 Thema – Rhema – Theorie 4.2 Wortordnung / Satzgliedfolge 4.3 Proformen 4.4 Konnexive Sprachelemente; semantische Isotopie 4.5 Textsegmentstrukturen (Textabschnitte) 5. Pragmatik 3 (implizite Sprachhandlungen durch Wahl der Sprachmittel) 6. Wortschatz, Register, basale Morphologie Diese Liste ist natürlich ein Discutandum. Ich habe sie erstellt, weil ich einen dezidierten Anstoß geben möchte. Linguistik und Deutschdidaktik haben dies bislang nicht oder kaum9 getan. Da es aber weder um irgendeine Vollständigkeit gehen kann noch einfach geschehen darf, dass der alte Kanon – denn natürlich gibt es ihn – fort und fort übernommen wird, und seien es Reduktionen davon, muss ein solcher Vorstoß immer wieder gemacht werden, damit er – wie andere canones auch – diskutiert werden kann. Auch dieser Vorschlag enthält ja nur einiges Neues, aber er will ernst machen mit den zentralen Bezugspunkten Textualität und Pragmatik. Das ist mutatis mutandis das, was auch unter einer ernst genommenen Rhetorik mit aufgelistet werden müsste. – Noch ist diese Liste systemlinguistisch orientiert, einfach um anschließbar an vorhandene Wissensbestände und Lehrtraditionen zu sein. Diese Anschließbarkeit erscheint mir deshalb so wichtig, weil sonst Ablehnung vorprogrammiert ist. Und die Liste will ja auch Zweierlei: nämlich einige grundlegende Einsichten in Sprache bzw. in Syntax, durchaus „funktionslos“ als ein Wis9

Eine Ausnahme stellt dar: Blüml (1992).

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sen, das ich trotzdem nicht „tot“ zu nennen über mich bringe; denn noch sollten einige „positive Daten“ zum gemeinsamen Wissen über Sprache zwischen den Generationen gepflegt werden. Darüber hinaus lässt sich aber doch ein weiter zu entfaltender funktionaler Text- und Pragmatikbezug herstellen.

5. Grammatikdidaktik im methodisierten Beispiel Um die Realisierung der Verknüpfung von Systemlinguistik, Textorientierung und Pragmatik nicht nur zu proklamieren, sondern im Beispiel als Möglichkeit vorzustellen, seien hier zentrale Teile einer Unterrichtseinheit zur Attribuierung herangezogen, danach wird noch kurz auf einen literarischen Text im Sinne der Vermittlung ästhetischer Erfahrungen eingegangen. Vorweg sei darauf hingewiesen, welche grammatikdidaktischen Entscheidungen bzw. Konzeptionierungen hier zu finden sind – die Methodisierung erschließt sich ja unmittelbar. Ausgangspunkt sind hier reale Texte aus der Reisebranche. Sie haben den Vorteil, Sprachhandlungen der Information mit solchen der Werbung verbinden zu müssen. Diese Wahl erweist sich für die Grammatikdidaktik insofern als Glücksfall, als bei solchen Texten die Vielfalt der Attribuierungen aufscheint. Der begrifflich-systematische Zusammenhang entsteht zunächst „wie von selbst“, weshalb methodisch auch mit Textbegegnungen begonnen wird, bis dann der Fokus auf die Attributzusammenhänge relativ direkt und einfach gelenkt wird. Grammatikdidaktisch relevant ist in der Folge, das Bezugswort nicht überzuthematisieren und die informative Bedeutung der Attribute als Subrhemata deutlich werden zu lassen (*Das Tal hat ein Klima versus Das Tal hat ein mildes Klima), auch wenn hier methodisch und unterrichtlich nicht die Stelle ist, von Thema und Rhema auch noch zu handeln, zumal die begriffliche Kognitivierung von den Heranwachsenden für den Schwerpunkt „Attribut“ hier zu leisten ist. Das dritte Kapitel der Unterrichtseinheit macht ernst mit dem Versuch, die informative Notwendigkeit von Attributen zu diskutieren. Diese grammatikdidaktische Schwerpunktsetzung erlaubt in der Folge einen kritischen Blick auf entsprechende Werbe- und Informationstexte, wird doch ihre parallele Machart recht augenfällig. Die methodische Kunst für eine solche Grammatikdidaktik, die Systemlinguistik mit Textwissenschaft und Pragmatik verknüpfen will, liegt in der Suche nach Text- und Sprachhandlungskonstellationen, die für die erwünschten Verknüpfungen „Affinitäten“ aufweisen, so wie das im nun folgenden Beispiel der Fall ist.

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Teile einer Unterrichtseinheit zum Attribut: Ferienpläne 1. Ferienpläne Manche Leute fahren spontan, ohne große Planung, in die Ferien. Die meisten aber planen genau, wohin sie fahren wollen. Kinder und Jugendliche sind oft an der Auswahl beteiligt. Sie sagen, was ihnen gefällt, und suchen das Ziel und die Art der Ferien mit aus. Die Urlaubsprospekte sind übervoll mit Informationen. 1. Auf was für Ferien hättet ihr im Sommer Lust, auf was für welche im Herbst? Begründet eure Vorstellungen. Ferien auf dem Bauernhof – ein preiswerter Urlaub für die ganze Familie Alte und neue Bauernhöfe erwarten Sie und Ihre ganze Familie. Sie finden dort echtes Landleben in unmittelbarer Nähe der Natur. Bei Ihren netten Vermietern gewinnen Sie rasch Anschluss. Unsere Bauernhöfe haben eine familienfreundliche Lage; sie befinden sich abseits der großen Verkehrswege. Sie können wählen: – – – – –

Höfe mit Gästezimmern, Höfe mit Ferienwohnungen, Höfe, die Reitunterricht und Kutschfahrten anbieten, Höfe, auf denen Sie im Stall mitarbeiten können, Höfe mit Töpfer-, Web- und Malkursen.

Gemütliche Gästezimmer mit Dusche, WC und Balkon lassen Sie nichts vermissen. Die originell ausgestatteten Ferienwohnungen mit eigener Küche und Bad werden Ihnen gefallen. Kinder finden hier liebe Tiere und interessante Pflanzen, die sie sicher noch nicht kennen, viel Platz zum Herumtollen und zahlreiche Spielgefährten. Vom Alltag gestresste Erwachsene erholen sich bei bodenständiger Hausmannskost. 2. Lest den Text „Ferien auf dem Bauernhof“ und prüft, wie all das, was laut Prospekt für die Ferien wichtig erscheint, „ausgestattet“ ist. Schreibt euch dazu heraus, was ihr aus dem Prospekt erfahrt zu – – – –

den Bauernhöfen, den Gästezimmern, den Ferienwohnungen, den Tieren und Pflanzen;

aber auch das, was über das Landleben und die Vermieter im Text steht, z.B. alte und neue Bauernhöfe Höfe mit Gästezimmern 3. Welche der Informationen, die ihr herausgeschrieben habt, haltet ihr für notwendig, um einen Urlaub auf dem Bauernhof wählen zu können? Welche der

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Klett, Stuttgart 2000ff: Sprachschlüssel Bd. 6, 138–143.

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Informationen dienen wohl eher dazu, den künftigen Urlaubern schon jetzt Ferienstimmung zu vermitteln? 4. Die Frage danach, welche der Informationen notwendig sind, könnt ihr auch mit Hilfe der Weglassprobe beantworten: Bauernhöfe erwarten Sie und Ihre Familie. Sie finden dort Landleben. Bei Ihren Vermietern gewinnen Sie rasch Anschluss. Unsere Bauernhöfe haben eine Lage; sie befinden sich abseits der Verkehrswege. Sie können wählen: Höfe, Höfe, Höfe ... Fahrt fort, indem ihr euch an die herausgeschriebenen Information (vgl. Aufgabe 2) haltet, und prüft, wo der Text nach der Weglassprobe verständlich und informativ bleibt und wo eine größere sprachliche Ausstattung notwendig ist. Oft ist es nötig, mehr über eine Sache, eine Person oder einen Sachverhalt zu sagen, als es sich mit einem Wort, z.B. einem Nomen, ausdrücken lässt. Diese weiteren Angaben nennt man grammatisch Attribute. Das Wort, auf das sich ein Attribut bezieht, nennt man sein Bezugswort. alte und neue

ATTRIBUTE

Bauernhöfe Bauernhöfe

mit Gästezimmern

BEZUGSWORT

ATTRIBUT

Attribute bilden zusammen mit ihrem Bezugswort im Satz eine Einheit. Das lässt sich mit Hilfe der Umstellprobe zeigen. Beim Umstellen innerhalb eines Satzes bleiben Bezugswort und Attribut(e) immer zusammen, z.B.: In alten und neuen Bauernhöfen wohnen Sie und Ihre ganze Familie. Sie und Ihre ganze Familie wohnen in alten und neuen Bauernhöfen. 5. Macht Umstellproben innerhalb der Sätze des Prospekttextes. Was bleibt zusammen? Kennzeichnet die Bezugswörter und die Attribute. – Seht euch die Attribute genau an und versucht solche Attribute herauszufinden, an denen möglichst viele Wortarten beteiligt sind. –

Achtet darauf, dass Attribute sowohl links als auch rechts vom Bezugswort stehen.

2. Und was für ein. . . ? Ferien auf einer Insel können schön und abwechslungsreich sein. Viel hängt natürlich davon ab, dass man sich eine Insel heraussucht, auf der man den eigenen Interessen und Neigungen gut nachgehen kann. So ist es wichtig, möglichst viele und brauchbare Informationen über das Ferienziel zu sammeln. Und da Ferienprospekte natürlich immer auch werben, muss man unterscheiden, welche Textstellen wirklich informativ sind und welche die Vorfreude auf die Ferien ausmalen. Das erwartet Sie auf LA GOMERA Die wild zerklüftete, zweitkleinste Insel des Kanarischen Archipels bietet frühlingshaftes Klima und in ihren winkligen Tälern unentdeckte Naturschön-

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Peter Klotz heiten. Neben Steilküsten liegen an versteckten Stränden fast vergessene Dörfer; so die grüne Oase Villa Gran Rey, ein pittoreskes Dorf in einer grandiosen Schlucht mit malerischen Terrassenfeldern und Palmen.

Natur und Umwelt Die UNESCO hat den Nationalpark Garajonay wegen seiner weltweiten Einzigartigkeit 1985 zum Kulturgut der Menschheit erklärt. Hier befindet sich der größte und am besten erhaltene Lorbeerwald der Welt. Mit uralten, flechtenbehangenen Lorbeerbäumen, Moosen und Quellen. In ihm zu wandern gehört zu den besonderen Erlebnissen eines La-Gomera-Urlaubs. Geologische Formationen und der Pflanzenreichtum begeistern heute noch jeden Naturinteressierten. Ob nach Fertigstellung des neuen Flughafens mehr Gäste angezogen werden, die den besonderen Wert dieser Insel zu schätzen wissen, bleibt zu bezweifeln.

Bergwandern La Gomera ist ein Paradies für Wanderer. Es hat unberührte Natur und eine wildromantische, zerklüftete Landschaft. Die Bergführer der Alpinschule Innsbruck werden Ihnen während dieser erlebnisreichen Wanderwoche die Insel mit ihren uralten Bräuchen näher bringen.

1. Die vielfache Verwendung von Attributen ist typisch für Werbetexte, also auch für Reiseprospekte. –

Schreibt euch die Attribute mit ihren Bezugswörtern heraus; die Bezugswörter sind schon unterstrichen.



Sprecht darüber, welche Attribute besonders werbewirksam sind (oder sein sollen) und welche vorwiegend informativ sind.

2. Untersucht, welche der Informationen, die durch die Attribute gegeben werden, fast zu jedem Ferienangebot passen würden, z.B. wildromantische Berge/Ausritte/Badebuchten ... Probiert aus, ob ihr mit einigen dieser Attribute nicht auch „Ferien auf dem Bauernhof“ beschreiben könntet. Wie ihr inzwischen herausgefunden habt, geben Attribute Eigenschaften, Mengen oder Qualitäten von den Lebewesen oder Sachen an, auf die sie sich sprachlich beziehen; es gibt davon grammatisch verschiedene Typen: Die interessanten Ausflüge Die Küste der Insel

Die Insel mit ihren Schluchten

Die Hotels dort

Adjektivattribut (nach der Wortart Adjektiv so genannt) Genitivattribut (weil das Attribut im Genitiv steht) Präpositionales Attribut (weil das Attribut durch eine Präposition mit dem Bezugswort verbunden ist) Adverb als Attribut (nach der Wortart Adverb so genannt)

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Die Oase Gran Rey, ein Dorf in einer Apposition (Das ist ein nachgestelltes Attribut, das durch Kommas einSchlucht gegrenzt wird.) Ferien, die wir ganz alleine planen und Relativsatz (Das Attribut erscheint als auf die wir uns ganz besonders freu- ein Nebensatz, der durch ein Pronomen eingeleitet wird. Dieses Relativpronoen, men verweist auf das Bezugswort.)

3. Sucht zu jedem Attributtyp Beispiele aus den Texten heraus. Welche Attributtypen kommen besonders häufig vor? 3. Die Entscheidung oder die Qual der Wahl 1. Worauf würdet ihr bei Urlaubsprospekten besonders achten: darauf? der märchenhafte Strand

Oder

darauf? der einzige Sandstrand

das traumhaft schöne Hotel

das Hotel mit eigenem Strand

Sportgeräte für jeden Interessierten

Sportgeräte für Kraftsportler, Trainierte und Untrainierte

ideal eingerichtete Zimmer

Zimmer mit Dusche und Balkon

Zimmer, in denen Sie sich wohl fühlen werden....

Zimmer, von denen man unmittelbar ins Freie gelangen kann....

2. In beiden Spalten kommen verschiedene Typen von Attributen vor. Am Typ kann es also nicht liegen, welche Attribute für euch die wichtigeren sind. Stellt fest, – welche Attribute ihr Bezugswort näher bestimmen, also notwendig sind, und – welche es schmücken, also zusätzlich sind. Manchmal kann man geteilter Meinung sein, meist ist die Entscheidung aber recht eindeutig. Arbeitet mit der Weglassprobe: Zimmer mit schönem Blick auf das Meer

HOTEL GRAN CANARIA Das bietet das Hotel: Das Haus, in dem sich unsere Gäste sehr wohl fühlen, hat weite Etagen und zwei Lifts. Im freundlichen, hellen Salon genießen Sie den Blick aufs Meer und die Strandpromenade. … PENSION ANITA Das bietet Ihre Pension: Das bäuerliche, modern und geschmackvoll renovierte Haus wartet mit zwei Speisesälen unterschiedlicher Einrichtung, mit einem gemütlichen Fernsehzimmer und einem optimal ausgestatteten Spielzimmer auf. …

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Peter Klotz

Die hier in Teilen eingefügte Attributeinheit geht vom realen Sprachgebrauch aus: die Texte stammen in leichter Abwandlung aus Katalogen deutscher Reiseveranstalter. Schon im 1. Kapitel „Ferienpläne“ wird augenfällig, dass Attribute keine „schmückenden Addita“, sondern wichtige Informationen – linguistisch: Subrhemata – sind; ohne die Attribute wären etliche Sätze sinnlos bzw. fast sinnleer. Das 2. Kapitel „Und was für ein ...?“ macht schlicht und klar deutlich, dass es hier ein zu beachtendes grammatisches Wissen gibt, und die grammatischen Kenntnisse schärfen den Blick für den Informationsfluss von Texten. Kapitel 3 „Die Entscheidung oder Qual der Wahl“ steigert die Intensität der Betrachtung des Informationsflusses, indem – fast wie bei der Valenzgrammatik!, was zu einer methodischen Engführung beiträgt – nach notwendigen und nach schmückenden (ornativen) Attributen gesucht wird. Faszinierendes Zusatzergebnis ist sodann anhand der Beispieltexte, dass Texte offenbar nach völlig gleichen „Mustern“ gebaut werden können, ob sie nun für einen Gebirgsurlaub oder für einen Urlaub am Meer formuliert werden. Und was hier gilt, gilt in der Lebenswirklichkeit noch oft. Nach einer solchen Unterrichtseinheit ergibt sich für die Funktionalisierung von Sprachwissen nun die Notwendigkeit, den Versuch zu machen, vom rezeptiven Sprachgebrauch, die Unterrichtseinheit hier, in den produktiven Sprachgebrauch überzuleiten, um zu überprüfen, inwieweit eine solche Lektion weiteren Nutzen für den Sprachgebrauch erbringt. Dabei wäre es nun falsch, bei Schülertexten sofort eine erhebliche Verbesserung im funktionalen Attributgebrauch zu erwarten. Vielmehr bietet sich sehr erfolgversprechend an, für die Überarbeitung erster Schülertexte auf das Kriterium der Attributverwendung hinzuweisen, und zwar nun natürlich nicht im trivialen Sinn vom „schmückenden Adjektiv“, sondern in Bezug auf den Informationsfluss und auf die Sprachhandlungen INFORMIEREN und WERBEN. Dieser Hinweis ist deshalb notwendig, weil das wichtige Überarbeiten, das zu einem zentralen Paradigma der prozessorientierten Schreibdidaktik geworden ist, oft zu sehr am Inhaltlichen orientiert ist. Schüler brauchen aber überdies recht konkrete Hinweise, wo sie ihre sprachliche Überarbeitung ansetzen können. – Eine naheliegende, „affine“ methodische Möglichkeit wäre z.B. der Hinweis, dass die meisten Touristenprospekte sich an Erwachsene wenden. Warum sollten also Heranwachsende nicht Ortsprospekte oder Ähnliches speziell für Gleichaltrige und ihre spezifischen Interessen verfassen? Das Schulbuch geht tatsächlich diesen Weg, aber auch ein Themenwechsel könnte sinnvoll sein, etwa Texte zu Fernsehsendungen, Musik-CDs und anderem mehr. Entscheidend an diesem Vorgehen sind die ermöglichten spezifischen Spracherfahrungen, die längerfristig eben doch Erfolg versprechen. Kurz sei in diesem Zusammenhang die Funktion der bewussten Sprach- und Grammatikbetrachtung bei literarischen Texten gestreift. Das Ziel hier ließe

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sich wohl am besten mit den Werten der Textnähe, des Forminteresses und der sprachlichen Sensibilität umschreiben. Eichendorffs „Wünschelrute“ (1838)11 baut eine eigentümliche Spannung und Schwingung grammatisch auf, die natürlich auch ohne grammatisches Wissen erfahren werden kann. Freilich, genauere Auskunft über diese lyrische Erfahrung kann nur geben, wer sprachlich wahrnehmungsfähig ist, und dies heißt wiederum aus der Wahrnehmungspsychologie: es braucht ein wenigstens halbbewusstes Vorwissen, um ein Objekt wahrnehmen zu können, und je mehr ich mich seiner Beschreibung (und Analyse) widme, umso mehr und umso genauer nehme ich wahr – ein spiralzirkulärer Prozess, der schließlich von sich aus zur Äußerung drängt. Und Äußerungskompetenz zu Literatur, jenseits von Interpretation und diesseits ihrer Sprachlichkeit, darf als kontinuierliches Desiderat bezeichnet werden. Der Text: Wünschelrute Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen; Triffst du nur das Zauberwort.

Der uns hier interessierende grammatische Reiz des Textes liegt in der Struktur, das finite Verb des 1. und 4. Verses in Initialstellung zu bringen, während im 2. Vers, im Relativsatz, eine Rechtsausklammerung (fort und fort) stattfindet und der 3. Vers beim trennbaren Verb anheben auf die Satzklammer verzichtet (statt: die Welt hebt zu singen an). Dieses berühmte Gedicht spielt also in jedem Vers mit der Wortfolge, genauer mit der Position des flektierten Verbs. Initialstellung des Verbs ist eigentlich nur für Aufforderungs- und Entscheidungsfragesätze grammatisch vorgesehen; dies ist aber hier nicht der Fall. Der 4. Vers legt nahe, an eine Konditionalkonstruktion zu denken (Wenn/falls du nur das Zauberwort triffst, dann schläft ein Lied in allen Dingen). Diese Sicht erweist sich für den Gesamttext zwar als sinnvoll, erklärt aber noch nicht die „verdrehte“ Konstruktion. Erst wer einen Sprachgebrauch kennt, der ERSTAUNEN durch solcher Art veränderte Konstruktionen erfahren hat, wird hier nicht ganz so überrascht sein (z.B. der erstaunte Kurzbericht: „Kommt mein Freund schon um 6h morgens und will Geld leihen!“). Erstaunen mag ja auch hier das lyrische Ich zu seinem Text veranlasst haben, und somit wäre in die Textbeschreibung eine pragmatische Position mit einbezogen. – Klarer wird m.E. diese syntaktische Konstruktion, wenn man sich an das Paradigma der Klammerstrukturen (vgl. Klotz 1999) im Deutschen hält: neben der Verb-Klammer durch trennbare Verben findet sich im Deutschen die Klammerstruktur im deutschen Nebensatz: Konjunktion bzw. Relativpronomen und flektiertes Verb bilden die 11

Kosch und Fröhlich (1994).

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Klammer. Da aber nun Gliedsätze wie der – allerdings unterstellte – Konditionalsatz des 4. Verses, wenn sie vorausstehen, das erste Satzglied des Hauptsatzes bilden, muss dann nach der Regel der Verbzweitstellung im Hauptsatz das flektierte Verb unmittelbar nach dem Komma folgen, das das Ende des Gliedsatzes anzeigt. Und genau an dieses Gesetz hält sich das Verb im ersten Vers, nur, ja nur, dass bedingender Satz und bedingter Satz hier in „falscher“, besser: in ungewöhnlicher Reihenfolge stehen. Diese seltsame Text- und Satzstruktur bleibt aber erklärlich und begründbar, wenn man das oben genannte Erstaunen in die Betrachtung der Gesamtstruktur (und -aussage!) mit einbezieht. – Ich breche hier ab. Gezeigt sollte an diesem kleinen literarischen Beispiel werden, wie auch bei solcher Textrezeption die Verknüpfung von Grammatiksystem, Pragmatik und Textualität nicht nur gelingen, sondern für die Rezeption essentiell werden kann: Die Poetizität des Textes wird geradezu grammatisch hervorgetrieben, und somit verbinden sich hier Form und Inhalt ideal. Dies freilich nur bei entsprechender Wahrnehmungsfähigkeit, die selbst wiederum von entsprechenden sprachlichen Vorerfahrungen abhängt.

6. Befund Dieser Beitrag ist der Versuch, zwar mit Respekt von Sprachwissenschaft und Grammatikdidaktik zu sprechen, aber gleichzeitig zentrale Lücken auszumachen und zu benennen. Ein besonders Anliegen in dieser Diskussion ist die Beachtung institutioneller Fragen, führen sie doch – übrigens wie der philologische Sachverstand – zu wechselseitigen Ergänzungen und Verknüpfungen gerade auch der germanistischen Fachteile bzw. ihrer Arbeitsgebiete. Daran angeschlossen muss das fachwissenschaftliche und fachdidaktische Engagement für die Schule bleiben, denn die Schule ist und bleibt der Ort erster, bewusst gemachter und institutionell organisierter Spracherfahrungen. Der Befund also lautet: auf guter Grundlage können die Lücken, Mängel, Defizite beseitigt werden – durchaus mit Freude an der Sprache. Es muss nur getan werden.

Grammatikdidaktik – auf dem Prüfstand

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Literatur Blüml, Karl (1992): Textgrammatik für die Schule. Zu einem umstrittenen Kapitel der Deutschlehrpläne. – Wien: Österr. Bundesverlag. Bühler, Karl (1934; 31982): Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Stuttgart: Lucius & Lucius. Fillmore, Charles J. (1972): Some problems for case grammar. – Göteborg: OSCULD. Funke, Reinhold (2005): Sprachliches im Blickfeld des Wissens. Grammatische Kenntnisse von Schülerinnen und Schülern. – Tübingen: Niemeyer. Gaiser, Konrad (1950): „Wieviel Grammatik braucht der Mensch?“ – In: Pädagogische Provinz, Heft 10. Glinz, Hans (2003): „Geschichte der Didaktik der Grammatik“. – In: Ursula Bredel, Günter Hartmut, Peter Klotz, Jakob Ossner, Gesa Siebert-Ott (Hgg.): Didaktik der deutschen Sprache, Band 1. – Paderborn: Schöningh, 423–437. Haueis, Eduard: (1999): „Von ungewissen Gewissheiten – für ein differenziertes Wissen zu Wortgruppen für die Lehrenden“. – In: Peter Klotz, Ann Peyer (Hgg.), 155– 168. Hausendorf, Heiko (1992): Gespräch als System. Linguistische Aspekte einer Soziologie der Interaktion. – Opladen: Westdt. Verlag. – (2006): Gespräch als Prozess. Linguistische Aspekte der Zeitlichkeit verbaler Interaktion. – Tübingen: Narr u.a. Ingendahl, Werner (1999): Sprachreflexion statt Grammatik. Ein didaktisches Konzept für alle Schulstufen. – Tübingen: Niemeyer. Ivo, Hubert und Eva Neuland (1991): „Grammatisches Wissen. Skizze einer empirischen Untersuchung über Art, Umfang und Verteilung grammatischen Wissens“. – In: Diskussion Deutsch, Heft 121, 437–493. Klett, Stuttgart (2000): „Attribut: ‚Schöne Ferien’“. – Sprachschlüssel Bd. 6, 138– 143. Klotz, Peter (1991): „Grammatisches Grundwissen und Schulgrammatik – am Beispiel des deutschen Modalsystems“. – In: Diskussion Deutsch, Heft 121, 494–508. – (1996): Grammatische Wege zur Textgestaltungskompetenz. Theorie und Empirie. – Tübingen: Niemeyer. – (1999): „Auf Verbindungen warten können. Von sprachtypischen Klammerstrukturen zu sprachlichem Basiswissen“. – In: Peter Klotz, Ann Peyer u.a. (Hgg.), 185–199. – (2004): „Sprachreflexionskompetenz und kompetenter Sprachgebrauch“. – In: Michael Kämper van-den-Boogaart (Hg.): Deutschunterricht nach der PISAStudie. Reaktionen der Deutschdidaktik. – Frankfurt a.M. u.a.: Lang, 153–168. – und Ann Peyer u.a. (Hgg.) (1999): Wege und Irrwege sprachlich-grammatischer Sozialisation. Bestandsaufnahme – Reflexionen – Impulse. – Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. Köller, Wilhelm(1983; 1997): Funktionaler Grammatikunterricht. – Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. Kosch, Wilhelm und Harry Fröhlich (1994): Gedichte. – In: Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff. Historisch-kritische Ausgabe. – Tübingen: Niemeyer.

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Peter Klotz

von Polenz, Peter (1985): Deutsche Satzsemantik. Grundbegriffe des Zwischen-denZeilen-Lesens. – Berlin, New York: de Gruyter.

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Anhang Liste der Veröffentlichungen der Jahre 2000 bis 2005 zum Thema in den Zeitschriften

Der Deutschunterricht Deutschunterricht (Berlin) Praxis Deutsch Didaktik Deutsch Der Deutschunterricht Diewald, Gabriele: „Grammatikalisierung: Wie entsteht die Grammatik?“ – Heft 3/2000, 28–40. Haase, Martin: „Die Grammatikalisierung von Höflichkeit“. – Heft 5/2004, 16–27. Paul, Ingwer: „Gesprochene Sprache im Grammatikunterricht“. – Heft 2/2002, 53–58. Peschel, Corinna: „‚Ich habe alles durch(ge)sucht, aber nichts wirklich Helfendes gefunden.’ – Das Problem mit den trennbaren Verben“. – Heft 3/2004, 93–95. Redder, Angelika: „Von der Grammatik zum sprachlichen Handeln – Weil: Das interessiert halt viele“. – Heft 5/2004, 50–58. Schulze, Rainer: „Kognitive Grammatik: Sprache und Raum“. – Heft 5/2004. 38–49. Heft 4/2000, Grammatik und Formulieren. – Darin: Eroms, Hans-Werner: „Kurzer und langer Satz“, 29–37. Funke, Reinhold: „Wann ist grammatisches Wissen in Funktion?“, 58–68. Heringer, Hans-Jürgen: „Wie die Grammatik beim Schreiben hilft“, 21–28. Hoffmann, Ludger: „Formulieren: ein Fall für die Grammatik“, 6–20. Köller, Wilhelm: „Konjunktionen und konjunktionale Verkettungen von Aussagen“, 38–47. Neuland, Eva: „Grammatik und Formulieren – Zur Einführung“, 3–5. Paul, Ingwer: „‚Satzarten’ im Lernbereich: Reflexion über Sprache“, 48–57. Zierlinger, Ursula: „Grammatik und Formulieren – Ansichten eines Fachkollegiums Deutsch“, 80–84. Zifonun, Gisela: „Grammatische Integration jugendsprachlicher Anglizismen“, 69–79.

Deutschunterricht Heft 1/2001, Grammatik. – Darin: Einecke, Günther: „Autorenmanuskripte – Textüberarbeitung als Form der Sprachbewusstheit“, 22–30. Menzel, Wolfgang: „Der Artikel: Was heißt hier ‚bestimmt’ oder ‚unbestimmt’?“, 13–16.

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Peter Klotz Rudolph, Günter: „Kreativer und systematischer Umgang mit den Wortarten“, 17–21. Ulrich, Winfried: „Wie und Wozu Grammatikunterricht?“, 4–12. Ders.: „Formen und Funktionen der Wortbildung“, 31–39.

Heft 2/2003, Sprache und Politik. – Darin: Arduc, Maria: „‚Und deshalb vertreten wir (Freiheitlichen) die Interessen der Österreicher’. Rechtskonservativismus und Populismus im Spiegel der Sprachkritik“. Burkhardt, Armin: „Vom Schlagwort über die Tropen zum Sprechakt. Begriffe und Methoden der Analyse politischer Sprache“. Eppler, Erhart: „Was nennen wir ‚Krieg’? Sprachkritische Beobachtungen aus politischer Sicht“. Hermanns, Fritz: „‚Volk’ und ‚Nation’. Zur Semantik zweier geschichtsmächtiger Begriffe“. Kilian, Jörg: „Sprachpolitik im Alltag: ‚Political Correctness’“. Volmert, Johannes und Eva Neuland: „Editorial: Sprache und Politik. Linguistische und didaktische Perspektiven“. Wengler, Martin: „Sprache in der Demokratie. Diskursgeschichtlich orientierte Anregungen für den Lernbereich ‚Reflexion über Sprache’“.

Praxis Deutsch Tophinke, Doris und Christa Röber-Siekmeyer: „DERMAN WIRD WIDERNAS. Gliederungen im Gesprochenen und Geschriebenen“. – Heft 170 (2001). Heft 172 (2002), Die Stellung der Wörter im Satz. – Darin: Bredel, Ursula: „Im Strumelland. Einstellige und zweistellige Prädikate im Aussagesatz“, 23–28. Klotz, Peter: „Sprachliche Ästhetik entdecken. Grammatik, Stimme und Textwirkung“, 53–56. Menzel, Wolfgang: „Elf Wörter sind noch kein Elfchen. Arbeit an einem Gedicht: vom richtigen Satz zum schönen Satz“, 20–22. – „Mäuse fressen Katzen besonders gern. Von der Reihenfolge im Satz“, 29–35. – „Im Süden fern die Feige reift. Die Wortstellung in Sprüchen und Reimen – Unterrichtsanregungen zu Versen von Busch und Brecht“, 36–38. – „Große Panik löste ein Erdbeben aus. Die Wortstellung in journalistischen Texten“, 42–46. – und Peter Eisenberg: „Die Stellung der Wörter im Satz“, 6–13. Seidel, Brigitte: „Wo stehen die Attribute im Deutschen? Anregungen zur Erkundung komplexer Attributsgefüge“, 47–52. Spinner, Kaspar H.: „Wie hat’s wohl Brecht gemacht?“, 39–41. Heft 186 (2004), Zeitformen und Zeitgestaltung. – Darin: Hug, Michael: „Präteritum und/oder Perfekt?“, 28–34. Menzel, Wolfgang: „Zeitformen und Zeitgestaltung“, 6–15.

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– „Was kommt erst – und was danach? Die Reihenfolge der Sätze eines Textes erkennen“, 16–19. – „Früher hießen Kinder Eulalia und Silvester. Grundfunktionen von Präteritum und Präsens“, 20–23. – „Gelügt oder gelogen? Unregelmäßige Verben üben“, 24–27. – „Verabsolutierungsexperimente“, 38–43. – „Das szenische Präsens“, 44–47. – „Variationen über das Thema ‚Zeit’“. 48–52. – „Die Gestaltung der Zeit. Patrick Süskind: Ein Kampf“, 53–57. Müller, Astrid: „Zeitformen üben“, 35–37. Heft 191 (2005), Zeichen setzen – Interpunktion. – Darin: Bredel, Ursula: „Spricht wer? Wer spricht? Die Anführungszeichen bei der direkten Rede“, 20–27. – „Warum ein ‚Künstler’ kein Künstler ist. Die unterschiedlichen Funktionen von Anführungszeichen“, 48–51. Lindauer, Thomas und Elisabeth Sutter: „Könige, Königreiche und Kommaregeln. Eine praxistaugliche Vereinfachung des Zugangs zur Kommasetzung“, 28–35. Eisenberg, Peter, Helmuth Feilke und Wolfgang Menzel: „Zeichen setzen – Interpunktion“, 6–15. Gorschlüter, Sabine: „‚Wohin? Wohin? Schöne Müllerin!’ Zeichensetzung im Fokus bei drei Balladen von J.W. von Goethe“, 36–40. Hönig, Christoph: „Threnen aines Teudsch-Leererß/anno Domini 2005. Zur Schreibung von Barock-Texten“, 59–60. Menzel, Wolfgang: „? – ! – . Übungen zur Einführung der Satzschlusszeichen“, 16–19. Murdak, Andreas: „‚Avff Todten! – Ach! Vnd weh!’ Zur rhetorischen Funktion der Zeichensetzung in zwei Sonetten von Andreas Gryphius“, 52–58. Weiser, Stephanie: „Lückenbüßer? Eine Untersuchung der vielfältigen Funktionen von Auslassungszeichen“, 42–46.

Didaktik Deutsch Bredel, Ursula: „Ohne Worte – zum Verhältnis von Grammatik und Textproduktion am Beispiel des Erzählens von Bildergeschichten“. – Heft 11/2001, 4–21. Eisenberg, Peter: „Wieviel Grammatik braucht die Schule?“ – Heft 17/2004, 4–25. Granzow-Emden, Matthias: „‚Artikel und Pronomen?’ Kategorienbildung und funktional-pragmatische Perspektiven“. – Heft 16/2004, 15–34. Köpcke, Klaus-Michael: „‚Die Prinzessin küsst den Prinz’ – Fehler oder gelebter Sprachwandel?“ – Heft 18/2005, 67–83. – „Grammatische Komplexität und die Beherrschung der Kasusmorphologie durch Grundschulkinder“. – Heft 14/2003, 55–68. Ramers, Karl-Heinz: „Funktionen der Kommatierung“. – Heft 18/2005, 47–66.

Wolfgang Eichler

Sprachbewusstheit und grammatisches Wissen – Bemerkungen zu einem lernbegleitenden Grammatikunterricht in der Sekundarstufe

1. Aus zwei mach drei: Das neue Konzept von Sprachbewusstheit als Begriffserweiterung zu Sprachbewusstsein und explizitem Sprachwissen Der Begriff Sprachbewusstheit als Bezeichnung für ein bewusst analytisches Verhältnis zu Phänomenen einer Sprache, als einer Form des Wissens über sprachliche Phänomene und Sprachverhalten und als Spracherfahrung und Verhaltenssteuerung in sprachlichen Lernprozessen steht heute für ein neues Verständnis in der Auseinandersetzung des Menschen und Kindes mit der eigenen wie fremden Sprache. Erste Auslöser waren angelsächsische empirische Forschungen und didaktische Konzepte nach der Language-Awareness-Konzeption für den Muttersprachunterricht (im Englischen), dann für den Fremdsprachenunterricht (vgl. z.B. den Bericht bei Gnutzmann 1997, 2000) und auch für den Erwerb von Deutsch als Zweitsprache (z.B. Luchtenberg 1995). Von daher dringt der davon hergeleitete Begriff Sprachbewusstheit und das mit ihm verbundene didaktische Konzept auch in die deutsche Muttersprachdidaktik, vgl. Andresen und Funke (2003), Oomen-Welke (2003), Eichler (2004) und auch in empirischen Großstudien vor, vgl. Eichler (2003: 163ff.) in der PISA-Nachfolgestudie „Deutsch-Englische Sprachkompetenz bei Schüler/innen des 9. Schuljahrs – International“ (DESI). Üblicherweise wurde und wird in der Deutschdidaktik in diesem Zusammenhang der Begriff Sprachbewusstsein (z.B. Neuland 1992) verwendet. Gemeint sind explizit formulierbare Wissensbestände und Schülervorstellungen über Sprache und Sprachverhalten, also „mind“ über das Erfahrungsobjekt, von denen ein moderner Unterricht über Reflexion über Sprache ausgehen soll (ebd. sowie Sieber und Sitta 1992). Dieses explizite Wissen nennen wir explizite Sprachbewusstheit, es entspricht noch an ehesten aber keineswegs ganz den Inhalten des üblichen Grammatikunterrichts, denn es enthält auch subjektive Theorien der Schüler über Sprache, Sprachphänomene und Kommunikationsverhalten.

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Wolfgang Eichler

Das Konzept von Sprachbewusstheit geht aber noch wesentlich weiter; es berücksichtigt auch nicht voll ins Sprachbewusstsein gedrungene, dennoch aber sprachanalysebewusst „gelebte“ Sprach- und Sprachverhalternsroutinen, z.B. innere Regeln im Orthographieerwerb und phonologische Bewusstheit (Eichler 1983, 1991 oder Thomé 1999) oder Adressaten- und Textsortenorientierung oder Nachahmung von Sprachvorbildern beim Schreiben, Wortbild- und Wortgruppenerwartungen beim Lesen oder auch gelebte kontrastive Aufmerksamkeit bei der eigenaktiven, inneren Auseinandersetzung mit einer fremden oder zweiten Sprache. Die „gelebte“ aber nicht explizit formulierte/ formulierbare Sprachbewusstheit nennen wir prozedurale Sprachbewusstheit und dies ist für die Didaktik der Muttersprache eine neue Kategorie. Die prozedurale Sprachbewusstheit als erkennbar neue Dimension bewusster Sprachauseinandersetzung war natürlich auch in der Muttersprachdidaktik stillschweigend in didaktischen Konzepten, z.B. dem Spracherfahrungsansatz im Erstunterricht des Lesen und Schreiben Lernens (Brügelmann 1989, Dehn 1988), mit dem Begriff der inneren Regel im eigenaktiven Rechtschreiberwerb, der didaktischen Kategorie subjektive Theorien und Schülervorstellungen von Kindern und Erwachsenen als Ausgangspunkt von Grammatikunterricht (z.B. über Wort, Satz und Textmuster) und als (lern)psychologische Kategorie des prozeduralen Wissens erfassbar geworden und in der neuropsychologischen Theorie (indirekt) im Begriff der entfalteten Funktion beim Lernen von etwas Neuem vorbereitet. Wir haben uns in der DESI-Studie, der PISA-Nachfolgestudie DeutschEnglische Sprachleistungen International der KMK, natürlich mit dem Begriffsfeld und den zugehörigen Begriffsinhalten und Erkenntnissen ausführlich auseinandergesetzt, als wir ein Testmodul Sprachbewusstheit sowohl in Deutsch als auch in Englisch vorbereitet haben, vgl. dazu Eichler und Nold (2007). Dadurch sind wir, auch unter dem Einfluss der Fremdsprachendidaktik, von der Zweigliederung in Können und Wissen, automatisiertem Sprachgefühl und explizitem Sprachbewusstsein zu einer Dreigliederung gekommen. Die folgende Tabelle gibt eine Auswahl-Übersicht über die vorhandenen Begrifflichkeiten bis hin zum Theoriegebäude der bereits genannten DESI-Studie: 1. Alltagsbegriffe

Sprachgefühl

2. Psychologie, Prozesstheorie 3. DDR-Didaktik 4. Westliche Lerntheorie 5. Psycholinguistik

implizites Wissen prozedurales Wissen Können selbstgesteuertes Lernen

automatischer Spracherwerb natural acquisition

Sprachbewusstsein, Wissen über Sprache explizites Wissen deklaratorisches Wissen Wissen instruktionsgesteuertes, kognitives Lernen angeleiteter, kognitiv gesteuerter Spracherwerb

Sprachbewusstheit und grammatisches Wissen

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6. Östliche Lerntheorie Internalisierung, Aneignung angeleitetes Lernen 7. Neuropsychologie automatisier- entfaltete Funk- instruktionsgeleitetes Lerz.B. Luria, Weigl te Funktion tion mit innerem, nen in entfalteter Funktion auch kognitivem Aufwand 8. Modell Karmiloff- implizites implizites Wis- explizites Wissen, Smith Wissen auto- sen in Monitor- Kommentierung matisiert funktion 9. Sprachbewusstheit in unbewusster prozedurale explizite SprachbewusstDESI Sprachbesitz Sprachbewusst- heit, Metakommunikation heit, innere analyt. Tätigkeit 10. Anwendungsbereich Sprachsys- innere Regeln u. Wissen über Konjunktiv, in der Muttersprache tembesitz, Analyse Recht- indirekte Rede, SprachvaLautbesitz, schreib., kom- rietäten, Gliederung u. und in der Fremdsprache, speziell in Lautverste- plexe Syntax, Plan v. Texten, angeleitehen usw. DESI Textgestaltung, tes kontrastives Lernen, skills, idioms selbsttätiges explizite SprachvergleiFremdspr.lernen che, bewusste Sprachvor d. Folie d. übungen Eigenspr., englisch dt. denken

Tab. 1: Begrifflichkeiten um Language Awareness und ausdifferenzierter Begriff Sprachbewusstheit in DESI

Zur Tabelle sei angemerkt, dass die neue Dimension prozedurale Sprachbewusstheit auch dadurch „aufgerufen“ werden kann, dass zur Korrektur eines Fehlers aufgefordert wird: hier findet dann eine kognitiv gesteuerte kreative Korrektur statt.

2. Sprachbewusstheit und grammatisches Wissen Oft nur indirekt zu greifen ist prozedurales grammatisches Wissen in der Muttersprache, weil hier viel Spracherwerbstätigkeit über die direkte Internalisierung und Automatisierung verläuft und weil wir nur in späten Erwerben und „Performanzen“, z.B. wie angedeutet in orthographischen oder textstilistischen Applikationen der grammatischen Kompetenz, sprachbewusste Erwerbe wahrnehmen können. Prozedurales grammatisches Wissen ist dagegen für den Fremdsprachen- und Zweitsprachenerwerb eine enorm wichtige Kategorie (vgl. Eichler und Nold 2007). Ich habe mich bislang in Eichler (2001) und (2004) vor allem zum prozeduralen grammatischen Wissen bei Grund-

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Wolfgang Eichler

schulkindern geäußert. Neuerdings haben z.B. Andresen und Funke (2003) und Oomen-Welke (2003) im Konzept der Sprachbewusstheit zur Entstehung expliziten sprachlichen Wissens also zur expliziten Sprachbewusstheit gearbeitet. Bremerich-Vos und Grotjahn diskutieren 2007 bereits das für DESI entwickelte Konzept. Von besonderem Interesse für eine Didaktik eines lernbegleitenden Unterrichts ist für uns zunächst die Frage: Inwieweit, wann und in welchen zentralen grammatischen Kompetenzen finden Erwerbe in der Muttersprache in der Sekundarstufe 1 noch und sprachbewusst statt? Und dann die neue Frage: Welche Vorstellungen haben Schüler von Sprache und den jeweiligen Sprachphänomenen? Und schließlich: Wie hoch ist der Anteil des sprachbewussten Tuns und in welcher Wechselwirkung steht es mit explizitem formalem Wissen und den Vorgaben der Rahmenrichtlinien und Bildungsstandards? Wie werden also eigene Vorstellungen über Sprache und Sprachverhalten zu expliziten Wissen, und (ggfs. wie) werden auch grammatisches Wissen und Ergebnisse der Reflexion über Sprache im Unterricht in das eigenen Tun aufgenommen, z.B. im Bereich der Formulierung, im Stilverhalten oder in der Sprachtaktik oder in der Textmodellierung. Gnutzmann (1997: 228) behauptet dazu, dass späte Erwerbe sprachbewusst ablaufen: Es kann davon ausgegangen werden, dass zumindest im Alter von 15/16 Jahren neues grammatisches Können und sprachtaktisches Verhalten überwiegend sprachbewusst erworben wird und dass das Sprachverhalten besonders in der Schriftsprache überwiegend kognitiv geleitet ist.

So sind, wie oben unter 2. schon angedeutet, nach Meinung vieler Autoren, z.B. Augst und Faigel (1986) oder Feilke und Schmidlin (Hgg.) (2005) vor allem Routinen des Schriftsprachgebrauchs zentrale Erwerbsbereiche in der Sekundarstufe 1 und 2, und sie sind Tätigkeitsbereiche der Sprachbewusstheit. Die Schüler entwickeln in diesem Alter innere, prozedurale Vorstellungen über die grammatische Präzisionsgeregeltheit, die grammatische Korrektheit, Situationsabgehobenheit und Textsortenspezifität schriftlicher Texte, über Kohärenz und Kohäsion zwischen und Vollständigkeit von schriftlichen Äußerungen. Sie entwickeln etwa Vorstellungen wie „Ich muss es genau, vollständig und richtig ausdrücken“, „Ich darf nicht einfach aufschreiben, wie ich es spreche“, „Ich muss den Text aufbauen“, „Ich muss es spannend machen“. Schriftsprache, so erfahren sie nicht nur im Unterricht, sondern auch „bei sich“, hat einen besonderen Stil und all dies mit entsprechenden Folgen für die awareness gegenüber sprachlichen Einzelphänomenen und der Nutzung und Nachahmung von Sprachvorbildern (z.B. Phraseologismen in Schülertexten, vgl. Margewitsch 2006).

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Es gibt aufgrund empirischer Untersuchungen und in der Beobachtung der Fehlerpraxis in mündlicher Rede und in Aufsätzen dieses Alters auch viele grammatische Einzelphänomene, die Schwierigkeiten bereiten, weil deren Kenntnis aufgrund des Sprachwandels, gewandelter Normvorstellungen oder Sprachsystemeigenschaften nachlässt, die also nur noch sprachbewusst erworben oder korrigiert werden können, oder weil diese Phänomene besonders hohe Ansprüche an die analytische Bewusstheit stellen. Dies gilt insbes. für: − schwierige Phänomene der Orthographie, wie abgeleitete Großschreibung, Zusammen- und Getrenntschreibung („Was ist ein neuer Begriff?“), der syntaktischen und stilistischen Zeichensetzung − Schwierigkeiten in der Herstellung von Kohärenz und Kohäsion in Texten samt Verfügung über Kohärenzmittel, wie unterordnende alternierende Konjunktionen, Adverbiale usw. − Schwierigkeiten im Umgang mit komplexen Kontextbedingungen beim Umgang mit festen Wendungen, Nominalkonstruktionen, Satzmetaphern − Schwierigkeiten im Erkennen und Einsatz von verschiednen Sprachebenen − Mängel in Wortschatz und Wortbildung, Differenzierungsprobleme, vgl. von Augst und Faigel (1986) das Paradigma Hausarbeiten machen (insbesondere im Hinblick auf Abstrakta und Derivationen) − der unsichere Besitz des Genitivobjekts, dieses geht, auch über einen allgemeinen Sprachwandel, an präpositionale Ausdrücke verloren − Unsicherheit in der Abgrenzung Dativ–Akkusativ, zumindest in manchen Dialektregionen (Artikelformen/Endungen unterliegen dem Sprachwandel, fallen z.T. in der mündlichen Sprache weg oder werden durch präpositionale Wendungen ersetzt: Vater sein Auto) − Schwächen in der vollständig korrekten Eingliederung von festen Wendungen (Phraseologismen) und Redensarten − Schwierigkeiten im Umgang mit komplexer Syntax, z.B. bei Mehrfacheinbettung von Gliedsätzen, bei Parenthesen, auch was manche Kommas, den Doppelpunkt und das Semikolon anbelangt − große Unsicherheit im Umgang mit dem Konjunktiv I (Sprachwandel), z.T. auch II, Vormarsch der würde-Formen − Schwierigkeiten in komplexen Zeiten, Plusquamperfekt, Futur 2, Herstellung gestufter Zeitverhältnisse u.a.m. Der Gebrauch von Metaphern, die z.T. ebenfalls prozedural-sprachbewusst erworben werden, ist in der späteren Sekundarstufe 1 zwar einigermaßen sicher (vgl. bereits Augst 1978) aber ihre Implikationen für die Konzeptualisierung von Welt (Seinsanalogien) und Status als Lernmetaphern wird von den Benutzern kaum erkannt und im Unterricht kaum behandelt (vgl. Eichler 1999). Aus den Ausführungen ergeben sich wichtige Hinweise für die „ProblemAwareness“ der Lehrkraft (diagnostische Kompetenz statt systematischer In-

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haltsauswahl) in einem lernbegleitenden Grammatikunterricht in der Sekundarstufe 1: 1. Die späten Spracherwerbe, besonders im Bereich der Schriftsprache und im sprachtaktischen Verhalten, werden sprachbewusst getätigt. Es erfolgt eine Ablösung von der oralen Wiedergabe im schriftsprachlichen Formulieren und die Ausbildung einer besonderen Stilistik und Syntaktik. 2. Das Sprachhandeln erfolgt besonders im Bereich des schriftsprachlichen Formulierens und der kreativen Korrektur kognitiv (mit)geleitet, wobei zum Beispiel Schülervorstellungen über Sprachkorrektheit, Situationsneutralität, Kohäsion in Texten (Verknüpfung von Aussagen zu Texten und Satzgefügen) als Handlungsmaximen prozedural sprachbewusst leitend sind. 3. Die Schülervorstellungen und „Inhalte“ von Sprachbewusstheit sind nicht gleichzusetzen mit dem, was im Grammatikunterricht als formales, deklaratorisches Wissen vermittelt wird, im Gegenteil, nicht wenige grammatische oder rechtschreibliche Regeln und Ergebnisse der Reflexion über Sprache stehen oft funktionslos „neben“ dem aktuellen, auch sprachbewussten Sprachhandeln: Die Schüler können Regeln, Begriffe nennen, aber oft nicht anwenden. Hier ist ein „tiefer Graben“ zwischen formalem Wissen und prozeduralem Nutzen. Wir sollten von explizitem Wissen erst dann sprechen, wenn dieses auch im Sprachvollzug genutzt wird. Das muss man, wie Fremdsprachendidaktiker wissen, speziell trainieren. 4. Inhalte von Schülervorstellungen und die Sprachbewusstheit bezüglich grammatischer Inhalte sind eher kommunikativ funktionale und vorwissenschaftliche Vorstellungen und Handlungsmaximen vom Typ „das mach ich so“. 5. Die Inhalte der Rahmenrichtlinien berühren nur teilweise aktuelle Lernfelder des Spracherwerbs und Sprachverhaltens in diesem Alter. Nicht wenige sprachbewusste Tätigkeiten und Schwierigkeiten im Spracherwerb liegen aber auch „neben“ den Richtlinien.

3. Didaktische Grundsätze und mögliche praktische Folgerungen für den Unterricht in Reflexion über Sprache In der deutschdidaktischen Diskussion um sprachbewusstes Handeln in der Muttersprache wurde und wird die Wirksamkeit des Unterrichts in Reflexion über Sprache und Grammatik auf das Sprachverhalten diskutiert, kurz: Kann man in der Muttersprache prozedurales Wissen (also z.B. grammatisches und stilistisches „Können“) über deklaratives Wissen (instruiertes Wissen und

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Erkenntnisse im Grammatik- und Stilistikunterricht) erwerben und wie stark ist sprachbewusstes Handeln in der Muttersprache überhaupt? Dies wird in der Deutschdidaktik kontrovers diskutiert, wobei bis in die späten sechziger und frühen siebziger Jahre noch die Annahme vertreten wurde, dass es einen direkten Transfer gibt, diese dann Zug um Zug eingeschränkt wurde bis hin zur völligen Aufgabe oder dem Übergang zu kommunikativ funktionalen oder semantischen Steuerungen des Unterrichts (situativer Absatz). Heute sollen, so heißt es in den Rahmenrichtlinien unisono, grammatische Kenntnisse und Einsichten aus Sprachverwendungssituationen oder in direktem Zusammenhang dazu erworben werden. Dass die DESI Studie (DESI-Konsortium 2006, 2007) eine hohe Korrelation zwischen Leistungen in Sprachbewusstheit Deutsch mit der Skala Ausgehen von Sprachverwendungssituationen hergestellt hat, sei angemerkt. Dennoch hat der sogenannte situative Ansatz der unterrichtlichen Arbeit im Kernbereich der Sprachreflexion, also dem Grammatikunterricht, sehr geschadet, bis dahin, dass viele Lehrer fast überhaupt keinen Grammatikunterricht mehr betreiben. Die Rahmenrichtlinien enthalten zwar viele GrammatikBegriffe für den Unterricht (vgl. die entsprechende KMK-Liste und die Stoffvorgaben vor allem für die Sekundarstufe 1), verlangen andererseits aber immer die Funktionalisierung auf Sprachgebrauchssituationen. Dies und die kontroverse Diskussion hat bei vielen Kollegen zunächst zur Aufgabe einer systematischen Curriculumplanung und dann zur Aufgabe des Grammatikunterrichts überhaupt geführt, denn der situative Ansatz ist in seiner dauernd geforderten „awareness“ der Lehrkraft gegenüber Situationen und der ad hoc Entwicklung grammatischer Fragestellungen und Einheiten überhaupt nicht leicht zu betreiben. Dazu wurde der Grammatikbegriff auf Gegenstandsbereiche der Sprachpragmatik – Kommunikation(smodelle), Sprechhandlungen, semiotisch-semantische Fragen – erweitert. Einen Bericht mit curricularen Hinweisen für die verschiedenen Schularten und Stufen gibt Eichler (1999a). Erst neueste Ansätze in der Deutschdidaktik fordern den direkten Ausgang von Schüler- und Menschenvorstellungen über Sprache und den Ausgang von einem erweiterten Begriff der Sprachbewusstheit, wie oben unter 1 bereits ausgeführt. Dies ist in den Richtlinien aber noch nicht curriculum-relevant geworden. Das im Folgenden nahe gelegte Konzept des lernbegleitenden Unterrichts in Reflexion über Sprache und Grammatik steht zwischen dem situativen und systematischen Ansatz und hat implizite und explizite Schülervorstellungen zum Ausgangspunkt. Es hat vom situativen Ansatz die Orientierung am Schülerbedarf und vom systematischen Ansatz das Vorgeplante und Vorplanbare. Der (neue) Dreh- und Angelpunkt ist die beobachtende Diagnostik und das Einschmiegen des Unterrichts in die Lernprozesse. Dabei ist der Rechtschreibunterricht angewandte Sprachreflexion, die meisten

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Phänomene und Probleme des Grammatikunterrichts kommen in ihm anschaulich und fallgebunden vor, er wird (nicht nur) deshalb hier integriert. In 12 „Goldenen Regeln“ sollen im Folgenden Grundsätze für die Praxis des lernbegleitenden Unterrichts genannt werden: 1. Kluge Lehrer orientieren sich zuerst darüber, was in den Köpfen ihrer Schüler vorhanden ist und von was sie ausgehen können. Sie entwickeln in ihrer Praxis eine feinsinnige Beobachtungsgabe für innere und gelebte Sprachregeln (s. u. 9./10.) und eine entsprechende Deutungspraxis für lerngenetische Fehler (s. u. 6.). Sie werden darin von den Vorgaben und durch Testaufgaben/Vergleichsarbeiten der Bildungsstandards unterstützt. 2. Wir arbeiten im Unterricht möglichst an Problembereichen, an denen auch die Schüler arbeiten, und möglichst auch im Anschluss an die Vorstellungen, die sie einbringen. Wir gestalten den Unterricht lernbegleitend/ betreuend und nicht so sehr instruktiv belehrend und nutzen die Potentiale der Selbstorganisation, die die Schüler einbringen. 3. Wir arbeiten fallorientiert, vornehmlich an den eigenen Texten und Äußerungen der Jugendlichen, beobachten mit den Schülern, z.B. in Schreibkonferenzen (nicht nur mit jüngeren Schülern) die getätigten sprachlichen Äußerungen, die Rechtschreibung und Interpunktion und fragen nach den Gründen für Fehler und verbessern in Einzelarbeit oder gemeinsam kreativ. – Insofern ist natürliches Lernen natürlich auch Gelegenheitsunterricht aber keineswegs nur, da die Beobachtung den Plan, das Curriculum gestaltet. 4. Die Lernprozesse sind zwar oft individuell unterschiedlich aber im Großen und Ganzen in ihrer Abfolge so ähnlich, dass wir lernwegschronologisch vorgehen können (inneres Curriculum), konkrete Abfolge bei der Behandlung der Interpunktion kann z.B. sein: − vom Gliederungspunkt zum Äußerungspunkt und erst dann zum syntaktischen Punkt; − vom Punkt zum Fragezeichen und dann zum Ausrufezeichen; − vom phonetischen Komma (Pausenkomma) zum Gliederungskomma und dann erst zum syntaktischen Komma; − vom Komma zum Gedankenstrich, vom Gedankenstrich zu Auslassungspunkten (...); − vom Punkt und Komma zum Semikolon; − vom Äußerungspunkt zum Doppelpunkt und dann zu den Redezeichen. 5. Die Schüler sind unterschiedlich weit und sie lernen auch unterschiedlich, die einen mehr aus ihren Lesefrüchten, die anderen mehr durch Probieren und Experimentieren. Die einen sind zäh und genau, die anderen sprunghaft und großzügig. Wir machen aus der Schwierigkeit eine Tugend, in-

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dem wir verschiedene Lernumgänge öffentlich machen und gemeinsam in der Gruppe oder/und in der Klasse Vorschläge, Ergebnisse und Vorstellungen diskutieren. 6. Nicht jeder Fehler ist ein Fehler, nicht einmal die meisten. Abweichungen in der Rechtschreibung oder in der Textformulierung sind selten echte Versäumnisse. Meistens werden Abweichungen „mit Willen“ in Richtung auf das Richtige gemacht: Kreative Lernirrtümer (Eichler 1983, 1991) verweisen zusammen mit dem Richtigen auf den jeweiligen Lernstand und die angewandte Strategie – und vieles verwächst sich von selbst. Nur bei Fehlern durch Unaufmerksamkeit oder ohne jedes System muss, dann aber energisch, eingeschritten werden. 7. Wir entwickeln nicht nur eine vereinfachte wissenschaftliche Grammatik oder einen vereinfachten Duden sondern nutzen wissenschaftliche Erkenntnisse eher als konzeptuellen Hintergrund unseres didaktischen Handelns: benutzen z.B. Transformationen als Umformungsübungen in der Stilbildung oder um komplexe Satzstrukturen durch Zurücktransformation in einfache Sätze aufzulösen und aufzuhellen. – Wir benutzen die strukturalistische Morphologie als Analysemethode und zeigen mit ihr Schwierigkeiten des deutschen Systems auf, die die Schüler haben: Wegfall der Endungen, Konjunktivformen, verschiedenste Pluralformen, Wortbildungstypen usw. Dabei nutzen wir einfache Basissätze und ihre Verbindbarkeit als Probiermaterial für Verbindungsversuche. Oder wir versuchen das Einfügen von festen Wendungen in Sätze und Texte oder suchen solche Phrasen auf, um sie zu ersetzen. Dabei sollte alles von den Schülern selbst probiert werden. – So helfen wir bei einem sprachbewussten späten Spracherwerb in der Muttersprache und stülpen nicht einfach ein grammatisches System auf, zu dem die Schüler ja nur dann ein positives Verhältnis bekommen, wenn sie es selber finden! Das allerdings kann gut geschehen, wenn man Punkt 8 beachtet 8. Unser Unterricht ist vornehmlich auf Sprachanalysemethoden gerichtet und operational und damit in der Nähe von Hans Glinz’ Sprachproben und Verfahren des linguistischen Strukturalismus. 9. Wir freuen uns über und berücksichtigen jede eigene Entdeckung, Erkenntnis von Schülern; auch die Sprachwissenschaft arbeitet ja immer wieder heuristisch, ins eigene Sprachgefühl „hineinhorchend“. Wir lassen alternative Lösungen zu: die Schüler legen uns die Forschungsfragen auf den Tisch. 10. Wir wissen, wie tief der Graben zwischen den im Unterricht oft vermittelten formalen Regeln und ihrer praktischen Anwendung ist: die Regeln werden hergesagt aber nicht angewandt, im Gegenteil sie schaffen oft mehr Verwirrung als sie nützen, klassisches Beispiel: Der Stinkt wird geschrieben, weil eine äußere Regel „Nach der, die, das schreibe groß.“ im

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Unterricht gegeben wurde. Die Anwendung explizit vermittelter Regeln muss gesondert trainiert werden! 11. Wir bleiben mit unseren Lehrerbeiträgen in der Nähe der Schülervorstellungen, bei inhaltlich kommunikativen oder leistungsorientierten Satzund Wortartdefinitionen. Dazu gehört die Bewahrung deutscher Begriffe auch für die Erklärung in der Sekundarstufe: Tu-, Vorgangswörter für Verben, Personen- und Dingwörter für konkrete Nomen, der Begriff Hauptwörter für die Einführung von deren Großschreibung, später Verdinglichungswörter für Abstrakta, Satz für abgeschlossene Äußerungen (trägt auch für Gliedsätze), Fragesätze, Behauptungs-/Mitteilungssätze, Sätze an der Stelle von Satzgliedern, Gliedsätze, Begründungsgliedsätze, Zeitgliedsätze. Und zur Schülernähe gehören pragmatische Hilfestellungen, wie sie die Schüler selbst erfinden: Hahn mit h weil wie Huhn, Fink mit k weil die Finken. 12. Wir arbeiten nach dem unterrichtsökonomischen Prinzip der jeweils qualifizierten Fehlervermeidung und nicht nach dem der systematischen Vollständigkeit oder gar der Hervorkehrung von Ausnahmen. Mit einfachen Regeln zunächst einmal viele Fehler vermeiden (z.B. „Bei langen Vokalen meist nichts tun, nur ie, dann erst mit h versuchen!“) ist besser, als mit vielen oder komplexen Regeln viele Fehler zu erzeugen (Mit Formulierungen wie: Nach langen Vokalen kann man mit h oder mit dem doppelten Vokalbuchstaben schreiben. Letzteres geschieht mit aa, ee, oo aber nicht ii und uu. Bei langem i steht meist ie, Ausnahme: Wörter wie Igel oder Fremdwörter wie Bibel...) und die Schüler zu verunsichern und lustlos zu machen.

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Christa Dürscheid

Damit das grammatische Abendland nicht untergeht Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II „Grammatische Reflexionen sind nicht nur eine Luxusbeschäftigung menschlicher Geistestätigkeit an lauen Sommerabenden, sondern auch ein Stück geistiger Grundhygiene, die man nicht ungestraft vernachlässigen sollte.“ Wilhelm Köller (1988: XIII)

1. Vorbemerkungen Der Titel des vorliegenden Beitrags ist angelehnt an eine Glosse mit dem Titel „Satzzeigen. Wie oft kann das grammatische Abendland noch untergehen?“ in den ‚Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes’ (vgl. Schmitz 2003). Darin wird über den Kenntnisstand von Studienanfängern1 in der Germanistik berichtet. Ulrich Schmitz, der zu diesem Zweck eine 45minütige Befragung unter Essener Germanistikstudenten durchgeführt hatte, betont zwar gleich zu Beginn, es handle sich nicht um eine Glosse, alles sei „bitter ernst und nichts als die Wahrheit“ (Schmitz 2003: 452), vom Inhalt und auch vom Duktus her ist der Beitrag aber eine solche. So bizarr mutet der Befund an, den der Grammatiktest zu Tage bringt, so emotional sind aber auch die Kommentare des Verfassers. Im Folgenden wird zunächst ein Blick auf die Ergebnisse des Tests geworfen, und es wird gefragt, über welche Grammatikkenntnisse Studienanfänger verfügen sollten (Abschn. 1) und welche ihnen im Lernbereich „Reflexion über Sprache“ im Deutschunterricht vermittelt werden (Abschn. 2). Im Anschluss daran werde ich darlegen, dass neben so interessanten Themen wie Jugendsprache, Werbesprache, Sprache in den neuen Medien, Zeichentheorie, Kommunikationsmodelle, Sprache – Denken – Wirklichkeit (vgl. die Richtlinien und Lehrpläne für das Fach Deutsch, NRW) auch die systembezogene grammatische Analyse, also die Reflexion über Satz-, Phrasen- und Wortstrukturen des Deutschen, fester Bestandteil des Deutschunterrichts sein sollte, und zwar nicht nur auf der Sekundarstufe I, sondern auch der Sekundarstufe II (Abschn. 3). Außerdem wird gezeigt, welchen Sinn ein solcher 1

Personenbezeichnungen stehen im generischen Maskulin, eine Geschlechterdifferenzierung wird nicht vorgenommen.

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Grammatikunterricht hat (Abschn. 4). Der letzte Schwerpunkt meiner Ausführungen liegt auf der Frage, wie Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II gestaltet werden kann und welche Lernziele damit verknüpft sind (Abschn. 5). Zu diesem Zweck werde ich eine Reihe von grammatischen Phänomen vorstellen, die einen Anreiz zum Nachdenken über Sprache schaffen und dazu dienen, im Unterricht das meist implizit vorhandene, grammatische Wissen zu aktivieren. Ein Fazit, in dem ein Blick auf die Stellung der Grammatik in der Lehrerausbildung geworfen wird, beschließt die Überlegungen.

2. Die Ausgangslage In dem Test „30 Fachausdrücke aus dem Deutschunterricht“ hatte Ulrich Schmitz Essener Studenten nach der Bedeutung von Ausdrücken wie Silbe, Präteritum, Kasus, Ellipse, Dialekt, Hypotaxe gefragt. Ihre Aufgabe bestand darin, jeweils eine kurze Erläuterung zu geben, zusammen mit einem Beispiel. Bei der Auswertung wurde, so betont Ulrich Schmitz in seinem kurzen Bericht über den Test, alles in irgendeinem Sinne Richtige großzügig akzeptiert. Das Ergebnis war dennoch niederschmetternd. Nur fünf Studenten beantworteten mehr als die Hälfte der Fragen richtig, viele gaben ungenaue oder falsche Antworten. Hier eine Auswahl (in Originalschreibung): − Kasus = Sinn, Folge; Fall: Nomitav; Fall, z.B. Objektiv, Akusativ − Dialekt = Spracheigenschaft; Eigenart der Sprache − Syntax = Zusammenhang; Sprachzusammensetzung − Adjektiv = beschreibendes für-Wort − Modalverb = Bestimmungswort; Hilfsverb (Bsp. sein, haben) − Relativpronomen = Erläuterung − finites Verb = Gegenstand; beendetes Verb; abschließendes Verb; Verb am Ende eines Satzes − Konjunktiv I = Zeit − Ellipse = Weltumlaufbahn; eine 8, in sich geschlossenes System − Konjunktion = Blüte der Wirtschaft Ulrich Schmitz kommentiert diese Resultate folgendermaßen: Doch bei aller Liebe: wir haben es hier mit einer Elite zu tun: Menschen Anfang zwanzig mit Abitur, die sich aus welchen Gründen auch immer, jedenfalls freiwillig entschlossen haben, Germanistik zu studieren, zumindest also wohl wissend, dass sie einen erheblichen Teil ihrer Bemühungen einige Jahre lang und womöglich den größten Teil ihres Lebens dezidiert und just auf Sprache richten würden (und nicht etwa vornehmlich auf Zahlen, Krankheiten, ferne Länder, Natur, Tech-

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nik, körperliche, organisatorische Verrichtungen oder dergleichen mehr). Bei den allermeisten von ihnen hätten diese erbärmlichen Trümmer grammatischen Grundwissens nicht zur 250-Euro-Frage im Fernsehquiz gereicht. Schmitz (2003: 456f.)

Das Zitat macht deutlich, wie groß Schmitz’ Entrüstung über das Unwissen der Studenten ist; es zeigt aber auch, dass der Verfasser keineswegs gewillt ist, die Ergebnisse nüchtern darzustellen und den Ursachen auf den Grund zu gehen. Ihm geht es in seinem Beitrag vielmehr darum, dem Leser in pointierter Ausdrucksweise vor Augen zu führen, wie es um das grammatische Wissen seiner Studienanfänger bestellt ist. Nun mag man sich fragen, wie diese Befragung an anderen Universitäten ausfallen würde und ob der Test nicht hätte anders konzipiert werden müssen. In Zürich beispielsweise, wo der Test auf dieselbe Weise durchgeführt wurde, erreichten 71,3% der Studenten zwischen 15 und 30 Punkten, beantworteten also mindestens die Hälfte der Frage richtig. Dabei traten die meisten Probleme bei der Definition der Termini Hypotaxe > Parataxe > Code > Prädikat > indirektes Objekt auf (in abnehmender Rangfolge). Allerdings wurden in Zürich nur 73 Studenten befragt, in Essen waren es gut zweihundert.2 Außerdem handelte es sich bei dem Zürcher Test um die Teilnehmer einer Grammatikvorlesung – und diese gehört nicht zum Pflichtprogramm in der Germanistik. Die Studenten brachten also ein genuines Interesse für das Thema mit. In Essen dagegen wurde die Befragung in einem Grundkurs zur Einführung in die Sprachwissenschaft durchgeführt, den alle Studenten absolvieren müssen. Eine weitere, grundlegendere Frage, die man sich stellen muss, ist, ob ein solcher Test tatsächlich etwas über das grammatische Wissen der angehenden Germanisten aussagt. So vertritt Reinold Funke die Auffassung, dass es bei grammatischen Kenntnissen nicht darauf ankomme, ob sie implizit oder explizit seien. Er schreibt: In Kulturen mit hohem Grad an Literalisierung können die meisten Menschen vermutlich einige Wortarten angeben. Worin besteht aber eigentlich die Kenntnis, die sie zu erkennen geben, wenn sie auf die Frage, was Substantive sind, antworten, diese seien eben Namenwörter? Oder zeigt sich Wortartkenntnis gar nicht in der Antwort auf solche Fragen, sondern eher in der Fähigkeit, Wörter Wortarten zuzuordnen? So etwas mag vielen Menschen im Kernbereich typischer Nomen und Verben relativ sicher gelingen. Funke (2005: 99)

Wortartkenntnis zeige sich also darin, dass man imstande sei, die Rolle der jeweils in konkreten Äußerungen vorkommenden Wörter zu bestimmen (vgl. Funke 2005: 100), nicht darin, lexikalische Wortklassen unterscheiden zu können. In der Tat gibt es ein implizites grammatisches Wissen, das, wie Funke sagt, „in Funktion ist“, ohne dass es aus einer expliziten Kenntnis von 2

Genaue Angaben zur Zahl der Befragten finden sich bei Schmitz nicht.

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Begriffen, Regeln und Kriterien besteht. Als Argument führt Funke z.B. die Tatsache an, dass „deutschsprachige Schreiber über Tausende von Wörtern hinweg Nomen fehlerfrei durch Großschreibung kennzeichnen“ (Funke 2005: 307). Er betont an anderer Stelle aber auch, dass dieses implizite Wissen durch explizites gestützt werden müsse. Das ist der mir wichtige Punkt: Das vorhandene Wissen um Sprache tritt häufig erst durch metasprachliche Kenntnisse ins Bewusstsein. Um Sprache analysieren und vom Einzelfall abstrahieren zu können, braucht man ein Beschreibungsinstrumentarium. Wilhelm Köller sagt dies deutlich (Kursivdruck im Original): Was an grammatischen Phänomenen begrifflich nicht erfasst werden kann, bleibt verborgen oder ist nur sprachgefühlsmäßig wahrzunehmen, da die Benennbarkeit eine wichtige Voraussetzung für die Unterscheidbarkeit sprachlicher Phänomene ist. Köller (1988: 387)

Halten wir fest: Explizite Grammatikkenntnisse sind notwendig. Sie machen, wie Köller (1988: 388) schreibt, das Grammatikgefühl nicht überflüssig, sie können es aber ergänzen und präzisieren. Und bei Germanistikstudenten, deren tägliches Geschäft der reflektierte Umgang mit der deutschen Sprache ist, gehören diese Kenntnisse ohnehin zum notwendigen Rüstzeug. Von ihnen wird beispielsweise erwartet, dass sie in einem linguistischen Grundkurs den Unterschied zwischen Subjekt und Substantiv erklären können und auf Anhieb wissen, was der Unterschied zwischen einem finiten und einem infiniten Verb ist. Hier aber liegt, wie Schmitz’ Minitest deutlich macht, einiges im Argen. Ich will an dieser Stelle nun aber nicht in das Lamento über die unzulänglichen Kenntnisse der Studienanfänger einstimmen, wie man es allenthalben hört. In vielen Bereichen bringen die Abiturienten für das Fach Germanistik zweifellos mehr Kenntnisse mit als zu früheren Zeiten.3 Etwas zeigte der Test aber deutlich: Vielen der befragten Studenten fehlte das metasprachliche Wissen, viele waren nicht imstande, die Bedeutung einzelner Termini in eigenen Worten wiederzugeben – was freilich, dies sei betont, nichts darüber aussagt, ob sie die Termini nicht doch intuitiv in der konkreten grammatischen Analyse richtig verwenden würden.

3

Dies zeigt beispielsweise die Untersuchung von Horst Sitta mit dem Titel „Defizit oder Entwicklung? – Zum Sprachstand von Gymnasialabsolventen und Studenten“. Sittas Beitrag stammt zwar aus dem Jahr 1990, er setzt sich aber mit einem Topos auseinander, der zeitlos ist: ‚Früher war alles besser‘.

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3. Der Deutschunterricht Wenn es zutrifft, dass bei vielen Studenten das metasprachliche Wissen nicht oder nur implizit vorhanden ist, dann drängt sich natürlich die Frage auf, a) warum dieses Wissen in den Schulen nicht vermittelt wurde und b) was sich dagegen unternehmen lässt. Das freilich sind die falschen Fragen. Denn zweifellos sind die meisten der Termini im Deutschunterricht eingeführt worden. Immerhin gibt es in Deutschland ein von der Kultusministerkonferenz 1982 verabschiedetes „Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke“, das in den Lehrplan für das Fach Deutsch integriert ist.4 In diesem Verzeichnis finden sich grammatische Termini aus den vier Bereichen Lautlehre/ Rechtschreibung/Zeichensetzung; Wortlehre; Satzlehre; Bedeutungslehre (Semantik). Zu jedem dieser vier Bereiche werden bis zu 20 Termini angeführt, die ihrerseits wieder eine Liste von Termini umfassen (z.B. Objekt – Genitivobjekt, Dativobjekt, Akkusativobjekt, Präpositionalobjekt). Ein Großteil der von Schmitz erfragten grammatischen Ausdrücke steht in dieser Liste. Dies zeigt der folgende Vergleich beider Listen. Schmitz’ Fragebogen umfasst die Bezeichnungen: Adjektiv, Adverb, Code, Dialekt, Ellipse, finites Verb, Genitiv, Hypotaxe, indirektes Objekt, Kasus, Konjugation, Konjunktion, Konjunktiv, Konjunktiv II, Metapher, Modalverb, Parataxe, Partizip I („Partizip Präsens“), Partizip II („Partizip Perfekt“), Passiv, Prädikat, Präposition, Präteritum, Relativpronomen, Semantik, Semikolon, Silbe, Subjekt, Substantiv, Syntax. Von diesen vermisst man im „Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke“ nur: Code, Dialekt, Ellipse, finites Verb, Hypotaxe, indirektes Objekt, Parataxe, Syntax. Einige fehlen außerdem nur deshalb, weil es keine grammatischen Fachausdrücke sind, sondern anderen Bereichen (z.B. Dialekt) zugehören. Zu bedenken ist auch, dass die Schüler die im KMK-Verzeichnis angeführten Fachausdrücke bereits zum Ende des 10. Schuljahrs sicher anwenden sollen, sie müssten diese also bei Eintritt in die Oberstufe schon beherrschen. Für die Sekundarstufe II gibt es zwar keine Fortführung der Liste, es ist aber anzunehmen, dass Termini wie finites Verb oder Code spätestens auf dieser Schulstufe Erwähnung finden. Immerhin wird im Lehrplan für das Fach Deutsch, NRW, Sekundarstufe II (gültig seit 01.08.1999) vermerkt:

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Das „Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke, herausgegeben vom Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland von 1982“ ist abgedruckt in Bausch und Grosse (1987: 229ff.) Im Internet findet es sich in leicht modifizierter Form unter http:// www.uni-erfurt.de/sprachwissenschaft/Lehre&Studium/d_gramm_Fachausdruecke .html .

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Christa Dürscheid Genaues Textverstehen setzt Kenntnisse der Grammatik zum Verständnis syntaktischer und semantischer Strukturen voraus. Diese Kenntnisse aus der Sekundarstufe I müssen in der gymnasialen Oberstufe aufgefrischt, weiter ausgebaut und mit dem Fremdsprachenunterricht terminologisch abgestimmt werden. Lehrplan, NRW, S. 23

Wir können also davon ausgehen, dass alle 30 Fachausdrücke an den Schulen in Nordrhein-Westfalen eingeführt wurden. Dennoch sind sie vielen Studienanfängern nicht oder nicht mehr präsent. Wie ist das zu erklären? Ich sehe hier folgende Ursachen: Zum einen kann es durchaus sein, dass das grammatische Wissen auf der Sekundarstufe II eben doch nicht mehr, wie im Lehrplan gefordert, „aufgefrischt“ und „weiter ausgebaut“ (s.o.) wird. Die schulgrammatische Terminologie wird – wie später auch an der Hochschule – als bekannt vorausgesetzt, man sieht keine Notwendigkeit darin, diesen Themenbereich noch einmal aufzugreifen. Außerdem ist der Lernstoff, der bis zum Abitur behandelt werden muss, so umfangreich, dass viele Lehrer anderen, ihnen wichtiger scheinenden Themen den Vorzug geben. Es mag aber auch am Desinteresse an der Grammatik liegen, das unter vielen Schülern und Lehrern zu beobachten ist. Warum sollte man dieses Thema auch noch, so mögen sie sich fragen, in der Sekundarstufe II behandeln?5 Ein weiterer Grund dafür, dass schulgrammatisches Wissen unter vielen Studienanfängern nicht mehr präsent ist, kann aber auch der folgende sein: Sie haben es nie richtig gelernt. So wird immer wieder betont, dass Grammatikunterricht nicht isoliert zu erfolgen habe, sondern im Sinne eines integrativen Deutschunterrichts an die Textarbeit angebunden werden sollte. Schon 1986 schrieb Winfried Ulrich in den Blättern zur Lehrerfortbildung: Die natürliche Vorkommensweise von Sprache ist immer der Text. Erst der untersuchende Linguist und der Sprachlehrer isolieren Textteile wie einzelne Sätze oder Wörter oder lösen sie aus ihrem natürlichen Kontext heraus, verlieren dabei auch ihre Leistung aus dem Auge. Die Funktion eines sprachlichen Elements wird nämlich dann deutlich, wenn man überprüft, welchen Anteil es an der Gesamtwirkung eines Textes auf Hörer oder Leser hat. Ulrich (1986: 18)

Seit den 1980er Jahren liegt dieses Konzept den Lehrplänen zugrunde, in den Klassenzimmern wird seither danach unterrichtet. Das zeigt auch ein Blick in den Lehrplan für das Fach Deutsch, NRW, S. 23 (Fettdruck im Original): „Doch darf Grammatikunterricht hier nicht nach dem Prinzip der Elementarisierung erfolgen. Deshalb soll die Erweiterung der grammatischen und 5

Hier sei wieder Wilhelm Köller zitiert: „Das Merkwürdige am Grammatikunterricht ist, dass es ihn immer noch gibt. Obwohl die Mehrzahl der Schüler und Lehrer ihn eher zu hassen als zu lieben scheint, hat ihn doch nicht überall der Auszehrungstod ereilt“ (Köller 1997: 9).

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stilistischen Kompetenz nicht isoliert betrieben, sondern angemessener in der Arbeit an und mit Texten erreicht werden.“ Doch auch wenn ein solcher Unterricht für die Schüler motivierend ist, auch wenn, wie in der fachdidaktischen Literatur immer wieder betont wird, es didaktisch sinnvoll und fachlich angemessen ist, sprachliche Phänomene nicht isoliert zu betrachten: Gerade daraus resultiert meiner Ansicht nach, dass im muttersprachlichen Unterricht – anders als z.B. im Lateinunterricht – kein systematisches Grammatikwissen aufgebaut wird. So können sich viele Studenten auf Nachfragen nicht mehr daran erinnern, dass ein grammatischer Terminus in ihrer Schulzeit jemals eingeführt wurde. Das verwundert nicht: Es geschieht in der Regel ja nur im Kontext anderer, möglicherweise interessanterer Fragestellungen. Daraus resultiert, dass das Wissen um die grammatischen Termini gar nicht ins Zentrum des Unterrichtsgesprächs rückt und deshalb von den Schülern auch nicht im selben Maße erinnert wird, wie dies im Lateinunterricht der Fall ist. Bevor ich nun im nächsten Abschnitt zeigen werde, welche Gründe für die Beibehaltung resp. Wiedereinführung des Grammatikunterrichts in der Schule sprechen, ist an dieser Stelle noch eine abschließende Bemerkung zu den neuen Bildungsstandards erforderlich. Zu der Zeit, als die von Ulrich Schmitz befragten Studienanfänger die Schule besuchten, galten noch die ‚alten’ „Standards für den Mittleren Schulabschluss Deutsch“, die im Jahr 1995 von der Kultusministerkonferenz verabschiedet worden waren. In diesen „Standards“ werden dem fachlichen Schwerpunkt „Reflexion über Sprache“ verschiedene Ziele und Inhalte zugeordnet. Eines dieser Ziele ist: „fachspezifische Begriffe zur Beschreibung von Sprache (vgl. u.a. KMK-Vereinbarung grundlegender grammatischer Fachausdrücke vom 26.02.1982) sicher anwenden.“ Es wird hier also explizit auf das Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke Bezug genommen und es wird erklärt, dass die Kenntnis solcher Ausdrücke zu den Zielen im Unterricht der Sekundarstufe I gehört. Heute, im Jahr 2007, stellt sich die Situation anders dar. Im Oktober 1997 hatte die Kultusministerkonferenz beschlossen, das deutsche Schulsystem im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen international vergleichen zu lassen. Daraus resultierten neue „Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss“, die in den Jahren 2003 und 2004 beschlossen wurden. Seit dem Schuljahr 2004/05 gelten nunmehr für das Fach Deutsch die Vereinbarungen über die Bildungsstandards vom 04.12.2003. In diesen Vereinbarungen wird nicht mehr auf das „Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke“ verwiesen. Das halte ich für problematisch. Denn auch wenn das Verzeichnis nicht unumstritten ist (zur Kritik vgl. Müller 2003): Dass eine ganze Reihe von grammatischen Termini im Unterricht eingeführt werden musste, war damit festgeschrieben. In den Bildungsstandards dagegen werden lediglich exemplarisch einige wenige Termini genannt, die die Schüler ken-

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nen und anwenden sollen. Einen Kanon gibt es nicht mehr. So ist unter Punkt 3.4 „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ zu lesen: Satzstrukturen kennen und funktional verwenden: Hauptsatz, Nebensatz/Gliedsatz, Satzglied, Satzgliedteil, Wortarten kennen und funktional gebrauchen: z.B. Verb: Zeitlichkeit, Modalität; Substantiv/Nomen: Benennung; Adjektiv: Qualität, grammatische Kategorien und ihre Leistungen in situativen und funktionalen Zusammenhängen kennen und nutzen, insbesondere Tempus, Modus (Indikativ, Konjunktiv I/II), Aktiv/Passiv; Genus, Numerus, Kasus; Steigerung Bildungsstandards (2003: 19)

Was den höheren Schulabschluss betrifft, so liegen hierfür keine Bildungsstandards vor, es gibt also keinen Referenztext. Um sich über die derzeit gültigen Anforderungen auf der Sekundarstufe II zu informieren, ist es deshalb interessant, einen Blick in die Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Deutsch (EPA) zu werfen. Wie Hartmut Frentz und Christian Lehmann (2003: 96) in ihrer kritischen Diskussion feststellen, zeigt sich in diesen Prüfungsanforderungen in der Fassung vom 24.05.2002 ein „eklatantes Ungleichgewicht von literaturwissenschaftlichen und linguistischen Konzepten. So wird z.B. im §1.2 im Leistungskursfach Deutsch ‚differenzierte literaturwissenschaftliche Terminologie’ und Literaturtheorie’ verlangt, jedoch nichts Entsprechendes auf Seiten der Linguistik.“ Weiter stellen die Autoren fest, dass sich nur vier Zeilen zu den fachlichen Anforderungen im Bereich ‚Reflektieren über Sprache’ finden, dagegen aber 47 Zeilen zu den Anforderungen im Lernbereich ‚Erschließen von Texten und Medienprodukten’. Diese Gewichtung dokumentiert, so die Argumentation weiter, dass die Reflexion über das Sprachsystem einen geringeren Stellenwert hat als noch im Jahr 1989, in dem erstmals einheitliche Prüfungsanforderungen von der Kultusministerkonferenz vereinbart wurden. Damals umfasste der Bereich „Sprachbetrachtung“ 11 Zeilen (gegenüber 30 Zeilen zu den Anforderungen im Bereich ‚Angemessener Umgang mit Texten’). Das Beispiel macht deutlich, in welche Richtung die Neugestaltung der Lehrpläne und der Prüfungsanforderungen seit den 1990er Jahren geht. Frentz und Lehmann (2003: 92) sehen in dieser Neugestaltung denn auch einen Grund dafür, „dass die sprachliche Bildung der Abiturienten in den letzten Jahren [...] zurückgegangen ist.“ Wenn dies zutrifft, dann muss man sich fragen, wie wohl der Kenntnisstand der Studienanfänger im Jahr 2010 sein wird. Vielleicht sind sie dann noch unsicherer in der metasprachlichen Terminologie als ihre Kommilitonen im Jahr 2003? Andererseits kann es auch durchaus sein, dass der sprachlichen Bildung im Unterricht wieder mehr Raum gegeben und sich dies langfristig auch in den Lehrplänen zeigen wird. So stellt Angelika Steets mit Blick auf die Situation nach der PISA-Studie fest:

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Erkennbar sind m.E. zwei Trends. Einerseits findet – angesichts der immer offensichtlicher werdenden Lücken im grammatischen Wissen von Lehrenden und Studierenden [...] – eine Rückbesinnung auf grammatisches Grundwissen statt [...]. Andererseits beginnt die Sprach- bzw. Grammatikdidaktik aus ihrer insgesamt eher defensiven Position herauszutreten und dezidiert die Notwendigkeit systematischen Sprachunterrichts einzufordern. Steets (2003: 215)

Während Letzteres sicher trifft – der vorliegende Beitrag steht ja auch in diesem Kontext –, muss sich erst noch erweisen, in welche Richtung der Deutschunterricht nach der PISA-Studie gehen wird. Tatsache aber ist, dass in den fachdidaktischen Publikationen der Grammatikunterricht wieder stärker ins Zentrum rückt und dies möglicherweise Auswirkungen auf die Lehrerausbildung und damit auch auf die Unterrichtspraxis haben kann.

4. Der Grammatikunterricht Wie bereits angedeutet, trete ich dafür ein, dass im Deutschunterricht Phasen vorzusehen sind, in denen sprachliche Phänomene „unabhängig von anderen Lernbereichen, Unterrichtsthemen oder -aktivitäten erarbeitet und geübt“ (Peyer 2005: 77) werden. Ein solches Konzept schließt nicht aus, dass sprachliche Phänomene ‚nur’ im Kontext von Textinterpretationen behandelt werden (s. dazu Abschn. 3), es ist aber auch ein Plädoyer dafür, die Sprache selbst zum Thema zu machen. Nun mag man einwenden, dass dieses Nachdenken über Sprache ja fester Bestandteil des Curriculums ist, dass in den Lehrplänen ein solcher Lernbereich vorgesehen ist, auch wenn er, wie wir gesehen haben, möglicherweise nicht denselben Stellenwert hat wie vor zehn Jahren. In der Tat gibt es beispielsweise im Lehrplan für die Sekundarstufe II in Nordrhein-Westfalen feste Planungsvorgaben im Lernbereich ‚Reflexion über Sprache’.6 Diese Vorgaben betreffen die vier Bereiche a) Denken/Verstehen/Lernen; b) Kommunikation/Kommunikationstechnologien; c) Sprachentwicklung; Sprachvarietäten und d) Sprachstruktur/Sprachfunktion. Ausgewählte Themen aus diesen vier Bereichen müssen zum Schwerpunkt von Unterrichtsvorhaben gemacht werden oder in Unterrichtsvorhaben mit anderem Schwerpunkt integriert werden (vgl. Lehrplan, NRW, S. 35). Das Themenfeld Sprachstruktur/Sprachfunktion ist also eines der vier obligatorischen Bestand6

Alternative Bezeichnungen sind ‚Umgang mit Sprache‘ und ‚Sprache untersuchen‘ (vgl. zur Geschichte und Stellung dieses Lernbereichs im Deutschunterricht Steinig und Huneke 2004: 143–162).

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teile des Deutschunterrichts in diesem Lernbereich. Hier ist der Rahmen gegeben, in dem grammatisches Wissen vermittelt werden kann, in dem Grammatikunterricht möglich ist. Schaut man sich die Fachdidaktikliteratur aber daraufhin durch, welche Vorschläge gemacht werden, um einen dieser Schulstufe angemessenen Grammatikunterricht durchzuführen, dann findet man kaum etwas. So umfasst die Grammatik-Werkstatt von Wolfgang Menzel unter dem Stichwort „Werkstattarbeit in der Sekundarstufe II“ nur wenige Vorschläge auf insgesamt 22 Seiten (S. 157–179). Dem stehen über 100 Seiten zur „Werkstattarbeit in der Sekundarstufe I“ gegenüber. Menzel (1999: 157) stellt zwar richtig fest, dass das Thema auf der Sekundarstufe II eine untergeordnete Bedeutung habe, dass grammatisches Wissen vorausgesetzt werde und da, wo nicht vorhanden, nicht auf höherem Niveau noch einmal vermittelt oder erweitert werde, entwickelt aber selbst nur drei eigene Unterrichtsbeispiele („Experimente mit Konjunktiven“, „Probleme mit Finalsätzen“, „Satzgefüge und Kommasetzung“).7 An anderer Stelle beklagt er, dass es in diesem Bereich kein SpiralCurriculum gebe, dass die Schulgrammatik fast durchweg mit dem siebten Schuljahr ende (vgl. Menzel 1999: 10). Ob der Grammatikunterricht in den Klassenzimmern tatsächlich schon mit dem siebten Schuljahr zu Ende ist, sei dahingestellt; was den Übergang zur Sekundarstufe II betrifft, so hat Menzel sicher Recht: Zu diesem Zeitpunkt endet der Grammatikunterricht fast durchweg, obwohl er, dem Prinzip des Spiral-Curriculums folgend, eine Fortsetzung in der Sekundarstufe II haben müsste. Zum Vergleich sei noch ein zweites Buch erwähnt, das für Lehrer und Lehramtsstudenten konzipiert ist und den vielversprechenden Titel „Grammatik und vieles mehr. Linguistische Grundlagen und Lernziele für den Deutschunterricht der Sekundarstufen“ trägt (Wachtel 2004). Der Plural Sekundarstufen lässt vermuten, dass sich in diesem Buch auch Ausführungen zur Sekundarstufe II finden. Dem ist aber nicht so. Über weite Strecken besteht die Arbeit aus nichts anderem als einer Rekapitulation linguistischen Grundlagenwissens. In den fünf Kapiteln „Kommunikation und der Gebrauch von Zeichen“, „Sprachliches Handeln“, „Phonem, Morphem, Wort“, „Satz“, „Text“ werden Themen behandelt, die in jeder linguistischen Einführung nachzulesen sind. Ergänzt wird jedes Kapitel um kurze Hinweise zum Deutschunterricht. Ausformulierte Lernziele finden sich hier nicht, Bezüge zu bestimmten Jahrgangsstufen werden nicht hergestellt, und auch in den didaktischen Teilen ist die Darstellung vorrangig an der Analyse sprachlicher Phänomene, nicht an methodischen und didaktischen Fragen orientiert (z.B. 7

Für die Sekundarstufe I finden sich 14 solcher Themen, u.a. „Experimente mit den Wortarten“, „Experimente mit Satzgliedern“, „Bestimmter und unbestimmter Artikel“.

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Wortbedeutung, Wortbildung, Wortarten, Satzmuster etc.). Das Buch bietet also nur wenige Anregungen für den Grammatikunterricht im Allgemeinen und keine Anregungen für den Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II im Besonderen. Ein Buch, in dem didaktische Aspekte tatsächlich im Vordergrund stehen, ist dagegen der Sammelband „Grammatik und Grammatikvermittlung“ (Peschel 2002). Der Band setzt sich zusammen aus linguistisch ausgerichteten Beiträgen, die die didaktische Vermittlung einschließen, sowie aus didaktisch ausgerichteten Beiträgen, die eine linguistische Grundlage haben. Hier findet der Leser Informationen zum muttersprachlichen und fremdsprachlichen Deutschunterricht, bekommt aber auch einen Einblick in die linguistische Forschungsdiskussion. Im Vorwort zu diesem Band, der dem Sprachwissenschaftler und Sprachdidaktiker Bernhard Engelen gewidmet ist, ist zu lesen: „Die Untersuchung und Darstellung grammatischer Sachverhalte auf der einen, die Vermittlung grammatischen Wissens [...] auf der anderen Seite sind zwei Aspekte sprachwissenschaftlichen wie sprachdidaktischen Arbeitens, die eng miteinander verbunden sind.“ Dieser Feststellung werden zweifellos viele Sprachwissenschaftler und Sprachdidaktiker zustimmen. Dennoch gilt immer noch, was Peter Eisenberg, der selbst an dem Sammelband mitgearbeitet hat, an anderer Stelle feststellt: „Auch in der Fachdidaktik selbst gibt es nach wie vor regelrecht aggressive Verwahrungen gegenüber Sprachwissenschaft und insbesondere ‚der Grammatik’“ (Eisenberg 2004: 21).8 Eisenberg erwähnt in diesem Zusammenhang die in der Fachdidaktik viel beachtete Arbeit von Werner Ingendahl (1999). Sie trägt den programmatischen Titel „Sprachreflexion statt Grammatik. Ein didaktisches Konzept für alle Schulstufen“ und enthält eine „gründliche Kritik am traditionellen Grammatikunterricht“ (Formulierung im Klappentext). Eisenberg stellt dazu fest: „Den Vogel schießt hier m.W. der Didaktiker Werner Ingendahl ab, der die Fortexistenz des üblichen Grammatikunterrichts als ‚Notlage’ ansieht“ (Eisenberg 2004: 21).9 Eisenberg geht es mit diesem Hinweis auf Ingendahl weniger um eine Auseinandersetzung mit dessen grammatikkritischer Position, sondern darum zu zeigen, dass das Verhältnis zwischen Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik (resp. zwischen Sprachwissenschaftlern und Sprachdidaktikern, C.D.) keineswegs geklärt ist. Der Grammatik8

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Eisenbergs Text ist die leicht überarbeitete Fassung seines Plenarvortrags bei der 26. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft im Februar 2004. Die Tagung hatte das Rahmenthema „Linguistik in der Schule“, eine Formulierung, die an Arbeiten aus der Zeit der Linguistisierung des Deutschunterrichts in den 1970er Jahren erinnert (z.B. Rothschild 1970: „Linguistik in der Schule“). Vgl. zur Arbeit von Ingendahl auch die Anmerkungen von Funke (2005: 305f.) und Klotz (i.d.B.).

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unterricht steht gewissermaßen in diesem Spannungsfeld; als Sprachwissenschaftler wird man die Notwendigkeit von Grammatikunterricht kaum in Frage stellen, als Sprachdidaktiker wird man genau dies aber möglicherweise tun. Ziehen wir an dieser Stelle eine Zwischenbilanz: Im Lernbereich ‚Reflexion über Sprache’ ist, laut Lehrplan, die Vermittlung grammatischen Wissens vorgesehen – und zwar sowohl auf der Sekundarstufe I als auch auf der Sekundarstufe II. Wie weit das in den Klassenzimmern tatsächlich geschieht, ist ein anderes Thema. Auf der Sekundarstufe I wird dies der Fall sein (wenn auch in der Regel im Kontext eines integrierten Deutschunterrichts), auf der Sekundarstufe II ist die Vermittlung grammatischen Wissens eher die Ausnahme. In der fachdidaktischen Literatur und in den Lehrwerken finden sich für die Sekundarstufe II folglich auch nur wenige Vorschläge für Unterrichtseinheiten zu diesem Lernbereich. Man kann es aber auch umgekehrt sehen: Vielleicht werden auf der Sekundarstufe II auch kaum Unterrichtseinheiten durchgeführt, weil sich in der fachdidaktischen Literatur und in den Lehrwerken nur wenige Vorschläge finden.

5. Sprachreflexionskompetenz Es wurde bereits dargelegt, dass der Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II ein Schattendasein führt, auch wenn er im Lernbereich „Reflexion über Sprache“ verankert ist. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Situation tatsächlich so desolat ist, wie sie Peter Klotz darstellt. Er zieht in seiner Rückschau auf die vergangenen 30 Jahre die folgende Bilanz: [U]nter dem Lehrplan-Label „Reflexion über Sprache“ wurde in der Schulrealität immer weniger über Sprache nachgedacht, auch wurde systematisch immer seltener in ihre Bauweise eingeführt – das grammatische explizite Wissen verschwand immer mehr und mehr unter den Heranwachsenden, von denen natürlich etliche Lehrer oder Lehrerin wurden und mangels Kompetenz diesen Bereich gerne vernachlässigen. So wurde – meine holzschnittartige Skizze soll es so zeigen – aus dem Terminus „Sprachreflexion“ vielleicht kein Etikettenschwindel, aber doch fast eine Leerformel. Klotz (2004: 154)

Wie der letzte Satz des Zitats zeigt, sagt Klotz selbst, dass seine Darstellung holzschnittartig sei. Das ist sie tatsächlich, sie enthält aber einen wahren Kern: Im Kontext der kommunikativ-pragmatischen Wende wurde die systembezogene Betrachtung von Sprache und damit auch die systematische Vermittlung metasprachlichen Wissens immer mehr zurückgenommen (siehe dazu Abschn. 2). Gerhard Helbig beschreibt die Situation in seinem pro-

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grammatischen Aufsatz „Wieviel Grammatik braucht der Mensch?“ aus dem Jahr 1972 folgendermaßen: Es ist nicht zu verkennen (und das ist auch ein Hintergrund für die im Titel gestellte Frage), daß in den letzten Jahrzehnten die Grammatik zunehmend ins Gerede gekommen ist (vor allem unter dem Einfluß der „kommunikativ-pragmatischen Wende“ der Sprachwissenschaft und unter dem Stichwort des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts). Helbig (1972: 150)

Welches die Gründe für diese Entwicklung sind, soll hier nicht nachgezeichnet werden (vgl. dazu ausführlich Steinig und Huneke 2004). Nur so viel: „Man wollte Grammatik nicht mehr als formales Bildungswissen akzeptieren, weil dieses keinen unmittelbaren Gebrauchswert für die Lebenswirklichkeit und die Schreibpraxis der Schüler habe“ (Steinig und Huneke 2004: 146).10 Klotz’ Anliegen ist es, so gewinnt man den Eindruck bei der Lektüre seines Beitrags, die Vermittlung von Grammatikwissen wieder in den Deutschunterricht zurückholen – unter zwar unter dem Terminus „Sprachreflexionskompetenz“. Die Kompetenz, über Sprache reflektieren zu können, liegt nach Peter Klotz auf zwei Ebenen. Zum einen zeige sie sich in der Fähigkeit, „in Alternativen zu denken und so die Sprache zu gebrauchen“, zum anderen in der „geistigen Distanznahme bei einem aktuellen Sprachgebrauch“ (Klotz 2004: 153). Klotz sieht also einen Zusammenhang zwischen Sprachreflexion und Sprachgebrauch und zwar dergestalt, dass die Reflexion über Sprache zu einer differenzierten Spracheinstellung und vielleicht sogar zu differenzierterem Sprachgebrauch führen kann. An anderer Stelle nennt Klotz weitere wichtige Funktionen einer solchen Sprachreflexionskompetenz. Diese erinnern an die traditionellen Begründungen für den Grammatikunterricht. So legt er dar, die Einsicht in die Sprache sei a) „ein das Humane unterstreichendes Bildungs- und Kulturgut“, b) „sensibilisiere für Sprache“, führe c) „zu einem vernünftigen fachsprachlichen Umgang mit ihr“ und fördere d) die Textrezeption und das Texte-Verfassen (vgl. Klotz 2004: 167). Vergleicht man diese Argumente mit den traditionellen Begründungen für den Grammatikunterricht, dann findet man einige wieder. Um dies deutlich zu machen, werde ich im Folgenden einige der Begründungen zusammenstellen (in Anlehnung an Eichler 1998: 226–257 und Ulrich 2001: 78–79). Wie man daran sieht, entsprechen die von Klotz genannten Argumente den Punkten 1, 2, 4, 6, 7 und 10: 1. Der Schüler soll Einsicht in den Bau und die Struktur der Sprache erhalten. 2. Der Schüler soll für die Unterrichtsarbeit in anderen Fächern klare Verständigungsbegriffe erhalten. 10

„Einige forderten sogar ihre Abschaffung“, schreiben Steinig und Huneke (2004: 146). Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf Helga Schwenk (1983).

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3. Der Schüler soll in der Fähigkeit zum analytischen Denken gefördert werden. 4. Der Schüler soll lernen, Distanz zum Eingebundensein in kommunikative Prozesse zu nehmen und für Normen aller Art sensibilisiert werden. 5. Der Schüler soll objektive Kriterien für die Analyse von kommunikativen Handlungen und Sprache auf ihre Wirkung und Bedingungen erarbeiten. 6. Der Schüler soll Kriterien für die Textanalyse und Textinterpretation erhalten. 7. Der Schüler soll in seiner Sprachfertigkeit, in seinem Konstruktionsbewusstsein, im Satzbau und in der präziseren Wortwahl sowie in einem allgemein-bewussteren Sprachverhalten gefördert werden. 8. Der Schüler soll lernen, Gefahren des Misslingens von Verständigung zu erkennen. 9. Der Schüler soll in der Lage sein, die Unterschiede zwischen der eigenen Sprache und fremden Sprachen zu benennen. 10. Grammatikwissen gehört zur Allgemeinbildung. Die Punkte sollen hier nicht im Einzelnen diskutiert werden, einige mögen auch problematisch sein. So weist Wilhelm Köller (1988: 387) darauf hin, „daß eigentlich für jede Sprache ein eigenes Inventar grammatischer Differenzierungsbegriffe erarbeitet werden müsste, weil das Inventar grammatischer Formen und Funktionen selbst in verwandten Sprachen nicht deckungsgleich ist.“ Insofern sei fraglich, ob die „Verständigungsbegriffe“ aus der Grammatik des Deutschen auf andere Sprachen übertragen werden können (Punkt 2). Das ist zwar richtig, hier kann man aber einwenden, dass gerade in der Verschiedenartigkeit der Beschreibungskategorien eine Möglichkeit zur metasprachlichen Reflexion liegt.11 Auch auf eine andere kritische Bemerkung Köllers sei nur kurz eingegangen. Es geht dabei um das Argument, Grammatikunterricht fördere das analytische Denken (Punkt 3). Köller schreibt hierzu, dass die Grammatik selbst kein logisch kohärentes System sei, sondern „ein historisch gewachsenes Gebilde mit Widersprüchlichkeiten und Inkonsequenzen“ (Köller 1997: 23), sie könne also gar nicht das logischanalytische Denken schulen. Dass die Grammatik in der Tat heterogene Klassifikationskriterien enthält, zeigen u.a. die verschiedenen Begriffsfassungen von Subjekt (semantisch: Handlungsträger, morphologisch: Nominativ,

11

So bietet ein Vergleich der Bezeichnungen ‚direktes Objekt/indirektes Objekt’ mit ‚Akkusativobjekt/Dativobjekt/Genitivobjekt/präpositionales Objekt’ die Möglichkeit, den Aussagewert dieser Termini zu hinterfragen (z.B.: Wo liegen die Unterschiede zwischen einem indirektem Objekt und einem Dativobjekt? Warum sprechen wir im Französischunterricht vom direkten und indirekten Objekt, nicht aber vom Akkusativ-, Dativ- oder Genitivobjekt?).

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pragmatisch: Thema), aber auch die Wortartenklassifizierung, die zum einen semantischen Kriterien folgt, zum anderen formalen.12 Doch selbst wenn also nicht alle Begründungen für Grammatikunterricht gleichermaßen überzeugen: Es gibt eine Reihe von Begründungen, und diese gelten, das ist wichtig zu betonen, sowohl für die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II. Um es mit Klotz (2004: 167) zu sagen: „Entscheidend ist [...] die Kontinuität des bewussten und reflektierten Arbeitens mit Sprachen, denn nur durch Kontinuität kommt es zu brauchbaren, zuverlässigen und für Differenzierungen tauglichen sprachlichen Routinen.“ Eine solche Kontinuität ist aber nur dann gewährleistet, wenn das grammatische Curriculum auf der Sekundarstufe II fortgeführt wird. Und dabei kann es nicht um die simple Repetition grammatischen Wissens gehen, es geht tatsächlich um eine Reflexion über das Sprachsystem. Wie ein solcher Grammatikunterricht aussehen kann, ist Gegenstand des nächsten Abschnitts.

6. Unterrichtsvorschläge für die Sekundarstufe II Wie in der Literatur immer wieder betont, gibt es verschiedene Grammatiktypen (formale/funktionale Grammatiken), verschiedene Konzepte von Grammatikunterricht (systematischer Grammatikunterricht/situationsorientierter Grammatikunterricht) und verschiedene Methoden der Vermittlung (deduktive/induktive Methode).13 In Didaktiklehrwerken werden diese Ansätze zwar meist getrennt voneinander dargestellt, sie werden aber allesamt auf den Grammatikunterricht bezogen. Da ist die Rede von funktionalem Grammatikunterricht, situativem Grammatikunterricht, prozessorientiertem Grammatikunterricht, integrativem Grammatikunterricht, systematischem Grammatikunterricht usw. In der Unterrichtspraxis kommen diese Formen in der Regel in verschiedenen Kombinationen vor; sie schließen sich nicht aus. Im Folgenden soll für den Grammatikunterricht auf der Sekundarstufe II das Konzept eines funktionalen Grammatikunterrichts zugrunde gelegt werden. Dieses Konzept lässt sich mit systematischem Grammatikunterricht verbinden. Ann Peyer erläutert den funktionalen Grammatikunterricht folgendermaßen:

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Beispielsweise lässt sich ein Wort wie Million einerseits der Klasse der Substantive zuordnen, andererseits den Numeralia. Vgl. hierzu z.B. Eisenberg und Menzel (1995: 4f.).

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Christa Dürscheid Die Untersuchung grammatischer Phänomene erfolgt dann nicht integriert in andere Lernbereiche, sondern systematisch, aber so, dass nicht die grammatischen Formen im Zentrum stehen, sondern das Zusammenwirken von Form und Funktion sprachlicher Einheiten. Peyer (2005: 81)

Anders als Ann Peyer fasse ich ‚systematisch’ aber nicht als Gegenbegriff zu ‚integrativ’ auf. Vielmehr sehe ich in Anlehnung an Eisenberg und Menzel (1995) ‚systematisch’ in Opposition zu ‚situationsorientiert’. Eisenberg und Menzel stellen den Gegensatz ‚systematisch – situationsorientiert’ folgendermaßen dar: Der systematische Grammatikunterricht geht von Teilsystemen der Grammatik aus und läßt diese erarbeiten oder vermittelt sie, der situationsorientierte Grammatikunterricht vermittelt in aller Regel grammatische Einzelkategorien anläßlich der Bewältigung einer inhaltlich-thematischen Aufgabe [...]. Eisenberg und Menzel (1995: 5)

Mit diesen Worten ist der Rahmen abgesteckt, in dem die folgenden Unterrichtsvorschläge zu verorten sind: Als Ausgangspunkt dienen die grammatischen Teilsysteme Morphologie und Syntax (= systematischer Grammatikunterricht), ausgewählte Regularitäten in diesem Bereich sollen im Unterricht erarbeitet werden (= induktiver Grammatikunterricht), und zwar so, dass nicht die Formen im Zentrum stehen, sondern das Zusammenwirken von Form und Funktion (= funktionaler Grammatikunterricht). Wie kann dies nun im Einzelnen geschehen? Im Folgenden sei ein Vorschlag für die Sekundarstufe II entwickelt, an den weitere Unterrichtseinheiten anschließen können: Als Ausgangspunkt für das Unterrichtsgespräch dienen Sätze, die grammatische Irregularitäten aufweisen, in ihrer Irregularität aber bestimmten Regularitäten folgen, also nach einem nachvollziehbaren Muster gebildet sind, das übertragbar, generalisierbar und auf vergleichbare Fälle anwendbar ist (vgl. Hundt 2005). Die Daten werden aus dem Bereich der Wort- und Satzgliedstellung (z.B. Wir haben gefeiert an seinem Geburtstag; Ich komme nicht, weil ich hab keine Zeit), der Kasusmarkierung (z.B. Ich kenne den Student) und der Satzstrukturierung (z.B. Kenn ich nicht, Bin gleich wieder da) übernommen. Sie stehen nicht für Einzelfälle, sondern für wiederkehrende Sprachgebrauchsmuster, die in der Gegenwartssprache eine zentrale Rolle spielen. Die Beispiele sollen im Unterricht zunächst mit schulgrammatischer Terminologie beschrieben werden (z.B. „Hier handelt es sich um eine Ellipse des Subjekts“, „In diesem Nebensatz steht das finite Verb nicht am Ende“). Dies bietet die Gelegenheit, die Beschreibungssprache der traditionellen Satzglied- und Wortartenanalyse zu rekapitulieren, aber auch, die hierfür in einschlägigen Grammatiken gegebenen Definitionen kritisch zu hinter-

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fragen.14 Denn in dieser Altersstufe ist es möglich, den Erkenntnisgewinn solcher Kategorisierungen zu thematisieren und ein Metawissen über den Gebrauch der gängigen grammatischen Termini zu vermitteln (vgl. zu dieser Argumentation auch Müller 2003: 473). Im Anschluss an diese Meta-Metasprach-Diskussion soll mit den Schülern der Frage nachgegangen werden, welche Regularitäten hinter den Irregularitäten stehen, wie sich die ‚Abweichungen’ also formal beschreiben und funktional erklären lassen. Hier einige Beispiele für mögliche Diskussionspunkte: Welche Funktion hat die Verbzweitstellung im Nebensatz? Gibt es möglicherweise sogar Konstruktionen, in denen nur die Verbzweitstellung akzeptabel ist? Warum fällt das Subjekt in dem Satz Bin gleich wieder da weg? Gibt es auch andere Konstruktionen, in denen der Aussagesatz – wie bei einem Befehlsatz – mit dem finiten Verb beginnt (vgl. Kenne ich nicht)? Wie ist die Ausklammerung einer präpositionalen Wortgruppe zu erklären, was ist also der Unterschied zwischen Wir haben gefeiert an seinem Geburtstag und Wir haben an seinem Geburtstag gefeiert? Daran anknüpfend lassen sich weitere, grundsätzlichere Fragen besprechen: Handelt es sich bei den Beispielen um (Ir-)Regularitäten, die nur in der gesprochenen Sprache auftreten? Und wie ist es mit dem Vorkommen solcher Strukturen in der computervermittelten Kommunikation, also z.B. im Chat? Wie sind solche Konstruktionen aus sprachkritischer Sicht zu beurteilen? Und nicht zuletzt: Sind solche Sätze grammatisch, wo liegen überhaupt die Grenzen zwischen Grammatikalität und Akzeptabilität? Dabei werden die Schüler feststellen, dass Grammatikalitätsurteile eine hohe Streuung aufweisen und dass das, was Grammatikalität ausmacht, in der Regel erst an den Grenzbereichen in den Blick kommt (vgl. Hundt 2005: 20). Wie man an dieser Auflistung von Fragen sieht, bieten die Beispiele ein Potential, um mit den Schülern über grammatische Phänomene zu sprechen und die dahinter stehenden Regularitäten zu erarbeiten. Dabei muss man auf der Sekundarstufe II nicht bei der Erarbeitung der Regularitäten stehen bleiben, es bietet sich auch an, die Analyse in einzelnen Bereichen zu vertiefen. So ist es durchaus möglich, den Abbau der Kasusmarkierung in einem größeren Zusammenhang aus diachroner und synchroner Sicht zu betrachten und auch Erklärungsansätze aus der linguistischen Forschungsliteratur einzubringen (z.B. Köpcke 2005).15 Im Sinne eines wissenschaftspropädeutischen 14

15

Solche Fragen können sein: „Wie weit reicht die semantische Definition von ‚Subjekt’ als Handlungsträger? Gilt sie nur für Aktivsätze? Und wenn ja, wie ist sie mit Sätzen wie Es regnet kompatibel? So hieß es noch 1774 in den Leiden des jungen Werthers: „Indes kann ich Alberten meine Achtung nicht versagen [...] Er hat viel Gefühl und weiß, was er an Lotten hat.“ Vgl. zu diesen und weiteren Beispielen http://www.ds.unizh.ch/ lehrstuhl duerscheid/docs/handout_kasusmark-03.pdf.

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Unterrichts lassen sich mit den Schülern im Leistungskurs Deutsch auch Texte lesen, die deutlich machen, wie der wissenschaftliche Diskurs über einzelne Phänomene geführt wird (z.B. Auer 1991, Vom Ende deutscher Sätze). Halten wir fest: Die Analyse geschickt ausgewählter, von der grammatischen Norm abweichender Phänomene ermöglicht es, die Norm zu erkennen, über die wie selbstverständlich verwendeten Regeln nachzudenken und – im besten Falle – über diese ins Staunen zu geraten. Geweckt werden soll also grammatische Neugier: „Sie setzt ein, wenn die im praktischen Umgang vertrauten Phänomene plötzlich zu Problemen und zum Staunen Anlaß geben, sei es darüber, daß es sie überhaupt gibt, sei es darüber, daß sie es so gibt, wie sie es gibt“ (Köller 1997: 9).

7. Fazit Die hier vorgetragenen Überlegungen stehen neben anderen, die Zeugnis davon ablegen, dass der Stellenwert der Grammatik höher angesetzt wird als noch vor einigen Jahren. Allerdings sollte es nicht nur darum gehen, den Stellenwert der Grammatik in der Schule zu stärken. Wichtig ist auch, dass im Lehramtsstudium das entsprechende Wissen vermittelt wird. Es wird also abschließend dafür plädiert, dass der Grammatikunterricht in der sprachwissenschaftlichen Ausbildung im Lehramtsstudium seine Fortsetzung findet. Ich schließe mich hier als Sprachwissenschaftlerin Peter Eisenberg an, der dies folgendermaßen ausführt: „Die Sprachwissenschaft allgemein und die Grammatik im Besonderen hat sich in den vergangenen Jahren so entwickelt, daß wir über viel Wissen verfügen, das unmittelbar von Bedeutung für die Lehrerbildung ist. Wir sollten dieses Wissen selbstbewusst und mit absolut gutem Gewissen zur Wirkung bringen“ (Eisenberg 2004: 6). Eisenberg spricht mit diesen Worten die Germanistikkollegen an, die in der Lehrerausbildung tätig sind: „Sprache, Sprache und noch mal Sprache in die Lehrerbildung“ (Eisenberg 2004: 23). Nun mag man einwenden – und viele Lehrer tun dies –, dass das im Studium erworbene linguistische Wissen nicht an die Schüler weitergegeben werden könne. Zum einen stelle es eine Überforderung dar, zum anderen haben die Erfahrungen mit der ‚Linguistisierung des Deutschunterrichts’ gezeigt, dass es keinen Sinn mache, linguistisches Wissen auf diese Weise in die Schule zu transportieren. Einer so verstandenen Umsetzungsdidaktik will Eisenberg auch nicht das Wort reden. Die Lehrer sollen vielmehr über ein umfassendes Wissen über Sprache verfügen, „ohne es unbedingt preiszu-

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geben“ (Eisenberg 2004: 19). Ein solches Wissen sei z.B. für das angemessene Beurteilen von sprachlichen Leistungen erforderlich. Ein solches Wissen ist auch erforderlich, wenn man sich als Lehrer auf Unterrichtsthemen im Bereich „Reflexion über Sprache“ vorbereiten will. Und da zu diesen Lernbereich notwendig die Analyse der Sprachstruktur gehört, ist es wichtig, dass im Studium das entsprechende Wissen vermittelt und ein Überblick über verschiedene Analyseansätze gegeben wird. Denn nur so ist es den angehenden Lehrern möglich, ihrerseits einen fundierten Grammatikunterricht zu gestalten. Um in Anlehnung an Eisenberg zu schließen: Grammatik, Grammatik und noch mal Grammatik – damit das grammatische Abendland nicht untergeht.

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Maximilian Scherner

Von der Schulgrammatik zum Literaturunterricht?

In einem Übersichtsartikel zu Methoden des Grammatikunterrichts aus dem Handbuch „Didaktik der deutschen Sprache“ (2003) findet sich die Feststellung, dass „gerade für die Textanalyse der Sekundarstufe II [...] der funktionale Grammatikunterricht Chancen“ eröffne, da die „Sprachuntersuchung“ in diesem fachdidaktischen Konzept „integrativer Bestandteil literarischen Verstehens“ sei (Gornik 2003: 824). Man ersieht aus dieser Feststellung erstens, wie selbstverständlich eine derartige Auffassung inzwischen vertreten wird und wie weit wir die Diskussion um die Legitimationsprobleme des Grammatikunterrichts schon hinter uns gelassen haben. Zweitens wird durch die Betonung des „funktionalen“ Ansatzes in der Sprachbetrachtung der in didaktischer Sicht wichtige Aspekt hervorgehoben, dass die analytische Beschreibung der kommunikativen Leistung sprachlicher Mittel prinzipiell zusammenfällt mit einer schulischen Arbeit, in der es um die Ausbildung und Anwendung von „Sprachbewusstheit“ beim Produzieren und Rezipieren von Texten geht. Die fachwissenschaftliche Perspektive auf den Gegenstand enthält gewissermaßen schon den sachlichen Kern einer Fähigkeit, um deren Ausbildung es dem Deutschunterricht geht. Drittens verbindet sich damit eine spezifische Ausprägung des z.Zt. von den meisten Bundesländern in ihren Richtlinien geforderten „integrativen Grammatikunterrichts“. Das, was mit „Integration“ gemeint ist, ergibt sich hier bereits aus dem funktionalen Ansatz bei der Behandlung des Unterrichtsgegenstandes, der Untersuchung der sprachlichen Machart auch „literarischer Texte“ (vgl. Gornik 2003: 827; Scherner 2003 u. 2005b). Von diesem Ansatz aus ist auch ein Brückenschlag zum neueren literaturdidaktischen Lernziel, das Verstehen verstehen zu lernen, möglich. Die dort favorisierte Methode des „textnahen Lesens“ als statarisches, genaues, wiederholendes, die einzelnen Elemente des Textes beachtendes Vorgehen (Paefgen 1998) entspricht im Grunde der Arbeitsweise, die ein funktional orientierter Umgang mit Texten erfordert (vgl. dazu Scherner 2005a). Insofern scheint das Konzept eines funktionalen Grammatikunterrichts in der Tat der Ansatz zu sein, mit dem sich auch in Weiterführung des nach der 8. Klasse abgeschlossenen Grammatikunterrichts das Ziel der Herausbildung von „Sprachbewusstheit“ beim Umgang mit literarischen Texten in der Sekundarstufe II erreichen lässt.

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Gegenüber dieser knappen Skizze einer von der Grammatik aus möglichen Integration von Sprach- und Literaturunterricht möchte ich jedoch zu bedenken geben, dass das Pensum an sprachbeschreibendem Wissen, das erforderlich ist, um Berührungspunkte zwischen literarischer und sprachlicher Textund Verstehensanalyse zu einer integrativen Sicht zu verbinden, m.E. nicht zureichend von der bisher fast ausschließlich satzbezogenen schulgrammatischen Betrachtungsweise bereitgestellt werden kann. M.E. sind wesentliche textorientierte Veränderungen bei der Beschreibung schulgrammatischer Phänomene erforderlich, wenn das angestrebte Ziel eines integrativen Deutschunterrichts erreichbar sein soll. Natürlich kann man bei der Jahrhunderte alten Tradition einer schulgrammatischen Sprachbeschreibung und bei den institutionellen Zwängen der Verteilung des Unterrichts sowie bei fortdauernder Gültigkeit des (seit 1982) bestehenden ministeriellen Katalogs grundlegender grammatischer Termini nicht auf die Entwicklung einer völlig neuen Sprachbeschreibung und ihre Übernahme in den Schulunterricht hoffen, aber einer Umorientierung bei der Beschreibung einzelner sprachlicher Mittel steht eigentlich nichts im Wege. Das zeigt auch der Blick in neuere Unterrichtswerke. Ich möchte daher an einer Reihe von sprachlichen Phänomenen verdeutlichen, wie ihre geänderte Beschreibung dem Ziel eines Sprachanalyse und Literaturbetrachtung verbindenden Deutschunterrichts noch näher kommen kann. Es handelt sich dabei um folgende grammatische Phänomene: 1. die Personalpronomen 2. die erwähnte Rede 3. das Tempus 4. die Konjunktionen 5. die syntaktischen Felder Diese Aufzählung lässt schon erkennen, dass es im gegebenen Rahmen immer nur jeweils um eine schlaglichtartige Beleuchtung der angesprochenen Phänomene gehen kann. Dazu kommt noch die Schwierigkeit, so etwas wie eine „herrschende schulgrammatische Lehre“ unterstellen zu müssen, ohne jedes Sprachbuch und jede sprachdidaktische Veröffentlichung einbeziehen zu können. Ich stütze mich also auf Stichproben und auf Nachschlagewerke, die das gängige schulgrammatische Wissen einzufangen versuchen.

1. Personalpronomen In der Elementargrammatik werden die sog. Personalpronomen üblicherweise als erste Repräsentanten der Wortart „Pronomen“ eingeführt und als Stell-

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vertreter für den Sprecher, den Angesprochenen oder andere Personen und Sachen bestimmt. Weil sie die Kategorie „Person“ ausprägen, werden sie insgesamt oft auch als „Rollenwörter“ (vgl. Bünting und Eichler 1978: 64) (nach lat. „persona“ = Rolle, Maske) eingeführt, die die Gesprächsrollen im Satz (den Sprecher, den Angesprochenen und das/den/die Besprochene(n)) anzeigen (Bünting und Eichler 1982: 111f.). Durch den parallel laufenden Fremdsprachenunterricht werden die Personalpronomen auch fest mit der morphologischen Reihe des Verbalparadigmas ich: du: er, sie, es: wir: ihr: sie verbunden. Des weiteren kommen sie noch einmal bei der Behandlung der indirekten Rede in den Blick, wenn es um die Personverschiebung gegenüber der „direkten Rede“ geht. Und die Höflichkeitsanrede durch „Sie“/„Ihr“ in Briefen spielt in orthographischer Hinsicht eine Rolle. Aber das ist – so weit ich sehe – schon alles. In dieser Beschreibung erschöpft sich das schulgrammatische Wissen um die Personalpronomen. Die für unseren Zusammenhang wichtige Frage ist, was man damit hinsichtlich der literarischen Analyse anfangen kann. Ich nenne nur einige Beschreibungsbegriffe der Literaturanalyse, die mit der literarischen Verwendung von Personalpronomen zu tun haben: lyrisches Ich, Ich-Erzählung vs. Er-Erzählung, Erzählerrede vs. Figurenrede, der implizite Erzähler, der implizite Zuhörerkreis, aber auch schon viel vordergründigere Begriffe wie Autor, Rezipient (Leser) gründen in der Unterscheidung sprachlicher Rollen. Auch der am Beginn literarischer Texte vielfach anzutreffende vom Normalen abweichende Pronominagebrauch ohne nominalen Antezedensausdruck gehört hierher. Alle genannten Beschreibungsaspekte gründen in einer durch Pronomen geleisteten Unterscheidung, die m.E. in der Schulgrammatik bislang nicht beachtet wird. Gegenüber der dort anzutreffenden Gleichartigkeit und Gleichrangigkeit in der Funktionsbestimmung der Personalpronomen müsste die Beschreibung mindestens um folgende Aspekte ergänzt bzw. weiterführend ausdifferenziert werden: 1) die prinzipielle Differenz zwischen den Pronomen der 1. und 2. Person und denen der dritten Person müsste herausgestellt werden. Die Pronomen „ich“ und „du“ fungieren nicht als Substitute für einen Nominalausdruck, entsprechen also gar nicht dem Namen der Wortart, sondern fungieren als deiktische Elemente zur Indizierung der Diskursinstanzen des jeweils Sprechenden und Angesprochenen. Sie sind sozusagen die elementaren, d.h. auch: die fundierenden pragmatischen Universalkategorien, die sozusagen auf der Grenze zwischen Sprachsystem und Sprachverwendung angesiedelt sind. Sie signalisieren die eigentlichen „Rollen“, von denen das sprachliche System erst zur Verwendung in der ich-jetzt-hier-Origo aktualisiert wird.h. Weinrich hat diesen kommunikativen Ursprungspunkt, der bei Bühler noch einpolig auf das ‚Ich’ bezogen gedacht wird, zu einer zweipoligen „kommunikativen Dyade“ umgedacht, die aus den korrespondierenden Rollen des „ich“ und des „du“

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besteht. Brinkmann nennt daher nur diese beiden Pronomen der 1. und 2. Person „Rollenwörter“. Die dritte Person fungiert demgegenüber nie in der Eigenschaft einer dieser beiden den Diskurs tragenden „Rollen“, sondern sie tritt erst immer dadurch in Erscheinung, dass sie von der Rolleninstanz des Sprechenden als besprochener Redegegenstand ins Spiel gebracht wird. Weinrich spricht daher summarisch vom „Rest der Welt“, der über die dritte Person innerhalb der fundierenden „kommunikativen Dyade“ zur Sprache kommt. 2) die textuelle Funktion dieser beiden Arten von Grundpronomen müsste auch in der Schulgrammatik herausgestellt werden. Geradezu prädestiniert für die Textbildung sind die Pronomen der 3. Person. Ihre Substitutsfunktion wird deshalb von Brinkmann in leseprozessbezogener Perspektive als Setzung eines „erinnernden Umrisses“ beschrieben, einer kategorialen semantisch armen Leerform mit der Funktion, ein Referenzobjekt im Textverlauf im Fokus des rezipierenden Bewusstseins zu halten. Diese Stiftung von Koreferenz durch Phorik geht gerade den „Rollenwörtern“ ab. Sie sind „shifter“, wie Jakobson sie nennt, die mit dem Sprecherwechsel ihre Referenz wechseln und demnach dem Dialog/Gespräch/Diskurs mit seinem dauernden Rollenwechsel zugeordnet sind. Erst vor diesem Beschreibungshintergrund wird es möglich, die Konstitution zweiseitiger (dialogischer) Rede von der einseitiger (monologischer) Rede abzuheben. Für die Analyse narrativer literarischer Texte ergibt sich von hier aus die Aufschlüsselung der gesamten komplexen Kommunikationsstruktur des Erzählwerks mit allen ihren Ebenen und Einbettungsbeziehungen der verschiedenen Arten von Redeerwähnung. Von hier aus wird weiterhin eine Ich-Erzählung von einer Er-Erzählung abhebbar, indem man diese textuelle Ausprägung als eine Art durchgehaltener Textperspektivität begreift. Man erkennt also schon durch die Nennung dieser wenigen Beispiele die grundlegende Relevanz dieser vordergründig trivialen sog. Personalpronomen.

2. Erwähnte Rede An die Behandlung der Pronomen schließt sich die Beschreibung dessen an, was in linguistischer Sicht „erwähnte Rede“ (reported speech) oder „Redewiedergabe“, in literaturwissenschaftlicher Sicht oft „Rededarstellung“ genannt wird. Die schulgrammatische Behandlung der damit angesprochenen sprachlichen Möglichkeiten beschränkt sich im wesentlichen auf die „direkte (wörtliche)“ und die „indirekte Rede“. Die „direkte Rede“ wird schon früh,

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meistens im zweiten Schuljahr, als Phänomen der Zeichensetzung eingeführt. Dem Entwicklungsstand der Kinder entsprechend wird die Sache noch sehr vordergründig und unscharf als „das, was wörtlich so gesprochen wird,“ erklärt, mit der Folge, dass noch Germanistikstudenten jede vorkommende mündliche Rede als „wörtliche Rede“ ansehen. Denn in den auf die Eingangsphase folgenden Sprachbüchern wird zwar so etwas wie ein „Begleitsatz“ zur „wörtlichen Rede“ eingeführt, der unterschiedlich positioniert sein kann, vereinzelt wird auch die syntaktische Abhängigkeit der „wörtlichen Rede“ von diesem „Begleitsatz“ bzw. vom redeeinleitenden Verb thematisiert, aber dass es sich bei der „wörtlichen Rede“ um die Anführung, das Zitieren, das Wiedergeben von Rede im Rahmen eines Textes handelt, wird im Sprachbuch kaum deutlich. Statt dessen spielt die „wörtliche Rede“ im Rahmen des schriftlichen Arbeitens eine wichtige Rolle: sie wird für bestimmte Textsorten als Phänomen, das den Text „lebendig“ macht, gefordert oder mindestens empfohlen, für andere Textsorten wiederum ausgeschlossen. Gegen Ende des Sprachbuchlehrganges wird dann die „indirekte Rede“ auf der Folie der „direkten Rede“ mit den Phänomenen der Person- und Modusverschiebung eingeführt. Das ist im Groben das Bild, das die Sprachbücher von der Behandlung der „Redeerwähnung“ bieten (vgl. Scherner 1997). Eine Anschließbarkeit an die literaturwissenschaftliche Sicht des Phänomenkomplexes ist m.E. von dieser rudimentären schulgrammatischen Basis aus nur mühsam möglich. Das wird schon an Hand eines Schemas aus einer literaturwissenschaftlichen Einführung deutlich, das die verschiedenen Arten von „Rededarstellung“ systematisch präsentiert (Martinez und Scheffel 2003: 62; s. Abb. 1). Ich will nur auf zwei grundlegende Aspekte dieser Systematik eingehen: zum einen auf die Unterscheidung zwischen den Arten der Rededarstellung, zum anderen auf ihre skalare Differenzierung. Es werden in beiden hier getrennt aufgeführten Bereichen der Erwähnung von Rede, der inneren Rede („Gedankenrede“) und der äußeren Rede, jeweils drei Hauptarten unterschieden: die „zitierte Rede“, die „transponierte Rede“ und die „erzählte Rede“. Die letztgenannte besteht nicht in einem besonderen Gebrauch sprachlicher Mittel, ist also grammatisch unauffällig und wird deswegen linguistischerseits üblicherweise auch nicht als Form der Redewiedergabe geführt (vgl. aber Brinkmann 1981). Sie ist jedoch erzähltheoretisch insofern relevant, als ein Erzähler davon berichtet, dass Redeakte stattgefunden haben; es handelt sich also um einen Fall von Metakommunikation. Unter „zitierter Rede“ wird hier die „direkte“ oder „wörtliche Rede“ mit oder ohne Redeeinleitung durch den Erzähler verstanden. Die dritte Art ist hier die „transponierte Rede“, die als eine „Mischform“ (Martinez und Scheffel 2003: 53) aus Erzählerund Figurenrede verstanden wird, eine Art der Redewiedergabe, zu der die „indirekte Rede“ und die „erlebte Rede“ gerechnet werden. Diese drei Haupt-

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Abb. 1: Rededarstellung in literaturwissenschaftlicher Sicht (aus: Martinez und Scheffel 2003: 62)

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arten der Erwähnung von Rede werden im Schema skalar gestaffelt, und zwar in erzähltheoretischer Sicht von der Grundstufe der Mittelbarkeit jedes Erzählens aus, die „narrativer Modus“ genannt wird. Den geringsten Grad an Mittelbarkeit, d.h. an merkbarer Vermittlung durch den Erzähler, weist die „zitierte Rede“ auf. Sie ist die unmittelbarste Form der Redewiedergabe und wird hier als „dramatischer Modus“ des Erzählens bezeichnet. Wenn wir dieses Schema für die literarische Analyse zugrundelegen, stellt sich die Frage, wie diese differenzierte Unterscheidung von der oben skizzierten Behandlung der Redewiedergabe im schulischen Sprachunterricht aus erreichbar sein soll. Es ist evident, dass einige Zwischenstufen an bewusster Durchdringung dieser sprachlichen Phänomene in den Sprachunterricht eingebaut werden müssen, wenn der Brückenschlag zur Analyse narrativer Literatur gelingen soll. Ein Weg dazu könnte z.B. über das Bewusstmachen von mittelbar vs. unmittelbar wirkender Vertextung führen. Ausgehend von dem intuitiv leicht nachvollziehbaren stilistischen Kriterium der „Lebendigkeit“ der „wörtlichen Rede“ könnte die Einsicht gewonnen werden, dass diese Wirkung darauf beruht, dass der Rezipient durch die „direkte Rede“ in eine Szene versetzt wird, die er unmittelbar wie ein Stück Theater erlebt. Die Verwendung „wörtlicher Rede“ wird damit weiterhin als Einbettung eines szenischen Textes in einen erzählenden Text begreifbar oder – in einem medialen Vergleich gesprochen – als das Öffnen eines weiteren Fensters vor dem Hintergrund bzw. im Rahmen des bisher Aufgerufenen. Die Unmittelbarkeit der Figurenrede hebt sich so von der durch den Erzähler vermittelten Art der Darstellung ab. Innerhalb dieser beiden Ebenen, der mittelbar wirkenden Erzählerrede und der unmittelbar wirkenden Figurenrede, kann nun die Zwischenschicht der „indirekten Rede“, der „erlebten Rede“ und des „inneren Monologs“ eingebracht werden. Dabei käme es darauf an, die „Transponierung“ nicht nur als grammatische Umformung zu begreifen, sondern als Vermischung („Kontamination“: vgl. Scherner 1984: 122ff., oder als „dual voice-Struktur“) von Erzähler- und Figurenrede mit dem Effekt eines Oszillierens zwischen Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit. Diese Andeutungen mögen hier genügen. Sie lassen m.E. den Weg erkennen, den die Schulgrammatik zurücklegen muss, wenn eine Anschließbarkeit an die literarische Analytik erreicht werden soll.

3. Tempus Aus dem komplexen Feld der Tempora-Verwendung möchte ich nur auf ein Problem hinweisen, das sich im Zusammenhang mit der Frage eines integrativen Deutschunterrichts gerade angesichts vieler gegenwärtig entstehender

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narrativer Texte stellt: es wird im Präsens erzählt. Dieser Tempusgebrauch widerspricht der langen Tradition der Aufsatzdidaktik, aber auch aktuellen Versuchen, die Reichenbachschen Beschreibungsbegriffe „Ereigniszeit“, „Sprechzeit“ und „Betrachtzeit“ für eine Neubegründung der schulgrammatischen Tempuslehre nutzbar zu machen. So kommt z.B. Bredel (2001) über einen mit Hilfe der Reichenbachschen Beschreibungsbegriffe geführten Argumentationsgang zu dem Ergebnis, das Präteritum sei das „Erzähltempus par excellence“, während das Präsens als einziges „Gegenwartstempus“ ausgewiesen wird (Bredel 2001: 6ff.). Der Literaturunterricht wird demgegenüber sicher auch Texte behandeln, in denen das Präsens als Erzähltempus verwendet wird. Die Erklärung dafür kann auf verschiedene Hypothesen zurückgreifen, z.B. die Vergegenwärtigungshypothese, die Filmhypothese, die Protokollhypothese (vgl. Tschauder 1991). Bislang scheint mir demnach zwischen der schulgrammatischen Tempuslehre und den für den Literaturunterricht notwendigen Erklärungsmöglichkeiten des literarischen Tempusgebrauchs eine große Kluft zu bestehen, deren Überbrückung noch aussteht.

4. Konjunktionen Wieder in anderer Hinsicht scheint mir die herrschende schulgrammatische und auch die textlinguistische Lehre von den Konjunktionen für eine Anwendung bei der Literaturbetrachtung nicht besonders geeignet zu sein. In der Schulgrammatik werden Konjunktionen üblicherweise, ihrer traditionellen Bezeichnung als „Bindewörter“ entsprechend, als Elemente mit syntaktischer Verknüpfungsfunktion beschrieben. Dabei wird unterschieden, ob die zu verknüpfenden Elemente gleichrangiger oder ungleichrangiger, d.h. voneinander abhängiger Art sind. Koordinierende Konjunktionen dienen zur Verknüpfung von Wörtern, Wortgruppen oder ganzen Sätzen, während subordinierende Konjunktionen Gliedsätze an Hauptsätze anschließen. In semantischer Hinsicht werden die Konjunktionen außerdem nach ihrem logischen Wert klassifiziert. Diese Beschreibung der Konjunktionen wird in der Textlinguistik weithin übernommen, offensichtlich deshalb, weil sie – nomen est omen – wie Linke, Nussbaumer und Portmann (1991: 223) feststellen, „ein Kohäsionsmittel par excellence, nicht nur innerhalb eines Satzgefüges, sondern auch zwischen selbstständigen Sätzen“ darstellen. Insofern reicht für ihre textlinguistische Erwähnung bei diesen Autoren auch ein Abschnitt von fünfzehn Zeilen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob sich die textuelle Funktion der Konjunktionen in dieser syntaktisch-semantischen Funktion eines Verknüpfungselementes

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zwischen anderen syntaktischen Einheiten, gewissermaßen als „punktuelles Scharnier“ oder als „Gelenk“, erschöpft oder ob nicht weiterführende Beschreibungen möglich und eventuell sogar adäquater sind. In eine solche Richtung zielt die Beschreibung, die Brinkmann (1971: 760ff.) für die Gruppe der „echten“ Konjunktionen gegeben hat. Er sieht die traditionell als „(koordinierende) Verbindung von Sätzen“ beschriebene Funktion dieser Wortklasse eher als „eine sekundäre Leistung“ an. „Primär sprechen sie eine Erwartung aus, die im Horizont der Partner begründet ist“, das meint: sie sind auf das Zusammenspiel von Vorwissen und Fokuslenkung im Verstehensprozess bezogen (vgl. Brinkmann 1971: 760). Als ein einfaches Beispiel dafür kann eine Stelle aus Thomas Manns „Tonio Kröger“ dienen. „Im fünften Kapitel [...] hatte Tonio seiner Freundin Lisaweta eine Reise nach dem Norden angekündigt [...]. Darauf beginnt das sechste Kapitel [...]: Und Tonio Kröger fuhr gen Norden.“ (Brinkmann 1971: 763) Das „und“ hat hier nicht primär die Funktion, punktuell die Sätze zu verknüpfen. Das ist ja auch nicht notwendig, wie man daraus ersieht, dass es ja als Besetzung des Vor-Vorfeldes ohne weiteres weggelassen werden kann. Wenn es aber wie hier gesetzt ist, verweist es auf den im voraufgehenden Kontext aufgebauten propositionalen Gehalt, der dem Leser in seinem Horizont als mitlaufender textueller Wissensraum im Rahmen der „Textwelt“ zur Verfügung steht. Auf diese Weise wird die den punktuellen Verknüpfungswert transzendierende, auf den im Leser aufgebauten Textwissensraum und die auf diese Erwartung bezogene Funktion der Konjunktion „und“ deutlich. Ähnlich beschreibt Brinkmann die textuelle Funktion der übrigen „echten“ Konjunktionen („oder“, „denn“, „allein“, „jedoch“, „doch“, „aber“, „also“). So wird m.E. die Leistung der Konjunktion für die Verstehenssteuerung im Textzusammenhang grundlegender deutlich als bei der herkömmlichen Bestimmung ihres punktuellen logischen Wertes. Eine diesbezügliche Veränderung der schulischen Lehre würde, wie auch zahlreiche andere bei Brinkmann angeführte Beispiele zeigen, dem Literaturunterricht sehr zugute kommen.

5. Syntaktische Felder Wenn man sich fragt, welcher Art von grammatischer Sprachbeschreibung im Unterricht der Muttersprache der Vorzug gebührt, lassen sich zwei Gesichtspunkte für diese Entscheidung nennen, die zu einem breiten Konsens führen könnten: 1) die Grammatik sollte den Strukturen der zu beschreibenden Sprache am besten gerecht werden, 2) diese Grammatik sollte auch eine möglichst große Nähe zur produktiven wie zur rezeptiven Sprachpraxis auf-

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weisen. Vor dem Hintergrund dieser beiden Grundsätze ist es verwunderlich, dass sich in der deutschen Schulgrammatik in der Satzlehre immer noch eine Orientierung am Konstrukt des sog. „einfachen Satzes“ mit Subjekt und einteiligem Prädikat nach dem Modell der Lateingrammatik durchhält, obwohl bereits 1937 von Drach eine syntaktische Felderlehre vorgeschlagen worden ist, die der Syntax der deutschen Sprache mit ihrem typischen Klammerbau (mit zahlreichen Varianten von Verbal-, Nominal-, Präpositional-, Konjunktionalklammern usw.) in weit höherem Maße gerecht wird. Inzwischen ist dieser Ansatz in der wissenschaftlichen Sprachbeschreibung zum sog. „Stellungsfeldermodell“ (vgl. Dürscheid 2000: 89–107) weiterentwickelt und von Weinrich (1993) in seiner „Textgrammatik“ zum grundlegenden Beschreibungsmodell gewählt worden. Daraus ist abzuleiten, dass dieser Ansatz sowohl eine satzbezogene wie eine textbezogene Beschreibung ermöglicht. Diese unterschiedlichen Beschreibungsperspektiven können an der Gegenüberstellung der Darstellung des gleichen Phänomenbereichs bei Dürscheid (2000) und Weinrich (1993) verdeutlicht werden: Die Einteilung des Satzes in die Felder „Vorfeld“, „Mittelfeld“ und „Nachfeld“ wird bei Dürscheid rein syntaktisch beschrieben. Kennzeichen dafür sind Formulierungen wie: ein Satz ist „in Abschnitte gegliedert“, er enthält als „Grenzmarker“ eine „linke“ und eine „rechte Satzklammer“, die „besetzt“/„gefüllt“ werden oder auch „leer“ bleiben kann. So werden „Verberst-“, „Verbzweit-“ und „Verbendsätze“ kenntlich. Damit wird die „lineare topologische Struktur“ des Satzes auf der Basis der verschiedenen Ausprägungen der Verbalklammer als statische und simultane Einheit erfasst. Eine ganz andere Seite dieser sprachlichen Phänomenalität kommt durch die Beschreibung Weinrichs in den Blick, wenn er die Klammerungen als „dynamische Gebilde“ beschreibt, die jeweils kognitive „Spannung“ erzeugen, die sich je nach Dehnung der Klammer verstärkt und die mit dem klammerschließenden Element wieder gelöst wird. Die Verarbeitung dieser Strukturen beim Lesen löst daher eine dynamische Progression aus, die jeweils in an die Kapazität der Kognition angepassten memoriellen Portionen (= „Klammerbildungen“) verarbeitet werden kann. In textueller Hinsicht spielen dabei die „Vorfelder“ eine entscheidende Rolle, weil sie als Brücken zwischen dem im bisherigen Textverlauf aufgebauten und dem neu hinzukommenden Wissen fungieren. Die textuelle Sukzession der Klammerungen wird hier als eine Abfolge von Saccaden gesehen, die den Aufbau der „Textwelt“ in der Kognition des Lesers bedingen. Beide Beschreibungsvarianten sind inzwischen von der Sprachdidaktik aufgegriffen und in ihrer prinzipiellen Relevanz für den Deutschunterricht verdeutlicht worden. So plädiert Haueis (1998) in einem aspektreichen Argumentationsgang für die Orientierung der Schulgrammatik am Phänomen der Verbalklammer, weil sich damit zahlreiche Probleme der bisherigen Sprachbeschreibung auflösen und Vor-

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teile bei der Beschreibung von Reihenfolgenbeziehungen sowie bei der Berücksichtigung satzsemantischer und pragmatischer Aspekte im Zusammenhang mit der Satzlehre ergeben. Besonders auf diesen zuletzt genannten Aspekt hebt auch Klotz (1998) ab, wenn er Sätze als durch die Verbalklammer geprägte „Informationseinheiten“ beschreibt und insbesondere verdeutlicht, wie der textuelle „Informationsfluss“ durch die Besetzung der verschiedenen syntaktischen Felder und durch die informationelle „Spannung“, die durch die Verbalklammer erzeugt wird, gesteuert wird. Damit eröffnet sich ein weites Anwendungsspektrum dieses Beschreibungsansatzes, das von der Satzgrammatik über die Textproduktion bis zur Literaturanalyse reicht. Man kann nur hoffen, dass sich dieser Ansatz der Sprachbeschreibung in der Schulgrammatik allmählich durchsetzt. Gerade der zuletzt besprochene Beschreibungsansatz zeigt, wie eine funktionale Sprachbetrachtung „integrativer Bestandteil literarischen Verstehens“ sein kann, so dass der in allen Bundesländern angestrebte integrative Grammatikunterricht keine von außen herangetragene Forderung bleibt, sondern in der Analytik der Unterrichtsgegenstände selbst begründet liegt. Wenn sich mit Hilfe der funktionalen Betrachtung der Sprache auch die Einsicht durchsetzen könnte, dass Sprachbewusstheit und ästhetische Erfahrung keine Gegensätze sind und dass durch Sprachbewusstheit auch die so oft vermisste, aber als literaturdidaktisches Unterrichtsziel geforderte Ausbildung literarästhetischer Sensibilität der Schüler gefördert würde, wäre eine neue Aufmerksamkeit für die integrativen Bezüge des Gesamtfaches gewonnen. In fachdidaktischer Perspektive kann man dieses Selbstverständnis als Ergebnis einer „fachlichen Integrationskompetenz“ (zu diesem Begriff vgl. Scherner 2005b) begreifen, die es trotz der disziplinären Grenzen zwischen Sprachund Literaturwissenschaft bereits im Studium zu entwickeln gilt. Gleichgültig, wie man zu den neuen Studiengängen (BA/MA) steht, sie bieten auch die Chance, entsprechende interdisziplinäre Modulkombinationen zu etablieren. Wenn die Lehrenden an den Hochschulen den Weg zur Entwicklung einer solchen fachlichen Integrationskompetenz der Lehramtstudierenden weisen, wird es auch in der Lehrerschaft allmählich gelingen, das Bewusstsein für einen Brückenbau zwischen Sprach- und Literaturunterricht auf der Basis einer fortentwickelten Sprachbewusstheit immer deutlicher zum Tragen zu bringen.

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Maximilian Scherner

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Arne Ziegler

Vom Text zur Form zum Inhalt und zurück Grammatische Analysen literarischer Texte − Eine funktionale Perspektive für die Deutschlehrerausbildung

1. Einleitung Die Wahl des Titels des hier vorliegenden Beitrags ist − wie sollte es anders sein − nicht zufällig getroffen worden. Wie stets bei wissenschaftlichen Arbeiten erfüllt er im günstigen Falle mehrere Funktionen. So soll er selbstverständlich einerseits möglichst klar zusammenfassen, was den geneigten Leser im nachfolgenden Text erwartet und andererseits natürlich vage genug in der Formulierung sein, um eben jenen Leser im nachfolgenden Text idealiter inhaltlich noch überraschen zu können. Inhaltlich unterstellt das Thema des Beitrags dabei dreierlei: Zum einen, dass es einen mehr oder weniger direkten Weg vom Text zur grammatischen Form und schließlich zum Inhalt eines Textes gibt, zum anderen, dass vor dem Hintergrund dieser Annahme grammatische Analysen literarischer, d.h. fiktionaler Texte sinnvoll erscheinen, also über eine Integration grammatischer Analysen in den Umgang mit Literatur ein wie auch immer gearteter Mehrwert im Sinne des Textverstehens erfolgen kann und letztlich, dass gerade in einer solchen Umgangsform mit Texten eine Perspektive, um nicht zu sagen: Chance für die universitäre Deutschlehrerausbildung zu sehen ist. Die nachfolgenden Darlegungen bewegen sich also im Spannungsfeld von Grammatik und Literatur, von Grammatikunterricht und Literaturunterricht, von Grammatikdidaktik und Literaturdidaktik. Nun ist die Diskussion um die geeignete Form und die sinnvollen Inhalte einer Schulgrammatik sowie des Grammatikunterrichts sicher nicht neu, sondern scheint vielmehr lediglich – so sie denn jemals geruht hat – seit den hinlänglich bekannten Ergebnissen der PISA-Studie und der sich darin offenbarenden Bildungssituation neu angefacht. Immer wieder hat es in der Vergangenheit Versuche gegeben, Schulgrammatiken und Grammatikunterricht in Methodik und Zielsetzung neu zu orientieren, und immer wieder wurden die vorgelegten Konzeptionen kontrovers und mitunter heftig diskutiert (vgl. u.a. Glinz 2003; Gornik 2003: 816). Aber auch Bemühungen um eine Konvergenz zwischen Literaturwissenschaften und Sprachwissenschaften, um sprachliche Formen literarischer Texte als interdisziplinäre Aufgabe der Germanistik sind – ganz in philologischer

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Tradition – in der linguistischen Debatte immer wieder thematisiert worden (vgl. u.a. Jakobson 1960; Ihwe 1971; Weinrich 1976; Ehlich 1992; Kasten, Neuland und Schönert 1997; Redder 2000). Gerade im Rahmen der sprachdidaktischen Reflexion findet sich dabei die Auffassung, dass Kenntnisse der Grammatik für ein Textverstehen und eine Textinterpretation zumindest von Nutzen seien (vgl. Scherner 1986: 86). An diese Überlegungen soll im Weiteren angeknüpft werden, allerdings mit einer deutlichen Orientierung in Richtung Deutschlehrerausbildung als Aufgabe der Germanistik. Denn natürlich betrifft PISA nicht nur die Schule, sondern auch die universitäre Germanistik, die schließlich unter Beachtung der bildungspolitischen Rahmenbedingungen für die Lehrerausbildung – wenn auch nicht überall für alle Schulstufen – verantwortlich ist. Genau hier, in der universitären Ausbildung, äußert sich allerdings ein zentrales Problem, das gleichzeitig Motivation zur Auseinandersetzung mit der vorliegenden Problematik gewesen ist. Der nachfolgende Beitrag gliedert sich vor diesem Hintergrund in vier Teile. Nach einer eher groben Skizzierung der aktuellen Situation in Schule und Universität wird eine erste Orientierung bezüglich unterschiedlicher Auffassungen von Form, Inhalt und Bedeutung literarischer Texte geboten, bevor in einem dritten Schritt die linguistische und mithin sprachdidaktische Position zu klären sein wird. Schließlich wird ein Vorschlag zur Methodik einer funktional-grammatischen Arbeit an literarischen Texten unterbreitet und ein Fazit samt Ausblick beschließen den Beitrag.

2. Linguistik und Literaturwissenschaft in Schule und Universität Während angehende Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer in der universitären Lehrerausbildung durch die konsequente disziplinäre Separierung von Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft die Inhalte der beiden germanistischen Fachdisziplinen über die Dauer ihres gesamten Studiums bis hin zu den Examensprüfungen als unterschiedliche Gegenstände erfahren und somit der vermeintliche Gegensatz zwischen Grammatik und Literatur nur verstärkt wird, und darüber hinaus zwangsweise eine Schwerpunktsetzung in der einen oder anderen Disziplin im Rahmen des Hauptstudiums verlangt wird, ist die Situation in der Schule, d.h. im späteren beruflichen Alltag, eine ganz andere. Hier ist der Allrounder gefragt, trotz aller aktuellen Versuche einer Modernisierung der Lehrerausbildung wohl eher ein Typus Lehrer alter philologischer Prägung, der ebenso weitreichende Kenntnisse in deutscher Literatur als auch

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in deutscher Sprache und damit der Grammatik des Deutschen aufweist. Von den bildungspolitisch Verantwortlichen wird seit geraumer Zeit aber gerade eine massive Stärkung des Berufsbezugs in der universitären Ausbildung gefordert. Unter dem Diktum einer Professionalisierung der Lehrerausbildung mit dem Ziel der Handlungsqualifizierung für die unterrichtliche Praxis wird eine enge Verbindung von Ausbildung und beruflichem Handeln angestrebt (vgl. Förster 2000; Ziegler 2006a: 19f.). Eine dezidierte Forderung nach Anwendungsbezug im Studium wird auch über die stetig laut werdenden Klagen von ReferendarInnen und LehrerInnen postuliert, die mehrheitlich anprangern, dass sie im Studium zu wenig mit der unterrichtsrelevanten sprachlichen Analyse von Texten vertraut gemacht seien; sie hätten mehr über Ergebnisse der Interpretation als über Wege des Interpretierens erfahren (vgl. Spinner 2000: 199). Fast sämtliche curricularen Vorgaben und Richtlinien der Bundesländer legen den Grammatikunterricht demgegenüber seit den 90er Jahren über die Schulformen und -stufen hinweg als „integrierten Grammatikunterricht“ an (vgl. Einecke 1998; KMK Bildungsstanddards 2003; Kernlehrpläne NRW Deutsch 2004). Wie aber sollen Lehrerinnen und Lehrer einen integrierten Grammatikunterricht leisten, wenn sie diesen nie erfahren haben? In der Universität gehören bis heute interdisziplinäre Veranstaltungen der Sprach- und Literaturwissenschaft immer noch zu den Ausnahmen – oftmals natürlich bedingt durch formale oder institutionelle Gründe. Im Weiteren soll ein Beitrag zu einer Annäherung der beiden Disziplinen Sprach- und Literaturwissenschaft im Hinblick auf grammatische Analysen literarischer Texte aus linguistischer Perspektive geleistet werden. Ausgangspunkt für die nachfolgenden Überlegungen ist dabei eine dezidierte Textorientierung, die in der Lage scheint, über den Gegenstand Text die scheinbare Kluft zwischen Grammatik und Literatur im Hinblick auf die Deutschlehrerausbildung interdisziplinär zu überwinden. Gegenstand der Germanistik ist schließlich der Text im weitesten Sinne, auf dessen Struktur, Implikationen und Funktionen sich sowohl literaturwissenschaftliche als auch linguistische Aussagen, wenn auch unterschiedlich aspektuiert, beziehen (vgl. Ziegler 2006a: 23). Angesichts des gemeinsamen Gegenstandes Text erachtete Ulla Fix unlängst die disziplinäre Trennung in Schule und Hochschule nicht nur als unnötig, sondern als geradezu inakzeptabel. Inakzeptabel, weil ein solches Vorgehen zur Verdrängung von relevanten Fragestellungen führt – mögliches neues Wissen wird auf diese Weise gar nicht erst erarbeitet – und inakzeptabel auch, weil diese Trennung die Verschwendung von bereits vorhandenem Wissen zur Folge hat: Die Erkenntnisse, die die eine Disziplin bereitstellt, werden von der anderen nicht gesehen bzw. nicht genutzt. Dies bedeutet einen bedenklichen Verlust. (Fix 2006: 179)

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Mit den hier angestellten Überlegungen wird daher gleichermaßen auch das Ziel angestrebt, einem solchen Verlust von mitunter ohnehin knapp verteilten Ressourcen in Schule und Hochschule entgegenzuwirken.

3. Form, Inhalt und Bedeutung literarischer Texte Wenn im Titel zu diesem Beitrag von Inhalt die Rede ist, so ist dies natürlich ein sehr vager Begriff – insbesondere im Hinblick auf literarische Texte. Die Grenzen zwischen Begrifflichkeiten wie Inhalt, Thema, Bedeutung, Sinn usw. verschwimmen nur allzu häufig und es scheint offensichtlich, dass auch an dieser Stelle keine eindeutige Klärung erfolgen kann, insofern die jeweilige Bestimmung der Begriffe aufs Engste mit den zugrundeliegenden theoretischen Grundannahmen verbunden ist und somit eine je spezifische Lesart erfordert. Eine der stabilsten Annahmen zur semantischen Struktur literarischer Texte insgesamt ist dabei vermutlich die Auffassung, dass diese hochgradig polyvalent sind, d.h. nicht nur eine Bedeutung haben bzw. erzeugen, sondern mehrere. Insbesondere in rezeptionsästhetischen, d.h. leserorientierten Theorien kann die Anzahl möglicher Bedeutungen die Anzahl der Leser erreichen – wenn nämlich jede Rezeption als eigene Bedeutungszuschreibung gesehen wird. Aber auch stärker textorientierte Ansätze sehen es häufig als Spezifikum literarischer Texte, dass diese systematisch vieldeutig sind und sich eine solche Bedeutungsvielfalt nicht oder kaum ausschöpfen lässt (vgl. Jannidis 2003). Im Weiteren wird davon ausgegangen, dass der Inhalt eines Textes – oder besser: die Inhalte – als semantische Größen verstanden werden können, die „hinter“ den Bedeutungen der sprachlichen Zeichen stehen. Während Bedeutung die invariable Referenz eines Ausdrucks bezeichnet, soll darüber hinaus in der Tradition Freges der Begriff Verwendungssinn eingeführt werden, um eine semantische Größe zu kennzeichnen, die mit den Verwendungskontexten sprachlicher Formen variiert (vgl. Frege 1980). Obwohl aber verschiedene Aspekte der Semantik von literarischen Texten über spezifische analytische Zugriffsweisen relativ gut ermittelt werden können – man denke etwa an denotative und assoziative Strukturen, die in jüngerer Zeit auf dem Wege der denotativen Textanalyse empirisch zugänglich wurden (vgl. u.a. Ziegler und Altmann 2003; Ziegler 2006b) – ist der Inhalt eines Textes natürlich mehr als die Summe seiner grammatischen Formen, ist die Bedeutung eines literarischen Textes nicht ausschließlich über seine Strukturen und Musterbildungen zu erfassen. So verwundert es nicht, dass es

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in der Literaturwissenschaft, ungeachtet verschiedener Schulen und divergierender Ansätze, einen vergleichsweise breiten Konsens darüber gibt, dass literarische Bedeutung mit Hilfe von grammatischen Strukturen nicht oder zumindest nicht hinlänglich beschrieben werden kann. Selbst wenn die Geltung einer Regelpoetik konzediert wird, gilt die Anstrengung der Literaturwissenschaft schließlich gerade dem Außergewöhnlichen, dem Besonderen des Textes (vgl. Jannidis u.a. 2003: 3ff.). Grammatische Form und Inhalt scheinen entsprechend dieser Ansicht nirgends weniger konform als in der Literatur. Literatur provoziert ja gerade die Ausnahme von der Regel, sie gilt oftmals als subversiv, als etwas Individuelles, als ästhetisch, als Werk, wird als Abweichung und bewusste Verfremdung aufgefasst, kurz gesagt: nicht als etwas, das viel mit grammatischen Regeln und Musterbildungen zu tun hätte (vgl. Jannidis u.a. 2003: 3ff.). Sicher sind es u.a. diese divergenten Bewertungen von Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft hinsichtlich der Relevanz von Grammatik, die eine Annäherung der beiden Disziplinen in der Praxis oftmals verhindern. Aber auch in der Literaturwissenschaft gibt es selbstverständlich Konzeptionen, die eine dezidierte Beziehung zwischen Form und Inhalt konstatieren und cum grano salis den textorientierten Ansätzen zuzuordnen sind. Im Hinblick auf eine hier ins Auge gefasste grammatische Analyse literarischer Texte scheint somit aus linguistischer Perspektive eine textorientierte Vorgehensweise schon deswegen indiziert, da der Bezug auf die Größe Text in der Literaturwissenschaft bereits eine längere Tradition hat. Als Beispiele für Ansätze, nach denen der Inhalt literarischer Werke vor allem in ihrer Form begründet liegt, können etwa der New Criticism oder die Werkimmanenz angeführt werden. Als sprachliche Objekte haben literarische Texte gemäß dieser Auffassungen zwar notwendigerweise Bedeutung, jedoch nicht im Sinne alltäglicher Aussagen, die eine intendierte Botschaft vermitteln. Vielmehr muss die Bedeutung literarischer Texte als Komplex aufgefasst werden, der auch ästhetischen Regeln gehorcht (vgl. Wimsatt und Beardsley 1954: 4). Textorientierte literaturwissenschaftliche Ansätze, die auf den semantischen Gehalt von Literatur zielen, sind aber auch strukturalistische Positionen, wie etwa die Lotmans (vgl. Lotman 1972). Um den Inhalt von Texten zu entschlüsseln, wird unter Einbeziehung aller sprachlichen und formalen Ebenen nach den internen bedeutungstragenden Beziehungen gefragt. Die Ergebnisse dieser Analysen geben Aufschluss über die Aussage, den Inhalt oder den propositionalen Gehalt eines Textes (vgl. Titzmann 1977: 46ff., 67f.). Auch im Rahmen der Empirischen Literaturwissenschaft spielt dieser Aspekt eine gewichtige Rolle. Von der subjektiven, d.h. intuitiv individuellen Bedeutungskonstitution wird die materiell beschreibbare Bedeutungsstruktur eines Textes unterschieden. Die zweite ist nach dieser Ansicht objektivierbar

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und lässt sich – als Prüfbasis für die Analyse der ersten – erschließen, etwa indem mit linguistischen Mitteln die Propositionen rekonstruiert werden, die dem Sprachmaterial zugrunde liegen (vgl. Groeben 2002). Die Proposition einer Äußerung bzw. der formulierungsunabhängige „gemeinsame Nenner“ der Bedeutung von Sätzen bleibt auch dann gleich, wenn unterschiedliche illokutionäre Akte mit dem Satz vollzogen werden und kann somit als Inhalt bestimmt werden (vgl. Jannidis u.a.2003). Dies ist angeführt, um zu verdeutlichen, dass es auch heute bereits in mehreren literaturwissenschaftlichen Richtungen üblich ist, für eine möglichst exakte Textbeschreibung auf linguistische Ansätze zurückzugreifen. Für die meisten dieser Ansätze führt die genaue Analyse der sprachlichen Oberfläche eines Textes zu seinen „darunter“ liegenden semantischen Ebenen. An dieser Stelle sollte deutlich geworden sein, dass – will man auch literaturwissenschaftliche Positionen im Rahmen einer interdisziplinären Textanalyse berücksichtigen – nur mit einem offenen Grammatikbegriff operiert werden kann. Im Hinblick auf eine grammatische Analyse literarischer Texte kann es also nur um eine Konvergenz von Textualität, Pragmatik und Semantik gehen, indem textuelle Konfigurationen sprachlicher Zeichen als bedeutungserzeugende und sinnstiftende Einheiten begriffen werden.

4. Text und Grammatik Sollen im Rahmen einer grammatischen Analyse literarischer Texte Kenntnisse erlangt werden, die über den Rahmen einer traditionellen grammatischen Analyse hinausgehen, scheint der Anschluss an die textlinguistische Modellbildung fruchtbar. Sprachliche Formen erscheinen im Rahmen einer kommunikativen Äußerung auf der Textoberfläche als Einheiten, die in syntagmatischer Relation zu einander stehen. Dabei bilden sie spezifische Muster, d.h. Syntagmen, die u.a. aufgrund grammatischer und/oder semantischer Bezüge aufeinander referieren und wiederum größere analysierbare Einheiten bilden (Clause, Phrase, Satz usw.). Aus textlinguistischer Perspektive sind diese Syntagmen im Rahmen der Makrostruktur als horizontale Textarchitekturen zu beschreiben, von denen anzunehmen ist, dass sie unter Einfluss textexterner Parameter – etwa der kommunikativen Situation, der Beziehung der Kommunikationspartner zueinander, der Zeit und des Ortes usw. – je spezifische Textmuster bilden, die uns als grammatische Regularitäten einerseits und grammatische Besonderheiten, d.h. Auffälligkeiten andererseits, seien sie usuell oder normativ, textsortenspezifisch oder ideolektal bedingt, in Texten begegnen (vgl. Ziegler

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2006a: 28ff.). Aus einer solchen textlinguistischen Orientierung ist für eine grammatische Analyse abzuleiten, dass die Textoberfläche wesentlich durch grammatische Elemente und Beziehungen geprägt ist. Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass die grammatischen Formen – oder besser: die bewusste oder unbewusste Wahl der grammatischen Mittel und Formen – stets in Verbindung und Abhängigkeit von kotexteuellen Faktoren einerseits und kontextuellen, d.h. situativen und diskursiven Parametern andererseits zu sehen sind. Ausgehend von einem Sprachbegriff, der Sprachgebrauch als Form sozialen Handelns versteht, sind Texte – und auch literarische Texte – als sprachliche Handlungen von strategisch ausgerichteten Kommunikationszielen determiniert. Die Wahl der geeigneten Verfahren zur Erreichung derartiger Kommunikationsziele sind jedoch nicht ausschließlich von den eigentlichen Handlungsabsichten der Textproduzenten abhängig. Sie ergeben sich wesentlich aus den aktuellen situativen Faktoren des kommunikativen Umfeldes des Kommunikats, das wiederum in einen konkreten historischgesellschaftlichen Diskurs eingebettet ist. Es ist geradezu eine triviale Erkenntnis, dass eine Äußerung, aus dem Zusammenhang gerissen, entstellt wird. Ähnlich verhält es sich auf grammatischer Ebene. Ausgangspunkt der grammatischen Analyse sind somit nicht die sprachlichen Mittel, sondern ihre kommunikative Funktion. Die sprachlichen Formen, ihre Bedeutung und ihr Zusammenwirken werden in ihrer Funktion für die Bewältigung von Kommunikationssituationen gesehen. Gerade für die Arbeit mit literarischen Texten ist evident, dass beispielsweise zwar die grundlegende Struktur eines Satzes bereits durch die Analyse der beteiligten grammatischen Elemente ermittelt werden kann, dass aber der Verwendungssinn einer sprachlichen Äußerung nur ko- und kontextuell zu erfassen ist. Auch die Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts hat eine ganze Reihe von kontextuellen und textexternen Aspekten für die semantische Konstituierung von Texten berücksichtigt, wie z.B. Diskurse oder Intertexte. Sie werden in der Regel als Vorrat von Typisierungen und Kodes angesehen, aus denen im Text eine spezifische Auswahl getroffen wurde, wobei diese Auswahl eigentlich erst den Inhalt des Textes erzeugt (vgl. Jannidis u.a. 2003). Unter Berücksichtigung dieser Implikationen wird Sprache daher nicht als ein in sich geschlossenes Regelsystem, sondern als eine Ressource, ein sprachliches Potential verstanden, das jedem Sprachbenutzer – wenn auch in unterschiedlichem Maße – zur Verfügung steht. Insofern sind die vorangegangenen Ausführungen in Anlehnung an die Grundpositionen der Systemisch-Funktionalen Linguistik um vier wesentlliche Prämissen zu ergänzen (vgl. u.a. Eggins 1994; Halliday 1994; Matthiessen und Halliday 1997): 1. Sprachgebrauch ist funktional. 2. Die Funktion der Sprache ist es, Bedeutungen zu schaffen.

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3. Bedeutungen sind determiniert durch den Kontext, in dem sie kommuniziert werden; sie schaffen damit einen jeweils spezifischen Verwendungssinn. 4. Der Sprachprozess ist ein semiotischer Prozess, der auf Auswahl basiert. Unter funktionalem Gesichtspunkt sind somit zusammenfassend in der sachlogischen Konsequenz drei analytische Ebenen als grundlegend für eine Untersuchung grammatischer Formen und Musterbildungen zu differenzieren (vgl. Morris 1972; Einecke 1993): Analyseebene der semantischen Funktion Dies bedeutet, Fragen ins Auge zu fassen wie z.B.: − Wie ist ein sprachliches Element an der Vermittlung von Bedeutung beteiligt? − Wie wird mit der sprachlichen Form Realität wiedergegeben, verändert, perspektiviert, gewertet usw.? − Welche lexikalische oder aktuelle Bedeutung hat das sprachliche Element selbst? − Welche Rolle spielt z.B. das Attribut bei Wertungen? usw. Analyseebene der syntaktischen Funktion Unter diesem Aspekt wären Fragen zu thematisieren wie: − Welche Rolle spielt das sprachliche Element im Satz und in der Makrosyn-

tax des Textes? − Wie verbindet es gegebenenfalls Sätze zum Text?

d.h. − Welche Bedeutung hat der Satzbau für den Text bzw. für die Wirkung des

Textes? − Welche Rolle spielt z.B. das Subjekt im Satz? − Welche Rolle spielt die Topologie für eine thematische Fokussierung des

Textes? Analyseebene der pragmatischen Funktion Aus pragmatischer Sicht ergäben sich schließlich Fragen wie etwa: − Welche Bedeutung hat das sprachliche Element im Verwendungszusam-

menhang? − Welche situativen Bezüge stellt es her? − Welche sprachliche Handlung wird mit ihm vollzogen?

d.h. − Welche Rolle spielt z.B. der Kausalsatz in einer Rechtfertigungssituation?

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5. Grammatische Analysen literarischer Texte in der Deutschlehrerausbildung – Ein methodischer Weg Aus methodischer Sicht wichtig ist die Frage, „ob ein grammatisches Phänomen im Verlaufe einer Textanalyse quasi gefunden wird, oder ob ein bestimmter Text herangezogen wird, um ein grammatisches Phänomen zu dokumentieren“ (Homberger 1994: 98f.). Wenn es um die grammatische Analyse literarischer Texte geht, scheint dabei der erste Fall die Regel. In LehrLerndiskursen hat sich in jüngerer Zeit in diesem Zusammenhang die induktive Vorgehensweise, die aus dem Kontext heraus grammatische Beobachtungen zum Thema macht, immer mehr durchgesetzt (vgl. Homberger 1994). Entscheidend für den hier skizzierten textbasierten funktionalen Ansatz ist daher, dass nicht der Weg von der grammatischen Einzelbeobachtung zum Text führt, sondern vom Text ausgegangen wird und erst dann nach dem Anteil der grammatischen Strukturen an der Verständlichkeit, der Wirkung und der Gesamtaussage von Texten gefragt wird. Dies bedeutet, zunächst mit Fragen an den Text heranzugehen, wie etwa den folgenden: − Bietet der Text formale Interpretationshilfen? − Gibt es Signale der Lesesteuerung durch den Text? − Gibt es Signale einer Textstrukturierung? usw. In einem zweiten Schritt wäre dann beispielsweise zu klären (vgl. Einecke 1993: 12): − Welche Funktion hat ein bestimmtes grammatisches Element im konkreten Text? − Welche Funktion(en) kann dieses Element prinzipiell übernehmen? usw. Und in einer dritten Reflexionsstufe wäre schließlich zu fragen: − Welche Funktionen haben die grammatischen Elemente für das persönliche

Verstehen und für die Wirkung des Textes auf den jeweiligen Leser? Eine solche Reflexionsrichtung scheint dabei sowohl für die linguistische als auch für die literaturwissenschaftliche Textanalyse fruchtbar, da eine Interpretation von Texten vorbereitet wird, die nicht mehr allein intuitiv gestaltet ist. Der methodische Weg müsste also quasi vom Text zur grammatischen Form zum Textverstehen, d.h. zum Inhalt und damit zum Text zurück führen, wobei auch im Rahmen der grammatischen Arbeit ein Aufstieg vom Konkreten zum Abstrakten, vom Besonderen zum Allgemeinen stattfinden sollte. Nimmt man etwa die oben im Zusammenhang mit der Darstellung der funktionalen Analyseebenen formulierte Fragen zum Ausgangspunkt, so rich-

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ten sich diese zunächst konkret auf vorliegende Sätze, Wertungen, Situationen in einem gegebenen Text. Sie wären dann zu verallgemeinern, d.h. die grundsätzlichen Leistungen von Subjekten in der Syntax, von Attributen in der Konstitution von Bedeutungen, von Kausalsätzen in ihren möglichen Verwendungszusammenhängen wären zu thematisieren. Diese Vorgehensweise korrespondiert durchaus auch mit literaturwissenschaftlichen Vorstellungen. Nach dem hermeneutischen Modell der Textrezeption – beispielsweise – vollzieht sich der Verstehensprozess derart, dass der Leser sein erstes vorläufiges Gesamtverständnis im Verlauf der Analyse überprüft und schließlich verifiziert, falsifiziert oder modifiziert. Dabei sind auch in vermeintlich grammatisch unauffälligen Texten sprachliche Formen zu erarbeiten, die zum Gegenstand der Reflexion gemacht werden können. Ein Beispiel kann dies verdeutlichen: Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Das Beispiel zeigt den ersten Satz von Kafkas „Vor dem Gesetz“ (vgl. Raabe 1983: 131f.). Allein an diesem kleinen Beispiel sind mehrere grammatische Funktionen für den Text, aber auch generell zu thematisieren. So sehen wir zum einen eine Ausklammerung der Adverbialbestimmung ins Vorfeld mit der Funktion der Topikalisierung. Hier ließe sich eine induktiv geleitete Grammatikarbeit über die Topologie des Deutschen und die mit dem jeweiligen Satzbauplan verbundene Funktion, über die Unterschiede von Ausklammerungen ins Vorfeld oder Nachfeld und die damit verbundenen Funktionen, über den Unterschied zwischen obligatorischen und fakultativen Adverbialbestimmungen usw. anschließen. Zum anderen ist die Adverbialbestimmung Vor dem Gesetz eine Wiederaufnahme des Titels der Erzählung, so dass sich eine Grammatikarbeit zu Formen der Wiederaufnahme und ihren unterschiedlichen Funktionen ebenso ergäbe. Des Weiteren begegnet im Beispielsatz ein unüblicher Artikelgebrauch. Zu erwarten wäre bei einem eröffnenden Satz der unbestimmte Artikel, so dass sich eine Diskussion um die Funktion des bestimmten Artikels für den Text sowie der Unterschiede zwischen bestimmten und unbestimmten Artikel generell fast zwangsläufig ergäbe. Natürlich suggeriert der Autor mit dem bestimmten Artikel bekannte Information, d.h. er spielt zur Erreichung des Kommunikationszwecks seiner Erzählung mit den ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln und wählt – bewusst oder unbewusst – gerade jenes aus, das am zweckdienlichsten erscheint. Wie zu erkennen ist, ist für die hier postulierte Grammatikarbeit mit literarischen Texten die Verbindung zwischen grammatischem Sachverhalt, Funktionsbereich und konkretem Text wesentlich, um schließlich zu generellen Erkenntnissen zu gelangen. Aus didaktischer Sicht handelt es sich gerade in der Einstiegsphase in die Grammatikarbeit dabei dezidiert um eine Form des

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explorativen Lernens. Die Möglichkeiten eines solchen analytischen Zugriffs sind vielfältig. Die nachfolgende Tabelle soll einige Zusammenhänge, die in literarischen Texten mehr oder weniger regelmäßig begegnen und daher zum Gegenstand der Reflexion gemacht werden können, exemplarisch zusammenfassen. Grammatische Form Passiv Attribute, Adjektive Modus, Modalwörter, Konjunktiv Verben vs. Nominalisierung Tempus, Deixis, Adverbiale Deixis, Pronomen Deixis, Präposition, Adverbiale Koordination vs. Subordination Satzarten, Sprechakte Ausklammerung, Fokuspartikel, Satzglieder definit vs. indefinit Negationspartikel, Negation bei Wortbildung Gradpartikeln

Funktionsbereiche Agensvermeidung Eigenschaften Einstellungen statisch vs. dynamisch Zeit und Tempus Person Raum sprachliche Integration sprachliche Handlungen Hervorhebung

alte und neue Information Negation

Graduierung

Tab. 1: Zusammenhang zwischen grammatischen Formen und Funktionen

Die Übersicht stellt natürlich nur einen kleinen Ausschnitt dar und ist in die verschiedensten Richtungen zu erweitern. Das Ziel der hier postulierten grammatischen Arbeit an literarischen Texten und einer damit verbundenen Reflexion über Sprache ist letztendlich, dass die angehenden Deutschlehrerinnen und -lehrer die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten eines bestimmten grammatischen Elements sowie den möglichen Einsatz verschiedener sprachlicher Formen für einen intendierten Ausdruck kennen lernen sollen (vgl. Einecke 1993). Dabei birgt die vorgeschlagene Methodik aber selbstverständlich auch Probleme. Ein offensichtliches Problem aus linguistischer Sicht ist, dass nicht jedes grammatische Phänomen, das in Unterrichtszusammenhängen thematisiert werden soll, sich automatisch in jedem literarischen Text findet. Eine genaue Planung der Unterrichtssituationen hinsichtlich der Textauswahl scheint also ebenso unabdingbar wie andere Formen der Grammatikarbeit in der universitären Lehre. Eine grammatische Analyse literarischer Texte kann sicher nicht jedwede andere Auseinandersetzung mit Grammatik in der Deutschlehrerausbildung ersetzen. Sie ist jedoch wünschenswert im Umgang mit literarischen Texten und kann in diesem Sinne ergänzend bemüht werden. Der Nutzen eines sol-

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chen Umgangs erscheint um ein Vielfaches höher als die damit einhergehenden Probleme.

6. Fazit und Desiderata Es sollte deutlich geworden sein, dass – insbesondere vor dem Hintergrund der expliziten Forderung der curricularen Vorgaben nach einem integrierten Deutschunterricht auch im Hinblick auf eine grammatische Analyse literarischer Texte – eine isolierte Betrachtung eines einzelnen sprachlichen Phänomens nicht weit führt, dass vielmehr Interpretationshinweise aus dem weiteren Kontext nicht nur wünschenswert, sondern notwendig sind. Der Umgang nur mit Einzelzeichen, mit einzelnen sprachlichen Elementen kann also nicht das Ziel sein. Eine Konzentration auf den Gegenstand Text könnte vielmehr dazu führen, dass die bisher relativ unverbundenen Disziplinen Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft in der Beschreibung des gemeinsamen Untersuchungsobjekts auch in der Lehrerausbildung wieder enger zusammentreten, was für die Linguistik in erster Linie eine ausgesprochen deutliche Betonung semiotischer, textlinguistischer und funktionaler Aspekte auch in der grammatischen Beschreibung impliziert. Mit dem Beitrag ist der Versuch unternommen worden, einen in diesem Sinne begründeten methodischen Weg anzudeuten. Dass dies aufgrund der Komplexität der Gegenstände an dieser Stelle nicht umfassend geschehen kann, versteht sich von selbst. Es sollte ebenfalls deutlich geworden sein, dass es nicht um ein neues grammatisches Modell oder die Einführung neuer grammatischer Kategorien geht, sondern vielmehr um ein für den Deutschunterricht – und damit verbunden für die Deutschlehrerausbildung – so notwendiges vermittelndes Denken zwischen Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft. Ungeachtet der theoretischen Grundannahmen und des zugrunde liegenden grammatischen Modells ist der vorliegende Beitrag von der Überzeugung getragen, dass im Rahmen der Deutschlehrerausbildung eigentlich nur ein kleiner Schritt notwendig ist, um zumindest das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass wir es im Falle von Literatur und Grammatik nicht zwangsläufig mit unterschiedlichen Gegenständen zu tun haben. Eine solche Schärfung des Bewusstseins scheint dringend erforderlich, wie ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse germanistischer Institute deutschsprachiger Universitäten zeigt, wo zumindest von einer systematischen Annäherung im Rahmen der universitären Lehre keine Rede sein kann.

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Der Beitrag ist daher auch als ein Appell an die für die Deutschlehrerausbildung Verantwortlichen zu verstehen. Greift man die eingangs formulierten drei Unterstellungen wieder auf, so kann an dieser Stelle gesagt werden: Die Frage, ob durch grammatische Kenntnisse und Analysen literarischer Texte ein Nutzen im Sinne eines Mehrwertes für ein Textverstehen resultiert, kann nur vermutet werden; sicher resultiert ein Zugewinn im zentralen Bereich der Reflexion über Sprache. Geschlossen werden soll mit einem Zitat von Wolfgang Boettcher, der die Situation der Grammatik in Schule und Unterricht treffend ins Auge fasst: Ich denke, für die meisten Studierenden ist eine Änderung ihrer ‚grammatischen Biographie’ nötig; wenn Lehramtsstudierende nicht – am eigenen Hirn – andere Erfahrungen mit Grammatikanalyse machen, werden sie immun bleiben gegen alle konzeptionellen Innovationsversuche im Grammatikunterricht. (Boettcher 1994: 30)

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Christian Hinze Klaus-Michael Köpcke

Was wissen Grundschüler über die Verwendung der Perfektauxiliare haben und sein?

1. Einleitung Im Deutschen gibt es bekanntlich zwei Auxiliare, mit denen die Formen der analytischen Tempora Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II gebildet werden: haben und sein. Da normalerweise nur eines der beiden Auxiliare ‚richtig’ ist, ist der Sprecher des Deutschen bei jedem Gebrauch dieser Tempusformen gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Die Wahl des Auxiliars bereitet dem erwachsenen Sprecher des Deutschen selten Schwierigkeiten, gleichwohl – oder vielleicht gerade deshalb – ist der genaue Mechanismus dieser weitgehend automatisierten Entscheidung noch nicht endgültig geklärt. Noch weniger bekannt sind die näheren Zusammenhänge des Erwerbs dieser Kompetenz. Im Vordergrund dieser Untersuchung steht nun die Frage, nach welchem Prinzip Kinder im Erstspracherwerb zwischen haben und sein wählen und wie diese Wahl (gemessen an normsprachlichen Erwartungen) ausfällt.1 1. Unplausibel erscheint uns eine Annahme, wonach die Auxiliarselektion ausschließlich lexikalisch geregelt sein sollte, so dass also das Perfektverhalten eines Verbs zu seinem Eintrag im Lexikon zu rechnen wäre und Wort für Wort gelernt werden müsste. Dagegen spricht z.B. die Beobachtung, dass man Neo- oder Xenologismen (vgl. z.B. neuere Anglizismen wie jetten oder chatten) problemlos ein Auxiliar zuweisen kann, sobald die Bedeutung dieser Verben bekannt ist. 2. In den meisten Grammatiken geht man davon aus, dass die Selektion auf der Grundlage einer Reihe vorwiegend syntaktischer und semantischer Prinzipien erfolgt und dass die Distribution (weitgehend) vermittelst Re-

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Sicherlich ist der Beginn des Perfekterwerbs auf einer recht frühen Spracherwerbsstufe (weit vor dem Grundschulalter) anzusetzen. Unter der Annahme, dass der Erwerb eines Teilaspekts der Grammatik nicht in kurzer Zeit abgeschlossen ist, sondern fortdauert im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung der Kompetenz, stellt sich auch die Frage danach, wie diese Kompetenz im Grundschulalter weiterentwickelt wird.

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geln auf der Basis dieser Prinzipien beschreibbar ist. Mit dieser Annahme wollen wir uns im Weiteren etwas intensiver auseinandersetzen (vgl. 2.). Vor diesem Hintergrund ist von Interesse, inwieweit sich die Kompetenz der Kinder tatsächlich auf der Basis von internalisierten Regeln erklären lässt bzw. inwieweit eine komplexere Erklärung bemüht werden muss. Als konkrete Untersuchungsfragen ergeben sich bis hierhin: 1. Wie ist die Kompetenz der Grundschulkinder bzgl. der Zuweisung von haben resp. sein gemessen an der normsprachlichen Erwartung einzuschätzen? 2. Gibt es Verben, die den Kindern hinsichtlich der Auxiliarzuweisung Probleme bereiten und wie lassen sich eventuelle Schwierigkeiten erklären? 3. Inwieweit bilden tatsächlich Regeln die Entscheidungsgrundlage? Lassen sich Hinweise finden, die einen differenzierteren Erklärungsansatz stützen? Die Beantwortung der Frage, ob die Kinder tatsächlich während des Spracherwerbs auf Regeln bei Aufbau, Strukturierung und Handhabung dieses Systems zurückgreifen, ist die Grundlage für eine effektive Didaktisierung dieses Lern- und Reflexionsgegenstands. Aus Einsichten über Erwerbsstrategien und -mechanismen lassen sich allgemeine Rückschlüsse auf Generalisierungs- und Strukturierungsfähigkeiten von Kindern im Grundschulalter ableiten. Es sind diese Einsichten, die die Grundlage für eine wissenschaftlich begründete Grundschuldidaktik darstellen, vgl. etwa Quasthoff (2003: 109). Geht man davon aus, dass es eine der vornehmsten Aufgaben der Deutschdidaktik ist, die Prozesse der Aneignung der deutschen Sprache durch Lernende zu erforschen und darauf aufbauend Konzepte der Vermittlung zu erstellen, dann sind Untersuchungen über den Erwerb, die Kenntnis und Beherrschung grammatischer Kategorien im Grundschulalter ein Desiderat didaktischer Forschung, vgl. etwa Diegritz (1996) und Andresen und Funke (2003: 449). Diegritz (1996: 92) konstatiert für die Grammatikdidaktik einen eklatanten Mangel an empirischer Forschung. Er fordert [...] ein sinnvolles Wechselspiel zwischen heuristisch-hypothetischer Theoriebildung, gespeist aus bezugswissenschaftlichen, didaktischen und auf Erfahrung beruhenden Überlegungen einerseits und empirischer Überprüfung dieser Konstruktionen andererseits. Erst dann, aufgrund empirisch fundierter Resultate, kämen eigentlich die Curriculumplaner bzw. Lehrplankommissionen und die SprachbuchverfasserInnen zum Zuge.

Für die Ausbildung von Sprachbewusstheit kommt dem Grammatikunterricht eine zentrale Rolle zu. Dabei muss notwendig auf Seiten des Lerners eine Kompetenz über sprachliche Strukturzusammenhänge vorausgesetzt werden. Dieses intuitive, implizite Wissen soll im Grammatikunterricht metasprach-

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lich expliziert und begrifflich systematisiert werden, vgl. Neuland (1993: 98). Metasprachliches Wissen kann aber nur erreicht werden, sofern damit korrespondierendes unbewusstes Wissen über grammatische Strukturen und Kategorien beim Lerner entwickelt ist. Andernfalls liefe der Grammatikunterricht ins Leere und verkäme zur bloßen Terminologievermittlung. Eine systematische Erhebung und Analyse des intuitiven grammatischen Wissens ist eine der zentralen Voraussetzungen für die altersangemessene Gestaltung eines Curriculums für den Grammatikunterricht. Die Auswahl der Lerngegenstände und die Bestimmung der Lernschritte und Lernziele sollten also grundsätzlich auf den sprachlichen Entwicklungsstand der Lerner abgestimmt sein, vgl. etwa Neuland (1984), Knapp (2001) und Quasthoff (2003). Die Beschäftigung mit dem Wissen der Grundschüler über die Distributionsbedingungen der Perfektauxiliare im Deutschen innerhalb dieser Untersuchung versteht sich ganz im Sinne des Zitats von Diegritz als exemplarischer Versuch, auf der Basis des Wechselspiels zwischen Empirie und hypothetischer Theoriebildung zu didaktischen Konsequenzen zu gelangen. Bevor wir allerdings auf die Überprüfung der Grundannahmen eingehen, wollen wir zunächst die theoretischen Grundlagen skizzieren.

2. Die Distribution der Perfektauxiliare 2.1 Regeln und Faktoren Traditionell wird davon ausgegangen, dass sich die Distribution der Perfektauxiliare primär nach dem Kriterium der Transitivität richtet; transitiv sind passivfähige Verben mit Akkusativobjekt.2 In nahezu allen Grammatiken des Deutschen findet sich eine Ausformulierung der Transitivitätsregel, der zufolge transitive Verben haben selegieren, vgl. z.B. Helbig und Buscha (1996: 56); Duden-Grammatik (1998: 121); Eisenberg (1999: 107).3 Für das Perfekt2

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Eisenberg z.B. spricht in diesem Zusammenhang vom „regulären transitiven Verb“ (1999: 107). Die echten reflexiven Verben mit Akk. (z.B. sich schämen, sich erkälten) stellen eine weitere Gruppe von Verben, die ausschließlich haben selegieren (vgl. eine entsprechende Regelformulierung z.B. bei Erben 1980: 93; Helbig und Buscha 1996: 138). Aus der Erklärung für das Perfektverhalten der Transitiva kann auch das haben-Perfekt der Reflexiva abgeleitet werden, da sich Letztere diachron ausnahmslos auf transitive Verben zurückführen lassen (vgl. Haider 1985: 248). Reflexiva konservieren im Reflexivpronomen ein für die Auxiliarselektion entscheidendes Transitivitätsmerkmal, namentlich die ‚Patienshaftigkeit‘. Auf dieses

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verhalten intransitiver Verben werden hingegen aktionsartliche Faktoren verantwortlich gemacht. Diejenigen Intransitiva perfektiver Aktionsart (oder je nach Differenzierung transformativer, resultativer, telischer Aktionsart) selegieren sein (z.B. sterben, einschlafen, aufwachen), Verben der durativen (imperfektiven, intransformativen, atelischen) Aktionsart (leben, schlafen, wachen) hingegen haben (Perfektivitäts- und Durativitätsregel). Es wird also letztlich ein Zusammenwirken syntaktischer und semantischer Bedingungen postuliert. Die Syntax dominiert dabei gewissermaßen die Semantik, denn die Regeln interagieren wie in (1) beschrieben: (1) Ist das Verb (syntaktisch) transitiv, dann wird haben gewählt, ist es intransitiv, dann ist zu prüfen, ob das betreffende Verb perfektiv ist (dann wähle: sein) oder durativ (dann wähle: haben). (2a) Caesar besiegt Pompejus. (transitiv  haben) …hat besiegt. (2b) Caesar lebt (gut). (intransitiv, durativ  haben) …hat (gut) gelebt. (2c) Caesar stirbt. (intransitiv, perfektiv  sein) …ist gestorben. Während der Transitivitätsregel nach Meinung einiger Autoren absolute Gültigkeit zukommt4, räumt man gegenüber der aktionsartlichen Differenzierung der intransitiven Verben mehr oder weniger explizit ein, dass es uneindeutige Fälle gibt: Bei der Perfektbildung der intransitiven Verben mit haben oder sein treten immer dann Schwankungen auf, wenn die Zuordnung eines bestimmten Verbs zu einer der beiden möglichen Gruppen unsicher ist oder wechselt. (Duden-Grammatik 1998: 121)

Die Regel gilt also, wenn überhaupt, nur für die allermeisten oder die eindeutigen Fälle. Zweifelsfälle sind damit bei Verben zu erwarten, deren semantische resp. aktionsartliche Charakteristik nicht ohne gewissen kognitiven Aufwand durch den Sprecher zu dekodieren ist. Dies ist bei uneindeutiger Merkmalsausprägung der Fall.5

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Merkmal wird im Haupttext (2.4) genauer eingegangen. (Ausführlicher zum Perfektverhalten der reflexiven Verben: vgl. Hinze, in Vorb.) „Verben, die ein obligatorisches Akkusativobjekt fordern, bilden die Vollzugsstufe [gemeint ist Perfekt/Plusquamperfekt] ausnahmslos mit haben“ (Krämer 2000: 46; Hervorhebung von uns). Eisenberg (1999) weist nicht weniger apodiktisch darauf hin, dass haben dann gewählt werden müsste, wenn das Verb passivfähig sei, was per definitionem für alle transitiven Verben gilt: „Sein-Perfekt und Passivbildung schließen sich gegenseitig aus“ (a.a.O.: 109). Verstärkt gilt dies für weniger frequente Verben. Unsicherheiten ergeben sich selbst für den Muttersprachler bei Verben wie z.B. schlafwandeln (beide Hilfsver-

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Neben diesen Unsicherheiten gibt es echte Ausnahmen von der Regel.6 So finden sich Intransitiva mit perfektiver Aktionsart, etwa aufschreien, auslernen, abnehmen/zunehmen, die ihr Perfekt mit haben bilden und intransitive Durativa mit sein-Perfekt, als prominenteste Beispiele etwa die Kopulae bleiben und sein. Die Situation stellt sich im Fall der Transitivitätsregel nicht anders dar, vgl. Beispiele wie einen Vertrag eingehen. Die so genannten Regeln sind also eher als Tendenzen zu begreifen, die nur mehr oder weniger verlässliche Rückschlüsse über die tatsächlichen Distributionsbedingungen der untersuchten sprachlichen Elemente erlauben. Eine umfassende Erklärung für die anscheinend begrenzte Regularisierbarkeit der Distribution der Perfektauxiliare steht bislang noch aus, genauso wie ein Modell, das plausibel werden lässt, warum das Perfektverhalten einerseits syntaktisch motiviert sein sollte (transitive Verben) andererseits semantisch bzw. syntaktisch und semantisch (Intransitiva). Es ist das zentrale Ziel dieses Aufsatzes zu zeigen, dass sich das Perfektverhalten aller Verben als ein komplexes Zusammenspiel ausschließlich semantischer Faktoren beschreiben lässt.

2.2 Von Prototypen und unscharfen Grenzen Offenkundig gibt es bereits bei den beiden zentralen Regeln einige an Gegenbeispielen festzumachende Widersprüche. Darüber hinaus lässt sich eine Reihe von Problemen grundsätzlicher Art anknüpfen. So ist darauf hinzuwei-

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ben möglich), altern oder intransitives trocknen (je beide möglich, aber Tendenz zu sein), sprießen (Perfekt mit sein) oder wechseln (hat gewechselt oder ist gewechselt je nach Bedeutungszusammenhang). – Bei relativ gebräuchlichen Verben mit uneindeutiger Merkmalsausprägung scheint sich so etwas wie eine individuelle Präferenz zu ergeben, die nur teilweise durch Konvention der regionalen Sprachgemeinschaft zu erklären ist. Für das Verb rosten z.B. (das Auto rostet), das aktionsartlich uneindeutig ist, verzeichnet das Deutsche Universalwörterbuch beide Möglichkeiten (das Auto ist/hat gerostet). Jedoch haben nach unserer Beobachtung die meisten Sprecher, und zwar unabhängig vom konkreten Verwendungskontext, eine eindeutige Tendenz zu entweder haben oder sein. Der Status dieser Ausnahmen ist allerdings durchaus diskussionswürdig. Die genannten Perfektiva beispielsweise sind nicht eindeutig ‚resultativ‘, doch ist Resultativität stärker noch als Perfektivität für die Wahl von sein verantwortlich. Hier ergibt sich außerdem ein Problem der Begriffsabgrenzung (vgl. dazu auch 2.2). Das Kopulaverb bleiben hingegen ist trotz seiner semantischen Eigenschaft, die Andauer (‚Duration‘) von etwas zu denotieren, gewissermaßen ‚semiresultativ‘, weil es einen Nachzustand thematisiert, auch wenn sich dieser Nachzustand nicht vom Vorzustand unterscheidet. In die gleiche Richtung argumentiert Eisenberg (1999: 109); ähnlich auch schon Shannon (1987: 473).

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sen, dass nach wie vor weder terminologisch noch konzeptionell ein konsensfähiges Aktionsartensystem für das Deutsche aufgestellt worden ist (das ist wiederholt angemahnt worden, vgl. z.B. Tschirner 1991: 3). Es herrscht zum derzeitigen Zeitpunkt nach wie vor „eine verwirrende terminologische Vielfalt“ (Steinitz 1999: 127). Die genannten Begriffe (z.B. perfektiv, durativ) sind weder eindeutig noch sind die oft synonym verwendeten Termini (perfektiv, resultativ, transformativ) extensional deckungsgleich (vgl. die Übersicht bei Thieroff 1992: 25–45). Darüber hinaus gibt es auch Kritik am traditionellen (rein syntaktischen) Transitivitätsbegriff. Die Kategorisierung der Verben nach dem Merkmal transitiv/intransitiv wird als zu undifferenziert bemängelt (vgl. die Wiedergabe dieser Sichtweise bei Engel 1991: 391). Die Arbeiten von Hopper und Thompson (maßgeblich: 1980) haben die semantische Fundierung der Transitivität aufgezeigt. Ihnen zufolge ist Transitivität kein Merkmal, das sich als ein einfaches Entweder-oder bestimmen lässt; vielmehr charakterisiert die Transitivität eine (verbal konstituierte) Handlungssituation in einem graduellen Sinne. Entscheidend für den Grad der Transitivität eines Verbs in einer spezifischen Verwendung ist ein Bündel von zehn Parametern. Eine Situation oder vereinfacht das einer sprachlichen Äußerung zugrunde liegende Verb ist umso transitiver, je mehr der zehn Parameter bei der Verwendung des betreffenden Verbs erfüllt sind. Treffen alle zehn Faktoren zu, so liegt eine prototypisch transitive Situation vor. Der Grad der Transitivität ließe sich über einer Skala abbilden, die von maximaler (prototypischer) Transitivität über mehr oder weniger stark ausgeprägte Transitivität (einige Parameter sind erfüllt) bis zum Fehlen jeglicher Transitivitätsmerkmale (Intransitivität) reicht. Ein Zusammenhang zwischen dem Perfektverhalten der Verben im Deutschen und der graduellen Merkmalsausprägung der Transitivität gemäß Hopper und Thompson hat nach unserer Übersicht erstmals Shannon (1987, 1988) hergestellt. Dieser viel versprechende Ansatz stellte Shannon jedoch vor ein bis heute ungelöstes Problem: „Low transitivity [...] does not far too well in accounting for BE-aux clauses“ (Shannon 1988: 254). Es verhält sich offenbar so, dass prototypisch (semantisch!) transitive Verben ihr Perfekt mit haben bilden, dass aber die dem Gegenpol zugeordneten Verben, also die prototypisch intransitiven Verben nicht notwendig sein selegieren. In jüngerer Zeit hat lediglich die IDS-Grammatik (1997) den Ansatz wieder aufgenommen. Auch Zifonun u.a. (ebd.) gehen davon aus, dass der Prototyp für die haben-Selektion durch Transitivität gekennzeichnet ist. Sie umgehen Shannons Problem, indem sie nicht explizit auf ein (bipolares) Kontinuum Bezug nehmen. Stattdessen deklarieren sie zwei eigenständige Prototypen für das haben- und einen für das sein-Perfekt (vgl. a.a.O.: 1875). In der Darstellung der IDS-Grammatik bleibt jedoch noch offen, in welcher Beziehung diese Prototypen zueinander stehen. Diese Frage kann in diesem Aufsatz

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nicht geklärt werden (weiterführende Überlegungen dazu in Hinze, in Vorb.), dennoch halten wir einen Ansatz, der mit graduellen Merkmalscharakteristiken und Prototypen arbeitet, für effektiv und werden ihn im Weiteren als Alternative oder besser als Modifikation eines einfachen regelbasierten Erklärungsmodells vorschlagen.

2.3 Die Bewegungsverben7 Die Bewegungsverben im Deutschen, z.B. laufen, schwimmen, fliegen, segeln, kommen, stellen für eine Untersuchung zum deutschen Perfekt eine ebenso interessante wie problematische Verbgruppe dar. In fast allen Grammatiken wird das Perfektverhalten dieser Verben gesondert erwähnt. Das ist vor allem deshalb so, weil sich die Bewegungsverben zum einen nicht ohne weiteres in den Rahmen der hier referierten (syntaktisch bzw. semantisch motivierten) Grundregeln einfügen lassen und zum anderen, weil sie sich nicht einheitlich verhalten.8 Es handelt sich um Intransitiva, die aktionsartlich nicht ganz eindeutig zu analysieren sind. Kennzeichnend für die Bewegungsverben ist, dass sie eine Ortsveränderung implizieren, die zumeist als ein Direktional syntaktisch realisiert und konkretisiert wird.9 Dieser Eigenschaft wegen werden sie meist als ‚perfek7

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Wenn im Folgenden von Bewegungsverben gesprochen wird, so sind damit vornehmlich Verben gemeint, die eine Fortbewegung implizieren. Dabei müssen diese Verben nicht unbedingt eine aktive Bewegung des Bewegungsträgers voraussetzen, um als Bewegungsverb zu gelten (sog. ‚passive Fortbewegungsverben‘, vgl. Gerling und Orthen 1979: 131ff.). Verben, die eine Bewegung beschreiben, ohne dass eine Fortbewegung damit verbunden ist (z.B. winken, greifen, schreiben), werden hier nicht mitberücksichtigt. Das uneinheitliche Verhalten der Bewegungsverben lässt sich leichter verstehen, wenn man sie nicht länger als homogene semantische Gruppe betrachtet. Die Bewegunsverben stellen in Hinsicht auf ihre aktionsartliche Merkmalsausprägung jedenfalls keine einheitliche Gruppe dar. Die Klasse Bewegungsverb vereint z.B. agentive Handlungsverben (Peter läuft nach Hause) und Vorgangsverben (Das Wasser tropft durch die Decke), also Vertreter gänzlich unterschiedlicher Bedeutungsgruppen. Das Direktional ist valenztheoretisch als eine Ergänzung zu betrachten (vgl. schon Krohn 1975: 80), rollensemantisch kann es als Lokativ bezeichnet werden (vgl. Ying 1988: 332), die für eine Trinität steht, nämlich für den Ausgangspunkt [SOURCE], den Weg [PATH] und das Ziel [GOAL] der Bewegung (vgl. Orthen 1976: 115). Je nach Verblexem und Mitteilungsabsicht können ein, zwei oder alle drei Aspekte ausgedrückt werden: Der Reiter ritt aus dem Dorf [SOURCE] über die Wiese [PATH] in den Wald [GOAL]. Das Valenzmerkmal ‚Direktional‘ kann gewissermaßen durch eine oder mehrere syntaktische Einheiten repräsentiert werden (vgl. Romeyke 1970: 21).

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tiv/resultativ’ eingestuft (vgl. z.B. Helbig und Buscha 1996: 139): Die Ortsveränderung des Bewegungsträgers führt dazu, dass der Bewegungsträger mit Abschluss der Bewegung seinen Standort verändert hat. Jemand, der nach X gefahren ist, befindet sich dann in X. Eine Verwendung ohne syntaktisch realisiertes Direktional hingegen kann als nicht-resultativ/durativ interpretiert werden (vgl. 3a/b). Als intransitives, ‚duratives’ Verb wäre der Regel zufolge in diesem Fall ein haben-Perfekt zu erwarten. Tatsächlich bedingt die Verwendung mit Direktional obligatorisch ein sein-Perfekt (4a/4b). Das Gegenteil ist jedoch nicht der Fall. Im durativen Kontext (3b) kann zwar auch haben verwendet werden, jedoch ist sein mindestens ebenso möglich. Die Grammatiken konstatieren in diesem Zusammenhang eine allgemeine Tendenz der Bewegungsverben, das Perfekt nur noch mit sein zu bilden, vgl. Duden-Gr. (1998: 122) – was nach unserer Einschätzung allerdings mehr Fragen aufwirft als beantwortet.10 (3a) Der Urlauber schwimmt gern. (3b) Der Urlauber ist/hat früher gern geschwommen. (4a) Der Urlauber schwimmt zur Insel. (4b) Der Urlauber ist/*hat zur Insel geschwommen. Die Alternation in (3b) muss in der realen Sprechsituation aufgelöst werden. Die notwendige Entscheidung für eines der beiden Auxiliare erfolgt nach Helbig und Buscha (1996: 140) durch „einen Unterschied in der Blickrichtung auf das Geschehen; das Geschehen wird einmal in seiner Dauer (durativ; deshalb haben), das andere Mal unter dem Gesichtspunkt seiner Vollendung, seines Ziels und der ausgedrückten Ortsveränderung (perfektiv, deshalb sein) betrachtet“. Demnach wäre es also eine Intention des Sprechers, eine zunächst uneindeutige Situation durch die Wahl des Auxiliars zu disambiguieren. Möglicherweise wird hier die funktionale Leistung des Perfektauxiliars überbewertet. So ist z.B. zu erklären, warum einige Bewegungsverben eine derartige Differenzierung erlauben, andere – dabei bedeutungsähnliche – hingegen nicht. Während schwimmen, fahren und nach einigen Autoren auch laufen (vgl. z.B. Eisenberg 1999: 109) sowohl mit haben als auch mit sein verbunden werden können, treten Verben wie gehen, kommen, rennen ausschließlich mit sein auf. Die Position von Helbig und Buscha gilt aber in der Hinsicht, dass die Bewegungsverben auch in der Verwendung ohne Direktional offenbar resultativ interpretiert werden können, was nichts anderes bedeutet, als dass das 10

Es ist z.B. weiterhin grundsätzlich erklärungsbedürftig, warum die Bewegungsverben sich anders verhalten als andere intransitive Verben. Die festgestellte Tendenz zum sein-Perfekt lässt außerdem danach fragen, worin die Ursache für diese Tendenz besteht. Eine schlüssige Erklärung dafür steht bislang noch aus.

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semantische Merkmal ‚resultativ’ in der Bedeutungsstruktur des Verbs immer noch vorhanden ist, wenn auch mangels oberflächensyntaktischer Repräsentanz weniger stark ausgeprägt. Die Bewegungsverben sind gewissermaßen notwendig (inhärent) resultativ; in den spezifischen Verwendungskontexten variiert lediglich die Gewichtung dieses Merkmals.

2.4 Theoretischer ‚Status quo ante’ Wir nehmen an, dass nicht die Transitivität selbst, sondern einzelne der sie begründenden Faktoren, verstanden als Eigenschaften des Verbs in der jeweiligen Verwendungssituation, verantwortlich für die Selektion des Perfektauxiliars sind. Diese einzelnen Faktoren besitzen wiederum selbst eine graduelle Charakteristik. Je nach dem Stärkegrad ihrer jeweiligen Ausprägung besteht eine Affinität eher zu haben oder zu sein. Ein Faktor, der als starker Trigger für das Hilfsverb haben anzusehen ist, ist mit der Eigenschaft ‚Objekthaftigkeit’ resp. ‚Patienshaftigkeit’ der Nicht-Subjektergänzung eines di- oder polyvalenten Verbs in Verbindung zu bringen: Ein Verb, das seiner Objektergänzung die thematische Rolle eines prototypischen Patiens zuweist, selegiert haben. Ein Verb, dessen zweite Stelle durch ein untypisches Patiens besetzt ist oder leer bleibt, hat entsprechend einen schwächeren bzw. gar keinen Impuls, aufgrund dieses Parameters haben zu selegieren.11 Mehr noch: Wenn ein Merkmal als bedingender Faktor für die Auxiliarselektion relevant sein soll, dann muss man bei schwacher oder minimaler Ausprägung des Merkmals von einer Tendenz zum anderen Auxiliar ausgehen.12

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Damit gehen wir davon aus, dass nicht nur eine starke Ausprägung eines Merkmals einen auslösenden Effekt hat, sondern dass ebenfalls das Nicht-Vorhandensein des Merkmals einen Effekt (nämlich den gegenteiligen) ausübt. Die Wirkung eines fehlenden Merkmals muss jedoch als vergleichsweise schwach eingeschätzt werden und kann eventuell durch die Wirkung eines realisierten Merkmals in einem anderen Parameter überlagert werden. M.a.W. je schwächer ausgeprägt ein Merkmal ist, desto eher wird die Wahl von anderen Faktoren beeinflusst. Natürlich gilt Folgendes nur unter der Vernachlässigung des in der Anm. zuvor erwähnten Überlagerungseffektes: Ein Parameter, der bei Merkmalhaltigkeit (maximale Intensität eines Faktors) wie auch bei Merkmallosigkeit (minimale Ausprägung) das gleiche Auxiliar bedingen würde, wäre wie ein Schalter, der das Licht stets nur ‚an‘ sein ließe. Ein solcher Schalter hat wahrscheinlich mit dem untersuchten Phänomen nichts zu tun. Eben diese Schlussfolgerung lässt sich aufgrund der von Shannon gemachten Beobachtung für den Parameter Transitivität ziehen. Transitivität selbst ist allem Anschein nach kein Schalter für haben oder sein.

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Ein weiterer wichtiger Faktor lässt sich als aktionsartlich charakterisieren: Ein resultatives Verb wählt im Perfekt sein. Je weniger resultativ13 das Verb ist, umso eher wird haben gewählt. Damit sind die in dieser Untersuchung im Mittelpunkt stehenden Faktoren benannt: ‚Resultativität’ und ‚Patienshaftigkeit’.14 Sie werden als semantische Merkmale des Verbs in seiner spezifischen Verwendung verstanden und im Folgenden als [+/–result] und [+/– patiens] notiert. Ganz entscheidend für unsere Überlegung ist die Annahme, dass es sich bei diesen Merkmalen um graduell ausgeprägte Verbeigenschaften handelt, dass also neben [+result] und [–result] auch unterschiedliche Abstufungen von [+/–result] existieren. Im Vordergrund steht nun die Frage: Was wissen Kinder über die Distribution der Perfektauxiliare und wie steht dieses Wissen der Kinder in Bezug zu den traditionellen Regelannahmen. Darüber hinaus soll überprüft werden, ob und inwieweit die hier vorgestellten weiterführenden theoretischen Positionen der empirischen Überprüfung standhalten. Dabei richtet sich besonderes Interesse auf die Wirksamkeit der als relevant erachteten Faktoren. Um Näheres herauszufinden, haben wir mit Kindern im Alter von 8 bis 11 Jahren (Klassenstufen 3–5) eine experimentelle Untersuchung durchgeführt.

3. Das Experiment 3.1 Anlage des Experiments Grundlage des Experiments ist ein Fragebogen mit dreißig Testsätzen. Die Testsätze stellen einfache Sätze des Deutschen dar, die ein Perfekttempus implizieren. An der Stelle des auxiliaren Finitums wurde eine Lücke gelassen, z.B.: Peter ______ von Hannover nach Münster gefahren. Aufgabe der Kinder war es, zu entscheiden, ob die Auslassung mit dem Finitum ist oder hat gefüllt werden muss. Es wurden ausschließlich Sätze gewählt, die die 3. Person Sg. voraussetzen, um die Rezeption der Sätze nicht unnötig zu erschweren.

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‚Durativität‘ ist nicht als Antonym zu ‚Resultativität‘ aufzufassen, d.h. es gibt nicht-resultative Verben, die auch nicht-durativ sind (z.B. knallen [es knallt]; oder aufschreien, aufstöhnen). Nur vereinfachungsweise kann also Duration als Merkmal betrachtet werden, das oftmals mit einer haben-Selektion zusammenfällt. Der Grund ist jedoch nicht Duration, sondern mangelnde Resultativität. Für die Untersuchung weiterer möglicher Faktoren wie z.B. Agentivität vgl. Hinze (in Vorb.).

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Die Testsätze ordnen sich zu zehn Tripletts (vgl. dazu Appendix 1a/1b), das sind jeweils drei aufeinander folgende Sätze, die sich um das gleiche Vollverblexem gruppieren. Ein Beispiel: (5a) Peter ________ von Hannover nach Münster gefahren. (5b) Die Busfahrerin ________ 24 Reisegäste sicher nach Köln gefahren. (5c) Der Lkw-Fahrer ________ 12 Stunden ununterbrochen gefahren. In Abschnitt 2.3 wurde kurz auf die Polysemie der Bewegungsverben eingegangen. Ihre semantische ‚Vielseitigkeit’ lässt sie für das Experiment besonders geeignet erscheinen.15 Die kotextuellen Satzelemente sind jeweils so gewählt, dass sie in den Sätzen eines Tripletts unterschiedliche semantische Merkmale des entsprechenden Verbs aktualisieren. In einigen Fällen ist die Prominenz bestimmter (semantischer) Merkmale nur leicht modifiziert worden (vgl. z.B. Resultativität und Durativität in (5a/5c)), in anderen Fällen liegt eine sich auch grundlegend syntaktisch unterscheidende Variante vor (Fortbewegungsverb vs. Transportverb in (5a/5b)). Allen Tripletts gemeinsam ist, dass sich die beiden ersten Sätze durch eine (relativ) eindeutige und jeweils konträre Auxiliarforderung auszeichnen. In jedem Triplett gibt es einen ASatz, der das Einsetzen von ist, und einen B-Satz, der hat erfordert. Damit sollte sichergestellt werden, dass den Versuchspersonen beide Auxiliar-Alternativen bewusst waren. Der C-Satz hingegen ist in jeweils spezifischer Hinsicht problematisch. Für die Kategorisierung der Sätze haben wir uns an gängigen Einstufungen oder normativen Aussagen der Grammatiken und/oder Wörterbücher orientiert (z.B. Deutsches Universalwörterbuch, Duden-Grammatik). Bei den C-Sätzen handelt es sich um Sätze, in denen nach Einschätzung verschiedener Grammatiken die Zuweisung des Perfektauxiliars schwanken sollte oder für die keine verbindliche Vorhersage getroffen wird. Im Vordergrund steht die Frage, ob und in welchem Umfang Kinder der Jahrgangsstufen 3 bis 5 die Auxiliarzuweisung entlang normsprachlicher Vorgaben vornehmen. Die vergleichsweise eindeutigen A- und B-Sätze zielen darauf ab, die Kompetenz der Kinder zu eruieren. Die problematischen CSätze sollen vorrangig ermitteln, wie sich die Kinder bei kontradiktorischen Distributionsfaktoren verhalten, d.h. welche Problemlösungsmuster sie zeigen. Wir erhoffen uns, daraus weitere Rückschlüsse auf das Zusammenspiel der getesteten Faktoren ziehen zu können. 15

Hervorzuheben ist, dass die Bewegungsverben nicht nur in Varianten vorkommen, die sich aktionsartlich unterscheiden, sondern dass sie statt eines Direktionals mit anderen charakteristischen Phrasen kollokieren (z.B. einen Rekord schwimmen/laufen), deren Status valenztheoretisch schwierig einzustufen ist und zwischen Angabe (Adverbial) und Ergänzung (Objekt mit mehr oder weniger patientivischer Eigenschaft) anzusetzen wäre und denen damit unterschiedliche Grade von Objekthaftigkeit resp. Patienshaftigkeit zugesprochen werden kann.

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Jeder Testbogen besteht aus zwei Teilen. Jeweils 5 Tripletts weisen die Satzabfolge A-B-C (= ist-hat-?) auf. In den 5 anderen wurden die Sätze alternativ in der Reihenfolge B-A-C (hat-ist-?) angeordnet. Die Variation soll einem mechanischen Zuweisungsverhalten entgegenwirken. Darüber hinaus sind die Testbögen in zwei Testreihen erstellt worden (im Folgenden ‚TR1’ und ‚TR2’). In TR2 ist die Abfolge der Sätze A und B gegenüber TR1 vertauscht. Wir haben außerdem hinsichtlich der Abfolge der Tripletts eine Randomisierung vorgenommen. Dadurch soll ein Positionseffekt vermieden und sichergestellt werden, dass die Ergebnisse bei den zuletzt abgefragten Sätzen nicht aufgrund einer nachlassenden Konzentration verfälscht werden.

3.2 Durchführung des Experiments Das Experiment wurde mit sechs Schulklassen durchgeführt. Es handelte sich um eine Klasse der dritten sowie um drei Klassen der vierten Jahrgangsstufe der Karl-Söhle-Schule in Hankensbüttel (Landkreis Gifhorn, Niedersachsen) und eine vierte Klasse der Joseph-Schule Warendorf (Nordrhein-Westfalen) sowie eine fünfte Klasse der ebenfalls in Warendorf ansässigen Von-GalenRealschule. Insgesamt haben 136 Schüler an dem Experiment teilgenommen. Für die Auswertung wurden nur diejenigen 114 Schüler mit Deutsch als Muttersprache berücksichtigt, um Interferenzfehler zu verhindern bzw. alle Einflüsse auszuschließen, die sich aus dem DaF-/DaZ-Lernen ergeben könnten. Da die Testkonzeption ein gewisses Maß an Lesekompetenz und Sprachreflexion voraussetzt, wurden Schüler mit erkannten Defiziten in diesem Bereich (dazu genauer unter 5.) aus der Auswertung ausgeschlossen. Es verblieben noch 104 Kinder in der Untersuchung. In keiner der Klassen wurde in den letzten drei Monaten vor dem Test Unterricht durchgeführt, der sich mit den Regeln zur Perfektbildung beschäftigte. Alle Kinder kannten aber die Wortart Verb und beherrschten die Bildungsweise der Tempora Präsens, Perfekt, Präteritum und Plusquamperfekt. Die Testbögen wurden so verteilt, dass nach Möglichkeit benachbart sitzende Schüler unterschiedliche Reihenfolgen der Tripletts erhielten. Dann wurde mit den Schülern gemeinsam die Testinstruktion gelesen. Zur Überprüfung des Verständnisses der Aufgabenstellung schließt die Erklärung mit zwei einfachen Beispielsätzen, die die Schüler kurz selbstständig ergänzen sollten (hat… gearbeitet/ist… eingeschlafen). Das Ergebnis wurde unmittelbar danach noch einmal gemeinsam verglichen. Bei diesen Beispielen gab es in keiner Klasse irgendwelche Schwierigkeiten. Den Schülern wurde explizit beliebig viel Zeit für die Bearbeitung der Aufgabe eingeräumt. Im Durchschnitt lag die Bearbeitungszeit bei etwa 10–13 Minuten. Die Schüler wurden gebeten, eine Entscheidung, die sie einmal getroffen hatten, beizubehalten. Einige

Was wissen Grundschüler über die Perfektauxiliare haben und sein?

107

wenige Schüler, die von der Lehrerin in jedem Fall als besonders leistungsstark eingeschätzt wurden, bemerkten, dass in einigen Sätzen ist bzw. hat gleichwertig möglich seien. Diese Schüler wurden gebeten, ihre Präferenz einzutragen. Wenn sie sich gar nicht entscheiden konnten, durften auch beide Auxiliare genannt werden. Von dieser Möglichkeit wurde nur viermal Gebrauch gemacht.

4. Erwartungen und Hypothesen Wir nehmen an, dass die Zuweisung des Auxiliars sich nach einem Bündel von vorwiegend semantischen Merkmalen der jeweiligen Verb- und Satzbedeutung richtet. Über die Zuweisung des einen oder anderen Auxiliars entscheidet nicht allein das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen eines spezifischen Merkmals in der Bedeutungsstruktur eines Verbs, sondern die quantitative Ausprägung dieses Merkmals in der kontextuell aktualisierten Verbbedeutung (vgl. genauer auch Kap. 2.2). Schwierigkeiten ergeben sich bei uneindeutiger oder widersprüchlicher Ausprägung der relevanten Merkmale. Dies gilt in besonderem Maße für die meisten von uns als C-Sätze gestalteten Zweifelsfälle. Wir gehen davon aus, dass die Schüler in den normsprachlich unstrittigen Fällen (der überwiegende Anteil der A- und B-Sätze) vergleichsweise wenig Schwierigkeiten haben werden. Die Schüler sollten sich in diesen Fällen weitgehend homogen verhalten. Allerdings sind nicht alle A- und B-Sätze gleichermaßen eindeutig. So haben wir einen Satz wie Der Läufer ___ einen Marathon gelaufen aufgrund der prominentesten Regel, wonach transitive Verben das Perfekt mit haben bilden, zwar den B-Sätzen zugeschlagen, allerdings sind hier durchaus Abweichungen zu erwarten. Die Phrase einen Marathon laufen weist nämlich Eigenschaften einer lexikalisierten verbalen Fügung auf wie Wache halten, einen Purzelbaum schlagen etc. Charakteristisch für diese Wendungen ist die Inkorporierung der eigentlichen Objekt-NP. In dem Maße, wie die an der Fügung beteiligte NP nicht als Objekt-Ergänzung aufzufassen ist, sondern als lexikalischer Prädikatsteil, verliert sich auch ihre Eigenschaft der Patienshaftigkeit. Die Interpretation der diesem Satz zugrunde liegenden Verbalphrase ist zumindest nicht ganz eindeutig: Selbst wenn man die vorliegende Verwendung des Verbs laufen als zweiwertig analysieren würde, ist die Patienshaftigkeit der Objekt-NP nur bedingt gegeben.16 16

So handelt es sich z.B. bei der Objekt-NP einen Marathon nicht um eine affizierte Größe. Die Streckenangaben bei Bewegungsverben stellen unabhängig vom Kasus

108

Christian Hinze / Klaus-Michael Köpcke

Zum anderen ist die NP einen Marathon eine Spezifizierung der dem Bewegungsverb inhärenten resultativen Charakteristik, die normalerweise als Direktional realisiert wird. Der ‚Marathon’ ist eine spezielle Streckenangabe (er läuft einen Marathon/eine Strecke von 42,195 km), die semantisch eine Erstreckung von X nach Y substituieren kann (er läuft [die Strecke=] von Ummern nach Wesendorf). In dieser Hinsicht weist die Akk-NP Ähnlichkeiten zum sog. ‚inneren Objekt’ auf wie z.B. einen schweren Gang gehen; einen süßen Traum träumen (vgl. Bausewein 1990: 32ff., 73ff.; Helbig und Buscha 1996: 288). Das innere Objekt pointiert einen spezifischen Aspekt der dem Verb ohnehin innewohnenden Bedeutung, wobei ihm normalerweise obligatorisch ein weiteres sprachliches Element zugeordnet ist, das zusätzliche Information beiträgt (schlafen  *einen Schlaf schlafen  einen gesunden Schlaf schlafen). Bei Verben mit innerem Objekt handelt es sich typischerweise um intransitive, einwertige Verben.17 Im Gegensatz zu den zuvor angesprochenen Lexikalisierungen vom Typ Wache halten wirkt die Verwendung eines inneren Objekts wie eine semantische Auslagerung. Statt von einer Inkorporierung könnte gewissermaßen von einer Exkorporierung eines Objekts gesprochen werden. Die damit angesprochene Richtung der Bedeutungsmodifikation ist für die Frage der Auxiliarzuweisung durchaus relevant. Der Ausgangspunkt der Betrachtung ist das Bewegungsverb laufen, das sein Perfekt (vereinfacht betrachtet: aufgrund seiner inhärenten Resultativität) mit sein bildet.18 Die Verwendung dieses Verbs steht nun aber auch in einem (bedingt) patientiven Zusammenhang (ein Marathon wird gelaufen) und damit ist ein wichtiger Distributionsfaktor für das Auxiliar haben erfüllt. Wir vermuten, dass daher ein gewisser Prozentsatz an Sprechern abweicht und sich für ha-

17

18

in der Regel keine affizierte Größen dar (Ausnahmen vielleicht: etw. abfahren, etw. abgehen). Affiziertheit aber kann als wesentliches Kriterium für die Patienshaftigkeit/Objekthaftigkeit eines Ausdrucks betrachtet werden. Eine patientive Bedeutungskomponente erhält das Bewegungsverb in der Verwendung als Transportverb: Die Busfahrerin ___ 24 Reisegäste sicher nach Köln gefahren. Hier werden die Reisegäste affiziert, da sich ihr Aufenthaltsort verändert. Für diesen Fall ist eine hohe Zuweisungsfrequenz des Auxiliars haben zu erwarten. Für die Verwendung transitiver Verben mit innerem Objekt (z.B. einen fürchterlichen Schlag schlagen) vgl. Bausewein (1990: 75f.). Grundlage der ‚inhärenten Resultativität‘ ist die Bedeutungskomponente ‚Direktional‘, die ein Verb erst zu einem Fortbewegungsverb macht. Die explizite Realisierung des Direktionals spezifiziert lediglich die im Verb angelegte Bedeutung. Wird diese Verwendung usuell wie z.B. beim Typ BW-Verb + Streckenangabe (‚einen Marathon‘), dann ist die ‚Exkorporierung‘ abgeschlossen. Da die Exkorporierung auf der Basis eines Verbs mit sein-Perfekt beruht, ergibt sich für das neue Gesamtlexem die Tendenz, das Perfekt weiterhin mit sein zu bilden, denn in der exkorporierten Verwendung schwingt die ursprüngliche Bedeutungskomponente [+result] noch mit.

Was wissen Grundschüler über die Perfektauxiliare haben und sein?

109

ben entscheidet. Die Bedingtheit der patientiven Charakteristik19 ist nun maßgeblich dafür verantwortlich, wenn sich kein völliger Wechsel im Zuweisungsverhalten der Sprecher ergibt. Bei Transportverben hingegen (jmd. fährt/fliegt A nach X) ist aufgrund der Eindeutigkeit der patientiven Charakteristik nahezu eine zum Bewegungsverb konträre Auxiliarzuweisung zu erwarten. Unsere Erwartungen lassen sich im Wesentlichen in vier Punkten zusammenfassen: 1. Die semantischen Merkmale Resultativität und Patientivität (Patienshaftigkeit), aufgefasst als Eigenschaften des Verbs in seiner spezifischen Verwendung im Satz, sind in besonderer Weise für die Zuweisung der Auxiliare verantwortlich. Ein eindeutig resultatives, nicht patientives Verb selegiert sein, ein eindeutig patientives (typischerweise transitives) Verb haben.20 2. Wir gehen davon aus, dass das Zuweisungsverhalten von Sprechern des Deutschen heterogen ist, wenn die Merkmalscharakteristik des Verbs uneindeutig oder in Hinsicht auf die relevanten Parameter widersprüchlich ist. Wir nehmen, je nach Parameterlage, graduelle Abstufungen an. 3. Die Zuweisungshäufigkeit eines Auxiliars korreliert mit der Intensität des bedingenden Faktors: In einigen Fällen sind die Beispiele so gewählt, dass sich die Ausgeprägtheit eines Parameters in Bezug auf verschiedene Beispielsätze als stärker oder schwächer bestimmen lässt. Dabei erwarten wir einen signifikanten Einfluss auf die Zuweisungshäufigkeit bzgl. des mit dem Faktor assoziierten Auxiliars. Bei den Verben, die durch Kontextelemente zu einer von der reinen Fortbewegungsbedeutung (resultativ  sein) abweichend aktualisierten Merkmalsausprägung modifiziert werden (z.B. (nach Hause) laufen  einen Marathon laufen [patientiv  haben]), sollte sich dies im Zuweisungsverhalten der Schüler niederschlagen. Diese Abweichung sollte umso stärker sein, je eindeutiger das relevante Merkmal ausfällt (nach Hause fahren [–patientiv]/Ferrari fahren [minimal patientiv (und nicht resultativ)]/einen roten Ferrari fahren [+/–patientiv]).21 Wenn sich diese Erwartung bestätigt, könnte das als deutliches Indiz für den korrelativen Zusammenhang zwischen der Aus19

20

21

So ist die Phrase zwar passivfähig (ein Marathon wird gelaufen), von Affiziertheit im eigentlichen Sinne aber kann nicht gesprochen werden. Ein eindeutig patientives Verb liegt u.E. dann vor, wenn das Verb einer Objektergänzung die Rolle Patiens zuweist. Die Phrase ‚Ferrari fahren‘ (Ich bin schon einmal Ferrari gefahren) trägt idiomatische Züge. Analog zu ‚Auto‘ in Auto fahren hat ‚Ferrari‘ kaum Objekteigenschaften ( geringe Patienshaftigkeit). Im Gegensatz dazu ist die Phrase ‚einen roten Ferrari fahren‘ aufgrund der Referentialität etwas deutlicher patienshaft (eine ‚Affizierung‘ des Ferraris ist zu einem gewissen Grad gegeben).

110

Christian Hinze / Klaus-Michael Köpcke

prägung und der damit verbundenen Intensität eines Parameters und der Zuweisungswahrscheinlichkeit für eines der Auxiliare angesehen werden. 4. Die erhobenen Daten sollten Anzeichen für eine Progression in Abhängigkeit vom Alter der Versuchspersonen widerspiegeln. Während wir davon ausgehen, dass bei eindeutiger Parameterlage auch die jüngeren Lerngruppen bereits ein weitgehend homogenes Zuweisungsverhalten zeigen, erwarten wir, dass die Sicherheit im Umgang mit den nur relativ eindeutigen Fällen der A- und B-Sätze in Bezug auf das jeweils prognostizierte Auxiliar von Klasse 3 bis 5 noch zunehmen wird. Im Gegenzug erwarten wir einen Rückgang der Abweichungshäufigkeit in den höheren Klassenstufen in Bezug auf die normgrammatischen Vorgaben. In Hinsicht auf die von uns von vornherein als uneindeutig eingeplanten Fälle (die meisten C-Sätze) lassen sich zunächst keine Aussagen über eine mögliche Progression treffen. Wir erwarteten, dass in einigen dieser Fälle das Zuweisungsverhalten unabhängig vom Alter heterogen bleiben wird. Im Appendix 1 findet sich eine Liste aller getesteten Sätze. Die Testsätze sind zu Gruppen zusammengestellt, die eine ähnliche Konstellation der getesteten Parameter repräsentieren. Wir ordnen der jeweiligen Merkmalscharakteristik, soweit möglich, eine an den Grammatiken oder Wörterbüchern orientierte präskriptive Auxiliarzuweisung zu, die als Standarderwartung eine Richtschnur darstellt. Für die C-Sätze wird dies nur in den Fällen vorgenommen, wo in den Grammatiken ein expliziter Normierungsvorschlag ausfindig gemacht werden kann. In der rechten Spalte ist auch unsere Erwartung verzeichnet, die an einigen Stellen von der Präskription abweicht bzw. die Regelerwartung differenziert zugunsten eines Zuweisungsverhaltens, das nach den hier vertretenen Annahmen vorausgesagt werden kann. Sind dort beide Auxiliare benannt und durch einen Schrägstrich getrennt, gehen wir von einer ausgewogenen Verteilung der Auxiliare aus (bis zu einem Verhältnis von 69%:31%). Ist eines der Auxiliare in Klammern verzeichnet, soll dies ausdrücken, dass wir eine gewisse Häufigkeit dieses Auxiliars prognostizieren (>5%), wobei jedoch die Zuweisungshäufigkeit des anderen Auxiliars deutlich überwiegt (≥70%).22

22

Diese Zuweisungsprognosen sind nicht speziell auf die (ja erst noch zu ermittelnden) Kompetenzen der Schulkinder zugeschnitten, sondern gelten auf der Basis unserer theoretischen Grundannahmen allgemein und würden von uns in gleicher Weise für einen Test mit erwachsenen Sprechern angesetzt.

Was wissen Grundschüler über die Perfektauxiliare haben und sein?

111

5. Ergebnisse des Experiments Wir haben zwei Kriterien angesetzt, nach denen ein Testbogen gewertet werden konnte. Maßgeblich war zum einen die Anzahl der Abweichungen eines Probanden in den Standardsätzen A und B gegenüber den Präskriptionen der Grammatiken, zum anderen die individuelle Zuweisungshäufigkeit der beiden Auxiliare. Dies muss kurz erläutert werden. Die Lesekompetenz der Schüler stellt eine konzeptionelle Grundbedingung des Tests dar. Schüler, die nach Einschätzung der Lehrkräfte in dieser Hinsicht Schwierigkeiten zeigten, fielen dadurch auf, dass sie überdurchschnittlich häufig sein zugewiesen haben, mit einer relativen Häufigkeit von 82% und mehr. Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, Probanden mit mehr als 82% sein-Zuweisungen von der Auswertung auszuschließen. Die Grenze der zulässigen Abweichungen in den 20 Standardsätzen haben wir bei 9 angesetzt. Für Schüler, die hinsichtlich der Präskription häufiger abweichen, können Rezeptionsschwierigkeiten nicht ausgeschlossen werden. Das Zuweisungsverhalten könnte dann ebenso gut auf Zufallsentscheidungen basieren oder sich nach einer anderen, in jedem Fall aber inadäquaten Strategie richten, was die Brauchbarkeit der Daten für die Auswertung der C-Sätze entschieden herabsetzen würde. Die Auswertung gerade der C-Sätze ist nur dann aussagekräftig, wenn die Probanden zumindest in Ansätzen ein an der Zielkompetenz ausgerichtetes Konzept entwickelt haben: Denn Rückschlüsse auf ein anhand der C-Sätze besonders gefordertes Problemlösungsverhalten lassen sich nur ziehen, wenn vorausgesetzt werden darf, dass die Kinder überhaupt eine Strategie verfolgen. Wenn hingegen schon in den Standardfällen unsystematisch vorgegangen werden würde, dann ist natürlich auch das Zuweisungsverhalten in Bezug auf die besonders interessierenden C-Sätze nicht aussagekräftig. Analoges gilt für den Fall, dass ein Kind bei der Wahl der Perfektauxiliare eine lexikalische Strategie verfolgt (auch dann hätte es gegenüber den Präskriptionen ebenfalls 10 Abweichungen produziert, denn es würde in jedem der zehn Tripletts einmal gegen die Normerwartung verstoßen), wiederum wären an den C-Sätzen keine weiterführenden Ergebnisse zu gewinnen. – Insgesamt gingen unter diesen Bedingungen 104 Testbögen in die Auswertung ein. Tab. 1 fasst die Ergebnisse zusammen. Die Sätze sind dort in ihrer ursprünglichen Triplettabfolge gelistet. In den Zellen finden sich die Zuweisungshäufigkeiten in absoluten und in relativen Zahlen getrennt nach Klassenstufen sowie über alle Schüler. Insgesamt wurde von den Schülern 1126-mal die Form hat zugewiesen und 1988-mal ist. Das entspricht einer relativen Häufigkeit von 36,16% (haben) zu 63,84% (sein). In vier Fällen wurden sowohl hat als auch ist als ‚gleichwertig möglich’ angegeben; diese Entscheidungen werden in der Tab. 1 nicht mitgezählt.

112

Sätze in Triplettabfolge 1. Peter __ von Hannover nach Münster gefahren. 2. Die Busfahrerin __ 24 Reisegäste sicher nach K. gefahren. 3. Der LKW-Fahrer __ 12 Sunden ununterbrochen gefahren. 4. Familie Müller __ in den Süden geflogen. 5. Der Pilot __ die Hilfsgüter nach Indien geflogen. 6. Als H. noch seinen Flugschein hatte, __ er oft selbst geflogen. 7. Jannis __ von einem Beckenrand zum anderen geschwommen. 8. Franziska __ ihre Konkurrenten müde geschwommen. 9. Melina __ früher jeden Tag eine Stunde lang geschwommen. 10. Uwe __ nach Hause gelaufen. 11. Der Räuber __ seine Verfolger müde gelaufen, 12. Kevin __ früher täglich eine Stunde lang gelaufen. 13. Irene _ aus dem Zimmer gehumpelt. 14. Nach seinem Unfall __ er zwei Monate lang gehumpelt. 15. Der Großvater __ mehrere Kilometer gehumpelt. 16. Der Millionär __ einen roten Ferrari gefahren. 17. M. Schumacher __ die Strecke auch bei Regen gefahren.

Christian Hinze / Klaus-Michael Köpcke alle Schüler (104) hat ist 1 103 1% 99%

Klasse 3 (17)

hat

1 6%

ist 16 94%

Klasse 4 (67)

hat

0 0%

ist 67 100%

Klasse 5 (20)

hat

0 0%

ist 20 100%

101 97%

3 3%

16 94%

1 6%

65 97%

2 3%

20 100%

0 0%

10 10%

94 90%

2 12%

15 88%

7 10%

60 90%

1 5%

19 95%

1 1% 93 89%

103 99% 11 11%

0 0% 16 94%

17 100% 1 6%

1 1% 59 88%

66 99% 8 12%

0 0% 18 90%

20 100% 2 10%

5 5%

98 95%

1 6%

15 94%

4 6%

63 94%

0 0%

20 100%

5 5%

99 95%

1 6%

16 94%

3 4%

64 96%

1 5%

19 95%

85 83%

18 17%

10 63%

6 38%

58 87%

9 13%

17 85%

3 15%

34 33%

70 67%

7 41%

10 59%

22 33%

45 67%

5 25%

15 75%

1 1% 96 92% 14 13%

103 99% 8 8% 90 87%

0 0% 14 82% 4 24%

0 100% 3 18% 13 76%

1 1% 62 93% 7 10%

66 99% 5 7% 60 90%

0 0% 20 100% 3 15%

20 100% 0 0% 17 85%

1 1% 53 51%

103 99% 50 49%

1 6% 6 35%

1 94% 11 65%

0 0% 36 54%

67 100% 30 46%

0 0% 11 55%

20 100% 9 45%

26 26%

77 74%

4 24%

13 76%

14 22%

52 78%

8 40%

12 60%

68 65%

36 35%

13 76%

4 24%

46 69%

21 31%

9 45%

11 55%

17 17%

86 83%

2 12%

15 88%

12 19%

54 81%

3 15%

17 85%

113

Was wissen Grundschüler über die Perfektauxiliare haben und sein?

Sätze in Triplettabfolge 18. Der Rennfahrer __ fünf Jahre lang Ferrari gefahren. 19. Der Pilot __ schon einmal selbst ein Sportflugzeug geflogen. 20. Der Pilot __ wegen des schlechten Wetters e. Umweg geflogen. 21. Der Pilot __ jahrelang Airbus geflogen. 22. Franziska __ einen guten Wettkampf geschwommen. 23. Franziska __ heute eine Strecke von 1000 m geschwommen. 24. Franziska __ früher oft Wettkämpfe geschwommen. 25. Der Läufer __ einen Marathon gelaufen. 26. Der Läufer __ einen Umweg von 2 km gelaufen. 27. Der Läufer __ früher häufig Marathon gelaufen. 28. Patrick __ früher sehr gerne getanzt. 29. Patrick __ mit seiner Partnerin durch den Saal getanzt. 30. Patrick __ mit seiner P. durch den ganzen Saal Tango getanzt. Durchschnitt haben/sein

alle Schüler (104) hat ist 31 72 30% 70%

Klasse 3 (17)

hat

Klasse 4 (67)

Klasse 5 (20)

ist 13 76%

hat 23 35%

ist 43 65%

hat

4 24%

4 20%

ist 16 80%

51 49%

53 51%

11 65%

6 35%

29 43%

38 57%

11 55%

9 45%

20 19%

84 81%

5 29%

12 71%

14 21%

53 79%

1 5%

19 95%

38 37% 47 45%

66 63% 57 55%

4 24% 9 53%

13 76% 8 47%

27 40% 25 37%

40 60% 42 63%

7 35% 13 65%

13 65% 7 35%

26 25%

78 75%

5 29%

12 71%

15 22%

52 78%

6 30%

14 70%

43 41%

61 59%

6 35%

11 65%

25 37%

42 63%

12 60%

8 40%

32 31% 24 23%

72 69% 80 77%

5 29% 4 24%

12 71% 13 76%

19 28% 17 25%

48 72% 50 75%

8 40% 3 15%

12 60% 17 85%

33 32%

71 68%

5 29%

12 71%

20 30%

47 70%

8 40%

12 60%

96 92% 26 25%

8 8% 78 75%

15 88% 5 29%

2 12% 12 71%

62 93% 16 24%

5 7% 51 76%

19 95% 5 25%

1 5% 15 75%

48 46%

56 54%

7 41%

10 59%

28 42%

39 58%

13 65%

7 35%

36,16 %

63,84 %

36,02 %

63,98 %

35,77 %

64,23 %

37,67 %

62,33 %

Tab. 1: Zuweisungsverhalten der Schüler, absolute und relative Zahlen

Es ist bemerkenswert, dass sein auch dann sehr häufig gewählt wurde, wenn eigentlich haben vorgeschrieben wird (vgl. z.B. Tab. 1 Satz 17/20/23/27 und Satz 29), sowie dass sich Probanden in Fällen, in denen beide Auxiliare möglich scheinen, deutlich häufiger für sein entscheiden (vgl. etwa die C-Sätze: 21/24/30). Dies ist insofern interessant, als dass das Hilfsverb haben gemeinhin als der unmarkierte Fall gilt (vgl. z.B. Eisenberg 1999: 109). Unter die-

114

Christian Hinze / Klaus-Michael Köpcke

sem Gesichtspunkt wäre also zu erwarten, dass in Zweifelsfällen bzw. bei einer Uneindeutigkeit der unmarkierte Fall gewinnt und haben infolgedessen viel frequenter hätte sein müssen. Bemerkenswert ist u.E. auch die Beobachtung, dass der Anteil der nicht zu wertenden Probanden über die von uns untersuchten Jahrgangsstufen kontinuierlich abnimmt. Während in der 3. Klasse 4 von 17 muttersprachlich Deutsch sprechenden Schülern (= 19,1%) in mehr als 82% der Fälle (nur Standardsätze gezählt) das Auxiliar sein zugewiesen hat und nach unseren Kriterien nicht gewertet werden konnte, gab es in der 4. Jahrgangsstufe 6 derartige Fälle (d.h. bei 73 Schülern lediglich ca. 8,2%). In der 5.Klasse der Realschule war von dem Ausschlusskriterium kein Proband mehr betroffen. Dieser Befund deutet daraufhin, dass in der von uns untersuchten Altersgruppe zumindest für den untersuchten grammatischen Bereich die Sprachkompetenz mit zunehmendem Alter noch weiter ausdifferenziert wird. Durchschnittlich weichen die Schüler bei den A- und B-Sätzen in 4,18 Fällen von der Präskription ab, das sind knapp 21% der zuvor als eindeutig klassifizierten Sätze, was als ein deutlicher Indikator für den Problemwert des untersuchten grammatischen Phänomens gelesen werden kann.

6. Diskussion der Ergebnisse In Tab. 2 werden alle hinsichtlich der abgefragten Parameter zusammengehörenden Sätze (vgl. auch App. 1a/b) zusammengefasst und in Bezug auf die Auxiliarzuweisung getrennt nach Klassenstufen ausgewertet. Die Zuweisungstendenz ist lediglich in zwei Fällen (nahezu) eindeutig, und zwar in dem prototypisch resultativen Bewegungsverbkontext (A1) und in dem prototypisch transitiven/patientiven Kontext (B1). Sätze vom Typ A2 (Franziska ___ heute eine Strecke von 1000 m geschwommen) zeichnen sich dadurch aus, dass der zurückgelegte Weg nicht als präpositionale Direktionalphrase realisiert wird, sondern als Erstreckungsergänzung im Akkusativ (Ying 1988: 221). In dem Maße, wie dieser Akkusativ auch semantisch Ähnlichkeiten zu einem affizierten Objekt aufweist, kann das Verb als bedingt patientiv gelesen werden.

115

Was wissen Grundschüler über die Perfektauxiliare haben und sein? Kategorisierung (getestete Sätze)

Beispielsatz

A1 (6 Sätze)

Peter __ von Hannover nach Münster gefahren. Franziska __ heute eine Strecke von 1000 m geschwommen. Der Pilot __ die Hilfsgüter nach Indien geflogen. Der Millionär __ einen roten Ferrari gefahren. Nach seinem Unfall __ er zwei Monate lang gehumpelt. Melina __ früher jeden Tag eine Stunde lang geschwommen. Der Großvater __ mehrere Kilometer gehumpelt. Der Rennfahrer __ fünf Jahre lang Ferrari gefahren. Patrick __ mit seiner Partnerin durch den ganzen Saal Tango getanzt.

A2 (4 Sätze)

B1 (4 Sätze)

B2 (4 Sätze)

B3 (2 Sätze)

C1 (4 Sätze)

C2 (1 Satz)

C3 (4 Sätze)

C4 (1 Satz)

Anteil haben/sein

3. Klasse

4. Klassen

5. Klasse

8%/92%

5%/95%

5%/95%

24%/77%

22%/78%

16%/84%

83%/17%

91%/9%

94%/6%

56%/44%

44%/56%

51%/49%

62%/39%

74%/27%

75%/25%

21%/79%

15%/85%

11%/89%

24%/76%

22%/78%

40%/60%

28%/72%

36%/65%

39%/61%

41%/59%

42%/58%

65%/35%

Tab. 2: Ergebnisse in Bezug auf die Kategorien der Beispielsätze und in Abhängigkeit von den Klassenstufen

Schwierig ist die Interpretation der Ergebnisse für die beiden Sätze der Kategorie B3. Im Zentrum dieser Sätze stehen die beiden Verben tanzen und humpeln (vgl. App. 1a), die in unterschiedlichem Grade untypische Bewegungsverben sind; humpeln ist ein ‚MANNER-of-Motion-Verb’ (Levin und Rappaport Hovav 1992), das auf die Modalität der Bewegung stärker fokussiert als auf die Direktionalität und tanzen wird genuin eigentlich nicht zum Ausdruck einer Fortbewegung verwendet, sondern für eine Aktivität. Beiden Verben ist eine Nähe zu typischen nicht-resultativen, agentiven Handlungsverben zueigen, wobei tanzen sicher vom Prototyp eines Fortbewegungsverbs weiter entfernt ist als humpeln. Ihre Nicht-Resultativität (vereinfacht oft: ‚Durativität’) ist ein starkes Movens für die Zuweisung von haben. Gleichzeitig ist jedoch in Abhängigkeit vom aktualisierten Bedeutungsanteil der Fortbewegung (und damit der Ausprägung an ‚Resultativität’) ein auslösender Faktor für die Zuweisung von sein gegeben. In der als haben-Satztyp angesetzten Kategorie B3 ergibt sich aufgrund des Bewegungsverbszenarios eine deutliche Abweichungstendenz zugunsten von sein. Sie fällt für das bewegungsverbtypischere humpeln (trotz durativierender Kotextelemente) signifikant stärker aus (49% sein) als im Falle von tanzen (8% sein).23 23

Gemessen über alle Jahrgangsstufen. Vgl. die Angaben zu Satz 14 und Satz 28 in Tab. 1. Diese Daten sprechen dafür, diese Sätze doch nicht der gleichen Kategorie

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Bereits in diesen Beispielen deutet sich eine Bestätigung unserer Grundannahmen an, wonach die Ausprägung eines Parameters sowie die spezifische Faktorenkonstellation die Auxiliarwahl des Sprechers beeinflussen. Wir haben im Folgenden die Satzkategorien hinsichtlich der Ausgeprägtheit (= stark-mittel-schwach) der relevanten Parameter geordnet und mit den Auxiliarhäufigkeiten korreliert. Daraus ergeben sich zwei Kontinua, je eines in Hinsicht auf die beiden Parameter Patientivität (vgl. Appendix 2a) und Resultativität (Appendix 2b). Die Anordnung der Satztypen, d.h. insbesondere die Abstufung der Intensitiät der relevanten Merkmale, soll im Folgenden kurz dargestellt und begründet werden. Kontinuum 1: Direktionalität vs. Patientivität (Transitivität), vgl. App. 2a 1.a. In beiden Kontinua bilden die Sätze vom Typ A1 mit Verben in prototypischem Fortbewegungskontext den linken Pol. 1.b. Im Kontinuum 2a gehen wir davon aus, dass der Grad an Patienshaftigkeit in dem Maße zunimmt, wie der direktionale Charakter der Ergänzungen abnimmt (A1 vs. A2). 1.c. Solange Direktionalität nachweisbar ist, ist von einem geringeren Grad an Patienshaftigkeit auszugehen als in Fällen mit akkusativischer Ergänzung (C3/B2/B1). Diese Fälle ordnen sich nach dem Grad der Affiziertheit: Die Verben, wie sie die Sätze des Typs B1 begründen, in denen das Patiens explizit einen Ortswechsel vollzieht, sind am stärksten patientiv und stehen infolgedessen am rechten Pol des Kontinuums. 1.d. Die in dieser Hinsicht weniger patientiven Sätze B2 und C3 lassen sich nach dem Grad der Individuiertheit trennen, wie es als Transitivitätskriterium von Hopper und Thompson (1980) vorgeschlagen wurde. Wir gehen in Anlehnung an Hopper und Thompson davon aus, dass indefinite NPs in der Art Ferrari fahren, Airbus fliegen oder auch pluralisch: Wettkämpfe schwimmen weniger transitiv resp. weniger objekttypisch und letztlich auch weniger patientiv sind als definite oder indefinite, aber näher bestimmte Objekt-NPs (etwa: einen guten Wettkampf schwimmen/einen roten Ferrari fahren). Daraus folgt, dass B2 dem rechten, patientiven Pol näher steht und C3 in die mittlere Position rückt.24

24

zuzuordnen. Die Verwendung des Verbs tanzen in Patrick ___ früher sehr gerne getanzt weist, anders als humpeln in Nach seinem Unfall ___ er zwei Monate lang gehumpelt, einen so geringen Grad an Fortbewegungscharakteristik auf, dass es eigenständig am anderen Pol des Bewegungsverbkontinuums zu verorten wäre. In Appendix 2b haben wir die Werte, wie sie sich ausschließlich für tanzen in Satz 28 ergeben, in eckigen Klammern, quasi im Sinne eines Kategorientyps B3’ ergänzt. Zu berücksichtigen ist, dass diese Positionierung eine relative ist, d.h. C3 nimmt unter den hier konfigurierten Satztypen zwar eine mittlere Position ein, dies sagt

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Kontinuum 2: Resultativität vs. Nicht-Resultativ. (Durativität), vgl. App. 2b 2.a. Auch im zweiten Kontinuum bilden die Verben in dem prototypischen Fortbewegungsszenario (Verwendung mit Direktional) den linken Rand des bipolaren Kontinuums. In Hinsicht auf das zweite Kontinuum, vgl. Appendix 2b, gehen wir davon aus, dass bei prototypischer Bewegungsverbverwendung (mit Direktional) in Sätzen der Kategorie A1 maximale Resultativität vorliegt. 2.b. Der Grad an Resultativität schwächt sich ab, wenn statt auf die Distanzüberwindung auf die Dauer der Handlung resp. Fortbewegung fokussiert wird, wie es in Sätzen der Kategorie C1 der Fall ist. 2.c. Die Resultativität ist am schwächsten ausgeprägt bei Verben, die durativ, aber weitgehend oder völlig außerhalb eines Fortbewegungskontextes verwendet werden. Dies ist bei den Verben humpeln und tanzen in B3 der Fall. Die durch sie begründeten Sätze der Kategorie B3 stehen dem nichtresultativen/durativen Gegenpol des Kontinuums sehr nahe. 2.d. Etwas problematisch ist die Einstufung der Sätze Der Großvater ___ mehrere Kilometer gehumpelt (C2) und Patrick ___ mit seiner Partnerin durch den ganzen Saal Tango getanzt (C4). Im ersten Fall kann der Status der Adverbialangabe ähnlich wie bei der Streckenergänzung in Frage gestellt werden (mehrere Kilometer = ‚eine Strecke von mehreren Kilometern’). Die Verbverwendung kann als bedingt resultativ interpretiert werden, andererseits kann das Adverbial auch als Ausdruck der Dauer (oder Ausdauer) verstanden werden (mehrere Kilometer =‚während der Strecke von mehreren Kilometern’). Diese Ambiguität ist letztlich ohne kommunikative Relevanz und muss auch gar nicht aufgelöst werden, sie hat aber doch einen Effekt. Einige der Schüler haben in diesem Fall (und zwar eher noch als bei Satz 14 [B3]) sein gewählt. Der Beispielsatz C4 ist hinsichtlich der Parameterlage mehrdeutig und widersprüchlich: Im Zentrum des Satzes steht ein agentives Handlungsverb, dass eine nichtresultative Handlungssituation konstituiert (‚Tango tanzen’). Dieses Handlungsverb wird mit einem Direktional zugleich wie ein Fortbewegungsverb verwendet und erhält eine resultative Komponente. Verben bzw. Sätze, die sich in dieser Art durch eine nicht vollständig auflösbare Ambiguität auszeichnen, stehen gewissermaßen mitten im Spannungsfeld und sollten entsprechend zwischen den Polen verortet sein. Die Differenzierung der relevanten Faktoren in Bezug auf C2 und C4 jedoch nichts über die konkret zu erwartenden Auxiliarhäufigkeiten aus. Lediglich eine relative Zuweisungshäufigkeit ist prognostizierbar, und zwar muss das Auftreten eines Auxiliars auf einer Seite des Kontinuums am häufigsten sein und über die verschiedenen Satztypen bis zum anderen Pol kontinuierlich abnehmen, für das andere Auxiliar gilt das Gleiche nur seitenverkehrt.

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ist schwierig; wir gehen davon aus, dass das Bewegungsverbszenario in C2 nach der hier vorgenommenen Analyse eindeutiger (und damit stärker resultativ) ist und dieser Satztyp eher nach links in Richtung auf den resultativen Prototyp hin anzuordnen ist.25 Diese Anordnung steht außerdem im Einklang mit der schon bei der Besprechung der Sätze B3/B3’ für die Verben humpeln und tanzen angestellten Überlegung, wonach humpeln als ‚MANNER-of-Motion-Verb’ dem Prototyp eines Fortbewegungsverbs näher steht als das nicht obligatorisch eine Fortbewgung implizierende tanzen, das mit einem Direktional wie in C4 quasi zweckentfremdet wird. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Anordnung der Satztypen wie in (6), wobei die Ausprägung des jeweiligen Parameters nach rechts hin abnimmt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Sätze einer Satzkategorie nicht grundsätzlich völlig gleich zu behandeln sind, sondern eventuell hinsichtlich der Abbildung des relevanten Parameters weiter differenziert werden könnten. Die Gliederung auf Basis der Satztypen gruppiert nur Ähnliches, ist aber notwendigerweise künstlich. (6a) Kontinuum 1 (Patientivität): Satztypen A1 – A2 (C2) – C3 – B2 – B1 (6b) Kontinuum 2 (Resultativität): Satztypen A1 – C1 – C2 – C4 – B3 (–B3’) Korreliert man nun die auf diese Weise hergeleitete Anordnung mit den Zuweisungshäufigkeiten von haben resp. sein ergeben sich deutliche Übereinstimmungen, vgl. Appendizes 2a und 2b. Ausgehend vom resultativen resp. nicht-patientiven Pol mit maximaler sein-Frequenz (linker Rand) nimmt die sein-Zuweisungshäufigkeit kontinuierlich ab, so wie die von haben zunimmt. Auf der Gegenseite der Kontinuua findet sich jeweils die höchste Anzahl der haben-Zuweisungen. Dabei ist es ganz offensichtlich nicht nur so, dass sich die jeweiligen Pole der Kontinua durch eine markante Einheitlichkeit in der Zuweisung des erwarteten Auxiliars auszeichnen, vielmehr zeigt sich erwartungsgemäß, dass das Zuweisungsverhalten bei uneindeutiger Parameterlage die größte Uneinheitlichkeit aufweist. Beides kann als Beleg für die Relevanz der hier diskutierten Parameter angesehen werden. Die theoretischen Grundannahmen insgesamt scheinen sich zu bestätigen: Die Zuweisungswahrscheinlichkeit, die für ein Auxiliar in Bezug auf ein Vollverb (in 25

Demgegenüber nimmt sich die Direktionalphrase durch den ganzen Saal in Satz 30 (Tab. 1) verhältnismäßig schwach aus. Sie könnte ebenso gut als fakultatives Lokaladverbial betrachtet werden, von dem in Bezug auf eine Kollokation mit dem Handlungsverb tanzen nur ein verhältnismäßig schwacher Impuls für sein ausgeht, haben bleibt weiterhin die erste Wahl, vgl. Er hat/*ist heute schon mit seiner Partnerin getanzt und: Er hat/?ist mit seiner Partnerin in dem Saal/auf den Tischen [Lokativ] getanzt.

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einer spezifischen Verwendung) gilt, korreliert mit dem Grad der Ähnlichkeit dieser Vollverbverwendung zum Prototyp einer für haben oder sein charakteristischen Verwendungssituation. Der Grad der Ähnlichkeit zum Prototyp lässt sich abbilden als ‚relative Entfernung’ auf einem Kontinuum, die sich aus der Verortung des entsprechenden Verbs in Bezug auf die Pole des Kontinuums ergibt. Diese Entfernung ist relativ, weil sie sich nicht in absoluten Einheiten messen lässt, sondern aus einem Vergleich der Merkmalsausprägung bei unterschiedlichen Vollverbverwendungen resultiert. Auch hinsichtlich der zunächst in Frage gestellten Lernprogression lässt sich eine wichtige Beobachtung ableiten: Die Entwicklung des Zuweisungsverhaltens über die Klassenstufen in Bezug auf die getesteten Parameter ist ebenfalls nicht völlig unabhängig von der Nähe oder der Distanz zum jeweiligen Prototyp zu betrachten. Sie verläuft so, dass die Zuweisungstendenz für sein in der Nähe des sein-Prototyps zunimmt, in der Nähe des haben-Prototyps verhält es sich entsprechend umgekehrt. In der Mitte des Kontinuums pendelt sich das Zuweisungsverhalten in einem ausgeglichenen Verhältnis ein. Mit anderen Worten die Entwicklung geht hier gerade nicht in Richtung einer unter normativen Gesichtspunkten wünschenswerten Vereinheitlichung, sondern in Richtung auf eine ‚Konsolidierung der Variation’. Anstatt dass sich eines der beiden Auxiliare durchsetzt, scheint sich in diesem Bereich das Schwanken der Sprecher noch zu verstärken (vgl. z.B. in Appendix 2a: C3/B2; Appendix 2b: C2/C4). Dies ist u.E. die Folge einer zunehmenden Modellierung und Etablierung des Parametersystems im impliziten Grammatikwissen der Kinder, weg von einer faktoriellen Übergeneralisierung (z.B. des Merkmals ‚Resultativität/Bewegung’) hin zu einem differenzierteren, die polyvalente Merkmalscharakteristik komplexer Bedeutungsinhalte zunehmend spiegelnden Zuweisungsverhaltens.26

26

Diese Hypothese wird durch weitere, anderenorts näher vorzustellende Daten gestützt, die inzwischen von uns im Rahmen einer Untersuchung mit erwachsenen Sprechern erhoben worden sind. Dabei wurde 53 Lehramtsstudenten der Universität Münster eine erweiterte Version des hier vorgestellten Tests vorgelegt. Betrachtet man das von uns hergeleitete Kontinuum für den Faktor Resultativität (vgl. App. 2b), so ergeben sich für die getesteten Satztypen A1 – C1 – C2 – C4 – B3 – (B3’), also ausgehend vom resultativen Pol (A1), folgende Zuweisungshäufigkeiten durch erwachsenen Sprecher für das Auxiliar haben: 1% (A1) – 8% (C1) – 12% (C2) – 54% (C4) – 76% (B3) – 100% (B3’). Im Einflussbereich der Prototypen hat sich das Zuweisungsverhalten zunehmend vereinheitlicht. Im mittleren Bereich bei konfligierender Parameterlage hingegen (C4) bleibt die Auxiliarauswahl nahezu ausgeglichen. Dieser uneindeutige Zustand ist offenbar systemimmanent; eine klare Regelformulierung ist für diese Fälle nicht möglich.

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7. Didaktische Schlussfolgerungen Versteht man eine Regel, wie etwa die Transitivitätsregel, als absolut und normsetzend, dann sind sprachliche Äußerungen wie Der Mann ist einen Marathon gelaufen als ‚falsch’ einzustufen, womit in durchschnittlich 50% der sprachlichen Äußerungen der Kinder ein Fehler gemacht worden wäre. Darüber hinaus lassen Sätze wie Der Rennfahrer ___ fünf Jahre lang Ferrari gefahren erst gar keine eindeutige Anwendung einer Regel zu, weil unklar ist, inwiefern hier überhaupt von Transitivität zu sprechen ist. Das Beispiel der Distribution der Perfektauxiliare zeigt exemplarisch, dass die Betrachtung der Grammatik als enges Regelkorsett der sprachlichen Wirklichkeit nicht gerecht wird. Eine Betrachtungsweise, wonach der Grammatikfehler im Deutschunterricht als binäre Opposition zwischen ‚richtig’ und ‚falsch’ verstanden wird, erweist sich einmal mehr als problematisch. Eine solche Sichtweise geht zumindest implizit von folgenden zweifelhaften Voraussetzungen aus: 1. Sie setzt voraus, dass das sprachliche System vollständig und eindeutig regularisiert ist. Diese Annahme verstößt gegen diachrone Grunderkenntnisse, wonach Sprache als ein dynamisches System oder allenfalls als ein ‚state in progress’ zu begreifen ist. Gewissermaßen ist Sprache zwar zu jedem Zeitpunkt einer synchronen Betrachtung in einer Entwicklung auf ein vollständig regularisiertes System begriffen; doch ist das Ziel ein Zustand, der aufgrund mannigfaltiger natürlicher und systeminterner Störfaktoren nie erreicht wird. Vollständige Regularisierung (und Regularisierbarkeit) ist also nur ausnahmsweise zu erwarten und auch nur in Teilbereichen, d.h. für einen kleinen Ausschnitt sprachlicher Phänomene, keinesfalls für das System insgesamt. 2. Sie muss Ausnahmen konstatieren, die dann im Lexikon als solche markiert werden müssen. Unseres Erachtens verbaut gerade diese Sicht auf die Grammatik wertvolle Möglichkeiten für das Reflektieren über Sprache, u.a. indem sie sich der besonders interessanten Fälle beraubt. 3. Sie bedarf einer Norm, die sie entweder selbst konstituiert (vgl. Eisenberg 2004: 7), oder aber die aus einer Überbewertung bestimmter Prinzipien oder Wirkfaktoren zu Ungunsten anderer resultiert. Im Falle der Auxiliarselektion zeigt sich, dass eine Präskription nur sehr eingeschränkt mit der sprachlichen Wirklichkeit in Einklang zu bringen ist. Sie kann allenfalls für die prototypische Parameterkonstellation postuliert werden. Grammatische Kategorien sowie die damit assoziierten Strukturmerkmale und die jeweiligen Alternativen sind oftmals nicht als Entweder-oder zu verste-

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hen, sondern über Zwischenstufen und Zweifelsfälle verbunden, die systeminhärente ‚Fehler’ provozieren. Umso ausgeprägter der Bereich des Übergangs von einem Paradigma zu einem anderen, desto schwieriger wird es, Abweichungen als ‚Fehler’ zu charakterisieren, vielmehr ergibt sich ein Bereich, in dem alternative Formen oder Strukturelemente auf der Basis der sie motivierenden (gleich gewichteten) Faktoren frei variieren. In diesem Wirkungsbereich hat ein Eher-so-als-anders Vorzug vor dem Entweder-oder. Damit ist nicht etwa einer sprachlichen Beliebigkeit das Wort geredet. Es muss nämlich unterschieden werden zwischen einer Normverletzung, die sich als Abweichung beispielsweise von der Zuweisung des Auxiliars bei klarer, d.h. prototypisch ausgeprägter Parameterlage zeigt (*Er hat nach Münster gefahren) und sich gegen das Sprachverhalten der übrigen Muttersprachler absetzt, und einer Normverletzung, die aufgrund bestimmbarer Faktoren von einer einmal aufgestellten Regel abweicht (Der Sportler ist einen Marathon gelaufen).27 Diese Abweichungen sind motiviert und werden infolgedessen nicht ausnahmsweise, sondern von einer mehr oder weniger großen Zahl von Sprechern akzeptiert. Die Erkenntnis, dass systematische Normverstöße und Formvarianz bis zu einem gewissem Grad notwendige Eigenschaften des Sprachsystems bzw. Implikationen dieses Systems sind, die es weniger zu korrigieren, als vielmehr zu analysieren gilt, muss die Didaktik nicht erschüttern; es handelt sich eher um eine Chance, die genutzt werden sollte. Auf Seiten des Lehrers setzt dies einen sensiblen, differenzierenden Umgang mit Fehlern insgesamt voraus, was wiederum verlangt, dass die Lehrer in dieser Hinsicht ausgebildet worden sind. Die Frage des Grammatikunterrichts spiegelt sich damit in die Lehrerausbildung zurück. Hier ist eine Abkehr von einer Vermittlung grammatischer Kenntnisse auf der Basis einer ausschließlich oder vorwiegend präskriptiven Sicht gefordert (vgl. genauer Köpcke 2005). Stattdessen muss es darum gehen, „die prototypischen Strukturen in Phonologie, Morphologie und Syntax des Deutschen [zu] expli27

Diese Unterscheidung orientiert sich an Eisenberg und Voigt (1990), wo von ‚Normfehlern‘ und ‚Systemfehlern‘ die Rede ist: Hinsichtlich eines Systemfehlers „können die Sprecher des Deutschen Einigkeit darüber erzielen, dass ein Fehler vorliegt“ (Eisenberg und Voigt 1990: 11). „Systemfehler zeugen von einer noch unvollkommenen Beherrschung der deutschen Sprache […]. Normfehler führen zu Ausdrucksweisen, die zwar vom System her möglich sind, die aber gegen Festlegungen verstoßen, die direkt oder indirekt in der Sprachgemeinschaft vertreten werden“ (ebd.: 14). – Der Begriff Normfehler ist freilich untreffend, wenn eine Formvarianz auch unter normativen Gesichtspunkten akzeptiert ist. Die Ursachen für den (normativ sanktionierten) Normfehler und die (akzeptierte) Formvarianz liegen auf derselben Ebene: Es gibt beide Male konzeptuelle, systematisch rekonstruierbare Gründe für die Wahl entweder der einen oder der anderen Form.

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zieren“ (Eisenberg 2004: 11), was u.E. die Vermittlung einer ‚Grammatik der Übergänge’ (mit-)bedeutet. Im Grammatikunterricht sind systematisch begründete Normfehler, Zweifelsfälle und Übergangsphänomene nicht etwa auszuschließen, weder normativ-sanktionierend noch als Unterrichtsgegenstand. Sie eignen sich als Anlässe für sprachliche Reflexion. Im Vordergrund steht zunächst die Auseinandersetzung mit möglichst eindeutigen Fällen, die sich eignen, widerspruchsfrei Form- und Funktionszusammenhänge bzw. Distributionsbedingungen für sprachliche Formen und Strukturen kommunizierbar zu machen. In einem zweiten Schritt, wenn z.B. die Resultativität eines Verbs mit sein-Perfekt erkannt worden ist, kann es lohnenswert sein, einen Blick auf jene Beispiele zu werfen, bei denen das Merkmal [result] weniger eindeutig ausgeprägt ist oder jene genauer zu betrachten, die eben möglicherweise als ‚Stolpersteine’ oder ‚Fehler’ den Anlass des Unterrichtsgeschehens bilden. Gerade in den Fällen, in denen der die Struktur motivierende Faktor weniger prominent ist und dies einen Effekt ausübt (z.B. Unsicherheiten bei der Wahl zwischen Strukturalternativen verursacht), beweist sich die Wirksamkeit der postulierten Bedingungen. In diesem Sinne bewährt sich ein sonst schwer verständliches deutsches Sprichwort, wonach die Ausnahmen die Regel bestätigen. Die Regel lässt sich an den prototypischen Strukturen festmachen, die Ausnahmen sind in ihrer Begründbarkeit rekonstruierbare Abweichungen, die dort, wo sie gegen die eine Bedingung zu verstoßen scheinen, oft die Wirksamkeit einer anderen belegen.

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Patrick __ mit seiner Partnerin durch den Saal getanzt.

Jannis __ von einem Beckenrand zum anderen geschwommen.

Familie Müller __ in den Süden geflogen.

A1

A1

A1

Nach seinem Unfall __ er zwei Monate lang gehumpelt.

Patrick __ früher sehr gerne getanzt.

Der Läufer __ einen Marathon gelaufen.

B2.2(C3)

B3

Franziska __ einen guten Wettkampf geschwommen.

B2.2(C3)

B3

Der Pilot __ schon einmal selbst ein Sportflugzeug geflogen.

Franziska __ ihre Konkurrenten müde geschwommen.

B1.2

Der Millionär __ einen roten Ferrari gefahren.

Der Räuber __ seine Verfolger müde gelaufen,

B1.2

B2.1(C3)

Der Pilot __ die Hilfsgüter nach Indien geflogen.

B1.1

B2.1(C3)

Die Busfahrerin __ 24 Reisegäste sicher nach Köln gefahren.

B1.1

BW-Verb: (eingeschr.) transitiv, deshalb als haben-Verb angesetzt; problematisch: B2.1 mit Instrumentalobj. – B2.2 mit Innerem Objekt nahe stehender Akk.Erg. eigentl. intrans. Handlungsverb: durativ (nicht result.); semant. Nähe zur BW-Verbverwendung wie in A1

transitiviertes Verb

Transportverb: transitiv

Der Läufer __ einen Umweg von 2 km gelaufen.

A2(C2)

A2(C2)

A2(C2)

Grobklassifizierung (BW = Bewegung) Bewegungsverbverwendung mit Direktional

Bewegungsverbverwendung mit Der Pilot __ wegen des schlechten Wetters einen Umweg geflogen. Erstreckungsergänzung (leicht patientivische Charakteristik) Franziska __ heute eine Strecke von 1000 m geschwommen.

Michael Schumacher __ die Strecke auch bei Regen gefahren.

Irene _ aus dem Zimmer gehumpelt.

A1

A2(C2)

Uwe __ nach Hause gelaufen.

A1

Satzkategorie (dort, wo eine zweite Satzkategorie in Klammern genannt wird, gibt es zwischen den beiden Satzkategorien eine Affinität) A1 Peter __ von Hannover nach Münster gefahren.

Appendix 1a: Die Testsätze und die Zuweisungsprognosen – A- und B-Sätze

(1) haben – (2) Konflikt: BW vs. Nicht-BW resp. result. vs. nichtresult.: haben – ausnahmsw. auch: sein = haben (sein)

(1) haben – (2) Konflikt: Patiens vs. inkorp. Obj. (Nicht-Pat.). Tendenz zu haben mit deutl. Abw. gegenüber der Standarderw. zu sein = haben/sein

(1) sein (2) sein, aber leichte Abw. zu haben, wg. Parameterkonflikt: die Objekt-NP kann als Direktional oder als Patiens interpretiert werden = sein (haben) (1) haben (2) haben

(1) Präskription (2) unsere Erwartung (1) sein (2) sein

Was wissen Grundschüler über die Perfektauxiliare haben und sein?

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Der Pilot __ jahrelang Airbus geflogen.

Franziska __ früher oft Wettkämpfe geschwommen.

Der Läufer __ früher häufig Marathon gelaufen.

C3 (B2)

C3 (B2)

C3 (B2)

C4 Patrick __ mit seiner Partnerin durch den ganzen Saal Tango getanzt. (B2/C1)

Der Rennfahrer __ fünf Jahre lang Ferrari gefahren.

C3 (B2)

Melina __ früher jeden Tag eine Stunde lang geschwommen.

C1

Der Großvater __ mehrere Kilometer gehumpelt.

Als Henning noch seinen Flugschein hatte __ er oft selbst geflogen.

C1

C2 (A2)

Der LKW-Fahrer __ 12 Stunden ununterbrochen gefahren.

C1

Satzkategorie (dort, wo eine zweite Satzkategorie in Klammern genannt wird, gibt es zwischen den beiden Satzkategorien eine Affinität) C1 Kevin __ früher täglich eine Stunde lang gelaufen.

(1) Präskription (2) unsere Erwartung Bewegungsverbverwendung bei (1) sowohl sein als auch haben Fokussierung der durativen möglich; Tendenz zu sein (nicht-result.) Komponente (2) scheinbarer Konflikt: NichtResult. (Durativität) vs. implizite Result.: haben-Zuweisung zunehmend fraglich; Durativität als relevanter Parameter fraglich = sein (haben) Bewegungsverbverwendung (1) keine eindeutige Präskription mit Streckenadverbial oder (2) Konflikt: Direktional vs. Erstreckungsergänzung (leicht Patiens (=Adverbial vs. Ergänz.) – patientivische Charakteristik) gegenüber A2 verschärft durch Uneindeut. des Merkmals Result.; daher sein, allerdings sind Abw. zu haben erwartbar = sein (haben) Bewegungsverb mit stärker (1) keine eindeutige Präskription teilinkorporiertem Objekt (2) Parameterkonflikt: Patiens vs. (gegenüber B2 stärker) inkorp. Objekt (Angabe vs. Erg.), daher sein oder haben; stärkere Tendenz zu sein als in den B2-Sätzen = sein/haben Handlungsverb: (eingeschr.) (1) keine eindeutige Präskription transitiv oder intransitiv(2) Parameterkonflikt: Patiens vs. durativ oder intransitiv-result.; inkorporiertes Objekt und mit als Direktional interpretier- uneindeutig result. = sein/haben barer PP

Grobklassifizierung

Appendix 1b: Die Testsätze und die Zuweisungsprognosen – uneindeutige Fälle (C-Sätze)

126 Christian Hinze / Klaus-Michael Köpcke

[(+)/–Patiens,+/–Direkt.]

Verben mit Erstreckungsergänzung

A2 (C2)

* jeweils zwei ausgesuchte Satzbeispiele

haben/sein haben/sein 3. Kl. 8% / 92% 24% / 77% 4. Kl. 5% / 95% 22% / 78% 5. Kl. 5% / 95% 16% / 84% Anteil von haben vs. sein über alle Kinder: 6% / 94% 21% / 80%

A1

[+/–Patiens, –Indiv.] [+/–Patiens,+/–Indiv.]

semitransitiv

haben/sein 56% / 44% 44% / 56% 51% / 49% 50% / 50%

34% / 66%

B2

89% / 11%

haben/sein 83% / 17% 91% / 9% 94% / 6%

B1

Die Busfahrerin __ 24 Reisegäste sicher nach Köln gefahren. Der Pilot __ die Hilfsgüter nach Indien geflogen.

haben/sein 28% / 72% 36% / 65% 39% / 61%

C3

[+Patiens]

transitiv haben

Der Millionär __ einen roten Ferrari gefahren. Der Pilot __ schon einmal selbst ein Sportflugzeug geflogen.

Der Rennfahrer __ fünf Jahre lang Ferrari gefahren. Der Pilot __ jahrelang Airbus geflogen.

Michael Schumacher __ die Strecke auch bei Regen gefahren. Der Pilot __ wegen des schlechten Wetters einen Umweg geflogen.

Peter __ von Hannover nach Münster gefahren. Uwe __ nach Hause gelaufen

[–Patiens,+Direkt.]

Bewegungsverben sein

Appendix 2a: Kontinuum 1: Direktionalität vs. Patienshaftigkeit (Transitivität)*

Was wissen Grundschüler über die Perfektauxiliare haben und sein?

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[+/–result.,+durativ]

C1

* jeweils ein oder zwei ausgesuchte Satzbeispiele

haben/sein haben/sein 3. Kl. 8% / 92% 21% / 79% 4. Kl. 5% / 95% 15% / 85% 5. Kl. 5% / 95% 11% / 89% Anteil von haben vs. sein über alle Kinder: 6% / 94% 16% / 84%

A1

[+/–result.,+durativ]

Bewegungsverben [MANNER-PATH-Komponente]

[(+)/–result.,+/–durativ.]

[–result,+durativ]

(intransitive) Handlungsverben [MANNER -Komponente] haben

haben/sein 41% / 59% 42% / 58% 65% / 35% 49% / 51%

29% / 71%

C4

haben/sein 24% / 76% 22% / 78% 40% / 60%

C2

70% / 30%

haben/sein 62% / 39% 74% / 27% 75% / 25%

B3

(92% / 8%)

B3’

Nach seinem Unfall __ er zwei Monate lang gehumpelt. Patrick __ früher sehr gerne getanzt. Patrick __ früher sehr gerne getanzt.

Der Großvater __ mehrere Kilometer gehumpelt. Patrick __ mit seiner Partnerin durch den ganzen Saal Tango getanzt.

Der LKW-Fahrer ___ 12 Sunden ununterbrochen gefahren. Melina __ früher jeden Tag eine Stunde lang geschwommen.

Peter __ von Hannover nach Münster gefahren Uwe __ nach Hause gelaufen.

[+result.].

Fortbewegungsverben [PATH-Komponente] sein

Appendix 2b: Kontinuum 2: Resultativität vs. Nicht-Resultativität (Durativität)*

128 Christian Hinze / Klaus-Michael Köpcke

Angelika Redder

Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung? für Willi Grießhaber zum 60.

1. Kontext und Ziel der Argumentation Die Internationalität von Wissenschaft und akademischer Ausbildung stellt für die Einzelphilologien eine Herausforderung dar, die beispielsweise für die Germanistik unter dem Konzept von „Transnationalität“ diskutiert werden kann (Redder 2003). Die Bewährungsprobe von Erkenntnissen durch den fremden Blick auf die Sache vermag sich als sinnvolles analytisches Korrektiv zu empfehlen. In besonderer Weise stellen die Entwicklung sprachenübergreifender Kommunikationskonstellationen und die migrationsbedingte Mehrsprachigkeit der Gesellschaften bildungspolitisch und ausbildungssystematisch ernst zu nehmende Bedingungen und Potentiale dar. Eine Sprachanalyse hat daher für die schulische Situation folgende Gegebenheiten zu berücksichtigen: − die Zweit- oder Mehrsprachigkeit der Schüler, − die verstärkte Fremdsprachvermittlung unter sinnvoller Nutzung komparatistischer Perspektiven, − das Erfordernis einer Grammatik für Diskurs und Text. Dementsprechend sollten im Rahmen schulischen Unterrichts und universitärer Lehrerausbildung die Beschreibungskategorien für Sprache nicht nur aus einzelsprachlicher Sicht, sondern zudem aus übereinzelsprachlichem Blickwinkel auf ihre theoretische und praktische Angemessenheit hin befragt werden. Dieses Erfordernis gilt für sprachliche Gegenstände formaler wie funktionaler Art, für Diskurs- und Textarten ebenso wie für Sprechhandlungen und lexikalische Ausdrucksmittel sowie, last but not least, für grammatische Phänomene. Ich will mich im folgenden auf das Deutsche im Kontext kontaktrelevanter Sprachen und Sprachtypen konzentrieren und universitäre wie schulische Vermittlungserfordernisse und -möglichkeiten an einem grammatischen Problemkomplex exemplarisch diskutieren. Vor diesem Hintergrund sei ein höchst traditioneller Gegenstand der Grammatikvermittlung herausgegriffen: die Wortarten. Ihre Behandlung geht in unserer westlichen Tradition bekanntlich auf die antike griechisch-lateinische Sprachbetrachtung zurück. Ursprünglich galt die Klassifikation pragmatisch den mere logou bzw. partes orationis, also den Teilen von Rede und

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Angelika Redder

auch Teilen des Denkens, insofern im griechischen Begriff logos beides, Denken und Sprechen, nicht geschieden sind. Erst die von der Tradition sich emanzipierende Grammatik des Deutschen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert unterscheidet ‚Wortarten’ von syntaktisch-funktionalen ‚Satzteilen’ (Knobloch und Schaeder 2000, Ehlich 2002). Sowohl die Differenzierung von ‚Wortarten’ als solche (semiotisch auch ‚Wortklassen’ genannt) als auch die Zuordnung sprachlicher Ausdrucksmittel im einzelnen stellen allerdings bis heute ein notorisches Problem dar. Seit langem bekannt sind insbesondere Diskussionen zur Klasse der Adverbien und der Partikeln sowie die Marginalisierung der Interjektionen. Ein modernes Konzept, nach dem zwischen lexikalischem Wort und grammatischer Struktur keine polare, sondern eine graduelle Beziehung besteht, so dass Phänomene der Grammatikalisierung und Degrammatikalisierung (und also Lexikalisierung) in das Zentrum der Diskussion rücken, scheint nur vereinzelt analytische Klärungsmöglichkeiten zu bieten (Knobloch und Schaeder 2005). Das Klassifikationsproblem der Grundeinheiten besteht also für sprachtypologisch ähnlich strukturierte Sprachen wie die indogermanischen Sprachen fort – und mehr noch für typologisch distante Sprachen, ja differente Sprachtypen, die gleichwohl am Konzert der global communication beteiligt sind, wie etwa das Chinesische oder Indonesische. Beispielsweise in Vogel und Comrie (2003) werden einige Probleme aus übereinzelsprachlicher Sicht diskutiert. Wenn jedoch die Bestimmung der Wortarten problematisch ist und zugleich die oben angeführten Gegebenheiten zu berücksichtigen sind, so ist zu fragen: Soll die Klassifikation des Ausdrucksbestandes nach Wortarten die Basis für eine schulische Grammatikvermittlung des Deutschen darstellen und dementsprechend die Lehrerausbildung prägen? Ich denke nicht. Mein Plädoyer wird folgendermaßen lauten: (i) Fundamental sollte ein Verständnis für die Relation von Form und Funktion vermittelt werden. Als grammatische Grundlage, d.h. als Basis, ist deshalb eine abstrakte, einzelsprachübergreifende Kategorisierung von Vorteil, wie sie im Konzept der sprachlichen Felder nach Bühler zur Verfügung steht. (ii) Auf einige – besonders die problematischen – Wortartenkategorien kann dann gänzlich verzichtet werden. (iii) Andere Wortartenkategorien lassen sich sukzessive nach Form-Funktions-Relationen einzelsprachlich konkretisieren und als Binnendifferenzierung der Felder reanalysieren.

Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung?

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2. Konstellation in neueren funktionalen Grammatiken Zehn Jahre nach dem „Kasseler Gespräch zu Grammatik und Pragmatik für die Schule“ (in DU 1995) liegen mit der Textgrammatik von Weinrich (1993; 2. rev. Aufl. 2003), der 3-bändigen IdS-Grammatik von Zifonun, Hoffmann, Strecker u.a. (1997), mit dem nunmehr überarbeiteten zweibändigen, nach ‚Wort’ und ‚Satz’ geschiedenen „Grundriß“ von Eisenberg (1998/9; 22004) und der völlig neu erarbeiteten Duden-Grammatik (2005) wissenschaftliche Grammatiken des Deutschen vor, die sich auch als moderne Referenzwerke – nicht als Arbeitsmittel – für den schulischen Unterricht verstehen. Gemeinsam ist ihnen ein funktionaler Sprachbegriff, der gleichwohl im Detail nicht unerheblich differiert. Funktionalität bei Eisenberg und der Dudenredaktion ist im wesentlichen bezogen auf sprachinterne, die Sprachlichkeit als solche strukturierende Funktionen der Ausdrucksformen; pragmatische Bezüge treten eher kontingent (oder additiv im letzten Kap. „Gesprochene Sprache“ von Fiehler im Duden) in den Blick. Demgegenüber versuchen Weinrich und Zifonun u.a. die sprachexternen, die sprachliche Interaktion betreffenden Funktionen systematisch in die Formanalyse einzubeziehen und zeichnen sich demgemäß durch eine reiche empirische Datenbasierung und extensive Diskussion komplexer Sprachbeispiele aus. Allerdings enthält einzig die IdS-Grammatik (1997) gleich zu Beginn ein ausführliches, die Differenz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit einschließendes Kapitel C „Zur Grammatik von Text und Diskurs“, welches Ludger Hoffmann verantwortet, sowie (als folgendes Kap. D) eine „Funktionale Analyse von kommunikativen Minimaleinheiten und ihren Teilen“, die primär Strecker bearbeitet hat. Prüft man an diesen Grammatiken, welche Einheiten als grundlegend unterstellt sind und welcher Stellenwert der Kategorie der Wortarten zugewiesen wird, so ergibt sich Erstaunliches. Obwohl Weinrich explizit den Gebrauch von Sprache – die Saussuresche ‚parole’ – fokussiert und ihn grundsätzlich nicht in Sätzen, sondern in Texten geformt sieht, folgt die Darstellung in ihrer Architektonik und inneren Systematik gleichsam selbstverständlich den traditionellen Hauptwortarten, nämlich Verb, Nomen, Adjektiv, Adverb sowie, textstrukturell neu gefasst, ‚Junktion’, welche Präpositionen, Konjunktionen und Relativum neben dem morphologischen Genitiv umfasst; lediglich im vorletzten Kap. 8 „Syntax des Dialogs“ kommt eine querliegende pragmatische Perspektive zur Geltung, innerhalb derer vor allem die schwierige Kategorie der Partikeln eine Behandlung findet. Mit dem Strukturmoment ‚Wortart‚ ist zugleich das Wort als systematische Basiseinheit relativ zum Text als komplexer Gebrauchseinheit zentral gestellt – eine Konsequenz von Weinrichs zeichentheoretischer, se-

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Angelika Redder

miologischer Sprachauffassung, wie mir scheint. Der Ausdrucksbestand des Deutschen wird mithin weitgehend traditionell nach seinem Stellenwert im Sprachsystem (Saussures ‚langue’) klassifiziert, nicht jedoch nach kommunikativen Funktionen. In der satzsyntaktisch orientierten Konstituentengrammatik von Eisenberg ist dem ‚Wort’ als einfacher Form (gegenüber dem ‚Satz’ als komplexer Form) ein eigener Band gewidmet. Die Problematik des Wortbegriffs in seiner Abstraktheit wird eingehend diskutiert und eine syntaktisch motivierte Differenzierung von Wortformen nach Einheiten- und Paradigmenkategorien eingeführt – und zwar im Band zur Satzgrammatik. Die Wortarten stellen demnach eine unter anderen ‚grammatischen Kategorien’ dar. Sie werden weitgehend traditionell behandelt, mit besonderem Augenmerk auf der unscharfen Grenze zwischen Adjektiv und Adverb. Auch die Duden-Grammatik bleibt bei den traditionellen Wortarten und gruppiert sie für das Deutsche nach dem typologisch relevanten Aspekt der Flektierbarkeit. Modern ist lediglich die ausführliche Darlegung der unflektierten und nicht strukturell zu verankernden Restklasse der Partikeln. Demgegenüber bietet die IdS-Grammatik eine partiell revidierte, nach formalen Kriterien erstellte Liste von Wortarten (Zifonun u.a. 1997, Kap. B1, § 2.): Substantiv, Determinativ, Proterme (Anapher, Reflexivum, Personal-Deixis, Possessivum, Objekt-Deixis, W-Objekt-Deixis, Relativum, Indefinitum, Quantifikativum), Präposition, Adjektiv, Verb, Adverb, Adkopula, Partikeln, Junktoren.

Interjektionen und Responsive werden nicht als Wortarten, sondern als „interaktive Einheiten“ klassifiziert. Neben den „Adkopulae“ sind insbesondere die „Proterme“ als eigene Kategorie eingeführt. Und diese Kategorie erweist sich zudem als auffallend binnendifferenzierte, indem sie vor allem eine Reihe von Deixistypen, d.h. Wortklassen, die seit Bühler (1934) handlungsfunktional bestimmt sind, sowie deren funktionalen Gegenpart, die Anapher, einschließt. In dieser Konstellation deutet sich eine Schnittstelle zweier klassifikatorischer Zugriffe auf den Ausdrucksbestand des Deutschen an: desjenigen der Wortarten einerseits und der Einheiten sprachlichen Handelns andererseits. Ich will im folgenden von den sprachlichen Handlungseinheiten ausgehen. In der IdS-Grammatik heißt es hierzu treffend: Eine solche Fundierung im Handlungsprozeß liegt noch vor einer syntaktischen oder auch propositional-semantischen Differenzierung von Ausdrucksklassen, wenngleich sie dort hineinspielt. (Zifonun u.a. 1997: 27)

Genau aufgrund dieser systematischen Vorausgesetztheit können nach meiner Auffassung die Erfordernisse der Übereinzelsprachlichkeit von Form-Funk-

Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung?

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tions-Bestimmungen sowie der Text- und Diskurssyntax erfüllt werden, die eingangs skizziert wurden.

3. Klassifikation sprachlicher Ausdrucksmittel nach Feldern Systematische Basis meiner Argumentation ist das Konzept der ‚sprachlichen Felder’, wie es durch Karl Bühler (1934) mit der Scheidung von ‚Zeigfeld’ und ‚Symbolfeld’ begründet und im Rahmen der Funktionalen Pragmatik (FP) weiter ausgeführt wurde (vgl. Ehlich 2002). Demnach werden fünf sprachliche Felder differenziert, die jeweils funktional bestimmt sind. Es ist dies zum einen das Bühlersche ‚Zeigfeld’ (oder griech. ‚deiktische Feld’). Dessen Ausdrucksmittel dienen sämtlich dem sprachlichen Zeigen und damit genauer der hörerseitigen Orientierung der Aufmerksamkeit durch den Sprecher. Zeigwörter sind mithin Mittel der Aufmerksamkeitssynchronisierung. Zum anderen ist dies das ‚Symbolfeld’, welches relativ zu Bühlers Ausführungen funktional-pragmatisch spezifizierter gefasst wird. Ausdrucksmittel des Symbolfeldes dienen dem Vollzug einer nennenden Prozedur. Das bedeutet, sie aktualisieren ein mit dem jeweiligen Symbolfeldmittel gesellschaftlich verknüpftes Wissen bei Sprecher und Hörer. Derartige Ausdrucksmittel gelten traditionell als sprachliche Symbole oder Zeichen par excellence. Aus grammatischer Sicht werden sie häufig als „Inhaltswörter“ den „Funktionswörtern“ gegenübergestellt – wobei „Inhalt“ oder „lexikalischer Gehalt“ im Sinne einer Referenzsemantik präsupponiert wird, statt die Besonderheit der nennenden gegenüber etwa der zeigenden Prozedur zu erkennen und insofern die jeweilige Besonderheit der Bedeutungsweise zu erfassen. Nennende Prozeduren vermitteln Wissen im Wege einer Aktivierung sprachlichen Wissens. In der Funktionalen Pragmatik differenziert man zudem das ‚operative Feld’ (‚Arbeitsfeld’). Hierzu rechnen alle Ausdrucksmittel, die der mentalen Bearbeitung von Sprache als Sprache, besonders der Bearbeitung von propositionalen Elementen in das Wissen der beiden Aktanten dienen. Operative Mittel realisieren insofern im weiten Sinne eine Wissenssynchronisierung zwischen Sprecher und Hörer und arbeiten, operieren, immer über anderen sprachlichen Mitteln, sind also nie selbstsuffizient wie beispielsweise Ausdrücke des Lenkfeldes. Sie gehören funktional demnach zu den wichtigen sprachlichen Mittlern jeglicher Wissensbearbeitung. Eine Wissensbearbeitung enthält freilich verschiedene Aspekte wie etwa Erwartungsbearbeitung oder Verstehensbearbeitung, aber auch sprachintern bezogene Linearisierungs-

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Angelika Redder

bearbeitung. Daher enthält das operative Feld eine Reihe von Subklassen verschiedener Art. Des Weiteren unterscheidet man das ‚Lenkfeld’ (‚expeditive Feld’) von Sprache. Dessen sprachliche Mittel sind durch die Funktion der direkt eingreifenden sprachlichen Kontaktierung des Hörers charakterisiert, mit andern Worten: der Herstellung eines „direkten Drahtes“ vom Sprecher zum Hörer. Schließlich wird mit dem ‚Malfeld’ eine Funktionsklasse von sprachlichen Ausdrucksmitteln geschieden, die den Zweck der Expression von Befindlichkeit und Atmosphäre erfüllt. Die ausgeführten sprachlichen Funktionsfelder enthalten allesamt sprachliche Mittel zum Vollzug kleinster Einheiten sprachlichen Handelns. Diese atomaren Einheiten nennt man in der Funktionalen Pragmatik ‚Prozeduren’. Insofern ist mit der Differenzierung der sprachlichen Felder eine Klassifikation kleinster Einheiten des sprachlichen Handelns gewonnen. Auf der Grundlage dieser Handlungseinheiten lassen sich alle komplexeren Einheiten sprachlichen Handelns systematisch bestimmen. Die Kombinationsformen der Prozeduren sind Gegenstand einer Funktional-pragmatischen Syntax (Hoffmann 2003). Von den Prozeduren als Basiseinheiten sprachlichen Handelns sind, in Anknüpfung an Austin, funktionale Einheiten mittlerer Größenordnung, nämlich ‚Sprechhandlungen’, und solche größter Komplexität, nämlich ‚Diskurs’ und ‚Text’ als zweckmäßige Ensembles von Sprechhandlungen, zu differenzieren (vgl. Graphik in Redder 2005: 47). So kann ein einheitlicher pragmatischer, genauer: ein handlungstheoretischer Sprachbegriff für die Analyse des Wechselverhältnisses von Form und Funktion gewährleistet werden. Prozeduren bestehen in mentalen Prozessen, die Sprecher und Hörer vollziehen, indem sie sprachliche Ausdrucksmittel verwenden. Die Vermittlungsqualität von Sprache wird in dieser Sprachtheorie also sprachpsychologisch erfasst. Sprachliche Ausdrucksmittel gelten nicht einfach als gegebene Entitäten, als materiale Zeichen. Vielmehr werden sie gleichsam analytisch verflüssigt, indem der konkrete Prozess der zeichenvermittelten Kommunikation rekonstruiert wird. Diejenigen sprachlichen Ausdrucksmittel, die zum Vollzug der basalen Prozeduren dienen, können daher kurz als prozedurale Ausdrucksmittel bezeichnet werden, wobei die Kategorie ‚Ausdruck(smittel)’ nicht formal festgelegt ist, insbesondere nicht auf Wörter als Formeinheiten. Die sprachlichen Felder stellen also eine funktionale Klassifikation der basalen, prozeduralen Ausdrucksmittel dar. Diese Mittel weisen sehr unterschiedliche Formcharakteristika auf: Die Felder enthalten lexikalische Ausdrücke, Morpheme, intonatorische und topologische Mittel zum Vollzug der je feldcharakteristischen Prozeduren. Die traditionellen Wortarten bilden bestenfalls einen Anteil an diesen Mitteln; sie gehen auch umgekehrt nicht in ihnen auf.

Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung?

135

Eine knappe tabellarische Darstellung der sprachlichen Felder und ihrer Ausdrucksmittel im Deutschen – benannt mit traditionellen Kategorien – findet sich in der IdS-Grammatik (1997: 27). Ich präsentiere hier eine differenziertere und hinsichtlich der Präpositionen modifizierte Version. Sie enthält die markanten und bislang funktional-pragmatisch analysierten Mittel für das Deutsche, erhebt also noch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Feld

Prozedur

sprachliche Mittel

Lenkfeld (expeditives F.)

expeditive Prozedur

Interjektionen, Imperativmorpheme

Zeigfeld (deiktisches F.)

deiktische Prozedur

1. u. 2. Personalpronomina, 1. u 2. Personalmorpheme, 1. u. 2. Possessivpron., Demonstrativpron., Proadverbien, Temporalmorpheme der Nähe (Präsens)/ Ferne (Präteritum), ‚kommen’

Symbolfeld

nennende Prozedur

Substantive, Adjektive, Verben, Basispräpositionen

Arbeitsfeld (operatives F.)

operative Prozedur

Konjunktionen, Partikeln, Phorik (= 3. Personal-, 3. Possessivpron.), Artikel/Det. Genusmarker, Fragewörter, Modusmorpheme, Satzintonation, Wortstellung

Malfeld

malende Prozedur

intonat. Modulation, Riesen-’ etc.

Tab. 1: Sprachliche Felder und ihre Ausdrucksmittel im Deutschen (vgl.: Redder 2005: 45)

Man kann aus dieser funktional klassifizierenden Perspektive erkennen, 1.) dass die Wortart der Interjektionen eindeutig einen besonderen Zweck des sprachlichen Handelns realisiert, nämlich den der expeditiven Prozeduren, und 2.) dass die weitgehend ontologisch differenzierten Hauptwortarten Substantiv, Adjektiv, Verb und Präposition (im Sinne von Relationsausdrücken) Subklassen des Symbolfeldes bilden und insofern allgemein dem Vollzug nennender Prozeduren dienen. Es ist im Deutschen vor allem eine Frage der Wortbildung, ob die Symbolfeldausdrücke als solche, „rein“, in verschiedene syntaktische Verwendungszusammenhänge eingehen (z.B. die Wortstämme ‚ARBEIT-’, ‚TAG’) oder ob sie mittels spezifischer Wortbildungsmittel subklassifizierbar und nach den traditionellen nominalen und verbalen Wortarten gruppierbar sind (Redder 2005). Das Deutsche weist eine vergleichsweise reiche Wortbildung und

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Angelika Redder

dementsprechend formal greifbare Subklassifikation der nennenden Prozeduren auf. Man könnte darüber hinaus fragen, ob einige der von Köpcke (1982) ermittelten Schemata für die Genuszuweisung mit der Differenz zwischen reinen und nominal spezifizierten Symbolfeldausdrücken im Deutschen korrelieren. Im markanten Unterschied zum Deutschen verzichtet das Englische in breiten Bereichen des Symbolfeldes auf formale Subklassifizierungen. In Übereinstimmung mit der syntaktischen Verschiebung hin zum isolierenden Sprachtypus ist deshalb für das Englische – fast wie im Chinesischen oder Indonesischen – eine Differenzierung zwischen Nomen (= Adjektiv + Substantiv) und Verb nicht prägend; vielmehr kann die rein funktionale Klassifikation nennender Ausdrucksmittel als solche hinreichen und grammatisch explikativ werden (Knobloch und Schaeder 2005). Auch Sprachen, die keine Adjektive von Substantiven differenzieren (z.B. Dixon 1982 zu austronesischen Sprachen), lassen sich auf der Grundlage funktionaler sprachlicher Felder und ihrer charakteristischen Prozeduren treffender beschreiben. Andere Wortarten weisen im Deutschen keine klare Feldzugehörigkeit auf. Das fordert zu weiteren Überlegungen mit Blick auf das Form-FunktionsVerhältnis heraus.

4. Formale und syntaktische Charakteristika der Feldmittel Die Mittel des Lenkfeldes – neben dem Imperativmorphem die traditionellen ‚Interjektionen’ umfassend – weisen selbst formale Besonderheiten auf. Die Bedeutungsdifferenzierung der expeditiven Mittel wird nämlich durch Töne über einer Monembasis bewirkt. Für Unterrichtszwecke wurde andernorts (Redder 2002) das Beispiel des sprechersteuernden HM – einem Mittel des Hörers zur verstehensbezogenen Konvergenzäußerung gegenüber dem Sprecher – genauer dargelegt. Ein solches tonales Formmittel ist für das Deutsche untypisch, während es für Sprachen wie das Chinesische oder Vietnamesische normal ist; insofern korrespondiert mit der funktionalen Besonderheit der Lenkfeldausdrücke eine formale Besonderheit (Ehlich 1986). Ein anderes, grammatisch eher marginales Feld weist im Deutschen ebenfalls eine formale, wenngleich nicht untypische Charakteristik auf, nämlich das Malfeld: Hier bilden intonatorische Modulationen beliebiger sprachlicher Ausdrücke das Hauptmittel der Bedeutungsdifferenzierung, während vergleichsweise wenige eigene lexikalische oder morphologische Mittel dem Vollzug malender Prozeduren dienen wie etwa Komposita mit ‚Riesen-’ oder ‚Gott-’ (Redder 1994). Die Ausdrucksmittel der anderen sprachlichen Felder – Zeigfeld, Symbol-

Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung?

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feld und operatives Feld – sind formal nicht ausgezeichnet. Wohl aber sind einige syntaktische Charakteristika für sie hervorzuheben, welche in die traditionelle Wortartendifferenzierung partiell als Klassifikationskriterium eingehen: − Die tonal ausgezeichneten expeditiven Prozeduren fungieren im allgemeinen selbstsuffizient, wenn auch Verbindungsformen nicht ausgeschlossen sind (z.B. ‚ohje’, ‚naja’). Lenkfeldausdrücke können mithin selbständig als Einheiten des sprachlichen Handelns genutzt werden, ohne weitere prozedurale Kombinatorik. Traditionell wird dies als satzsyntaktische Desintegriertheit der Interjektionen verzeichnet. Faktisch wird hiermit eine kommunikativ hinreichende Prozedur vollzogen. Die eigenständige Klassifikation als „interaktive Einheit“ in der IdS-Grammatik trägt dem Rechnung, sondert diese Einheiten jedoch zugleich von den anderen prozeduralen Einheiten sprachlichen Handelns ab. − Deiktische Prozeduren können selbstsuffizient (z.B. „Heute.“) oder biprozedural suffizient verwendet werden („Da!“, „Hierher!“). Sie müssen also nicht syntaktisch verknüpft oder integriert sein, sondern können eigenständig kommunikativ funktionieren. Deiktika sind im Deutschen allerdings nicht nur als lexikalische (wortmäßige), sondern auch als morphologische Formen ausgebildet (Temporal- und Personalmorpheme). Letztere sind formbedingt an eine Kombination mit anderen, i.a. symbolischen Mitteln gebunden, fungieren also nicht selbstsuffizient. − Operative Prozeduren operieren stets über anderen, insbesondere über nennenden oder deiktischen Prozeduren, sind also notwendigerweise syntaktisch mit anderen prozeduralen Mitteln kombiniert oder fusioniert. Operative Ausdrücke treten im Deutschen im breitesten formalen Spektrum auf: von topologischen über intonatorische und morphologische bis zu lexikalischen Formen. Dementsprechend vielfältig ist das syntaktische Kombinationsspektrum. − Nennende Prozeduren sind systematisch an der ‚elementaren propositionalen Basis (epB)’ beteiligt, welche den gedanklichen Kerngehalt von Äußerungen ausmacht (Ehlich 1997). Man kann daher Symbolfeldausdrücke als wesentliche Elemente einer mentalen Tiefenstruktur betrachten, welche durch das integrale Zusammenwirken der nennenden mit anderen Prozeduren zu einer Oberflächenstruktur führt, die man ‚Satz’ nennt. Formal sind Symbolfeldausdrücke zum überwiegenden Teil lexikalisch. Ob bzw. inwieweit Suffixe, z.B. solche der Wortbildung, ebenfalls nennende Prozeduren realisieren, ist noch im einzelnen zu untersuchen. Die dominante lexikalische Form der Symbolfeldausdrücke begründet die morphosyntaktische Relevanz dieser Mittel in flektierenden Sprachen, ihr Beitrag zur Prozedurenintegration bedingt ihre Prägnanz im Rahmen eines LexikonGrammatik-Konzeptes von Sprache.

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Angelika Redder

− Malende Prozeduren sind wegen ihrer im Deutschen überwiegend modula-

torischen Form nicht selbstsuffizient, aber syntaktisch gleichsam querlaufend. Dies ist etwa in Afrikanischen Sprachen anders, die einen reichen malenden Wortschatz aufweisen (Jungraithmayr 1983). Die funktional-pragmatische Klassifikation des Ausdrucksbestandes nach funktionalen sprachlichen Feldern geht einher mit einem modifizierten Syntaxbegriff im Sinne einer systematischen Kombinatorik der Prozeduren. Und diese Kombinatorik ist, wie Hoffmann (2003) ausführt, nicht hierarchisch, wie dies Konstituentenstrukturgrammatiken unterstellen. Vielmehr haben die Prozedurenkombinationen selbst eine – komplexe, nicht elementare – prozedurale Qualität. Syntaktische Mittel werden insofern als eigene sprachliche Mittel ernst genommen und prozessual „verrechnet“. Dadurch wird die elementare prozedurale Klassifikation frei von syntaktischen Kriterien und zugleich offen für eine systematische Bestimmung der Gesamtfunktion und Gesamtform, die in prozeduraler Kombination entsteht. So kann etwa die Kombination von operativem lexikalischem Ausdruck (z.B. ‚denn’) mit der Wortstellung als syntaktischem operativem Ausdrucksmittel konsequent rekonstruiert werden (Redder 1990), statt zu polysemischen Hilfsbestimmungen zu führen – für ‚denn’ traditionell als koordinierende Konjunktion einerseits und (Modal-)Partikel andererseits. Dies hat wiederum Konsequenzen für die Bestimmung prozeduraler Beiträge innerhalb einer Diskurs- oder Textsyntax anstelle der reduktiven Satzsyntax. Insbesondere für deiktische oder aus Deiktika abgeleitete Ausdrücke ergibt sich so eine weiterreichende Strukturanalyse (Kameyama i.Dr.).

5. Feldspezifische Prozeduren aus traditioneller Sicht Kehrt man die klassifikatorische Perspektive nun noch einmal auf traditionelle Weise um, stellt man also die klassischen Wortarten (im Sinne der acht partes orationis) voran und ordnet sie dann den funktionalen Feldcharakteristika zu, so ergibt sich folgendes Bild (s. Tab. 2). Es ist ersichtlich, dass der besondere Problembereich der Adverbien in der Heterogenität der Feldzugehörigkeit der Mittel und also in der Heterogenität der durch sie realisierten Prozeduren begründet ist. Unter den traditionellen Adverbien (einschließlich der Partikeln) werden nämlich nennende, deiktische und operative Ausdrucksmittel unterschiedslos subsumiert. Verzichtet man für das Deutsche gänzlich auf eine Wortartensklassifikation namens Adverb, so klärt sich die Problematik auf.

Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung?

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WORTARTEN

PROZEDUREN (Feld)

nach Flexion + Vorkommen im Satz, z.T. nach Ontologie = Mischkriterien

nach Funktion im sprachlichen Handeln (Sprachgebrauch, Zweck) = einheitliches Kriterium

Verb (Kasus-Rektion; Valenz) Substantiv (Genus-Rektion) + Adjektiv = Nomen (Kongruenz in NP) Artikel (> NP: Monoflexion)

> nennende Prozedur > nennende Prozedur (Symbolfeld)

(Personal-, Poss.-, Demonstrativ-) Pronomen (subst. od. attrib.) - „Phorik“ [er/sie/es] - Interrogativpronomen - Indefinit-Pronomen - Relativ-Pronomen ............................................................... Interjektion ............................................................... Präposition (Kasus-Rektion) Konjunktion (koord. / subord.) Adverb • • • Adverb genauer: - Adverb i.e.S. ‚(fährt) schnell’, ‚laut’, ‚traurig’ ... - Modalwort ‚möglicherweise’, ‚sicherlich’ ... - Pro(nominal)-Adverb ‚hier’, ‚dort’, ‚da’, ‚damals’, ‚so’ ... - Partikeln ‚denn’, ‚doch’, ‚eben’, ‚mal’ ...

> operative Prozedur (operatives Feld) > deiktische Prozedur (Zeigfeld) > operative Prozedur > operative Prozedur > operative Prozedur > (para-)operative Prozedur > expeditive Prozedur (Lenkfeld) > (i.a.) nennende Prozedur > operative Prozedur >> symb./deikt./operative Prozedur > nennend

> nennend > deiktisch > operativ

Tab: 2: Relation von Wortarten zu feldspezifischen Prozeduren

Das Deutsche sieht im Vergleich zum englischen ‚-ly’ und französischen ‚-ment’ keine systematische Bildungsform für adverbiale satzsyntaktische Funktionen vor (historisch vereinzelte Relikte bilden allenfalls Suffigierungen von -s in abends, wasserseits usw.). Vielmehr weist es einen vergleichsweise breiten Ausdrucksbestand innerhalb des Symbolfeldes auf, der vor jeglicher Differenzierung in Adjektiv einerseits und Adverb andererseits angesiedelt ist. Eben darin besteht die von Eisenberg (2002) erneut diskutierte Adjektiv-

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Adverb-Schnittstelle. Geht man also von der funktionalen Klassifikation im Sinne der Tab. 1 aus und betrachtet im besonderen die Mittel zum Vollzug nennender Prozeduren, die im weiten Sinne ein Wissen über Eigenschaften von Objekten und Sachverhalten aktualisieren, so lässt sich Folgendes beobachten. Lediglich eine kleine Teilklasse dieser Subklasse im Symbolfeld ist genuin zur Kombination innerhalb integrativer syntaktischer Prozeduren ausgezeichnet, nämlich diejenige, die fusionierbar ist mit dem komplexen Wortbildungssuffix ‚...-er-weise’. Die übrigen nennenden Mittel sind vielfältig prozedural kombinierbar und also unter anderem, nicht jedoch genuin, für adverbiale Satzfunktionen nutzbar, aber eben auch für attributive. Die übrigen Ausdrucksmittel, welche traditionell den Adverbien zugeschlagen werden, lassen sich funktional klar in operative Ausdrücke einerseits und deiktische Ausdrücke andererseits scheiden. Hinsichtlich ihrer Kombinatorik und also syntaktischen Einbindung sind sie größtenteils offen und keineswegs auf Adverbiale festgelegt. Wiederum sichert die prozedurale Bestimmung eine minimalistische Bedeutungsbestimmung, d.h. eine einheitliche Ausdrucksbedeutung und davon geschiedene syntaktische Analyse der prozeduralen Kombinatoriken (z.B. für deiktisches und paraoperatives ‚da’ Redder 1990). Die Wortartenkategorie ‚Adverb’ hat mithin keinen systematischen Stellenwert für das Deutsche und sollte deshalb aufgegeben werden. Ebensowenig explikativ ist die Verlegenheitskategorie ‚Partikel’. Die betreffenden Ausdrucksmittel lassen sich präziser als Mittel zum Vollzug operativer Prozeduren bestimmen. Insbesondere dienen sie der Synchronisierung von sprecherseitigem und hörerseitigem Verstehen und Wissen im Sinne des Verständigungshandelns. Diese Spezifikation erlaubt eine Subklassifikation innerhalb des operativen Feldes und so beispielsweise eine Abgrenzung gegenüber denjenigen operativen Mitteln, die der kategorialen Umreißung eines bestimmten Nicht-Gewussten dienen – traditionell: Fragepronomina – oder gegenüber solchen, die sprachinternen Zwecken der Relationierung von nennenden Prozeduren(kombinationen) dienen, den Kasusmorphemen des Deutschen. Eine andere Wortartenkategorie, die es aufzugeben gilt, um stattdessen eine differenzierte prozedurale Klassifikation explikativ zu nutzen, ist die der ‚Pronomina’ (Graefen i. Dr.). Abgesehen von der bekannten Kritik am strukturalistischen Substitutionsgedanken bezogen auf die sog. Personalpronomina der 1. und 2. Person – prozedural zu rekonstruieren als Sprecher- und Hörerdeixis – gilt für keines der traditionell darunter gefassten Ausdrucksmittel das Prinzip des aliquid stat pro aliquo. Vielmehr handelt es sich überwiegend um deiktische und zu kleinerem Teil um operative Mittel. Die sog. Personalpronomina und Possessivpronomina der 1. und 2. Person zeigen nämlich deiktisch auf den Sprecher als Sprecher (‚ich’, 1. Personalmorphem) und die ihm eigenen Aspekte (‚mein’) bzw. auf den Hörer als Hö-

Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung?

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rer (‚du’, 2. Personalmorphem) und die ihm eigenen Aspekte (‚dein’), die Demonstrativpronomina (‚dieser’, ‚jener’, ‚das’) zeigen auf Objekte im philosophisch weiten Sinne und die sogenannten Pro(nominal)adverbien auf Verweisobjekte lokaler (‚hier’, ‚da’, ‚dort’) oder temporaler Art (‚jetzt’, ‚damals’, ‚dann’), schließlich das Adverb ‚so’ auf Aspekte an Objekten. Demgegenüber sind die deutschen Relativpronomina ‚..., der/die/das’ aus genuinen Deixeis abgeleitet und für Zwecke des operativen Feldes funktionalisiert; diese Funktionalisierung wird als „Feldtransposition“ rekonstruiert und durch die „para-“Charakteristik kenntlich gemacht. Sog. Fragepronomina dienen, wie gesagt, operativ dem kategorialen Umriss eines bestimmten NichtGewussten – auch bei der prozeduralen Kombination mit einer Frontstellung und Endpositionierung des finiten Verbs, d.h. bei der Nebensatzeinleitung ohne oder mit nominalem Bezug (traditionell: indirektem Fragesatz oder Relativsatz). Sog. Indefinitpronomina abstrahieren operativ über Eigenschaften wie Aktantenschaft oder – wie Numeralia – in positiver oder negativer Weise über Quantitäten einer Eigenschaft oder Objekthaftigkeit. Besonders hervorzuheben sind zwei einschneidende Modifikationen aufgrund der Feldklassifikation. Das traditionelle Personalpronomen 3. Person (bzw. entsprechende Morphem am finiten Verb) steht funktional in Opposition zur Deixis, indem nicht eine Neu-Fokussierung, sondern eine Fokus-Kontinuierung der hörerseitigen Aufmerksamkeit realisiert wird. Dies gilt unabhängig von einer etwaigen konkreten Blickrichtung oder Relationierung wie in „Petra liebt Paul. Und er liebt sie.“, denn die Aufmerksamkeit auf beide namentlich genannten Personen wird in solchen Formulierungen in ihrem Verhältnis zueinander kontinuiert; andernfalls lautete die Äußerungsfolge: „Petra liebt Paul. Und dieser liebt sie.“, womit die Charakterisierung von Pauls Liebe von derjenigen Petras abgekoppelt und eigenständig eingeschätzt würde. Insofern sind diese Mittel – im Deutschen also ‚er/sie/es’ – operativer Art und werden mit dem rhetorischen Ausdruck als Phorik bezeichnet, die rückwärts („ana-“) oder paradoxerweise vorwärts („kata“) wirken kann. Diese prozedurale Klassifikation hat zur Folge, dass auch die Verbparadigmen separiert werden nach Sprecher-Hörer-Bezug einerseits und jeglichem sonstigen Bezug andererseits (Redder 1992); die Systematik der finiten Formen wird dadurch durchsichtiger, was besonders für die Lehre des Deutschen als Fremdsprache positive Konsequenzen hat. Das System der Artikel ist historisch – im Deutschen wie in einer Reihe anderer Sprachen, sofern sie überhaupt ein solches sprachliches Repertoire unterhalten – aus Objektdeixeis abgeleitet und zu operativen Zwecken funktionalisiert worden. Diese spezifische operative Subklasse dient dem Wissensmanagement: Die Art, wie der Hörer das symbolisch Benannte in seinem Wissen aktualisieren soll, wird organisiert (vgl. Ehlich 2003, Kovtun 2003).

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Angelika Redder

6. Konsequenzen Für die Vermittlung in schulischem Unterricht und universitärer Lehrerausbildung kann man aus den dargelegten Bestimmungen folgende Konsequenzen ziehen. a) Als Grundlage werden die fünf sprachlichen Felder vermittelt. Aufgrund ihrer funktionalen Charakteristika dürften sie übereinzelsprachliche Qualität haben, jedoch in den Einzelsprachen hinsichtlich der Ausdrucksmengen und Ausdrucksformen sehr unterschiedlich genutzt und differenziert werden. b) An diese Klassifikation kleinster Einheiten sprachlichen Handelns, eben den Prozeduren, lassen sich einerseits pragmatische Fortführungen als Sprechhandlungsanalyse und Diskurs- und Textanalyse anschließen. Zudem kann man die Relevanz und Abfolge im Spracherwerb (Garlin 2000) feldspezifisch diskutieren: Expeditive und deiktische Prozeduren werden im allgemeinen vor den Symbolfeldausdrücken angeeignet; die operativen Ausdrücke folgen deutlich später; die intonatorischen Konturen des Malfeldes deuten sich zwar schon im präverbalen System der Schreie an, werden aber erst im Zuge des gesamten sprachlichen Ausbaus differenziert genutzt. c) Mit Blick auf grammatische Fragestellungen bietet sich andererseits die Frage nach der Binnenstruktur der Felder und der einzelsprachspezifischen Ausformung der Ausdrucksmittel in Subklassen im Anschluss an (a) an. Von da her kann eine Kritik der griechisch-lateinischen Tradition erarbeitet werden. d) Die Kritik führt zu einem Verzicht auf folgende Wortartenkategorien zugunsten ihrer Bestimmung als Mittel zum Vollzug feldspezifischer Prozeduren: − Interjektion > expeditive Prozedur − Adverb > nennende, deiktische oder operative Prozedur − Partikel > operative Prozedur − Pronomen > deiktische oder operative Prozedur. e) Die sogenannten Hauptwortarten, die nach den Kriterien der Qualität des in der Wirklichkeit Benannten, d.h. ontologisch geschieden werden, erweisen sich als Subklassen des Symbolfeldes. Sie können so als sprachtypspezifisch, ja sogar einzelsprachspezifisch vermittelt werden. Im Unterschied zu einer Reihe anderer Sprachen, sogar dem Englischen, macht das Deutsche durch Wortbildungsverfahren die Subklassen deutlich und weist weniger reine, nicht subklassifizierbare Symbolfeldmittel auf. Demgemäß lässt sich in Anlehnung an die Tradition klassifikatorisch formulieren: − Verben > benennen Wirklichkeitselemente unter dem Aspekt ihrer Veränderung

Wortarten als Grundlage der Grammatikvermittlung? − Substantive

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Expeditives Feld